Privatinsolvenz in UK: Forum Shopping und Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen
published on 25/02/2009 10:33
Privatinsolvenz in UK: Forum Shopping und Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen
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FORUM SHOPPING UND MITTELPUNKT DER HAUPTSÄCHLICHEN INTERESSEN
Forum Shopping
1. Forum Shopping bedeutet „Wahl des für den Kläger günstigen Gerichtsstandes“. Der Begriff hatte seine Anfänge in den USA, wo die Staatsanwaltschaft immer dort versuchte anzuklagen, wo die Gemeinde, aus denen die Geschworenen bestellt wurden, am wahrscheinlichsten den Belangen der Regierung sympathisch wären. Man klagte die Verleger pornographischer Zeitschriften z.B. nicht in New York City, sondern im sogenannten Bibelgürtel an.
2. Seit Inkrafttreten der EU-Insolvenzverordnung (EU-InsoVO) am 31.05.2002 bemühen sich Schuldner, Insolvenzverfahren in dem EU-Land zu eröffnen, wo die Gesetzesregelungen ihnen am günstigsten sind.
3. Vor der EU-Verordnung wäre eine Verfügung in einem Englischen Insolvenzverfahren auf Eigentum oder Schulden in Deutschland nicht anerkannt worden und umgekehrt. Seit Inkrafttreten der Verordnung sind alle EU-Staaten (außer Dänemark) verpflichtet, Insolvenzverfahren gegenseitig anzuerkennen.
4. Insolvenzordnungen in England und Deutschland sind verschieden. Eine der Hauptunterschiede ist die Restschuldbefreiung. Restschuldbefreiung im Englischen Insolvenzverfahren ergibt sich normalerweise ein Jahr nach Verfahrenseröffnung. Im Deutschen Insolvenzverfahren dauert dasselbe sechs Jahre. Der „Neue Anfang“ kommt in England also viel schneller als in Deutschland.
5. Deswegen der Anreiz, Insolvenz in England durchzuführen. Forum Shopping heißt also, Gerichtsstand England.
Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen
1. Insolvenz-Forum Shopping wird in der EU dadurch verhindert, dass das Hauptinsolvenzverfahren jetzt nur in dem Staat zu eröffnen ist, wo der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen (Englisch: Center of Main Interests = COMI) des Schuldners liegt. Zu einem Zeitpunkt kann nur ein Ort der Bezeichnung „hauptsächlich“ entsprechen.
2. Der Zeitpunkt ist der Tag, an dem der Insolvenzantrag gestellt wird, nicht der Zeitpunkt, an dem Schulden entstanden sind.
3. Örtlich liegt der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen dort, wo der Schuldner regelmäßig den Ablauf seiner Interessen steuert, wo er sein Gewerbe, Beruf oder selbständige Erwerbstätigkeit ausübt. Wenn der Schuldner in einem Land wohnt, in einem anderen Land aber seinem Gewerbe nach geht, ist das Letztere als COMI anzusehen. Wenn der Schuldner kein Gewerbe oder Beruf ausübt, liegt COMI in dem Land, wo er sich regelmäßig aufhält.
4. Demgegenüber sind Aufenthaltsort der Gläubiger (nicht Schuldner), und das Land in dem die Schulden entstanden sind, unwichtig.
5. Es gibt keine abschließende Definition von "COMI" in der Verordnung. Was eigentlich im Text festgehalten ist, sind Vermutungen, z.B. dass der Satzungssitz einer Gesellschaft das COMI ist. Eine solche Vermutung kann durch gegenteilige Tatsachen widerlegt werden, z.B. wenn eine Gesellschaft nur den Satzungssitz in London hat, alle anderen Funktionen aber in München ausübt.
6. Wer bestimmt im Zweifelsfall, wo das COMI liegt? Artikel 3 EU-InsoVO schreibt vor, dass das Gesetz des Landes, in dem das Hauptinsolvenzverfahren eröffnet wird, über COMI entscheidet. Eröffnet man ein Hauptinsolvenzverfahren in England, werden Fragen um die Belegenheit der COMI nach dem Englischem Recht entschieden.
7. Stellt man in England einen Antrag auf Hauptinsolvenzverfahren, vermutet das Gericht, dass der Antrag rechtsmäßig gestellt ist, solange der Antrag die notwendigen Angaben enthält und die Angaben eine scheinbare Richtigkeit aufweisen. Gegenteiliges muss von dem Zwangsverwalter hervorgebracht werden.
Verlegung des Mittelpunktes der hauptsächlichen Interessen
1. Nach Englischer Ansicht ist die Verlegung der COMI wegen Insolvenz nicht schädlich, solange die Verlegung echt ist. Die Echtheit wird anhand konkreten Merkmalen geprüft.
2. Der Zwangsverwalter (Englisch: Official Receiver) ist verpflichtet, das COMI zu überprüfen, wenn der folgende Tatbestand vorliegti :
i. ein Schuldner in England oder Wales ein Hauptinsolvenzverfahren nach EU-Verordnung beantragt; und
ii. der Schuldner ist ausländischer Staatsangehöriger, der in dem UK weniger als 12 Monate wohnt; und
iii. sämtliche Schulden außerhalb der UK entstanden sind.
i. Besichtigung des Wohnorts des Schuldners in dem UK, um festzustellen, ob der Schuldner tatsächlich dort wohnt. Außerdem, wenn der Zwangsverwalter glaubt, dass der Schuldner kurz nach Verfahrenseröffnung nach seinem Ursprungsland zurückgekehrt ist, kann der Zwangsverwalter den Schuldner zu einer persönlichen Befragung vorladen, ggf. mit Benutzung eines Dolmetschers.
ii. Aufforderung an den Schuldner, Beweise für das tägliche Leben in dem UK vorzulegen. Außer Mietverträge werden Telefonrechnungen, Kreditkartenbelege, Supermarktkassenbons, Geldautomatenbelege usw. verlangt.
iii. Der Zwangsverwalter fordert die Nationalversicherungsnummer (NIN) des Schuldners an, um festzustellen, ob Gehälter von angegebenen Arbeitgebern erhalten worden sind. Ggf. sieht der Zwangsverwalter auch den Arbeitsvertrag des Schuldners ein.
iv. Zwangsverwalter werden von dem Einwohnermeldesystem von Deutschland und anderen EU-Länder unterrichtet. In Deutschland fordert der Zwangsverwalter eine Kopie der Abmeldebestätigung entweder vom Schuldner oder direkt vom Meldeamt in Deutschland an. Das Datum der Abmeldung wird mit dem Datum der Einreise in die UK im Insolvenzantrag verglichen. Zwecks Kommunikation mit deutschen Meldeämtern können Zwangsverwalter die Anschriften sämtlicher Meldeämter im Internet abrufen und sich einer von der britischen Regierung bereitgestellten Briefvorlage in deutscher Sprache bedienen.ii
v. Der Zwangsverwalter sendet Briefe in deutscher Sprache an die Gläubiger. Die Gläubiger werden gefragt, wann und woher die letzten Kontakte zum Schuldner waren. Sinn dieser letzten Fragestellung ist es, festzustellen, ab wann die Gläubiger wussten, dass der Schuldner nicht mehr ggf. in Deutschland ansässig war. Vorlagen deutscher Briefe stellt die Regierung jedem Zwangsverwalter zu Verfügung.iii
vi. Im Falle, dass der Arbeitgeber des Schuldners eine Englische Ltd. ist, die kurz vor Einreise des Schuldners gegründet wurde, überprüft der Zwangsverwalter, ob der Schuldner Gesellschafter der Ltd. ist.
4. Liegen Gründe zum Verdacht vor, dass die Verlegung der COMI nur vorübergehend oder gar nicht vollzogen war, beantragt der Zwangsverwalter nach § 375 des Insolvenzgesetzes von 1986 eine Geeignetheitsprüfung des Insolvenzantrags durch das Gericht.
5. Ergibt sich aus den Ermittlungen kein Zweifel an der Echtheit des -- neuen -- COMI, ist der Zwangsverwalter verpflichtet, mit dem Insolvenzverfahren fortzufahren. Damit er mit den Begebenheiten im Land, wo die Schulden entstanden sind, zurecht kommt, kann er sich eines Dolmetschers, sowie Sachverständigen und Anwälte im Ausland, bedienen.
Edmund Rowan, Attorney at Law, Mitglied der Rechtsanwaltskammer Berlin, 2009
_______________________________________________________________________________
iPart 5, Technical Manual for Official Receivers, The Insolveny Service, Last updated 19 January 2009.
iiWortlaut des Briefes:
IN DER ANGELEGENHEIT No. RE: `++ GEBURTSDATUM:++ Gegen die oben benannte Person wurde am++ nach englischem und walisischem Recht (insbesondere entsprechend den dort geltenden insolvenzrechtlichen Bestimmungen von 1986) eine gerichtliche Konkursanordnung verfügt. Als Ergebnis dieser Konkursanordnung obliegt es dem Konkursverwalter (gemäß Absatz 289 der insolvenzrechtlichen Bestimmungen von 1986), das Verhalten und die finanziellen Belange von ++ zu untersuchen. Gemäß der Verordnung des EU-Rates vom 29. Mai 2000 (Nr. 1346/2000/EG (Artikel 16) zu Insolvenzverfahren werden diese Bestimmungen automatisch als rechtsgültig in Deutschland anerkannt. Dementsprechend werden die dem Konkursverwalter nach englischem und walisischem Recht eingeräumten Vollmachten automatisch auf Deutschland ausgeweitet. Nach meinen Informationen war Herr ++ früher wohnhaft in Ihrem Bezirk und hat seinen/ihren Wohnsitz entsprechend angemeldet. Des Weiteren soll die Person während der letzten zwei Jahre Ihren Bezirk verlassen und sich neu in Großbritannien niedergelassen haben. Um die Nachforschungen des Konkursverwalters diesbezüglich zu unterstützen, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir folgende Informationen zukommen lassen könnten:
1. Die Adresse des früheren Wohnsitzes von++;
2. Das Datum, an dem sich Herr++ in Ihrem Bezirk abgemeldet hat;
3. Das tatsächliche Datum, an dem Herr ++ den Bezirk verlassen hat;
4. Die Adresse, die Herr++ Ihnen als neuen Wohnsitz angegeben hat;
5. Die Adresse des gegenwärtigen Wohnsitzes von Herr++und
6. das Datum, an dem Herr ++ nach Deutschland zurückgekehrt ist.
Darüber hinaus wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir eine Kopie des an Herr++ ausgestellten Abmeldebescheinigung als Bestätigung des neuen Wohnsitzes in Großbritannien senden könnten.
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir, sofern möglich, diese Informationen und Dokumente innerhalb der nächsten zehn Arbeitstage zusenden würden.
In Erwartung Ihrer baldigen Antwort und mit freundlichen Grüßen
iiiWortlaut des Briefes:
Sehr geehrte Dame/sehr geehrter Herr
IN DER ANGELEGENHEIT: ++
Die oben genannte Person wurde am xxxx am zuständigen Insolvenz-/Amtsgericht (yyyy County Court) gemäß den entsprechenden insolvenzmäßigen Bestimmungen von 1986 (Insolvency Act 1986) in Großbritannien für zahlungsunfähig erklärt.
Der zuständige Konkursverwalter kennt Sie als einen Gläubiger in dieser Angelegenheit an. Er wäre Ihnen dankbar, wenn Sie ihm Folgendes mitteilen oder bestätigen könnten: -
1. Dieser genannte Schuldner schuldet Ihnen Geld.
2. Die Geldsumme, der er Ihnen schuldet.
3. Der Grund für die Geldschuld
4. Der Zeitraum, über den sich die Schuld angehäuft hat.
5. Unter welcher Adresse (Adressen) Sie mit dem Schuldner in Kontakt standen und wann Sie das letzte Mal unter diesen Adressen Kontakt mit ihm hatten.
6. Wann Sie vom Umzug des Schuldners nach Großbritannien erfuhren oder ob Sie der Ansicht sind, dass die Person noch immer in Deutschland wohnhaft ist.
Sollten Sie Rechnungen oder schriftliche Erklärungen und Aussagen besitzen, die für Ihre Beziehungen zu dem Schuldner relevant sind, wären wir Ihnen dankbar, wenn Sie sie an den Konkursverwalter senden würden.
Wenn Sie weitere Informationen wünschen, wenden Sie sich bitte auf dem postalischen Weg, per Email oder telefonisch an die unten angegebene Adresse.
Wir sind für Ihre Hilfe in dieser Angelegenheit dankbar.
Mit freundlichen Grüßen
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