Insolvenzrecht: Der (Um-)weg zur englischen Restschuldbefreiung - automatic discharge

bei uns veröffentlicht am17.11.2014

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Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

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Zusammenfassung des Autors
Vielerorts wird die Restschuldbefreiung nach englischem Recht (automatic discharge) für Schuldner als ultimative Lösung für die finanzielle Krise angepriesen. Doch ist das alles wirklich so einfach wie es scheint?

Die Restschuldbefreiung nach englischem Recht wird häufig in einem Zeitraum von einem bis eineinhalb Jahren erteilt. Gerade deshalb wird das Erhalten der englischen Restschuldbefreiung im bankruptcy Verfahren als die ultimative Lösung für insolvente Schuldner dargestellt. In Frage kommt dieses Verfahren nur für natürliche Personen. Vergleicht man hierzu die Möglichkeit nach deutschem Recht eine Restschuldbefreiung nach 5 Jahren zu erlangen, so ist der Weg über England und die automatic discharge der eindeutig Schnellere. Doch wie kommt es zu dieser Restschuldbefreiung im englischen bankruptcy Verfahren?

Ein  bankruptcy Verfahren in England kommt erst in Frage, sofern die englischen Gerichte sich für die Entscheidung über die Eröffnung der Insolvenz für international zuständig erachten (vgl. hierzu den Artikel Insolvenzrecht – Insolvenz im EU-Ausland).

 

1. Die Hürde der Insolvenzeröffnung

Auch in England wird das Insolvenzverfahren erst infolge eines Antrages eröffnet.  Beantragt werden kann die Eröffnung vom Schuldner, den Gläubigern, dem Verwalter, dem vorläufigen Verwalter, dem Aufsichtsführenden (supervisor) eines außergerichtlichen Vergleichsvorschlages (individual voluntary arrangement = IVA) und allen Personen die an solch einen Vergleichsvorschlag gebunden sind.

Ungeachtet wer den Antrag stellt, ist es zwingend, dass der Schuldner einen Bezugspunkt zu England oder Wales hat. Der Schuldner muss entweder bei Antragstellung körperlich präsent sein, seinen Wohnsitz,  innerhalb von drei Jahren vor dem Antrag einen gewöhnlichen Aufenthalt oder Geschäftsbeziehungen in England und Wales haben. Der Eröffnungsgrund für die Insolvenz ist die  drohende bzw. bestehende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners.

Ob das bankruptcy Verfahren eröffnet wird steht im Ermessen des Gerichts, sec. 264 (2), 266 (3) IA.   Bei einem bankruptcy Verfahren infolge eines Antrages des Schuldners wird die Eröffnung versagt, wenn die nicht beglichenen Forderungen unter einem Wert von 40.000 Pfund liegen, die Masse eine Mindesthöhe von 4000 Pfund hat, der Schuldner die letzten 5 Jahre weder eine bankruptcy  durchlaufen hat, noch einen Gläubigervergleich schloss und das Gericht es für zweckmäßig erachtet einen Insolvenzpraktiker zu beauftragen, welcher einen Vergleich ausarbeitet, sec. 273 (1) IA.

 

2. Auswirkungen der Insolvenzeröffnung

Ab dem Eröffnungsantrag kann das Insolvenz- und auch jedes andere Gericht, bei dem ein Rechtsstreit gegen den Schuldner anhängig ist, Verfahren gegen den Schuldner oder sein Vermögen anhalten, sec. 285 IA. Vollstrecken in das Vermögen des Schuldners dürfen die Gläubiger grundsätzlich nur vor Verfahrenseröffnung, sec. 346 (1) IA.

Wird der Insolvenzverwalter ernannt, so verliert der Schuldner an den Verwalter sein Eigentum am gesamten Vermögen, welches der Insolvenz unterliegt.  Geld, Mobilien, Immobilien und Forderungen sind Vermögensgegenstände. Dazu gehört aber nicht das, was der Schuldner für eine Grundversorgung und seine Berufsausübung benötigt, sec. 283 (2) IA. Wird das Verfahren eröffnet, so muss der Schuldner dem amtlichen Verwalter sein Vermögen als auch sämtliche Papiere  aushändigen, sec. 291 (1) IA.

Hat der Schuldner zwischen dem Antrag auf Eröffnung des Verfahrens bis zum Übergang seines Eigentums an den Insolvenzverwalter über sein Vermögen verfügt, so sind diese Verfügungen grundsätzlich unwirksam.

Als Geschäftsleiter, Geschäftsführer oder Gründer einer Gesellschaft darf der Schuldner erst wieder auftreten, sobald er die Restschuldbefreiung erhalten hat, sec. 11 CDDA.

 

3. Beendigung der Insolvenz durch Restschuldbefreiung

Die bankruptcy endet mit einer Restschuldbefreiung (automatic discharge) des Schuldners.  Die Schuldbefreiung tritt automatisch nach einem Jahr ab Eröffnung des Bankruptcy Verfahrens ein. Hat der amtliche Verwalter seines Erachtens nichts mehr zu untersuchen, so kann auf eine Anzeige von ihm an das Gericht die Restschuldbefreiung auch früher erteilt werden.

Erfasst von der Schuldbefreiung sind grundsätzlich alle durchsetzbaren Ansprüche und Forderungen welche den Schuldner zum Eröffnungszeitpunkt betreffen (Insolvenzschulden), sec. 382 IA.

Die in dem englischen bankruptcy Verfahren erteilte Restschuldbefreiung entfaltet grundsätzlich Wirkung in den restlichen EU-Ländern. Damit wird z.B. dem deutschen Schuldner mit der englischen Restschuldbefreiung im bankruptcy Verfahren auch ein schuldenfreier Start (fresh start) in Deutschland ermöglicht.

 

4. Fazit

Die Restschuldbefreiung nach englischem Recht ist nicht so ohne Weiteres zu erreichen, wie es manch ein Internetauftritt suggeriert. Auch in England muss sich der Schuldner an bestimmte Gebote und Verbote halten. Nur sofern er das tut, wird er auch mit einer in kurzer Zeit erlangten Restschuldbefreiung entlohnt.

Vor allem ist aber auch wichtig, dass sich jeder Schuldner bewusst wird, dass ein Insolvenzverfahren nicht einfach so im Ausland eröffnet werden kann. Denn erst wenn das englische Gericht sich für international zuständig erklärt, wird dem Schuldner die Möglichkeit geboten das bankruptcy Verfahren zu durchlaufen. Ob das englische Gericht international zuständig ist oder nicht entscheidet die Europäische Insolvenzverordnung (vgl. hierzu den Artikel Insolvenzrecht – Insolvenz im EU-Ausland).

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