Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 12. Nov. 2015 - 5 S 2108/14

bei uns veröffentlicht am12.11.2015

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 19. Juni 2013 - 5 K 1938/12 - geändert, soweit es die Klage abweist. Die Zwangsgeldandrohung unter Nr. 4 des Bescheides der Beklagten vom 6. Dezember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landratsamtes Ravensburg vom 21. Mai 2012 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger verpflichtet ist, ein Teilstück des Gehwegs entlang der B... Straße in Bad Waldsee zu reinigen, zu räumen und zu bestreuen.
Der Kläger ist Eigentümer der Grundstücke Flst.-Nr. ...45/1 und ...48/6 auf der Gemarkung der Beklagten. Das Grundstück Flst.-Nr. ...48/6 ist mit einem Wohnhaus bebaut. Das 456 m² große Grundstück Flst.-Nr. ...45/1 ist unbebaut. Es entstand durch Abtrennung von dem im Eigentum der Beklagten stehenden Grundstück Flst.-Nr. ...45 und hatte ursprünglich eine Größe von 480 m². Mit dieser Größe veräußerte es die Beklagte mit Kaufvertrag vom 13.10.2003 an die ... GmbH. Nachdem ein 1 m breiter und 24 m² großer Grundstücksstreifen entlang der B... Straße abgetrennt worden war, erwarb der Kläger das nunmehr 456 m² große Grundstück mit Tauschvertrag vom 28.10.2003 von der ... GmbH. Der 1 m breite Grundstücksstreifen blieb im Eigentum der ... GmbH und bildete das Grundstück Flst.-Nr. ...45/101. Mit Vertrag vom 05.10.2010 hoben die Beklagte und die ... GmbH den Kaufvertrag vom 13.10.2003 in Ansehung des Teilgrundstücks Flst.-Nr. ...45/101 auf. Das Grundstück ging wieder in das Eigentum der Beklagten über und wurde mit dem Grundstück Flst.-Nr. ...45 vereinigt.
Mit Schreiben vom 11.11.2010 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass er nach der Streupflichtsatzung der Stadt für den Gehweg an der B... Straße räum- und streupflichtig sei. Der städtische Betriebshof werde diese Aufgabe ab dem 01.12.2010 nicht mehr wahrnehmen, wie dies bisher ohne eine Rechtspflicht geschehen sei.
Die maßgeblichen Vorschriften der Streupflichtsatzung der Stadt Waldsee i.d.F. vom 04.03.1996 haben folgenden Wortlaut:
§ 1
Übertragung der Reinigungs-, Räum- und Streupflicht
(1) Den Straßenanliegern obliegt es, innerhalb der geschlossenen Ortslage einschließlich der Ortsdurchfahrten die Gehwege und die weiteren in § 3 genannten Flächen nach Maßgabe dieser Satzung zu reinigen, bei Schneeanhäufungen zu räumen sowie bei Schnee- und Eisglätte zu bestreuen.

(2) …
§ 2
Verpflichtete
(1) Straßenanlieger im Sinne dieser Satzung sind die Eigentümer und Besitzer (z. B. Mieter und Pächter) von Grundstücken, die an einer Straße liegen oder von ihr eine Zufahrt oder einen Zugang haben (§ 15 Abs. 1 StrG). Als Straßenanlieger gelten auch die Eigentümer und Besitzer solcher Grundstücke, die von der Straße durch eine im Eigentum der Gemeinde oder des Trägers der Straßenbaulast stehende, unbebaute Fläche getrennt sind, wenn der Abstand zwischen Grundstücksgrenze und Straße nicht mehr als 10 m, bei besonders breiten Straßen nicht mehr als die Hälfte der Straßenbreite beträgt (§ 41 Abs. 6 StrG).

(2) …
Der nicht ortsansässige Kläger wandte gegen die Aufforderung ein, der Grundstückserwerb im Jahr 2003 sei nur deshalb zustande gekommen, weil ein 1 m breiter Streifen des Grundstücks Flst.-Nr. ...45/1 im Eigentum der ... GmbH verblieben sei mit dem Ziel, auf Dauer seine Streupflicht auszuschließen. Mit Schreiben vom 12.10.2011 beantragte er, von der Räum- und Streupflicht für den Gehweg entlang der B... Straße zwischen der Einmündung der S... Straße und dem Stichweg auf dem Grundstück Flst.-Nr. ...45 entbunden zu werden.
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Mit Bescheid vom 06.12.2011 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab und verpflichtete den Kläger unter Anordnung des Sofortvollzugs, die nach der Streupflichtsatzung bestehende Reinigungs-, Räum- und Streupflicht für den Gehweg entlang der B... Straße von der Einmündung S... Straße bis zu dem Stichweg auf Flst.-Nr. ...48/1 gemäß beigefügtem Lageplan zu erfüllen. Für den Fall der Nichterfüllung dieser Verpflichtung drohte sie die Festsetzung eines Zwangsgeldes in Höhe von 300,-- EUR an.
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Zur Begründung führte sie aus, die dem Kläger auferlegte Pflicht beruhe auf § 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 1 Satz 2 der Streupflichtsatzung. Eine Befreiung hiervon wegen besonderer Härte komme nicht in Betracht. Der 280 km entfernte Wohnsitz des Klägers führe nicht zur Unzumutbarkeit der Verpflichtung, denn der Kläger könne Dritte - gegebenenfalls gegen Entgelt - mit der Ausübung der Verpflichtung beauftragen. Auch die Änderung der Eigentumsverhältnisse führe nicht zur Unzumutbarkeit. Sie - die Beklagte - sei zwar in das Grundstücksgeschäft zwischen der ... und dem Kläger eingebunden gewesen. Nebenabreden zu ihren Lasten im Hinblick auf die Räum- und Streupflicht gebe es aber nicht. Solche hätte sie auch nicht zugelassen. Sollten derartige Vereinbarungen im Zusammenhang mit den vormaligen Grundstücksverhandlungen getroffen worden sein, so seien diese jedenfalls mangels Schriftform unwirksam.
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Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies das Landratsamt Ravensburg mit Widerspruchsbescheid vom 21.05.2012 zurück. Zur Begründung führte es aus, der Kläger sei nach der Streupflichtsatzung der Beklagten verpflichtet, den im Bescheid bezeichneten Gehwegabschnitt zu reinigen, zu räumen und zu bestreuen. Gegenüber der Rechtswirksamkeit der Streupflichtsatzung bestünden keine Bedenken. Weder die mangelnde Ortsansässigkeit noch die lange Grundstücksgrenze führe zur Unzumutbarkeit der Verpflichtung. Eine bindende Zusicherung, dass die Beklagte den Winterdienst übernehme, gebe es nicht. Darüber hinaus wäre eine größere Anzahl von Befreiungen organisatorisch schwer umzusetzen. Es wären auch Berufungsfälle zu erwarten. Die Anwendung der Streupflichtsatzung sei eine öffentlich-rechtliche Folge der privatrechtlichen Grundstücksgeschäfte und der hieraus resultierenden Eigentumsveränderungen.
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Zur Begründung seiner am 22.06.2012 beim Verwaltungsgericht Sigmaringen erhobenen Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Beklagten vom 06.12.2011 und den Widerspruchsbescheid des Landratsamtes Ravensburg vom 21.05.2012 hat der Kläger vorgetragen, die Satzung sei unwirksam, weil sie keine Befreiungs- und Härteregelungen enthalte. Jedenfalls habe er einen Anspruch auf Befreiung von der Räum- und Streupflicht, weil im Jahr 2003 das Grundstück Flst.-Nr. ...45/101 gebildet worden sei, um seine Räum- und Streupflicht dauerhaft auszuschließen. Da sein Wohnsitz 280 km entfernt sei, verkehre sich der Gedanke der Übertragung der Räum- und Streupflicht auf die Straßenanlieger mit dem Ziel des schnelleren Räumens und Streuens in sein Gegenteil. Es sei ihm nicht zuzumuten, selbst rechtzeitig vor Ort zu sein; die Zuhilfenahme Dritter sei mit erheblichen Kosten verbunden. Im Übrigen sei ein gewerblicher Räum- und Streudienst in der Regel nicht schneller vor Ort als die städtischen Bediensteten. Die Beklagte müsse im Bereich der S... Straße wegen der dortigen Bushaltestelle den Gehwegabschnitt ohnehin schnell räumen. Darüber hinaus sei der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt, weil die Beklagte die Räum- und Streupflicht entgegen dem Satzungsrecht selbst erfüllt habe, solange die ... GmbH Eigentümerin des Grundstücksstreifens gewesen sei. Es bestehe der Verdacht, dass die Rückübertragung des Grundstücksstreifens in das Eigentum der Stadt allein dem Zweck gedient habe, seine Räum- und Streupflicht zu begründen. Im Übrigen handele es sich bei dem nunmehr vereinten Gesamtgrundstück Flst.-Nr. ...45 nicht um eine unbebaute Fläche im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 2 der Streupflichtsatzung, weil sich auf ihr eine Bushaltestelle und eine Werbeanlage befänden.
14 
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat ausgeführt, die Streupflichtsatzung sei trotz Fehlens ausdrücklicher Ausnahmen von der Räum- und Streupflicht wirksam. Die fehlende Ortsansässigkeit des Klägers und die Grundstücksgeschäfte der Vergangenheit begründeten keinen Befreiungsanspruch. Es sei bereits im Jahr 2004 geplant gewesen, den Grundstücksstreifen wieder an die Stadt zu veräußern. Dies spreche gegen die Annahme des Klägers, dass der Grundstücksstreifen auf Dauer bei der ... GmbH habe verbleiben sollen, um ihn von der Räum- und Streupflicht zu verschonen.
15 
Das Verwaltungsgericht hat nach Beweiserhebung mit Urteil vom 19.06.2013 (- 5 K 1938/12 -) den Bescheid der Beklagten vom 06.12.2011 und den Widerspruchsbescheid des Landratsamts Ravensburg vom 21.05.2012 insoweit aufgehoben, als dem Kläger die Räum- und Streupflicht auf Höhe der Einmündung des Stichwegs Flst.-Nr. ...48/1 in die B... Straße auferlegt wurde. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Reinigungs-, Räum- und Streupflicht erstrecke sich satzungsgemäß nur auf Gehwege, nicht aber auf den Straßenkörper. Die Fahrbahn des Stichwegs Flst.-Nr. ...48/1 müsse der Kläger somit nicht reinigen, räumen und bestreuen. Im Übrigen sei die Klage jedoch unbegründet. Die Streupflichtsatzung der Beklagten begegne keinen rechtlichen Bedenken. Sie finde ihre Rechtsgrundlage in § 41 Abs. 2 StrG und § 4 GemO. Der Kläger sei als Eigentümer des Grundstücks Flst.-Nr. ...45/1 Straßenanlieger im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2 der Streupflichtsatzung. Der nach der Vertragsaufhebung vom 05.10.2010 wieder mit dem Grundstück Flst.-Nr. ...45 verschmolzene Grundstücksstreifen (das ehemalige Flst.-Nr. ...45/101) stehe im Eigentum der Beklagten. Er sei im Bereich der B... Straße unbebaut; die Bushaltestelle mit dem Wartehäuschen liege entfernt im östlichen Bereich des Grundstücks und betreffe die zu räumende Wegstrecke nicht. Der Kläger sei daher für das in Rede stehende Wegestück satzungsgemäß räum- und streupflichtig. Der Kläger könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass mit der Beklagten im Zusammenhang mit den Grundstücksgeschäften im Jahr 2003 die Räum- und Streupflicht thematisiert worden sei und die Vermeidung dieser Verpflichtung auch die Geschäftsgrundlage für den Kaufvertrag vom 28.10.2003 gebildet habe. Eine entsprechende Absicht des Klägers sei zwar zu erkennen. Es sei jedoch davon auszugehen, dass es zwischen dem Kläger und der Beklagten im Hinblick auf die Räum- und Streupflicht keine Abreden gegeben habe. Die Räum- und Streupflicht belaste den Kläger auch nicht unverhältnismäßig. Der Kläger könne sich zur Erfüllung dieser Pflicht Dritter bedienen.
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Auf Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 16.10.2014 - 5 S 2057/13 -, zugestellt am 27.10.2014, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts wegen ernstlicher Zweifel an seiner Richtigkeit zugelassen.
17 
Zur Begründung seiner Berufung hat der Kläger am 25.11.2014 seinen bisherigen Vortrag vertieft und ergänzend vorgetragen, unter dem Begriff der Fläche im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 2 der Streupflichtsatzung sei das Buchgrundstück zu verstehen. Diese Fläche könne nicht in einen bebauten und einen unbebauten Teil unterteilt werden. Die Übertragung der Räum- und Streupflicht auf ihn sei unverhältnismäßig, weil er weit entfernt wohne und die Beklagte ohnehin die Gehwegbereiche im Anschluss an den hier streitbefangenen Gehwegabschnitt räumen und bestreuen müsse. Zudem habe keine der Reinigungsfirmen, bei denen er nachgefragt habe, ein Angebot abgegeben. Die Rückübertragung des Grundstücks Flst.-Nr. ...45/101 stelle außerdem einen Missbrauch einer rechtlichen Gestaltungsmöglichkeit dar, weil sie nur dazu gedient habe, seine Räum- und Streupflicht zu begründen, die mit der Bildung dieses Grundstücks gerade habe ausgeschlossen werden sollen.
18 
Der Kläger beantragt,
19 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 19.06.2013 - 5 K 1938/12 - zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 06.12.2011 sowie den Widerspruchsbescheid des Landratsamts Ravensburg vom 21.05.2012 insgesamt aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
22 
Sie trägt vor, die Streupflichtsatzung sei wirksam. Die Übertragung der Räum- und Streupflicht auf den Kläger sei diesem zumutbar, auch wenn er nicht in der Gemeinde wohne und keine Mieter vorhanden seien, denen die Räum- und Streupflicht übertragen werden könnte. An einer etwaigen Abrede zwischen dem Kläger und der ... GmbH über die Abtrennung des 1 m breiten Grundstücksstreifens entlang der B... Straße zum Zwecke der Vermeidung der Räum- und Streupflicht sei sie nicht beteiligt gewesen sei. Zudem sei es als „Umgehungsgeschäft“ für die Räum- und Streupflicht unbeachtlich. Es könne auch nicht entscheidungserheblich sein, dass die Stadt ohnehin die Bushaltestelle entlang der S... Straße räumen und bestreuen müsse. Zum einen liege die Bushaltestelle in einer anderen Straße und sei vom Grundstück des Klägers entfernt gelegen. Die Fläche grenze auch nicht an das Grundstück des Klägers an. Zum anderen gebe es im Gemeindegebiet zahlreiche weitere vergleichbare Situationen. Es würde den städtischen Räum- und Streudienst überfordern und die Übertragung der Räum- und Streupflicht auf die Anlieger in das Gegenteil verkehren, wenn die Stadt wegen der räumlichen Nähe einer Bushaltestelle auch die sonstigen Gehwege „in der Nähe“ räumen und bestreuen müsste. Weshalb die ... GmbH als Eigentümerin des (isolierten) Grundstücksstreifens der Räum- und Streupflicht nicht nachgekommen sei bzw. diese Pflicht von der Stadt erledigt worden sei, sei nicht bekannt. Es gebe keinerlei Verabredungen oder Verpflichtungen der Stadt, den Räum- und Streudienst zugunsten des Klägers zu übernehmen.
23 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten und der zur Sache gehörenden Gerichts- und Behördenakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

 
A.
24 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige Berufung ist nur in geringem Umfang begründet.
25 
Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, soweit der Kläger sich gegen die ihm in dem angefochtenen Bescheid auferlegte Verpflichtung wendet, den entlang des Grundstücks Flst.-Nr. ...45 verlaufenden Gehweg von der Einmündung der S... Straße bis zum Beginn der Einmündung des auf Flst.-Nr. ...48/1 verlaufenden Weges zu reinigen, zu räumen und zu bestreuen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 06.12.2011 und der Widerspruch des Landratsamts Ravensburg vom 21.05.2012 sind insoweit rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO (I.). Die Zwangsgeldandrohung in Nr. 4 des Bescheides der Beklagten ist dagegen rechtswidrig und führt zu einer Rechtsverletzung des Klägers (II.).
I.
26 
Die Verpflichtung des Klägers zum Reinigen, Räumen und Bestreuen des beschriebenen Gehwegabschnitts gemäß den Vorgaben der Streupflichtsatzung der Beklagten ist rechtmäßig. Die Beklagte war zum Erlass des angefochtenen Verwaltungsakts befugt (1.). Die Streupflichtsatzung, die durch die Verfügung konkretisiert wird, ist wirksam (2.). Der Kläger ist nach den Vorschriften der Satzung verpflichtet, den Gehweg von der Einmündung der S... Straße bis zum Beginn der Einmündung des auf Flst.-Nr. ...48/1 verlaufenden Weges zu reinigen, zu räumen und zu bestreuen (3.). Diese Pflicht belastet ihn nicht in unzumutbarer Weise (4.). Ermessensfehler liegen nicht vor (5.).
27 
1. Die Beklagte durfte die sich unmittelbar aus ihrer Streupflichtsatzung vom 04.03.1996 ergebenden Pflichten gegenüber dem Kläger als Ortspolizeibehörde durch Verwaltungsakt konkretisieren, da der Kläger diese bestritten hat (Senatsurteil vom 20.11.2003 - 5 S 2311/02 - und vom 11.11.1993 - 5 S 2606 -, BWGZ 1994, 619). Rechtsgrundlage hierfür ist § 3 i.V.m. § 1 PolG. Nach diesen Vorschriften kann die Polizeibehörde diejenigen Maßnahmen treffen, die nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen im öffentlichen Interesse erforderlich sind, um von dem einzelnen und dem Gemeinwesen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht werden, oder um solche Gefahren zu beseitigen. Ein Tätigwerden zum Zwecke der Gefahrenabwehr setzt eine konkrete Gefahr voraus. Eine solche liegt vor, wenn bei bestimmten Verhaltensweisen oder Zuständen nach allgemeiner Lebenserfahrung oder fachlichen Erkenntnissen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden für die polizeilichen Schutzgüter im Einzelfall, d.h. eine konkrete Gefahrenlage, einzutreten pflegt. Dabei hängt der zu fordernde Wahrscheinlichkeitsgrad von der Bedeutung der gefährdeten Rechtsgüter sowie dem Ausmaß des möglichen Schadens ab. Geht es um den Schutz besonders hochwertiger Rechtsgüter, wie etwa Leben und Gesundheit von Menschen, so kann auch die entferntere Möglichkeit eines Schadenseintritts ausreichen (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.07.2002 - 6 CN 8.01 -, BVerwGE 116, 347; VGH Baden-Württ., Urteil vom 25.10.2012 - 1 S 1401/11 -, VBlBW 2013, 1778). Nach Maßgabe dieser Grundsätze bestand hier eine konkrete Gefahr, da der Kläger zu erkennen gegeben hatte, dass er den in der Streupflichtsatzung der Beklagten geregelten Pflichten nicht nachkommen will.
28 
2. Die Pflichten des Klägers ergeben sich aus der auf § 41 Abs. 2 StrG beruhenden Streupflichtsatzung der Beklagten. Diese Satzung ist rechtmäßig.
29 
Nach § 41 Abs. 2 StrG können die einer Gemeinde nach § 41 Abs. 1 StrG obliegenden Pflichten zum Reinigen, Räumen und Bestreuen von Straßen innerhalb der geschlossenen Ortslage für Gehwege durch Satzung den Straßenanliegern ganz oder teilweise auferlegt werden. Nach § 41 Abs. 6 Alt. 1 StrG gelten als Straßenanlieger auch die Eigentümer und Besitzer solcher Grundstücke, die von der Straße durch eine im Eigentum der Gemeinde oder des Trägers der Straßenbaulast stehende unbebaute Fläche getrennt sind, wenn der Abstand zwischen Grundstücksgrenze und Straße nicht mehr als 10 m beträgt. Von der Ermächtigung in § 41 Abs. 2 StrG hat die Beklagte fehlerfrei Gebrauch gemacht. Verfahrens- oder Formfehler hat der Kläger nicht geltend gemacht. Sie wären nach § 4 Abs. 4 GemO aber ohnehin grundsätzlich unbeachtlich. Die Streupflichtsatzung leidet auch an keinem materiellen Mangel, der zu ihrer Unwirksamkeit führt. Insbesondere ist es unschädlich, dass sie keine Ausnahmen von der Räum- und Streupflicht in besonders gelagerten Fällen vorsieht. Denn bei ihrer Auslegung und Anwendung ist ohnehin höherrangiges Recht zu berücksichtigen, d.h. es ist zu prüfen, ob die Räum- und Streupflicht im Einzelfall nach dem Maßstab des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG unzumutbar ist (vgl. Senatsurteil vom 14.11.2006 - 5 S 2619/05 -, VBlBW 2007, 424). Das folgt bereits aus § 41 Abs. 1 StrG, wonach den Gemeinden u.a. die Straßenreinigungspflicht „im Rahmen des Zumutbaren“ obliegt. An diese Regelung knüpft § 41 Abs. 2 StrG an, indem es der Gemeinde die Möglichkeit eröffnet, ihre Pflicht aus § 41 Abs. 1 StrG den Straßenliegern aufzuerlegen. Da die Pflicht der Gemeinde nur im Rahmen des Zumutbaren besteht, gilt dies in gleicher Weise für die Straßenanlieger, auf die die Gemeinde die Pflicht durch Satzung überträgt.
30 
3. Die Verpflichtung des Klägers zum Reinigen, Räumen und Bestreuen des Gehwegs entlang des Grundstücks Flst.-Nr. ...45 von der Einmündung S... ... Straße bis zum Beginn der Einmündung des Weges auf Flst.-Nr. ...48/1 folgt aus § 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 1 Satz 2 der Streupflichtsatzung. Nach § 1 Abs. 1 der Satzung obliegt es den Straßenanliegern, innerhalb der geschlossenen Ortslage einschließlich der Ortsdurchfahrten unter anderem die Gehwege zu reinigen, bei Schneeanhäufung zu räumen sowie bei Schnee- und Eisglätte zu bestreuen. Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 der Satzung gelten als Straßenanlieger auch die Eigentümer und Besitzer solcher Grundstücke, die von der Straße durch eine im Eigentum der Gemeinde oder des Trägers der Straßenbaulast stehende, unbebaute Fläche getrennt sind, wenn der Abstand zwischen Grundstücksgrenze und Straße nicht mehr als 10 m beträgt.
31 
Der Kläger ist (fiktiver) Straßenanlieger im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2 der Satzung. Sein Grundstück Flst.-Nr. ...45/1 ist durch eine Fläche von dem nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 b) StrG zur Straße gehörenden Gehweg getrennt, die im Eigentum der Beklagten steht; der Abstand zwischen der Grenze seines Grundstücks und der Straße beträgt weniger als 10 m. Das ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Die zwischen seinem Grundstück und dem Gehweg liegende Fläche ist darüber hinaus unbebaut im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2 der Satzung, der den Wortlaut des § 41 Abs. 6 StrG übernimmt. Der Begriff „unbebaute Fläche“ bezieht sich nur auf die Fläche zwischen dem privaten (Hinterlieger-)Grundstück und der Straße. Unerheblich ist, ob die Fläche zu einem Grundstück gehört, das an anderer Stelle bebaut ist.
32 
Die Vorschriften des § 2 Abs. 1 Satz 2 der Streupflichtsatzung der Beklagten und des § 41 Abs. 6 StrG sprechen einerseits von Grundstücken und andererseits von Fläche. Soweit es die Verpflichteten betrifft, werden die Eigentümer bestimmter „Grundstücke“ in Anspruch genommen. Soweit es den zwischen dem privaten Grundstück und der Straße liegenden Bereich betrifft, sprechen die Vorschriften von „Fläche“. Die Verwendung der beiden unterschiedlichen Begriffe ist vor dem Hintergrund des Ziels zu sehen, das mit der Übertragung der Gehwegreinigung auf die Straßenanlieger nach § 41 Abs. 2 StrG i.V.m. § 1 Abs. 1 Streupflichtsatzung verfolgt wird. Mit ihr soll sichergestellt werden, dass die Gehwege innerhalb der geschlossenen Ortslage bei Bedarf schnell in einen verkehrssicheren Zustand versetzt werden. Das gilt insbesondere für die Beseitigung von Laub und Schnee sowie das Bestreuen bei Eisbildung (vgl. Bauer, in: Kodal, Straßenrecht, 7. Aufl. 2010, S. 1585 Rn. 6). Da eine Gemeinde vielfach innerhalb der gebotenen kurzen Zeit nicht der eigentlich ihr obliegenden Pflicht nachkommen kann, ist es sachgerecht, diese Aufgabe den Straßenanliegern zu übertragen (so schon BVerwG, Urteil vom 05.08.1965 - I C 78.22 -, BVerwGE 22, 26). Die Reinigungspflicht des einzelnen Straßenanliegers erstreckt sich nicht auf das gesamte Grundstück, auf dem der Gehweg verläuft, sondern grundsätzlich lediglich auf den Abschnitt des Gehweggrundstücks, an den sein eigenes Grundstück grenzt (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.08.1965, a.a.O.). Das entspricht dem hergebrachten Grundsatz, dass „jeder vor seiner Tür kehrt“, und führt im Übrigen auch zu sachgerechten Ergebnissen, weil dadurch ohne großen Verwaltungsaufwand feststellbar ist, wer zur Reinigung welches Gehwegabschnitts verpflichtet ist. Die Vorschriften des § 41 Abs. 6 StrG und § 2 Abs. 1 Satz 2 Streupflichtsatzung erweitern den Kreis der Pflichtigen (so auch Senatsbeschluss vom 23.06.2008 - 5 S 345/08 -). Zur Reinigung des Gehwegs ist danach auch derjenige Grundstückseigentümer verpflichtet, dessen Grundstück nicht unmittelbar an die Straße grenzt, sondern von ihr durch eine nicht mehr als 10 m breite unbebaute Fläche getrennt ist, die im Eigentum der Gemeinde oder des Trägers der Straßenbaulast steht. Über das Motiv für diese Regelung in § 46 Abs. 6 StrG geben die Gesetzesmaterialien zwar keinen Aufschluss (vgl. LT Baden-Württ. 3. WP, Beilagenband VIII Beilage 3875). Sie dient jedoch erkennbar ebenfalls der schnellen und effektiven Herstellung verkehrssicherer Zustände auf dem Gehweg insbesondere bei Unwettern, Laub- und Schneefall sowie Eisglätte, weil der (fiktive) Straßenanlieger auch in dieser Situation in aller Regel „sachnäher“ ist als die Gemeinde oder der Träger der Straßenbaulast.
33 
Die Regelung in § 41 Abs. 6 StrG und § 2 Abs. 1 Satz 2 Streupflichtsatzung hat zur Folge, dass der „fiktive“ Straßenanlieger ebenfalls (nur) den Gehwegabschnitt reinigen muss, an den sein Grundstück angrenzen würde, falls zwischen seinem Grundstück und der Straße keine weitere Fläche läge. An diesem Umfang der Reinigungspflicht hat sich auch die Auslegung des Begriffs „unbebaute Fläche“ zu orientieren, d.h. es kommt darauf an, ob die zwischen dem privaten Hinterliegergrundstück und der Straße liegende Fläche unbebaut ist. Mit dieser Auslegung wird der bereits angesprochenen Verwendung der beiden Begriffe „Fläche“ und „Grundstück“ in § 41 Abs. 6 StrG und § 2 Abs. 1 Satz 2 Streupflichtsatzung Rechnung getragen. Daher ist nicht maßgebend, ob das gesamte Grundstück, dessen Teil die Fläche ist, keine Bebauung aufweist. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob das gesamte Grundstück nicht breiter als 10 m ist. Da die Fläche zwischen dem Gehweg entlang der B... Straße und dem Grundstück des Klägers nicht bebaut ist, zählt der Kläger zu den (fiktiven) Straßenanliegern im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2 Streupflichtsatzung.
34 
4. Die satzungsrechtliche Pflicht des Klägers zur Straßenreinigung belastet diesen nicht in unzumutbarer Weise.
35 
Die Verpflichtung des Klägers, den streitbefangenen Gehwegabschnitt zu reinigen, zu räumen und zu bestreuen, ist nicht deshalb unzumutbar, weil die Beklagte ohnehin verpflichtet ist, Gehwegflächen in der Nähe zu reinigen. Derzeit hat die Beklagte den nördlichen Gehweg entlang ihres Grundstücks Flurstück Nr. ...45 in der S... Straße bis zur Einmündung in die B... Straße sowie den Bereich der Einmündung des Weges auf dem Flurstück Nr. ...48/1 zu reinigen. Auf dem Weg zu dem letztgenannten Reinigungsbereich müsste ein Mitarbeiter der Beklagten am streitbefangenen Gehwegabschnitt vorbeifahren.
36 
Nach der Rechtsprechung des Senats, an der weiter festzuhalten ist, folgt daraus indessen nicht, dass die Verpflichtung zur Straßenreinigung unzumutbar ist. Ein solcher Fall liegt nur vor, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind: Zum einen muss die Gemeinde „sachnäher“ sein, d.h. sie muss ohnehin verpflichtet sein, Straßenflächen in der Nähe zu reinigen, zu räumen oder zu bestreuen. Zum anderen muss eine grundstücksbezogene Härte vorliegen (vgl. Senatsurteil vom 20.11.2003 - 5 S 2311/02 -). Eine solche Härte kann bestehen, wenn kein Zugang zur Straße besteht, ein unverhältnismäßig langer Weg zum Gehweg zurückzulegen ist und der Aufwand, einen direkten Zugang zur Straße zu schaffen, zu groß ist (Urteil vom 29.11.1984 - 5 S 814/84 -). Eine grundstücksbezogene Härte kann ferner anzunehmen sein, wenn ein Zugangshindernis zur Straße, etwa in Form einer Böschung, besteht (Urteil vom 28.05.1979 - I 391/79 -, juris). Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Urteil des Senats vom 14.11.2006 (- 5 S 2619/05 -, VBlBW 2007, 424). Der Senat hat darin in einem obiter dictum ausgeführt, eine Räum- und Streupflicht könnte unverhältnismäßig sein, wenn die Gemeinde ohnehin mit einem Räumfahrzeug an Ort und Stelle sei, um in der Nähe zu räumen, weil der Gedanke, der die Übertragung der Räum-und Streupflicht auf die Anlieger rechtfertige, nämlich dass diese die Gehwege im Gemeindegebiet regelmäßig schneller räumen und bestreuen könnten als die Gemeinde mit ihren dafür zur Verfügung stehenden begrenzten Kräften, nicht in sein Gegenteil verkehrt werden dürfe. Aus diesen nicht entscheidungstragenden Ausführungen folgt nicht, dass es auf das Vorliegen einer grundstücksbezogenen Härte nicht ankäme, denn zu dieser Frage verhält sich das Urteil nicht.
37 
Nach Maßgabe der genannten Voraussetzungen ist es dem Kläger zumutbar, die Reinigungs-, Räum- und Streupflicht auf dem streitbefangenen Gehwegabschnitt zu erfüllen. Es fehlt an einer grundstücksbezogenen Härte. Dass er 280 km entfernt wohnt, ist ein persönlicher Umstand, der außer Acht zu lassen ist (vgl. auch Urteil vom 04.11.1985 - 1 S 2439/84 -: Das hohe Alter des Pflichtigen ist nicht zu berücksichtigen). Es kommt auch nicht darauf an, ob die in der mündlichen Verhandlung erhobene Behauptung des Klägers zutrifft, es sei nicht möglich, ein Unternehmen zu finden, das mit der Übernahme der satzungsgemäßen Pflicht beauftragt werden kann. Abgesehen davon, dass es insoweit an einem Beleg fehlt und die Behauptung daher nicht ohne Weiteres nachvollziehbar ist, stellte dieser Umstand jedenfalls keine grundstücksbezogene Härte dar.
38 
5. Die Beklagte hat das ihr durch § 3 PolG eingeräumte Ermessen pflichtgemäß und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ausgeübt.
39 
a) Insbesondere hat die Beklagte - entgegen der Ansicht des Klägers - nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen. Der Kläger meint, ein solcher Verstoß liege hier deshalb vor, weil die Beklagte den streitbefangenen Gehwegabschnitt jahrelang geräumt habe, obwohl nicht sie, sondern die ... GmbH hierzu verpflichtet gewesen sei. Dieser Umstand trifft zwar zu, rechtfertigt aber nicht die Annahme einer gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßenden Ungleichbehandlung des Klägers. Die Beklagte hat im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorgetragen, dass sie Anfragen wegen Übernahme der Pflichten durch die Stadt grundsätzlich abschlägig beantworte. Der Kläger hat diese Angabe zwar in Zweifel gezogen, weil er meint, das Verhalten der Beklagten im Falle der Gehwegreinigungspflicht der ... GmbH belege das Gegenteil. Das trifft jedoch nicht zu. Zum einen ist den Akten nicht zu entnehmen, dass die ... GmbH einen solchen Antrag gestellt hat. Zum anderen bedeutet die Erfüllung der Pflichten der ... GmbH nicht, dass die Beklagte von ihrer Verwaltungspraxis abgerückt wäre. Ein von der Verwaltungspraxis abweichendes Verhalten in einem Einzelfall genügt dafür nicht. Auch der Kläger benennt keine weiteren Fälle oder Anhaltspunkte, die Gegenteiliges nahelegen. Kehrt die Beklagte nun für den fraglichen Gehwegabschnitt wieder zu ihrer Verwaltungspraxis zurück, handelt sie nicht willkürlich, sondern stellt die Einheitlichkeit und Gleichförmigkeit ihres Handelns wieder her.
40 
b) Die Beklagte war auch nicht aus Vertrauensschutzgesichtspunkten gehindert, von dem Kläger die Erfüllung der in der Streupflichtsatzung vorgesehenen Reinigungs-, Räum- und Streupflicht zu verlangen. Eine Verwirkung dieser Befugnis im Sinne einer Handlungsschranke ist von vornherein nicht möglich, denn bei der Verpflichtung des Klägers zur Gehwegreinigung handelt es sich um eine hoheitliche Maßnahme zur Gefahrenabwehr. Solche Befugnisse können nicht verwirkt werden (vgl. VGH Baden-Württ., Urteil vom 18.12.2012 - 10 S 744/12 -, VBlBW 2013, 189 zum Bodenschutzrecht; OVG Rheinl.-Pfalz, Urteil vom 12.06.2012 - 8 A 10291/12 -, BauR 2012, 1634; BayVGH, Beschluss vom 18.07.2008 - 9 ZB 05.365 -, juris; OVG Berlin-Brandenb., Beschluss vom 25.06.2007 - OVG 10 S 9.07 -, juris).
41 
Unter den für eine Verwirkung geltenden Voraussetzungen (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 20.03.2014 - 4 C 11.13 -, BVerwGE 149, 211, Rn. 30) könnte allenfalls das Gebrauchmachen von der Eingriffsermächtigung des § 3 i.V.m. § 1 PolG ermessensfehlerhaft sein, wenn sich die Beklagte damit in Widerspruch zu ihrem früheren Verhalten setzen und schutzwürdiges Vertrauen des Klägers verletzen würde (vgl. OVG Rheinl.-Pfalz, Urteil vom 12.06.2012 -, a.a.O.). Diese Voraussetzungen liegen im vorliegenden Fall indessen nicht vor.
42 
Es ist bereits nicht feststellbar, dass sich die Beklagte in Widerspruch zu ihrem früheren Verhalten gesetzt hat. Der Kläger meint zwar, die Beklagte handele treuwidrig, weil die Umgestaltung des Grundstückszuschnitts im Zuge der Übertragung des Eigentums an dem Grundstück Flst.-Nr. ...45/1 von der ... GmbH auf ihn dem Zweck gedient hätte, ihn von den aus der Streupflichtsatzung folgenden Pflichten zu verschonen und die Beklagte an den Vertragsverhandlungen beteiligt gewesen sei. Den vorliegenden Akten ist ein solcher Zweck indessen nicht zu entnehmen. Weder die Beklagte, die in die Vertragsverhandlungen eingebunden war, noch der Kläger selbst haben seinerzeit diese Pflichten erwähnt. Weshalb der ungewöhnliche Grundstückszuschnitt gewählt wurde, lässt sich nicht mehr aufklären. Der damals an den Verhandlungen beteiligte Mitarbeiter der ... GmbH ist verstorben. Der vom Verwaltungsgericht als Zeuge vernommene Mitarbeiter der Beklagten hat bei seiner Aussage angegeben, den Grund für die Abtrennung des 1 m breiten Grundstücksstreifens nicht zu kennen. Den Schreiben des Klägers an die Beklagte und die ... GmbH im Zuge der Verhandlungen über den Grundstückstausch ist ebenso wenig zu entnehmen, dass die Grundstücksabtrennung im Zusammenhang stand mit den Pflichten aus der Streupflichtsatzung. Aus den Schreiben ergibt sich lediglich, dass der Kläger Wert darauf legte, von der Beklagten bestimmte Aussagen und Zusagen zur Bebaubarkeit des von ihm zu erwerbenden Grundstücks Flst.-Nr. ...45/1 zu erhalten. Darüber hinaus ist davon die Rede, die Beklagte habe ein Interesse an gewissen Flächenteilen, die für die Straßenführung/Infrastruktur von Bedeutung seien oder werden könnten (vgl. Schreiben des Klägers vom 24.06.2000 an die Stadtverwaltung) und davon, dass ein Streifen entlang der B... Straße bei der Stadt bleibe, „um deren zukünftige Interessen - in erster Linie wohl für verkehrstechnische Belange - zu wahren“ (vgl. Schreiben vom 25.05.2003 an die ... GmbH). Auch im Schreiben vom 10.03.2003 an die ... GmbH spricht der Kläger von der Beklagten als „zukünftiger Nachbar zwischen Gehweg/Straße und der neu zu bildenden Parzelle“. Die Aussagen in diesen Schreiben stehen der Behauptung des Klägers entgegen, das abgetrennte Grundstück mit der neuen Bezeichnung Flst.-Nr. ...45/101 habe dauerhaft im Eigentum der ... GmbH verbleiben sollen, um seine Räum- und Streupflicht auszuschließen. Überdies stehen sie seiner Behauptung entgegen, die Rückübertragung des Eigentums an dem abgetrennten Grundstücksstreifen (Flst.-Nr. ...45/101) auf die Beklagte habe nur dem Zweck gedient, ihn zum Reinigen, Räumen und Bestreuen des Gehwegs entlang der B... Straße heranziehen zu können. Wenn, wie der Kläger seinerzeit schrieb, das Eigentum an dem Grundstücksstreifen entlang der B... Straße bei der Beklagten bleiben sollte, hätte sich durch die Abtrennung dieses Streifens nichts daran geändert, dass er mit dem Erwerb des Grundstücks Flst.-Nr. ...45/1 Straßenanlieger im Sinne der Streupflichtsatzung der Beklagten wurde. Ohne die Abtrennung wäre er realer Straßenanlieger im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Streupflichtsatzung geworden, mit der Abtrennung fiktiver Straßenanlieger im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2 Streupflichtsatzung. Der Kläger mag insoweit einer Fehlvorstellung unterlegen sein. Dies ist für die Entscheidung des vorliegenden Falles jedoch nicht von Bedeutung.
43 
Selbst wenn ein positives Verhalten der Beklagten festzustellen wäre, auf das der Kläger ein Vertrauen hätte gründen können, von der Verpflichtung zur Gehwegreinigung verschont zu bleiben und darauf auch tatsächlich vertraut hätte, wäre der Erlass der angefochtenen Verfügung nicht aus Gründen des Vertrauensschutzes ermessensfehlerhaft. Denn es fehlte jedenfalls an Maßnahmen oder Vorkehrungen des Klägers, die er infolge seines Vertrauens getroffen hätte und die seiner Inanspruchnahme entgegenstünden, weil ihm dadurch ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde.
44 
c) Der Erlass der angefochtenen Verfügung war schließlich auch nicht deshalb ermessenfehlerhaft, weil der Kläger behauptet, es sei ihm nicht möglich, einen Dritten zu finden, der für ihn die Reinigungs-, Räum- und Streupflicht erledige. Wie oben ausgeführt, fehlt es an entsprechenden Belegen für diese nicht ohne weiteres nachvollziehbare Behauptung.
II.
45 
Die Androhung der Festsetzung eines Zwangsgeldes in Höhe von 300,-- EUR (§§ 20, 23 LVwVG) für den Fall, dass der Kläger seiner Reinigungs-, Räum- und Streupflicht nicht nachkommt, unter Nr. 4 des Bescheides der Beklagten ist allerdings rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Nach § 20 Abs. 1 LVwVG sind Zwangsmittel vor ihrer Anwendung schriftlich anzudrohen; darüber hinaus muss dem Pflichtigen eine angemessene Frist zur Erfüllung seiner Verpflichtung gesetzt werden. An letzterem fehlt es. Dies führt zur Rechtswidrigkeit der Zwangsgeldandrohung (vgl. zur vergleichbaren Vorschrift des § 13 VwVG: Sadler, VwVG, 9. Aufl. 2014, § 13 Rn. 13; Troidl, in: Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG, 10. Aufl. 2014, § 13 Rn. 3).
B.
46 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
47 
Beschluss vom 10. November 2015
48 
Der Streitwert für das Verfahren in beiden Rechtszügen wird - unter Änderung des Streitwertbeschlusses des Verwaltungsgerichts - gemäß § 52 Abs. 2, § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG auf jeweils 5.000,-- EUR festgesetzt. Der Senat folgt der Empfehlung in Nr. 43.5 des Streitwertkataloges 2013. Sie entspricht im Übrigen der bisherigen Praxis des Senats (vgl. Urteil vom 11.11.1993 - 5 S 2606/92 -, BWGZ 1994, 619 und Beschluss vom 23.06.2008 - 5 S 345/08 -). Die mit dem Grundverwaltungsakt verbundene Zwangsgeldandrohung bleibt nach Nr. 1.7.2 des Streitwertkatalogs für die Streitwertfestsetzung außer Betracht.

Gründe

 
A.
24 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige Berufung ist nur in geringem Umfang begründet.
25 
Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, soweit der Kläger sich gegen die ihm in dem angefochtenen Bescheid auferlegte Verpflichtung wendet, den entlang des Grundstücks Flst.-Nr. ...45 verlaufenden Gehweg von der Einmündung der S... Straße bis zum Beginn der Einmündung des auf Flst.-Nr. ...48/1 verlaufenden Weges zu reinigen, zu räumen und zu bestreuen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 06.12.2011 und der Widerspruch des Landratsamts Ravensburg vom 21.05.2012 sind insoweit rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO (I.). Die Zwangsgeldandrohung in Nr. 4 des Bescheides der Beklagten ist dagegen rechtswidrig und führt zu einer Rechtsverletzung des Klägers (II.).
I.
26 
Die Verpflichtung des Klägers zum Reinigen, Räumen und Bestreuen des beschriebenen Gehwegabschnitts gemäß den Vorgaben der Streupflichtsatzung der Beklagten ist rechtmäßig. Die Beklagte war zum Erlass des angefochtenen Verwaltungsakts befugt (1.). Die Streupflichtsatzung, die durch die Verfügung konkretisiert wird, ist wirksam (2.). Der Kläger ist nach den Vorschriften der Satzung verpflichtet, den Gehweg von der Einmündung der S... Straße bis zum Beginn der Einmündung des auf Flst.-Nr. ...48/1 verlaufenden Weges zu reinigen, zu räumen und zu bestreuen (3.). Diese Pflicht belastet ihn nicht in unzumutbarer Weise (4.). Ermessensfehler liegen nicht vor (5.).
27 
1. Die Beklagte durfte die sich unmittelbar aus ihrer Streupflichtsatzung vom 04.03.1996 ergebenden Pflichten gegenüber dem Kläger als Ortspolizeibehörde durch Verwaltungsakt konkretisieren, da der Kläger diese bestritten hat (Senatsurteil vom 20.11.2003 - 5 S 2311/02 - und vom 11.11.1993 - 5 S 2606 -, BWGZ 1994, 619). Rechtsgrundlage hierfür ist § 3 i.V.m. § 1 PolG. Nach diesen Vorschriften kann die Polizeibehörde diejenigen Maßnahmen treffen, die nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen im öffentlichen Interesse erforderlich sind, um von dem einzelnen und dem Gemeinwesen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht werden, oder um solche Gefahren zu beseitigen. Ein Tätigwerden zum Zwecke der Gefahrenabwehr setzt eine konkrete Gefahr voraus. Eine solche liegt vor, wenn bei bestimmten Verhaltensweisen oder Zuständen nach allgemeiner Lebenserfahrung oder fachlichen Erkenntnissen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden für die polizeilichen Schutzgüter im Einzelfall, d.h. eine konkrete Gefahrenlage, einzutreten pflegt. Dabei hängt der zu fordernde Wahrscheinlichkeitsgrad von der Bedeutung der gefährdeten Rechtsgüter sowie dem Ausmaß des möglichen Schadens ab. Geht es um den Schutz besonders hochwertiger Rechtsgüter, wie etwa Leben und Gesundheit von Menschen, so kann auch die entferntere Möglichkeit eines Schadenseintritts ausreichen (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.07.2002 - 6 CN 8.01 -, BVerwGE 116, 347; VGH Baden-Württ., Urteil vom 25.10.2012 - 1 S 1401/11 -, VBlBW 2013, 1778). Nach Maßgabe dieser Grundsätze bestand hier eine konkrete Gefahr, da der Kläger zu erkennen gegeben hatte, dass er den in der Streupflichtsatzung der Beklagten geregelten Pflichten nicht nachkommen will.
28 
2. Die Pflichten des Klägers ergeben sich aus der auf § 41 Abs. 2 StrG beruhenden Streupflichtsatzung der Beklagten. Diese Satzung ist rechtmäßig.
29 
Nach § 41 Abs. 2 StrG können die einer Gemeinde nach § 41 Abs. 1 StrG obliegenden Pflichten zum Reinigen, Räumen und Bestreuen von Straßen innerhalb der geschlossenen Ortslage für Gehwege durch Satzung den Straßenanliegern ganz oder teilweise auferlegt werden. Nach § 41 Abs. 6 Alt. 1 StrG gelten als Straßenanlieger auch die Eigentümer und Besitzer solcher Grundstücke, die von der Straße durch eine im Eigentum der Gemeinde oder des Trägers der Straßenbaulast stehende unbebaute Fläche getrennt sind, wenn der Abstand zwischen Grundstücksgrenze und Straße nicht mehr als 10 m beträgt. Von der Ermächtigung in § 41 Abs. 2 StrG hat die Beklagte fehlerfrei Gebrauch gemacht. Verfahrens- oder Formfehler hat der Kläger nicht geltend gemacht. Sie wären nach § 4 Abs. 4 GemO aber ohnehin grundsätzlich unbeachtlich. Die Streupflichtsatzung leidet auch an keinem materiellen Mangel, der zu ihrer Unwirksamkeit führt. Insbesondere ist es unschädlich, dass sie keine Ausnahmen von der Räum- und Streupflicht in besonders gelagerten Fällen vorsieht. Denn bei ihrer Auslegung und Anwendung ist ohnehin höherrangiges Recht zu berücksichtigen, d.h. es ist zu prüfen, ob die Räum- und Streupflicht im Einzelfall nach dem Maßstab des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG unzumutbar ist (vgl. Senatsurteil vom 14.11.2006 - 5 S 2619/05 -, VBlBW 2007, 424). Das folgt bereits aus § 41 Abs. 1 StrG, wonach den Gemeinden u.a. die Straßenreinigungspflicht „im Rahmen des Zumutbaren“ obliegt. An diese Regelung knüpft § 41 Abs. 2 StrG an, indem es der Gemeinde die Möglichkeit eröffnet, ihre Pflicht aus § 41 Abs. 1 StrG den Straßenliegern aufzuerlegen. Da die Pflicht der Gemeinde nur im Rahmen des Zumutbaren besteht, gilt dies in gleicher Weise für die Straßenanlieger, auf die die Gemeinde die Pflicht durch Satzung überträgt.
30 
3. Die Verpflichtung des Klägers zum Reinigen, Räumen und Bestreuen des Gehwegs entlang des Grundstücks Flst.-Nr. ...45 von der Einmündung S... ... Straße bis zum Beginn der Einmündung des Weges auf Flst.-Nr. ...48/1 folgt aus § 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 1 Satz 2 der Streupflichtsatzung. Nach § 1 Abs. 1 der Satzung obliegt es den Straßenanliegern, innerhalb der geschlossenen Ortslage einschließlich der Ortsdurchfahrten unter anderem die Gehwege zu reinigen, bei Schneeanhäufung zu räumen sowie bei Schnee- und Eisglätte zu bestreuen. Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 der Satzung gelten als Straßenanlieger auch die Eigentümer und Besitzer solcher Grundstücke, die von der Straße durch eine im Eigentum der Gemeinde oder des Trägers der Straßenbaulast stehende, unbebaute Fläche getrennt sind, wenn der Abstand zwischen Grundstücksgrenze und Straße nicht mehr als 10 m beträgt.
31 
Der Kläger ist (fiktiver) Straßenanlieger im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2 der Satzung. Sein Grundstück Flst.-Nr. ...45/1 ist durch eine Fläche von dem nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 b) StrG zur Straße gehörenden Gehweg getrennt, die im Eigentum der Beklagten steht; der Abstand zwischen der Grenze seines Grundstücks und der Straße beträgt weniger als 10 m. Das ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Die zwischen seinem Grundstück und dem Gehweg liegende Fläche ist darüber hinaus unbebaut im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2 der Satzung, der den Wortlaut des § 41 Abs. 6 StrG übernimmt. Der Begriff „unbebaute Fläche“ bezieht sich nur auf die Fläche zwischen dem privaten (Hinterlieger-)Grundstück und der Straße. Unerheblich ist, ob die Fläche zu einem Grundstück gehört, das an anderer Stelle bebaut ist.
32 
Die Vorschriften des § 2 Abs. 1 Satz 2 der Streupflichtsatzung der Beklagten und des § 41 Abs. 6 StrG sprechen einerseits von Grundstücken und andererseits von Fläche. Soweit es die Verpflichteten betrifft, werden die Eigentümer bestimmter „Grundstücke“ in Anspruch genommen. Soweit es den zwischen dem privaten Grundstück und der Straße liegenden Bereich betrifft, sprechen die Vorschriften von „Fläche“. Die Verwendung der beiden unterschiedlichen Begriffe ist vor dem Hintergrund des Ziels zu sehen, das mit der Übertragung der Gehwegreinigung auf die Straßenanlieger nach § 41 Abs. 2 StrG i.V.m. § 1 Abs. 1 Streupflichtsatzung verfolgt wird. Mit ihr soll sichergestellt werden, dass die Gehwege innerhalb der geschlossenen Ortslage bei Bedarf schnell in einen verkehrssicheren Zustand versetzt werden. Das gilt insbesondere für die Beseitigung von Laub und Schnee sowie das Bestreuen bei Eisbildung (vgl. Bauer, in: Kodal, Straßenrecht, 7. Aufl. 2010, S. 1585 Rn. 6). Da eine Gemeinde vielfach innerhalb der gebotenen kurzen Zeit nicht der eigentlich ihr obliegenden Pflicht nachkommen kann, ist es sachgerecht, diese Aufgabe den Straßenanliegern zu übertragen (so schon BVerwG, Urteil vom 05.08.1965 - I C 78.22 -, BVerwGE 22, 26). Die Reinigungspflicht des einzelnen Straßenanliegers erstreckt sich nicht auf das gesamte Grundstück, auf dem der Gehweg verläuft, sondern grundsätzlich lediglich auf den Abschnitt des Gehweggrundstücks, an den sein eigenes Grundstück grenzt (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.08.1965, a.a.O.). Das entspricht dem hergebrachten Grundsatz, dass „jeder vor seiner Tür kehrt“, und führt im Übrigen auch zu sachgerechten Ergebnissen, weil dadurch ohne großen Verwaltungsaufwand feststellbar ist, wer zur Reinigung welches Gehwegabschnitts verpflichtet ist. Die Vorschriften des § 41 Abs. 6 StrG und § 2 Abs. 1 Satz 2 Streupflichtsatzung erweitern den Kreis der Pflichtigen (so auch Senatsbeschluss vom 23.06.2008 - 5 S 345/08 -). Zur Reinigung des Gehwegs ist danach auch derjenige Grundstückseigentümer verpflichtet, dessen Grundstück nicht unmittelbar an die Straße grenzt, sondern von ihr durch eine nicht mehr als 10 m breite unbebaute Fläche getrennt ist, die im Eigentum der Gemeinde oder des Trägers der Straßenbaulast steht. Über das Motiv für diese Regelung in § 46 Abs. 6 StrG geben die Gesetzesmaterialien zwar keinen Aufschluss (vgl. LT Baden-Württ. 3. WP, Beilagenband VIII Beilage 3875). Sie dient jedoch erkennbar ebenfalls der schnellen und effektiven Herstellung verkehrssicherer Zustände auf dem Gehweg insbesondere bei Unwettern, Laub- und Schneefall sowie Eisglätte, weil der (fiktive) Straßenanlieger auch in dieser Situation in aller Regel „sachnäher“ ist als die Gemeinde oder der Träger der Straßenbaulast.
33 
Die Regelung in § 41 Abs. 6 StrG und § 2 Abs. 1 Satz 2 Streupflichtsatzung hat zur Folge, dass der „fiktive“ Straßenanlieger ebenfalls (nur) den Gehwegabschnitt reinigen muss, an den sein Grundstück angrenzen würde, falls zwischen seinem Grundstück und der Straße keine weitere Fläche läge. An diesem Umfang der Reinigungspflicht hat sich auch die Auslegung des Begriffs „unbebaute Fläche“ zu orientieren, d.h. es kommt darauf an, ob die zwischen dem privaten Hinterliegergrundstück und der Straße liegende Fläche unbebaut ist. Mit dieser Auslegung wird der bereits angesprochenen Verwendung der beiden Begriffe „Fläche“ und „Grundstück“ in § 41 Abs. 6 StrG und § 2 Abs. 1 Satz 2 Streupflichtsatzung Rechnung getragen. Daher ist nicht maßgebend, ob das gesamte Grundstück, dessen Teil die Fläche ist, keine Bebauung aufweist. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob das gesamte Grundstück nicht breiter als 10 m ist. Da die Fläche zwischen dem Gehweg entlang der B... Straße und dem Grundstück des Klägers nicht bebaut ist, zählt der Kläger zu den (fiktiven) Straßenanliegern im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2 Streupflichtsatzung.
34 
4. Die satzungsrechtliche Pflicht des Klägers zur Straßenreinigung belastet diesen nicht in unzumutbarer Weise.
35 
Die Verpflichtung des Klägers, den streitbefangenen Gehwegabschnitt zu reinigen, zu räumen und zu bestreuen, ist nicht deshalb unzumutbar, weil die Beklagte ohnehin verpflichtet ist, Gehwegflächen in der Nähe zu reinigen. Derzeit hat die Beklagte den nördlichen Gehweg entlang ihres Grundstücks Flurstück Nr. ...45 in der S... Straße bis zur Einmündung in die B... Straße sowie den Bereich der Einmündung des Weges auf dem Flurstück Nr. ...48/1 zu reinigen. Auf dem Weg zu dem letztgenannten Reinigungsbereich müsste ein Mitarbeiter der Beklagten am streitbefangenen Gehwegabschnitt vorbeifahren.
36 
Nach der Rechtsprechung des Senats, an der weiter festzuhalten ist, folgt daraus indessen nicht, dass die Verpflichtung zur Straßenreinigung unzumutbar ist. Ein solcher Fall liegt nur vor, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind: Zum einen muss die Gemeinde „sachnäher“ sein, d.h. sie muss ohnehin verpflichtet sein, Straßenflächen in der Nähe zu reinigen, zu räumen oder zu bestreuen. Zum anderen muss eine grundstücksbezogene Härte vorliegen (vgl. Senatsurteil vom 20.11.2003 - 5 S 2311/02 -). Eine solche Härte kann bestehen, wenn kein Zugang zur Straße besteht, ein unverhältnismäßig langer Weg zum Gehweg zurückzulegen ist und der Aufwand, einen direkten Zugang zur Straße zu schaffen, zu groß ist (Urteil vom 29.11.1984 - 5 S 814/84 -). Eine grundstücksbezogene Härte kann ferner anzunehmen sein, wenn ein Zugangshindernis zur Straße, etwa in Form einer Böschung, besteht (Urteil vom 28.05.1979 - I 391/79 -, juris). Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Urteil des Senats vom 14.11.2006 (- 5 S 2619/05 -, VBlBW 2007, 424). Der Senat hat darin in einem obiter dictum ausgeführt, eine Räum- und Streupflicht könnte unverhältnismäßig sein, wenn die Gemeinde ohnehin mit einem Räumfahrzeug an Ort und Stelle sei, um in der Nähe zu räumen, weil der Gedanke, der die Übertragung der Räum-und Streupflicht auf die Anlieger rechtfertige, nämlich dass diese die Gehwege im Gemeindegebiet regelmäßig schneller räumen und bestreuen könnten als die Gemeinde mit ihren dafür zur Verfügung stehenden begrenzten Kräften, nicht in sein Gegenteil verkehrt werden dürfe. Aus diesen nicht entscheidungstragenden Ausführungen folgt nicht, dass es auf das Vorliegen einer grundstücksbezogenen Härte nicht ankäme, denn zu dieser Frage verhält sich das Urteil nicht.
37 
Nach Maßgabe der genannten Voraussetzungen ist es dem Kläger zumutbar, die Reinigungs-, Räum- und Streupflicht auf dem streitbefangenen Gehwegabschnitt zu erfüllen. Es fehlt an einer grundstücksbezogenen Härte. Dass er 280 km entfernt wohnt, ist ein persönlicher Umstand, der außer Acht zu lassen ist (vgl. auch Urteil vom 04.11.1985 - 1 S 2439/84 -: Das hohe Alter des Pflichtigen ist nicht zu berücksichtigen). Es kommt auch nicht darauf an, ob die in der mündlichen Verhandlung erhobene Behauptung des Klägers zutrifft, es sei nicht möglich, ein Unternehmen zu finden, das mit der Übernahme der satzungsgemäßen Pflicht beauftragt werden kann. Abgesehen davon, dass es insoweit an einem Beleg fehlt und die Behauptung daher nicht ohne Weiteres nachvollziehbar ist, stellte dieser Umstand jedenfalls keine grundstücksbezogene Härte dar.
38 
5. Die Beklagte hat das ihr durch § 3 PolG eingeräumte Ermessen pflichtgemäß und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ausgeübt.
39 
a) Insbesondere hat die Beklagte - entgegen der Ansicht des Klägers - nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen. Der Kläger meint, ein solcher Verstoß liege hier deshalb vor, weil die Beklagte den streitbefangenen Gehwegabschnitt jahrelang geräumt habe, obwohl nicht sie, sondern die ... GmbH hierzu verpflichtet gewesen sei. Dieser Umstand trifft zwar zu, rechtfertigt aber nicht die Annahme einer gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßenden Ungleichbehandlung des Klägers. Die Beklagte hat im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorgetragen, dass sie Anfragen wegen Übernahme der Pflichten durch die Stadt grundsätzlich abschlägig beantworte. Der Kläger hat diese Angabe zwar in Zweifel gezogen, weil er meint, das Verhalten der Beklagten im Falle der Gehwegreinigungspflicht der ... GmbH belege das Gegenteil. Das trifft jedoch nicht zu. Zum einen ist den Akten nicht zu entnehmen, dass die ... GmbH einen solchen Antrag gestellt hat. Zum anderen bedeutet die Erfüllung der Pflichten der ... GmbH nicht, dass die Beklagte von ihrer Verwaltungspraxis abgerückt wäre. Ein von der Verwaltungspraxis abweichendes Verhalten in einem Einzelfall genügt dafür nicht. Auch der Kläger benennt keine weiteren Fälle oder Anhaltspunkte, die Gegenteiliges nahelegen. Kehrt die Beklagte nun für den fraglichen Gehwegabschnitt wieder zu ihrer Verwaltungspraxis zurück, handelt sie nicht willkürlich, sondern stellt die Einheitlichkeit und Gleichförmigkeit ihres Handelns wieder her.
40 
b) Die Beklagte war auch nicht aus Vertrauensschutzgesichtspunkten gehindert, von dem Kläger die Erfüllung der in der Streupflichtsatzung vorgesehenen Reinigungs-, Räum- und Streupflicht zu verlangen. Eine Verwirkung dieser Befugnis im Sinne einer Handlungsschranke ist von vornherein nicht möglich, denn bei der Verpflichtung des Klägers zur Gehwegreinigung handelt es sich um eine hoheitliche Maßnahme zur Gefahrenabwehr. Solche Befugnisse können nicht verwirkt werden (vgl. VGH Baden-Württ., Urteil vom 18.12.2012 - 10 S 744/12 -, VBlBW 2013, 189 zum Bodenschutzrecht; OVG Rheinl.-Pfalz, Urteil vom 12.06.2012 - 8 A 10291/12 -, BauR 2012, 1634; BayVGH, Beschluss vom 18.07.2008 - 9 ZB 05.365 -, juris; OVG Berlin-Brandenb., Beschluss vom 25.06.2007 - OVG 10 S 9.07 -, juris).
41 
Unter den für eine Verwirkung geltenden Voraussetzungen (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 20.03.2014 - 4 C 11.13 -, BVerwGE 149, 211, Rn. 30) könnte allenfalls das Gebrauchmachen von der Eingriffsermächtigung des § 3 i.V.m. § 1 PolG ermessensfehlerhaft sein, wenn sich die Beklagte damit in Widerspruch zu ihrem früheren Verhalten setzen und schutzwürdiges Vertrauen des Klägers verletzen würde (vgl. OVG Rheinl.-Pfalz, Urteil vom 12.06.2012 -, a.a.O.). Diese Voraussetzungen liegen im vorliegenden Fall indessen nicht vor.
42 
Es ist bereits nicht feststellbar, dass sich die Beklagte in Widerspruch zu ihrem früheren Verhalten gesetzt hat. Der Kläger meint zwar, die Beklagte handele treuwidrig, weil die Umgestaltung des Grundstückszuschnitts im Zuge der Übertragung des Eigentums an dem Grundstück Flst.-Nr. ...45/1 von der ... GmbH auf ihn dem Zweck gedient hätte, ihn von den aus der Streupflichtsatzung folgenden Pflichten zu verschonen und die Beklagte an den Vertragsverhandlungen beteiligt gewesen sei. Den vorliegenden Akten ist ein solcher Zweck indessen nicht zu entnehmen. Weder die Beklagte, die in die Vertragsverhandlungen eingebunden war, noch der Kläger selbst haben seinerzeit diese Pflichten erwähnt. Weshalb der ungewöhnliche Grundstückszuschnitt gewählt wurde, lässt sich nicht mehr aufklären. Der damals an den Verhandlungen beteiligte Mitarbeiter der ... GmbH ist verstorben. Der vom Verwaltungsgericht als Zeuge vernommene Mitarbeiter der Beklagten hat bei seiner Aussage angegeben, den Grund für die Abtrennung des 1 m breiten Grundstücksstreifens nicht zu kennen. Den Schreiben des Klägers an die Beklagte und die ... GmbH im Zuge der Verhandlungen über den Grundstückstausch ist ebenso wenig zu entnehmen, dass die Grundstücksabtrennung im Zusammenhang stand mit den Pflichten aus der Streupflichtsatzung. Aus den Schreiben ergibt sich lediglich, dass der Kläger Wert darauf legte, von der Beklagten bestimmte Aussagen und Zusagen zur Bebaubarkeit des von ihm zu erwerbenden Grundstücks Flst.-Nr. ...45/1 zu erhalten. Darüber hinaus ist davon die Rede, die Beklagte habe ein Interesse an gewissen Flächenteilen, die für die Straßenführung/Infrastruktur von Bedeutung seien oder werden könnten (vgl. Schreiben des Klägers vom 24.06.2000 an die Stadtverwaltung) und davon, dass ein Streifen entlang der B... Straße bei der Stadt bleibe, „um deren zukünftige Interessen - in erster Linie wohl für verkehrstechnische Belange - zu wahren“ (vgl. Schreiben vom 25.05.2003 an die ... GmbH). Auch im Schreiben vom 10.03.2003 an die ... GmbH spricht der Kläger von der Beklagten als „zukünftiger Nachbar zwischen Gehweg/Straße und der neu zu bildenden Parzelle“. Die Aussagen in diesen Schreiben stehen der Behauptung des Klägers entgegen, das abgetrennte Grundstück mit der neuen Bezeichnung Flst.-Nr. ...45/101 habe dauerhaft im Eigentum der ... GmbH verbleiben sollen, um seine Räum- und Streupflicht auszuschließen. Überdies stehen sie seiner Behauptung entgegen, die Rückübertragung des Eigentums an dem abgetrennten Grundstücksstreifen (Flst.-Nr. ...45/101) auf die Beklagte habe nur dem Zweck gedient, ihn zum Reinigen, Räumen und Bestreuen des Gehwegs entlang der B... Straße heranziehen zu können. Wenn, wie der Kläger seinerzeit schrieb, das Eigentum an dem Grundstücksstreifen entlang der B... Straße bei der Beklagten bleiben sollte, hätte sich durch die Abtrennung dieses Streifens nichts daran geändert, dass er mit dem Erwerb des Grundstücks Flst.-Nr. ...45/1 Straßenanlieger im Sinne der Streupflichtsatzung der Beklagten wurde. Ohne die Abtrennung wäre er realer Straßenanlieger im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Streupflichtsatzung geworden, mit der Abtrennung fiktiver Straßenanlieger im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2 Streupflichtsatzung. Der Kläger mag insoweit einer Fehlvorstellung unterlegen sein. Dies ist für die Entscheidung des vorliegenden Falles jedoch nicht von Bedeutung.
43 
Selbst wenn ein positives Verhalten der Beklagten festzustellen wäre, auf das der Kläger ein Vertrauen hätte gründen können, von der Verpflichtung zur Gehwegreinigung verschont zu bleiben und darauf auch tatsächlich vertraut hätte, wäre der Erlass der angefochtenen Verfügung nicht aus Gründen des Vertrauensschutzes ermessensfehlerhaft. Denn es fehlte jedenfalls an Maßnahmen oder Vorkehrungen des Klägers, die er infolge seines Vertrauens getroffen hätte und die seiner Inanspruchnahme entgegenstünden, weil ihm dadurch ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde.
44 
c) Der Erlass der angefochtenen Verfügung war schließlich auch nicht deshalb ermessenfehlerhaft, weil der Kläger behauptet, es sei ihm nicht möglich, einen Dritten zu finden, der für ihn die Reinigungs-, Räum- und Streupflicht erledige. Wie oben ausgeführt, fehlt es an entsprechenden Belegen für diese nicht ohne weiteres nachvollziehbare Behauptung.
II.
45 
Die Androhung der Festsetzung eines Zwangsgeldes in Höhe von 300,-- EUR (§§ 20, 23 LVwVG) für den Fall, dass der Kläger seiner Reinigungs-, Räum- und Streupflicht nicht nachkommt, unter Nr. 4 des Bescheides der Beklagten ist allerdings rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Nach § 20 Abs. 1 LVwVG sind Zwangsmittel vor ihrer Anwendung schriftlich anzudrohen; darüber hinaus muss dem Pflichtigen eine angemessene Frist zur Erfüllung seiner Verpflichtung gesetzt werden. An letzterem fehlt es. Dies führt zur Rechtswidrigkeit der Zwangsgeldandrohung (vgl. zur vergleichbaren Vorschrift des § 13 VwVG: Sadler, VwVG, 9. Aufl. 2014, § 13 Rn. 13; Troidl, in: Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG, 10. Aufl. 2014, § 13 Rn. 3).
B.
46 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
47 
Beschluss vom 10. November 2015
48 
Der Streitwert für das Verfahren in beiden Rechtszügen wird - unter Änderung des Streitwertbeschlusses des Verwaltungsgerichts - gemäß § 52 Abs. 2, § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG auf jeweils 5.000,-- EUR festgesetzt. Der Senat folgt der Empfehlung in Nr. 43.5 des Streitwertkataloges 2013. Sie entspricht im Übrigen der bisherigen Praxis des Senats (vgl. Urteil vom 11.11.1993 - 5 S 2606/92 -, BWGZ 1994, 619 und Beschluss vom 23.06.2008 - 5 S 345/08 -). Die mit dem Grundverwaltungsakt verbundene Zwangsgeldandrohung bleibt nach Nr. 1.7.2 des Streitwertkatalogs für die Streitwertfestsetzung außer Betracht.

Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 12. Nov. 2015 - 5 S 2108/14

Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 12. Nov. 2015 - 5 S 2108/14

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 3


(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (3) Ni
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 12. Nov. 2015 - 5 S 2108/14 zitiert 11 §§.

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(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulas

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 63 Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren


(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anh

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 20


(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 155


(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteili

Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz - VwVG | § 13 Androhung der Zwangsmittel


(1) Die Zwangsmittel müssen, wenn sie nicht sofort angewendet werden können (§ 6 Abs. 2), schriftlich angedroht werden. Hierbei ist für die Erfüllung der Verpflichtung eine Frist zu bestimmen, innerhalb der der Vollzug dem Pflichtigen billigerweise z

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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 30.11.2010 - 3 K 1259/08 - geändert. Ziffer 1 der Verfügung des Regierungspräsidiums Freiburg vom 23.06.2008 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Aufhebung eines Betretungsverbots für sein über dem Stollen IV des Altbergwerks Kahlenberg gelegenes Grundstück FlSt.-Nr. 8887 auf der Gemarkung Herbolzheim.
Am Kahlenberg in der Gemeinde Herbolzheim wurde in der Vorbergzone an der Ostflanke des Rheintalgrabens am Übergang zum Schwarzwald von 1937 bis 1969 Eisenerz abgebaut, teils im Tagebau, teils im Untertagebau.
Das Bergwerk Kahlenberg war ursprünglich auf Grund eines Konzessionsvertrags mit dem Land Baden vom 26.10.1937 durch die „Rohstoffbetriebe der Vereinigten Stahlwerke GmbH“ betrieben worden. Zuletzt standen die Bergrechte der ...... GmbH zu, die das Bergwerk nach Einstellung des Bergbaubetriebs 1970 an den Landkreis Lahr verkaufte. Am 20.04.1971 wurde der vom 16.06.1970 datierende Abschlussbetriebsplan zugelassen, der hinsichtlich der Hohlräume im Baufeld Stollen IV keine Sicherungsmaßnahmen vorsah, lediglich offene Stollenmundlöcher (Zugänge) sollten geschlossen werden. 1972 wurde das Bergwerk an den beigeladenen Zweckverband Abfallbeseitigung Kahlenberg - ZAK - (im Folgenden: Beigeladener) zum Betrieb einer Deponie weiterveräußert. § 7 des notariellen Kaufvertrags vom 04.09.1972 lautet wie folgt:
„Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass mit dem 1. März 1972 alle Rechte und Pflichten aus dem Konzessionsvertrag zwischen der ...... GmbH und dem Land Baden-Württemberg für die Gewinnung von Eisenerz in der Konzession Kahlenberg auf den Käufer übergehen sollen.
Dem Käufer ist bekannt, dass hierfür die Zustimmung des Landes Baden-Württemberg notwendig ist.
Da der Käufer den Bergbaubetrieb mit übernimmt, übernimmt er auch alle auf den verkauften Grundstücken zu Gunsten des Landkreises eingetragenen beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten mit.“
Aufgrund eines Planfeststellungsbeschlusses aus dem Jahr 1973 wurde in den Tagebaubereichen des Bergwerks eine Mülldeponie errichtet.
Der Stollen IV wurde nach Beendigung der Förderung dort in den 1950er Jahren zum Teil zu Bruch geschossen, d.h. durch Sprengung gezielt zum Einsturz gebracht, zum größten Teil jedoch lediglich durch inzwischen verrottete Holzbalken gesichert. Der im Bereich dieses Stollens betriebene Bergbau führte zu mehreren sog. Tagesöffnungen. Mehrere 100 m nordöstlich des klägerischen Grundstücks haben sich in den 1990er Jahren einige sog. Spüllöcher (kreisrunde Absackungen mit einer Tiefe und einem Durchmesser von jeweils etwa 1 m sowie 60 cm breite und mehrere Meter lange Spalten) gebildet, die allerdings auch Folge einer Verkarstung sein können. Südlich des klägerischen Grundstücks befindet sich ein kleiner Tagesbruch mit unbekannter Entstehungsgeschichte.
Am 13.02.2008 wurde auf den Grundstücken FlSt.-Nrn. 8875, 8876 und 8877 im Gewann Wingarten ca. 45 m von der nordwestlichen Grenze des klägerischen Grundstücks entfernt ein Tagesbruch entdeckt. Der Einbruchtrichter hatte anfänglich einen Durchmesser von etwa 6 m, die Wände verliefen fast senkrecht, in 6,75 m Tiefe verjüngte sich das Loch und setzte sich weitere 25 m bis zu dem Stollen IV des Bergwerks fort. Der Durchmesser des Trichters vergrößerte sich in der Folgezeit durch Nachrutschen auf über 20 m.
10 
Bereits kurz nach Entdeckung dieses Tagesbruchs sperrte die Gemeinde Herbolzheim als Ortspolizeibehörde durch Allgemeinverfügung vom 25.02.2008 die nähere Umgebung durch Trassierband und Zäune ab, um einen Unfall am Tagesbruch selbst oder durch einen neuen Tagesbruch zu verhindern. Der räumliche Geltungsbereich der Allgemeinverfügung erstreckte sich auf das Gebiet über dem südlichen Teil des Stollens IV und umfasste auch das ca. 60 m lange und 40 m breite, rautenförmige Weinberggrundstück des Klägers.
11 
Am 23.04.2008 führten Mitarbeiter des Regierungspräsidiums Freiburg - Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau (LGRB) - eine Grubenbefahrung zum Zweck der Gefahrerforschung durch. Das Regierungspräsidium Freiburg legte aufgrund der Erkenntnisse aus der Befahrung ein übertägiges Sicherungsgebiet von ca. vier ha Größe fest, in welchem auf Dauer ein generelles Betretungsverbot gelten müsse. Der Beigeladene bot in der Folge den Eigentümern der innerhalb des Sicherungsgebiets gelegenen Grundstücke an, diese zu einem von einem Schätzer ermittelten Preis zu erwerben. Anders als die übrigen Grundeigentümer veräußerte der Kläger sein Grundstück nicht, weil er den angebotenen Preis für deutlich zu niedrig hielt.
12 
Mit Verfügung vom 23.06.2008 ordnete das Regierungspräsidium Freiburg dem Kläger gegenüber an, dass das Grundstück FlSt.-Nr. 8887 nicht mehr betreten werden dürfe. Ausnahmen seien nur mit vorheriger Zustimmung des Regierungspräsidiums möglich (Nr. 1). Weiter seien Maßnahmen zur Gefahrerkundung und -beseitigung zu dulden, insbesondere Begehungen, Beschilderungen und das Errichten von Zäunen (Nr. 2). Unter Nr. 3 hieß es, der Kläger werde für die mit den Anordnungen verbundenen Nachteile eine angemessene Entschädigung erhalten, deren Höhe noch festzusetzen sei. Unter Nr. 4 wurde der Sofortvollzug der Nummern 1 und 2 angeordnet. Die Verfügung wurde damit begründet, dass das klägerische Grundstück einsturzgefährdet sei und damit Leib und Leben von Menschen bedroht seien. Es könne jederzeit zu einem Tagesbruch wie am 13.02.2008 kommen. Daher müsse ein Betretungsverbot erlassen und der gesamte Bereich eingezäunt werden. Mildere Maßnahmen seien nicht ersichtlich. Eine unterirdische Sicherung sei technisch nicht zuverlässig umsetzbar und unverhältnismäßig aufwändig. Die Maßnahme sei auf §§ 1, 3 und 9 PolG gestützt, weshalb dem Kläger eine angemessene Entschädigung in Geld zustehe.
13 
Am 09.07.2008 hat der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Freiburg erhoben mit dem Antrag, Ziffer 1 der Verfügung des Regierungspräsidiums Freiburg vom 23.06.2008 aufzuheben, hilfsweise den Beklagten zu verpflichten, eine eingeschränkte Nutzung des Grundstücks unter Aufrechterhaltung der Sperrung gegenüber Dritten zuzulassen. Zur Begründung führte er aus, dass gerade auf seinem Grundstück die Gefahr eines Tagesbruchs allenfalls gering sei. Obwohl der Abbau im Stollen IV unter Kriegsbedingungen und damit nicht so sorgfältig wie im Fall einer zivilen Bergmannsarbeit durchgeführt worden sei, seien nicht alle unterirdischen Strukturen akut versturzgefährdet. Zwar seien unter den Bedingungen der kriegsmäßigen Erschließung die vorhandenen Abbaukammern wiederholt zur Seite erweitert worden, was die Firststabilität negativ beeinflusst habe. Unter dem Grundstück des Klägers seien solche nachträglichen Erweiterungen auf den Grubenplänen jedoch nicht zu erkennen, weshalb die Abbaukammern ihre ursprüngliche Stabilität behalten hätten. Mit Ausnahme eines kleinen Stücks im äußersten Südwesten des Grundstücks seien deshalb - anders als im Bereich des Tagesbruchs - keine Versturzstrecken erkennbar. Ohnehin bedeute ein Versturz nicht, dass der Stollen auf ganzer Länge unpassierbar sei. Ein Versturz liege bereits dann vor, wenn geringe Mengen des Hangenden niedergebrochen seien. Nach dem Versturz könne das Abbaufeld dann wieder über eine lange Strecke hinweg absolut stabil sein. Besonders versturzgefährdet seien Teile des Abbaufeldes, wo Wasser zutrete, sei es Oberflächenwasser oder Grundwasser. So habe der durch die mangelhafte Wartung des Abflusses einer Quelle verursachte Wasserzutritt zu dem Tagesbruch vom 13.02.2008 geführt. Auf dem klägerischen Grundstück gebe es dagegen weder feuchte Stellen noch gar stehendes Wasser. Eine eventuell gleichwohl bestehende Restgefahr könne durch bescheidene Maßnahmen unterhalb des klägerischen Grundstücks wie den Einzug einer Stützung beseitigt werden. Keineswegs sei es erforderlich, das gesamte Abbaufeld des Stollens IV unterirdisch zu sichern. In Relation zum Wert des Grundstücks, der sich auf 62.000,-- EUR belaufe, seien solche Maßnahmen keinesfalls unverhältnismäßig. Auch oberirdische Sicherungsmaßnahmen seien als mildere Maßnahme möglich. Das Grundstück solle nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, sondern weiter zum Weinbau genutzt werden. Die mit dem Betreten des Grundstücks durch den Kläger einhergehende Selbstgefährdung rechtfertige kein polizeiliches Einschreiten. Da sich ein Tagesbruch durch Erdbewegungen und Geräusche ankündige, könnten sich auch die im Weinberg Beschäftigten rechtzeitig in Sicherheit bringen. Sie könnten zudem zu einer Seilsicherung verpflichtet werden. Außerdem könne das Befahren auf Fahrzeuge und Maschinen mit einem bestimmten Gesamtgewicht beschränkt werden. Für die Pflege der Rebstöcke sei nur eine geringe tägliche Aufenthaltsdauer erforderlich. Der durch das Betretungsverbot eintretende Schaden sei für den Kläger deutlich höher als für die Eigentümer der Nachbargrundstücke, da er das Grundstück erwerbslandwirtschaftlich genutzt habe. Zwischenzeitlich sei die Rebanlage so sehr beschädigt, dass es nicht mehr möglich sei, die Bewirtschaftung wieder aufzunehmen. Die alten Rebstöcke müssten entfernt und durch Neuanpflanzungen ersetzt werden.
14 
Allgemein müsse berücksichtigt werden, dass in fast allen Bergbaugebieten ein Tagesbruch nahezu flächendeckend nicht ausgeschlossen werden könne. Auch im Bereich des Kahlenbergs werde sich irgendwann und irgendwo wieder ein Tagesbruch ereignen, allerdings vielleicht erst in 100 Jahren oder noch später. Die Tatsache, dass sich seit 2008 kein weiterer Tagesbruch ereignet habe, zeige jedenfalls, dass sich die Lage stabilisiert habe.
15 
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Er hat geltend gemacht, die Gefahr eines Tagesbruchs sei auch auf dem Grundstück des Klägers groß. Ausweislich des Grubenbildes befänden sich unter dem Grundstück flächendeckend ca. 5 - 6 m breite und 3 m hohe Erschließungsstrecken sowie ca. 4 - 5 m breite und 6 - 8 m hohe Abbauhohlräume. Die Abbaukammern seien - abgesehen von zwei kurzen Teilstücken unter dem südlichen Grundstücksbereich - nach der Betriebseinstellung nicht zu Bruch geschossen worden. Die für die Gefahr eines Tagesbruchs besonders bedeutsame Mächtigkeit des Deckgebirges belaufe sich im Bereich des klägerischen Grundstücks lediglich auf 34 - 41 m. Da auch unter dem klägerischen Grundstück Verbrüche der Firste festzustellen seien, bestehe Tagesbruchgefahr. Denn diese Verbrucherscheinungen deuteten auf eine langsame, aber unaufhaltsame Entfestigung des Gebirgsverbandes hin, die wegen der geringen Überdeckung über kurz oder lang zu einem Tagesbruch führen müsse. Nur wenn die Überdeckung des Hohlraums durch die darüber liegenden Gebirgsschichten das Siebenfache seiner Höhe erreiche (hier 56 m), sei das Risiko eines Tagesbruchs allenfalls noch gering. Daher sei der Sicherungsbereich danach bestimmt worden, ob die Überdeckung oberhalb dieses Grenzwerts liege. Die Behauptung des Klägers, unter seinem Grundstück gebe es weder Verbrüche noch Zutritte von Wasser, könne mangels Vor-Ort-Befund nicht bestätigt werden. Es stehe jedoch fest, dass es in den Gebirgsschichten unter dem Grundstück des Klägers Wasser gebe. Ein Wassereinbruch mit einer Beschleunigung des Verbruchs des Bergwerks sei daher nur eine Frage der Zeit. Ein Tagesbruch könne nach Jahren trügerischer Ruhe ohne Vorankündigung jederzeit auftreten, ohne dass Personen auf dem klägerischen Grundstück noch Zeit und Gelegenheit hätten, sich rechtzeitig zu entfernen. Sicherungsmaßnahmen unter Tage seien nicht nur technisch schwierig und gefährlich, die Kosten dafür stünden auch in keiner Relation zum Wert des Grundstücks. Von oben könnten keine Stabilisate in die Grubenbaue eingebracht werden, weil die Tragfähigkeit des Bodens für die dafür erforderlichen schweren Maschinen nicht ausreichend sei. Auch eine regelmäßige Überwachung der Stollen unter dem Grundstück sei zu gefährlich und daher nicht möglich.
16 
Das Verwaltungsgericht hat zur Gefahr eines Tagesbruchs auf dem Grundstück des Klägers und zu den Möglichkeiten, eine solche Gefahr abzuwenden, Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Der Sachverständige Dipl.-Geol. ... von der Ingenieurgesellschaft ...... ist in seinem Gutachten vom 30.06.2010, welches er in den mündlichen Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht und dem Senat näher erläutert hat, zu dem Ergebnis gekommen, dass auf dem Grundstück des Klägers insbesondere in dem Bereich über dem 1. liegenden Aufhauen sowie über den Abbaukammern E, G und H die Gefahr eines Tagesbruchs bestehe. Die Wahrscheinlichkeit eines Tagesbruchs bewege sich im Vergleich zu dem 2008 gefallenen Tagesbruch in ähnlicher Größe, teilweise liege sie sogar höher. Die fehlenden Grundwasserzutritte zu den Grubenbauen unter dem Grundstück führten nicht zu einer Verringerung der Eintrittswahrscheinlichkeit von Tagesbrüchen unter dem Grundstück. Im Vergleich zu den umliegenden Grundstücken sei die Tagesbruchgefahr nicht signifikant geringer. Ein Befahren mit landwirtschaftlichen Maschinen könne aufgrund der höheren Flächenbelastung bei ansonsten gleichen Verhältnissen eher zu einem Tagesbruch führen. Eine deutlich wahrnehmbare Vorankündigung eines Tagesbruchs sei nicht gewährleistet. Eine übertägige Überwachung der alten Grubenbaue zur rechtzeitigen Erkennung von Tagesbrüchen sei zwar grundsätzlich technisch möglich, aufgrund der Nutzung des Geländes als Weinberg jedoch nicht realisierbar. Eine untertägige Überwachung sei technisch sehr aufwändig, nicht gefahrlos installierbar und extrem störanfällig. Die sicherste Lösung zur Abwendung der Tagesbruchgefahr sei eine Vollsicherung der Hohlräume durch Verfüllung mit einem hydraulisch abbindenden Material. Bei einem zu verfüllenden Hohlraumvolumen unter dem klägerischen Grundstück von ca. 7.400 m³ sei von Kosten von mehr als 1.000.000 EUR netto auszugehen. Bei einem Zu-Bruch-Schießen wäre nicht gewährleistet, dass das zu Bruch geschossene Gebirge tagesbruchfrei wäre. Bei Einbau einer Sicherung mittels Geotextilien könne durch die lastverteilende Wirkung des Geogitters bei Eintritt eines Tagesbruchs ein vollständiges Versagen der Erdoberfläche verhindert werden. Im Schadensfall sei jedoch eine anschließende Vollsicherung des Tagesbruchs erforderlich, um das Gelände weiter nutzen zu können. Zu allen untersuchten Sicherungs- und Überwachungsvarianten sei anzumerken, dass hierdurch lediglich das klägerische Grundstück gesichert bzw. überwacht werden könne. Die Zuwegungen zum Grundstück seien jedoch ebenfalls tagesbruchgefährdet und müssten in ein etwaiges Maßnahmenkonzept einbezogen werden.
17 
Der Beklagte hat in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht zwei vom Beigeladenen beim Ingenieurbüro ... - ... - in Auftrag gegebene Gutachten, nämlich den Zwischenbericht vom 20.10.2009 und den „Abschlussbericht zu den Ergebnissen der Vor-Ort-Untersuchungen im Abbaufeld Stollen IV der ehemaligen Eisenerzgrube Kahlenberg unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse im Bereich der Steigstraße“ vom 30.09.2010 vorgelegt. Eine revidierte Fassung des Abschlussberichts vom 11.03.2011 wurde im Berufungsverfahren vorgelegt. Nach diesem Gutachten besteht auf dem klägerischen Grundstück die Gefahr eines großen Tagesbruchs (> 2 m). Für Teilbereiche des Grundstücks kommt das Gutachten zu dem Ergebnis, dass eine Tagesbruch-, Senkungs-/Setzungsgefährdung mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhanden und keine Nutzung möglich ist. Für die übrigen Teilbereiche des Grundstücks geht das Gutachten davon aus, dass eine solche Gefährdung wahrscheinlich vorhanden ist und hält eine eingeschränkte landwirtschaftliche Nutzung (Beweidung oder extensiver Anbau ohne Maschineneinsatz) für vertretbar.
18 
Mit Urteil vom 30.11.2010 - 3 K 1259/08 - hat das Verwaltungsgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Eine Tagesbruchgefahr liege für das gesamte klägerische Grundstück vor, wie sich aus dem Gutachten des Sachverständigen ... nachvollziehbar ergebe. Das Betretungsverbot diene, auch soweit es sich an den Kläger richte, nicht nur dessen Schutz, sondern auch dem möglicher Retter. Ein Fall der ausschließlichen Selbstgefährdung liege daher nicht vor. Der Kläger sei als Eigentümer des tagesbruchgefährdeten Grundstücks Zustandsstörer. Das ihm auferlegte Betretungsverbot sei für ihn auch nicht wirtschaftlich unzumutbar. Eine grundlegende Beseitigung der von den Hohlräumen unter seinem Grundstück ausgehenden Gefahr werde von ihm nicht gefordert. Vielmehr werde ihm (nur) die Möglichkeit der Nutzung des Grundstücks entzogen. In diesem Zusammenhang sei zu beachten, dass ein vernünftiger Eigentümer das Grundstück ohnehin nicht mehr betreten würde. Die Frage, ob der Beigeladene ebenfalls polizeirechtlich verantwortlich sei, könne offen bleiben, da dieser nur zu Sicherungs- oder Überwachungsmaßnahmen verpflichtet werden könnte, die jedoch entweder nicht zuverlässig oder unverhältnismäßig teuer seien. Der auf teilweise Aufhebung des Betretungsverbots zielende Hilfsantrag sei gleichfalls unbegründet, da das Grundstück insgesamt tagesbruchgefährdet sei.
19 
Entsprechend den Empfehlungen des ...Gutachtens ließ der Beigeladene die Steigstraße, einen asphaltierten Wirtschaftsweg, der das abgesperrte Gebiet etwa 50 m südlich des klägerischen Grundstücks auf einer Länge von 180 m in Ost-West-Richtung quert, mit einem Geotextil sichern. Die Steigstraße wurde Anfang Mai 2011 wieder für Fußgänger und landwirtschaftliche Fahrzeuge bis 3,5 t bei einer Höchstgeschwindigkeit von 10 km/h freigegeben. Die Maßnahme kostete laut Presseberichten 70.000 EUR, nach der Schätzung des Beklagten 100.000 EUR.
20 
Zur Begründung seiner vom Senat mit Beschluss vom 11.05.2011 - 1 S 172/11 - zugelassenen Berufung wiederholt und vertieft der Kläger sein bisheriges Vorbringen. Ergänzend trägt er vor, die Freigabe der Steigstraße zeige, dass der Beklagte selbst die Gefahrensituation inzwischen deutlich entspannter sehe. Die Absicherung der Steigstraße mit Geotextilien belege deren grundsätzliche Geeignetheit. Zu Unrecht sei das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger Zustandsstörer sei. Störer sei vielmehr allein der Beigeladene, da er als Bergwerksbetreiber seiner Sicherungspflicht nicht ausreichend nachgekommen sei und die dafür gebildeten Rückstellungen, die sich zum 31.12.1994 auf über 21 Mio. DM belaufen hätten, anderweitig verwendet habe.
21 
Der Kläger beantragt,
22 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 30.11.2010 - 3 K 1259/08 - zu ändern und Ziffer 1 der Verfügung des Regierungspräsidiums Freiburg vom 23.06.2008 aufzuheben,
hilfsweise den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger und seinen Hilfspersonen auf dessen Antrag unbeschränkt Zugang zu seinem Grundstück zu gewähren und dessen weinbauliche Nutzung und Bewirtschaftung zu ermöglichen.
23 
Der Beklagte beantragt,
24 
die Berufung zurückzuweisen.
25 
Er trägt vor, dass in der revidierten Fassung vom 11.03.2011 auch das ...-Gutachten von einer Gefahr auf dem gesamten klägerischen Grundstück ausgehe, so dass es nun für 2/3 des Grundstücks keine Nutzung und für 1/3 eine nur eingeschränkte Nutzung empfehle. Die theoretisch denkbaren Sicherungsmaßnahmen stünden in keinem Verhältnis zum Wert des Grundstücks und Überwachungsmaßnahmen seien zu gefährlich und ebenfalls zu teuer. Der Beklagte gehe nach wie vor davon aus, dass der Kläger Nichtstörer sei; die Voraussetzungen des § 9 PolG lägen jedoch vor. Ein Tagesbruch könne sich jederzeit ohne Vorwarnung ereignen, so dass diese Gefahr unmittelbar drohe. Bei der Abwägung, die zu dem Ergebnis geführt habe, dass die Anordnung von Maßnahmen gegenüber dem Beigeladenen unverhältnismäßig wäre, sei von einer unbegrenzten Leistungsfähigkeit des Beigeladenen ausgegangen worden, so dass es auf mögliche Rücklagen nicht ankomme. Abgestellt worden sei auf das Verhältnis zwischen dem Wert des Grundstücks und dem Sicherungsaufwand.
26 
Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Er verteidigt das angefochtene Urteil und trägt ergänzend vor: Selbst wenn auch er polizeilich verantwortlich sei, so habe der Grundsatz der Effektivität der Gefahrenabwehr die Inanspruchnahme des Klägers erfordert, den das Verwaltungsgericht zu Recht als Zustandsstörer angesehen habe. Denn in der Zeit bis zum Abschluss etwaiger Sicherungsmaßnahmen bestehe die Gefahr fort. Außerdem sei die Sicherung für die eingesetzten Arbeiter ebenfalls gefährlich. Es könnten auch nicht alle Hohlräume zuverlässig erfasst werden. Die Sicherung sei zudem unverhältnismäßig teuer. Da der gesamte Stollen gesichert werden müsste, würde dies etwa 20 Mio. EUR kosten. Selbst wenn man optimistisch mit nur 7 Mio. EUR kalkulieren würde, sei dies immer noch unverhältnismäßig. Die Rückstellungen für Berg- und Folgeschäden in allen Grubenbereichen des Altbergwerks beliefen sich auf ca. 3 Mio. EUR.
27 
Der Senat hat Beweis erhoben durch Anhörung des Sachverständigen ... und des sachverständigen Zeugen ... sowie durch Vernehmung des Zeugen ..., der bis zu seiner Pensionierung 1995 technischer Betriebsleiter der vom Beigeladenen betriebenen Deponie war. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
28 
Dem Senat liegen die einschlägigen Akten des Regierungspräsidiums Freiburg und des Verwaltungsgerichts vor. Hierauf sowie auf die angefallenen Gerichtsakten wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
29 
Der Senat sieht keine Veranlassung, mit Blick auf den Schriftsatz des Beigeladenen vom 31.10.2012, in welchem dieser seine Rechtsauffassung hinsichtlich der Störereigenschaft des Klägers und des Vorliegens einer unmittelbar bevorstehenden Störung nochmals verdeutlicht, die mündliche Verhandlung nach § 104 Abs. 3 Satz 2 VwGO wieder zu eröffnen.
30 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Klage ist zulässig (I.) und begründet (II.). Das in Ziffer 1 der Verfügung des Regierungspräsidiums Freiburg vom 23.06.2008 angeordnete Betretungsverbot ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
31 
Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) zulässig. Insbesondere fehlt es nicht an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse. Zwar ist bei einem Erfolg der Klage die tatsächliche Erreichbarkeit des klägerischen Grundstücks noch nicht sichergestellt, da dieses nicht an einen öffentlichen Weg grenzt und für die umliegenden Grundstücke, die im Eigentum des Beigeladenen stehen, weiterhin ein Betretungsverbot gilt. Es erscheint jedoch nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Kläger gegenüber dem Beigeladenen einen Anspruch auf Einräumung eines Notwegerechts nach § 917 BGB hat und dass von der ca. 50 m südlich des klägerischen Grundstücks verlaufenden Steigstraße aus eine sichere Zuwegung geschaffen werden kann.
II.
32 
Die Klage ist auch begründet. Das auf die §§ 1, 3 und 9 PolG gestützte Betretungsverbot ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Zwar ist der Anwendungsbereich des Polizeigesetzes eröffnet (1.) und die Verfügung ist formell rechtmäßig (2.) und inhaltlich hinreichend bestimmt (3.). Der Kläger ist jedoch Nichtstörer (4.) und die Voraussetzungen des § 9 PolG für seine Inanspruchnahme als Nichtstörer liegen nicht vor (5.).
33 
1. Die polizeiliche Generalklausel (§§ 1, 3 PolG) ist als Ermächtigungsgrundlage anwendbar, obwohl es um die Bekämpfung der von einem Altbergwerk ausgehenden Gefahren geht. Ihre Anwendung ist nicht durch speziellere bergrechtliche Vorschriften gesperrt.
34 
Die Vorschriften des Bundesberggesetzes sind gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 BBergG vom 13.08.1980 (BGBl. I S. 1310) nicht anzuwenden auf Betriebe im Sinne des Absatzes 1, die bei Inkrafttreten des Gesetzes am 01.01.1982 bereits endgültig eingestellt waren. Die endgültige Einstellung eines Bergwerksbetriebs nach § 169 Abs. 2 Satz 1 BBergG beginnt, sobald die Errichtungs- und/oder Führungsphase mit der Absicht beendet wird, sie nicht wieder aufzunehmen. Sie endet nach der Durchführung des Abschlussbetriebsplans (BayVGH, Urt. v. 24.08.2010 - 8 BV 06.1795 - ZfB 2011, 114). Im Bergwerk Kahlenberg wurde der Bergbau im Jahr 1970 aufgegeben. Der Abschlussbetriebsplan vom 16.06.1970, der am 20.04.1971 zugelassen wurde, sah vor, die Hohlräume im Baufeld Stollen IV unverändert zu belassen, lediglich offene Stollenmundlöcher (Zugänge) sollten geschlossen werden. Zwar lässt sich den vorgelegten Bergakten nicht entnehmen, wann genau die Zugänge geschlossen wurden. Die Verfahrensbeteiligten konnten hierzu ebenfalls keine exakten Angaben machen. Es gibt aber keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass dies nicht zeitnah im Zusammenhang mit der Betriebseinstellung erfolgt ist. Daher ist von einer endgültigen Einstellung des Betriebs vor dem 01.01.1982 auszugehen.
35 
Auch Vorschriften des vor Inkrafttretens des Bundesberggesetzes anzuwendenden Badischen Berggesetzes vom 22.06.1890 in der Fassung der Bekanntmachung vom 17.04.1925 (Bad. GVBl. S. 103), zuletzt geändert durch Art. 1 des Dritten Gesetzes zur Änderung bergrechtlicher Vorschriften vom 08.04.1975 (GBl. S. 237) und § 69 Abs. 6 des Naturschutzgesetzes vom 21.10.1975 (GBl. S. 654; ber. 1976 S. 96), kommen nach der Einstellung des Bergwerksbetriebes nicht mehr als Ermächtigungsgrundlage in Betracht (vgl. Senatsurteil vom 29.03.2000 - 1 S 1245/99 - VBlBW 2000, 362 = NVwZ-RR 2000, 589 m.w.N.). Denn das Badische Berggesetz sieht keine Eingriffsbefugnisse bei stillgelegten Bergwerken vor, da § 144 Bad. BergG die Zuständigkeit der Bergpolizei und damit auch die Reichweite der Generalklausel des § 147 Bad. BergG auf „den Betrieb“ beschränkt. Der Begriff „Betrieb“ ist im Gesetz nicht definiert. Aus den §§ 60 ff. Bad. BergG ergibt sich jedoch, dass der Betrieb ein tatsächlicher Abbauvorgang ist, der zum Beispiel nach § 60 Abs. 3 Bad. BergG auch kurzfristig unterbrochen werden kann. Ein stillgelegtes Bergwerk ist daher kein Betrieb im Sinne der §§ 144 ff. Bad. BergG mehr.
36 
Die bergrechtlichen Vorschriften sind insoweit nicht abschließend, so dass daher die allgemeinen polizeirechtlichen Vorschriften Anwendung finden (Senatsurteil vom 29.03.2000 - 1 S 1245/99 - a.a.O.).
37 
2. Die Zuständigkeit des Regierungspräsidiums Freiburg ergibt sich aus § 1 Abs. 1 der auf § 66 Abs. 1 PolG gestützten Verordnung des Umweltministeriums über die Zuständigkeit für stillgelegte Bergwerke und andere künstliche Hohlräume vom 21.11.1994 (GBl. S. 669), zuletzt geändert durch Art. 120 der Verordnung vom 25.01.2012 (GBl. S. 65, 79). Danach ist das Regierungspräsidium Freiburg bei stillgelegten untertägigen Bergwerken und Bohrungen nach Maßgabe des § 2 zuständig für die Abwehr von Gefahren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird, und für die Beseitigung von Störungen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, soweit es im öffentlichen Interesse geboten ist.
38 
3. Die angefochtene Verfügung ist inhaltlich hinreichend bestimmt im Sinn des § 37 Abs. 1 LVwVfG. Hinreichend bestimmt ist ein Verwaltungsakt, wenn sowohl der Adressat, als auch - bei der Aufgabe eines Handelns, Duldens oder Unterlassens - das Ziel der geforderten Handlung so bestimmt ist, dass sie nicht einer unterschiedlichen subjektiven Beurteilung zugänglich ist. Es genügt insoweit, dass aus dem gesamten Inhalt des Verwaltungsakts und aus dem Zusammenhang, vor allem aus der von der Behörde gegebenen Begründung und aus den Beteiligten bekannten näheren Umständen des Erlasses im Wege einer an den Grundsätzen von Treu und Glauben orientierten Auslegung hinreichende Klarheit gewonnen werden kann (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl., § 37 Rn. 12 m.w.N.; BVerwG, Beschl. v. 03.02.1989 - 7 B 18.89 - NJW 1989, 1624). Hierbei ist entsprechend § 133 BGB auf den erklärten Willen aus der Sicht eines verständigen Empfängers abzustellen (Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 35 Rn. 71).
39 
Hier ergibt die Auslegung des angefochtenen Betretungsverbots, dass dem Kläger selbst das Betreten seines Grundstücks untersagt werden soll und dass es ihm darüber hinaus verboten sein soll, von seinem Eigentumsrecht nach § 906 BGB in der Weise Gebrauch zu machen, dass er anderen Personen das Betreten gestattet.
40 
Zwar lässt die Formulierung des Tenors der angefochtenen Verfügung („Das Grundstück darf nicht betreten werden“) zunächst mehrere Auslegungen denkbar erscheinen: Das Betretungsverbot könnte sich ausschließlich auf den Kläger als Grundstückseigentümer beziehen, es könnte sich an jedermann richten und damit eine Allgemeinverfügung i.S.d. § 35 Satz 2 Alt. 3 LVwVfG darstellen oder die Verfügung könnte so auszulegen sein, dass sie neben dem an den Kläger gerichteten Verbot ihm gegenüber auch die Verpflichtung enthält, sein Eigentumsrecht dahingehend auszuüben, Dritten das Betreten nicht zu gestatten.
41 
Entscheidend gegen eine Deutung als Allgemeinverfügung spricht jedoch bereits der dem Tenor vorangestellte Einleitungssatz („Für dieses Grundstück wird Ihnen gegenüber angeordnet“) und der Umstand, dass allein der Kläger Adressat der Verfügung ist.
42 
Auf der anderen Seite würde ein ausschließlich an den Kläger als Grundstückseigentümer gerichtetes Betretungsverbot dem Ziel des Bescheids, wie es sich auch aus der Begründung ergibt, nicht gerecht werden. Denn vor dem Hintergrund der in der Begründung beschriebenen Gefahrenlage zielt das Vorgehen des Regierungspräsidiums darauf ab, dass niemand mehr das Grundstück betreten soll. Nach seinem Sinn und Zweck kann das Betretungsverbot daher nur in dem Sinn ausgelegt werden, dass es dem Kläger verboten sein soll, von seinem Eigentumsrecht nach § 906 BGB in der Weise Gebrauch zu machen, dass er anderen Personen das Betreten gestattet. Für dieses Verständnis spricht auch der Hinweis in der Begründung, eventuelle Miet- oder Pachtverträge seien zu kündigen. Offenbar hat der Kläger den Bescheid auch ohne weiteres dahingehend verstanden, dass er selbst das Grundstück nicht betreten und auch Dritten das Betreten nicht gestatten darf.
43 
4. Zutreffend ist der Beklagte davon ausgegangen, dass der Kläger mangels polizeirechtlicher Verantwortlichkeit als Zustands- oder Verhaltensstörer Nichtstörer ist.
44 
a) Der Kläger ist nicht als Grundstückseigentümer Zustandsstörer gemäß § 7 Abs. 1 PolG. Nach dieser Vorschrift hat die Polizei Maßnahmen gegenüber dem Eigentümer der Sache, deren Zustand die öffentliche Sicherheit bedroht, zu treffen.
45 
Das Verwaltungsgericht hat die Verantwortlichkeit des Klägers als Zustandsstörer mit der Begründung bejaht, der Untergrund gehöre zum Grundstück des Klägers und die Hohlräume dort führten ohne weitere Zwischenschritte zu der Tagesbruchgefahr (ebenso VG Braunschweig, Beschl. v. 08.10.2008 - 2 B 174/08 - ZfB 2009, 207 <210>).
46 
Die Annahme, dass das Altbergwerk Teil des klägerischen Grundstücks geworden sei, ist jedoch unzutreffend. Zwar erstreckt sich das Grundstückseigentum gemäß § 905 Satz 1 BGB grundsätzlich auch auf den Erdkörper unter der Oberfläche. Das Bergwerkseigentum ist davon jedoch gerade nicht erfasst. Das Bergwerkseigentum war auch unter dem Badischen Berggesetz als eigentumsgleiches Recht ausgestaltet (§ 42 Bad. BergG; ebenso nunmehr § 9 Abs. 1 BBergG). Die einzelnen Stollen stellen daher wesentliche Bestandteile des Bergwerkseigentums dar, dagegen sind sie lediglich Scheinbestandteile an dem Grundstück. Abhängig von dem genauen rechtlichen Schicksal des Bergwerks befindet sich dieses daher entweder im Eigentum des Beigeladenen oder des Landes (vgl. NdsOVG, Urt. v. 19.10.2011 - 7 LB 57/11 - UPR 2012, 149; OVG NRW, Beschl. v. 08.12.2005 - 11 A 2436/02 - ZfB 2006, 61 <65 <; VG Braunschweig, Urt. v. 19.10.2006 - 1 A 267/04 - ZfB 2007, 32 <34> und Beschl. v. 08.10.2008 - 2 B 174/08 - ZfB 2009, 207 <210>). In jedem Fall sind die Stollen des Altbergwerks nicht Bestandteil des klägerischen Grundstücks geworden.
47 
Die Gefahr geht auch nicht von dem Grundstück, sondern von der Instabilität der Stollen darunter aus. Sie wird von dem Grundeigentum des Klägers lediglich weitergeleitet.
48 
Bereits der Wortlaut des § 7 Abs. 1 PolG, nach dem die Gefahr von dem Zustand der Sache ausgehen muss, legt nahe, dass es nicht ausreicht, wenn eine Sache nur von einer Gefahr, die von dem Eigentum darunter ausgeht, betroffen ist. Ebenso spricht der auch für den Zustandsstörer geltende Grundsatz der unmittelbaren Verursachung (vgl. Wolf/Stephan/Deger, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 6. Aufl., § 7 Rn. 5; Belz/Mußmann, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 7. Aufl., § 7 Rn. 5) gegen eine Inanspruchnahme des Klägers. Danach trifft den Eigentümer keine Polizeipflicht, wenn sein Eigentum ohne sein Zutun als Mittel verwendet wird, aber nicht per se eine Quelle von Gefahren bildet (Wolf/Stephan/Deger, a.a.O.). Hier ist der einzige Verursachungsbeitrag des Grundstücks seine bloße Existenz. Eine Gefahr erwächst daraus erst durch den Zustand der darunter liegenden künstlichen Hohlräume. Dagegen ließe sich einwenden, dass der gefährliche Zustand seine Ursache von außerhalb hat, aber in der Kausalkette am nächsten an einer Rechtsgutsverletzung liegt. Hintergrund für die Zurechnung ist jedoch die Wertung, dass der Eigentümer der Gefahr zumindest näher steht als die Allgemeinheit. Entsprechend ist Anknüpfungspunkt auch dessen (zumindest normative) Sachherrschaft über und Einflussmöglichkeit auf die gefährliche Sache und die sich daraus ergebende Pflicht, für die Störungsfreiheit zu sorgen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 31.07.1998 - 1 B 229.97 - NJW 1999, 231). So entfällt die Störereigenschaft nicht nur bei Diebstahl der Sache, sondern auch, wenn die Sache – etwa durch Naturschutzrecht – der Allgemeinheit genauso zur Verfügung steht wie dem Eigentümer. Diese Einwirkungsmöglichkeit fehlt aber gerade in dem vorliegenden Fall, in dem der Eigentümer die Gefahr nicht verursacht hat und auch nicht verhindern, sondern ihr nur ausweichen kann, indem er sein eigenes Grundstück nicht mehr betritt. In diesem Sinne hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in einem Fall, in dem Felsgestein von einem Grundstück auf die unterhalb gelegenen Grundstücke zu stürzen drohte, die Inanspruchnahme der bedrohten Grundeigentümer als Zustandsstörer ausgeschlossen (BayVGH, Beschl. v. 26.09.1995 - 21 B 95.1527 - BayVBl. 1996, 437; bestätigt durch BVerwG, Beschl. v. 31.07.1998 - 1 B 229.97 - a.a.O.; ebenso OVG Rheinl.-Pf., Urt. v. 01.10.1997 - 11 A 12542/96 - NJW 1998, 625; implizit auch bei Tagesbrüchen OLG Hamm, Urt. v. 26.10.2001 - 11 U 44/01 - ZfB 2002, 216 <220>, ebenso die Vorinstanz: LG Essen, Urt. v. 16.11.2000 - 4 O 494/99 - ZfB 2001, 230; VG Gelsenkirchen, Urt. v. 03.03.2005 - 8 K 2655/42 - ZfB 2005, 234 <239>). Vorliegend kann entgegen der Auffassung des Beigeladenen nichts anderes gelten. Die vom Beigeladenen angeführte Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (Urt. v. 11.10.1985 - 5 S 1738/85 - NVwZ 1986, 325) betraf eine nicht vergleichbare Fallgestaltung. Entscheidend für die Inanspruchnahme des Grundstückseigentümers als Zustandsstörer war dort, dass die Schadstoffe, die das Erdreich unter dem Grundstück verseucht und schließlich zu Verunreinigungen des Grundwassers geführt hatten, nach den Feststellungen des Gerichtshofs aus dem betreffenden Grundstück stammten. Zwar konnte die Gefahr zum Zeitpunkt des behördlichen Einschreitens nur noch durch auf das Grundwasser bezogene Maßnahmen beseitigt werden, die Gefahrenquelle war jedoch das Grundstück des dortigen Klägers.
49 
b) Der Kläger kann auch nicht als Verhaltensstörer in Anspruch genommen werden.
50 
Verhaltenshaftung im Sinne von § 6 Abs. 1 PolG bedeutet Verantwortlichkeit für die Verursachung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bzw. von Störungen dieser Schutzgüter durch menschliches Verhalten. Verhaltensstörer im polizeirechtlichen Sinne ist nur derjenige, dessen Verhalten die eingetretene Störung unmittelbar verursacht, also selbst im konkreten Fall die polizeiliche Gefahrengrenze überschreitet. Wann dies der Fall ist, kann nicht generell, sondern nur anhand einer wertenden Betrachtung der Umstände des Einzelfalls bestimmt werden, wobei danach zu fragen ist, wer die eigentliche und wesentliche Ursache für den polizeiwidrigen Erfolg gesetzt hat. Nur durch diese wertende Betrachtung des Verhältnisses zwischen dem Zurechnungsgrund und der Gefahr lässt sich ermitteln, ob eine unmittelbare Verursachung im Sinne eines hinreichend engen Wirkungs- und Verantwortungszusammenhanges zwischen der Gefahr oder der Störung und dem Verhalten der Person vorliegt, die deren Pflichtigkeit als zumutbar rechtfertigt (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 30.07.2002 - 10 S 2153/01 - juris m.w.N.; ähnlich Wolf/Stephan/Deger, a.a.O., § 6 Rn. 8; Würtenberger/Heckmann, Polizeirecht in BW, 6. Aufl., Rn. 444 f.).
51 
Hier geht die Tagesbruchgefahr vom Zustand der Abbaukammern des Altbergwerks aus. Zwar leistet auch der Kläger, wenn er sein Grundstück betritt oder Dritten das Betreten gestattet, durch sein Verhalten einen kausalen Beitrag für die mit dem Betretungsverbot bekämpfte Gefahr. Eine Gefahr für Leib und Leben kann sich nur realisieren, wenn sich Personen auf dem gefährdeten Grundstück aufhalten. Mit dem Betreten und Bewirtschaften des eigenen Grundstücks macht der Kläger jedoch, ohne gegen strafrechtliche oder öffentlich-rechtliche Verbots- oder Gebotsnormen zu verstoßen, lediglich von seinen Befugnissen als Grundstückseigentümer Gebrauch, ohne den eigenen Rechtskreis zu verlassen. Der Aufenthalt auf dem Grundstück ist auch nicht aufgrund natürlicher Gegebenheiten gefährlich, vielmehr geht die Gefahr auf - ebenfalls kausale - Verursachungsbeiträge Dritter zurück (Erzbergbau ohne hinreichende Sicherung der im Zuge des Abbaus geschaffenen künstlichen Hohlräume). Das bloße Betreten erhöht auch nicht die Gefahr eines Tagesbruchs, sondern lediglich die Gefahr, dass bei einem Tagesbruch Menschen zu Schaden kommen. Der sein Grundstück im Einklang mit der Rechtsordnung nutzende Kläger ist daher selbst „Gestörter“ und nicht Störer (vgl. Würtenberger/Heckmann, a.a.O., Rn. 432). Dementsprechend wird in der Rechtsprechung bei der Gefahr von Felsstürzen ausschließlich der Eigentümer des Felsgrundstücks als Störer angesehen, nicht jedoch die Eigentümer der gefährdeten Grundstücke (vgl. OVG Rheinl.-Pf., Urt. v. 01.10.1997 - 11 A 12542/96 - NJW 1998, 625 m.w.N.; BayVGH, Beschl. v. 26.09.1995 - 21 B 95.1527 - BayVBl 1996, 437).
52 
5. Die Voraussetzungen des § 9 PolG für die Inanspruchnahme des Klägers als Nichtstörer liegen nicht vor.
53 
Nach § 9 Abs. 1 PolG kann die Polizei gegenüber anderen als den in den §§ 6 und 7 bezeichneten Personen ihre Maßnahmen nur dann treffen, wenn auf andere Weise eine unmittelbar bevorstehende Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nicht verhindert oder eine bereits eingetretene Störung nicht beseitigt werden kann, insbesondere wenn die eigenen Mittel der Polizei nicht ausreichen oder wenn durch Maßnahmen nach den §§ 6 bis 8 ein Schaden herbeigeführt würde, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht. Maßnahmen gegenüber dem Nichtstörer dürfen nach § 9 Abs. 2 PolG nur aufrechterhalten werden, solange die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen.
54 
a) Hier liegt zwar eine ein polizeiliches Einschreiten nach den §§ 1, 3 PolG gegenüber dem Störer rechtfertigende konkrete Gefahr, nicht aber eine unmittelbar bevorstehende Störung der öffentlichen Sicherheit, die ein Einschreiten gegenüber dem Nichtstörer rechtfertigen würde, vor.
55 
aa) Nach der polizeilichen Generalklausel (§§ 1, 3 PolG) hat die Polizei die Aufgabe, von dem Einzelnen und dem Gemeinwesen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird, und Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu beseitigen, soweit es im öffentlichen Interesse geboten ist. Dabei hat die Polizei innerhalb der durch das Recht gesetzten Schranken zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben diejenigen Maßnahmen zu treffen, die ihr nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlich erscheinen.
56 
Ein Tätigwerden zum Zwecke der Gefahrenabwehr setzt eine konkrete Gefahr voraus. Eine solche liegt vor, wenn bei bestimmten Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen nach allgemeiner Lebenserfahrung oder fachlichen Erkenntnissen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden für die polizeilichen Schutzgüter im Einzelfall, d.h. eine konkrete Gefahrenlage, einzutreten pflegt. Dabei hängt der zu fordernde Wahrscheinlichkeitsgrad von der Bedeutung der gefährdeten Rechtsgüter sowie dem Ausmaß des möglichen Schadens ab. Geht es um den Schutz besonders hochwertiger Rechtsgüter, wie etwa Leben und Gesundheit von Menschen, so kann auch die entferntere Möglichkeit eines Schadenseintritts ausreichen (vgl. BVerwG, Urt. v. 03.07.2002 - 6 CN 8.01 - BVerwGE 116, 347; Senatsurteile vom 15.11.2007 - 1 S 2720/06 - VBlBW 2008, 134 und vom 12.07.2010 - 1 S 349/10 - VBlBW 2010, 468).
57 
Die auf die Gefahrenabwehr zielende polizeiliche Generalklausel deckt hingegen keine Maßnahmen der Gefahrenvorsorge. Schadensmöglichkeiten, die sich deshalb nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wissensstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können, begründen keine Gefahr, sondern lediglich einen Gefahrenverdacht oder ein "Besorgnispotenzial" (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.12.1985 - 7 C 65.82 - BVerwGE 72, 300 <315>). Das allgemeine Gefahrenabwehrrecht bietet keine Handhabe, derartigen Schadensmöglichkeiten im Wege der Vorsorge zu begegnen (BVerwG, Urt. v. 03.07.2002, a.a.O.).
58 
Für die Inanspruchnahme des Klägers als Nichtstörer bedarf es nicht nur einer konkreten Gefahr, sondern einer unmittelbar bevorstehenden Störung. Der Begriff der „unmittelbar bevorstehenden Störung“ stellt strenge Anforderungen sowohl an die zeitliche Nähe als auch an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, weil polizeiliche Notstandsmaßnahmen in die Rechte unbeteiligter Dritter eingreifen. Eine unmittelbar bevorstehende Störung liegt nach ständiger Rechtsprechung nur dann vor, wenn der Eintritt der Störung nach allgemeiner Erfahrung sofort oder in allernächster Zeit bevorsteht und als gewiss anzusehen ist, falls nicht eingeschritten wird (Senatsurteile vom 28.08.1986 - 1 S 3241/85 - NVwZ 1987, 237 = VBlBW 1987, 183 und vom 15.06.2005 - 1 S 2718/04 - NJW 2006, 635 m.w.N.; Würtenberger/Heckmann, a.a.O., Rn. 415). Der Begriff der unmittelbar bevorstehenden Störung deckt sich mit dem in anderen Polizeigesetzen verwendeten Begriff der gegenwärtigen Gefahr (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.02.1974 - I C 31.72 - BVerwGE 45, 51 ; OVG Hamburg, Beschl. v. 13.04.2012 - 4 Bs 78/12 - NJW 2012, 1975).
59 
Die polizeiliche Gefahr ist eine auf Tatsachen gegründete prognostische Einschätzung über einen künftigen Geschehensverlauf, wobei die Tatsachen pflichtgemäß aufzuklären sind. Die Gefahr muss im Zeitpunkt der Entscheidung über die zu ergreifende polizeiliche Maßnahme vorliegen; es ist also beim polizeilichen Eingriff grundsätzlich die ex ante-Sicht entscheidend. Da es sich bei dem hier angeordneten Betretungsverbot jedoch nicht um eine vorläufige Maßnahme, sondern um einen unbefristet Geltung beanspruchenden Dauerverwaltungsakt handelt, ist für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen (vgl. Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 113 116 m.w.N.).
60 
bb) Daran gemessen ist der Senat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass beim Betreten des klägerischen Grundstücks eine konkrete Gefahr für Leib und Leben der das Grundstück betretenden Personen, nicht jedoch eine unmittelbar bevorstehende Störung gegeben ist.
61 
Das Gutachten des vom Verwaltungsgericht beauftragten Sachverständigen ... kommt in nachvollziehbarer Weise zu dem Ergebnis, dass auf wesentlichen Teilen des klägerischen Grundstücks die Gefahr von Tagesbrüchen besteht, weil die Stollen unter dem Grundstück in verschiedenen Bereichen instabil sind und zu erwartende Verbrüche sich mangels ausreichender Mächtigkeit des Deckgebirges nicht im Fels totlaufen, sondern sich an der Erdoberfläche als Tagesbrüche manifestieren werden. Dieses Ergebnis wird gestützt durch das ...Gutachten und die vom sachverständigen Zeugen ... hierzu in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gegebenen Erläuterungen sowie durch die Angaben des Zeugen ...
62 
(1) Der Sachverständige ... greift auf Archivmaterial, zwei Bohrungen in der Nähe des Grundstücks und eine Befahrung der Stollen unterhalb des Grundstücks zurück. Bei der Befahrung hat der Gutachter an mehreren Stellen Verbrüche, also Absprengungen von der Decke, festgestellt. Weiter hat er festgestellt, dass in keiner Abbaukammer unter dem Grundstück eine First- oder Stoßsicherung besteht und dass ehemals vorhandene Sicherungen aus Holz mittlerweile verrottet sind. Die Zusammensetzung des Deckgesteins, auf die der Gutachter durch Literaturquellen und zwei nahegelegene Bohrungen geschlossen hat, wird als wenig standfest beschrieben, was es notwendig gemacht habe, beim Abbau eine ca. 1,5 m dicke Erzschicht zur Stabilisierung stehen zu lassen. Wie der Gutachter in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erläutert hat, wurde diese Sicherheitsmaßnahme jedoch nicht überall eingehalten. Zum Teil sei diese Schicht schon vollständig verbrochen. Das ausweislich der herangezogenen Quellen während der Abbauzeit aufgetretene Phänomen der „Sargdeckelbildung“, d.h. des Sich-Ablösens größerer Platten von der Decke, deute darauf hin, dass die Erzschicht kleinteiliger zerklüftet, also segmentiert sei, als die Breite der Gänge. Dies erhöhe die Gefahr einer sehr raschen Tagesbruchentstehung.
63 
Die Auswirkungen von Brüchen auf die Oberfläche modelliert das Gutachten ... mit dem gängigen Hohlraum-Bruchmassen-Modell. Die verwendete Formel berücksichtigt zum einen, dass das gebrochene Material eine geringere Dichte aufweist und sich ein Bruch schließlich „totläuft“. Zum anderen prognostiziert das Modell die Menge an Material, die zur Seite hin verdrängt wird. Die Modellrechnung ergab, dass sich an mehreren Stellen ein etwaiger Einbruch im Stollen bis zur Oberfläche fortsetzen wird (Anlage 5 zum Gutachten).
64 
In den mündlichen Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht und dem Senat hat der Sachverständige ... nachvollziehbar erläutert, dass - über die Ausführungen in seinem Gutachten und die dort angestellte Modellrechnung hinausgehend - auch über den Abbaukammern C und D eine Tagesbruchgefahr bestehe, da die dortige Zwischenwand nicht mächtig genug und - auch aufgrund der dort verlaufenden Störungszone - instabil sei. Bei dieser unter dem Grundstück von Nordost nach Südwest verlaufenden Störung handelt es sich um eine Zone, in der die Festigkeit des Gebirges herabgesetzt ist und die Schichten einen Versatz aufweisen (Gutachten S. 11).
65 
Gefahrerhöhend wirkt sich, worauf der Sachverständige ebenfalls zu Recht hingewiesen hat, die Lage des Grundstücks in einer Erdbebenzone aus.
66 
Der Tagesbruch vom Februar 2008 erlaubt ebenfalls Rückschlüsse auf die Tagesbruchgefahr auf dem klägerischen Grundstück, weil die geologischen Verhältnisse vergleichbar sind und die vom Kläger geäußerte Vermutung, dieser Tagesbruch sei aufgrund eines Wassereinbruchs infolge der mangelhaften Wartung einer in der Nähe befindlichen Quelle entstanden, in den vom Sachverständigen getroffenen Feststellungen keine Stütze findet. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Sachverständige ... hierzu erklärt, es sei klar, dass beim Auftreten einer Öffnung an der Erdoberfläche von dort aus Wasser in tiefere Schichten eindringen könne. Damit sei jedoch nicht gesagt, dass das Wasser auch für die Tagesbruchentstehung verantwortlich sei.
67 
(2) Das vom Beigeladenen in Auftrag gegebene ...Gutachten kommt im Ergebnis zu vergleichbaren Einschätzungen. Es erfasst das gesamte gefährdete Gebiet, wobei ein Schwerpunkt auf der Untersuchung der Frage lag, ob und unter welchen Bedingungen die ca. 50 m südlich des klägerischen Grundstücks am Rande des gesperrten Gebiets in West-Ost Richtung verlaufende Steigstraße wieder für den Verkehr freigegeben werden kann. Das Gutachten teilt das Gebiet in verschiedene Einwirkungsklassen ein: Der Bereich der Einwirkungsklasse 3 (geringe Tagesbruchgefahr) kann ohne Einschränkungen betreten werden, auf Gebieten der Einwirkungsklasse 2 (Tagesbruchgefahr wahrscheinlich vorhanden) halten die Gutachter eine eingeschränkte landwirtschaftliche Nutzung ohne Maschineneinsatz für vertretbar, Gebiete der Einwirkungsklasse 1 (Tagesbruchgefahr mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhanden) sollen gar nicht mehr betreten werden. Das Deckgebirge unter dem Grundstück wird ähnlich wie im Gutachten ... als „gebräches Mergel/Kalksandsteinpaket“ bezeichnet, das nicht in der Lage sei, langfristig ein tragendes Stützgewölbe auszubilden. Durch Wasserzutritt von der Oberfläche könne sich die Schicht komplett entfestigen.
68 
Die im östlichen Winkel des Grundstücks gelegenen Kammern 7 - 11 (Kammern D - H bei ...) wurden im Abschlussbericht vom 30.09.2010 als so sicher angesehen, dass eine Nutzungseinschränkung nicht erforderlich sei. Begründet wurde dies mit der geringen Höhe der Kammern und der stabilisierenden Erzschicht. In der revidierten Fassung vom 11.03.2011 wurde dieses Gebiet in die Einwirkungsklasse 2 hochgestuft. Der sachverständige Zeuge ... hat dies in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nachvollziehbar damit erklärt, dass der Einschätzung vom 30.09.2009, auf der der Abschlussbericht vom 30.09.2010 basierte, eine erste Grubenbefahrung zugrunde lag. Aufgrund einer weiteren Befahrung seien die Einwirkungsklassen neu festgelegt worden. Darauf beruhe der Plan vom 30.09.2010, der erst in der revidierten Fassung des Abschlussberichts vom 11.03.2011 berücksichtigt worden sei.
69 
(3) Das Gutachten ... und das ...Gutachten in der revidierten Fassung stimmen danach sowohl hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen als auch hinsichtlich der Schlussfolgerungen im Wesentlichen überein. Beide sehen das Gebiet als instabil an, beide halten Tagesbrüche für möglich, beide sehen die Möglichkeit der Entfestigung des Deckgebirges durch Wasser und damit auch größerer und tieferer Tagesbrüche als bei der Berechnung nach dem Hohlraum-Bruchmassen-Modell. Und schließlich können beide Gutachter keine belastbaren Aussagen dazu treffen, wann sich die Tagesbruchgefahr realisieren wird. Dies deckt sich mit der Einschätzung des als Zeuge vernommenen früheren technischen Betriebsleiters der Deponie, der ebenfalls davon ausgeht, dass die Abbaukammern nicht dauerhaft standsicher sind und die Gefahr von Tagesbrüchen besteht.
70 
(4) Aufgrund der Beweisaufnahme kommt der Senat zu dem Schluss, dass beim Betreten des klägerischen Grundstücks eine konkrete Gefahr für Leib und Leben der das Grundstück betretenden Personen gegeben ist.
71 
Die Bewertung einer Wahrscheinlichkeit als Gefahr im polizeirechtlichen Sinne ist grundsätzlich nicht mehr Aufgabe der Gutachter, sondern des Gerichts. Diese Aufgabe wird dadurch erschwert, dass kein Sachverständiger zu sagen vermag, innerhalb welchen Zeitraums es mit welcher Wahrscheinlichkeit zu einem wie großen und gefährlichen Tagesbruch kommen wird.
72 
Bei der Bewertung ist zu beachten, dass mit dem Leben und der körperlichen Unversehrtheit hochrangige Rechtsgüter auf dem Spiel stehen, die auch geringe Eintrittswahrscheinlichkeiten ausreichen lassen. Unerheblich ist demgegenüber für die Bestimmung des Grades der Gefahr, dass es sich nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen ... um eine Dauergefahr handelt, die sich nicht mit der Zeit verringert, sondern sich vielmehr nach Jahren trügerischer Ruhe auch in 100 Jahren noch realisieren kann. Denn die Dauergefahr ist keine eigenständige Gefahrenart, vielmehr gelten für sie die allgemeinen Anforderungen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit und der zeitlichen Nähe des Schadenseintritts (Belz/Mußmann, a.a.O., § 1 Rn. 49 a).
73 
Die völlige Ungewissheit auf der Zeitachse schließt die Annahme einer unmittelbar bevorstehenden Störung im Sinn des § 9 Abs. 1 PolG aus. Auch wenn sich ein Tagesbruch jederzeit ohne Vorwarnung ereignen kann, ist es nicht hinreichend wahrscheinlich, dass ein solcher in allernächster Zeit auf dem klägerischen Grundstück auftreten und dabei einen Menschen an Leib oder Leben gefährden wird.
74 
Auf der anderen Seite handelt es sich nicht lediglich um eine „latente Gefahr“ oder ein ohne weiteres hinnehmbares Restrisiko. Zwar legen oberflächennahe Bergbautätigkeiten im Ausgangspunkt die Annahme einer „latenten Gefahr“ nahe. Dies gilt insbesondere für Bergwerke, die - wie der Kahlenberg - nicht nach dem Stand der Technik abgesichert wurden. Gibt es indes Hinweise, dass sich die Gefahr konkretisiert, so schlägt die latente in die ein polizeiliches Einschreiten rechtfertigende konkrete Gefahr um (vgl. OVG NRW, Urt. v. 13.09.1995 - 21 A 2273/91 - ZfB 1995, 322 <327>). Daran gemessen ist hier bei der erforderlichen Gesamtschau von einer konkreten Gefahr auszugehen. Dafür spricht bereits, dass sich die latente Gefahr nur 45 m von der Grenze des klägerischen Grundstücks entfernt bereits realisiert hat und dass die geologischen Bedingungen dort mit denen auf dem klägerischen Grundstück vergleichbar sind. Hinzu kommen als gefahrerhöhende Umstände die Lage des Grundstücks in der Erdbebenzone 1 und die infolge der unter dem Grundstück verlaufenden Störung herabgesetzte Festigkeit des Deckgebirges.
75 
cc) Eine konkrete Gefahr kann nicht unter dem Aspekt der freiwilligen Selbstgefährdung verneint werden. Zwar ist im Grundsatz anerkannt, dass die Polizei nicht gegen bewusste Selbstgefährdungen einschreiten darf (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.07.1997 - 8 S 2683/96 - NJW 1998, 2235 = VBlBW 1998, 25 m.w.N.). Begründet wird dies teilweise damit, dass es in einem solchen Fall an einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder an einem öffentlichen Interesse für ein behördliches Eingreifen fehle. Überwiegend wird jedoch damit argumentiert, dass Art. 2 Abs. 1 GG in gewissen Grenzen ein Recht auf Selbstgefährdung gebe.
76 
Voraussetzung für die Annahme einer nicht zu einem polizeilichen Einschreiten berechtigenden Selbstgefährdung ist allerdings, dass sich die Betroffenen freiwillig und in Kenntnis der Sachlage der Gefahr aussetzen. Dies wäre bei allen Personen der Fall, die erkennen, dass ihnen mit einer gewissen, nicht näher bestimmbaren Wahrscheinlichkeit in diesem Gebiet der Boden unter den Füßen wegbrechen kann, also insbesondere bei dem Kläger selbst.
77 
Das innerhalb bestimmter Grenzen anzuerkennende Recht auf Selbstgefährdung kann einem staatlichen Verbot jedoch nur dann entgegengehalten werden, wenn mit der betreffenden Tätigkeit nicht zugleich eine Gefahr für andere Personen verbunden ist (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.07.1997 - 8 S 2683/96 - a.a.O.; Senatsurteil vom 22.07.2004 - 1 S 410/03 - juris Rn. 39). Hier steht der Annahme einer bloßen Selbstgefährdung bei Betreten des Grundstücks entgegen, dass jeder, der in einen Tagesbruch stürzt, um Hilfe rufen und damit unbeteiligte Dritte zu Rettungsmaßnahmen veranlassen wird. Da das Grundstück nur etwa 50 m von einem öffentlichen Weg entfernt liegt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass tatsächlich jemand zur Hilfe eilt und sich angesichts des unsicheren Kraterrands in Gefahr begeben muss, nicht viel geringer als die Wahrscheinlichkeit, dass es überhaupt zu einem Unfall kommt. Insofern liegt selbst bei einem Betreten allein durch den Kläger keine ausschließliche Selbstgefährdung vor, die einem polizeilichen Einschreiten entgegenstehen würde. In diesem Zusammenhang kann auch nicht außer Betracht bleiben, dass die potenziellen Helfer keine professionell ausgebildeten Rettungskräfte, sondern zufällig vorbeikommende Passanten sind, die mit den spezifischen Risiken eines Tagesbruchs kaum vertraut sein dürften und diese Risiken bei der Rettung in keiner Weise überblicken können. Selbst wenn ihnen bekannt wäre, dass in dem Gebiet grundsätzlich die Gefahr eines Tagesbruchs besteht, folgt daraus nicht, dass sie die Gefährlichkeit einer Rettungsaktion zutreffend einschätzen können.
78 
Auch das Betreten durch den Kläger selbst würde also Leben und Gesundheit unbeteiligter Dritter gefährden, so dass eine konkrete Gefahr, die zu einem polizeilichen Einschreiten berechtigt, nicht unter dem Aspekt der freiwilligen Selbstgefährdung verneint werden kann.
79 
b) Das Betretungsverbot kann auch deshalb nicht auf § 9 PolG gestützt werden, weil es auf unbefristete Dauer Geltung beanspruchen soll und eine Inanspruchnahme des Störers überhaupt nicht beabsichtigt ist. Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergibt sich, dass dem Nichtstörer nur das zur Gefahrenabwehr sachlich Unumgängliche aufgegeben werden darf. Deshalb sind Maßnahmen, die sich länger auswirken, grundsätzlich von vornherein zeitlich zu begrenzen (Belz/Mußmann, a.a.O., § 9 Rn. 7; Wolf/Stephan/Deger, a.a.O., § 9 Rn. 21). Zudem dürfen Maßnahmen gegenüber dem Nichtstörer nach § 9 Abs. 2 PolG nur aufrechterhalten werden, solange die unmittelbar bevorstehende Gefahr fortbesteht und ihre Abwehr weiterhin auf andere Weise nicht möglich ist.
80 
Hier ist ausweislich des Gutachtens ..., dem der Senat auch in diesem Punkt folgt, die sicherste Lösung zur Abwendung der Tagesbruchgefahr eine Vollsicherung der Hohlräume unter dem klägerischen Grundstück mit einem hydraulisch abbindenden Material (Gutachten S. 23). Eine solche Maßnahme könnte der Beklagte dem Beigeladenen als polizeirechtlich Verantwortlichem auch aufgeben. Der Beigeladene ist jedenfalls als Zustandsstörer nach § 7 PolG (aa), möglicherweise auch als Verhaltensstörer nach § 6 PolG (bb) polizeirechtlich verantwortlich. Auch der Grundsatz der Effektivität der Gefahrenabwehr gebietet nicht die Anordnung eines dauerhaften Betretungsverbots gegenüber dem Kläger (cc). Schließlich würde die Inanspruchnahme des Beigeladenen diesen nicht unverhältnismäßig belasten (dd).
81 
aa) Als Inhaber der Bergbaukonzession war der Beigeladene Verfügungsberechtigter. Woraus sich nach Erlöschen der Konzession die Verfügungsberechtigung, von der die Verfahrensbeteiligten ausgehen, ergibt, ist unklar. Jedenfalls ist der Beigeladene weiterhin Inhaber der tatsächlichen Gewalt über das Altbergwerk und daher Zustandsstörer nach § 7 2. Alt. PolG:
82 
In § 1 des Konzessionsvertrags von 1937 räumte das Land Baden den Rohstoffbetrieben der Vereinigten Stahlwerke GmbH kein Bergwerkseigentum, sondern lediglich die Berechtigung zur Ausbeutung von Eisenerzen ein (vgl. § 2 Abs. 1 Bad. BergG: „Es kann [zur Ausbeutung von Eisenerzen] seitens des Finanzministeriums an Einzelne oder Gemeinschaften eine Konzession erteilt werden“). Das Bergwerkseigentum blieb nach § 39 b Bad. BergG beim Land Baden. Es konnte, und dies war nach § 1 des Konzessionsvertrags auch beabsichtigt, lediglich das Bergwerkseigentum nach § 39 c Bad. BergG „in der Weise belastet werden, dass der, zu dessen Gunsten die Belastung erfolgt, auf Zeit das vererbliche und veräußerliche Recht erhält, die in § 2 bezeichneten Mineralien […] aufzusuchen und zu gewinnen“. Dieses Gewinnungsrecht sollte nach § 39 c Abs. 1 Bad. BergG zeitlich beschränkt im Wesentlichen wie Bergwerkseigentum behandelt werden. § 42 Abs. 2 Bad. BergG erklärt die sich auf Grundstücke beziehenden Vorschriften des BGB für entsprechend anwendbar. Damit ist das Gewinnungsrecht genauso Eigentum im polizeirechtlichen Sinne wie dies für das Bergwerkseigentum allgemeine Meinung ist (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 08.12.2005 - 11 A 2436/02 - ZfB 2006, 61 <64> m.w.N).
83 
Die Konzession wurde gemäß § 2 des 2. Nachtrags vom 12.08.1968 bis zum 31.12.1997 verlängert. Aus § 7 des notariellen Kaufvertrags vom 04.09.1972 ergibt sich, dass der Beigeladene alle Rechte und Pflichten aus dem Konzessionsvertrag vom Landkreis Lahr, der die Konzession seinerseits von der ...... GmbH, der Rechtsnachfolgerin der Rohstoffbetriebe der Vereinigten Stahlwerke GmbH, gekauft hatte, übernehmen soll. Mit Wirksamkeit dieses Vertrages hat der Beigeladene die Verfügungsgewalt erlangt.
84 
Nach Erlöschen der Konzession ist der Beigeladene jedenfalls als Inhaber der tatsächlichen Gewalt Störer nach § 7 2. Alt. PolG. Ob daneben auch eine Verantwortlichkeit des beklagten Landes als Bergwerkseigentümer besteht, kann offen bleiben.
85 
bb) Daneben dürfte der Beigeladene auch Verhaltensstörer nach § 6 PolG sein. Zwar hat er selbst in dem fraglichen Teil des Bergwerks nie selbst Erz abgebaut und auch sonst - soweit ersichtlich - keine gefahrerhöhenden Tätigkeiten vorgenommen. Er dürfte jedoch Sicherungsmaßnahmen unterlassen haben, obwohl er dazu verpflichtet war.
86 
Den Beigeladenen trifft die Verkehrssicherungspflicht für das Altbergwerk. Im Rahmen des § 823 BGB ist anerkannt, dass aus der tatsächlichen Verfügungsgewalt über gefährliche Gegenstände auch die Pflicht folgt, andere vor diesen Gefahren zu schützen. Dabei muss zwar nicht jeder abstrakten Gefahr vorgesorgt werden, haftungsbegründend wird eine Gefahr erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden (st. Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 16.05.2006 - VI ZR 189/05 - NJW 2006, 2326 m.w.N.).
87 
§§ 130 ff. Bad. BergG regeln die Haftung des Bergwerkbetreibers zwar spezieller, aber nicht abschließend, sondern nur für Schäden an Grundeigentum. Darüber hinaus lässt sich diesen Vorschriften die Wertung entnehmen, dass der Bergwerksbetrieb grundsätzlich so gefahrgeneigt ist, dass im Fall von Schadensersatzansprüchen nach Pflichtverletzungen erst gar nicht gefragt werden muss. Daher trifft den Beigeladenen, solange er die tatsächliche Sachherrschaft hat, nach § 823 BGB eine Pflicht zur Sicherung.
88 
Dass die nicht abgesicherten Stollen im Laufe der Zeit durchzubrechen drohen und durch das wenig belastbare Deckgestein dadurch Tagesbrüche entstehen können, wurde bereits bei Zulassung des Abschlussbetriebsplans gesehen. In einem Aktenvermerk des Landesbergamtes vom 25.03.1971 ist festgehalten, dass im Bereich des Stollens IV noch Pingen, d.h. Tagesbrüche, zu erwarten seien. Da Sicherungsmaßnahmen unter Tage nicht möglich seien, müsse man das Gelände einbrechen lassen und dann wieder auffüllen. Die Grundstücke seien in fremdem Besitz und könnten eventuell vom Landkreis aufgekauft werden.
89 
Auch die zahlreichen Verbrüche in den letzten Jahrzehnten gaben klare Hinweise auf eine grundsätzliche Instabilität, ebenso das Wissen um den wenig sorgfältigen Kriegsbergbau. Spätestens bei Auftreten der Spüllöcher in den 1990er Jahren dürfte für Sachkundige erkennbar geworden sein, dass langfristig Sicherungsmaßnahmen notwendig sind, um die Stollen vor dem Durchbrechen zu bewahren. Das Gutachten des Sachverständigen ... und das ...Gutachten bestätigen die Tagesbruchgefahr.
90 
Die Verkehrspflichten sollen alle schützen, die in den Einwirkungsbereich der Gefahrenquelle geraten und somit also die Allgemeinheit. Damit begründen die Verkehrspflichten nach § 823 BGB auch polizeirechtliche Handlungspflichten (BayVGH, Beschl. v. 05.05.2011 - 22 ZB 10.214 - UPR 2011, 357 ). Der Beigeladene dürfte damit auch als Verhaltensstörer herangezogen werden können. Daran änderte sich selbst dann nichts, wenn der Beigeladene sich stets an alle Betriebspläne gehalten haben sollte, da diese keine Legalisierungswirkung entfalten (Senatsurteil vom 29.03.2000 - 1 S 1245/99 - a.a.O.).
91 
Auch als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist der Beigeladene polizeipflichtig, weil die möglichen Maßnahmen nicht unmittelbar in die hoheitliche Tätigkeit des Beigeladenen eingreifen, sondern an die tatsächliche Sachherrschaft bzw. Versäumnisse bei der Sicherung des stillgelegten Bergwerks anknüpfen (vgl. BVerwG, Urt. v. 08.05.2003 - 7 C 15.02 - NVwZ 2003, 1252 Rn. 18).
92 
cc) Die Effektivität der Gefahrenabwehr spricht nur vordergründig für eine Inanspruchnahme des Klägers. Zwar greift das Betretungsverbot sofort, während eine Sicherung des Grundstücks durch Verfüllung der Hohlräume, die nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen ... technisch realisierbar ist und die sicherste Lösung zur Abwendung der Tagesbruchgefahr darstellt (Gutachten S. 23), einer längeren Erkundung und Vorbereitung bedarf. Allerdings sieht der Beklagte das Betretungsverbot als endgültigen Regelungszustand an. Daher muss der Schnelligkeitsaspekt in den Hintergrund treten, zumal auch ein temporäres Betretungsverbot bis zur endgültigen Sicherung denkbar gewesen wäre, welches der Kläger - wie auch die zunächst erlassene Allgemeinverfügung der Ortspolizeibehörde - möglicherweise akzeptiert hätte. Daher müssen einem vielleicht verbleibenden Restrisiko einzelner Geländeabsackungen die Nachteile eines dauerhaften Betretungsverbots, welches für den Kläger enteignungsgleiche Wirkung hat, gegenübergestellt werden. Denn die bloße Sperrung lässt ja die Gefahr vollständig bestehen und setzt darauf, dass das Betretungsverbot - letztlich bis zum vollständigen Verbruch der Stollen, unter Umständen also Jahrhunderte - eingehalten und kontrolliert wird. Angesichts dieser zeitlichen Dimension erscheint ein dauerhaftes Betretungsverbot als einzige Gefahrenabwehrmaßnahme sogar als vergleichsweise unsicher.
93 
dd) Eine Inanspruchnahme des Beigeladenen wäre auch nicht unverhältnismäßig. Der Kläger als Nichtstörer trägt keine Verantwortung für die bestehende Gefahr und hat nach § 55 PolG lediglich einen Anspruch auf angemessene Entschädigung, nicht jedoch auf vollen Schadenersatz (vgl. Belz/Mußmann, a.a.O., § 55 Rn. 3; Wolf/Stephan/Deger, a.a.O., § 55 Rn. 15). Der Beigeladene, der jedenfalls als Zustandsstörer polizeirechtlich verantwortlich ist, hat es demgegenüber über Jahrzehnte unterlassen, Sicherungsmaßnahmen zu treffen, obwohl er die Tagesbruchgefahr kannte und auch entsprechende Rückstellungen für Berg- und Folgeschäden gebildet hat.
III.
94 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Da der Beigeladene keinen Antrag gestellt hat und damit auch kein eigenes Kostenrisiko eingegangen ist, entspricht es der Billigkeit, dass er seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt.
95 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
96 
Beschluss vom 25. Oktober 2012
97 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 GKG auf 20.000,-- EUR festgesetzt.
98 
Gründe
99 
Der für die Festsetzung des Streitwerts maßgebliche Verkehrswert des klägerischen Grundstücks beläuft sich nach den nachvollziehbaren Feststellungen eines unabhängigen Sachverständigen auf etwa 20.000,-- EUR. Soweit der Kläger von einem deutlich höheren Grundstückswert ausgeht, den er mit 62.000,-- EUR beziffert, fehlt es schon im Ansatz an einer tragfähigen Begründung hierfür.
100 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
29 
Der Senat sieht keine Veranlassung, mit Blick auf den Schriftsatz des Beigeladenen vom 31.10.2012, in welchem dieser seine Rechtsauffassung hinsichtlich der Störereigenschaft des Klägers und des Vorliegens einer unmittelbar bevorstehenden Störung nochmals verdeutlicht, die mündliche Verhandlung nach § 104 Abs. 3 Satz 2 VwGO wieder zu eröffnen.
30 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Klage ist zulässig (I.) und begründet (II.). Das in Ziffer 1 der Verfügung des Regierungspräsidiums Freiburg vom 23.06.2008 angeordnete Betretungsverbot ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
31 
Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) zulässig. Insbesondere fehlt es nicht an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse. Zwar ist bei einem Erfolg der Klage die tatsächliche Erreichbarkeit des klägerischen Grundstücks noch nicht sichergestellt, da dieses nicht an einen öffentlichen Weg grenzt und für die umliegenden Grundstücke, die im Eigentum des Beigeladenen stehen, weiterhin ein Betretungsverbot gilt. Es erscheint jedoch nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Kläger gegenüber dem Beigeladenen einen Anspruch auf Einräumung eines Notwegerechts nach § 917 BGB hat und dass von der ca. 50 m südlich des klägerischen Grundstücks verlaufenden Steigstraße aus eine sichere Zuwegung geschaffen werden kann.
II.
32 
Die Klage ist auch begründet. Das auf die §§ 1, 3 und 9 PolG gestützte Betretungsverbot ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Zwar ist der Anwendungsbereich des Polizeigesetzes eröffnet (1.) und die Verfügung ist formell rechtmäßig (2.) und inhaltlich hinreichend bestimmt (3.). Der Kläger ist jedoch Nichtstörer (4.) und die Voraussetzungen des § 9 PolG für seine Inanspruchnahme als Nichtstörer liegen nicht vor (5.).
33 
1. Die polizeiliche Generalklausel (§§ 1, 3 PolG) ist als Ermächtigungsgrundlage anwendbar, obwohl es um die Bekämpfung der von einem Altbergwerk ausgehenden Gefahren geht. Ihre Anwendung ist nicht durch speziellere bergrechtliche Vorschriften gesperrt.
34 
Die Vorschriften des Bundesberggesetzes sind gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 BBergG vom 13.08.1980 (BGBl. I S. 1310) nicht anzuwenden auf Betriebe im Sinne des Absatzes 1, die bei Inkrafttreten des Gesetzes am 01.01.1982 bereits endgültig eingestellt waren. Die endgültige Einstellung eines Bergwerksbetriebs nach § 169 Abs. 2 Satz 1 BBergG beginnt, sobald die Errichtungs- und/oder Führungsphase mit der Absicht beendet wird, sie nicht wieder aufzunehmen. Sie endet nach der Durchführung des Abschlussbetriebsplans (BayVGH, Urt. v. 24.08.2010 - 8 BV 06.1795 - ZfB 2011, 114). Im Bergwerk Kahlenberg wurde der Bergbau im Jahr 1970 aufgegeben. Der Abschlussbetriebsplan vom 16.06.1970, der am 20.04.1971 zugelassen wurde, sah vor, die Hohlräume im Baufeld Stollen IV unverändert zu belassen, lediglich offene Stollenmundlöcher (Zugänge) sollten geschlossen werden. Zwar lässt sich den vorgelegten Bergakten nicht entnehmen, wann genau die Zugänge geschlossen wurden. Die Verfahrensbeteiligten konnten hierzu ebenfalls keine exakten Angaben machen. Es gibt aber keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass dies nicht zeitnah im Zusammenhang mit der Betriebseinstellung erfolgt ist. Daher ist von einer endgültigen Einstellung des Betriebs vor dem 01.01.1982 auszugehen.
35 
Auch Vorschriften des vor Inkrafttretens des Bundesberggesetzes anzuwendenden Badischen Berggesetzes vom 22.06.1890 in der Fassung der Bekanntmachung vom 17.04.1925 (Bad. GVBl. S. 103), zuletzt geändert durch Art. 1 des Dritten Gesetzes zur Änderung bergrechtlicher Vorschriften vom 08.04.1975 (GBl. S. 237) und § 69 Abs. 6 des Naturschutzgesetzes vom 21.10.1975 (GBl. S. 654; ber. 1976 S. 96), kommen nach der Einstellung des Bergwerksbetriebes nicht mehr als Ermächtigungsgrundlage in Betracht (vgl. Senatsurteil vom 29.03.2000 - 1 S 1245/99 - VBlBW 2000, 362 = NVwZ-RR 2000, 589 m.w.N.). Denn das Badische Berggesetz sieht keine Eingriffsbefugnisse bei stillgelegten Bergwerken vor, da § 144 Bad. BergG die Zuständigkeit der Bergpolizei und damit auch die Reichweite der Generalklausel des § 147 Bad. BergG auf „den Betrieb“ beschränkt. Der Begriff „Betrieb“ ist im Gesetz nicht definiert. Aus den §§ 60 ff. Bad. BergG ergibt sich jedoch, dass der Betrieb ein tatsächlicher Abbauvorgang ist, der zum Beispiel nach § 60 Abs. 3 Bad. BergG auch kurzfristig unterbrochen werden kann. Ein stillgelegtes Bergwerk ist daher kein Betrieb im Sinne der §§ 144 ff. Bad. BergG mehr.
36 
Die bergrechtlichen Vorschriften sind insoweit nicht abschließend, so dass daher die allgemeinen polizeirechtlichen Vorschriften Anwendung finden (Senatsurteil vom 29.03.2000 - 1 S 1245/99 - a.a.O.).
37 
2. Die Zuständigkeit des Regierungspräsidiums Freiburg ergibt sich aus § 1 Abs. 1 der auf § 66 Abs. 1 PolG gestützten Verordnung des Umweltministeriums über die Zuständigkeit für stillgelegte Bergwerke und andere künstliche Hohlräume vom 21.11.1994 (GBl. S. 669), zuletzt geändert durch Art. 120 der Verordnung vom 25.01.2012 (GBl. S. 65, 79). Danach ist das Regierungspräsidium Freiburg bei stillgelegten untertägigen Bergwerken und Bohrungen nach Maßgabe des § 2 zuständig für die Abwehr von Gefahren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird, und für die Beseitigung von Störungen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, soweit es im öffentlichen Interesse geboten ist.
38 
3. Die angefochtene Verfügung ist inhaltlich hinreichend bestimmt im Sinn des § 37 Abs. 1 LVwVfG. Hinreichend bestimmt ist ein Verwaltungsakt, wenn sowohl der Adressat, als auch - bei der Aufgabe eines Handelns, Duldens oder Unterlassens - das Ziel der geforderten Handlung so bestimmt ist, dass sie nicht einer unterschiedlichen subjektiven Beurteilung zugänglich ist. Es genügt insoweit, dass aus dem gesamten Inhalt des Verwaltungsakts und aus dem Zusammenhang, vor allem aus der von der Behörde gegebenen Begründung und aus den Beteiligten bekannten näheren Umständen des Erlasses im Wege einer an den Grundsätzen von Treu und Glauben orientierten Auslegung hinreichende Klarheit gewonnen werden kann (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl., § 37 Rn. 12 m.w.N.; BVerwG, Beschl. v. 03.02.1989 - 7 B 18.89 - NJW 1989, 1624). Hierbei ist entsprechend § 133 BGB auf den erklärten Willen aus der Sicht eines verständigen Empfängers abzustellen (Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 35 Rn. 71).
39 
Hier ergibt die Auslegung des angefochtenen Betretungsverbots, dass dem Kläger selbst das Betreten seines Grundstücks untersagt werden soll und dass es ihm darüber hinaus verboten sein soll, von seinem Eigentumsrecht nach § 906 BGB in der Weise Gebrauch zu machen, dass er anderen Personen das Betreten gestattet.
40 
Zwar lässt die Formulierung des Tenors der angefochtenen Verfügung („Das Grundstück darf nicht betreten werden“) zunächst mehrere Auslegungen denkbar erscheinen: Das Betretungsverbot könnte sich ausschließlich auf den Kläger als Grundstückseigentümer beziehen, es könnte sich an jedermann richten und damit eine Allgemeinverfügung i.S.d. § 35 Satz 2 Alt. 3 LVwVfG darstellen oder die Verfügung könnte so auszulegen sein, dass sie neben dem an den Kläger gerichteten Verbot ihm gegenüber auch die Verpflichtung enthält, sein Eigentumsrecht dahingehend auszuüben, Dritten das Betreten nicht zu gestatten.
41 
Entscheidend gegen eine Deutung als Allgemeinverfügung spricht jedoch bereits der dem Tenor vorangestellte Einleitungssatz („Für dieses Grundstück wird Ihnen gegenüber angeordnet“) und der Umstand, dass allein der Kläger Adressat der Verfügung ist.
42 
Auf der anderen Seite würde ein ausschließlich an den Kläger als Grundstückseigentümer gerichtetes Betretungsverbot dem Ziel des Bescheids, wie es sich auch aus der Begründung ergibt, nicht gerecht werden. Denn vor dem Hintergrund der in der Begründung beschriebenen Gefahrenlage zielt das Vorgehen des Regierungspräsidiums darauf ab, dass niemand mehr das Grundstück betreten soll. Nach seinem Sinn und Zweck kann das Betretungsverbot daher nur in dem Sinn ausgelegt werden, dass es dem Kläger verboten sein soll, von seinem Eigentumsrecht nach § 906 BGB in der Weise Gebrauch zu machen, dass er anderen Personen das Betreten gestattet. Für dieses Verständnis spricht auch der Hinweis in der Begründung, eventuelle Miet- oder Pachtverträge seien zu kündigen. Offenbar hat der Kläger den Bescheid auch ohne weiteres dahingehend verstanden, dass er selbst das Grundstück nicht betreten und auch Dritten das Betreten nicht gestatten darf.
43 
4. Zutreffend ist der Beklagte davon ausgegangen, dass der Kläger mangels polizeirechtlicher Verantwortlichkeit als Zustands- oder Verhaltensstörer Nichtstörer ist.
44 
a) Der Kläger ist nicht als Grundstückseigentümer Zustandsstörer gemäß § 7 Abs. 1 PolG. Nach dieser Vorschrift hat die Polizei Maßnahmen gegenüber dem Eigentümer der Sache, deren Zustand die öffentliche Sicherheit bedroht, zu treffen.
45 
Das Verwaltungsgericht hat die Verantwortlichkeit des Klägers als Zustandsstörer mit der Begründung bejaht, der Untergrund gehöre zum Grundstück des Klägers und die Hohlräume dort führten ohne weitere Zwischenschritte zu der Tagesbruchgefahr (ebenso VG Braunschweig, Beschl. v. 08.10.2008 - 2 B 174/08 - ZfB 2009, 207 <210>).
46 
Die Annahme, dass das Altbergwerk Teil des klägerischen Grundstücks geworden sei, ist jedoch unzutreffend. Zwar erstreckt sich das Grundstückseigentum gemäß § 905 Satz 1 BGB grundsätzlich auch auf den Erdkörper unter der Oberfläche. Das Bergwerkseigentum ist davon jedoch gerade nicht erfasst. Das Bergwerkseigentum war auch unter dem Badischen Berggesetz als eigentumsgleiches Recht ausgestaltet (§ 42 Bad. BergG; ebenso nunmehr § 9 Abs. 1 BBergG). Die einzelnen Stollen stellen daher wesentliche Bestandteile des Bergwerkseigentums dar, dagegen sind sie lediglich Scheinbestandteile an dem Grundstück. Abhängig von dem genauen rechtlichen Schicksal des Bergwerks befindet sich dieses daher entweder im Eigentum des Beigeladenen oder des Landes (vgl. NdsOVG, Urt. v. 19.10.2011 - 7 LB 57/11 - UPR 2012, 149; OVG NRW, Beschl. v. 08.12.2005 - 11 A 2436/02 - ZfB 2006, 61 <65 <; VG Braunschweig, Urt. v. 19.10.2006 - 1 A 267/04 - ZfB 2007, 32 <34> und Beschl. v. 08.10.2008 - 2 B 174/08 - ZfB 2009, 207 <210>). In jedem Fall sind die Stollen des Altbergwerks nicht Bestandteil des klägerischen Grundstücks geworden.
47 
Die Gefahr geht auch nicht von dem Grundstück, sondern von der Instabilität der Stollen darunter aus. Sie wird von dem Grundeigentum des Klägers lediglich weitergeleitet.
48 
Bereits der Wortlaut des § 7 Abs. 1 PolG, nach dem die Gefahr von dem Zustand der Sache ausgehen muss, legt nahe, dass es nicht ausreicht, wenn eine Sache nur von einer Gefahr, die von dem Eigentum darunter ausgeht, betroffen ist. Ebenso spricht der auch für den Zustandsstörer geltende Grundsatz der unmittelbaren Verursachung (vgl. Wolf/Stephan/Deger, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 6. Aufl., § 7 Rn. 5; Belz/Mußmann, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 7. Aufl., § 7 Rn. 5) gegen eine Inanspruchnahme des Klägers. Danach trifft den Eigentümer keine Polizeipflicht, wenn sein Eigentum ohne sein Zutun als Mittel verwendet wird, aber nicht per se eine Quelle von Gefahren bildet (Wolf/Stephan/Deger, a.a.O.). Hier ist der einzige Verursachungsbeitrag des Grundstücks seine bloße Existenz. Eine Gefahr erwächst daraus erst durch den Zustand der darunter liegenden künstlichen Hohlräume. Dagegen ließe sich einwenden, dass der gefährliche Zustand seine Ursache von außerhalb hat, aber in der Kausalkette am nächsten an einer Rechtsgutsverletzung liegt. Hintergrund für die Zurechnung ist jedoch die Wertung, dass der Eigentümer der Gefahr zumindest näher steht als die Allgemeinheit. Entsprechend ist Anknüpfungspunkt auch dessen (zumindest normative) Sachherrschaft über und Einflussmöglichkeit auf die gefährliche Sache und die sich daraus ergebende Pflicht, für die Störungsfreiheit zu sorgen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 31.07.1998 - 1 B 229.97 - NJW 1999, 231). So entfällt die Störereigenschaft nicht nur bei Diebstahl der Sache, sondern auch, wenn die Sache – etwa durch Naturschutzrecht – der Allgemeinheit genauso zur Verfügung steht wie dem Eigentümer. Diese Einwirkungsmöglichkeit fehlt aber gerade in dem vorliegenden Fall, in dem der Eigentümer die Gefahr nicht verursacht hat und auch nicht verhindern, sondern ihr nur ausweichen kann, indem er sein eigenes Grundstück nicht mehr betritt. In diesem Sinne hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in einem Fall, in dem Felsgestein von einem Grundstück auf die unterhalb gelegenen Grundstücke zu stürzen drohte, die Inanspruchnahme der bedrohten Grundeigentümer als Zustandsstörer ausgeschlossen (BayVGH, Beschl. v. 26.09.1995 - 21 B 95.1527 - BayVBl. 1996, 437; bestätigt durch BVerwG, Beschl. v. 31.07.1998 - 1 B 229.97 - a.a.O.; ebenso OVG Rheinl.-Pf., Urt. v. 01.10.1997 - 11 A 12542/96 - NJW 1998, 625; implizit auch bei Tagesbrüchen OLG Hamm, Urt. v. 26.10.2001 - 11 U 44/01 - ZfB 2002, 216 <220>, ebenso die Vorinstanz: LG Essen, Urt. v. 16.11.2000 - 4 O 494/99 - ZfB 2001, 230; VG Gelsenkirchen, Urt. v. 03.03.2005 - 8 K 2655/42 - ZfB 2005, 234 <239>). Vorliegend kann entgegen der Auffassung des Beigeladenen nichts anderes gelten. Die vom Beigeladenen angeführte Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (Urt. v. 11.10.1985 - 5 S 1738/85 - NVwZ 1986, 325) betraf eine nicht vergleichbare Fallgestaltung. Entscheidend für die Inanspruchnahme des Grundstückseigentümers als Zustandsstörer war dort, dass die Schadstoffe, die das Erdreich unter dem Grundstück verseucht und schließlich zu Verunreinigungen des Grundwassers geführt hatten, nach den Feststellungen des Gerichtshofs aus dem betreffenden Grundstück stammten. Zwar konnte die Gefahr zum Zeitpunkt des behördlichen Einschreitens nur noch durch auf das Grundwasser bezogene Maßnahmen beseitigt werden, die Gefahrenquelle war jedoch das Grundstück des dortigen Klägers.
49 
b) Der Kläger kann auch nicht als Verhaltensstörer in Anspruch genommen werden.
50 
Verhaltenshaftung im Sinne von § 6 Abs. 1 PolG bedeutet Verantwortlichkeit für die Verursachung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bzw. von Störungen dieser Schutzgüter durch menschliches Verhalten. Verhaltensstörer im polizeirechtlichen Sinne ist nur derjenige, dessen Verhalten die eingetretene Störung unmittelbar verursacht, also selbst im konkreten Fall die polizeiliche Gefahrengrenze überschreitet. Wann dies der Fall ist, kann nicht generell, sondern nur anhand einer wertenden Betrachtung der Umstände des Einzelfalls bestimmt werden, wobei danach zu fragen ist, wer die eigentliche und wesentliche Ursache für den polizeiwidrigen Erfolg gesetzt hat. Nur durch diese wertende Betrachtung des Verhältnisses zwischen dem Zurechnungsgrund und der Gefahr lässt sich ermitteln, ob eine unmittelbare Verursachung im Sinne eines hinreichend engen Wirkungs- und Verantwortungszusammenhanges zwischen der Gefahr oder der Störung und dem Verhalten der Person vorliegt, die deren Pflichtigkeit als zumutbar rechtfertigt (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 30.07.2002 - 10 S 2153/01 - juris m.w.N.; ähnlich Wolf/Stephan/Deger, a.a.O., § 6 Rn. 8; Würtenberger/Heckmann, Polizeirecht in BW, 6. Aufl., Rn. 444 f.).
51 
Hier geht die Tagesbruchgefahr vom Zustand der Abbaukammern des Altbergwerks aus. Zwar leistet auch der Kläger, wenn er sein Grundstück betritt oder Dritten das Betreten gestattet, durch sein Verhalten einen kausalen Beitrag für die mit dem Betretungsverbot bekämpfte Gefahr. Eine Gefahr für Leib und Leben kann sich nur realisieren, wenn sich Personen auf dem gefährdeten Grundstück aufhalten. Mit dem Betreten und Bewirtschaften des eigenen Grundstücks macht der Kläger jedoch, ohne gegen strafrechtliche oder öffentlich-rechtliche Verbots- oder Gebotsnormen zu verstoßen, lediglich von seinen Befugnissen als Grundstückseigentümer Gebrauch, ohne den eigenen Rechtskreis zu verlassen. Der Aufenthalt auf dem Grundstück ist auch nicht aufgrund natürlicher Gegebenheiten gefährlich, vielmehr geht die Gefahr auf - ebenfalls kausale - Verursachungsbeiträge Dritter zurück (Erzbergbau ohne hinreichende Sicherung der im Zuge des Abbaus geschaffenen künstlichen Hohlräume). Das bloße Betreten erhöht auch nicht die Gefahr eines Tagesbruchs, sondern lediglich die Gefahr, dass bei einem Tagesbruch Menschen zu Schaden kommen. Der sein Grundstück im Einklang mit der Rechtsordnung nutzende Kläger ist daher selbst „Gestörter“ und nicht Störer (vgl. Würtenberger/Heckmann, a.a.O., Rn. 432). Dementsprechend wird in der Rechtsprechung bei der Gefahr von Felsstürzen ausschließlich der Eigentümer des Felsgrundstücks als Störer angesehen, nicht jedoch die Eigentümer der gefährdeten Grundstücke (vgl. OVG Rheinl.-Pf., Urt. v. 01.10.1997 - 11 A 12542/96 - NJW 1998, 625 m.w.N.; BayVGH, Beschl. v. 26.09.1995 - 21 B 95.1527 - BayVBl 1996, 437).
52 
5. Die Voraussetzungen des § 9 PolG für die Inanspruchnahme des Klägers als Nichtstörer liegen nicht vor.
53 
Nach § 9 Abs. 1 PolG kann die Polizei gegenüber anderen als den in den §§ 6 und 7 bezeichneten Personen ihre Maßnahmen nur dann treffen, wenn auf andere Weise eine unmittelbar bevorstehende Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nicht verhindert oder eine bereits eingetretene Störung nicht beseitigt werden kann, insbesondere wenn die eigenen Mittel der Polizei nicht ausreichen oder wenn durch Maßnahmen nach den §§ 6 bis 8 ein Schaden herbeigeführt würde, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht. Maßnahmen gegenüber dem Nichtstörer dürfen nach § 9 Abs. 2 PolG nur aufrechterhalten werden, solange die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen.
54 
a) Hier liegt zwar eine ein polizeiliches Einschreiten nach den §§ 1, 3 PolG gegenüber dem Störer rechtfertigende konkrete Gefahr, nicht aber eine unmittelbar bevorstehende Störung der öffentlichen Sicherheit, die ein Einschreiten gegenüber dem Nichtstörer rechtfertigen würde, vor.
55 
aa) Nach der polizeilichen Generalklausel (§§ 1, 3 PolG) hat die Polizei die Aufgabe, von dem Einzelnen und dem Gemeinwesen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird, und Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu beseitigen, soweit es im öffentlichen Interesse geboten ist. Dabei hat die Polizei innerhalb der durch das Recht gesetzten Schranken zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben diejenigen Maßnahmen zu treffen, die ihr nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlich erscheinen.
56 
Ein Tätigwerden zum Zwecke der Gefahrenabwehr setzt eine konkrete Gefahr voraus. Eine solche liegt vor, wenn bei bestimmten Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen nach allgemeiner Lebenserfahrung oder fachlichen Erkenntnissen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden für die polizeilichen Schutzgüter im Einzelfall, d.h. eine konkrete Gefahrenlage, einzutreten pflegt. Dabei hängt der zu fordernde Wahrscheinlichkeitsgrad von der Bedeutung der gefährdeten Rechtsgüter sowie dem Ausmaß des möglichen Schadens ab. Geht es um den Schutz besonders hochwertiger Rechtsgüter, wie etwa Leben und Gesundheit von Menschen, so kann auch die entferntere Möglichkeit eines Schadenseintritts ausreichen (vgl. BVerwG, Urt. v. 03.07.2002 - 6 CN 8.01 - BVerwGE 116, 347; Senatsurteile vom 15.11.2007 - 1 S 2720/06 - VBlBW 2008, 134 und vom 12.07.2010 - 1 S 349/10 - VBlBW 2010, 468).
57 
Die auf die Gefahrenabwehr zielende polizeiliche Generalklausel deckt hingegen keine Maßnahmen der Gefahrenvorsorge. Schadensmöglichkeiten, die sich deshalb nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wissensstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können, begründen keine Gefahr, sondern lediglich einen Gefahrenverdacht oder ein "Besorgnispotenzial" (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.12.1985 - 7 C 65.82 - BVerwGE 72, 300 <315>). Das allgemeine Gefahrenabwehrrecht bietet keine Handhabe, derartigen Schadensmöglichkeiten im Wege der Vorsorge zu begegnen (BVerwG, Urt. v. 03.07.2002, a.a.O.).
58 
Für die Inanspruchnahme des Klägers als Nichtstörer bedarf es nicht nur einer konkreten Gefahr, sondern einer unmittelbar bevorstehenden Störung. Der Begriff der „unmittelbar bevorstehenden Störung“ stellt strenge Anforderungen sowohl an die zeitliche Nähe als auch an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, weil polizeiliche Notstandsmaßnahmen in die Rechte unbeteiligter Dritter eingreifen. Eine unmittelbar bevorstehende Störung liegt nach ständiger Rechtsprechung nur dann vor, wenn der Eintritt der Störung nach allgemeiner Erfahrung sofort oder in allernächster Zeit bevorsteht und als gewiss anzusehen ist, falls nicht eingeschritten wird (Senatsurteile vom 28.08.1986 - 1 S 3241/85 - NVwZ 1987, 237 = VBlBW 1987, 183 und vom 15.06.2005 - 1 S 2718/04 - NJW 2006, 635 m.w.N.; Würtenberger/Heckmann, a.a.O., Rn. 415). Der Begriff der unmittelbar bevorstehenden Störung deckt sich mit dem in anderen Polizeigesetzen verwendeten Begriff der gegenwärtigen Gefahr (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.02.1974 - I C 31.72 - BVerwGE 45, 51 ; OVG Hamburg, Beschl. v. 13.04.2012 - 4 Bs 78/12 - NJW 2012, 1975).
59 
Die polizeiliche Gefahr ist eine auf Tatsachen gegründete prognostische Einschätzung über einen künftigen Geschehensverlauf, wobei die Tatsachen pflichtgemäß aufzuklären sind. Die Gefahr muss im Zeitpunkt der Entscheidung über die zu ergreifende polizeiliche Maßnahme vorliegen; es ist also beim polizeilichen Eingriff grundsätzlich die ex ante-Sicht entscheidend. Da es sich bei dem hier angeordneten Betretungsverbot jedoch nicht um eine vorläufige Maßnahme, sondern um einen unbefristet Geltung beanspruchenden Dauerverwaltungsakt handelt, ist für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen (vgl. Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 113 116 m.w.N.).
60 
bb) Daran gemessen ist der Senat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass beim Betreten des klägerischen Grundstücks eine konkrete Gefahr für Leib und Leben der das Grundstück betretenden Personen, nicht jedoch eine unmittelbar bevorstehende Störung gegeben ist.
61 
Das Gutachten des vom Verwaltungsgericht beauftragten Sachverständigen ... kommt in nachvollziehbarer Weise zu dem Ergebnis, dass auf wesentlichen Teilen des klägerischen Grundstücks die Gefahr von Tagesbrüchen besteht, weil die Stollen unter dem Grundstück in verschiedenen Bereichen instabil sind und zu erwartende Verbrüche sich mangels ausreichender Mächtigkeit des Deckgebirges nicht im Fels totlaufen, sondern sich an der Erdoberfläche als Tagesbrüche manifestieren werden. Dieses Ergebnis wird gestützt durch das ...Gutachten und die vom sachverständigen Zeugen ... hierzu in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gegebenen Erläuterungen sowie durch die Angaben des Zeugen ...
62 
(1) Der Sachverständige ... greift auf Archivmaterial, zwei Bohrungen in der Nähe des Grundstücks und eine Befahrung der Stollen unterhalb des Grundstücks zurück. Bei der Befahrung hat der Gutachter an mehreren Stellen Verbrüche, also Absprengungen von der Decke, festgestellt. Weiter hat er festgestellt, dass in keiner Abbaukammer unter dem Grundstück eine First- oder Stoßsicherung besteht und dass ehemals vorhandene Sicherungen aus Holz mittlerweile verrottet sind. Die Zusammensetzung des Deckgesteins, auf die der Gutachter durch Literaturquellen und zwei nahegelegene Bohrungen geschlossen hat, wird als wenig standfest beschrieben, was es notwendig gemacht habe, beim Abbau eine ca. 1,5 m dicke Erzschicht zur Stabilisierung stehen zu lassen. Wie der Gutachter in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erläutert hat, wurde diese Sicherheitsmaßnahme jedoch nicht überall eingehalten. Zum Teil sei diese Schicht schon vollständig verbrochen. Das ausweislich der herangezogenen Quellen während der Abbauzeit aufgetretene Phänomen der „Sargdeckelbildung“, d.h. des Sich-Ablösens größerer Platten von der Decke, deute darauf hin, dass die Erzschicht kleinteiliger zerklüftet, also segmentiert sei, als die Breite der Gänge. Dies erhöhe die Gefahr einer sehr raschen Tagesbruchentstehung.
63 
Die Auswirkungen von Brüchen auf die Oberfläche modelliert das Gutachten ... mit dem gängigen Hohlraum-Bruchmassen-Modell. Die verwendete Formel berücksichtigt zum einen, dass das gebrochene Material eine geringere Dichte aufweist und sich ein Bruch schließlich „totläuft“. Zum anderen prognostiziert das Modell die Menge an Material, die zur Seite hin verdrängt wird. Die Modellrechnung ergab, dass sich an mehreren Stellen ein etwaiger Einbruch im Stollen bis zur Oberfläche fortsetzen wird (Anlage 5 zum Gutachten).
64 
In den mündlichen Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht und dem Senat hat der Sachverständige ... nachvollziehbar erläutert, dass - über die Ausführungen in seinem Gutachten und die dort angestellte Modellrechnung hinausgehend - auch über den Abbaukammern C und D eine Tagesbruchgefahr bestehe, da die dortige Zwischenwand nicht mächtig genug und - auch aufgrund der dort verlaufenden Störungszone - instabil sei. Bei dieser unter dem Grundstück von Nordost nach Südwest verlaufenden Störung handelt es sich um eine Zone, in der die Festigkeit des Gebirges herabgesetzt ist und die Schichten einen Versatz aufweisen (Gutachten S. 11).
65 
Gefahrerhöhend wirkt sich, worauf der Sachverständige ebenfalls zu Recht hingewiesen hat, die Lage des Grundstücks in einer Erdbebenzone aus.
66 
Der Tagesbruch vom Februar 2008 erlaubt ebenfalls Rückschlüsse auf die Tagesbruchgefahr auf dem klägerischen Grundstück, weil die geologischen Verhältnisse vergleichbar sind und die vom Kläger geäußerte Vermutung, dieser Tagesbruch sei aufgrund eines Wassereinbruchs infolge der mangelhaften Wartung einer in der Nähe befindlichen Quelle entstanden, in den vom Sachverständigen getroffenen Feststellungen keine Stütze findet. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Sachverständige ... hierzu erklärt, es sei klar, dass beim Auftreten einer Öffnung an der Erdoberfläche von dort aus Wasser in tiefere Schichten eindringen könne. Damit sei jedoch nicht gesagt, dass das Wasser auch für die Tagesbruchentstehung verantwortlich sei.
67 
(2) Das vom Beigeladenen in Auftrag gegebene ...Gutachten kommt im Ergebnis zu vergleichbaren Einschätzungen. Es erfasst das gesamte gefährdete Gebiet, wobei ein Schwerpunkt auf der Untersuchung der Frage lag, ob und unter welchen Bedingungen die ca. 50 m südlich des klägerischen Grundstücks am Rande des gesperrten Gebiets in West-Ost Richtung verlaufende Steigstraße wieder für den Verkehr freigegeben werden kann. Das Gutachten teilt das Gebiet in verschiedene Einwirkungsklassen ein: Der Bereich der Einwirkungsklasse 3 (geringe Tagesbruchgefahr) kann ohne Einschränkungen betreten werden, auf Gebieten der Einwirkungsklasse 2 (Tagesbruchgefahr wahrscheinlich vorhanden) halten die Gutachter eine eingeschränkte landwirtschaftliche Nutzung ohne Maschineneinsatz für vertretbar, Gebiete der Einwirkungsklasse 1 (Tagesbruchgefahr mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhanden) sollen gar nicht mehr betreten werden. Das Deckgebirge unter dem Grundstück wird ähnlich wie im Gutachten ... als „gebräches Mergel/Kalksandsteinpaket“ bezeichnet, das nicht in der Lage sei, langfristig ein tragendes Stützgewölbe auszubilden. Durch Wasserzutritt von der Oberfläche könne sich die Schicht komplett entfestigen.
68 
Die im östlichen Winkel des Grundstücks gelegenen Kammern 7 - 11 (Kammern D - H bei ...) wurden im Abschlussbericht vom 30.09.2010 als so sicher angesehen, dass eine Nutzungseinschränkung nicht erforderlich sei. Begründet wurde dies mit der geringen Höhe der Kammern und der stabilisierenden Erzschicht. In der revidierten Fassung vom 11.03.2011 wurde dieses Gebiet in die Einwirkungsklasse 2 hochgestuft. Der sachverständige Zeuge ... hat dies in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nachvollziehbar damit erklärt, dass der Einschätzung vom 30.09.2009, auf der der Abschlussbericht vom 30.09.2010 basierte, eine erste Grubenbefahrung zugrunde lag. Aufgrund einer weiteren Befahrung seien die Einwirkungsklassen neu festgelegt worden. Darauf beruhe der Plan vom 30.09.2010, der erst in der revidierten Fassung des Abschlussberichts vom 11.03.2011 berücksichtigt worden sei.
69 
(3) Das Gutachten ... und das ...Gutachten in der revidierten Fassung stimmen danach sowohl hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen als auch hinsichtlich der Schlussfolgerungen im Wesentlichen überein. Beide sehen das Gebiet als instabil an, beide halten Tagesbrüche für möglich, beide sehen die Möglichkeit der Entfestigung des Deckgebirges durch Wasser und damit auch größerer und tieferer Tagesbrüche als bei der Berechnung nach dem Hohlraum-Bruchmassen-Modell. Und schließlich können beide Gutachter keine belastbaren Aussagen dazu treffen, wann sich die Tagesbruchgefahr realisieren wird. Dies deckt sich mit der Einschätzung des als Zeuge vernommenen früheren technischen Betriebsleiters der Deponie, der ebenfalls davon ausgeht, dass die Abbaukammern nicht dauerhaft standsicher sind und die Gefahr von Tagesbrüchen besteht.
70 
(4) Aufgrund der Beweisaufnahme kommt der Senat zu dem Schluss, dass beim Betreten des klägerischen Grundstücks eine konkrete Gefahr für Leib und Leben der das Grundstück betretenden Personen gegeben ist.
71 
Die Bewertung einer Wahrscheinlichkeit als Gefahr im polizeirechtlichen Sinne ist grundsätzlich nicht mehr Aufgabe der Gutachter, sondern des Gerichts. Diese Aufgabe wird dadurch erschwert, dass kein Sachverständiger zu sagen vermag, innerhalb welchen Zeitraums es mit welcher Wahrscheinlichkeit zu einem wie großen und gefährlichen Tagesbruch kommen wird.
72 
Bei der Bewertung ist zu beachten, dass mit dem Leben und der körperlichen Unversehrtheit hochrangige Rechtsgüter auf dem Spiel stehen, die auch geringe Eintrittswahrscheinlichkeiten ausreichen lassen. Unerheblich ist demgegenüber für die Bestimmung des Grades der Gefahr, dass es sich nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen ... um eine Dauergefahr handelt, die sich nicht mit der Zeit verringert, sondern sich vielmehr nach Jahren trügerischer Ruhe auch in 100 Jahren noch realisieren kann. Denn die Dauergefahr ist keine eigenständige Gefahrenart, vielmehr gelten für sie die allgemeinen Anforderungen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit und der zeitlichen Nähe des Schadenseintritts (Belz/Mußmann, a.a.O., § 1 Rn. 49 a).
73 
Die völlige Ungewissheit auf der Zeitachse schließt die Annahme einer unmittelbar bevorstehenden Störung im Sinn des § 9 Abs. 1 PolG aus. Auch wenn sich ein Tagesbruch jederzeit ohne Vorwarnung ereignen kann, ist es nicht hinreichend wahrscheinlich, dass ein solcher in allernächster Zeit auf dem klägerischen Grundstück auftreten und dabei einen Menschen an Leib oder Leben gefährden wird.
74 
Auf der anderen Seite handelt es sich nicht lediglich um eine „latente Gefahr“ oder ein ohne weiteres hinnehmbares Restrisiko. Zwar legen oberflächennahe Bergbautätigkeiten im Ausgangspunkt die Annahme einer „latenten Gefahr“ nahe. Dies gilt insbesondere für Bergwerke, die - wie der Kahlenberg - nicht nach dem Stand der Technik abgesichert wurden. Gibt es indes Hinweise, dass sich die Gefahr konkretisiert, so schlägt die latente in die ein polizeiliches Einschreiten rechtfertigende konkrete Gefahr um (vgl. OVG NRW, Urt. v. 13.09.1995 - 21 A 2273/91 - ZfB 1995, 322 <327>). Daran gemessen ist hier bei der erforderlichen Gesamtschau von einer konkreten Gefahr auszugehen. Dafür spricht bereits, dass sich die latente Gefahr nur 45 m von der Grenze des klägerischen Grundstücks entfernt bereits realisiert hat und dass die geologischen Bedingungen dort mit denen auf dem klägerischen Grundstück vergleichbar sind. Hinzu kommen als gefahrerhöhende Umstände die Lage des Grundstücks in der Erdbebenzone 1 und die infolge der unter dem Grundstück verlaufenden Störung herabgesetzte Festigkeit des Deckgebirges.
75 
cc) Eine konkrete Gefahr kann nicht unter dem Aspekt der freiwilligen Selbstgefährdung verneint werden. Zwar ist im Grundsatz anerkannt, dass die Polizei nicht gegen bewusste Selbstgefährdungen einschreiten darf (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.07.1997 - 8 S 2683/96 - NJW 1998, 2235 = VBlBW 1998, 25 m.w.N.). Begründet wird dies teilweise damit, dass es in einem solchen Fall an einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder an einem öffentlichen Interesse für ein behördliches Eingreifen fehle. Überwiegend wird jedoch damit argumentiert, dass Art. 2 Abs. 1 GG in gewissen Grenzen ein Recht auf Selbstgefährdung gebe.
76 
Voraussetzung für die Annahme einer nicht zu einem polizeilichen Einschreiten berechtigenden Selbstgefährdung ist allerdings, dass sich die Betroffenen freiwillig und in Kenntnis der Sachlage der Gefahr aussetzen. Dies wäre bei allen Personen der Fall, die erkennen, dass ihnen mit einer gewissen, nicht näher bestimmbaren Wahrscheinlichkeit in diesem Gebiet der Boden unter den Füßen wegbrechen kann, also insbesondere bei dem Kläger selbst.
77 
Das innerhalb bestimmter Grenzen anzuerkennende Recht auf Selbstgefährdung kann einem staatlichen Verbot jedoch nur dann entgegengehalten werden, wenn mit der betreffenden Tätigkeit nicht zugleich eine Gefahr für andere Personen verbunden ist (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.07.1997 - 8 S 2683/96 - a.a.O.; Senatsurteil vom 22.07.2004 - 1 S 410/03 - juris Rn. 39). Hier steht der Annahme einer bloßen Selbstgefährdung bei Betreten des Grundstücks entgegen, dass jeder, der in einen Tagesbruch stürzt, um Hilfe rufen und damit unbeteiligte Dritte zu Rettungsmaßnahmen veranlassen wird. Da das Grundstück nur etwa 50 m von einem öffentlichen Weg entfernt liegt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass tatsächlich jemand zur Hilfe eilt und sich angesichts des unsicheren Kraterrands in Gefahr begeben muss, nicht viel geringer als die Wahrscheinlichkeit, dass es überhaupt zu einem Unfall kommt. Insofern liegt selbst bei einem Betreten allein durch den Kläger keine ausschließliche Selbstgefährdung vor, die einem polizeilichen Einschreiten entgegenstehen würde. In diesem Zusammenhang kann auch nicht außer Betracht bleiben, dass die potenziellen Helfer keine professionell ausgebildeten Rettungskräfte, sondern zufällig vorbeikommende Passanten sind, die mit den spezifischen Risiken eines Tagesbruchs kaum vertraut sein dürften und diese Risiken bei der Rettung in keiner Weise überblicken können. Selbst wenn ihnen bekannt wäre, dass in dem Gebiet grundsätzlich die Gefahr eines Tagesbruchs besteht, folgt daraus nicht, dass sie die Gefährlichkeit einer Rettungsaktion zutreffend einschätzen können.
78 
Auch das Betreten durch den Kläger selbst würde also Leben und Gesundheit unbeteiligter Dritter gefährden, so dass eine konkrete Gefahr, die zu einem polizeilichen Einschreiten berechtigt, nicht unter dem Aspekt der freiwilligen Selbstgefährdung verneint werden kann.
79 
b) Das Betretungsverbot kann auch deshalb nicht auf § 9 PolG gestützt werden, weil es auf unbefristete Dauer Geltung beanspruchen soll und eine Inanspruchnahme des Störers überhaupt nicht beabsichtigt ist. Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergibt sich, dass dem Nichtstörer nur das zur Gefahrenabwehr sachlich Unumgängliche aufgegeben werden darf. Deshalb sind Maßnahmen, die sich länger auswirken, grundsätzlich von vornherein zeitlich zu begrenzen (Belz/Mußmann, a.a.O., § 9 Rn. 7; Wolf/Stephan/Deger, a.a.O., § 9 Rn. 21). Zudem dürfen Maßnahmen gegenüber dem Nichtstörer nach § 9 Abs. 2 PolG nur aufrechterhalten werden, solange die unmittelbar bevorstehende Gefahr fortbesteht und ihre Abwehr weiterhin auf andere Weise nicht möglich ist.
80 
Hier ist ausweislich des Gutachtens ..., dem der Senat auch in diesem Punkt folgt, die sicherste Lösung zur Abwendung der Tagesbruchgefahr eine Vollsicherung der Hohlräume unter dem klägerischen Grundstück mit einem hydraulisch abbindenden Material (Gutachten S. 23). Eine solche Maßnahme könnte der Beklagte dem Beigeladenen als polizeirechtlich Verantwortlichem auch aufgeben. Der Beigeladene ist jedenfalls als Zustandsstörer nach § 7 PolG (aa), möglicherweise auch als Verhaltensstörer nach § 6 PolG (bb) polizeirechtlich verantwortlich. Auch der Grundsatz der Effektivität der Gefahrenabwehr gebietet nicht die Anordnung eines dauerhaften Betretungsverbots gegenüber dem Kläger (cc). Schließlich würde die Inanspruchnahme des Beigeladenen diesen nicht unverhältnismäßig belasten (dd).
81 
aa) Als Inhaber der Bergbaukonzession war der Beigeladene Verfügungsberechtigter. Woraus sich nach Erlöschen der Konzession die Verfügungsberechtigung, von der die Verfahrensbeteiligten ausgehen, ergibt, ist unklar. Jedenfalls ist der Beigeladene weiterhin Inhaber der tatsächlichen Gewalt über das Altbergwerk und daher Zustandsstörer nach § 7 2. Alt. PolG:
82 
In § 1 des Konzessionsvertrags von 1937 räumte das Land Baden den Rohstoffbetrieben der Vereinigten Stahlwerke GmbH kein Bergwerkseigentum, sondern lediglich die Berechtigung zur Ausbeutung von Eisenerzen ein (vgl. § 2 Abs. 1 Bad. BergG: „Es kann [zur Ausbeutung von Eisenerzen] seitens des Finanzministeriums an Einzelne oder Gemeinschaften eine Konzession erteilt werden“). Das Bergwerkseigentum blieb nach § 39 b Bad. BergG beim Land Baden. Es konnte, und dies war nach § 1 des Konzessionsvertrags auch beabsichtigt, lediglich das Bergwerkseigentum nach § 39 c Bad. BergG „in der Weise belastet werden, dass der, zu dessen Gunsten die Belastung erfolgt, auf Zeit das vererbliche und veräußerliche Recht erhält, die in § 2 bezeichneten Mineralien […] aufzusuchen und zu gewinnen“. Dieses Gewinnungsrecht sollte nach § 39 c Abs. 1 Bad. BergG zeitlich beschränkt im Wesentlichen wie Bergwerkseigentum behandelt werden. § 42 Abs. 2 Bad. BergG erklärt die sich auf Grundstücke beziehenden Vorschriften des BGB für entsprechend anwendbar. Damit ist das Gewinnungsrecht genauso Eigentum im polizeirechtlichen Sinne wie dies für das Bergwerkseigentum allgemeine Meinung ist (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 08.12.2005 - 11 A 2436/02 - ZfB 2006, 61 <64> m.w.N).
83 
Die Konzession wurde gemäß § 2 des 2. Nachtrags vom 12.08.1968 bis zum 31.12.1997 verlängert. Aus § 7 des notariellen Kaufvertrags vom 04.09.1972 ergibt sich, dass der Beigeladene alle Rechte und Pflichten aus dem Konzessionsvertrag vom Landkreis Lahr, der die Konzession seinerseits von der ...... GmbH, der Rechtsnachfolgerin der Rohstoffbetriebe der Vereinigten Stahlwerke GmbH, gekauft hatte, übernehmen soll. Mit Wirksamkeit dieses Vertrages hat der Beigeladene die Verfügungsgewalt erlangt.
84 
Nach Erlöschen der Konzession ist der Beigeladene jedenfalls als Inhaber der tatsächlichen Gewalt Störer nach § 7 2. Alt. PolG. Ob daneben auch eine Verantwortlichkeit des beklagten Landes als Bergwerkseigentümer besteht, kann offen bleiben.
85 
bb) Daneben dürfte der Beigeladene auch Verhaltensstörer nach § 6 PolG sein. Zwar hat er selbst in dem fraglichen Teil des Bergwerks nie selbst Erz abgebaut und auch sonst - soweit ersichtlich - keine gefahrerhöhenden Tätigkeiten vorgenommen. Er dürfte jedoch Sicherungsmaßnahmen unterlassen haben, obwohl er dazu verpflichtet war.
86 
Den Beigeladenen trifft die Verkehrssicherungspflicht für das Altbergwerk. Im Rahmen des § 823 BGB ist anerkannt, dass aus der tatsächlichen Verfügungsgewalt über gefährliche Gegenstände auch die Pflicht folgt, andere vor diesen Gefahren zu schützen. Dabei muss zwar nicht jeder abstrakten Gefahr vorgesorgt werden, haftungsbegründend wird eine Gefahr erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden (st. Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 16.05.2006 - VI ZR 189/05 - NJW 2006, 2326 m.w.N.).
87 
§§ 130 ff. Bad. BergG regeln die Haftung des Bergwerkbetreibers zwar spezieller, aber nicht abschließend, sondern nur für Schäden an Grundeigentum. Darüber hinaus lässt sich diesen Vorschriften die Wertung entnehmen, dass der Bergwerksbetrieb grundsätzlich so gefahrgeneigt ist, dass im Fall von Schadensersatzansprüchen nach Pflichtverletzungen erst gar nicht gefragt werden muss. Daher trifft den Beigeladenen, solange er die tatsächliche Sachherrschaft hat, nach § 823 BGB eine Pflicht zur Sicherung.
88 
Dass die nicht abgesicherten Stollen im Laufe der Zeit durchzubrechen drohen und durch das wenig belastbare Deckgestein dadurch Tagesbrüche entstehen können, wurde bereits bei Zulassung des Abschlussbetriebsplans gesehen. In einem Aktenvermerk des Landesbergamtes vom 25.03.1971 ist festgehalten, dass im Bereich des Stollens IV noch Pingen, d.h. Tagesbrüche, zu erwarten seien. Da Sicherungsmaßnahmen unter Tage nicht möglich seien, müsse man das Gelände einbrechen lassen und dann wieder auffüllen. Die Grundstücke seien in fremdem Besitz und könnten eventuell vom Landkreis aufgekauft werden.
89 
Auch die zahlreichen Verbrüche in den letzten Jahrzehnten gaben klare Hinweise auf eine grundsätzliche Instabilität, ebenso das Wissen um den wenig sorgfältigen Kriegsbergbau. Spätestens bei Auftreten der Spüllöcher in den 1990er Jahren dürfte für Sachkundige erkennbar geworden sein, dass langfristig Sicherungsmaßnahmen notwendig sind, um die Stollen vor dem Durchbrechen zu bewahren. Das Gutachten des Sachverständigen ... und das ...Gutachten bestätigen die Tagesbruchgefahr.
90 
Die Verkehrspflichten sollen alle schützen, die in den Einwirkungsbereich der Gefahrenquelle geraten und somit also die Allgemeinheit. Damit begründen die Verkehrspflichten nach § 823 BGB auch polizeirechtliche Handlungspflichten (BayVGH, Beschl. v. 05.05.2011 - 22 ZB 10.214 - UPR 2011, 357 ). Der Beigeladene dürfte damit auch als Verhaltensstörer herangezogen werden können. Daran änderte sich selbst dann nichts, wenn der Beigeladene sich stets an alle Betriebspläne gehalten haben sollte, da diese keine Legalisierungswirkung entfalten (Senatsurteil vom 29.03.2000 - 1 S 1245/99 - a.a.O.).
91 
Auch als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist der Beigeladene polizeipflichtig, weil die möglichen Maßnahmen nicht unmittelbar in die hoheitliche Tätigkeit des Beigeladenen eingreifen, sondern an die tatsächliche Sachherrschaft bzw. Versäumnisse bei der Sicherung des stillgelegten Bergwerks anknüpfen (vgl. BVerwG, Urt. v. 08.05.2003 - 7 C 15.02 - NVwZ 2003, 1252 Rn. 18).
92 
cc) Die Effektivität der Gefahrenabwehr spricht nur vordergründig für eine Inanspruchnahme des Klägers. Zwar greift das Betretungsverbot sofort, während eine Sicherung des Grundstücks durch Verfüllung der Hohlräume, die nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen ... technisch realisierbar ist und die sicherste Lösung zur Abwendung der Tagesbruchgefahr darstellt (Gutachten S. 23), einer längeren Erkundung und Vorbereitung bedarf. Allerdings sieht der Beklagte das Betretungsverbot als endgültigen Regelungszustand an. Daher muss der Schnelligkeitsaspekt in den Hintergrund treten, zumal auch ein temporäres Betretungsverbot bis zur endgültigen Sicherung denkbar gewesen wäre, welches der Kläger - wie auch die zunächst erlassene Allgemeinverfügung der Ortspolizeibehörde - möglicherweise akzeptiert hätte. Daher müssen einem vielleicht verbleibenden Restrisiko einzelner Geländeabsackungen die Nachteile eines dauerhaften Betretungsverbots, welches für den Kläger enteignungsgleiche Wirkung hat, gegenübergestellt werden. Denn die bloße Sperrung lässt ja die Gefahr vollständig bestehen und setzt darauf, dass das Betretungsverbot - letztlich bis zum vollständigen Verbruch der Stollen, unter Umständen also Jahrhunderte - eingehalten und kontrolliert wird. Angesichts dieser zeitlichen Dimension erscheint ein dauerhaftes Betretungsverbot als einzige Gefahrenabwehrmaßnahme sogar als vergleichsweise unsicher.
93 
dd) Eine Inanspruchnahme des Beigeladenen wäre auch nicht unverhältnismäßig. Der Kläger als Nichtstörer trägt keine Verantwortung für die bestehende Gefahr und hat nach § 55 PolG lediglich einen Anspruch auf angemessene Entschädigung, nicht jedoch auf vollen Schadenersatz (vgl. Belz/Mußmann, a.a.O., § 55 Rn. 3; Wolf/Stephan/Deger, a.a.O., § 55 Rn. 15). Der Beigeladene, der jedenfalls als Zustandsstörer polizeirechtlich verantwortlich ist, hat es demgegenüber über Jahrzehnte unterlassen, Sicherungsmaßnahmen zu treffen, obwohl er die Tagesbruchgefahr kannte und auch entsprechende Rückstellungen für Berg- und Folgeschäden gebildet hat.
III.
94 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Da der Beigeladene keinen Antrag gestellt hat und damit auch kein eigenes Kostenrisiko eingegangen ist, entspricht es der Billigkeit, dass er seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt.
95 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
96 
Beschluss vom 25. Oktober 2012
97 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 GKG auf 20.000,-- EUR festgesetzt.
98 
Gründe
99 
Der für die Festsetzung des Streitwerts maßgebliche Verkehrswert des klägerischen Grundstücks beläuft sich nach den nachvollziehbaren Feststellungen eines unabhängigen Sachverständigen auf etwa 20.000,-- EUR. Soweit der Kläger von einem deutlich höheren Grundstückswert ausgeht, den er mit 62.000,-- EUR beziffert, fehlt es schon im Ansatz an einer tragfähigen Begründung hierfür.
100 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 3. August 2005 - 1 K 604/04 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Die Kläger erstreben die Feststellung, dass sie nicht zum Räumen und Streuen eines Gehwegs verpflichtet sind.
Die Kläger sind Eigentümer je eines Wohngrundstücks im Ortsteil ... der Beklagten. Beide Grundstücke grenzen im Osten an die ...straße und haben von dort Zugang und Zufahrt. Im Westen liegen sie mit einer nach den Angaben der Beklagten etwa 2 m breiten und 1 m hohen Böschung auf einer Länge von etwa 27 m (Kläger zu 1) bzw. 22,5 m (Kläger zu 2) an dem hier etwa 1,50 m breiten Gehweg der ... Straße. Diese war früher als Landesstraße (L 175a) und ist heute als Kreisstraße (K 5725) eingestuft. Seit 1988 ist sie auf Höhe der Grundstücke der Kläger als Ortsdurchfahrt festgesetzt.
Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans „...“ vom 14.06.1978, der für die Grundstücke „westlich des Erschließungsrings“, also entlang der ... Straße, ein allgemeines Wohngebiet festsetzt. Gemäß § 3 Nr. 5 der planungsrechtlichen Festsetzungen, der durch die 1. Änderung des Bebauungsplans vom 30.08.1989 eine im Wesentlichen gleichbleibende neue Fassung erhielt, durften weder zur K 5725 (früher L 175 a) noch im Einmündungsbereich der Erschließungsstraße A - B (heute ...straße) Zufahrten oder Zugänge hergestellt werden. Dementsprechend wurde den Klägern in den ihnen für ihre Wohnhäuser erteilten Baugenehmigungen aufgegeben, entlang der L 175 a geschlossene Einfriedigungen zu erstellen; dementsprechend haben sie dort jeweils geschlossene Hecken angepflanzt.
Südlich des Grundstücks des Klägers zu 2, nahe der Einmündung der ...straße, führt ein Fußgängerüberweg über die ... Straße. Dieser ist mit einer Verkehrsinsel geschützt. Vor dem Grundstück des Klägers zu 1 befindet sich eine Bushaltestelle ohne Haltebucht. Von dem ihrem Grundstück jeweils vorgelagerten Gehwegabschnitt an der ... Straße ist die jeweils südliche Ecke ihres an die ...straße angrenzenden Grundstücksteils etwa 130 m (Kläger zu 1) und etwa 75 m (Kläger zu 2) entfernt.
Gemäß der Satzung der Beklagten über die Verpflichtung der Straßenanlieger zum Reinigen, Schneeräumen und Bestreuen der Gehwege vom 28.09.1994 obliegt es den Straßenanliegern, innerhalb der geschlossenen Ortslage einschließlich der Ortsdurchfahrten die Gehwege (und weitere Flächen) nach Maßgabe der Satzung zu reinigen, bei Schneeanhäufungen zu räumen sowie bei Schnee- und Eisglätte zu bestreuen (§ 1 Abs. 1). Straßenanlieger sind die Eigentümer und Besitzer von Grundstücken, die an einer Straße liegen oder von ihr eine Zufahrt oder einen Zugang haben (§ 2 Abs. 1). Die Gehwege sind in der Regel auf mindestens drei Viertel ihrer Breite und jedenfalls so weit zu räumen, dass Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs gewährleistet sind und insbesondere ein Begegnungsverkehr möglich ist (§ 5 Abs. 1). Der geräumte Schnee und das auftauende Eis ist auf dem restlichen Teil der Fläche, für die die Straßenanlieger verpflichtet sind, und soweit der Platz hierfür nicht ausreicht, am Rande der Fahrbahn anzuhäufen (§ 5 Abs. 2). Die Gehwege müssen werktags bis 6.45 Uhr und sonn- und feiertags bis 8.00 Uhr geräumt und gestreut sein. Wenn nach diesem Zeitpunkt Schnee fällt oder Schnee- bzw. Eisglätte auftritt, ist unverzüglich, bei Bedarf auch bis 20.00 Uhr, wiederholt zu räumen und zu streuen (§ 7).
Die Kläger haben, nachdem die Beklagte ihnen gegenüber Bußgeldbescheide wegen unterbliebener Schneeräumung erlassen hatte, am 23.03.2004 beim Verwaltungsgericht Freiburg Feststellungsklage erhoben.
Der Gemeinderat der Beklagten hat am 15.12.2004 im vereinfachten Verfahren gemäß § 13 BauGB die 2. Änderung des Bebauungsplans „...“ beschlossen und dabei u.a. § 3 Nr. 5 der planungsrechtlichen Vorschriften aufgehoben. Mit Bescheiden vom 30.07.2004 hat sie die Auflagen zu den den Klägern erteilten Baugenehmigungen betreffend die Anlage von Einfriedigungen entlang der K 5725 aufgehoben. Im dem Entwurf einer Begründung zum Bebauungsplan (Stand 23.06.2004) wird ausgeführt: Die Zugangsbeschränkung im Bebauungsplan gehe auf eine Forderung des Straßenbauamts zurück, die darauf beruht habe, dass das Plangebiet damals außerhalb der Ortsdurchfahrt gelegen habe; wegen des anhängigen Rechtsstreits über die Räum- und Streupflicht hätten ihre Prozessbevollmächtigten ihr nahegelegt, das Zugangsverbot aufzuheben; darüber hinaus solle eine mittlerweile überflüssig gewordene Beschränkung der Ausnutzbarkeit der Baugrundstücke entlang der K 5725 beseitigt werden. Der Ortschaftsrat von ... sprach sich zunächst einstimmig gegen die Planung aus. In seiner Sitzung am 21.07.2004 lehnte der Gemeinderat der Beklagten den Entwurf der 2. Änderung des Bebauungsplans zunächst ab, stimmte ihm danach jedoch mit der Maßgabe zu, dass im „Bereich der Einfahrt ...straße bis zum Autoreifenhändler“ ein Schild „Kein Winterdienst“ aufgestellt werde und dass die Eigentümer im „Bereich von der ...straße in Richtung ... ... den Gehweg im Winter räumen und streuen“ müssen. Diese Regelung gelte vorbehaltlich der Zustimmung des Ortschaftsrats ... die dieser erteilte. Am 15.12.2004 beschloss der Gemeinderat der Beklagten die 2. Änderung des Bebauungsplans u.a. mit der Maßgabe, dass die Regelung der Räum- und Streupflicht nicht Gegenstand der Planänderung sei; die Begründung zum Bebauungsplan wurde entsprechend geändert. Der Beschluss wurde am 16.12.2004 im Amtsblatt der Beklagten öffentlich bekannt gemacht.
Die Kläger haben im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgetragen: Sie seien aus rechtlichen und wegen der Ausführung der Böschung auf ihren Grundstücken auch aus tatsächlichen Gründen gehindert, auf unmittelbarem Weg zu dem zu räumenden Gehwegabschnitt zu gelangen. Die 2. Änderung der Bebauungsplans sei unwirksam, weil es der Beklagten allein darum gegangen sei, ihnen eine Räum- und Streupflicht aufzuerlegen. Die Räum- und Streupflicht für den Gehweg sei auch unverhältnismäßig. Sie könnten die Schneemassen, die bei der Räumung der ... Straße auf den Gehweg geworfen würden und die häufig aus gefrorenem Eis bestünden, nicht - zumal den ganzen Tag über - beseitigen. Selbst mehrere Winterdienstunternehmen hätten dies abgelehnt, weil sie nicht über die dafür erforderlichen besonderen Räumfahrzeuge verfügten. Wegen der Bushaltestelle und der Verkehrsinsel in der ... Straße vor ihren Grundstücken könnten sie dort ohnehin keine Zufahrten anlegen. Die Beklagte hat erwidert: Der 2. Änderungsbebauungsplan sei wirksam. Die Kläger könnten deshalb nunmehr mit geringem Aufwand jedenfalls einen unmittelbaren Zugang von ihren Grundstücken zu den zu räumenden Gehwegabschnitten schaffen.
Mit Urteil vom 03.08.2005 hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass die Kläger nicht verpflichtet sind, den vor ihren Grundstücken (Flst.Nrn. 696 und 697) verlaufenden Gehweg der ... Straße im Ortsteil ... der Beklagten bei Schneeanhäufungen zu räumen und bei Schnee- und Eisglätte zu bestreuen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Zwar bestünden gegen die Gültigkeit der Räum- und Streusatzung der Beklagten keine Bedenken. Auch unterlägen die Kläger dem Wortlaut der einschlägigen Regelungen nach der Räum- und Streupflicht. Entscheidend sei jedoch, dass Besonderheiten vorlägen, welche einer Heranziehung der Kläger zum Räumen und Streuen entgegenstünden. Bis zur 2. Änderung des Bebauungsplans „...“ vom 15.12.2004 ergebe sich ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz bereits daraus, dass die Kläger in grundlegend anderer Weise durch die Heranziehung zum Räumen und Streuen betroffen gewesen seien als die Eigentümer von Grundstücken, deren Zugang und Zufahrt zu den Straßen nicht rechtlich ausgeschlossen gewesen sei. Sofern die 2. Änderung des Bebauungsplans wirksam sei, was offen bleiben könne, verstoße die Inanspruchnahme der Kläger ebenfalls gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, weil bei ihnen zahlreiche, das Räumen und Streuen erschwerende Umstände vorlägen, nicht aber bei den Anliegern an der K 5725 südlich der Einmündung ...straße, die von der Räum- und Streupflicht freigestellt seien. Bei der ... Straße handele es sich um eine stark befahrene Ortsdurchfahrt. Diese werde bei Schneefall häufiger geräumt als einfache Ortsstraßen. Da die Räumfahrzeuge einer Verkehrsinsel ausweichen müssten, würden sie dicht am Bordstein entlang fahren. So würde der gesamte geräumte Schnee auf den Gehweg vor den Grundstücken der Kläger geschoben. Er bleibe dort auch liegen, weil das Gelände im Anschluss ansteige. Hinzu komme, dass die Kläger nur mit erheblichem Aufwand einen unmittelbaren Zugang zu den zu räumenden Gehwegabschnitten schaffen könnten. Selbst wenn diese Umstände noch nicht ausreichten, eine Räum- und Streupflicht der Kläger als unverhältnismäßig zu beurteilen, sei es mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz unvereinbar, die Anlieger der ... Straße südlich der Einmündung ...straße von der Räum- und Streupflicht zu befreien, nicht aber die Kläger. Gerechtfertigt werde die Ungleichbehandlung nicht mit der Erwägung der Beklagten, dass die zur nahen Schule gehenden, aus nördlicher Richtung kommenden Kinder zwar den Gehweg entlang der ... Straße vor den Grundstücken der Kläger benutzten, nicht aber den anschließenden südlichen Abschnitt. Es könne nicht angenommen werden, dass dieser Abschnitt gar nicht begangen werde. Die Beklagte habe die 2. Änderung des Bebauungsplans gerade damit begründet, dass mehrere Anlieger an der ... Straße dort einen Zugang oder eine Zufahrt schaffen wollten. Es sei mit einer am Gleichbehandlungsgrundsatz orientierten, gleichmäßigen und gerechten Lastenverteilung jedoch nicht vereinbar, gerade diejenigen Anlieger vom Winterdienst auszunehmen, die künftig einen gesteigerten Vorteil von der ... Straße hätten. Hinzu komme, dass die Beklagte den Fußgängerüberweg über die ... Straße, die Bushaltebucht und den daran angrenzenden Gehweg auf der gegenüberliegenden Straßenseite - etwa in Höhe des Grundstücks des Klägers zu 2 - selbst räumen lasse. Deshalb habe für sie Anlass bestanden zu überlegen, ob sie die hier streitigen Gehwegabschnitte mitversorge. Dass die Beklagte auf die unterschiedliche Verkehrsfunktion beider Gehwegabschnitte verweise, überzeuge auch deshalb wenig, weil sie mit der erwähnten Freistellung von Grundstückseigentümern vom Winterdienst nach Lage der Akten in erster Linie den Zweck verfolgt habe, den Widerstand gegen die Bebauungsplanänderung im Ortschaftsrat und im Gemeinderat zu überwinden.
10 
Auf Antrag der Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom 22.12.2005 die Berufung zugelassen. Der Beschluss wurde der Beklagten am 10.01.2006 zugestellt. Diese hat die Berufung mit einem am 10.02.2006 eingegangenen Schriftsatz begründet.
11 
Sie trägt vor: Es lägen keine eine Räum- und Streupflicht der Kläger ausschließenden Besonderheiten vor. Die vom Verwaltungsgericht angeführten Gesichtspunkte seien häufig bei Ortsdurchfahrten gegeben, etwa auch in ihrem Ortsteil ... oder sonst entlang der ... Straße in .... Auch das Nachbargrundstück Flst.Nr. 694 habe keinen unmittelbaren Zugang zur ... Straße und werde von den Eigentümern gleichwohl geräumt. Der Ausschluss von Zugang und Zufahrt entlang der ... Straße im Bebauungsplan habe darauf beruht, dass diese früher eine Landesstraße (L 175a) gewesen und erst ab 1988 als Ortsdurchfahrt festgesetzt worden sei. Wegen der Änderung dieser straßenrechtlichen Umstände sei auch der Bebauungsplan „...“ im Jahr 2004 geändert worden. Dem folgend seien die entsprechenden Auflagen zu den den Klägern erteilten Baugenehmigungen aufgehoben worden. Ein Zugang sei in tatsächlicher Hinsicht ohne großen Aufwand durch Rückschnitt der Hecke auf einem kleinen Abschnitt herzustellen. Die Verkehrsbedeutung des Gehwegs entlang der ... Straße vor den Grundstücken der Kläger sei dadurch gekennzeichnet, dass er auch als Schulweg diene. Nördlich des Baugebiets „...“ befinde sich ein weiteres Baugebiet, aus dem etwa zehn Kinder zur Grundschule ... gingen. Werde der Gehweg vor den Grundstücken der Kläger nicht geräumt, müssten diese Kinder etwa 20 m auf der Fahrbahn der Kreisstraße gehen. Ab der Einmündung der ...straße könnten die Kinder geräumte Gehwege im Baugebiet nutzen. Anlieger sei auch, wer keinen unmittelbaren Zugang zur Straße habe. Ausreichend sei eine Zugangsmöglichkeit. Bestehe eine solche, sei die Heranziehung zum Räumen und Streuen des Gehwegs nur ausnahmsweise willkürlich. Tatsächlich und rechtlich könnten die Kläger einen Zugang von ihren Grundstücken auf den Gehweg entlang der ... Straße schaffen. Die 2. Änderung des Bebauungsplans sei wirksam. Sie sei vernünftigerweise geboten gewesen. Die unterschiedliche Verkehrsbedeutung rechtfertige es, für die bezeichneten Gehwegabschnitte entlang der ... Straße den Winterdienst unterschiedlich zu regeln. Die Gemeinden selbst müssten nur verkehrswichtige und gefährliche Strecken räumen und bestreuen. Darauf, dass die Anlieger der ... Straße südlich der Einmündung der ...straße keinen Winterdienst verrichten müssten, könnten sich die Kläger nicht berufen.
12 
Die Beklagte beantragt,
13 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 3. August 2005 - 1 K 604/04 - zu ändern und die Klagen abzuweisen.
14 
Die Kläger beantragen,
15 
die Berufung zurückzuweisen.
16 
Sie tragen vor: Die von der Beklagten angeführten Vergleichsfälle wiesen nicht alle Besonderheiten auf, die in ihrer Lage gegeben seien. Die Beklagte messe auch mit zweierlei Maß. Im Ortsteil ... räume sie die ...straße, eine Parallelstraße zur L 175, die keinen Gehweg aufweise, selbst. Auch dort handele es sich um einen Schulweg. Es treffe nicht zu, dass der Eigentümer des südlichen Nachbargrundstücks den Gehweg an der ... Straße selbst räume; dies übernehme vielmehr die Beklagte für ihn. Andere Bedingungen herrschten auch für das nördliche Nachbargrundstück. Dass sie nicht in der Lage seien, den Gehweg vor ihren Grundstücken zu räumen, werde auch daran deutlich, dass die Beklagte im letzten Winter dafür ein Fahrzeug mit Allradantrieb, Räumschaufel und Fräse eingesetzt habe. Dass die 2. Änderung des Bebauungsplans nicht auf den von der Beklagten angeführten Erwägungen beruhe, zeige sich schon daran, dass die insoweit herangezogenen straßenrechtlichen Gesichtspunkte schon seit 1988 vorgelegen hätten. Zur Herstellung eines tatsächlichen Zugangs von der ... Straße reiche bei jedem von ihnen ein Rückschnitt der Hecke nicht aus. Der Kläger zu 2 müsse einen von ihm angelegten Wall abtragen, damit er mit einer Schneefräse auf den Gehweg gelangen könne. Der Kläger zu 1, der auf eine Forderung der Baurechtsbehörde sein Grundstück erhöht habe, müsse eine Treppe anlegen; über diese könne er den Gehweg freilich nicht mit einem Räumgerät erreichen. Die Verkehrsbedeutung des Gehwegs dürfe für eine unterschiedliche Handhabung der Satzung keine Rolle spielen.
17 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die dem Senat vorliegenden Akten und die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
18 
Die Berufung der Beklagten ist nach ihrer Zulassung durch den Senat statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere hat die Beklagte die Berufung rechtzeitig und den Erfordernissen des § 124a Abs. 6 VwGO entsprechend begründet.
19 
Die Berufung hat jedoch keinen Erfolg. Im Ergebnis zu Recht hat das Verwaltungsgericht auf die zulässigen Klagen festgestellt, dass die Kläger nicht zum Räumen und Streuen des Gehwegs vor ihren Grundstücken entlang der ... Straße verpflichtet sind.
20 
Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die auf der Grundlage von § 41 Abs. 2 StrG und § 4 GemO erlassene Satzung der Beklagten über die Verpflichtung der Straßenanlieger zum Reinigen, Schneeräumen und Bestreuen der Gehwege vom 28.09.1994 (künftig: Satzung) keinen rechtlichen Bedenken unterliegt (vgl. nunmehr auch Muster einer Streupflichtsatzung - Fassung 2006 - des Gemeindetags Baden-Württemberg in BWGZ 2006, 730). Auch wären die Kläger, deren Grundstücke an den Gehweg entlang der ... Straße angrenzen, dem Wortlaut der Satzung nach als Anlieger zum Räumen und Streuen verpflichtet. Denn sie sind gemäß § 2 Abs. 1 der Satzung Straßenanlieger und die Gehwegabschnitte liegen innerhalb der geschlossenen Ortslage (vgl. Senatsurt. v. 20.11.2003 - 5 S 2311/02 -). Insoweit sind, wie § 1 Abs. 1 der Satzung ausdrücklich bestimmt, die Gehwege entlang der Ortsdurchfahrten (vgl. § 41 Abs. 1 und § 43 Abs. 4 StrG) einbezogen. Der Räum- und Streupflicht der Kläger steht jedoch höherrangiges Recht entgegen, welches bei der Auslegung und Anwendung der Satzung zu berücksichtigen ist (Senatsurt. v. 11.11.1993 - 5 S 2606/92 - BWGZ 1994, 619; Lorenz/Will, Straßengesetz Baden-Württemberg, 2. Aufl., § 41 Rdnr. 41).
21 
Dabei kann der Senat mit dem Verwaltungsgericht offenlassen, ob die streitige Räum- und Streupflicht für die Kläger am Maßstab des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG unverhältnismäßig wäre. Gleichwohl merkt der Senat hierzu Folgendes an:
22 
Wäre die Aufhebung des Zugangs- und Zufahrtsverbots in § 3 Nr. 5 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans „...“ durch den 2. Änderungsbebauungsplan rechtmäßig, könnten die Kläger die zu räumenden Gehwegabschnitte auf kurzem Weg erreichen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 01.09.1972 - I 77/72 - ESVGH 23, 84; Urt. v. 28.05.1979 - I 391/79 - Juris: Entfernungen von bis zu 150 m sind zumutbar). Denn ein unmittelbarer Zugang von ihren Grundstücken ließe sich ohne Weiteres und unter vergleichsweise geringen Kosten anlegen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 23.05.1989 - 5 S 3298/88 - BWVPr 1989, 273). Auch könnten die Kläger nach der Aufhebung des in die Baugenehmigungen aufgenommenen Einfriedigungsgebots auf ihren Grundstücken Platz für den geräumten Schnee schaffen. Der Umstand, dass das Räumen in diesem Bereich erheblich erschwert wird, weil der von der Fahrbahn der ... Straße geschobene Schnee vollständig und stark verdichtet, ggf. auch schon in gefrorenem Zustand, auf den Gehwegabschnitten abgelagert wird, ließe eine Räumpflicht dem Grunde nach nicht als unverhältnismäßig erscheinen. Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, dass es in Schwarzwaldgemeinden wegen beengter Verhältnisse und bei ergiebigen Schneefällen häufig erforderlich ist, den Schnee von der Fahrbahn auf den Gehweg zu schieben, und dass sie im Interesse einer raschen und gleichmäßigen Räumung der wichtigsten Straßen und Gehwege darauf angewiesen ist, dass sie ihre Räum- und Streuobliegenheit teilweise auf die Grundstückseigentümer übertragen kann (vgl. das erwähnte Muster für eine Streupflichtsatzung a.a.O., Erläuterungen zu § 1 am Ende). Dass Grundstückseigentümer in (wiederholten) Einzelfällen, etwa bei besonders ergiebigen Schneefällen, nicht mehr in der Lage sind, den Gehweg entsprechend den Satzungsbestimmungen zu räumen, kann ihre jeweilige Räum- und Streupflicht nicht schon dem Grunde nach entfallen lassen. Insoweit gilt für die Anwohner, auf die die Räum- und Streupflicht übertragen worden ist, nichts anderes als für die Gemeinde selbst; auch dieser obliegt das Räumen und Streuen nur im Rahmen der Zumutbarkeit (§ 41 Abs. 1 StrG; vgl. zur Verkehrssicherungspflicht BGH, Urt. v. 01.10.1959 - III ZR 59/58 - NJW 1960, 41; Beschl. v. 20.10.1994 - III ZR 60/94 - BayVBl 1995, 542; Thür. OLG, Urt. v. 09.03.2005 - 4 U 646/04 - NVwZ-RR 2006, 60 m.w.N.). Die Zumutbarkeit einer (sofortigen) Räumung kann deshalb nur im jeweiligen Einzelfall nicht gegeben sein; die unter gewöhnlichen Umständen zumutbar erfüllbare Räum- und Streupflicht bleibt bestehen (vgl. BayObLG, Beschl. v. 01.07.1982 - 3 Ob OWi 72/82 - BayVBl 1982, 636; Lorenz/Will a.a.O. Rdnr. 43).
23 
Eine grundsätzlich bestehende Räum- und Streupflicht der Kläger würde auch nicht deshalb entfallen, weil das Räumfahrzeug des Landkreises wegen der Verengung der Fahrbahn auf Höhe der Verkehrsinsel dicht am Bordstein entlang fährt und so mehr Schnee auf den Gehweg geschoben wird, als wenn es sich wie sonst eher an der Mitte der Fahrbahn orientiert. Dass dies zu ständigen Erschwernissen für die Kläger beim Räumen und Streuen führte, die die Obliegenheit zum Räumen und Streuen generell als unzumutbar erscheinen ließen, lässt sich nicht feststellen. Denn die Kläger haben in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt, dass sie den Gehweg räumen können, wenn nicht besonders viel Schnee fällt und der vom Räumfahrzeug des Landkreises von der Fahrbahn auf den Gehweg geschobene Schnee nicht besonders hoch und nicht stark verdichtet oder gar vereist ist.
24 
Unverhältnismäßig könnte die grundsätzliche Räum- und Streupflicht für die Kläger unter den auch nach Auffassung des Senats durchaus gegebenen besonderen Umständen deshalb wohl allenfalls bei ergänzender Berücksichtigung des Umstands sein, dass die Beklagte ohnehin mit einem den jeweiligen Schneeverhältnissen angepassten Räumfahrzeug an Ort und Stelle ist, um die gegenüberliegende Bushaltestelle nebst Gehweg, den Fußgängerüberweg und - wie sie in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat - auch den östlichen Gehweg entlang der ... Straße vom Fußgängerüberweg bis zur Einmündung vor dem Anwesen ...straße 1 zu räumen, weil nur im Einmündungsbereich der Schnee abgelagert werden kann. In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist anerkannt, dass der Gedanke, der die Übertragung der Räum- und Streuobliegenheit auf die Anlieger rechtfertigt, nämlich dass diese die Gehwege im Gemeindegebiet regelmäßig schneller räumen und streuen können als die Gemeinde mit ihren dafür zur Verfügung stehenden begrenzten Kräften, nicht in sein Gegenteil verkehrt werden darf (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 01.09.1972 - I 77/72 - ESVGH 23, 84; kritisch hierzu Lorenz/Will a.a.O. Rdnr. 46). Ein solcher Fall könnte hier vorliegen, weil die Kläger bei ergiebigen Schneefällen jedenfalls unter bestimmten Umständen die Schneemassen nicht zumutbar beseitigen können und ein Hausmeisterdienst im Zweifel nicht eher räumen und streuen kann als der für die Räumung im näheren Umkreis zuständige Mitarbeiter der Beklagten. Hinzu kommt, dass - wie die Beklagte selbst geltend macht - ein erhebliches öffentliches Interesse an einer raschen Räumung dieses Gehwegabschnitts zur Sicherung des von etwa zehn Schülern benutzten Wegs zur Grundschule von ... besteht und die Beklagte mit dem ihr zur Verfügung stehenden Räumgerät dazu auch ohne Weiteres und ohne allzu große Verzögerung in der Lage ist. Diesem Interesse ist jedenfalls nicht gedient, wenn die Beklagte sich von der Räum- und Streuobliegenheit generell entlastet, die Kläger sich ihrerseits aber im Einzelfall, wenn eine Räumung besonders dringlich wäre, darauf berufen könnten, dass ihnen das Räumen nicht zumutbar ist, und deshalb die Übertragung der Räumpflicht letztlich den angestrebten Zweck nicht erreichen kann.
25 
Offenbleiben können diese Fragen, weil die Übertragung der Räum- und Streupflicht auf die Kläger jedenfalls gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt.
26 
Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) zwingt zwar nicht dazu, eine Sicherungspflicht des Straßenanliegers auf solche Gehwege zu beschränken, zu denen eine Zuwegung besteht oder jedenfalls vernünftigerweise zu schaffen ist, weil ohne sie das Grundstück in seiner Nutzung beeinträchtigt wäre. Willkürlich und mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist jedoch die undifferenzierte Begründung einer Gehwegsicherungspflicht auch für solche Straßen, zu denen der Grundstückseigentümer aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen keinen Zugang nehmen kann. Von einem Vorteil durch die Straße kann dann nicht mehr die Rede sein. Ein Grundstückseigentümer, der den Gehweg in einer solchen Lage trotzdem sichern müsste, würde durch diese Pflicht in grundlegend anderer Weise betroffen als die übrigen, bei denen der Sicherungslast ein Vorteil jedenfalls in der Gestalt einer Zugangsmöglichkeit gegenübersteht. Dieser qualitative Unterschied darf bei der Überwälzung der Sicherungspflicht nicht außer acht gelassen werden. Im Sinne einer solchen Einschränkung kommt daher eine verfassungskonforme Auslegung der landesrechtlichen Ermächtigungsgrundlage für die Sicherungsverordnung und der Sicherungsverordnung selbst in Betracht (BVerwG, Urt. v. 11.03.1988 - 4 C 78.84 - VBlBW 1988, 467; vgl. auch Senatsurt. v. 11.11.1993 - 5 S 2606/92 - a.a.O.).
27 
Die Kläger können aus rechtlichen Gründen zur ... Straße keinen Zugang nehmen. Dies ist durch § 3 Nr. 5 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans „...“ in der Fassung der 1. Änderung ausgeschlossen. Die 2. Änderung des Bebauungsplans, mit dem dieses rechtliche Zugangshindernis aufgehoben werden sollte, ist unwirksam. Denn die Beklagte hat mit ihr keine städtebaulichen Ziele verfolgt, sie ist demnach nicht erforderlich (§ 1 Abs. 3 BauGB 1998).
28 
Zwar können mit der Aufhebung eines Zugangs- und Zufahrtsverbots für Wohngrundstücke in einem Bebauungsplan zweifellos städtebauliche Ziele verfolgt werden. Insofern wäre das Ziel, auf diese Weise die bauliche Nutzbarkeit der Grundstücke entlang der ... Straße zu erhöhen, rechtlich nicht zu beanstanden. Der Senat hat aber die Überzeugung gewonnen, dass dieses Planungsziel nicht dem wahren Willen der Beklagten entsprach, sondern nur vorgeschoben war (vgl. Senatsurt. v. 27.07.2001 - 5 S 2534/99 - VBlBW 2002, 124), um das rechtliche Hindernis zur Übertragung der Reinigungs-, Räum- und Streupflicht auf die vier Anlieger der ... Straße nördlich der Einmündung der ...straße zu beseitigen. Darin liegt aber kein städtebaulicher Grund.
29 
Die Begründung einer Räum- und Streupflicht für die Kläger war nicht nur der Anlass für die 2. Änderung des Bebauungsplans. Auch im Laufe des Planänderungsverfahrens stand die Frage des Winterdienstes im Mittelpunkt der Erörterungen im Gemeinderat der Beklagten und im Ortschaftsrat von .... Deutlich wird dies vor allem daraus, dass auf Wunsch des Ortschaftsrats und der Mehrzahl der Anwohner der ... Straße im Plangebiet die Änderung des Bebauungsplans nur unter der Maßgabe erfolgen sollte, dass die Beklagte für den Gehweg südlich der Einmündung der ...straße Schilder mit der Aufschrift „Kein Winterdienst“ aufstellt. Dass die Beklagte diese im gesamten Änderungsverfahren maßgebenden Erwägungen am Tage des Satzungsbeschlusses über den Änderungsplan aus der Begründung gestrichen hat, kann deren wahre, nämlich ausschlaggebende Bedeutung für die Planänderung nicht mindern.
30 
Im Übrigen weisen die Kläger wohl zutreffend darauf hin, dass jedenfalls von ihren Grundstücken aus eine weitere Zufahrt zur ... Straße wegen der topographischen Verhältnisse nicht sinnvoll und aus straßenrechtlichen Gründen wegen der Verengung der Fahrbahn durch die Verkehrsinsel in der ... Straße unmittelbar vor dem Grundstück des Klägers zu 2 und wegen der Bushaltestelle vor dem Grundstück des Klägers zu 1 nicht wünschenswert wäre und möglicherweise auch nicht angelegt werden dürfte (vgl. Sauthoff, Straße und Anlieger, Rdnr. 808, der die Herstellung einer zusätzlichen Zufahrt zu einer Ortsdurchfahrt als erlaubnispflichtige Sondernutzung beurteilt). Würden dort Zufahrten angelegt, liefe dies wohl der Zielsetzung zuwider, die für die Festsetzung des Zufahrtverbots maßgeblich war, nämlich einen möglichst ungestörten Verkehr auf der Landes- bzw. Kreisstraße zu ermöglichen. Diese Zielsetzung besteht angesichts der konkreten örtlichen Verhältnisse ungeachtet der straßenrechtlichen Einordnung der ... Straße als Ortsdurchfahrt einer Kreisstraße. Dass, wie der Prozessbevollmächtigte der Beklagten in der mündlichen Verhandlung erwähnt hat, in der Zwischenzeit eine Anfrage zur Anlegung einer Zufahrt zur ...  Straße vorliege, ändert an der maßgeblichen Sachlage im Zeitpunkt der Beschlussfassung des Änderungsbebauungsplans nichts.
31 
Mithin kommt es nicht darauf an, ob dem Verwaltungsgericht in der Beurteilung gefolgt werden könnte, es verstoße jedenfalls deshalb gegen Art. 3 Abs. 1 GG, den Klägern die Räum- und Streupflicht aufzuerlegen, weil sie von ihr ungleich härter als sonstige Anlieger im Gemeindegebiet getroffen würden, sie tatsächlich - anders als die Anlieger der... Straße südlich der Einmündung der ...straße - von einer Aufhebung des Zugang- und Zufahrtsverbots keinen Vorteil hätten und jene zudem gemäß den von der Beklagten aufgestellten Schildern keinen Winterdienst verrichten müssten.
32 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
33 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
34 
Beschluss
35 
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 4.000,- EUR festgesetzt (2 x 2.000,- EUR, vgl. die vorläufige Streitwertbestimmung vom 02.01.2006 unter Hinweis auf das Senatsurteil vom 20.11.2003 - 5 S 2311/02).
36 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

 
18 
Die Berufung der Beklagten ist nach ihrer Zulassung durch den Senat statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere hat die Beklagte die Berufung rechtzeitig und den Erfordernissen des § 124a Abs. 6 VwGO entsprechend begründet.
19 
Die Berufung hat jedoch keinen Erfolg. Im Ergebnis zu Recht hat das Verwaltungsgericht auf die zulässigen Klagen festgestellt, dass die Kläger nicht zum Räumen und Streuen des Gehwegs vor ihren Grundstücken entlang der ... Straße verpflichtet sind.
20 
Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die auf der Grundlage von § 41 Abs. 2 StrG und § 4 GemO erlassene Satzung der Beklagten über die Verpflichtung der Straßenanlieger zum Reinigen, Schneeräumen und Bestreuen der Gehwege vom 28.09.1994 (künftig: Satzung) keinen rechtlichen Bedenken unterliegt (vgl. nunmehr auch Muster einer Streupflichtsatzung - Fassung 2006 - des Gemeindetags Baden-Württemberg in BWGZ 2006, 730). Auch wären die Kläger, deren Grundstücke an den Gehweg entlang der ... Straße angrenzen, dem Wortlaut der Satzung nach als Anlieger zum Räumen und Streuen verpflichtet. Denn sie sind gemäß § 2 Abs. 1 der Satzung Straßenanlieger und die Gehwegabschnitte liegen innerhalb der geschlossenen Ortslage (vgl. Senatsurt. v. 20.11.2003 - 5 S 2311/02 -). Insoweit sind, wie § 1 Abs. 1 der Satzung ausdrücklich bestimmt, die Gehwege entlang der Ortsdurchfahrten (vgl. § 41 Abs. 1 und § 43 Abs. 4 StrG) einbezogen. Der Räum- und Streupflicht der Kläger steht jedoch höherrangiges Recht entgegen, welches bei der Auslegung und Anwendung der Satzung zu berücksichtigen ist (Senatsurt. v. 11.11.1993 - 5 S 2606/92 - BWGZ 1994, 619; Lorenz/Will, Straßengesetz Baden-Württemberg, 2. Aufl., § 41 Rdnr. 41).
21 
Dabei kann der Senat mit dem Verwaltungsgericht offenlassen, ob die streitige Räum- und Streupflicht für die Kläger am Maßstab des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG unverhältnismäßig wäre. Gleichwohl merkt der Senat hierzu Folgendes an:
22 
Wäre die Aufhebung des Zugangs- und Zufahrtsverbots in § 3 Nr. 5 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans „...“ durch den 2. Änderungsbebauungsplan rechtmäßig, könnten die Kläger die zu räumenden Gehwegabschnitte auf kurzem Weg erreichen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 01.09.1972 - I 77/72 - ESVGH 23, 84; Urt. v. 28.05.1979 - I 391/79 - Juris: Entfernungen von bis zu 150 m sind zumutbar). Denn ein unmittelbarer Zugang von ihren Grundstücken ließe sich ohne Weiteres und unter vergleichsweise geringen Kosten anlegen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 23.05.1989 - 5 S 3298/88 - BWVPr 1989, 273). Auch könnten die Kläger nach der Aufhebung des in die Baugenehmigungen aufgenommenen Einfriedigungsgebots auf ihren Grundstücken Platz für den geräumten Schnee schaffen. Der Umstand, dass das Räumen in diesem Bereich erheblich erschwert wird, weil der von der Fahrbahn der ... Straße geschobene Schnee vollständig und stark verdichtet, ggf. auch schon in gefrorenem Zustand, auf den Gehwegabschnitten abgelagert wird, ließe eine Räumpflicht dem Grunde nach nicht als unverhältnismäßig erscheinen. Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, dass es in Schwarzwaldgemeinden wegen beengter Verhältnisse und bei ergiebigen Schneefällen häufig erforderlich ist, den Schnee von der Fahrbahn auf den Gehweg zu schieben, und dass sie im Interesse einer raschen und gleichmäßigen Räumung der wichtigsten Straßen und Gehwege darauf angewiesen ist, dass sie ihre Räum- und Streuobliegenheit teilweise auf die Grundstückseigentümer übertragen kann (vgl. das erwähnte Muster für eine Streupflichtsatzung a.a.O., Erläuterungen zu § 1 am Ende). Dass Grundstückseigentümer in (wiederholten) Einzelfällen, etwa bei besonders ergiebigen Schneefällen, nicht mehr in der Lage sind, den Gehweg entsprechend den Satzungsbestimmungen zu räumen, kann ihre jeweilige Räum- und Streupflicht nicht schon dem Grunde nach entfallen lassen. Insoweit gilt für die Anwohner, auf die die Räum- und Streupflicht übertragen worden ist, nichts anderes als für die Gemeinde selbst; auch dieser obliegt das Räumen und Streuen nur im Rahmen der Zumutbarkeit (§ 41 Abs. 1 StrG; vgl. zur Verkehrssicherungspflicht BGH, Urt. v. 01.10.1959 - III ZR 59/58 - NJW 1960, 41; Beschl. v. 20.10.1994 - III ZR 60/94 - BayVBl 1995, 542; Thür. OLG, Urt. v. 09.03.2005 - 4 U 646/04 - NVwZ-RR 2006, 60 m.w.N.). Die Zumutbarkeit einer (sofortigen) Räumung kann deshalb nur im jeweiligen Einzelfall nicht gegeben sein; die unter gewöhnlichen Umständen zumutbar erfüllbare Räum- und Streupflicht bleibt bestehen (vgl. BayObLG, Beschl. v. 01.07.1982 - 3 Ob OWi 72/82 - BayVBl 1982, 636; Lorenz/Will a.a.O. Rdnr. 43).
23 
Eine grundsätzlich bestehende Räum- und Streupflicht der Kläger würde auch nicht deshalb entfallen, weil das Räumfahrzeug des Landkreises wegen der Verengung der Fahrbahn auf Höhe der Verkehrsinsel dicht am Bordstein entlang fährt und so mehr Schnee auf den Gehweg geschoben wird, als wenn es sich wie sonst eher an der Mitte der Fahrbahn orientiert. Dass dies zu ständigen Erschwernissen für die Kläger beim Räumen und Streuen führte, die die Obliegenheit zum Räumen und Streuen generell als unzumutbar erscheinen ließen, lässt sich nicht feststellen. Denn die Kläger haben in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt, dass sie den Gehweg räumen können, wenn nicht besonders viel Schnee fällt und der vom Räumfahrzeug des Landkreises von der Fahrbahn auf den Gehweg geschobene Schnee nicht besonders hoch und nicht stark verdichtet oder gar vereist ist.
24 
Unverhältnismäßig könnte die grundsätzliche Räum- und Streupflicht für die Kläger unter den auch nach Auffassung des Senats durchaus gegebenen besonderen Umständen deshalb wohl allenfalls bei ergänzender Berücksichtigung des Umstands sein, dass die Beklagte ohnehin mit einem den jeweiligen Schneeverhältnissen angepassten Räumfahrzeug an Ort und Stelle ist, um die gegenüberliegende Bushaltestelle nebst Gehweg, den Fußgängerüberweg und - wie sie in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat - auch den östlichen Gehweg entlang der ... Straße vom Fußgängerüberweg bis zur Einmündung vor dem Anwesen ...straße 1 zu räumen, weil nur im Einmündungsbereich der Schnee abgelagert werden kann. In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist anerkannt, dass der Gedanke, der die Übertragung der Räum- und Streuobliegenheit auf die Anlieger rechtfertigt, nämlich dass diese die Gehwege im Gemeindegebiet regelmäßig schneller räumen und streuen können als die Gemeinde mit ihren dafür zur Verfügung stehenden begrenzten Kräften, nicht in sein Gegenteil verkehrt werden darf (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 01.09.1972 - I 77/72 - ESVGH 23, 84; kritisch hierzu Lorenz/Will a.a.O. Rdnr. 46). Ein solcher Fall könnte hier vorliegen, weil die Kläger bei ergiebigen Schneefällen jedenfalls unter bestimmten Umständen die Schneemassen nicht zumutbar beseitigen können und ein Hausmeisterdienst im Zweifel nicht eher räumen und streuen kann als der für die Räumung im näheren Umkreis zuständige Mitarbeiter der Beklagten. Hinzu kommt, dass - wie die Beklagte selbst geltend macht - ein erhebliches öffentliches Interesse an einer raschen Räumung dieses Gehwegabschnitts zur Sicherung des von etwa zehn Schülern benutzten Wegs zur Grundschule von ... besteht und die Beklagte mit dem ihr zur Verfügung stehenden Räumgerät dazu auch ohne Weiteres und ohne allzu große Verzögerung in der Lage ist. Diesem Interesse ist jedenfalls nicht gedient, wenn die Beklagte sich von der Räum- und Streuobliegenheit generell entlastet, die Kläger sich ihrerseits aber im Einzelfall, wenn eine Räumung besonders dringlich wäre, darauf berufen könnten, dass ihnen das Räumen nicht zumutbar ist, und deshalb die Übertragung der Räumpflicht letztlich den angestrebten Zweck nicht erreichen kann.
25 
Offenbleiben können diese Fragen, weil die Übertragung der Räum- und Streupflicht auf die Kläger jedenfalls gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt.
26 
Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) zwingt zwar nicht dazu, eine Sicherungspflicht des Straßenanliegers auf solche Gehwege zu beschränken, zu denen eine Zuwegung besteht oder jedenfalls vernünftigerweise zu schaffen ist, weil ohne sie das Grundstück in seiner Nutzung beeinträchtigt wäre. Willkürlich und mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist jedoch die undifferenzierte Begründung einer Gehwegsicherungspflicht auch für solche Straßen, zu denen der Grundstückseigentümer aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen keinen Zugang nehmen kann. Von einem Vorteil durch die Straße kann dann nicht mehr die Rede sein. Ein Grundstückseigentümer, der den Gehweg in einer solchen Lage trotzdem sichern müsste, würde durch diese Pflicht in grundlegend anderer Weise betroffen als die übrigen, bei denen der Sicherungslast ein Vorteil jedenfalls in der Gestalt einer Zugangsmöglichkeit gegenübersteht. Dieser qualitative Unterschied darf bei der Überwälzung der Sicherungspflicht nicht außer acht gelassen werden. Im Sinne einer solchen Einschränkung kommt daher eine verfassungskonforme Auslegung der landesrechtlichen Ermächtigungsgrundlage für die Sicherungsverordnung und der Sicherungsverordnung selbst in Betracht (BVerwG, Urt. v. 11.03.1988 - 4 C 78.84 - VBlBW 1988, 467; vgl. auch Senatsurt. v. 11.11.1993 - 5 S 2606/92 - a.a.O.).
27 
Die Kläger können aus rechtlichen Gründen zur ... Straße keinen Zugang nehmen. Dies ist durch § 3 Nr. 5 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans „...“ in der Fassung der 1. Änderung ausgeschlossen. Die 2. Änderung des Bebauungsplans, mit dem dieses rechtliche Zugangshindernis aufgehoben werden sollte, ist unwirksam. Denn die Beklagte hat mit ihr keine städtebaulichen Ziele verfolgt, sie ist demnach nicht erforderlich (§ 1 Abs. 3 BauGB 1998).
28 
Zwar können mit der Aufhebung eines Zugangs- und Zufahrtsverbots für Wohngrundstücke in einem Bebauungsplan zweifellos städtebauliche Ziele verfolgt werden. Insofern wäre das Ziel, auf diese Weise die bauliche Nutzbarkeit der Grundstücke entlang der ... Straße zu erhöhen, rechtlich nicht zu beanstanden. Der Senat hat aber die Überzeugung gewonnen, dass dieses Planungsziel nicht dem wahren Willen der Beklagten entsprach, sondern nur vorgeschoben war (vgl. Senatsurt. v. 27.07.2001 - 5 S 2534/99 - VBlBW 2002, 124), um das rechtliche Hindernis zur Übertragung der Reinigungs-, Räum- und Streupflicht auf die vier Anlieger der ... Straße nördlich der Einmündung der ...straße zu beseitigen. Darin liegt aber kein städtebaulicher Grund.
29 
Die Begründung einer Räum- und Streupflicht für die Kläger war nicht nur der Anlass für die 2. Änderung des Bebauungsplans. Auch im Laufe des Planänderungsverfahrens stand die Frage des Winterdienstes im Mittelpunkt der Erörterungen im Gemeinderat der Beklagten und im Ortschaftsrat von .... Deutlich wird dies vor allem daraus, dass auf Wunsch des Ortschaftsrats und der Mehrzahl der Anwohner der ... Straße im Plangebiet die Änderung des Bebauungsplans nur unter der Maßgabe erfolgen sollte, dass die Beklagte für den Gehweg südlich der Einmündung der ...straße Schilder mit der Aufschrift „Kein Winterdienst“ aufstellt. Dass die Beklagte diese im gesamten Änderungsverfahren maßgebenden Erwägungen am Tage des Satzungsbeschlusses über den Änderungsplan aus der Begründung gestrichen hat, kann deren wahre, nämlich ausschlaggebende Bedeutung für die Planänderung nicht mindern.
30 
Im Übrigen weisen die Kläger wohl zutreffend darauf hin, dass jedenfalls von ihren Grundstücken aus eine weitere Zufahrt zur ... Straße wegen der topographischen Verhältnisse nicht sinnvoll und aus straßenrechtlichen Gründen wegen der Verengung der Fahrbahn durch die Verkehrsinsel in der ... Straße unmittelbar vor dem Grundstück des Klägers zu 2 und wegen der Bushaltestelle vor dem Grundstück des Klägers zu 1 nicht wünschenswert wäre und möglicherweise auch nicht angelegt werden dürfte (vgl. Sauthoff, Straße und Anlieger, Rdnr. 808, der die Herstellung einer zusätzlichen Zufahrt zu einer Ortsdurchfahrt als erlaubnispflichtige Sondernutzung beurteilt). Würden dort Zufahrten angelegt, liefe dies wohl der Zielsetzung zuwider, die für die Festsetzung des Zufahrtverbots maßgeblich war, nämlich einen möglichst ungestörten Verkehr auf der Landes- bzw. Kreisstraße zu ermöglichen. Diese Zielsetzung besteht angesichts der konkreten örtlichen Verhältnisse ungeachtet der straßenrechtlichen Einordnung der ... Straße als Ortsdurchfahrt einer Kreisstraße. Dass, wie der Prozessbevollmächtigte der Beklagten in der mündlichen Verhandlung erwähnt hat, in der Zwischenzeit eine Anfrage zur Anlegung einer Zufahrt zur ...  Straße vorliege, ändert an der maßgeblichen Sachlage im Zeitpunkt der Beschlussfassung des Änderungsbebauungsplans nichts.
31 
Mithin kommt es nicht darauf an, ob dem Verwaltungsgericht in der Beurteilung gefolgt werden könnte, es verstoße jedenfalls deshalb gegen Art. 3 Abs. 1 GG, den Klägern die Räum- und Streupflicht aufzuerlegen, weil sie von ihr ungleich härter als sonstige Anlieger im Gemeindegebiet getroffen würden, sie tatsächlich - anders als die Anlieger der... Straße südlich der Einmündung der ...straße - von einer Aufhebung des Zugang- und Zufahrtsverbots keinen Vorteil hätten und jene zudem gemäß den von der Beklagten aufgestellten Schildern keinen Winterdienst verrichten müssten.
32 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
33 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
34 
Beschluss
35 
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 4.000,- EUR festgesetzt (2 x 2.000,- EUR, vgl. die vorläufige Streitwertbestimmung vom 02.01.2006 unter Hinweis auf das Senatsurteil vom 20.11.2003 - 5 S 2311/02).
36 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.


Tenor

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt/Wstr. vom 5. Dezember 2011 wird zurückgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen der Beigeladenen zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Betrags abwenden, wenn nicht die jeweiligen Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Kläger begehren bauaufsichtliches Einschreiten gegen eine baugebietswidrige Wohnnutzung.

2

Sie sind Eigentümer der in der Gemarkung R… gelegenen Grundstücke Flurstück Nrn. …, … und …, auf denen sie eine Spedition betreiben. Im Nordwesten grenzt an diese Parzellen das mit einem Wohnhaus bebaute Grundstück der Beigeladenen an (Flurstück Nr. …). Der am 1. August 1991 in Kraft getretene Bebauungsplan „In der Langenbach“ setzt für diese Flurstücke ein Gewerbegebiet fest. Im Süden des Speditionsgeländes schließt sich ein ebenfalls mit Wohnhäusern bebautes Mischgebiet an.

3

Das Wohnhaus der Beigeladenen wurde 1913 errichtet. 1986 wurde das Hausgrundstück vom Land Rheinland-Pfalz - Straßenverwaltung - angekauft, da es zu einem großen Teil für den Straßenbau benötigt wurde. Von Anfang 1988 bis Mitte 1991 nutzte die Straßenverwaltung das Gebäude als Büro. Nach Fertigstellung der Straßenbaumaßnahme verkaufte das Land Rheinland-Pfalz das Grundstück mit notariellem Kaufvertrag vom Dezember 1992 zum Preis von 90.000,00 DM an die Kläger, die das Gebäude seither zu Wohnzwecken nutzen.

4

Im Jahr 1995 erteilte der Beklagte den Beigeladenen eine Baugenehmigung zur Errichtung einer Eingangsüberdachung mit Terrasse und Balkon.

5

Seit etwa 1999 beanstandete die Bauaufsichtsbehörde den Umfang des Lkw-Betriebes auf dem Speditionsgrundstück. Ein schalltechnisches Gutachten vom April 2001 ergab, dass bei 6 Lkw-Abfahrten von dem Grundstück in der lautesten Nachtstunde am Wohngebäude der Beigeladenen der Immissionsrichtwert für Gewerbegebiete (50 dB(A)) nicht eingehalten werden könne. Am 25. Juli 2003 verfügte der Beklagte ein Nachtfahrverbot für LKW. Schließlich wurde den Klägern am 13. Februar 2007 eine Baugenehmigung u.a. für einen Abstellplatz mit der Maßgabe erteilt, dass in der lautesten Nachtstunde maximal 3 Pkw-Parkvorgänge und 3 Lkw-Abfahrten zulässig seien.

6

Hinsichtlich der Wohnnutzung des Gebäudes der Beigeladenen stellte der Beklagte mit Bescheid vom 6. Februar 2004 fest, dass diese Wohnnutzung sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht gegen baurechtliche Bestimmungen verstoße und ein Bestandsschutz aus einer früher zulässigerweise ausgeübten Wohnnutzung nicht mehr bestehe. In der Begründung wurde ausgeführt, dass die Kreisverwaltung aber bereit sei, aufgrund der besonderen Umstände des Falles von einem bauaufsichtlichen Einschreiten gegen die rechtswidrige Wohnnutzung abzusehen, allerdings nur dann, wenn keine strengeren Lärmschutzanforderungen als die für ein Betriebswohngebäude im Gewerbegebiet gestellt würden. Diese Duldungsentscheidung stelle eine sachgerechte Interessenabwägung dar und verschaffe den Beigeladenen eine „gewisse verfestigte Rechtsposition“. Die von den Beigeladenen gegen die Feststellung der Baurechtswidrigkeit ihrer Wohnnutzung erhobene Klage blieb ohne Erfolg (Urteil des VG Neustadt an der Weinstraße vom 26. November 2007 - 3 K 724/07.NW - und Beschluss des Senats vom 26. März 2008 - 8 A 10034/08.OVG -). Im Rahmen einer Petition der Beigeladenen, mit der sie die Erstreckung der Duldung auch auf ihre Kinder erreichen wollten, teilte der Landrat des Beklagten mit Schreiben vom 15. September 2008 mit, dass die Beigeladenen auch künftig mit einem Einschreiten nicht rechnen müssten, sofern nicht besondere Umstände tatsächlicher oder rechtlicher Art ein Einschreiten erforderten. Diese Ausführungen würden entsprechend auch für den Fall der Übernahme des Gebäudes durch die Kinder der Beigeladenen gelten.

7

Mit Schreiben vom 21. November 2008 bat der damalige Bevollmächtigte der Kläger den Beklagten unter Hinweis auf die inzwischen rechtskräftig festgestellte Baurechtswidrigkeit der Wohnnutzung um Aufklärung, in welcher Weise die Bauverwaltung einzuschreiten gedenke. In seiner Antwort teilte der Beklagte mit, dass den Interessen des Speditionsunternehmens durch die „Gleichstellung“ des Hauses mit einem Betriebswohngebäude hinreichend Rechnung getragen worden sei. Nachdem eine erneute Bitte um bauaufsichtliches Einschreiten im September 2009 erfolglos geblieben war, beantragten die Kläger mit Schreiben vom 23. August 2010 förmlich, gegen die rechtswidrige Wohnnutzung der Beigeladenen durch Erlass einer Nutzungsuntersagungsverfügung einzuschreiten. Zumindest müsse die im Bescheid vom 6. Februar 2004 ausgesprochene Duldung eingeschränkt werden.

8

Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 10. Februar 2011 ab und führte zur Begründung aus: Der im Falle der Verletzung des Gebietsbewahrungsanspruchs grundsätzlich bestehende Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten scheide hier wegen besonderer Umstände des Falles aus. Zunächst sei der Nachbaranspruch verwirkt. Darüber hinaus stünden einem Einschreiten auch Vertrauensschutzgesichtspunkte zu Gunsten der Beigeladenen entgegen. Ihnen sei nicht erkennbar gewesen, dass sie 1992 ein illegales Wohngebäude erwarben. Hinzu komme, dass ihnen 1995 die Errichtung einer Eingangsüberdachung mit Terrasse und Balkon bauaufsichtlich genehmigt worden sei, woraufhin die Beigeladenen nicht unerhebliche Investitionen getätigt hätten. Mit der „Gleichstellung“ des Wohngebäudes der Beigeladenen mit einer Betriebswohnung sei den Interessen des Speditionsbetriebs hinreichend Rechnung getragen. Im Übrigen behalte sich die Kreisverwaltung ein Einschreiten vor, sofern dies wegen besonderer Umstände tatsächlicher oder rechtlicher Art im öffentlichen Interesse erforderlich werde. Demzufolge werde auch der Hilfsantrag auf Einschränkung der Duldung abgelehnt. Ob das Ableben der Beigeladenen oder andere Umstände ein Einschreiten erfordere, werde zu gegebener Zeit im Einzelfall zu entscheiden sein.

9

Der dagegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 2011 zurückgewiesen. Zuvor hatten die Beigeladenen ausgeführt, dass die Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen gegen das Land Rheinland-Pfalz wegen des im Kaufvertrag vereinbarten Gewährleistungsausschlusses erfolglos geblieben sei.

10

Die Kläger haben zur Begründung der daraufhin erhobenen Klage vorgetragen: Die Verweigerung des bauaufsichtlichen Einschreitens sei ermessensfehlerhaft. Die Nachbarschaft zu den Beigeladenen gestalte sich denkbar ungünstig. Es komme immer wieder zu neuen Anzeigen beim Gewerbeaufsichtsamt und anderen Ämtern. Dadurch würden die Abläufe in ihrem Speditionsbetrieb empfindlich gestört. Ihr Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten sei auch nicht verwirkt. Zweifelsfrei Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen hätten sie erst nach Abschluss des auf den Bescheid vom 6. Februar 2004 bezogenen Verfahrens der Beigeladenen gehabt. Sollte doch von einer Duldung auszugehen sein, müsse diese jedoch jedenfalls beschränkt werden.

11

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 5. Dezember 2011 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Den Klägern stehe ein Anspruch auf Erlass einer Nutzungsuntersagungsverfügung nicht zu. Zwar sei die von den Beigeladenen ausgeübte Wohnnutzung formell und materiell baurechtswidrig. Jedoch liege ein Verstoß gegen den Gebietserhaltungsanspruch der Kläger nicht vor. Mit der in der Duldungsverfügung vom 6. Februar 2004 enthaltenen Gleichstellung des Gebäudes der Beigeladenen mit einem im Gewerbegebiet nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO ausnahmsweise zulässigen Betriebswohngebäude sei dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung des im Bebauungsplan festgesetzten Gebietscharakters Genüge getan. Eine negative Vorbildwirkung durch die geduldete Wohnnutzung sei nicht zu befürchten, da sich in dem festgesetzten Gewerbegebiet neben dem Grundstück der Beigeladenen lediglich noch die Grundstücke der Kläger befänden. Vor diesem Hintergrund sei auch der Hilfsantrag abzuweisen. Ein Bedürfnis für eine Konkretisierung oder Einschränkung der Duldung vom 6. Februar 2004 bestehe derzeit nicht.

12

Die Kläger haben zur Begründung der vom Senat zugelassenen Berufung im Wesentlichen ausgeführt: Ihr Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten sei nicht verwirkt. Sie hätten rechtzeitig nach rechtskräftiger Feststellung der Baurechtswidrigkeit der Wohnnutzung der Beigeladenen ein bauaufsichtliches Einschreiten beantragt. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei ihr Gebietsbewahrungsanspruch sehr wohl verletzt. § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO lasse lediglich Betriebswohnungen ausnahmsweise zu. Eine Baugenehmigung für eine reine Wohnnutzung - wie hier - sei deshalb rechtswidrig. Dann sei aber eine dahingehende Duldungsentscheidung ebenfalls rechtswidrig. Es gehe nicht an, dass sich die Behörde durch ihr eigenes Verhalten an der Herstellung rechtmäßiger Zustände hindere.

13

Die Kläger beantragen,

14

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 5. Dezember 2011 den Bescheid des Beklagten vom 10. Februar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Mai 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über ihren Antrag auf Unterlassung der Nutzung des Grundstücks P… Straße in R… zu Wohnzwecken unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

15

Der Beklagte beantragt,

16

die Berufung zurückzuweisen.

17

Nach seiner Auffassung ist die Duldungsentscheidung vom 6. Februar 2004 gegenüber den Klägern bestandskräftig geworden. Im Übrigen sei die Behörde durchaus bauaufsichtlich eingeschritten, indem sie nämlich das Wohnhaus der Beigeladenen einer Betriebswohnung im Sinne von § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO gleichgestellt habe. Die darüber hinaus ausgesprochene Duldung stelle gerade unter Berücksichtigung des Vertrauensschutzes zugunsten der Beigeladenen eine rechtmäßige Ermessensentscheidung dar.

18

Die Beigeladenen beantragen ebenfalls,

19

die Berufung zurückzuweisen.

20

Sie tragen ergänzend vor: Dem Anspruch auf Einschreiten stehe bereits die Bestandskraft des Duldungsbescheids vom 6. Februar 2004 entgegen. Die Kläger hätten nach Kenntnis hiervon länger als ein Jahr nichts dagegen unternommen. Darüber hinaus sei der Anspruch auf Einschreiten auch infolge der Untätigkeit der Kläger gegenüber der bereits seit 1992 ausgeübten Wohnnutzung verwirkt.

21

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die beigezogenen Behördenakten, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.

Entscheidungsgründe

22

Die Berufung hat keinen Erfolg.

23

Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf bauaufsichtliches Einschreiten gegenüber den Beigeladenen zu Recht abgewiesen. Die Kläger haben keinen Anspruch auf eine erneute Entscheidung über ihren Antrag, gegen die Wohnnutzung der Beigeladenen durch Erlass einer Nutzungsuntersagungsverfügung einzuschreiten. Denn die ablehnende Entscheidung des Beklagten ist rechtlich nicht zu beanstanden, insbesondere ermessensfehlerfrei erfolgt.

24

Rechtsgrundlage für das begehrte bauaufsichtliche Einschreiten ist § 81 Satz 1 LBauO. Nach dieser Vorschrift kann die Bauaufsichtsbehörde die Benutzung baulicher Anlagen untersagen, wenn diese gegen baurechtliche Vorschriften verstoßen. Dieser Ermächtigung zum bauaufsichtlichen Einschreiten korrespondiert ein subjektiver Anspruch eines Nachbarn auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, sofern die verletzte Vorschrift nachbarschützend ist (vgl. Urteil des Senats vom 7. Dezember 2005 - 8 A 11062/05.OVG -).

25

1. Die Wohnnutzung der Beigeladenen ist sowohl formell baurechtswidrig, weil sich die ursprünglich im Jahr 1913 genehmigte Wohnnutzung des Hauses infolge der Umnutzung zum Baubüro erledigt hat, als auch materiell baurechtswidrig, weil sie nicht genehmigungsfähig ist. In einem Gewerbegebiet sind Wohngebäude grundsätzlich nicht zulässig. Nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO können lediglich Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter, die dem Gewerbebetrieb zugeordnet und ihm gegenüber untergeordnet sind, ausnahmsweise zugelassen werden. Diese Ausnahmevoraussetzungen liegen für die reine Wohnnutzung der Beigeladenen nicht vor. All dies steht zwischen den Beteiligten durch das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 26. November 2007 - 3 K 724/07.NW - und den Beschluss des Senats vom 26. März 2008 - 8 A 10034/08.OVG - rechtskräftig fest.

26

Die Kläger können sich auch auf die materielle Baurechtswidrigkeit der Wohnnutzung durch die Beigeladenen berufen. Denn die Festsetzung von Baugebieten durch Bebauungspläne hat für die Nachbarn im Plangebiet kraft Bundesrechts nachbarschützende Funktion (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. September 1993 - 4 C 28.91 -, BVerwGE 94, 151, LS 2). Soweit das Verwaltungsgericht zwischen objektiver Rechtswidrigkeit der Grundstücksnutzung und dem Umfang des Gebietsbewahrungsanspruchs des Nachbarn differenziert, gilt es klarzustellen, dass der Umfang der subjektiven Rechtsstellung des Nachbarn in vollem Umfang den objektiv-rechtlichen Anforderungen an die Gebietsverträglichkeit entspricht. So hat das Bundesverwaltungsgericht klargestellt, dass der Nachbar auch dann einen Anspruch auf die Bewahrung der festgesetzten Gebietsart hat, wenn das baugebietswidrige Vorhaben im jeweiligen Einzelfall noch nicht zu einer tatsächlich spürbaren und nachweisbaren Beeinträchtigung des Nachbarn führt (BVerwG, Urteil vom 16. September 1993, a.a.O., S. 161 und juris, Rn. 23). Dass die baugebietswidrige Wohnnutzung der Beigeladenen aufgrund der getroffenen Duldungsentscheidung zu keinen strengeren Lärmschutzvorkehrungen als den in einem Gewerbegebiet erforderlichen zwingt, ist deshalb für die Frage des Verstoßes gegen den Gebietsbewahrungsanspruch unerheblich.

27

2. Trotz Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen der Eingriffsermächtigung in § 81 Satz 1 LBauO haben die Kläger keinen Anspruch auf ein bauaufsichtliches Einschreiten gegen die im Haus der Beigeladenen stattfindende Wohnnutzung, weil der Beklagte dies zum jetzigen Zeitpunkt fehlerfrei abgelehnt hat.

28

a) Es kann deshalb letztlich dahingestellt bleiben, ob dem von den Klägern geltend gemachten Anspruch der Einwand der Verwirkung oder die Unanfechtbarkeit der Duldungsentscheidung vom 6. Februar 2004 entgegengehalten werden kann. In beiden Fällen neigt der Senat allerdings dazu, dies zu verneinen.

29

Dass die Kläger seit Aufnahme der Wohnnutzung durch die Beigeladenen im Jahr 1992 lange Zeit untätig geblieben sind, dürfte deshalb keine Verwirkung ihrer nachbarlichen Ansprüche auf bauaufsichtliches Einschreiten begründen, weil in den 1990er Jahren keiner der Beteiligten erkannt hatte, dass die 1913 erteilte Baugenehmigung zur Wohnnutzung infolge der Umnutzung des Hauses durch die Straßenverwaltung unwirksam geworden war (vgl. allgemein zu den Voraussetzungen der Verwirkung nachbarlicher Abwehrrechte: BVerwG, Urteil vom 16. Mai 1991 - 4 C 4.89 -, NVwZ 1991, 1182 und juris, Rn. 22).

30

Hinsichtlich des Bescheids vom 6. Februar 2004 dürfte zwar von einem Duldungsverwaltungsakt auszugehen sein. Hierfür sprechen die Formulierungen „Duldungsentscheidung“ und „Verschaffen einer verfestigten Rechtsposition“. Indes dürfte diese Duldungsentscheidung gegenüber den Klägern nicht unanfechtbar geworden sein. Eine unmittelbare Anwendung der Anfechtungsfristen nach §§ 57, 58 und 70 VwGO scheidet mangels förmlicher Bekanntgabe des Verwaltungsakts den Klägern gegenüber aus. Das Berufen auf die fehlende Bekanntgabe der Duldungsentscheidung dürfte ihnen auch nicht nach Treu und Glauben versagt werden können. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in dem von den Beigeladenen zitierten Urteil vom 25. Januar 1974 - IV C 2.72 -, ausgeführt, dass einem Nachbar dann, wenn er sichere Kenntnis von einer Baugenehmigung erlangt hat oder hätte erlangen müssen, nach Treu und Glauben die Berufung darauf versagt sein könne, dass die Baugenehmigung ihm nicht amtlich mitgeteilt wurde (vgl. BVerwGE 44, 294, Leitsatz 2). Die danach erforderliche Treuwidrigkeit dürfte den Klägern hier allerdings nicht vorgehalten werden können. So haben sie in dem mit dem Beklagten geführten Rechtsstreit um das Nachtfahrverbot vom 25. Juli 2003 bereits im Schriftsatz ihres damaligen Verfahrensbevollmächtigten vom 8. November 2004 die in dem „Feststellungsbescheid“ (vom 6. Februar 2004) erklärte Duldung der Wohnnutzung der Beigeladenen als „evident rechtsmissbräuchlich und ermessensfehlerhaft“ kritisiert. Dass sie darüber hinaus keine weiteren Schritte eingeleitet, sondern zunächst den Rechtsstreit zwischen den Beigeladenen und dem Beklagten über die Baurechtswidrigkeit der Wohnnutzung abgewartet haben, erscheint legitim. Nach rechtskräftigem Abschluss dieses Rechtsstreits sind die Kläger dann alsbald aktiv geworden und haben um bauaufsichtliches Einschreiten nachgesucht.

31

b) Der Beklagte hat den Antrag der Kläger, gegen die rechtswidrige Wohnnutzung der Beigeladenen durch Erlass einer Nutzungsuntersagungsverfügung einzuschreiten, im Bescheid vom 10. Februar 2011 jedenfalls ermessensfehlerfrei abgelehnt.

32

Zwar kann ein Nachbar nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts bei der Verletzung nachbarschützender Vorschriften grundsätzlich ein bauaufsichtliches Einschreiten zum Zwecke der Beseitigung des Rechtsverstoßes beanspruchen. Eine solche Ermessensreduzierung gilt jedoch nicht uneingeschränkt. So ist anerkannt, dass sie dann nicht eintritt, wenn eine Befreiung oder eine Abweichung von der nachbarschützenden Vorschrift in Betracht kommt, übergeordnete, sich aus der Sache selbst ergebende öffentliche Interessen einem Einschreiten entgegenstehen oder sich die Abweichung von der nachbarschützenden Vorschrift im Bagatellbereich hält (vgl. OVG RP, Urteile vom 22. Oktober 1987 - 1 A 108/85 - und 7. Dezember 2005 - 8 A 11062/05.OVG -, jew. m.w.N.). Der Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten ist ferner eingeschränkt, soweit der Einschreitenspflicht der Behörde ihrerseits rechtliche Schranken entgegenstehen. Denn der subjektive Anspruch des Nachbarn kann nicht weitergehen als die objektive Pflicht der Bauaufsichtsbehörde.

33

Der Beklagte sieht sich derzeit zu Recht aus Gründen des Vertrauensschutzes an dem Erlass einer Nutzungsuntersagungsverfügung gegenüber den Beigeladenen gehindert.

34

(1) Zwar können polizeiliche bzw. ordnungsrechtliche Eingriffsbefugnisse nicht verwirkt werden. Denn im Unterschied zu subjektiven privaten Rechten sind sie nicht verzichtbar, müssen vielmehr im öffentlichen Interesse zur Gewährleistung rechtmäßiger Zustände aufrechterhalten bleiben (vgl. VGH BW, Urteil vom 1. April 2008 - 10 S 1388/06 -, NVwZ-RR 2008, 696; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl. 2011, § 53 Rn. 44). Von dem Tatbestand der Verwirkung ist jedoch der Umstand zu unterscheiden, dass sich das Gebrauchmachen von einer Eingriffsermächtigung im Einzelfall als ermessensfehlerhaft erweisen kann, wenn sich eine Behörde damit in Widerspruch zu ihrem früheren Verhalten setzt und schutzwürdiges Vertrauen des Betroffenen verletzt. So ist in der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts anerkannt, dass eine Bauaufsichtsbehörde dann am ermessensfehlerfreien Erlass einer Beseitigungsverfügung gehindert sein kann, wenn sie durch ihr vorangegangenes positives Tun einen Vertrauenstatbestand beim Bauherrn geschaffen und dieser im Vertrauen darauf nicht unerhebliche und nur schwer rückgängig zu machende Vermögensdispositionen getroffen hat (sog. „aktive Duldung“, vgl. OVG RP, Urteil vom 13. Dezember 1979 - 1 A 68/77 -, AS 15, 324 [326]; Urteil vom 22. November 2011 - 8 A 11101/11.OVG -, DVBl. 2012, 250; ebenso: OVG NRW, Beschluss vom 18. November 2008 -7 A 103/08-, NVwZ-RR 2009, 364 und juris, Rn. 48 f; Decker, in: Simon/Busse, BayBauO, 107. Ergänzungslieferung 2012, Art. 76, Rn. 227 m.w.N.; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 53, Rn. 27).

35

Die Begrenzung der Einschreitenspflicht aus Gründen des Vertrauensschutzes schränkt die Durchsetzung des objektiven Rechts und der damit korrespondierenden subjektiven Nachbaransprüche zwangsläufig ein. Diese Zurücknahme der Rechtsdurchsetzung ist aber durch die gegenläufigen, ihrerseits ebenfalls rechtlich geschützten Interessen gerechtfertigt (vgl. zu dem im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Gebot des Vertrauensschutzes bei Erlass baurechtlicher Beseitigungsverfügungen: BVerfG, Beschluss vom 2. September 2004 -1 BvR 1860/02-, NVwZ 2005, 203 [Pirmasenser Amnestie]). Die widerstreitenden Positionen müssen in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden. Hierzu dient das den Bauaufsichtsbehörden eingeräumte Ermessen. Dabei wird dem Gebot zur Herbeiführung rechtmäßiger Zustände von vornherein dadurch in besonderem Maße Ausdruck verliehen, dass die Hinnahme rechtswidriger Zustände aus Gründen des Vertrauensschutzes nur für einen vorübergehenden Zeitraum erlaubt sein kann. Keinesfalls darf die auf schutzwürdiges Vertrauen gestützte Duldung in ihrer Wirkung derjenigen einer Baugenehmigung gleichkommen (vgl. HessVGH, Beschluss vom 29. März 1993 - 4 UE 470/90 -, BauR 1994, 229 und juris, Rn. 13; Finkelnburg/Ortloff/Otto, Öffentliches Baurecht, Bd. II, 6. Aufl. 2010, S. 186 m.w.N.).

36

(2) Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung des Beklagten, aktuell nicht gegen die Wohnnutzung der Beigeladenen in ihrem Haus P… Str. einzuschreiten, rechtlich nicht zu beanstanden.

37

Der Beklagte hat zu Recht erkannt, dass durch die Baugenehmigung zur Errichtung der Eingangsüberdachung mit Terrasse und Balkon im Jahr 1995 ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden war. Die Beigeladenen mussten diese Baugenehmigung so verstehen, dass die Berechtigung zur Wohnnutzung in dem von ihnen erworbenen Haus nicht in Frage gestellt wird. Die sich im Nachhinein als rechtswidrig erweisende Genehmigung ist auch von den Klägern nicht beanstandet worden; gestritten wurde im Rahmen der Bauausführung lediglich um einen geringfügigen Terrassenüberbau. Da die Beigeladenen im Vertrauen auf die Berechtigung ihrer Wohnnutzung auch nicht unerhebliche Investitionen getätigt haben, würde die Bauaufsichtsbehörde gegen Grundsätze des Vertrauensschutzes verstoßen, wenn sie hierauf im Rahmen der Entscheidung über die Durchsetzung des Gebietsbewahrungsanspruchs nicht Rücksicht nähme.

38

Andererseits hat der Beklagte bei seinen, dem Bescheid vom 11. Februar 2011 zugrunde liegenden Ermessenserwägungen auch die schutzwürdigen Interessen der Kläger gewürdigt und ihnen in gebotenem Maße Rechnung getragen. Wie vom Verwaltungsgericht bereits zutreffend dargelegt, hat die Behörde nämlich die Duldung des baurechtswidrigen Zustands an die Bedingung geknüpft, dass die Beigeladenen keine strengeren Lärmschutzanforderungen geltend machen, als dies für eine Betriebswohnung in einem Gewerbebetrieb beansprucht werden könnte. Dies bedeutet, dass sich die Beigeladenen mit den in einem Gewerbegebiet zwangsläufig entstehenden und als gebietsverträglich zu bewertenden Geräuscheinwirkungen, einschließlich auftretender Geräuschspitzen, abzufinden haben. Sofern sie darüber hinaus Schutzvorkehrungen auch unterhalb des in einem Gewerbegebiet üblichen Niveaus beanspruchen und gegenüber dem Beklagten geltend machen, stellen sie damit die ihnen lediglich unter der vorgenannten Bedingung gewährte Duldung in Frage. Ferner hat der Beklagte in seinem Bescheid vom 10. Februar 2011 den Interessen der Kläger dadurch Rechnung getragen, dass er sich die Möglichkeit des Einschreitens in der Zukunft ausdrücklich vorbehalten und dabei durchaus offengelassen hat, ob nicht der – von den Klägern angesprochene – Zeitpunkt des Ablebens der Beigeladenen und damit die Beendigung der derzeit praktizierten baurechtswidrigen Nutzung des Hauses einen Anlass für ein Einschreiten darstellt. Soweit darin eine Einschränkung gegenüber der großzügigeren, nämlich eine Anschlussnutzung durch die Kinder der Beigeladenen einschließende Duldungsregelung im Schreiben des Landrats vom 15. September 2008 zu sehen ist, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden. Denn § 50 VwVfG i.V.m. § 1 LVwVfG stellt Aufhebungen bzw. Einschränkungen von Verwaltungsakten anlässlich oder gelegentlich eines Rechtsbehelfsverfahrens - wie hier - von Vertrauensschutzerwägungen nach §§ 48 oder 49 VwVfG frei (vgl. Ziekow, VwVfG, 2. Aufl. 2010, § 50 Rn. 2).

39

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

40

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

41

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

42

Beschluss

43

Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird auf 7.500,00 € festgesetzt (§§ 47, 52 GKG).

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Die Zwangsmittel müssen, wenn sie nicht sofort angewendet werden können (§ 6 Abs. 2), schriftlich angedroht werden. Hierbei ist für die Erfüllung der Verpflichtung eine Frist zu bestimmen, innerhalb der der Vollzug dem Pflichtigen billigerweise zugemutet werden kann.

(2) Die Androhung kann mit dem Verwaltungsakt verbunden werden, durch den die Handlung, Duldung oder Unterlassung aufgegeben wird. Sie soll mit ihm verbunden werden, wenn der sofortige Vollzug angeordnet oder den Rechtsmitteln keine aufschiebende Wirkung beigelegt ist.

(3) Die Androhung muß sich auf ein bestimmtes Zwangsmittel beziehen. Unzulässig ist die gleichzeitige Androhung mehrerer Zwangsmittel und die Androhung, mit der sich die Vollzugsbehörde die Wahl zwischen mehreren Zwangsmitteln vorbehält.

(4) Soll die Handlung auf Kosten des Pflichtigen (Ersatzvornahme) ausgeführt werden, so ist in der Androhung der Kostenbetrag vorläufig zu veranschlagen. Das Recht auf Nachforderung bleibt unberührt, wenn die Ersatzvornahme einen höheren Kostenaufwand verursacht.

(5) Der Betrag des Zwangsgeldes ist in bestimmter Höhe anzudrohen.

(6) Die Zwangsmittel können auch neben einer Strafe oder Geldbuße angedroht und so oft wiederholt und hierbei jeweils erhöht oder gewechselt werden, bis die Verpflichtung erfüllt ist. Eine neue Androhung ist erst dann zulässig, wenn das zunächst angedrohte Zwangsmittel erfolglos ist.

(7) Die Androhung ist zuzustellen. Dies gilt auch dann, wenn sie mit dem zugrunde liegenden Verwaltungsakt verbunden ist und für ihn keine Zustellung vorgeschrieben ist.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.

(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.

(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.

(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 30.11.2010 - 3 K 1259/08 - geändert. Ziffer 1 der Verfügung des Regierungspräsidiums Freiburg vom 23.06.2008 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Aufhebung eines Betretungsverbots für sein über dem Stollen IV des Altbergwerks Kahlenberg gelegenes Grundstück FlSt.-Nr. 8887 auf der Gemarkung Herbolzheim.
Am Kahlenberg in der Gemeinde Herbolzheim wurde in der Vorbergzone an der Ostflanke des Rheintalgrabens am Übergang zum Schwarzwald von 1937 bis 1969 Eisenerz abgebaut, teils im Tagebau, teils im Untertagebau.
Das Bergwerk Kahlenberg war ursprünglich auf Grund eines Konzessionsvertrags mit dem Land Baden vom 26.10.1937 durch die „Rohstoffbetriebe der Vereinigten Stahlwerke GmbH“ betrieben worden. Zuletzt standen die Bergrechte der ...... GmbH zu, die das Bergwerk nach Einstellung des Bergbaubetriebs 1970 an den Landkreis Lahr verkaufte. Am 20.04.1971 wurde der vom 16.06.1970 datierende Abschlussbetriebsplan zugelassen, der hinsichtlich der Hohlräume im Baufeld Stollen IV keine Sicherungsmaßnahmen vorsah, lediglich offene Stollenmundlöcher (Zugänge) sollten geschlossen werden. 1972 wurde das Bergwerk an den beigeladenen Zweckverband Abfallbeseitigung Kahlenberg - ZAK - (im Folgenden: Beigeladener) zum Betrieb einer Deponie weiterveräußert. § 7 des notariellen Kaufvertrags vom 04.09.1972 lautet wie folgt:
„Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass mit dem 1. März 1972 alle Rechte und Pflichten aus dem Konzessionsvertrag zwischen der ...... GmbH und dem Land Baden-Württemberg für die Gewinnung von Eisenerz in der Konzession Kahlenberg auf den Käufer übergehen sollen.
Dem Käufer ist bekannt, dass hierfür die Zustimmung des Landes Baden-Württemberg notwendig ist.
Da der Käufer den Bergbaubetrieb mit übernimmt, übernimmt er auch alle auf den verkauften Grundstücken zu Gunsten des Landkreises eingetragenen beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten mit.“
Aufgrund eines Planfeststellungsbeschlusses aus dem Jahr 1973 wurde in den Tagebaubereichen des Bergwerks eine Mülldeponie errichtet.
Der Stollen IV wurde nach Beendigung der Förderung dort in den 1950er Jahren zum Teil zu Bruch geschossen, d.h. durch Sprengung gezielt zum Einsturz gebracht, zum größten Teil jedoch lediglich durch inzwischen verrottete Holzbalken gesichert. Der im Bereich dieses Stollens betriebene Bergbau führte zu mehreren sog. Tagesöffnungen. Mehrere 100 m nordöstlich des klägerischen Grundstücks haben sich in den 1990er Jahren einige sog. Spüllöcher (kreisrunde Absackungen mit einer Tiefe und einem Durchmesser von jeweils etwa 1 m sowie 60 cm breite und mehrere Meter lange Spalten) gebildet, die allerdings auch Folge einer Verkarstung sein können. Südlich des klägerischen Grundstücks befindet sich ein kleiner Tagesbruch mit unbekannter Entstehungsgeschichte.
Am 13.02.2008 wurde auf den Grundstücken FlSt.-Nrn. 8875, 8876 und 8877 im Gewann Wingarten ca. 45 m von der nordwestlichen Grenze des klägerischen Grundstücks entfernt ein Tagesbruch entdeckt. Der Einbruchtrichter hatte anfänglich einen Durchmesser von etwa 6 m, die Wände verliefen fast senkrecht, in 6,75 m Tiefe verjüngte sich das Loch und setzte sich weitere 25 m bis zu dem Stollen IV des Bergwerks fort. Der Durchmesser des Trichters vergrößerte sich in der Folgezeit durch Nachrutschen auf über 20 m.
10 
Bereits kurz nach Entdeckung dieses Tagesbruchs sperrte die Gemeinde Herbolzheim als Ortspolizeibehörde durch Allgemeinverfügung vom 25.02.2008 die nähere Umgebung durch Trassierband und Zäune ab, um einen Unfall am Tagesbruch selbst oder durch einen neuen Tagesbruch zu verhindern. Der räumliche Geltungsbereich der Allgemeinverfügung erstreckte sich auf das Gebiet über dem südlichen Teil des Stollens IV und umfasste auch das ca. 60 m lange und 40 m breite, rautenförmige Weinberggrundstück des Klägers.
11 
Am 23.04.2008 führten Mitarbeiter des Regierungspräsidiums Freiburg - Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau (LGRB) - eine Grubenbefahrung zum Zweck der Gefahrerforschung durch. Das Regierungspräsidium Freiburg legte aufgrund der Erkenntnisse aus der Befahrung ein übertägiges Sicherungsgebiet von ca. vier ha Größe fest, in welchem auf Dauer ein generelles Betretungsverbot gelten müsse. Der Beigeladene bot in der Folge den Eigentümern der innerhalb des Sicherungsgebiets gelegenen Grundstücke an, diese zu einem von einem Schätzer ermittelten Preis zu erwerben. Anders als die übrigen Grundeigentümer veräußerte der Kläger sein Grundstück nicht, weil er den angebotenen Preis für deutlich zu niedrig hielt.
12 
Mit Verfügung vom 23.06.2008 ordnete das Regierungspräsidium Freiburg dem Kläger gegenüber an, dass das Grundstück FlSt.-Nr. 8887 nicht mehr betreten werden dürfe. Ausnahmen seien nur mit vorheriger Zustimmung des Regierungspräsidiums möglich (Nr. 1). Weiter seien Maßnahmen zur Gefahrerkundung und -beseitigung zu dulden, insbesondere Begehungen, Beschilderungen und das Errichten von Zäunen (Nr. 2). Unter Nr. 3 hieß es, der Kläger werde für die mit den Anordnungen verbundenen Nachteile eine angemessene Entschädigung erhalten, deren Höhe noch festzusetzen sei. Unter Nr. 4 wurde der Sofortvollzug der Nummern 1 und 2 angeordnet. Die Verfügung wurde damit begründet, dass das klägerische Grundstück einsturzgefährdet sei und damit Leib und Leben von Menschen bedroht seien. Es könne jederzeit zu einem Tagesbruch wie am 13.02.2008 kommen. Daher müsse ein Betretungsverbot erlassen und der gesamte Bereich eingezäunt werden. Mildere Maßnahmen seien nicht ersichtlich. Eine unterirdische Sicherung sei technisch nicht zuverlässig umsetzbar und unverhältnismäßig aufwändig. Die Maßnahme sei auf §§ 1, 3 und 9 PolG gestützt, weshalb dem Kläger eine angemessene Entschädigung in Geld zustehe.
13 
Am 09.07.2008 hat der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Freiburg erhoben mit dem Antrag, Ziffer 1 der Verfügung des Regierungspräsidiums Freiburg vom 23.06.2008 aufzuheben, hilfsweise den Beklagten zu verpflichten, eine eingeschränkte Nutzung des Grundstücks unter Aufrechterhaltung der Sperrung gegenüber Dritten zuzulassen. Zur Begründung führte er aus, dass gerade auf seinem Grundstück die Gefahr eines Tagesbruchs allenfalls gering sei. Obwohl der Abbau im Stollen IV unter Kriegsbedingungen und damit nicht so sorgfältig wie im Fall einer zivilen Bergmannsarbeit durchgeführt worden sei, seien nicht alle unterirdischen Strukturen akut versturzgefährdet. Zwar seien unter den Bedingungen der kriegsmäßigen Erschließung die vorhandenen Abbaukammern wiederholt zur Seite erweitert worden, was die Firststabilität negativ beeinflusst habe. Unter dem Grundstück des Klägers seien solche nachträglichen Erweiterungen auf den Grubenplänen jedoch nicht zu erkennen, weshalb die Abbaukammern ihre ursprüngliche Stabilität behalten hätten. Mit Ausnahme eines kleinen Stücks im äußersten Südwesten des Grundstücks seien deshalb - anders als im Bereich des Tagesbruchs - keine Versturzstrecken erkennbar. Ohnehin bedeute ein Versturz nicht, dass der Stollen auf ganzer Länge unpassierbar sei. Ein Versturz liege bereits dann vor, wenn geringe Mengen des Hangenden niedergebrochen seien. Nach dem Versturz könne das Abbaufeld dann wieder über eine lange Strecke hinweg absolut stabil sein. Besonders versturzgefährdet seien Teile des Abbaufeldes, wo Wasser zutrete, sei es Oberflächenwasser oder Grundwasser. So habe der durch die mangelhafte Wartung des Abflusses einer Quelle verursachte Wasserzutritt zu dem Tagesbruch vom 13.02.2008 geführt. Auf dem klägerischen Grundstück gebe es dagegen weder feuchte Stellen noch gar stehendes Wasser. Eine eventuell gleichwohl bestehende Restgefahr könne durch bescheidene Maßnahmen unterhalb des klägerischen Grundstücks wie den Einzug einer Stützung beseitigt werden. Keineswegs sei es erforderlich, das gesamte Abbaufeld des Stollens IV unterirdisch zu sichern. In Relation zum Wert des Grundstücks, der sich auf 62.000,-- EUR belaufe, seien solche Maßnahmen keinesfalls unverhältnismäßig. Auch oberirdische Sicherungsmaßnahmen seien als mildere Maßnahme möglich. Das Grundstück solle nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, sondern weiter zum Weinbau genutzt werden. Die mit dem Betreten des Grundstücks durch den Kläger einhergehende Selbstgefährdung rechtfertige kein polizeiliches Einschreiten. Da sich ein Tagesbruch durch Erdbewegungen und Geräusche ankündige, könnten sich auch die im Weinberg Beschäftigten rechtzeitig in Sicherheit bringen. Sie könnten zudem zu einer Seilsicherung verpflichtet werden. Außerdem könne das Befahren auf Fahrzeuge und Maschinen mit einem bestimmten Gesamtgewicht beschränkt werden. Für die Pflege der Rebstöcke sei nur eine geringe tägliche Aufenthaltsdauer erforderlich. Der durch das Betretungsverbot eintretende Schaden sei für den Kläger deutlich höher als für die Eigentümer der Nachbargrundstücke, da er das Grundstück erwerbslandwirtschaftlich genutzt habe. Zwischenzeitlich sei die Rebanlage so sehr beschädigt, dass es nicht mehr möglich sei, die Bewirtschaftung wieder aufzunehmen. Die alten Rebstöcke müssten entfernt und durch Neuanpflanzungen ersetzt werden.
14 
Allgemein müsse berücksichtigt werden, dass in fast allen Bergbaugebieten ein Tagesbruch nahezu flächendeckend nicht ausgeschlossen werden könne. Auch im Bereich des Kahlenbergs werde sich irgendwann und irgendwo wieder ein Tagesbruch ereignen, allerdings vielleicht erst in 100 Jahren oder noch später. Die Tatsache, dass sich seit 2008 kein weiterer Tagesbruch ereignet habe, zeige jedenfalls, dass sich die Lage stabilisiert habe.
15 
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Er hat geltend gemacht, die Gefahr eines Tagesbruchs sei auch auf dem Grundstück des Klägers groß. Ausweislich des Grubenbildes befänden sich unter dem Grundstück flächendeckend ca. 5 - 6 m breite und 3 m hohe Erschließungsstrecken sowie ca. 4 - 5 m breite und 6 - 8 m hohe Abbauhohlräume. Die Abbaukammern seien - abgesehen von zwei kurzen Teilstücken unter dem südlichen Grundstücksbereich - nach der Betriebseinstellung nicht zu Bruch geschossen worden. Die für die Gefahr eines Tagesbruchs besonders bedeutsame Mächtigkeit des Deckgebirges belaufe sich im Bereich des klägerischen Grundstücks lediglich auf 34 - 41 m. Da auch unter dem klägerischen Grundstück Verbrüche der Firste festzustellen seien, bestehe Tagesbruchgefahr. Denn diese Verbrucherscheinungen deuteten auf eine langsame, aber unaufhaltsame Entfestigung des Gebirgsverbandes hin, die wegen der geringen Überdeckung über kurz oder lang zu einem Tagesbruch führen müsse. Nur wenn die Überdeckung des Hohlraums durch die darüber liegenden Gebirgsschichten das Siebenfache seiner Höhe erreiche (hier 56 m), sei das Risiko eines Tagesbruchs allenfalls noch gering. Daher sei der Sicherungsbereich danach bestimmt worden, ob die Überdeckung oberhalb dieses Grenzwerts liege. Die Behauptung des Klägers, unter seinem Grundstück gebe es weder Verbrüche noch Zutritte von Wasser, könne mangels Vor-Ort-Befund nicht bestätigt werden. Es stehe jedoch fest, dass es in den Gebirgsschichten unter dem Grundstück des Klägers Wasser gebe. Ein Wassereinbruch mit einer Beschleunigung des Verbruchs des Bergwerks sei daher nur eine Frage der Zeit. Ein Tagesbruch könne nach Jahren trügerischer Ruhe ohne Vorankündigung jederzeit auftreten, ohne dass Personen auf dem klägerischen Grundstück noch Zeit und Gelegenheit hätten, sich rechtzeitig zu entfernen. Sicherungsmaßnahmen unter Tage seien nicht nur technisch schwierig und gefährlich, die Kosten dafür stünden auch in keiner Relation zum Wert des Grundstücks. Von oben könnten keine Stabilisate in die Grubenbaue eingebracht werden, weil die Tragfähigkeit des Bodens für die dafür erforderlichen schweren Maschinen nicht ausreichend sei. Auch eine regelmäßige Überwachung der Stollen unter dem Grundstück sei zu gefährlich und daher nicht möglich.
16 
Das Verwaltungsgericht hat zur Gefahr eines Tagesbruchs auf dem Grundstück des Klägers und zu den Möglichkeiten, eine solche Gefahr abzuwenden, Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Der Sachverständige Dipl.-Geol. ... von der Ingenieurgesellschaft ...... ist in seinem Gutachten vom 30.06.2010, welches er in den mündlichen Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht und dem Senat näher erläutert hat, zu dem Ergebnis gekommen, dass auf dem Grundstück des Klägers insbesondere in dem Bereich über dem 1. liegenden Aufhauen sowie über den Abbaukammern E, G und H die Gefahr eines Tagesbruchs bestehe. Die Wahrscheinlichkeit eines Tagesbruchs bewege sich im Vergleich zu dem 2008 gefallenen Tagesbruch in ähnlicher Größe, teilweise liege sie sogar höher. Die fehlenden Grundwasserzutritte zu den Grubenbauen unter dem Grundstück führten nicht zu einer Verringerung der Eintrittswahrscheinlichkeit von Tagesbrüchen unter dem Grundstück. Im Vergleich zu den umliegenden Grundstücken sei die Tagesbruchgefahr nicht signifikant geringer. Ein Befahren mit landwirtschaftlichen Maschinen könne aufgrund der höheren Flächenbelastung bei ansonsten gleichen Verhältnissen eher zu einem Tagesbruch führen. Eine deutlich wahrnehmbare Vorankündigung eines Tagesbruchs sei nicht gewährleistet. Eine übertägige Überwachung der alten Grubenbaue zur rechtzeitigen Erkennung von Tagesbrüchen sei zwar grundsätzlich technisch möglich, aufgrund der Nutzung des Geländes als Weinberg jedoch nicht realisierbar. Eine untertägige Überwachung sei technisch sehr aufwändig, nicht gefahrlos installierbar und extrem störanfällig. Die sicherste Lösung zur Abwendung der Tagesbruchgefahr sei eine Vollsicherung der Hohlräume durch Verfüllung mit einem hydraulisch abbindenden Material. Bei einem zu verfüllenden Hohlraumvolumen unter dem klägerischen Grundstück von ca. 7.400 m³ sei von Kosten von mehr als 1.000.000 EUR netto auszugehen. Bei einem Zu-Bruch-Schießen wäre nicht gewährleistet, dass das zu Bruch geschossene Gebirge tagesbruchfrei wäre. Bei Einbau einer Sicherung mittels Geotextilien könne durch die lastverteilende Wirkung des Geogitters bei Eintritt eines Tagesbruchs ein vollständiges Versagen der Erdoberfläche verhindert werden. Im Schadensfall sei jedoch eine anschließende Vollsicherung des Tagesbruchs erforderlich, um das Gelände weiter nutzen zu können. Zu allen untersuchten Sicherungs- und Überwachungsvarianten sei anzumerken, dass hierdurch lediglich das klägerische Grundstück gesichert bzw. überwacht werden könne. Die Zuwegungen zum Grundstück seien jedoch ebenfalls tagesbruchgefährdet und müssten in ein etwaiges Maßnahmenkonzept einbezogen werden.
17 
Der Beklagte hat in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht zwei vom Beigeladenen beim Ingenieurbüro ... - ... - in Auftrag gegebene Gutachten, nämlich den Zwischenbericht vom 20.10.2009 und den „Abschlussbericht zu den Ergebnissen der Vor-Ort-Untersuchungen im Abbaufeld Stollen IV der ehemaligen Eisenerzgrube Kahlenberg unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse im Bereich der Steigstraße“ vom 30.09.2010 vorgelegt. Eine revidierte Fassung des Abschlussberichts vom 11.03.2011 wurde im Berufungsverfahren vorgelegt. Nach diesem Gutachten besteht auf dem klägerischen Grundstück die Gefahr eines großen Tagesbruchs (> 2 m). Für Teilbereiche des Grundstücks kommt das Gutachten zu dem Ergebnis, dass eine Tagesbruch-, Senkungs-/Setzungsgefährdung mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhanden und keine Nutzung möglich ist. Für die übrigen Teilbereiche des Grundstücks geht das Gutachten davon aus, dass eine solche Gefährdung wahrscheinlich vorhanden ist und hält eine eingeschränkte landwirtschaftliche Nutzung (Beweidung oder extensiver Anbau ohne Maschineneinsatz) für vertretbar.
18 
Mit Urteil vom 30.11.2010 - 3 K 1259/08 - hat das Verwaltungsgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Eine Tagesbruchgefahr liege für das gesamte klägerische Grundstück vor, wie sich aus dem Gutachten des Sachverständigen ... nachvollziehbar ergebe. Das Betretungsverbot diene, auch soweit es sich an den Kläger richte, nicht nur dessen Schutz, sondern auch dem möglicher Retter. Ein Fall der ausschließlichen Selbstgefährdung liege daher nicht vor. Der Kläger sei als Eigentümer des tagesbruchgefährdeten Grundstücks Zustandsstörer. Das ihm auferlegte Betretungsverbot sei für ihn auch nicht wirtschaftlich unzumutbar. Eine grundlegende Beseitigung der von den Hohlräumen unter seinem Grundstück ausgehenden Gefahr werde von ihm nicht gefordert. Vielmehr werde ihm (nur) die Möglichkeit der Nutzung des Grundstücks entzogen. In diesem Zusammenhang sei zu beachten, dass ein vernünftiger Eigentümer das Grundstück ohnehin nicht mehr betreten würde. Die Frage, ob der Beigeladene ebenfalls polizeirechtlich verantwortlich sei, könne offen bleiben, da dieser nur zu Sicherungs- oder Überwachungsmaßnahmen verpflichtet werden könnte, die jedoch entweder nicht zuverlässig oder unverhältnismäßig teuer seien. Der auf teilweise Aufhebung des Betretungsverbots zielende Hilfsantrag sei gleichfalls unbegründet, da das Grundstück insgesamt tagesbruchgefährdet sei.
19 
Entsprechend den Empfehlungen des ...Gutachtens ließ der Beigeladene die Steigstraße, einen asphaltierten Wirtschaftsweg, der das abgesperrte Gebiet etwa 50 m südlich des klägerischen Grundstücks auf einer Länge von 180 m in Ost-West-Richtung quert, mit einem Geotextil sichern. Die Steigstraße wurde Anfang Mai 2011 wieder für Fußgänger und landwirtschaftliche Fahrzeuge bis 3,5 t bei einer Höchstgeschwindigkeit von 10 km/h freigegeben. Die Maßnahme kostete laut Presseberichten 70.000 EUR, nach der Schätzung des Beklagten 100.000 EUR.
20 
Zur Begründung seiner vom Senat mit Beschluss vom 11.05.2011 - 1 S 172/11 - zugelassenen Berufung wiederholt und vertieft der Kläger sein bisheriges Vorbringen. Ergänzend trägt er vor, die Freigabe der Steigstraße zeige, dass der Beklagte selbst die Gefahrensituation inzwischen deutlich entspannter sehe. Die Absicherung der Steigstraße mit Geotextilien belege deren grundsätzliche Geeignetheit. Zu Unrecht sei das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger Zustandsstörer sei. Störer sei vielmehr allein der Beigeladene, da er als Bergwerksbetreiber seiner Sicherungspflicht nicht ausreichend nachgekommen sei und die dafür gebildeten Rückstellungen, die sich zum 31.12.1994 auf über 21 Mio. DM belaufen hätten, anderweitig verwendet habe.
21 
Der Kläger beantragt,
22 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 30.11.2010 - 3 K 1259/08 - zu ändern und Ziffer 1 der Verfügung des Regierungspräsidiums Freiburg vom 23.06.2008 aufzuheben,
hilfsweise den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger und seinen Hilfspersonen auf dessen Antrag unbeschränkt Zugang zu seinem Grundstück zu gewähren und dessen weinbauliche Nutzung und Bewirtschaftung zu ermöglichen.
23 
Der Beklagte beantragt,
24 
die Berufung zurückzuweisen.
25 
Er trägt vor, dass in der revidierten Fassung vom 11.03.2011 auch das ...-Gutachten von einer Gefahr auf dem gesamten klägerischen Grundstück ausgehe, so dass es nun für 2/3 des Grundstücks keine Nutzung und für 1/3 eine nur eingeschränkte Nutzung empfehle. Die theoretisch denkbaren Sicherungsmaßnahmen stünden in keinem Verhältnis zum Wert des Grundstücks und Überwachungsmaßnahmen seien zu gefährlich und ebenfalls zu teuer. Der Beklagte gehe nach wie vor davon aus, dass der Kläger Nichtstörer sei; die Voraussetzungen des § 9 PolG lägen jedoch vor. Ein Tagesbruch könne sich jederzeit ohne Vorwarnung ereignen, so dass diese Gefahr unmittelbar drohe. Bei der Abwägung, die zu dem Ergebnis geführt habe, dass die Anordnung von Maßnahmen gegenüber dem Beigeladenen unverhältnismäßig wäre, sei von einer unbegrenzten Leistungsfähigkeit des Beigeladenen ausgegangen worden, so dass es auf mögliche Rücklagen nicht ankomme. Abgestellt worden sei auf das Verhältnis zwischen dem Wert des Grundstücks und dem Sicherungsaufwand.
26 
Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Er verteidigt das angefochtene Urteil und trägt ergänzend vor: Selbst wenn auch er polizeilich verantwortlich sei, so habe der Grundsatz der Effektivität der Gefahrenabwehr die Inanspruchnahme des Klägers erfordert, den das Verwaltungsgericht zu Recht als Zustandsstörer angesehen habe. Denn in der Zeit bis zum Abschluss etwaiger Sicherungsmaßnahmen bestehe die Gefahr fort. Außerdem sei die Sicherung für die eingesetzten Arbeiter ebenfalls gefährlich. Es könnten auch nicht alle Hohlräume zuverlässig erfasst werden. Die Sicherung sei zudem unverhältnismäßig teuer. Da der gesamte Stollen gesichert werden müsste, würde dies etwa 20 Mio. EUR kosten. Selbst wenn man optimistisch mit nur 7 Mio. EUR kalkulieren würde, sei dies immer noch unverhältnismäßig. Die Rückstellungen für Berg- und Folgeschäden in allen Grubenbereichen des Altbergwerks beliefen sich auf ca. 3 Mio. EUR.
27 
Der Senat hat Beweis erhoben durch Anhörung des Sachverständigen ... und des sachverständigen Zeugen ... sowie durch Vernehmung des Zeugen ..., der bis zu seiner Pensionierung 1995 technischer Betriebsleiter der vom Beigeladenen betriebenen Deponie war. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
28 
Dem Senat liegen die einschlägigen Akten des Regierungspräsidiums Freiburg und des Verwaltungsgerichts vor. Hierauf sowie auf die angefallenen Gerichtsakten wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
29 
Der Senat sieht keine Veranlassung, mit Blick auf den Schriftsatz des Beigeladenen vom 31.10.2012, in welchem dieser seine Rechtsauffassung hinsichtlich der Störereigenschaft des Klägers und des Vorliegens einer unmittelbar bevorstehenden Störung nochmals verdeutlicht, die mündliche Verhandlung nach § 104 Abs. 3 Satz 2 VwGO wieder zu eröffnen.
30 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Klage ist zulässig (I.) und begründet (II.). Das in Ziffer 1 der Verfügung des Regierungspräsidiums Freiburg vom 23.06.2008 angeordnete Betretungsverbot ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
31 
Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) zulässig. Insbesondere fehlt es nicht an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse. Zwar ist bei einem Erfolg der Klage die tatsächliche Erreichbarkeit des klägerischen Grundstücks noch nicht sichergestellt, da dieses nicht an einen öffentlichen Weg grenzt und für die umliegenden Grundstücke, die im Eigentum des Beigeladenen stehen, weiterhin ein Betretungsverbot gilt. Es erscheint jedoch nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Kläger gegenüber dem Beigeladenen einen Anspruch auf Einräumung eines Notwegerechts nach § 917 BGB hat und dass von der ca. 50 m südlich des klägerischen Grundstücks verlaufenden Steigstraße aus eine sichere Zuwegung geschaffen werden kann.
II.
32 
Die Klage ist auch begründet. Das auf die §§ 1, 3 und 9 PolG gestützte Betretungsverbot ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Zwar ist der Anwendungsbereich des Polizeigesetzes eröffnet (1.) und die Verfügung ist formell rechtmäßig (2.) und inhaltlich hinreichend bestimmt (3.). Der Kläger ist jedoch Nichtstörer (4.) und die Voraussetzungen des § 9 PolG für seine Inanspruchnahme als Nichtstörer liegen nicht vor (5.).
33 
1. Die polizeiliche Generalklausel (§§ 1, 3 PolG) ist als Ermächtigungsgrundlage anwendbar, obwohl es um die Bekämpfung der von einem Altbergwerk ausgehenden Gefahren geht. Ihre Anwendung ist nicht durch speziellere bergrechtliche Vorschriften gesperrt.
34 
Die Vorschriften des Bundesberggesetzes sind gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 BBergG vom 13.08.1980 (BGBl. I S. 1310) nicht anzuwenden auf Betriebe im Sinne des Absatzes 1, die bei Inkrafttreten des Gesetzes am 01.01.1982 bereits endgültig eingestellt waren. Die endgültige Einstellung eines Bergwerksbetriebs nach § 169 Abs. 2 Satz 1 BBergG beginnt, sobald die Errichtungs- und/oder Führungsphase mit der Absicht beendet wird, sie nicht wieder aufzunehmen. Sie endet nach der Durchführung des Abschlussbetriebsplans (BayVGH, Urt. v. 24.08.2010 - 8 BV 06.1795 - ZfB 2011, 114). Im Bergwerk Kahlenberg wurde der Bergbau im Jahr 1970 aufgegeben. Der Abschlussbetriebsplan vom 16.06.1970, der am 20.04.1971 zugelassen wurde, sah vor, die Hohlräume im Baufeld Stollen IV unverändert zu belassen, lediglich offene Stollenmundlöcher (Zugänge) sollten geschlossen werden. Zwar lässt sich den vorgelegten Bergakten nicht entnehmen, wann genau die Zugänge geschlossen wurden. Die Verfahrensbeteiligten konnten hierzu ebenfalls keine exakten Angaben machen. Es gibt aber keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass dies nicht zeitnah im Zusammenhang mit der Betriebseinstellung erfolgt ist. Daher ist von einer endgültigen Einstellung des Betriebs vor dem 01.01.1982 auszugehen.
35 
Auch Vorschriften des vor Inkrafttretens des Bundesberggesetzes anzuwendenden Badischen Berggesetzes vom 22.06.1890 in der Fassung der Bekanntmachung vom 17.04.1925 (Bad. GVBl. S. 103), zuletzt geändert durch Art. 1 des Dritten Gesetzes zur Änderung bergrechtlicher Vorschriften vom 08.04.1975 (GBl. S. 237) und § 69 Abs. 6 des Naturschutzgesetzes vom 21.10.1975 (GBl. S. 654; ber. 1976 S. 96), kommen nach der Einstellung des Bergwerksbetriebes nicht mehr als Ermächtigungsgrundlage in Betracht (vgl. Senatsurteil vom 29.03.2000 - 1 S 1245/99 - VBlBW 2000, 362 = NVwZ-RR 2000, 589 m.w.N.). Denn das Badische Berggesetz sieht keine Eingriffsbefugnisse bei stillgelegten Bergwerken vor, da § 144 Bad. BergG die Zuständigkeit der Bergpolizei und damit auch die Reichweite der Generalklausel des § 147 Bad. BergG auf „den Betrieb“ beschränkt. Der Begriff „Betrieb“ ist im Gesetz nicht definiert. Aus den §§ 60 ff. Bad. BergG ergibt sich jedoch, dass der Betrieb ein tatsächlicher Abbauvorgang ist, der zum Beispiel nach § 60 Abs. 3 Bad. BergG auch kurzfristig unterbrochen werden kann. Ein stillgelegtes Bergwerk ist daher kein Betrieb im Sinne der §§ 144 ff. Bad. BergG mehr.
36 
Die bergrechtlichen Vorschriften sind insoweit nicht abschließend, so dass daher die allgemeinen polizeirechtlichen Vorschriften Anwendung finden (Senatsurteil vom 29.03.2000 - 1 S 1245/99 - a.a.O.).
37 
2. Die Zuständigkeit des Regierungspräsidiums Freiburg ergibt sich aus § 1 Abs. 1 der auf § 66 Abs. 1 PolG gestützten Verordnung des Umweltministeriums über die Zuständigkeit für stillgelegte Bergwerke und andere künstliche Hohlräume vom 21.11.1994 (GBl. S. 669), zuletzt geändert durch Art. 120 der Verordnung vom 25.01.2012 (GBl. S. 65, 79). Danach ist das Regierungspräsidium Freiburg bei stillgelegten untertägigen Bergwerken und Bohrungen nach Maßgabe des § 2 zuständig für die Abwehr von Gefahren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird, und für die Beseitigung von Störungen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, soweit es im öffentlichen Interesse geboten ist.
38 
3. Die angefochtene Verfügung ist inhaltlich hinreichend bestimmt im Sinn des § 37 Abs. 1 LVwVfG. Hinreichend bestimmt ist ein Verwaltungsakt, wenn sowohl der Adressat, als auch - bei der Aufgabe eines Handelns, Duldens oder Unterlassens - das Ziel der geforderten Handlung so bestimmt ist, dass sie nicht einer unterschiedlichen subjektiven Beurteilung zugänglich ist. Es genügt insoweit, dass aus dem gesamten Inhalt des Verwaltungsakts und aus dem Zusammenhang, vor allem aus der von der Behörde gegebenen Begründung und aus den Beteiligten bekannten näheren Umständen des Erlasses im Wege einer an den Grundsätzen von Treu und Glauben orientierten Auslegung hinreichende Klarheit gewonnen werden kann (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl., § 37 Rn. 12 m.w.N.; BVerwG, Beschl. v. 03.02.1989 - 7 B 18.89 - NJW 1989, 1624). Hierbei ist entsprechend § 133 BGB auf den erklärten Willen aus der Sicht eines verständigen Empfängers abzustellen (Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 35 Rn. 71).
39 
Hier ergibt die Auslegung des angefochtenen Betretungsverbots, dass dem Kläger selbst das Betreten seines Grundstücks untersagt werden soll und dass es ihm darüber hinaus verboten sein soll, von seinem Eigentumsrecht nach § 906 BGB in der Weise Gebrauch zu machen, dass er anderen Personen das Betreten gestattet.
40 
Zwar lässt die Formulierung des Tenors der angefochtenen Verfügung („Das Grundstück darf nicht betreten werden“) zunächst mehrere Auslegungen denkbar erscheinen: Das Betretungsverbot könnte sich ausschließlich auf den Kläger als Grundstückseigentümer beziehen, es könnte sich an jedermann richten und damit eine Allgemeinverfügung i.S.d. § 35 Satz 2 Alt. 3 LVwVfG darstellen oder die Verfügung könnte so auszulegen sein, dass sie neben dem an den Kläger gerichteten Verbot ihm gegenüber auch die Verpflichtung enthält, sein Eigentumsrecht dahingehend auszuüben, Dritten das Betreten nicht zu gestatten.
41 
Entscheidend gegen eine Deutung als Allgemeinverfügung spricht jedoch bereits der dem Tenor vorangestellte Einleitungssatz („Für dieses Grundstück wird Ihnen gegenüber angeordnet“) und der Umstand, dass allein der Kläger Adressat der Verfügung ist.
42 
Auf der anderen Seite würde ein ausschließlich an den Kläger als Grundstückseigentümer gerichtetes Betretungsverbot dem Ziel des Bescheids, wie es sich auch aus der Begründung ergibt, nicht gerecht werden. Denn vor dem Hintergrund der in der Begründung beschriebenen Gefahrenlage zielt das Vorgehen des Regierungspräsidiums darauf ab, dass niemand mehr das Grundstück betreten soll. Nach seinem Sinn und Zweck kann das Betretungsverbot daher nur in dem Sinn ausgelegt werden, dass es dem Kläger verboten sein soll, von seinem Eigentumsrecht nach § 906 BGB in der Weise Gebrauch zu machen, dass er anderen Personen das Betreten gestattet. Für dieses Verständnis spricht auch der Hinweis in der Begründung, eventuelle Miet- oder Pachtverträge seien zu kündigen. Offenbar hat der Kläger den Bescheid auch ohne weiteres dahingehend verstanden, dass er selbst das Grundstück nicht betreten und auch Dritten das Betreten nicht gestatten darf.
43 
4. Zutreffend ist der Beklagte davon ausgegangen, dass der Kläger mangels polizeirechtlicher Verantwortlichkeit als Zustands- oder Verhaltensstörer Nichtstörer ist.
44 
a) Der Kläger ist nicht als Grundstückseigentümer Zustandsstörer gemäß § 7 Abs. 1 PolG. Nach dieser Vorschrift hat die Polizei Maßnahmen gegenüber dem Eigentümer der Sache, deren Zustand die öffentliche Sicherheit bedroht, zu treffen.
45 
Das Verwaltungsgericht hat die Verantwortlichkeit des Klägers als Zustandsstörer mit der Begründung bejaht, der Untergrund gehöre zum Grundstück des Klägers und die Hohlräume dort führten ohne weitere Zwischenschritte zu der Tagesbruchgefahr (ebenso VG Braunschweig, Beschl. v. 08.10.2008 - 2 B 174/08 - ZfB 2009, 207 <210>).
46 
Die Annahme, dass das Altbergwerk Teil des klägerischen Grundstücks geworden sei, ist jedoch unzutreffend. Zwar erstreckt sich das Grundstückseigentum gemäß § 905 Satz 1 BGB grundsätzlich auch auf den Erdkörper unter der Oberfläche. Das Bergwerkseigentum ist davon jedoch gerade nicht erfasst. Das Bergwerkseigentum war auch unter dem Badischen Berggesetz als eigentumsgleiches Recht ausgestaltet (§ 42 Bad. BergG; ebenso nunmehr § 9 Abs. 1 BBergG). Die einzelnen Stollen stellen daher wesentliche Bestandteile des Bergwerkseigentums dar, dagegen sind sie lediglich Scheinbestandteile an dem Grundstück. Abhängig von dem genauen rechtlichen Schicksal des Bergwerks befindet sich dieses daher entweder im Eigentum des Beigeladenen oder des Landes (vgl. NdsOVG, Urt. v. 19.10.2011 - 7 LB 57/11 - UPR 2012, 149; OVG NRW, Beschl. v. 08.12.2005 - 11 A 2436/02 - ZfB 2006, 61 <65 <; VG Braunschweig, Urt. v. 19.10.2006 - 1 A 267/04 - ZfB 2007, 32 <34> und Beschl. v. 08.10.2008 - 2 B 174/08 - ZfB 2009, 207 <210>). In jedem Fall sind die Stollen des Altbergwerks nicht Bestandteil des klägerischen Grundstücks geworden.
47 
Die Gefahr geht auch nicht von dem Grundstück, sondern von der Instabilität der Stollen darunter aus. Sie wird von dem Grundeigentum des Klägers lediglich weitergeleitet.
48 
Bereits der Wortlaut des § 7 Abs. 1 PolG, nach dem die Gefahr von dem Zustand der Sache ausgehen muss, legt nahe, dass es nicht ausreicht, wenn eine Sache nur von einer Gefahr, die von dem Eigentum darunter ausgeht, betroffen ist. Ebenso spricht der auch für den Zustandsstörer geltende Grundsatz der unmittelbaren Verursachung (vgl. Wolf/Stephan/Deger, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 6. Aufl., § 7 Rn. 5; Belz/Mußmann, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 7. Aufl., § 7 Rn. 5) gegen eine Inanspruchnahme des Klägers. Danach trifft den Eigentümer keine Polizeipflicht, wenn sein Eigentum ohne sein Zutun als Mittel verwendet wird, aber nicht per se eine Quelle von Gefahren bildet (Wolf/Stephan/Deger, a.a.O.). Hier ist der einzige Verursachungsbeitrag des Grundstücks seine bloße Existenz. Eine Gefahr erwächst daraus erst durch den Zustand der darunter liegenden künstlichen Hohlräume. Dagegen ließe sich einwenden, dass der gefährliche Zustand seine Ursache von außerhalb hat, aber in der Kausalkette am nächsten an einer Rechtsgutsverletzung liegt. Hintergrund für die Zurechnung ist jedoch die Wertung, dass der Eigentümer der Gefahr zumindest näher steht als die Allgemeinheit. Entsprechend ist Anknüpfungspunkt auch dessen (zumindest normative) Sachherrschaft über und Einflussmöglichkeit auf die gefährliche Sache und die sich daraus ergebende Pflicht, für die Störungsfreiheit zu sorgen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 31.07.1998 - 1 B 229.97 - NJW 1999, 231). So entfällt die Störereigenschaft nicht nur bei Diebstahl der Sache, sondern auch, wenn die Sache – etwa durch Naturschutzrecht – der Allgemeinheit genauso zur Verfügung steht wie dem Eigentümer. Diese Einwirkungsmöglichkeit fehlt aber gerade in dem vorliegenden Fall, in dem der Eigentümer die Gefahr nicht verursacht hat und auch nicht verhindern, sondern ihr nur ausweichen kann, indem er sein eigenes Grundstück nicht mehr betritt. In diesem Sinne hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in einem Fall, in dem Felsgestein von einem Grundstück auf die unterhalb gelegenen Grundstücke zu stürzen drohte, die Inanspruchnahme der bedrohten Grundeigentümer als Zustandsstörer ausgeschlossen (BayVGH, Beschl. v. 26.09.1995 - 21 B 95.1527 - BayVBl. 1996, 437; bestätigt durch BVerwG, Beschl. v. 31.07.1998 - 1 B 229.97 - a.a.O.; ebenso OVG Rheinl.-Pf., Urt. v. 01.10.1997 - 11 A 12542/96 - NJW 1998, 625; implizit auch bei Tagesbrüchen OLG Hamm, Urt. v. 26.10.2001 - 11 U 44/01 - ZfB 2002, 216 <220>, ebenso die Vorinstanz: LG Essen, Urt. v. 16.11.2000 - 4 O 494/99 - ZfB 2001, 230; VG Gelsenkirchen, Urt. v. 03.03.2005 - 8 K 2655/42 - ZfB 2005, 234 <239>). Vorliegend kann entgegen der Auffassung des Beigeladenen nichts anderes gelten. Die vom Beigeladenen angeführte Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (Urt. v. 11.10.1985 - 5 S 1738/85 - NVwZ 1986, 325) betraf eine nicht vergleichbare Fallgestaltung. Entscheidend für die Inanspruchnahme des Grundstückseigentümers als Zustandsstörer war dort, dass die Schadstoffe, die das Erdreich unter dem Grundstück verseucht und schließlich zu Verunreinigungen des Grundwassers geführt hatten, nach den Feststellungen des Gerichtshofs aus dem betreffenden Grundstück stammten. Zwar konnte die Gefahr zum Zeitpunkt des behördlichen Einschreitens nur noch durch auf das Grundwasser bezogene Maßnahmen beseitigt werden, die Gefahrenquelle war jedoch das Grundstück des dortigen Klägers.
49 
b) Der Kläger kann auch nicht als Verhaltensstörer in Anspruch genommen werden.
50 
Verhaltenshaftung im Sinne von § 6 Abs. 1 PolG bedeutet Verantwortlichkeit für die Verursachung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bzw. von Störungen dieser Schutzgüter durch menschliches Verhalten. Verhaltensstörer im polizeirechtlichen Sinne ist nur derjenige, dessen Verhalten die eingetretene Störung unmittelbar verursacht, also selbst im konkreten Fall die polizeiliche Gefahrengrenze überschreitet. Wann dies der Fall ist, kann nicht generell, sondern nur anhand einer wertenden Betrachtung der Umstände des Einzelfalls bestimmt werden, wobei danach zu fragen ist, wer die eigentliche und wesentliche Ursache für den polizeiwidrigen Erfolg gesetzt hat. Nur durch diese wertende Betrachtung des Verhältnisses zwischen dem Zurechnungsgrund und der Gefahr lässt sich ermitteln, ob eine unmittelbare Verursachung im Sinne eines hinreichend engen Wirkungs- und Verantwortungszusammenhanges zwischen der Gefahr oder der Störung und dem Verhalten der Person vorliegt, die deren Pflichtigkeit als zumutbar rechtfertigt (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 30.07.2002 - 10 S 2153/01 - juris m.w.N.; ähnlich Wolf/Stephan/Deger, a.a.O., § 6 Rn. 8; Würtenberger/Heckmann, Polizeirecht in BW, 6. Aufl., Rn. 444 f.).
51 
Hier geht die Tagesbruchgefahr vom Zustand der Abbaukammern des Altbergwerks aus. Zwar leistet auch der Kläger, wenn er sein Grundstück betritt oder Dritten das Betreten gestattet, durch sein Verhalten einen kausalen Beitrag für die mit dem Betretungsverbot bekämpfte Gefahr. Eine Gefahr für Leib und Leben kann sich nur realisieren, wenn sich Personen auf dem gefährdeten Grundstück aufhalten. Mit dem Betreten und Bewirtschaften des eigenen Grundstücks macht der Kläger jedoch, ohne gegen strafrechtliche oder öffentlich-rechtliche Verbots- oder Gebotsnormen zu verstoßen, lediglich von seinen Befugnissen als Grundstückseigentümer Gebrauch, ohne den eigenen Rechtskreis zu verlassen. Der Aufenthalt auf dem Grundstück ist auch nicht aufgrund natürlicher Gegebenheiten gefährlich, vielmehr geht die Gefahr auf - ebenfalls kausale - Verursachungsbeiträge Dritter zurück (Erzbergbau ohne hinreichende Sicherung der im Zuge des Abbaus geschaffenen künstlichen Hohlräume). Das bloße Betreten erhöht auch nicht die Gefahr eines Tagesbruchs, sondern lediglich die Gefahr, dass bei einem Tagesbruch Menschen zu Schaden kommen. Der sein Grundstück im Einklang mit der Rechtsordnung nutzende Kläger ist daher selbst „Gestörter“ und nicht Störer (vgl. Würtenberger/Heckmann, a.a.O., Rn. 432). Dementsprechend wird in der Rechtsprechung bei der Gefahr von Felsstürzen ausschließlich der Eigentümer des Felsgrundstücks als Störer angesehen, nicht jedoch die Eigentümer der gefährdeten Grundstücke (vgl. OVG Rheinl.-Pf., Urt. v. 01.10.1997 - 11 A 12542/96 - NJW 1998, 625 m.w.N.; BayVGH, Beschl. v. 26.09.1995 - 21 B 95.1527 - BayVBl 1996, 437).
52 
5. Die Voraussetzungen des § 9 PolG für die Inanspruchnahme des Klägers als Nichtstörer liegen nicht vor.
53 
Nach § 9 Abs. 1 PolG kann die Polizei gegenüber anderen als den in den §§ 6 und 7 bezeichneten Personen ihre Maßnahmen nur dann treffen, wenn auf andere Weise eine unmittelbar bevorstehende Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nicht verhindert oder eine bereits eingetretene Störung nicht beseitigt werden kann, insbesondere wenn die eigenen Mittel der Polizei nicht ausreichen oder wenn durch Maßnahmen nach den §§ 6 bis 8 ein Schaden herbeigeführt würde, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht. Maßnahmen gegenüber dem Nichtstörer dürfen nach § 9 Abs. 2 PolG nur aufrechterhalten werden, solange die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen.
54 
a) Hier liegt zwar eine ein polizeiliches Einschreiten nach den §§ 1, 3 PolG gegenüber dem Störer rechtfertigende konkrete Gefahr, nicht aber eine unmittelbar bevorstehende Störung der öffentlichen Sicherheit, die ein Einschreiten gegenüber dem Nichtstörer rechtfertigen würde, vor.
55 
aa) Nach der polizeilichen Generalklausel (§§ 1, 3 PolG) hat die Polizei die Aufgabe, von dem Einzelnen und dem Gemeinwesen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird, und Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu beseitigen, soweit es im öffentlichen Interesse geboten ist. Dabei hat die Polizei innerhalb der durch das Recht gesetzten Schranken zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben diejenigen Maßnahmen zu treffen, die ihr nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlich erscheinen.
56 
Ein Tätigwerden zum Zwecke der Gefahrenabwehr setzt eine konkrete Gefahr voraus. Eine solche liegt vor, wenn bei bestimmten Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen nach allgemeiner Lebenserfahrung oder fachlichen Erkenntnissen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden für die polizeilichen Schutzgüter im Einzelfall, d.h. eine konkrete Gefahrenlage, einzutreten pflegt. Dabei hängt der zu fordernde Wahrscheinlichkeitsgrad von der Bedeutung der gefährdeten Rechtsgüter sowie dem Ausmaß des möglichen Schadens ab. Geht es um den Schutz besonders hochwertiger Rechtsgüter, wie etwa Leben und Gesundheit von Menschen, so kann auch die entferntere Möglichkeit eines Schadenseintritts ausreichen (vgl. BVerwG, Urt. v. 03.07.2002 - 6 CN 8.01 - BVerwGE 116, 347; Senatsurteile vom 15.11.2007 - 1 S 2720/06 - VBlBW 2008, 134 und vom 12.07.2010 - 1 S 349/10 - VBlBW 2010, 468).
57 
Die auf die Gefahrenabwehr zielende polizeiliche Generalklausel deckt hingegen keine Maßnahmen der Gefahrenvorsorge. Schadensmöglichkeiten, die sich deshalb nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wissensstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können, begründen keine Gefahr, sondern lediglich einen Gefahrenverdacht oder ein "Besorgnispotenzial" (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.12.1985 - 7 C 65.82 - BVerwGE 72, 300 <315>). Das allgemeine Gefahrenabwehrrecht bietet keine Handhabe, derartigen Schadensmöglichkeiten im Wege der Vorsorge zu begegnen (BVerwG, Urt. v. 03.07.2002, a.a.O.).
58 
Für die Inanspruchnahme des Klägers als Nichtstörer bedarf es nicht nur einer konkreten Gefahr, sondern einer unmittelbar bevorstehenden Störung. Der Begriff der „unmittelbar bevorstehenden Störung“ stellt strenge Anforderungen sowohl an die zeitliche Nähe als auch an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, weil polizeiliche Notstandsmaßnahmen in die Rechte unbeteiligter Dritter eingreifen. Eine unmittelbar bevorstehende Störung liegt nach ständiger Rechtsprechung nur dann vor, wenn der Eintritt der Störung nach allgemeiner Erfahrung sofort oder in allernächster Zeit bevorsteht und als gewiss anzusehen ist, falls nicht eingeschritten wird (Senatsurteile vom 28.08.1986 - 1 S 3241/85 - NVwZ 1987, 237 = VBlBW 1987, 183 und vom 15.06.2005 - 1 S 2718/04 - NJW 2006, 635 m.w.N.; Würtenberger/Heckmann, a.a.O., Rn. 415). Der Begriff der unmittelbar bevorstehenden Störung deckt sich mit dem in anderen Polizeigesetzen verwendeten Begriff der gegenwärtigen Gefahr (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.02.1974 - I C 31.72 - BVerwGE 45, 51 ; OVG Hamburg, Beschl. v. 13.04.2012 - 4 Bs 78/12 - NJW 2012, 1975).
59 
Die polizeiliche Gefahr ist eine auf Tatsachen gegründete prognostische Einschätzung über einen künftigen Geschehensverlauf, wobei die Tatsachen pflichtgemäß aufzuklären sind. Die Gefahr muss im Zeitpunkt der Entscheidung über die zu ergreifende polizeiliche Maßnahme vorliegen; es ist also beim polizeilichen Eingriff grundsätzlich die ex ante-Sicht entscheidend. Da es sich bei dem hier angeordneten Betretungsverbot jedoch nicht um eine vorläufige Maßnahme, sondern um einen unbefristet Geltung beanspruchenden Dauerverwaltungsakt handelt, ist für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen (vgl. Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 113 116 m.w.N.).
60 
bb) Daran gemessen ist der Senat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass beim Betreten des klägerischen Grundstücks eine konkrete Gefahr für Leib und Leben der das Grundstück betretenden Personen, nicht jedoch eine unmittelbar bevorstehende Störung gegeben ist.
61 
Das Gutachten des vom Verwaltungsgericht beauftragten Sachverständigen ... kommt in nachvollziehbarer Weise zu dem Ergebnis, dass auf wesentlichen Teilen des klägerischen Grundstücks die Gefahr von Tagesbrüchen besteht, weil die Stollen unter dem Grundstück in verschiedenen Bereichen instabil sind und zu erwartende Verbrüche sich mangels ausreichender Mächtigkeit des Deckgebirges nicht im Fels totlaufen, sondern sich an der Erdoberfläche als Tagesbrüche manifestieren werden. Dieses Ergebnis wird gestützt durch das ...Gutachten und die vom sachverständigen Zeugen ... hierzu in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gegebenen Erläuterungen sowie durch die Angaben des Zeugen ...
62 
(1) Der Sachverständige ... greift auf Archivmaterial, zwei Bohrungen in der Nähe des Grundstücks und eine Befahrung der Stollen unterhalb des Grundstücks zurück. Bei der Befahrung hat der Gutachter an mehreren Stellen Verbrüche, also Absprengungen von der Decke, festgestellt. Weiter hat er festgestellt, dass in keiner Abbaukammer unter dem Grundstück eine First- oder Stoßsicherung besteht und dass ehemals vorhandene Sicherungen aus Holz mittlerweile verrottet sind. Die Zusammensetzung des Deckgesteins, auf die der Gutachter durch Literaturquellen und zwei nahegelegene Bohrungen geschlossen hat, wird als wenig standfest beschrieben, was es notwendig gemacht habe, beim Abbau eine ca. 1,5 m dicke Erzschicht zur Stabilisierung stehen zu lassen. Wie der Gutachter in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erläutert hat, wurde diese Sicherheitsmaßnahme jedoch nicht überall eingehalten. Zum Teil sei diese Schicht schon vollständig verbrochen. Das ausweislich der herangezogenen Quellen während der Abbauzeit aufgetretene Phänomen der „Sargdeckelbildung“, d.h. des Sich-Ablösens größerer Platten von der Decke, deute darauf hin, dass die Erzschicht kleinteiliger zerklüftet, also segmentiert sei, als die Breite der Gänge. Dies erhöhe die Gefahr einer sehr raschen Tagesbruchentstehung.
63 
Die Auswirkungen von Brüchen auf die Oberfläche modelliert das Gutachten ... mit dem gängigen Hohlraum-Bruchmassen-Modell. Die verwendete Formel berücksichtigt zum einen, dass das gebrochene Material eine geringere Dichte aufweist und sich ein Bruch schließlich „totläuft“. Zum anderen prognostiziert das Modell die Menge an Material, die zur Seite hin verdrängt wird. Die Modellrechnung ergab, dass sich an mehreren Stellen ein etwaiger Einbruch im Stollen bis zur Oberfläche fortsetzen wird (Anlage 5 zum Gutachten).
64 
In den mündlichen Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht und dem Senat hat der Sachverständige ... nachvollziehbar erläutert, dass - über die Ausführungen in seinem Gutachten und die dort angestellte Modellrechnung hinausgehend - auch über den Abbaukammern C und D eine Tagesbruchgefahr bestehe, da die dortige Zwischenwand nicht mächtig genug und - auch aufgrund der dort verlaufenden Störungszone - instabil sei. Bei dieser unter dem Grundstück von Nordost nach Südwest verlaufenden Störung handelt es sich um eine Zone, in der die Festigkeit des Gebirges herabgesetzt ist und die Schichten einen Versatz aufweisen (Gutachten S. 11).
65 
Gefahrerhöhend wirkt sich, worauf der Sachverständige ebenfalls zu Recht hingewiesen hat, die Lage des Grundstücks in einer Erdbebenzone aus.
66 
Der Tagesbruch vom Februar 2008 erlaubt ebenfalls Rückschlüsse auf die Tagesbruchgefahr auf dem klägerischen Grundstück, weil die geologischen Verhältnisse vergleichbar sind und die vom Kläger geäußerte Vermutung, dieser Tagesbruch sei aufgrund eines Wassereinbruchs infolge der mangelhaften Wartung einer in der Nähe befindlichen Quelle entstanden, in den vom Sachverständigen getroffenen Feststellungen keine Stütze findet. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Sachverständige ... hierzu erklärt, es sei klar, dass beim Auftreten einer Öffnung an der Erdoberfläche von dort aus Wasser in tiefere Schichten eindringen könne. Damit sei jedoch nicht gesagt, dass das Wasser auch für die Tagesbruchentstehung verantwortlich sei.
67 
(2) Das vom Beigeladenen in Auftrag gegebene ...Gutachten kommt im Ergebnis zu vergleichbaren Einschätzungen. Es erfasst das gesamte gefährdete Gebiet, wobei ein Schwerpunkt auf der Untersuchung der Frage lag, ob und unter welchen Bedingungen die ca. 50 m südlich des klägerischen Grundstücks am Rande des gesperrten Gebiets in West-Ost Richtung verlaufende Steigstraße wieder für den Verkehr freigegeben werden kann. Das Gutachten teilt das Gebiet in verschiedene Einwirkungsklassen ein: Der Bereich der Einwirkungsklasse 3 (geringe Tagesbruchgefahr) kann ohne Einschränkungen betreten werden, auf Gebieten der Einwirkungsklasse 2 (Tagesbruchgefahr wahrscheinlich vorhanden) halten die Gutachter eine eingeschränkte landwirtschaftliche Nutzung ohne Maschineneinsatz für vertretbar, Gebiete der Einwirkungsklasse 1 (Tagesbruchgefahr mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhanden) sollen gar nicht mehr betreten werden. Das Deckgebirge unter dem Grundstück wird ähnlich wie im Gutachten ... als „gebräches Mergel/Kalksandsteinpaket“ bezeichnet, das nicht in der Lage sei, langfristig ein tragendes Stützgewölbe auszubilden. Durch Wasserzutritt von der Oberfläche könne sich die Schicht komplett entfestigen.
68 
Die im östlichen Winkel des Grundstücks gelegenen Kammern 7 - 11 (Kammern D - H bei ...) wurden im Abschlussbericht vom 30.09.2010 als so sicher angesehen, dass eine Nutzungseinschränkung nicht erforderlich sei. Begründet wurde dies mit der geringen Höhe der Kammern und der stabilisierenden Erzschicht. In der revidierten Fassung vom 11.03.2011 wurde dieses Gebiet in die Einwirkungsklasse 2 hochgestuft. Der sachverständige Zeuge ... hat dies in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nachvollziehbar damit erklärt, dass der Einschätzung vom 30.09.2009, auf der der Abschlussbericht vom 30.09.2010 basierte, eine erste Grubenbefahrung zugrunde lag. Aufgrund einer weiteren Befahrung seien die Einwirkungsklassen neu festgelegt worden. Darauf beruhe der Plan vom 30.09.2010, der erst in der revidierten Fassung des Abschlussberichts vom 11.03.2011 berücksichtigt worden sei.
69 
(3) Das Gutachten ... und das ...Gutachten in der revidierten Fassung stimmen danach sowohl hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen als auch hinsichtlich der Schlussfolgerungen im Wesentlichen überein. Beide sehen das Gebiet als instabil an, beide halten Tagesbrüche für möglich, beide sehen die Möglichkeit der Entfestigung des Deckgebirges durch Wasser und damit auch größerer und tieferer Tagesbrüche als bei der Berechnung nach dem Hohlraum-Bruchmassen-Modell. Und schließlich können beide Gutachter keine belastbaren Aussagen dazu treffen, wann sich die Tagesbruchgefahr realisieren wird. Dies deckt sich mit der Einschätzung des als Zeuge vernommenen früheren technischen Betriebsleiters der Deponie, der ebenfalls davon ausgeht, dass die Abbaukammern nicht dauerhaft standsicher sind und die Gefahr von Tagesbrüchen besteht.
70 
(4) Aufgrund der Beweisaufnahme kommt der Senat zu dem Schluss, dass beim Betreten des klägerischen Grundstücks eine konkrete Gefahr für Leib und Leben der das Grundstück betretenden Personen gegeben ist.
71 
Die Bewertung einer Wahrscheinlichkeit als Gefahr im polizeirechtlichen Sinne ist grundsätzlich nicht mehr Aufgabe der Gutachter, sondern des Gerichts. Diese Aufgabe wird dadurch erschwert, dass kein Sachverständiger zu sagen vermag, innerhalb welchen Zeitraums es mit welcher Wahrscheinlichkeit zu einem wie großen und gefährlichen Tagesbruch kommen wird.
72 
Bei der Bewertung ist zu beachten, dass mit dem Leben und der körperlichen Unversehrtheit hochrangige Rechtsgüter auf dem Spiel stehen, die auch geringe Eintrittswahrscheinlichkeiten ausreichen lassen. Unerheblich ist demgegenüber für die Bestimmung des Grades der Gefahr, dass es sich nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen ... um eine Dauergefahr handelt, die sich nicht mit der Zeit verringert, sondern sich vielmehr nach Jahren trügerischer Ruhe auch in 100 Jahren noch realisieren kann. Denn die Dauergefahr ist keine eigenständige Gefahrenart, vielmehr gelten für sie die allgemeinen Anforderungen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit und der zeitlichen Nähe des Schadenseintritts (Belz/Mußmann, a.a.O., § 1 Rn. 49 a).
73 
Die völlige Ungewissheit auf der Zeitachse schließt die Annahme einer unmittelbar bevorstehenden Störung im Sinn des § 9 Abs. 1 PolG aus. Auch wenn sich ein Tagesbruch jederzeit ohne Vorwarnung ereignen kann, ist es nicht hinreichend wahrscheinlich, dass ein solcher in allernächster Zeit auf dem klägerischen Grundstück auftreten und dabei einen Menschen an Leib oder Leben gefährden wird.
74 
Auf der anderen Seite handelt es sich nicht lediglich um eine „latente Gefahr“ oder ein ohne weiteres hinnehmbares Restrisiko. Zwar legen oberflächennahe Bergbautätigkeiten im Ausgangspunkt die Annahme einer „latenten Gefahr“ nahe. Dies gilt insbesondere für Bergwerke, die - wie der Kahlenberg - nicht nach dem Stand der Technik abgesichert wurden. Gibt es indes Hinweise, dass sich die Gefahr konkretisiert, so schlägt die latente in die ein polizeiliches Einschreiten rechtfertigende konkrete Gefahr um (vgl. OVG NRW, Urt. v. 13.09.1995 - 21 A 2273/91 - ZfB 1995, 322 <327>). Daran gemessen ist hier bei der erforderlichen Gesamtschau von einer konkreten Gefahr auszugehen. Dafür spricht bereits, dass sich die latente Gefahr nur 45 m von der Grenze des klägerischen Grundstücks entfernt bereits realisiert hat und dass die geologischen Bedingungen dort mit denen auf dem klägerischen Grundstück vergleichbar sind. Hinzu kommen als gefahrerhöhende Umstände die Lage des Grundstücks in der Erdbebenzone 1 und die infolge der unter dem Grundstück verlaufenden Störung herabgesetzte Festigkeit des Deckgebirges.
75 
cc) Eine konkrete Gefahr kann nicht unter dem Aspekt der freiwilligen Selbstgefährdung verneint werden. Zwar ist im Grundsatz anerkannt, dass die Polizei nicht gegen bewusste Selbstgefährdungen einschreiten darf (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.07.1997 - 8 S 2683/96 - NJW 1998, 2235 = VBlBW 1998, 25 m.w.N.). Begründet wird dies teilweise damit, dass es in einem solchen Fall an einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder an einem öffentlichen Interesse für ein behördliches Eingreifen fehle. Überwiegend wird jedoch damit argumentiert, dass Art. 2 Abs. 1 GG in gewissen Grenzen ein Recht auf Selbstgefährdung gebe.
76 
Voraussetzung für die Annahme einer nicht zu einem polizeilichen Einschreiten berechtigenden Selbstgefährdung ist allerdings, dass sich die Betroffenen freiwillig und in Kenntnis der Sachlage der Gefahr aussetzen. Dies wäre bei allen Personen der Fall, die erkennen, dass ihnen mit einer gewissen, nicht näher bestimmbaren Wahrscheinlichkeit in diesem Gebiet der Boden unter den Füßen wegbrechen kann, also insbesondere bei dem Kläger selbst.
77 
Das innerhalb bestimmter Grenzen anzuerkennende Recht auf Selbstgefährdung kann einem staatlichen Verbot jedoch nur dann entgegengehalten werden, wenn mit der betreffenden Tätigkeit nicht zugleich eine Gefahr für andere Personen verbunden ist (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.07.1997 - 8 S 2683/96 - a.a.O.; Senatsurteil vom 22.07.2004 - 1 S 410/03 - juris Rn. 39). Hier steht der Annahme einer bloßen Selbstgefährdung bei Betreten des Grundstücks entgegen, dass jeder, der in einen Tagesbruch stürzt, um Hilfe rufen und damit unbeteiligte Dritte zu Rettungsmaßnahmen veranlassen wird. Da das Grundstück nur etwa 50 m von einem öffentlichen Weg entfernt liegt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass tatsächlich jemand zur Hilfe eilt und sich angesichts des unsicheren Kraterrands in Gefahr begeben muss, nicht viel geringer als die Wahrscheinlichkeit, dass es überhaupt zu einem Unfall kommt. Insofern liegt selbst bei einem Betreten allein durch den Kläger keine ausschließliche Selbstgefährdung vor, die einem polizeilichen Einschreiten entgegenstehen würde. In diesem Zusammenhang kann auch nicht außer Betracht bleiben, dass die potenziellen Helfer keine professionell ausgebildeten Rettungskräfte, sondern zufällig vorbeikommende Passanten sind, die mit den spezifischen Risiken eines Tagesbruchs kaum vertraut sein dürften und diese Risiken bei der Rettung in keiner Weise überblicken können. Selbst wenn ihnen bekannt wäre, dass in dem Gebiet grundsätzlich die Gefahr eines Tagesbruchs besteht, folgt daraus nicht, dass sie die Gefährlichkeit einer Rettungsaktion zutreffend einschätzen können.
78 
Auch das Betreten durch den Kläger selbst würde also Leben und Gesundheit unbeteiligter Dritter gefährden, so dass eine konkrete Gefahr, die zu einem polizeilichen Einschreiten berechtigt, nicht unter dem Aspekt der freiwilligen Selbstgefährdung verneint werden kann.
79 
b) Das Betretungsverbot kann auch deshalb nicht auf § 9 PolG gestützt werden, weil es auf unbefristete Dauer Geltung beanspruchen soll und eine Inanspruchnahme des Störers überhaupt nicht beabsichtigt ist. Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergibt sich, dass dem Nichtstörer nur das zur Gefahrenabwehr sachlich Unumgängliche aufgegeben werden darf. Deshalb sind Maßnahmen, die sich länger auswirken, grundsätzlich von vornherein zeitlich zu begrenzen (Belz/Mußmann, a.a.O., § 9 Rn. 7; Wolf/Stephan/Deger, a.a.O., § 9 Rn. 21). Zudem dürfen Maßnahmen gegenüber dem Nichtstörer nach § 9 Abs. 2 PolG nur aufrechterhalten werden, solange die unmittelbar bevorstehende Gefahr fortbesteht und ihre Abwehr weiterhin auf andere Weise nicht möglich ist.
80 
Hier ist ausweislich des Gutachtens ..., dem der Senat auch in diesem Punkt folgt, die sicherste Lösung zur Abwendung der Tagesbruchgefahr eine Vollsicherung der Hohlräume unter dem klägerischen Grundstück mit einem hydraulisch abbindenden Material (Gutachten S. 23). Eine solche Maßnahme könnte der Beklagte dem Beigeladenen als polizeirechtlich Verantwortlichem auch aufgeben. Der Beigeladene ist jedenfalls als Zustandsstörer nach § 7 PolG (aa), möglicherweise auch als Verhaltensstörer nach § 6 PolG (bb) polizeirechtlich verantwortlich. Auch der Grundsatz der Effektivität der Gefahrenabwehr gebietet nicht die Anordnung eines dauerhaften Betretungsverbots gegenüber dem Kläger (cc). Schließlich würde die Inanspruchnahme des Beigeladenen diesen nicht unverhältnismäßig belasten (dd).
81 
aa) Als Inhaber der Bergbaukonzession war der Beigeladene Verfügungsberechtigter. Woraus sich nach Erlöschen der Konzession die Verfügungsberechtigung, von der die Verfahrensbeteiligten ausgehen, ergibt, ist unklar. Jedenfalls ist der Beigeladene weiterhin Inhaber der tatsächlichen Gewalt über das Altbergwerk und daher Zustandsstörer nach § 7 2. Alt. PolG:
82 
In § 1 des Konzessionsvertrags von 1937 räumte das Land Baden den Rohstoffbetrieben der Vereinigten Stahlwerke GmbH kein Bergwerkseigentum, sondern lediglich die Berechtigung zur Ausbeutung von Eisenerzen ein (vgl. § 2 Abs. 1 Bad. BergG: „Es kann [zur Ausbeutung von Eisenerzen] seitens des Finanzministeriums an Einzelne oder Gemeinschaften eine Konzession erteilt werden“). Das Bergwerkseigentum blieb nach § 39 b Bad. BergG beim Land Baden. Es konnte, und dies war nach § 1 des Konzessionsvertrags auch beabsichtigt, lediglich das Bergwerkseigentum nach § 39 c Bad. BergG „in der Weise belastet werden, dass der, zu dessen Gunsten die Belastung erfolgt, auf Zeit das vererbliche und veräußerliche Recht erhält, die in § 2 bezeichneten Mineralien […] aufzusuchen und zu gewinnen“. Dieses Gewinnungsrecht sollte nach § 39 c Abs. 1 Bad. BergG zeitlich beschränkt im Wesentlichen wie Bergwerkseigentum behandelt werden. § 42 Abs. 2 Bad. BergG erklärt die sich auf Grundstücke beziehenden Vorschriften des BGB für entsprechend anwendbar. Damit ist das Gewinnungsrecht genauso Eigentum im polizeirechtlichen Sinne wie dies für das Bergwerkseigentum allgemeine Meinung ist (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 08.12.2005 - 11 A 2436/02 - ZfB 2006, 61 <64> m.w.N).
83 
Die Konzession wurde gemäß § 2 des 2. Nachtrags vom 12.08.1968 bis zum 31.12.1997 verlängert. Aus § 7 des notariellen Kaufvertrags vom 04.09.1972 ergibt sich, dass der Beigeladene alle Rechte und Pflichten aus dem Konzessionsvertrag vom Landkreis Lahr, der die Konzession seinerseits von der ...... GmbH, der Rechtsnachfolgerin der Rohstoffbetriebe der Vereinigten Stahlwerke GmbH, gekauft hatte, übernehmen soll. Mit Wirksamkeit dieses Vertrages hat der Beigeladene die Verfügungsgewalt erlangt.
84 
Nach Erlöschen der Konzession ist der Beigeladene jedenfalls als Inhaber der tatsächlichen Gewalt Störer nach § 7 2. Alt. PolG. Ob daneben auch eine Verantwortlichkeit des beklagten Landes als Bergwerkseigentümer besteht, kann offen bleiben.
85 
bb) Daneben dürfte der Beigeladene auch Verhaltensstörer nach § 6 PolG sein. Zwar hat er selbst in dem fraglichen Teil des Bergwerks nie selbst Erz abgebaut und auch sonst - soweit ersichtlich - keine gefahrerhöhenden Tätigkeiten vorgenommen. Er dürfte jedoch Sicherungsmaßnahmen unterlassen haben, obwohl er dazu verpflichtet war.
86 
Den Beigeladenen trifft die Verkehrssicherungspflicht für das Altbergwerk. Im Rahmen des § 823 BGB ist anerkannt, dass aus der tatsächlichen Verfügungsgewalt über gefährliche Gegenstände auch die Pflicht folgt, andere vor diesen Gefahren zu schützen. Dabei muss zwar nicht jeder abstrakten Gefahr vorgesorgt werden, haftungsbegründend wird eine Gefahr erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden (st. Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 16.05.2006 - VI ZR 189/05 - NJW 2006, 2326 m.w.N.).
87 
§§ 130 ff. Bad. BergG regeln die Haftung des Bergwerkbetreibers zwar spezieller, aber nicht abschließend, sondern nur für Schäden an Grundeigentum. Darüber hinaus lässt sich diesen Vorschriften die Wertung entnehmen, dass der Bergwerksbetrieb grundsätzlich so gefahrgeneigt ist, dass im Fall von Schadensersatzansprüchen nach Pflichtverletzungen erst gar nicht gefragt werden muss. Daher trifft den Beigeladenen, solange er die tatsächliche Sachherrschaft hat, nach § 823 BGB eine Pflicht zur Sicherung.
88 
Dass die nicht abgesicherten Stollen im Laufe der Zeit durchzubrechen drohen und durch das wenig belastbare Deckgestein dadurch Tagesbrüche entstehen können, wurde bereits bei Zulassung des Abschlussbetriebsplans gesehen. In einem Aktenvermerk des Landesbergamtes vom 25.03.1971 ist festgehalten, dass im Bereich des Stollens IV noch Pingen, d.h. Tagesbrüche, zu erwarten seien. Da Sicherungsmaßnahmen unter Tage nicht möglich seien, müsse man das Gelände einbrechen lassen und dann wieder auffüllen. Die Grundstücke seien in fremdem Besitz und könnten eventuell vom Landkreis aufgekauft werden.
89 
Auch die zahlreichen Verbrüche in den letzten Jahrzehnten gaben klare Hinweise auf eine grundsätzliche Instabilität, ebenso das Wissen um den wenig sorgfältigen Kriegsbergbau. Spätestens bei Auftreten der Spüllöcher in den 1990er Jahren dürfte für Sachkundige erkennbar geworden sein, dass langfristig Sicherungsmaßnahmen notwendig sind, um die Stollen vor dem Durchbrechen zu bewahren. Das Gutachten des Sachverständigen ... und das ...Gutachten bestätigen die Tagesbruchgefahr.
90 
Die Verkehrspflichten sollen alle schützen, die in den Einwirkungsbereich der Gefahrenquelle geraten und somit also die Allgemeinheit. Damit begründen die Verkehrspflichten nach § 823 BGB auch polizeirechtliche Handlungspflichten (BayVGH, Beschl. v. 05.05.2011 - 22 ZB 10.214 - UPR 2011, 357 ). Der Beigeladene dürfte damit auch als Verhaltensstörer herangezogen werden können. Daran änderte sich selbst dann nichts, wenn der Beigeladene sich stets an alle Betriebspläne gehalten haben sollte, da diese keine Legalisierungswirkung entfalten (Senatsurteil vom 29.03.2000 - 1 S 1245/99 - a.a.O.).
91 
Auch als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist der Beigeladene polizeipflichtig, weil die möglichen Maßnahmen nicht unmittelbar in die hoheitliche Tätigkeit des Beigeladenen eingreifen, sondern an die tatsächliche Sachherrschaft bzw. Versäumnisse bei der Sicherung des stillgelegten Bergwerks anknüpfen (vgl. BVerwG, Urt. v. 08.05.2003 - 7 C 15.02 - NVwZ 2003, 1252 Rn. 18).
92 
cc) Die Effektivität der Gefahrenabwehr spricht nur vordergründig für eine Inanspruchnahme des Klägers. Zwar greift das Betretungsverbot sofort, während eine Sicherung des Grundstücks durch Verfüllung der Hohlräume, die nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen ... technisch realisierbar ist und die sicherste Lösung zur Abwendung der Tagesbruchgefahr darstellt (Gutachten S. 23), einer längeren Erkundung und Vorbereitung bedarf. Allerdings sieht der Beklagte das Betretungsverbot als endgültigen Regelungszustand an. Daher muss der Schnelligkeitsaspekt in den Hintergrund treten, zumal auch ein temporäres Betretungsverbot bis zur endgültigen Sicherung denkbar gewesen wäre, welches der Kläger - wie auch die zunächst erlassene Allgemeinverfügung der Ortspolizeibehörde - möglicherweise akzeptiert hätte. Daher müssen einem vielleicht verbleibenden Restrisiko einzelner Geländeabsackungen die Nachteile eines dauerhaften Betretungsverbots, welches für den Kläger enteignungsgleiche Wirkung hat, gegenübergestellt werden. Denn die bloße Sperrung lässt ja die Gefahr vollständig bestehen und setzt darauf, dass das Betretungsverbot - letztlich bis zum vollständigen Verbruch der Stollen, unter Umständen also Jahrhunderte - eingehalten und kontrolliert wird. Angesichts dieser zeitlichen Dimension erscheint ein dauerhaftes Betretungsverbot als einzige Gefahrenabwehrmaßnahme sogar als vergleichsweise unsicher.
93 
dd) Eine Inanspruchnahme des Beigeladenen wäre auch nicht unverhältnismäßig. Der Kläger als Nichtstörer trägt keine Verantwortung für die bestehende Gefahr und hat nach § 55 PolG lediglich einen Anspruch auf angemessene Entschädigung, nicht jedoch auf vollen Schadenersatz (vgl. Belz/Mußmann, a.a.O., § 55 Rn. 3; Wolf/Stephan/Deger, a.a.O., § 55 Rn. 15). Der Beigeladene, der jedenfalls als Zustandsstörer polizeirechtlich verantwortlich ist, hat es demgegenüber über Jahrzehnte unterlassen, Sicherungsmaßnahmen zu treffen, obwohl er die Tagesbruchgefahr kannte und auch entsprechende Rückstellungen für Berg- und Folgeschäden gebildet hat.
III.
94 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Da der Beigeladene keinen Antrag gestellt hat und damit auch kein eigenes Kostenrisiko eingegangen ist, entspricht es der Billigkeit, dass er seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt.
95 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
96 
Beschluss vom 25. Oktober 2012
97 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 GKG auf 20.000,-- EUR festgesetzt.
98 
Gründe
99 
Der für die Festsetzung des Streitwerts maßgebliche Verkehrswert des klägerischen Grundstücks beläuft sich nach den nachvollziehbaren Feststellungen eines unabhängigen Sachverständigen auf etwa 20.000,-- EUR. Soweit der Kläger von einem deutlich höheren Grundstückswert ausgeht, den er mit 62.000,-- EUR beziffert, fehlt es schon im Ansatz an einer tragfähigen Begründung hierfür.
100 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
29 
Der Senat sieht keine Veranlassung, mit Blick auf den Schriftsatz des Beigeladenen vom 31.10.2012, in welchem dieser seine Rechtsauffassung hinsichtlich der Störereigenschaft des Klägers und des Vorliegens einer unmittelbar bevorstehenden Störung nochmals verdeutlicht, die mündliche Verhandlung nach § 104 Abs. 3 Satz 2 VwGO wieder zu eröffnen.
30 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Klage ist zulässig (I.) und begründet (II.). Das in Ziffer 1 der Verfügung des Regierungspräsidiums Freiburg vom 23.06.2008 angeordnete Betretungsverbot ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
31 
Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) zulässig. Insbesondere fehlt es nicht an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse. Zwar ist bei einem Erfolg der Klage die tatsächliche Erreichbarkeit des klägerischen Grundstücks noch nicht sichergestellt, da dieses nicht an einen öffentlichen Weg grenzt und für die umliegenden Grundstücke, die im Eigentum des Beigeladenen stehen, weiterhin ein Betretungsverbot gilt. Es erscheint jedoch nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Kläger gegenüber dem Beigeladenen einen Anspruch auf Einräumung eines Notwegerechts nach § 917 BGB hat und dass von der ca. 50 m südlich des klägerischen Grundstücks verlaufenden Steigstraße aus eine sichere Zuwegung geschaffen werden kann.
II.
32 
Die Klage ist auch begründet. Das auf die §§ 1, 3 und 9 PolG gestützte Betretungsverbot ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Zwar ist der Anwendungsbereich des Polizeigesetzes eröffnet (1.) und die Verfügung ist formell rechtmäßig (2.) und inhaltlich hinreichend bestimmt (3.). Der Kläger ist jedoch Nichtstörer (4.) und die Voraussetzungen des § 9 PolG für seine Inanspruchnahme als Nichtstörer liegen nicht vor (5.).
33 
1. Die polizeiliche Generalklausel (§§ 1, 3 PolG) ist als Ermächtigungsgrundlage anwendbar, obwohl es um die Bekämpfung der von einem Altbergwerk ausgehenden Gefahren geht. Ihre Anwendung ist nicht durch speziellere bergrechtliche Vorschriften gesperrt.
34 
Die Vorschriften des Bundesberggesetzes sind gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 BBergG vom 13.08.1980 (BGBl. I S. 1310) nicht anzuwenden auf Betriebe im Sinne des Absatzes 1, die bei Inkrafttreten des Gesetzes am 01.01.1982 bereits endgültig eingestellt waren. Die endgültige Einstellung eines Bergwerksbetriebs nach § 169 Abs. 2 Satz 1 BBergG beginnt, sobald die Errichtungs- und/oder Führungsphase mit der Absicht beendet wird, sie nicht wieder aufzunehmen. Sie endet nach der Durchführung des Abschlussbetriebsplans (BayVGH, Urt. v. 24.08.2010 - 8 BV 06.1795 - ZfB 2011, 114). Im Bergwerk Kahlenberg wurde der Bergbau im Jahr 1970 aufgegeben. Der Abschlussbetriebsplan vom 16.06.1970, der am 20.04.1971 zugelassen wurde, sah vor, die Hohlräume im Baufeld Stollen IV unverändert zu belassen, lediglich offene Stollenmundlöcher (Zugänge) sollten geschlossen werden. Zwar lässt sich den vorgelegten Bergakten nicht entnehmen, wann genau die Zugänge geschlossen wurden. Die Verfahrensbeteiligten konnten hierzu ebenfalls keine exakten Angaben machen. Es gibt aber keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass dies nicht zeitnah im Zusammenhang mit der Betriebseinstellung erfolgt ist. Daher ist von einer endgültigen Einstellung des Betriebs vor dem 01.01.1982 auszugehen.
35 
Auch Vorschriften des vor Inkrafttretens des Bundesberggesetzes anzuwendenden Badischen Berggesetzes vom 22.06.1890 in der Fassung der Bekanntmachung vom 17.04.1925 (Bad. GVBl. S. 103), zuletzt geändert durch Art. 1 des Dritten Gesetzes zur Änderung bergrechtlicher Vorschriften vom 08.04.1975 (GBl. S. 237) und § 69 Abs. 6 des Naturschutzgesetzes vom 21.10.1975 (GBl. S. 654; ber. 1976 S. 96), kommen nach der Einstellung des Bergwerksbetriebes nicht mehr als Ermächtigungsgrundlage in Betracht (vgl. Senatsurteil vom 29.03.2000 - 1 S 1245/99 - VBlBW 2000, 362 = NVwZ-RR 2000, 589 m.w.N.). Denn das Badische Berggesetz sieht keine Eingriffsbefugnisse bei stillgelegten Bergwerken vor, da § 144 Bad. BergG die Zuständigkeit der Bergpolizei und damit auch die Reichweite der Generalklausel des § 147 Bad. BergG auf „den Betrieb“ beschränkt. Der Begriff „Betrieb“ ist im Gesetz nicht definiert. Aus den §§ 60 ff. Bad. BergG ergibt sich jedoch, dass der Betrieb ein tatsächlicher Abbauvorgang ist, der zum Beispiel nach § 60 Abs. 3 Bad. BergG auch kurzfristig unterbrochen werden kann. Ein stillgelegtes Bergwerk ist daher kein Betrieb im Sinne der §§ 144 ff. Bad. BergG mehr.
36 
Die bergrechtlichen Vorschriften sind insoweit nicht abschließend, so dass daher die allgemeinen polizeirechtlichen Vorschriften Anwendung finden (Senatsurteil vom 29.03.2000 - 1 S 1245/99 - a.a.O.).
37 
2. Die Zuständigkeit des Regierungspräsidiums Freiburg ergibt sich aus § 1 Abs. 1 der auf § 66 Abs. 1 PolG gestützten Verordnung des Umweltministeriums über die Zuständigkeit für stillgelegte Bergwerke und andere künstliche Hohlräume vom 21.11.1994 (GBl. S. 669), zuletzt geändert durch Art. 120 der Verordnung vom 25.01.2012 (GBl. S. 65, 79). Danach ist das Regierungspräsidium Freiburg bei stillgelegten untertägigen Bergwerken und Bohrungen nach Maßgabe des § 2 zuständig für die Abwehr von Gefahren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird, und für die Beseitigung von Störungen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, soweit es im öffentlichen Interesse geboten ist.
38 
3. Die angefochtene Verfügung ist inhaltlich hinreichend bestimmt im Sinn des § 37 Abs. 1 LVwVfG. Hinreichend bestimmt ist ein Verwaltungsakt, wenn sowohl der Adressat, als auch - bei der Aufgabe eines Handelns, Duldens oder Unterlassens - das Ziel der geforderten Handlung so bestimmt ist, dass sie nicht einer unterschiedlichen subjektiven Beurteilung zugänglich ist. Es genügt insoweit, dass aus dem gesamten Inhalt des Verwaltungsakts und aus dem Zusammenhang, vor allem aus der von der Behörde gegebenen Begründung und aus den Beteiligten bekannten näheren Umständen des Erlasses im Wege einer an den Grundsätzen von Treu und Glauben orientierten Auslegung hinreichende Klarheit gewonnen werden kann (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl., § 37 Rn. 12 m.w.N.; BVerwG, Beschl. v. 03.02.1989 - 7 B 18.89 - NJW 1989, 1624). Hierbei ist entsprechend § 133 BGB auf den erklärten Willen aus der Sicht eines verständigen Empfängers abzustellen (Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 35 Rn. 71).
39 
Hier ergibt die Auslegung des angefochtenen Betretungsverbots, dass dem Kläger selbst das Betreten seines Grundstücks untersagt werden soll und dass es ihm darüber hinaus verboten sein soll, von seinem Eigentumsrecht nach § 906 BGB in der Weise Gebrauch zu machen, dass er anderen Personen das Betreten gestattet.
40 
Zwar lässt die Formulierung des Tenors der angefochtenen Verfügung („Das Grundstück darf nicht betreten werden“) zunächst mehrere Auslegungen denkbar erscheinen: Das Betretungsverbot könnte sich ausschließlich auf den Kläger als Grundstückseigentümer beziehen, es könnte sich an jedermann richten und damit eine Allgemeinverfügung i.S.d. § 35 Satz 2 Alt. 3 LVwVfG darstellen oder die Verfügung könnte so auszulegen sein, dass sie neben dem an den Kläger gerichteten Verbot ihm gegenüber auch die Verpflichtung enthält, sein Eigentumsrecht dahingehend auszuüben, Dritten das Betreten nicht zu gestatten.
41 
Entscheidend gegen eine Deutung als Allgemeinverfügung spricht jedoch bereits der dem Tenor vorangestellte Einleitungssatz („Für dieses Grundstück wird Ihnen gegenüber angeordnet“) und der Umstand, dass allein der Kläger Adressat der Verfügung ist.
42 
Auf der anderen Seite würde ein ausschließlich an den Kläger als Grundstückseigentümer gerichtetes Betretungsverbot dem Ziel des Bescheids, wie es sich auch aus der Begründung ergibt, nicht gerecht werden. Denn vor dem Hintergrund der in der Begründung beschriebenen Gefahrenlage zielt das Vorgehen des Regierungspräsidiums darauf ab, dass niemand mehr das Grundstück betreten soll. Nach seinem Sinn und Zweck kann das Betretungsverbot daher nur in dem Sinn ausgelegt werden, dass es dem Kläger verboten sein soll, von seinem Eigentumsrecht nach § 906 BGB in der Weise Gebrauch zu machen, dass er anderen Personen das Betreten gestattet. Für dieses Verständnis spricht auch der Hinweis in der Begründung, eventuelle Miet- oder Pachtverträge seien zu kündigen. Offenbar hat der Kläger den Bescheid auch ohne weiteres dahingehend verstanden, dass er selbst das Grundstück nicht betreten und auch Dritten das Betreten nicht gestatten darf.
43 
4. Zutreffend ist der Beklagte davon ausgegangen, dass der Kläger mangels polizeirechtlicher Verantwortlichkeit als Zustands- oder Verhaltensstörer Nichtstörer ist.
44 
a) Der Kläger ist nicht als Grundstückseigentümer Zustandsstörer gemäß § 7 Abs. 1 PolG. Nach dieser Vorschrift hat die Polizei Maßnahmen gegenüber dem Eigentümer der Sache, deren Zustand die öffentliche Sicherheit bedroht, zu treffen.
45 
Das Verwaltungsgericht hat die Verantwortlichkeit des Klägers als Zustandsstörer mit der Begründung bejaht, der Untergrund gehöre zum Grundstück des Klägers und die Hohlräume dort führten ohne weitere Zwischenschritte zu der Tagesbruchgefahr (ebenso VG Braunschweig, Beschl. v. 08.10.2008 - 2 B 174/08 - ZfB 2009, 207 <210>).
46 
Die Annahme, dass das Altbergwerk Teil des klägerischen Grundstücks geworden sei, ist jedoch unzutreffend. Zwar erstreckt sich das Grundstückseigentum gemäß § 905 Satz 1 BGB grundsätzlich auch auf den Erdkörper unter der Oberfläche. Das Bergwerkseigentum ist davon jedoch gerade nicht erfasst. Das Bergwerkseigentum war auch unter dem Badischen Berggesetz als eigentumsgleiches Recht ausgestaltet (§ 42 Bad. BergG; ebenso nunmehr § 9 Abs. 1 BBergG). Die einzelnen Stollen stellen daher wesentliche Bestandteile des Bergwerkseigentums dar, dagegen sind sie lediglich Scheinbestandteile an dem Grundstück. Abhängig von dem genauen rechtlichen Schicksal des Bergwerks befindet sich dieses daher entweder im Eigentum des Beigeladenen oder des Landes (vgl. NdsOVG, Urt. v. 19.10.2011 - 7 LB 57/11 - UPR 2012, 149; OVG NRW, Beschl. v. 08.12.2005 - 11 A 2436/02 - ZfB 2006, 61 <65 <; VG Braunschweig, Urt. v. 19.10.2006 - 1 A 267/04 - ZfB 2007, 32 <34> und Beschl. v. 08.10.2008 - 2 B 174/08 - ZfB 2009, 207 <210>). In jedem Fall sind die Stollen des Altbergwerks nicht Bestandteil des klägerischen Grundstücks geworden.
47 
Die Gefahr geht auch nicht von dem Grundstück, sondern von der Instabilität der Stollen darunter aus. Sie wird von dem Grundeigentum des Klägers lediglich weitergeleitet.
48 
Bereits der Wortlaut des § 7 Abs. 1 PolG, nach dem die Gefahr von dem Zustand der Sache ausgehen muss, legt nahe, dass es nicht ausreicht, wenn eine Sache nur von einer Gefahr, die von dem Eigentum darunter ausgeht, betroffen ist. Ebenso spricht der auch für den Zustandsstörer geltende Grundsatz der unmittelbaren Verursachung (vgl. Wolf/Stephan/Deger, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 6. Aufl., § 7 Rn. 5; Belz/Mußmann, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 7. Aufl., § 7 Rn. 5) gegen eine Inanspruchnahme des Klägers. Danach trifft den Eigentümer keine Polizeipflicht, wenn sein Eigentum ohne sein Zutun als Mittel verwendet wird, aber nicht per se eine Quelle von Gefahren bildet (Wolf/Stephan/Deger, a.a.O.). Hier ist der einzige Verursachungsbeitrag des Grundstücks seine bloße Existenz. Eine Gefahr erwächst daraus erst durch den Zustand der darunter liegenden künstlichen Hohlräume. Dagegen ließe sich einwenden, dass der gefährliche Zustand seine Ursache von außerhalb hat, aber in der Kausalkette am nächsten an einer Rechtsgutsverletzung liegt. Hintergrund für die Zurechnung ist jedoch die Wertung, dass der Eigentümer der Gefahr zumindest näher steht als die Allgemeinheit. Entsprechend ist Anknüpfungspunkt auch dessen (zumindest normative) Sachherrschaft über und Einflussmöglichkeit auf die gefährliche Sache und die sich daraus ergebende Pflicht, für die Störungsfreiheit zu sorgen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 31.07.1998 - 1 B 229.97 - NJW 1999, 231). So entfällt die Störereigenschaft nicht nur bei Diebstahl der Sache, sondern auch, wenn die Sache – etwa durch Naturschutzrecht – der Allgemeinheit genauso zur Verfügung steht wie dem Eigentümer. Diese Einwirkungsmöglichkeit fehlt aber gerade in dem vorliegenden Fall, in dem der Eigentümer die Gefahr nicht verursacht hat und auch nicht verhindern, sondern ihr nur ausweichen kann, indem er sein eigenes Grundstück nicht mehr betritt. In diesem Sinne hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in einem Fall, in dem Felsgestein von einem Grundstück auf die unterhalb gelegenen Grundstücke zu stürzen drohte, die Inanspruchnahme der bedrohten Grundeigentümer als Zustandsstörer ausgeschlossen (BayVGH, Beschl. v. 26.09.1995 - 21 B 95.1527 - BayVBl. 1996, 437; bestätigt durch BVerwG, Beschl. v. 31.07.1998 - 1 B 229.97 - a.a.O.; ebenso OVG Rheinl.-Pf., Urt. v. 01.10.1997 - 11 A 12542/96 - NJW 1998, 625; implizit auch bei Tagesbrüchen OLG Hamm, Urt. v. 26.10.2001 - 11 U 44/01 - ZfB 2002, 216 <220>, ebenso die Vorinstanz: LG Essen, Urt. v. 16.11.2000 - 4 O 494/99 - ZfB 2001, 230; VG Gelsenkirchen, Urt. v. 03.03.2005 - 8 K 2655/42 - ZfB 2005, 234 <239>). Vorliegend kann entgegen der Auffassung des Beigeladenen nichts anderes gelten. Die vom Beigeladenen angeführte Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (Urt. v. 11.10.1985 - 5 S 1738/85 - NVwZ 1986, 325) betraf eine nicht vergleichbare Fallgestaltung. Entscheidend für die Inanspruchnahme des Grundstückseigentümers als Zustandsstörer war dort, dass die Schadstoffe, die das Erdreich unter dem Grundstück verseucht und schließlich zu Verunreinigungen des Grundwassers geführt hatten, nach den Feststellungen des Gerichtshofs aus dem betreffenden Grundstück stammten. Zwar konnte die Gefahr zum Zeitpunkt des behördlichen Einschreitens nur noch durch auf das Grundwasser bezogene Maßnahmen beseitigt werden, die Gefahrenquelle war jedoch das Grundstück des dortigen Klägers.
49 
b) Der Kläger kann auch nicht als Verhaltensstörer in Anspruch genommen werden.
50 
Verhaltenshaftung im Sinne von § 6 Abs. 1 PolG bedeutet Verantwortlichkeit für die Verursachung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bzw. von Störungen dieser Schutzgüter durch menschliches Verhalten. Verhaltensstörer im polizeirechtlichen Sinne ist nur derjenige, dessen Verhalten die eingetretene Störung unmittelbar verursacht, also selbst im konkreten Fall die polizeiliche Gefahrengrenze überschreitet. Wann dies der Fall ist, kann nicht generell, sondern nur anhand einer wertenden Betrachtung der Umstände des Einzelfalls bestimmt werden, wobei danach zu fragen ist, wer die eigentliche und wesentliche Ursache für den polizeiwidrigen Erfolg gesetzt hat. Nur durch diese wertende Betrachtung des Verhältnisses zwischen dem Zurechnungsgrund und der Gefahr lässt sich ermitteln, ob eine unmittelbare Verursachung im Sinne eines hinreichend engen Wirkungs- und Verantwortungszusammenhanges zwischen der Gefahr oder der Störung und dem Verhalten der Person vorliegt, die deren Pflichtigkeit als zumutbar rechtfertigt (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 30.07.2002 - 10 S 2153/01 - juris m.w.N.; ähnlich Wolf/Stephan/Deger, a.a.O., § 6 Rn. 8; Würtenberger/Heckmann, Polizeirecht in BW, 6. Aufl., Rn. 444 f.).
51 
Hier geht die Tagesbruchgefahr vom Zustand der Abbaukammern des Altbergwerks aus. Zwar leistet auch der Kläger, wenn er sein Grundstück betritt oder Dritten das Betreten gestattet, durch sein Verhalten einen kausalen Beitrag für die mit dem Betretungsverbot bekämpfte Gefahr. Eine Gefahr für Leib und Leben kann sich nur realisieren, wenn sich Personen auf dem gefährdeten Grundstück aufhalten. Mit dem Betreten und Bewirtschaften des eigenen Grundstücks macht der Kläger jedoch, ohne gegen strafrechtliche oder öffentlich-rechtliche Verbots- oder Gebotsnormen zu verstoßen, lediglich von seinen Befugnissen als Grundstückseigentümer Gebrauch, ohne den eigenen Rechtskreis zu verlassen. Der Aufenthalt auf dem Grundstück ist auch nicht aufgrund natürlicher Gegebenheiten gefährlich, vielmehr geht die Gefahr auf - ebenfalls kausale - Verursachungsbeiträge Dritter zurück (Erzbergbau ohne hinreichende Sicherung der im Zuge des Abbaus geschaffenen künstlichen Hohlräume). Das bloße Betreten erhöht auch nicht die Gefahr eines Tagesbruchs, sondern lediglich die Gefahr, dass bei einem Tagesbruch Menschen zu Schaden kommen. Der sein Grundstück im Einklang mit der Rechtsordnung nutzende Kläger ist daher selbst „Gestörter“ und nicht Störer (vgl. Würtenberger/Heckmann, a.a.O., Rn. 432). Dementsprechend wird in der Rechtsprechung bei der Gefahr von Felsstürzen ausschließlich der Eigentümer des Felsgrundstücks als Störer angesehen, nicht jedoch die Eigentümer der gefährdeten Grundstücke (vgl. OVG Rheinl.-Pf., Urt. v. 01.10.1997 - 11 A 12542/96 - NJW 1998, 625 m.w.N.; BayVGH, Beschl. v. 26.09.1995 - 21 B 95.1527 - BayVBl 1996, 437).
52 
5. Die Voraussetzungen des § 9 PolG für die Inanspruchnahme des Klägers als Nichtstörer liegen nicht vor.
53 
Nach § 9 Abs. 1 PolG kann die Polizei gegenüber anderen als den in den §§ 6 und 7 bezeichneten Personen ihre Maßnahmen nur dann treffen, wenn auf andere Weise eine unmittelbar bevorstehende Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nicht verhindert oder eine bereits eingetretene Störung nicht beseitigt werden kann, insbesondere wenn die eigenen Mittel der Polizei nicht ausreichen oder wenn durch Maßnahmen nach den §§ 6 bis 8 ein Schaden herbeigeführt würde, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht. Maßnahmen gegenüber dem Nichtstörer dürfen nach § 9 Abs. 2 PolG nur aufrechterhalten werden, solange die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen.
54 
a) Hier liegt zwar eine ein polizeiliches Einschreiten nach den §§ 1, 3 PolG gegenüber dem Störer rechtfertigende konkrete Gefahr, nicht aber eine unmittelbar bevorstehende Störung der öffentlichen Sicherheit, die ein Einschreiten gegenüber dem Nichtstörer rechtfertigen würde, vor.
55 
aa) Nach der polizeilichen Generalklausel (§§ 1, 3 PolG) hat die Polizei die Aufgabe, von dem Einzelnen und dem Gemeinwesen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird, und Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu beseitigen, soweit es im öffentlichen Interesse geboten ist. Dabei hat die Polizei innerhalb der durch das Recht gesetzten Schranken zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben diejenigen Maßnahmen zu treffen, die ihr nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlich erscheinen.
56 
Ein Tätigwerden zum Zwecke der Gefahrenabwehr setzt eine konkrete Gefahr voraus. Eine solche liegt vor, wenn bei bestimmten Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen nach allgemeiner Lebenserfahrung oder fachlichen Erkenntnissen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden für die polizeilichen Schutzgüter im Einzelfall, d.h. eine konkrete Gefahrenlage, einzutreten pflegt. Dabei hängt der zu fordernde Wahrscheinlichkeitsgrad von der Bedeutung der gefährdeten Rechtsgüter sowie dem Ausmaß des möglichen Schadens ab. Geht es um den Schutz besonders hochwertiger Rechtsgüter, wie etwa Leben und Gesundheit von Menschen, so kann auch die entferntere Möglichkeit eines Schadenseintritts ausreichen (vgl. BVerwG, Urt. v. 03.07.2002 - 6 CN 8.01 - BVerwGE 116, 347; Senatsurteile vom 15.11.2007 - 1 S 2720/06 - VBlBW 2008, 134 und vom 12.07.2010 - 1 S 349/10 - VBlBW 2010, 468).
57 
Die auf die Gefahrenabwehr zielende polizeiliche Generalklausel deckt hingegen keine Maßnahmen der Gefahrenvorsorge. Schadensmöglichkeiten, die sich deshalb nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wissensstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können, begründen keine Gefahr, sondern lediglich einen Gefahrenverdacht oder ein "Besorgnispotenzial" (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.12.1985 - 7 C 65.82 - BVerwGE 72, 300 <315>). Das allgemeine Gefahrenabwehrrecht bietet keine Handhabe, derartigen Schadensmöglichkeiten im Wege der Vorsorge zu begegnen (BVerwG, Urt. v. 03.07.2002, a.a.O.).
58 
Für die Inanspruchnahme des Klägers als Nichtstörer bedarf es nicht nur einer konkreten Gefahr, sondern einer unmittelbar bevorstehenden Störung. Der Begriff der „unmittelbar bevorstehenden Störung“ stellt strenge Anforderungen sowohl an die zeitliche Nähe als auch an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, weil polizeiliche Notstandsmaßnahmen in die Rechte unbeteiligter Dritter eingreifen. Eine unmittelbar bevorstehende Störung liegt nach ständiger Rechtsprechung nur dann vor, wenn der Eintritt der Störung nach allgemeiner Erfahrung sofort oder in allernächster Zeit bevorsteht und als gewiss anzusehen ist, falls nicht eingeschritten wird (Senatsurteile vom 28.08.1986 - 1 S 3241/85 - NVwZ 1987, 237 = VBlBW 1987, 183 und vom 15.06.2005 - 1 S 2718/04 - NJW 2006, 635 m.w.N.; Würtenberger/Heckmann, a.a.O., Rn. 415). Der Begriff der unmittelbar bevorstehenden Störung deckt sich mit dem in anderen Polizeigesetzen verwendeten Begriff der gegenwärtigen Gefahr (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.02.1974 - I C 31.72 - BVerwGE 45, 51 ; OVG Hamburg, Beschl. v. 13.04.2012 - 4 Bs 78/12 - NJW 2012, 1975).
59 
Die polizeiliche Gefahr ist eine auf Tatsachen gegründete prognostische Einschätzung über einen künftigen Geschehensverlauf, wobei die Tatsachen pflichtgemäß aufzuklären sind. Die Gefahr muss im Zeitpunkt der Entscheidung über die zu ergreifende polizeiliche Maßnahme vorliegen; es ist also beim polizeilichen Eingriff grundsätzlich die ex ante-Sicht entscheidend. Da es sich bei dem hier angeordneten Betretungsverbot jedoch nicht um eine vorläufige Maßnahme, sondern um einen unbefristet Geltung beanspruchenden Dauerverwaltungsakt handelt, ist für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen (vgl. Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 113 116 m.w.N.).
60 
bb) Daran gemessen ist der Senat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass beim Betreten des klägerischen Grundstücks eine konkrete Gefahr für Leib und Leben der das Grundstück betretenden Personen, nicht jedoch eine unmittelbar bevorstehende Störung gegeben ist.
61 
Das Gutachten des vom Verwaltungsgericht beauftragten Sachverständigen ... kommt in nachvollziehbarer Weise zu dem Ergebnis, dass auf wesentlichen Teilen des klägerischen Grundstücks die Gefahr von Tagesbrüchen besteht, weil die Stollen unter dem Grundstück in verschiedenen Bereichen instabil sind und zu erwartende Verbrüche sich mangels ausreichender Mächtigkeit des Deckgebirges nicht im Fels totlaufen, sondern sich an der Erdoberfläche als Tagesbrüche manifestieren werden. Dieses Ergebnis wird gestützt durch das ...Gutachten und die vom sachverständigen Zeugen ... hierzu in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gegebenen Erläuterungen sowie durch die Angaben des Zeugen ...
62 
(1) Der Sachverständige ... greift auf Archivmaterial, zwei Bohrungen in der Nähe des Grundstücks und eine Befahrung der Stollen unterhalb des Grundstücks zurück. Bei der Befahrung hat der Gutachter an mehreren Stellen Verbrüche, also Absprengungen von der Decke, festgestellt. Weiter hat er festgestellt, dass in keiner Abbaukammer unter dem Grundstück eine First- oder Stoßsicherung besteht und dass ehemals vorhandene Sicherungen aus Holz mittlerweile verrottet sind. Die Zusammensetzung des Deckgesteins, auf die der Gutachter durch Literaturquellen und zwei nahegelegene Bohrungen geschlossen hat, wird als wenig standfest beschrieben, was es notwendig gemacht habe, beim Abbau eine ca. 1,5 m dicke Erzschicht zur Stabilisierung stehen zu lassen. Wie der Gutachter in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erläutert hat, wurde diese Sicherheitsmaßnahme jedoch nicht überall eingehalten. Zum Teil sei diese Schicht schon vollständig verbrochen. Das ausweislich der herangezogenen Quellen während der Abbauzeit aufgetretene Phänomen der „Sargdeckelbildung“, d.h. des Sich-Ablösens größerer Platten von der Decke, deute darauf hin, dass die Erzschicht kleinteiliger zerklüftet, also segmentiert sei, als die Breite der Gänge. Dies erhöhe die Gefahr einer sehr raschen Tagesbruchentstehung.
63 
Die Auswirkungen von Brüchen auf die Oberfläche modelliert das Gutachten ... mit dem gängigen Hohlraum-Bruchmassen-Modell. Die verwendete Formel berücksichtigt zum einen, dass das gebrochene Material eine geringere Dichte aufweist und sich ein Bruch schließlich „totläuft“. Zum anderen prognostiziert das Modell die Menge an Material, die zur Seite hin verdrängt wird. Die Modellrechnung ergab, dass sich an mehreren Stellen ein etwaiger Einbruch im Stollen bis zur Oberfläche fortsetzen wird (Anlage 5 zum Gutachten).
64 
In den mündlichen Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht und dem Senat hat der Sachverständige ... nachvollziehbar erläutert, dass - über die Ausführungen in seinem Gutachten und die dort angestellte Modellrechnung hinausgehend - auch über den Abbaukammern C und D eine Tagesbruchgefahr bestehe, da die dortige Zwischenwand nicht mächtig genug und - auch aufgrund der dort verlaufenden Störungszone - instabil sei. Bei dieser unter dem Grundstück von Nordost nach Südwest verlaufenden Störung handelt es sich um eine Zone, in der die Festigkeit des Gebirges herabgesetzt ist und die Schichten einen Versatz aufweisen (Gutachten S. 11).
65 
Gefahrerhöhend wirkt sich, worauf der Sachverständige ebenfalls zu Recht hingewiesen hat, die Lage des Grundstücks in einer Erdbebenzone aus.
66 
Der Tagesbruch vom Februar 2008 erlaubt ebenfalls Rückschlüsse auf die Tagesbruchgefahr auf dem klägerischen Grundstück, weil die geologischen Verhältnisse vergleichbar sind und die vom Kläger geäußerte Vermutung, dieser Tagesbruch sei aufgrund eines Wassereinbruchs infolge der mangelhaften Wartung einer in der Nähe befindlichen Quelle entstanden, in den vom Sachverständigen getroffenen Feststellungen keine Stütze findet. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Sachverständige ... hierzu erklärt, es sei klar, dass beim Auftreten einer Öffnung an der Erdoberfläche von dort aus Wasser in tiefere Schichten eindringen könne. Damit sei jedoch nicht gesagt, dass das Wasser auch für die Tagesbruchentstehung verantwortlich sei.
67 
(2) Das vom Beigeladenen in Auftrag gegebene ...Gutachten kommt im Ergebnis zu vergleichbaren Einschätzungen. Es erfasst das gesamte gefährdete Gebiet, wobei ein Schwerpunkt auf der Untersuchung der Frage lag, ob und unter welchen Bedingungen die ca. 50 m südlich des klägerischen Grundstücks am Rande des gesperrten Gebiets in West-Ost Richtung verlaufende Steigstraße wieder für den Verkehr freigegeben werden kann. Das Gutachten teilt das Gebiet in verschiedene Einwirkungsklassen ein: Der Bereich der Einwirkungsklasse 3 (geringe Tagesbruchgefahr) kann ohne Einschränkungen betreten werden, auf Gebieten der Einwirkungsklasse 2 (Tagesbruchgefahr wahrscheinlich vorhanden) halten die Gutachter eine eingeschränkte landwirtschaftliche Nutzung ohne Maschineneinsatz für vertretbar, Gebiete der Einwirkungsklasse 1 (Tagesbruchgefahr mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhanden) sollen gar nicht mehr betreten werden. Das Deckgebirge unter dem Grundstück wird ähnlich wie im Gutachten ... als „gebräches Mergel/Kalksandsteinpaket“ bezeichnet, das nicht in der Lage sei, langfristig ein tragendes Stützgewölbe auszubilden. Durch Wasserzutritt von der Oberfläche könne sich die Schicht komplett entfestigen.
68 
Die im östlichen Winkel des Grundstücks gelegenen Kammern 7 - 11 (Kammern D - H bei ...) wurden im Abschlussbericht vom 30.09.2010 als so sicher angesehen, dass eine Nutzungseinschränkung nicht erforderlich sei. Begründet wurde dies mit der geringen Höhe der Kammern und der stabilisierenden Erzschicht. In der revidierten Fassung vom 11.03.2011 wurde dieses Gebiet in die Einwirkungsklasse 2 hochgestuft. Der sachverständige Zeuge ... hat dies in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nachvollziehbar damit erklärt, dass der Einschätzung vom 30.09.2009, auf der der Abschlussbericht vom 30.09.2010 basierte, eine erste Grubenbefahrung zugrunde lag. Aufgrund einer weiteren Befahrung seien die Einwirkungsklassen neu festgelegt worden. Darauf beruhe der Plan vom 30.09.2010, der erst in der revidierten Fassung des Abschlussberichts vom 11.03.2011 berücksichtigt worden sei.
69 
(3) Das Gutachten ... und das ...Gutachten in der revidierten Fassung stimmen danach sowohl hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen als auch hinsichtlich der Schlussfolgerungen im Wesentlichen überein. Beide sehen das Gebiet als instabil an, beide halten Tagesbrüche für möglich, beide sehen die Möglichkeit der Entfestigung des Deckgebirges durch Wasser und damit auch größerer und tieferer Tagesbrüche als bei der Berechnung nach dem Hohlraum-Bruchmassen-Modell. Und schließlich können beide Gutachter keine belastbaren Aussagen dazu treffen, wann sich die Tagesbruchgefahr realisieren wird. Dies deckt sich mit der Einschätzung des als Zeuge vernommenen früheren technischen Betriebsleiters der Deponie, der ebenfalls davon ausgeht, dass die Abbaukammern nicht dauerhaft standsicher sind und die Gefahr von Tagesbrüchen besteht.
70 
(4) Aufgrund der Beweisaufnahme kommt der Senat zu dem Schluss, dass beim Betreten des klägerischen Grundstücks eine konkrete Gefahr für Leib und Leben der das Grundstück betretenden Personen gegeben ist.
71 
Die Bewertung einer Wahrscheinlichkeit als Gefahr im polizeirechtlichen Sinne ist grundsätzlich nicht mehr Aufgabe der Gutachter, sondern des Gerichts. Diese Aufgabe wird dadurch erschwert, dass kein Sachverständiger zu sagen vermag, innerhalb welchen Zeitraums es mit welcher Wahrscheinlichkeit zu einem wie großen und gefährlichen Tagesbruch kommen wird.
72 
Bei der Bewertung ist zu beachten, dass mit dem Leben und der körperlichen Unversehrtheit hochrangige Rechtsgüter auf dem Spiel stehen, die auch geringe Eintrittswahrscheinlichkeiten ausreichen lassen. Unerheblich ist demgegenüber für die Bestimmung des Grades der Gefahr, dass es sich nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen ... um eine Dauergefahr handelt, die sich nicht mit der Zeit verringert, sondern sich vielmehr nach Jahren trügerischer Ruhe auch in 100 Jahren noch realisieren kann. Denn die Dauergefahr ist keine eigenständige Gefahrenart, vielmehr gelten für sie die allgemeinen Anforderungen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit und der zeitlichen Nähe des Schadenseintritts (Belz/Mußmann, a.a.O., § 1 Rn. 49 a).
73 
Die völlige Ungewissheit auf der Zeitachse schließt die Annahme einer unmittelbar bevorstehenden Störung im Sinn des § 9 Abs. 1 PolG aus. Auch wenn sich ein Tagesbruch jederzeit ohne Vorwarnung ereignen kann, ist es nicht hinreichend wahrscheinlich, dass ein solcher in allernächster Zeit auf dem klägerischen Grundstück auftreten und dabei einen Menschen an Leib oder Leben gefährden wird.
74 
Auf der anderen Seite handelt es sich nicht lediglich um eine „latente Gefahr“ oder ein ohne weiteres hinnehmbares Restrisiko. Zwar legen oberflächennahe Bergbautätigkeiten im Ausgangspunkt die Annahme einer „latenten Gefahr“ nahe. Dies gilt insbesondere für Bergwerke, die - wie der Kahlenberg - nicht nach dem Stand der Technik abgesichert wurden. Gibt es indes Hinweise, dass sich die Gefahr konkretisiert, so schlägt die latente in die ein polizeiliches Einschreiten rechtfertigende konkrete Gefahr um (vgl. OVG NRW, Urt. v. 13.09.1995 - 21 A 2273/91 - ZfB 1995, 322 <327>). Daran gemessen ist hier bei der erforderlichen Gesamtschau von einer konkreten Gefahr auszugehen. Dafür spricht bereits, dass sich die latente Gefahr nur 45 m von der Grenze des klägerischen Grundstücks entfernt bereits realisiert hat und dass die geologischen Bedingungen dort mit denen auf dem klägerischen Grundstück vergleichbar sind. Hinzu kommen als gefahrerhöhende Umstände die Lage des Grundstücks in der Erdbebenzone 1 und die infolge der unter dem Grundstück verlaufenden Störung herabgesetzte Festigkeit des Deckgebirges.
75 
cc) Eine konkrete Gefahr kann nicht unter dem Aspekt der freiwilligen Selbstgefährdung verneint werden. Zwar ist im Grundsatz anerkannt, dass die Polizei nicht gegen bewusste Selbstgefährdungen einschreiten darf (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.07.1997 - 8 S 2683/96 - NJW 1998, 2235 = VBlBW 1998, 25 m.w.N.). Begründet wird dies teilweise damit, dass es in einem solchen Fall an einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder an einem öffentlichen Interesse für ein behördliches Eingreifen fehle. Überwiegend wird jedoch damit argumentiert, dass Art. 2 Abs. 1 GG in gewissen Grenzen ein Recht auf Selbstgefährdung gebe.
76 
Voraussetzung für die Annahme einer nicht zu einem polizeilichen Einschreiten berechtigenden Selbstgefährdung ist allerdings, dass sich die Betroffenen freiwillig und in Kenntnis der Sachlage der Gefahr aussetzen. Dies wäre bei allen Personen der Fall, die erkennen, dass ihnen mit einer gewissen, nicht näher bestimmbaren Wahrscheinlichkeit in diesem Gebiet der Boden unter den Füßen wegbrechen kann, also insbesondere bei dem Kläger selbst.
77 
Das innerhalb bestimmter Grenzen anzuerkennende Recht auf Selbstgefährdung kann einem staatlichen Verbot jedoch nur dann entgegengehalten werden, wenn mit der betreffenden Tätigkeit nicht zugleich eine Gefahr für andere Personen verbunden ist (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.07.1997 - 8 S 2683/96 - a.a.O.; Senatsurteil vom 22.07.2004 - 1 S 410/03 - juris Rn. 39). Hier steht der Annahme einer bloßen Selbstgefährdung bei Betreten des Grundstücks entgegen, dass jeder, der in einen Tagesbruch stürzt, um Hilfe rufen und damit unbeteiligte Dritte zu Rettungsmaßnahmen veranlassen wird. Da das Grundstück nur etwa 50 m von einem öffentlichen Weg entfernt liegt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass tatsächlich jemand zur Hilfe eilt und sich angesichts des unsicheren Kraterrands in Gefahr begeben muss, nicht viel geringer als die Wahrscheinlichkeit, dass es überhaupt zu einem Unfall kommt. Insofern liegt selbst bei einem Betreten allein durch den Kläger keine ausschließliche Selbstgefährdung vor, die einem polizeilichen Einschreiten entgegenstehen würde. In diesem Zusammenhang kann auch nicht außer Betracht bleiben, dass die potenziellen Helfer keine professionell ausgebildeten Rettungskräfte, sondern zufällig vorbeikommende Passanten sind, die mit den spezifischen Risiken eines Tagesbruchs kaum vertraut sein dürften und diese Risiken bei der Rettung in keiner Weise überblicken können. Selbst wenn ihnen bekannt wäre, dass in dem Gebiet grundsätzlich die Gefahr eines Tagesbruchs besteht, folgt daraus nicht, dass sie die Gefährlichkeit einer Rettungsaktion zutreffend einschätzen können.
78 
Auch das Betreten durch den Kläger selbst würde also Leben und Gesundheit unbeteiligter Dritter gefährden, so dass eine konkrete Gefahr, die zu einem polizeilichen Einschreiten berechtigt, nicht unter dem Aspekt der freiwilligen Selbstgefährdung verneint werden kann.
79 
b) Das Betretungsverbot kann auch deshalb nicht auf § 9 PolG gestützt werden, weil es auf unbefristete Dauer Geltung beanspruchen soll und eine Inanspruchnahme des Störers überhaupt nicht beabsichtigt ist. Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergibt sich, dass dem Nichtstörer nur das zur Gefahrenabwehr sachlich Unumgängliche aufgegeben werden darf. Deshalb sind Maßnahmen, die sich länger auswirken, grundsätzlich von vornherein zeitlich zu begrenzen (Belz/Mußmann, a.a.O., § 9 Rn. 7; Wolf/Stephan/Deger, a.a.O., § 9 Rn. 21). Zudem dürfen Maßnahmen gegenüber dem Nichtstörer nach § 9 Abs. 2 PolG nur aufrechterhalten werden, solange die unmittelbar bevorstehende Gefahr fortbesteht und ihre Abwehr weiterhin auf andere Weise nicht möglich ist.
80 
Hier ist ausweislich des Gutachtens ..., dem der Senat auch in diesem Punkt folgt, die sicherste Lösung zur Abwendung der Tagesbruchgefahr eine Vollsicherung der Hohlräume unter dem klägerischen Grundstück mit einem hydraulisch abbindenden Material (Gutachten S. 23). Eine solche Maßnahme könnte der Beklagte dem Beigeladenen als polizeirechtlich Verantwortlichem auch aufgeben. Der Beigeladene ist jedenfalls als Zustandsstörer nach § 7 PolG (aa), möglicherweise auch als Verhaltensstörer nach § 6 PolG (bb) polizeirechtlich verantwortlich. Auch der Grundsatz der Effektivität der Gefahrenabwehr gebietet nicht die Anordnung eines dauerhaften Betretungsverbots gegenüber dem Kläger (cc). Schließlich würde die Inanspruchnahme des Beigeladenen diesen nicht unverhältnismäßig belasten (dd).
81 
aa) Als Inhaber der Bergbaukonzession war der Beigeladene Verfügungsberechtigter. Woraus sich nach Erlöschen der Konzession die Verfügungsberechtigung, von der die Verfahrensbeteiligten ausgehen, ergibt, ist unklar. Jedenfalls ist der Beigeladene weiterhin Inhaber der tatsächlichen Gewalt über das Altbergwerk und daher Zustandsstörer nach § 7 2. Alt. PolG:
82 
In § 1 des Konzessionsvertrags von 1937 räumte das Land Baden den Rohstoffbetrieben der Vereinigten Stahlwerke GmbH kein Bergwerkseigentum, sondern lediglich die Berechtigung zur Ausbeutung von Eisenerzen ein (vgl. § 2 Abs. 1 Bad. BergG: „Es kann [zur Ausbeutung von Eisenerzen] seitens des Finanzministeriums an Einzelne oder Gemeinschaften eine Konzession erteilt werden“). Das Bergwerkseigentum blieb nach § 39 b Bad. BergG beim Land Baden. Es konnte, und dies war nach § 1 des Konzessionsvertrags auch beabsichtigt, lediglich das Bergwerkseigentum nach § 39 c Bad. BergG „in der Weise belastet werden, dass der, zu dessen Gunsten die Belastung erfolgt, auf Zeit das vererbliche und veräußerliche Recht erhält, die in § 2 bezeichneten Mineralien […] aufzusuchen und zu gewinnen“. Dieses Gewinnungsrecht sollte nach § 39 c Abs. 1 Bad. BergG zeitlich beschränkt im Wesentlichen wie Bergwerkseigentum behandelt werden. § 42 Abs. 2 Bad. BergG erklärt die sich auf Grundstücke beziehenden Vorschriften des BGB für entsprechend anwendbar. Damit ist das Gewinnungsrecht genauso Eigentum im polizeirechtlichen Sinne wie dies für das Bergwerkseigentum allgemeine Meinung ist (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 08.12.2005 - 11 A 2436/02 - ZfB 2006, 61 <64> m.w.N).
83 
Die Konzession wurde gemäß § 2 des 2. Nachtrags vom 12.08.1968 bis zum 31.12.1997 verlängert. Aus § 7 des notariellen Kaufvertrags vom 04.09.1972 ergibt sich, dass der Beigeladene alle Rechte und Pflichten aus dem Konzessionsvertrag vom Landkreis Lahr, der die Konzession seinerseits von der ...... GmbH, der Rechtsnachfolgerin der Rohstoffbetriebe der Vereinigten Stahlwerke GmbH, gekauft hatte, übernehmen soll. Mit Wirksamkeit dieses Vertrages hat der Beigeladene die Verfügungsgewalt erlangt.
84 
Nach Erlöschen der Konzession ist der Beigeladene jedenfalls als Inhaber der tatsächlichen Gewalt Störer nach § 7 2. Alt. PolG. Ob daneben auch eine Verantwortlichkeit des beklagten Landes als Bergwerkseigentümer besteht, kann offen bleiben.
85 
bb) Daneben dürfte der Beigeladene auch Verhaltensstörer nach § 6 PolG sein. Zwar hat er selbst in dem fraglichen Teil des Bergwerks nie selbst Erz abgebaut und auch sonst - soweit ersichtlich - keine gefahrerhöhenden Tätigkeiten vorgenommen. Er dürfte jedoch Sicherungsmaßnahmen unterlassen haben, obwohl er dazu verpflichtet war.
86 
Den Beigeladenen trifft die Verkehrssicherungspflicht für das Altbergwerk. Im Rahmen des § 823 BGB ist anerkannt, dass aus der tatsächlichen Verfügungsgewalt über gefährliche Gegenstände auch die Pflicht folgt, andere vor diesen Gefahren zu schützen. Dabei muss zwar nicht jeder abstrakten Gefahr vorgesorgt werden, haftungsbegründend wird eine Gefahr erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden (st. Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 16.05.2006 - VI ZR 189/05 - NJW 2006, 2326 m.w.N.).
87 
§§ 130 ff. Bad. BergG regeln die Haftung des Bergwerkbetreibers zwar spezieller, aber nicht abschließend, sondern nur für Schäden an Grundeigentum. Darüber hinaus lässt sich diesen Vorschriften die Wertung entnehmen, dass der Bergwerksbetrieb grundsätzlich so gefahrgeneigt ist, dass im Fall von Schadensersatzansprüchen nach Pflichtverletzungen erst gar nicht gefragt werden muss. Daher trifft den Beigeladenen, solange er die tatsächliche Sachherrschaft hat, nach § 823 BGB eine Pflicht zur Sicherung.
88 
Dass die nicht abgesicherten Stollen im Laufe der Zeit durchzubrechen drohen und durch das wenig belastbare Deckgestein dadurch Tagesbrüche entstehen können, wurde bereits bei Zulassung des Abschlussbetriebsplans gesehen. In einem Aktenvermerk des Landesbergamtes vom 25.03.1971 ist festgehalten, dass im Bereich des Stollens IV noch Pingen, d.h. Tagesbrüche, zu erwarten seien. Da Sicherungsmaßnahmen unter Tage nicht möglich seien, müsse man das Gelände einbrechen lassen und dann wieder auffüllen. Die Grundstücke seien in fremdem Besitz und könnten eventuell vom Landkreis aufgekauft werden.
89 
Auch die zahlreichen Verbrüche in den letzten Jahrzehnten gaben klare Hinweise auf eine grundsätzliche Instabilität, ebenso das Wissen um den wenig sorgfältigen Kriegsbergbau. Spätestens bei Auftreten der Spüllöcher in den 1990er Jahren dürfte für Sachkundige erkennbar geworden sein, dass langfristig Sicherungsmaßnahmen notwendig sind, um die Stollen vor dem Durchbrechen zu bewahren. Das Gutachten des Sachverständigen ... und das ...Gutachten bestätigen die Tagesbruchgefahr.
90 
Die Verkehrspflichten sollen alle schützen, die in den Einwirkungsbereich der Gefahrenquelle geraten und somit also die Allgemeinheit. Damit begründen die Verkehrspflichten nach § 823 BGB auch polizeirechtliche Handlungspflichten (BayVGH, Beschl. v. 05.05.2011 - 22 ZB 10.214 - UPR 2011, 357 ). Der Beigeladene dürfte damit auch als Verhaltensstörer herangezogen werden können. Daran änderte sich selbst dann nichts, wenn der Beigeladene sich stets an alle Betriebspläne gehalten haben sollte, da diese keine Legalisierungswirkung entfalten (Senatsurteil vom 29.03.2000 - 1 S 1245/99 - a.a.O.).
91 
Auch als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist der Beigeladene polizeipflichtig, weil die möglichen Maßnahmen nicht unmittelbar in die hoheitliche Tätigkeit des Beigeladenen eingreifen, sondern an die tatsächliche Sachherrschaft bzw. Versäumnisse bei der Sicherung des stillgelegten Bergwerks anknüpfen (vgl. BVerwG, Urt. v. 08.05.2003 - 7 C 15.02 - NVwZ 2003, 1252 Rn. 18).
92 
cc) Die Effektivität der Gefahrenabwehr spricht nur vordergründig für eine Inanspruchnahme des Klägers. Zwar greift das Betretungsverbot sofort, während eine Sicherung des Grundstücks durch Verfüllung der Hohlräume, die nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen ... technisch realisierbar ist und die sicherste Lösung zur Abwendung der Tagesbruchgefahr darstellt (Gutachten S. 23), einer längeren Erkundung und Vorbereitung bedarf. Allerdings sieht der Beklagte das Betretungsverbot als endgültigen Regelungszustand an. Daher muss der Schnelligkeitsaspekt in den Hintergrund treten, zumal auch ein temporäres Betretungsverbot bis zur endgültigen Sicherung denkbar gewesen wäre, welches der Kläger - wie auch die zunächst erlassene Allgemeinverfügung der Ortspolizeibehörde - möglicherweise akzeptiert hätte. Daher müssen einem vielleicht verbleibenden Restrisiko einzelner Geländeabsackungen die Nachteile eines dauerhaften Betretungsverbots, welches für den Kläger enteignungsgleiche Wirkung hat, gegenübergestellt werden. Denn die bloße Sperrung lässt ja die Gefahr vollständig bestehen und setzt darauf, dass das Betretungsverbot - letztlich bis zum vollständigen Verbruch der Stollen, unter Umständen also Jahrhunderte - eingehalten und kontrolliert wird. Angesichts dieser zeitlichen Dimension erscheint ein dauerhaftes Betretungsverbot als einzige Gefahrenabwehrmaßnahme sogar als vergleichsweise unsicher.
93 
dd) Eine Inanspruchnahme des Beigeladenen wäre auch nicht unverhältnismäßig. Der Kläger als Nichtstörer trägt keine Verantwortung für die bestehende Gefahr und hat nach § 55 PolG lediglich einen Anspruch auf angemessene Entschädigung, nicht jedoch auf vollen Schadenersatz (vgl. Belz/Mußmann, a.a.O., § 55 Rn. 3; Wolf/Stephan/Deger, a.a.O., § 55 Rn. 15). Der Beigeladene, der jedenfalls als Zustandsstörer polizeirechtlich verantwortlich ist, hat es demgegenüber über Jahrzehnte unterlassen, Sicherungsmaßnahmen zu treffen, obwohl er die Tagesbruchgefahr kannte und auch entsprechende Rückstellungen für Berg- und Folgeschäden gebildet hat.
III.
94 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Da der Beigeladene keinen Antrag gestellt hat und damit auch kein eigenes Kostenrisiko eingegangen ist, entspricht es der Billigkeit, dass er seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt.
95 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
96 
Beschluss vom 25. Oktober 2012
97 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 GKG auf 20.000,-- EUR festgesetzt.
98 
Gründe
99 
Der für die Festsetzung des Streitwerts maßgebliche Verkehrswert des klägerischen Grundstücks beläuft sich nach den nachvollziehbaren Feststellungen eines unabhängigen Sachverständigen auf etwa 20.000,-- EUR. Soweit der Kläger von einem deutlich höheren Grundstückswert ausgeht, den er mit 62.000,-- EUR beziffert, fehlt es schon im Ansatz an einer tragfähigen Begründung hierfür.
100 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 3. August 2005 - 1 K 604/04 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Die Kläger erstreben die Feststellung, dass sie nicht zum Räumen und Streuen eines Gehwegs verpflichtet sind.
Die Kläger sind Eigentümer je eines Wohngrundstücks im Ortsteil ... der Beklagten. Beide Grundstücke grenzen im Osten an die ...straße und haben von dort Zugang und Zufahrt. Im Westen liegen sie mit einer nach den Angaben der Beklagten etwa 2 m breiten und 1 m hohen Böschung auf einer Länge von etwa 27 m (Kläger zu 1) bzw. 22,5 m (Kläger zu 2) an dem hier etwa 1,50 m breiten Gehweg der ... Straße. Diese war früher als Landesstraße (L 175a) und ist heute als Kreisstraße (K 5725) eingestuft. Seit 1988 ist sie auf Höhe der Grundstücke der Kläger als Ortsdurchfahrt festgesetzt.
Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans „...“ vom 14.06.1978, der für die Grundstücke „westlich des Erschließungsrings“, also entlang der ... Straße, ein allgemeines Wohngebiet festsetzt. Gemäß § 3 Nr. 5 der planungsrechtlichen Festsetzungen, der durch die 1. Änderung des Bebauungsplans vom 30.08.1989 eine im Wesentlichen gleichbleibende neue Fassung erhielt, durften weder zur K 5725 (früher L 175 a) noch im Einmündungsbereich der Erschließungsstraße A - B (heute ...straße) Zufahrten oder Zugänge hergestellt werden. Dementsprechend wurde den Klägern in den ihnen für ihre Wohnhäuser erteilten Baugenehmigungen aufgegeben, entlang der L 175 a geschlossene Einfriedigungen zu erstellen; dementsprechend haben sie dort jeweils geschlossene Hecken angepflanzt.
Südlich des Grundstücks des Klägers zu 2, nahe der Einmündung der ...straße, führt ein Fußgängerüberweg über die ... Straße. Dieser ist mit einer Verkehrsinsel geschützt. Vor dem Grundstück des Klägers zu 1 befindet sich eine Bushaltestelle ohne Haltebucht. Von dem ihrem Grundstück jeweils vorgelagerten Gehwegabschnitt an der ... Straße ist die jeweils südliche Ecke ihres an die ...straße angrenzenden Grundstücksteils etwa 130 m (Kläger zu 1) und etwa 75 m (Kläger zu 2) entfernt.
Gemäß der Satzung der Beklagten über die Verpflichtung der Straßenanlieger zum Reinigen, Schneeräumen und Bestreuen der Gehwege vom 28.09.1994 obliegt es den Straßenanliegern, innerhalb der geschlossenen Ortslage einschließlich der Ortsdurchfahrten die Gehwege (und weitere Flächen) nach Maßgabe der Satzung zu reinigen, bei Schneeanhäufungen zu räumen sowie bei Schnee- und Eisglätte zu bestreuen (§ 1 Abs. 1). Straßenanlieger sind die Eigentümer und Besitzer von Grundstücken, die an einer Straße liegen oder von ihr eine Zufahrt oder einen Zugang haben (§ 2 Abs. 1). Die Gehwege sind in der Regel auf mindestens drei Viertel ihrer Breite und jedenfalls so weit zu räumen, dass Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs gewährleistet sind und insbesondere ein Begegnungsverkehr möglich ist (§ 5 Abs. 1). Der geräumte Schnee und das auftauende Eis ist auf dem restlichen Teil der Fläche, für die die Straßenanlieger verpflichtet sind, und soweit der Platz hierfür nicht ausreicht, am Rande der Fahrbahn anzuhäufen (§ 5 Abs. 2). Die Gehwege müssen werktags bis 6.45 Uhr und sonn- und feiertags bis 8.00 Uhr geräumt und gestreut sein. Wenn nach diesem Zeitpunkt Schnee fällt oder Schnee- bzw. Eisglätte auftritt, ist unverzüglich, bei Bedarf auch bis 20.00 Uhr, wiederholt zu räumen und zu streuen (§ 7).
Die Kläger haben, nachdem die Beklagte ihnen gegenüber Bußgeldbescheide wegen unterbliebener Schneeräumung erlassen hatte, am 23.03.2004 beim Verwaltungsgericht Freiburg Feststellungsklage erhoben.
Der Gemeinderat der Beklagten hat am 15.12.2004 im vereinfachten Verfahren gemäß § 13 BauGB die 2. Änderung des Bebauungsplans „...“ beschlossen und dabei u.a. § 3 Nr. 5 der planungsrechtlichen Vorschriften aufgehoben. Mit Bescheiden vom 30.07.2004 hat sie die Auflagen zu den den Klägern erteilten Baugenehmigungen betreffend die Anlage von Einfriedigungen entlang der K 5725 aufgehoben. Im dem Entwurf einer Begründung zum Bebauungsplan (Stand 23.06.2004) wird ausgeführt: Die Zugangsbeschränkung im Bebauungsplan gehe auf eine Forderung des Straßenbauamts zurück, die darauf beruht habe, dass das Plangebiet damals außerhalb der Ortsdurchfahrt gelegen habe; wegen des anhängigen Rechtsstreits über die Räum- und Streupflicht hätten ihre Prozessbevollmächtigten ihr nahegelegt, das Zugangsverbot aufzuheben; darüber hinaus solle eine mittlerweile überflüssig gewordene Beschränkung der Ausnutzbarkeit der Baugrundstücke entlang der K 5725 beseitigt werden. Der Ortschaftsrat von ... sprach sich zunächst einstimmig gegen die Planung aus. In seiner Sitzung am 21.07.2004 lehnte der Gemeinderat der Beklagten den Entwurf der 2. Änderung des Bebauungsplans zunächst ab, stimmte ihm danach jedoch mit der Maßgabe zu, dass im „Bereich der Einfahrt ...straße bis zum Autoreifenhändler“ ein Schild „Kein Winterdienst“ aufgestellt werde und dass die Eigentümer im „Bereich von der ...straße in Richtung ... ... den Gehweg im Winter räumen und streuen“ müssen. Diese Regelung gelte vorbehaltlich der Zustimmung des Ortschaftsrats ... die dieser erteilte. Am 15.12.2004 beschloss der Gemeinderat der Beklagten die 2. Änderung des Bebauungsplans u.a. mit der Maßgabe, dass die Regelung der Räum- und Streupflicht nicht Gegenstand der Planänderung sei; die Begründung zum Bebauungsplan wurde entsprechend geändert. Der Beschluss wurde am 16.12.2004 im Amtsblatt der Beklagten öffentlich bekannt gemacht.
Die Kläger haben im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgetragen: Sie seien aus rechtlichen und wegen der Ausführung der Böschung auf ihren Grundstücken auch aus tatsächlichen Gründen gehindert, auf unmittelbarem Weg zu dem zu räumenden Gehwegabschnitt zu gelangen. Die 2. Änderung der Bebauungsplans sei unwirksam, weil es der Beklagten allein darum gegangen sei, ihnen eine Räum- und Streupflicht aufzuerlegen. Die Räum- und Streupflicht für den Gehweg sei auch unverhältnismäßig. Sie könnten die Schneemassen, die bei der Räumung der ... Straße auf den Gehweg geworfen würden und die häufig aus gefrorenem Eis bestünden, nicht - zumal den ganzen Tag über - beseitigen. Selbst mehrere Winterdienstunternehmen hätten dies abgelehnt, weil sie nicht über die dafür erforderlichen besonderen Räumfahrzeuge verfügten. Wegen der Bushaltestelle und der Verkehrsinsel in der ... Straße vor ihren Grundstücken könnten sie dort ohnehin keine Zufahrten anlegen. Die Beklagte hat erwidert: Der 2. Änderungsbebauungsplan sei wirksam. Die Kläger könnten deshalb nunmehr mit geringem Aufwand jedenfalls einen unmittelbaren Zugang von ihren Grundstücken zu den zu räumenden Gehwegabschnitten schaffen.
Mit Urteil vom 03.08.2005 hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass die Kläger nicht verpflichtet sind, den vor ihren Grundstücken (Flst.Nrn. 696 und 697) verlaufenden Gehweg der ... Straße im Ortsteil ... der Beklagten bei Schneeanhäufungen zu räumen und bei Schnee- und Eisglätte zu bestreuen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Zwar bestünden gegen die Gültigkeit der Räum- und Streusatzung der Beklagten keine Bedenken. Auch unterlägen die Kläger dem Wortlaut der einschlägigen Regelungen nach der Räum- und Streupflicht. Entscheidend sei jedoch, dass Besonderheiten vorlägen, welche einer Heranziehung der Kläger zum Räumen und Streuen entgegenstünden. Bis zur 2. Änderung des Bebauungsplans „...“ vom 15.12.2004 ergebe sich ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz bereits daraus, dass die Kläger in grundlegend anderer Weise durch die Heranziehung zum Räumen und Streuen betroffen gewesen seien als die Eigentümer von Grundstücken, deren Zugang und Zufahrt zu den Straßen nicht rechtlich ausgeschlossen gewesen sei. Sofern die 2. Änderung des Bebauungsplans wirksam sei, was offen bleiben könne, verstoße die Inanspruchnahme der Kläger ebenfalls gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, weil bei ihnen zahlreiche, das Räumen und Streuen erschwerende Umstände vorlägen, nicht aber bei den Anliegern an der K 5725 südlich der Einmündung ...straße, die von der Räum- und Streupflicht freigestellt seien. Bei der ... Straße handele es sich um eine stark befahrene Ortsdurchfahrt. Diese werde bei Schneefall häufiger geräumt als einfache Ortsstraßen. Da die Räumfahrzeuge einer Verkehrsinsel ausweichen müssten, würden sie dicht am Bordstein entlang fahren. So würde der gesamte geräumte Schnee auf den Gehweg vor den Grundstücken der Kläger geschoben. Er bleibe dort auch liegen, weil das Gelände im Anschluss ansteige. Hinzu komme, dass die Kläger nur mit erheblichem Aufwand einen unmittelbaren Zugang zu den zu räumenden Gehwegabschnitten schaffen könnten. Selbst wenn diese Umstände noch nicht ausreichten, eine Räum- und Streupflicht der Kläger als unverhältnismäßig zu beurteilen, sei es mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz unvereinbar, die Anlieger der ... Straße südlich der Einmündung ...straße von der Räum- und Streupflicht zu befreien, nicht aber die Kläger. Gerechtfertigt werde die Ungleichbehandlung nicht mit der Erwägung der Beklagten, dass die zur nahen Schule gehenden, aus nördlicher Richtung kommenden Kinder zwar den Gehweg entlang der ... Straße vor den Grundstücken der Kläger benutzten, nicht aber den anschließenden südlichen Abschnitt. Es könne nicht angenommen werden, dass dieser Abschnitt gar nicht begangen werde. Die Beklagte habe die 2. Änderung des Bebauungsplans gerade damit begründet, dass mehrere Anlieger an der ... Straße dort einen Zugang oder eine Zufahrt schaffen wollten. Es sei mit einer am Gleichbehandlungsgrundsatz orientierten, gleichmäßigen und gerechten Lastenverteilung jedoch nicht vereinbar, gerade diejenigen Anlieger vom Winterdienst auszunehmen, die künftig einen gesteigerten Vorteil von der ... Straße hätten. Hinzu komme, dass die Beklagte den Fußgängerüberweg über die ... Straße, die Bushaltebucht und den daran angrenzenden Gehweg auf der gegenüberliegenden Straßenseite - etwa in Höhe des Grundstücks des Klägers zu 2 - selbst räumen lasse. Deshalb habe für sie Anlass bestanden zu überlegen, ob sie die hier streitigen Gehwegabschnitte mitversorge. Dass die Beklagte auf die unterschiedliche Verkehrsfunktion beider Gehwegabschnitte verweise, überzeuge auch deshalb wenig, weil sie mit der erwähnten Freistellung von Grundstückseigentümern vom Winterdienst nach Lage der Akten in erster Linie den Zweck verfolgt habe, den Widerstand gegen die Bebauungsplanänderung im Ortschaftsrat und im Gemeinderat zu überwinden.
10 
Auf Antrag der Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom 22.12.2005 die Berufung zugelassen. Der Beschluss wurde der Beklagten am 10.01.2006 zugestellt. Diese hat die Berufung mit einem am 10.02.2006 eingegangenen Schriftsatz begründet.
11 
Sie trägt vor: Es lägen keine eine Räum- und Streupflicht der Kläger ausschließenden Besonderheiten vor. Die vom Verwaltungsgericht angeführten Gesichtspunkte seien häufig bei Ortsdurchfahrten gegeben, etwa auch in ihrem Ortsteil ... oder sonst entlang der ... Straße in .... Auch das Nachbargrundstück Flst.Nr. 694 habe keinen unmittelbaren Zugang zur ... Straße und werde von den Eigentümern gleichwohl geräumt. Der Ausschluss von Zugang und Zufahrt entlang der ... Straße im Bebauungsplan habe darauf beruht, dass diese früher eine Landesstraße (L 175a) gewesen und erst ab 1988 als Ortsdurchfahrt festgesetzt worden sei. Wegen der Änderung dieser straßenrechtlichen Umstände sei auch der Bebauungsplan „...“ im Jahr 2004 geändert worden. Dem folgend seien die entsprechenden Auflagen zu den den Klägern erteilten Baugenehmigungen aufgehoben worden. Ein Zugang sei in tatsächlicher Hinsicht ohne großen Aufwand durch Rückschnitt der Hecke auf einem kleinen Abschnitt herzustellen. Die Verkehrsbedeutung des Gehwegs entlang der ... Straße vor den Grundstücken der Kläger sei dadurch gekennzeichnet, dass er auch als Schulweg diene. Nördlich des Baugebiets „...“ befinde sich ein weiteres Baugebiet, aus dem etwa zehn Kinder zur Grundschule ... gingen. Werde der Gehweg vor den Grundstücken der Kläger nicht geräumt, müssten diese Kinder etwa 20 m auf der Fahrbahn der Kreisstraße gehen. Ab der Einmündung der ...straße könnten die Kinder geräumte Gehwege im Baugebiet nutzen. Anlieger sei auch, wer keinen unmittelbaren Zugang zur Straße habe. Ausreichend sei eine Zugangsmöglichkeit. Bestehe eine solche, sei die Heranziehung zum Räumen und Streuen des Gehwegs nur ausnahmsweise willkürlich. Tatsächlich und rechtlich könnten die Kläger einen Zugang von ihren Grundstücken auf den Gehweg entlang der ... Straße schaffen. Die 2. Änderung des Bebauungsplans sei wirksam. Sie sei vernünftigerweise geboten gewesen. Die unterschiedliche Verkehrsbedeutung rechtfertige es, für die bezeichneten Gehwegabschnitte entlang der ... Straße den Winterdienst unterschiedlich zu regeln. Die Gemeinden selbst müssten nur verkehrswichtige und gefährliche Strecken räumen und bestreuen. Darauf, dass die Anlieger der ... Straße südlich der Einmündung der ...straße keinen Winterdienst verrichten müssten, könnten sich die Kläger nicht berufen.
12 
Die Beklagte beantragt,
13 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 3. August 2005 - 1 K 604/04 - zu ändern und die Klagen abzuweisen.
14 
Die Kläger beantragen,
15 
die Berufung zurückzuweisen.
16 
Sie tragen vor: Die von der Beklagten angeführten Vergleichsfälle wiesen nicht alle Besonderheiten auf, die in ihrer Lage gegeben seien. Die Beklagte messe auch mit zweierlei Maß. Im Ortsteil ... räume sie die ...straße, eine Parallelstraße zur L 175, die keinen Gehweg aufweise, selbst. Auch dort handele es sich um einen Schulweg. Es treffe nicht zu, dass der Eigentümer des südlichen Nachbargrundstücks den Gehweg an der ... Straße selbst räume; dies übernehme vielmehr die Beklagte für ihn. Andere Bedingungen herrschten auch für das nördliche Nachbargrundstück. Dass sie nicht in der Lage seien, den Gehweg vor ihren Grundstücken zu räumen, werde auch daran deutlich, dass die Beklagte im letzten Winter dafür ein Fahrzeug mit Allradantrieb, Räumschaufel und Fräse eingesetzt habe. Dass die 2. Änderung des Bebauungsplans nicht auf den von der Beklagten angeführten Erwägungen beruhe, zeige sich schon daran, dass die insoweit herangezogenen straßenrechtlichen Gesichtspunkte schon seit 1988 vorgelegen hätten. Zur Herstellung eines tatsächlichen Zugangs von der ... Straße reiche bei jedem von ihnen ein Rückschnitt der Hecke nicht aus. Der Kläger zu 2 müsse einen von ihm angelegten Wall abtragen, damit er mit einer Schneefräse auf den Gehweg gelangen könne. Der Kläger zu 1, der auf eine Forderung der Baurechtsbehörde sein Grundstück erhöht habe, müsse eine Treppe anlegen; über diese könne er den Gehweg freilich nicht mit einem Räumgerät erreichen. Die Verkehrsbedeutung des Gehwegs dürfe für eine unterschiedliche Handhabung der Satzung keine Rolle spielen.
17 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die dem Senat vorliegenden Akten und die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
18 
Die Berufung der Beklagten ist nach ihrer Zulassung durch den Senat statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere hat die Beklagte die Berufung rechtzeitig und den Erfordernissen des § 124a Abs. 6 VwGO entsprechend begründet.
19 
Die Berufung hat jedoch keinen Erfolg. Im Ergebnis zu Recht hat das Verwaltungsgericht auf die zulässigen Klagen festgestellt, dass die Kläger nicht zum Räumen und Streuen des Gehwegs vor ihren Grundstücken entlang der ... Straße verpflichtet sind.
20 
Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die auf der Grundlage von § 41 Abs. 2 StrG und § 4 GemO erlassene Satzung der Beklagten über die Verpflichtung der Straßenanlieger zum Reinigen, Schneeräumen und Bestreuen der Gehwege vom 28.09.1994 (künftig: Satzung) keinen rechtlichen Bedenken unterliegt (vgl. nunmehr auch Muster einer Streupflichtsatzung - Fassung 2006 - des Gemeindetags Baden-Württemberg in BWGZ 2006, 730). Auch wären die Kläger, deren Grundstücke an den Gehweg entlang der ... Straße angrenzen, dem Wortlaut der Satzung nach als Anlieger zum Räumen und Streuen verpflichtet. Denn sie sind gemäß § 2 Abs. 1 der Satzung Straßenanlieger und die Gehwegabschnitte liegen innerhalb der geschlossenen Ortslage (vgl. Senatsurt. v. 20.11.2003 - 5 S 2311/02 -). Insoweit sind, wie § 1 Abs. 1 der Satzung ausdrücklich bestimmt, die Gehwege entlang der Ortsdurchfahrten (vgl. § 41 Abs. 1 und § 43 Abs. 4 StrG) einbezogen. Der Räum- und Streupflicht der Kläger steht jedoch höherrangiges Recht entgegen, welches bei der Auslegung und Anwendung der Satzung zu berücksichtigen ist (Senatsurt. v. 11.11.1993 - 5 S 2606/92 - BWGZ 1994, 619; Lorenz/Will, Straßengesetz Baden-Württemberg, 2. Aufl., § 41 Rdnr. 41).
21 
Dabei kann der Senat mit dem Verwaltungsgericht offenlassen, ob die streitige Räum- und Streupflicht für die Kläger am Maßstab des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG unverhältnismäßig wäre. Gleichwohl merkt der Senat hierzu Folgendes an:
22 
Wäre die Aufhebung des Zugangs- und Zufahrtsverbots in § 3 Nr. 5 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans „...“ durch den 2. Änderungsbebauungsplan rechtmäßig, könnten die Kläger die zu räumenden Gehwegabschnitte auf kurzem Weg erreichen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 01.09.1972 - I 77/72 - ESVGH 23, 84; Urt. v. 28.05.1979 - I 391/79 - Juris: Entfernungen von bis zu 150 m sind zumutbar). Denn ein unmittelbarer Zugang von ihren Grundstücken ließe sich ohne Weiteres und unter vergleichsweise geringen Kosten anlegen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 23.05.1989 - 5 S 3298/88 - BWVPr 1989, 273). Auch könnten die Kläger nach der Aufhebung des in die Baugenehmigungen aufgenommenen Einfriedigungsgebots auf ihren Grundstücken Platz für den geräumten Schnee schaffen. Der Umstand, dass das Räumen in diesem Bereich erheblich erschwert wird, weil der von der Fahrbahn der ... Straße geschobene Schnee vollständig und stark verdichtet, ggf. auch schon in gefrorenem Zustand, auf den Gehwegabschnitten abgelagert wird, ließe eine Räumpflicht dem Grunde nach nicht als unverhältnismäßig erscheinen. Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, dass es in Schwarzwaldgemeinden wegen beengter Verhältnisse und bei ergiebigen Schneefällen häufig erforderlich ist, den Schnee von der Fahrbahn auf den Gehweg zu schieben, und dass sie im Interesse einer raschen und gleichmäßigen Räumung der wichtigsten Straßen und Gehwege darauf angewiesen ist, dass sie ihre Räum- und Streuobliegenheit teilweise auf die Grundstückseigentümer übertragen kann (vgl. das erwähnte Muster für eine Streupflichtsatzung a.a.O., Erläuterungen zu § 1 am Ende). Dass Grundstückseigentümer in (wiederholten) Einzelfällen, etwa bei besonders ergiebigen Schneefällen, nicht mehr in der Lage sind, den Gehweg entsprechend den Satzungsbestimmungen zu räumen, kann ihre jeweilige Räum- und Streupflicht nicht schon dem Grunde nach entfallen lassen. Insoweit gilt für die Anwohner, auf die die Räum- und Streupflicht übertragen worden ist, nichts anderes als für die Gemeinde selbst; auch dieser obliegt das Räumen und Streuen nur im Rahmen der Zumutbarkeit (§ 41 Abs. 1 StrG; vgl. zur Verkehrssicherungspflicht BGH, Urt. v. 01.10.1959 - III ZR 59/58 - NJW 1960, 41; Beschl. v. 20.10.1994 - III ZR 60/94 - BayVBl 1995, 542; Thür. OLG, Urt. v. 09.03.2005 - 4 U 646/04 - NVwZ-RR 2006, 60 m.w.N.). Die Zumutbarkeit einer (sofortigen) Räumung kann deshalb nur im jeweiligen Einzelfall nicht gegeben sein; die unter gewöhnlichen Umständen zumutbar erfüllbare Räum- und Streupflicht bleibt bestehen (vgl. BayObLG, Beschl. v. 01.07.1982 - 3 Ob OWi 72/82 - BayVBl 1982, 636; Lorenz/Will a.a.O. Rdnr. 43).
23 
Eine grundsätzlich bestehende Räum- und Streupflicht der Kläger würde auch nicht deshalb entfallen, weil das Räumfahrzeug des Landkreises wegen der Verengung der Fahrbahn auf Höhe der Verkehrsinsel dicht am Bordstein entlang fährt und so mehr Schnee auf den Gehweg geschoben wird, als wenn es sich wie sonst eher an der Mitte der Fahrbahn orientiert. Dass dies zu ständigen Erschwernissen für die Kläger beim Räumen und Streuen führte, die die Obliegenheit zum Räumen und Streuen generell als unzumutbar erscheinen ließen, lässt sich nicht feststellen. Denn die Kläger haben in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt, dass sie den Gehweg räumen können, wenn nicht besonders viel Schnee fällt und der vom Räumfahrzeug des Landkreises von der Fahrbahn auf den Gehweg geschobene Schnee nicht besonders hoch und nicht stark verdichtet oder gar vereist ist.
24 
Unverhältnismäßig könnte die grundsätzliche Räum- und Streupflicht für die Kläger unter den auch nach Auffassung des Senats durchaus gegebenen besonderen Umständen deshalb wohl allenfalls bei ergänzender Berücksichtigung des Umstands sein, dass die Beklagte ohnehin mit einem den jeweiligen Schneeverhältnissen angepassten Räumfahrzeug an Ort und Stelle ist, um die gegenüberliegende Bushaltestelle nebst Gehweg, den Fußgängerüberweg und - wie sie in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat - auch den östlichen Gehweg entlang der ... Straße vom Fußgängerüberweg bis zur Einmündung vor dem Anwesen ...straße 1 zu räumen, weil nur im Einmündungsbereich der Schnee abgelagert werden kann. In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist anerkannt, dass der Gedanke, der die Übertragung der Räum- und Streuobliegenheit auf die Anlieger rechtfertigt, nämlich dass diese die Gehwege im Gemeindegebiet regelmäßig schneller räumen und streuen können als die Gemeinde mit ihren dafür zur Verfügung stehenden begrenzten Kräften, nicht in sein Gegenteil verkehrt werden darf (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 01.09.1972 - I 77/72 - ESVGH 23, 84; kritisch hierzu Lorenz/Will a.a.O. Rdnr. 46). Ein solcher Fall könnte hier vorliegen, weil die Kläger bei ergiebigen Schneefällen jedenfalls unter bestimmten Umständen die Schneemassen nicht zumutbar beseitigen können und ein Hausmeisterdienst im Zweifel nicht eher räumen und streuen kann als der für die Räumung im näheren Umkreis zuständige Mitarbeiter der Beklagten. Hinzu kommt, dass - wie die Beklagte selbst geltend macht - ein erhebliches öffentliches Interesse an einer raschen Räumung dieses Gehwegabschnitts zur Sicherung des von etwa zehn Schülern benutzten Wegs zur Grundschule von ... besteht und die Beklagte mit dem ihr zur Verfügung stehenden Räumgerät dazu auch ohne Weiteres und ohne allzu große Verzögerung in der Lage ist. Diesem Interesse ist jedenfalls nicht gedient, wenn die Beklagte sich von der Räum- und Streuobliegenheit generell entlastet, die Kläger sich ihrerseits aber im Einzelfall, wenn eine Räumung besonders dringlich wäre, darauf berufen könnten, dass ihnen das Räumen nicht zumutbar ist, und deshalb die Übertragung der Räumpflicht letztlich den angestrebten Zweck nicht erreichen kann.
25 
Offenbleiben können diese Fragen, weil die Übertragung der Räum- und Streupflicht auf die Kläger jedenfalls gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt.
26 
Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) zwingt zwar nicht dazu, eine Sicherungspflicht des Straßenanliegers auf solche Gehwege zu beschränken, zu denen eine Zuwegung besteht oder jedenfalls vernünftigerweise zu schaffen ist, weil ohne sie das Grundstück in seiner Nutzung beeinträchtigt wäre. Willkürlich und mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist jedoch die undifferenzierte Begründung einer Gehwegsicherungspflicht auch für solche Straßen, zu denen der Grundstückseigentümer aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen keinen Zugang nehmen kann. Von einem Vorteil durch die Straße kann dann nicht mehr die Rede sein. Ein Grundstückseigentümer, der den Gehweg in einer solchen Lage trotzdem sichern müsste, würde durch diese Pflicht in grundlegend anderer Weise betroffen als die übrigen, bei denen der Sicherungslast ein Vorteil jedenfalls in der Gestalt einer Zugangsmöglichkeit gegenübersteht. Dieser qualitative Unterschied darf bei der Überwälzung der Sicherungspflicht nicht außer acht gelassen werden. Im Sinne einer solchen Einschränkung kommt daher eine verfassungskonforme Auslegung der landesrechtlichen Ermächtigungsgrundlage für die Sicherungsverordnung und der Sicherungsverordnung selbst in Betracht (BVerwG, Urt. v. 11.03.1988 - 4 C 78.84 - VBlBW 1988, 467; vgl. auch Senatsurt. v. 11.11.1993 - 5 S 2606/92 - a.a.O.).
27 
Die Kläger können aus rechtlichen Gründen zur ... Straße keinen Zugang nehmen. Dies ist durch § 3 Nr. 5 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans „...“ in der Fassung der 1. Änderung ausgeschlossen. Die 2. Änderung des Bebauungsplans, mit dem dieses rechtliche Zugangshindernis aufgehoben werden sollte, ist unwirksam. Denn die Beklagte hat mit ihr keine städtebaulichen Ziele verfolgt, sie ist demnach nicht erforderlich (§ 1 Abs. 3 BauGB 1998).
28 
Zwar können mit der Aufhebung eines Zugangs- und Zufahrtsverbots für Wohngrundstücke in einem Bebauungsplan zweifellos städtebauliche Ziele verfolgt werden. Insofern wäre das Ziel, auf diese Weise die bauliche Nutzbarkeit der Grundstücke entlang der ... Straße zu erhöhen, rechtlich nicht zu beanstanden. Der Senat hat aber die Überzeugung gewonnen, dass dieses Planungsziel nicht dem wahren Willen der Beklagten entsprach, sondern nur vorgeschoben war (vgl. Senatsurt. v. 27.07.2001 - 5 S 2534/99 - VBlBW 2002, 124), um das rechtliche Hindernis zur Übertragung der Reinigungs-, Räum- und Streupflicht auf die vier Anlieger der ... Straße nördlich der Einmündung der ...straße zu beseitigen. Darin liegt aber kein städtebaulicher Grund.
29 
Die Begründung einer Räum- und Streupflicht für die Kläger war nicht nur der Anlass für die 2. Änderung des Bebauungsplans. Auch im Laufe des Planänderungsverfahrens stand die Frage des Winterdienstes im Mittelpunkt der Erörterungen im Gemeinderat der Beklagten und im Ortschaftsrat von .... Deutlich wird dies vor allem daraus, dass auf Wunsch des Ortschaftsrats und der Mehrzahl der Anwohner der ... Straße im Plangebiet die Änderung des Bebauungsplans nur unter der Maßgabe erfolgen sollte, dass die Beklagte für den Gehweg südlich der Einmündung der ...straße Schilder mit der Aufschrift „Kein Winterdienst“ aufstellt. Dass die Beklagte diese im gesamten Änderungsverfahren maßgebenden Erwägungen am Tage des Satzungsbeschlusses über den Änderungsplan aus der Begründung gestrichen hat, kann deren wahre, nämlich ausschlaggebende Bedeutung für die Planänderung nicht mindern.
30 
Im Übrigen weisen die Kläger wohl zutreffend darauf hin, dass jedenfalls von ihren Grundstücken aus eine weitere Zufahrt zur ... Straße wegen der topographischen Verhältnisse nicht sinnvoll und aus straßenrechtlichen Gründen wegen der Verengung der Fahrbahn durch die Verkehrsinsel in der ... Straße unmittelbar vor dem Grundstück des Klägers zu 2 und wegen der Bushaltestelle vor dem Grundstück des Klägers zu 1 nicht wünschenswert wäre und möglicherweise auch nicht angelegt werden dürfte (vgl. Sauthoff, Straße und Anlieger, Rdnr. 808, der die Herstellung einer zusätzlichen Zufahrt zu einer Ortsdurchfahrt als erlaubnispflichtige Sondernutzung beurteilt). Würden dort Zufahrten angelegt, liefe dies wohl der Zielsetzung zuwider, die für die Festsetzung des Zufahrtverbots maßgeblich war, nämlich einen möglichst ungestörten Verkehr auf der Landes- bzw. Kreisstraße zu ermöglichen. Diese Zielsetzung besteht angesichts der konkreten örtlichen Verhältnisse ungeachtet der straßenrechtlichen Einordnung der ... Straße als Ortsdurchfahrt einer Kreisstraße. Dass, wie der Prozessbevollmächtigte der Beklagten in der mündlichen Verhandlung erwähnt hat, in der Zwischenzeit eine Anfrage zur Anlegung einer Zufahrt zur ...  Straße vorliege, ändert an der maßgeblichen Sachlage im Zeitpunkt der Beschlussfassung des Änderungsbebauungsplans nichts.
31 
Mithin kommt es nicht darauf an, ob dem Verwaltungsgericht in der Beurteilung gefolgt werden könnte, es verstoße jedenfalls deshalb gegen Art. 3 Abs. 1 GG, den Klägern die Räum- und Streupflicht aufzuerlegen, weil sie von ihr ungleich härter als sonstige Anlieger im Gemeindegebiet getroffen würden, sie tatsächlich - anders als die Anlieger der... Straße südlich der Einmündung der ...straße - von einer Aufhebung des Zugang- und Zufahrtsverbots keinen Vorteil hätten und jene zudem gemäß den von der Beklagten aufgestellten Schildern keinen Winterdienst verrichten müssten.
32 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
33 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
34 
Beschluss
35 
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 4.000,- EUR festgesetzt (2 x 2.000,- EUR, vgl. die vorläufige Streitwertbestimmung vom 02.01.2006 unter Hinweis auf das Senatsurteil vom 20.11.2003 - 5 S 2311/02).
36 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

 
18 
Die Berufung der Beklagten ist nach ihrer Zulassung durch den Senat statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere hat die Beklagte die Berufung rechtzeitig und den Erfordernissen des § 124a Abs. 6 VwGO entsprechend begründet.
19 
Die Berufung hat jedoch keinen Erfolg. Im Ergebnis zu Recht hat das Verwaltungsgericht auf die zulässigen Klagen festgestellt, dass die Kläger nicht zum Räumen und Streuen des Gehwegs vor ihren Grundstücken entlang der ... Straße verpflichtet sind.
20 
Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die auf der Grundlage von § 41 Abs. 2 StrG und § 4 GemO erlassene Satzung der Beklagten über die Verpflichtung der Straßenanlieger zum Reinigen, Schneeräumen und Bestreuen der Gehwege vom 28.09.1994 (künftig: Satzung) keinen rechtlichen Bedenken unterliegt (vgl. nunmehr auch Muster einer Streupflichtsatzung - Fassung 2006 - des Gemeindetags Baden-Württemberg in BWGZ 2006, 730). Auch wären die Kläger, deren Grundstücke an den Gehweg entlang der ... Straße angrenzen, dem Wortlaut der Satzung nach als Anlieger zum Räumen und Streuen verpflichtet. Denn sie sind gemäß § 2 Abs. 1 der Satzung Straßenanlieger und die Gehwegabschnitte liegen innerhalb der geschlossenen Ortslage (vgl. Senatsurt. v. 20.11.2003 - 5 S 2311/02 -). Insoweit sind, wie § 1 Abs. 1 der Satzung ausdrücklich bestimmt, die Gehwege entlang der Ortsdurchfahrten (vgl. § 41 Abs. 1 und § 43 Abs. 4 StrG) einbezogen. Der Räum- und Streupflicht der Kläger steht jedoch höherrangiges Recht entgegen, welches bei der Auslegung und Anwendung der Satzung zu berücksichtigen ist (Senatsurt. v. 11.11.1993 - 5 S 2606/92 - BWGZ 1994, 619; Lorenz/Will, Straßengesetz Baden-Württemberg, 2. Aufl., § 41 Rdnr. 41).
21 
Dabei kann der Senat mit dem Verwaltungsgericht offenlassen, ob die streitige Räum- und Streupflicht für die Kläger am Maßstab des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG unverhältnismäßig wäre. Gleichwohl merkt der Senat hierzu Folgendes an:
22 
Wäre die Aufhebung des Zugangs- und Zufahrtsverbots in § 3 Nr. 5 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans „...“ durch den 2. Änderungsbebauungsplan rechtmäßig, könnten die Kläger die zu räumenden Gehwegabschnitte auf kurzem Weg erreichen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 01.09.1972 - I 77/72 - ESVGH 23, 84; Urt. v. 28.05.1979 - I 391/79 - Juris: Entfernungen von bis zu 150 m sind zumutbar). Denn ein unmittelbarer Zugang von ihren Grundstücken ließe sich ohne Weiteres und unter vergleichsweise geringen Kosten anlegen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 23.05.1989 - 5 S 3298/88 - BWVPr 1989, 273). Auch könnten die Kläger nach der Aufhebung des in die Baugenehmigungen aufgenommenen Einfriedigungsgebots auf ihren Grundstücken Platz für den geräumten Schnee schaffen. Der Umstand, dass das Räumen in diesem Bereich erheblich erschwert wird, weil der von der Fahrbahn der ... Straße geschobene Schnee vollständig und stark verdichtet, ggf. auch schon in gefrorenem Zustand, auf den Gehwegabschnitten abgelagert wird, ließe eine Räumpflicht dem Grunde nach nicht als unverhältnismäßig erscheinen. Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, dass es in Schwarzwaldgemeinden wegen beengter Verhältnisse und bei ergiebigen Schneefällen häufig erforderlich ist, den Schnee von der Fahrbahn auf den Gehweg zu schieben, und dass sie im Interesse einer raschen und gleichmäßigen Räumung der wichtigsten Straßen und Gehwege darauf angewiesen ist, dass sie ihre Räum- und Streuobliegenheit teilweise auf die Grundstückseigentümer übertragen kann (vgl. das erwähnte Muster für eine Streupflichtsatzung a.a.O., Erläuterungen zu § 1 am Ende). Dass Grundstückseigentümer in (wiederholten) Einzelfällen, etwa bei besonders ergiebigen Schneefällen, nicht mehr in der Lage sind, den Gehweg entsprechend den Satzungsbestimmungen zu räumen, kann ihre jeweilige Räum- und Streupflicht nicht schon dem Grunde nach entfallen lassen. Insoweit gilt für die Anwohner, auf die die Räum- und Streupflicht übertragen worden ist, nichts anderes als für die Gemeinde selbst; auch dieser obliegt das Räumen und Streuen nur im Rahmen der Zumutbarkeit (§ 41 Abs. 1 StrG; vgl. zur Verkehrssicherungspflicht BGH, Urt. v. 01.10.1959 - III ZR 59/58 - NJW 1960, 41; Beschl. v. 20.10.1994 - III ZR 60/94 - BayVBl 1995, 542; Thür. OLG, Urt. v. 09.03.2005 - 4 U 646/04 - NVwZ-RR 2006, 60 m.w.N.). Die Zumutbarkeit einer (sofortigen) Räumung kann deshalb nur im jeweiligen Einzelfall nicht gegeben sein; die unter gewöhnlichen Umständen zumutbar erfüllbare Räum- und Streupflicht bleibt bestehen (vgl. BayObLG, Beschl. v. 01.07.1982 - 3 Ob OWi 72/82 - BayVBl 1982, 636; Lorenz/Will a.a.O. Rdnr. 43).
23 
Eine grundsätzlich bestehende Räum- und Streupflicht der Kläger würde auch nicht deshalb entfallen, weil das Räumfahrzeug des Landkreises wegen der Verengung der Fahrbahn auf Höhe der Verkehrsinsel dicht am Bordstein entlang fährt und so mehr Schnee auf den Gehweg geschoben wird, als wenn es sich wie sonst eher an der Mitte der Fahrbahn orientiert. Dass dies zu ständigen Erschwernissen für die Kläger beim Räumen und Streuen führte, die die Obliegenheit zum Räumen und Streuen generell als unzumutbar erscheinen ließen, lässt sich nicht feststellen. Denn die Kläger haben in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt, dass sie den Gehweg räumen können, wenn nicht besonders viel Schnee fällt und der vom Räumfahrzeug des Landkreises von der Fahrbahn auf den Gehweg geschobene Schnee nicht besonders hoch und nicht stark verdichtet oder gar vereist ist.
24 
Unverhältnismäßig könnte die grundsätzliche Räum- und Streupflicht für die Kläger unter den auch nach Auffassung des Senats durchaus gegebenen besonderen Umständen deshalb wohl allenfalls bei ergänzender Berücksichtigung des Umstands sein, dass die Beklagte ohnehin mit einem den jeweiligen Schneeverhältnissen angepassten Räumfahrzeug an Ort und Stelle ist, um die gegenüberliegende Bushaltestelle nebst Gehweg, den Fußgängerüberweg und - wie sie in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat - auch den östlichen Gehweg entlang der ... Straße vom Fußgängerüberweg bis zur Einmündung vor dem Anwesen ...straße 1 zu räumen, weil nur im Einmündungsbereich der Schnee abgelagert werden kann. In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist anerkannt, dass der Gedanke, der die Übertragung der Räum- und Streuobliegenheit auf die Anlieger rechtfertigt, nämlich dass diese die Gehwege im Gemeindegebiet regelmäßig schneller räumen und streuen können als die Gemeinde mit ihren dafür zur Verfügung stehenden begrenzten Kräften, nicht in sein Gegenteil verkehrt werden darf (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 01.09.1972 - I 77/72 - ESVGH 23, 84; kritisch hierzu Lorenz/Will a.a.O. Rdnr. 46). Ein solcher Fall könnte hier vorliegen, weil die Kläger bei ergiebigen Schneefällen jedenfalls unter bestimmten Umständen die Schneemassen nicht zumutbar beseitigen können und ein Hausmeisterdienst im Zweifel nicht eher räumen und streuen kann als der für die Räumung im näheren Umkreis zuständige Mitarbeiter der Beklagten. Hinzu kommt, dass - wie die Beklagte selbst geltend macht - ein erhebliches öffentliches Interesse an einer raschen Räumung dieses Gehwegabschnitts zur Sicherung des von etwa zehn Schülern benutzten Wegs zur Grundschule von ... besteht und die Beklagte mit dem ihr zur Verfügung stehenden Räumgerät dazu auch ohne Weiteres und ohne allzu große Verzögerung in der Lage ist. Diesem Interesse ist jedenfalls nicht gedient, wenn die Beklagte sich von der Räum- und Streuobliegenheit generell entlastet, die Kläger sich ihrerseits aber im Einzelfall, wenn eine Räumung besonders dringlich wäre, darauf berufen könnten, dass ihnen das Räumen nicht zumutbar ist, und deshalb die Übertragung der Räumpflicht letztlich den angestrebten Zweck nicht erreichen kann.
25 
Offenbleiben können diese Fragen, weil die Übertragung der Räum- und Streupflicht auf die Kläger jedenfalls gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt.
26 
Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) zwingt zwar nicht dazu, eine Sicherungspflicht des Straßenanliegers auf solche Gehwege zu beschränken, zu denen eine Zuwegung besteht oder jedenfalls vernünftigerweise zu schaffen ist, weil ohne sie das Grundstück in seiner Nutzung beeinträchtigt wäre. Willkürlich und mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist jedoch die undifferenzierte Begründung einer Gehwegsicherungspflicht auch für solche Straßen, zu denen der Grundstückseigentümer aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen keinen Zugang nehmen kann. Von einem Vorteil durch die Straße kann dann nicht mehr die Rede sein. Ein Grundstückseigentümer, der den Gehweg in einer solchen Lage trotzdem sichern müsste, würde durch diese Pflicht in grundlegend anderer Weise betroffen als die übrigen, bei denen der Sicherungslast ein Vorteil jedenfalls in der Gestalt einer Zugangsmöglichkeit gegenübersteht. Dieser qualitative Unterschied darf bei der Überwälzung der Sicherungspflicht nicht außer acht gelassen werden. Im Sinne einer solchen Einschränkung kommt daher eine verfassungskonforme Auslegung der landesrechtlichen Ermächtigungsgrundlage für die Sicherungsverordnung und der Sicherungsverordnung selbst in Betracht (BVerwG, Urt. v. 11.03.1988 - 4 C 78.84 - VBlBW 1988, 467; vgl. auch Senatsurt. v. 11.11.1993 - 5 S 2606/92 - a.a.O.).
27 
Die Kläger können aus rechtlichen Gründen zur ... Straße keinen Zugang nehmen. Dies ist durch § 3 Nr. 5 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans „...“ in der Fassung der 1. Änderung ausgeschlossen. Die 2. Änderung des Bebauungsplans, mit dem dieses rechtliche Zugangshindernis aufgehoben werden sollte, ist unwirksam. Denn die Beklagte hat mit ihr keine städtebaulichen Ziele verfolgt, sie ist demnach nicht erforderlich (§ 1 Abs. 3 BauGB 1998).
28 
Zwar können mit der Aufhebung eines Zugangs- und Zufahrtsverbots für Wohngrundstücke in einem Bebauungsplan zweifellos städtebauliche Ziele verfolgt werden. Insofern wäre das Ziel, auf diese Weise die bauliche Nutzbarkeit der Grundstücke entlang der ... Straße zu erhöhen, rechtlich nicht zu beanstanden. Der Senat hat aber die Überzeugung gewonnen, dass dieses Planungsziel nicht dem wahren Willen der Beklagten entsprach, sondern nur vorgeschoben war (vgl. Senatsurt. v. 27.07.2001 - 5 S 2534/99 - VBlBW 2002, 124), um das rechtliche Hindernis zur Übertragung der Reinigungs-, Räum- und Streupflicht auf die vier Anlieger der ... Straße nördlich der Einmündung der ...straße zu beseitigen. Darin liegt aber kein städtebaulicher Grund.
29 
Die Begründung einer Räum- und Streupflicht für die Kläger war nicht nur der Anlass für die 2. Änderung des Bebauungsplans. Auch im Laufe des Planänderungsverfahrens stand die Frage des Winterdienstes im Mittelpunkt der Erörterungen im Gemeinderat der Beklagten und im Ortschaftsrat von .... Deutlich wird dies vor allem daraus, dass auf Wunsch des Ortschaftsrats und der Mehrzahl der Anwohner der ... Straße im Plangebiet die Änderung des Bebauungsplans nur unter der Maßgabe erfolgen sollte, dass die Beklagte für den Gehweg südlich der Einmündung der ...straße Schilder mit der Aufschrift „Kein Winterdienst“ aufstellt. Dass die Beklagte diese im gesamten Änderungsverfahren maßgebenden Erwägungen am Tage des Satzungsbeschlusses über den Änderungsplan aus der Begründung gestrichen hat, kann deren wahre, nämlich ausschlaggebende Bedeutung für die Planänderung nicht mindern.
30 
Im Übrigen weisen die Kläger wohl zutreffend darauf hin, dass jedenfalls von ihren Grundstücken aus eine weitere Zufahrt zur ... Straße wegen der topographischen Verhältnisse nicht sinnvoll und aus straßenrechtlichen Gründen wegen der Verengung der Fahrbahn durch die Verkehrsinsel in der ... Straße unmittelbar vor dem Grundstück des Klägers zu 2 und wegen der Bushaltestelle vor dem Grundstück des Klägers zu 1 nicht wünschenswert wäre und möglicherweise auch nicht angelegt werden dürfte (vgl. Sauthoff, Straße und Anlieger, Rdnr. 808, der die Herstellung einer zusätzlichen Zufahrt zu einer Ortsdurchfahrt als erlaubnispflichtige Sondernutzung beurteilt). Würden dort Zufahrten angelegt, liefe dies wohl der Zielsetzung zuwider, die für die Festsetzung des Zufahrtverbots maßgeblich war, nämlich einen möglichst ungestörten Verkehr auf der Landes- bzw. Kreisstraße zu ermöglichen. Diese Zielsetzung besteht angesichts der konkreten örtlichen Verhältnisse ungeachtet der straßenrechtlichen Einordnung der ... Straße als Ortsdurchfahrt einer Kreisstraße. Dass, wie der Prozessbevollmächtigte der Beklagten in der mündlichen Verhandlung erwähnt hat, in der Zwischenzeit eine Anfrage zur Anlegung einer Zufahrt zur ...  Straße vorliege, ändert an der maßgeblichen Sachlage im Zeitpunkt der Beschlussfassung des Änderungsbebauungsplans nichts.
31 
Mithin kommt es nicht darauf an, ob dem Verwaltungsgericht in der Beurteilung gefolgt werden könnte, es verstoße jedenfalls deshalb gegen Art. 3 Abs. 1 GG, den Klägern die Räum- und Streupflicht aufzuerlegen, weil sie von ihr ungleich härter als sonstige Anlieger im Gemeindegebiet getroffen würden, sie tatsächlich - anders als die Anlieger der... Straße südlich der Einmündung der ...straße - von einer Aufhebung des Zugang- und Zufahrtsverbots keinen Vorteil hätten und jene zudem gemäß den von der Beklagten aufgestellten Schildern keinen Winterdienst verrichten müssten.
32 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
33 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
34 
Beschluss
35 
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 4.000,- EUR festgesetzt (2 x 2.000,- EUR, vgl. die vorläufige Streitwertbestimmung vom 02.01.2006 unter Hinweis auf das Senatsurteil vom 20.11.2003 - 5 S 2311/02).
36 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.


Tenor

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt/Wstr. vom 5. Dezember 2011 wird zurückgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen der Beigeladenen zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Betrags abwenden, wenn nicht die jeweiligen Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Kläger begehren bauaufsichtliches Einschreiten gegen eine baugebietswidrige Wohnnutzung.

2

Sie sind Eigentümer der in der Gemarkung R… gelegenen Grundstücke Flurstück Nrn. …, … und …, auf denen sie eine Spedition betreiben. Im Nordwesten grenzt an diese Parzellen das mit einem Wohnhaus bebaute Grundstück der Beigeladenen an (Flurstück Nr. …). Der am 1. August 1991 in Kraft getretene Bebauungsplan „In der Langenbach“ setzt für diese Flurstücke ein Gewerbegebiet fest. Im Süden des Speditionsgeländes schließt sich ein ebenfalls mit Wohnhäusern bebautes Mischgebiet an.

3

Das Wohnhaus der Beigeladenen wurde 1913 errichtet. 1986 wurde das Hausgrundstück vom Land Rheinland-Pfalz - Straßenverwaltung - angekauft, da es zu einem großen Teil für den Straßenbau benötigt wurde. Von Anfang 1988 bis Mitte 1991 nutzte die Straßenverwaltung das Gebäude als Büro. Nach Fertigstellung der Straßenbaumaßnahme verkaufte das Land Rheinland-Pfalz das Grundstück mit notariellem Kaufvertrag vom Dezember 1992 zum Preis von 90.000,00 DM an die Kläger, die das Gebäude seither zu Wohnzwecken nutzen.

4

Im Jahr 1995 erteilte der Beklagte den Beigeladenen eine Baugenehmigung zur Errichtung einer Eingangsüberdachung mit Terrasse und Balkon.

5

Seit etwa 1999 beanstandete die Bauaufsichtsbehörde den Umfang des Lkw-Betriebes auf dem Speditionsgrundstück. Ein schalltechnisches Gutachten vom April 2001 ergab, dass bei 6 Lkw-Abfahrten von dem Grundstück in der lautesten Nachtstunde am Wohngebäude der Beigeladenen der Immissionsrichtwert für Gewerbegebiete (50 dB(A)) nicht eingehalten werden könne. Am 25. Juli 2003 verfügte der Beklagte ein Nachtfahrverbot für LKW. Schließlich wurde den Klägern am 13. Februar 2007 eine Baugenehmigung u.a. für einen Abstellplatz mit der Maßgabe erteilt, dass in der lautesten Nachtstunde maximal 3 Pkw-Parkvorgänge und 3 Lkw-Abfahrten zulässig seien.

6

Hinsichtlich der Wohnnutzung des Gebäudes der Beigeladenen stellte der Beklagte mit Bescheid vom 6. Februar 2004 fest, dass diese Wohnnutzung sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht gegen baurechtliche Bestimmungen verstoße und ein Bestandsschutz aus einer früher zulässigerweise ausgeübten Wohnnutzung nicht mehr bestehe. In der Begründung wurde ausgeführt, dass die Kreisverwaltung aber bereit sei, aufgrund der besonderen Umstände des Falles von einem bauaufsichtlichen Einschreiten gegen die rechtswidrige Wohnnutzung abzusehen, allerdings nur dann, wenn keine strengeren Lärmschutzanforderungen als die für ein Betriebswohngebäude im Gewerbegebiet gestellt würden. Diese Duldungsentscheidung stelle eine sachgerechte Interessenabwägung dar und verschaffe den Beigeladenen eine „gewisse verfestigte Rechtsposition“. Die von den Beigeladenen gegen die Feststellung der Baurechtswidrigkeit ihrer Wohnnutzung erhobene Klage blieb ohne Erfolg (Urteil des VG Neustadt an der Weinstraße vom 26. November 2007 - 3 K 724/07.NW - und Beschluss des Senats vom 26. März 2008 - 8 A 10034/08.OVG -). Im Rahmen einer Petition der Beigeladenen, mit der sie die Erstreckung der Duldung auch auf ihre Kinder erreichen wollten, teilte der Landrat des Beklagten mit Schreiben vom 15. September 2008 mit, dass die Beigeladenen auch künftig mit einem Einschreiten nicht rechnen müssten, sofern nicht besondere Umstände tatsächlicher oder rechtlicher Art ein Einschreiten erforderten. Diese Ausführungen würden entsprechend auch für den Fall der Übernahme des Gebäudes durch die Kinder der Beigeladenen gelten.

7

Mit Schreiben vom 21. November 2008 bat der damalige Bevollmächtigte der Kläger den Beklagten unter Hinweis auf die inzwischen rechtskräftig festgestellte Baurechtswidrigkeit der Wohnnutzung um Aufklärung, in welcher Weise die Bauverwaltung einzuschreiten gedenke. In seiner Antwort teilte der Beklagte mit, dass den Interessen des Speditionsunternehmens durch die „Gleichstellung“ des Hauses mit einem Betriebswohngebäude hinreichend Rechnung getragen worden sei. Nachdem eine erneute Bitte um bauaufsichtliches Einschreiten im September 2009 erfolglos geblieben war, beantragten die Kläger mit Schreiben vom 23. August 2010 förmlich, gegen die rechtswidrige Wohnnutzung der Beigeladenen durch Erlass einer Nutzungsuntersagungsverfügung einzuschreiten. Zumindest müsse die im Bescheid vom 6. Februar 2004 ausgesprochene Duldung eingeschränkt werden.

8

Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 10. Februar 2011 ab und führte zur Begründung aus: Der im Falle der Verletzung des Gebietsbewahrungsanspruchs grundsätzlich bestehende Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten scheide hier wegen besonderer Umstände des Falles aus. Zunächst sei der Nachbaranspruch verwirkt. Darüber hinaus stünden einem Einschreiten auch Vertrauensschutzgesichtspunkte zu Gunsten der Beigeladenen entgegen. Ihnen sei nicht erkennbar gewesen, dass sie 1992 ein illegales Wohngebäude erwarben. Hinzu komme, dass ihnen 1995 die Errichtung einer Eingangsüberdachung mit Terrasse und Balkon bauaufsichtlich genehmigt worden sei, woraufhin die Beigeladenen nicht unerhebliche Investitionen getätigt hätten. Mit der „Gleichstellung“ des Wohngebäudes der Beigeladenen mit einer Betriebswohnung sei den Interessen des Speditionsbetriebs hinreichend Rechnung getragen. Im Übrigen behalte sich die Kreisverwaltung ein Einschreiten vor, sofern dies wegen besonderer Umstände tatsächlicher oder rechtlicher Art im öffentlichen Interesse erforderlich werde. Demzufolge werde auch der Hilfsantrag auf Einschränkung der Duldung abgelehnt. Ob das Ableben der Beigeladenen oder andere Umstände ein Einschreiten erfordere, werde zu gegebener Zeit im Einzelfall zu entscheiden sein.

9

Der dagegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 2011 zurückgewiesen. Zuvor hatten die Beigeladenen ausgeführt, dass die Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen gegen das Land Rheinland-Pfalz wegen des im Kaufvertrag vereinbarten Gewährleistungsausschlusses erfolglos geblieben sei.

10

Die Kläger haben zur Begründung der daraufhin erhobenen Klage vorgetragen: Die Verweigerung des bauaufsichtlichen Einschreitens sei ermessensfehlerhaft. Die Nachbarschaft zu den Beigeladenen gestalte sich denkbar ungünstig. Es komme immer wieder zu neuen Anzeigen beim Gewerbeaufsichtsamt und anderen Ämtern. Dadurch würden die Abläufe in ihrem Speditionsbetrieb empfindlich gestört. Ihr Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten sei auch nicht verwirkt. Zweifelsfrei Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen hätten sie erst nach Abschluss des auf den Bescheid vom 6. Februar 2004 bezogenen Verfahrens der Beigeladenen gehabt. Sollte doch von einer Duldung auszugehen sein, müsse diese jedoch jedenfalls beschränkt werden.

11

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 5. Dezember 2011 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Den Klägern stehe ein Anspruch auf Erlass einer Nutzungsuntersagungsverfügung nicht zu. Zwar sei die von den Beigeladenen ausgeübte Wohnnutzung formell und materiell baurechtswidrig. Jedoch liege ein Verstoß gegen den Gebietserhaltungsanspruch der Kläger nicht vor. Mit der in der Duldungsverfügung vom 6. Februar 2004 enthaltenen Gleichstellung des Gebäudes der Beigeladenen mit einem im Gewerbegebiet nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO ausnahmsweise zulässigen Betriebswohngebäude sei dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung des im Bebauungsplan festgesetzten Gebietscharakters Genüge getan. Eine negative Vorbildwirkung durch die geduldete Wohnnutzung sei nicht zu befürchten, da sich in dem festgesetzten Gewerbegebiet neben dem Grundstück der Beigeladenen lediglich noch die Grundstücke der Kläger befänden. Vor diesem Hintergrund sei auch der Hilfsantrag abzuweisen. Ein Bedürfnis für eine Konkretisierung oder Einschränkung der Duldung vom 6. Februar 2004 bestehe derzeit nicht.

12

Die Kläger haben zur Begründung der vom Senat zugelassenen Berufung im Wesentlichen ausgeführt: Ihr Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten sei nicht verwirkt. Sie hätten rechtzeitig nach rechtskräftiger Feststellung der Baurechtswidrigkeit der Wohnnutzung der Beigeladenen ein bauaufsichtliches Einschreiten beantragt. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei ihr Gebietsbewahrungsanspruch sehr wohl verletzt. § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO lasse lediglich Betriebswohnungen ausnahmsweise zu. Eine Baugenehmigung für eine reine Wohnnutzung - wie hier - sei deshalb rechtswidrig. Dann sei aber eine dahingehende Duldungsentscheidung ebenfalls rechtswidrig. Es gehe nicht an, dass sich die Behörde durch ihr eigenes Verhalten an der Herstellung rechtmäßiger Zustände hindere.

13

Die Kläger beantragen,

14

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 5. Dezember 2011 den Bescheid des Beklagten vom 10. Februar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Mai 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über ihren Antrag auf Unterlassung der Nutzung des Grundstücks P… Straße in R… zu Wohnzwecken unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

15

Der Beklagte beantragt,

16

die Berufung zurückzuweisen.

17

Nach seiner Auffassung ist die Duldungsentscheidung vom 6. Februar 2004 gegenüber den Klägern bestandskräftig geworden. Im Übrigen sei die Behörde durchaus bauaufsichtlich eingeschritten, indem sie nämlich das Wohnhaus der Beigeladenen einer Betriebswohnung im Sinne von § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO gleichgestellt habe. Die darüber hinaus ausgesprochene Duldung stelle gerade unter Berücksichtigung des Vertrauensschutzes zugunsten der Beigeladenen eine rechtmäßige Ermessensentscheidung dar.

18

Die Beigeladenen beantragen ebenfalls,

19

die Berufung zurückzuweisen.

20

Sie tragen ergänzend vor: Dem Anspruch auf Einschreiten stehe bereits die Bestandskraft des Duldungsbescheids vom 6. Februar 2004 entgegen. Die Kläger hätten nach Kenntnis hiervon länger als ein Jahr nichts dagegen unternommen. Darüber hinaus sei der Anspruch auf Einschreiten auch infolge der Untätigkeit der Kläger gegenüber der bereits seit 1992 ausgeübten Wohnnutzung verwirkt.

21

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die beigezogenen Behördenakten, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.

Entscheidungsgründe

22

Die Berufung hat keinen Erfolg.

23

Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf bauaufsichtliches Einschreiten gegenüber den Beigeladenen zu Recht abgewiesen. Die Kläger haben keinen Anspruch auf eine erneute Entscheidung über ihren Antrag, gegen die Wohnnutzung der Beigeladenen durch Erlass einer Nutzungsuntersagungsverfügung einzuschreiten. Denn die ablehnende Entscheidung des Beklagten ist rechtlich nicht zu beanstanden, insbesondere ermessensfehlerfrei erfolgt.

24

Rechtsgrundlage für das begehrte bauaufsichtliche Einschreiten ist § 81 Satz 1 LBauO. Nach dieser Vorschrift kann die Bauaufsichtsbehörde die Benutzung baulicher Anlagen untersagen, wenn diese gegen baurechtliche Vorschriften verstoßen. Dieser Ermächtigung zum bauaufsichtlichen Einschreiten korrespondiert ein subjektiver Anspruch eines Nachbarn auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, sofern die verletzte Vorschrift nachbarschützend ist (vgl. Urteil des Senats vom 7. Dezember 2005 - 8 A 11062/05.OVG -).

25

1. Die Wohnnutzung der Beigeladenen ist sowohl formell baurechtswidrig, weil sich die ursprünglich im Jahr 1913 genehmigte Wohnnutzung des Hauses infolge der Umnutzung zum Baubüro erledigt hat, als auch materiell baurechtswidrig, weil sie nicht genehmigungsfähig ist. In einem Gewerbegebiet sind Wohngebäude grundsätzlich nicht zulässig. Nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO können lediglich Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter, die dem Gewerbebetrieb zugeordnet und ihm gegenüber untergeordnet sind, ausnahmsweise zugelassen werden. Diese Ausnahmevoraussetzungen liegen für die reine Wohnnutzung der Beigeladenen nicht vor. All dies steht zwischen den Beteiligten durch das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 26. November 2007 - 3 K 724/07.NW - und den Beschluss des Senats vom 26. März 2008 - 8 A 10034/08.OVG - rechtskräftig fest.

26

Die Kläger können sich auch auf die materielle Baurechtswidrigkeit der Wohnnutzung durch die Beigeladenen berufen. Denn die Festsetzung von Baugebieten durch Bebauungspläne hat für die Nachbarn im Plangebiet kraft Bundesrechts nachbarschützende Funktion (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. September 1993 - 4 C 28.91 -, BVerwGE 94, 151, LS 2). Soweit das Verwaltungsgericht zwischen objektiver Rechtswidrigkeit der Grundstücksnutzung und dem Umfang des Gebietsbewahrungsanspruchs des Nachbarn differenziert, gilt es klarzustellen, dass der Umfang der subjektiven Rechtsstellung des Nachbarn in vollem Umfang den objektiv-rechtlichen Anforderungen an die Gebietsverträglichkeit entspricht. So hat das Bundesverwaltungsgericht klargestellt, dass der Nachbar auch dann einen Anspruch auf die Bewahrung der festgesetzten Gebietsart hat, wenn das baugebietswidrige Vorhaben im jeweiligen Einzelfall noch nicht zu einer tatsächlich spürbaren und nachweisbaren Beeinträchtigung des Nachbarn führt (BVerwG, Urteil vom 16. September 1993, a.a.O., S. 161 und juris, Rn. 23). Dass die baugebietswidrige Wohnnutzung der Beigeladenen aufgrund der getroffenen Duldungsentscheidung zu keinen strengeren Lärmschutzvorkehrungen als den in einem Gewerbegebiet erforderlichen zwingt, ist deshalb für die Frage des Verstoßes gegen den Gebietsbewahrungsanspruch unerheblich.

27

2. Trotz Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen der Eingriffsermächtigung in § 81 Satz 1 LBauO haben die Kläger keinen Anspruch auf ein bauaufsichtliches Einschreiten gegen die im Haus der Beigeladenen stattfindende Wohnnutzung, weil der Beklagte dies zum jetzigen Zeitpunkt fehlerfrei abgelehnt hat.

28

a) Es kann deshalb letztlich dahingestellt bleiben, ob dem von den Klägern geltend gemachten Anspruch der Einwand der Verwirkung oder die Unanfechtbarkeit der Duldungsentscheidung vom 6. Februar 2004 entgegengehalten werden kann. In beiden Fällen neigt der Senat allerdings dazu, dies zu verneinen.

29

Dass die Kläger seit Aufnahme der Wohnnutzung durch die Beigeladenen im Jahr 1992 lange Zeit untätig geblieben sind, dürfte deshalb keine Verwirkung ihrer nachbarlichen Ansprüche auf bauaufsichtliches Einschreiten begründen, weil in den 1990er Jahren keiner der Beteiligten erkannt hatte, dass die 1913 erteilte Baugenehmigung zur Wohnnutzung infolge der Umnutzung des Hauses durch die Straßenverwaltung unwirksam geworden war (vgl. allgemein zu den Voraussetzungen der Verwirkung nachbarlicher Abwehrrechte: BVerwG, Urteil vom 16. Mai 1991 - 4 C 4.89 -, NVwZ 1991, 1182 und juris, Rn. 22).

30

Hinsichtlich des Bescheids vom 6. Februar 2004 dürfte zwar von einem Duldungsverwaltungsakt auszugehen sein. Hierfür sprechen die Formulierungen „Duldungsentscheidung“ und „Verschaffen einer verfestigten Rechtsposition“. Indes dürfte diese Duldungsentscheidung gegenüber den Klägern nicht unanfechtbar geworden sein. Eine unmittelbare Anwendung der Anfechtungsfristen nach §§ 57, 58 und 70 VwGO scheidet mangels förmlicher Bekanntgabe des Verwaltungsakts den Klägern gegenüber aus. Das Berufen auf die fehlende Bekanntgabe der Duldungsentscheidung dürfte ihnen auch nicht nach Treu und Glauben versagt werden können. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in dem von den Beigeladenen zitierten Urteil vom 25. Januar 1974 - IV C 2.72 -, ausgeführt, dass einem Nachbar dann, wenn er sichere Kenntnis von einer Baugenehmigung erlangt hat oder hätte erlangen müssen, nach Treu und Glauben die Berufung darauf versagt sein könne, dass die Baugenehmigung ihm nicht amtlich mitgeteilt wurde (vgl. BVerwGE 44, 294, Leitsatz 2). Die danach erforderliche Treuwidrigkeit dürfte den Klägern hier allerdings nicht vorgehalten werden können. So haben sie in dem mit dem Beklagten geführten Rechtsstreit um das Nachtfahrverbot vom 25. Juli 2003 bereits im Schriftsatz ihres damaligen Verfahrensbevollmächtigten vom 8. November 2004 die in dem „Feststellungsbescheid“ (vom 6. Februar 2004) erklärte Duldung der Wohnnutzung der Beigeladenen als „evident rechtsmissbräuchlich und ermessensfehlerhaft“ kritisiert. Dass sie darüber hinaus keine weiteren Schritte eingeleitet, sondern zunächst den Rechtsstreit zwischen den Beigeladenen und dem Beklagten über die Baurechtswidrigkeit der Wohnnutzung abgewartet haben, erscheint legitim. Nach rechtskräftigem Abschluss dieses Rechtsstreits sind die Kläger dann alsbald aktiv geworden und haben um bauaufsichtliches Einschreiten nachgesucht.

31

b) Der Beklagte hat den Antrag der Kläger, gegen die rechtswidrige Wohnnutzung der Beigeladenen durch Erlass einer Nutzungsuntersagungsverfügung einzuschreiten, im Bescheid vom 10. Februar 2011 jedenfalls ermessensfehlerfrei abgelehnt.

32

Zwar kann ein Nachbar nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts bei der Verletzung nachbarschützender Vorschriften grundsätzlich ein bauaufsichtliches Einschreiten zum Zwecke der Beseitigung des Rechtsverstoßes beanspruchen. Eine solche Ermessensreduzierung gilt jedoch nicht uneingeschränkt. So ist anerkannt, dass sie dann nicht eintritt, wenn eine Befreiung oder eine Abweichung von der nachbarschützenden Vorschrift in Betracht kommt, übergeordnete, sich aus der Sache selbst ergebende öffentliche Interessen einem Einschreiten entgegenstehen oder sich die Abweichung von der nachbarschützenden Vorschrift im Bagatellbereich hält (vgl. OVG RP, Urteile vom 22. Oktober 1987 - 1 A 108/85 - und 7. Dezember 2005 - 8 A 11062/05.OVG -, jew. m.w.N.). Der Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten ist ferner eingeschränkt, soweit der Einschreitenspflicht der Behörde ihrerseits rechtliche Schranken entgegenstehen. Denn der subjektive Anspruch des Nachbarn kann nicht weitergehen als die objektive Pflicht der Bauaufsichtsbehörde.

33

Der Beklagte sieht sich derzeit zu Recht aus Gründen des Vertrauensschutzes an dem Erlass einer Nutzungsuntersagungsverfügung gegenüber den Beigeladenen gehindert.

34

(1) Zwar können polizeiliche bzw. ordnungsrechtliche Eingriffsbefugnisse nicht verwirkt werden. Denn im Unterschied zu subjektiven privaten Rechten sind sie nicht verzichtbar, müssen vielmehr im öffentlichen Interesse zur Gewährleistung rechtmäßiger Zustände aufrechterhalten bleiben (vgl. VGH BW, Urteil vom 1. April 2008 - 10 S 1388/06 -, NVwZ-RR 2008, 696; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl. 2011, § 53 Rn. 44). Von dem Tatbestand der Verwirkung ist jedoch der Umstand zu unterscheiden, dass sich das Gebrauchmachen von einer Eingriffsermächtigung im Einzelfall als ermessensfehlerhaft erweisen kann, wenn sich eine Behörde damit in Widerspruch zu ihrem früheren Verhalten setzt und schutzwürdiges Vertrauen des Betroffenen verletzt. So ist in der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts anerkannt, dass eine Bauaufsichtsbehörde dann am ermessensfehlerfreien Erlass einer Beseitigungsverfügung gehindert sein kann, wenn sie durch ihr vorangegangenes positives Tun einen Vertrauenstatbestand beim Bauherrn geschaffen und dieser im Vertrauen darauf nicht unerhebliche und nur schwer rückgängig zu machende Vermögensdispositionen getroffen hat (sog. „aktive Duldung“, vgl. OVG RP, Urteil vom 13. Dezember 1979 - 1 A 68/77 -, AS 15, 324 [326]; Urteil vom 22. November 2011 - 8 A 11101/11.OVG -, DVBl. 2012, 250; ebenso: OVG NRW, Beschluss vom 18. November 2008 -7 A 103/08-, NVwZ-RR 2009, 364 und juris, Rn. 48 f; Decker, in: Simon/Busse, BayBauO, 107. Ergänzungslieferung 2012, Art. 76, Rn. 227 m.w.N.; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 53, Rn. 27).

35

Die Begrenzung der Einschreitenspflicht aus Gründen des Vertrauensschutzes schränkt die Durchsetzung des objektiven Rechts und der damit korrespondierenden subjektiven Nachbaransprüche zwangsläufig ein. Diese Zurücknahme der Rechtsdurchsetzung ist aber durch die gegenläufigen, ihrerseits ebenfalls rechtlich geschützten Interessen gerechtfertigt (vgl. zu dem im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Gebot des Vertrauensschutzes bei Erlass baurechtlicher Beseitigungsverfügungen: BVerfG, Beschluss vom 2. September 2004 -1 BvR 1860/02-, NVwZ 2005, 203 [Pirmasenser Amnestie]). Die widerstreitenden Positionen müssen in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden. Hierzu dient das den Bauaufsichtsbehörden eingeräumte Ermessen. Dabei wird dem Gebot zur Herbeiführung rechtmäßiger Zustände von vornherein dadurch in besonderem Maße Ausdruck verliehen, dass die Hinnahme rechtswidriger Zustände aus Gründen des Vertrauensschutzes nur für einen vorübergehenden Zeitraum erlaubt sein kann. Keinesfalls darf die auf schutzwürdiges Vertrauen gestützte Duldung in ihrer Wirkung derjenigen einer Baugenehmigung gleichkommen (vgl. HessVGH, Beschluss vom 29. März 1993 - 4 UE 470/90 -, BauR 1994, 229 und juris, Rn. 13; Finkelnburg/Ortloff/Otto, Öffentliches Baurecht, Bd. II, 6. Aufl. 2010, S. 186 m.w.N.).

36

(2) Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung des Beklagten, aktuell nicht gegen die Wohnnutzung der Beigeladenen in ihrem Haus P… Str. einzuschreiten, rechtlich nicht zu beanstanden.

37

Der Beklagte hat zu Recht erkannt, dass durch die Baugenehmigung zur Errichtung der Eingangsüberdachung mit Terrasse und Balkon im Jahr 1995 ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden war. Die Beigeladenen mussten diese Baugenehmigung so verstehen, dass die Berechtigung zur Wohnnutzung in dem von ihnen erworbenen Haus nicht in Frage gestellt wird. Die sich im Nachhinein als rechtswidrig erweisende Genehmigung ist auch von den Klägern nicht beanstandet worden; gestritten wurde im Rahmen der Bauausführung lediglich um einen geringfügigen Terrassenüberbau. Da die Beigeladenen im Vertrauen auf die Berechtigung ihrer Wohnnutzung auch nicht unerhebliche Investitionen getätigt haben, würde die Bauaufsichtsbehörde gegen Grundsätze des Vertrauensschutzes verstoßen, wenn sie hierauf im Rahmen der Entscheidung über die Durchsetzung des Gebietsbewahrungsanspruchs nicht Rücksicht nähme.

38

Andererseits hat der Beklagte bei seinen, dem Bescheid vom 11. Februar 2011 zugrunde liegenden Ermessenserwägungen auch die schutzwürdigen Interessen der Kläger gewürdigt und ihnen in gebotenem Maße Rechnung getragen. Wie vom Verwaltungsgericht bereits zutreffend dargelegt, hat die Behörde nämlich die Duldung des baurechtswidrigen Zustands an die Bedingung geknüpft, dass die Beigeladenen keine strengeren Lärmschutzanforderungen geltend machen, als dies für eine Betriebswohnung in einem Gewerbebetrieb beansprucht werden könnte. Dies bedeutet, dass sich die Beigeladenen mit den in einem Gewerbegebiet zwangsläufig entstehenden und als gebietsverträglich zu bewertenden Geräuscheinwirkungen, einschließlich auftretender Geräuschspitzen, abzufinden haben. Sofern sie darüber hinaus Schutzvorkehrungen auch unterhalb des in einem Gewerbegebiet üblichen Niveaus beanspruchen und gegenüber dem Beklagten geltend machen, stellen sie damit die ihnen lediglich unter der vorgenannten Bedingung gewährte Duldung in Frage. Ferner hat der Beklagte in seinem Bescheid vom 10. Februar 2011 den Interessen der Kläger dadurch Rechnung getragen, dass er sich die Möglichkeit des Einschreitens in der Zukunft ausdrücklich vorbehalten und dabei durchaus offengelassen hat, ob nicht der – von den Klägern angesprochene – Zeitpunkt des Ablebens der Beigeladenen und damit die Beendigung der derzeit praktizierten baurechtswidrigen Nutzung des Hauses einen Anlass für ein Einschreiten darstellt. Soweit darin eine Einschränkung gegenüber der großzügigeren, nämlich eine Anschlussnutzung durch die Kinder der Beigeladenen einschließende Duldungsregelung im Schreiben des Landrats vom 15. September 2008 zu sehen ist, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden. Denn § 50 VwVfG i.V.m. § 1 LVwVfG stellt Aufhebungen bzw. Einschränkungen von Verwaltungsakten anlässlich oder gelegentlich eines Rechtsbehelfsverfahrens - wie hier - von Vertrauensschutzerwägungen nach §§ 48 oder 49 VwVfG frei (vgl. Ziekow, VwVfG, 2. Aufl. 2010, § 50 Rn. 2).

39

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

40

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

41

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

42

Beschluss

43

Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird auf 7.500,00 € festgesetzt (§§ 47, 52 GKG).

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Die Zwangsmittel müssen, wenn sie nicht sofort angewendet werden können (§ 6 Abs. 2), schriftlich angedroht werden. Hierbei ist für die Erfüllung der Verpflichtung eine Frist zu bestimmen, innerhalb der der Vollzug dem Pflichtigen billigerweise zugemutet werden kann.

(2) Die Androhung kann mit dem Verwaltungsakt verbunden werden, durch den die Handlung, Duldung oder Unterlassung aufgegeben wird. Sie soll mit ihm verbunden werden, wenn der sofortige Vollzug angeordnet oder den Rechtsmitteln keine aufschiebende Wirkung beigelegt ist.

(3) Die Androhung muß sich auf ein bestimmtes Zwangsmittel beziehen. Unzulässig ist die gleichzeitige Androhung mehrerer Zwangsmittel und die Androhung, mit der sich die Vollzugsbehörde die Wahl zwischen mehreren Zwangsmitteln vorbehält.

(4) Soll die Handlung auf Kosten des Pflichtigen (Ersatzvornahme) ausgeführt werden, so ist in der Androhung der Kostenbetrag vorläufig zu veranschlagen. Das Recht auf Nachforderung bleibt unberührt, wenn die Ersatzvornahme einen höheren Kostenaufwand verursacht.

(5) Der Betrag des Zwangsgeldes ist in bestimmter Höhe anzudrohen.

(6) Die Zwangsmittel können auch neben einer Strafe oder Geldbuße angedroht und so oft wiederholt und hierbei jeweils erhöht oder gewechselt werden, bis die Verpflichtung erfüllt ist. Eine neue Androhung ist erst dann zulässig, wenn das zunächst angedrohte Zwangsmittel erfolglos ist.

(7) Die Androhung ist zuzustellen. Dies gilt auch dann, wenn sie mit dem zugrunde liegenden Verwaltungsakt verbunden ist und für ihn keine Zustellung vorgeschrieben ist.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.

(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.

(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.

(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.