Bundesgerichtshof Urteil, 03. Apr. 2007 - X ZR 19/06

bei uns veröffentlicht am03.04.2007
vorgehend
Landgericht Leipzig, 13 O 3456/04, 09.09.2005
Oberlandesgericht Dresden, 20 U 1873/05, 27.01.2006

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 19/06 Verkündet am:
3. April 2007
Potsch
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 3. April 2007 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, die
Richter Scharen und Keukenschrijver und die Richterinnen Ambrosius und
Mühlens

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 27. Januar 2006 aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom 9. September 2005 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Klägerin nimmt nach erfolgloser Teilnahme an einem Vergabeverfahren die beklagte Gemeinde auf Schadensersatz wegen des ihr entgangenen Gewinns in Anspruch.
2
Die Beklagte beabsichtigte den Neubau einer Fußgängerüberführung über eine Bundesstraße und schrieb dieses Bauvorhaben im Jahre 2003 öffentlich nach der VOB/A aus. Gegenstand der Ausschreibung und des 19 Seiten umfassenden Leistungsverzeichnisses war eine Stahlbetonbrücke; Änderungsvorschläge und isolierte Nebenangebote waren zugelassen, sollten jedoch ebenfalls nach Mengenangaben und Einzelpreisen aufgegliedert werden, auch bei einem Pauschalpreis. Ein Hauptangebot mit ausgefülltem Leistungsverzeichnis reichte nur die L. GmbH (im Folgenden: L.) ein; der Preis betrug ca. 283.600,-- €. Zusätzlich legte die L. ein als Sondervorschlag bezeichnetes Nebenangebot zum Preis von rund 167.700,-- € vor, das eine Holzbrücke auf Stahlbetonstützen nach einem "System B. " (im Folgenden: System B.) beinhaltete. Dieses Nebenangebot war mit einem sechsseitigen die Vor- und Nebenarbeiten betreffenden Positionsverzeichnis versehen, das sich an den Titeln des Leistungsverzeichnisses orientierte, für den eigentlichen Stahl-Holz-Brückenüberbau einschließlich Treppenlage indes nur eine Pauschale von 82.885,-- € vorsah. Die Klägerin gab ein isoliertes Nebenangebot ab, das ebenfalls eine Stahl-Holz-Konstruktion, jedoch nach dem grundlegend andersartigen Konstruktionsprinzip des Unternehmens S. (im Folgenden : S.) zum Gegenstand hatte und das die S. als Nachunternehmerin für den Brückenüberbau vorsah; der insgesamt nur pauschal angegebene Angebotspreis betrug rund 217.000,-- €. Die Beklagte stellte fest, das Hauptangebot der L. übersteige ihre finanziellen Mittel und sei daher für sie nicht umsetzbar. Das Nebenangebot der Klägerin sei wegen des Pauschalpreises bzw. wegen der fehlenden Angabe von Einzelpreisen und Mengenansätzen von der Wertung auszuschließen und sei auch wohl überhöht. Der Sondervorschlag der L. als das wirtschaftlich günstigere Angebot bedürfe weiterer technischer Abklärung. Auch hinsichtlich der Nebenangebote sei bei der gezeigten geringen Marktbeteiligung ein annehmbarer Preis nicht gefunden worden. Bei Akzeptanz der Holzvariante solle mit der L. die Abklärung betrieben werden. In der Folgezeit nahm die Beklagte mit der L. Verhandlungen auf, die dazu führten, dass die L. ihren Angebotspreis auf 148.589,64 € reduzierte und am 21. Oktober 2003 den Auftrag erhielt, wobei die Vertragsparteien vereinbarten - insoweit abweichend vom ursprünglichen Sondervorschlag der L. -, dass der Brückenüberbau durch die S. als Nachunternehmer errichtet werden solle. Die L. führte den Auftrag aus und verwirklichte dabei, wie im Revisionsverfahren nicht mehr streitig ist, im Wesentlichen die von der Klägerin angebotene Konstruktion.
3
Das Landgericht hat die auf Zahlung von 43.686,-- € gerichtete Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und gemäß dem Klageantrag erkannt. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:


4
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils und zur Wiederherstellung des klageabweisenden Urteils des Landgerichts.
5
I. Das Berufungsgericht hat sein Urteil wie folgt begründet: Der Klägerin stehe der geltend gemachte Gewinnersatzanspruch gegen die Beklagte nach §§ 311 Abs. 2, 249 Abs. 1 BGB unter dem Gesichtspunkt der culpa in contrahendo zu. Die Beklagte habe das vorvertragliche Vertrauensverhältnis der Parteien verletzt. Beide Anspruchsvoraussetzungen, dass nämlich der ausgeschriebene Auftrag tatsächlich erteilt worden sei und dass der auf Schadensersatz klagende Bieter ihn bei rechtmäßigem Abschluss des Vergabeverfahrens zwingend hätte erhalten müssen, seien zu bejahen. Der ausgeschriebene Auftrag sei erteilt worden, weil sowohl das Nebenangebot der Klägerin als auch das ursprüngliche Angebot der L. ausschreibungskonform gewesen seien. Die L. hätte aber den Auftrag zum Bau der Brücke nach dem ursprünglich nur von der Klägerin angebotenen System S. nicht erhalten dürfen, weil die L. innerhalb der Angebotsfrist ein Angebot dieses später verwirklichten Inhalts nicht abgegeben habe. Statt dessen hätte die Klägerin als einziger verbliebener Mitbieter beauftragt werden müssen. Dies setze zwar ein wertungsfähiges Angebot der Klägerin voraus, jedoch brauche nicht abschließend entschieden zu werden, ob das Angebot der Klägerin, weil es nicht die in den Bewerbungsbedingungen grundsätzlich geforderte Aufgliederung nach Mengenansätzen und Einzelpreisen habe erkennen lassen, von der Wertung hätte ausgeschlossen werden müssen. Denn jedenfalls könne sich die Beklagte nach Treu und Glauben auf etwaige formale Defizite des klägerischen Angebots nicht berufen. Sie habe sich nämlich durch diese Defizite nicht daran gehindert gesehen, im Ergebnis die von der Klägerin angebotene Brücke bauen zu lassen, nur eben nicht mit der Klägerin als Auftragnehmer. Die Beklagte habe die konstruktiven und preislichen Einzelheiten über den von ihr beauftragten Erschließungsträger, die L. und/oder die S., besorgt oder besorgen lassen. Auf dieser Basis habe die L. mehr als drei Monate nach Ablauf der Angebotsfrist und in Kenntnis des von der Klägerin kalkulierten Preises ein neues preisgünstigeres Angebot erstellt, das im Wesentlichen inhaltsgleich mit dem der Klägerin gewesen sei, und darauf dann den Auftrag erhalten. Darin liege ein eklatant vergaberechtswidriges Verhalten der Beklagten. Dieser Verstoß stehe dem Einwand der Beklagten, das klägerische Angebot hätte wegen Unvollständigkeit nicht gewertet werden dürfen, um so mehr entgegen, als das neue Angebot der L. für den Brückenüberbau , also für den wertmäßig rund 70 % ausmachenden Leistungsteil der S., wiederum nur einen nicht weiter aufgegliederten Pauschalpreis genannt und somit seinerseits den Bewerbungsbedingungen offenkundig nicht entsprochen habe. Unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten sei es nicht mehr hinnehmbar, den Gewinnersatzanspruch der Klägerin an gegebenenfalls fehlenden Angaben in ihrem Angebot scheitern zu lassen.
6
II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung in wesentlichen Punkten nicht stand. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht die Voraussetzungen für den von der Klägerin geltend gemachten Ersatzanspruch als gegeben erachtet.
7
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats entsteht durch die Teilnahme eines Bieters an der Ausschreibung eines öffentlichen Auftraggebers ein vorvertragliches Vertrauensverhältnis mit Sorgfalts- und Schutzpflichten, zu denen jedenfalls dann, wenn - wie hier - auf der Grundlage der VOB/A ausge- schrieben war, auch gehört, dass der Auftraggeber deren Vorgaben einhält. Umgekehrt darf der Bieter auf die Einhaltung dieser Regeln vertrauen; eine Verletzung dieses Vertrauens kann auf seiner Seite Ersatzansprüche auslösen. Diese Rechtsprechung, die in der Vergangenheit aus dem gewohnheitsrechtlich anerkannten Rechtsinstitut der culpa in contrahendo hergeleitet wurde, ist jetzt auf § 311 Abs. 2 BGB zu stützen, nachdem die Haftung aus culpa in contrahendo mit dieser am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Vorschrift eine normative Grundlage erhalten hat. Der Sache nach ist an der bisherigen Rechtsprechung aber festzuhalten, weil § 311 Abs. 2 BGB an dem bisher angewandten Recht inhaltlich nichts ändern wollte.
8
2. Ersatz seines entgangenen Gewinns kann nach diesen Grundsätzen ein grundsätzlich ersatzberechtigter übergangener Bieter jedoch nur dann erhalten , wenn er ohne den Verstoß und bei auch ansonsten ordnungsgemäßer Vergabe den Zuschlag hätte erhalten müssen (vgl. nur Urt. v. 03.06.2004 - X ZR 30/03, VergabeR 2004, 604; v. 01.08.2006 - X ZR 115/04, VergabeR 2007, 73; Motzke/Pietzcker/Prieß, VOB, Syst V Rdn. 211 f.). Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Nach dem festgestellten Sachverhalt war die Beklagte nicht gehalten, den Auftrag zum Bau der Fußgängerbrücke der Klägerin zu erteilen; damit scheidet zugleich die Feststellung aus, dass die Klägerin den Auftrag hätte erhalten müssen. In diesem Zusammenhang kann dahinstehen, ob diese Folgerung bereits deshalb zu ziehen ist, weil das Angebot der Klägerin nicht den Anforderungen der Ausschreibung zur Aufgliederung der Gebote in Nr. 4.4 der "Bewerbungsbedingungen" der Beklagten entsprach. In Nr. 4.5 hatte sich die Beklagte die Entscheidung über die Zulassung solcher Gebote vorbehalten und diese damit - anders als in § 25 Nr. 1 VOB/A vorgesehen - in ihr Ermessen gestellt, wobei hier offen bleiben kann, ob eine solche Abweichung von den Regeln der VOB/A rechtlich zulässig ist. Fehlt es daran, war das Nebenangebot der Klägerin nach der dann einzuhaltenden Vorschrift des § 25 Nr. 1 Abs. 1b VOB/A zwingend zurückzuweisen und konnte daher nicht Grundlage eines Anspruchs auf Ersatz des positiven Interesses sein. Konnte sich die Beklagte hingegen die Entscheidung über eine Zulassung auch unvollständiger Angebote vorbehalten, war diese in ihr pflichtgemäßes Ermessen gestellt, bei dessen Ausübung sie allerdings die diesem gesetzte Grenzen zu beachten hatte, wie das Berufungsgericht in seinem rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend angenommen hat. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte jedoch nicht nur das Angebot der Klägerin wegen dessen formaler Fehler nicht berücksichtigt; es hat auch von dem innerhalb der Angebotsfrist eingegangenen Nebenangebot der L. keinen Gebrauch gemacht. Eine rechtliche Ungleichbehandlung der beiden Bieter ist insoweit daher im Ergebnis nicht zu erkennen; diese tritt erst im Folgenden auf, als die Beklagte - auch insoweit unter Verletzung der Vorgaben durch das Ausschreibungsrecht - in Vertragsverhandlungen allein mit der L. über einen inhaltlich von dem rechtzeitig eingereichten Angebot abweichenden Gegenstand eintrat und die Klägerin auch von diesen Verhandlungen ausschloss. Insoweit fehlt es jedoch bereits wegen ihrer mangelnden Beteiligung an einem berücksichtigungsfähigen Angebot der Klägerin, bei dem eine Rechtspflicht zum Zuschlag hätte bestehen können.
9
Fehler bei der Ausübung des von der Beklagten nach den Bewerbungsbedingungen in Anspruch genommenen Ermessens, von denen das Berufungsgericht im Zuge seiner weiteren Überlegungen ausgegangen ist, führen zudem im Übrigen auch nicht zwangsläufig dazu, dass unter Vernachlässigung aller weiteren für die Ermessensausübung maßgeblichen Umstände die Entscheidung in jedem Fall zugunsten des durch den Fehler betroffenen Bieters ausfallen muss. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass die von der Klägerin und der L. eingereichten Nebenangebote gleichwertig waren. Das lässt angesichts der deutlichen Preisunterschiede jedenfalls nicht die Feststellung zu, dass der Zuschlag auf das Gebot der Klägerin erteilt worden wäre oder aus Rechtsgründen hätte erteilt werden müssen.
10
3. Da nach alledem der Klägerin kein Anspruch auf Ersatz des entgangenen Gewinns zusteht, war die klageabweisende Entscheidung des Landgerichts unter Aufhebung des Berufungsurteils zu bestätigen.
Melullis Scharen Keukenschrijver
Ambrosius Mühlens
Vorinstanzen:
LG Leipzig, Entscheidung vom 09.09.2005 - 13 O 3456/04 -
OLG Dresden, Entscheidung vom 27.01.2006 - 20 U 1873/05 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 03. Apr. 2007 - X ZR 19/06

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 03. Apr. 2007 - X ZR 19/06

Referenzen - Gesetze

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 311 Rechtsgeschäftliche und rechtsgeschäftsähnliche Schuldverhältnisse


(1) Zur Begründung eines Schuldverhältnisses durch Rechtsgeschäft sowie zur Änderung des Inhalts eines Schuldverhältnisses ist ein Vertrag zwischen den Beteiligten erforderlich, soweit nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt. (2) Ein Schuldverhä
Bundesgerichtshof Urteil, 03. Apr. 2007 - X ZR 19/06 zitiert 1 §§.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 311 Rechtsgeschäftliche und rechtsgeschäftsähnliche Schuldverhältnisse


(1) Zur Begründung eines Schuldverhältnisses durch Rechtsgeschäft sowie zur Änderung des Inhalts eines Schuldverhältnisses ist ein Vertrag zwischen den Beteiligten erforderlich, soweit nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt. (2) Ein Schuldverhä

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Urteil, 03. Apr. 2007 - X ZR 19/06 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Urteil, 03. Apr. 2007 - X ZR 19/06 zitiert 2 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 03. Juni 2004 - X ZR 30/03

bei uns veröffentlicht am 03.06.2004

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 30/03 Verkündet am: 3. Juni 2004 Wermes Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf

Bundesgerichtshof Urteil, 01. Aug. 2006 - X ZR 115/04

bei uns veröffentlicht am 01.08.2006

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 115/04 Verkündet am: 1. August 2006 Potsch Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja
2 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 03. Apr. 2007 - X ZR 19/06.

Oberlandesgericht Köln Urteil, 23. Juli 2014 - 11 U 104/13

bei uns veröffentlicht am 23.07.2014

Tenor Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Bonn vom 12.07.2013 – 1 O 170/13 – wird zurückgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 12.07.2013 - 1 O 170/13 – abgeändert und die zugrunde

Oberlandesgericht Naumburg Urteil, 20. Dez. 2012 - 2 U 92/12

bei uns veröffentlicht am 20.12.2012

Tenor Die Berufung der Beklagten gegen das am 30. April 2010 verkündete Urteil der Einzelrichterin der Zivilkammer 1 des Landgerichts Stendal wird zurückgewiesen. Die Kosten des Berufungsverfahrens 1 U 50/10, des Revisionsverfahrens X ZR 130/1

Referenzen

(1) Zur Begründung eines Schuldverhältnisses durch Rechtsgeschäft sowie zur Änderung des Inhalts eines Schuldverhältnisses ist ein Vertrag zwischen den Beteiligten erforderlich, soweit nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt.

(2) Ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 entsteht auch durch

1.
die Aufnahme von Vertragsverhandlungen,
2.
die Anbahnung eines Vertrags, bei welcher der eine Teil im Hinblick auf eine etwaige rechtsgeschäftliche Beziehung dem anderen Teil die Möglichkeit zur Einwirkung auf seine Rechte, Rechtsgüter und Interessen gewährt oder ihm diese anvertraut, oder
3.
ähnliche geschäftliche Kontakte.

(3) Ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 kann auch zu Personen entstehen, die nicht selbst Vertragspartei werden sollen. Ein solches Schuldverhältnis entsteht insbesondere, wenn der Dritte in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch nimmt und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 30/03 Verkündet am:
3. Juni 2004
Wermes
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 3. Juni 2004 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den
Richter Scharen, die Richterinnen Ambrosius und Mühlens und den Richter
Dr. Meier-Beck

für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Rostock vom 5. Februar 2003 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand:


Das klagende Unternehmen verlangt von der beklagten Stadt Ersatz entgangenen Gewinns, weil sie nicht den Zuschlag für die landwirtschaftliche Verwertung von Klärschlamm erhalten hat.
Die Beklagte schrieb die Verwertung des in ihrer Kläranlage anfallenden Klärschlamms im Jahre 1998 für den Zeitraum vom 1. Januar 1999 bis zum 31. Dezember 2003 europaweit im Offenen Verfahren nach der Verdingungsordnung für Leistungen Teil A (VOL/A) aus. Die Bewerbungsbedingungen be-
gannen mit dem Hinweis, daß der Auftraggeber nach der VOL/A verfahre. In der Ausschreibung hieß es, daß der Zuschlag gemäß § 25 Abs. 3 VOL/A auf das Angebot erteilt werde, das unter Berücksichtigung aller technischen, wirtschaftlichen und umweltverträglichen Gesichtspunkte sowie der Verwertungssicherheit als das annehmbarste erscheine. Ausweislich des Leistungsverzeichnisses war der Klärschlamm vom Auftragnehmer abzutransportieren, erforderlichenfalls zwischenzulagern und auf von ihm zu akquirierende landwirtschaftliche Nutzflächen aufzubringen. In den Vorbemerkungen zum Leistungsverzeichnis hieß es unter anderem: "Grundlage für die Klärschlammverwertung ist die Klärschlammverordnung ...". Der zu verwertende Klärschlamm wurde unter anderem wie folgt charakterisiert: "Der Klärschlamm kann gekalkt oder ungekalkt angeboten werden."
Die Klägerin bot die Entsorgung sowohl mit als auch ohne Zwischenlagerung zum Preis von 40,50 DM/t an. Ein weiterer Anbieter, die O. & V. GmbH, verlangte 41,00 DM/t bei Direktverwertung des Klärschlamms und 43,00 DM/t bei Zwischenlagerung. Nach Ablauf der Angebotsfrist erfragte die Beklagte bei den Bietern, in welchem Umfang die Bereitstellung gekalkten Klärschlamms gewünscht werde. Sie wies zugleich darauf hin, daß bei einer Kalkzugabe aus technischen Gründen ein Minimum von 20 % zugesetzt werden müsse. Die O. & V. GmbH gab an, während der gesamten Vertragslaufzeit nur 30 % der Abnahmemenge gekalkt zu benötigen. Die Klägerin antwortete der Beklagten mit Schreiben vom 26. Oktober 1998, daß sie in Kenntnis der derzeitigen Bodenwerte in den umliegenden Landkreisen ca. 70 % gekalkten Klärschlamm und 30 % ungekalkten Klärschlamm benötige. Obwohl aus ihrer Sicht eine Kalkzugabe von 5 - 6 % ausreichend sei, beziehe sie in ihre Planung
ein, daß es aus technischen Gründen in jedem Fall ca. 20 % sein müßten. Bei einer 20 %igen Kalkzugabe ändere sich der Bedarf an Klärschlamm im Jahre 2001 auf ca. 60 % gekalkten Klärschlamm und 40 % ungekalkten Klärschlamm.
Die Beklagte erteilte am 16. November 1998 der O. & V. GmbH den Zuschlag. Sie bewertete deren Angebot unter Berücksichtigung des höheren Angebotspreises einerseits und der niedrigeren Kalkungskosten andererseits als das wirtschaftlichere.
Auf Antrag der Klägerin stellte die Vergabeprüfstelle des Innenministeriums Mecklenburg-Vorpommern fest, daß die Vergabe rechtsfehlerhaft erfolgt sei. Die Klägerin meint, die Kalkungskosten hätten bei der Bewertung der Angebote keine Rolle spielen dürfen, weil sich dieses Kriterium nicht aus den Vergabeunterlagen ergeben habe. Bei Zugrundelegung des reinen Angebotspreises hätte sie als günstigste Bieterin den Zuschlag erhalten müssen. Sie verlangt deshalb Ersatz des ihr entgangenen Gewinns, den sie mit 675.000,-- DM beziffert.
Die Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klage weiter.

Entscheidungsgründe:


Die Revision hat keinen Erfolg.
I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Die Beklagte habe bei der Erteilung des Zuschlages ihre vorvertraglichen Pflichten nicht verletzt. Das Angebot der O. & V. GmbH sei wegen deren geringeren Kalkungsbedarfs wirtschaftlicher gewesen als das der Klägerin, welches nicht nur zu höheren Kalkungskosten, sondern auch zu einer größeren Menge des zu entsorgenden Klärschlamms geführt und im Gesamtvergleich Mehrkosten von 132.021,80 DM verursacht hätte. Die Beklagte habe den Faktor "Kalkungskosten" auch berücksichtigen dürfen. Denn der mit der Materie vertraute Bieter habe den Ausschreibungsunterlagen entnehmen können und müssen, daß bei der betriebswirtschaftlichen Preis-Leistungs-Analyse der Angebote, die aufgrund des ausdrücklich genannten Zuschlagskriteriums der "Wirtschaftlichkeit" durchzuführen war, die Kalkungskosten eine Rolle spielen konnten. Dies sei für die auf Klärschlammentsorgung spezialisierten Bieter schon aus der ausdrücklich in Bezug genommenen Klärschlammverordnung erkennbar gewesen , weil nach dieser die Beklagte als "Produzent" des Klärschlamms für eine dem Kalkbedarf der Aufbringungsflächen entsprechende Aufkalkung des Klärschlamms rechtlich verantwortlich geblieben sei. Die Relevanz der Kalkungskosten habe sich überdies aus der Vorbemerkung zur Leistungsbeschreibung ergeben, daß Klärschlamm gekalkt oder ungekalkt angeboten werden könne und auf Wunsch des Auftragnehmers gekalkter Schlamm zusätzlich untersucht werde, wenn es das Verwertungsziel erforderlich mache. Ebensowenig habe die Beklagte gegen ihre Pflicht zur Leistungsbeschreibung nach § 8 Nr. 1 (1) VOL/A verstoßen, da die Zufügung von Kalk keine Leistung des Auftragnehmers , sondern eine Vorleistung der Beklagten gewesen sei. Auch das Transpa-
renzgebot sei nicht verletzt worden, weil wegen der explizit angesprochenen Möglichkeit der Kalkbeimengung für die Bieter offenkundig gewesen sei, daß die Beklagte je nach Qualität der Böden die erforderliche Kalkmenge zusetzen werde und ihr dadurch Betriebskosten entstehen mußten. Die Beklagte habe auch nicht gegen das Gebot zur Gleichbehandlung aller Bieter verstoßen. Denn sie habe alle Bieter nach der erforderlichen Kalkbeimengung gefragt. Die Bieter hätten durch ihre Antwort nicht etwa den angebotenen Preis nachträglich beeinflußt, sondern lediglich pflichtgemäß das Vertragsrisiko der Beklagten offengelegt.
II. Diese Ausführungen halten im Ergebnis der rechtlichen Nachprüfung stand. Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht entschieden, daß die Beklagte nicht gegen ihre Pflicht zur Leistungsbeschreibung verstoßen habe. Allerdings hätte die Beklagte ihre Kalkungskosten nicht als Vergabekriterium anwenden dürfen, weil die Ausschreibung insoweit unklar war. Eben wegen dieser Unklarheit durfte die Klägerin aber nicht auf ihr eigenes Verständnis vertrauen , so daß ihr im Ergebnis trotz des Vergabefehlers kein Schadensersatzanspruch zusteht.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kommt bei verfahrensfehlerhaft durchgeführten Ausschreibungen für den übergangenen erstrangigen Bieter ein Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens bei den Vertragsverhandlungen in Betracht. Aufgrund der öffentlichen Ausschreibung besteht ein vorvertragliches Vertrauensverhältnis zwischen dem Auftraggeber und den Bietern, das bei einer Verletzung der Ausschreibungsregeln und -bedingungen einen Schadensersatzanspruch des übergangenen Bieters we-
gen Verschuldens bei den Vertragsverhandlungen begründen kann, wenn der Bieter in seinem berechtigten und schutzwürdigen Vertrauen enttäuscht worden ist, das Vergabeverfahren werde nach den maßgeblichen Bestimmungen abgewickelt (vgl. nur Sen.Urt. v. 06.02.2002 - X ZR 185/99, NJW 2002, 1952 unter I 1; v. 16.12.2003 - X ZR 282/02, unter I 1). Der Anspruch richtet sich grundsätzlich auf Ersatz des Vertrauensschadens (negatives Interesse), d.h. auf Erstattung der nutzlosen Aufwendungen für die Erstellung des Angebots, ausnahmsweise jedoch auf Ersatz des entgangenen Gewinns (positives Interesse ), falls der ausgeschriebene Auftrag tatsächlich erteilt wurde und bei ordnungsgemäßem Verfahrensablauf dem übergangenen Bieter hätte zugeschlagen werden müssen (Sen.Urt. v. 05.11.2002 - X ZR 232/00, BauR 2003, 240 unter III a).
Als Verfahrensfehler kommt hier nur ein Verstoß gegen die Bestimmungen der VOL/A in der damals geltenden Ausgabe 1997 (künftig: VOL/A) in Betracht. Die Beklagte wies in den Bewerbungsbedingungen ausdrücklich darauf hin, daß sie nach der VOL/A verfahre. Falls sie deren Bestimmungen entgegen ihrer Zusage nicht einhielt, verletzte sie also ihre vorvertraglichen Pflichten.
2. Zu Recht beanstandet die Revision eine Verletzung des Gebots, bei der Wertung der Angebote nach § 25 VOL/A nur solche Kriterien zu berücksichtigen , die in den Verdingungsunterlagen angegeben waren.

a) Dieses Gebot ergibt sich schon aus der wegen Überschreitung des EG-Schwellenwerts von 200.000 ECU gebotenen richtlinienkonformen Auslegung der VOL/A. Die Richtlinie 92/50/EWG des Rates über die Koordinierung
der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge vom 18. Juni 1992 will eine Gleichbehandlung aller Bewerber um öffentliche Aufträge und eine Vergabe allein nach sachlichen und willkürfreien Kriterien sicherstellen. Mit diesem Zweck ist die Berücksichtigung erst nachträglich gebildeter, aus der Ausschreibung selbst nicht hervorgehender Zuschlagskriterien unvereinbar. Könnte der Auftraggeber nachträglich den Kriterienkatalog beliebig ändern oder anders gewichten, wäre die nach dem Zweck der Regelung erforderliche Überprüfbarkeit seiner Vergabeentscheidung nach objektiven Kriterien nicht mehr gewährleistet. Es würden vielmehr nachträgliche Veränderungen im Anforderungsprofil ermöglicht, mit deren Hilfe der Auftraggeber einen dem Gebot der Chancengleichheit widersprechenden Einfluß auf die Vergabeentscheidung nehmen könnte, der mit Sinn und Zweck der europarechtlichen Vorgaben zum Vergaberecht unvereinbar wäre. Es ist deshalb unabdingbar, daß die Wertung der Angebote nur auf solche Kriterien gestützt wird, die vorher, d.h. bei der Aufforderung zur Angebotsabgabe, bekanntgemacht worden sind. Nur dann ist auch dem Gebot der Rechtsstaatlichkeit genügt, zu dem die Vorhersehbarkeit und Transparenz staatlichen Handelns gehören (Sen.Urt. v. 17.02.1999 - X ZR 101/97, NJW 2000, 137 unter II 2 c).

b) Die Bekanntmachung setzt voraus, daß der Auftraggeber den Bietern die Zuschlagskriterien hinreichend klar und deutlich vor Augen geführt hat. Der Auftraggeber darf zwar bei der Gestaltung seiner Ausschreibung genügenden Sachverstand der Bieter voraussetzen. Er muß die Ausschreibung und insbesondere die Vergabekriterien jedoch so klar formulieren, daß jedenfalls fachkundige Bieter keine Verständnisschwierigkeiten haben (Daub/Eberstein/ Zdzieblo, VOL/A, 5. Aufl., § 8 Rdn. 29). Auch ein mißverständlich formuliertes
Kriterium ist daher nicht hinreichend bekanntgemacht und darf deshalb bei der Wertung der Angebote nicht berücksichtigt werden.

c) Die demnach entscheidende Frage, ob das Kriterium der Kalkungskosten der Beklagten aus den ursprünglichen Verdingungsunterlagen klar genug erkennbar war, ist zu verneinen. Der gegenteilige Standpunkt des Berufungsgerichts , wonach es für die Bieter offensichtlich gewesen sei, daß die Kalkungskosten der Beklagten ein Vergabekriterium darstellen sollten, ist nicht frei von Rechtsfehlern.
(1) Dabei kann hier dahinstehen, ob ihm eine der revisionsgerichtlichen Überprüfung nur begrenzt unterliegende tatrichterliche Auslegung zugrunde liegt oder diese Auslegung der uneingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprüfung unterworfen ist. Auch wenn es sich um eine ursprünglich dem Tatrichter vorbehaltene Auslegung handeln sollte, kann sie mit Blick auf den festzustellenden Rechtsfehler, der dem erkennenden Senat die eigene Auslegung eröffnet (st. Rspr. des BGH, vgl. nur Urt. v. 14.12.1990 - V ZR 223/89, NJW 1991, 1180 unter 2), keinen Bestand haben.
(2) Bei seiner Würdigung hat das Berufungsgericht den vorliegenden Sachverhalt nicht ausgeschöpft.
aa) Rechtlich bedenkenfrei hat das Berufungsgericht aus der Vorbemerkung zur Leistungsbeschreibung, in welcher die Beklagte den Klärschlamm gekalkt oder ungekalkt anbot, allerdings den Schluß gezogen, daß die mit der Materie vertrauten, auf Klärschlammentsorgung spezialisierten Bieter erkennen
konnten und mußten, daß die Beklagte in Befolgung der gesetzlichen Pflicht nach der Klärschlammverordnung (AbfKlärV v. 15.04.1992, BGBl. I 1992, 912) zur Aufkalkung bedürftiger Böden, die gleichermaßen zu beachten hat, wer Abwasserbehandlungsanlagen betreibt und Klärschlamm zum Aufbringen auf landwirtschaftlich genutzte Böden abgibt und wer Klärschlamm auf landwirtschaftlich genutzte Böden aufbringt (§§ 1 Abs. 1, 4 Abs. 9 AbfKlärV), je nach Bedarf und Wahl des Auftragnehmers Kalk zusetzen werde. Unbegründet ist die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe sich nicht mit dem Vortrag der Klägerin auseinandergesetzt, sie habe den Hinweis, der Klärschlamm könne gekalkt oder ungekalkt angeboten werden, dahin verstanden, daß die Beklagte den Kalk im eigenen Interesse, nämlich zwecks besserer Handhabung, mit Kalk versetzen wolle und sie, die Klägerin, den Kalk daher nehmen müsse, "wie es kommt". Da ein solches Mißverständnis der Klägerin dem vom Berufungsgericht zutreffend ermittelten objektiven Erklärungsinhalt widersprochen hätte, kommt es darauf nicht an. Ebenfalls keinen Erfolg hat die in diesem Zusammenhang erhobene weitere Rüge der Revision, das Berufungsgericht sei rechtswidrig davon ausgegangen, eine nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen erforderliche Kalkung habe zwingend durch Kalkzugaben zum Klärschlamm erfolgen müssen und sei daher von der Beklagten zu veranlassen gewesen. Es trifft zwar zu, daß der Kalk auch unmittelbar auf die Entsorgungsflächen aufgebracht werden kann und deshalb die Kalkung auch vom Abnehmer des Klärschlamms vorgenommen werden darf. Ein etwaiger diesbezüglicher Irrtum des Berufungsgerichts war für das Ergebnis seiner Auslegung jedoch nicht kausal. Für das Berufungsgericht war entscheidend, daß die Beklagte für eine ausreichende Kalkung der Aufbringungsflächen rechtlich ver-
antwortlich blieb. Ob neben der Beklagten auch die Klägerin verantwortlich war, spielte keine Rolle.
Auch die weitere Schlußfolgerung des Berufungsgerichts, für die Bieter sei gleichfalls offenkundig gewesen, daß der - Material und Arbeit erfordernde - Kalkzusatz die Betriebskosten der Beklagten vermehren und außerdem die Menge des zu entsorgenden Klärschlamms vergrößern und damit die von der Beklagten zu zahlende, nach einem Einheitspreis pro Tonne Klärschlamm zu errechnende Gesamtvergütung erhöhen werde, kann nach der Fachkunde der Bieter erwartet werden.
bb) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet hingegen die Annahme des Berufungsgerichts - die es, wenn überhaupt, auch nur konkludent geäußert hat -, die Beklagte habe ferner hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, daß ihre Kalkungskosten ein Vergabekriterium seien. Dem Berufungsgericht hat hierfür die von ihm zugrunde gelegte, für die Bieter ersichtliche Tatsache genügt, daß eine Kalkung die Kosten der Beklagten erhöhte.
Die vom Berufungsgericht aufgeworfene Grundsatzfrage, inwieweit offensichtliche Faktoren, die sich auf die Kosten des Auftraggebers auswirken, über die bloße Erwähnung des Wirtschaftlichkeitsfaktors hinaus als Zuschlagskriterium genannt werden müssen, stellt sich nicht. Das Berufungsgericht hat jedoch verkannt, daß eine ausreichende Deutlichkeit des Vergabekriteriums der Kalkungskosten allenfalls dann zugrunde gelegt werden kann, wenn die Bieter aufgrund dieses Wissens davon ausgehen müssen und insgesamt deshalb auch davon ausgehen, daß diese Kosten in die Bewertung des annehm-
barsten Gebots einfließen werden. Eine Klarheit in diesem Sinne schafft die hier vorliegende Ausschreibung nicht. Mit der Bedeutung dieser Kosten befassen sich die Ausschreibungsunterlagen nicht; sie stellen vielmehr die Auswahl zwischen gekalktem und ungekalktem Klärschlamm ohne jede Einschränkung in die Entscheidung des Abnehmers. Für den unbefangenen Leser verbleibt auch vor dem Hintergrund des vom Berufungsgericht angenommenen Wissenstandes der Bieter auf ihrer Seite die nach dem Wortlaut nicht fernliegende Möglichkeit, daß es dem Ausschreibenden auf diese Kosten nicht ankomme, etwa weil sie im konkreten Fall nicht ins Gewicht fallen oder durch anderweitige Vorteile wie eine kostengünstige Entsorgung von kalkhaltigem Material kompensiert werden. Daß es sich für die Beklagte bei diesen Kosten um einen Umstand von Bedeutung handeln kann, ist mit der nötigen Klarheit erst durch ihre der Ausschreibung nachfolgende Anfrage bei den in Aussicht genommenen Bietern hervorgetreten, in welchem Umfang sie die Lieferung von gekalktem Schlamm benötigten. Diese Anfrage konnte jedoch aufgrund des Zeitpunkts, zu dem sie erfolgt ist, die bis zum Ende der Ausschreibungsfrist bestehende und dort der Beurteilung zugrundeliegende Unklarheit nicht beseitigen. Der erkennende Senat hat bereits entschieden, daß es genügt, wenn zweifelsfrei zu erkennen war, daß bestimmte Kosten bei der Auftragserteilung eine Rolle spielen würden (Urt. v. 06.02.2002, aaO). So lag es hier aber gerade nicht. Weil die Frage nach dem Kalkungsbedarf fehlt, muß den Bewerbern auch die entgegengesetzte Verständnismöglichkeit eingeräumt werden, daß nämlich die Beklagte nicht nur die gewünschte Kalkung kostenlos vornehmen, sondern darüber hinaus darauf verzichten wolle, die individuellen Kalkungswünsche der Bewerber bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung der Angebote in ihre Berechnung einzustellen. Die Bieter brauchten diese Möglichkeit nicht etwa wegen der
mutmaßlichen Höhe der Kalkungskosten und/oder der Pflicht der Beklagten zur Berücksichtigung ihrer sämtlichen Kosten bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung auszuscheiden. Solche Überlegungen haushaltsrechtlicher Art oblagen vielmehr allein der Beklagten. Beide Verständnismöglichkeiten waren somit vertretbar. Dann aber war das Vergabekriterium der Kalkungskosten aus den Ausschreibungsunterlagen nicht klar genug ersichtlich.
Nach alledem hat die Beklagte mit der Berücksichtigung ihrer Kalkungskosten bei der Vergabeentscheidung gegen das öffentliche Vergaberecht (§ 25 VOL/A) verstoßen.
3. Trotz diesem Verstoß ist die Schadensersatzforderung der Klägerin nicht begründet.
Dies ergibt sich daraus, daß die Schadensersatzpflicht des Auftraggebers , die ihren Grund in der Verletzung des Vertrauens des Bieters darauf findet , daß das Vergabeverfahren nach den einschlägigen Vorschriften des Vergaberechts abgewickelt wird (Sen.Urt. v. 16.12.2003, aaO unter I 1), ein berechtigtes und schutzwürdiges Vertrauen voraussetzt (BGHZ 124, 64, 70; Sen.Urt. v. 12.06.2001 - X ZR 150/99, NJW 2001, 3698 unter 3; v. 16.04.2002 - X ZR 67/00, NJW 2002, 2558 unter 2 e; v. 28.10.2003 - X ZR 248/02, NZBau 2004, 166 unter 1 d). Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens entfällt, wenn der Bieter bei der ihm im jeweiligen Fall zumutbaren Prüfung erkannt hat oder hätte erkennen müssen, daß der Auftraggeber von den für ihn geltenden Regeln abweicht (BGHZ aaO; Sen.Urt. v. 12.06.2001, aaO). Darüber hinaus verdient sein Vertrauen aber auch dann keinen Schutz, wenn sich ihm die ernsthafte Gefahr
eines Regelverstoßes des Auftraggebers aufdrängen muß, ohne daß die Abweichung schon sicher erscheint. Aus diesem Grund war im vorliegenden Fall das Vertrauen der Klägerin, die Beklagte werde ihre - ersichtlich anfallenden, aber nicht zum Vergabekriterium erklärten - Kalkungskosten bei der Wertung der Angebote außer acht lassen, nicht berechtigt. Dazu war die Ausschreibung in diesem Punkt unklar. Eben weil das Angebot der Beklagten, den Klärschlamm nach Wahl des Auftragnehmers zu kalken, mehrdeutig war, also verschiedene , auch entgegengesetzte Verständnismöglichkeiten eröffnete - was ein fachkundiger Bieter auch erkennen mußte -, hätte die Klägerin sich nicht ohne weiteres auf die ihr günstigere Auslegungsmöglichkeit verlassen dürfen, sondern damit rechnen müssen, daß die Beklagte ihre Kalkungskosten doch zum Wertungskriterium machen wolle.
Es braucht deshalb nicht entschieden zu werden, ob der Anspruch der Klägerin auf Ersatz ihres entgangenen Gewinns auch am Gesichtspunkt des sogenannten rechtmäßigen Alternativverhaltens scheitert.
4. Einen Anspruch auf Ersatz ihres negativen Interesses, d.h. ihrer nutzlosen Aufwendungen für die Teilnahme an der Ausschreibung, hat die Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit nicht, auch nicht hilfsweise, geltend gemacht.
Melullis Scharen Ambrosius
Mühlens Meier-Beck

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 115/04 Verkündet am:
1. August 2006
Potsch
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
GWB § 97 Abs. 1, 2; VOB/A §§ 21 Nr. 1 Abs. 2, 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. b

a) Die Vorgaben der Ausschreibungsunterlagen für die Angebote sind auch im Verhandlungsverfahren
verbindlich, solange sie nicht vom Auftraggeber transparent
und diskriminierungsfrei gegenüber allen noch in die Verhandlungen einbezogenen
Bietern aufgegeben oder geändert worden sind (Fortführung von Sen.Urt. v.
08.09.1998 - X ZR 99/96, NJW 1998, 3640, 3644; v. 16.12.2003 - X ZR 282/02,
NJW 2004, 2165).

b) Angebote, die eine für die Bieter unzumutbare Vorgabe nicht erfüllen, dürfen nicht
ausgeschlossen werden. Ein Ausschluss kommt danach nicht in Betracht, soweit
die Ausschreibungsbedingungen eine technisch unmögliche Leistung verlangen
(Fortführung von Sen.Beschl. v. 18.02.2003 - X ZB 43/02, NZBau 2003, 293,
295 f.).

c) Werden an den Inhalt der Angebote unerfüllbare Anforderungen gestellt, so muss
die Vergabestelle die Ausschreibung entweder gemäß § 26 Nr. 1 VOB/A aufheben
oder diskriminierungsfrei die Leistungsbeschreibung soweit ändern, wie es erforderlich
ist, um die unerfüllbaren Anforderungen zu beseitigen.
BGB § 276 Fa; VOB/A § 25 Nr. 3

d) Für den Erfolg einer auf positives Interesse gerichteten Schadensersatzklage eines
Bieters nach Erteilung des ausgeschriebenen Auftrags an einen anderen Bieter
ist entscheidend, ob dem klagenden Bieter bei objektiv richtiger Anwendung
der bekanntgemachten Vergabekriterien unter Beachtung des der Vergabestelle
gegebenenfalls zukommenden Wertungsspielraums der Zuschlag erteilt werden
musste (Fortführung von Sen.Urt. v. 05.11.2002 - X ZR 232/00, NZBau 2003, 168;
Urt. v. 16.12.2003 - X ZR 282/02, NJW 2004, 2165).
VOB/A § 25 Nr. 3

e) Bei einer Ausschreibung mit Leistungsprogramm ist es jedenfalls dann unzulässig,
die Preise der Angebote mittels einer Mengenkorrektur zum Zweck der Wertung
vergleichbar zu machen, wenn ein Einfluss der angebotenen Mengen auf die Angebotsbewertung
nicht transparent gemacht worden ist.
BGH, Urt. v. 1. August 2006 - X ZR 115/04 - OLG Köln
LG Köln
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 1. August 2006 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den Richter
Keukenschrijver, die Richterinnen Ambrosius und Mühlens und den Richter
Dr. Kirchhoff

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das am 1. Juli 2004 verkündete Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Klägerin nimmt das beklagte Klinikum auf entgangenen Gewinn wegen Nichterteilung des Auftrags für die Ersatzbeschaffung der Ver- und Entsorgungsanlage (AWT-Anlage) für die medizinischen Einrichtungen der Universität K. in Anspruch.

2
Das Staatliche Bauamt K. I als Vergabestelle schrieb diesen Auftrag im August 1997 europaweit im offenen Verfahren aus. In der "Aufforderung zur Abgabe eines Angebots" waren als Kriterien für die Auftragserteilung unter anderem Preis und Qualität genannt. Der Aufforderung war eine Leistungsbeschreibung mit Leistungsprogramm beigefügt, in der es unter "0.2.1 Pauschalfestpreis" heißt: "Im Rahmen dieses Vertrages ist zum vereinbarten Pauschalpreis in der vereinbarten Zeit eine betrieblich und technisch, nach den Regeln der Technik und nach den baufachlichen Bestimmungen einwandfrei funktionierende Anlage betriebsfertig herzustellen, einzubauen und in Betrieb zu nehmen."
3
Auf diese Ausschreibung gaben außer der Klägerin nur die Unternehmen V. (VA) und D. Angebote ab. Die Angebotssumme aller drei Angebote überstieg jeweils die für die Maßnahme genehmigten Finanzmittel etwa um das Doppelte. Die Vergabestelle hob daraufhin die Ausschreibung auf. Darüber wurden die Bieter mit dem Hinweis informiert, dass nun ein Verhandlungsverfahren durchgeführt werde.
4
In dem Verhandlungsverfahren wurden die drei Bieter aufgefordert, ihre Angebote bei unveränderter Transportaufgabenstellung anhand ihrer fabrikatsspezifischen Besonderheiten zu optimieren und die Anlagenkosten zu minimieren. Ein verändertes Leistungsprogramm wurde nicht erstellt. VA legte ein zweites Angebot mit einer Angebotssumme von 24.237.643,-- DM vor. Das zweite Angebot der Klägerin endete mit einer Angebotssumme von 22.977.414,-- DM, das des dritten Bieters D. mit einem Betrag von 26.145.825,-- DM.

5
Die Vergabestelle hatte die Streithelferin mit der Prüfung der Angebote beauftragt. Die Bewertung der Streithelferin vom 4. Dezember 1997 schloss für die Klägerin und VA jeweils mit dem Fazit: "Unter der Voraussetzung, dass die FTS-spezifischen Forderungen von allen Gewerken erbracht werden, erfüllt das angebotene FTSSystem die gestellten Logistikaufgaben und kann daher empfohlen werden."
6
Hinsichtlich des Angebots von D. kam die Streithelferin zu dem Ergebnis , dass dieses in weiten Teilen nicht den im Leistungsprogramm definierten Anforderungen entspreche.
7
Wegen der Unterschiede zwischen den angebotenen Konzepten der beteiligten Bieter "normierte" die Streithelferin die Angebote zwecks Vergleichbarkeit. Ausgangspunkt waren dafür Mengenansätze, die die Streithelferin aufgrund einer überarbeiteten Planung selbst ermittelt hatte. Soweit die von ihr ermittelten Mengen von den angebotenen Mengen der Bieter abwichen, hat die Streithelferin die Mengendifferenz zu den von dem jeweiligen Bieter angegebenen Einzelpreisen bei den einzelnen Ausschreibungspositionen aus dem Angebotspreis heraus- oder ihm hinzugerechnet. Dies hatte zur Folge, dass sich das Angebot von VA geringfügig, dasjenige der Klägerin hingegen deutlich verteuerte. Daraufhin sprach sich die Streithelferin in ihrer abschließenden Vergabeempfehlung für eine Auftragserteilung an VA aus. Unter dem 16. Dezember 1997 erteilte die Vergabestelle der VA den Auftrag.
8
Die auf Ersatz des infolge Nichterteilung des Auftrags entgangenen Gewinns in Höhe von 1.793.310,26 € gerichtete Klage hat das Landgericht nach Einholung eines Sachverständigengutachtens dem Grunde nach als gerechtfertigt angesehen. Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten wurde zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der vom Senat zugelassenen Revision.

Entscheidungsgründe:


9
Die Revision hat Erfolg. Die Feststellungen des Berufungsgerichts tragen die Verurteilung des Beklagten zum Schadensersatz auf positives Interesse nicht.
10
I. Das Berufungsgericht geht im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats davon aus, dass einem Bieter ein Anspruch auf Ersatz des entgangenen Gewinns zustehen kann, wenn er den Auftrag bei ordnungsgemäßer Vergabe hätte erhalten müssen und wenn der ausgeschriebene Auftrag tatsächlich an einen anderen Bieter vergeben worden ist (vgl. Sen.Urt. v. 08.09.1998 - X ZR 99/96, NJW 1998, 3640, 3644; Urt. v. 16.12.2003 - X ZR 282/02, NJW 2004, 2165). Das Berufungsgericht meint, das Angebot der Klägerin sei demjenigen von VA mindestens gleichwertig, so dass dem Angebotspreis maßgebliche Bedeutung zukomme. Die von der Streithelferin vorgenommene "Normierung" der Angebote für den Preisvergleich sei nicht zulässig, weil die Vergabe zu einem Pauschalpreis ausgeschrieben worden sei und infolgedessen der Auftragnehmer das Mengenermittlungsrisiko trage. Bei ordnungsgemäßer Durch- führung des Vergabeverfahrens hätte deshalb der Klägerin der Auftrag erteilt werden müssen.
11
II. Das Berufungsurteil kann keinen Bestand haben. Das Berufungsgericht hat nicht beachtet, dass das Angebot der Klägerin von den Vorgaben der Ausschreibung abweichen kann und nach ständiger Rechtsprechung des Senats gegebenenfalls hätte ausgeschlossen werden müssen. Das Berufungsgericht hätte der Klägerin nicht dem Grunde nach positives Interesse zusprechen dürfen, ohne zuvor die Ausschreibungskonformität ihres Angebots zu prüfen. Anlass zu dieser Prüfung bestand nach dem für die Revision maßgeblichen Sachverhalt unter zwei Aspekten, die jeder für sich gegebenenfalls zu einem Ausschluss des Angebots der Klägerin und zur Abweisung ihrer Schadensersatzklage führen können.
12
1. Der Beklagte hat sowohl vor dem Landgericht wie auch vor dem Berufungsgericht unter Beweisantritt vorgetragen, die Ausschreibung habe ausdrücklich gefordert, dass eine Beendigung der aktuellen Transportaufträge durch die FTS-Fahrzeuge trotz Ausfalls der kompletten Dispositionsebene, also des Rechnersystems, gewährleistet sein müsse; dies sei bei der von der Klägerin gewählten Lösung nach deren Angaben nicht möglich gewesen. Da der Beklagte das auch schon in erster Instanz vorgetragen hatte, stand entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO der Berücksichtigung dieses Vorbringens nicht entgegen. Sofern es den Ausschluss des Angebots der Klägerin nicht schon wegen Fehlen des Pauschalfestpreises für geboten hielt (dazu unten 2.), hätte das Berufungsgericht deshalb eigene Feststellungen zu der Frage treffen müssen, ob die FTS-Fahrzeuge im Angebot der Klägerin in der Lage sind, ihre Transportaufträge auch bei Rechnerausfall zu beenden. Denn sollte dies nicht der Fall sein, wiche das Angebot der Klägerin von einer zwingenden Anforderung des Leistungsprogramms ab.
13
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist es eine gemäß § 21 Nr. 1 Abs. 2 VOB/A unzulässige Änderung an den Verdingungsunterlagen, wenn das Angebot eines Bieters eine Vorgabe des Leistungsverzeichnisses nicht einhält. Eine solche Abweichung führt - jedenfalls in der Regel - zwingend zum Ausschluss des Angebots von der Wertung gemäß § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. b VOB/A (vgl. nur Sen.Urt. v. 08.09.1998 - X ZR 85/97, NJW 1998, 3634; Beschl. v. 18.02.2003 - X ZB 43/02, NZBau 2003, 293, 295 f.; zuletzt Urt. v. 24.05.2005 - X ZR 243/02, NZBau 2005, 703). Bei einer funktionalen Ausschreibung tritt an die Stelle des Leistungsverzeichnisses das Leistungsprogramm. Eine Abweichung von dessen verbindlichen Vorgaben stellt nicht anders als eine Abweichung vom Leistungsverzeichnis eine Änderung an den Verdingungsunterlagen dar.
14
Die vom Senat entwickelten Grundsätze zur Behandlung unvollständiger oder geänderter Angebote gelten auch im Verhandlungsverfahren. Zwar ist gemäß § 3a Nr. 1 lit. c VOB/A Wesensmerkmal des Verhandlungsverfahrens, dass der Auftraggeber mit den Bietern über den Auftragsinhalt verhandelt. Transparenz- und Gleichbehandlungsgebot als tragende Grundlagen des Vergaberechts verlangen aber, dass die Anforderungen der Ausschreibungsunterlagen an die Angebote auch im Verhandlung sverfahren verbindlich sind, solange sie nicht vom Auftraggeber transparent und diskriminierungsfrei gegenüber allen noch in die Verhandlungen einbezogenen Bietern aufgegeben oder geändert werden. Für eine Änderung der Anforderungen der Ausschreibung in Bezug auf das Verhalten der FTS-Fahrzeuge bei Rechnerausfall ist auf der Grund- lage des für das Revisionsverfahren maßgeblichen Sachverhalts nichts ersichtlich.
15
Der zwingende Ausschlussgrund der Abweichung von den Verdingungsunterlagen ist im Schadensersatzprozess unabhängig davon zu berücksichtigen , ob sich der Auftraggeber im Vergabeverfahren darauf berufen hat (Sen.Urt. v. 08.09.1998 - X ZR 85/97).
16
b) Das Berufungsgericht wird daher der Klägerin den begehrten Schadensersatz nicht zusprechen können, ohne Feststellungen zum Inhalt der Ausschreibung bezüglich der Fähigkeit der FTS-Fahrzeuge, ihre Transportaufträge bei Rechnerausfall zu beenden, sowie dazu zu treffen, ob das Angebot der Klägerin gegebenenfalls diesen Anforderungen entsprach. Allerdings hat der gerichtliche Sachverständige in seinem vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Gutachten die Anforderung zur Beendigung der Fahraufträge bei Rechnerausfall für eine "eigentlich unerfüllbare Forderung" gehalten (GA II 507). War diese Vorgabe der Ausschreibung tatsächlich objektiv nicht erfüllbar, wäre sie für die Bieter unzumutbar mit der Folge, dass Angebote, die sie nicht einhalten, nicht ausgeschlossen werden dürften (vgl. Sen.Beschl. v. 18.02.2003, aaO, 296). Dennoch könnte dann der Klägerin der begehrte Schadensersatz zu versagen sein, wenn sie die Unerfüllbarkeit der Anforderung zur Beendigung der Fahraufträge hätte erkennen müssen. Als Folge davon hätte bei ihr schon vor Abgabe ihres Angebots kein schutzwürdiges Vertrauen mehr darauf bestanden, dass der Beklagte seine für das Leistungsprogramm bestehenden vergaberechtlichen Bindungen einhalten werde. Mangels schutzwürdigen Vertrauens käme dann ein Schadensersatzanspruch der Klägerin nicht in Betracht (Sen. in st. Rspr., vgl. etwa BGHZ 124, 64, 70; Urt. v. 12.06.2001 - X ZR 150/99, NJW 2001, 3698).

17
Sollte es sich bei der Anforderung zur Beendigung der Fahraufträge um eine unerfüllbare Forderung gehandelt haben, begegnet das Ersatzverlangen der Klägerin darüber hinaus einem weiteren Bedenken. In diesem Fall hätte der Beklagte das eingeleitete Vergabeverfahren nicht ohne Weiteres durch Zuschlag beenden dürfen. Er hätte entweder die Ausschreibung gemäß § 26 Nr. 1 VOB/A aufheben oder diskriminierungsfrei das Leistungsprogramm, soweit zur Beseitigung unerfüllbarer Anforderungen erforderlich, ändern und den Bietern angemessene Gelegenheit zur Abgabe neuer Angebote auf der Basis des veränderten Leistungsprogramms geben müssen. In beiden Fällen wäre aber ungewiss , ob die Klägerin danach den Zuschlag erhalten musste, so dass ihr dann auch aus diesem Grund der eingeklagte Schadensersatz nicht zustehen könnte.
18
2. Das Angebot der Klägerin könnte auch unter einem anderen Aspekt zwingend auszuschließen sein. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts , die von keiner Partei in Zweifel gezogen werden, hatten die Bieter das ausgeschriebene Leistungsprogramm zu einem Pauschalpreis anzubieten. Die Revision macht jedoch geltend, der Sachverständige habe ausgeführt, dass sich sowohl die Klägerin als auch VA vorbehalten hätten, erst durch eine Simulation in der Feinplanungsphase die genaue Anzahl der benötigten FTSFahrzeuge zu ermitteln und dann eine Gutschrift oder einen Nachtrag zu erstellen. Die Revision meint zwar, es handele sich insoweit um nicht von dem Pauschalpreis erfasste Zusatzarbeiten. Dafür gibt es jedoch keinen Anhaltspunkt. Vielmehr war die für die betrieblichen Anforderungen des Beklagten erforderliche Anzahl der FTS-Fahrzeuge notwendiger Bestandteil des nachgefragten Leistungsprogramms. Danach war zum vereinbarten Pauschalpreis in der vereinbarten Zeit eine betrieblich und technisch, nach den Regeln der Technik und nach den baufachlichen Bestimmungen einwandfrei funktionierende Anlage betriebsfertig herzustellen, einzubauen und in Betrieb zu nehmen. Das ist ohne die erforderliche Zahl von FTS-Fahrzeugen nicht möglich.
19
Das Berufungsgericht wird daher, sofern es die Klage nicht mangels Erfüllung der Anforderung zur Beendigung der Transportaufträge bei Rechnerausfall abweist, klären müssen, ob die Klägerin zu dem geforderten Pauschalpreis angeboten hat oder ob sie diese Anforderung der Ausschreibung wegen eines Preisvorbehalts hinsichtlich der Zahl der benötigten FTS-Fahrzeuge nicht erfüllt hat. Sollte die Klägerin keinen Pauschalpreis angeboten haben, wäre ihr Angebot zwingend auszuschließen. Es ist nichts dafür dargetan, dass die Angabe eines Pauschalpreises den Bietern im vorliegenden Fall unzumutbar war. Denn sie hätten etwa versuchen können, die benötigte Anzahl der FTS-Fahrzeuge durch Simulationen und Informationsanfragen an den Beklagten zu ermitteln, oder sie hätten in ihr Angebot die erforderlichen Sicherheitsmargen hinsichtlich der Zahl der benötigten Fahrzeuge einkalkulieren können.
20
III. 1. Sollte die Klägerin in schutzwürdiger Weise auf die Einhaltung der VOB/A durch den Beklagten vertraut haben und ihr Angebot nicht auszuschließen sein, so wäre auf der Grundlage des für das Revisionsverfahren maßgeblichen Sachverhalts der Klage ohne Weiteres stattzugeben, ohne dass es auf die von den Parteien erörterten Fragen der Angebotsbewertung ankäme. Denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts steht fest, dass gemäß Ausschreibung ein Hot-stand-by-Rechner gefordert war, VA jedoch (anders als die Klägerin) lediglich einen Cold-stand-by-Rechner angeboten hatte. Das Berufungsgericht erwähnt auch, dass die Streithelferin schon in ihrer ursprünglichen Auswertung bemerkte, dass das Leitstandkonzept von VA mit dem Angebot eines Cold-stand-by-Rechners nicht den gestellten Anforderungen entsprach.
Da das Angebot des dritten Bieters D. laut Angebotsauswertung in weiten Teilen nicht die im Leistungsprogramm definierten Anforderungen erfüllte, wäre in diesem Fall allein das Angebot der Klägerin zu werten gewesen. Nachdem der ausgeschriebene Auftrag jedoch VA erteilt worden ist, wäre der Klägerin dann Schadensersatz in Form des positiven Interesses zuzusprechen, sofern ihr eigenes Angebot gewertet werden durfte und der Beklagte bei ihr schutzwürdiges Vertrauen auf die Einhaltung der VOB/A verletzt hat.
21
2. Im Hinblick auf die vom Berufungsgericht geäußerten Rechtsansichten hält der Senat noch folgende Hinweise für angezeigt:
22
a) Hinsichtlich der Position "1.3.10 Zusatzfördersysteme" meint das Berufungsgericht , die Vergabestelle hätte die Klägerin vor einer abschließenden Entscheidung über die Auftragserteilung darauf hinweisen müssen, dass sie beabsichtige, bei dieser Ausschreibungsposition höhere Anforderungen als nach dem Leistungsprogramm zu stellen. Da dies unterlassen worden sei, hätte die Beklagte die Angebote von VA und der Klägerin insoweit gleich bewerten müssen. Das Leistungsprogramm formuliert zur Position 1.3.10 indes nur Mindestanforderungen. Höhere Leistungen konnten deshalb im Rahmen der qualitativen Bewertung grundsätzlich positiv berücksichtigt werden. Die Qualität der Angebote war in der Aufforderung zur Angebotsabgabe als Vergabekriterium genannt. Der Beklagte hat zu Position 1.3.10 auf eine größere Funktionsfähigkeit und Zuverlässigkeit des Systems von VA infolge redundanter Sicherheitssysteme verwiesen. Allerdings kann die höhere Qualität einer Leistung nur dann wertungsrelevant werden, wenn die angebotene Leistung den Anforderungen der Ausschreibung entspricht und sich nicht als Aliud darstellt. Denn anderenfalls läge eine unzulässige Änderung der Verdingungsunterlagen vor, die jedenfalls bei einem Hauptangebot zum Ausschluss von der Wertung führen müsste.

23
b) Das Berufungsgericht meint, dass die von der Streithelferin für die Vergabestelle vorgenommene "Normierung" der Angebote zwecks Vergleichbarkeit vergaberechtlich unzulässig war. Das überzeugt im Ergebnis, jedoch nicht in allen Teilen der Begründung.
24
Das Berufungsgericht hebt entscheidend auf den Charakter der Vergabe als funktionale Ausschreibung mit Pauschalpreis ab, bei der nach Auftragserteilung Mengenänderungen nicht zu Preisänderungen führten. Die Frage, ob es aufgrund der Art des ausgeschriebenen Vertrags nach dessen Abschluss zu Preisänderungen kommen kann, ist jedoch zu unterscheiden von der Frage, welchem Angebot der Zuschlag gebührt. Auch bei einer funktionalen Ausschreibung mit Pauschalpreis kann es geboten sein, qualitativ unterschiedliche Angebote auf angemessene Weise vergleichbar zu machen. Das ist der Fall, wenn der Preis nicht alleiniges Vergabekriterium ist, sondern etwa auch die Qualität der Leistung. Der Auftraggeber ist dann nicht gehindert, den Zuschlag auf ein ausschreibungskonformes, qualitativ besseres Angebot mit höherem Preis zu erteilen. Um eine objektive Bewertung der Angebote sicher zu stellen, ist es in diesem Fall eine zulässige Methode, Qualitätsunterschiede in geeigneter Weise zu bepreisen und in Form von Zuschlägen oder Abschlägen auf den Angebotspreis zu berücksichtigen.
25
Die im vorliegenden Fall für die Vergabestelle vorgenommene "Normierung" ist jedoch vergaberechtlich unzulässig, weil in intransparenter Weise Preisanpassungen allein auf der Grundlage den Bietern nicht offen gelegter Vergleichszahlen für die nachgefragten Mengen von Systemkomponenten erfolgten. Bei einer Ausschreibung mit Leistungsprogramm ist es jedenfalls dann unzulässig, die Preise der Angebote mittels einer Mengenkorrektur zum Zweck der Wertung vergleichbar zu machen, wenn ein Einfluss der angebotenen Mengen auf die Angebotsbewertung von der Vergabestelle nicht transparent gemacht worden ist. Das Berufungsgericht weist insoweit zutreffend darauf hin, dass bei einer solchen Ausschreibung der Bieter das Mengenermittlungsrisiko trägt, weil er für die Erfüllung der Anforderungen des Leistungsprogramms einzustehen hat. Sollte der nach dem Leistungsprogramm geschuldete Erfolg mit den angebotenen Mengen nicht zu erreichen sein, wäre der erfolgreiche Bieter zur Lieferung der benötigten Menge verpflichtet, ohne dafür eine Anpassung der Vergütung verlangen zu können. Eine zulässige qualitative Bewertung der Angebote kann in der für die Vergabestelle vorgenommenen "Normierung" der Angebote nicht erkannt werden. Eine unterschiedliche Qualität der Angebote wurde vorliegend gerade nicht bepreist.
26
c) Nach Auffassung des Berufungsgerichts muss sich die Vergabestelle an der ursprünglich für sie von der Streithelferin vorgenommenen Angebotsbewertung im Schadensersatzprozess festhalten lassen. Das trifft nicht zu. Zwar ist es, wie der Senat wiederholt entschieden hat, unzulässig, nachträglich weitere Vergabekriterien einzuführen (vgl. Sen.Urt. v. 17.02.1999 - X ZR 101/97, NJW 2000, 137, 139; Urt. v. 03.06.2004 - X ZR 30/03, NZBau 2004, 517). Jedoch ist für den Erfolg einer auf positives Interesse gerichteten Schadensersatzklage eines Bieters nach Erteilung des ausgeschriebenen Auftrags an einen anderen Bieter Voraussetzung, dass dem klagenden Bieter bei objektiv richtiger Anwendung der bekanntgemachten Vergabekriterien unter Beachtung des der Vergabestelle gegebenenfalls zukommenden Wertungsspielraums (vgl. Sen.Urt. v. 06.02.2002 - X ZR 185/99, NJW 2002, 1952, 1954) der Zuschlag erteilt werden musste. Der Vergabestelle ist es nicht verwehrt, sich im Prozess auf die objektiv richtige Bewertung zu berufen.
27
d) Zutreffend hält das Berufungsgericht das Verhandlungsverfahren der Vergabestelle für mangelhaft, weil der Ablauf der Verhandlungen den Bietern nicht mitgeteilt und insbesondere nicht offen gelegt wurde, bis zu welchem Zeitpunkt die Vergabestelle Änderungen akzeptieren werde. Das ist mit dem vergaberechtlichen Transparenzgebot, das auch schon vor Inkrafttreten des § 97 GWB n.F. zu beachten war, unvereinbar.
28
IV. Der Rechtsstreit ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, dem auch die Entscheidung über die Kosten, einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Streithelferin, übertragen ist.
Melullis Keukenschrijver Ambrosius
Mühlens Kirchhoff
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 17.12.2002 - 5 O 520/99 -
OLG Köln, Entscheidung vom 01.07.2004 - 18 U 12/03 -