Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Nov. 2016 - VI ZB 27/15

bei uns veröffentlicht am29.11.2016
vorgehend
Landgericht Aachen, 11 O 399/12, 11.02.2015
Oberlandesgericht Köln, 5 U 38/15, 12.05.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZB 27/15
vom
29. November 2016
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Über einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand darf das Gericht
nicht vor Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist entscheiden. Eine vorzeitige Entscheidung
kann den Anspruch des Antragstellers auf rechtliches Gehör verletzen
und die Zulassung der Rechtsbeschwerde begründen (im Anschluss an
BGH, Beschluss vom 17. Februar 2011 - V ZB 310/10, NJW 2011, 1363).
BGH, Beschluss vom 29. November 2016 - VI ZB 27/15 - OLG Köln
LG Aachen
ECLI:DE:BGH:2016:291116BVIZB27.15.0

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. November 2016 durch den Vorsitzenden Richter Galke, den Richter Wellner, die Richterinnen von Pentz und Dr. Oehler und den Richter Dr. Klein beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 12. Mai 2015 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen. Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 39.500 €.

Gründe:


I.

1
Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung der Einstandspflicht wegen angeblicher Behandlungsfehler gerichtete Klage mit Urteil vom 11. Februar 2015 weit überwiegend abgewiesen. Das Urteil ist der erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Klägers am 13. Februar 2015 zugestellt worden. Am 12. März 2015 hat der nunmehr mandatierte Prozessbevollmächtigte des Klägers Berufung eingelegt. Mit Verfügung vom 20. April 2015, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 22. April 2015 zugegangen, hat das Berufungsgericht auf die beabsichtigte Verwerfung der Berufung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hingewiesen. Am 29. April 2015 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers einen Antrag auf Wiedereinsetzung übersandt und die Berufung begründet. Er hat vorgetragen, vom 22. bis 28. April 2015 urlaubsbedingt abwesend gewesen zu sein. Die Fristversäumung beruhe auf dem Versehen seiner zuverlässigen und ansonsten beanstandungsfrei arbeitenden Rechtsanwaltsfachangestellten Frau W., die die Berufungsbegründungsfrist nicht in den Fristenkalender eingetragen habe. Dem Wiedereinsetzungsantrag ist eine entsprechende eidesstattliche Versicherung der Frau W. beigefügt gewesen.
2
Das Berufungsgericht hat mit Beschluss vom 12. Mai 2015 den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unbegründet sei. Der Kläger habe bereits nicht schlüssig dargelegt, dass er ohne ihm zuzurechnendes Verschulden seines Prozessbevollmächtigten gehindert gewesen sei, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten.
3
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Kläger mit der vorliegenden Rechtsbeschwerde.

II.

4
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Indem das Berufungsgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung vor Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen hat, hat es den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Sinne von § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.
5
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet Art. 103 Abs. 1 GG das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung jedes Schriftsatzes, der innerhalb einer gesetzlichen oder richterlich bestimmten Frist bei Gericht eingeht (BVerfGE 53, 219, 222; vgl. auch Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., Vor § 128 Rn. 6 jeweils mwN). Danach darf das Gericht über einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vor Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist entscheiden; dabei ist unerheblich, ob es die Sache für entscheidungsreif hält, weil der Antragssteller innerhalb der Frist zu den Wiedereinsetzungsgründen ergänzend vortragen kann und darf (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2011 - V ZB 310/10, NJW 2011, 1363 Rn. 4).
6
2. Gegen diese Grundsätze hat das Berufungsgericht verstoßen. Das Berufungsgericht hat sich in zivilprozessual unzulässiger Weise der Möglichkeit begeben, Vortrag zur Kenntnis zu nehmen und zu würdigen, da es vor Fristablauf einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beschieden hat. Die Frist zur Beantragung der Wiedereinsetzung beträgt nach § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Sie beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist (§ 234 Abs. 2 ZPO). Dem Prozessbevollmächtigten des Klägers ist die Verfügung des Berufungsgerichts am 22. April 2015 zugestellt worden. Selbst wenn man für dessen Kenntnis von der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als Zeitpunkt der Behebung des Hindernisses auf dieses Datum abstellt, war am 12. Mai 2015 die Mo- natsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO noch nicht abgelaufen. Die Bescheidung des Wiedereinsetzungsantrags war mithin verfrüht. Dabei kann dahinstehen , ob - wie von der Beschwerde vorgetragen - eine gerichtliche Hinweispflicht bestand, den Kläger auf seinen für unzureichend erachteten Vortrag hinzuweisen (vgl. zur Reichweite der Hinweispflichten bei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand etwa Senatsbeschluss vom 16. August 2016 - VI ZB 19/16, VersR 2016, 1463 Rn. 7 ff.; BGH, Beschlüsse vom 3. April 2008 - I ZB 73/07, GRUR 2008, 837; und vom 10. März 2011 - VII ZB 28/10, NJW-RR 2011, 790).
7
Der Verstoß war entscheidungserheblich, denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger seinen Vortrag zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags bis zum Fristablauf hinreichend ergänzt hätte.
8
3. Danach kann der angefochtene Beschluss keinen Bestand haben. Die Sache ist gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO zur erneutenEntscheidung unter Berücksichtigung des weiteren Vorbringens des Klägers im Rechtsbeschwerdeverfahren an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Galke Wellner von Pentz Oehler Klein
Vorinstanzen:
LG Aachen, Entscheidung vom 11.02.2015 - 11 O 399/12 -
OLG Köln, Entscheidung vom 12.05.2015 - 5 U 38/15 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Nov. 2016 - VI ZB 27/15

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Nov. 2016 - VI ZB 27/15

Referenzen - Gesetze

Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Zivilprozessordnung - ZPO | § 577 Prüfung und Entscheidung der Rechtsbeschwerde


(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rechtsbeschwerde a
Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Nov. 2016 - VI ZB 27/15 zitiert 6 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Zivilprozessordnung - ZPO | § 577 Prüfung und Entscheidung der Rechtsbeschwerde


(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rechtsbeschwerde a

Zivilprozessordnung - ZPO | § 234 Wiedereinsetzungsfrist


(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschw

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Nov. 2016 - VI ZB 27/15 zitiert oder wird zitiert von 6 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Nov. 2016 - VI ZB 27/15 zitiert 4 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 03. Apr. 2008 - I ZB 73/07

bei uns veröffentlicht am 03.04.2008

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS I ZB 73/07 vom 3. April 2008 in der Rechtsbeschwerdesache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja Münchner Weißwurst MarkenG § 83 Abs. 3; ZPO §§ 139, 233 A Die Anforderungen daran, was eine Partei veranlasst h

Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Feb. 2011 - V ZB 310/10

bei uns veröffentlicht am 17.02.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZB 310/10 vom 17. Februar 2011 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja GG Art. 103 Abs. 1; ZPO §§ 234 Abs. 1, 236 Abs. 2 B, C, 574 Abs. 2 Nr. 2 Über einen Antrag auf Wiedereinsetzung

Bundesgerichtshof Beschluss, 10. März 2011 - VII ZB 28/10

bei uns veröffentlicht am 10.03.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS VII ZB 28/10 vom 10. März 2011 in dem Rechtsstreit Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. März 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kniffka und die Richter Dr. Kuffer, Bauner, Dr. Eick und Prof. Le

Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Aug. 2016 - VI ZB 19/16

bei uns veröffentlicht am 16.08.2016

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS VI ZB 19/16 vom 16. August 2016 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja ZPO § 139 Abs. 1, § 236 (B) Erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben in einem Wiedereinsetzungsantr
2 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Nov. 2016 - VI ZB 27/15.

Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Apr. 2018 - VI ZB 48/17

bei uns veröffentlicht am 24.04.2018

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS VI ZB 48/17 vom 24. April 2018 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja ZPO § 234 A Eine Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor Ablauf der Wiederein

Bundesverfassungsgericht Nichtannahmebeschluss, 07. Feb. 2018 - 2 BvR 549/17

bei uns veröffentlicht am 07.02.2018

Tenor Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Gründe 1 D

Referenzen

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.

(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.

(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

4
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet Art. 103 Abs. 1 GG das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung jedes Schriftsatzes, der innerhalb einer gesetzlichen oder richterlich bestimmten Frist bei Gericht eingeht (BVerfG, BVerfGE 53, 219, 222; vgl. auch Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 128 Rn. 6 jeweils mwN). Danach darf das Gericht über einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vor Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist entscheiden. Es ist unerheblich, ob es die Sache für entscheidungsreif hält, weil der Antragssteller innerhalb der Frist zu den Wiedereinsetzungsgründen ergänzend vortragen kann und darf.

(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.

(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.

(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.

7
aa) Hierzu gehört eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe, aus denen sich ergibt, auf welchen konkreten Umständen die Fristversäumnis beruht. Alle Tatsachen, die für die Wiedereinsetzung von Bedeutung sein können, müssen grundsätzlich innerhalb der Antragsfrist vorgetragen werden (§ 234 Abs. 1, § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten ist, dürfen jedoch nach Fristablauf erläutert oder vervoll- ständigt werden (st. Rspr., Senatsbeschluss vom 29. Januar 2002 - VI ZB 28/01, juris Rn. 4 mwN; BGH, Urteil vom 7. März 2002 - IX ZR 235/01, NJW 2002, 2107, 2108 mwN; Beschlüsse vom 13. Juni 2007 - XII ZB 232/06, NJW 2007, 3212 Rn. 8; vom 9. Februar 2010 - XI ZB 34/09, FamRZ 2010, 636 Rn. 9; vom 21. Oktober 2010 - IX ZB 73/10, NJW 2011, 458 Rn. 17; vom 25. September 2013 - XII ZB 200/13, NJW 2014, 77 Rn. 9).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
I ZB 73/07
vom
3. April 2008
in der Rechtsbeschwerdesache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Münchner Weißwurst
Die Anforderungen daran, was eine Partei veranlasst haben muss, um Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand zu erlangen, dürfen nicht überspannt werden,
um den Zugang zu Gericht nicht unnötig zu erschweren. Eine Partei ist deshalb
auf ersichtlich unvollständige Angaben hinzuweisen. Die Verletzung dieser
Hinweispflicht kann einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen
Gehörs begründen.
BGH, Beschl. v. 3. April 2008 - I ZB 73/07 - Bundespatentgericht
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. April 2008 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Pokrant, Prof.
Dr. Büscher, Dr. Bergmann und Dr. Koch

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin zu 1 wird der Beschluss des 30. Senats (Marken-Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts vom 9. Juli 2007 aufgehoben.
Der Antragstellerin zu 1 wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist gewährt.
Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe:


1
I. Der Antragstellerin zu 1 (nachfolgend: Antragstellerin) wurde am 25. November 2005 ein Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts vom 18. November 2005 zugestellt. Gegen diesen Beschluss legten ihre Verfahrensbevollmächtigten am 13. Dezember 2005 beim Bundespatentgericht per Telefax Beschwerde ein. Das Original der Beschwerdeschrift ging dem Bun- despatentgericht am 14. Dezember 2005 zu. Weder die per Telefax übermittelte Beschwerdeschrift noch das Original waren unterzeichnet. Nachdem das Bundespatentgericht auf diesen Umstand am 16. Februar 2006 hingewiesen hatte, hat die Antragstellerin am 17. Februar 2006 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat sie ausgeführt , dass die mit der Postausfertigung betraute Mitarbeiterin in der Kanzlei der Verfahrensbevollmächtigten versehentlich das unterzeichnete Exemplar der Beschwerdeschrift in die Handakte geheftet und den nicht unterschriebenen Schriftsatz dem Bundespatentgericht per Telefax und im Original übermittelt habe. Die stets zuverlässig arbeitende Mitarbeiterin sei seit 1994 in der Kanzlei tätig und in alle Aufgabenbereiche von einem Rechtsanwalt der Kanzlei eingewiesen worden.
2
Das Bundespatentgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Beschwerde der Antragstellerin als unzulässig verworfen.
3
Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer (nicht zugelassenen) Rechtsbeschwerde, mit der sie die Versagung des rechtlichen Gehörs rügt.
4
II. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Bundespatentgericht ausgeführt:
5
Die Antragstellerin habe nicht dargelegt, dass die Fristversäumung für ihre Verfahrensbevollmächtigten unverschuldet gewesen sei. Sie habe nichts dazu vorgetragen, durch welche Vorkehrungen und Kontrollen in der Büroorganisation die Verfahrensbevollmächtigten dafür Sorge getragen hätten, dass Rechtsmittelschriften nur mit Unterschrift versehen in den Versand gelangten. Damit sei die Möglichkeit nicht ausgeräumt, dass die Einreichung der nicht unterzeichneten Beschwerdeschrift auf einem Verschulden der Verfahrensbevoll- mächtigten der Antragstellerin beruht habe. Deren Verschulden müsse sich die Antragstellerin zurechnen lassen.
6
III. Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin hat Erfolg.
7
1. Die Statthaftigkeit der form- und fristgerecht eingelegten Rechtsbeschwerde folgt daraus, dass ein im Gesetz aufgeführter, die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde eröffnender Verfahrensmangel gerügt wird. Die Rechtsbeschwerde beruft sich auf eine Versagung des rechtlichen Gehörs und hat dies im Einzelnen begründet. Darauf, ob die Rügen durchgreifen, kommt es für die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde nicht an (st. Rspr.; BGH, Beschl. v. 1.3.2007 - I ZB 33/06, GRUR 2007, 534 Tz. 5 = WRP 2007, 643 - WEST).
8
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Der Antragstellerin ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist zu gewähren. Sie hat die Frist weder aus eigenem Verschulden noch aus ihr zurechenbarem Verschulden ihrer Verfahrensbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) versäumt. Die gegenteilige Entscheidung des Bundespatentgerichts beruht auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs der Antragstellerin (Art. 103 Abs. 1 GG, § 83 Abs. 3 Nr. 3 MarkenG).
9
Art. 103 Abs. 1 GG garantiert den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens , dass sie Gelegenheit haben, sich zu dem der gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern, und dass das Gericht das Vorbringen zur Kenntnis nimmt und in Erwägung zieht (BVerfGE 86, 133, 144; BGH, Beschl. v. 10.4.2007 - I ZB 15/06, GRUR 2007, 628 Tz. 10 = WRP 2007, 788 - MOON). Dazu gehört, dass bei der Auslegung der Vorschriften über die Wiedereinsetzung die Anforderungen daran, was die Partei veranlasst haben muss, um Wiedereinsetzung zu erlangen, insbesondere beim "ersten Zugang" zu Gericht nicht überspannt werden (BGHZ 151, 221, 227) und eine Partei auf ersichtlich unvollständige Angaben hingewiesen wird (BGH, Beschl. v. 10.5.2006 - XII ZB 42/05, NJW 2006, 2269 Tz. 5 und 10).
10
a) Der Rechtsanwalt darf einfache Verrichtungen, die keine juristische Ausbildung verlangen, seinem geschulten und zuverlässigen Büropersonal zur selbständigen Erledigung übertragen. Hierzu rechnet die Überprüfung ausgehender Rechtsmittelschriften darauf, ob sie unterschrieben sind. Versehen des Personals bei dieser Kontrolle beruhen nicht auf einem eigenen Verschulden des Rechtsanwalts, das sich die Partei zurechnen lassen muss, wenn der Rechtsanwalt durch eine allgemeine Anweisung Vorsorge dafür getroffen hat, dass unter normalen Umständen Fristversäumnisse wegen fehlender Unterschrift vermieden werden (BGH, Beschl. v. 15.2.2006 - XII ZB 215/05, NJW 2006, 1205 Tz. 9; Beschl. v. 1.6.2006 - III ZB 134/05, NJW 2006, 2414 Tz. 5).
11
b) Die Antragstellerin hat mit der Rechtsbeschwerde dargelegt und glaubhaft gemacht, dass in der Kanzlei ihrer Verfahrensbevollmächtigten die Arbeitsanweisung besteht, nur solche Schriftstücke zu versenden, die von einem Rechtsanwalt unterschrieben sind und vor der Versendung das Vorhandensein der Unterschrift zu kontrollieren.
12
Zwar hat die Partei innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist das fehlende Verschulden darzulegen und glaubhaft zu machen (§§ 233, 234 Abs. 1, § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Jedoch dürfen erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, noch nach Fristablauf erläutert und vervollständigt werden (BGH, Beschl. v. 13.6.2007 - XII ZB 232/06, NJW 2007, 3212 Tz. 8).
13
Das Bundespatentgericht musste der Antragstellerin danach Gelegenheit zur Ergänzung ihres Vorbringens im Wiedereinsetzungsantrag geben. Die Antragstellerin hatte mit dem Wiedereinsetzungsantrag geltend gemacht, ihr Verfahrensbevollmächtigter habe die Sekretärin persönlich in alle Aufgabenbereiche eingewiesen. Es musste sich dem Bundespatentgericht danach aufdrängen , dass weiterer Vortrag zu den Einzelheiten der Einweisung und der Büroorganisation der Verfahrensbevollmächtigten deshalb unterblieben war, weil die Antragstellerin diesen in Anbetracht der Art und Weise des Fehlers der Kanzleikraft nicht für erforderlich hielt. Nach dem Wiedereinsetzungsantrag beruhte die Fristversäumung auf einem Versehen der Sekretärin. Diese war bereits seit mehr als zehn Jahren in der Kanzlei der Verfahrensbevollmächtigten tätig und hatte bislang stets zuverlässig gearbeitet. Danach war es naheliegend, dass das Fristversäumnis auf einem einmaligen Fehlverhalten der Sekretärin und nicht auf einem Mangel der Büroorganisation der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin beruhte. Das Bundespatentgericht hätte deshalb die Antragstellerin auf fehlenden Vortrag zur Büroorganisation ihrer Verfahrensbevollmächtigten nach § 82 Abs. 1 Satz 1 MarkenG i.V. mit § 139 ZPO hinweisen müssen. Die gegenteilige Verfahrensweise des Bundespatentgerichts stellt eine Überraschungsentscheidung dar, die den Anspruch der Antragstellerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.
14
Nach der Vervollständigung des durch anwaltliche Versicherung glaubhaft gemachten Vortrags zum Wiedereinsetzungsantrag ist davon auszugehen, dass in der Kanzlei der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin die allgemeine Anweisung bestand, Rechtsmittelschriften auf das Vorhandensein der Unterschrift eines Rechtsanwalts zu kontrollieren. Danach fehlt es an einem der Partei zurechenbaren Fehlverhalten ihres Verfahrensbevollmächtigten nach § 82 Abs. 1 Satz 1 MarkenG i.V. mit § 85 Abs. 2 ZPO. Der Fehler der Kanzleikraft ist der Antragstellerin nicht anzulasten.

15
Liegen danach die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist durch die Antragstellerin vor, kann der Senat die Wiedereinsetzung selbst gewähren. § 89 Abs. 4 Satz 1 MarkenG steht nur abschließenden Sachentscheidungen im Rechtsbeschwerdeverfahren entgegen (Ströbele in Ströbele/Hacker, Markengesetz, 8. Aufl., § 89 Rdn. 4), zu denen die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag nicht gehört.
16
c) Über die Kosten des Wiedereinsetzungsverfahrens einschließlich der Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist erst in der Endentscheidung zu befinden.
Bornkamm Pokrant Büscher
Koch Bergmann
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 09.07.2007 - 30 W(pat) 22/06 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VII ZB 28/10
vom
10. März 2011
in dem Rechtsstreit
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. März 2011 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kniffka und die Richter Dr. Kuffer, Bauner,
Dr. Eick und Prof. Leupertz

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe, 9. Zivilsenat in Freiburg, vom 27. Januar 2010 aufgehoben. Der Klägerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist gewährt. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Beschwerdewert: 45.000 €

Gründe:

I.

1
Das klageabweisende Urteil des Landgerichts ist den damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 16. Oktober 2009 zugestellt worden. Der Berufungsschriftsatz vom 13. November 2009 ist am 18. November 2009 beim Berufungsgericht eingegangen. Das ist den Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Verfügung vom 19. November 2009 mitgeteilt worden. Die Klägerin hat am Montag, dem 7. Dezember 2009, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Sie hat dazu vorgetragen , der allein sachbearbeitende Rechtsanwalt habe am Freitag und Samstag, dem 20. und 21. November 2009, an einer Baurechtstagung in M. teilgenommen und habe daher erst am Montag, dem 23. November 2009, von der Mitteilung des Berufungsgerichts Kenntnis erlangt. Zur Glaubhaftmachung hat die Klägerin eine Teilnahmebescheinigung des Tagungsveranstalters vorgelegt. Hinsichtlich der Versäumung der Berufungsfrist hat die Klägerin vorgetragen, der Berufungsschriftsatz sei bei ihren Prozessbevollmächtigten am 13. November 2009 um 16.00 Uhr von einem privaten Postzustelldienst abgeholt worden, der ihn am 14. November 2009 dem Berufungsgericht hätte zustellen sollen. Der Schriftsatz sei am 13. November 2009 um 19.52 Uhr bei dem Postzustelldienst erfasst worden, die Zustellung sei dort für den 14. November 2009 vorgesehen gewesen. Der verspätete Zugang habe nicht aufgeklärt werden können. Zur Glaubhaftmachung hat die Klägerin eine diese Tatsachen bestätigende E-Mail des Postzustelldienstes vorgelegt.
2
Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung versagt und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.

II.

3
1. Die gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Indem das Berufungsgericht der Klägerin zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist verweigert hat, hat es das Verfahrensgrundrecht der Klägerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt. Es hat zudem nicht die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beachtet.
4
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
5
a) Das Berufungsgericht lässt es dahinstehen, ob die Klägerin den Wiedereinsetzungsantrag innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO gestellt hat. Davon ist auszugehen. Die Klägerin hat glaubhaft gemacht, dass ihr Prozessbevollmächtigter von der Versäumung der Berufungsfrist erst am 23. November 2009 erfahren hat und dass ihn hieran kein Verschulden trifft.
6
b) Das Berufungsgericht hält den Wiedereinsetzungsantrag für unbegründet. Zwar könne eine Prozesspartei auch bei Einschaltung eines privaten Beförderungsdienstes grundsätzlich darauf vertrauen, dass die normalen Postlaufzeiten eingehalten würden. Die Klägerin habe aber nicht glaubhaft gemacht, dass der Berufungsschriftsatz tatsächlich am 13. November 2009 dem privaten Zustelldienst überlassen worden sei. Die vorgelegte E-Mail bestätige lediglich die Übergabe eines an das Berufungsgericht gerichteten Großbriefes von den Prozessbevollmächtigten der Klägerin an den Zustelldienst. Es gehe daraus aber nicht hervor, dass es sich um den Berufungsschriftsatz im vorliegenden Verfahren gehandelt habe. Es sei daher möglich, dass die Postsendung einen anderen, ebenfalls an das Berufungsgericht gerichteten Schriftsatz enthalten habe.
7
c) Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat der Klägerin zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist versagt.
8
aa) Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass die Prozessbevollmächtigten der Klägerin auch bei Einschaltung eines privaten Beförderungsdienstes mangels gegenteiliger Anhaltspunkte darauf vertrauen durften , dass die normalen Postlaufzeiten eingehalten werden (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Januar 2008 - XII ZB 155/07, NJW-RR 2008, 930).
9
bb) Die Rechtsbeschwerde rügt jedoch zu Recht, dass das Berufungsgericht gegen seine Hinweispflicht nach § 139 Abs. 1 ZPO verstoßen und damit zugleich den Anspruch der Klägerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes und auf rechtliches Gehör verletzt hat.
10
Das Berufungsgericht hätte die Klägerin auf seine Zweifel zum Inhalt des Großbriefs hinweisen und ihr Gelegenheit zur Ergänzung ihres Vorbringens hinsichtlich des Versands des Berufungsschriftsatzes geben müssen. Die Klägerin hatte in ihrem Wiedereinsetzungsantrag dargelegt, den Berufungsschriftsatz am 13. November 2009 um 16.00 Uhr dem Postzustelldienst übergeben zu haben. Der Schriftsatz ging auch tatsächlich, wenn auch verspätet, beim Berufungsgericht ein. Es ging im Wiedereinsetzungsverfahren daher aus Sicht der Klägerin in erster Linie um den Grund für diese Verzögerung und um die Frage des Verschuldens. Es musste sich ihren Prozessbevollmächtigen dagegen nicht aufdrängen, dass das Berufungsgericht Zweifel daran haben könnte, dass es sich bei dem vom Postzustelldienst in seiner E-Mail genannten Großbrief nicht um den Berufungsschriftsatz handeln könnte und dass deshalb insoweit von vornherein nähere Erläuterungen und weitere Glaubhaftmachung erforderlich sein könnten. Auf den notwendigen Hinweis hätte die Klägerin in zulässiger Weise ergänzend vortragen können (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2010 - XI ZB 34/09, FamRZ 2010, 636; vom 16. Dezember 2009 - IV ZB 30/09, FamRZ 2010, 458 und vom 13. Juni 2007 - XII ZB 232/06, NJW 2007, 3212, je m.w.N.).
11
3. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden. Die Klägerin hat in der Rechtsbeschwerde dargelegt, was sie nach dem gebotenen Hinweis ergänzend dem Berufungsgericht gegenüber vorgetragen hätte: Im vorliegenden und in einem Parallelverfahren seien am 13. November 2009 die Berufungsschriftsätze gefertigt und von einer Kanzleiangestellten in einem einzigen Großbrief dem Postzustelldienst übergeben worden; weitere Rechtsstreitigkeiten seien seinerzeit beim Berufungsgericht nicht anhängig gewesen. Die Klägerin hat eine entsprechende eidesstattliche Versicherung der Kanzleiangestellten vorgelegt. Da das Berufungsgericht den Hinweis unterlassen hat, ist dieses klarstellende Vorbringen der Klägerin bei der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde zu berücksichtigen.
12
Der Klägerin war danach unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren. Sie hat glaubhaft gemacht, dass die Kanzleiangestellte ihrer Prozessbevollmächtigten den Berufungsschriftsatz zusammen mit einem weiteren am 13. November 2009 dem Postzustelldienst übergeben hat. Dies wird noch dadurch bestätigt, dass das Berufungsgericht selbst ausführt, in einem anderen Verfahren sei ebenfalls ein Berufungsschriftsatz der Prozessbevoll- mächtigten der Klägerin vom 13. November 2009 am 18. November 2009 eingegangen. Damit ist davon auszugehen, dass die Prozessbevollmächtigten der Klägerin an der Versäumung der Berufungsfrist kein Verschulden trifft.
13
Die Verwerfung der Berufung als unzulässig ist gegenstandslos.
Kniffka Kuffer Bauner
Eick Leupertz
Vorinstanzen:
LG Konstanz, Entscheidung vom 05.10.2009 - 4 O 493/05 F -
OLG Karlsruhe in Freiburg, Entscheidung vom 27.01.2010 - 9 U 140/09 -

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(2) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Parteien gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 575 Abs. 3 und § 574 Abs. 4 Satz 2 gerügt worden sind. § 559 gilt entsprechend.

(3) Ergibt die Begründung der angefochtenen Entscheidung zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

(4) Wird die Rechtsbeschwerde für begründet erachtet, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. § 562 Abs. 2 gilt entsprechend. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(5) Das Rechtsbeschwerdegericht hat in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist. § 563 Abs. 4 gilt entsprechend.

(6) Die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ergeht durch Beschluss. § 564 gilt entsprechend. Im Übrigen kann von einer Begründung abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.