Bundesarbeitsgericht Urteil, 24. Aug. 2023 - 2 AZR 17/23

erstmalig veröffentlicht: 15.12.2023, letzte Fassung: 15.12.2023

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Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

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Beteiligte Anwälte

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Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner


Wirtschaftsrecht / Existenzgründung / Insolvenzrecht / Gesellschaftsrecht / Strafrecht
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Zusammenfassung des Autors

Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Urteil vom 24. August 2023 entschieden, dass ein Arbeitnehmer, der sich in einer privaten Chatgruppe beleidigend, rassistisch, sexistisch und zu Gewalt anstiftend über Vorgesetzte und Kollegen äußert, sich nur im Ausnahmefall auf eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung berufen kann. Der Kläger, der Teil einer siebenköpfigen Chatgruppe war, wurde fristlos gekündigt, nachdem der Arbeitgeber von den Äußerungen erfahren hatte.

Streifler&Kollegen - Rechtsanwälte Berlin

Bundesarbeitsgericht

Im Namen des Volkes

 

Urteil vom 24.08.2023

Az.: 2 AZR 17/23

 

Bei beleidigenden und menschenverachtenden Äußerungen über Betriebsangehörige in einer aus sieben Teilnehmern bestehenden privaten Chatgruppe bedarf es einer besonderen Darlegung, warum der Arbeitnehmer berechtigt erwarten durfte, seine Äußerungen würden von keinem Beteiligten an Dritte weitergegeben.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 19. Dezember 2022 - 15 Sa 284/22 - insoweit aufgehoben, wie es die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 24. Februar 2022 - 10 Ca 147/21 - bezüglich des Feststellungsantrags und des Zahlungsantrags zurückgewiesen hat.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

3. Im Übrigen wird die Revision der Beklagten als unzulässig verworfen.

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung, Annahmeverzugsansprüche für den Zeitraum August bis Dezember 2021 sowie die Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses.

Der Kläger arbeitete seit 1999 bei der Beklagten, die etwa 2.100 Arbeitnehmer beschäftigt, zuletzt als Gruppenleiter Lagerlogistik. Im Zuge einer Restrukturierung schloss der Kläger ua. mit der Beklagten im Mai 2021 einen Aufhebungsvertrag, der eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 2021 und die Zahlung einer Abfindung vorsah.

Der Kläger war seit 2014 mit fünf anderen Arbeitnehmern der Beklagten Mitglied einer Chatgruppe des Messengerdienstes WhatsApp. Von November 2020 bis Januar 2021 gehörte der Gruppe ein ehemaliger Arbeitskollege an. Die Gruppenmitglieder waren nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts "langjährig befreundet", zwei miteinander verwandt. Neben rein privaten Themen äußerte sich der Kläger in einigen seiner Chatbeiträge - wie auch verschiedene andere Gruppenmitglieder - in beleidigender, fremdenfeindlicher, sexistischer und menschenverachtender Weise über Vorgesetzte sowie Kollegen und rief teilweise zu Gewalt gegen diese auf.

Das vorübergehend der Chatgruppe angehörende Mitglied zeigte im Rahmen eines Gesprächs über einen Arbeitsplatzkonflikt einem Mitarbeiter der Beklagten den Chatverlauf auf seinem Smartphone, der davon eine Kopie an sich weiterleitete. Von dem Chatverlauf erlangten in der Folgezeit der Betriebsratsvorsitzende sowie die Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen der Beklagten Kenntnis. Am 7. Juli 2021 teilte der Betriebsratsvorsitzende dem Personalleiter der Beklagten während dessen Urlaubsabwesenheit telefonisch das Bestehen der Chatgruppe mit und berichtete über den Inhalt des ihm bekannten Chatverlaufs. Im Nachgang zu diesem Gespräch übersandte er dem Personalleiter ein 316-seitiges Word-Dokument mit dem Inhalt des Chatverlaufs für die Zeit vom 19. November 2020 bis 17. Januar 2021. In einem unter dem 8. Juli 2021 verfassten Schriftstück bestätigte das ausgeschiedene Chatgruppen-Mitglied die inhaltliche Richtigkeit des Chatverlaufs. Diese Erklärung wurde anschließend an den Personalleiter weitergeleitet. In der Folgezeit hörte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 22. Juli 2021 zum Inhalt des Chatverlaufs an. Dieser gab unter dem 25. Juli 2021 eine schriftliche Stellungnahme ab.

Die Beklagte kündigte nach Anhörung des Betriebsrats mit Schreiben vom 28. Juli 2021 das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise mit Auslauffrist zum 31. März 2022.

Hiergegen hat sich der Kläger mit seiner rechtzeitig beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage gewandt. Er meint, der Inhalt des Chatverlaufs habe von der Beklagten nicht verwendet werden dürfen und dürfe auch im Rechtsstreit nicht verwertet werden, da es sich um einen reinen privaten Austausch gehandelt habe. Die Beklagte habe die Kündigungserklärungsfrist nicht gewahrt. Für die Zeit ab August 2021 habe er Anspruch auf Vergütung aus Annahmeverzug.

Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - beantragt

1.

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 28. Juli 2021 nicht aufgelöst ist, sondern bis zum 31. Dezember 2021 fortbestand,

2.

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 21.340,80 Euro brutto abzüglich gezahlter Entgeltersatzleistung iHv. 13.390,06 Euro netto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2. Februar 2022 zu zahlen,

3.

die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein qualifiziertes Zeugnis zu erteilen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, durch die zahlreichen beleidigenden, rassistischen, teilweise menschenverachtenden und sexistischen Äußerungen und die Aufrufe zur Gewalt habe der Kläger seine arbeitsvertraglichen Pflichten schwerwiegend verletzt. Er habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass seine Äußerungen nicht von einem der Chatgruppen-Mitglieder nach außen getragen werden.

Das Arbeitsgericht hat der Klage - soweit für die Revision von Interesse - stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt sie ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Gründe

Die Revision der Beklagten ist teilweise unzulässig. Im Umfang ihrer Zulässigkeit ist sie begründet.

I. 

Die Revision ist mangels einer Begründung (§ 552 Abs. 1 Satz 2 ZPO) hinsichtlich der Verurteilung zur Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses unzulässig und insoweit zu verwerfen (§ 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO; zu den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung der Revision vgl. BAG 21. Dezember 2022 - 7 AZR 489/21 - Rn. 44). Vorliegend fehlt es

an einer Auseinandersetzung mit der auf die gesetzliche Verpflichtung zur Zeugniserteilung aus der Gewerbeordnung - wenn auch mit falschem Paragraphenzitat - abstellenden Begründung des Landesarbeitsgerichts.

II.

Im Übrigen ist die Revision der Beklagten zulässig und begründet. Das Landesarbeitsgericht hat ihre Berufung gegen das dem Bestandsschutzantrag und dem Zahlungsantrag stattgebende erstinstanzliche Urteil unter Verletzung einer Rechtsnorm zurückgewiesen (§ 73 Abs. 1 Satz 1 ArbGG). Das Berufungsurteil ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

1. Der vom Landesarbeitsgericht keiner Auslegung entsprechend § 133 BGB unterzogene Bestandsschutzantrag ist als Antrag iSv. § 4 Satz 1 KSchG zu verstehen. Bei dem auf die Feststellung des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses bezogenen Zusatz handelt es sich, mangels näherer Begründung des Klägers hierzu, um ein überflüssiges unselbständiges Anhängsel ohne eigene prozessrechtliche Bedeutung iSv. § 256 Abs. 1 ZPO (vgl. BAG 24. Oktober 2018 - 10 AZR 19/18 - Rn. 10; 16. Mai 2002 - 8 AZR 320/01 - zu B II 2 der Gründe).

2. Das Landesarbeitsgericht ist zu Recht von einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats (§ 102 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BetrVG, vgl. hierzu BAG 7. Mai 2020 - 2 AZR 678/19 - Rn. 14 ff., BAGE 170, 191) sowie der Einhaltung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB (vgl. hierzu BAG 5. Mai 2022 - 2 AZR 483/21 - Rn. 12 ff.; 27. Juni 2019 - 2 ABR 2/19 - Rn. 18 ff.) ausgegangen. Diesbezüglich zeigt weder der Kläger revisionsrechtlich erhebliche Fehler auf noch sind solche erkennbar. Insbesondere durfte die Beklagte angesichts der Zahl der beteiligten Personen und des Umfangs der Chatprotokolle zunächst weitere Ermittlungen anstellen und eine Anhörung des Klägers zu den Vorwürfen abwarten, bevor sie die Kündigung aussprach.

3. Das Landesarbeitsgericht ist ferner zutreffend davon ausgegangen, dass hinsichtlich der von der Beklagten zum Gegenstand ihres Vortrags gemachten Äußerungen des Klägers in der Chatgruppe kein Sachvortragsverwertungsverbot besteht.

a) Die Frage, ob die Gerichte für Arbeitssachen erhebliches, personenbezogene Daten betreffendes Prozessvorbringen der Parteien und ggf. deren Beweisantritte bei ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigen dürfen bzw. müssen, beantwortet sich nach Inkrafttreten der DSGVO nach deren Vorschriften. Die DSGVO regelt die Zulässigkeit von Datenverarbeitungen auch im Verfahren vor den nationalen Zivilgerichten (vgl. hierzu und zum Folgenden BAG 29. Juni 2023 - 2 AZR 296/22 - Rn. 23 ff.).

aa) Nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. e DSGVO ist die Verarbeitung personenbezogener Daten rechtmäßig, wenn sie für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich ist, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde. Gemäß Art. 6 Abs. 3 Satz 1 Buchst. b DSGVO kann die Rechtsgrundlage für entsprechende Verarbeitungen durch das Recht des Mitgliedstaats festgelegt werden, dem der Verantwortliche unterliegt. Dieses muss nach Art. 6 Abs. 3 Satz 4 DSGVO ein im öffentlichen Interesse liegendes Ziel verfolgen und in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Zweck stehen. Davon ist auszugehen, wenn die Zivilgerichte (EuGH 2. März 2023 - C-268/21 - [Norra Stockholm Bygg] Rn. 32) - zu denen nach unionsrechtlichem Verständnis auch die Gerichte für Arbeitssachen gehören (zu einem Kündigungsschutzprozess als zivilrechtliche Streitigkeit iSd. Brüssel Ia-VO vgl. BAG 7. Mai 2020 - 2 AZR 692/19 - Rn. 16) - die ihnen durch das nationale Recht übertragenen gerichtlichen Befugnisse ausüben (EuGH 4. Mai 2023 - C-60/22 - [Bundesrepublik Deutschland] Rn. 73).

bb) Ein Sachvortrags- oder Beweisverwertungsverbot kommt - gerade auch im Geltungsbereich der DSGVO und im Lichte von Art. 47 Abs. 2 GRC - nur in Betracht, wenn die Nichtberücksichtigung von Vorbringen oder eines Beweismittels wegen einer durch Unionsrecht oder Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Rechtsposition des Arbeitnehmers zwingend geboten ist (vgl. BAG 29. Juni 2023 - 2 AZR 296/22 - Rn. 27 f.).

cc) Dabei kann vorliegend zugunsten des klagenden Arbeitnehmers unterstellt werden, dass sich unter Geltung von Art. 17 Abs. 3 Buchst. e DSGVO in verfassungskonformer Auslegung des nationalen Verfahrensrechts ausnahmsweise das Verbot für das Gericht ergeben kann, Sachvortrag oder Beweismittel zu verwerten, die im Zuge einer das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG) des Arbeitnehmers verletzenden Datenverarbeitung vom Arbeitgeber erlangt wurden. Ein solcher Tatbestand führte dazu, dass es an einer Rechtsgrundlage im mitgliedstaatlichen Verfahrensrecht iSv. Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. e iVm. Abs. 3 Satz 1 Buchst. b DSGVO fehlte. Dies hätte wiederum zur Folge, dass auch eine unionsrechtliche Ermächtigung für die Datenverarbeitung durch ein Gericht nicht vorhanden wäre (vgl. BAG 29. Juni 2023 - 2 AZR 296/22 - Rn. 29).

b) Weder die Zivilprozessordnung noch das Arbeitsgerichtsgesetz enthalten Bestimmungen, die die Verwertbarkeit von Erkenntnissen oder Beweismitteln einschränken, die eine Arbeitsvertragspartei - auch rechtswidrig - erlangt hat. Ein Verwertungsverbot kann sich allerdings aus einer verfassungskonformen Auslegung des Verfahrensrechts ergeben. Da der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG aber grundsätzlich gebietet, den Sachvortrag der Parteien und die von ihnen angebotenen Beweise zu berücksichtigen, kommt ein "verfassungsrechtliches Verwertungsverbot" nur in Betracht, wenn dies wegen einer grundrechtlich geschützten Position einer Prozesspartei zwingend geboten ist (BAG 15. November 2022 - 3 AZR 42/22 - Rn. 33 mwN).

c) Das ist vorliegend nicht der Fall. Durch die gerichtliche Verwertung der von der Beklagten dem Kläger vorgeworfenen Äußerungen in dem Chatverlauf findet kein grundrechtswidriger Eingriff in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht statt.

aa) Die von der Beklagten nicht zielgerichtet oder auf ihre Veranlassung hin - etwa über eine Ausspähung - erlangten, sondern ihr über eine Kette von Mitarbeitern, die von deren Inhalt bereits Kenntnis hatten, überlassenen, verschriftlichten Äußerungen des Klägers, betreffen nicht dessen unantastbaren Intim-, sondern allenfalls seinen Privatbereich (vgl. BVerfG 21. Oktober 2020 - 2 BvR 652/20 - Rn. 31; 18. April 2018 - 2 BvR 883/17 - Rn. 25 ff.). Bei Äußerungen in einer aus sieben Personen bestehenden Chatgruppe hatte der Kläger offenkundig selbst nur einen begrenzten subjektiven Willen zur Geheimhaltung. Anders als etwa bei Tagebucheinträgen, bei denen im Übrigen selbst nicht ausnahmslos ein Verwertungsverbot besteht (vgl. BVerfG 18. April 2018 - 2 BvR 883/17 - Rn. 28), handelt es sich um von vornherein auf Mitteilung gegenüber anderen Personen angelegte Aufzeichnungen. Die Chatbeiträge des Klägers hatten nach ihrem Inhalt keinen ihn betreffenden höchstpersönlichen Charakter, sondern zielten auf die Herabwürdigung, Verächtlichmachung und Beleidigung anderer Personen ab. Damit berührte er nicht nur deren Sphäre, sondern durch die in ihm enthaltenen Gewaltaufrufe auch Belange der Gemeinschaft.

bb) Soweit durch die Verwertung der Chatbeiträge die Privatsphäre des Klägers betroffen ist, überwiegt der Anspruch der Beklagten aus Art. 103 Abs. 1 GG, der es grundsätzlich gebietet, ihren Sachvortrag zu berücksichtigen (vgl. BAG 23. August 2018 - 2 AZR 133/18 - Rn. 14, BAGE 163, 239). Die Aufrufe zu Gewalt und die Beleidigungen betreffen die Privatsphäre des Klägers nur in geringem Maße, zumal er sich selbst damit an eine Mehrzahl von Personen gewandt hat. Es gibt angesichts dessen keinen Anlass, den grundrechtlich verbürgten Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör einzuschränken. Ohne die Erkenntnisse aus dem ihr bekannten Teil des Gruppenchats kann sie ihre Rechtsverteidigung nicht wirksam wahrnehmen und ihre Rechtsposition in einem gerichtlichen Verfahren (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht wirksam verteidigen.

cc) Es spielt keine Rolle, dass ein Dritter den Chatverlauf ohne Einwilligung des der Chatgruppe angehörenden ehemaligen Arbeitnehmers der Beklagten kopiert haben mag. Selbst ein Diebstahl von Unterlagen - wie vom Kläger angesichts der von ihm behaupteten Überlistung des ausgeschiedenen Chatgruppen-Mitglieds bei der Weiterleitung des Chatverlaufs als Gegenargument angeführt - würde für sich genommen noch kein Verbot ihrer Verwertung begründen (vgl. BAG 15. August 2002 - 2 AZR 214/01 - zu II 3 b aa der Gründe, BAGE 102, 190; Zöller/Greger ZPO 34. Aufl. § 286 Rn. 15g).

4. Das Landesarbeitsgericht hat im Ausgangspunkt noch zutreffend angenommen, dass die Äußerungen des Klägers einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB darstellen können.

a) Dafür kommt neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten in Betracht (vgl. BAG 18. Dezember 2014 - 2 AZR 265/14 - Rn. 15). Zu den Letztgenannten zählt insbesondere die Pflicht der Arbeitsvertragsparteien zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des jeweils anderen Teils (§ 241 Abs. 2 BGB). Der Arbeitnehmer hat seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann.

b) Grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen, die - wie hier - nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten, stellen eine erhebliche Pflichtverletzung dar, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann (vgl. BAG 5. Dezember 2019 - 2 AZR 240/19 - Rn. 77). Allein der Umstand, dass die Äußerungen in einer privaten Chatgruppe gefallen sind, führt nicht dazu, ihnen von vornherein eine Vertragspflichtwidrigkeit abzusprechen, da sie auf Vorgesetzte und Kollegen und damit auf betriebliche Umstände bezogen sind (vgl. BAG 25. April 2018 - 2 AZR 611/17 - Rn. 44; zur disziplinarrechtlichen Relevanz von Äußerungen in einer außerdienstlichen Chatgruppe vgl. auch BVerwG 13. Januar 2022 - 2 WD 4.21 - Rn. 40).

5. Das Berufungsgericht ist aber rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, die Äußerungen des Klägers in der Chatgruppe kämen aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, da es sich um eine vertrauliche Kommunikation gehandelt habe. Das Landesarbeitsgericht hat die Anforderungen verkannt, die vorliegend für die Darlegung einer berechtigten Vertraulichkeitserwartung durch den Kläger gelten (zu dem insoweit eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfungsmaßstab vgl. BAG 24. Februar 2022 - 6 AZR 333/21 - Rn. 19, BAGE 177, 177).

a) Bei ehrverletzenden Äußerungen über nicht anwesende Dritte besteht in besonders engen Lebenskreisen eine beleidigungsfreie Sphäre, wenn die Äußerung Ausdruck des besonderen Vertrauens ist und keine begründete Möglichkeit ihrer Weitergabe besteht (vgl. BVerfG 17. März 2021 - 2 BvR 194/20 - Rn. 33; BVerwG 13. Januar 2022 - 2 WD 4.21 - Rn. 51). Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Zu den Bedingungen der Persönlichkeitsentfaltung gehört es, dass der Einzelne einen Raum besitzt, in dem er unbeobachtet sich selbst überlassen ist oder mit Personen seines besonderen Vertrauens ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Verhaltenserwartungen und ohne Furcht vor Sanktionen verkehren kann. Aus der Bedeutung einer solchen Rückzugsmöglichkeit für die Persönlichkeitsentfaltung folgt, dass der Schutz des Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG auch die Privatsphäre umfasst. An deren Schutz nimmt auch die vertrauliche Kommunikation teil. Gerade bei Äußerungen gegenüber Familienangehörigen und Vertrauenspersonen steht häufig weniger der Aspekt der Meinungskundgabe und die damit angestrebte Einwirkung auf die Meinungsbildung Dritter als der Aspekt der Selbstentfaltung im Vordergrund. Nur unter den Bedingungen besonderer Vertraulichkeit ist dem Einzelnen ein rückhaltloser Ausdruck seiner Emotionen, die Offenbarung geheimer Wünsche oder Ängste, die freimütige Kundgabe des eigenen Urteils über Verhältnisse und Personen oder eine entlastende Selbstdarstellung möglich. In diesen Situationen kann es auch zu Äußerungsinhalten oder -formen kommen, die sich der Einzelne gegenüber (ihm nicht vertrauten) Außenstehenden oder in der Öffentlichkeit nicht gestatten würde. Gleichwohl verdienen sie als Ausdruck der Persönlichkeit und Bedingung ihrer Entfaltung den Schutz des Grundrechts (vgl. BVerfG 17. März 2021 - 2 BvR 194/20 - Rn. 32; BVerwG 13. Januar 2022 - 2 WD 4.21 - Rn. 50). Der Kreis möglicher Vertrauenspersonen ist dabei nicht auf Ehegatten oder Eltern beschränkt, sondern erstreckt sich auf ähnlich enge - auch rein freundschaftliche - Vertrauensverhältnisse. Entscheidend für den grundrechtlichen Schutz der Vertrauensbeziehung ist allerdings, dass ein Verhältnis zwischen den an der Kommunikation beteiligten Personen besteht, das dem Verhältnis vergleichbar ist, wie es in der Regel zu nahestehenden Familienangehörigen besteht (vgl. BVerfG 17. März 2021 - 2 BvR 194/20 - Rn. 34).

b) Dementsprechend hat der Senat bereits in der Vergangenheit angenommen, dass bei der rechtlichen Würdigung von diffamierenden oder ehrverletzenden Äußerungen über Vorgesetzte und/oder Kollegen, die eine außerordentliche fristlose Kündigung an sich rechtfertigen, die Umstände berücksichtigt werden müssen, unter denen sie gefallen sind. Geschah dies in vertraulichen Gesprächen unter Arbeitskollegen, vermögen sie eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht ohne Weiteres zu rechtfertigen. Der Arbeitnehmer darf anlässlich solcher Gespräche regelmäßig darauf vertrauen, seine Äußerungen würden nicht nach außen getragen. Er muss nicht damit rechnen, durch sie werde der Betriebsfrieden gestört und das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber belastet (vgl. BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 534/08 - Rn. 18). Allerdings genügt insoweit nicht eine bloß einseitige Vertraulichkeitserwartung (vgl. BAG 18. November 1999 - 2 AZR 903/98 - zu II 2 a der Gründe). Entscheidend ist, ob der Arbeitnehmer sicher davon ausgehen durfte, dass seine Kollegen die Äußerungen für sich behalten würden (vgl. BAG 17. Februar 2000 - 2 AZR 927/98 - zu II 3 a der Gründe). Eine solche berechtigte Vertraulichkeitserwartung trifft aber nicht ohne Weiteres auf alle Gesprächssituationen unter Arbeitskollegen gleichermaßen zu. So können insbesondere bei Zusammenkünften einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern Zweifel angebracht sein, dass die Gesprächsteilnehmer Äußerungen über den Arbeitgeber oder vorgesetzte Mitarbeiter für sich behalten werden (vgl. BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 534/08 - Rn. 23). Die Vertraulichkeitserwartung ist zudem abhängig von den jeweiligen Gesprächsinhalten. Enthalten diese Äußerungen, durch die der Betriebsfrieden in besonderem Maße gestört und das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber erheblich belastet würde, muss die berechtigte Erwartung des Erklärenden dahingehen, dass seine Gesprächspartner die in seinen Äußerungen liegenden Wertungen teilten bzw. billigten oder er es jedenfalls aufgrund besonderer Umstände für ausgeschlossen hält, dass diese die Gesprächsinhalte an Außenstehende weitergeben.

c) Bei der danach gebotenen Würdigung hat das Landesarbeitsgericht nicht alle relevanten Aspekte berücksichtigt, die für die Beurteilung einer berechtigten Vertraulichkeitserwartung des Klägers von Bedeutung sind. Bei beleidigenden und menschenverachtenden Äußerungen über Betriebsangehörige bedarf es einer besonderen Darlegung, warum der Arbeitnehmer angesichts der Größe und Zusammensetzung des beteiligten Personenkreises berechtigt erwarten durfte, seine Äußerungen würden von keinem Gruppenmitglied an Dritte weitergegeben. In einer Konstellation wie der vorliegenden wird eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung daher nur im Ausnahmefall in Betracht kommen.

aa) Das Landesarbeitsgericht hebt bei seiner Annahme einer Vertraulichkeitserwartung zu Unrecht den Umstand hervor, dass der Nachrichtenaustausch durch von "Ende-zu-Ende" verschlüsselte Daten erfolge. Die vermeintlich sichere Übermittlung der Äußerungen an andere Gesprächsteilnehmer begründet aber kein Vertrauen ihres Absenders dahingehend, dass die Empfänger die an sie übermittelten Inhalte vertraulich behandeln. Maßgeblich ist insoweit nicht das Ausspähen während des Nachrichtenaustauschs, sondern die Weitergabe durch ein Gruppenmitglied, das die Vertraulichkeit nicht in dem - möglicherweise nur einseitig - erwarteten Umfang wahrt.

bb) Den Ausführungen im angefochtenen Urteil ist auch nicht zu entnehmen, warum eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung aus dem bloßen Umstand einer Verwandtschaft zweier Gruppenmitglieder oder dem nicht näher inhaltlich umschriebenen Begriff einer "langjährigen Freundschaft" der Gruppenmitglieder folgen soll. Verwandtschaft allein führt nicht zwingend zu Vertraulichkeit. Die Einordnung einer Beziehung als "langjährige Freundschaft" ist hinsichtlich der zahlreich möglichen Abstufungen - zumal in einer Gruppe mit sieben Personen - ohne relevante Aussagekraft.

cc) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht der Kommunikation in der Chatgruppe über mobile Endgeräte keine maßgebliche Bedeutung für eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung zugemessen. Es hat unberücksichtigt gelassen, dass mobile Endgeräte in Verbindung mit den technischen Möglichkeiten des Messengerdienstes gerade auf leichte Kopierbarkeit und schnelle Weiterleitung eines Datenaustauschs angelegt sind.

dd) Das Landesarbeitsgericht geht begründungslos davon aus, dass die "Chatgruppe ... mit sechs bzw. sieben Mitgliedern noch leicht zu überschauen" gewesen sei. Das ist angesichts von sieben Mitgliedern im fraglichen Zeitraum jedenfalls nicht naheliegend. Der Senat hat eine Vertraulichkeitserwartung ursprünglich bei einer Kommunikation mit ein oder zwei anderen Personen angenommen (vgl. auch BAG 18. November 1999 - 2 AZR 903/98 - zu II 2 a der Gründe). Weshalb dies für sechs andere Personen, an die gleichzeitig dieselbe Äußerung gesandt wird, in gleicher Weise gelten soll, bedarf näherer Begründung. Regelmäßig wird bei jeder Erweiterung des Personenkreises nicht nur die Zahl von Mitwissenden ansteigen, sondern auch eine etwaige Vertraulichkeitserwartung nicht mehr in einem unmittelbar persönlichen Verhältnis wahrgenommen werden. Anders als bei den bisherigen Senatsentscheidungen handelt es sich bei dem Nachrichtenaustausch nicht um eine Kommunikation unter Anwesenden, bei der ein Erklärender aus dem nonverbalen Verhalten der Gesprächsteilnehmer leichter abschätzen kann, ob sie sich - wie häufig bei einem unmittelbaren Gespräch zweier Beteiligter - der Vertraulichkeit der Kommunikation bewusst sind.

ee) Hinzu kommt, dass die Chatgruppe in Bezug auf die Beteiligung ihrer Mitglieder nicht einheitlich war. Von den sieben Mitgliedern haben sich ausweislich des vom Landesarbeitsgericht in Bezug genommenen Chatverlaufs außer dem Kläger nur drei andere in ähnlich aggressiv beleidigender und menschlich herabwürdigender Weise über Vorgesetzte und Kollegen geäußert. Drei Mitglieder der Gruppe beteiligten sich zeitweise nicht an den Chats. Der Kläger hatte deshalb ohne nähere Darlegung keine Veranlassung zu der Annahme, alle Gruppenmitglieder würden in gleicher Weise seine Äußerungen gutheißen und keine Veranlassung sehen, sich angesichts der Nachhaltigkeit seiner Beschimpfungen und Gewaltphantasien an Außenstehende zu wenden. Dies gilt insbesondere für das im November 2020 neu aufgenommene Chatgruppen-Mitglied, das sich zwar auch an den Chats beteiligte, aber bereits aus dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten ausgeschieden war und deshalb für den Fall eines Bekanntwerdens der Chats weniger "zu verlieren" hatte als der Kläger. Soweit dieser in seiner Revisionserwiderung meint, die Chatgruppe habe "quasi eine Schicksalsgemeinschaft" mit absolutem Stillschweigen gebildet, blendet dies die vorübergehende Mitgliedschaft des neu hinzugetretenen Teilnehmers aus, auf den dieser Aspekt gerade nicht zutraf.

ff) Das Berufungsgericht stellt zu Unrecht darauf ab, in der Chatgruppe würden seit dem Jahr 2014 Nachrichten ausgetauscht, ohne dass diese Außenstehenden bekannt geworden seien. Unabhängig davon, dass es an Feststellungen fehlt, ob in dieser zurückliegenden Zeit Chats mit ähnlich beleidigendem Inhalt ausgetauscht wurden, an denen Dritte ein Interesse gehabt haben können, konnte der Kläger daraus schon deshalb keine berechtigte Vertraulichkeitserwartung ableiten, weil im November 2020 ein neues Gruppenmitglied aufgenommen worden war. Dies lässt es nicht zu, wegen einer etwaigen bisherigen Vertraulichkeit auch eine zukünftige zu erwarten. Das zeigt der vorliegende Rechtsstreit in aller Deutlichkeit, wo es gerade das neu aufgenommene und nach zwei Monaten wieder ausgeschiedene Gruppenmitglied war, durch das Außenstehende letztlich von den Chats erfuhren.

gg) Das Berufungsgericht hat sich nicht mit der Frage beschäftigt, ob es bei Äußerungen, die in besonderer Weise menschenverachtend sind oder nachhaltig zu Gewalt aufstacheln, überhaupt eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung geben kann (vgl. BAG 27. September 2022 - 2 AZR 5/22 - Rn. 20). Damit hat es nicht in den Blick genommen, dass je nach Inhalt der Äußerungen eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung schon deshalb ausscheiden kann, weil es nicht fernliegt, dass ein Chatgruppen-Mitglied aus Entrüstung, moralischen Bedenken (vgl. BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 534/08 - Rn. 26) oder auch aus Prahlerei und Imponiergehabe die Äußerungen einem außenstehenden Dritten offenbart.

6. Wegen dieses Rechtsfehlers ist das Berufungsurteil betreffend den Bestandsschutzantrag des Klägers aufzuheben. Das angefochtene Urteil erweist sich nicht aus anderen Gründen als zutreffend (vgl. § 561 ZPO). Bei richtiger Beurteilung der Darlegungslast für eine besondere Vertraulichkeitserwartung der dem Kläger vorgeworfenen Äußerungen hätte das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis kommen können, dass nach seinem bisher gehaltenen Vorbringen die ihm gegenüber ausgesprochene außerordentliche fristlose Kündigung wirksam ist. Hierüber kann der Senat jedoch aus Gründen des fairen Verfahrens nicht selbst entscheiden (vgl. § 563 Abs. 3 ZPO).

a) Das Landesarbeitsgericht wird dem Kläger im fortgesetzten Berufungsverfahren unter Berücksichtigung der oben beschriebenen Maßstäbe Gelegenheit geben, substantiiert darzulegen, warum er eine berechtigte und nicht nur eine einseitige, subjektive Vertraulichkeitserwartung haben durfte, dass nicht ein einziges Gruppenmitglied seine Äußerungen Dritten offenbart, wofür bislang nichts spricht.

b) Soweit das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommen sollte, es liege ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB vor, hat es im Rahmen einer Interessenabwägung weiter zu prüfen, ob der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zu seiner bereits vereinbarten Beendigung nicht zugemutet werden konnte, was es bislang - nach seiner Begründungslinie konsequent - unterlassen hat.

7. Der Aufhebung und Zurückverweisung unterliegt auch die Entscheidung des Berufungsgerichts über den vom Kläger geltend gemachten Annahmeverzugsanspruch.

a) Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt keine Berichtigung des Tenors des Berufungsurteils nach § 319 ZPO in Betracht.

aa) Nach § 319 Abs. 1 ZPO ist eine Berichtigung nur bei Schreib- oder Rechenfehlern oder ähnlichen offenbaren Unrichtigkeiten zulässig. Darunter fällt nur eine versehentliche Abweichung des vom Gericht Erklärten gegenüber dem von ihm ersichtlich Gewollten, nicht aber eine Änderung des vom Gericht Gewollten (vgl. BGH 27. Juni 2023 - II ZR 94/21 - Rn. 4). Diese Abweichung muss zudem "offenbar" sein, sich also aus dem Zusammenhang der Entscheidung selbst oder zumindest aus den Vorgängen bei ihrem Erlass oder ihrer Verkündung nach außen deutlich ergeben und damit auch für Dritte ohne Weiteres erkennbar sein (vgl. BAG 22. März 2018 - 8 AZR 779/16 - Rn. 22, BAGE 162, 275; BGH 26. Januar 2023 - III ZR 69/21 - Rn. 3). Eine solche Berichtigung kann auch vom Rechtsmittelgericht durchgeführt werden (vgl. BAG 23. Februar 2022 - 10 ABR 33/20 - Rn. 62).

bb) Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

(1) Das Landesarbeitsgericht hat im Tenor seiner Entscheidung die Berufung der Beklagten insgesamt - also auch soweit das Arbeitsgericht dem Kläger Annahmeverzugsvergütung für den Zeitraum August bis Dezember 2021 zugesprochen hat - zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen führt es allerdings aus, die Berufung der Beklagten sei bezüglich der Annahmeverzugsvergütung begründet. Die Klage sei unschlüssig geworden, da der Kläger in der Berufungsverhandlung bekundet habe, seit Ausspruch der Kündigung arbeitsunfähig erkrankt gewesen zu sein. Damit fehle es an der für einen Annahmeverzugsanspruch erforderlichen Leistungsfähigkeit, ohne dass der Kläger genügende Angaben für einen Entgeltfortzahlungsanspruch gemacht habe. Das habe die Kammer bei ihrer Entscheidung nicht erkannt.

(2) Damit stellt das Berufungsgericht selbst klar, dass das von ihm im Tenor seiner Entscheidung Erklärte dem von ihm bei Verkündung des Urteils Gewollten entsprach. Lediglich bei der Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe ist es zu der Auffassung gelangt, dass seine Entscheidung bezüglich des Annahmeverzugsanspruchs inhaltlich falsch sei. Das lässt aber keine Berichtigung nach § 319 ZPO zu.

b) Auf die Revision der Beklagten ist das Berufungsurteil bezüglich des Annahmeverzugsanspruchs bereits deshalb nach § 562 Abs. 1 ZPO aufzuheben, weil dieser vom Bestandsschutzantrag abhängig ist. Der Senat kann nicht nach § 563 Abs. 3 ZPO in der Sache selbst entscheiden. Für den Fall eines Erfolgs seines Bestandsschutzantrags muss der Kläger Gelegenheit haben, zu der bislang in den Vorinstanzen nicht weiter thematisierten Frage eines etwaigen Entgeltfortzahlungsanspruchs vorzutragen. Soweit sich der Bestandsschutzantrag des Klägers als unbegründet erweisen sollte, wird das Landesarbeitsgericht aufzuklären haben, ob der Zahlungsantrag ein nur für den Fall des diesbezüglichen Obsiegens gestellter unechter Hilfsantrag sein soll (vgl. BAG 11. Juni 2020 - 2 AZR 660/19 - Rn. 39, BAGE 171, 84).

III.

Das Landesarbeitsgericht hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.

Koch

Niemann

Schlünder

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Urteilsbesprechung zu Bundesarbeitsgericht Urteil, 24. Aug. 2023 - 2 AZR 17/23

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Bundesarbeitsgericht

Im Namen des Volkes

 

Urteil vom 24.08.2023

Az.: 2 AZR 17/23

 

Bei beleidigenden und menschenverachtenden Äußerungen über Betriebsangehörige in einer aus sieben Teilnehmern bestehenden privaten Chatgruppe bedarf es einer besonderen Darlegung, warum der Arbeitnehmer berechtigt erwarten durfte, seine Äußerungen würden von keinem Beteiligten an Dritte weitergegeben.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 19. Dezember 2022 - 15 Sa 284/22 - insoweit aufgehoben, wie es die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 24. Februar 2022 - 10 Ca 147/21 - bezüglich des Feststellungsantrags und des Zahlungsantrags zurückgewiesen hat.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

3. Im Übrigen wird die Revision der Beklagten als unzulässig verworfen.

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung, Annahmeverzugsansprüche für den Zeitraum August bis Dezember 2021 sowie die Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses.

Der Kläger arbeitete seit 1999 bei der Beklagten, die etwa 2.100 Arbeitnehmer beschäftigt, zuletzt als Gruppenleiter Lagerlogistik. Im Zuge einer Restrukturierung schloss der Kläger ua. mit der Beklagten im Mai 2021 einen Aufhebungsvertrag, der eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 2021 und die Zahlung einer Abfindung vorsah.

Der Kläger war seit 2014 mit fünf anderen Arbeitnehmern der Beklagten Mitglied einer Chatgruppe des Messengerdienstes WhatsApp. Von November 2020 bis Januar 2021 gehörte der Gruppe ein ehemaliger Arbeitskollege an. Die Gruppenmitglieder waren nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts "langjährig befreundet", zwei miteinander verwandt. Neben rein privaten Themen äußerte sich der Kläger in einigen seiner Chatbeiträge - wie auch verschiedene andere Gruppenmitglieder - in beleidigender, fremdenfeindlicher, sexistischer und menschenverachtender Weise über Vorgesetzte sowie Kollegen und rief teilweise zu Gewalt gegen diese auf.

Das vorübergehend der Chatgruppe angehörende Mitglied zeigte im Rahmen eines Gesprächs über einen Arbeitsplatzkonflikt einem Mitarbeiter der Beklagten den Chatverlauf auf seinem Smartphone, der davon eine Kopie an sich weiterleitete. Von dem Chatverlauf erlangten in der Folgezeit der Betriebsratsvorsitzende sowie die Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen der Beklagten Kenntnis. Am 7. Juli 2021 teilte der Betriebsratsvorsitzende dem Personalleiter der Beklagten während dessen Urlaubsabwesenheit telefonisch das Bestehen der Chatgruppe mit und berichtete über den Inhalt des ihm bekannten Chatverlaufs. Im Nachgang zu diesem Gespräch übersandte er dem Personalleiter ein 316-seitiges Word-Dokument mit dem Inhalt des Chatverlaufs für die Zeit vom 19. November 2020 bis 17. Januar 2021. In einem unter dem 8. Juli 2021 verfassten Schriftstück bestätigte das ausgeschiedene Chatgruppen-Mitglied die inhaltliche Richtigkeit des Chatverlaufs. Diese Erklärung wurde anschließend an den Personalleiter weitergeleitet. In der Folgezeit hörte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 22. Juli 2021 zum Inhalt des Chatverlaufs an. Dieser gab unter dem 25. Juli 2021 eine schriftliche Stellungnahme ab.

Die Beklagte kündigte nach Anhörung des Betriebsrats mit Schreiben vom 28. Juli 2021 das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise mit Auslauffrist zum 31. März 2022.

Hiergegen hat sich der Kläger mit seiner rechtzeitig beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage gewandt. Er meint, der Inhalt des Chatverlaufs habe von der Beklagten nicht verwendet werden dürfen und dürfe auch im Rechtsstreit nicht verwertet werden, da es sich um einen reinen privaten Austausch gehandelt habe. Die Beklagte habe die Kündigungserklärungsfrist nicht gewahrt. Für die Zeit ab August 2021 habe er Anspruch auf Vergütung aus Annahmeverzug.

Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - beantragt

1.

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 28. Juli 2021 nicht aufgelöst ist, sondern bis zum 31. Dezember 2021 fortbestand,

2.

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 21.340,80 Euro brutto abzüglich gezahlter Entgeltersatzleistung iHv. 13.390,06 Euro netto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2. Februar 2022 zu zahlen,

3.

die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein qualifiziertes Zeugnis zu erteilen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, durch die zahlreichen beleidigenden, rassistischen, teilweise menschenverachtenden und sexistischen Äußerungen und die Aufrufe zur Gewalt habe der Kläger seine arbeitsvertraglichen Pflichten schwerwiegend verletzt. Er habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass seine Äußerungen nicht von einem der Chatgruppen-Mitglieder nach außen getragen werden.

Das Arbeitsgericht hat der Klage - soweit für die Revision von Interesse - stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt sie ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Gründe

Die Revision der Beklagten ist teilweise unzulässig. Im Umfang ihrer Zulässigkeit ist sie begründet.

I. 

Die Revision ist mangels einer Begründung (§ 552 Abs. 1 Satz 2 ZPO) hinsichtlich der Verurteilung zur Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses unzulässig und insoweit zu verwerfen (§ 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO; zu den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung der Revision vgl. BAG 21. Dezember 2022 - 7 AZR 489/21 - Rn. 44). Vorliegend fehlt es

an einer Auseinandersetzung mit der auf die gesetzliche Verpflichtung zur Zeugniserteilung aus der Gewerbeordnung - wenn auch mit falschem Paragraphenzitat - abstellenden Begründung des Landesarbeitsgerichts.

II.

Im Übrigen ist die Revision der Beklagten zulässig und begründet. Das Landesarbeitsgericht hat ihre Berufung gegen das dem Bestandsschutzantrag und dem Zahlungsantrag stattgebende erstinstanzliche Urteil unter Verletzung einer Rechtsnorm zurückgewiesen (§ 73 Abs. 1 Satz 1 ArbGG). Das Berufungsurteil ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

1. Der vom Landesarbeitsgericht keiner Auslegung entsprechend § 133 BGB unterzogene Bestandsschutzantrag ist als Antrag iSv. § 4 Satz 1 KSchG zu verstehen. Bei dem auf die Feststellung des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses bezogenen Zusatz handelt es sich, mangels näherer Begründung des Klägers hierzu, um ein überflüssiges unselbständiges Anhängsel ohne eigene prozessrechtliche Bedeutung iSv. § 256 Abs. 1 ZPO (vgl. BAG 24. Oktober 2018 - 10 AZR 19/18 - Rn. 10; 16. Mai 2002 - 8 AZR 320/01 - zu B II 2 der Gründe).

2. Das Landesarbeitsgericht ist zu Recht von einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats (§ 102 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BetrVG, vgl. hierzu BAG 7. Mai 2020 - 2 AZR 678/19 - Rn. 14 ff., BAGE 170, 191) sowie der Einhaltung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB (vgl. hierzu BAG 5. Mai 2022 - 2 AZR 483/21 - Rn. 12 ff.; 27. Juni 2019 - 2 ABR 2/19 - Rn. 18 ff.) ausgegangen. Diesbezüglich zeigt weder der Kläger revisionsrechtlich erhebliche Fehler auf noch sind solche erkennbar. Insbesondere durfte die Beklagte angesichts der Zahl der beteiligten Personen und des Umfangs der Chatprotokolle zunächst weitere Ermittlungen anstellen und eine Anhörung des Klägers zu den Vorwürfen abwarten, bevor sie die Kündigung aussprach.

3. Das Landesarbeitsgericht ist ferner zutreffend davon ausgegangen, dass hinsichtlich der von der Beklagten zum Gegenstand ihres Vortrags gemachten Äußerungen des Klägers in der Chatgruppe kein Sachvortragsverwertungsverbot besteht.

a) Die Frage, ob die Gerichte für Arbeitssachen erhebliches, personenbezogene Daten betreffendes Prozessvorbringen der Parteien und ggf. deren Beweisantritte bei ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigen dürfen bzw. müssen, beantwortet sich nach Inkrafttreten der DSGVO nach deren Vorschriften. Die DSGVO regelt die Zulässigkeit von Datenverarbeitungen auch im Verfahren vor den nationalen Zivilgerichten (vgl. hierzu und zum Folgenden BAG 29. Juni 2023 - 2 AZR 296/22 - Rn. 23 ff.).

aa) Nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. e DSGVO ist die Verarbeitung personenbezogener Daten rechtmäßig, wenn sie für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich ist, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde. Gemäß Art. 6 Abs. 3 Satz 1 Buchst. b DSGVO kann die Rechtsgrundlage für entsprechende Verarbeitungen durch das Recht des Mitgliedstaats festgelegt werden, dem der Verantwortliche unterliegt. Dieses muss nach Art. 6 Abs. 3 Satz 4 DSGVO ein im öffentlichen Interesse liegendes Ziel verfolgen und in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Zweck stehen. Davon ist auszugehen, wenn die Zivilgerichte (EuGH 2. März 2023 - C-268/21 - [Norra Stockholm Bygg] Rn. 32) - zu denen nach unionsrechtlichem Verständnis auch die Gerichte für Arbeitssachen gehören (zu einem Kündigungsschutzprozess als zivilrechtliche Streitigkeit iSd. Brüssel Ia-VO vgl. BAG 7. Mai 2020 - 2 AZR 692/19 - Rn. 16) - die ihnen durch das nationale Recht übertragenen gerichtlichen Befugnisse ausüben (EuGH 4. Mai 2023 - C-60/22 - [Bundesrepublik Deutschland] Rn. 73).

bb) Ein Sachvortrags- oder Beweisverwertungsverbot kommt - gerade auch im Geltungsbereich der DSGVO und im Lichte von Art. 47 Abs. 2 GRC - nur in Betracht, wenn die Nichtberücksichtigung von Vorbringen oder eines Beweismittels wegen einer durch Unionsrecht oder Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Rechtsposition des Arbeitnehmers zwingend geboten ist (vgl. BAG 29. Juni 2023 - 2 AZR 296/22 - Rn. 27 f.).

cc) Dabei kann vorliegend zugunsten des klagenden Arbeitnehmers unterstellt werden, dass sich unter Geltung von Art. 17 Abs. 3 Buchst. e DSGVO in verfassungskonformer Auslegung des nationalen Verfahrensrechts ausnahmsweise das Verbot für das Gericht ergeben kann, Sachvortrag oder Beweismittel zu verwerten, die im Zuge einer das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG) des Arbeitnehmers verletzenden Datenverarbeitung vom Arbeitgeber erlangt wurden. Ein solcher Tatbestand führte dazu, dass es an einer Rechtsgrundlage im mitgliedstaatlichen Verfahrensrecht iSv. Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. e iVm. Abs. 3 Satz 1 Buchst. b DSGVO fehlte. Dies hätte wiederum zur Folge, dass auch eine unionsrechtliche Ermächtigung für die Datenverarbeitung durch ein Gericht nicht vorhanden wäre (vgl. BAG 29. Juni 2023 - 2 AZR 296/22 - Rn. 29).

b) Weder die Zivilprozessordnung noch das Arbeitsgerichtsgesetz enthalten Bestimmungen, die die Verwertbarkeit von Erkenntnissen oder Beweismitteln einschränken, die eine Arbeitsvertragspartei - auch rechtswidrig - erlangt hat. Ein Verwertungsverbot kann sich allerdings aus einer verfassungskonformen Auslegung des Verfahrensrechts ergeben. Da der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG aber grundsätzlich gebietet, den Sachvortrag der Parteien und die von ihnen angebotenen Beweise zu berücksichtigen, kommt ein "verfassungsrechtliches Verwertungsverbot" nur in Betracht, wenn dies wegen einer grundrechtlich geschützten Position einer Prozesspartei zwingend geboten ist (BAG 15. November 2022 - 3 AZR 42/22 - Rn. 33 mwN).

c) Das ist vorliegend nicht der Fall. Durch die gerichtliche Verwertung der von der Beklagten dem Kläger vorgeworfenen Äußerungen in dem Chatverlauf findet kein grundrechtswidriger Eingriff in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht statt.

aa) Die von der Beklagten nicht zielgerichtet oder auf ihre Veranlassung hin - etwa über eine Ausspähung - erlangten, sondern ihr über eine Kette von Mitarbeitern, die von deren Inhalt bereits Kenntnis hatten, überlassenen, verschriftlichten Äußerungen des Klägers, betreffen nicht dessen unantastbaren Intim-, sondern allenfalls seinen Privatbereich (vgl. BVerfG 21. Oktober 2020 - 2 BvR 652/20 - Rn. 31; 18. April 2018 - 2 BvR 883/17 - Rn. 25 ff.). Bei Äußerungen in einer aus sieben Personen bestehenden Chatgruppe hatte der Kläger offenkundig selbst nur einen begrenzten subjektiven Willen zur Geheimhaltung. Anders als etwa bei Tagebucheinträgen, bei denen im Übrigen selbst nicht ausnahmslos ein Verwertungsverbot besteht (vgl. BVerfG 18. April 2018 - 2 BvR 883/17 - Rn. 28), handelt es sich um von vornherein auf Mitteilung gegenüber anderen Personen angelegte Aufzeichnungen. Die Chatbeiträge des Klägers hatten nach ihrem Inhalt keinen ihn betreffenden höchstpersönlichen Charakter, sondern zielten auf die Herabwürdigung, Verächtlichmachung und Beleidigung anderer Personen ab. Damit berührte er nicht nur deren Sphäre, sondern durch die in ihm enthaltenen Gewaltaufrufe auch Belange der Gemeinschaft.

bb) Soweit durch die Verwertung der Chatbeiträge die Privatsphäre des Klägers betroffen ist, überwiegt der Anspruch der Beklagten aus Art. 103 Abs. 1 GG, der es grundsätzlich gebietet, ihren Sachvortrag zu berücksichtigen (vgl. BAG 23. August 2018 - 2 AZR 133/18 - Rn. 14, BAGE 163, 239). Die Aufrufe zu Gewalt und die Beleidigungen betreffen die Privatsphäre des Klägers nur in geringem Maße, zumal er sich selbst damit an eine Mehrzahl von Personen gewandt hat. Es gibt angesichts dessen keinen Anlass, den grundrechtlich verbürgten Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör einzuschränken. Ohne die Erkenntnisse aus dem ihr bekannten Teil des Gruppenchats kann sie ihre Rechtsverteidigung nicht wirksam wahrnehmen und ihre Rechtsposition in einem gerichtlichen Verfahren (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht wirksam verteidigen.

cc) Es spielt keine Rolle, dass ein Dritter den Chatverlauf ohne Einwilligung des der Chatgruppe angehörenden ehemaligen Arbeitnehmers der Beklagten kopiert haben mag. Selbst ein Diebstahl von Unterlagen - wie vom Kläger angesichts der von ihm behaupteten Überlistung des ausgeschiedenen Chatgruppen-Mitglieds bei der Weiterleitung des Chatverlaufs als Gegenargument angeführt - würde für sich genommen noch kein Verbot ihrer Verwertung begründen (vgl. BAG 15. August 2002 - 2 AZR 214/01 - zu II 3 b aa der Gründe, BAGE 102, 190; Zöller/Greger ZPO 34. Aufl. § 286 Rn. 15g).

4. Das Landesarbeitsgericht hat im Ausgangspunkt noch zutreffend angenommen, dass die Äußerungen des Klägers einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB darstellen können.

a) Dafür kommt neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten in Betracht (vgl. BAG 18. Dezember 2014 - 2 AZR 265/14 - Rn. 15). Zu den Letztgenannten zählt insbesondere die Pflicht der Arbeitsvertragsparteien zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des jeweils anderen Teils (§ 241 Abs. 2 BGB). Der Arbeitnehmer hat seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann.

b) Grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen, die - wie hier - nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten, stellen eine erhebliche Pflichtverletzung dar, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann (vgl. BAG 5. Dezember 2019 - 2 AZR 240/19 - Rn. 77). Allein der Umstand, dass die Äußerungen in einer privaten Chatgruppe gefallen sind, führt nicht dazu, ihnen von vornherein eine Vertragspflichtwidrigkeit abzusprechen, da sie auf Vorgesetzte und Kollegen und damit auf betriebliche Umstände bezogen sind (vgl. BAG 25. April 2018 - 2 AZR 611/17 - Rn. 44; zur disziplinarrechtlichen Relevanz von Äußerungen in einer außerdienstlichen Chatgruppe vgl. auch BVerwG 13. Januar 2022 - 2 WD 4.21 - Rn. 40).

5. Das Berufungsgericht ist aber rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, die Äußerungen des Klägers in der Chatgruppe kämen aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, da es sich um eine vertrauliche Kommunikation gehandelt habe. Das Landesarbeitsgericht hat die Anforderungen verkannt, die vorliegend für die Darlegung einer berechtigten Vertraulichkeitserwartung durch den Kläger gelten (zu dem insoweit eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfungsmaßstab vgl. BAG 24. Februar 2022 - 6 AZR 333/21 - Rn. 19, BAGE 177, 177).

a) Bei ehrverletzenden Äußerungen über nicht anwesende Dritte besteht in besonders engen Lebenskreisen eine beleidigungsfreie Sphäre, wenn die Äußerung Ausdruck des besonderen Vertrauens ist und keine begründete Möglichkeit ihrer Weitergabe besteht (vgl. BVerfG 17. März 2021 - 2 BvR 194/20 - Rn. 33; BVerwG 13. Januar 2022 - 2 WD 4.21 - Rn. 51). Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Zu den Bedingungen der Persönlichkeitsentfaltung gehört es, dass der Einzelne einen Raum besitzt, in dem er unbeobachtet sich selbst überlassen ist oder mit Personen seines besonderen Vertrauens ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Verhaltenserwartungen und ohne Furcht vor Sanktionen verkehren kann. Aus der Bedeutung einer solchen Rückzugsmöglichkeit für die Persönlichkeitsentfaltung folgt, dass der Schutz des Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG auch die Privatsphäre umfasst. An deren Schutz nimmt auch die vertrauliche Kommunikation teil. Gerade bei Äußerungen gegenüber Familienangehörigen und Vertrauenspersonen steht häufig weniger der Aspekt der Meinungskundgabe und die damit angestrebte Einwirkung auf die Meinungsbildung Dritter als der Aspekt der Selbstentfaltung im Vordergrund. Nur unter den Bedingungen besonderer Vertraulichkeit ist dem Einzelnen ein rückhaltloser Ausdruck seiner Emotionen, die Offenbarung geheimer Wünsche oder Ängste, die freimütige Kundgabe des eigenen Urteils über Verhältnisse und Personen oder eine entlastende Selbstdarstellung möglich. In diesen Situationen kann es auch zu Äußerungsinhalten oder -formen kommen, die sich der Einzelne gegenüber (ihm nicht vertrauten) Außenstehenden oder in der Öffentlichkeit nicht gestatten würde. Gleichwohl verdienen sie als Ausdruck der Persönlichkeit und Bedingung ihrer Entfaltung den Schutz des Grundrechts (vgl. BVerfG 17. März 2021 - 2 BvR 194/20 - Rn. 32; BVerwG 13. Januar 2022 - 2 WD 4.21 - Rn. 50). Der Kreis möglicher Vertrauenspersonen ist dabei nicht auf Ehegatten oder Eltern beschränkt, sondern erstreckt sich auf ähnlich enge - auch rein freundschaftliche - Vertrauensverhältnisse. Entscheidend für den grundrechtlichen Schutz der Vertrauensbeziehung ist allerdings, dass ein Verhältnis zwischen den an der Kommunikation beteiligten Personen besteht, das dem Verhältnis vergleichbar ist, wie es in der Regel zu nahestehenden Familienangehörigen besteht (vgl. BVerfG 17. März 2021 - 2 BvR 194/20 - Rn. 34).

b) Dementsprechend hat der Senat bereits in der Vergangenheit angenommen, dass bei der rechtlichen Würdigung von diffamierenden oder ehrverletzenden Äußerungen über Vorgesetzte und/oder Kollegen, die eine außerordentliche fristlose Kündigung an sich rechtfertigen, die Umstände berücksichtigt werden müssen, unter denen sie gefallen sind. Geschah dies in vertraulichen Gesprächen unter Arbeitskollegen, vermögen sie eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht ohne Weiteres zu rechtfertigen. Der Arbeitnehmer darf anlässlich solcher Gespräche regelmäßig darauf vertrauen, seine Äußerungen würden nicht nach außen getragen. Er muss nicht damit rechnen, durch sie werde der Betriebsfrieden gestört und das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber belastet (vgl. BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 534/08 - Rn. 18). Allerdings genügt insoweit nicht eine bloß einseitige Vertraulichkeitserwartung (vgl. BAG 18. November 1999 - 2 AZR 903/98 - zu II 2 a der Gründe). Entscheidend ist, ob der Arbeitnehmer sicher davon ausgehen durfte, dass seine Kollegen die Äußerungen für sich behalten würden (vgl. BAG 17. Februar 2000 - 2 AZR 927/98 - zu II 3 a der Gründe). Eine solche berechtigte Vertraulichkeitserwartung trifft aber nicht ohne Weiteres auf alle Gesprächssituationen unter Arbeitskollegen gleichermaßen zu. So können insbesondere bei Zusammenkünften einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern Zweifel angebracht sein, dass die Gesprächsteilnehmer Äußerungen über den Arbeitgeber oder vorgesetzte Mitarbeiter für sich behalten werden (vgl. BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 534/08 - Rn. 23). Die Vertraulichkeitserwartung ist zudem abhängig von den jeweiligen Gesprächsinhalten. Enthalten diese Äußerungen, durch die der Betriebsfrieden in besonderem Maße gestört und das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber erheblich belastet würde, muss die berechtigte Erwartung des Erklärenden dahingehen, dass seine Gesprächspartner die in seinen Äußerungen liegenden Wertungen teilten bzw. billigten oder er es jedenfalls aufgrund besonderer Umstände für ausgeschlossen hält, dass diese die Gesprächsinhalte an Außenstehende weitergeben.

c) Bei der danach gebotenen Würdigung hat das Landesarbeitsgericht nicht alle relevanten Aspekte berücksichtigt, die für die Beurteilung einer berechtigten Vertraulichkeitserwartung des Klägers von Bedeutung sind. Bei beleidigenden und menschenverachtenden Äußerungen über Betriebsangehörige bedarf es einer besonderen Darlegung, warum der Arbeitnehmer angesichts der Größe und Zusammensetzung des beteiligten Personenkreises berechtigt erwarten durfte, seine Äußerungen würden von keinem Gruppenmitglied an Dritte weitergegeben. In einer Konstellation wie der vorliegenden wird eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung daher nur im Ausnahmefall in Betracht kommen.

aa) Das Landesarbeitsgericht hebt bei seiner Annahme einer Vertraulichkeitserwartung zu Unrecht den Umstand hervor, dass der Nachrichtenaustausch durch von "Ende-zu-Ende" verschlüsselte Daten erfolge. Die vermeintlich sichere Übermittlung der Äußerungen an andere Gesprächsteilnehmer begründet aber kein Vertrauen ihres Absenders dahingehend, dass die Empfänger die an sie übermittelten Inhalte vertraulich behandeln. Maßgeblich ist insoweit nicht das Ausspähen während des Nachrichtenaustauschs, sondern die Weitergabe durch ein Gruppenmitglied, das die Vertraulichkeit nicht in dem - möglicherweise nur einseitig - erwarteten Umfang wahrt.

bb) Den Ausführungen im angefochtenen Urteil ist auch nicht zu entnehmen, warum eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung aus dem bloßen Umstand einer Verwandtschaft zweier Gruppenmitglieder oder dem nicht näher inhaltlich umschriebenen Begriff einer "langjährigen Freundschaft" der Gruppenmitglieder folgen soll. Verwandtschaft allein führt nicht zwingend zu Vertraulichkeit. Die Einordnung einer Beziehung als "langjährige Freundschaft" ist hinsichtlich der zahlreich möglichen Abstufungen - zumal in einer Gruppe mit sieben Personen - ohne relevante Aussagekraft.

cc) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht der Kommunikation in der Chatgruppe über mobile Endgeräte keine maßgebliche Bedeutung für eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung zugemessen. Es hat unberücksichtigt gelassen, dass mobile Endgeräte in Verbindung mit den technischen Möglichkeiten des Messengerdienstes gerade auf leichte Kopierbarkeit und schnelle Weiterleitung eines Datenaustauschs angelegt sind.

dd) Das Landesarbeitsgericht geht begründungslos davon aus, dass die "Chatgruppe ... mit sechs bzw. sieben Mitgliedern noch leicht zu überschauen" gewesen sei. Das ist angesichts von sieben Mitgliedern im fraglichen Zeitraum jedenfalls nicht naheliegend. Der Senat hat eine Vertraulichkeitserwartung ursprünglich bei einer Kommunikation mit ein oder zwei anderen Personen angenommen (vgl. auch BAG 18. November 1999 - 2 AZR 903/98 - zu II 2 a der Gründe). Weshalb dies für sechs andere Personen, an die gleichzeitig dieselbe Äußerung gesandt wird, in gleicher Weise gelten soll, bedarf näherer Begründung. Regelmäßig wird bei jeder Erweiterung des Personenkreises nicht nur die Zahl von Mitwissenden ansteigen, sondern auch eine etwaige Vertraulichkeitserwartung nicht mehr in einem unmittelbar persönlichen Verhältnis wahrgenommen werden. Anders als bei den bisherigen Senatsentscheidungen handelt es sich bei dem Nachrichtenaustausch nicht um eine Kommunikation unter Anwesenden, bei der ein Erklärender aus dem nonverbalen Verhalten der Gesprächsteilnehmer leichter abschätzen kann, ob sie sich - wie häufig bei einem unmittelbaren Gespräch zweier Beteiligter - der Vertraulichkeit der Kommunikation bewusst sind.

ee) Hinzu kommt, dass die Chatgruppe in Bezug auf die Beteiligung ihrer Mitglieder nicht einheitlich war. Von den sieben Mitgliedern haben sich ausweislich des vom Landesarbeitsgericht in Bezug genommenen Chatverlaufs außer dem Kläger nur drei andere in ähnlich aggressiv beleidigender und menschlich herabwürdigender Weise über Vorgesetzte und Kollegen geäußert. Drei Mitglieder der Gruppe beteiligten sich zeitweise nicht an den Chats. Der Kläger hatte deshalb ohne nähere Darlegung keine Veranlassung zu der Annahme, alle Gruppenmitglieder würden in gleicher Weise seine Äußerungen gutheißen und keine Veranlassung sehen, sich angesichts der Nachhaltigkeit seiner Beschimpfungen und Gewaltphantasien an Außenstehende zu wenden. Dies gilt insbesondere für das im November 2020 neu aufgenommene Chatgruppen-Mitglied, das sich zwar auch an den Chats beteiligte, aber bereits aus dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten ausgeschieden war und deshalb für den Fall eines Bekanntwerdens der Chats weniger "zu verlieren" hatte als der Kläger. Soweit dieser in seiner Revisionserwiderung meint, die Chatgruppe habe "quasi eine Schicksalsgemeinschaft" mit absolutem Stillschweigen gebildet, blendet dies die vorübergehende Mitgliedschaft des neu hinzugetretenen Teilnehmers aus, auf den dieser Aspekt gerade nicht zutraf.

ff) Das Berufungsgericht stellt zu Unrecht darauf ab, in der Chatgruppe würden seit dem Jahr 2014 Nachrichten ausgetauscht, ohne dass diese Außenstehenden bekannt geworden seien. Unabhängig davon, dass es an Feststellungen fehlt, ob in dieser zurückliegenden Zeit Chats mit ähnlich beleidigendem Inhalt ausgetauscht wurden, an denen Dritte ein Interesse gehabt haben können, konnte der Kläger daraus schon deshalb keine berechtigte Vertraulichkeitserwartung ableiten, weil im November 2020 ein neues Gruppenmitglied aufgenommen worden war. Dies lässt es nicht zu, wegen einer etwaigen bisherigen Vertraulichkeit auch eine zukünftige zu erwarten. Das zeigt der vorliegende Rechtsstreit in aller Deutlichkeit, wo es gerade das neu aufgenommene und nach zwei Monaten wieder ausgeschiedene Gruppenmitglied war, durch das Außenstehende letztlich von den Chats erfuhren.

gg) Das Berufungsgericht hat sich nicht mit der Frage beschäftigt, ob es bei Äußerungen, die in besonderer Weise menschenverachtend sind oder nachhaltig zu Gewalt aufstacheln, überhaupt eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung geben kann (vgl. BAG 27. September 2022 - 2 AZR 5/22 - Rn. 20). Damit hat es nicht in den Blick genommen, dass je nach Inhalt der Äußerungen eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung schon deshalb ausscheiden kann, weil es nicht fernliegt, dass ein Chatgruppen-Mitglied aus Entrüstung, moralischen Bedenken (vgl. BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 534/08 - Rn. 26) oder auch aus Prahlerei und Imponiergehabe die Äußerungen einem außenstehenden Dritten offenbart.

6. Wegen dieses Rechtsfehlers ist das Berufungsurteil betreffend den Bestandsschutzantrag des Klägers aufzuheben. Das angefochtene Urteil erweist sich nicht aus anderen Gründen als zutreffend (vgl. § 561 ZPO). Bei richtiger Beurteilung der Darlegungslast für eine besondere Vertraulichkeitserwartung der dem Kläger vorgeworfenen Äußerungen hätte das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis kommen können, dass nach seinem bisher gehaltenen Vorbringen die ihm gegenüber ausgesprochene außerordentliche fristlose Kündigung wirksam ist. Hierüber kann der Senat jedoch aus Gründen des fairen Verfahrens nicht selbst entscheiden (vgl. § 563 Abs. 3 ZPO).

a) Das Landesarbeitsgericht wird dem Kläger im fortgesetzten Berufungsverfahren unter Berücksichtigung der oben beschriebenen Maßstäbe Gelegenheit geben, substantiiert darzulegen, warum er eine berechtigte und nicht nur eine einseitige, subjektive Vertraulichkeitserwartung haben durfte, dass nicht ein einziges Gruppenmitglied seine Äußerungen Dritten offenbart, wofür bislang nichts spricht.

b) Soweit das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommen sollte, es liege ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB vor, hat es im Rahmen einer Interessenabwägung weiter zu prüfen, ob der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zu seiner bereits vereinbarten Beendigung nicht zugemutet werden konnte, was es bislang - nach seiner Begründungslinie konsequent - unterlassen hat.

7. Der Aufhebung und Zurückverweisung unterliegt auch die Entscheidung des Berufungsgerichts über den vom Kläger geltend gemachten Annahmeverzugsanspruch.

a) Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt keine Berichtigung des Tenors des Berufungsurteils nach § 319 ZPO in Betracht.

aa) Nach § 319 Abs. 1 ZPO ist eine Berichtigung nur bei Schreib- oder Rechenfehlern oder ähnlichen offenbaren Unrichtigkeiten zulässig. Darunter fällt nur eine versehentliche Abweichung des vom Gericht Erklärten gegenüber dem von ihm ersichtlich Gewollten, nicht aber eine Änderung des vom Gericht Gewollten (vgl. BGH 27. Juni 2023 - II ZR 94/21 - Rn. 4). Diese Abweichung muss zudem "offenbar" sein, sich also aus dem Zusammenhang der Entscheidung selbst oder zumindest aus den Vorgängen bei ihrem Erlass oder ihrer Verkündung nach außen deutlich ergeben und damit auch für Dritte ohne Weiteres erkennbar sein (vgl. BAG 22. März 2018 - 8 AZR 779/16 - Rn. 22, BAGE 162, 275; BGH 26. Januar 2023 - III ZR 69/21 - Rn. 3). Eine solche Berichtigung kann auch vom Rechtsmittelgericht durchgeführt werden (vgl. BAG 23. Februar 2022 - 10 ABR 33/20 - Rn. 62).

bb) Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

(1) Das Landesarbeitsgericht hat im Tenor seiner Entscheidung die Berufung der Beklagten insgesamt - also auch soweit das Arbeitsgericht dem Kläger Annahmeverzugsvergütung für den Zeitraum August bis Dezember 2021 zugesprochen hat - zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen führt es allerdings aus, die Berufung der Beklagten sei bezüglich der Annahmeverzugsvergütung begründet. Die Klage sei unschlüssig geworden, da der Kläger in der Berufungsverhandlung bekundet habe, seit Ausspruch der Kündigung arbeitsunfähig erkrankt gewesen zu sein. Damit fehle es an der für einen Annahmeverzugsanspruch erforderlichen Leistungsfähigkeit, ohne dass der Kläger genügende Angaben für einen Entgeltfortzahlungsanspruch gemacht habe. Das habe die Kammer bei ihrer Entscheidung nicht erkannt.

(2) Damit stellt das Berufungsgericht selbst klar, dass das von ihm im Tenor seiner Entscheidung Erklärte dem von ihm bei Verkündung des Urteils Gewollten entsprach. Lediglich bei der Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe ist es zu der Auffassung gelangt, dass seine Entscheidung bezüglich des Annahmeverzugsanspruchs inhaltlich falsch sei. Das lässt aber keine Berichtigung nach § 319 ZPO zu.

b) Auf die Revision der Beklagten ist das Berufungsurteil bezüglich des Annahmeverzugsanspruchs bereits deshalb nach § 562 Abs. 1 ZPO aufzuheben, weil dieser vom Bestandsschutzantrag abhängig ist. Der Senat kann nicht nach § 563 Abs. 3 ZPO in der Sache selbst entscheiden. Für den Fall eines Erfolgs seines Bestandsschutzantrags muss der Kläger Gelegenheit haben, zu der bislang in den Vorinstanzen nicht weiter thematisierten Frage eines etwaigen Entgeltfortzahlungsanspruchs vorzutragen. Soweit sich der Bestandsschutzantrag des Klägers als unbegründet erweisen sollte, wird das Landesarbeitsgericht aufzuklären haben, ob der Zahlungsantrag ein nur für den Fall des diesbezüglichen Obsiegens gestellter unechter Hilfsantrag sein soll (vgl. BAG 11. Juni 2020 - 2 AZR 660/19 - Rn. 39, BAGE 171, 84).

III.

Das Landesarbeitsgericht hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.

Koch

Niemann

Schlünder

Grimberg

Klein

(1) Das Revisionsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Revision an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Revision als unzulässig zu verwerfen.

(2) Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen.

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.

(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.

(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.

(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.

(1) Der Revisionskläger muss die Revision begründen.

(2) Die Revisionsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Revisionsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Revisionsgericht einzureichen. Die Frist für die Revisionsbegründung beträgt zwei Monate. Sie beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. § 544 Absatz 8 Satz 3 bleibt unberührt. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu zwei Monate verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Revisionskläger erhebliche Gründe darlegt; kann dem Revisionskläger innerhalb dieser Frist Einsicht in die Prozessakten nicht für einen angemessenen Zeitraum gewährt werden, kann der Vorsitzende auf Antrag die Frist um bis zu zwei Monate nach Übersendung der Prozessakten verlängern.

(3) Die Revisionsbegründung muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten und dessen Aufhebung beantragt werde (Revisionsanträge);
2.
die Angabe der Revisionsgründe, und zwar:
a)
die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt;
b)
soweit die Revision darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.
Ist die Revision auf Grund einer Nichtzulassungsbeschwerde zugelassen worden, kann zur Begründung der Revision auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde Bezug genommen werden.

(4) § 549 Abs. 2 und § 550 Abs. 2 sind auf die Revisionsbegründung entsprechend anzuwenden.

(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das Urteil des Landesarbeitsgerichts auf der Verletzung einer Rechtsnorm beruht. Sie kann nicht auf die Gründe des § 72b gestützt werden.

(2) § 65 findet entsprechende Anwendung.

(1) Insoweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Wird das Urteil wegen eines Mangels des Verfahrens aufgehoben, so ist zugleich das Verfahren insoweit aufzuheben, als es durch den Mangel betroffen wird.

(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen.

(2) Das Berufungsgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(3) Das Revisionsgericht hat jedoch in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist.

(4) Kommt im Fall des Absatzes 3 für die in der Sache selbst zu erlassende Entscheidung die Anwendbarkeit von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, in Frage, so kann die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.

Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Im Falle des § 2 ist die Klage auf Feststellung zu erheben, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist. Hat der Arbeitnehmer Einspruch beim Betriebsrat eingelegt (§ 3), so soll er der Klage die Stellungnahme des Betriebsrats beifügen. Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer ab.

(1) Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit kann Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis oder die Echtheit oder Unechtheit der Urkunde durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde.

(2) Bis zum Schluss derjenigen mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, kann der Kläger durch Erweiterung des Klageantrags, der Beklagte durch Erhebung einer Widerklage beantragen, dass ein im Laufe des Prozesses streitig gewordenes Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil abhängt, durch richterliche Entscheidung festgestellt werde.

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 18. Oktober 2017 - 5 Sa 8/17 - wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob die Abberufung der Klägerin als Fachleiterin für den sprachlichen Bereich an einem Gymnasium wirksam ist.

2

Die Klägerin arbeitet seit dem Jahr 2001 auf Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrags vom 23. März 2001 sowie eines Änderungsvertrags vom 6. August 2013 beim beklagten Freistaat als sog. vollbeschäftigte Lehrkraft an einem Gymnasium. Aufgrund einzelvertraglicher Bezugnahme richtete sich die Eingruppierung der Klägerin bis zum 31. Juli 2015 nach den Richtlinien des Freistaates Sachsen zur Eingruppierung der im Arbeitnehmerverhältnis beschäftigten Lehrkräfte an öffentlichen Schulen (Sächsische Lehrer-Richtlinien - SächsLehrerRL) und ab dem 1. August 2015 nach dem Tarifvertrag über die Eingruppierung und die Entgeltordnung für die Lehrkräfte der Länder (TV EntgO-L).

3

Mit Wirkung zum 1. Mai 2012 übertrug der Beklagte der Klägerin unter Berufung auf sein Weisungsrecht zusätzlich die Tätigkeit als Fachleiterin für den sprachlichen Fachbereich an dem Gymnasium, an dem sie bereits beschäftigt wurde. In dem Schreiben vom 7. Mai 2012 wird eine Bewährungszeit bis zum 30. April 2013 festgelegt, nach deren erfolgreichem Ablauf eine Höhergruppierung von der bisherigen Entgeltgruppe 13 TV-L in die Entgeltgruppe 14 TV-L geprüft werde. Mit Wirkung zum 1. Mai 2013 wurde die Klägerin in die Entgeltgruppe 14 TV-L höhergruppiert.

4

Im Dezember 2015 und Januar 2016 kam es wegen eines Flyers, in dem die Klägerin als eigene Leistung ein Sprach- und Ausdruckstraining unter der Marke des Gymnasiums angeboten und in Umlauf gebracht hatte, zu Gesprächen mit der Schulleiterin und Vertreterinnen der Sächsischen Bildungsagentur. Der Beklagte wertete den Verlauf dieser Gespräche als Ausdruck einer Störung der Kommunikation und der vertrauensvollen Zusammenarbeit. Er berief die Klägerin Ende Januar 2016 mit sofortiger Wirkung von ihrer Tätigkeit als Fachleiterin ab. Die Klägerin wird weiterhin als Lehrkraft an dem Gymnasium beschäftigt und nach Entgeltgruppe 14 TV-L vergütet.

5

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Abberufung als Fachleiterin sei unwirksam. Die Fachleitertätigkeit sei Gegenstand ihres vertraglichen Beschäftigungsanspruchs und könne ihr nicht in Ausübung des Direktionsrechts durch den Beklagten entzogen werden, zumal der Übertragung ein Bewerbungsverfahren vorausgegangen sei und anschließend eine Bewährungszeit gegolten habe. Jedenfalls entspreche die Abberufung als Fachleiterin nicht billigem Ermessen. Es treffe nicht zu, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen ihr und der Schulleiterin nicht mehr gegeben sei. Die Maßnahme sei auch aus personalvertretungsrechtlichen Gründen unwirksam.

6

Die Klägerin hat beantragt

        

festzustellen, dass die Verfügung des Beklagten vom 28. Januar 2016, mit der sie mit sofortiger Wirkung von der Tätigkeit als Fachleiterin für den sprachlichen Fachbereich am Sächsischen Landesgymnasium „S“ M abberufen wurde, unwirksam und nicht geeignet ist, ihr die genannte Arbeitsaufgabe zu entziehen.

7

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Fachleitertätigkeit sei der Klägerin nicht durch eine Vertragsänderung übertragen worden und könne ihr wieder im Rahmen des arbeitgeberseitigen Weisungsrechts entzogen werden. Die Ausübung des Direktionsrechts entspreche billigem Ermessen, weil zwischen Schulleiterin und Fachleiterin kein Vertrauensverhältnis mehr bestanden habe. Der Personalrat sei nicht zu beteiligen gewesen. Mit der Abberufung als Fachleiterin sei der Klägerin keine niedriger zu bewertende Tätigkeit übertragen worden.

8

Das Arbeitsgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen. Die Berufung der Klägerin war ohne Erfolg. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet. Der Beklagte hat der Klägerin die Funktion als Fachleiterin für den sprachlichen Bereich des Gymnasiums, an dem sie als Lehrkraft beschäftigt wird, wirksam entzogen.

10

I. Die Klage, mit der die Klägerin im Rahmen eines Feststellungsantrags die Unwirksamkeit der Ausübung des Weisungsrechts durch den Arbeitgeber rügt, ist zulässig (vgl. BAG 18. Oktober 2017 - 10 AZR 47/17 - Rn. 12, BAGE 160, 325). Die von der Klägerin begehrte Feststellung betrifft den Umfang ihrer Leistungspflicht. Sie ist geeignet, die Reichweite des Direktionsrechts des Beklagten klarzustellen. Soweit der Klageantrag ohne nähere Begründung auch auf die Feststellung gerichtet ist, dass die Abberufungsverfügung „nicht geeignet ist, der Klägerin die genannte Arbeitsaufgabe zu entziehen“, handelt es sich um ein überflüssiges unselbständiges Anhängsel, dem keine eigene prozessrechtliche Bedeutung zukommt.

11

II. Die Klage ist unbegründet.

12

1. Der Beklagte konnte der Klägerin die Funktion als Fachleiterin im Weg des Weisungsrechts (§ 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB) entziehen. Dieser Teil ihrer Tätigkeit ist nicht Inhalt des Arbeitsvertrags der Parteien geworden. Das Weisungsrecht ist auch nicht durch eine Selbstbindung des Beklagten beschränkt.

13

a) Nach § 106 Satz 1 GewO kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit die Arbeitsbedingungen nicht durch Arbeitsvertrag, Tarifvertrag, Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung oder Gesetz festgelegt sind. Das Direktionsrecht des Arbeitgebers dient nur der Konkretisierung des vertraglich vereinbarten Tätigkeitsinhalts, beinhaltet aber nicht das Recht zu einer Änderung des Vertragsinhalts (vgl. BAG 25. August 2010 - 10 AZR 275/09 - Rn. 22, BAGE 135, 239). Der Arbeitnehmer hat einen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung; eine Zuweisung geringerwertiger Tätigkeiten ist auch dann unzulässig, wenn die bisherige Vergütung fortgezahlt wird (st. Rspr., zB BAG 16. Oktober 2013 - 10 AZR 9/13 - Rn. 24).

14

b) Der Klägerin ist die zusätzliche Tätigkeit als Fachleiterin vom Beklagten im Weg des Weisungsrechts und nicht durch eine Vertragsänderung übertragen worden.

15

aa) Es kann offenbleiben, ob es sich bei dem Übertragungsschreiben vom 7. Mai 2012 und bei dem Änderungsvertrag vom 6. August 2013 um individuelle oder um sog. typische Willenserklärungen oder um allgemeine Geschäftsbedingungen handelt. Das Landesarbeitsgericht hat hierzu keine Feststellungen getroffen. Die Auslegung nichttypischer Vertragserklärungen durch die Tatsachengerichte ist in der Revisionsinstanz nur daraufhin überprüfbar, ob sie gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verstößt oder wesentliche Umstände unberücksichtigt lässt und ob sie rechtlich möglich ist. Die Auslegung typischer Willenserklärungen und allgemeiner Geschäftsbedingungen durch das Berufungsgericht ist dagegen in der Revisionsinstanz in vollem Umfang nachprüfbar (BAG 18. Oktober 2017 - 10 AZR 330/16 - Rn. 26, BAGE 160, 296; 2. Juli 2008 - 10 AZR 378/07 - Rn. 25). Die Auslegung der Erklärungen der Parteien durch das Landesarbeitsgericht hält im Ergebnis auch einer vollen Überprüfung am Maßstab der §§ 133, 157 BGB stand.

16

bb) Mit Schreiben vom 7. Mai 2012 wurde der Klägerin die Tätigkeit als Fachleiterin ausdrücklich in Ausübung des arbeitgeberseitigen Weisungsrechts übertragen, wie es auch in IV Nr. 1 der Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus über Fachleiter und Fachberater an öffentlichen Schulen vom 19. März 2008 (VwV-FL/FB) vorgesehen ist. Eine Vertragsergänzung war für die Übertragung nicht notwendig. Nach dem Arbeitsvertrag vom 23. März 2001 wurde die Klägerin als sog. vollbeschäftigte Lehrkraft eingestellt. Diese Tätigkeit ist auch nach Übertragung der Fachleitertätigkeit prägend. Sie wird nur um Elemente ergänzt, die ebenfalls zum schulischen Bereich gehören. Fachleiter unterstützen den Schulleiter nach II Nr. 3 Buchst. a VwV-FL/FB bei der Qualitätsentwicklung und bei organisatorischen Aufgaben im jeweiligen Fachbereich. Die enge Verknüpfung mit der Tätigkeit als Lehrkraft wird auch an IV Nr. 1 und Nr. 3 VwV-FL/FB deutlich, wonach die Aufgabe eines Fachleiters (nur) an eine Lehrkraft übertragen werden kann. Dabei steht auch für einen Fachleiter die Tätigkeit als Lehrkraft im Vordergrund. Die arbeitsvertraglichen Regelungen bleiben nach IV Nr. 1 Satz 2 VwV-FL/FB unberührt. Nach II Nr. 3 Buchst. c VwV-FL/FB werden dem Fachleiter für die Wahrnehmung der Aufgaben zwar Anrechnungsstunden gewährt. Fachleiter sollen aber mit mehr als der Hälfte der Unterrichtsstunden, die sie ohne die Fachleitertätigkeit zu erteilen hätten, im Unterricht eingesetzt werden (vgl. demgegenüber zur Übertragung der Funktion einer sozialen Ansprechpartnerin BAG 30. September 2015 - 10 AZR 251/14 - Rn. 13 ff., BAGE 153, 32; eines Datenschutzbeauftragten BAG 23. März 2011 - 10 AZR 562/09 - Rn. 29; einer Fachkraft für Arbeitssicherheit BAG 15. Dezember 2009 - 9 AZR 769/08 - Rn. 51, BAGE 133, 1; eines Abfallbeauftragten BAG 26. März 2009 - 2 AZR 633/07 - Rn. 20, BAGE 130, 166).

17

cc) Das in IV Nr. 2 und Nr. 3 VwV-FL/FB vorgesehene Bewerbungs- und Auswahlverfahren und das damit einhergehende Einverständnis der Lehrkraft zu der Aufgabenübertragung steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Das Einverständnis der Klägerin ist nur ein bei Ausübung des Direktionsrechts nach billigem Ermessen zu berücksichtigendes Kriterium. Dieser Umstand führt aber nicht dazu, dass ein konkludenter Änderungsvertrag bezogen auf den Tätigkeitsinhalt angenommen werden kann (vgl. BAG 17. Dezember 1997 - 5 AZR 332/96 - zu II 2 b der Gründe, BAGE 87, 311). Es gibt keinen erkennbaren Grund, weshalb der Beklagte sich entgegen der Konzeption in IV VwV-FL/FB in einer sein Weisungsrecht einschränkenden Form hätte vertraglich binden wollen.

18

dd) Der schriftliche Änderungsvertrag vom 6. August 2013 enthält keine Regelung zum Einsatz der Klägerin als Fachleiterin. Vielmehr ist der Beklagte nach § 1 Abs. 3 des Änderungsvertrags berechtigt, der Klägerin aus dienstlichen Gründen eine andere Tätigkeit im Rahmen der Entgeltgruppe 14 TV-L zuzuweisen. Die im Änderungsvertrag aufgeführte Eingruppierung der Klägerin in Entgeltgruppe 14 TV-L selbst ist nicht an die Übertragung der Aufgaben als Fachleiterin gebunden, wie sich aus dem damals geltenden Abschnitt A III SächsLehrerRL ergab, wo diese Tätigkeit nicht erwähnt wird. Es handelt sich gegenüber der Eingruppierung in die Entgeltgruppe 13 TV-L um eine im Rahmen der vom Haushaltsgesetzgeber zur Verfügung gestellten Stellen ermessensfehlerfrei zu vergebende Beförderungsstelle mit denselben Eingruppierungsmerkmalen (vgl. auch Rn. 28).

19

c) Da die Tätigkeit als Fachleiterin nicht Inhalt des vertraglichen Beschäftigunganspruchs der Klägerin geworden ist, kann der Beklagte der Klägerin im Rahmen billigen Ermessens (§ 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB) eine Tätigkeit auch ohne diese Aufgabe zuweisen.

20

aa) Das Direktionsrecht des Beklagten ist nicht durch eine Selbstbindung in der Weise beschränkt, dass der Klägerin die Tätigkeit als Fachleiterin nicht wieder entzogen werden kann. Ein öffentlicher Arbeitgeber kann sich in der Ausübung seines Ermessens allerdings selbst binden, vor allem durch entsprechende Verwaltungsvorschriften (BAG 11. Oktober 1995 - 5 AZR 1009/94 - zu I 2 der Gründe). Eine Selbstbindung ist dabei auch ohne entsprechende Verwaltungsvorschriften möglich, etwa durch mündliche Erklärungen (BAG 17. Dezember 1997 - 5 AZR 332/96 - zu IV 3 der Gründe, BAGE 87, 311). Dafür gibt es hier keine Anhaltspunkte.

21

(1) IV Nr. 5 Satz 1 VwV-FL/FB sieht die Möglichkeit der Entbindung von der Tätigkeit als Fachleiter ausdrücklich für den Fall vor, dass dies im dienstlichen Interesse liegt. Auf nichts anderes beruft sich der Beklagte. Weitere Voraussetzungen begründet die VwV-FL/FB nicht.

22

(2) Das Bewerbungsverfahren um die Stelle als Fachleiterin diente erkennbar der Ausübung billigen Ermessens bei der Übertragung der Tätigkeit. Es lässt keine Rückschlüsse darauf zu, ob und unter welchen Umständen die Klägerin von dieser Tätigkeit wieder entbunden werden kann.

23

(3) Die im Schreiben vom 7. Mai 2012 mitgeteilte Bewährungszeit von einem Jahr bis 30. April 2013 war nur im Rahmen der später erfolgten Höhergruppierung relevant. Das Schreiben lässt aber nicht den Schluss zu, im Fall einer einmaligen einjährigen Bewährung werde die Fachleitertätigkeit - in Abweichung von IV Nr. 5 Satz 1 VwV-FL/FB - endgültig und ohne die Möglichkeit künftiger Entbindung hiervon zugewiesen.

24

(4) Die letzte schriftliche arbeitsvertragliche Vereinbarung der Parteien vom 6. August 2013, die zum 1. Mai 2013 in Kraft trat, beinhaltet keine Aussagen zur Fachleitertätigkeit der Klägerin. Anderweitige mündliche Abreden, aus denen sich eine Selbstbindung des Beklagten ableiten ließe, behauptet die Klägerin nicht.

25

bb) Für die Entziehung der Funktion als Fachleiterin mit Schreiben vom 28. Januar 2016, die der Sache nach die Zuweisung einer Tätigkeit ausschließlich mit Aufgaben einer Lehrkraft an einem Gymnasium bedeutet, besteht ein dienstliches Interesse iSv. IV Nr. 5 VwV-FL/FB. Die Grenzen billigen Ermessens nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB wurden dabei durch den Beklagten gewahrt.

26

(1) Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen (§ 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB) verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. In die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Dem Inhaber des Bestimmungsrechts nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 Abs. 1 BGB verbleibt für die rechtsgestaltende Leistungsbestimmung ein nach billigem Ermessen auszufüllender Spielraum. Innerhalb dieses Spielraums können dem Bestimmungsberechtigten mehrere Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Dem Gericht obliegt nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB die Prüfung, ob der Arbeitgeber als Gläubiger die Grenzen seines Bestimmungsrechts beachtet hat. Bei dieser Prüfung kommt es nicht auf die vom Bestimmungsberechtigten angestellten Erwägungen an, sondern darauf, ob das Ergebnis der getroffenen Entscheidung den gesetzlichen Anforderungen genügt. Die Darlegungs- und Beweislast für die Einhaltung dieser Grenzen hat der Bestimmungsberechtigte. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Ausübungskontrolle ist der Zeitpunkt, zu dem der Arbeitgeber die Ermessensentscheidung zu treffen hatte (st. Rspr., BAG 24. Mai 2018 - 6 AZR 116/17 - Rn. 39; 18. Oktober 2017 - 10 AZR 330/16 - Rn. 45 mwN, BAGE 160, 296).

27

(2) Der Begriff des billigen Ermessens bei der Ausübung des Weisungsrechts iSv. § 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Bei dessen Anwendung steht dem Tatsachengericht ein Beurteilungsspielraum zu. Dies gilt auch im Fall der Kontrolle der Ausübung des Weisungsrechts nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB(vgl. ausführlich BAG 18. Oktober 2017 - 10 AZR 330/16 - Rn. 46 ff., BAGE 160, 296). Der Beurteilungsspielraum des Tatsachengerichts ist vom Revisionsgericht nur darauf zu überprüfen, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob das Urteil in sich widerspruchsfrei ist (BAG 24. Mai 2018 - 6 AZR 116/17 - Rn. 41).

28

(3) Die mit der Entbindung von der Fachleitertätigkeit im Ergebnis erfolgte Zuweisung einer (ausschließlichen) Tätigkeit als Lehrkraft an dem Gymnasium wahrt die Grenzen des dem Beklagten zustehenden Direktionsrechts. Nach § 1 Abs. 3 des Änderungsvertrags vom 6. August 2013 ist der Beklagte berechtigt, der Klägerin eine andere Tätigkeit im Rahmen der Entgeltgruppe 14 TV-L zuzuweisen. Die Eingruppierungsregelungen des Anhangs 2 zu Abschnitt 6 der Anlage zum TV EntgO-L sind in A III Entgeltgruppen 13 und 14 wortgleich mit Abschnitt A III Entgeltgruppen 13 und 14 der SächsLehrerRL und setzen für eine Eingruppierung in Entgeltgruppe 14 TV-L nur eine bestimmte Ausbildung und Tätigkeit als Lehrkraft sowie eine Ermessenentscheidung des Beklagten bei der Übertragung einer solchen Beförderungsstelle voraus. Eine Tätigkeit als Fachleiterin gehört nicht zu den Eingruppierungsmerkmalen. Eine (ausschließliche) Beschäftigung als Lehrkraft an einem Gymnasium stellt eine eingruppierungsgemäße Tätigkeit dar.

29

(4) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, der Beklagte habe mit seiner Aufhebung der Bestellung als Fachleiterin vom 28. Januar 2016 billiges Ermessen gewahrt, hält einer Überprüfung nach revisionsrechtlichen Grundsätzen stand.

30

(a) Das Landesarbeitsgericht ist unter Heranziehung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts von zutreffenden Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Es hat alle von den Parteien vorgetragenen Umstände in den Blick genommen und diese in sich widerspruchsfrei gewürdigt. Dabei hat es zutreffend angenommen, dass es Sache des Arbeitgebers ist zu entscheiden, wie er auf Konfliktlagen reagieren will (BAG 24. April 1996 - 5 AZR 1031/94 - zu 2 c der Gründe).

31

(b) Das Landesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, dass das Interesse des Beklagten an einer störungsfreien Kommunikation zwischen Fachleiter und Schulleitung ein wesentliches Kriterium für deren vertrauensvolle Zusammenarbeit ist und ein Problem in diesem Bereich ein Grund für die Abberufung sein kann. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, das dabei die Gesprächsprotokolle und die Aussage der Zeugin ohne erkennbare Rechtsfehler gewürdigt hat, ist das Verhältnis zwischen der Klägerin und der Schulleiterin und deren Kommunikation gestört, wobei die Klägerin mit ihrem Verhalten in verschiedenen Gesprächen eine gesteigerte Konfliktlage eröffnet hat. Daraus hat das Landesarbeitsgericht den nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßenden Schluss gezogen, dass das anerkennenswerte Interesse des Beklagten an einer störungsfreien Kommunikation sowie einer vertrauensvollen Zusammenarbeit bei weiterer Ausübung der Fachleitertätigkeit durch die Klägerin beeinträchtigt wird. Unbeschadet des Streits um die Ursache der Konfliktlage ist die Entbindung der Klägerin von der Tätigkeit einer Fachleiterin, in der sie in besonderer Weise mit der Schulleiterin zusammenarbeiten muss, ein geeignetes Mittel, um die Situation zu entschärfen.

32

(c) Die von der Revision hiergegen erhobenen Rügen greifen nicht durch.

33

(aa) Entgegen der Ansicht der Klägerin war der Beklagte vor Zuweisung einer Tätigkeit ohne die Funktion als Fachleiterin insbesondere nicht gehalten, eine Abmahnung auszusprechen, zumal diese angesichts der in ihr enthaltenen Kündigungsandrohung nicht als „milderes Mittel“ angesehen werden kann (vgl. BAG 24. April 1996 - 5 AZR 1031/94 - zu 2 c der Gründe). Eine vorherige Anhörung - etwa entsprechend der Anhörungspflicht bei Abordnungen oder Versetzungen an einen anderen Dienstort iSd. § 4 Abs. 1 Satz 2 TV-L - sieht IV Nr. 5 VwV-FL/FB für die Entziehung der Fachleitertätigkeit nicht vor. Für die von der Klägerin behauptete „Bestrafung“ und damit ggf. die Verletzung des Maßregelungsverbots nach § 612a BGB fehlt es an näherem Vortrag.

34

(bb) Das Landesarbeitsgericht hat bei der Überprüfung des billigen Ermessens auch nicht zu Unrecht berechtigte Interessen der Klägerin unberücksichtigt gelassen. Das Landesarbeitsgericht hat alle von den Parteien vorgetragenen Umstände in den Blick genommen. Die Klägerin hat selbst nur Angaben dazu gemacht, dass mangels Störung der Kommunikation eine Entbindung von der Fachleitertätigkeit ermessensfehlerhaft sei. Weitere Umstände, wonach sie durch eine Entziehung dieser zusätzlichen Aufgabe in ihren Interessen beeinträchtigt wäre, hat sie nicht vorgetragen. Denkbar ist deshalb auch, dass sie wegen künftig geringerer Aufgaben entlastet ist. Derartige Interessen sind ferner nicht in der Weise offenkundig, dass sie vom Berufungsgericht auch ohne ausdrücklichen Vortrag der Klägerin hätten berücksichtigt werden müssen.

35

(cc) Die von der Klägerin erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht als durchgreifend erachtet (vgl. § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 564 Satz 1 ZPO).

36

2. Die Entbindung der Klägerin von der Fachleitertätigkeit ist auch nicht unwirksam, weil der Personalrat nicht beteiligt wurde. Diesem stand kein Mitbestimmungsrecht zu. Insbesondere liegt kein Fall des § 80 Abs. 1 Nr. 2 SächsPersVG vor.

37

a) Die Entbindung der Klägerin von der Fachleitertätigkeit und die damit verbundene ausschließliche Zuweisung einer Tätigkeit als Lehrkraft an einem Gymnasium stellt keine Übertragung einer niedriger zu bewertenden Tätigkeit iSv. § 80 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 1 SächsPersVG dar. Dies wäre nur der Fall, wenn die der Klägerin nun zugewiesene Gesamttätigkeit nicht den Tatbestandsmerkmalen der bisherigen Entgeltgruppe entspräche (vgl. zu § 75 Abs. 1 Nr. 2 BPersVG BAG 27. April 1988 - 4 AZR 691/87 -). Die ausschließliche Zuweisung einer Tätigkeit als Lehrkraft mit Lehrbefähigung für zwei Fächer an einem Gymnasium mit einer bestimmten Dauer wird aber von der bisherigen Eingruppierung der Klägerin in die Entgeltgruppe 14 TV-L nach A III des Anhangs 2 zu Abschnitt 6 der Anlage zum TV EntgO-L gedeckt (vgl. Rn. 28). Die zusätzliche Tätigkeit als Fachleiterin als solche begründet keine höhere Eingruppierung (vgl. zur Übertragung einer Fachberatertätigkeit BVerwG 28. August 2008 - 6 P 12.07 - Rn. 28).

38

b) Ein Mitbestimmungsrecht des Personalrats ist daher auch nicht nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 2 SächsPersVG gegeben. Der Beklagte hat keine Rückgruppierung der Klägerin durchgeführt. Der Entzug der Fachleiterfunktion stellt keine Vorentscheidung für eine künftige Rückgruppierung in die Entgeltgruppe 13 TV-L dar.

39

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Gallner    

        

    Brune    

        

    Schlünder    

        

        

        

    Merkel    

        

    Schumann    

                 

(1) Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.

(2) Hat der Betriebsrat gegen eine ordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen. Äußert er sich innerhalb dieser Frist nicht, gilt seine Zustimmung zur Kündigung als erteilt. Hat der Betriebsrat gegen eine außerordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen, schriftlich mitzuteilen. Der Betriebsrat soll, soweit dies erforderlich erscheint, vor seiner Stellungnahme den betroffenen Arbeitnehmer hören. § 99 Abs. 1 Satz 3 gilt entsprechend.

(3) Der Betriebsrat kann innerhalb der Frist des Absatzes 2 Satz 1 der ordentlichen Kündigung widersprechen, wenn

1.
der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat,
2.
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 verstößt,
3.
der zu kündigende Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann,
4.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich ist oder
5.
eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Vertragsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat.

(4) Kündigt der Arbeitgeber, obwohl der Betriebsrat nach Absatz 3 der Kündigung widersprochen hat, so hat er dem Arbeitnehmer mit der Kündigung eine Abschrift der Stellungnahme des Betriebsrats zuzuleiten.

(5) Hat der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen, und hat der Arbeitnehmer nach dem Kündigungsschutzgesetz Klage auf Feststellung erhoben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, so muss der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers diesen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen. Auf Antrag des Arbeitgebers kann das Gericht ihn durch einstweilige Verfügung von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung nach Satz 1 entbinden, wenn

1.
die Klage des Arbeitnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint oder
2.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen würde oder
3.
der Widerspruch des Betriebsrats offensichtlich unbegründet war.

(6) Arbeitgeber und Betriebsrat können vereinbaren, dass Kündigungen der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen und dass bei Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung der Nichterteilung der Zustimmung die Einigungsstelle entscheidet.

(7) Die Vorschriften über die Beteiligung des Betriebsrats nach dem Kündigungsschutzgesetz bleiben unberührt.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

Tenor

1. Der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 7. Februar 2017 - 1 VollzWs 479/16 (271/16) - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes.

2. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht zurückverwiesen.

3. Das Land Schleswig-Holstein hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft das Auslesen, die Sicherung und die weitere Verwertung einer von dem im Maßregelvollzug untergebrachten Beschwerdeführer auf einem Klinikrechner erstellten und dort versteckt gespeicherten Textdatei mit autobiografischem Inhalt durch die Klinik.

A.

I.

2

1. Der Beschwerdeführer ist auf Grundlage des Urteils des Landgerichts Lübeck vom 7. Oktober 2014 gemäß § 63 StGB wegen Mordes in einem psychiatrischen Krankenhaus der AMEOS Krankenhausgesellschaft Holstein mbH untergebracht, nachdem er im schuldunfähigen Zustand auf Grund einer wahnhaften Störung im Januar 2014 seine vierjährige Tochter und seinen sechs Jahre alten Sohn getötet hatte.

3

2. Im Sommer 2016 stellte die Klinik den Patienten der geschlossenen Station, zu denen der Beschwerdeführer gehört, einen Computer zur Verfügung. Dem Beschwerdeführer wurde zur Nutzung des Computers täglich eine Stunde Zeit eingeräumt. Der Computer war, wie der Beschwerdeführer wusste, so programmiert, dass nach 24 Stunden alle von den Nutzern erstellten Dateien automatisch gelöscht wurden. Weitere Nutzungsregeln, etwa über den Zugriff des Klinikpersonals auf den Computer, gab es nicht. Der Beschwerdeführer erstellte an diesem Computer eine Textdatei, in der er sich mit seinem bisherigen Leben und den von ihm begangenen Taten befasste. Um diese umfangreiche Arbeit unter den gegebenen Bedingungen bewältigen zu können und gleichzeitig der zeitlich begrenzten Nutzungsmöglichkeit gerecht zu werden, speicherte er die von ihm fortwährend bearbeitete Textdatei in einem Systemordner und entzog sie so der Löschungsroutine. Am 7. Juli 2016 schloss der Beschwerdeführer die Arbeit ab, druckte den Text aus und - so sein Vortrag - löschte die Datei anschließend. Im Rahmen einer Überprüfung am Abend des 7. Juli 2016 entdeckte das Klinikpersonal mehrere Dateien, unter anderem den von dem Beschwerdeführer erstellten Text. Der Chefarzt der Klinik ließ den Text ausdrucken und einen Ausdruck zur Krankenakte des Beschwerdeführers nehmen. Zudem übersandte er eine Kopie an einen externen Sachverständigen, der den Beschwerdeführer begutachten sollte. Am 11. Juli 2016 wurde der Beschwerdeführer durch das therapeutische Personal informiert, dass man seine Textdatei gefunden, ausgedruckt und zur Krankenakte genommen habe.

4

3. Am 15. Juli 2016 beantragte der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer bei der Klinik erfolglos die Herausgabe des Textes beziehungsweise die Vernichtung der angefertigten Ausdrucke. Mit weiterem Schreiben vom 22. Juli 2016 widersprach er der Aufnahme des Textes in seine Krankenakte, in die ihm am 27. und 28. Juli 2016 Einsicht gewährt wurde.

5

4. Mit Schriftsatz vom 28. Juli 2016 beantragte der Beschwerdeführer beim Landgericht Lübeck, die Klinik zu verpflichten, den verfahrensgegenständlichen Text aus seiner Krankenakte zu entfernen. Eine einstweilige Anordnung sei erforderlich, weil am 29. Juli 2016 ein Sachverständiger kommen werde und zu befürchten sei, dass dieser seine Begutachtung auch auf den Inhalt des von ihm verfassten Textes stützen werde. Eine gesetzliche Grundlage für das in seine Grundrechte eingreifende Verhalten der Klinik gebe es nicht.

6

5. Das Landgericht wies die Klinik mit Beschluss vom 29. Juli 2016 an, den Ausdruck der auf dem Klinikrechner gespeicherten Datei des Beschwerdeführers aus der Krankenakte zu entfernen. Für deren Beschlagnahme existiere keine Rechtsgrundlage. Es handele sich um einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Gestalt als Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Im Maßregelvollzugsgesetz seien Eingriffe in die Informationsrechte und den persönlichen Besitz von Untergebrachten abschließend geregelt. Sie seien gemäß § 9 Abs. 1 Maßregelvollzugsgesetz Schleswig-Holstein (MVollzG) nur zulässig, "wenn Tatsachen dafür sprechen, dass ohne diese Beschränkungen aufgrund der Krankheit erhebliche Nachteile für den Gesundheitszustand des untergebrachten Menschen zu erwarten sind oder Ziele des Maßregelvollzugs oder die Sicherheit in der Einrichtung gefährdet werden könnte". Die Klinik habe die Datei beschlagnahmt, um Anknüpfungspunkte für ein zu erstellendes Gutachten zu gewinnen, was unzulässig sei. Dem stehe nicht entgegen, dass die Datei auf einem Computer der Klinik gespeichert gewesen sei. Denn der Beschwerdeführer habe die Datei erkennbar nicht, wie die Klinik meine, quasi in einen "Briefkasten" gelegt. Vielmehr habe er versucht, die Datei dem Zugriff der Klinik zu entziehen, indem er sie versteckt habe. Hierzu möge er nicht berechtigt gewesen sein; dies allein rechtfertige aber nicht die Beschlagnahme der Datei und deren Verwertung im Rahmen der Begutachtung des Beschwerdeführers gegen seinen Willen. Es drohten irreversible Folgen für sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

7

6. Unter dem 4. August 2016 beantragte der Beschwerdeführer beim Landgericht nunmehr in der Hauptsache, die Klinik zu verpflichten, die in ihrem Besitz befindlichen Ausdrucke zu vernichten, und es ihr zu untersagen, den Text erneut auszudrucken. Zur Begründung verwies er auf die im Eilverfahren vorgetragenen Argumente. Es sei ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass die Datei am Abend des 7. Juli 2016 nicht mehr auf dem Klinikcomputer gespeichert gewesen, sondern von ihr wiederhergestellt worden sei. Denn der Beschwerdeführer habe die Datei an diesem Tag gelöscht. Außerdem habe die Klinik bemerkt, dass der Beschwerdeführer an einem längeren Text gearbeitet habe. Anscheinend habe sie beabsichtigt, die Textdatei zu erlangen, um sie dem Sachverständigen vorlegen zu können, mit dem der Beschwerdeführer zuvor die Zusammenarbeit verweigert hatte.

8

7. Die Klinik beantragte, den Beschluss vom 29. Juli 2016 aufzuheben. Dieser habe sie nach einer fehlgeschlagenen Übermittlung erst am 1. August 2016 erreicht. Zu diesem Zeitpunkt sei der Ausdruck bereits dem Sachverständigen ausgehändigt und der Beschwerdeführer von diesem aufgesucht worden. Der Sachverständige sei durch die Klinik am 1. August 2016 gebeten worden, den verfahrensgegenständlichen Ausdruck nicht zu verwerten, habe aber mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer sich im Rahmen des mit ihm geführten Gesprächs mit einer Verwertung des Textes bei der Gutachtenerstellung einverstanden erklärt habe. Das zeige, dass die Anrufung des Gerichts "blinder Aktionismus" des Beschwerdeführers gewesen sei, mit dem er die Forensik habe diskreditieren wollen. Der Beschluss vom 29. Juli 2016 sei für die Zukunft zu beseitigen, denn er gehe nach Einverständniserklärung des Beschwerdeführers ins Leere. Da der Text für das Gutachten verwendet worden und daher behandlungsrelevant sei, müsse er in der Krankenakte verbleiben.

9

Zudem habe die Klinik die Datei nicht wiederhergestellt, sondern bei einer Prüfung des Stationsrechners gefunden. Die Datei sei auch nicht im Rechtssinne beschlagnahmt worden, weil sie sich bereits im Gewahrsam der Klinik befunden habe. Es handele sich lediglich um eine Weiterverarbeitung von Daten. Hierzu sei das Klinikum gemäß § 13 Abs. 3 Nr. 2 Landesdatenschutzgesetz Schleswig-Holstein (LDSG) berechtigt, das gemäß § 22 Abs. 1 MVollzG ergänzend zum Maßregelvollzugsgesetz gelte. Eine solche Weiterverarbeitung sei zulässig, weil sie der Abwehr erheblicher Nachteile für das Allgemeinwohl diene. Der Text des Beschwerdeführers sei für dessen Diagnose notwendig und diene der Ermittlung seiner Gefährlichkeit. Die Diagnosestellung sei schwierig, weil der Beschwerdeführer bisher keine Einblicke in sein psychisches Erleben erlaube. Dies habe erst dazu geführt, dass vorzeitig ein externes Sachverständigengutachten habe angefordert werden müssen. Der Beschwerdeführer zeige sich derzeit zwar nicht mehr wahnhaft, trete aber mit narzisstischen, dissozialen und schizoiden Persönlichkeitszügen in Erscheinung.

10

8. Mit Beschluss vom 27. Oktober 2016 verpflichtete das Landgericht die Klinik, die in ihrem Besitz befindlichen Exemplare des Textes zu vernichten und diesen nicht erneut auszudrucken. Der Antrag des Beschwerdeführers sei zulässig und begründet. Er habe zwar durch Speicherung der Datei gegen die Nutzungsbedingungen verstoßen, bleibe aber ihr geistiger Eigentümer. Als Rechtsgrundlage komme allein § 9 Abs. 1 MVollzG in Betracht. Dessen Tatbestandsvoraussetzungen für "Eingriffe in den persönlichen Besitz" lägen jedoch nicht vor. Es sei nicht ersichtlich, dass das Klinikhandeln erforderlich gewesen sei, um erhebliche Nachteile für den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers zu verhindern oder die Sicherheit der Einrichtung zu gewährleisten. Auch eine Gefährdung der Ziele des Maßregelvollzugs liege im Ergebnis nicht vor. Zwar sei die Diagnostik des Beschwerdeführers durch dessen Verschlossenheit erschwert und die Nutzung des autobiografischen Textes daher von Interesse für den Gutachter. Dass dieser Text jedoch für die Gutachtenerstellung "zwingend erforderlich" gewesen sei, sei nicht ersichtlich. Auch das nachträgliche Einverständnis des Beschwerdeführers ändere nichts daran, dass die Klinik kein Recht gehabt habe, die Datei an sich zu nehmen.

11

9. Mit Schriftsatz vom 30. November 2016 legte die Klinik Rechtsbeschwerde zum Oberlandesgericht Schleswig ein. Das Landgericht habe den Ausdruck der Datei zu Unrecht als Beschlagnahme angesehen. Die Rechtsfrage, wie "aufgedrängte Zufallsfunde" bei Computernutzung durch untergebrachte Personen zu bewerten seien, sei von grundsätzlicher Bedeutung, da sie immer wieder von praktischem Belang im Maßregelvollzug sei.

12

An den Maßstäben des Landesdatenschutzgesetzes gemessen, sei die Verwertung der autobiografischen Textdatei nicht zu beanstanden. Nach § 13 Abs. 2 bis 7 LDSG könnten Daten, von denen eine öffentliche Stelle Kenntnis erlangt habe, verarbeitet beziehungsweise verwendet werden. Der Ausdruck und die Aufnahme des Textes in die Krankenakte seien Datenverarbeitungen gewesen. Ein Beschaffen der Datei habe nicht vorgelegen, denn der Beschwerdeführer selbst habe den Gewahrsam der Klinik an der Textdatei begründet, indem er diese - dem Einwurf in einen Postkasten gleich - durch abredewidrige Speicherung in die Verfügungsbefugnis der Klinik übertragen habe.

13

10. Unter dem 19. Dezember 2016 übersandte der Beschwerdeführer eine Stellungnahme des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) vom 2. Dezember 2016 zu dem Vorfall. Dieses kommt nach Anhörung der Klinik und des Beschwerdeführers zu folgender "abschließende[n] datenschutzrechtliche[n] Bewertung": Die Zulässigkeit der monierten Datenverarbeitung beurteile sich nach § 11 LDSG. Die Verarbeitung personenbezogener Daten über die rassische oder ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen, die Gewerkschaftszugehörigkeit, die Gesundheit oder das Sexualleben sowie von Daten, die einem besonderen Berufs- oder Amtsgeheimnis unterliegen, sei nur unter den Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 LDSG zulässig. Ein Einverständnis des Beschwerdeführers hinsichtlich des Auslesens, Ausdruckens und der Datenübersendung sei nicht dargelegt worden. Die Einschätzung des Landgerichts, dass die Voraussetzungen einer Beschlagnahme nach § 9 Abs. 1 MVollzG nicht vorgelegen hätten, werde durch das ULD geteilt. Eine Erlaubnis durch andere Rechtsvorschriften im Sinne des § 11 Abs. 3 Nr. 3 LDSG sei daher nicht ersichtlich. Auch die Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 Nr. 7 LDSG, wonach eine Maßnahme, die zur Abwehr von Gefahren für Leben, Gesundheit, persönliche Freiheit oder vergleichbare Rechtsgüter erforderlich sei, zulässig sei, hätten nicht vorgelegen. Belastbare Angaben für eine Gefährdungsabwägung seien weder im gerichtlichen Schriftverkehr noch gegenüber dem ULD vorgetragen worden. Wie das Landgericht komme auch das ULD zu dem Schluss, dass ohne die Datenverarbeitung weder Nachteile für den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers zu erwarten gewesen wären, noch die Sicherheit der Einrichtung gefährdet worden wäre. Im Ergebnis sei daher festzustellen, dass das Auslesen, Ausdrucken und Übersenden der fraglichen Daten des Beschwerdeführers an den externen Gutachter unter Verstoß gegen § 11 Abs. 3 LDSG erfolgt seien. Dieser werde gemäß § 42 Abs. 2 LDSG als erheblicher Verstoß gegenüber der Klinik beanstandet.

14

11. Mit angegriffenem Beschluss vom 7. Februar 2017 änderte das Oberlandesgericht den Beschluss des Landgerichts vom 27. Oktober 2016 ab und wies den Antrag des Beschwerdeführers zurück. Ferner hob es die einstweilige Anordnung vom 29. Juli 2016 auf.

15

Die Rechtsbeschwerde der Klinik sei zulässig und begründet. Der Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht sei aufgrund von § 22 Abs. 1 MVollzG in Verbindung mit § 13 Abs. 3 Nr. 2 LDSG gerechtfertigt.

16

Das streitgegenständliche Verhalten sei nicht an der Beschlagnahmevorschrift des § 9 MVollzG zu messen, weil sich die Datei auf einem Klinikrechner und damit im Gewahrsam der Klinik befunden habe. Die Umstände der Nutzung und die Nutzungsbedingungen hätten keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, dass sich deren Gewahrsam auf die auf dem Rechner befindlichen Dateien bezogen habe.

17

Die Nutzung der Datei sei als Datenverarbeitung gemäß § 22 Abs. 1 MVollzG in Verbindung mit § 13 Abs. 3 Nr. 2 LDSG rechtmäßig. Sie diene der Abwehr erheblicher Nachteile für das Allgemeinwohl sowie schwerwiegender Beeinträchtigungen der Rechte Einzelner. Wenn die Dateiinhalte nicht genutzt würden, könnten die Ziele des Maßregelvollzugs gefährdet werden, weil deren Nutzung für die Gestaltung und damit den Erfolg der Therapie bedeutsam sei. Es handele sich um das einzige vom Beschwerdeführer selbst angefertigte Dokument, in welchem er sich zu seiner Tat verhalte. Die Binnenperspektive sei besonders wertvoll, und die biografische Selbstdarstellung sei durch andere Erkenntnisquellen nicht zu ersetzen. Zwar sei der persönliche Gehalt der autobiografischen Informationen und damit die Intensität der Grundrechtsbetroffenheit zu berücksichtigen, allerdings überwögen die klinischen Belange. Das Interesse an einem sachgerechten Maßregelvollzug werde auch durch die Schwere der Anlasstaten geprägt. Der verfahrensgegenständliche Fall unterscheide sich zudem von Fällen, in denen ein Betroffener persönliche Aufzeichnungen in seiner eigenen Gewahrsamssphäre behalte, da der Beschwerdeführer selbst den Gewahrsam der Klinik über die Datei begründet habe. Das Interesse an einem "funktionablen Maßregelvollzug" überwiege somit die grundrechtlichen Positionen des Beschwerdeführers, dessen Behandlung sich schwierig gestaltet habe. Dass er später in die Nutzung des Textes durch den Sachverständigen eingewilligt habe, spiele zwar keine Rolle, mache aber deutlich, dass er dem autobiografischen Text keinen derart "höchstpersönlichen Geheimnischarakter" beigemessen habe, dass die Annahme eines "Nutzungsverbot[s]" naheliege. Aus denselben Gründen stehe § 11 LDSG der Nutzung des Textes nicht entgegen.

II.

18

Mit seiner am 15. März 2017 eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer Verletzungen seines Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung sowie - der Sache nach - seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG).

19

Die Auffassung des Oberlandesgerichts, die Klinik habe das Recht, auf ihrem Computer befindliche Dateien zu verwenden, überzeuge nicht. Der Beschwerdeführer habe den Computer lediglich als ihm geliehenes Schreibgerät genutzt. Der Gedanke, dass sich der gegenständliche Gewahrsam der Klinik auch auf das geistige Eigentum an der Datei erstrecke, sei nicht überzeugend. Es habe auch keine Nutzungsregelungen gegeben, aus denen der Beschwerdeführer hätte folgern können, dass der Inhalt der Datei von der Klinik verwertet werden dürfe.

20

Die Klinik habe die Daten ohne seine Kenntnis erhoben. Ein solches Vorgehen sei nur gerechtfertigt, wenn gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Abs. 3 Nr. 2 LDSG die Abwehr erheblicher Nachteile für das Allgemeinwohl oder von Gefahren für die dort aufgeführten Rechte Einzelner dies geboten hätte. Die Ausführungen des Oberlandesgerichts hierzu erschöpften sich in allgemeinen Formulierungen. Ein konkreter Zusammenhang zwischen einer unterlassenen Nutzung des von dem Beschwerdeführer verfassten Textes und dem Entstehen von Nachteilen oder Gefahren im Sinne der Vorschrift sei nicht erkennbar. Das von der Klinik herangezogene Interesse an einem sachgerechten Maßregelvollzug sei keine Fallgruppe, die gemäß § 13 Abs. 3 Nr. 2 LDSG eine Datenverwertung ohne Kenntnis des Betroffenen rechtfertige. Zudem wiege die Grundrechtsbetroffenheit des Beschwerdeführers schwer, weil die Inhalte der Biografie den innersten Bereich seiner Persönlichkeit beträfen. Indem die Klinik den autobiografischen Text einem externen Sachverständigen zugänglich gemacht habe - und zwar bevor sie den Beschwerdeführer überhaupt darüber informiert hatte, dass sie den Text gefunden und ausgewertet habe -, habe sie ferner sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Angesichts der Schwere des Grundrechtseingriffs könne dieser nicht durch floskelhaft behauptete, aber nicht konkretisierte Gefährdungen gerechtfertigt werden. Mit der vom Oberlandesgericht vertretenen Auffassung ließe sich auch die Beschlagnahme eines Tagebuchs rechtfertigen, weil dies einen Therapievorteil vermitteln könne. Damit löse sich das Gericht aber von den Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Nr. 2 LDSG.

III.

21

Das Ministerium für Justiz, Europa, Verbraucherschutz und Gleichstellung des Landes Schleswig-Holsteinhat von der Gelegenheit zur Stellungnahme keinen Gebrauch gemacht. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten des Ausgangsverfahrens vorgelegen.

B.

22

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde gemäß § 93b BVerfGG zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

23

Mit der angegriffenen Entscheidung hat das Oberlandesgericht das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verletzt.

I.

24

1. Die Gerichte haben bei der Auslegung und Anwendung von einfachem Recht den grundgesetzlichen Wertmaßstäben Rechnung zu tragen. Die fachgerichtliche Rechtsprechung unterliegt nicht der unbeschränkten verfassungsgerichtlichen Nachprüfung (BVerfGE 18, 85 <92 f.>). Das Bundesverfassungsgericht überprüft - abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot - nur, ob die angefochtenen Entscheidungen Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f., 96>; 85, 248 <257 f.>; 87, 287 <323>). Ein Grundrechtsverstoß, der zur Beanstandung der angegriffenen Entscheidungen führt, liegt vor, wenn übersehen worden ist, dass bei Auslegung und Anwendung der einfachgesetzlichen Vorschriften Grundrechte zu beachten waren, wenn der Schutzbereich der zu beachtenden Grundrechte unrichtig oder unvollkommen bestimmt oder ihr Gewicht unrichtig eingeschätzt worden ist (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f., 96>; 101, 361 <388>; 106, 28 <45>).

25

2. a) Das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verbürgte allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden (vgl. BVerfGE 65, 1 <41 f.>; 78, 77 <84>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. März 2001 - 2 BvR 1841/00 u.a. -, juris).

26

b) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gilt allerdings nicht schrankenlos. Einschränkungen können im überwiegenden Allgemeininteresse insbesondere dann erforderlich sein, wenn der Einzelne als in der Gemeinschaft lebender Bürger in Kommunikation mit anderen tritt, durch sein Verhalten auf andere einwirkt und dadurch die persönliche Sphäre seiner Mitmenschen oder die Belange der Gemeinschaft berührt (vgl. BVerfGE 35, 35 <39>; 202 <220>).

27

c) Dabei ist ein letzter unantastbarer Bereich privater Lebensgestaltung anzuerkennen, der der öffentlichen Gewalt schlechthin entzogen ist (vgl. BVerfGE 6, 32 <41>; 389 <433>; 54, 143 <146>; stRspr). Selbst schwerwiegende Interessen der Allgemeinheit können Eingriffe in diesen Bereich nicht rechtfertigen; eine Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes findet insoweit nicht statt (BVerfGE 34, 238 <245>). Ob ein Sachverhalt diesem Kernbereich zugeordnet werden kann, hängt, neben dem subjektiven Willen des Betroffenen zur Geheimhaltung, auch davon ab, ob er nach seinem Inhalt höchstpersönlichen Charakters ist und in welcher Art und Intensität er aus sich heraus die Sphäre anderer oder die Belange der Gemeinschaft berührt (vgl. BVerfGE 80, 367 <374>).

28

d) Für das strafrechtliche Erkenntnisverfahren ist anerkannt, dass zwischen Erhebung und Verwertung von persönlichkeitsrelevantem Material zu unterscheiden ist. So besteht nicht von vornherein ein verfassungsrechtliches Hindernis, Schriftstücke daraufhin durchzusehen, ob sie der Verwertung zugängliche Informationen enthalten (BVerfGE 80, 367 <375>; vgl. auch BVerfGE 120, 274 <338 f.>). Diesbezüglich ist anerkannt, dass die Verfassung es nicht gebietet, Tagebücher oder ähnliche private Aufzeichnungen schlechthin von der Verwertung in einem Strafverfahren auszunehmen. Allein die Aufnahme einer Information in ein Tagebuch oder eine autobiografische Schrift entzieht diese noch nicht dem staatlichen Zugriff. Vielmehr hängt die Verwertbarkeit von Charakter und Bedeutung des Inhalts ab. Enthalten solche Aufzeichnungen etwa Angaben über die Planung bevorstehender oder Berichte über begangene Straftaten, stehen sie also in einem unmittelbaren Bezug zu konkreten strafbaren Handlungen, so gehören sie dem unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung nicht an (vgl. BVerfGE 80, 367 <374 f.>).

29

e) Selbst wenn private Aufzeichnungen nicht zum absolut geschützten Kernbereich gehören, bedarf ihre Verwertung der Rechtfertigung durch ein überwiegendes Interesse der Allgemeinheit. Ein gerechter Ausgleich des Spannungsverhältnisses zum ebenfalls weitreichenden Schutz der Persönlichkeitssphäre des Einzelnen lässt sich nur dadurch erreichen, dass jeweils zu ermitteln ist, welchem dieser beiden verfassungsrechtlich bedeutsamen Prinzipien das größere Gewicht zukommt (BVerfGE 80, 367 <374 f.>; vgl. auch BVerfGE 34, 238 <249>). Dabei darf das allgemeine Persönlichkeitsrecht nur im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden; die Einschränkung darf nicht weitergehen, als es zum Schutz des öffentlichen Interesses unerlässlich ist (BVerfGE 103, 21 <33>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. September 2013 - 2 BvR 939/13 -, juris, Rn. 13). Gesetze sind dabei ihrerseits unter Berücksichtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auszulegen und anzuwenden, damit dessen Bedeutung für das einfache Recht auch auf der Ebene der Rechtsanwendung zur Geltung kommt (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. Juli 2015 - 1 BvR 2501/13 -, juris, Rn. 13; vgl. auch BVerfGE 43, 130 <136>; 93, 266 <292>).

II.

30

Nach diesen Maßstäben hält der angegriffene Beschluss verfassungsrechtlicher Prüfung nicht stand.

31

1. Das Auslesen der Textdatei, die Herstellung eines Ausdrucks und dessen Aufnahme in die Krankenakte sowie die Weiterleitung einer Kopie an einen externen Sachverständigen greifen jeweils in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers ein.

32

2. Bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Eingriffs hat das Oberlandesgericht die Maßnahmen der Klinik unter § 13 Abs. 3 Nr. 2 LDSG subsumiert und die Nutzung der Datei für erforderlich und verhältnismäßig zur Abwehr erheblicher Nachteile für das Allgemeinwohl sowie schwerwiegender Beeinträchtigungen der Rechte Einzelner gehalten. Auch unter den Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 LDSG hat es die Maßnahmen als zulässig angesehen.

33

Vor dem Hintergrund der verfassungsgerichtlich nur eingeschränkten Überprüfung der Gesetzesanwendung ist dies nicht zu beanstanden. Das Oberlandesgericht hat die landesrechtlichen Eingriffsgrundlagen so ausgelegt, dass Datenverarbeitungen im Maßregelvollzug auch dann zulässig sein können, wenn sie lediglich abstrakt dem Schutz der Allgemeinheit dienen, etwa, weil sie Diagnose-, Therapie- und Kriminalprognosemöglichkeiten gegenüber untergebrachten Personen verbessern. Zwar kann diese Auslegung dazu führen, dass gegenüber im Maßregelvollzug untergebrachten Personen, deren Unterbringung immer auch dem Schutz der Allgemeinheit dient, auch ohne Kenntnis der Betroffenen auf Grundlage der benannten Normen Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht möglich sind. Allein darin liegt jedoch noch keine Verkennung der Bedeutung und Tragweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.

34

3. Dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist dann jedoch auf der Rechtsfolgenseite hinreichend Rechnung zu tragen.

35

a) Zwar ist der - durch das Oberlandesgericht nicht getrennt geprüfte - in dem Auslesen der Datei liegende Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach verfassungsrechtlichen Maßstäben zu rechtfertigen, weil der Klinik das Recht zuzugestehen ist, die auf einem Klinikrechner aufgefundenen Dokumente zu sichten und darauf hinzu überprüfen, ob sie der Verwertung zugängliche Informationen wie etwa Fluchtpläne enthalten.

36

b) Hinsichtlich der weiteren Verwertung der Textdatei durch Ausdruck, Aufnahme des Textes in die Krankenakte und Weiterleitung an einen externen Sachverständigen ist eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung jedoch auf Grundlage der Erwägungen des Oberlandesgerichts nicht gegeben.

37

aa) Dabei kann offenbleiben, ob der Text des Beschwerdeführers einen weitergehenden Schutz genießt, als dies für autobiografische Schriften im strafrechtlichen Erkenntnisverfahrenteilweise angenommen wird. Dafür spricht, dass der strafrechtlich relevante Tatablauf im Falle des rechtskräftig verurteilten und ohnehin geständigen Beschwerdeführers unzweifelhaft ist. Sein allgemeines Persönlichkeitsrecht gerät daher gerade nicht in Konflikt mit dem staatlichen Strafanspruch oder dem Allgemeininteresse an der Wahrheitsermittlung (vgl. dazu BVerfGE 80, 367 <378>).

38

bb) Der vom Beschwerdeführer verfasste Text könnte jedoch dem unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen und somit der öffentlichen Gewalt schlechthin entzogen sein. Der Text enthält einerseits die - verfassungsrechtlich besonders geschützte - Innenansicht des Beschwerdeführers auf sein Leben und die Umstände, die zu seiner Erkrankung und die dadurch ausgelöste schwerwiegende Lebenskrise führten. Auch die Klinik ging im fachgerichtlichen Verfahren davon aus, dass die Aussagekraft des Textes und sein eigentlicher Wert in der inneren Sicht des Beschwerdeführers auf sein Leben und der selbstreflektierten Bewertung seines Lebenswegs liegt. Zudem hat der Beschwerdeführer den subjektiven Willen zur Geheimhaltung des von ihm verfassten Textes dokumentiert und deutlich gemacht, dass er keinesfalls beabsichtigt habe, den Text der Klinik oder anderen zur Verfügung zu stellen.

39

Andererseits hat der Beschwerdeführer der Verwertung des Textes nach einem Gespräch mit dem Gutachter zugestimmt, was dafür spricht, dass er seine Aufzeichnungen - allerdings mit dem Wissen, dass sie ohnehin bereits zur Kenntnis der Klinik und des Gutachters gelangt waren - nicht mit letzter Konsequenz dem Zugriff anderer zu entziehen gedachte.

40

Angesichts dieser Erwägungen begegnet es jedenfalls erheblichen Bedenken, dass das Oberlandesgericht sich mit der Frage, ob der vom Beschwerdeführer verfasste Text dem unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzuordnen ist, nicht ernstlich befasst hat. Vielmehr hat es ohne weiteres gefolgert, dass durch die erteilte Zustimmung des Beschwerdeführers zur Verwertung des Textes ersichtlich sei, dass dieser dem Text keinen "höchstpersönlichen Geheimnischarakter" beigemessen habe, "der ein Nutzungsverbot geböte".

41

cc) Auch wenn die Verwendung des Textes nicht bereits unzulässig sein sollte, weil er dem unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen ist, so ist nach der Begründung des Oberlandesgerichts jedenfalls nicht ersichtlich, dass die insoweit erfolgten Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht sich auf ein überwiegendes Interesse der Allgemeinheit stützen können und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgt sind.

42

Der Betroffenheit der grundrechtlich geschützten Interessen des Beschwerdeführers trägt das Oberlandesgericht lediglich in einem Halbsatz Rechnung, demzufolge der persönliche Gehalt der autobiografischen Informationen und damit die Intensität der Grundrechtsbetroffenheit zu berücksichtigen seien. Dabei ist festzuhalten, dass die vorliegenden Grundrechtseingriffe, insbesondere die Aufnahme des Textes in die Krankenakte, wo sie dem Zugang des therapeutischen Personals unterliegt, und die Weitergabe eines Ausdrucks an einen externen Gutachter, ein erhebliches Gewicht aufweisen. Der Inhalt des Textes zeichnet sich durch eine hohe Persönlichkeitsrelevanz aus, indem er die - diagnostisch wertvolle, aber eben auch besonders schützenswerte - Innenbefassung des Beschwerdeführers mit seinem Leben, seiner Erkrankung, der damit einhergehenden Krise und den Anlasstaten seiner Unterbringung enthält. Der Beschwerdeführer hat diese Überlegungen bewusst der Kenntnisnahme durch Dritte entzogen, auch wenn er sie - wohl in Ermangelung von Alternativen - auf einem auch anderen Personen prinzipiell zugänglichen Rechner versteckt hielt.

43

Zudem erfolgten der Ausdruck des Textes, die Aufnahme in die Krankenakte und die Weitergabe an den Sachverständigen jeweils in Unkenntnis des Beschwerdeführers, obwohl dessen unverzügliche Unterrichtung ohne weiteres möglich gewesen wäre. So hätte die Klinik dem Beschwerdeführer die Möglichkeit geben können, Einwände geltend zu machen oder Rechtsschutz zu suchen. Dieser wurde über den Fund der Datei auf dem Klinikrechner und die Aufnahme des Textes in die Krankenakte jedoch erst vier Tage später informiert. Eine Information über die Weiterleitung eines Ausdrucks an einen externen Sachverständigen erfolgte - soweit ersichtlich - noch später. Die Heimlichkeit der hier vorliegenden, für sich bereits schwerwiegenden Grundrechtseingriffe führt zu einer weiteren Erhöhung der Eingriffsintensität. Dies ist schon deshalb der Fall, weil dem Betroffenen hierdurch vorheriger Rechtsschutz faktisch verwehrt und nachträglicher Rechtsschutz potentiell erschwert wird (vgl. BVerfGE 107, 299 <321>; 113, 348 <383 f.>; 115, 166 <194>; 115, 320 <353>; 120, 378 <402 f.>). Auch hier konnte der Beschwerdeführer die Abwehr der Grundrechtseingriffe durch ein Rechtsschutzersuchen nicht mehr erreichen, vielmehr blieb ihm nur noch die Möglichkeit, die Auswirkungen der Maßnahmen zu verringern und sie für die Zukunft zu beseitigen.

44

Demgegenüber bewegt sich die Darlegung der vom Oberlandesgericht zur Rechtfertigung des Eingriffs herangezogenen Belange, etwa drohender Nachteile für das Allgemeinwohl und die Rechte Einzelner, im abstrakten Bereich. Diese Belange mögen dem Grunde nach betroffen sein. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Kenntnis des autobiografischen Textes Diagnose, Therapie und Kriminalprognose des Beschwerdeführers unterstützen und erleichtern könnte. Die verfahrensgegenständlichen Maßnahmen könnten damit mittelbar dem Zweck dienen, von dem Beschwerdeführer möglicherweise ausgehende Gefahren für die Allgemeinheit besser einschätzen und ihnen so effektiver begegnen zu können. Inwiefern und in welchem Maße eine Verwendung des autobiografischen Textes konkret dazu beitragen könnte, drohende Nachteile für das Allgemeinwohl effektiver abzuwenden, hat das Oberlandesgericht nicht ausgeführt. Einer solchen, auf den Einzelfall bezogenen Darlegung hinreichend gewichtiger Allgemeinwohlinteressen hätte es aber bedurft, um die hohe Intensität der Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Beschwerdeführers aufzuwiegen. Ließe man die vom Oberlandesgerichtherangezogene, allenfalls mittelbare Begünstigung abstrakter Belange des Allgemeinwohls ausreichen, um konkrete schwere Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht zu rechtfertigen, führte dies im Maßregelvollzug, der stets auch dem Allgemeininteresse dient, dazu, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht untergebrachter Personen in aller Regel den Interessen der Allgemeinheit weichen müsste. Eine solche Handhabung wird der Bedeutung und Tragweite von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG jedoch nicht gerecht.

C.

45

1. Gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ist festzustellen, dass der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 7. Februar 2017 den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1GG verletzt. Die angegriffene Entscheidung wird gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufgehoben, die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

46

2. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

Tenor

1. Auf die Revision des Beklagten wird - unter Verwerfung der Revision als unzulässig im Übrigen - das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 20. Dezember 2017 - 2 Sa 192/17 - aufgehoben, soweit es dem Kündigungsschutzantrag stattgegeben und den widerklagend verfolgten Antrag abgewiesen hat, die Klägerin zu verurteilen, an den Beklagten 44,75 Euro nebst Zinsen als Ersatz von durch Unterschlagungen verursachten Schäden zu zahlen.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung sowie um Schadensersatzansprüche.

2

Die Klägerin war seit 2006 in einem vormals von dem Beklagten betriebenen Tabak- und Zeitschriftenhandel mit angeschlossener Lottoannahmestelle beschäftigt. Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 13. August 2016 fristlos „wegen der begangenen Straftaten“.

3

Dagegen hat sich die Klägerin rechtzeitig mit der vorliegenden Klage gewandt. Sie habe kein Geld für sich vereinnahmt, sondern Warenverkäufe stets in die Registrierkasse eingebucht und das vom Kunden überreichte Geld jeweils in „die Kasse“ gelegt. Eine Verdachtskündigung scheide auch deshalb aus, weil sie zu den Vorwürfen nicht ordnungsgemäß angehört worden sei.

4

Die Klägerin hat zuletzt beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung des Beklagten vom 13. August 2016 aufgelöst worden ist.

5

Der Beklagte hat Klageabweisung sowie im Wege der Widerklage beantragt,

        

die Klägerin zu verurteilen, an ihn 475,31 Euro nebst Zinsen zu zahlen.

6

Die Kündigung sei als Tat-, jedenfalls aber als Verdachtskündigung gerechtfertigt. Bei einer stichprobenartigen Ermittlung der Warenaufschläge im dritten Quartal 2016 sei ein Schwund an Tabakprodukten festgestellt worden. Ab dem 1. August 2016 seien für zwei Arbeitstage der Klägerin die Aufzeichnungen der in der Filiale installierten Videokamera ausgewertet worden. Die Videoüberwachung sei offen erfolgt und habe dem Schutz seines Eigentums vor Straftaten sowohl durch Dritte als auch durch eigene Arbeitnehmer gedient. Bei der Auswertung habe sich gezeigt, dass die Klägerin am 3. Februar 2016 in drei Fällen Verkäufe von Tabakwaren nicht registriert und das vereinnahmte Geld nicht in die Registrier-, sondern in die Lottokasse gelegt habe. An diesem Tag sei sie um 13:05 Uhr mit der Lottokasse ins Büro gegangen und sofort wieder zurückgekommen, habe die Kasse jedoch in der anderen Hand gehalten. Am 4. Februar 2016 habe die Klägerin gegen 10:05 Uhr wiederum den Verkauf einer Schachtel Zigaretten nicht registriert und den vereinnahmten Betrag in die Lottokasse gelegt. Um 12:20 Uhr habe sie eine Tabakdose im Wert von 18,50 Euro verkauft, aber nur 1,00 Euro in die Sortimentkasse gelegt und den Restbetrag „für eigene Zwecke vereinnahmt“. Überdies habe sie es nach dem Verkauf einer Schachtel Zigaretten unterlassen, den Zahlungsbetrag in die Sortimentkasse einzugeben. Um 13:03 Uhr habe sie den Verkaufsraum für zwei Minuten mit der Lottokasse verlassen. Die Klägerin sei ordnungsgemäß angehört worden. Sie sei vor Übergabe des Kündigungsschreibens von zwei Mitarbeiterinnen zu den Vorgängen am 3. und 4. Februar 2016 befragt worden, habe aber lediglich erklärt, „nichts gemacht“ zu haben. Die Klägerin müsse die Kosten für die Auswertung der Videoaufzeichnungen iHv. 430,56 Euro und die durch die Unterschlagungen verursachten Schäden iHv. 44,75 Euro ersetzen.

7

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seine Anträge weiter.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision ist unzulässig, soweit der Beklagte von der Klägerin widerklagend die Erstattung der Kosten verlangt, die durch die Auswertung der Videoaufzeichnungen angefallen seien. Im Übrigen ist die Revision zulässig und begründet.

9

A. Die Revision ist in Bezug auf den Ersatz der für die Analyse des Bildmaterials aufgewendeten Kosten unzulässig. Es fehlt insofern an einer den Anforderungen aus § 551 Abs. 3 ZPO genügenden Revisionsbegründung. Das Landesarbeitsgericht hat die Abweisung dieses Widerklageantrags ua. darauf gestützt, vor der Auswertung der Videoaufzeichnungen habe kein auf Tatsachen beruhender konkreter Verdacht gegen die Klägerin bestanden. Mit dieser selbstständig tragenden Begründung setzt die Revision sich nicht auseinander (zu dieser Anforderung BAG 6. Juli 2016 - 4 AZR 966/13 - Rn. 16).

10

B. Hinsichtlich des Kündigungsschutz- und des Widerklageantrags im verbleibenden Umfang ist die Revision zulässig und begründet. Sie führt insoweit zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 ZPO).

11

I. Das Landesarbeitsgericht durfte mit der gegebenen Begründung weder dem Kündigungsschutzantrag stattgeben noch den widerklagend erhobenen Antrag auf Ersatz der vermeintlich durch Unterschlagungen verursachten Schäden abweisen.

12

1. Das Berufungsgericht hat gemeint, der Beklagte könne sich zur Rechtfertigung der Kündigung und des Schadensersatzverlangens nicht mit Erfolg auf die Auswertung der Videoaufnahmen vom 3. und 4. Februar 2016 berufen. Es könne unterstellt werden, dass eine offene Videoüberwachung „auch des Arbeitsplatzes der Klägerin“ nach § 6b Abs. 1 BDSG in der bis einschließlich zum 24. Mai 2018 geltenden Fassung (im Folgenden BDSG aF) rechtmäßig gewesen sei. Gleichwohl habe der Beklagte keinen zulässigen Beweis für die Richtigkeit „der von der Klägerin bestrittenen Behauptungen“ angetreten. Ein Beweisverwertungsverbot folge jedenfalls daraus, dass er „die Videoaufnahmen“ für die betreffenden Tage erst knapp sechs Monate später und damit zu einem Zeitpunkt ausgewertet habe, zu dem er sie gemäß § 6b Abs. 5 BDSG aF längst hätte gelöscht haben müssen. In dem monatelangen Unterbleiben der Löschung liege eine besonders schwerwiegende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin.

13

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Landesarbeitsgericht hat die Grundsätze, die für das Eingreifen eines Verbots der Verwertung von Sachvortrag und Beweismitteln gelten, mehrfach falsch angewendet.

14

a) Weder die Zivilprozessordnung noch das Arbeitsgerichtsgesetz enthalten Bestimmungen, die die Verwertbarkeit von Erkenntnissen oder Beweismitteln einschränken, die eine Arbeitsvertragspartei rechtswidrig erlangt hat. Ein Verwertungsverbot kann sich zwar aus einer verfassungskonformen Auslegung des Verfahrensrechts ergeben. Da der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich gebietet, den Sachvortrag der Parteien und die von ihnen angebotenen Beweise zu berücksichtigen, kommt ein „verfassungsrechtliches Verwertungsverbot“(Ehmann Anm. AP BGB § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 40) jedoch nur in Betracht, wenn dies wegen einer grundrechtlich geschützten Position einer Prozesspartei zwingend geboten ist (ausführlich BAG 22. September 2016 - 2 AZR 848/15 - Rn. 20 ff., BAGE 156, 370). Das setzt in aller Regel voraus, dass bereits durch die Informations- oder Beweisbeschaffung das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Partei verletzt worden ist, ohne dass dies durch überwiegende Belange der anderen Partei gerechtfertigt gewesen wäre. Überdies müssen die betroffenen Schutzzwecke des bei der Gewinnung verletzten Grundrechts der Verwertung der Erkenntnis oder des Beweismittels im Rechtsstreit entgegenstehen (vgl. BAG 15. August 2002 - 2 AZR 214/01 - zu II 3 b aa der Gründe, BAGE 102, 190; Musielak/Voit/Foerste ZPO 15. Aufl. § 286 Rn. 6). Die prozessuale Verwertung muss selbst einen Grundrechtsverstoß darstellen (Hk-ZPO/Saenger 7. Aufl. § 286 Rn. 20). Das ist der Fall, wenn das nach Art. 1 Abs. 3 GG unmittelbar an die Grundrechte gebundene Gericht ohne Rechtfertigung in eine verfassungsrechtlich geschützte Position einer Prozesspartei eingriffe, indem es eine Persönlichkeitsrechtsverletzung durch einen Privaten perpetuierte oder vertiefte. Insofern kommt die Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Staat zum Tragen. Auf eine nicht gerechtfertigte Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts durch einen Privaten darf kein verfassungswidriger Grundrechtseingriff durch ein Staatsorgan „aufgesattelt“ werden (vgl. BVerfG 31. Juli 2001 - 1 BvR 304/01 - zu II 1 b bb der Gründe; BAG 23. April 2009 - 6 AZR 189/08 - Rn. 26, BAGE 130, 347). Nicht abschließend geklärt ist, ob die Gerichte jenseits der sie treffenden Pflicht, ungerechtfertigte Grundrechtseingriffe zu unterlassen, wegen einer verfassungsrechtlichen Schutzpflicht gehalten sein können, einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Private aktiv zu begegnen und Sachvortrag oder Beweisantritte einer Partei aus Gründen der Generalprävention außer Acht zu lassen. Dafür wäre jedenfalls Voraussetzung, dass die verletzte Schutznorm in den betreffenden Fällen ohne ein prozessuales Verwertungsverbot leerliefe (Musielak/Voit/Foerste aaO; Niemann JbArbR Bd. 55 S. 41, 43; zurückhaltend auch BGH 15. Mai 2018 - VI ZR 233/17 - Rn. 52).

15

b) Obwohl die Vorschriften des BDSG aF nicht die Zulässigkeit von Parteivorbringen und seine Verwertung im Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen begrenzen, und obgleich es für das Eingreifen eines Verwertungsverbots darauf ankommt, ob bei der Erkenntnis- oder Beweisgewinnung das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzt worden ist, sind die einfachrechtlichen Vorgaben insofern nicht ohne Bedeutung. Die Bestimmungen des BDSG aF über die Anforderungen an eine zulässige Datenverarbeitung konkretisieren und aktualisieren für den Einzelnen den Schutz seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild (§ 1 Abs. 1 BDSG aF). Sie regeln, in welchem Umfang im Anwendungsbereich des Gesetzes Eingriffe durch öffentliche oder nicht-öffentliche Stellen im Sinne des § 1 Abs. 2 BDSG aF in diese Rechtspositionen erlaubt sind. War die betreffende Maßnahme nach den Vorschriften des BDSG aF zulässig, liegt insoweit keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Gestalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild vor (BAG 27. Juli 2017 - 2 AZR 681/16 - Rn. 17, BAGE 159, 380; 29. Juni 2017 - 2 AZR 597/16 - Rn. 22, BAGE 159, 278). Ein Verwertungsverbot scheidet von vornherein aus. So liegt es namentlich, wenn die umfassende Abwägung der widerstreitenden Interessen und Grundrechtspositionen im Rahmen der Generalklauseln des § 32 Abs. 1 BDSG aF zugunsten des Arbeitgebers ausfällt. Nur dann, wenn die fragliche Maßnahme nach den Bestimmungen des BDSG aF nicht erlaubt war, muss gesondert geprüft werden, ob die Verwertung von im Zuge dieser Maßnahme gewonnenen Erkenntnissen oder Beweismitteln durch das Gericht einen Grundrechtsverstoß darstellen würde. Daran kann es zum einen fehlen, wenn die Unzulässigkeit der vom Arbeitgeber durchgeführten Maßnahme allein aus der (Grund-)Rechtswidrigkeit der Datenerhebung(en) gegenüber anderen Beschäftigten resultiert oder die verletzte einfachrechtliche Norm keinen eigenen „Grundrechtsgehalt“ hat (vgl. BAG 20. Oktober 2016 - 2 AZR 395/15 - Rn. 32 f., BAGE 157, 69). Zum anderen kann es sein, dass die gerichtliche Verwertung weder einen ungerechtfertigten Grundrechtseingriff darstellte noch aufgrund einer verfassungsrechtlichen Schutzpflicht zu unterlassen ist, weil durch sie die ungerechtfertigte „vorprozessuale“ Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einer Prozesspartei nicht perpetuiert oder vertieft würde und der Verwertung auch Gründe der Generalprävention nicht entgegenstehen (näher Niemann JbArbR Bd. 55 S. 41, 58 ff.).

16

c) Der Senat unterscheidet zwischen Sachvortrags- und Beweisverwertungsverboten. Ein Sachvortragsverwertungsverbot spielt keine Rolle, wenn der Arbeitnehmer den betreffenden Vortrag des Arbeitgebers ausreichend bestreitet. Dann greift die Geständnisfiktion des § 138 Abs. 3 ZPO schon einfachrechtlich nicht ein. Sie muss nicht erst in verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift „ausgeschaltet“ werden. Sieht der Arbeitnehmer hingegen von einem - ggf. wahrheitswidrigen - Bestreiten ab, bewirkt ein Sachvortragsverwertungsverbot, dass das inkriminierte Vorbringen des Arbeitgebers gleichwohl als bestritten zu behandeln ist. Damit wird der Streit auf die Beweisebene gehoben. Dort greift zulasten des Arbeitgebers ggf. ein korrespondierendes Beweisverwertungsverbot mit der Folge, dass er für seinen - als streitig anzusehenden - Vortrag beweisfällig bleibt. Insofern bedeutet ein Verbot der „Verwertung“, dass das Gericht den fraglichen Vortrag seiner Entscheidung weder als unstreitig (Sachvortragsverwertungsverbot) noch als aufgrund des inkriminierten Beweismittels bewiesen (Beweisverwertungsverbot) zugrunde legen darf (ausführlich Niemann JbArbR Bd. 55 S. 41, 43 ff.).

17

d) Das Gericht muss - nur - dann von Amts wegen prüfen, ob ein Verwertungsverbot eingreift, wenn entsprechende Anhaltspunkte dazu Anlass geben und die betreffende Partei nicht wirksam darauf verzichtet hat, die - etwaige - Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts geltend zu machen (BAG 20. Oktober 2016 - 2 AZR 395/15 - Rn. 20, BAGE 157, 69; 22. September 2016 - 2 AZR 848/15 - Rn. 25, BAGE 156, 370). Es trifft nicht zu, dass der Arbeitgeber Tatsachen lediglich unter Angabe der genauen Beschaffungsmodalitäten in den Rechtsstreit einbringen kann (so Dzida/Grau NZA 2010, 1201, 1205; Lunk NZA 2009, 457, 458). Vielmehr ist es der von einer möglicherweise grundrechtswidrigen Erkenntnis- oder Beweismittelgewinnung betroffene Arbeitnehmer, der relevante Umstände aufzeigen muss, wenn sich nicht schon aus dem Vorbringen des Arbeitgebers (einschließlich der Beweisantritte) oder sonst wie „Verwertbarkeitszweifel“ ergeben. Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass ein Verwertungsverbot eingreifen könnte, gelten die allgemeinen Grundsätze einer Prüfung von Amts wegen. Es erfolgt keine Amtsermittlung. Vielmehr bleibt es beim Beibringungsgrundsatz. Das Gericht wird begründeten Zweifeln durch Hinweise und Auflagen an die Parteien nachgehen und ggf. Beweis zu den tatsächlichen Voraussetzungen für das Vorliegen eines Verwertungsverbots erheben. So wird es regelmäßig Grund zu der Nachfrage haben, aus welchem Anlass und auf welche Weise eine Videoaufzeichnung zustande gekommen ist, deren Inaugenscheinnahme als (einziger) Beweis angeboten wird (ausführlich Niemann JbArbR Bd. 55 S. 41, 63 ff.).

18

e) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht geprüft, ob zugunsten der Klägerin ein Verwertungsverbot eingreift. Entsprechende Anhaltspunkte bot schon der Vortrag des Beklagten. Dieser hat sich zur Rechtfertigung der Kündigung und seines Schadensersatzverlangens auf die Videoaufzeichnungen vom 3. und 4. Februar 2016 gestützt. Die Klägerin hat auch nicht auf die Geltendmachung möglicher Persönlichkeitsrechtsverletzungen verzichtet, sondern sich, ohne dass dies erforderlich gewesen wäre, ausdrücklich auf ein „Beweisverwertungsverbot“ berufen.

19

f) Die vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen tragen allerdings nicht seine Annahme, es sei ausschließlich das Vorliegen eines Beweisverwertungsverbots zu beurteilen. Der angefochtenen Entscheidung lässt sich nicht entnehmen, welche Behauptungen des Beklagten das Berufungsgericht mit der Folge als von der Klägerin ausreichend bestritten angesehen hat, dass nicht zunächst das Eingreifen eines Sachvortragsverwertungsverbots zu prüfen gewesen wäre.

20

g) Dessen ungeachtet hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerhaft angenommen, es bestehe irgendein Verwertungsverbot in Bezug auf solche Bildsequenzen aus einer - so seine Unterstellung - offenen, auch im Verhältnis zur Klägerin zulässigen Videoüberwachung, die vorsätzliche Verletzungen des Eigentums des Beklagten belegen (sollen). Es hat verkannt, dass § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF eine eigenständige Erlaubnisnorm für die Verarbeitung und Nutzung von Daten im Beschäftigungsverhältnis darstellt. Danach waren die Verarbeitung und die Nutzung der vom Beklagten in das Verfahren eingeführten Aufzeichnungsteile rechtmäßig und verletzten dementsprechend nicht das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin. Jedenfalls stellte die gerichtliche Verwertung dieser Sequenzen keinen Grundrechtsverstoß dar. Ein Verwertungsverbot ist auch nicht deshalb anzunehmen, weil sich die vom Beklagten als relevant angesehenen Aufzeichnungsteile in einer Beweisaufnahme als „irrelevant“ herausstellen könnten.

21

aa) Die Verarbeitung und Nutzung der - unterstellt rechtmäßig aufgezeichneten - relevanten Bildsequenzen war zulässig. Es kann dahinstehen, ob das Landesarbeitsgericht § 6b Abs. 3 Satz 1 und Abs. 5 BDSG aF zutreffend angewendet hat. Jedenfalls waren die Speicherung der betreffenden Passagen bis zum 1. August 2016 sowie deren anschließende Auswertung nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF erlaubt.

22

(1) Sofern zulässig erhobene Daten den Verdacht einer Pflichtverletzung begründen, dürfen sie für die Zwecke und unter den Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF auch verarbeitet und genutzt werden. Der Arbeitgeber darf deshalb grundsätzlich alle Daten speichern und verwenden, die er benötigt, um die ihm obliegende Darlegungs- und Beweislast in einem potenziellen Rechtsstreit um die Wirksamkeit einer Kündigung und/oder das Bestehen von Schadensersatzansprüchen zu erfüllen (vgl. BAG 27. Juli 2017 - 2 AZR 681/16 - Rn. 28, BAGE 159, 380; 29. Juni 2017 - 2 AZR 597/16 - Rn. 26, BAGE 159, 278).

23

(2) Dabei spielt es keine Rolle, ob die rechtmäßige Erhebung der Daten (nur) auf § 32 Abs. 1 BDSG aF oder (zugleich) auf § 6b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BDSG aF beruhte. § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF stellt für die Verarbeitung und Nutzung von personenbezogenen Daten eines Beschäftigten, die der Arbeitgeber durch eine Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume erlangt hat, eine eigenständige, von den Voraussetzungen des § 6b Abs. 3 BDSG aF unabhängige Erlaubnisnorm dar. Ist danach eine bestimmte Datenverarbeitung oder -nutzung rechtmäßig, kommt es im Verhältnis zu den betroffenen Arbeitnehmern nicht darauf an, ob die Anforderungen gemäß § 6b Abs. 3 BDSG aF erfüllt sind. Die für die Überwachung im öffentlichen Raum geltende Bestimmung schließt eine eigenständige Rechtfertigung der Datenverarbeitung nach § 32 BDSG aF nicht aus. Diese Vorschrift dient speziell dem Ausgleich der Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in Bezug auf den Beschäftigtendatenschutz (BT-Drs. 16/13657 S. 20 f.). Dagegen soll § 6b BDSG aF - unabhängig von den aufgrund der engeren schuldrechtlichen Bindungen im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses bestehenden Interessen - den Schutz der Allgemeinheit vor einem Ausufern der Videoüberwachung im öffentlichen Raum gewährleisten(zum Ziel einer restriktiveren Verwendungspraxis Bericht und Beschluss-empfehlung des Innenausschusses, BT-Drs. 14/5793 S. 61). Für die Eigenständigkeit der Erlaubnistatbestände des § 32 BDSG aF spricht auch, dass die Videoüberwachung nicht öffentlich zugänglicher (Arbeits-)Räume im BDSG aF nicht gesondert geregelt ist. Ihre Zulässigkeit richtet sich daher, soweit Arbeitnehmer betroffen sind, unzweifelhaft allein nach § 32 BDSG aF. Es erschiene aber wenig plausibel, wenn bezogen auf den Beschäftigtendatenschutz von Arbeitnehmern, die in öffentlich zugänglichen Räumen arbeiten, andere Maßstäbe gelten sollten als für Arbeitnehmer, die dies nicht tun (so bereits BAG 22. September 2016 - 2 AZR 848/15 - Rn. 43, BAGE 156, 370).

24

(3) Die Verarbeitung und Nutzung von rechtmäßig erhobenen personenbezogenen Daten nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF muss „erforderlich“ sein. Es hat eine „volle“ Verhältnismäßigkeitsprüfung zu erfolgen (vgl. BAG 17. November 2016 - 2 AZR 730/15 - Rn. 30). Die Verarbeitung und die Nutzung der personenbezogenen Daten müssen geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen sein, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Es dürfen keine anderen, zur Zielerreichung gleich wirksamen und das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen weniger einschränkenden Mittel zur Verfügung stehen. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Angemessenheit) ist gewahrt, wenn die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe steht. Die Datenverarbeitung und -nutzung darf keine übermäßige Belastung für die Betroffenen darstellen und muss der Bedeutung des Informationsinteresses des Arbeitgebers entsprechen (BAG 27. Juli 2017 - 2 AZR 681/16 - Rn. 30, BAGE 159, 380). Dies beurteilt sich ggf. für jedes personenbezogene Datum gesondert.

25

(4) Der vom Senat bei der Anwendung von § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF herangezogene Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügt dem durch die Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr sowie Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union(dazu EuGH 11. Dezember 2014 - C-212/13 - [Ryneš] Rn. 28) und Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten(dazu EuGH 9. November 2010 - C-92/09 und C-93/09 - [Volker und Markus Schecke] Rn. 52; BAG 19. Februar 2015 - 8 AZR 1007/13 - Rn. 20 f.) garantierten Schutzniveau für die von einer Datenerhebung Betroffenen (BAG 27. Juli 2017 - 2 AZR 681/16 - Rn. 32, BAGE 159, 380; EGMR 5. Oktober 2010 - 420/07 - [Köpke/Deutschland]).

26

(5) Das Landesarbeitsgericht hat die Verhältnismäßigkeit der Speicherung undifferenziert für das gesamte am 3. und 4. Februar 2016 aufgezeichnete Bildmaterial („die Videoaufnahmen“) geprüft. Es hat verkannt, dass vorliegend ausschließlich die Verarbeitung der relevanten Sequenzen zu beurteilen ist und nicht diejenige der Passagen, die nicht in den Rechtsstreit eingeführt werden sollen.

27

(a) Die Speicherung von Bildsequenzen, die geeignet sind, den mit einer rechtmäßigen Videoaufzeichnung verfolgten Zweck zu fördern, bleibt, weil es sich oft um die einzigen, regelmäßig aber um die „zuverlässigsten“ Erkenntnis- und Beweismittel handelt, grundsätzlich erforderlich, bis der Zweck entweder erreicht oder aufgegeben oder nicht mehr erreichbar ist. Die Eignung beurteilt sich objektiv. Sie besteht oder besteht nicht - unabhängig davon, ob der Arbeitgeber sie erkannt hat. Eine etwaige Pflicht, das gesamte Bildmaterial zeitnah zu sichten, diente allein dazu, die - eindeutig - nicht zweckrelevanten Passagen zu identifizieren und zu löschen. Ihre Missachtung ließe den Bedarf an den zweckrelevanten Passagen nicht entfallen. Diese dürften auch nach einer „Bedarfsklärung“ - zumindest vorerst - gespeichert bleiben (zu § 6b BDSG aF vgl. BT-Drs. 14/5793 S. 63).

28

(b) Das Landesarbeitsgericht hat keine Tatsachen festgestellt, die den Schluss zuließen, dem Beklagten sei es mit der Speicherung der Videoaufzeichnungen vom 3. und 4. Februar 2016 nicht - mehr - darum gegangen, seine Rechte gegenüber der Klägerin aufgrund möglicher Eigentumsverletzungen durchzusetzen. Es hat im Gegenteil selbst gemeint, er habe das Bildmaterial zu eben diesem Zweck bis in den August 2016 vorgehalten. Der Zweck war auch nach wie vor erreichbar. Etwaige Kündigungsrechte waren noch nicht verwirkt und mögliche Schadensersatzansprüche weder verjährt noch - soweit ersichtlich - verfallen. Damit blieb die Speicherung der relevanten Sequenzen erforderlich.

29

(c) Eine noch erforderliche Speicherung von Aufzeichnungsteilen, die vorsätzliche Handlungen gegen das Eigentum des Arbeitgebers belegen (sollen), ist nur ganz ausnahmsweise unangemessen (nicht verhältnismäßig im engeren Sinne).

30

(aa) Der rechtmäßig gefilmte Vorsatztäter ist in Bezug auf die Aufdeckung und Verfolgung seiner materiell-rechtlich noch verfolgbaren Tat nicht schutzwürdig. Er wird dies auch nicht durch bloßen Zeitablauf. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht kann nicht zu dem alleinigen Zweck in Anspruch genommen werden, sich vor dem Eintritt von Verfall, Verjährung oder Verwirkung der Verantwortung für vorsätzlich rechtswidriges Handeln zu entziehen (vgl. BGH 24. November 1981 - VI ZR 164/79 - zu II 1 b der Gründe). Zugleich verliert das in Bezug auf vorsätzliche Schädigungshandlungen beträchtliche, durch Art. 12 und Art. 14 GG geschützte Verarbeitungs- und Nutzungsinteresse des Arbeitgebers nicht an Gewicht, solange die Rechtsverfolgung materiell-rechtlich nicht ausgeschlossen ist. Überdies ist zu beachten, dass gedeihliche Arbeitsvertragsbeziehungen von beiderseitigem Vertrauen getragen sein müssen (EGMR [Große Kammer] 5. September 2017 - 61496/08 - [B ă rbulescu/Rumänien] Rn. 121 aE). Dem widerspräche es, wenn der Arbeitgeber gezwungen wäre, die Aufzeichnungen aus einer offenen, vorrangig zu präventiven (Verhinderung von Pflichtverletzungen) und nur bei Verfehlung dieses Primärziels zu repressiven Zwecken (Aufklärung und Verfolgung von Pflichtverletzungen) eingesetzten Videoüberwachung laufend vollumfänglich einzusehen, um relevante Sequenzen weiterverarbeiten zu dürfen. Das hielte ihn zu ständigem Misstrauen an. Zugleich würde durch einen faktischen Zwang zu zeitnaher Aufdeckung und „Sanktionierung“ von Pflichtverletzungen der Arbeitnehmerschutz durch die Vorgaben des Datenschutzrechts in sein Gegenteil verkehrt. Die Speicherung - nach wie vor - erforderlicher Sequenzen kann deshalb nur unangemessen sein, wenn das Verhalten des Arbeitgebers objektiv den Schluss zulässt, er wolle diese Passagen nicht allein zur Rechtsverfolgung verwenden. Es muss die greifbare Gefahr eines Missbrauchs personenbezogener Daten bestehen.

31

(bb) So kann es zwar - was hier einzig in Betracht kommt - auch liegen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, der Arbeitgeber wolle sich mögliche Kündigungsgründe oder zum Schadensersatz verpflichtende Sachverhalte „aufsparen“, um dadurch den Arbeitnehmer unter Druck zu setzen (zu § 626 Abs. 2 BGB BAG 25. Februar 1983 - 2 AZR 298/81 - zu II 2 b der Gründe). Doch hat das Landesarbeitsgericht keine Tatsachen festgestellt, die eine solche Absicht des Beklagten belegen könnten. Hierfür genügt es nicht, dass er mit der Auswertung der Videoaufzeichnungen vom 3. und 4. Februar 2016 gewartet hat, bis er dazu nach einer stichprobenartigen Überprüfung der Warenaufschläge im dritten Quartal 2016 einen Anlass sah. Das gilt umso mehr, als er nach der Feststellung eines Schwunds an Tabakprodukten „ohne Umschweife“ mit der Analyse des Bildmaterials begonnen und anschließend unverzüglich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin betrieben hat.

32

(cc) Solange sich die Speicherung der relevanten Sequenzen im Verhältnis zu dem betreffenden Arbeitnehmer nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF als gerechtfertigt darstellt, müssen grundsätzlich auch miterfasste Dritte (zB Kunden) die weitere Verarbeitung und mögliche Nutzung dieses Videomaterials dulden. Anders könnte es nur liegen, wenn auf diese bezogen von einer greifbaren Missbrauchsgefahr auszugehen wäre. Dafür ist vorliegend gleichfalls nichts ersichtlich. Deshalb bedarf keiner Entscheidung, ob miterfasste Personen ggf. die Löschung der betreffenden Aufzeichnungsteile oder ob sie lediglich verlangen könnten, dass sie darin - etwa durch „Verpixelung“ - unkenntlich gemacht werden.

33

(d) Für den vorliegenden Rechtsstreit ist ebenso ohne Belang, ob die Verarbeitung und Nutzung der nicht relevanten Videosequenzen den Vorgaben des BDSG aF entsprach. Deren Verwertung steht hier nicht in Rede. Allerdings kann der Arbeitgeber - wie der Streitfall illustriert - mit Blick auf mögliche „heimliche“ Verletzungen seines Eigentums durch eigene Beschäftigte nicht darauf verwiesen werden, die gesamten Aufzeichnungen nach kurzer Zeit unbesehen überschreiben zu lassen. Würden die Speicherintervalle so kurz bemessen, dass die Aufzeichnungen bei Bekanntwerden von Vorfällen üblicherweise schon gelöscht sind, wäre die Maßnahme insoweit praktisch wirkungslos und damit jedenfalls unverhältnismäßig. Dementsprechend könnten wochen- oder sogar monatelange Speicherintervalle nicht zu beanstanden sein, wenn Straftaten oder erhebliche Pflichtverletzungen erst bei aufwendigen Überprüfungen oder Abrechnungsmaßnahmen entdeckt werden können (vgl. Grages/Plath CR 2017, 791, 796 mwN). Insofern besteht ein erheblicher Unterschied zu Videoüberwachungen, die - allein - darauf abzielen, als solche bereits festgestellte Taten Dritter (zB Diebstähle, Raubüberfälle oder Sachbeschädigungen) „lediglich“ aufzuklären und zu verfolgen (dazu Scholz in Simitis BDSG 8. Aufl. § 6b Rn. 144). Da eine zeitnahe, unbesehene Löschung des Bildmaterials nicht in Betracht kommt, stellt sich die Frage, wodurch stärker in die Persönlichkeitsrechte der Gefilmten (Beschäftigte und Kunden) eingegriffen wird: durch eine vollumfängliche Auswertung der Videoaufzeichnungen ohne konkreten Anlass mit anschließender Löschung der irrelevanten Sequenzen oder durch eine rein anlassbezogene Auswertung „ausgewählter“ Passagen bei längerer Speicherung des gesamten Bildmaterials? Das Erfordernis einer unverzüglichen anlasslosen Bedarfsklärung, die ihrerseits einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers darstellte, weil die Aufzeichnungen eingesehen würden, dürfte sich nur rechtfertigen lassen, wenn der erheblichen Gefahr einer Zweckentfremdung der gespeicherten Daten begegnet werden muss. Diese Gefahr könnte bei der Videoaufzeichnung des Kassenbereichs in einem privaten Ladenlokal - je nach ihrer Ausgestaltung - als geringer einzustufen sein als bei einer Überwachung öffentlich zugänglicher Räume durch öffentliche Stellen (zu § 6b BDSG aF vgl. BT-Drs. 14/5793 S. 62). Jedenfalls unzulässig dürfte es sein, das gesamte Bildmaterial zunächst über einen längeren Zeitraum vorzuhalten, um es sodann ohne konkreten Anlass in Augenschein zu nehmen. Unter diesen Umständen dürfte sich die - unvermeidliche - Einsichtnahme (auch) in die irrelevanten Aufzeichnungsteile als unverhältnismäßig darstellen. So ist der Beklagte im Streitfall indes nicht vorgegangen.

34

(6) Durften nach alledem zumindest die relevanten Aufzeichnungsteile bis in das dritte Quartal 2016 gespeichert bleiben, stellte sich ihre anlassbezogene Auswertung ab dem 1. August 2016 und ihre weitere Verwendung (Nutzung) als unproblematisch rechtmäßig dar.

35

bb) Das Landesarbeitsgericht hat des Weiteren verkannt, dass selbst dann, wenn die Videoaufzeichnungen vom 3. und 4. Februar 2016 schon vor ihrer Auswertung im August 2016 zu löschen gewesen wären, durch die Verwertung der relevanten Bildsequenzen im vorliegenden Rechtsstreit eine mögliche Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin nicht perpetuiert oder vertieft würde und auch Gründe der Generalprävention es nicht gebieten, von der Verwertung abzusehen. Das Interesse des Arbeitnehmers oder eines mitgefilmten Dritten daran, dass zur Verfolgung von vorsätzlich schädigendem Verhalten erforderliches Bildmaterial nicht länger gespeichert bleibt, kann - wie gezeigt - nur dadurch überwiegen, dass der in der Verdinglichung (BVerfG 31. Juli 2001 - 1 BvR 304/01 - zu II 1 b aa der Gründe) liegenden Gefahr einer Verbreitung der Aufzeichnungen zu anderen, die Aufzeichnung nicht rechtfertigenden Zwecken begegnet werden muss. Das Verbot der weiteren Speicherung und eine etwaige Löschpflicht dienen unter diesen Umständen einzig dazu, einem Missbrauch personenbezogener Daten vorzubeugen. Es soll nicht die Zweckerreichung verhindert, sondern allein eine Zweckentfremdung vereitelt werden. Dieses Gefahrenpotenzial ist nicht im Zivilprozess einzugrenzen oder (zusätzlich) zu sanktionieren (vgl. BGH 15. Mai 2018 - VI ZR 233/17 - Rn. 52). Es verwirklicht sich nicht, soweit die Sequenzen dazu verwendet werden, den „Tatbeweis“ in einem Rechtsstreit zu führen, ihre Inaugenscheinnahme also lediglich der Durchsetzung rechtlich geschützter Belange des Arbeitgebers dienen soll (vgl. EGMR 27. Mai 2014 - 10764/09 - [De la Flor Cabrera/Spanien]). Damit stellt die Verwertung keinen ungerechtfertigten Grundrechtseingriff durch das Gericht dar. Aspekte der Generalprävention bedingen zumindest im Fall einer offenen Überwachung kein anderes Ergebnis. Einem rechtsstaatswidrigen planmäßigen Unterlaufen der Löschpflicht steht insofern entgegen, dass die Betroffenen ihre Löschansprüche geltend machen und sie ggf. gerichtlich durchsetzen können. Zudem können Verstöße gegen die datenschutzrechtlichen Bestimmungen gemäß § 43 Abs. 2 BDSG aF mit Geldbußen geahndet werden und sind vorsätzliche Handlungen gegen Entgelt oder in Bereicherungs- oder Schädigungsabsicht nach § 44 Abs. 1 BDSG aF mit Freiheitsstrafe bedroht(für den Einsatz sog. Dashcams im Straßenverkehr vgl. BGH 15. Mai 2018 - VI ZR 233/17 - Rn. 53). Jedenfalls dann, wenn es tatsächlich zu einer Zweckentfremdung von personenbezogenen Daten kommt, können den Betroffenen Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche sowie, soweit es sich um Arbeitnehmer der verantwortlichen Stelle handelt, außerordentliche Kündigungsrechte zustehen (vgl. Kempter/Steinat NZA 2017, 1505, 1511). Damit sieht das nationale Recht ausreichende und angemessene Vorkehrungen gegen Missbrauch vor (vgl. EGMR [Große Kammer] 5. September 2017 - 61496/08 - [B ă rbulescu/Rumänien] Rn. 120, 121).

36

cc) Ein Verbot, die fraglichen Videosequenzen in Augenschein zu nehmen, folgt schließlich nicht daraus, dass sie möglicherweise gar kein Verhalten der Klägerin zeigen, das eine vorsätzliche Verletzung des Eigentums des Beklagten darstellt oder doch auf eine solche hindeutet. Da Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich gebietet, einem erheblichen Beweisantritt nachzugehen, darf eine Beweiserhebung nicht auf die bloße Möglichkeit ihrer Grundrechtswidrigkeit hin unterbleiben(Niemann JbArbR Bd. 55 S. 41, 61; für ein einfachrechtliches Verwertungsverbot vgl. BGH 10. Dezember 2002 - VI ZR 378/01 - zu II 2 b aa der Gründe, BGHZ 153, 165). Auch insofern bestehen ausreichende andere Schutzmechanismen. Ergibt die Inaugenscheinnahme „rein gar nichts“ im Sinne des Arbeitgebers, verliert er nicht nur den Prozess. Vielmehr kann darin, dass er - eindeutig - irrelevante Sequenzen weiterverarbeitet und auch noch entsprechenden Beweis im Rechtsstreit angetreten hat und erheben ließ, eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung liegen, für die der Arbeitgeber gemäß § 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG eine Geldentschädigung schuldet(zu einem solchen Anspruch BAG 15. September 2016 - 8 AZR 351/15 - Rn. 35; 19. Februar 2015 - 8 AZR 1007/13 - Rn. 14 f.).

37

II. Die angefochtene Entscheidung stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Die vom Beklagten behaupteten Unterschlagungen durch die Klägerin wären im Falle ihrer Erweislichkeit sowohl geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses iSv. § 626 BGB zu bilden, als auch einen Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1, § 823 Abs. 1 BGB zu begründen. Überdies könnte die Kündigung als Verdachtskündigung wirksam sein.

38

III. Für das fortgesetzte Berufungsverfahren sind folgende Hinweise veranlasst:

39

1. Das Landesarbeitsgericht wird dem Beklagten aufzugeben haben, eindeutig zu erklären, welche Handlungen der Klägerin am 4. Februar 2016 aufgezeichnet worden seien. Es ist unklar, ob sie das für den Verkauf einer Tabakdose vereinnahmte Geld - in voller Höhe - registriert hat, und ob der Beklagte behaupten will, sie habe 17,50 Euro „unter laufender Kamera“ eingesteckt. Zudem lässt sich seinem Vorbringen nicht eindeutig entnehmen, ob er der Klägerin auch vorwirft, das für den zweiten Verkauf einer Schachtel Zigaretten vereinnahmte - anschließend in eine und ggf. welche Kasse gelegte? - Geld unterschlagen zu haben.

40

2. Sodann wird die Klägerin eindeutig erklären müssen, welche von dem Beklagten behaupteten Verhaltensweisen sie (wie?) bestreitet. So ist fraglich, ob sie nicht nur alle Warenverkäufe korrekt registriert, sondern die vereinnahmten Gelder auch stets - vollständig - in die Registrierkasse (nicht: in die Lottokasse) gelegt haben will. Jedenfalls scheint die Klägerin die Behauptungen des Beklagten nicht in Abrede stellen zu wollen, sie sei an beiden fraglichen Tagen jeweils einmal - am 3. Februar 2016 „für Sekunden“, am 4. Februar 2016 für zwei Minuten - mit der Lottokasse aus dem Verkaufsraum in das nicht überwachte Büro gegangen.

41

3. Sollte die Klägerin behaupten, Warenverkäufe immer ordnungsgemäß registriert und die vereinnahmten Gelder stets vollständig in die Registrierkasse gelegt zu haben, könnte der Hinweis veranlasst sein, dass sie sich zu ihrer Entlastung mit der Inaugenscheinnahme der betreffenden Videosequenzen einverstanden erklären kann. Diese Möglichkeit drängte sich umso mehr auf, wenn die Klägerin auch bestreiten sollte, sich an den fraglichen Tagen mit der Lottokasse in das Büro zurückgezogen zu haben.

42

4. Falls die Klägerin nicht in die Verwertung der (vermeintlich) relevanten Sequenzen einwilligen sollte, wird das Landesarbeitsgericht auf der Grundlage des klargestellten und ggf. ergänzten Vorbringens beider Parteien prüfen müssen, ob ein Sachvortrags- und/oder Beweisverwertungsverbot eingreift, das sich ggf. auf die mittelbare Verwertung der Videoaufzeichnungen durch die Vernehmung von Zeugen über den Inhalt des Bildmaterials erstreckte (vgl. BVerfG 31. Juli 2001 - 1 BvR 304/01 - zu II 1 b bb der Gründe; BAG 20. Oktober 2016 - 2 AZR 395/15 - Rn. 19, BAGE 157, 69; 22. September 2016 - 2 AZR 848/15 - Rn. 24, BAGE 156, 370).

43

a) Nach dem - soweit ersichtlich unstreitigen - Vortrag des Beklagten ist die Überwachung des Kassenbereichs offen erfolgt, um sowohl Straftaten Dritter als auch solche von eigenen Arbeitnehmern zu verhindern oder doch aufdecken und verfolgen zu können. Danach dürfte ein Verwertungsverbot schon deshalb ausscheiden, weil auch die Datenerhebung mit den Bestimmungen des BDSG aF im Einklang stand. Die Videoaufzeichnung dürfte im Hinblick auf Straftaten durch Dritte (zB Diebstahl, Raub) nach § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG aF und in Bezug auf vorsätzliche Pflichtverletzungen durch eigene Beschäftigte - daneben - gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF zulässig gewesen sein. Bei der offenen, sich gegen alle Arbeitnehmer gleichermaßen richtenden Aufzeichnung des „Kassierverhaltens“ handelt es sich um eine zum Schutz des Eigentums des Arbeitgebers grundsätzlich erlaubte Maßnahme (vgl. EGMR 28. November 2017 - 70838/13 - [Antovi ć und Mirkovi ć /Montenegro] Rn. 59), die sich schon aufgrund des Vorliegens einer abstrakten Gefahr als verhältnismäßig erweisen kann (BAG 27. Juli 2017 - 2 AZR 681/16 - Rn. 31, BAGE 159, 380). Da keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass die vom Beklagten vorgenommenen Videoaufzeichnungen bei den betroffenen Arbeitnehmern zu einem ständigen Überwachungs- und daran anknüpfenden Anpassungs- und Leistungsdruck führen konnten (vgl. BAG 25. April 2017 - 1 ABR 46/15 - Rn. 30, BAGE 159, 49), sieht der Senat von Hinweisen dazu ab, ob in einem solchen Fall nach den berührten Schutzzwecken des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ein Verwertungsverbot in Bezug auf solche Bildsequenzen eingreifen kann, die vorsätzliche Handlungen zulasten des Arbeitgebers belegen (zweifelnd Niemann JbArbR Bd. 55 S. 41, 60 f.).

44

b) Eine Unverhältnismäßigkeit der Datenerhebung iSv. § 32 Abs. 1 BDSG aF und ein Verwertungsverbot dürften nur in Betracht kommen, wenn die Videoüberwachung der Klägerin nicht bekannt und für sie auch nicht erkennbar war. Dass der Kassenbereich gefilmt wurde, dürfte sie unstreitig gewusst haben. In diesem Fall käme es nicht darauf an, ob ihr ausdrücklich eröffnet worden war, dass die Überwachung sich ua. gegen sie richtete und offenbar ihr genaues „Kassierverhalten“, insb. die Eingabe bestimmter Beträge in die Registrierkasse aufgezeichnet wurde. Selbst wenn dies nicht geschehen sein sollte, wäre die Erhebung ihrer diesbezüglichen personenbezogenen Daten nicht allein deshalb unverhältnismäßig gewesen. Zwar stellt eine „berechtigte Privatheitserwartung“ des Betroffenen einen beachtlichen Faktor im Rahmen der Interessenabwägung dar (EGMR 9. Januar 2018 - 1874/13, 8567/13 - [López Ribalda ua./Spanien] Rn. 57; [Große Kammer] 5. September 2017 - 61496/08 - [B ă rbulescu/Rumänien] Rn. 119 - 122; vgl. auch Erwägungsgrund 47 zur Verordnung [EU] 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG [Datenschutz-Grundverordnung; DS-GVO]: „vernünftige Erwartungen“). Doch konnte von einer solchen keine Rede sein, wenn die Klägerin angesichts ihres Wissens um die Überwachung des Kassenbereichs zumindest damit rechnen musste, dass mithilfe der Videoaufzeichnungen auch vorsätzliche Handlungen von Beschäftigten zulasten des Eigentums des Beklagten verhindert sowie ggf. aufgedeckt und verfolgt werden konnten und sollten (vgl. Erwägungsgrund 47 DS-GVO). Die Klägerin wäre dann nicht heimlich „ausgespäht“ worden (zum Ausspähungsschutz als Komponente des zivilrechtlichen Persönlichkeitsrechts PWW/Prütting BGB 13. Aufl. § 12 Rn. 49). Anders hätte es allenfalls gelegen, wenn der Beklagte - wofür nichts ersichtlich ist - sie in Bezug auf die Erfassung ihres „Kassierverhaltens“ „in Sicherheit gewiegt“ hätte.

45

c) Der danach wahrscheinlichen Verwertung der relevanten Videosequenzen durch das Landesarbeitsgericht im fortgesetzten Berufungsverfahren und dem diesbezüglichen „Vorhalten“ des Bildmaterials durch den Beklagten stehen weder die DS-GVO noch das durch das Gesetz zur Anpassung des Datenschutzrechts an die DS-GVO und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 (Datenschutz-Anpassungs- und Umsetzungsgesetz EU - DSAnpUG-EU) vom 30. Juni 2017 geänderte BDSG (nF) entgegen.

46

aa) Nach Art. 88 DS-GVO iVm. § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG nF (der eigenständig neben § 4 Abs. 3 BDSG nF gilt) darf der Beklagte die relevanten Sequenzen weiterhin zur Durchführung des Verfahrens „aufbewahren“; er muss diese Passagen nach wie vor nicht löschen. Das Gleiche folgt aus Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. f DS-GVO.

47

bb) Es kann dahinstehen, ob (1.) die Zulässigkeit von Sachvortrag und Beweisantritten sowie von deren Verwertung durch die Gerichte für Arbeitssachen in den Anwendungsbereich der DS-GVO fällt (vgl. deren Art. 2, 9 Abs. 2 Buchst. f, Art. 55 Abs. 3 und Erwägungsgrund 20), ob ggf. (2.) die Entscheidung des nationalen Gesetzgebers, dass sie sich auch nach Inkrafttreten des BDSG nF allein nach dem Arbeitsgerichtsgesetz und der Zivilprozessordnung beantwortet, von der Öffnungsklausel in Art. 88 DS-GVO umfasst ist, ob und ggf. inwieweit (3.) im arbeitsgerichtlichen Verfahren eine automatisierte oder dateimäßige Verarbeitung iSv. Art. 2 Abs. 1 DS-GVO erfolgt, und ob (4.) ein Verstoß gegen die Vorgaben der DS-GVO Anlass geben kann, das Eingreifen eines „sekundärrechtlichen Verwertungsverbots“ und die Möglichkeit seiner „Realisierung“ durch eine unionsrechtskonforme Auslegung des nationalen Prozessrechts zu prüfen (dazu Niemann JbArbR Bd. 55 S. 41, 66 f.). Jedenfalls stellten sowohl die „Aufrechterhaltung“ seines Sachvortrags und seiner Beweisantritte durch den Beklagten (Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. f DS-GVO) als auch deren Verwertung durch das Berufungsgericht (Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. e iVm. Abs. 3 DS-GVO iVm. § 3 BDSG nF) verhältnismäßige und damit rechtmäßige Datenverarbeitungen nach der DS-GVO und dem BDSG nF dar.

48

5. Falls das Landesarbeitsgericht „lediglich“ von dem dringenden Verdacht vorsätzlicher Verletzungen des Eigentums des Beklagten durch die Klägerin ausgehen sollte, käme es darauf an, ob diese vor Zugang der Kündigung ordnungsgemäß zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen angehört worden ist. Für die Ordnungsgemäßheit der Anhörung vor Ausspruch einer Verdachtskündigung ist entscheidend, ob der Arbeitnehmer in einlassungsfähiger Weise mit den ihm vorgeworfenen Verhaltensweisen konfrontiert wird und ausreichende Gelegenheit erhält, dazu Stellung zu nehmen. Hierfür müssen ihm nicht zwingend die Videosequenzen vorgespielt werden, die den gegen ihn gerichteten Verdacht begründen sollen. Auch spielt es keine Rolle, wenn der Arbeitgeber, ohne dass dies für den Arbeitnehmer erkennbar wäre, entschlossen ist, das Arbeitsverhältnis „in jedem Fall“, also unabhängig von der Einlassung des Arbeitnehmers im Rahmen der noch vorzunehmenden Anhörung zu kündigen. An einer ordnungsgemäßen Anhörung fehlt es allerdings, wenn dem Arbeitnehmer der - ob zutreffende oder unzutreffende - Eindruck vermittelt wird, er vermöge die Kündigung durch etwaige Erklärungen ohnehin nicht mehr abzuwenden. So könnte es hier liegen, wenn der Klägerin vor ihrer „Anhörung“ das vorbereitete Kündigungsschreiben gezeigt und ihr dessen Übergabe als sicher in Aussicht gestellt worden sein sollte.

49

6. Der Senat geht davon aus, dass die Kündigung - schon mangels einschlägiger Abmahnung - nicht auf den bloßen Vorwurf gestützt sein soll, die Klägerin habe Warenverkäufe nicht korrekt registriert und/oder vereinnahmtes Geld in die falsche Kasse gelegt (ohne Gelder für sich zu verwenden). Deshalb sieht er von Hinweisen dazu ab, ob die Videoüberwachung auch zur Vermeidung, Aufdeckung und Verfolgung fahrlässiger Pflichtverletzungen zulässig war und ob sich die Verarbeitung und Nutzung der für diesen Zweck relevanten Videosequenzen durch reinen Zeitablauf - über die Vorgaben des materiellen Rechts hinaus - als unangemessen darstellen und ggf. der Verstoß gegen eine daraus resultierende Löschpflicht ein Verwertungsverbot nach sich ziehen kann.

50

7. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, eine Umdeutung nach § 140 BGB der außerordentlichen in eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung scheide aus, weil eine solche sozial nicht gerechtfertigt wäre(§ 1 Abs. 2 KSchG), lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Das Kündigungsschutzgesetz findet Anwendung. Die Klägerin war länger als sechs Monate bei dem Beklagten tätig (§ 1 Abs. 1 KSchG). Dieser beschäftigte regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer (§ 23 Abs. 1 KSchG). Er hat schon nicht behauptet, die Entscheidung, die Filiale in I zu schließen, sei bereits bei Zugang der Kündigung getroffen gewesen.

        

    Koch    

        

    Rachor    

        

    Niemann    

        

        

        

    Söller    

        

    Torsten Falke    

                 

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 26. November 2013 - 7 Sa 444/12 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung und über einen Auflösungsantrag des beklagten Landkreises.

2

Die Klägerin ist Dipl.-Verwaltungswirtin. Sie war bei dem beklagten Landkreis seit Oktober 2010 als Angestellte beschäftigt. Ihr war die Leitung der Erhebungsstelle Zensus übertragen. Auf das Arbeitsverhältnis fand aufgrund arbeitsvertraglicher Verweisung der TVöD-VKA Anwendung.

3

Am 22. April 2012 fand die Wahl des Landrats statt. Der Amtsinhaber stellte sich zur Wiederwahl. Die parteilose Klägerin kandidierte ebenfalls. Sie warb mit einem Flyer für sich. In diesem stellte sie die „Säulen“ ihrer Politik vor, als welche sie „Transparenz in der Verwaltung“, „Bürgernahe Politik“ und „Jugend, Familien und Senioren“ bezeichnete. Zum Punkt „Transparenz in der Verwaltung“ hieß es in dem Flyer:

        

„Wie der jüngste Umweltskandal in [B.] und der Subventionsbetrug am [Rathaus in C.] beweist, deckt der amtierende Landrat sogar die Betrügereien im Kreis. Ich stehe für eine transparente Politik, die Gesetze einhält und die Pflichtaufgaben des Landkreises überprüft.“

4

Der Flyer lag einem lokalen Anzeigenblatt bei, das am 18. April 2012 mit einer Auflage von 28.700 verteilt wurde.

5

Nach Beteiligung des Personalrats kündigte der beklagte Landkreis das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 21. April 2012 außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 30. Juni 2012. Er warf der Klägerin üble Nachrede und Beleidigung seines Repräsentanten vor.

6

Gegen die Kündigung hat die Klägerin rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Sie hat gemeint, es sei weder ein Grund für die außerordentliche noch für die ordentliche Kündigung gegeben. Sie habe sich nicht im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses geäußert, sondern als Kandidatin im Wahlkampf. Ihr Flyer werde missverstanden. Es sei ihr nicht darum gegangen, den amtierenden Landrat persönlich zu diffamieren, einer Straftat zu bezichtigen oder gar zu beleidigen. Sie habe vielmehr zum Ausdruck bringen wollen, dass der Landrat im Hinblick auf den Umweltskandal in B. und die Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der Sanierung des Rathauses in C. nichts unternommen habe und stattdessen transparenter und in der Öffentlichkeit aktiver mit diesem Thema hätte umgehen müssen. Das sei von der Meinungsfreiheit gedeckt. Im Übrigen habe sie nur Vorwürfe wiederholt, die zuvor in der Presse erhoben worden seien. Die Klägerin hat zudem die Personalratsbeteiligung als fehlerhaft gerügt.

7

Sie hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die fristlose Kündigung noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 21. April 2012 aufgelöst wurde;

        

2.    

den beklagten Landkreis zu verurteilen, sie als Sachbearbeiterin zu den Bedingungen des Arbeitsvertrags vom 27. September 2010 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens weiter zu beschäftigten.

8

Der beklagte Landkreis hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise, das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2012 gegen Zahlung einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Abfindung aufzulösen.

9

Er hat die Kündigung für wirksam gehalten. Die Klägerin habe dem Landrat wider besseres Wissen unterstellt, dieser decke Betrügereien, sei also aktiv am Vertuschen von Straftaten beteiligt und erfülle damit den Straftatbestand der Strafvereitelung. Die Unterstellung krimineller Machenschaften sei eine von der Meinungsfreiheit nicht gedeckte grobe Beleidigung und üble Nachrede. Der Landrat müsse dies auch im Wahlkampf nicht hinnehmen. Solche Vorwürfe habe es in der Presse nicht gegeben. Der Personalrat sei ordnungsgemäß beteiligt worden. Zumindest sei das Arbeitsverhältnis nach § 9 KSchG aufzulösen. Der Betriebsfrieden sei nachhaltig gestört. Schon früher habe es wegen einer Konkurrentenklage Spannungen mit der Klägerin gegeben. Diese müsse sich außerdem das Verhalten ihres Vaters zurechnen lassen. Der habe die Landratswahl angefochten. Seine verbalen Ausfälle gegen den Kreiswahlleiter und die Mitarbeiter des Kreiswahlbüros zeigten deutlich, dass eine gedeihliche Zusammenarbeit auch mit der Klägerin nicht mehr möglich sei.

10

Die Klägerin hat beantragt, den Auflösungsantrag abzuweisen.

11

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben, den Auflösungsantrag des Beklagten hat es abgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der beklagte Landkreis die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat richtig entschieden.

13

I. Die fristlose Kündigung hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

14

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar war oder nicht (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 39; 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 16).

15

2. Als wichtiger Grund kann neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet sein, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 40; 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 19). Zu diesen Nebenpflichten zählt insbesondere die Pflicht der Arbeitsvertragsparteien zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des jeweils anderen Teils (§ 241 Abs. 2 BGB). Danach hat der Arbeitnehmer seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - aaO; 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - aaO mwN).

16

3. Eine in diesem Sinne erhebliche Pflichtverletzung stellen ua. grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen dar (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 14, BAGE 138, 312). Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen über seinen Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen aufstellt, insbesondere dann, wenn die Erklärungen den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 41; 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - aaO).

17

a) Ein Arbeitnehmer kann sich für bewusst falsche Tatsachenbehauptungen nicht auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG berufen. Solche Behauptungen sind vom Schutzbereich des Grundrechts nicht umfasst (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19). Anderes gilt für Äußerungen, die nicht Tatsachenbehauptungen, sondern ein Werturteil enthalten. Sie fallen in den Schutzbereich des Rechts auf Meinungsfreiheit. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 18; 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21). Darauf kann sich auch ein Arbeitnehmer berufen. Mit der Bedeutung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit wäre es unvereinbar, wenn es in der betrieblichen Arbeitswelt nicht oder nur eingeschränkt anwendbar wäre (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 42; 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - Rn. 24 mwN). Der Grundrechtsschutz besteht dabei unabhängig davon, welches Medium der Arbeitnehmer für seine Meinungsäußerung nutzt und ob diese rational oder emotional, begründet oder unbegründet ist. Vom Grundrecht der Meinungsfreiheit umfasste Äußerungen verlieren den sich daraus ergebenden Schutz selbst dann nicht, wenn sie scharf oder überzogen geäußert werden (vgl. BVerfG 28. November 2011 - 1 BvR 917/09 - Rn. 18 mwN).

18

b) Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG ist allerdings nicht schrankenlos gewährleistet. Es ist gemäß Art. 5 Abs. 2 GG durch die allgemeinen Gesetze und das Recht der persönlichen Ehre beschränkt. Mit diesen muss es in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden (BVerfG 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1; 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 7, 198; BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 42; 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 35). Auch § 241 Abs. 2 BGB gehört zu den allgemeinen, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit beschränkenden Gesetzen. Zwischen der Meinungsfreiheit und dem beschränkenden Gesetz findet demnach eine Wechselwirkung statt. Die Reichweite der Pflicht zur vertraglichen Rücksichtnahme muss ihrerseits unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts bestimmt, der Meinungsfreiheit muss dabei also die ihr gebührende Beachtung geschenkt werden - und umgekehrt (vgl. BVerfG 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - aaO; 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] aaO).

19

aa) Im Rahmen der Abwägung fällt die Richtigkeit des Tatsachengehalts, der dem Werturteil zugrunde liegt, ins Gewicht (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19; 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1). Handelt es sich bei einem Werturteil um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, dann spricht die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede (BVerfG 22. Juni 1982 - 1 BvR 1376/79 - zu B II 1 a der Gründe, BVerfGE 61, 1; 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] zu B II 4 der Gründe, BVerfGE 7, 198).

20

bb) Erweist sich das in einer Äußerung enthaltene Werturteil als Formalbeleidigung oder Schmähkritik, muss die Meinungsfreiheit regelmäßig zurücktreten (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 23; 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - zu C III 2 der Gründe, BVerfGE 93, 266). Allerdings macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Erklärung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Dafür muss hinzutreten, das bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht, die diese jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll (vgl. BVerfG 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - aaO; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 36; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 17, BAGE 138, 312; BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 4 a der Gründe).

21

4. Danach ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Klägerin habe ihre Pflicht zur Rücksichtnahme gemäß § 241 Abs. 2 BGB nicht verletzt, nicht zu beanstanden. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, bei den Äußerungen der Klägerin in dem Wahl-Werbeflyer habe es sich um eine vom Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützte Meinungsäußerung gehandelt. Diese habe die Grenze zur Schmähkritik nicht überschritten und gehe, da sie im Wahlkampf erfolgt sei, der Pflicht zur Rücksichtnahme gegenüber dem beklagten Landkreis vor.

22

a) Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, die Aussagen der Klägerin in dem am 18. April 2012 verteilten Flyer stellten nicht schon deshalb keine Vertragspflichtverletzung dar, weil sie außerdienstlich und überdies im Wahlkampf gefallen seien. Die Klägerin hat die Amtswahrnehmung des Landrats kritisiert. Das berührt unmittelbar die Belange auch des beklagten Landkreises.

23

b) Das vom Landesarbeitsgericht zugrunde gelegte Verständnis der Äußerungen in dem Flyer ist nicht zu beanstanden. Das Gericht hat angenommen, die Wahlwerbung sei nicht zwingend dahin zu verstehen, die Klägerin habe dem amtierenden Landrat kriminelles Verhalten vorgeworfen. Ebenso gut sei eine mildere, politische Deutung möglich. Danach habe die Klägerin dem Landrat den Vorwurf gemacht, bei Betrügereien im Landkreis das Licht der Öffentlichkeit zu scheuen und damit demokratische Kontrolle zu behindern. Insofern handele es sich um eine Meinungsäußerung, die dem Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG unterfalle. Die dagegen vom beklagten Landkreis vorgebrachten Einwände greifen nicht durch.

24

aa) Ob der Sinn einer Meinungsäußerung vom Berufungsgericht zutreffend erfasst worden ist, ist vom Revisionsgericht uneingeschränkt zu überprüfen (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 47; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 15, BAGE 138, 312).

25

(1) Für die Ermittlung des Aussagegehalts einer schriftlichen Äußerung ist darauf abzustellen, wie sie vom Empfänger verstanden werden muss. Dabei ist eine isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils regelmäßig nicht ausreichend. Vielmehr sind der sprachliche Kontext und die sonstigen erkennbaren Begleitumstände zu berücksichtigen (BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 15, BAGE 138, 312; vgl. auch BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 3 der Gründe). Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des von ihr Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 20; 12. Mai 2009 - 1 BvR 2272/04 - Rn. 31). Mehrdeutige Äußerungen dürfen wegen eines möglichen Inhalts nicht zu nachteiligen Folgen führen, ohne dass eine Deutung, die zu einem von der Meinungsfreiheit gedeckten Ergebnis führen würde, mit schlüssigen, überzeugenden Gründen ausgeschlossen worden ist (BVerfG 12. Mai 2009 - 1 BvR 2272/04 - aaO mwN; BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 46).

26

(2) Während für Werturteile die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage kennzeichnend ist, werden Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit charakterisiert (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 40). Anders als Werturteile sind Tatsachenbehauptungen daher grundsätzlich dem Beweis zugänglich (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21; 13. April 1994 - 1 BvR 23/94 - zu B II 1 b der Gründe, BVerfGE 90, 241). Gilt für Meinungsäußerungen, insbesondere im öffentlichen Meinungskampf, bei der Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Rechtsgut, in dessen Interesse sie durch ein allgemeines Gesetz eingeschränkt werden kann, eine Vermutung zu Gunsten der freien Rede, gilt dies für Tatsachenbehauptungen nicht in gleicher Weise (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 18 mwN). Ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Meinungsäußerung oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist, beurteilt sich nach dem Gesamtkontext, in dem sie steht (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - aaO). Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird den Anforderungen an eine zuverlässige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - aaO). Auch eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile einer Äußerung ist nur zulässig, wenn dadurch ihr Sinn nicht verfälscht wird (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - aaO). Wo dies der Fall wäre, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden. Anderenfalls drohte eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtschutzes (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - aaO mwN).

27

(3) In der Verwendung eines Rechtsbegriffs liegt nur dann eine Tatsachenbehauptung, wenn die Beurteilung nicht als bloße Rechtsauffassung kenntlich gemacht ist, sondern beim Adressaten zugleich die Vorstellung von konkreten, in die Wertung eingebetteten tatsächlichen Vorgängen hervorruft, die als solche einer Überprüfung mit den Mitteln des Beweises zugänglich sind. Dabei kommt es auch hier entscheidend auf den Zusammenhang an, in dem der Rechtsbegriff verwendet wird (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 28; BGH 27. April 1999 - VI ZR 174/97 - zu II 2 a der Gründe; 22. Juni 1982 - VI ZR 255/80 - zu 2 b der Gründe).

28

bb) Danach enthält die Annahme des Landesarbeitsgerichts, es sei ein - verglichen mit der Deutung des Beklagten - milderes, nämlich politisches Verständnis der Äußerung der Klägerin ohne Weiteres möglich, keinen Rechtsfehler. Das Landesarbeitsgericht hat den möglichen Aussagegehalt der fraglichen Äußerung nach ihrem Kontext beurteilt und dabei berücksichtigt, dass es sich um eine Äußerung im Rahmen von Wahlwerbung, also als Teil der politischen Auseinandersetzung mit einem Gegenkandidaten handelte. Die Aussage über dessen Amtswahrnehmung war in das eigene „Drei-Säulen-Programm“ der Klägerin eingebettet. Mit der Formulierung, der amtierende Landrat „decke“ Betrügereien im Landkreis, war deshalb nicht notwendigerweise der Vorwurf verbunden, der Landrat habe sich selbst - etwa der Strafvereitelung - strafbar gemacht. Ebenso gut lässt sich die Äußerung dahin verstehen, der Landrat habe politisch nicht genügend zur Aufklärung der aufgeführten - angeblichen - Missstände unternommen. Diese Deutung liegt angesichts der von der Klägerin an gleicher Stelle hervorgehobenen Bedeutung von Transparenz im Verwaltungshandeln sogar näher. Daran ändern der Fettdruck und die farbige Gestaltung des Flyers unter Nutzung von Fotomaterial nichts. Der Vorwurf wiegt politisch schwer genug, um als ein aus Sicht der Klägerin maßgebliches und gestalterisch zu unterstreichendes Argument in der Auseinandersetzung mit ihrem Gegenkandidaten betont zu werden.

29

cc) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht in der Äußerung der Klägerin über den amtierenden Landrat ihrem Schwerpunkt nach ein Werturteil gesehen, und nicht eine dem Wahrheits- oder Unwahrheitsbeweis zugängliche Tatsachenbehauptung.

30

(1) Der Vorwurf, nicht genug zur Aufklärung - vermeintlicher - Betrügereien im öffentlichen Bereich getan zu haben, umschreibt kein spezifisches, einem objektiven Wahrheitsbeweis zugängliches Verhalten (für den Begriff „decken“ als Teil der Passage: „Besonders gefährlich sind die …, die [Herr] F.G. deckt“ ebenso EGMR 17. April 2014 - 5709/09 - Rn. 50). Der Vorwurf kann im vorliegenden Zusammenhang vielmehr schon das Unterlassen höherer Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts oder auch nur mangelndes Interesse daran zum Gegenstand haben. Die Gründe dafür, schon in bloßer Passivität politisch ein „Decken“ von Missständen zu erblicken, können unterschiedlich sein und hängen erkennbar von der subjektiven Einschätzung des Betrachters ab. Der Vorwurf, etwas zu „decken“, bringt daher vor allem die Meinung zum Ausdruck, der Betreffende habe nicht alles von ihm zu Fordernde zur Aufklärung unternommen. Ob eine solche Wertung berechtigt erscheint, ist eine Frage des Dafürhaltens und Meinens ohne konkret fassbaren Tatsachenkern.

31

(2) Dies gilt auch dann, wenn man in die Auslegung einbezieht, dass die Klägerin dem Landrat vorgeworfen hat, „Betrügereien“ im Landkreis zu decken, wie der jüngste „Umweltskandal“ in B. und der „Subventionsbetrug“ am Rathaus in C. bewiesen. Aus der Bezugnahme auf die solcherart umschriebenen Vorgänge ergibt sich zwar erst die Relevanz des Vorwurfs. Hätte die Klägerin neutraler von bloßen „Vorgängen“ gesprochen, hätte der Vorhalt, nicht genug zu deren Aufklärung getan zu haben, nicht das gleiche Gewicht gehabt. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht aber auch in der Verwendung dieser Begriffe keine dem Beweis zugänglichen Tatsachenbehauptungen gesehen. Die Ausdrücke „Umweltskandal“ und „Betrügereien“ sind dafür zu unbestimmt. Der Terminus „Subventionsbetrug“ ist zwar ein Rechtsbegriff, der den Straftatbestand des § 264 StGB bezeichnet. Ein verständiger Leser verknüpft mit seiner Verwendung in dem Wahl-Werbeflyer der Klägerin aber nicht die Vorstellung von konkreten, strafrechtlich relevanten Vorgängen, die einer Überprüfung mit den Mitteln des Beweises zugänglich wären. Die von der Klägerin verwendeten Formulierungen dienten im Rahmen des Wahlkampfs ersichtlich als pointierte Schlagworte zur Beschreibung der von ihr ausgemachten Missstände, um die Leser ggf. dazu zu animieren, sich über die fraglichen Vorgänge selbst näher zu unterrichten. Soweit die Klägerin von „Subventionsbetrug“ spricht, ist damit erkennbar allenfalls eine pauschale Umschreibung gemeint, ohne dass diese einen fassbaren Tatsachenkern zum Gegenstand hätte. Es kommt daher nicht darauf an, ob es, wie der Beklagte im Revisionsverfahren geltend gemacht hat, „unstreitig“ feststeht, dass es „derartige Straftaten“ weder in B. noch in C. gegeben habe. Das Landesarbeitsgericht hat im Übrigen eine solche Feststellung nicht getroffen; einen Antrag nach § 320 Abs. 1 ZPO hat der Beklagte nicht gestellt, eine zulässige Verfahrensrüge hat er nicht erhoben.

32

(3) Der Ausdruck, die genannten Vorgänge „bewiesen“, dass der amtierende Landrat Betrügereien im Landkreis decke, ändert nichts am Charakter der Aussage als Meinungsäußerung. „Beweisen“ steht im gegebenen Zusammenhang für „belegen“ oder „zeigen“. Die Klägerin erklärt damit, sie halte das von ihr kritisierte Verhalten des Landrats durch die angesprochenen Vorfälle für belegt oder erwiesen. Ob dies gerechtfertigt ist, ist erneut eine Frage des Dafürhaltens und Meinens, ohne dass konkret fassbare Tatsachen behauptet würden. Selbst im Rechtssinne erfordert die Frage, ob etwas „bewiesen“ ist, eine wertende Betrachtung. In einem nicht juristischen Kontext wie hier liegt erst recht ein wertender Gebrauch nahe (vgl. zu den Begriffen „absichtlich“ und „bewusst“ BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 19).

33

(4) Ein anderes Verständnis verlangt auch nicht die anschließende Formulierung, die Klägerin stehe für eine transparente Politik, die „Gesetze einhält und die Pflichtaufgaben des Landkreises überprüft“. Damit wird dem bisherigen Landrat nicht implizit und zwingend vorgeworfen, die Gesetze verletzt zu haben. Ebenso gut lässt sich die Aussage dahin verstehen, die Klägerin wolle hervorheben, dass sie als Landrätin möglichen Gesetzesverstößen konsequenter und transparenter nachgehe. Auch dies ergibt sich nicht zuletzt aus dem Zusammenhang der Äußerung mit der von ihr so bezeichneten Säule ihrer Politik „Transparenz in der Verwaltung“.

34

dd) Das Landesarbeitsgericht hat die an die Öffentlichkeit gerichteten schriftlichen Aussagen der Klägerin zu Recht aus der objektiven Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums ausgelegt. Entgegen der Auffassung des beklagten Landkreises kommt es nicht darauf an, ob der Flyer überwiegend politisch interessierte oder desinteressierte Empfänger erreichte und ob diese um den Erhalt der Informationen gebeten hatten oder nicht. Die von dem Beklagten angestellten Schlussfolgerungen sind überdies nicht zwingend. Gerade ein nur flüchtiger, politisch desinteressierter und möglicherweise außerhalb des Wahlkampfgebiets ansässiger Leser des Flyers wird dessen Aussagen kaum auf einen konkreten Tatsachenkern bezogen haben.

35

c) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht der Meinungsfreiheit der Klägerin Vorrang vor ihrer Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Beklagten eingeräumt.

36

aa) Allerdings kann es die vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB gebieten, dass es ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes unterlässt, die Amtswahrnehmung von Repräsentanten seines Arbeitgebers in der Öffentlichkeit herabzuwürdigen. Unter welchen Voraussetzungen dies anzunehmen ist, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Die Klägerin hat ihre Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des beklagten Landkreises deshalb nicht verletzt, weil deren Reichweite ihrerseits unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit bestimmt werden muss.

37

bb) Bei der Würdigung der fraglichen Erklärungen fällt entscheidend ins Gewicht, dass es sich um Äußerungen der Klägerin über einen Gegenkandidaten im laufenden Wahlkampf gehandelt hat. Ein Wahlbewerber muss sich in einer solchen Situation ggf. auch überzogener Kritik stellen. Die Grenzen zulässiger Kritik sind gegenüber einem Politiker weiter gefasst als gegenüber einer Privatperson (zu Art. 10 Abs. 1 EMRK vgl. EGMR 17. April 2014 - 5709/09 - Rn. 41). Auch als Beschäftigte des betroffenen Landkreises durfte die Klägerin für das Amt des Landrats kandidieren und sich im Rahmen ihrer Wahlwerbung mit der Amtsausübung des seinerseits kandidierenden Landrats auseinandersetzen. Durch ihre Kandidatur und ihre öffentlichen Äußerungen setzte sich die Klägerin gleichermaßen selbst der kritischen Überprüfung aus (vgl. zu diesem Kriterium EGMR 17. April 2014 - 5709/09 - Rn. 39). In einem öffentlichen Wahlkampf ist auch ein Arbeitnehmer nicht darauf verwiesen, Kritik an der Amtsausübung eines Gegenkandidaten, der zugleich Repräsentant seines Arbeitgebers ist, zunächst nur intern zu äußern. Es geht gerade um den öffentlichen Meinungskampf, in dessen Rahmen ansonsten zu beachtende vertragliche Pflichten zur Rücksichtnahme, soweit im Interesse der Meinungsfreiheit erforderlich, zurücktreten müssen. Die Klägerin war als Leiterin der Erhebungsstelle Zensus nicht unmittelbar persönlich für den amtierenden Landrat tätig. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob von ihr anderenfalls eine weitergehende Zurückhaltung auch in einem öffentlichen Wahlkampf hätte verlangt werden können.

38

cc) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Grenzen zur Schmähkritik seien nicht überschritten. Bei den Äußerungen der Klägerin stand nicht die persönliche Diffamierung des amtierenden Landrats im Vordergrund. Die Klägerin hat nach dem vom Berufungsgericht zutreffend zugrunde gelegten Verständnis ihrer Erklärungen nicht dem Landrat selbst „kriminelle Machenschaften“ unterstellt. Sie hat vielmehr, wenn auch in zugespitzter Form, Kritik an dessen Amtswahrnehmung geübt und damit ein bereits zuvor in der Öffentlichkeit diskutiertes Thema aufgegriffen (vgl. bspw. die Pressemitteilung der Deutschen Umwelthilfe vom 2. November 2011 als Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 28. Januar 2013: „Das Landratsamt verharmlost … und blockiert…“). Es ging - entgegen der Auffassung des Beklagten - um eine politische Frage von öffentlichem Interesse (vgl. zu diesem Kriterium EGMR 17. April 2014 - 5709/09 - Rn. 42), hier das Erfordernis transparenten Verwaltungshandelns.

39

dd) Die Klägerin hat die Kritik an der Amtswahrnehmung ihres Gegenkandidaten nicht ins Blaue hinein erhoben. An einem solchen Beitrag bestünde auch im politischen Wahlkampf kein anerkennenswertes Interesse. Sie hat sich vielmehr darauf berufen, in der Presse veröffentlichte Berichte und öffentlich diskutierte Vorgänge aufgegriffen zu haben. Ihrer kritischen Bewertung der Amtsausübung des Landrats lag damit zumindest die Tatsache zugrunde, dass die Vorgänge in B. und C. und die Rolle des Landratsamts in der Öffentlichkeit als aufklärungsbedürftig angesehen worden waren. Der beklagte Landkreis mag zwar zutreffend geltend gemacht haben, der Landrat sei in der Presse nicht „krimineller Machenschaften“ bezichtigt worden. Ein solcher Aussagegehalt kommt aber - wie ausgeführt - auch dem Flyer der Klägerin nicht zu. Handelt es sich stattdessen um ein Werturteil - hier über die Amtsausübung des Landrats - und bei diesem um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, spricht eine Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede (BVerfG 22. Juni 1982 - 1 BvR 1376/79 - zu B II 1 a der Gründe, BVerfGE 61, 1; 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] zu B II 4 der Gründe, BVerfGE 7, 198). Sie beschränkt sich entgegen der Auffassung des Beklagten nicht auf spontane, mündliche Äußerungen. Vielmehr schützt Art. 5 Abs. 1 GG die freie Meinungsäußerung „in Wort, Schrift und Bild“(vgl. BVerfG 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] aaO: ua. schriftlicher Boykottaufruf; 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 -: Veröffentlichung eines „Denkzettels“ im Internet). Bei einer spontanen, mündlichen Erklärung mag außerdem die mögliche Unbedachtheit einer gewählten Formulierung zu berücksichtigen sein.

40

ee) Die Äußerung der Klägerin ging nach Form und Zeitpunkt nicht über das in einem Wahlkampf hinzunehmende Maß hinaus.

41

(1) Der beklagte Landkreis hat geltend gemacht, die Klägerin habe offensichtlich um jeden Preis potentielle Wähler für sich gewinnen wollen. Dabei lässt er außer Acht, dass sie dies nicht durch eine persönliche Diffamierung des amtierenden Landrats, sondern durch eine politische Stellungnahme zu dessen Amtswahrnehmung versucht hat. Dass sie damit zugleich beabsichtigt haben dürfte, die Wähler gegen den amtierenden Landrat und für sich selbst einzunehmen, ist nicht zu missbilligender Zweck eines Wahlkampfs.

42

(2) Ob der Vorgang anders zu beurteilen wäre, wenn die Klägerin zur Unterstützung ihrer Äußerungen ihren Dienst beim Beklagten in die Waagschale geworfen und den Lesern zB das Vorhandensein darauf beruhender besonderer Einblicke in die Zusammenhänge suggeriert hätte, bedarf keiner Entscheidung. Ein Hinweis auf ihre Beschäftigung bei dem beklagten Landkreis war dem Flyer nicht zu entnehmen.

43

(3) Dass der Flyer über das Gebiet des beklagten Landkreises hinaus verbreitet worden wäre, ist vom Landesarbeitsgericht weder festgestellt worden, noch würde dies ein anderes Ergebnis rechtfertigen. Das Anzeigenblatt, dem der Flyer beigelegt war, ist jedenfalls auch in dem Gebiet des beklagten Landkreises verteilt worden. Die Klägerin musste von dieser Möglichkeit seiner Verbreitung nicht deshalb absehen, weil das Blatt einen über den Landkreis hinausreichenden Einzugsbereich hatte.

44

(4) Soweit der Beklagte geltend gemacht hat, die Klägerin habe bewusst einen so späten Zeitpunkt für die Veröffentlichung gewählt, dass dem amtierenden Landrat vor der Wahl keine Reaktion mehr möglich gewesen sei, ist dies bereits unschlüssig. Das Anzeigenblatt wurde am 18. April 2012 verteilt, die Landratswahl fand am 22. April 2012 statt.

45

II. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung ist sozial ungerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG. Die Klägerin hat - wie ausgeführt - ihre Vertragspflichten nicht verletzt.

46

III. Den Auflösungsantrag des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zu Recht abgewiesen. Der beklagte Landkreis hat keine Umstände dargelegt, die einer weiteren gedeihlichen Zusammenarbeit der Parteien nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG entgegenstünden. Weder genügen frühere Spannungen aufgrund einer Konkurrentenklage als Auflösungsgrund, noch ist ersichtlich, warum sich die Klägerin ein Verhalten ihres Vaters zurechnen lassen müsste.

47

IV. Der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an. Das Kündigungsschutzverfahren ist rechtskräftig abgeschlossen.

48

V. Als unterlegene Partei hat der beklagte Landkreis gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

        

        

    F. Löllgen     

        

    Gerschermann    

                 

(1) Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen.

(2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 14. August 2017 - 17 Sa 1540/16 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Die Klägerin war seit 1991 bei der Beklagten, einer kommunalen Sparkasse, beschäftigt, zuletzt als Kassiererin. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft einzelvertraglicher Bezugnahme der TVöD-S Anwendung.

3

Nach der bei der Beklagten bestehenden „Anweisung 004.02.03.01 Bargeldversorgung“ sind Bargeldbestellungen anhand eines Cash-Management-Systems für den nächsten Geschäftstag zu prüfen und freizugeben. Die von der Bundesbank angelieferten Geldbehälter (P-Behälter) sind im Vier-Augen-Prinzip zu öffnen, der Geldbetrag ist vor seiner Verbuchung zu überprüfen. Die Kassierer sind durch die „Information 000.0950.03.02.01 Bareinzahlung zu Gunsten eines Kontos bei der H Sparkasse“ angewiesen, bei Bareinzahlungen ab 1.000,00 Euro auf ein eigenes oder fremdes Konto eine Kopie für den Geldwäschebeauftragten zu erstellen. Bei - auch mehreren miteinander verbundenen - Bareinzahlungen auf ein fremdes Konto über 1.000,00 Euro ist zudem die Legitimation des Einzahlers zu prüfen und in jedem Fall ein sog. GWG-Identifizierungsbogen sowie ein sog. Geldwäsche-Geko zu erstellen.

4

Im Zusammenhang mit einer im Jahr 2008 aufgetretenen Differenz bei der Geldanlieferung von der Deutschen Bundesbank teilte ua. die Klägerin in einer Stellungnahme mit, sie habe sich angewöhnt, die Geldabgabe und -annahme immer mindestens zu zweit zu kontrollieren.

5

Am 27. Mai 2015 bestellte die Klägerin bei der Deutschen Bundesbank 115.000,00 Euro in 50-Euro-Scheinen. Das Cash-Management-System der Beklagten hatte eine Bestellung iHv. lediglich 48.000,00 Euro, davon 30.000,00 Euro in 50-Euro-Scheinen vorgeschlagen. Nach der durch die Klägerin an diesem Tag durchgeführten Kassenaufnahme befanden sich im Kassenbestand noch 165.000,00 Euro in 50-Euro-Scheinen.

6

Am 28. Mai 2015 übernahmen zwei Mitarbeiter einer Wachschutzgesellschaft die Geldlieferung von der Filiale der Deutschen Bundesbank in Bochum. Die dort erfolgende Geldsortierung und -verladung ist videoüberwacht, die Fahrtroute der Geldboten wird von einer GPS-Einrichtung aufgezeichnet.

7

Gegen 09:41 Uhr am 28. Mai 2015 quittierte die Klägerin den Empfang der Lieferung und die Unversehrtheit der Plombe des P-Behälters. Im Gegenzug händigte sie den Geldboten einen P-Behälter mit 60.000,00 Euro aus. Die Klägerin deponierte den angelieferten Behälter im Kassenbereich und öffnete ihn anschließend allein. Etwa 20 Minuten nach der Anlieferung rief sie einen Kollegen herbei und teilte ihm mit, sie habe in dem P-Behälter lediglich Babynahrung und Waschmittel gefunden.

8

Die Kriminalpolizei durchsuchte noch am 28. Mai 2015 ergebnislos die Wohnungen der beiden Geldboten. Die Geschäftsstelle der Beklagten nahm sie an diesem Tag nur in Augenschein. Im Kassenbereich fand sie einen Einkaufskorb und eine Handtasche der Klägerin vor. Eine gründliche Untersuchung der Geschäftsstelle erfolgte - ohne Ergebnis - erst am Folgetag. An diesem Tag suchte die Kriminalpolizei auch die Wohnung der Klägerin auf. Im Kleiderschrank fand sie 2.900,00 Euro und in einem Schmuckkästchen weitere 200,00 Euro, jeweils in 50-Euro-Scheinen.

9

Am 29. Juni 2015 öffnete die Kriminalpolizei das Bankschließfach der Klägerin in der Hauptstelle der Beklagten. Dort befanden sich in einem mit dem Namen der Tochter der Klägerin beschrifteten Umschlag 14.800,00 Euro, in einem mit „Mamma“ beschrifteten Umschlag 16.000,00 Euro und in einem unbeschrifteten Umschlag weitere 6.200,00 Euro, jeweils unterschiedlich gestückelt. Die Klägerin hatte das Schließfach zuletzt am 27. Juni 2014 und dann erst wieder am 27. Mai 2015 aufgesucht.

10

Mit undatiertem Schreiben aus dem Jahr 2015 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie habe wegen des Vorfalls am 28. Mai 2015 Strafanzeige gegen unbekannt gestellt. Sie wies darauf hin, dass die Klägerin bei der Öffnung des Geldbehälters entgegen der Organisationsanweisung zur Bargeldversorgung nicht das Vier-Augen-Prinzip eingehalten habe. Die lückenlose Aufklärung des Sachverhalts sei auch in ihrem Interesse. Sie bat die Klägerin, den Sachverhalt aus ihrer Sicht bis zum 30. Juni 2015 umfassend schriftlich zu schildern, insbesondere weshalb sie den Behälter allein geöffnet habe. Arbeitsrechtliche Schritte und die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegenüber der Klägerin behalte sie sich vor.

11

Mit anwaltlichem Schreiben vom 13. Juli 2015 bestätigte die Klägerin, den Geldbehälter allein geöffnet zu haben. Dies sei die „übliche Verfahrensweise“ gewesen. Über eine Änderung der betreffenden Organisationsanweisung sei sie nicht informiert worden. Nach dem Öffnen des Behälters habe sie festgestellt, dass sich darin lediglich Babynahrung und Waschmittel befunden hätten, und unverzüglich einen Kollegen herbeigerufen.

12

Nach einem Gutachten des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen (LKA) vom 4. August 2015 konnten an der bei der Geldlieferung verwendeten Plombe keine Spuren festgestellt werden, die auf eine Manipulation hinwiesen. Es bestehe keine Möglichkeit, eine bereits verschlossene Plombe zu öffnen und sie wieder zu verschließen, ohne dass die Plombe zerstört werde oder diese zumindest deutliche Manipulationsspuren und Beeinträchtigungen hinsichtlich ihrer Funktion aufweise.

13

Am 24. Februar 2016 durchsuchte die Kriminalpolizei erneut das Bankschließfach der Klägerin. Darin befanden sich noch 5.800,00 Euro. Hieran anschließend ordnete die Beklagte eine Sonderprüfung der Vorfälle im Zusammenhang mit der Geldlieferung am 28. Mai 2015 durch ihre Interne Revision an.

14

Nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft verfügten die Klägerin und ihr Ehemann im Jahr 2015 über ein durchschnittliches Einkommen iHv. etwa 3.900,00 Euro monatlich. Ihnen verblieb nach eigenen Angaben ein freier Betrag iHv. 880,00 Euro pro Monat. Ausweislich des Abschlussberichts der Kriminalpolizei vom 13. November 2015 ergaben die Konten der Klägerin, ihres Ehemanns und ihrer Mutter, für die sie ebenfalls verfügungsberechtigt war, einen Gesamtschuldenstand von mehr als 100.000,00 Euro.

15

Am 4. April 2016 legte die Interne Revision dem Vorstand der Beklagten ihren Bericht vor. Sie hatte ua. die Konten der Klägerin, ihres Ehemanns, ihrer Tochter und ihrer Mutter überprüft. Es wurde festgestellt, dass sich das Girokonto der Klägerin am 28. Mai 2015 bei einem Dispositionsrahmen von 15.900,00 Euro mit gut 15.400,00 Euro im Soll befunden und die Klägerin regelmäßig ab Juli 2015 ihr Bankschließfach aufgesucht habe. Zwischen Juni 2015 und Februar 2016 seien 82 Bareinzahlungen iHv. insgesamt 33.322,03 Euro auf die Konten der Klägerin und ihrer Angehörigen erfolgt, deren Höhe zwischen 20,00 Euro und 4.500,00 Euro variiert hätten. Die beteiligten Kassierer hätten angegeben, die Einzahlungen seien stets von der Klägerin selbst und allein durchgeführt bzw. veranlasst worden. Der Bericht der Internen Revision gelangte zu dem Ergebnis, dass sehr wahrscheinlich die Klägerin die Geldlieferung entwendet habe.

16

Am 7. April 2016 hörte die Beklagte die Klägerin in einem Personalgespräch an, dessen Ablauf und Inhalt zwischen den Parteien streitig geblieben ist.

17

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien nach Zustimmung des Personalrats mit Schreiben vom 19. April 2016 außerordentlich fristlos, hilfsweise außerordentlich mit Auslauffrist zum 31. Dezember 2016.

18

Dagegen hat sich die Klägerin mit der vorliegenden Klage gewandt. Sie hat gemeint, ein wichtiger Grund iSd. § 626 BGB sei nicht gegeben. Sie habe den Verlust der Geldlieferung nicht zu verantworten. Während die Geldboten durchaus die Zeit gehabt hätten, die Geldlieferung bei sich zu Hause oder in der Nähe zu deponieren, habe sie selbst keine Gelegenheit gehabt, das Geld auszutauschen. Das bei der Durchsuchung ihrer Wohnung sichergestellte Geld stamme nicht aus der Geldlieferung. Die in ihrem Bankschließfach vorgefundenen Beträge habe sie für ihre Tochter angespart bzw. von ihrer Mutter erhalten. Am 7. April 2016 sei sie nicht ordnungsgemäß angehört worden. Ihr sei nach ihrem Eindruck nicht der Vorwurf unterbreitet worden, die 115.000,00 Euro an sich genommen zu haben. Sie habe das Gespräch lediglich als Aufklärungsgespräch verstanden. Es sei nur über ihre Geldbestellung und die Kontenbewegungen gesprochen worden. Sie habe keine Möglichkeit gehabt, die Verdachtsmomente sachgerecht zu widerlegen. Die Beklagte habe weder die Kündigungserklärungsfrist gewahrt noch den Personalrat ordnungsgemäß beteiligt.

19

Die Klägerin hat beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche und fristlose Kündigung vom 19. April 2016, zugegangen am 20. April 2016 nicht aufgelöst worden ist und auch nicht durch die hilfsweise ausgesprochene außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist vom 19. April 2016, zugegangen am 20. April 2016, zum 31. Dezember 2016 beendet wird.

20

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, die Klägerin habe die Veruntreuung von 115.000,00 Euro begangen, jedenfalls sei sie dieser Tat dringend verdächtig. Die Täterschaft anderer Personen könne mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden. In dem Gespräch am 7. April 2016 sei die Klägerin sowohl auf die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen als auch darauf hingewiesen worden, dass die Interne Revision aufgrund der Durchsuchung ihres Bankschließfachs am 24. Februar 2016 mit der Aufarbeitung des Vorfalls vom 28. Mai 2015 beauftragt worden sei und nunmehr eine weitere Klärung erfolgen solle. Gegenstand der Anhörung seien die Geldbestellung am 27. Mai 2015 sowie die Bareinzahlungen auf die Konten der Klägerin und ihrer Angehörigen zwischen Juni 2015 und Februar 2016 gewesen. Die Klägerin habe überdies ihre Pflichten nach dem Geldwäschegesetz (GwG) gravierend verletzt und sich deshalb als unzuverlässig für eine Tätigkeit als Kassiererin erwiesen.

21

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

22

Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht durfte mit der gegebenen Begründung nicht annehmen, für die außerordentliche Kündigung fehle es an einem wichtigen Grund iSv. § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD-S, § 626 Abs. 1 BGB.

23

I. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, es könne nicht im Sinne einer erwiesenen Tat davon ausgegangen werden, die Klägerin habe am 27. oder 28. Mai 2015 115.000,00 Euro veruntreut, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Revision rügt zu Recht eine Verletzung von § 286 Abs. 1 ZPO.

24

1. Nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO haben die Tatsacheninstanzen unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer ggf. durchgeführten Beweisaufnahme nach ihrer freien Überzeugung darüber zu befinden, ob sie eine tatsächliche Behauptung für wahr erachten oder nicht. Die Beweiswürdigung muss vollständig, widerspruchsfrei und umfassend sein. Mögliche Zweifel müssen überwunden, aber nicht völlig ausgeschlossen sein. Für die volle richterliche Überzeugungsbildung nach § 286 Abs. 1 ZPO ist ausreichend, dass ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit erreicht ist, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig ausschließen zu müssen(st. Rspr., vgl. BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 73; BGH 18. Oktober 2017 - VIII ZR 32/16 - Rn. 14). Soll ein Vortrag mittels Indizien bewiesen werden, hat das Gericht zu prüfen, ob es die vorgetragenen Hilfstatsachen - deren Richtigkeit unterstellt - von der Wahrheit der Haupttatsache überzeugen. Es hat die insoweit maßgebenden Umstände vollständig und verfahrensrechtlich einwandfrei zu ermitteln und alle Beweisanzeichen erschöpfend zu würdigen. Dabei sind die Tatsacheninstanzen grundsätzlich frei darin, welche Beweiskraft sie den behaupteten Indiztatsachen im Einzelnen und in einer Gesamtschau beimessen. Revisionsrechtlich ist ihre Würdigung allein darauf hin zu überprüfen, ob alle Umstände vollständig berücksichtigt und Denk- und Erfahrungsgrundsätze nicht verletzt wurden. Um diese Überprüfung zu ermöglichen, haben sie nach § 286 Abs. 1 Satz 2 ZPO die wesentlichen Grundlagen ihrer Überzeugungsbildung nachvollziehbar darzulegen(BAG 21. September 2017 - 2 AZR 57/17 - Rn. 38; 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 35). Dies erfordert zwar keine ausdrückliche Auseinandersetzung mit allen denkbaren Gesichtspunkten. Die Urteilsgründe müssen aber erkennen lassen, dass überhaupt eine sachentsprechende Beurteilung stattgefunden hat (vgl. BAG 27. Mai 2015 - 7 ABR 26/13 - Rn. 29; 21. August 2014 - 8 AZR 655/13 - Rn. 40, BAGE 149, 47; BGH 1. Dezember 2009 - VI ZR 221/08 - Rn. 18). Es genügt daher nicht, allein durch formelhafte Wendungen ohne Bezug zu den konkreten Fallumständen zum Ausdruck zu bringen, das Gericht sei von der Wahrheit einer Tatsache überzeugt oder nicht überzeugt (vgl. BGH 13. März 2003 - X ZR 100/00 - zu I 4 a der Gründe; 16. Dezember 1999 - III ZR 295/98 - zu II 2 b aa der Gründe).

25

2. Diesen Anforderungen wird die Würdigung des Landesarbeitsgerichts nicht gerecht.

26

a) Rechtsfehlerfrei ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, dass die von ihm auf Seite 27 bis 30 des amtlichen Umdrucks angeführten Umstände für eine Täterschaft der Klägerin sprechen.

27

b) Das Berufungsgericht hat weiter angenommen, es könne „angesichts der wenn auch nicht nahe liegenden Möglichkeit der Geldentnahme durch die Kurierfahrer“ „nach den objektiven Tatsachen“ allerdings nicht von einer erwiesenen Tat ausgegangen werden. Eine weiter gehende Begründung, weshalb es von der Täterschaft der Klägerin nicht überzeugt ist, enthält die angefochtene Entscheidung nicht.

28

c) Dies ist in Bezug auf die der Klägerin vorgeworfene Tat in mehrfacher Weise rechtsfehlerhaft. Es wird weder erkennbar, welche Anforderungen das Landesarbeitsgericht an die volle richterliche Überzeugungsbildung nach § 286 Abs. 1 ZPO gestellt hat noch welche Indiztatsachen es insoweit in seine Würdigung einbezogen sowie welche Beweiskraft es ihnen im Einzelnen und in der Gesamtschau beigemessen hat. Insbesondere ist nicht nachvollziehbar, weshalb die vom Landesarbeitsgericht selbst als „nicht nahe liegend“ bezeichnete Möglichkeit einer Täterschaft der Geldboten einen für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit auch angesichts der gegen die Klägerin sprechenden Indiztatsachen ausschließt. Nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts und dem LKA-Gutachten dürfte eine Täterschaft der Geldboten in der Tat fernliegen.

29

3. Es ist nicht ausgeschlossen, dass eine rechtsfehlerfreie Würdigung aller relevanten Umstände die tatrichterliche Überzeugung von der Begehung der Tat erbringt. Die erforderliche Würdigung der Indiztatsachen kann der Senat nicht selbst vornehmen (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 8 AZR 483/09 - Rn. 40; 22. Juli 2010 - 8 AZR 1012/08 - Rn. 83).

30

II. Das Landesarbeitsgericht durfte auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen auch nicht die Rechtswirksamkeit der von der Beklagten auf den Verdacht einer schweren Pflichtverletzung gestützten Kündigung mit der Begründung verneinen, die Beklagte habe die Klägerin nicht ausreichend angehört und deshalb nicht alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen.

31

1. Die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers ist - anders als bei der sog. Tatkündigung (vgl. BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 38, 71) - Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung. Das folgt aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (BAG 20. März 2014 - 2 AZR 1037/12 - Rn. 23; 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 32). Die Annahme, das für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unabdingbare Vertrauen sei bereits aufgrund des Verdachts eines erheblichen Fehlverhaltens des Arbeitnehmers zerstört, ist zumindest solange nicht gerechtfertigt, wie der Arbeitgeber die zumutbaren Mittel zur Aufklärung des Sachverhalts nicht ergriffen hat. Dazu gehört es insbesondere, dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Verdachtsmomenten zu geben, um dessen Einlassungen bei der Entscheidungsfindung berücksichtigen zu können. Versäumt der Arbeitgeber dies, kann er sich im Prozess nicht auf den Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers berufen; die hierauf gestützte Kündigung ist unwirksam (BAG 20. März 2014 - 2 AZR 1037/12 - aaO).

32

2. Die Anhörung des Arbeitnehmers hat im Zuge der gebotenen Aufklärung des Sachverhalts zu erfolgen (BAG 13. März 2008 - 2 AZR 961/06 - Rn. 15; 26. September 2002 - 2 AZR 424/01 - zu B I 1 b bb der Gründe). Der erforderliche Umfang und damit auch ihre Ausgestaltung richten sich nach den Umständen des Einzelfalls (vgl. BAG 12. Februar 2015 - 6 AZR 845/13 - Rn. 56, BAGE 151, 1; 20. März 2014 - 2 AZR 1037/12 - Rn. 24). Dabei ist ein objektiver Maßstab aus Sicht eines verständigen Arbeitnehmers zugrunde zu legen (vgl. BAG 12. Februar 2015 - 6 AZR 845/13 - Rn. 57, aaO). Die Anhörung muss einerseits nicht in jeder Hinsicht den Anforderungen genügen, die an eine Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG gestellt werden. Andererseits reicht es nicht aus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer lediglich mit einer allgemein gehaltenen Wertung konfrontiert. Der Arbeitnehmer muss vielmehr erkennen können, zur Aufklärung welchen Sachverhalts ihm Gelegenheit gegeben werden soll. Er muss die Möglichkeit haben, bestimmte, zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen ggf. zu bestreiten oder den Verdacht entkräftende Tatsachen aufzuzeigen und so zur Aufhellung der für den Arbeitgeber im Dunkeln liegenden Geschehnisse beizutragen. Um dieser Aufklärung willen wird dem Arbeitgeber die Anhörung abverlangt (BAG 20. März 2014 - 2 AZR 1037/12 - Rn. 24).

33

3. Das verlangt nicht notwendig, dass der Arbeitgeber hinsichtlich eines für aufklärungsbedürftig gehaltenen Sachverhalts bereits einen (dringenden) Verdacht gegen den Arbeitnehmer hegt und dies überdies im Rahmen der Anhörung ausdrücklich erklärt. Erforderlich ist allein, dass der Arbeitnehmer erkennen kann, welchen Sachverhalt der Arbeitgeber für aufklärungsbedürftig hält, dass er jedenfalls auch seine, des Arbeitnehmers, Verantwortung dafür in Betracht zieht und dass ihm, dem Arbeitnehmer, Gelegenheit gegeben werden soll, zu den aufklärungsbedürftigen Geschehnissen und Verdachtsmomenten Stellung zu nehmen. Dies kann sich hinreichend auch aus den Umständen der Anhörung ergeben.

34

4. Danach hat das Landesarbeitsgericht zu Unrecht angenommen, die Beklagte habe schon nach ihrem eigenen Vorbringen die Klägerin nicht ausreichend zu dem Verdacht angehört, die am 28. Mai 2015 gelieferten 115.000,00 Euro selbst aus dem Geldbehälter entnommen und gegen Babynahrung und Waschmittel ausgetauscht zu haben, da sie die Klägerin nicht ausdrücklich auf das Bestehen eines entsprechenden Verdachts hingewiesen habe. Eines solchen ausdrücklichen Hinweises bedurfte es nicht, wenn nach den konkreten Umständen kein Zweifel daran bestehen konnte, welchen Sachverhalt die Beklagte für aufklärungsbedürftig hielt, dass sie insofern zumindest auch eine Verantwortung der Klägerin in Betracht zog und dass diese Gelegenheit erhalten sollte, zu den der Aufklärung bedürftigen Geschehnissen und Verdachtsmomenten Stellung zu nehmen. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist nach dem Vorbringen der Beklagten naheliegend, bedarf aber einer abschließenden tatrichterlichen Würdigung.

35

a) Die Beklagte hat behauptet, die Klägerin in dem Gespräch am 7. April 2016 auf die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen hingewiesen zu haben. Träfe dies zu, musste der Klägerin schon aufgrund dessen klar sein, dass ein Tatverdacht zumindest auch gegen sie bestand und die Beklagte hierauf Bezug nahm. Die Wohnung der Klägerin war bereits am 29. Mai 2015 durchsucht worden. Der zugrunde liegende Durchsuchungsbeschluss war ihr nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts bekannt. Noch am selben Tag war sie außerdem erkennungsdienstlich behandelt worden, wie sie im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht selbst zu Protokoll erklärt hat. Die Beschlüsse zur Durchsuchung ihres Bankschließfachs am 29. Juni 2015 und 24. Februar 2016 waren der Klägerin nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ebenfalls bekannt. Unerheblich ist, ob sich die Klägerin im Ermittlungsverfahren als Beschuldigte eingelassen hatte. Es kommt auch nicht darauf an, dass Land- bzw. Oberlandesgericht den gegen die Klägerin verhängten dinglichen Arrest erst nach der Kündigung bestätigten.

36

b) Zur Verletzung des Vier-Augen-Prinzips beim Öffnen des Geldbehälters hatte die Beklagte die Klägerin bereits mit dem undatierten Schreiben im Jahr 2015 angehört.

37

c) Die Beklagte musste der Klägerin auch nicht noch einmal Gelegenheit zur Stellungnahme zu ihrem Verhalten nach dem Öffnen des Behälters geben. Die Klägerin hatte sich dazu bereits mit anwaltlichem Schreiben vom 13. Juli 2015 geäußert und mitgeteilt, sie habe nach dem Öffnen des Behälters festgestellt, dass sich darin statt des erwarteten Geldbetrags nur Babynahrung und Waschmittel befunden hätten, und unverzüglich einen Kollegen herbeigerufen.

38

d) Nach dem Vortrag der Beklagten ist die Klägerin zu den weiteren Verdachtsmomenten im Gespräch am 7. April 2016 angehört worden. Die Beklagte hat vorgetragen, sie habe die Klägerin sowohl zur Höhe ihrer Geldbestellung am 27. Mai 2015 als auch zu den späteren Bargeldeinzahlungen auf ihr Konto bzw. die Konten ihrer Familienangehörigen befragt. Zum Ergebnis des LKA-Gutachtens, wonach die Plombe an dem Geldbehälter aller Wahrscheinlichkeit nach nicht manipuliert worden sei, brauchte sie der Klägerin dagegen ebenso wenig Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben wie zu den weiteren Umständen, die es aus Sicht der Beklagten ausgeschlossen erscheinen ließen, dass das Geld bereits aus dem Behälter entwendet worden war, bevor er in die Filiale der Beklagten gelangte. All dies lag nicht im Wahrnehmungsbereich der Klägerin, so dass sie dazu keine eigenen Beobachtungen beitragen konnte.

39

5. Der Senat kann schon wegen des streitig gebliebenen Verlaufs des Gesprächs am 7. April 2016 nicht selbst entscheiden, ob der für eine Verdachtskündigung erforderliche dringende Verdacht einer gegen das Vermögen der Beklagten gerichteten Straftat der Klägerin gegeben ist. Daneben liegt diese Beurteilung im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet und bedarf daher der tatrichterlichen (Beweis-)Würdigung nach § 286 Abs. 1 ZPO (vgl. BAG 12. Februar 2015 - 6 AZR 845/13 - Rn. 47, BAGE 151, 1; 20. Juni 2013 - 2 AZR 546/12 - Rn. 16, BAGE 145, 278). Erforderlich ist eine Prüfung, ob die bestehenden Indiztatsachen einen ausreichend dringenden Verdacht begründen. Daran fehlt es bislang. Das Landesarbeitsgericht hat zwar unter Darstellung der dafür sprechenden Verdachtsmomente zugunsten der Beklagten unterstellt, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin am 27. oder 28. Mai 2015 aus den Geldmitteln der Beklagten 115.000,00 Euro veruntreut habe. Es hat diesbezüglich aber keine abschließende Würdigung vorgenommen.

40

III. Mit der bisher gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht auch einen wichtigen Grund iSv. § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD-S, § 626 Abs. 1 BGB für die fristlose bzw. hilfsweise außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist mit Blick auf die der Klägerin vorgeworfenen Verstöße gegen das Geldwäschegesetz oder eine daraus ggf. folgende Unzuverlässigkeit nicht verneinen.

41

1. Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen ist, die Klägerin habe nicht gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten als Kassiererin nach der im ORG-Handbuch der Beklagten hinterlegten „Information 000.0950.03.02.01“ verstoßen. Nach den nicht angegriffenen und damit für den Senat gem. § 559 Abs. 2 ZPO bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts haben andere Beschäftigte der Beklagten und damit nicht die Klägerin selbst die behaupteten Einzahlungs- und Überweisungsvorgänge vorgenommen.

42

2. Dagegen hält die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die von der Beklagten behaupteten wiederholten Bareinzahlungen der Klägerin iHv. mehr als 1.000,00 Euro auf die Konten ihrer Mutter bzw. Tochter seien „an sich“ nicht geeignet, einen wichtigen Grund iSd. § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD-S, § 626 Abs. 1 BGB darzustellen, einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

43

a) Die Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten kann „an sich“ einen wichtigen Grund iSv. § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD-S, § 626 Abs. 1 BGB darstellen. Das betrifft sowohl auf die Hauptleistungspflicht bezogene Nebenleistungspflichten, die der Vorbereitung, der ordnungsgemäßen Durchführung und der Sicherung der Hauptleistung dienen und diese ergänzen, als auch sonstige, aus dem Gebot der Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) erwachsende Nebenpflichten (BAG 20. Oktober 2016 - 6 AZR 471/15 - Rn. 18, BAGE 157, 84; 19. Januar 2016 - 2 AZR 449/15 - Rn. 29).

44

aa) Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei eines Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Der Arbeitnehmer hat seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben billigerweise verlangt werden kann. Er ist danach auch außerhalb der Arbeitszeit verpflichtet, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Durch ein rechtswidriges außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers werden berechtigte Interessen des Arbeitgebers beeinträchtigt, wenn es negative Auswirkungen auf den Betrieb oder einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat. Der Arbeitnehmer verstößt mit einem solchen Verhalten gegen seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB, wenn es einen Bezug zu seinen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen oder zu seiner Tätigkeit hat und dadurch berechtigte Interessen des Arbeitgebers oder anderer Arbeitnehmer verletzt werden(BAG 10. April 2014 - 2 AZR 684/13 - Rn. 14; 20. Juni 2013 - 2 AZR 583/12 - Rn. 26).

45

bb) Mitarbeiter von Kreditinstituten iSv. § 1 Abs. 1 KWG sind nach § 241 Abs. 2 BGB verpflichtet, die im Geldwäschegesetz geregelten Pflichten, sonstige geldwäscherechtliche Pflichten und die bei ihrem Arbeitgeber eingeführten Strategien, Kontrollen und Verfahren zur Verhinderung von Geldwäsche sorgfältig zu beachten, Tatsachen nach § 43 Abs. 1 GwG ihrem Vorgesetzten oder - sofern ein solcher bestellt ist - dem Geldwäschebeauftragten zu melden, und sich weder aktiv noch passiv an zweifelhaften Transaktionen oder Geschäftsbeziehungen zu beteiligen. Dies folgt aus der Pflicht der Kreditinstitute iSd. § 1 Abs. 1 KWG als Verpflichtete iSv. § 2 Abs. 1 Nr. 1 GwG gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 5 GwG(§ 9 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 GwG aF) die Mitarbeiter auf ihre Zuverlässigkeit iSv. § 1 Abs. 20 GwG(§ 9 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 GwG aF) zu überprüfen (vgl. BT-Drs. 17/6804 S. 34; LAG Berlin-Brandenburg 23. Oktober 2014 - 21 Sa 800/14 - zu B I 2 b aa der Gründe). Ob sich diese Pflicht auf Mitarbeiter beschränkt, die befugt sind, bare oder unbare Transaktionen auszuführen, die mit der Anbahnung und Begründung von Geschäftsbeziehungen befasst sind oder die im Rahmen ihrer arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit sonst der Geldwäsche oder der Terrorismusfinanzierung Vorschub leisten können (so Schimansky/Bunte/Lwowski BankR-HdB/Walther 5. Aufl. § 42 Rn. 486; Warius in Herzog GwG 2. Aufl. § 9 Rn. 104), oder ob sie darüber hinausgehend alle Mitarbeiter betrifft (so Häberle in Erbs/Kohlhaas Strafrechtliche Nebengesetze Stand April 2018 § 6 GwG Rn. 5), bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Sie erfasst jedenfalls Mitarbeiter, die - wie die Klägerin - als Kassiererin beschäftigt sind.

46

cc) Als „zweifelhaft“ iSv. § 1 Abs. 20 Nr. 3 GwG sind Transaktionen oder Geschäftsbeziehungen anzusehen, bei denen für den zuständigen Mitarbeiter eines Kreditinstituts iSv. § 1 Abs. 1 KWG aufgrund seines bankgeschäftlichen Verständnisses oder seines Erfahrungswissens ohne Weiteres, dh. ohne weitere Aufbereitung, Abklärung oder Anreicherung des Sachverhalts erkennbar ist, dass Abweichungen vom üblichen Geschäftsmuster oder Verhalten der am Vorgang Beteiligten (Kunden oder Dritte) vorliegen, ohne dass insoweit das Vorliegen eines strafprozessualen Anfangsverdachts erforderlich ist (vgl. zu § 25h Abs. 2 Satz 1 KWG aF Zeile 86d der Auslegungs- und Anwendungshinweise der Deutschen Kreditwirtschaft zur Verhinderung von Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und „sonstigen strafbaren Handlungen“ Stand 1. Februar 2014; BFS-KWG/Achtelik 5. Aufl. § 25h Rn. 16).

47

b) Danach ist nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin durch wiederholte Bareinzahlungen iHv. mehr als 1.000,00 Euro auf die Konten ihrer Mutter und ihrer Tochter gegen ihre Pflicht nach § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat, sich weder aktiv noch passiv an zweifelhaften Transaktionen oder Geschäftsbeziehungen zu beteiligen. Gleiches gölte, wenn sie die Einzahlungen bewusst in Teilbeträgen vorgenommen hätte, um die Meldepflicht zu vermeiden. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts setzt ein solcher Verstoß nicht den gegen die Klägerin gerichteten Verdacht einer Straftat voraus. Eine schwerwiegende Pflichtverletzung der Klägerin scheidet auch nicht allein deshalb aus, weil die Einzahlungen letztlich erst dadurch ermöglicht wurden, dass andere Beschäftigte der Beklagten ihrerseits aus Kollegialität oder Nachlässigkeit arbeitsvertragliche Pflichten verletzt haben. Sollte die Klägerin dies für ihr eigenes Vorgehen ausgenutzt haben, kann es sich im Gegenteil um ein das Gewicht ihrer Pflichtverletzung erschwerendes Moment handeln. Auch für diese Beurteilung bedarf es jedoch weiterer tatrichterlicher Feststellungen.

48

IV. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht iSd. § 561 ZPO aus anderen Gründen als richtig dar. Sie unterliegt daher der Aufhebung (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann nach den vorstehenden Ausführungen auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen und der fehlenden tatrichterlichen Würdigung nicht beurteilen, ob die außerordentliche fristlose Kündigung oder die hilfsweise erklärte außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst haben. Die Sache ist deshalb zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).

49

1. Nach den bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts dürfte die Beklagte die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt haben.

50

a) Nach § 626 Abs. 2 BGB kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt in dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald er eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Auch grob fahrlässige Unkenntnis setzt die Frist nicht in Gang. Zu den maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände (BAG 2. März 2017 - 2 AZR 698/15 - Rn. 43).

51

aa) Der Kündigungsberechtigte, der gewisse Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und dazu auch den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen begänne. Dies gilt allerdings nur solange, wie er aus verständigen Gründen und mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchführt, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts verschaffen sollen. Soll der Kündigungsgegner angehört werden, muss dies innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Sie darf im Allgemeinen nicht mehr als eine Woche betragen und nur bei Vorliegen besonderer Umstände überschritten werden. Für die übrigen Ermittlungen gilt keine Regelfrist. Bei ihnen ist fallbezogen zu beurteilen, ob sie hinreichend zügig betrieben wurden (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 54).

52

bb) Steht im Raum, dass sich der Arbeitnehmer strafbar gemacht hat, darf der Arbeitgeber den Fort- und Ausgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens abwarten und abhängig davon in dessen Verlauf zu einem nicht willkürlich gewählten Zeitpunkt kündigen (BAG 2. März 2017 - 2 AZR 698/15 - Rn. 44). Für die Wahl des Zeitpunkts bedarf es eines sachlichen Grundes. Wenn der Kündigungsberechtigte neue Tatsachen erfahren oder neue Beweismittel erlangt hat und nunmehr ausreichend Erkenntnisse für eine Kündigung zu haben glaubt, kann er dies zum Anlass für den Ausspruch einer Kündigung nehmen (BAG 22. Dezember 2012 - 2 AZR 732/11 - Rn. 31).

53

b) Danach spricht im Streitfall viel dafür, dass die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt ist.

54

aa) Die Beklagte durfte den Fortgang des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens abwarten. Sie musste den Sachverhalt - entgegen der Auffassung der Klägerin - nicht innerhalb von zwei Wochen nach dem 28. Mai 2015 selbst aufklären. Der Arbeitgeber ist in der Wahl seiner Mittel zur Aufklärung nicht beschränkt. Es steht ihm frei, eigene Ermittlungen anzustellen und/oder den Fort- oder Ausgang eines Ermittlungs- oder Strafverfahrens abzuwarten (vgl. BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 59).

55

bb) Es ist nach den bisherigen Feststellungen nicht ausgeschlossen, dass sich die Beklagte im Verlauf des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens zu einem nicht willkürlich gewählten Zeitpunkt zum Ausspruch der außerordentlichen Kündigung entschlossen hat. Nach ihrem Vorbringen hat sie die weitere Durchsuchung des Bankschließfachs der Klägerin am 24. Februar 2016 zum Anlass genommen, ihre Interne Revision mit einer Sonderprüfung zu beauftragen, in deren Rahmen die Konten der Klägerin und ihrer Angehörigen untersucht wurden. Der aufgrund dieser Sonderprüfung gefertigte Bericht gelangte zu dem Ergebnis, dass sehr wahrscheinlich die Klägerin die Geldlieferung entwendet habe. Er wurde dem Vorstand der Beklagten am 4. April 2016 vorgelegt. Die Beklagte lud die Klägerin daraufhin zur Anhörung am 7. April 2016 ein. Die Anhörung durfte sie nach dem Fortgang des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens und dem Bericht ihrer Internen Revision für erforderlich halten (vgl. BAG 2. März 2017 - 2 AZR 698/15 - Rn. 45). Die Beklagte hat überdies vorgetragen, ihre Prozessbevollmächtigten hätten auf Antrag vom 25. Februar 2016 erst am 14. April 2016 Einsicht in die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft erhalten.

56

cc) Hätte danach die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht vor der Anhörung der Klägerin am 7. April 2016 zu laufen begonnen, wäre sie mit der der Klägerin am 20. April 2016 zugegangenen Kündigung gewahrt.

57

2. Nach den bislang getroffenen Feststellungen dürfte die Beklagte auch den bei ihr gebildeten Personalrat ordnungsgemäß nach § 74 Abs. 2 LPVG NRW angehört haben. Sie hat das Gremium mit Schreiben vom 14. April 2016 über die Gründe für die beabsichtigte Kündigung informiert und die Kündigung erst nach dessen Zustimmung ausgesprochen.

        

    Koch    

        

    Niemann    

        

    Rachor     

        

        

        

    M. Trümner     

        

    Gerschermann     

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Ergibt die Begründung des Berufungsurteils zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Revision zurückzuweisen.

(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen.

(2) Das Berufungsgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(3) Das Revisionsgericht hat jedoch in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist.

(4) Kommt im Fall des Absatzes 3 für die in der Sache selbst zu erlassende Entscheidung die Anwendbarkeit von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, in Frage, so kann die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Schreibfehler, Rechnungsfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die in dem Urteil vorkommen, sind jederzeit von dem Gericht auch von Amts wegen zu berichtigen.

(2) Der Beschluss, der eine Berichtigung ausspricht, wird auf dem Urteil und den Ausfertigungen vermerkt. Erfolgt der Berichtigungsbeschluss in der Form des § 130b, ist er in einem gesonderten elektronischen Dokument festzuhalten. Das Dokument ist mit dem Urteil untrennbar zu verbinden.

(3) Gegen den Beschluss, durch den der Antrag auf Berichtigung zurückgewiesen wird, findet kein Rechtsmittel, gegen den Beschluss, der eine Berichtigung ausspricht, findet sofortige Beschwerde statt.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 27. September 2016 - 7 Sa 424/14 - insoweit aufgehoben, als es das Versäumnisurteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 1. September 2015 - 7 Sa 424/14 - aufgehoben und im Umfang dieser Aufhebung das Teilurteil des Arbeitsgerichts Bayreuth - Kammer Hof - vom 16. Mai 2014 - 4 Ca 391/13 - abgeändert hat.

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 27. September 2016 - 7 Sa 424/14 - wird aus Gründen der Klarstellung in der Hauptsache insgesamt wie folgt gefasst:

Das Versäumnisurteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 1. September 2015 - 7 Sa 424/14 - wird mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass die Berufung des Beklagten gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Bayreuth - Kammer Hof - vom 16. Mai 2014 - 4 Ca 391/13 - insoweit als unzulässig verworfen wird, als sich die Berufung gegen die Verurteilung zur Auskunfterteilung (Ziff. 2 des Teilurteils) richtet.

Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens - einschließlich der Kosten seiner Säumnis - und die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte dem Kläger wegen der Nichtherausgabe eines Fahrzeugs zum Schadensersatz verpflichtet ist.

2

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der S GmbH (im Folgenden Schuldnerin), bei der der Beklagte seit dem 1. Januar 2009 aufgrund eines „Arbeitsvertrags zum Ausbildungsdienstverhältnis“ als Angestellter im Bereich EDV beschäftigt war. Geschäftsführerin der Schuldnerin war die Mutter des Beklagten, Frau M S. Der Vater des Beklagten, R S und der Bruder des Beklagten, D S, waren ebenfalls für die Schuldnerin tätig. Parallel zu seiner Tätigkeit für die Schuldnerin absolvierte der Beklagte zuletzt eine Ausbildungsmaßnahme in einer Schule in B zum Fachinformatiker für Systemintegration, wofür er unter Fortzahlung der Vergütung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt war.

3

Dem Beklagten war zudem ein im Eigentum der Schuldnerin stehendes Firmenfahrzeug überlassen worden. In dem zwischen der Schuldnerin und dem Beklagten geschlossenen „Vertrag zur Überlassung eines KFZ an einen Mitarbeiter“ (im Folgenden Überlassungsvertrag) vom 1. Dezember 2010 heißt es auszugsweise:

        

„Zwischen der S GmbH (folgend als ´Eigentümerin´ bezeichnet)

        

und Herrn E S (folgend als ´Nutzer´ bezeichnet)

        

wird der folgende Überlassungsvertrag geschlossen:

        

Überlassung            

        

Die Eigentümerin überlasst dem Nutzer das KFZ der Marke SKODA Typ 3 T mit dem amtlichen Kennzeichen H zur Benutzung während der Ausübung seiner Tätigkeit als Administrator der M S Holding, sowie der S GmbH und während der gesamten Laufzeit seiner Ausbildung im Beruf Fachinformatiker für Systemintegration (IHK). Die Überlassung ist ausschließlich durch die GF (Oberste Leitung) der M S Holding, Frau M S, jederzeit widerruflich und gilt bei einem Wechsel des überlassenen Fahrzeugs entsprechend.

        

…       

        

Rückgabe des Fahrzeugs/Vorlage des Fahrtenbuchs            

        

Der Nutzer ist verpflichtet, das Fahrzeug ausschließlich auf Aufforderung der GF (Oberste Leitung) jederzeit zurückzugeben. Ein Zurückbehaltungsrecht wird ausdrücklich ausgeschlossen.

        

Auf Wunsch der Eigentümerin ist das Fahrtenbuch jederzeit vorzulegen.“

4

Nachdem der Kläger auf Antrag der AOK Bayern vom 3. Mai 2011 zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin bestellt war, forderte er mit Schreiben vom 23. Dezember 2011 unter Angabe des Aktenzeichens „11-800037/RA/“ die Mutter und den Vater des Beklagten in ihrer „Eigenschaft als Geschäftsführerin der Schuldnerin bzw. als faktischen Geschäftsführer“ unter Fristsetzung auf, verschiedene Fahrzeuge, ua. das dem Beklagten überlassene Fahrzeug Skoda Superb mit dem amtlichen Kennzeichen H an ihn herauszugeben. Die Eltern des Beklagten teilten dem Kläger mit Anwaltsschreiben der Rechtsanwälte E vom 24. Januar 2012 unter Angabe ihres Aktenzeichens „00539-11/SE/mue“ mit, der Skoda Superb mit dem amtlichen Kennzeichen H sei dem Beklagten aufgrund eines Ausbildungs- und Nutzungsvertrags zur Nutzung überlassen worden, sie selber nutzten das Fahrzeug nicht und könnten es deshalb auch nicht herausgeben.

5

Am 1. Januar 2012 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Kläger führte den Betrieb der Schuldnerin zunächst fort. Er kündigte Ende Januar 2012 das Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten zum 31. März 2012. Hiergegen erhob der Beklagte, vertreten durch Rechtsanwälte E, vor dem Arbeitsgericht Bayreuth Kündigungsschutzklage. Am 26. Juli 2013 schlossen die Parteien in dem Kündigungsschutzverfahren einen Vergleich, nach dem das Arbeitsverhältnis des Beklagten mit Ablauf des 31. März 2012 sein Ende gefunden hat.

6

Mit einem an die Rechtsanwaltskanzlei E, Frau Rechtsanwältin E gerichteten Schreiben vom 15. Februar 2012 verlangte der Kläger - anwaltlich vertreten - erneut die Herausgabe des Skoda Superb bis spätestens zum 22. Februar 2012. Das Schreiben, dem eine Vollmacht mit der Überschrift „In Sachen H ./. S, E“ beigefügt war, hat auszugsweise folgenden Inhalt:

        

„D, 15. Februar 2012

        

unser Zeichen: 47/12/MM

        

D55/72

        

H ./. S

        

Ihr Zeichen: 00539-11/SE/mue

        

Hier: Herausgabe Skoda Superb mit dem amtl. Kennzeichen H

        

Sehr geehrte Frau Kollegin E,

        

in vorbezeichneter Angelegenheit hat uns Rechtsanwalt H in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter über das Vermögen der S GmbH mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt. Eine auf uns ausgestellte Bevollmächtigung haben wir in der Anlage im Original beigefügt.

        

Unser Mandant hat uns Ihr Schreiben vom 24. Januar 2012 vorgelegt. Hierzu nehmen wir wie folgt Stellung:

        

A.    

Herausgabe Skoda Superb mit dem amtl. Kennzeichen H

        

Das vorbezeichnete Fahrzeug ist an unseren Mandanten nebst dem von Ihrem Mandanten geführten Fahrtenbuch herauszugeben.

        

Das Fahrzeug steht unstreitig ausweislich der überreichten Nutzungsvereinbarung im Eigentum der Insolvenzschuldnerin.

        

Ihrem Mandanten steht kein Recht zum Besitz an diesem Fahrzeug zu. Zum einen wurde in der vorgelegten Nutzungsvereinbarung jegliches Zurückbehaltungsrecht ausgeschlossen.

        

Zum anderen hat unser Mandant mit seinen Schreiben vom 23. Dezember 2011 und vom 11. Januar 2012 (zumindest konkludent) den Widerruf der Überlassung des vorstehenden Fahrzeugs durch Aufforderung Ihres Mandanten zur Herausgabe des Fahrzeugs im Rahmen des in der Nutzungsvereinbarung eingeräumten Rechts zum jederzeitigen Widerruf erklärt.

        

Vorsorglich erklären wir namens und in Vollmacht unseres Mandanten erneut den gemäß der vorgelegten Nutzungsvereinbarung jederzeit möglichen Widerruf der Überlassung des vorstehenden Fahrzeugs.

        

Vor diesem Hintergrund haben wir Ihren Mandanten namens und in Vollmacht unseres Mandanten aufzufordern, das vorbezeichnete Fahrzeuge unverzüglich, spätestens jedoch bis zum

        

22. Februar 2012

        

an unseren Mandanten herauszugeben. Wegen der Einzelheiten der Rückgabe setzt sich Ihr Mandant mit dem Mitarbeiter unseres Mandanten, Herr R, in Verbindung.

        

B.    

Freistellung von vorgerichtlichen Kosten

        

…“    

        
7

Dieses Schreiben beantwortete Rechtsanwältin E mit Schreiben vom 14. März 2012 unter ihrem Zeichen „00091-12/SE/po“ wie folgt:

        

H ./. S

        

wegen Herausgabe

                 
        

Sehr geehrter Herr Kollege M,

        

in vorbezeichneter Angelegenheit kommen wir zurück auf die Herausgabe der diversen Fahrzeuge. Ich darf wie folgt hierzu Stellung nehmen:

        

…       

        
        

2.        

Herausgabe Scoda Superb            

        

Der Scoda Superb steht tatsächlich im Eigentum der Insolvenzschuldnerin. Allerdings wurde dieser Herrn E S mit Ausbildungsvertrag als Bestandteil seiner Honorierung überlassen. Die Kündigung Ihrer Mandantschaft ist unwirksam. Ein entsprechender weiterer Beschäftigungsantrag wird demnächst bei Gericht eingereicht werden. Ihre Berufung auf einen jederzeitigen Widerruf des Nutzungsverhältnisses greift nicht, da das Widerrufsrecht nicht der S zusteht, sondern vielmehr Frau M S persönlich. Wir bitten die entsprechende Formulierung zu prüfen. Ein Herausgabeanspruch Ihres Hauses besteht daher ebenfalls nicht.

        

…       

        

Im Fall einer Klageerhebung benennen Sie mich bitte als Zustellungsbevollmächtigt.“

8

Der Kläger hat den Beklagten mit der am 30. April 2013 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage zunächst auf Herausgabe des Skoda Superb in Anspruch genommen, hilfsweise hat er Wertersatz verlangt. Mit Schriftsatz vom 30. Januar 2014 hat er den Herausgabeantrag fallengelassen und vom Beklagten ausschließlich Wertersatz für das Fahrzeug verlangt. Der Beklagte hat hilfsweise die Aufrechnung mit Ansprüchen auf Ersatz der Ausbildungskosten, von Verpflegungsmehraufwand, von Benzingeld sowie mit abgetretenen Ansprüchen seines Bruders erklärt.

9

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Beklagte schulde ihm Ersatz des Werts des Fahrzeugs. Er habe den Beklagten am 23. Dezember 2011 und am 15. Februar 2012 zur Herausgabe des Skoda Superb an sich aufgefordert. Dennoch habe der Beklagte das Fahrzeug nicht an ihn, sondern an einen Dritten herausgegeben. Die Grundsätze der privilegierten Arbeitnehmerhaftung seien im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Im Übrigen habe der Beklagte grob fahrlässig gehandelt, als er das Fahrzeug entgegen seiner eindeutigen Aufforderung einem Dritten übergeben habe.

10

Der Kläger hat zuletzt - soweit für die Revision von Bedeutung - beantragt,

        

den Beklagten zu verurteilen, an ihn Wertersatz iHv. 13.094,51 Euro zu zahlen.

11

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Er hat behauptet, er habe Ende August 2012 seine Ausbildung beendet und das Fahrzeug deshalb noch am 31. August 2012 im Betrieb der Schuldnerin an seinen Vater herausgegeben. Dieser habe es an seinen Bruder D S übergeben, dem das Fahrzeug sicherungsübereignet gewesen sei. Damit habe er alles richtig gemacht; jedenfalls habe er nicht grob fahrlässig gehandelt.

12

Das Arbeitsgericht hat den Beklagten mit Teilurteil vom 16. Mai 2014 zur Zahlung von 13.094,51 Euro Wertersatz sowie zur Erteilung einer Auskunft über die Anzahl der mit dem Fahrzeug gefahrenen Kilometer verurteilt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten durch Versäumnisurteil vom 1. September 2015 zurückgewiesen. Mit Urteil vom 27. September 2016 hat das Landesarbeitsgericht auf den Einspruch des Beklagten das Versäumnisurteil vom 1. September 2015 sowie das Teilurteil des Arbeitsgerichts - unter Zurückweisung der Berufung des Beklagten im Übrigen - teilweise abgeändert und die Klage insoweit abgewiesen, als der Beklagte zu einem den Betrag von 4.400,00 Euro übersteigenden Wertersatz verurteilt worden ist. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die Berufung des Beklagten sei insoweit unzulässig, als mit ihr die Verurteilung zur Auskunftserteilung angegriffen wurde. Mit der Revision begehrt der Kläger die Aufrechterhaltung des Versäumnisurteils im Hinblick auf den Wertersatz. Der Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet.

14

A. Die Revision des Klägers ist zulässig, insbesondere ist sie statthaft. Zwar hat das Landesarbeitsgericht die Revision entgegen § 72 Abs. 1 Satz 2 iVm. § 64 Abs. 3a Satz 1 ArbGG nicht in dem verkündeten Urteilstenor zugelassen, der verkündete Urteilstenor enthält - ebenso wie die von sämtlichen Mitgliedern der Kammer unterschriebene Urteilsformel - keine Entscheidung, ob die Revision zugelassen oder nicht zugelassen wird. Allerdings wurde der Urteilstenor vom Landesarbeitsgericht mit Beschluss vom 13. Oktober 2016 nach § 319 ZPO dahin berichtigt, dass die Revision zugelassen wird. An die so erfolgte Revisionszulassung ist der Senat aufgrund des aus dem Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG)folgenden Grundsatzes des Vertrauensschutzes und des Anspruchs der Parteien auf ein faires Verfahren gebunden.

15

I. Hat das Landesarbeitsgericht eine Entscheidung über die Zulassung der Revision getroffen und es versehentlich versäumt, diese Entscheidung in den Urteilstenor aufzunehmen, ist es grundsätzlich nicht gehindert, den Urteilstenor unter den Voraussetzungen des § 319 ZPO von Amts wegen im Wege des Berichtigungsbeschlusses zu ergänzen(vgl. für den Fall, dass eine getroffene Entscheidung falsch in den Urteilstenor aufgenommen wurde BAG 10. Mai 2005 - 9 AZR 251/04 - Rn. 19 bis 21, BAGE 114, 313; für das zivilgerichtliche Verfahren vgl. etwa BGH 5. Juli 2017 - XII ZB 509/15 - Rn. 14; 10. Februar 2015 - XI ZR 187/13 - Rn. 7; 11. Mai 2004 - VI ZB 19/04 - zu II 2 der Gründe; 17. Dezember 2003 - II ZB 35/03 - zu II 2 b der Gründe). Aus § 64 Abs. 3a ArbGG iVm. § 72 Abs. 1 Satz 2 ArbGG folgt nichts Abweichendes.

16

1. § 64 Abs. 3a ArbGG iVm. § 72 Abs. 1 Satz 2 ArbGG sieht für den Fall, dass die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, ob die Revision zugelassen oder nicht zugelassen wird, nicht in den Urteilstenor aufgenommen wurde, vor, dass der Urteilstenor „auf Antrag“ vom Gericht ergänzt werden kann. Es spricht viel dafür, dass § 64 Abs. 3a Satz 1 ArbGG nicht nur den Fall erfasst, in dem die Nichtaufnahme der Rechtsmittelzulassung oder -nichtzulassung darauf beruht, dass das Gericht keine entsprechende Entscheidung getroffen hat, sondern auch in dem Fall Anwendung findet, in dem das Gericht eine Entscheidung über die Zulassung oder Nichtzulassung des Rechtsmittels zwar getroffen, diese versehentlich aber nicht in den Urteilstenor aufgenommen hat. § 64 Abs. 3a ArbGG differenziert seinem Wortlaut nach nicht zwischen diesen beiden Fällen, sondern stellt lediglich darauf ab, dass eine Aufnahme der Entscheidung, ob das Rechtsmittel zugelassen oder nicht zugelassen wird, in den Urteilsspruch unterblieben ist. Danach kommt es auf die Gründe hierfür nicht an. Zudem ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, dass der Gesetzgeber den Parteien auch für den Fall, dass „versehentlich versäumt“ wurde, die Zulassung bzw. Nichtzulassung des Rechtsmittels in den Urteilstenor aufzunehmen, das Verfahren nach § 64 Abs. 3a ArbGG zur Verfügung stellen wollte(vgl. BT-Drs. 14/626 S. 10).

17

2. Dennoch schließt § 64 Abs. 3a ArbGG für den Fall, dass das Landesarbeitsgericht die Revision bereits im Urteil zulassen wollte und der entsprechende Ausspruch bloß versehentlich unterblieben ist, eine entsprechende Korrektur von Amts wegen nach § 319 ZPO grundsätzlich nicht aus. Eine Auslegung von § 64 Abs. 3a ArbGG dahin, dass das Gericht auch in dem Fall, dass eine Entscheidung über die Zulassung oder Nichtzulassung des Rechtsmittels zwar getroffen, aber versehentlich nicht in den Urteilstenor aufgenommen wurde, nur auf Antrag und demnach nicht von Amts wegen tätig werden kann, wäre mit dem aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden verfassungsrechtlichen Gebot fairer Verfahrensgestaltung nicht vereinbar.

18

a) Danach muss ein gerichtliches Verfahren so gestaltet werden, wie die Parteien des Zivilprozesses es vom Gericht erwarten dürfen. Das Gericht darf sich nicht nur nicht widersprüchlich verhalten, sondern auch aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern oder Versäumnissen keine Verfahrensnachteile ableiten und ist allgemein zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet (BVerfG 18. Juli 2013 - 1 BvR 1623/11 - Rn. 20; Uhle Justitielle Gewährleistungen in HGR V § 129 Rn. 61). Der Zugang zu den Gerichten und zu den Rechtsmittelinstanzen darf durch die Auslegung des Prozessrechts nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (BVerfG 26. Juli 2007 - 1 BvR 602/07 - Rn. 11).

19

b) Das Prozessrecht gibt den Gerichten gerade mit § 319 ZPO die Möglichkeit, offensichtliche und sofort erkannte Versehen zu korrigieren. Der Sinn dieser Bestimmung liegt erkennbar darin, Verfälschungen des Rechtsspruchs durch technische Fehlleistungen oder offensichtliche Irrtümer zu vermeiden. § 319 ZPO schützt die Rechtsuchenden demnach vor den Folgen solcher im Justizalltag unvermeidlichen Fehler und ist damit Ausdruck des das Prozessrecht durchziehenden Prinzips der Rücksichtnahme auf die Rechtsuchenden und ihrer fairen Behandlung(vgl. etwa BVerfG 15. Januar 1992 - 1 BvR 1184/86 - zu II 2 der Gründe).

20

c) Einer Auslegung von § 64 Abs. 3a ArbGG dahin, dass das Gericht in dem Fall, dass eine Entscheidung über die Zulassung oder Nichtzulassung des Rechtsmittels zwar getroffen, aber versehentlich nicht in den Urteilstenor aufgenommen wurde, grundsätzlich nicht gehindert ist, den Urteilstenor unter den Voraussetzungen des § 319 ZPO von Amts wegen im Wege des Berichtigungsbeschlusses zu ergänzen, steht insbesondere nicht ein klar erkennbarer gegenteiliger Wille des Gesetzgebers entgegen. Der Gesetzgeber selbst hat mit § 64 Abs. 3a ArbGG nicht eindeutig geregelt, dass eine Ergänzung des Urteilstenors „nur“ auf Antrag hin und damit nicht von Amts wegen durch das Gericht selbst möglich ist. Auch in der Entstehungsgeschichte der Bestimmung finden sich keine Anhaltspunkte für einen derartigen gesetzgeberischen Willen. Soweit § 64 Abs. 3a Satz 2 ArbGG, wonach der Antrag auf Ergänzung binnen einer Frist von zwei Wochen ab Verkündung des Urteils gestellt sein muss, erkennen lässt, dass es dem Gesetzgeber darum ging, möglichst kurzfristig Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu schaffen, steht diese Grundentscheidung einer Berichtigung des Urteilstenors von Amts wegen nach § 319 ZPO jedenfalls dann nicht entgegen, wenn das Gericht - wie hier - bis zum Ablauf der Frist des § 64 Abs. 3a Satz 2 ArbGG den Parteien gegenüber sein Versehen und seine Absicht, das Urteil entsprechend zu berichtigen, offenbart.

21

II. Der auf § 319 ZPO gestützte Beschluss des Landesarbeitsgerichts vom 13. Oktober 2016, mit dem der Urteilstenor dahin berichtigt wurde, dass die Revision zugelassen wird, hat für den Senat bindende Wirkung.

22

1. Allerdings ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Berichtigung nach § 319 Abs. 1 ZPO nur dann zulässig und entfaltet auch nur dann eine entsprechende Bindungswirkung für das Rechtsmittelgericht, wenn die Tatsache, dass die Revisionszulassung beschlossen und nur versehentlich nicht im Urteil ausgesprochen worden war, aus dem Zusammenhang des Urteils selbst oder mindestens aus den Vorgängen bei seinem Erlass oder seiner Verkündung nach außen hervorgetreten ist. Dabei muss das Versehen, weil Berichtigungen nach § 319 ZPO auch von einem Richter beschlossen werden können, der an der fraglichen Entscheidung nicht mitgewirkt hat, selbst für Dritte ohne weiteres deutlich sein; ein nur gerichtsintern gebliebenes Versehen, das meist nicht ohne weitere Beweiserhebung überprüft werden könnte, ist demnach keine „offenbare Unrichtigkeit“ iSv. § 319 ZPO(st. Rspr., vgl. BGH 5. Juli 2017 - XII ZB 509/15 - Rn. 14; 10. Februar 2015 - XI ZR 187/13 - Rn. 7; 11. Mai 2004 - VI ZB 19/04 - zu II 2 der Gründe; kritisch Stein/Jonas/Leipold 22. Aufl. § 319 Rn. 41 f.).

23

2. Danach bestehen erhebliche Zweifel am Vorliegen einer „offenbaren Unrichtigkeit“ iSv. § 319 ZPO. Weder aus dem Protokoll der Sitzung noch aus dem Protokoll der Verkündung noch aus der von sämtlichen Richtern unterschriebenen Urteilsformel ergeben sich irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass die Richter die Revision zulassen wollten.

24

3. Es kann dahinstehen, ob die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Senat im Grundsatz anschließt, dann einer Korrektur bedarf, wenn die Richter, die an der Entscheidung, die Revision zuzulassen, mitgewirkt haben, einen entsprechenden Berichtigungsbeschluss fassen. Insoweit könnte ggf. zu erwägen sein, dass sich in einem solchen Fall die „offenbare Unrichtigkeit“ aus der Sicht dieser Richter beurteilt (im Hinblick auf Unrichtigkeiten im Rubrum vgl. BGH 27. März 2012 - II ZB 6/09 - Rn. 2 mwN) und das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Berichtigung nach § 319 ZPO vom Rechtsmittelgericht nicht mehr überprüft werden könnte. In einem solchen Fall gibt es nämlich keinen Grund, an dem Erfordernis festzuhalten, wonach die Tatsache, dass die Revisionszulassung beschlossen und nur versehentlich nicht im Urteil ausgesprochen worden war, aus dem Zusammenhang des Urteils selbst oder mindestens aus den Vorgängen bei seinem Erlass oder seiner Verkündung nach außen - für Dritte erkennbar - hervorgetreten sein muss.

25

4. Jedenfalls durften die Parteien im vorliegenden Verfahren darauf vertrauen, dass die Revision wirksam zugelassen war. Dies hat zur Folge, dass der Senat an die Revisionszulassung gebunden ist.

26

a) Die Vorsitzende, die an der fraglichen Entscheidung mitgewirkt hatte, hat bereits am 27. September 2016 unmittelbar im Anschluss an die Urteilsverkündung vom selben Tag das Schreiben vom 28. September 2016 verfügt, mit dem sie den Parteien mitgeteilt hat, dass beabsichtigt gewesen sei, die Revision (im Urteil) zuzulassen, und dass vor diesem Hintergrund beabsichtigt sei, den Urteilstenor nach § 319 ZPO dahin zu berichtigen, dass die Revision zugelassen wird. Dieses Schreiben ist den Parteien noch während des Laufs der Frist nach § 64 Abs. 3a Satz 2 ArbGG zugegangen. Zu dieser Berichtigungsabsicht haben die Parteien sich nicht geäußert. Durch Beschluss vom 13. Oktober 2016 hat die Vorsitzende den Urteilstenor dann - wie beabsichtigt - berichtigt. Das mit einem handschriftlichen Berichtigungsvermerk versehene Urteil nebst Begründung der Revisionszulassung und entsprechender Rechtsmittelbelehrung ist von sämtlichen Mitgliedern der Kammer unterschrieben und wurde den Parteien mit dem Berichtigungsbeschluss am 17. bzw. 19. Oktober 2016 zugestellt.

27

b) Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung des Umstands, dass eine entgegenstehende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu der Frage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen eine Urteilsberichtung von Amts wegen nach § 319 ZPO in dem Fall, dass eine Entscheidung über die Zulassung des Rechtsmittels zwar getroffen, aber versehentlich nicht in den Urteilstenor aufgenommen wurde, überhaupt in Betracht kommt, nicht bestand, hatten die Parteien keinerlei Veranlassung, das Vorgehen des Landesarbeitsgerichts in Zweifel zu ziehen. Vielmehr durften sie nicht nur darauf vertrauen, dass das Landesarbeitsgericht mit dem auf § 319 ZPO gestützten Berichtigungsbeschluss die zutreffende prozessuale Verfahrensweise gewählt hatte, sondern auch, dass die Voraussetzungen für eine Berichtigung nach § 319 ZPO vorlagen.

28

Zweifel an der Wirksamkeit der Revisionszulassung waren auch nicht deshalb angebracht, weil der Berichtigungsbeschluss vom 13. Oktober 2016 ausschließlich durch die Kammervorsitzende unterzeichnet war. Dabei kann offenbleiben, ob der auf § 319 ZPO gestützte Berichtigungsbeschluss von der Vorsitzenden allein getroffen werden durfte, wofür sprechen könnte, dass nach § 128 Abs. 4 ZPO eine mündliche Verhandlung freigestellt ist und § 53 Abs. 1 ArbGG vorsieht, dass der Beschluss in einem solchen Fall vom Vorsitzenden allein erlassen werden kann, oder ob nur die Kammer über die Berichtigung entscheiden durfte, was sich aus § 64 Abs. 3a Satz 3 ArbGG ergeben könnte. Das Urteil, in dem die Revisionszulassung begründet wurde und das eine entsprechende Rechtsmittelbelehrung enthält, ist von sämtlichen Mitgliedern der Kammer unterschrieben. Damit haben auch die an der fraglichen Entscheidung beteiligten ehrenamtlichen Richter bekundet, dass die bereits beschlossene Revisionszulassung nur versehentlich nicht in den verkündeten Urteilstenor aufgenommen worden war.

29

Im Übrigen wirkt sich aus, dass die Vorsitzende bereits durch ihren Hinweis vom 28. September 2016 bei beiden Parteien, für die wegen des wechselseitigen Obsiegens und Unterliegens jeweils ein Rechtsmittel in Betracht kam, den Eindruck erweckt hat, dass es eines Antrags nach § 64 Abs. 3a ArbGG auf Ergänzung des Tenors mit dem Ziel einer Revisionszulassung nicht mehr bedurfte.

30

B. Die Revision ist auch begründet.

31

I. Dies folgt allerdings nicht bereits daraus, dass die Berufung des Beklagten unzulässig gewesen wäre.

32

Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers hat der Beklagte die Berufung - soweit für die Revision von Belang - frist- und formgerecht eingelegt (§ 66 Abs. 1 Satz 1, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. § 519 ZPO). Bereits der Schriftsatz des Beklagten vom 5. Juni 2014 genügte noch den Anforderungen des § 519 Abs. 2 ZPO. Er ließ insbesondere ausreichend erkennen, dass der Beklagte das Teilurteil des Arbeitsgerichts einer Überprüfung durch die höhere Instanz zuführen wollte (vgl. BGH 17. Juli 2008 - V ZB 151/07 - Rn. 9). Der Beklagte hat zwar ausdrücklich nur „Rechtsmittel“ eingelegt, allerdings sowohl das anzufechtende Teilurteil unter Angabe des Datums und des zutreffenden Aktenzeichens als auch das Kurzrubrum der Parteien bezeichnet. Zudem hat er im letzten Absatz seines Schriftsatzes vom 5. Juni 2014 deutlich gemacht, dass er sich gegen seine Verurteilung zur Leistung von Wertersatz wandte. Dass er nicht das Wort „Berufung“ verwendet hat, ist unschädlich, da eine wirksame Berufungsschrift nicht von dem Gebrauch des Worts „Berufung“ abhängt (vgl. BGH 17. Juli 2008 - V ZB 151/07 - Rn. 11).

33

II. Die Revision ist jedoch deshalb begründet, weil der Beklagte dem Kläger wegen der Nichtherausgabe des Skoda Superb - über den vom Landesarbeitsgericht dem Kläger bereits zuerkannten Betrag iHv. 4.400,00 Euro hinaus - Schadensersatz in Höhe weiterer 8.694,51 Euro schuldet. Der Anspruch folgt aus § 281 BGB iVm. § 280 Abs. 1, Abs. 3 BGB.

34

1. Nach § 281 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Gläubiger, soweit der Schuldner die fällige Leistung nicht oder nicht wie geschuldet erbringt, unter den Voraussetzungen des § 280 Abs. 1 BGB Schadensersatz statt der Leistung verlangen, wenn er dem Schuldner erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung oder Nacherfüllung bestimmt hat. Nach § 281 Abs. 2 BGB ist die Fristsetzung entbehrlich, wenn der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert oder wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs rechtfertigen.

35

§ 281 BGB findet auch auf schuldrechtliche Rückgewähransprüche Anwendung. Auch für schuldrechtliche Rückgewähransprüche hat der Gesetzgeber dem Gläubiger die Möglichkeit gegeben, zum Schadensersatz überzugehen, und zwar unabhängig davon, ob er das Interesse an der Rückgewähr der Sache verloren hat (vgl. BT-Drs. 14/6040 S. 138 f.). Die Norm entspricht dem Ziel der Schuldrechtsmodernisierung, dem Gläubiger durch Streichung des § 283 BGB aF und Einfügung der §§ 280, 281 BGB eine einfachere und kostengünstigere Möglichkeit zu geben, von der Leistungspflicht zum Schadensersatz überzugehen(BGH 18. März 2016 - V ZR 89/15 - Rn. 22, BGHZ 209, 270).

36

2. Die Voraussetzungen des § 281 BGB iVm. § 280 Abs. 1 und Abs. 3 BGB liegen vor.

37

a) Der Beklagte hat dadurch, dass er das Fahrzeug Skoda Superb am 31. August 2012 nicht an den Kläger, sondern an seinen Vater herausgegeben hat, seine Pflicht aus dem „Vertrag zur Überlassung eines KFZ an einen Mitarbeiter“ vom 1. Dezember 2010, das Fahrzeug an den Berechtigten herauszugeben, verletzt.

38

Der Beklagte war - wie er selbst eingeräumt hat - nach dem „Vertrag zur Überlassung eines KFZ an einen Mitarbeiter“ vom 1. Dezember 2010 mit Beendigung seiner Ausbildung am 31. August 2012 verpflichtet, das Fahrzeug Skoda Superb, das nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, an die der Senat gebunden ist (§ 559 Abs. 2 ZPO), nach wie vor im Eigentum der Schuldnerin stand, herauszugeben. Ob der Beklagte bereits im Februar 2012 aufgrund des mit Schreiben des Klägers vom 15. Februar 2012 erklärten Widerrufs der Überlassung zur Herausgabe verpflichtet war, kann daher dahinstehen.

39

Die Rückgabe des Fahrzeugs hatte an den Kläger als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin zu erfolgen, da dieser als Partei kraft Amtes an die Stelle der Schuldnerin getreten und damit Gläubiger der Rückgabeforderung geworden ist. Der Beklagte, dem bekannt war, dass über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und dass der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt worden war, konnte schuldbefreiend nur noch an den Insolvenzverwalter leisten und diesem das Fahrzeug übergeben, § 82 Satz 1 InsO. Der Begriff der Leistung in § 82 Satz 1 InsO ist identisch mit dem allgemeinen Leistungsbegriff des § 362 BGB(MüKoInsO/Ott/Vuia 3. Aufl. § 82 Rn. 3). Auch die bloße Entgegennahme der Leistung durch den Schuldner nach der Verfahrenseröffnung führt nicht zu einem „Bewirken“ und damit nicht zur Erfüllung der zugrunde liegenden Verbindlichkeit, weil der Schuldner mit der Verfügungsbefugnis auch seine Empfangszuständigkeit für die Leistung zugunsten der Empfangszuständigkeit der Masse als Teil der Verwaltungsbefugnis verloren hat (§ 80 Abs. 1 InsO; MüKoInsO/Ott/Vuia aaO).

40

b) Der Beklagte hat die Pflichtverletzung auch zu vertreten. Nach § 276 BGB hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Insoweit kann dahinstehen, ob der Beklagte vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat und welcher Fahrlässigkeitsvorwurf ihm im Einzelnen zu machen ist, jedenfalls hat er, wie das Landesarbeitsgericht angenommen und der Beklagte nicht in Abrede gestellt hat, fahrlässig gehandelt.

41

c) Der Kläger musste dem Beklagten, bevor er von diesem Schadensersatz statt der Leistung verlangte, entgegen § 281 Abs. 1 Satz 1 BGB auch keine angemessene Frist für die Herausgabe des Fahrzeugs Skoda Superb bestimmen. Dies folgt aus § 281 Abs. 2 BGB, wonach die Fristsetzung unter anderem entbehrlich ist, wenn der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Verfahren erfüllt.

42

aa) An das Vorliegen einer § 281 Abs. 2 BGB entsprechenden Erfüllungsverweigerung sind strenge Anforderungen zu stellen; diese sind nur erfüllt, wenn der Schuldner nicht nur eine Leistungspflicht bestreitet, sondern eindeutig zum Ausdruck bringt, er werde seinen Verpflichtungen nicht nachkommen, und es damit ausgeschlossen erscheint, dass er sich durch eine Fristsetzung hätte oder werde umstimmen lassen (vgl. BGH 12. Februar 2014 - XII ZR 76/13 - Rn. 27, BGHZ 200, 133; 17. Oktober 2008 - V ZR 31/08 - Rn. 29; 21. Dezember 2005 - VIII ZR 49/05 - Rn. 25).

43

bb) Der Kläger hatte den Beklagten mit der am 30. April 2013 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage zunächst mit seinem Hauptantrag auf Herausgabe des Fahrzeugs Skoda Superb in Anspruch genommen und nur hilfsweise Wertersatz gefordert. Nachdem der Beklagte hierauf mit Schriftsatz vom 27. Juni 2013 zunächst erwidert hatte, das Fahrzeug an seinen Bruder D S übergeben zu haben und später im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht am 9. Januar 2014 erklärt hatte, er habe das Fahrzeug an das Einzelunternehmen M S Holding, hier konkret an seinen Vater R S herausgegeben, der insoweit Vollmacht gehabt habe, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 30. Januar 2014 seinen Herausgabeanspruch fallengelassen und ausschließlich Wertersatz und damit Schadensersatz statt der Leistung verlangt.

44

Zu diesem Zeitpunkt erschien es ausgeschlossen, dass der Beklagte auf eine Fristsetzung hin seiner Verpflichtung zur Herausgabe des Fahrzeugs Skoda Superb an den Kläger noch nachkommen würde. Er war nicht nur nicht mehr im Besitz des Fahrzeugs, sondern hatte mit seinem gesamten Vorbringen auch seine Rechtsauffassung zum Ausdruck gebracht, seine Verpflichtung zur Herausgabe des Skoda Superb durch die Übergabe an einen Dritten, nämlich D S bzw. an seinen Vater bereits erfüllt zu haben und deshalb dem Kläger gegenüber nicht zur Herausgabe verpflichtet zu sein, was nichts anderes bedeutet, als dass er zur Herausgabe des Fahrzeugs nicht bereit war.

45

3. Der Beklagte schuldet dem Kläger wegen der Nichtherausgabe des Skoda Superb an diesen aus § 281 Abs. 1 BGB - über den vom Landesarbeitsgericht dem Kläger bereits zuerkannten Betrag iHv. 4.400,00 Euro hinaus - die Zahlung weiterer 8.694,51 Euro als Schadensersatz.

46

a) Der Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung aus § 281 Abs. 1 Satz 1 BGB soll den durch die Nichterfüllung entstandenen Schaden ausgleichen. Er ist auf das Leistungsinteresse (positives Interesse) gerichtet. Der Gläubiger ist wirtschaftlich so zu stellen, wie er stehen würde, wenn der Schuldner den Vertrag ordnungsgemäß erfüllt hätte (vgl. etwa BGH 28. Februar 2018 - VIII ZR 157/17 - Rn. 21; 11. Februar 2009 - VIII ZR 328/07 - Rn. 20). Ein Anspruch auf Naturalrestitution kommt regelmäßig nicht in Betracht, weil dadurch die Erfüllung der vertraglichen Leistung herbeigeführt würde, die der Gläubiger gemäß § 281 Abs. 4 BGB gerade nicht mehr verlangen kann, weshalb stattdessen Schadensersatz in Geld zu leisten ist(BGH 11. Oktober 2012 - VII ZR 179/11 - Rn. 9).

47

b) Da das Fahrzeug Skoda Superb unstreitig einen Wert iHv. insg. 13.094,51 Euro hatte und das Landesarbeitsgericht den Beklagten bereits rechtskräftig zur Zahlung von Schadensersatz iHv. 4.400,00 Euro verurteilt hatte, hat der Kläger gegen den Beklagten grundsätzlich einen Anspruch auf Zahlung weiterer 8.694,51 Euro.

48

c) Der Anspruch des Klägers auf Zahlung weiterer 8.694,51 Euro ist entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts und des Beklagten nicht nach den Grundsätzen der privilegierten Arbeitnehmerhaftung ausgeschlossen oder zumindest begrenzt.

49

aa) Kommen die Grundsätze zur privilegierten Arbeitnehmerhaftung zum Tragen, hat ein Arbeitnehmer vorsätzlich verursachte Schäden in vollem Umfang zu tragen, bei leichtester Fahrlässigkeit haftet er dagegen nicht. Bei normaler Fahrlässigkeit ist der Schaden in aller Regel zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu verteilen, bei grober Fahrlässigkeit hat der Arbeitnehmer in aller Regel den gesamten Schaden zu tragen. Der Umfang der Beteiligung des Arbeitnehmers an den Schadensfolgen ist durch eine Abwägung der Gesamtumstände zu bestimmen, wobei insbesondere Schadensanlass, Schadensfolgen, Billigkeits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkte eine Rolle spielen. Eine möglicherweise vorliegende Gefahrgeneigtheit der Arbeit ist ebenso zu berücksichtigen wie die Schadenshöhe, ein vom Arbeitgeber einkalkuliertes Risiko, eine Risikodeckung durch eine Versicherung, die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb und die Höhe der Vergütung, die möglicherweise eine Risikoprämie enthalten kann. Auch die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers und die Umstände des Arbeitsverhältnisses, wie die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Familienverhältnisse und sein bisheriges Verhalten können zu berücksichtigen sein ( BAG 15. September 2016 - 8 AZR 187/15 - Rn. 54; 15. November 2012 - 8 AZR 705/11  - Rn. 25 ; 28. Oktober 2010 -  8 AZR 418/09  - Rn. 18 ).

50

bb) Vorliegend spricht bereits viel dafür, dass der Beklagte aus diesen Grundsätzen bereits deshalb nichts zu seinen Gunsten ableiten kann, weil er vorsätzlich gegen seine Pflicht zur Herausgabe des Fahrzeugs Skoda Superb an den Kläger verstoßen und dabei bewusst in Kauf genommen hat, dass das Fahrzeug der Insolvenzmasse entzogen wird.

51

(1) Dem steht nicht entgegen, dass das Landesarbeitsgericht den Verschuldensgrad der mittleren Fahrlässigkeit angenommen hat.

52

(a) Zwar steht dem Tatsachengericht bei der Feststellung des Verschuldens und der einzelnen Grade des Verschuldens ein erheblicher Beurteilungsspielraum zu. Das Revisionsgericht kann lediglich prüfen, ob der Tatsachenrichter von den richtigen Beurteilungsmaßstäben ausgegangen ist, die wesentlichen Umstände berücksichtigt und Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt hat ( BAG 15. September 2016 - 8 AZR 187/15 - Rn. 56; 15. November 2012 - 8 AZR 705/11  - Rn. 20 mwN).

53

(b) Das Landesarbeitsgericht hat die Annahme einer mittleren Fahrlässigkeit damit begründet, zugunsten des Beklagten sei zu berücksichtigen, dass dieser insolvenzunerfahren und dass es deshalb nicht völlig fernliegend gewesen sei, wenn dieser - wenn auch letztlich zu Unrecht - angenommen habe, das Fahrzeug sei seinem Bruder D S sicherungsübereignet gewesen und deshalb auch im Insolvenzverfahren letztlich an diesen herauszugeben gewesen. Zudem wirke sich aus, dass der Kläger den Beklagten nicht zur Herausgabe des Fahrzeugs aufgefordert habe. Das Schreiben des Klägers vom 23. Dezember 2011 sei an die Eltern des Beklagten gerichtet gewesen und das Schreiben der Bevollmächtigten des Klägers vom 15. Februar 2012 sei dem Beklagten nicht zuzurechnen, da es das Aktenzeichen des mit den Eltern des Beklagten bestehenden Mandats betroffen habe.

54

(c) Das Landesarbeitsgericht hat bei seiner Würdigung nicht nur nicht den gesamten Inhalt des Schreibens der Bevollmächtigten des Klägers vom 15. Februar 2012 berücksichtigt, sondern vor allem das Antwortschreiben der Rechtsanwälte E vom 14. März 2012 völlig unberücksichtigt gelassen. Hieraus ergab sich, dass das Schreiben der Bevollmächtigten des Klägers vom 15. Februar 2012, mit dem diese die Herausgabe des Fahrzeugs Skoda Superb an den Kläger verlangten, an den Beklagten gerichtet war und dass die Rechtsanwälte E als Bevollmächtigte des Beklagten, deren Kenntnis der Beklagte sich nach § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen muss, dies auch so verstanden haben.

55

Zwar war das Schreiben vom 15. Februar 2012 wegen der vorausgegangenen Korrespondenz und wegen der Übernahme des Aktenzeichens der Gegenseite zunächst im Kontext der bereits ausgetauschten Schreiben zwischen dem Kläger und den Bevollmächtigten der Eltern des Beklagten zu sehen. Allerdings haben die Bevollmächtigten des Klägers mit dem Schreiben vom 15. Februar 2012 ausdrücklich und ausschließlich vom Beklagten die Herausgabe des Skoda Superb mit dem amtl. Kennzeichen H verlangt. Auch haben sie dem Beklagten gegenüber ausdrücklich und vorsorglich erneut den Widerruf der Überlassung des Fahrzeugs und von diesem die Herausgabe bis zum 22. Februar 2012 verlangt. In dem Schreiben der Bevollmächtigten des Klägers vom 15. Februar 2012 war zudem allein die Rede von „Ihrem Mandanten“ und davon, dass diesem aus der Nutzungsvereinbarung kein Recht zum Besitz zustehe. Auch die beigefügte Vollmacht bezog sich allein auf den Streit zwischen dem Kläger und dem Beklagten. Da die Rechtsanwälte E den Beklagten zu diesem Zeitpunkt bereits im Kündigungsschutzverfahren vertraten, durfte der Kläger auch davon ausgehen, dass diese zur Entgegennahme des an den Beklagten gerichteten Herausgabeverlangens iSv. § 81 ZPO bevollmächtigt waren.

56

Rechtsanwälte E haben auf das Schreiben der Bevollmächtigten des Klägers unter dem 14. März 2012 auch deutlich erkennbar für den Beklagten geantwortet. Zwar haben sie sich zu sämtlichen Fahrzeugen geäußert, allerdings nicht weiter unter dem Aktenzeichen „00539-11/SE/mue“ der vorangegangenen Korrespondenz, sondern unter dem neuen Aktenzeichen „00091-12/SE/po“. Auch der Inhalt des Schreibens spricht für eine Äußerung im Namen des Beklagten. Dies zeigt sich nicht nur daran, dass Rechtsanwälte E die Wirksamkeit der vom Kläger dem Beklagten gegenüber ausgesprochenen Kündigung in Abrede gestellt und einen entsprechenden Beschäftigungsantrag des Beklagten bei Gericht angekündigt haben. Sie haben zudem die Berechtigung des Klägers zum Widerruf der KFZ-Überlassung in Abrede gestellt und vor diesem Hintergrund einen Herausgabeanspruch des Klägers verneint. Schließlich haben sie sich in dieser Frage dadurch ausdrücklich als Bevollmächtigte des Beklagten zu erkennen gegeben, dass sie den Vertreter des Klägers darum gebeten haben, sie im Fall einer Klageerhebung als zustellungsbevollmächtigt zu benennen. Die Bevollmächtigten des Beklagten hatten damit erkennbar aufgrund ihres Schreibens vom 14. März 2012 ausreichende Kenntnis vom Herausgabeverlangen des Klägers gegenüber dem Beklagten, die sich der Beklagte nach § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen muss(vgl. BGH 31.  Mai 2012 - I ZR 45/11 - Rn. 29).

57

(2) Danach wusste der Beklagte nicht nur, dass er aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Herausgabe des Fahrzeugs an den Kläger verpflichtet war. Er wusste aufgrund des Schreibens der Bevollmächtigten des Klägers vom 15. Februar 2012 zudem, dass er sich wegen der Einzelheiten der Rückgabe mit dem Mitarbeiter des Klägers, Herrn R in Verbindung setzen sollte. Damit war ihm hinreichend vor Augen geführt worden, dass eine Rückgabe des Skoda Superb an einen Dritten ausgeschlossen war. Vor diesem Hintergrund spricht viel dafür, dass der Beklagte nicht nur seine Pflicht zur Rückgabe des Fahrzeugs an den Kläger bewusst und gewollt verletzt hat, sondern dass er es auch billigend in Kauf genommen hat, dass das Fahrzeug infolge der Herausgabe an einen Dritten auf Dauer der Insolvenzmasse entzogen würde.

58

cc) Aber auch dann, wenn mit dem Landesarbeitsgericht von mittlerer Fahrlässigkeit auszugehen wäre, ist der Anspruch des Klägers auf Zahlung weiterer 8.694,51 Euro nicht nach den Grundsätzen der privilegierten Arbeitnehmerhaftung ausgeschlossen oder jedenfalls auf einen geringeren Betrag begrenzt. Die Grundsätze der privilegierten Arbeitnehmerhaftung finden im vorliegenden Fall keine Anwendung. Dass der Beklagte das Fahrzeug an seinen Vater anstatt an den Kläger herausgegeben hat, war nicht betrieblich veranlasst.

59

(1) Die Anwendung der Grundsätze über die beschränkte Arbeitnehmerhaftung setzt ein betrieblich veranlasstes Handeln des Beklagten voraus (vgl. etwa BAG 28. Oktober 2010 - 8 AZR 418/09 - Rn. 16).

60

Betrieblich veranlasst sind nur solche Tätigkeiten des Arbeitnehmers, die ihm arbeitsvertraglich übertragen worden sind oder die er im Interesse des Arbeitgebers für den Betrieb ausführt. Die Tätigkeit muss in nahem Zusammenhang mit dem Betrieb und seinem betrieblichen Wirkungskreis stehen (BAG 18. April 2002 - 8 AZR 348/01 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 101, 107). Eine betriebliche Tätigkeit in diesem Sinne liegt nicht nur vor, wenn eine Aufgabe verrichtet wird, die in den engeren Rahmen des dem Arbeitnehmer zugewiesenen Aufgabenkreises fällt, denn der Begriff der betrieblichen Tätigkeit ist nicht eng auszulegen. Sie umfasst auch die Tätigkeiten, die in nahem Zusammenhang mit dem Betrieb und seinem betrieblichen Wirkungskreis stehen. Wie eine Arbeit ausgeführt wird - sachgemäß oder fehlerhaft, vorsichtig oder leichtsinnig -, ist nicht entscheidend dafür, ob es sich um eine betriebliche Tätigkeit handelt (BAG 19. März 2015 - 8 AZR 67/14 - Rn. 20 mwN).

61

Da das Erfordernis der betrieblichen Veranlassung sicherstellen soll, dass der Arbeitgeber nicht mit dem allgemeinen Lebensrisiko des Arbeitnehmers belastet wird (BAG 18. April 2002 - 8 AZR 348/01 - zu II 2 b bb der Gründe mwN, BAGE 101, 107), kann aus der Zugehörigkeit des Schädigers zum Betrieb und einem Handeln im Betrieb des Arbeitgebers allein nicht auf eine Schadensverursachung durch eine betriebliche Tätigkeit geschlossen werden. Nicht jede Tätigkeit im Betrieb des Arbeitgebers muss zwingend eine betriebsbezogene sein. Ebenso wenig führt bereits die Benutzung eines Betriebsmittels zur Annahme einer betrieblichen Tätigkeit. Es kommt vielmehr darauf an, zu welchem Zweck die zum Schadensereignis führende Handlung bestimmt war. Ein Schaden, der nicht in Ausführung einer betriebsbezogenen Tätigkeit verursacht wird, sondern nur bei Gelegenheit der Tätigkeit im Betrieb, ist daher dem persönlich-privaten Bereich des schädigenden Arbeitnehmers zuzurechnen (BAG 19. März 2015 - 8 AZR 67/14 - Rn. 21 mwN). Dem privaten Lebensbereich ist es ebenso zuzurechnen, wenn der Arbeitnehmer mit der schadensstiftenden Tätigkeit ausschließlich eigene Interessen ohne jeden Zusammenhang mit seiner geschuldeten Tätigkeit verfolgt (MHdB ArbR/Reichold 4. Aufl. § 57 Rn. 34).

62

(2) Dass der Beklagte das Fahrzeug nicht an den Kläger, sondern an seinen Vater herausgegeben hat, war vorliegend gerade nicht betrieblich veranlasst, sondern vielmehr dem persönlich-privaten Bereich des Beklagten zuzuordnen.

63

Zwar kann die Rückgabe eines Dienstfahrzeugs eine betrieblich veranlasste Tätigkeit sein. Allerdings hat der Beklagte nicht etwa bei der Rückgabe des Fahrzeugs, zB durch Verursachung eines Verkehrsunfalls, einen Schaden herbeigeführt, sondern er hat das Fahrzeug entgegen seiner Verpflichtung aus dem Überlassungsvertrag und entgegen der ihm bekannten ausdrücklichen Aufforderung des Klägers als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin nicht an diesen, sondern an seinen Vater herausgegeben. Hiermit hat er ausschließlich persönliche und familiäre Interessen verfolgt. Dies belegt auch sein eigenes Vorbringen, wonach er das Fahrzeug bewusst deshalb nicht an den Kläger herausgegeben habe, weil er angenommen habe, rechtmäßiger Eigentümer des PKW sei sein Bruder D S gewesen, da diesem das Fahrzeug sicherungsübereignet gewesen sei.

64

Ein hinreichender betrieblicher Bezug ist entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht deshalb anzunehmen, weil ein „insolvenzunbedarfter“ Mitarbeiter annehmen dürfte, das Fahrzeug immer „seinem früheren Chef“ zurückgeben zu dürfen. Zum einen war dem Beklagten bekannt, dass der Kläger als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin die Herausgabe des Fahrzeugs - unter Erläuterung der Modalitäten der Rückgabe - an sich verlangt hatte; zum anderen hat der Beklagte das Fahrzeug nicht im Betrieb an die Schuldnerin übergeben, sondern an seinen nichtgeschäftsführenden Vater für eine Übergabe an den nicht berechtigten Bruder.

65

d) Der Anspruch des Klägers ist auch nicht infolge einer Aufrechnung des Beklagten erloschen. Dem Senat ist, nachdem das Berufungsgericht erkannt hat, dass aufrechenbare Ansprüche nicht bestehen, und der Beklagte dies nicht angegriffen hat, eine Entscheidung hierüber nicht mehr angefallen.

        

    Schlewing    

        

    Winter    

        

    Roloff    

        

        

        

    Dr. Ronny Schimmer    

        

    Pauli    

                 

(1) Schreibfehler, Rechnungsfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die in dem Urteil vorkommen, sind jederzeit von dem Gericht auch von Amts wegen zu berichtigen.

(2) Der Beschluss, der eine Berichtigung ausspricht, wird auf dem Urteil und den Ausfertigungen vermerkt. Erfolgt der Berichtigungsbeschluss in der Form des § 130b, ist er in einem gesonderten elektronischen Dokument festzuhalten. Das Dokument ist mit dem Urteil untrennbar zu verbinden.

(3) Gegen den Beschluss, durch den der Antrag auf Berichtigung zurückgewiesen wird, findet kein Rechtsmittel, gegen den Beschluss, der eine Berichtigung ausspricht, findet sofortige Beschwerde statt.

(1) Insoweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Wird das Urteil wegen eines Mangels des Verfahrens aufgehoben, so ist zugleich das Verfahren insoweit aufzuheben, als es durch den Mangel betroffen wird.

(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen.

(2) Das Berufungsgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(3) Das Revisionsgericht hat jedoch in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist.

(4) Kommt im Fall des Absatzes 3 für die in der Sache selbst zu erlassende Entscheidung die Anwendbarkeit von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, in Frage, so kann die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.