Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Okt. 2016 - 3 StR 248/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:131016B3STR248.16.0
bei uns veröffentlicht am13.10.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 248/16
vom
13. Oktober 2016
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Totschlags durch Unterlassen
ECLI:DE:BGH:2016:131016B3STR248.16.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 13. Oktober 2016 gemäß § 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Verden vom 25. Januar 2016 werden verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Totschlags durch Unterlassen zu der Freiheitsstrafe von sieben Jahren (Mi. T. ) bzw. der Jugendstrafe von drei Jahren (Me. T. ) verurteilt. Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit ihren auf die Rügen der Verletzung materiellen und formellen Rechts gestützten Revisionen. Die Verfahrensrügen bleiben aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts aufgeführten Gründen ohne Erfolg. Auch die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Sachrügen hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:
2
1. Entgegen der Auffassung der Revision war die Angeklagte Me. T. garantenpflichtig im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB. Ihre Garantenstellung folgt aus der Schutzpflicht, die sie als Tochter gegenüber ihrer mit ihr in Hausgemeinschaft lebenden Mutter innehatte.
3
Nach § 1618a BGB sind Eltern und Kinder einander Beistand und Rücksicht schuldig. Diese als Grundnorm für die gegenseitigen Beziehungen der Familienmitglieder ins Bürgerliche Gesetzbuch eingefügte Vorschrift soll zwar nach dem Willen des Gesetzgebers lediglich Leitlinien aufzeigen; unmittelbare Rechtsfolgen sollten an einen Verstoß nicht geknüpft sein (BT-Drucks. 8/2788, S. 36, 43). Gleichwohl kommt der Regelung im Hinblick auf ihre Leitbildfunktion Bedeutung bei der Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe und der Ausfüllung von Lücken zu (Staudinger/Hilbig-Lugani, BGB, 2015, § 1618a Rn. 6, 11, 13). Auch über das bürgerliche Recht hinaus entfaltet § 1618a BGB Wirkung als Wertmaßstab (Staudinger/Hilbig-Lugani, aaO, Rn. 20). Dass Eltern und Kinder nach dieser Norm Verantwortung füreinander tragen, beansprucht somit auch Geltung für die strafrechtliche Betrachtung (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juli 2003 - 3 StR 153/03, BGHSt 48, 301, 304 zu § 1353 BGB). Das bedeutet , dass bei der Prüfung einer Einstandspflicht von Kindern gegenüber Eltern im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB maßgeblich auf § 1618a BGB zurückzugreifen ist (Staudinger/Hilbig-Lugani, aaO, Rn. 21; Palandt/Götz, BGB, 76. Aufl., § 1618a Rn. 3). Ob Kinder nach dieser Vorschrift indes bereits allein aufgrund der formal bestehenden familienrechtlichen Beziehung ohne Rücksicht auf das tatsächliche Bestehen einer effektiven Familiengemeinschaft zur Hilfeleistung gegenüber ihren Eltern verpflichtet sind (allgemein ablehnend Fischer, StGB, 63. Aufl., § 13 Rn. 25; MüKoStGB/Freund, 3. Aufl., § 13 Rn. 177; vgl. auch S/SStree /Bosch, StGB, 29. Aufl., § 13 Rn. 19/20), muss der Senat hier nicht entscheiden. Die Angeklagte lebte mit ihrer Mutter in häuslicher Gemeinschaft.
Diese - tatsächliche - Gemeinschaftsbeziehung erhält durch § 1618a BGBihre spezifische rechtliche Ausgestaltung. Der sonst für das Vorliegen einer Garantenpflicht bei tatsächlichem Zusammenwohnen notwendigen - jedenfalls konkludenten - Erklärung der Übernahme einer Schutzfunktion im Einzelfall (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 7. September 1983 - 2 StR 239/83, NStZ 1984, 163 f.; vom 8. April 1987 - 3 StR 91/87, BGHR StGB § 13 Abs. 1 Garantenstellung 3) bedarf es in Fällen wie dem vorliegenden somit nicht. Vielmehr begründet die in § 1618a BGB normierte familiäre Solidarität schon von Gesetzes wegen im Eltern-Kind-Verhältnis bei faktischem Zusammenleben in aller Regel eine gegenseitige Schutzpflicht, die als Garantenpflicht im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB das Handeln gebietet (vgl. BGH, Urteil vom 29. November 1963 - 4 StR 390/63, BGHSt 19, 167 ff.; bei Ehegatten schon BGH, Urteil vom 12. Februar 1952 - 1 StR 59/50, BGHSt 2, 150, 153 f.; im Ergebnis ebenso LK/Weigend, StGB, 12. Aufl., § 13 Rn. 26; enger SK-StGB/Rudolphi/Stein, 119. Lfg., § 13 Rn. 49). Ob die Art der familiären Beziehungen im konkreten Fall ein gegenseitiges Vertrauen auf Beistand rechtfertigt und diese von gegenseitiger Zuneigung und gegenseitigem Respekt getragen sind, ist insoweit unerheblich.
4
2. Die Wahl des Strafrahmens für die gegen den Angeklagten Mi. T. zu verhängende Freiheitsstrafe erweist sich als rechtsfehlerhaft.
5
Sieht das Gesetz einen besonderen Strafrahmen für minder schwere Fälle vor und ist - wie hier gemäß § 13 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB - auch ein gesetzlich vertypter Milderungsgrund gegeben, so muss bei der Strafrahmenwahl zunächst geprüft werden, ob der Sonderstrafrahmen zur Anwendung kommt. Vermag die vorab vorzunehmende Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände die Annahme eines minder schweren Falles allein nicht zu tragen, so sind zusätzlich die den gesetzlich vertypten Strafmilderungsgrund verwirklichenden Umstände in die gebotene Gesamtabwägung einzubeziehen. Erst wenn der Tatrichter danach weiterhin die Anwendung des milderen Strafrahmens nicht für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen des gesetzlich vertypten Strafmilderungsgrundes herabgesetzten Regelstrafrahmen zugrunde legen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 27. April 2010 - 3 StR 106/10, juris Rn. 2, NStZ-RR 2010, 336 [LS]). Das Landgericht hätte demnach zunächst prüfen müssen, ob ein minder schwerer Fall des Totschlags nach § 213 Alternative 2 StGB vorlag. Hieran fehlt es.
6
Der Senat schließt indes aus, dass die Höhe der Freiheitsstrafe auf diesem Rechtsfehler beruht. Das Landgericht hat die Strafe dem nach § 13 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB (Freiheitsstrafe von zwei Jahren bis elf Jahren drei Monaten) entnommen. § 213 Alternative 2 StGB sieht für den minder schweren Fall eines Totschlags eine Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren vor. Da das Landgericht auf eine Strafe aus dem oberen Bereich des von ihm gewählten Strafrahmens erkannt hat, ist auszuschließen, dass es bei Annahme des insbesondere im Bereich der Strafuntergrenze geringeren Strafrahmens des § 213 StGB eine niedrigere Strafe verhängt hätte.
7
3. Auch die Begründung, mit der das Landgericht einen Hang des Angeklagten Mi. T. im Sinne des § 64 Satz 1 StGB verneint hat, ist rechtsfehlerhaft.
8
Das Landgericht hat deshalb keinen Hang zum übermäßigen Rauschmittelkonsum feststellen können, weil der Sachverständige zwar einen Alkoholmissbrauch des Angeklagten diagnostiziert habe, eine Alkoholabhängigkeit aber nicht vorliege. Dem Angeklagten sei es tagsüber ohne Entzugssymptomatik möglich gewesen, auf Alkohol zu verzichten.
9
Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht die Voraussetzungen eines Hanges nach § 64 Satz 1 StGB verkannt hat. Ein solcher liegt nicht nur - wovon die Strafkammer möglicherweise ausgegangen ist - im Falle einer chronischen, physischen oder psychischen Abhängigkeit vor; vielmehr genügt bereits eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen (BGH, Beschlüsse vom 4. April 1995 - 4 StR 95/95, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 5; vom 13. Januar 2011 - 3 StR 429/10, juris Rn. 4).
10
Der Senat schließt aber aus, dass die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt auf diesem Rechtsfehler beruht. Denn den Urteilsgründen ist zu entnehmen, dass ein symptomatischer Zusammenhang zwischen einem etwaigen Hang des Angeklagten zum übermäßigen Alkoholkonsum und der abgeurteilten Tat nicht besteht. Der Angeklagte enthielt seiner hilfsbedürftigen Frau nicht etwa den geforderten Beistand vor, weil er dem Alkohol zusprach. Vielmehr trank er, weil er den Anblick seiner dahinsiechenden Frau und insbesondere den erheblichen Gestank in der ganzen Wohnung und vor allem in dem Zimmer, in dem auch er schlief, nicht aushalten konnte, ohne sich am Abend in einen Rausch zu versetzen.
Becker Schäfer Gericke
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.

(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Eltern und Kinder sind einander Beistand und Rücksicht schuldig.

Nachschlagewerk: ja
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Veröffentlichung: ja
_____________________________________
Die strafrechtliche Garantenpflicht unter Eheleuten endet, wenn sich ein Ehegatte
vom anderen in der ernsthaften Absicht getrennt hat, die eheliche Lebensgemeinschaft
nicht wieder herzustellen.
BGH, Urt. vom 24. Juli 2003 - 3 StR 153/03 - LG Oldenburg

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 153/03
vom
24. Juli 2003
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen schwerer Brandstiftung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. Juli 2003,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Tolksdorf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Winkler,
Pfister,
Becker,
Hubert
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger der Angeklagten S. ,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 27. Juni 2002 wird verworfen.
2. Auf die Revision der Angeklagten S. wird das vorbezeich- nete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit die Beschwerdeführerin wegen Beihilfe zur Körperverletzung durch Unterlassen verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der Angeklagten, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision der Angeklagten S. wird verworfen.
3. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die den Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten M. wegen schwerer Brandstiftung unter Einbeziehung früherer Entscheidungen zu einer Jugendstrafe von vier Jahren und wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung früherer Strafen zu einer Gesamtstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt ; es hat die Angeklagte S. wegen schwerer Brandstiftung und wegen durch Unterlassen begangener Beihilfe zur Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und einem Monat verurteilt. Von dem Vorwurf des gemeinschaftlich versuchten Mordes in zwei Fällen hat das Landgericht die Angeklagten freigesprochen. Gegen diesen Freispruch richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit sachlichrechtlichen Beanstandungen. Die Revision der Angeklagten S. rügt die Verletzung von Verfahrensrecht und erhebt materiellrechtliche Beanstandungen. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft bleibt ohne, das der Angeklagten hat nur teilweisen Erfolg.
Zu den Verurteilungen hat das Landgericht festgestellt: Am Abend des 1. Juni 1996 drangen beide Angeklagte in das vom geschiedenen ersten Ehemann der Angeklagten S. , J. , bewohnte, in fremdem Eigentum stehende Haus in O. ein. In Abwesenheit des geschiedenen ersten Ehemanns legten der Angeklagte M. im Schlafzimmer und die Angeklagte S. im Bodenraum einen Brand, der das Haus vollständig zerstörte und einen Gebäudeschaden von mindestens 300.000 DM verursachte. Am 25. Januar 2001 würgte der Angeklagte M. den Ehemann der Angeklagten, Wilhelm S. , bis an die Grenze der Bewußtlosigkeit und schlug ihm mit der Faust in den Magen. Er war über sein Opfer verärgert, weil dieses ihn wegen eines Diebstahls bei der Polizei angezeigt hatte. Die Angeklagte S. hatte kurz vor der Tat von dem Vorhaben des Angeklagten M. Kenntnis erlangt,
unterließ es aber, ihren Ehemann, von dem sie sich etwa vier Wochen zuvor getrennt hatte, vor dem Angriff zu warnen. Auch unternahm sie keinerlei Bemühungen , den Angeklagten M. von seiner Tat abzuhalten.
Über den Gegenstand der Verurteilung hinaus war beiden Angeklagten in der Anklage zur Last gelegt worden, zweimal versucht zu haben, Wilhelm S. heimtückisch zu töten. Sie sollen im Januar 1998 dem Opfer einen Grog zu trinken gegeben haben, in den sie ein zuvor von dem Angeklagten M. beim Tierarzt Dr. H. entwendetes Mittel zur Tötung von Tieren ("T 61") gemischt hatten. Wilhelm S. soll mit dem Bemerken, der Grog sei salzig, das Getränk sofort wieder ausgespuckt und den Rest in die Güllegrube geschüttet haben. Im Jahr 2000 soll die Angeklagte S. ihrem Mann Ecstasy -Tabletten, die der Angeklagte M. zuvor besorgt hatte, verabreicht haben. Anstelle des von beiden Angeklagten erstrebten Todes soll es beim Opfer nur zu Kreislaufproblemen gekommen sein. Obwohl der Angeklagte M. diese Tatvorwürfe in der Hauptverhandlung einräumte, hat sich das Landgericht von einem solchen Geschehensablauf nicht überzeugen können und nicht auszuschließen vermocht, daß zwischen den Angeklagten nur unverbindliche Gespräche über solche Tatmöglichkeiten geführt worden waren.
I. Revision der Staatsanwaltschaft und Revision der Angeklagten S. , soweit sie sich gegen die Beweiswürdigung wendet
Die Staatsanwaltschaft rügt, das Landgericht habe die Angeklagten aufgrund einer rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung vom Vorwurf des zweifach versuchten Mordes freigesprochen. Dabei hebt sie im wesentlichen darauf ab,
daß das Landgericht das Geständnis des Angeklagten M. insoweit nicht als ausreichend angesehen hatte, während es für die Verurteilung der Angeklagten wegen schwerer Brandstiftung und Körperverletzung ein Geständnis dieses Angeklagten hatte ausreichen lassen.
Die Angeklagte S. rügt hingegen, das Landgericht habe sie aufgrund einer rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung wegen schwerer Brandstiftung verurteilt. Auf die Angaben des Angeklagten M. habe sich das Landgericht nicht stützen können, da es dessen Angaben zum Vorwurf des zweifach versuchten Mordes nicht als ausreichend für eine Überführung angesehen hatte.
Beide Revisionen zeigen mit ihren Beanstandungen keinen Rechtsfehler auf. Wenn der Tatrichter einem Beweismittel zu einem Teil folgt und zu einem anderen Teil nicht zu folgen vermag, ist er nur zu einer näheren Darlegung der hierfür maßgeblichen Gründe in der Beweiswürdigung gehalten (st. Rspr., vgl. z. B. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung, widersprüchliche 4 und Beweiswürdigung 13; BGH NJW 1993, 2451; BGHR StPO § 261 Zeuge 8; BGH, Beschl. vom 14. Juli 1998 - 4 StR 289/98). Diese Darlegung ist dem Urteil zu entnehmen.
Von dem der Verurteilung wegen schwerer Brandstiftung zugrunde liegenden Geschehen hat sich das Landgericht aufgrund der geständigen Angaben des Angeklagten M. überzeugt, weil dessen Bekundungen durch weitere Beweisergebnisse (die Ausführungen des Brandsachverständigen und die Bekundungen eines Feuerwehrmannes zum Brandverlauf sowie die Aussage einer Vollzugsbediensteten über das Eingeständnis der Tat durch die Angeklagte ihr gegenüber) Bestätigung gefunden haben. Gleiches gilt auch für das
Geständnis des Mitangeklagten M. betreffend die Körperverletzung zum Nachteil des Wilhelm S. .
Bezüglich des Vorwurfs des zweifach versuchten Mordes hat das Landgericht zuerst die für eine Glaubhaftigkeit der Aussage des Angeklagten sprechenden Umstände (Selbstbelastung; kein nachvollziehbares Motiv für eine Falschbelastung der Mitangeklagten; Detailreichtum, Konstanz und Widerspruchsfreiheit der Aussage; Spontaneität der Aussageergänzungen; Lebensbeichte als Aussagemotivation) erörtert. Dem hat es Umstände entgegengestellt , die Zweifel an der Glaubhaftigkeit wecken konnten (Detailarmut gerade bei der Schilderung der entscheidenden Handlungsteile; Widerspruch zum Verhalten bei der Körperverletzung am 25. Januar 2001; Falschaussage des Angeklagten M. in einem Nebenpunkt). Insoweit enthält die Beweiswürdigung entgegen dem Revisionsvorbringen der Staatsanwaltschaft weder Lücken noch Widersprüche.
Es ist auch nicht zu besorgen, daß sich das Landgericht bei dem Freispruch von der rechtsfehlerhaften Annahme hätte leiten lassen, auf ein von weiteren Beweisergebnissen nicht bestätigtes Geständnis könne eine Verurteilung nicht gestützt werden. Anlaß für verbleibende Zweifel der Strafkammer an der Richtigkeit des Geständnisses war nämlich nicht nur die Tatsache, daß das vermeintliche Opfer sich an die geschilderten Tatumstände nicht zu erinnern vermochte; vielmehr standen einzelne Beweisergebnisse dem Geständnis des Angeklagten M. direkt entgegen: So fand die erste Einschläferung eines Tieres auf dem Hof der S. s mit dem Mittel "T 61" nach den Bekundungen des Tierarztes Ende März 1998, also erst nach dem angeblichen Mordversuch, statt. Auch konnte der Tierarzt nicht bestätigen, daß das Mittel bei ihm entwen-
det worden war. Zudem haben die Ermittlungen zum Geschmack des Giftes nichts für den - nach Darstellung des Angeklagten M. - von Wilhelm S. bemerkten starken Salzgeschmack ergeben.
Insgesamt ist das Landgericht der Verpflichtung nachgekommen, in der Beweiswürdigung näher darzulegen, warum es dem Mitangeklagten M. zu einem Teil gefolgt ist und ihm zu einem anderen Teil nicht zu folgen vermocht hat. Es stellt deshalb auch keinen Rechtsfehler dar, wenn die Strafkammer es nicht für ausgeschlossen erachtet, daß sich die Angeklagten möglicherweise nur im Gespräch und in im einzelnen nicht feststellbarer Weise mit dem Gedanken an eine Tötung des Wilhelm S. befaßt hatten. Ob auch eine andere , zur Verurteilung der Angeklagten führende Überzeugungsbildung rechtsfehlerfrei möglich gewesen wäre, ist für die Nachprüfung der vom Landgericht vorgenommenen Beweiswürdigung im Revisionsverfahren ohne Belang.
II. Revision der Angeklagten S. im übrigen
1. Auf die Verfahrensrüge, das Landgericht habe gegen die Hinweispflicht nach § 265 Abs. 1 StPO verstoßen, kommt es nicht an, da die insoweit allein betroffene Verurteilung wegen Beihilfe zur Körperverletzung auf die Sachrüge hin aufgehoben werden muß.
2. Die Verurteilung der Angeklagten wegen durch Unterlassen begangener Beihilfe zur Körperverletzung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Entgegen den Angriffen der Revision kann dem Urteil entnommen werden, daß die Tat des Angeklagten M. zumindest erschwert worden wäre, wenn die Angeklagte S. sich bemüht hätte, ihn von der Tat abzuhalten, oder wenn sie ihren Ehemann telefonisch gewarnt hätte. Dies ist ausreichend. Es ist für die Annahme einer Beihilfe durch Unterlassen nicht erforderlich, daß die unterlassene Handlung den Taterfolg verhindert hätte (vgl. BGH NJW 1953, 1838 m. w. N.).

b) Die Feststellungen des Landgerichts ergeben jedoch nicht, daß die Angeklagte, wie es für ihre Verurteilung wegen durch Unterlassen begangener Beihilfe zur Körperverletzung erforderlich wäre, zum Tätigwerden zugunsten des Tatopfers verpflichtet gewesen ist. Nach ihnen ist es vielmehr möglich, daß die sich aus der Ehe ergebende Garantenpflicht hier dadurch weggefallen ist, daß sich die Angeklagte etwa vier Wochen vor der Tat von ihrem Ehemann getrennt und einem anderen Mann zugewandt hat. aa) Hinsichtlich der Garantenpflicht unter Ehegatten ist unstreitig, daß Ehegatten bei bestehender Lebensgemeinschaft einander als Garanten zum Schutz verpflichtet sind, also jeweils dafür im Sinne des § 13 StGB einzustehen haben, daß dem anderen Teil kein Schaden zugefügt wird, der sich als "Erfolg" eines Straftatbestands darstellt. Dementsprechend kann nicht zweifelhaft sein, daß die Angeklagte - hätte sie sich nicht von ihrem Ehemann getrennt - verpflichtet gewesen wäre, ihn vor der drohenden Körperverletzung durch den Mitangeklagten M. zu warnen bzw. zu versuchen, diesen von der beabsichtigten Tat abzuhalten.
bb) Unterschiedlich beurteilt wird, worin die Grundlage für die Annahme der Garantenpflicht zu sehen ist und welche Bedeutung eine Trennung der Eheleute für sie hat.
Insofern wird einerseits vertreten, daß sich die Garantenpflicht der Ehegatten , im Grundsatz ohne Rücksicht auf das tatsächliche Bestehen einer Lebensgemeinschaft , aus § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB ergebe (Jakobs, Strafrecht AT 2. Aufl. S. 823; Welzel, Strafrecht 11. Aufl. S. 217; Geilen FamRZ 1961, 148). Das tatsächliche Bestehen einer Gemeinschaft sei zwar nicht ohne jede Bedeutung. Ohne sie sei etwa eine Garantenpflicht für andere Rechtsgüter als Leib, Leben und Freiheit zu verneinen (Jescheck in LK 11. Aufl. § 13 Rdn. 23 aE). Die Einstandspflicht zum Schutze der genannten Rechtsgüter sei aber schlicht an den Fortbestand der Ehe geknüpft und werde - mit der Folge, daß der Schuldspruch hier keinen Bedenken begegnete - nicht schon dadurch beendet , daß die Ehegatten ihre Lebensgemeinschaft aufgeben und getrennte Wege gehen.
Nach anderer Auffassung findet die Garantenpflicht unter Eheleuten ihre Grundlage nicht in § 1353 BGB. Entscheidend für die Annahme einer Garantenstellung soll vielmehr allein das tatsächliche Bestehen eines gegenseitigen Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Ehegatten im Hinblick auf den Schutz der bedrohten Rechtsgüter sein (Rudolphi in SK-StGB § 13 Rdn. 50 m. w. N.). Fehle es daran, wie z. B. in aller Regel bei tatsächlichem Getrenntleben der Ehegatten, so stehe das Unterlassen mangels eines Obhutsverhältnisses nicht dem aktiven Bewirken des tatbestandsmäßigen Unrechtserfolges gleich. Daran vermöge die sich aus § 1353 BGB ergebende Rechtspflicht zur Begründung der ehelichen Lebensgemeinschaft nichts zu än-
dern. Denn solange der Ehegatte diese Rechtspflicht nicht erfülle, es also an einem auf der tatsächlichen Lebensgemeinschaft basierenden gegenseitigen Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Ehegatten fehle, solange sei er auch nicht Garant, sondern lediglich verpflichtet, ein garantenpflichtiges Obhutsverhältnis zu begründen. Diese Pflicht stehe aber - mit der Folge, daß die Verurteilung der Angeklagten hier keinen Bestand haben könnte - der Garantenpflicht nicht gleich (Rudolphi aaO).
Der Bundesgerichtshof hat zu der Frage der strafrechtlichen Garantenpflicht unter Ehegatten - soweit ersichtlich - noch nicht entscheidungserheblich Stellung genommen. Nach einer Entscheidung des 1. Strafsenats gründet die Verpflichtung der Ehegatten, sich gegenseitig zum Schutze beizustehen, auf die "enge, vom Treuegebot beherrschte Lebensgemeinschaft" (BGHSt 2, 150, 153), was in dem Sinne verstanden werden könnte, daß das Bestehen der Gemeinschaft das maßgebliche Kriterium ist. In der weiteren Begründung wird dann aber auf § 1353 BGB abgestellt und unter Berufung auf diese Norm die "Rechtspflicht" bejaht, "einander in Lebensgefahr nach Kräften zu schützen und zu helfen," wobei dieser Grundsatz allerdings wieder durch den Zusatz eingeschränkt wird, die Rechtspflicht bestehe "mindestens so lange, wie kein Teil das Recht zum Getrenntleben hat und beide Teile... in Hausgemeinschaft leben (vgl. RGSt 71, 187, 189)" (BGHSt 2, 150, 153 f.). Ob das Getrenntleben die Garantenstellung entfallen läßt, brauchte in der Entscheidung BGHSt 2, 150 nicht entschieden zu werden, weil die Eheleute in dem zu beurteilenden Sachverhalt noch zusammenlebten. Eine weitere - in dem hier in Rede stehenden Zusammenhang gelegentlich zitierte - Entscheidung (BGHSt 6, 322) betrifft nicht die Frage der wechselseitigen Schutzverpflichtung, sondern die der Rechtspflicht zur Verhinderung von Straftaten des anderen Teils und damit -
ebenso wie die Entscheidung des Senats NStE Nr. 3 zu § 13 StGB - andere Fallgestaltungen.
cc) Dem Senat erscheint im Ergebnis eine vermittelnde Betrachtung angezeigt :
Ihren Ausgangspunkt muß die Beantwortung der Frage nach den strafrechtlichen Schutzpflichten unter Eheleuten bei § 1353 BGB nehmen. Es ist nicht ersichtlich, warum, wenn Ehegatten nach dieser Norm Verantwortung füreinander tragen (§ 1353 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. BGB), dies im Grundsatz nicht auch für die strafrechtliche Betrachtung gelten sollte. Dementsprechend kann die gegenseitige Beistandspflicht nicht etwa schon mit dem bloßen Auszug eines Ehegatten aus der Ehewohnung als solchem, also mit der bloßen räumlichen Trennung als beendet angesehen werden. Das Fehlen einer häuslichen Gemeinschaft muß - je nach den Umständen - nicht bedeuten, daß die eheliche Lebensgemeinschaft aufgegeben worden ist (Palandt/Brudermüller, BGB 62. Aufl. § 1565 Rdn. 2). Dadurch unterscheidet sich die Ehe von der bloßen, auf gegenseitige Hilfeleistung angelegten Gemeinschaftsbeziehung, wie sie etwa auch bei einer Wohngemeinschaft gegeben sein mag. Bei letzterer wird die strafrechtliche Garantenpflicht im allgemeinen mit dem tatsächlichen Ende der Beziehung enden.
Andererseits würde es eine nicht zu rechtfertigende Überdehnung der strafrechtlichen Beistandspflicht unter Eheleuten bedeuten, wollte man annehmen , daß diese erst mit dem Ende der Ehe, ggf. also erst mit der Rechtskraft des Scheidungsurteils endet. Es sind zahlreiche Lebensgestaltungen denkbar, in denen - ungeachtet des formal fortbestehenden Ehebandes - keiner der bei-
den Ehegatten tatsächlich darauf vertraute oder auch nur Anlaß hätte, darauf zu vertrauen, der andere Teil würde ihm zum Schutze seiner Rechtsgüter beistehen. Das gilt besonders augenfällig etwa dann, wenn die Ehegatten bereits seit Jahren getrennt sind, dabei möglicherweise sogar mit anderen Partnern in einer Lebensgemeinschaft verbunden, wie auch dann, wenn sie - etwa aus rein wirtschaftlichen Gründen - nach schweren ein- oder beidseitigen Eheverfehlungen oder Zerwürfnissen in demselben Haus oder in derselben Wohnung getrennt voneinander leben.
In solchen Fällen ist die Annahme einer die Strafbarkeit wegen eines Unterlassungsdelikts begründenden Beistandspflicht unter Ehegatten auch ausgehend davon, daß diese ihre Grundlage in § 1353 BGB hat, keineswegs geboten. Denn für die Bestimmung der Grenzen der strafrechtlichen Beistandspflicht dürfen bei diesem Ansatz die gesetzlichen Regelungen, aus denen sich Beschränkungen der Pflicht zu ehelicher Lebensgemeinschaft ergeben , nicht außer Betracht bleiben. Dementsprechend endet die strafrechtliche Garantenpflicht unter Eheleuten, wenn sich ein Ehegatte vom anderen in der ernsthaften Absicht getrennt hat, die eheliche Lebensgemeinschaft nicht wieder herzustellen. Das entspricht den Regelungen in § 1353 Abs. 2 und § 1565 Abs. 1 BGB unter Berücksichtigung von § 1566 BGB.
Nach § 1565 Abs. 1 Satz 2 BGB ist die Ehe gescheitert, wenn die Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht und nicht erwartet werden kann, daß die Ehegatten sie wiederherstellen. Das Scheitern der Ehe hat nach § 1353 Abs. 2 BGB zur Folge, daß die Rechtspflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft nicht mehr besteht. Die danach erforderliche ernsthafte Aufgabe der ehelichen Lebensgemeinschaft, die auch der strafrechtlichen Beistands-
pflicht ihre rechtliche Grundlage entzieht, setzt dabei nicht voraus, daß die Ehegatten ein Jahr lang getrennt leben. Dieser Wertung steht § 1566 Abs. 1 BGB nicht entgegen. Danach wird das Scheitern der Ehe zwar unwiderlegbar vermutet, wenn die Ehegatten seit einem Jahr getrennt leben und beide Ehegatten die Scheidung beantragen oder der Antragsgegner der Scheidung zustimmt. Bei dieser Vorschrift handelt es sich aber nur um eine zwingende Beweisregel für das Scheitern der Ehe, die das Gericht von der Feststellung der Zerrüttung entlastet (Palandt/Brudermüller, BGB 62. Aufl. § 1566 Rdn. 1). Sie schließt die Annahme eines früheren Scheiterns - mit Folgen ggf. auch für die Prüfung der strafrechtlichen Garantenpflicht - indes nicht aus. Diese vermittelnde Auffassung, die bereits in der Entscheidung BGHSt 2, 150, 153 f. angelegt ist, dürfte mit der Meinung, nach der die strafrechtliche Garantenpflicht unter Eheleuten in ihrem Grund und in ihrem Umfang allein aus dem tatsächlichen Bestehen eines gegenseitigen Vertrauensverhältnis abzuleiten ist, im Ergebnis weitgehend übereinstimmen. Wenn Vertreter dieser Meinung etwa ausführen, daß die Garantenpflicht "in aller Regel bei tatsächlichem Getrenntleben der Eheleute" entfallen wird (vgl. etwa Rudolphi in SK-StGB § 13 Rd. 50), so sind - wie zu vermuten steht - gerade die Fälle ausgenommen, in denen sich die Ehegatten getrennt haben, um zu prüfen, ob ihre Beziehung eine Chance hat, während in den Fällen, in denen die Trennung die endgültige Aufhebung der Gemeinschaft bedeuten soll, auch nach Auffassung des Senats eine Garantenpflicht nicht mehr besteht.
dd) Auf der Grundlage dieser Auffassung kann die Verurteilung der Angeklagten wegen durch Unterlassen begangener Beihilfe zur Körperverletzung keinen Bestand haben. Nach den bisherigen Feststellungen ist es möglich, daß dem Auszug der Angeklagten S. ein ernsthafter Entschluß, die eheliche
Lebensgemeinschaft nicht mehr fortzusetzen, zugrunde gelegen hatte und da- mit die Garantenpflicht beendet war. Dafür könnte sprechen, daß sich die Angeklagte einem anderen Mann zugewandt hatte. Andererseits kann der zum Tatzeitpunkt erst kurze Zeit zurückliegende Auszug aus der Ehewohnung seinen Grund auch darin gehabt haben, daß sich die Angeklagte über die weitere Entwicklung der Ehe klar werden wollte. Feststellungen, die eine fortbestehende Garantenpflicht begründen, erscheinen insoweit nicht ausgeschlossen. Der Senat kann die Angeklagte deshalb von diesem Vorwurf nicht freisprechen.
3. Die Einzelstrafe wegen schwerer Brandstiftung wird von der Aufhebung der Verurteilung wegen Beihilfe zur Körperverletzung nicht berührt. Soweit die Revision im übrigen die Verneinung von § 21 StGB durch die Strafkammer sowie die Strafzumessung angreift, ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
4. Der neue Tatrichter wird das Augenmerk auch darauf zu richten haben , ob die Angeklagte S. dem Angeklagten M. bei der Körperverletzung nicht sogar durch positives Tun geholfen hat. Anlaß zu diesem Hinweis geben die bisherigen Feststellungen. Das Landgericht hat es für möglich gehalten, daß die Angeklagte S. in Kenntnis der vom Angeklagten M. beabsichtigten Körperverletzung zu diesem gesagt hatte, er solle es "ordentlich" machen. Es hat aber dahinstehen lassen, ob diese Worte tatsächlich gefallen sind, weil es ihnen für den Nachweis einer von der Angeklagten S. unternommenen, versuchten Anstiftung des Angeklagten M. zu einem Tötungsdelikt keine entscheidende Bedeutung beimessen wollte. Sollte sich der
neue Tatrichter von einer solchen Äußerung der Angeklagten S. überzeugen , läge eine psychische Beihilfe nahe.
Tolksdorf Winkler Pfister RiBGH Hubert ist wegen Becker Urlaubs an der Unterschrift gehindert. VRiBGH Prof. Dr. Tolksdorf ist an der Unterzeichnung des Verhinderungsvermerks gehindert, da er zwischenzeitlich ebenfalls im Urlaub ist. Winkler

(1) Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen. Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet; sie tragen füreinander Verantwortung.

(2) Ein Ehegatte ist nicht verpflichtet, dem Verlangen des anderen Ehegatten nach Herstellung der Gemeinschaft Folge zu leisten, wenn sich das Verlangen als Missbrauch seines Rechts darstellt oder wenn die Ehe gescheitert ist.

(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.

(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Eltern und Kinder sind einander Beistand und Rücksicht schuldig.

(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.

(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Eltern und Kinder sind einander Beistand und Rücksicht schuldig.

(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.

(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

2
Das Landgericht hat im Rahmen seiner Strafzumessung die (fakultative) Strafrahmenmilderung gemäß § 23 Abs. 2 StGB bejaht und den nach § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 212 StGB zugrunde gelegt. Das Vorliegen eines Totschlags in (sonst) einem minder schweren Fall gemäß § 213 StGB hat es unter Abwägung der bestimmenden allgemeinen Strafzumessungsgründe für sich gesehen mit rechtsfehlerfreier Begründung verneint. Gleichwohl hält der Strafausspruch rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat ersichtlich nicht bedacht, dass nach Ablehnung des Vorliegens eines minder schweren Falles auf der Grundlage einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände bei der weitergehenden Prüfung, ob der mildere Sonderstrafrahmen zur Anwendung kommt, zunächst eventuell gegebene gesetzlich vertypte Strafmilderungsgründe zusätzlich heranzuziehen sind (st. Rspr.; vgl. nur Fischer, StGB 57. Aufl. § 50 Rdn. 4). Erst wenn der Tatrichter danach weiterhin keinen minder schweren Fall für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen des gegebenen gesetzlich vertypten Milderungsgrundes gemilderten Regelstrafrahmen zugrunde legen.

(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.

(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

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3. Nicht bestehen bleiben kann das Urteil hingegen, soweit das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgelehnt hat. Die sachverständig beratene Strafkammer hat diese Entscheidung damit begründet, dass beim Angeklagten zwar ein schädlicher Gebrauch von Betäubungsmitteln , aber keine Sucht und damit nicht der nach § 64 StGB erforderliche Hang vorliege. Dies lässt besorgen, dass das Landgericht die Voraussetzungen der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt verkannt hat. Ein Hang im Sinne von § 64 StGB ist nicht nur - wovon das Landgericht möglicherweise ausgegangen ist - im Falle einer chronischen, auf körperlicher Sucht beruhenden Abhängigkeit zu bejahen. Vielmehr genügt bereits eine eingewurzelte, aufgrund psychischer Disposition bestehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen , wobei noch keine physische Abhängigkeit bestehen muss (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juni 2007 - 3 StR 194/07; Beschluss vom 4. April 1995 - 4 StR 95/95, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 5; Fischer, aaO, § 64 Rn. 9 mwN). Die Feststellungen des Urteils legen auch nahe, dass bei dem Ange- klagten ein Hang zu übermäßigem Rauschmittelkonsum besteht. Ab dem Jahr 1997 konsumierte er Kokain und nahm gelegentlich Speed und Ecstasy zu sich. Nach zwei Entwöhnungstherapien war er zwar bis 2008 von Kokain abstinent , begann indes 2009 wiederum Drogen zu konsumieren. Im Sommer 2009 - kurz vor Beginn der gegenständlichen Tatserie - steigerte er seinen Kokainkonsum auf ein bis zwei Gramm täglich. Alkohol trank er mäßig, zu Zeiten des Kokainkonsums aber auch zuweilen stärker. Angesichts dieser Feststellungen kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Gericht allein aufgrund der rechtsfehlerhaften Gleichsetzung von Sucht und Hang im Sinne des § 64 StGB die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unterlassen hat. Da der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen vor und während der Tatserie Kokain und Alkohol konsumierte, kann weiterhin auch nicht ausgeschlossen werden, dass ein bestehender Hang - gegebenenfalls neben anderen Umständen (vgl. Fischer, aaO, Rn. 12) - mit dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte die Taten beging. Dem Erfordernis einer hinreichend konkreten Aussicht auf einen Behandlungserfolg steht jedenfalls nicht von vornherein entgegen, dass der Angeklagte bereits zwei stationäre Entwöhnungsmaßnahmen durchführte, zumal diese zumindest einen mehrere Jahre anhaltenden Erfolg erbrachten (BGH, Beschluss vom 30. Oktober 2008 - 3 StR 334/08, NStZ-RR 2009, 77, 78).