Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 19. Nov. 2014 - 1 BvR 1178/14

ECLI:ECLI:DE:BVerfG:2014:rk20141119.1bvr117814
bei uns veröffentlicht am19.11.2014

Tenor

Der Beschluss des Amtsgerichts Paderborn vom 17. September 2013 - 84 F 34/13 - und der Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 6. Februar 2014 - II-6 UF 177/13 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes.

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm wird aufgehoben und die Sache wird an das Oberlandesgericht Hamm zurückverwiesen.

Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Beschwerdeführer wendet sich dagegen, dass ihm - wie auch der Mutter - die elterliche Sorge für eine im Februar 2013 geborene Tochter entzogen und auf das Jugendamt übertragen wurde.

2

1. Der Beschwerdeführer stammt aus G. und lebt seit Anfang 2012 zunächst als Asylbewerber, inzwischen geduldet in Deutschland. Die Mutter leidet unter gravierenden psychischen Erkrankungen, keines ihrer vier älteren Kinder lebt bei ihr. Sie wurde in den Monaten vor der Entbindung in einem Mutter-Kind-Heim betreut. Der Beschwerdeführer und die Mutter haben sich noch während der Schwangerschaft getrennt, der Beschwerdeführer hat eine neue Lebensgefährtin.

3

Im Oktober 2012 haben der Beschwerdeführer und die Mutter vorgeburtlich eine Vaterschaftsanerkennung und gemeinsame Sorgeerklärung abgegeben.

4

a) Unter Verweis auf die psychische Situation der Mutter und die nicht transparente Wohn- und Lebenssituation des Beschwerdeführers regte das Jugendamt unmittelbar vor dem voraussichtlichen Geburtstermin an, den Eltern das Sorgerecht zu entziehen. Das Amtsgericht entzog daraufhin beiden Eltern im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitssorge und das Recht zur Beantragung öffentlicher Hilfen und bestellte das Jugendamt zum Ergänzungspfleger.

5

Mitte Februar 2013 wurde die Tochter des Beschwerdeführers geboren. Sie wurde nach der Entlassung aus dem Krankenhaus in einer Pflegefamilie untergebracht, wo sie seitdem lebt. Anfang Mai 2013 traf das Amtsgericht eine Umgangsregelung, nach der begleitete Kontakte stattfanden.

6

b) Im hier verfahrensgegenständlichen Hauptsacheverfahren beantragte der Beschwerdeführer, ihm das alleinige Sorgerecht zu übertragen.

7

aa) Das Amtsgericht gab ein Sachverständigengutachten dazu in Auftrag, ob die Eltern in der Lage seien, das körperliche, geistige und seelische Kindeswohl sicherzustellen und somit erziehungsfähig seien. Die Sachverständige hielt die Mutter für krankheitsbedingt erziehungsunfähig und den Beschwerdeführer nur teilweise für erziehungsfähig; sie empfahl, das Kind weiterhin in einer Pflegefamilie unterzubringen.

8

Nach mündlicher Verhandlung entzog das Amtsgericht mit Beschluss vom 17. September 2013 beiden Eltern die gesamte elterliche Sorge und bestellte das Jugendamt zum Vormund. Das Kindeswohl sei gefährdet. Die Mutter sei krankheitsbedingt erziehungsunfähig. Der Beschwerdeführer sei derzeit nur eingeschränkt erziehungsfähig. Dies habe die Sachverständige, welche dem Gericht auch aus anderen Verfahren als kompetente und erfahrene Gutachterin bekannt sei, in ihrem schlüssigen, nachvollziehbaren und uneingeschränkt verwertbaren Gutachten festgestellt, dem das Gericht sich vollumfänglich anschließe.

9

Der Beschwerdeführer könne derzeit das körperliche, geistige und seelische Wohl der Tochter nicht sicherstellen. Es fehle ihm (noch) an Kernkompetenzen bei der Kindeserziehung. Ihm habe nach den Ausführungen der Sachverständigen in den von ihr beobachteten Umgangskontakten oft die Fähigkeit gefehlt, auf die konkreten Bedürfnisse des Kindes einzugehen. So habe er mehrmals versucht, das Kind mittels Schütteln auf dem Arm zu beruhigen, was alle Beteiligten als dem Alter der Tochter unangemessen beschrieben hätten.

10

Bei dem Beschwerdeführer liege weiter eine erhebliche Bindungsintoleranz in Bezug auf die Mutter vor, denn er habe ausdrücklich bekundet, sich nur seine derzeitige Lebensgefährtin als Mutter der Tochter vorzustellen, die Kindesmutter tauche in der Lebensplanung nicht mehr auf.

11

Zudem sei sein aufenthaltsrechtlicher Status nach wie vor nicht endgültig geklärt. Zwar löse dies allein keine Kindeswohlgefahr aus. Die damit verbundene ungewisse wirtschaftliche und räumliche Situation wiege aber schwer und stelle nach den nachvollziehbaren Bekundungen der Sachverständigen auch eine Kindeswohlgefährdung dar, weil es bei dem Kind in erster Linie auf feste Strukturen im Alltagsleben ankomme.

12

Die Einstellung des Beschwerdeführers zum deutschen Rechts- und Wertesystem sei derart problematisch, dass er derzeit sicher kein Vorbild für das Kind darstellen könne. So scheine er nicht einmal einzusehen, dass sein Aufenthalt in Deutschland bis vor kurzem noch illegal war. Er ziehe afrikanische Erziehungsmethoden den europäischen Standards vor und distanziere sich nicht von der selbst erlebten, teilweise gewalttätigen Erziehung.

13

Andere Maßnahmen kämen nicht in Betracht. Das Kind entwickle sich in der Pflegefamilie gut.

14

bb) Der Beschwerdeführer legte Beschwerde gegen diese Entscheidung ein. Das Oberlandesgericht holte Stellungnahmen des Jugendamts und der Verfahrensbeiständin ein. Von einer mündlichen Verhandlung sah es ab.

15

Mit Beschluss vom 6. Februar 2014 wies das Oberlandesgericht die Beschwerde zurück. Zur Begründung verwies es auf die in der Sache und in den Gründen zutreffende amtsgerichtliche Entscheidung. Das Kindeswohl sei gefährdet, wenn das Kind in der Obhut des Beschwerdeführers lebe. Seine Erziehungsfähigkeit sei nach den überzeugenden und verwertbaren Ausführungen der Sachverständigen so eingeschränkt, dass eine Fremdunterbringung erforderlich sei und mildere Maßnahmen nicht in Betracht kämen. Dem Beschwerdeführer mangele es nach den überzeugenden Feststellungen der Sachverständigen an den Fähigkeiten und Fertigkeiten, um die körperliche Versorgung des Kindes sicherzustellen. So habe er mehrmals versucht, seine Tochter durch Schütteln zu beruhigen. Es mangele auch an einer ausreichenden Zuwendung und Stabilität emotionaler Beziehungen. In der Interaktion habe sich nach den überzeugenden Feststellungen der Sachverständigen gezeigt, dass der Beschwerdeführer die Schwierigkeiten und physischen Defizite des Kindes und auch ihre Entwicklungsfortschritte nicht erkenne und nicht adäquat reagiere. Es fehle die Fähigkeit, feine Signale des Kindes zu erkennen und dessen emotionale Bedürfnisse angemessen wahrzunehmen. Seine Bindungstoleranz sei eingeschränkt, denn nach den Feststellungen des Amtsgerichts tauche die Mutter in der Lebensplanung nicht mehr auf. Vielmehr stelle sich der Beschwerdeführer vor, dass seine jetzige Lebensgefährtin die Mutterrolle übernehme.

16

Die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers wurde im April 2014 zurückgewiesen.

17

Ende April 2014 wurde das Bereitschaftspflegeverhältnis für die Tochter in eine Dauerpflege in derselben Familie umgewandelt.

18

2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 sowie von Art. 103 Abs. 1 GG. Sein Elterngrundrecht sei verletzt, weil die Voraussetzungen für eine Entziehung des Sorgerechts nach Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 GG nicht vorlägen. Im ganzen Verfahren sei nicht festgestellt worden, welche konkreten Bedürfnisse des Kindes der Beschwerdeführer nicht erfüllen könne. Seine Erziehungsfähigkeit sei nicht eingeschränkt, auch ein schwerwiegendes Fehlverhalten sei nicht festgestellt worden. Es treffe nicht zu, dass wegen seines Aufenthaltsstatus keine ausreichende Kontinuität sichergestellt sei, denn er hätte als sorgeberechtigter Vater Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Möglichkeiten staatlicher Erziehungshilfe seien gar nicht in Erwägung gezogen worden, obwohl das Gutachten auf diese Möglichkeit hinweise.

19

3. Die Akten des Ausgangsverfahrens (Hauptsache) lagen dem Bundesverfassungsgericht vor. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Land Nordrhein-Westfalen, der Verfahrensbeiständin aus dem Ausgangsverfahren, dem Jugendamt als Vormund und der Mutter Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Das Land hat von einer Äußerung abgesehen, Mutter und Verfahrensbeiständin haben sich nicht geäußert. Das Jugendamt sprach sich dafür aus, das Kind in der Pflegefamilie zu belassen. Es äußerte Zweifel an der Erziehungseignung des Beschwerdeführers. Außerdem stelle ein Beziehungsabbruch mit den Pflegeeltern eine deutliche Kindeswohlgefährdung dar. Einen Wechsel zum Beschwerdeführer solle erst geprüft werden, wenn die Tochter die nötige Reife erlangt habe, tragfähige Entscheidungen zu treffen, und sie dann beim Beschwerdeführer leben wolle.

II.

20

Die Kammer nimmt die zulässige Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des als verletzt gerügten Elternrechts des Beschwerdeführers angezeigt ist, § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG. Diese Entscheidung kann von der Kammer getroffen werden, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die Verfassungsbeschwerde danach offensichtlich begründet ist, § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG.

21

1. Der Beschwerdeführer wird durch die angegriffenen Entscheidungen in seinem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt.

22

a) Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Der Schutz des Elternrechts erstreckt sich auf die wesentlichen Elemente des Sorgerechts, ohne die die Elternverantwortung nicht ausgeübt werden kann (vgl. BVerfGE 84, 168 <180>; 107, 150 <173>). Eine Trennung des Kindes von seinen Eltern gegen deren Willen stellt den stärksten Eingriff in das Elterngrundrecht dar. Art. 6 Abs. 3 GG erlaubt diesen Eingriff nur unter strengen Voraussetzungen.

23

Art. 6 Abs. 3 GG erlaubt es nur dann, ein Kind von seinen Eltern gegen deren Willen zu trennen, wenn die Eltern versagen oder wenn das Kind aus anderen Gründen zu verwahrlosen droht. Dabei berechtigen nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit der Eltern den Staat, auf der Grundlage seines ihm nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG zukommenden Wächteramts die Eltern von der Pflege und Erziehung ihres Kindes auszuschalten oder gar selbst diese Aufgabe zu übernehmen (vgl. BVerfGE 24, 119 <144 f.>; 60, 79 <91>). Es gehört nicht zur Ausübung des Wächteramts, gegen den Willen der Eltern für eine bestmögliche Förderung der Fähigkeiten des Kindes zu sorgen. Um eine Trennung des Kindes von den Eltern zu rechtfertigen, muss das elterliche Fehlverhalten vielmehr ein solches Ausmaß erreichen, dass das Kind bei den Eltern in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet wäre (vgl. BVerfGE 60, 79 <91>). Die Annahme einer nachhaltigen Gefährdung des Kindes setzt voraus, dass bereits ein Schaden des Kindes eingetreten ist oder sich eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (vgl. BVerfGK 16, 517 <528>; 19, 295 <301>; BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. Mai 2014 - 1 BvR 2882/13 -, juris, Rn. 30; vom 7. April 2014 - 1 BvR 3121/13 -, juris, Rn. 18; vom 24. März 2014 - 1 BvR 160/14 -, juris, Rn. 28; BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2004 - XII ZB 166/03 -, FamRZ 2005, S. 344 <345>).

24

Ob diese Voraussetzungen im Einzelfall erfüllt sind, unterliegt einer strengen verfassungsgerichtlichen Überprüfung, die sich wegen des besonderen Eingriffsgewichts auch auf einzelne Auslegungsfehler sowie auf deutliche Fehler bei der Feststellung und Würdigung des Sachverhalts erstrecken kann (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 24. Juni 2014 - 1 BvR 2926/13 -, juris, Rn. 28).

25

b) Die angegriffenen Entscheidungen des Amts- wie des Oberlandesgerichts genügen diesen strengen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtfertigung des Eingriffs nicht. Die Annahme, es bestehe eine die Trennung der Tochter vom Beschwerdeführer legitimierende Kindeswohlgefahr, erweist sich als verfassungsrechtlich nicht haltbar. Die Ausführungen des Amtsgerichts zur Begründung einer Kindeswohlgefährdung durch den Beschwerdeführer sind gemessen an der enormen Tragweite der Entscheidung für Kind und Vater - auch im Vergleich zu sonstigen, regelmäßig besonders ausführlichen, familiengerichtlichen Entscheidungen zu ähnlichen Sachverhalten - knapp gehalten. Die Ausführungen des Oberlandesgerichts sind mit 16 Zeilen sehr dürftig ausgefallen. Beide Gerichte stützen sich maßgeblich auf die Feststellungen im Sachverständigengutachten. Dessen Verwertbarkeit unterliegt hier jedoch erheblichen verfassungsrechtlichen Zweifeln. Das schlägt auf die angegriffenen Entscheidungen durch, weil die von der Gutachterin getroffenen Feststellungen im Wesentlichen übernommen und allenfalls ansatzweise eigenständig tatsächlich eingeordnet und rechtlicher Würdigung unterzogen werden (aa). Die angegriffenen Entscheidungen verfehlen die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gefahrenfeststellung auch deshalb, weil sie zwar auf mögliche Defizite bei der Erziehungsfähigkeit des Beschwerdeführers eingehen, ohne dass sich daraus aber ergibt, von welcher Art, Schwere und Wahrscheinlichkeit die befürchteten Beeinträchtigungen des Kindes sind und weshalb diese Gefahren so gravierend sind, dass sie eine Fremdunterbringung legitimieren (bb). Dass eine die Fremdunterbringung verfassungsrechtlich rechtfertigende Gefährdung des Kindeswohls in der Sache vorläge, ist auch nicht indirekt durch die in den Entscheidungen und im Sachverständigengutachten getroffenen Feststellungen belegt (cc).

26

aa) Beide Entscheidungen stützen die Annahme einer Kindeswohlgefahr maßgeblich auf die schriftlichen und mündlichen Ausführungen der Sachverständigen. An deren Verwertbarkeit bestehen jedoch Zweifel, weil dem Gutachten Fragestellungen zugrunde gelegt sind, mittels derer die von Verfassungs wegen zu ermittelnden tatsächlichen Umstände nicht ohne Weiteres geklärt werden können (1) und weil die Sachverständige dem Beschwerdeführer möglicherweise nicht mit der gebotenen Neutralität begegnet ist (2). Zweifel dieser Art führen zwar nicht zwangsläufig dazu, dass die Ausführungen von Sachverständigen vollständig unverwertbar wären. Die Gerichte müssen dem jedoch Rechnung tragen. Das ist hier nicht geschehen (3).

27

(1) Im Sachverständigengutachten wird die verfassungsrechtlich gebotene Frage nach einer nachhaltigen Gefährdung des Kindeswohls weder explizit noch in der Sache gestellt. Zwar gehört es zur Aufgabe von Sachverständigen, aus der juristischen Fragestellung wissenschaftlich beantwortbare Fragen des eigenen Fachgebiets abzuleiten. Die aus der Beweisfrage des Gerichts abgeleiteten Fragestellungen der Sachverständigen sind aber für sich genommen nicht geeignet, das rechtliche Merkmal der Kindeswohlgefahr umfassend aufzuklären. Das hätten die Gerichte bei der Verwertung der Feststellungen des Sachverständigengutachtens berücksichtigen und die Feststellungen eigenständig auf ihre rechtliche Relevanz hin auswerten müssen. Dies ist nicht in der gebotenen Weise geschehen.

28

Im Sachverständigengutachten wurde aus der gerichtlichen Beweisfrage die psychologische Fragestellung abgeleitet, ob die Eltern ihre Erziehungsfähigkeit anhand der acht Herausforderungen des Lebens unter Beweis stellen können, zu denen neben der Kindererziehung die Bereiche Arbeit, Leistung und Beruf, kulturelles Leben und staatliche Rechts- und Werteordnung, Freizeitgestaltung, Verhältnis zu den Mitmenschen, Dauerpartnerschaft und Liebe, Umgang mit Konflikten und Einteilung von Ressourcen zählten. Die Erziehungseignung wurde unter anderem davon abhängig gemacht, ob die Eltern dem Kind vermittelten und vorlebten, dass es "sinnvoll und erstrebenswert ist, zunächst Leistung und Arbeit in einer Zeiteinheit zu verbringen, sich dabei mit anderen messen zu können und durch die Erbringung einer persönlichen Bestleistung ein Verhältnis zu sich selbst und damit ein Selbstwertgefühl aufbauen zu können, [und es] selbst wenn die Kindeseltern arbeitslos sind, sinnvoll ist, sich eigeninitiativ um Arbeit zu bemühen, an Trainingsmaßnahmen teilzunehmen, Termine beim Sozialamt wahrzunehmen", ob die Eltern der "geistigen Entwicklung ihres Kindes größtmögliche Unterstützung und Hilfe zukommen lassen, damit die Kinder hier nach ihrem geistigen Vermögen auf eine persönliche Bestleistung hin gefördert werden und diese erbringen können" und dass die Eltern den Kindern ein "adäquates Verhältnis zu Dauerpartnerschaft und Liebe vorleben".

29

Mit diesen Fragestellungen wird die Erziehungsfähigkeit des Beschwerdeführers an einem Leitbild gemessen, das die von Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 GG geschützte primäre Erziehungszuständigkeit der Eltern in mehrerlei Hinsicht verfehlt. Die Eltern können grundsätzlich frei von staatlichen Eingriffen nach eigenen Vorstellungen darüber entscheiden, wie sie die Pflege und Erziehung ihrer Kinder gestalten und damit ihrer Elternverantwortung gerecht werden wollen (vgl. BVerfGE 60, 79 <88>). Die primäre Erziehungszuständigkeit beruht auf der Erwägung, dass die Interessen des Kindes in aller Regel am besten von seinen Eltern wahrgenommen werden (vgl. BVerfGE 60, 79 <94>) und die spezifisch elterliche Zuwendung dem Wohl der Kinder grundsätzlich am besten dient (vgl. BVerfGE 133, 59 <73 f., Rn. 42 f.>). Daher müssen die Eltern ihre Erziehungsfähigkeit nicht positiv "unter Beweis stellen"; vielmehr setzt eine Trennung von Eltern und Kind umgekehrt voraus, dass ein das Kind gravierend schädigendes Erziehungsversagen mit hinreichender Gewissheit feststeht. Außerdem folgt aus der primären Erziehungszuständigkeit der Eltern in der Sache, dass der Staat seine eigenen Vorstellungen von einer gelungenen Kindererziehung grundsätzlich nicht an die Stelle der elterlichen Vorstellungen setzen darf (vgl. BVerfGE 60, 79 <94>; BVerfGK 13, 119 <124>; 16, 517 <529>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2014 - 1 BvR 160/14 -, juris, Rn. 30 f.). Daher kann es keine Kindeswohlgefährdung begründen, wenn die Haltung oder Lebensführung der Eltern von einem bestimmten, von Dritten für sinnvoll gehaltenen Lebensmodell abweicht und nicht die aus Sicht des Staates bestmögliche Entwicklung des Kindes unterstützt. Dem tragen die im Sachverständigengutachten aufgeworfenen Fragen nicht hinreichend Rechnung.

30

(2) Das Gutachten bietet auch deshalb keine verlässliche Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung, weil sich Hinweise darauf finden, dass die Sachverständige dem Beschwerdeführer nicht mit der gebotenen Unvoreingenommenheit begegnet ist. Angesichts der ins Auge springenden Zweifel hätten die Gerichte darlegen müssen, inwiefern sie das Gutachten gleichwohl für verwertbar halten.

31

(a) Darauf, dass sich die Sachverständige von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen, deuten zahlreiche Feststellungen zu Lasten des Beschwerdeführers hin, die in keinem erkennbaren Zusammenhang zur von der Gutachterin konkret aufgeworfenen Frage stehen. So finden sich etwa zu dem ersten im Sachverständigengutachten betrachteten "Herausforderungsfeld", das mit "Verhältnis zur Arbeit, Leistung und Beruf" bezeichnet ist und in dem ermittelt werden soll, ob das Kind "durch die Erziehung des Beschwerdeführers ein Verhältnis zur Arbeit, Leistung und zum Beruf entwickeln kann", Beobachtungen zu verschiedensten angeblichen Mängeln des Beschwerdeführers, deren Relevanz für die zuvor formulierte Frage sich großenteils kaum oder gar nicht erschließt und die die abschließende Feststellung, "der Kindesvater erfüll[e] somit das Herausforderungsfeld nicht", nicht tragen. Es heißt dort (Hervorhebungen gemäß Original):

"6.1.3.1 Verhältnis zur Arbeit, Leistung und Beruf

Zum Kindesvater:

Der Kindesvater [Beschwerdeführer] gibt an, neben einer gymnasiumähnlichen Ausbildung mit Abschluss eine Schweißerlehre absolviert zu haben. Ebenfalls habe er in Afrika eine Selbständigkeit mit der damaligen Lebenspartnerin und Mutter seines [in Afrika lebenden] Sohnes durchgeführt, die jedoch aufgrund der wirtschaftlichen Situation in einen Konkurs gemündet sei. Aufgrund dessen sei er nach Europa, hier nach Italien, gereist, um dort zu arbeiten.

Da sein Aufenthaltsstatus hier in Deutschland ungeklärt ist, ist davon auszugehen, dass der Kindesvater auch in Italien keinen anerkannten Aufenthaltsstatus vorwies. [Der Beschwerdeführer] gibt an, dass ihm Arbeit und Beruf wichtig seien. Jedoch könne er aufgrund seines Aufenthaltsstatus zum aktuellen Zeitpunkt hier nicht arbeiten.

Lt. seiner eigenen Aussage nimmt er regelmäßig Mahlzeiten zu sich.

Da sich der Kindesvater trotz offizieller Angabe nicht in dem Übergangswohnheim, sondern bei seiner neuen Partnerin befindet, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sie sich in wirtschaftlich geringen Verhältnissen bewegt und er jedoch einen Teil seines Geldes dazu verwenden kann, um seinen Sohn in G. unterstützen zu können.

Trotzdem der Kindesvater schon seit einiger Zeit im Land lebt, befindet er sich weiterhin noch in einer Übergangssituation.

Es ist nicht klar feststellbar, ob der Kindesvater überhaupt jemals eine Nacht in dem Übergangswohnheim verbringt.

Da die Umgangskontakte mit [der hier betroffenen Tochter des Beschwerdeführers] bisher unter geschützten Bedingungen in der Caritasbegegnungsstätte stattfinden, ist diese Situation nicht auf eine "normale Situation" übertragbar.

Während der Umgänge im Jugendamt der Stadt P. zeigte sich der Kindesvater bemüht, angemessen mit [der Tochter] umzugehen. Jedoch weist er große Unsicherheiten vor, adäquat mit unruhigeren Verhaltensweisen [der Tochter] umzugehen. Von allen involvierten Instanzen und auch seitens der Unterzeichnerin ist hier festzuhalten, dass der Kindesvater durch sein Verhalten das ängstliche Verhalten des Kindes eher durch starkes Schaukeln und lauteres Ansprechen verstärkt, statt es aufzulösen.

Konkrete Fördermaßnahmen im Hinblick auf den Erwerb von Bildung etc. benennt [der Beschwerdeführer] nicht.

Insgesamt ist jedoch festzuhalten, dass [dem Beschwerdeführer] die Bedeutung von Arbeit und selbst erwirtschaftetem Geld deutlich ist.

Er hat angegeben, nach Regelung seines Aufenthaltsstatus das Herausforderungsfeld zukünftig durch Nachgehen einer geregelten Tätigkeit bestehen zu wollen.

Jedoch hat er nicht mitteilen können, wie er [die Tochter] im Falle einer solchen Tätigkeit versorgen will.

Hier hat der Kindesvater nur undeutlich angedeutet, dass er sich die Betreuung [der Tochter] dann mit seiner jetzigen Lebenspartnerin …, teilen wolle.

In der Interaktion hat sich insgesamt gezeigt, dass [der Beschwerdeführer] nur bedingt in der Lage ist, die Schwierigkeiten und physischen Defizite [der Tochter] und auch ihre Fortschritte in ihrer Entwicklung zu erkennen und adäquat darauf zu reagieren. Er neigt dazu, diese zu verallgemeinern und als "normal" darzustellen. Es fehlt ihm hier an der Fähigkeit, die feinen Signale [der Tochter] erkennen zu können. Ebenfalls nimmt er die emotionalen Bedürfnisse [der Tochter] nicht angemessen wahr.

Im Hinblick auf die Rechts- und Werteordnung unseres Staates ist beim Kindesvater deutlich geworden, dass der Kindesvater aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland eingereist ist, um hier zu arbeiten, jedoch hat er einen Asylantrag gestellt, was an sich schon ein Widerspruch ist.

Der Kindesvater bezieht in Deutschland Geld über das Sozialamt bzw. das Asylgeld, welches noch unter dem Selbstbehalt liegt.

Er vermittelt den Eindruck, dass er "nach jedem Strohhalm" greift, um in Deutschland bleiben zu können.

Mit der Schwangerschaft der [Mutter] und seiner Vaterschaft über [die Tochter] hat sich der Kindesvater jetzt ein Bleiberecht verschafft.

Aus der Historie des Kindesvaters geht weiterhin hervor, dass er in der Kindheit autoritär erzogen worden ist und seine Eltern auch ihm selbst gegenüber physische Gewalt angewendet haben.

Obwohl [der Beschwerdeführer] diesen Umstand insofern kommentiert, als er der Meinung sei, dass die Eltern sich nicht zuletzt aus religiöser Sicht so verhalten hätten, sondern um ihn auf den "rechten Weg" zu führen.

Dass Kinder ein Recht auf Unversehrtheit haben, wie es bereits im Grundgesetz in Deutschland verankert ist, widerspricht zumindest der erlebten, eigenen Erziehung/Prägung und den Bindungsmustern des Kindesvaters.

Die Nachfragen in dem Explorationsgespräch lassen deutlich werden, dass der Kindesvater über kein pädagogisches Werkzeug im Sinne einer partnerschaftlichen oder demokratischen Erziehung verfügt und hier im Zweifelsfall davon ausgegangen werden muss, dass der Kindesvater anhand der, ihm selbst "am eigenen Leibe" vermittelten Erziehung seine Normen und Werte weitervermitteln wird.

Das Verhalten [des Beschwerdeführers], die hiesigen Gesetze, z.B. das Asylantengesetz zu unterlaufen, lassen deutlich werden, dass er kein Vorbild im rechtsstaatlichen Sinne für [die Tochter] darstellt.

Den Asylantrag hat [der Beschwerdeführer] erst nach der Geburt [der Tochter] zurückgezogen, wobei sein Aufenthaltsstatus zu aktuellen Zeitpunkt weiterhin noch geduldet ist.

Weiterhin bleibt fraglich, welche Motivation hinter der Partnerschaft mit [seiner jetzigen Lebensgefährtin] steht, da diese über einen deutschen Pass verfügt und somit den Aufenthalt des Kindesvaters im Falle einer Heirat legalisieren würde.

Der Kindesvater erfüllt somit das Herausforderungsfeld nicht."

32

(b) Auf das Fehlen der gebotenen Neutralität weist insbesondere hin, dass die Sachverständige Äußerungen und Verhaltensweisen des Beschwerdeführers ebenso wie seine von der Gutachterin wiederholt in den Vordergrund gerückte Herkunft aus einem afrikanischen Land in sachlich nicht nachvollziehbarem Maße negativ bewertet.

33

So geht die Sachverständige (gestützt auf ihre Annahme, der Beschwerdeführer sei illegal eingereist und seine oberste Priorität bestehe nun darin, in Deutschland bleiben zu dürfen) von einer umfassenden Instrumentalisierung aller nahen zwischenmenschlichen Beziehungen aus - sowohl zur Kindesmutter und zur Tochter ("mit der Schwangerschaft [der Mutter] und seiner Vaterschaft über [die Tochter] hat sich der Kindesvater jetzt ein Bleiberecht verschafft"), als auch zur neuen Partnerin (es bleibe fraglich, "welche Funktion seine Freundin […] nun ausfüllt. Die Motivation der Beziehung aus aufenthaltsrechtlichen Gründen ist nicht auszuschließen"; "welche Motivation hinter der Partnerschaft […] steht, da [die neue Partnerin] über einen deutschen Pass verfügt und somit den Aufenthalt des [Beschwerdeführers] im Falle einer Heirat legalisieren würde"). Zudem hält sie vor diesem Hintergrund Äußerungen des Beschwerdeführers tendenziell für unglaubwürdig: Sie habe "den Eindruck, dass [er] jede sich ihm bietende Gelegenheit nutzt, um im Land bleiben zu können. Auf die sich verändernden Rahmenbedingungen pariert [er] mit Veränderungen in den Darstellungen der vermeintlichen Fakten seines Lebens und passt sie den Erfordernissen an!"; er "vermittelt in allen Gesprächen den Eindruck, sozial erwünscht zu antworten" und "konstruiert nachweislich die Fakten bzw. sortiert diese so ein, dass sie auf die jeweilige Fragestellung passen". Nicht näher begründete negative Stereotype finden sich in Bezug auf die Kindererziehung in afrikanischen Ländern, die sie dem Beschwerdeführer ohne hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte (s.u. cc) (4)) zuschreibt. Die Sachverständige bezeichnet eine autoritäre, gewaltsame und von Unterwerfung der Kinder geprägte Erziehung als "afrikanische Erziehungsmethode" und stellt fest, die "afrikanischen Verhaltensweisen" deckten sich nicht mit dem Recht der Kinder auf gewaltfreie Erziehung aus § 1618a BGB. Sie hält es für problematisch, dass der Beschwerdeführer "die afrikanischen Erziehungsmethoden deutlich höher wertet als die europäischen" und hält "Nachschulungen" im Hinblick auf "die Einsichtsfähigkeit in die europäischen Erziehungsmethoden" für erforderlich.

34

Daneben thematisiert die Sachverständige etwa die Entscheidung des Beschwerdeführers, der obdachlosen und suchtkranken Mutter während der Schwangerschaft weiter Obdach zu gewähren und nach Unterstützung für sie zu suchen, nur im Hinblick darauf, dass er zu diesem Zeitpunkt bereits eine Beziehung mit der jetzigen Partnerin begonnen hatte, die über das Zusammenwohnen mit der werdenden Mutter wohl nicht im Bilde war. Die Sachverständige hat die jetzige Partnerin hierzu im Rahmen einer Exploration intensiv befragt und hat diese nach eigenen Schilderungen wohl überhaupt erst über die damalige Wohnsituation des Beschwerdeführers informiert. Obwohl die neue Partnerin der Sachverständigen erklärt hat, die Gewährung von Obdach an die schwangere Mutter spreche eher für den Beschwerdeführer, urteilt die Sachverständige, die Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und seiner derzeitigen Lebensgefährtin beruhe "nicht auf einer wahrhaftigen Basis"; "mittels einer Falschaussage in Bezug auf die damalige Wohnsituation [der Mutter] hat sich der Beschwerdeführer das weitere Zusammenleben mit der [neuen Partnerin] manipulativ sichern können". Darauf stützt die Sachverständige zugleich ihre Einschätzung, dass die - von ihr im Grunde positiv bewertete - Beziehung des Beschwerdeführers zu seiner jetzigen Lebensgefährtin und deren fünfjährigem Sohn derzeit gleichwohl nicht zugunsten des Beschwerdeführers spreche: "Da […] die Reaktionen [der Partnerin] auf die im gutachterlichen Zeitraum ergangenen Informationen, deren Verarbeitung noch abzuwarten sind, kann der bisherige Beziehungsstand somit nicht als Maßstab dienen".

35

(3) Dass das Sachverständigengutachten und die ergänzenden mündlichen Ausführungen für sich genommen keine verlässliche Grundlage für die Feststellung einer Kindeswohlgefährdung bieten, führt nicht ohne Weiteres zur Verfassungswidrigkeit der Entscheidungen. Gegen die Gerichtsentscheidungen wäre von Verfassungs wegen nichts einzuwenden, wenn sie die Mängel thematisierten, die fachliche Qualifikation der Sachverständigen näher klärten und nachvollziehbar darlegten, inwiefern Aussagen aus dem Gutachten gleichwohl verwertbar sind und zur Entscheidungsfindung beitragen können. Dies ist hier nicht geschehen.

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Die Entscheidungen hielten selbst bei völliger Unverwertbarkeit der sachverständigen Begutachtung verfassungsgerichtlicher Kontrolle stand, wenn sich das Vorliegen einer die Trennung von Kind und Vater rechtfertigenden Kindeswohlgefährdung aus den Entscheidungsgründen auch ohne Einbeziehung der sachverständigen Aussagen hinreichend nachvollziehbar ergäbe. Auch dies ist hier jedoch nicht der Fall (s. bb), cc)).

37

bb) Die angegriffenen Entscheidungen verfehlen die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gefahrenfeststellung auch deshalb, weil sie zwar auf mögliche Defizite bei der Erziehungsfähigkeit des Beschwerdeführers eingehen, ohne dass sich daraus aber ergibt, von welcher Art, Schwere und Wahrscheinlichkeit die befürchteten Beeinträchtigungen des Kindes sind und weshalb diese Gefahren so gravierend sind, dass sie eine Fremdunterbringung legitimieren. Für die Fachgerichte ergibt sich aus Art. 6 Abs. 2 und 3 GG das Gebot, die dem Kind drohenden Schäden ihrer Art, Schwere und Eintrittswahrscheinlichkeit nach konkret zu benennen und sie vor dem Hintergrund des grundrechtlichen Schutzes vor der Trennung des Kindes von seinen Eltern zu bewerten. Die Fachgerichte werden dem regelmäßig nicht gerecht, wenn sie ihren Blick nur auf die Verhaltensweisen der Eltern lenken, ohne die sich daraus ergebenden schwerwiegenden Konsequenzen für die Kinder darzulegen (vgl. nur BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 14. Juni 2014 - 1 BvR 725/14 -, juris, Rn. 24, 26 f.; vom 22. Mai 2014 - 1 BvR 3190/13 -, juris, Rn. 23, 26 f.; vom 7. April 2014 - 1 BvR 3121/13 -, juris, Rn. 26 f.; vom 24. März 2014 - 1 BvR 160/14 -, juris, Rn. 31 f.; BVerfGK 19, 295 <301>).

38

Beide Entscheidungen benennen in ihren sehr knappen Ausführungen lediglich angebliche Defizite in der Lebenssituation, dem Verhalten und den Einstellungen des Beschwerdeführers. Ob und wie sich diese auf das Kind nachteilig ausgewirkt haben oder künftig auswirken könnten, wird nicht erläutert. Indessen wäre im vorliegenden Fall eine besonders sorgfältige Prüfung und Bewertung der Gefahren durch die Fachgerichte geboten gewesen. Denn die Fachgerichte konnten hier nicht auf gesicherte Erkenntnisse aus der Vergangenheit zurückgreifen. Die Tochter hat nie in der Obhut des Beschwerdeführers gelebt, von seinem älteren Sohn lebt er schon lange in sehr großer räumlicher Entfernung und es bestehen keinerlei Hinweise, dass der Sohn seiner Lebensgefährtin in der Obhut des Beschwerdeführers Schaden erlitten hätte. Zudem steigen die Prüfungs- und Darlegungsanforderungen, je weniger deutlich die (mutmaßlichen) Lebens- und Erziehungsbedingungen eines Kindes an die Schwelle heranreichen, ab welcher der Staat im Rahmen seines Wächteramts zu Korrekturen verpflichtet und berechtigt ist. Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG erlaubt dem Staat nicht, gegen den Willen der Eltern für eine bestmögliche Förderung der Fähigkeiten des Kindes zu sorgen oder seine Vorstellungen von einer geeigneten Kindererziehung an die Stelle der elterlichen Vorstellungen zu setzen. Die Eltern und deren sozio-ökonomische Verhältnisse gehören grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes (vgl. BVerfGE 60, 79 <94>; BVerfGK 13, 119 <124>; 16, 517 <529>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2014 - 1 BvR 160/14 -, juris, Rn. 30 f.). Zwar bedarf es danach etwa bei einer unzureichenden Grundversorgung der Kinder keiner ausführlichen Darlegung, dass Kinder derartige Lebensbedingungen nicht ertragen müssen. Stützen die Gerichte eine Trennung des Kindes von den Eltern jedoch - wie hier - auf Erziehungsdefizite und ungünstige Entwicklungsbedingungen, müssen sie besonders sorgfältig prüfen und begründen, weshalb die daraus resultierenden Risiken für die geistige und seelische Entwicklung des Kindes die Grenze des Hinnehmbaren überschreiten. Dies ist hier nicht geschehen.

39

cc) Eine die Fremdunterbringung verfassungsrechtlich rechtfertigende Gefährdung des Kindeswohls ist auch nicht indirekt durch die in den Entscheidungen und durch die Sachverständige getroffenen Feststellungen belegt. Das Amtsgericht, dem sich das Oberlandesgericht uneingeschränkt angeschlossen hat, stützt seine Entscheidung im Wesentlichen auf vier Annahmen. Der Beschwerdeführer könne derzeit das körperliche, geistige und seelische Wohl der Tochter nicht sicherstellen; es fehle ihm (noch) an Kernkompetenzen bei der Kindeserziehung (1); es liege eine erhebliche Bindungsintoleranz gegenüber der Kindesmutter vor (2); aus dem ungeklärten Aufenthaltsstatus des Beschwerdeführers ergäben sich hier Kindeswohlgefährdungen (3); die Einstellung des Beschwerdeführers zum deutschen Rechts- und Wertesystem sei so problematisch, dass er derzeit kein Vorbild für das Kind darstellen könne (4). Keine dieser Annahmen bildet eine tragfähige Grundlage für die Feststellung einer nachhaltigen Kindeswohlgefährdung.

40

(1) Dies gilt zunächst für die Annahme, der Beschwerdeführer könne derzeit das körperliche, geistige und seelische Wohl der Tochter nicht sicherstellen, es fehle ihm (noch) an Kernkompetenzen bei der Kindererziehung; er sei nicht ausreichend in der Lage, im Kontakt mit der Tochter auf deren Bedürfnisse einzugehen.

41

(a) Insbesondere trägt die Annahme der Fachgerichte nicht, der Beschwerdeführer sei nicht ausreichend in der Lage, im Kontakt mit der Tochter auf deren Bedürfnisse einzugehen.

42

(aa) Ein solches Defizit des Beschwerdeführers lässt sich den Schilderungen seines Verhaltens während der Umgangskontakte nicht mit hinreichender Gewissheit entnehmen. Die Fachgerichte stützen sich insoweit im Anschluss an das Gutachten auf die erfolglosen Versuche des Beschwerdeführers, das Kind während der Umgangskontakte zu beruhigen. Er könne die emotionalen Bedürfnisse des Kindes nicht angemessen wahrnehmen und ihm fehle die Fähigkeit, feine Signale des Kindes zu erkennen. Er verkenne die physischen Defizite und auch die Entwicklungsfortschritte des Kindes und reagiere nicht adäquat darauf.

43

Aus den Umgangskontakten werden jedoch nur Schwierigkeiten beschrieben, die sich ohne Weiteres mit der durch die Fremdunterbringung verursachten Unerfahrenheit des Beschwerdeführers erklären lassen. Dies gilt für die von der Sachverständigen beobachtete - und als Ausdruck mangelnder Wahrnehmung der kindlichen Bedürfnisse bewertete - Situation, dass der Beschwerdeführer das Baby gewickelt habe, obwohl die Pflegemutter erkannt hatte, dass das nicht nötig war. Auch belegt es nicht notwendig eine mangelnde Feinfühligkeit, wenn es dem Beschwerdeführer in den von mehreren Menschen (Jugendamt, Umgangsbegleiter, Pflegemutter, Sachverständige) begleiteten Umgangskontakten nicht gelingt, seine Tochter zu beruhigen, die durch die Gestaltung der Umgangskontakte nach fachlicher Einschätzung des Umgangsbegleiters überfordert ist und sich hauptsächlich an der ihr vertrauten Pflegemutter orientiert.

44

Es finden sich auch keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer körperliche Einschränkungen der Tochter verkennt. Die einzigen gesundheitlichen Probleme, die benannt werden, sind leichte Krampfanfälle, die unmittelbar nach der Geburt aufgetreten waren und durch die Gabe von Kalzium behoben wurden. Außerdem stellte die Kinderärztin "leichte Anspannung im Körper, d.h. einen erhöhten Muskeltonus" des Babys fest, weshalb die Pflegemutter täglich krankengymnastische Übungen durchführt. Nach Auskunft des Jugendamts und den Beobachtungen der Sachverständigen hat sich der Beschwerdeführer für diese krankengymnastische Therapie interessiert.

45

Im Übrigen äußert keine der beteiligten Fachkräfte Zweifel an der Zuneigung und Zuwendung des Beschwerdeführers zum Kind; übereinstimmend wird der Beschwerdeführer als sehr bemüht um die Tochter und ihr sehr zugetan beschrieben. Eine Mitarbeiterin des Jugendamts und der Umgangsbegleiter schilderten gegenüber der Sachverständigen und in der mündlichen Verhandlung außerdem, dass der Beschwerdeführer Ratschläge annehme und sein Umgang mit dem Kind sich verbessert habe.

46

(bb) Dessen ungeachtet führte ein geringes Maß an elterlicher Feinfühligkeit ohnehin nicht ohne Weiteres zu einer nachhaltigen, die Trennung rechtfertigenden Gefährdung des Kindeswohls (vgl. BVerfGK 16, 517 <528 f.>). Hinweise dafür, dass die beschriebenen Verhaltensweisen die Beziehung oder den Kontakt zwischen der Tochter und dem Beschwerdeführer nachhaltig beeinträchtigt haben, finden sich nicht. Die nicht näher begründete Aussage der Sachverständigen, weil der Beschwerdeführer die "feinen Bedürfnisse des Säuglings" nicht erkenne, sei mit Einschränkungen der kindlichen Entwicklung und mit Defiziten im Vater-Kind-Verhältnis zu rechnen, "die vorwiegend in der Selbstwirksamkeitserwartung, der mangelnden Bedürfnisbefriedigung und dem erwartungsgemäßen Resultat des daraus gebildeten defizitären Selbstwerts begründet sind", bleibt weit hinter dem zurück, was hier im verfassungsrechtlichen Sinne eine mit ziemlicher Sicherheit vorhersehbare erhebliche Schädigung des Kindes begründen könnte.

47

(b) Als nicht tragfähig erweist sich auch die Annahme des Oberlandesgerichts, der Beschwerdeführer gefährde das körperliche Wohl seiner Tochter, weil er sie mehrfach geschüttelt habe. Zwar haben die umgangsbegleitenden Mitarbeiterinnen des Jugendamts, der Umgangsbegleiter und die Sachverständige beobachtet, dass der Beschwerdeführer bei einigen Kontakten im Frühjahr 2013 versucht hat, seine damals noch sehr junge Tochter durch stärkeres Schaukeln und Schuckeln auf dem Arm zu beruhigen. Diese Verhaltensweise wird als wenig feinfühlig und ungeeignet beschrieben. Keine der am Umgang beteiligten Fachkräfte hat aber gesundheitliche Schäden befürchtet. Wollten die Gerichte ihre Annahme einer Kindeswohlgefahr auf ernsthaft gesundheitsgefährdendes Verhalten stützen, müssten sie dies konkret benennen. Vage Andeutungen, die wie hier eine Gefährdungssituation assoziativ in den Raum stellen ("schütteln"), ohne den konkreten Sachverhalt zu beschreiben und auf sein tatsächliches Gefährdungspotenzial hin zu analysieren, genügen demgegenüber nicht.

48

(2) Auch die Ausführungen zur Bindungsintoleranz gegenüber der Mutter tragen die Fremdunterbringung nicht.

49

Die Annahme, beim Beschwerdeführer liege eine erhebliche Bindungsintoleranz vor, er wolle das Kind der Mutter vorenthalten, findet weder in den Entscheidungen noch ansonsten eine hinreichende Grundlage. Der Beschwerdeführer hat sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht zu den Perspektiven für ein gemeinsames Leben mit der Tochter geäußert und auf die Nachfrage, wer die Mutterrolle einnehmen solle, geantwortet, dies solle seine aktuelle Lebensgefährtin sein. Daraus lässt sich aber nicht schließen, dass der Beschwerdeführer die Mutter aus dem Leben der Tochter ausschließen will. Denn nicht nur der Beschwerdeführer, sondern auch die Sachverständige und die Gerichte gehen davon aus, dass die psychisch schwer erkrankte, alkoholabhängige und labile Mutter auch bei diesem, ihrem fünften Kind voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die Mutterrolle auszufüllen. Weitere Belege für die unterstellte Bindungsintoleranz finden sich nicht. In der Begutachtung hatte der Beschwerdeführer angegeben, er befürchte, die Mutter könne einen negativen Einfluss haben, er wolle aber trotzdem Umgangskontakte ermöglichen. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer sich um die mittel- und hilflose Mutter nicht nur während der Schwangerschaft, sondern auch später gekümmert hat.

50

Dessen ungeachtet begründete selbst eine negativ-manipulative Beeinflussung der Kinder gegen den anderen Elternteil, die zum völligen Kontaktabbruch führte, nicht ohne Weiteres eine die Fremdunterbringung rechtfertigende Kindeswohlgefahr. Eine Fremdunterbringung könnte nur dann auf eine fehlende Bindungstoleranz gestützt werden, wenn deshalb besonders gravierende Entwicklungseinbußen eingetreten oder zu erwarten wären, die die nachteiligen Folgen einer Trennung des Kindes von beiden Eltern überwögen (vgl. BVerfGK 19, 295 <303>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. September 2014 - 1 BvR 2108/14 - (noch nicht veröffentlicht); vgl. auch BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011 - XII ZB 247/11 -, FamRZ 2012, S. 99 <102 f.>). Dass die kritische Haltung des Beschwerdeführers gegenüber den erzieherischen Möglichkeiten der Mutter hier solche Folgen haben könnte, ist nicht ersichtlich.

51

(3) Auch der Aufenthaltsstatus des Beschwerdeführers begründet keine die Trennung rechtfertigende Kindeswohlgefahr. Das Amtsgericht, dem sich das Oberlandesgericht vollumfänglich angeschlossen hat, leitet aus der (mutmaßlich) ungeklärten Aufenthaltssituation eine Gefahr für das Kindeswohl ab. Es sei unklar, ob der Beschwerdeführer im gesamten Bundesgebiet wohnen und ob er arbeiten dürfe, was zu einer ungewissen Situation führe, derentwegen der Beschwerdeführer seiner Tochter keine festen Strukturen im Alltagsleben gewährleisten könne. Der Aufenthaltsstatus ist jedoch für sich genommen ohne Bedeutung für die Frage der Erziehungsfähigkeit (vgl. BVerfGK 14, 347 <353 f.>). Es erschließt sich auch nicht, weshalb die durch eine asylrechtlich begründete Residenzpflicht entstehende Sesshaftigkeit oder die durch ein aufenthaltsrechtlich bedingtes Arbeitshindernis entstehende ganztägige Verfügbarkeit Eltern daran hindern sollten, feste Strukturen im Alltagsleben mit Kleinkindern zu schaffen. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer bei Wiedererlangung des Sorgerechts für seine deutsche Tochter grundsätzlich einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG hat. Die genannten Einschränkungen würden also bei einer für den Beschwerdeführer positiven Entscheidung der Familiengerichte voraussichtlich entfallen.

52

(4) Schlechterdings nicht nachvollziehbar ist, inwiefern das Amtsgericht eine die Trennung von Kind und Eltern legitimierende Gefahr für das Wohl des zum damaligen Zeitpunkt sieben Monate alten Babys darin sehen konnte, dass der Beschwerdeführer seinem Kind hinsichtlich der "Einstellung zum deutschen Rechte- und Wertesystem" nach den Feststellungen der Sachverständigen "sicher kein Vorbild" sein könne.

53

Dass die Einstellung des Beschwerdeführers zum deutschen Rechts- und Wertesystem "derart problematisch" sei, stützt das Amtsgericht zum einen darauf, dass der Beschwerdeführer "nicht einmal einzusehen [scheine], dass sein Aufenthalt in Deutschland bis vor kurzem noch illegal war". Die in Bezug genommene Feststellung im Sachverständigengutachten lautet: "Das Verhalten [des Beschwerdeführers], die hiesigen Gesetze, zum Beispiel das Asylantengesetz zu unterlaufen, lassen deutlich werden, dass er kein Vorbild im rechtsstaatlichen Sinne für [die Tochter] darstellt." Abgesehen davon, dass der Sachverständigen insoweit augenscheinlich das erforderliche juristische Fachwissen fehlt und die Gerichte die näheren Umstände der Einreise und ihre aufenthaltsrechtliche Bewertung gar nicht geklärt haben, ist nicht erkennbar, welche Bedeutung die Umstände der Einreise des Beschwerdeführers in das Bundesgebiet und seine Äußerungen zu diesem Thema im familiengerichtlichen Verfahren für die Frage der Erziehungseignung haben sollten.

54

Zum anderen bemängelt das Amtsgericht, der Beschwerdeführer ziehe afrikanische Erziehungsmethoden den europäischen Standards vor und distanziere sich nicht von der selbst erlebten, teilweise gewalttätigen Erziehung. Es lässt sich jedoch nicht nachvollziehen, auf welche Verhaltensweisen oder Äußerungen die Sachverständige ihre - der Einschätzung des Amtsgerichts zugrunde liegende - Aussage stützt, dass der Beschwerdeführer eine autoritäre und gewaltsame Erziehung befürworte. Den im Sachverständigengutachten dokumentierten Aussagen des Beschwerdeführers lässt sich nicht entnehmen, dass er Gewalt als Mittel der Erziehung befürwortet. Befragt zu seiner eigenen Erziehung hatte der Beschwerdeführer angegeben, er sei "autoritär" erzogen worden, seine Eltern hätten "auch Gewalt eingesetzt", die er aber nie als willkürlich empfunden habe. Sein älterer Sohn werde nun in G. von seinen eigenen Eltern großgezogen, dafür sei er ihnen dankbar. Die Sachverständige klärte die genauen Erziehungsmethoden der Eltern des Beschwerdeführers und seine Haltung dazu nicht weiter auf. Auf Nachfrage, wie er denn später seine Tochter erziehen wolle, erklärte der Beschwerdeführer, ihm sei daran gelegen, ihr ebenfalls "Respekt und Achtung" zu vermitteln. Im Gegensatz zu der deutschen Gesellschaft seien ihm diese Werte sehr wichtig. Auf erneute Nachfrage der Sachverständigen, wie er reagieren werde, wenn seine Tochter sich seinen Forderungen nach entsprechenden Verhaltensweisen widersetzen sollte, erklärte er, dass er dann warten wolle, bis sie die Konsequenzen aus ihrem negativen Verhalten ziehen würde und dann zu ihm zurückkehre, in dem Sinne, dass sie dann dem Vater sagen könne, dass er ja recht gehabt habe. Von der Sachverständigen um ein Beispiel gebeten, teilte er mit, dass er so vorgehen wolle, wenn die Tochter zum Beispiel rauchen würde. Es ist nicht nachvollziehbar, wie die Sachverständige auf dieser Grundlage zu dem Schluss kommt, der Beschwerdeführer habe "Traumatisierungen durch Gewalt in der Kindheit benannt, die er nicht als solche verstanden habe", aus seiner Sicht seien Respekt und Achtung vor den Eltern "nur mittels Einsatzes von Gewalt bzw. Korrektiven zu erreichen"; er sei "auf das Erziehungsmodell seiner Eltern konditioniert"; das kindliche Recht auf körperliche Unversehrtheit "widerspreche zumindest der erlebten, eigenen Erziehung/Prägung und den Bindungsmustern" des Beschwerdeführers; "physische Übergriffe und Gewaltanwendungen [seien] für ihn moralisch vertretbar und [deckten] sich mit den religiösen Sichtweisen". Der von der Sachverständigen hergestellte religiöse Zusammenhang dürfte insbesondere darin bestehen, dass der Beschwerdeführer, zu seinem Freizeitverhalten befragt, angegeben hat, vor allem in der Bibel zu lesen.

55

c) Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf den Verstößen gegen das Elterngrundrecht. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Fachgerichte bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und ausreichender Ermittlung des Sachverhalts eine Entscheidung zugunsten des Beschwerdeführers getroffen hätten.

56

2. Ob die Entscheidungen gegen weitere Grundrechte des Beschwerdeführers verstoßen, bedarf keiner Entscheidung.

57

3. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG.

Urteilsbesprechung zu Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 19. Nov. 2014 - 1 BvR 1178/14

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(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Liegen die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 Buchstabe b vor und ist die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgebliche verfassungsrechtliche Frage durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, kann die Kammer der Verfassungsbeschwerde stattgeben, wenn sie offensichtlich begründet ist. Der Beschluß steht einer Entscheidung des Senats gleich. Eine Entscheidung, die mit der Wirkung des § 31 Abs. 2 ausspricht, daß ein Gesetz mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht unvereinbar oder nichtig ist, bleibt dem Senat vorbehalten.

(2) Auf das Verfahren finden § 94 Abs. 2 und 3 und § 95 Abs. 1 und 2 Anwendung.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Tenor

1. Die Beschlüsse des Amtsgerichts Hanau vom 13. September 2011 - 61 F 212/10 SO - und des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 2. September 2013 - 3 UF 445/11 - verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes.

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht Frankfurt am Main zurückverwiesen.

2. Das Land Hessen hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

3. Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführer wenden sich gegen den Entzug von Teilbereichen des Sorgerechts für ihre im Jahr 2009 geborenen Zwillingskinder.

2

1. a) Die Mutter ist 1969 in Indien und der Vater 1931 in Deutschland geboren. Die Mutter kam im Jahr 2002 nach Deutschland. Im Jahr 2006 heirateten die Beschwerdeführer.

3

Am 16. Dezember 2009 brachte die Beschwerdeführerin Zwillinge zur Welt. Die Entbindung der Zwillinge war mit erheblichen Komplikationen für die Mutter verbunden. Sie befand sich wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen nach der Geburt vom 16. Dezember 2009 bis zum 21. Januar 2010 in stationärer Behandlung im Krankenhaus. Weil sie eine ansteckende Infektionskrankheit hatte, konnte sie die Kinder zunächst nicht sehen. Die Klinik informierte das Jugendamt im Januar 2010 darüber, dass die Mutter sehr schwach sei und die Kinder derzeit nicht versorgen könne; der Vater sei hierzu aufgrund seines Alters nicht in der Lage. Bezüglich der Mutter wurde zudem der Verdacht auf eine Depression geäußert. Ihre gesundheitliche Verfassung blieb zunächst instabil. Sie befand sich noch bis zum 16. April 2010 mehrfach stationär in verschiedenen Kliniken.

4

Nach der ersten Heimkehr der Mutter wurde den Eltern ab dem 21. Januar 2010 durch das Jugendamt eine Notmutter zur Seite gestellt. Wenige Tage später teilte diese dem Jugendamt mit, dass sie nicht mit den Kindern in dem Haushalt bleiben könne. Sie berichtete von einem schlechten Hygienezustand der Wohnung. Die Eltern kümmerten sich nicht um die Kinder. Am 26. Januar 2010 wurde der Notmütterdienst beendet und die Kinder in Obhut genommen. Die Eltern stellten die von der Notmutter aufgestellten Behauptungen über die Wohnverhältnisse in Abrede. Sie erklärten sich dennoch vorerst mit einer Unterbringung der Kinder einverstanden. Diese kamen zunächst in ein Krankenhaus und anschließend getrennt voneinander in Bereitschaftspflegefamilien. Seit dem 21. März 2010 leben sie gemeinsam in einer Pflegefamilie. Diese Unterbringung war zunächst als Bereitschaftspflege konzipiert, wobei die Pflegeeltern auch bereit waren, die Kinder dauerhaft bei sich aufzunehmen. Ein Aufenthalt der Beschwerdeführerin mit ihren Kindern in einer Mutter-Kind-Einrichtung wurde vom Jugendamt nicht als aussichtsreich erachtet, da die Mutter aufgrund ihres Alters nicht in eine solche Einrichtung passe.

5

In dem zwischenzeitlich auf Antrag des Jugendamts eingeleiteten familiengerichtlichen Verfahren erklärten sich die Eltern in einem Verhandlungstermin am 24. März 2010 mit dem Verbleib der Kinder in der neuen Pflegestelle bis zum Abschluss einer beabsichtigten Begutachtung einverstanden. Die Mutter wünschte jedoch eine Ausweitung der Besuchskontakte. Die Eltern erklärten, dass sie eine Rückführung der Kinder in ihren Haushalt anstrebten.

6

Zunächst hatten die Eltern ein zweiwöchiges Umgangsrecht mit ihren Kindern. Nachdem sich der Gesundheitszustand der Mutter gebessert hatte, nahmen die Eltern ab Mai 2010 in einem Abstand von zehn Tagen begleiteten Umgang mit den Kindern wahr.

7

Ein privates Helfersystem der Eltern, das sich insbesondere aus Nachbarn und Mitgliedern der Kirchengemeinde zusammensetzte, nahm intensiv Anteil an der familiären Entwicklung und versuchte, eine Rückkehr der Kinder zu den Eltern zu unterstützen. Dabei gerieten das Helfersystem der Eltern und das Jugendamt zunehmend in Konflikte. Medien berichteten über den Fall.

8

Mit Schreiben vom 16. November 2010 ließen die Eltern durch ihren Bevollmächtigten einen Antrag auf Einleitung einer sozialpädagogischen Familienhilfe beim Jugendamt stellen, in dem ausgeführt wurde, dass die Eltern bereit und willens seien, Hilfen in Anspruch zu nehmen. Mit Schreiben vom 18. November 2010 lehnte das Jugendamt dies ab, da die Eltern bereits am 4. Februar 2010 einen Antrag auf Hilfe zur Erziehung gestellt hätten und ihnen durch die Fremdunterbringung der Kinder, zu der die Eltern ihr Einverständnis erklärt hätten, bereits Hilfe zur Erziehung gewährt werde. Der neuerliche Antrag sei darum aus Sicht des Jugendamts gegenstandslos.

9

Mit Schriftsatz vom 10. Februar 2011 nahmen die Eltern ihr Einverständnis zur Fremdunterbringung der Kinder zurück.

10

Mit Beschluss vom 11. Februar 2011 entzog das Amtsgericht den Beschwerdeführern im Wege der einstweiligen Anordnung ohne vorherige Anhörung das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitsfürsorge sowie die Vertretung in Angelegenheiten nach dem SGB VIII gemäß §§ 1666, 1666a BGB, weil Anzeichen für eine Kindeswohlgefährdung in dem Hauptsacheverfahren noch nicht ausgeräumt seien. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde die einstweilige Anordnung mit Beschluss vom 24. Februar 2011 durch das Amtsgericht bestätigt.

11

Mit Schreiben an das Amtsgericht vom 15. Februar 2011 sprach sich das Jugendamt unter Bezugnahme auf das zwischenzeitlich erstellte Sachverständigengutachten im Hinblick auf die gerichtliche Entscheidung in der Hauptsache für den Entzug des Sorgerechts aus, weil eine Rückführung der Kinder in den elterlichen Haushalt dauerhaft nicht zu verantworten sei. Auch sei das Jugendamt der Ansicht, dass unbegleitete Umgänge nicht in Betracht kämen, da es im Rahmen der Umgangskontakte zu kindeswohlgefährdenden Situationen gekommen sei. So habe der Vater mehrfach versucht, den Sohn mit Kuchen zu füttern, obwohl ihm seitens der Pflegeeltern erklärt worden sei, dass das Kind Süßes nicht möge. Auch den Hinweis, dass dem Kind keine Kirschen gegeben werden sollten, da diese Kerne enthalten könnten, habe der Vater missachtet. Ferner habe die Mutter ihrer Tochter Glitzerarmbänder angezogen, obwohl sich beim Öffnen der Packung bereits gezeigt habe, dass der Glitzer sich von den Armbändern ablöst und der Pflegevater die Mutter darauf hingewiesen habe, dass die Tochter alles in den Mund nehme. Auch mit einer intensiven sozialpädagogischen oder therapeutischen Unterstützung lasse sich der Kindeswohlgefährdung nicht begegnen.

12

Im Termin in der Hauptsache am 3. Mai 2011 signalisierte das Amtsgericht hingegen, dass es derzeit keine Grundlage für eine dauerhafte Unterbringung der Kinder sehe, sondern eine Erweiterung der Umgangskontakte und die Rückführung der Kinder anzustreben sei. Der Sachverständige hatte ausgeführt, dass bei einer Rückführung der Zwillinge in den elterlichen Haushalt zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine akute Kindeswohlgefährdung bestehe, da die Mutter aufgrund ihres Gesundheitszustandes in der Lage sei, eine Grundversorgung der Zwillinge durchzuführen. Eine Rückführung sei allerdings nur bei intensiver sozialpädagogischer Familienhilfe möglich. Es wurde eine Zwischenvereinbarung geschlossen, wonach Familienhilfe installiert werden sollte. In der Folge fanden zwischen Juni und September 2011 insgesamt vierzehn von Familienhelfern begleitete Umgänge in wöchentlichen Abständen für die Dauer von jeweils anderthalb Stunden statt.

13

Mit Zwischenbericht vom 24. August 2011 teilte das Jugendamt mit, dass eine konstruktive Zusammenarbeit mit den Eltern nicht mehr möglich sei. Eine Rückführung in den elterlichen Haushalt komme aus fachlicher Sicht nicht in Betracht. Auch mittel- oder langfristig erscheine eine Rückführung unverantwortlich.

14

Nach Stellungnahmen der Beratungsstelle, die die Umgangsbegleitung zunächst übernommen hatte, verliefen die Termine im Mai 2011 angemessen, wenn auch angespannt. Die ab Juni 2011 für die Umgangsbetreuung zuständige Beratungsstelle teilte in ihrem Abschlussbericht im September 2011 zusammenfassend mit, dass die Eltern aufgrund ihrer eigenen Bedürftigkeit in ihrer emotionalen Befindlichkeit die Grundbedürfnisse der Kinder nur sehr eingeschränkt wahrnehmen und befriedigen könnten.

15

b) Durch Beschluss des Amtsgerichts vom 13. September 2011 wurde den Eltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitsfürsorge und die Vertretung in Angelegenheiten nach dem SGB VIII gemäß §§ 1666, 1666a BGB in der Hauptsache entzogen. Das Amtsgericht stützt sich dabei auf das Gutachten des Sachverständigen und führt aus, der intensive Kontakt zwischen Eltern und Kindern, der in den vergangenen Monaten stattgefunden habe, habe zu keiner wesentlichen Verbesserung der Lage geführt. Die Eltern erschienen derzeit noch nicht in der Lage, die Bedürfnisse der Kinder richtig zu erkennen. Das Gericht vermisse Anzeichen dafür, dass die Eltern die Arbeit der Familienhelfer würdigen könnten. Ratschläge seien nur bedingt angenommen worden. Eine Zerstörung der Bindung an die Pflegeeltern würde die Kinder erheblich traumatisieren. Auch stellte sich das Gericht die Frage, wie die Mutter mit den Kindern dauerhaft kommunizieren könnte. Sie spreche nur gebrochen Deutsch. Die Kinder, die in einer deutschsprachigen Umgebung aufwüchsen, könnten kein Tamil. Das Gericht bezweifle, dass hier eine wirksame Erziehung mit Erklärungen für die Kinder möglich wäre. Auch dies spreche gegen eine Rückführung der Kinder in absehbarer Zeit.

16

c) Die Beschwerdeführer legten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Beschwerde ein. Nach Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens wurde im Rahmen einer Anhörung vor dem Oberlandesgericht am 14. November 2012 Einigkeit darüber erzielt, dass das Jugendamt die Durchführung eines Erziehungskompetenztrainings mit den Eltern veranlassen werde. Nach Durchführung des Erziehungskompetenztrainings und bis zur nächsten Anhörung sollte die Sachverständige ein ergänzendes Gutachten erstatten. Der für den 12. Dezember 2012 zunächst anberaumte Termin des Erziehungskompetenztrainings wurde durch das Jugendamt abgesagt, weil die mit der Aufgabe betraute Erziehungskompetenztrainerin erkrankt war. Mit der einige Wochen später vom Jugendamt vorgeschlagenen Einrichtung, die ab Juni 2011 die begleiteten Umgänge durchgeführt hatte, konnten sich die Beschwerdeführer hingegen keine weitere Zusammenarbeit vorstellen. Letztlich hat das Training nicht stattgefunden.

17

Am 25. Februar 2013 schrieb der bereits seit dem 15. März 2012 eingesetzte Umgangsbegleiter, der nicht der Einrichtung angehört, die die Umgangskontakte ab Juni 2011 begleitet hatte, das Jugendamt an und teilte mit, aus seiner Sicht sei eine weitere Umgangsbegleitung nicht erforderlich. Die zuständige Mitarbeiterin des Jugendamts entgegnete ihm jedoch, der Umgang sei bis zur Beendigung des Gerichtsverfahrens begleitet weiterzuführen.

18

d) Durch Beschluss des Oberlandesgerichts vom 2. September 2013 wurde die Beschwerde gegen die amtsgerichtliche Entscheidung zurückgewiesen. Über den angefochtenen Beschluss hinaus wurde den Beschwerdeführern das Recht zur Regelung des Umgangs für die beiden Kinder entzogen und auf den Ergänzungspfleger übertragen.

19

Eine Gefährdung des Wohls der Kinder werde jedenfalls durch eine Rückführung der Kinder zu ihren leiblichen Eltern zum gegenwärtigen Zeitpunkt begründet. Zur Überzeugung des Senats stehe fest, dass eine Herausnahme der Kinder aus der Pflegefamilie und Rückführung zu den leiblichen Eltern aufgrund der Bindungen an die Pflegeeltern, der langen Betreuung durch diese und des Entwicklungsstands der Kinder sowie ihrer bisherigen Biografie bereits jetzt zu einer nicht hinzunehmenden Schädigung der Kinder führen würde. Der Senat folge dabei den nachvollziehbaren, in sich schlüssigen und überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen, die durch die Stellungnahmen des Jugendamts und der Verfahrensbeiständin sowie den Eindruck, den der Senat von den Eltern in den verschiedenen Anhörungen gewonnen habe, bestätigt würden.

20

Die Eltern seien unverschuldet durch die schwerwiegende Erkrankung der Mutter anlässlich der Geburt der Kinder in die Situation geraten, dass sie ihre Kinder nicht selbst betreuen konnten und eine Fremderziehung erforderlich geworden sei. Bedauerlicherweise habe dann eine Verkettung ausgesprochen unglücklicher Umstände dazu geführt, dass ein Wechsel der Kinder zu ihren leiblichen Eltern nicht mehr ohne zu erwartende Schäden für das Kindeswohl möglich sei. Die bei den Eltern festgestellten Defizite hätten für sich genommen einen Eingriff nach § 1666 BGB nicht gerechtfertigt, ohne zuvor alle Maßnahmen nach der Kinder- und Jugendhilfe ausgeschöpft zu haben. Allerdings sei dies nicht die Ausgangslage der vorliegenden Konstellation, sondern es gehe darum, Kinder, die nie wirklich mit ihren leiblichen Eltern zusammengelebt hätten, nach über dreieinhalb Jahren ihren leiblichen Eltern unter Verlust der sozialen Eltern zuzuführen. Dies setze eine hohe Kompetenz der Eltern und ein ausgesprochen hohes Maß an Einfühlungsvermögen in die Situation und Befindlichkeiten der Kinder voraus, über das die Eltern jedenfalls derzeit nicht verfügten. Hinzu komme, dass zwar verbal die Bereitschaft zur Annahme von Hilfen geäußert werde, eine praktische Umsetzung aber nicht beziehungsweise nur sehr langsam erfolge. Die Verfahrensbeiständin bestätige, dass auch nach langer Zeit der Begleitung die Umgangskontakte immer noch unstrukturiert und unkoordiniert verliefen. Das Jugendamt sehe keine Chance, dass die Eltern diese Defizite, mit welchen Hilfen auch immer, überwinden könnten, da eine Problemeinsicht der Eltern praktisch nicht vorhanden sei.

21

2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 3 Abs. 1, Art. 6 und Art. 20 Abs. 3 GG. Am Rande rügen die Beschwerdeführer die Verletzung des Persönlichkeitsrechts sowie ihrer Menschenwürde.

22

Die Fachgerichte hätten das Elternrecht der Beschwerdeführer aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG in seiner Bedeutung und Tragweite verkannt. Den angegriffenen Beschlüssen sei inhaltlich die für eine Trennung des Kindes von seinen Eltern erforderliche schwerwiegende Gefährdung des Kindeswohls nicht konkret zu entnehmen. Es habe keine Abwägung stattgefunden, ob mit anderen staatlichen Hilfen eine Gefährdung bereits hätte ausgeschlossen werden können, etwa durch gezielte Unterstützung der Eltern. Die Beschwerdeführer hätten immer wieder vorgetragen, dass sie bereit seien, Hilfen anzunehmen. Das Jugendamt habe sein Hilfeangebot zunächst am stärkst möglichen Eingriff der Unterbringung der Kinder ausgerichtet und damit den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in schwerwiegender Weise verletzt. Sämtliche Bitten der Beschwerdeführer um Hilfen seien vom Jugendamt zurückgewiesen worden.

23

3. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen der Kammer vor.

24

4. Die Verfassungsbeschwerde wurde der Hessischen Landesregierung, dem Jugendamt, dem Ergänzungspfleger und der Verfahrensbeiständin zugestellt. Die Hessische Landesregierung hat keine Stellungnahme abgegeben. Das Jugendamt und die Verfahrensbeiständin haben sich den Gründen der angegriffenen Entscheidungen angeschlossen.

II.

25

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt.

26

Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Eltern-rechts der Beschwerdeführer geboten (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Zu dieser Entscheidung ist die Kammer berufen, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet ist (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

27

1. Die Beschwerdeführer werden durch die angegriffenen Entscheidungen in ihrem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt. Aus dem Elterngrundrecht ergeben sich in der hier zu beurteilenden Konstellation besonders hohe Anforderungen an die Aufrechterhaltung der Trennung (a). Diesen genügen die Entscheidungen des Amtsgerichts (b) und des Oberlandesgerichts (c) nicht.

28

a) Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Der Schutz des Elternrechts erstreckt sich auf die wesentlichen Elemente des Sorgerechts, ohne die Elternverantwortung nicht ausgeübt werden kann (vgl. BVerfGE 84, 168 <180>; 107, 150 <173>). Eine Trennung der Kinder von ihren Eltern stellt den stärksten Eingriff in dieses Recht dar. Der Eingriff unterliegt strenger verfassungsgerichtlicher Kontrolle (aa). Die Trennung ist nach Art. 6 Abs. 3 GG allein zu dem Zweck zulässig, das Kind vor nachhaltigen Gefährdungen zu schützen (bb) und darf nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen (cc), wobei sowohl an die Kindeswohl- als auch an die Verhältnismäßigkeitsprüfung spezifische Anforderungen zu stellen sind, wenn, wie hier, die Sorgerechtsentziehung hinsichtlich eines bereits in einer Pflegefamilie untergebrachten Kindes in Streit steht, dessen Rückführung die Ursprungseltern zu sich begehren.

29

aa) Es kommt ein strenger Kontrollmaßstab zur Anwendung. Zwar sind die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und die Würdigung des Tatbestandes sowie die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Regelungen im einzelnen Fall grundsätzlich Angelegenheit der zuständigen Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Dem Bundesverfassungsgericht obliegt lediglich die Kontrolle, ob die angegriffene Entscheidung Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts oder vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen (vgl. BVerfGE 72, 122 <138>; stRspr). Bei gerichtlichen Entscheidungen, die Eltern zum Zweck der Trennung des Kindes von den Eltern das Sorgerecht für ihr Kind entziehen, besteht hingegen wegen des sachlichen Gewichts der Beeinträchtigung der Grundrechte von Eltern und Kindern Anlass, über den grundsätzlichen Prüfungsumfang hinauszugehen (vgl. BVerfGE 55, 171 <181>; 75, 201 <221 f.>). Vor allem prüft das Bundesverfassungsgericht, ob das Familiengericht in nachvollziehbarer Weise angenommen hat, es bestehe eine nachhaltige Gefährdung des Kindeswohls und diese sei nur durch die Trennung des Kindes von den Eltern, nicht aber durch weniger eingreifende Maßnahmen abwendbar. Dabei kann sich die verfassungsgerichtliche Kontrolle wegen des besonderen Eingriffsgewichts ausnahmsweise auch auf einzelne Auslegungsfehler (vgl. BVerfGE 60, 79 <91>; 75, 201 <222>) sowie auf deutliche Fehler bei der Feststellung und Würdigung des Sachverhalts erstrecken (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2014 - 1 BvR 160/14 -, juris, Rn. 26; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 7. April 2014 - 1 BvR 3121/13 -, juris, Rn. 25).

30

bb) Soweit es um die Trennung des Kindes von seinen Eltern geht, ist dieser Grundrechtseingriff allein zu den in Art. 6 Abs. 3 GG genannten Zwecken zulässig. Danach dürfen Kinder gegen den Willen des Sorgeberechtigten nur von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen. Dabei berechtigen nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit der Eltern den Staat auf der Grundlage seines ihm nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG zukommenden Wächteramts, die Eltern von der Pflege und Erziehung ihres Kindes auszuschalten oder gar selbst diese Aufgabe zu übernehmen (vgl. BVerfGE 24, 119 <144 f.>; 60, 79 <91>). Um eine Trennung des Kindes von den Eltern zu rechtfertigen, muss das elterliche Fehlverhalten vielmehr ein solches Ausmaß erreichen, dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist (vgl. BVerfGE 60, 79 <91>). Ihren einfachrechtlichen Ausdruck hat diese Anforderung in § 1666 Abs. 1 BGB gefunden. Die Annahme einer nachhaltigen Gefährdung des Kindes setzt voraus, dass bereits ein Schaden des Kindes eingetreten ist oder eine Gefahr gegenwärtig in einem solchen Maße besteht, dass sich bei ihrer weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2014 - 1 BvR 160/14 -, juris, Rn. 28; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 7. April 2014 - 1 BvR 3121/13 -, juris, Rn. 18; BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2004 - XII ZB 166/03 -, FamRZ 2005, S. 344 <345>).

31

Begehren die Eltern die Rückführung ihres in einer Pflegefamilie lebenden Kindes, kann die Gefahr für das Kind gerade aus der Rückführung resultieren. In einem solchen Fall ist es verfassungsrechtlich geboten, bei der Kindeswohlprüfung nach § 1666 BGB die Tragweite einer Trennung des Kindes von seiner Pflegefamilie einzubeziehen und die Erziehungsfähigkeit der Ursprungsfamilie auch im Hinblick auf ihre Eignung zu berücksichtigen, die negativen Folgen einer eventuellen Traumatisierung der Kinder gering zu halten (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 22. August 2000 - 1 BvR 2006/98 -, FamRZ 2000, S. 1489). Das Kindeswohl gebietet es, die neuen gewachsenen Bindungen des Kindes zu seinen Pflegepersonen zu berücksichtigen und das Kind aus seiner Pflegefamilie nur herauszunehmen, wenn die körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigungen des Kindes als Folge der Trennung von seinen bisherigen Bezugspersonen unter Berücksichtigung der Grundrechtsposition des Kindes noch hinnehmbar sind (vgl. BVerfGK 17, 212 <217> m.w.N.).

32

Indessen darf der Umstand, dass die Trennung von seinen unmittelbaren Bezugspersonen regelmäßig eine erhebliche psychische Belastung für das Kind bedeutet, nicht dazu führen, dass bei Unterbringung eines Kindes in einer Pflegefamilie die Wiederzusammenführung von Kind und Eltern immer dann schon ausgeschlossen ist, wenn das Kind dadurch in den Pflegeeltern seine "sozialen" Eltern gefunden hat (vgl. BVerfGE 75, 201 <219 f.>). Aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG folgt, dass Pflegeverhältnisse nicht in der Weise verfestigt werden dürfen, dass die leiblichen Eltern mit der Weggabe in nahezu jedem Fall den dauernden Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie befürchten müssen (vgl. BVerfGE 68, 176 <189 f.>; 75, 201 <219>). Weil eine Rückkehr zu den Eltern auch nach längerer Fremdunterbringung vorbehaltlich entgegenstehender Kindesbelange grundsätzlich möglich bleiben muss, dürfen die Belastungen des Kindes, die mit einem Wechsel der Hauptbezugspersonen immer verbunden sind, eine Rückführung nicht automatisch dauerhaft ausschließen (vgl. BVerfGE 68, 176 <191>; BVerfGK 2, 144 <146>; 9, 97 <103>; 17, 212 <220>).

33

cc) (1) Die Trennung des Kindes von seinen Eltern darf nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen und aufrechterhalten werden (vgl. BVerfGE 60, 79 <89>). Das setzt voraus, dass die Trennung zur Erreichung der Abwendung einer nachhaltigen Kindeswohlgefahr geeignet und erforderlich ist und dazu in angemessenem Verhältnis steht. Insbesondere muss der Staat wegen des Erforderlichkeitsgebots zur Vermeidung der Trennung der Kinder von ihren Eltern nach Möglichkeit versuchen, durch helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der leiblichen Eltern gerichtete Maßnahmen sein Ziel zu erreichen (vgl. BVerfGE 24, 119 <145>; 60, 79 <93>). In Übereinstimmung mit diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen erklärt § 1666a Abs. 1 Satz 1 BGB Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, nur dann für zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann.

34

An die Verhältnismäßigkeit der Aufrechterhaltung der Trennung sind besonders strenge Anforderungen zu stellen, wenn die Voraussetzungen des § 1666 Abs. 1 Satz 1 BGB bei der Wegnahme des Kindes nicht vorlagen (vgl. BVerfGE 68, 176 <189>). Strengere Anforderungen gelten auch dann, wenn die ursprünglich durch § 1666 BGB begründete Trennung des Kindes von seinen Eltern nicht auf einer missbräuchlichen Ausübung der elterlichen Sorge, sondern auf einem unverschuldeten Elternversagen beruhte (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Januar 2014 - XII ZB 68/11 -, juris, Rn. 22). Die Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verschärfen sich auch dann, wenn die Eltern (mittlerweile) grundsätzlich als erziehungsgeeignet anzusehen sind und den Kindern in deren Haushalt für sich genommen keine nachhaltige Gefahr droht, sondern die Kindeswohlgefährdung gerade aus den spezifischen Belastungen einer Rückführung resultiert.

35

(2) Diese strengeren Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes schlagen sich insbesondere in einer erhöhten Verpflichtung der beteiligten Behörden und Gerichte nieder, Maßnahmen in Betracht zu ziehen, mit denen ein Zueinanderfinden von Kind und Eltern gelingen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Januar 2014 - XII ZB 68/11 -, juris, Rn. 29). Stets ist zu fragen, ob sich die Kindeswohlgefahren durch eine behutsame, insbesondere zeitlich gestreckte, Rückkehr reduzieren lassen. Sind die Eltern nicht ohne Weiteres in der Lage, den erzieherischen Herausforderungen gerecht zu werden, vor die sie im Fall der - sei es auch zeitlich gestreckten - Rückkehr eines über längere Zeit fremduntergebrachten Kindes gestellt sind, sind sie hierbei in besonderem Maße durch öffentliche Hilfen zu unterstützen (§ 1666a Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Verpflichtung des Staates, die Eltern bei der Rückkehr ihrer Kinder durch öffentliche Hilfen zu unterstützen, kann in einer solchen Konstellation nach Art und Maß über das hinausgehen, was der Staat üblicherweise zu leisten verpflichtet ist.

36

b) Gemessen an diesen Grundsätzen ist die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts, durch die den Eltern wesentliche Teile des Sorgerechts in der Hauptsache entzogen wurden, nicht mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG vereinbar.

37

aa) An die Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs sind hohe Anforderungen zu stellen, weil die Notwendigkeit der zunächst mit Einverständnis der Eltern erfolgten Fremdunterbringung nicht auf einer missbräuchlichen Ausübung der elterlichen Sorge beruhte, sondern allenfalls auf einem unverschuldeten Unvermögen der Eltern infolge der schweren und länger andauernden Erkrankung der Mutter nach der Geburt.

38

bb) Ob den Kindern im Zeitpunkt der Entscheidung des Amtsgerichts bei einer Rückführung zu ihren Eltern eine die Aufrechterhaltung der Trennung verfassungsrechtlich rechtfertigende Gefahr gedroht hätte, kann dahinstehen. Die Sorgerechtsentziehung war jedenfalls unverhältnismäßig. Es ist nicht erkennbar, dass das Amtsgericht im verfassungsrechtlich gebotenen Maße Möglichkeiten erwogen hat, mit denen die behutsame Rückführung der Kinder erreicht werden könnte.

39

Noch im Termin im Hauptsacheverfahren am 3. Mai 2011 hatte das Amtsgericht auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens die Vorbereitung der Rückführung der Kinder ins Auge gefasst und eine Zwischenvereinbarung zwischen Jugendamt und Eltern herbeigeführt, die dieses Ziel insbesondere durch Installation einer Familienhilfe und durch verstärkte Umgangskontakte der Eltern mit ihren Kindern umsetzen sollte, um auf dieser Grundlage im September 2011 gegebenenfalls endgültig eine Rückführung anstoßen zu können.

40

Das Jugendamt, das demgegenüber bereits im Februar 2011 die Auffassung vertreten hatte, dass eine Rückführung nicht angezeigt und dauerhaft nicht zu verantworten sei, hat die Rückführung allerdings bereits im August 2011 für endgültig gescheitert erklärt. Auch mittelfristig oder langfristig erscheine eine eventuell zu planende Rückführung unverantwortlich. Unabhängig davon, wie die Entwicklung der aufgrund der Zwischenvereinbarung durchgeführten Umgangskontakte verfassungsrechtlich im Einzelnen zu würdigen ist, ist die frühe Festlegung angesichts der in diesem außergewöhnlichen Fall auch das Jugendamt in besonderem Maße treffenden verfassungsrechtlichen Verpflichtung, auf die Ermöglichung einer Rückkehr der Kinder hinzuwirken, schwer nachvollziehbar.

41

Im September 2011 hat schließlich auch das Amtsgericht eine Rückkehr nicht weiter verfolgt, sondern hat den Eltern wesentliche Teile des Sorgerechts in der Hauptsache entzogen. Dass so der frühe Ausschluss der Rückkehroption seitens des Jugendamts auch gerichtlich nachvollzogen und durch den Sorgerechtsentzug rechtlich verstärkt wurde, wird dem Elterngrundrecht nicht gerecht. Die gerichtliche Billigung der raschen Aufgabe der Rückkehroption ist insbesondere vor dem Hintergrund unverständlich, dass der Sachverständige in seiner mündlichen Anhörung am 3. Mai 2011 ausgeführt hatte, dass eine Rückführung über einen langen Zeitraum vorbereitet werden müsste und zunächst intensive Kontakte, etwa über das Wochenende hergestellt werden müssten; das Ganze müsse sich wohl bis zu einem Jahr hinstrecken. Dass die kindeswohlverträgliche Rückführung gleichwohl bereits im September 2011 endgültig unmöglich erscheinen musste, lässt die Entscheidung nicht erkennen und drängt sich auch ansonsten nicht auf. Die vom Amtsgericht bemängelten Defizite der Eltern hätten unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten gegebenenfalls zu einer Intensivierung der Hilfen zur Erziehung nach §§ 27 ff. SGB VIII führen müssen, hätten aber nicht die Aufgabe der Rückführungspläne gerechtfertigt. Wenn etwa die zum damaligen Zeitpunkt wohl bestehende Sprachbarriere im konkreten Fall tatsächlich die vom Gericht beschriebenen Probleme aufgeworfen hätte, wäre an eine Förderung der Sprachkompetenz sowohl der Mutter als auch der Kinder zu denken gewesen.

42

c) Auch die Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 2. September 2013 hält der verfassungsrechtlichen Überprüfung an Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG im Ergebnis nicht stand.

43

aa) An die Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs sind besonders hohe Anforderungen zu stellen. Dies folgt zum einen - wie schon im Hinblick auf die Entscheidung des Amtsgerichts - daraus, dass die Notwendigkeit der zunächst mit Einverständnis der Eltern erfolgten Fremdunterbringung nicht auf einer missbräuchlichen Ausübung der elterlichen Sorge beruhte, sondern allenfalls auf einem unverschuldeten Unvermögen der Eltern infolge der schweren und länger andauernden Erkrankung der Mutter durch die Geburt. Zum anderen ergeben sich strenge Anforderungen daraus, dass das Oberlandesgericht die Gefährdung des Kindeswohls gerade darin sieht, dass die Kinder zu ihren leiblichen Eltern zurückgeführt werden sollen, eine von der Rückführung unabhängige Kindeswohlgefährdung durch das Erziehungsverhalten der Eltern hingegen nicht explizit feststellt.

44

bb) Ohne Weiteres nachvollziehbar ist die auf die Feststellungen der Sachverständigen gestützte Annahme des Gerichts, dass mit der Rückführung zum Zeitpunkt der Entscheidung ein hohes Risiko einer Traumatisierung der Kinder verbunden war, da die Kinder zu diesem Zeitpunkt bereits lange Zeit bei den Pflegeeltern gelebt hatten.

45

cc) Angesichts der spezifischen Umstände der Fremdunterbringung der Kinder und des konkreten behördlichen und gerichtlichen Verfahrensverlaufs hätte aber auch das Oberlandesgericht nach der hier ersichtlichen Sachlage unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten die Möglichkeit einer baldigen Rückkehr der Kinder zu ihren Eltern nicht ausschließen dürfen, sondern hätte zur Sicherung des Kindeswohls mildere Maßnahmen als den Sorgerechtsentzug in Betracht ziehen müssen. Dass eine kindeswohlverträgliche Rückkehr endgültig unmöglich war, lässt sich der Entscheidung nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen (1). Das Gericht hätte dabei weitere Maßnahmen öffentlicher Hilfen erwägen müssen (2).

46

(1) Das Oberlandesgericht geht gestützt auf die ergänzenden Ausführungen der im Verfahren vor dem Oberlandesgericht tätigen Sachverständigen davon aus, dass die Eltern die zur kindeswohlverträglichen Gestaltung einer Rückkehr erforderlichen Erziehungskompetenzen nicht besitzen und auch nicht mehr innerhalb eines Zeitraums erwerben können, in dem eine Rückführung noch möglich wäre. Dass dies zutrifft, lässt sich nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen.

47

Das Oberlandesgericht stützt sich unter anderem auf die Aussage der Verfahrensbeiständin, dass die Umgangskontakte auch nach langer Zeit der Begleitung noch unstrukturiert und unkoordiniert abgelaufen seien. Perspektivisch nimmt es aufgrund der Angaben der Sachverständigen an, dass der Kompetenzzuwachs, der insbesondere bei der Mutter gesehen werde, zu langsam sei, um dem Entwicklungsprozess und den Bedürfnissen der Kinder standzuhalten. Die Voraussetzungen könnten auch durch eine sozialpädagogische Familienhilfe nicht geschaffen werden; diese Zeit stehe nicht mehr zur Verfügung.

48

Diese insbesondere auf Aussagen der Verfahrensbeiständin und der Sachverständigen gestützten Einschätzungen stehen in Gegensatz zu den Aussagen des seit März 2012 eingesetzten Umgangsbegleiters, der im Anhörungstermin am 14. Mai 2013 dem Oberlandesgericht durchweg positiv berichtete. Den Eltern gelinge es, den Kindern Liebe und emotionale Wärme zu vermitteln; sie seien in der Interaktion mit ihren Kindern meist freundlich, zugewandt und liebevoll. Es gelinge ihnen, ihren Kindern mit Achtung und Respekt zu begegnen und Rituale und Gewohnheiten zu schaffen, die ihren Kindern Struktur, Verlässlichkeit und Kontinuität geben. Sie sorgten für eine Umgebung, die ihre Kinder anregte. Sie seien in der Lage, angemessene Regeln und Grenzen zu setzen und für die Sicherheit ihrer Kinder zu sorgen. Entsprechend hatte der Umgangsbegleiter bereits im Februar 2013 unbegleitete Umgangskontakte für möglich gehalten, was das Jugendamt allerdings ablehnte.

49

Auch die Sachverständige schildert in ihrem Bericht über den letzten von ihr beobachteten Umgangstermin Veränderungen im Verhalten der Eltern zum Positiven. Es wird ausgeführt, dass die Mutter die Rückmeldungen, die in der Erstbegutachtung bezüglich ihres Interaktionsverhaltens gegeben worden seien, offensichtlich zur Kenntnis genommen habe und sich bemühe, hier Veränderungen einzuleiten. Sie habe erkannt, dass sie mehr Übersicht und Ruhe aufbringen müsse, dass sie sich intensiver mit den Kindern beschäftigen müsse.

50

Mit beidem setzt sich das Gericht nicht auseinander, so dass sich nicht nachvollziehen lässt, warum den für die Weiterverfolgung der hier grundsätzlich gebotenen Rückkehroption sprechenden positiven Schilderungen der Umgangskontakte neben den negativen Berichten keine Bedeutung beigemessen wurde.

51

(2) Angesichts der Besonderheiten des konkreten Falls hätte das Gericht bei Zweifeln am vorhandenen Erziehungspotenzial der Eltern zudem weitere Maßnahmen öffentlicher Hilfen erwägen müssen.

52

Als mildere Mittel kommen hier Maßnahmen in Betracht, die die Rückführung der Kinder in die Obhut der Beschwerdeführer mit staatlicher Hilfe noch ermöglichen könnten. Zwar haben die Beschwerdeführer seit der Geburt der Kinder öffentliche Hilfen erhalten, die in erster Linie in der Fremdunterbringung der Kinder bestanden. Darin erschöpft sich die staatliche Verpflichtung, die Rückkehr der Kinder zu ihren Eltern zu unterstützen, jedoch nicht. Aufgrund der Vorgeschichte waren hier Leistungen in Betracht zu ziehen, die nach Art und Umfang über das hinausgehen können, was der Staat üblicherweise zu leisten verpflichtet ist.

53

Hätten die Kindeseltern ihnen angebotene Maßnahmen nicht ergriffen und sich angebotenen Hilfen verweigert, könnte dies allerdings die Einstellung von Hilfemaßnahmen begründen. Dies war hier jedoch nicht der Fall. Die Eltern haben nach der Geburt die Unterstützung durch eine Notmutter angenommen. Sie haben anschließend in eine vorübergehende Fremdunterbringung der Kinder und in eine zeitliche Streckung der Rückführung der Kinder nach Genesung der Mutter eingewilligt; ihr Einverständnis zur Fremdunterbringung haben sie erst im Februar 2011 zurückgenommen. Ein Aufenthalt in einer Mutter-Kind-Einrichtung wurde vom Jugendamt von vornherein verworfen. Bereits im November 2010 haben die Beschwerdeführer zudem einen Antrag auf Einleitung einer sozialpädagogischen Familienhilfe gestellt. Diesen lehnte das Jugendamt mit der Begründung ab, er sei "gegenstandslos", weil bereits eine öffentliche Hilfe nach § 33 SGB VIII in Gestalt der Fremdunterbringung der Kinder erbracht werde. Warum die Behörde gar nicht erst in Betracht gezogen hat, den Eltern zusätzliche Hilfen insbesondere im Hinblick auf die Stärkung ihrer Erziehungskompetenz zu gewähren, erschließt sich nicht, zumal das Jugendamt einerseits offenkundig erhebliche Zweifel an der bestehenden Kompetenz der Eltern hegte und andererseits von Verfassungs wegen gehalten war, auf eine Rückkehr der Kinder hinzuarbeiten.

54

Auch dass es nicht zu dem im Rahmen der Anhörung am 14. November 2012 mit dem Jugendamt vor dem Oberlandesgericht vereinbarten Erziehungskompetenz-training gekommen ist, ist den Beschwerdeführern kaum zuzuschreiben. Der für den 12. Dezember 2012 zunächst anberaumte Termin des Erziehungskompetenztrainings wurde durch das Jugendamt abgesagt, weil die mit der Aufgabe betraute Trainerin erkrankt war. Nachdem der Prozessbevollmächtigte der Beschwerdeführer auf die baldige Durchführung des Trainings gedrungen hatte, erwies sich, dass sich die Erkrankung der Trainerin längere Zeit hinzog. Mit der daraufhin vom Jugendamt vorgeschlagenen Einrichtung, die auch in der Zeit von Juni 2011 bis September 2011 die begleiteten Umgänge durchgeführt und darüber im Ergebnis eher negativ berichtet hatte, konnten sich die Beschwerdeführer eine weitere Zusammenarbeit nicht vorstellen. Die Beschwerdeführer sprachen selbst eine Trainerin an, die ihre ursprünglich geäußerte Bereitschaft, das Training durchzuführen, allerdings später zurückzog. Dass das Jugendamt nach dem krankheitsbedingten Ausfall der ursprünglich beauftragen Trainerin nicht zügig Ersatz organisiert hat und den Beschwerdeführern später ein Angebot unterbreitete, das anzunehmen ihnen offenkundig viel zugemutet hätte, ist schon deshalb schwer nachzuvollziehen, weil die Sachverständige im Anhörungstermin am 14. November 2012 unmissverständlich auf den hohen Zeitdruck hingewiesen hatte; es bestehe ein Dilemma, weil einerseits ein etwaiger Prozess der Rückführung Zeit brauche, andererseits wegen der Altersentwicklung der Kinder die Zeit davon laufe.

55

Dass das Jugendamt die Rückkehr der Kinder nicht für angezeigt hielt und eine Rückführung bislang nicht mit hoher Intensität unterstützt hat, spricht nicht gegen die Eignung weiterer öffentlicher Hilfen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2014 - 1 BvR 160/14 -, juris, Rn. 49 f.). Das Oberlandesgericht kann vielmehr davon ausgehen, dass das Jugendamt im Fall einer gerichtlich vorgegebenen Rückkehrperspektive die Gewährung öffentlicher Hilfen entsprechend effektuieren würde. Ansonsten könnten die Beschwerdeführer - sofern ihnen das Recht zur Beantragung öffentlicher Hilfen nicht entzogen würde - ihre in der vorliegenden Konstellation gesteigerten Hilfeansprüche nach §§ 27 ff. SGB VIII gegebenenfalls im Verwaltungsrechtsweg durchsetzen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 17. März 2014 - 1 BvR 2695/13 -, juris, Rn. 37; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2014 - 1 BvR 160/14 -, juris, Rn. 52).

56

2. Ob darüber hinaus die von den Beschwerdeführern geltend gemachten Verstöße gegen Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG vorliegen, kann hier dahinstehen.

57

3. Die Beschlüsse des Amtsgerichts vom 13. September 2011 und des Oberlandesgerichts vom 2. September 2013 beruhen auf den Verstößen gegen das Elternrecht. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Gerichte bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalls eine Entscheidung zugunsten der Beschwerdeführer getroffen hätten.

58

4. Es erscheint angezeigt, nur den Beschluss des Oberlandesgerichts aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG), denn es liegt im Interesse der Beschwerdeführer, möglichst rasch eine das Verfahren abschließende Entscheidung zu erhalten (vgl. BVerfGE 84, 1 <5>; 94, 372 <400>).

59

5. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

Tenor

1. Die Beschlüsse des Amtsgerichts Langenfeld vom 4. Juli 2013 - 42 F 81/13 - und des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 4. Oktober 2013 - II-5 UF 119/13 - verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes.

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf wird aufgehoben, soweit er die Entziehung des Sorgerechts bestätigt. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht Düsseldorf zurückverwiesen.

Die Verfassungsbeschwerde wird im Übrigen nicht zur Entscheidung angenommen.

2. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

3. Das Land Nordrhein-Westfalen hat den Beschwerdeführern zwei Drittel ihrer notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

4. Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

1. Die Beschwerdeführer wenden sich gegen die im Wege der einstweiligen Anordnung erfolgte Entziehung von Teilbereichen des Sorgerechts für ihre im Jahr 2010 geborene Tochter. Die Beschwerdeführer hatten mit ihrer Tochter in einem gemeinsamen Haushalt gelebt, bis diese am 27. Mai 2013 gegen den Willen der Eltern in einem Kinderheim untergebracht wurde. Die Beschwerdeführerin, die bereits erwachsene Söhne hat, war aufgrund psychischer Probleme seit der Geburt der Tochter kontinuierlich in ambulanter, vorübergehend auch stationärer psychotherapeutischer Behandlung. Seit Mai 2011 erhielt die Familie Unterstützung durch eine sozialpädagogische Familienhilfe.

2

a) Auf Antrag des Jugendamts vom 24. Mai 2013 entzog das Amtsgericht den Beschwerdeführern mit angegriffenem Beschluss vom 24. Mai 2013 im Wege der einstweiligen Anordnung ohne vorherige Anhörung die Personensorge und bestellte eine Ergänzungspflegerin. Außerdem verpflichtete es die Beschwerdeführer zur Herausgabe des Kindes an die Ergänzungspflegerin. Aus der Antragsschrift des Jugendamts und der vom Jugendamt in Auftrag gegebenen psychiatrischen Stellungnahme des Gesundheitsamts ergebe sich, dass das Kind in der Obhut seiner Eltern gefährdet sei. Die Beschwerdeführerin sei in ihrer Erziehungsfähigkeit schwer beeinträchtigt, der Beschwerdeführer sei nicht in der Lage, dies auszugleichen und die Betreuung und Erziehung zu übernehmen. Im Haushalt der Beschwerdeführer bestünden starke Spannungen, die das Kind miterlebe. Nach der psychiatrischen Stellungnahme des Gesundheitsamts werde ein Verbleib in dem von Spannung, Aggressivität und Dissoziation geprägten Umfeld zu einer schweren Beeinträchtigung des Kindes führen. Nach dem Bericht des Jugendamts zeigten sich bei dem Kind bereits Auffälligkeiten.

3

Das Mädchen wurde am selben Tag in einer sogenannten Kriseninterventionsgruppe eines Kinderheims untergebracht, wo sie seitdem lebt.

4

b) Die Beschwerdeführer beantragten beim Amtsgericht, die Sorgerechtsentziehung aufzuheben, hilfsweise das Kind in den Haushalt der Großmutter oder einer Tante väterlicherseits zu überführen.

5

aa) Das Amtsgericht hörte die Beschwerdeführer, das Jugendamt, die Ergänzungspflegerin, den Verfahrensbeistand, die ehemalige Familienhelferin und den Arzt an, der die psychiatrische Stellungnahme des Gesundheitsamts erstellt hatte. Die Großmutter und die Tante des Kindes väterlicherseits waren während der mündlichen Verhandlung im Gerichtsgebäude anwesend, wurden aber nicht gehört. Beide beantragten am selben Tag schriftlich, am Verfahren beteiligt und zum Ergänzungspfleger bestellt zu werden.

6

bb) Mit angegriffenem Beschluss vom 4. Juli 2013 erhielt das Amtsgericht die einstweilige Anordnung aufrecht. Eine Änderung setze eine umfassende Abklärung der Fähigkeit und Bereitschaft der Beschwerdeführer oder anderer Bezugspersonen zur Wahrnehmung der Pflege und Erziehung des Kindes voraus, wozu ein psychiatrisches und familienpsychologisches Gutachten erforderlich sei. Im einstweiligen Verfahren habe sich gezeigt, dass die Beschwerdeführer bisher nicht in der Lage waren, ihr Verhalten gegeneinander und gegenüber dem Kind so zu steuern, dass eine Kindeswohlgefährdung vermieden werde. Die Beschwerdeführerin sei wegen ihrer Erkrankung derzeit nicht in der Lage, das Kind so zu betreuen, dass das Kindeswohl ausreichend gesichert sei. Der Beschwerdeführer sei nicht in der Lage, das Kind gegenüber dem Verhalten der Beschwerdeführerin abzuschirmen und seinerseits eine kindeswohlgerechte kontinuierliche Entwicklung sicherzustellen; allein wegen seiner berufsbedingten Abwesenheit wäre das Kind häufig mit der Beschwerdeführerin allein. Die Entwicklung des Kindes sei bereits beeinträchtigt. Es verweigere häufiger das Essen, zeige aggressives Verhalten gegenüber anderen Kindern und Erzieherinnen, wenn diese ihr Grenzen setzten, außerdem halte es die Hände über den Kopf und zucke bei jeder schnellen Bewegung oder einem etwas lauteren Ton zusammen. Es sei auch nicht hilfreich, das Kind bei einer Verwandten, etwa der Großmutter, unterzubringen. Denn das Kind habe sich gerade in seiner neuen Umgebung eingelebt. Bei einer Änderung müsse es erneut die Bezugspersonen wechseln. Außerdem sei damit zu rechnen, dass die Beschwerdeführerin bei einer Unterbringung bei Verwandten weiterhin starken Einfluss auf die Entwicklung des Kindes haben würde.

7

c) Die Beschwerdeführer legten gegen die Entscheidung des Amtsgerichts Beschwerde ein und begehrten abermals, das Kind im Haushalt der Großmutter oder Tante unterzubringen.

8

aa) Das Oberlandesgericht hörte die Beschwerdeführer, die Großmutter, die Tante, einen Vertreter des Jugendamts sowie die Ergänzungspflegerin an.

9

bb) Mit angegriffenem Beschluss vom 4. Oktober 2013 beschränkte das Oberlandesgericht die einstweilige Entziehung des Sorgerechts auf die Bereiche Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge und das Recht zur Antragstellung nach §§ 27 f. SGB VIII und wies die Beschwerde im Übrigen zurück.

10

Nach den Feststellungen des Jugendamts habe das Kind Verhaltensauffälligkeiten gezeigt. Es habe sich nach den Beobachtungen in der Kindertagesstätte aggressiv gegenüber anderen Kindern und Erzieherinnen verhalten und halte bei jeder schnellen Bewegung oder einem etwas lauteren Ton die Hände über den Kopf und zucke zusammen. Nach einem von der Ergänzungspflegerin überreichten Kurzbericht der Psychologin des Kinderheims vom 10. September 2013 fänden sich bei dem Kind klinisch auffällige Verhaltensweisen im Bereich des oppositionell-aggressiven Verhaltens bei gleichzeitig gering ausgeprägten sozialen Kompetenzen. Das Kind scheine auf Erlebtes zurückzugreifen, ein Zusammenhang mit der Erkrankung der Mutter in ihren depressiven und aggressiven Anteilen sei anzunehmen.

11

Das Oberlandesgericht ging davon aus, dass bei einem Verbleib im elterlichen Haushalt eine konkrete Gefahr für die Entwicklung des Kindes im Sinne des § 1666 BGB bestünde, und dass die Verhaltensauffälligkeiten des Kindes nach dem Stand des summarischen Verfahrens auf dem Verhalten der Eltern beruhten. Nach den Beobachtungen der Familienhelferin sei es immer wieder zu erheblichen Streitigkeiten der Eltern gekommen. Nach den Angaben des Arztes des Gesundheitsamts leide die Beschwerdeführerin an einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung; sie sei in ihrer Erziehungsfähigkeit aufgrund eines Mentalisierungsdefizits, einer Affektregulationsbeeinträchtigung und einer Impulsstörung erheblich beeinträchtigt. Nach dem Entlassungsbericht der Klinik, in die sich die Beschwerdeführerin im Sommer 2012 für sechs Wochen mit ihrer Tochter begeben hatte, weise die Beschwerdeführerin eine emotionale instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ auf. Ob diese Annahmen zuträfen oder es der Beschwerdeführerin wieder gut gehe, sei im Hauptsacheverfahren durch Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zu klären. Mildere Mittel als die Heimunterbringung seien nicht vorhanden.

12

2. Die Beschwerdeführer haben Verfassungsbeschwerde erhoben, mit der sie eine Verletzung von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 GG rügen. Sie legen dar, dass eine Gefährdung des Kindeswohls, die eine Trennung des Kindes von den Eltern rechtfertigen könnte, nicht festgestellt worden sei. Die Fachgerichte hätten es versäumt, die von Dritten beschriebenen Gefahren einer eigenen, spezifisch rechtlichen Beurteilung zu unterziehen. Die Gefahr sei nicht derart dringend gewesen, dass die Trennung im Wege der einstweiligen Anordnung hätte erfolgen dürfen. Die Fachgerichte hätten gar nicht geprüft, ob ein Aufschub bis zur vollständigen Sachverhaltsklärung möglich gewesen wäre. Die Entscheidungen seien außerdem unverhältnismäßig. Die Maßnahme sei nicht geeignet, die Situation des Kindes zu verbessern. Die Fachgerichte hätten sich mit den erheblichen traumatisierenden Folgen einer plötzlichen, für ein Kleinkind unverständlichen und überfallartigen Herausnahme aus dem elterlichen Haushalt überhaupt nicht befasst. Es sei zudem nicht nach milderen Mitteln gesucht worden.

13

3. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen, das Jugendamt, die Ergänzungspflegerin und die Verfahrensbeiständin des Kindes aus dem Ausgangsverfahren hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Akten des familiengerichtlichen Ausgangsverfahrens lagen der Kammer vor.

II.

14

1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, soweit sie sich gegen die zweite Entscheidung des Amtsgerichts und gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts richtet, weil dies zur Durchsetzung des als verletzt gerügten Elternrechts der Beschwerdeführer angezeigt ist, § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG. Diese Entscheidung kann von der Kammer getroffen werden, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden und die Verfassungsbeschwerde danach offensichtlich begründet ist, § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG.

15

2. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist insoweit begründet, weil die Entscheidung des Amtsgerichts vom 4. Juli 2013 und die Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 4. Oktober 2013 die Beschwerdeführer in ihrem grundrechtlich geschützten Elternrecht verletzen (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG). Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihres Kindes. Der Schutz des Elternrechts erstreckt sich auf die wesentlichen Elemente des Sorgerechts, ohne die Elternverantwortung nicht ausgeübt werden kann (vgl. BVerfGE 84, 168 <180>; 107, 150 <173>). Eine Trennung des Kindes von seinen Eltern stellt den stärksten Eingriff in dieses Recht dar. Sie ist nach Art. 6 Abs. 3 GG allein zu dem Zweck zulässig, das Kind vor nachhaltigen Gefährdungen zu schützen (a) und darf nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen (b). Dem genügen die beiden Entscheidungen nicht.

16

a) Den Entscheidungen ist nicht mit hinreichender Sicherheit zu entnehmen, dass eine die Trennung des Kindes von den Eltern rechtfertigende Kindeswohlgefährdung vorliegt. An die Annahme einer solchen Kindeswohlgefährdung sind von Verfassungs wegen strenge Anforderungen zu stellen (aa). Dem genügen die zweite Entscheidung des Amtsgerichts (bb) und die Entscheidung des Oberlandesgerichts (cc) nicht. Dass eine die Trennung rechtfertigende Gefahr des Kindeswohls besteht, liegt angesichts der fachgerichtlichen Feststellungen auch nicht so offen zu Tage, dass sich nähere Ausführungen der Gerichte ausnahmsweise erübrigen könnten (dd).

17

aa) Der verfassungsgerichtlichen Überprüfung eines Sorgerechtsentzugs liegen besondere Maßstäbe zugrunde. Die Annahme einer - die Trennung des Kindes von den Eltern allein rechtfertigenden - Kindeswohlgefährdung unterliegt strengen Voraussetzungen (1). Damit verbunden sind hohe Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung, die grundsätzlich auch im fachgerichtlichen Eilverfahren gelten (2). Gerichtliche Entscheidungen über eine die Trennung des Kindes von den Eltern vorbereitende Sorgerechtsentziehung unterliegen intensiver Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht (3).

18

(1) Soweit es um die Trennung des Kindes von seinen Eltern geht, ist die Sorgerechtsentziehung verfassungsrechtlich nur bei einer Gefährdung des Kindeswohls zu rechtfertigen, an deren Annahme strenge Anforderungen zu stellen sind. Eine Trennung des Kindes von seinen Eltern ist allein zu den in Art. 6 Abs. 3 GG genannten Zwecken zulässig. Danach darf ein Kind gegen den Willen des Sorgeberechtigten nur von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn das Kind aus anderen Gründen zu verwahrlosen droht. Dabei berechtigen nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit der Eltern den Staat, auf der Grundlage seines ihm nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG zukommenden Wächteramts die Eltern von der Pflege und Erziehung ihres Kindes auszuschalten oder gar selbst diese Aufgabe zu übernehmen (vgl. BVerfGE 24, 119 <144 f.>; 60, 79 <91>). Es gehört nicht zur Ausübung des Wächteramts des Staates, gegen den Willen der Eltern für eine bestmögliche Förderung der Fähigkeiten des Kindes zu sorgen. Das Grundgesetz hat die primäre Entscheidungszuständigkeit von Eltern zur Förderung ihres Kindes anerkannt. Dabei wird auch in Kauf genommen, dass Kinder durch Entscheidungen der Eltern wirkliche oder vermeintliche Nachteile erleiden (vgl. BVerfGE 60, 79 <94>). Um eine Trennung des Kindes von den Eltern zu rechtfertigen, muss das elterliche Fehlverhalten vielmehr ein solches Ausmaß erreichen, dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist (vgl. BVerfGE 60, 79 <91>). Ihren einfachrechtlichen Ausdruck hat diese Anforderung in § 1666 Abs. 1 BGB gefunden. Die Annahme einer nachhaltigen Gefährdung des Kindes setzt voraus, dass bereits ein Schaden des Kindes eingetreten ist oder eine Gefahr gegenwärtig in einem solchen Maße besteht, dass sich bei ihrer weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (vgl. BVerfGK 19, 295 <301>; BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2004 - XII ZB 166/03 -, FamRZ 2005, S. 344 <345>).

19

(2) (a) Neben diesen materiellrechtlichen Vorgaben kommt auch der Ausgestaltung des gerichtlichen Verfahrens hohe Bedeutung für die Gewährleistung effektiven Grundrechtsschutzes zu (vgl. BVerfGE 63, 131 <143>). In Sorgerechtsverfahren haben die Familiengerichte das Verfahren so zu gestalten, dass es geeignet ist, eine möglichst zuverlässige Grundlage zu schaffen (vgl. BVerfGE 55, 171 <182>). Damit sind hohe Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung gestellt, die so erfolgen muss, dass sich die materiellrechtlich geforderte hohe Prognosesicherheit ("mit ziemlicher Sicherheit", vgl. BVerfGK 19, 295 <301>) tatsächlich erzielen lässt.

20

(b) Steht wie hier eine Entscheidung im Eilverfahren in Rede, bleiben die praktisch verfügbaren Aufklärungsmöglichkeiten angesichts der spezifischen Eilbedürftigkeit dieser Verfahren allerdings regelmäßig hinter den im Hauptsacheverfahren bestehenden Möglichkeiten zurück. Eine Sorgerechtsentziehung aufgrund summarischer Prüfung im Wege der einstweiligen Anordnung ist damit zwar nicht ausgeschlossen. Sie unterliegt jedoch besonderen verfassungsrechtlichen Anforderungen.

21

(aa) Generell ist die Frage, wie weit die Sachverhaltsermittlung im Eilverfahren reichen muss, in Ansehung der gegen und für eine Eilmaßnahme sprechenden Grundrechte zu beantworten. Je schwerer die dem Einzelnen auferlegte Belastung wiegt und je mehr die Maßnahme Unabänderliches bewirkt, umso gesicherter muss die Tatsachengrundlage des Grundrechtseingriffs sein (vgl. BVerfGE 67, 43 <58 f.>; 69, 315 <363 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 23. Januar 2008 - 1 BvR 2911/07 -, juris, Rn. 25). Andererseits kann umso eher auf ungesicherter Tatsachengrundlage entschieden werden, je schwerer das zu schützende Rechtsgut wiegt und je eilbedürftiger die Entscheidung ist.

22

(bb) Danach bemisst sich die gebotene Intensität der Sachverhaltsermittlung im Fall des Sorgerechtsentzugs im Eilverfahren einerseits nach dem Recht der Eltern, von einem unberechtigten Sorgerechtsentzug verschont zu bleiben (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) und andererseits nach dem Recht des Kindes, durch die staatliche Gemeinschaft vor nachhaltigen Gefahren, insbesondere für sein körperliches Wohl geschützt zu werden, die ihm im elterlichen Haushalt drohen (Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG). Von einer unberechtigten Trennung von den Eltern verschont zu bleiben, liegt im Übrigen auch im durch das Grundrecht auf Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, vgl. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 19. Februar 2013 - 1 BvL 1/11 u.a. -, juris, Rn. 41 ff.; Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2013 - 1 BvL 6/10 -, juris, Rn. 101) geschützten Interesse des Kindes.

23

Weil bereits der vorläufige Entzug des Sorgerechts einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte der Eltern und des Kindes darstellt und weil schon die vorläufige Herausnahme des Kindes aus der Familie Tatsachen schaffen kann, welche später nicht ohne Weiteres rückgängig zu machen sind, sind grundsätzlich auch bei einer Sorgerechtsentziehung im Eilverfahren hohe Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung zu stellen. Sie sind umso höher, je geringer der möglicherweise eintretende Schaden des Kindes wiegt und in je größerer zeitlicher Ferne der zu erwartende Schadenseintritt liegt. So fehlt es regelmäßig an der gebotenen Dringlichkeit einer Maßnahme, wenn sich die drohenden Beeinträchtigungen erst über längere Zeiträume entwickeln und sich die Gefährdungslage im Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht derart verdichtet hat, dass ein sofortiges Einschreiten geboten wäre.

24

Ohne weitergehende Sachverhaltsaufklärung können die Gerichte angesichts besonderer Schwere und zeitlicher Nähe der dem Kind drohenden Gefahr eine Trennung des Kindes von seinen Eltern allerdings dann veranlassen, wenn die Gefahr wegen der Art der zu erwartenden Schädigung des Kindes und der zeitlichen Nähe des zu erwartenden Schadenseintritts ein sofortiges Einschreiten gebietet. Ein sofortiges Einschreiten aufgrund vorläufiger Ermittlungsergebnisse kommt im Eilverfahren etwa bei Hinweisen auf körperliche Misshandlungen, Missbrauch oder gravierende, gesundheitsgefährdende Formen der Vernachlässigung in Betracht.

25

(3) Bei der verfassungsgerichtlichen Überprüfung eines die Trennung des Kindes von den Eltern vorbereitenden Sorgerechtsentzugs kommt ein strenger Kontrollmaßstab zur Anwendung. Zwar sind die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und die Würdigung des Tatbestandes sowie die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Regelungen im einzelnen Fall grundsätzlich Angelegenheit der zuständigen Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Dem Bundesverfassungsgericht obliegt im Regelfall lediglich die Kontrolle, ob die angegriffene Entscheidung Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts oder vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen (vgl. BVerfGE 72, 122 <138>; stRspr). Bei gerichtlichen Entscheidungen, die Eltern zum Zweck der Wegnahme des Kindes das Sorgerecht für ihr Kind entziehen, besteht hingegen wegen des sachlichen Gewichts der Beeinträchtigung der Grundrechte von Eltern und Kind Anlass, über den grundsätzlichen Prüfungsumfang hinauszugehen (vgl. BVerfGE 55, 171 <181>; 75, 201 <221 f.>). Vor allem prüft das Bundesverfassungsgericht, ob das Familiengericht in nachvollziehbarer Weise angenommen hat, es bestehe eine nachhaltige Gefährdung des Kindeswohls und diese sei nur durch die Trennung des Kindes von den Eltern, nicht aber durch weniger intensiv eingreifende Maßnahmen abwendbar. Dabei kann sich die verfassungsgerichtliche Kontrolle wegen des besonderen Eingriffsgewichts ausnahmsweise auch auf einzelne Auslegungsfehler (vgl. BVerfGE 60, 79 <91>; 75, 201 <222>) sowie auf deutliche Fehler bei der Feststellung und Würdigung des Sachverhalts erstrecken.

26

bb) Die Entscheidung des Amtsgerichts vom 4. Juli 2013 verletzt das Grundrecht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Das Gericht hat - auch nach eigener Einschätzung - nicht auf gesicherter Ermittlungsgrundlage entschieden; es beabsichtigt, das aus seiner Sicht notwendige Sachverständigengutachten, das sowohl psychiatrischen wie familienpsychologischen Sachverstand erfordere, erst in einem Hauptsacheverfahren einzuholen. Wegen der Intensität des Grundrechtseingriffs durfte der die Wegnahme des Kindes vorbereitende Sorgerechtsentzug auf diesen vorläufigen Ermittlungsstand nur dann gestützt werden, wenn die Gefahr einer schweren und zeitlich nahen Kindeswohlgefahr bestand, die ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung ausschloss. Das Gericht hat das Bestehen einer solchen Kindeswohlgefahr nicht nachvollziehbar festgestellt. Es geht davon aus, dass die Beschwerdeführer bisher nicht in der Lage waren, ihr Verhalten gegen-einander und gegenüber dem Kind so zu steuern, dass eine Kindeswohlgefährdung vermieden wurde. Die Entwicklung des Kindes sei bereits beeinträchtigt. Das Kind verweigere häufiger das Essen, zeige aggressives Verhalten gegenüber anderen Kindern und Erzieherinnen, wenn diese ihr Grenzen setzten und halte bei jeder schnellen Bewegung oder einem etwas lauteren Ton die Hände über den Kopf und zucke zusammen. Die Beschwerdeführerin sei wegen ihrer Erkrankung gegenwärtig nicht in der Lage, das Kind so zu betreuen, dass das Kindeswohl ausreichend gesichert sei. Mit diesen Ausführungen benennt das Gericht weder die konkrete Art und das Gewicht der Gefahren, die dem Kind bei einem Verbleib im elterlichen Haushalt drohen könnten, noch erfolgt eine richterliche Einschätzung der zeitlichen Dringlichkeit der Fremdunterbringung. Beides wäre angesichts des lediglich vorläufigen Ermittlungsstands, welcher der Entscheidung zugrunde lag, verfassungsrechtlich notwendig gewesen. Da das Kind zu diesem Zeitpunkt bereits aus dem elterlichen Haushalt herausgenommen und die unterstellte Kindeswohlgefahr damit vorläufig gebannt war, stand das Amtsgericht - anders als bei der ersten Entscheidung (s.u., III.) - auch nicht unter solch außergewöhnlichem Zeitdruck, dass sich die notwendigen richterlichen Ermittlungen, Darlegungen und Einschätzungen ausnahmsweise erübrigten.

27

cc) Auch anhand der Begründung der Entscheidung des Oberlandesgerichts lässt sich nicht nachvollziehen, worin die sachliche und zeitliche Dringlichkeit einer Trennung des Kindes von seinen Eltern zu sehen ist, die den Sorgerechtsentzug auf Grundlage des nach wie vor lediglich vorläufig ermittelten Sachverhalts allein rechtfertigen könnte. Das Gericht spricht von einer konkreten Gefahr für die Entwicklung des Kindes, ohne jedoch die Art der Gefahr und die zeitliche Dringlichkeit der Herausnahme des Kindes zu spezifizieren. Das Gericht erwähnt zwar Berichte über psychische Erkrankungen der Beschwerdeführerin, über erhebliche Streitigkeiten der Eltern und über auffällige Verhaltensweisen des Kindes im Bereich des oppositionell-aggressiven Verhaltens bei gering ausgeprägten sozialen Kompetenzen. Auch insoweit unterbleiben aber eine Benennung und Bewertung der Art des dem Kind im elterlichen Haushalt drohenden Schadens. Dass dem Kind ein schwerer Schaden droht, der ein sofortiges Einschreiten wegen der zeitlichen Nähe des Schadenseintritts erforderte, wird auch nicht durch die bloße Wiedergabe der Beobachtung begründet, das Kind halte bei jeder schnellen Bewegung oder einem etwas lauteren Ton die Hände über den Kopf und zucke zusammen.

28

dd) Dass dem Kind im Haushalt der Eltern in naher Zukunft eine schwere Gefahr drohte, ist nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen auch nicht solchermaßen offenkundig, dass nähere Ausführungen der Gerichte verfassungsrechtlich entbehrlich wären. Der von den Gerichten benannte, aber nicht weiter analysierte Umstand, dass mehreren Betreuern des Mädchens schreckhafte Reaktionen auf laute Ansprache, teilweise auch auf schnelle Bewegungen aufgefallen waren, mag die Vermutung erlauben, das Kind habe körperliche Gewalt erlebt, lässt darauf ohne nähere Erläuterungen jedoch nicht hinreichend deutlich schließen. Weder das psychiatrische Gutachten des Gesundheitsamts noch die langjährige Familienhelferin hatten berichtet, dass es in der Vergangenheit zu körperlicher Gewalt der Beschwerdeführerin gegen das Kind gekommen sei. Laut Antragsschrift des Jugendamts hat die Beschwerdeführerin selbst von einer Ohrfeige berichtet, die sie ihrer Tochter (wohl im Jahr 2011) gegeben habe, als sie sich überfordert gefühlt habe. Sie habe ihr Fehlverhalten bedauert und sich dafür geschämt. Für eine darüber hinausgehende Gewalttätigkeit gegenüber ihrer Tochter spricht dies nicht; auch sonst ist nichts ersichtlich, was hierauf mit hinreichender Sicherheit schließen ließe.

29

b) Inwieweit die zweite Entscheidung des Amtsgerichts und die Entscheidung des Oberlandesgerichts darüber hinaus den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzen (siehe dazu BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2014 - 1 BvR 160/14 -, juris), bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Sofern das Oberlandesgericht die Fremdunterbringung des Kindes weiterhin für geboten erachten sollte, wird es insoweit prüfen müssen, ob die Großmutter des Mädchens oder seine Tante zum Ergänzungspfleger zu bestellen sind. Die Unterbringung des Kindes bei Verwandten kann im Vergleich zur Heimunterbringung eine Eltern und Kind weniger stark belastende Maßnahme sein. Ist die Verwandtenunterbringung zur Abwendung der Kindeswohlgefahr ebenso geeignet, genügt die Heimunterbringung nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

30

Die vom Amtsgericht und vom Oberlandesgericht angeführten Gründe dafür, warum von einer Bestellung der Verwandten als Ergänzungspfleger abzusehen sei, begegnen teilweise erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Das gilt etwa für die Erwägung, das Mädchen habe sich gerade in ihrer neuen Umgebung eingewöhnt und ein erneuter Aufenthaltswechsel belaste das Kind. Das Kind ist in einer sogenannten Kriseninterventionsgruppe untergebracht, die keine Dauer-lösung bietet, so dass dem Kind ohnehin ein weiterer Wechsel bevorsteht. Davon abgesehen kann das Argument der Eingewöhnung in den Fällen einer auf vorläufiger Sorgerechtsentziehung beruhenden Fremdunterbringung grundsätzlich nicht durchgreifen, weil damit Entscheidungen, die im Eilverfahren auf wenig gesicherter tatsächlicher Grundlage gefällt werden, faktisch endgültig zu werden drohen, da sie die Voraussetzungen für den Fortbestand der Trennung schaffen. Auch das Argument, es sei damit zu rechnen, dass die Beschwerdeführerin bei einer Verwandtenunterbringung weiterhin starken Einfluss auf die Entwicklung des Kindes haben würde, begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken. Diese Aussage geht darüber hinweg, dass die Verwandtenunterbringung gerade auch deshalb ein milderes Mittel darstellt, weil sie es den Eltern ermöglicht, den Kontakt zum Kind leichter zu halten und dessen Entwicklung weiter zu beeinflussen, soweit dies dem Kindeswohl nicht schadet.

III.

31

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, soweit die Beschwerdeführer sich gegen die Entscheidung des Amtsgerichts vom 24. Mai 2013 wenden. Insoweit kommt der Sache weder grundlegende Bedeutung zu noch ist die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführer angezeigt. Diese Entscheidung ist verfassungsgemäß.

32

Die Annahme des Amtsgerichts in seiner Entscheidung vom 24. Mai 2013, es liege eine die Trennung des Kindes von den Eltern rechtfertigende Kindeswohlgefährdung vor, hält verfassungsrechtlicher Kontrolle am Maßstab des Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 GG noch stand.

33

Die Entscheidung des Amtsgerichts beruht auf summarischer Prüfung, die sich in tatsächlicher Hinsicht allein auf die Antragsschrift des Jugendamts und die psychiatrische Stellungnahme des Gesundheitsamts stützt. Das Gericht hätte eine weitergehende Sachverhaltsaufklärung zur Frage der Kindeswohlgefahr in der kurzen Zeit, die zwischen dem am Freitag dem 24. Mai 2013 beim Amtsgericht eingegangenen Antrag des Jugendamts und der vom Jugendamt für den Vormittag des Montags den 27. Mai 2013 geplanten Herausnahme des Kindes aus dem elterlichen Haushalt verblieb, kaum vornehmen können.

34

Den Ausführungen des Amtsgerichts ist die angesichts dieser noch sehr ungewissen Ermittlungslage verfassungsrechtlich geforderte Dringlichkeit der Herausnahme des Kindes aus dem elterlichen Haushalt zwar nicht unmittelbar zu entnehmen. Es benennt die Gefahren für das Kindeswohl nur sehr allgemein und verzichtet auf eine Bewertung ihrer Schwere und Dringlichkeit. Das Amtsgericht mag aus den in seiner Entscheidung in Bezug genommenen Ausführungen des Jugendamts und des Gesundheitsamts jedoch die Möglichkeit einer jederzeit aktualisierbaren Gefahr für Leib und Leben des Kindes abgeleitet haben. Das Jugendamt hat unter Verweis auf die psychiatrische Stellungnahme des Gesundheitsamts ausgeführt, eine akute Kindeswohlgefährdung werde eintreten, wenn die Beschwerdeführerin ihre wiederholt geäußerten Tötungsphantasien im Rahmen von krisenhaften Konflikten oder überfordernden Kontextänderungen nicht mehr kontrollieren könne. Zwar findet diese Einschätzung in den vom Jugendamt wiedergegebenen Aussagen keine hinreichende Grundlage. Dort wird über früher geäußerte Tötungsgedanken und fremdaggressives Verhalten gegenüber dem Ehemann berichtet, was zu einem Klinikaufenthalt im Sommer 2011 führte. Laut Klinik sind fremdaggressive Impulse gegenüber dem Kind jedoch tatsächlich nicht aufgetreten. Das Jugendamt erwähnt in seiner Antragsschrift einen Bericht der Familienhelferin, die Beschwerdeführerin habe das Foto eines zu Tode gekommenen Mädchens aufgestellt, weil ihr der Fall sehr nahe gehe, und sie spreche darüber, dass ihr das vor zwei Jahren auch hätte passieren können. Dies lässt aber nicht den Schluss auf eine auch nur halbwegs reale, aktuelle Tötungsneigung gegenüber dem Kind zu. Zu Recht wurde dieser Aspekt weder in der zweiten Entscheidung des Amtsgerichts noch in der Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts aufgegriffen, die beide nicht unter demselben Zeitdruck getroffen werden mussten, unter dem das Amtsgericht hier stand.

35

Angesichts einer sehr hohen Schadensintensität, die durch den Antragsschriftsatz des Jugendamts angedeutet war, ist die Annahme, das Kind müsse zur Abwendung einer Gefahr für Leib und Leben sofort aus der Familie herausgenommen werden, noch nachvollziehbar. Wegen des besonderen Zeitdrucks genügt insoweit ausnahmsweise auch die bloße Bezugnahme auf die Ausführungen des Jugendamts und die psychiatrische Stellungnahme durch das Gericht noch verfassungsrechtlichen Anforderungen.

IV.

36

1. Es wird lediglich der Beschluss des Oberlandesgerichts, soweit er die Entziehung des Sorgerechts bestätigt, aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG), weil er dem Interesse der Beschwerdeführer, möglichst rasch eine das Verfahren abschließende Entscheidung zu erhalten (vgl. BVerfGE 84, 1 <5>; 94, 372 <400>), am besten dient.

37

2. Mit der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (vgl. BVerfGE 105, 197 <235>; stRspr).

38

3. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.

39

Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

Tenor

1. Der Beschluss des Amtsgerichts Landau in der Pfalz vom 19. Juni 2013 - 1 F 287/12 - und der Beschluss des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 8. November 2013 - 2 UF 106/13 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes und werden aufgehoben.

2. Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

3. Das Land Rheinland-Pfalz hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

4. Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) und für das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf 12.500 € (in Worten: zwölftausendfünfhundert Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführerin wendet sich - gleichzeitig im Wege des Eilantrags - gegen den Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts und des Rechts zur Beantragung von Hilfen zur Erziehung für ihre beiden in den Jahren 2009 und 2011 geborenen jüngsten Kinder.

2

1. a) Die Beschwerdeführerin ist Mutter von fünf Kindern. Ihre älteste, nichteheliche Tochter ist bereits volljährig und wohnt nicht mehr im mütterlichen Haushalt. Aus einer mittlerweile rechtskräftig geschiedenen Ehe sind zwei weitere Kinder, geboren 2001 und 2004, hervorgegangen, die nach Trennung und Scheidung zunächst in der Obhut der Beschwerdeführerin lebten. Nach der Scheidung wurde die Beschwerdeführerin 2009 und 2011 Mutter der beiden hier betroffenen Kinder, die zunächst ebenfalls in der Obhut der Mutter aufwuchsen.

3

Seit 2009 erhielt die Familie Erziehungshilfen in Form von sozialpädagogischer Familienhilfe. Dabei waren nacheinander zwei verschiedene Träger im Einsatz. Da diese familienunterstützende Maßnahme nicht ausreichte, erhielt die Familie zusätzlich eine ambulante flexible Hilfe durch eine Hauswirtschafterin. Die Hilfen wurden vom Kreisjugendamt zum 1. Januar 2013 eingestellt.

4

Im Jahr 2010 durchlitt die Beschwerdeführerin eine mehrmonatige mittelgradige depressive Episode. Diese führte im Jahr 2010 zu einer parasuizidalen Tabletteningestion, in deren Folge die Beschwerdeführerin unterschiedliche medizinische, psychiatrische und psychotherapeutische Behandlungen stationärer und ambulanter Art erfuhr.

5

Mit Schriftsatz vom 6. November 2012 beantragte der geschiedene Ehemann die Übertragung der elterlichen Sorge für die beiden gemeinsamen Kinder auf sich. Das Kreisjugendamt beantragte am 12. November 2012 die Einleitung eines Verfahrens gemäß § 1666 BGB bezüglich der vier minderjährigen Kinder der Beschwerdeführerin. Mit Schreiben vom 27. Februar 2013 beantragte das Kreisjugendamt die Anordnung familiengerichtlicher Eilmaßnahmen. Die Situation der betroffenen Kinder habe sich deutlich verschlechtert, so dass nun ein akuter Handlungsbedarf bestehe. Durch gerichtliche Vereinbarung vom 27. März 2013 einigten sich die Eltern darauf, dass der Sohn der geschiedenen Eheleute bis auf Weiteres beim Vater lebt.

6

b) Mit Beschluss vom 27. März 2013 entschied das Amtsgericht nach Anhörung der Kinder sowie nach Anhörung unterschiedlicher professionell Beteiligter, von familiengerichtlichen Maßnahmen im Wege der einstweiligen Anordnung abzusehen.

7

c) Mit Beschluss vom 17. Juni 2013 übertrug das Familiengericht die elterliche Sorge für die beiden gemeinsamen Kinder gemäß § 1671 Abs. 1 BGB auf den Vater. Auch die gemeinsame Tochter zog daraufhin zum Vater. Nach persönlicher Anhörung der Beteiligten durch den Senat nahm die Beschwerdeführerin ihre gegen den amtsgerichtlichen Beschluss eingelegte Beschwerde auf Empfehlung des Oberlandesgerichts mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2013 zurück.

8

d) Durch angegriffenen Beschluss des Amtsgerichts vom 19. Juni 2013 wurde - nach Einholung eines Sachverständigengutachtens - der Beschwerdeführerin die elterliche Sorge für die beiden bei ihr verbliebenen Kinder hinsichtlich der Teilbereiche Aufenthaltsbestimmung und Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen entzogen und auf das Kreisjugendamt als Ergänzungspfleger übertragen. Das Kindeswohl sei aufgrund (unverschuldeten) Versagens der Mutter im Fall eines weiteren Wohnens im mütterlichen Haushalt gefährdet.

9

Das Gericht stützte sich dabei ausdrücklich im Wesentlichen auf die Erkenntnisse der Sachverständigen: Diese kämen zu dem Ergebnis, dass eine Fremdunterbringung sinnvoll sei, um den beiden Kindern die Chance auf eine ruhige, gesunde, sichere und verlässliche Umgebung ohne gravierende Mängel in der Basisversorgung zu geben. Die Mutter sei in der allgemeinen Erziehungsfähigkeit deutlich eingeschränkt. Hinsichtlich der speziellen Erziehungsfähigkeit seien insbesondere bei den Teilaspekten körperliche Versorgung und Schutz sowie Vermittlung von Regeln erhebliche Einschränkungen festgestellt worden. Die Mutter befinde sich aufgrund eigener psychischer Erkrankung und ihrer Persönlichkeitsstruktur im Allgemeinen in einer dauernden Überlastungssituation. Hierdurch sei es trotz des großen von außerhalb in der Familie installierten Helfersystems offenbar wiederholt zu Situationen gekommen, die das körperliche, geistige und seelische Wohl der Kinder zumindest mittelfristig gefährdet hätten und auch zukünftig gefährden könnten. Die fachlichen Empfehlungen der durch das Jugendamt installierten Hilfspersonen seien von der Mutter regelmäßig nicht umgesetzt worden.

10

Das Gericht verkenne nicht, dass es der Mutter unter Inanspruchnahme der diversen durch das Jugendamt installierten Hilfsmaßnahmen zeitweise gelungen sei, eine positive Entwicklung hinsichtlich der Strukturierung des Haushalts und der Kindererziehung in Gang zu setzen. Nachdem allerdings die Fortführung von Hilfemaßnahmen durch das Jugendamt abgelehnt werde und die Mutter daher selbst für eine Verbesserung der Lebens- und Wohnsituation sorgen müsste, sei davon auszugehen, dass für die betroffenen Kinder im Haushalt der Mutter eine latente Gefahrensituation bestehe. Die Anordnung sonstiger, milderer Maßnahmen komme nicht in Betracht. Die Inanspruchnahme öffentlicher Hilfen scheide bereits deswegen aus, weil das zuständige Jugendamt die Durchführung weiterer Hilfemaßnahmen im Haushalt der Mutter ablehne. Das Jugendamt sehe keine geeigneten Hilfsansätze und betrachte die Hilfemaßnahmen als gescheitert. Das Familiengericht sei insoweit an den Beurteilungsrahmen des Jugendamts gebunden.

11

e) Gegen die erstinstanzliche Entscheidung legte die Beschwerdeführerin Beschwerde ein und beantragte zugleich die Aussetzung ihrer Vollziehung. Hierauf stellte das Amtsgericht mit Beschluss vom 25. Juni 2013 die Vollstreckung seines Beschlusses vom 19. Juni 2013 einstweilen ein.

12

f) Die Beschwerde der Beschwerdeführerin wurde durch angegriffenen Beschluss des Oberlandesgerichts vom 8. November 2013 zurückgewiesen. Der Senat teile die Einschätzung des Familiengerichts, dass es zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung erforderlich sei, der Mutter die elterliche Sorge für ihre beiden jüngsten Kinder in den Teilbereichen Aufenthaltsbestimmung und Beantragung von Hilfen zur Erziehung zu entziehen. Nach den überzeugenden Feststellungen der Sachverständigen sei die Mutter in ihrer Erziehungsfähigkeit erheblich eingeschränkt. Sie sei nicht in der Lage, ausreichend Verantwortung für ihre Kinder wahrzunehmen und sie zu erziehen und zu fördern. Die Sachverständigen hätten im Rahmen ihrer eingehenden Begutachtung erhebliche Defizite bereits bei der Erfüllung der Minimalanforderungen an eine ausreichende körperliche Versorgung und den Schutz der beiden Kinder sowie bei der Vermittlung von Regeln festgestellt.

13

Auch im Rahmen der über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren installierten intensiven familienpädagogischen Betreuung sei es nicht im erforderlichen Maß gelungen, der Mutter die zur eigenverantwortlichen und eigenständigen Betreuung, Versorgung und Erziehung ihrer Kinder erforderlichen Fähigkeiten zu vermitteln. Aus Sicht der in die ambulante Hilfe einbezogenen Fachkräfte sei auf diesem Weg eine Verbesserung der Situation nicht mehr zu erwarten gewesen. Die Hilfsmöglichkeiten seien ausgeschöpft, die Familienhilfe habe erfolglos beendet werden müssen. Der Senat sehe sich an diese Einschätzung der mit der konkreten Situation vertrauten Fachkräfte gebunden. Er habe keine Veranlassung, an deren Richtigkeit zu zweifeln. Alle in die Familienhilfe eingebundenen Personen hätten gleichermaßen berichtet, dass sich die häusliche Situation und die Entwicklung der Kinder mit der intensiven Unterstützung durch Familienhilfe, Hauswirtschafterin und sozialpädagogische Begleitung zwar (zunächst) verbessert habe, dass mit diesen Hilfen aber keine anhaltenden Veränderungen im Verhalten der Mutter hätten erreicht werden können, ihr insbesondere nicht die Fähigkeiten hätten vermittelt werden können, die Bedürfnisse ihrer Kinder selbständig zu erkennen und entsprechend zu handeln.

14

g) Die beiden Kinder wurden am 15. November 2013 in eine Pflegefamilie überführt.

15

h) Die durch die Beschwerdeführerin erhobene Anhörungsrüge wurde mit Beschluss des Oberlandesgerichts vom 19. Dezember 2013 zurückgewiesen.

16

2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und Art. 103 Abs. 1 GG.

17

Aufgrund des Sachverhalts habe das Oberlandesgericht nicht zur Feststellung eines bereits eingetretenen Schadens der Kinder oder einer gegenwärtigen nachhaltigen Gefährdung gelangen können. Die Sachverständigen hätten im Rahmen ihrer Begutachtung festgestellt, dass eine akute Kindeswohlgefährdung nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden könne und aus gutachterlicher Sicht nicht sicher als gegeben angesehen werde. Die von den Sachverständigen festgestellte mittelfristige Gefährdungslage reiche nicht aus, um der Beschwerdeführerin das Aufenthaltsbestimmungsrecht entziehen zu können.

18

Darüber hinaus hätten beide Instanzen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht beachtet. Das Amtsgericht sei zu einer Verhältnismäßigkeitsprüfung erst gar nicht vorgedrungen, weil es rechtsirrig davon ausgegangen sei, dass dem Jugendamt bei der Frage, ob der Beschwerdeführerin weiter ambulante Hilfe zu bewilligen sei oder die Kinder aus dem Haushalt der Beschwerdeführerin herausgenommen werden müssten, ein Beurteilungsrahmen zustehe, an den das Gericht gebunden sei. Das Oberlandesgericht sei im Rahmen seiner Entscheidung zu dem Ergebnis gekommen, mildere Mittel zur Abwehr der Gefährdung stünden nicht zur Verfügung. Es habe insoweit jedoch wesentlichen Vortrag und wesentliche Beweisantritte der Beschwerdeführerin übergangen.

19

Das Oberlandesgericht beschäftige sich im Rahmen seiner Entscheidung überhaupt nicht mit der in zweiter Instanz neu aufgetretenen Situation, dass bereits vor Erlass seiner Entscheidung am 8. November 2013 festgestanden habe, dass die Beschwerdeführerin fortan nur noch ihre beiden kleinen Kinder in Obhut habe, so dass die von den Sachverständigen dargelegte Überforderungssituation bei Betreuung der vier Kinder nicht mehr bestanden habe.

20

3. Die Akten des Ausgangsverfahrens und des Kreisjugendamts lagen der Kammer vor.

21

4. Die Verfassungsbeschwerde wurde der Landesregierung Rheinland-Pfalz, dem Kreisjugendamt und der Verfahrensbeiständin zugestellt. Es wurden keine Stellungnahmen abgegeben.

II.

22

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt.

23

Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Eltern-rechts der Beschwerdeführerin geboten (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Zu dieser Entscheidung ist die Kammer berufen, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet ist (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

24

1. Die Beschwerdeführerin wird durch die angegriffenen Entscheidungen in ihrem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt.

25

a) Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Der Schutz des Elternrechts erstreckt sich auf die wesentlichen Elemente des Sorgerechts, ohne die Elternverantwortung nicht ausgeübt werden kann (vgl. BVerfGE 84, 168 <180>; 107, 150 <173>). Eine Trennung der Kinder von ihren Eltern stellt den stärksten Eingriff in dieses Recht dar. Sie ist nach Art. 6 Abs. 3 GG allein zu dem Zweck zulässig, das Kind vor nachhaltigen Gefährdungen zu schützen (s.u., b)) und darf nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen (s.u., c)). Diesen Anforderungen werden die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht.

26

Dabei kommt ein strenger Kontrollmaßstab zur Anwendung. Zwar sind die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und die Würdigung des Tatbestandes sowie die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Regelungen im einzelnen Fall grundsätzlich Angelegenheit der zuständigen Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Dem Bundesverfassungsgericht obliegt lediglich die Kontrolle, ob die angegriffene Entscheidung Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts oder vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen (vgl. BVerfGE 72, 122 <138>; stRspr). Bei gerichtlichen Entscheidungen, die Eltern zum Zweck der Trennung des Kindes von den Eltern das Sorgerecht für ihr Kind entziehen, besteht hingegen wegen des sachlichen Gewichts der Beeinträchtigung der Grundrechte von Eltern und Kindern Anlass, über den grundsätzlichen Prüfungsumfang hinauszugehen (vgl. BVerfGE 55, 171 <181>; 75, 201 <221 f.>). Vor allem prüft das Bundesverfassungsgericht, ob das Familiengericht in nachvollziehbarer Weise angenommen hat, es bestehe eine nachhaltige Gefährdung des Kindeswohls und diese sei nur durch die Trennung des Kindes von den Eltern, nicht aber durch weniger eingreifende Maßnahmen abwendbar. Dabei kann sich die verfassungsgerichtliche Kontrolle wegen des besonderen Eingriffsgewichts ausnahmsweise auch auf einzelne Auslegungsfehler (vgl. BVerfGE 60, 79 <91>; 75, 201 <222>) sowie auf deutliche Fehler bei der Feststellung und Würdigung des Sachverhalts erstrecken.

27

b) Die Annahme, hier liege eine die Trennung der Kinder von der Mutter rechtfertigende Kindeswohlgefährdung vor, hält verfassungsrechtlicher Kontrolle am strengen Maßstab des Art. 6 Abs. 2 und 3 GG nicht stand.

28

aa) Soweit es um die Trennung des Kindes von seinen Eltern geht, ist dieser Grundrechtseingriff allein zu den in Art. 6 Abs. 3 GG genannten Zwecken zulässig. Danach dürfen Kinder gegen den Willen des Sorgeberechtigten nur von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen. Dabei berechtigen nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit der Eltern den Staat auf der Grundlage seines ihm nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG zukommenden Wächteramts, die Eltern von der Pflege und Erziehung ihres Kindes auszuschalten oder gar selbst diese Aufgabe zu übernehmen (vgl. BVerfGE 24, 119 <144 f.>; 60, 79 <91>). Es gehört nicht zur Ausübung des Wächteramts des Staates, gegen den Willen der Eltern für eine bestmögliche Förderung der Fähigkeiten des Kindes zu sorgen. Das Grundgesetz hat den Eltern die primäre Entscheidungszuständigkeit bezüglich der Förderung ihrer Kinder zugewiesen. Dabei wird auch in Kauf genommen, dass Kinder durch Entscheidungen der Eltern wirkliche oder vermeintliche Nachteile erleiden (vgl. BVerfGE 60, 79 <94>; BVerfGK 13, 119 <124>). Um eine Trennung des Kindes von den Eltern zu rechtfertigen, muss das elterliche Fehlverhalten vielmehr ein solches Ausmaß erreichen, dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist (vgl. BVerfGE 60, 79 <91>). Ihren einfachrechtlichen Ausdruck hat diese Anforderung in § 1666 Abs. 1 BGB gefunden. Die Annahme einer nachhaltigen Gefährdung des Kindes setzt voraus, dass bereits ein Schaden des Kindes eingetreten ist oder eine Gefahr gegenwärtig in einem solchen Maße besteht, dass sich bei ihrer weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (vgl. BVerfGK 19, 295 <301>; BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2004 - XII ZB 166/03 -, FamRZ 2005, S. 344 <345>).

29

bb) Dass die beiden Kinder bei einem Verbleib bei ihrer Mutter in ihrem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet sind, lässt sich aufgrund der Erwägungen beider Gerichte nicht mit der gebotenen Sicherheit feststellen.

30

(1) Amtsgericht und Oberlandesgericht stützen die Feststellung einer Kindeswohlgefährdung maßgeblich auf das eingeholte Sachverständigengutachten, obwohl dieses weder ausdrücklich noch in der Sache zu dem Ergebnis gelangt, dass eine nachhaltige Kindeswohlgefährdung im Sinne eines bereits eingetretenen Schadens der Kinder oder einer gegenwärtigen Gefahr besteht. Die Gutachter führen aus, eine "akute Kindeswohlgefährdung" sei bei keinem der Kinder zweifelsfrei nachgewiesen. Zwar sehen sie eine "mittel- bzw. langfristige Gefährdung" des Kindeswohls. Eine künftige Gefährdung begründet jedoch keine nachhaltige Kindeswohlgefahr im verfassungsrechtlichen Sinne.

31

Vor diesem Hintergrund ist auch die im Wesentlichen auf die Feststellungen der Sachverständigen gestützte, in der Begründung beider Gerichte zentrale Annahme tatsächlich nicht hinreichend nachvollziehbar, die Mutter erfülle bereits die Minimalanforderungen an eine ausreichende körperliche Versorgung ihrer Kinder nicht. Das Oberlandesgericht führt dies nicht aus. Das Amtsgericht zitiert hierfür zwar zusätzlich die Feststellung der Sachverständigen, es bestünden Defizite der Beschwerdeführerin bei der Beschaffung von witterungsgerechter Kleidung für die Kinder, in der Organisation des Alltags, in der Hautpflege der Kinder mit Neurodermitis, hinsichtlich einer allergenarmen Umgebung zu Hause, bei der Zahnpflege, bei der Beschränkung des Medienkonsums und bei der Zubereitung kindgerechter Mahlzeiten. Diese Aufzählung von Defiziten lässt erkennen, dass hier keine guten Bedingungen für die Entwicklung eines Kindes bestehen. Auf einen eingetretenen Schaden oder eine gegenwärtige Gefahr im Sinne von Art. 6 Abs. 3 GG lässt die bloße Inbezugnahme dieser Umstände jedoch schon deshalb nicht schließen, weil die Sachverständigen selbst hieraus lediglich eine mittel- bis langfristige Gefährdung abgeleitet haben.

32

(2) Weil die Sachverständigen in ihrem Gutachten eine nachhaltige Kindeswohlgefahr weder im Ergebnis noch der Sache nach festgestellt haben, hätten die Gerichte selbst aufzeigen müssen, aus welchen Umständen sie schließen, dass bereits ein Schaden bei den Kindern eingetreten ist oder eine Gefahr gegenwärtig in einem solchen Maße besteht, dass sich bei ihrer weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt und worin dieser Schaden konkret besteht. Tatsächlich haben beide Gerichte weitere Umstände angeführt. Diese tragen die Annahme einer nachhaltigen Kindeswohlgefahr jedoch nicht.

33

(a) Das Amtsgericht führt ergänzend aus, die Unfähigkeit der Mutter, für eine schadfreie Umgebung der Kinder zu sorgen, zeige sich auch daran, dass sie, obwohl bei den beiden älteren Kindern chronische Hauterkrankungen vorlagen, nicht für ein hygienisches Lebensumfeld Sorge getragen habe. Die Wohnung sei oft in einem chaotischen und unhygienischen Zustand gewesen. Zudem habe die Mutter zuletzt auch noch einen Hund angeschafft. Bei im Übrigen körperlich gesunden Familienmitgliedern und grundsätzlich hygienischen Lebensumständen möge die Anschaffung eines Haustieres regelmäßig kein gewichtiger Negativfaktor sein. Unter Beachtung der Erkrankungen der Kinder und der ohnehin sehr bedenklichen Zustände der Wohnung zeige dies allerdings, dass die Mutter die eigene Situation und Belastbarkeit völlig falsch einschätze.

34

Zwar bietet die häusliche Situation der Beschwerdeführerin deren Kindern zweifelsohne auch insoweit keine guten Entwicklungsbedingungen. Eine die Trennung der Kinder von der Mutter rechtfertigende nachhaltige Kindeswohlgefahr vermag der vom Amtsgericht hervorgehobene Umstand, dass die Mutter trotz chronischer Hauterkrankungen der Kinder zusätzlich ein Haustier angeschafft hat, aber schon deshalb nicht zu begründen, weil die beiden hautkranken Kinder nicht mehr im Haushalt der Mutter leben. Dass die beiden verbliebenen Kinder unter vergleichbaren Gesundheitsproblemen leiden, ist nicht ersichtlich. Ungeachtet der Frage, ob das beschriebene Verhalten überhaupt eine Art. 6 Abs. 3 GG genügende nachhaltige Kindeswohlgefahr begründen konnte, lässt sich eine Trennung von Kind und Eltern grundsätzlich nicht auf eine in der Vergangenheit liegende Gefährdungslage stützen, weil es auch dann an der verfassungsrechtlich geforderten Gegenwärtigkeit einer konkreten Gefahr fehlt.

35

Das Amtsgericht selbst gelangt folgerichtig, jedoch verfassungsrechtlich nicht ausreichend lediglich zu der Einschätzung, dass für die betroffenen Kinder eine "latente" Gefahrensituation im Haushalt der Mutter bestehe.

36

(b) Eine nachhaltige Kindeswohlgefährdung lässt sich entgegen den Feststellungen des Oberlandesgerichts auch nicht aus dem Verhalten des älteren der beiden Kinder im Kindergarten herleiten. So begründen weder das von der Verfahrensbeiständin beschriebene introvertierte Wesen des Kindes noch eine gewisse Distanziertheit des Kindes zur Mutter und zu anderen Personen oder gar der Umstand, dass das Kind an Aktivitäten in der Kindergartengruppe nur eingeschränkt teilnehme und entweder allein oder mit zwei anderen Kindern spiele, die ebenfalls nur bedingt in die Gruppe integriert seien, eine die Trennung von Mutter und Kindern rechtfertigende Kindeswohlgefahr.

37

c) Die Entscheidungen genügen zudem nicht den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Die Trennung des Kindes von seinen Eltern darf nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen (vgl. BVerfGE 60, 79 <89>). Das setzt voraus, dass die Trennung zur Erreichung der Abwendung einer nachhaltigen Kindeswohlgefahr geeignet und erforderlich ist und dazu in angemessenem Verhältnis steht.

38

aa) Es lässt sich nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen, dass die Trennung der Kinder von der Mutter geeignet ist, die von den Gerichten angenommenen Gefahren zu beseitigen oder abzumildern. Zwar wäre die Trennung grundsätzlich geeignet, die nach Ansicht der Gerichte bei der Mutter für die Kinder bestehenden Gefahren zu beseitigen. Allerdings ruft die Trennung des Kindes von den Eltern regelmäßig eigenständige Belastungen des Kindes hervor, weil das Kind unter der Trennung selbst dann leiden kann, wenn sein Wohl bei den Eltern nicht gesichert war. Eine Maßnahme kann nicht ohne Weiteres als zur Wahrung des Kindeswohls geeignet gelten, wenn sie ihrerseits nachteilige Folgen für das Kindeswohl haben kann. Solche negativen Folgen einer Trennung des Kindes von den Eltern und einer Fremdunterbringung sind zu berücksichtigen (vgl. BVerfGK 19, 295 <303>) und müssten durch die Beseitigung der festgestellten Gefahr aufgewogen werden, so dass sich die Situation des Kindes in der Gesamtbetrachtung verbessern würde (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011 - XII ZB 247/11 -, FamRZ 2012, S. 99 <102>).

39

Dies lässt sich hier nicht feststellen. Weder das Oberlandesgericht noch das Amtsgericht haben die Folgen der plötzlichen Herausnahme der Kinder aus ihrer gewohnten Umgebung sowie der Trennung von ihrer Mutter und der Unterbringung in einer Pflegefamilie ins Verhältnis zu den negativen Folgen eines weiteren Verbleibens der Kinder bei der Mutter gesetzt.

40

bb) Schließlich sind die konkret getroffenen Anordnungen zur Erreichung des verfolgten Zwecks nicht erforderlich. Erforderlich ist eine Maßnahme nur dann, wenn kein milderes Mittel zur Verfügung steht, das zur Erreichung des angestrebten Zwecks gleich gut geeignet ist (vgl. BVerfGE 100, 313 <375>).

41

(1) Der Staat muss darum, bevor er Kinder von ihren Eltern trennt, nach Möglichkeit versuchen, durch helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der leiblichen Eltern gerichtete Maßnahmen sein Ziel zu erreichen (vgl. BVerfGE 24, 119 <145>; 60, 79 <93>). In Übereinstimmung mit diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen erklärt § 1666a Abs. 1 Satz 1 BGB Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, nur dann für zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann.

42

(2) Dass keine milderen Mittel zur Verfügung standen, die ebenso geeignet gewesen wären, die festgestellte Gefährdung von den Kindern abzuwenden, lässt sich hier nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen. Als mildere Mittel kommen Maßnahmen in Betracht, die einen Verbleib der Kinder bei der Beschwerdeführerin mit staatlicher Hilfe ermöglichen könnten. Zu Recht haben darum beide Gerichte die Frage weiterer Hilfemaßnahmen aufgeworfen. Beide Gerichte haben indessen verneint, dass die von ihnen angenommene Kindeswohlgefährdung durch weitere Hilfemaßnahmen abgewendet werden könnte und haben solchen Maßnahmen damit im konkreten Fall die Eignung zur Zweckerreichung abgesprochen. Insoweit halten weder die Ausführungen des Oberlandesgerichts noch die des Amtsgerichts der hier notwendig strengen verfassungsrechtlichen Prüfung stand.

43

(a) Die Ausführungen des Oberlandesgerichts lassen nicht mit hinreichender Sicherheit erkennen, dass die angenommene Kindeswohlgefährdung nicht durch weitere öffentliche Hilfemaßnahmen abgewendet werden könnte. Die Beschwerdeführerin ist bereit, Hilfen anzunehmen und hat deren Fortsetzung erfolglos beantragt. Das Oberlandesgericht geht allerdings davon aus, dass mit den gewährten Hilfen keine anhaltenden Veränderungen im Verhalten der Mutter erreicht werden können. Für diese Annahme ist eine hinreichende tatsächliche Grundlage jedoch nicht erkennbar.

44

(aa) Die Feststellung des Oberlandesgerichts, alle in die Familienhilfe eingebundenen Personen hätten "gleichermaßen" berichtet, dass mit den gewährten Hilfen keine anhaltenden Veränderungen im Verhalten der Mutter hätten erreicht werden können, ist nicht nachvollziehbar. Zwar haben sich das Kreisjugendamt, die Verfahrensbeiständin und andere Helfer aus dem Umfeld der Beschwerdeführerin für eine Herausnahme der Kinder aus deren Haushalt ausgesprochen. Im Gegensatz dazu wurde jedoch in den dem Gericht vorliegenden Berichten des zuletzt in der Familie tätigen Familienhilfeträgers eine insgesamt positive Entwicklung festgestellt. So wird etwa im Bericht für den Zeitraum 1. Oktober 2011 - 1. Februar 2012 ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin die Wohnung jede Woche etwas mehr strukturiere, sie nehme Verbesserungsvorschläge an und entwickle eigene Lösungen daraus. Laut Bericht für den Zeitraum 5. Januar 2012 - 4. September 2012 sei weiter ein Prozess der ständigen Verbesserung erkennbar. In ihrem Bericht für den Zeitraum 14. September 2012 - 31. Dezember 2012 führen die Familienhelfer schließlich aus, dass eine "Fortführung der positiven Entwicklung" zu verzeichnen sei. Ausweislich des Protokolls der Anhörung am 27. März 2013 im amtsgerichtlichen Verfahren der einstweiligen Anordnung, dessen Akte beizuziehen die Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren beantragt hatte, berichtete die Familienhelferin außerdem, dass die Beschwerdeführerin sich stabilisiert habe und der Alltag besser geregelt gewesen sei. Die Mutter habe die Unterstützung der Familienhelferin durchgehend angenommen. Sie habe während ihrer Zeit in der Familie weder eine Verwahrlosung noch eine sonstige konkrete Gefährdung der Kinder gesehen. Diese seien versorgt worden, wenn auch nicht optimal. Sie hätte zuletzt den Eindruck gehabt, dass die Beschwerdeführerin es mit fremder Hilfe schaffen würde, auch ihre Berufstätigkeit sowie die zahlreichen Termine, die für die Kinder und sie selbst wahrgenommen werden müssen, zu regeln.

45

Es findet sich keine Begründung dafür, warum diesen Aussagen keine Bedeutung beigemessen werden sollte. Zwar ist es offenbar zu Unstimmigkeiten zwischen Jugendamt und freien Trägern gekommen. So ist auch im Sachverständigengutachten ausgeführt, dass es zum Ende des Hilfezeitraums einige "Ungereimtheiten" gegeben habe, die nicht näher bewertet werden könnten. Daraus folgt jedoch nicht ohne Weiteres, dass die Aussagen der freien Träger unbeachtlich sind.

46

(bb) Darüber hinaus wäre zu berücksichtigen gewesen, dass die Beschwerdeführerin aufgrund des Wechsels der beiden älteren Kinder in die Obhut des Vaters im März und im Juni 2013 zum Zeitpunkt der Entscheidung des Oberlandesgerichts nur noch zwei Kinder zu betreuen hätte. Vor diesem Hintergrund drängt sich die vom Gericht nicht beantwortete Frage auf, ob weitere Hilfemaßnahmen eventuell eine weitergehende Wirkung entfalten würden als zu der Zeit, als sich vier Kinder in der Obhut der Beschwerdeführerin befanden. Zwar haben die Sachverständigen im Rahmen ihrer Anhörung vor dem Amtsgericht auch für den Fall der verkleinerten Familie eine Kindeswohlgefährdung angenommen. Die Sachverständigen haben jedoch gerade nicht die Situation im Falle fortgesetzter Hilfemaßnahmen bewertet, sondern haben die Situation für den Fall beurteilt, dass die Beschwerdeführerin mit den beiden Kindern auf sich gestellt wäre.

47

(b) Auch die Ausführungen des Amtsgerichts lassen nicht erkennen, dass die angenommene Kindeswohlgefährdung nicht durch mildere Mittel in Gestalt weiterer öffentlicher Hilfemaßnahmen abgewendet werden könnte. Das Amtsgericht sah sich insoweit an die Einschätzung des Jugendamts gebunden und hat es versäumt, selbständig zu ermitteln, ob öffentliche Hilfen tatsächlich geeignet waren, die Kindeswohlgefahr abzuwenden (aa). Die Eignung öffentlicher Hilfen war nicht allein durch die Weigerung des Jugendamts ausgeschlossen, der Beschwerdeführerin weitere Hilfen zu gewähren (bb).

48

(aa) Das Amtsgericht konnte nicht allein aufgrund der ungeprüft übernommenen Einschätzung des Jugendamts davon ausgehen, die Fortführung der Hilfemaßnahmen sei nicht geeignet, die Beschwerdeführerin in den Stand zu versetzen, ihrer Elternverantwortung gerecht zu werden. Dies hätte das Amtsgericht vielmehr eigenständig ermitteln müssen.

49

Das Familiengericht hat bei der Entscheidung nach §§ 1666, 1666a BGB zu ermitteln, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Entziehung des Sorgerechts vorliegen. Es muss sein Verfahren so gestalten, dass es selbst möglichst zuverlässig die Grundlage einer am Kindeswohl orientierten Entscheidung erkennen kann (vgl. BVerfGE 55, 171 <182>). Die hier maßgebliche Frage, ob der Gefahr für die Kinder nicht auf andere Weise als durch Trennung von den Eltern, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann (§ 1666a Abs. 1 Satz 1 BGB), betrifft eine verfassungsrechtlich zentrale Tatbestandsvoraussetzung und muss darum vom Familiengericht von Amts wegen aufgeklärt werden. Ob öffentliche Hilfen erfolgversprechend sind, muss das Familiengericht letztlich in eigener Verantwortung beurteilen, wozu es sich eine zuverlässige Entscheidungsgrund-lage verschaffen und diese in seiner Entscheidung auch darlegen muss (vgl. BVerfGK 13, 119 <127 f.>). Die eigene Ermittlungspflicht trägt dazu bei, zu verhindern, dass Kinder von ihren Eltern getrennt werden, ohne dass die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 3 GG vorliegen und schützt damit Grundrechte der Eltern und des Kindes.

50

Weil die Ermittlungspflicht grundrechtliche Schutzfunktion entfaltet, können sich die Gerichte ihrer nicht ohne gesetzliche Grundlage entledigen - auch nicht im Wege der Annahme einer Bindung an Feststellungen des Jugendamts. Ob eine gesetzliche Bindung des Familiengerichts an die Feststellungen und Wertungen des Jugendamts besteht, ist - ungeachtet der Frage der Vereinbarkeit einer solchen Bindung mit dem Grundgesetz - zunächst eine Frage der Auslegung des einfachen Rechts. Aus §§ 1666, 1666a BGB oder den Vorschriften des SGB VIII über die Gewährung öffentlicher Hilfen ist für die Annahme einer Bindung des Familiengerichts an die Feststellungen des Jugendamts nichts erkennbar. Das Amtsgericht behauptet eine solche Bindung zwar, zeigt jedoch nicht auf, inwiefern diese durch Auslegung des geltenden Rechts hergeleitet werden könnte. Eine Bindung ergibt sich auch nicht aus den Grundsätzen über die verfassungsrechtliche Anerkennung administrativer Letztentscheidungsrechte. Danach sind behördliche Entscheidungen in besonderen, wiederum gesetzlich zu bestimmenden Konstellationen gerichtlich nur eingeschränkt auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfbar. Dies gilt für behördliche Planungs- und Ermessensentscheidungen sowie ausnahmsweise für gebundene Entscheidungen, bei denen der Gesetzgeber der Verwaltung im Verhältnis zur die Verwaltung kontrollierenden Gerichtsbarkeit einen sogenannten Beurteilungsspielraum eingeräumt hat (vgl. BVerfGE 129, 1 <21 ff.> m.w.N.). Diese Grundsätze kommen hier - ungeachtet der fehlenden gesetzlichen Grundlage - jedoch bereits deshalb nicht zur Anwendung, weil die familiengerichtliche Entscheidung nach § 1666 BGB nicht als Kontrolle behördlicher Entscheidungen, sondern als eigene und originäre Sachentscheidung des Gerichts ausgestaltet ist. Die gerichtliche Kontrolle der Entscheidungen des Jugendamts über die Gewährung öffentlicher Hilfen obliegt de lege lata nicht den Familiengerichten, sondern den Verwaltungsgerichten (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2001 - 5 C 6/00 -, juris, Rn. 11; Coester, in: Staudinger, 2009, § 1666a, Rn. 13; Olzen, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 6. Auflage, 2012, § 1666, Rn. 177).

51

Dass das Familiengericht bei der Entscheidung nach § 1666 BGB nicht rechtlich an die Einschätzung des Jugendamts zur Eignung weiterer Hilfemaßnahmen gebunden ist, schließt freilich nicht aus, dass es bei der ihm aufgegebenen Ermittlung der für und gegen einen Sorgerechtsentzug sprechenden Tatsachen auch die Aussagen der seitens des Jugendamts mit dem Sachverhalt befassten Fachkräfte heranzieht. Das gilt auch für deren Einschätzung der Zweckerreichungseignung weiterer Hilfemaßnahmen. Beim Jugendamt werden häufig aufgrund unmittelbarer Kontakte mit den betroffenen Familien gute Kenntnisse über den einzelnen Sachverhalt bestehen, die sich das Familiengericht bei seiner Entscheidungsfindung zunutze machen kann. Das Gericht hat diese Aussagen jedoch wie die Angaben anderer mit dem Fall befasster Personen genau zu analysieren, mit anderen Informationen abzugleichen und in den größeren sachlichen Kontext zu stellen, um so etwa besondere Spannungsverhältnisse berücksichtigen zu können, wie sie hier zwischen staatlichen Stellen und freien Trägern aufgetreten zu sein scheinen. Es hat all das rechtlich zu würdigen und vor diesem Hintergrund eine eigene Entscheidung darüber zu treffen, ob die Entziehung des Sorgerechts durch (weitere) Maßnahmen öffentlicher Hilfe abgewendet werden kann und darum aus Gründen der Verhältnismäßigkeit unterbleiben muss. Dem wird das Familiengericht nicht gerecht, wenn es ohne Weiteres von einer Bindung an die Einschätzung des Jugendamts ausgeht.

52

(bb) Das Amtsgericht durfte die Inanspruchnahme öffentlicher Hilfen auch nicht deshalb als denkbares milderes Mittel außer Betracht lassen, weil die Durchführung einer vom Jugendamt bereits abgelehnten Hilfemaßnahme praktisch nicht durchsetzbar wäre. Zwar ist ungewiss, ob das Familiengericht befugt ist, das Jugendamt zur Gewährung öffentlicher Hilfen zu verpflichten. Jedoch können die Personensorgeberechtigten den Anspruch auf Hilfen nach §§ 27 ff. SGB VIII grundsätzlich vor den Verwaltungsgerichten durchsetzen. Allerdings ist der Mutter hier auch das Recht zur Beantragung von Hilfen entzogen und gerade auf das Jugendamt als Ergänzungspfleger übertragen worden. Das Jugendamt kann den Anspruch auf öffentliche Hilfen im Weigerungsfall nicht gegen sich selbst im Gerichtswege durchsetzen. Das den Eltern unverändert zustehende Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gebietet indessen, auch in diesem Fall eine effektive Möglichkeit gerichtlicher Überprüfung der behördlichen Entscheidungen zu eröffnen. Mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG wäre es nicht zu vereinbaren, wenn im grundrechtssensiblen Bereich des Kindesschutzes eine Situation entstünde, in der behördliche Entscheidungen über die Gewährung öffentlicher Hilfen gerichtlicher Überprüfung entzogen wären. Das gilt erst recht dann, wenn diese Hilfen - wie hier - ein Mittel zur Abwendung der Trennung des Kindes von den Eltern sein können (§ 1666a Abs. 1 Satz 1 BGB), ohne deren Gewährung das Kind von den Eltern getrennt werden müsste. Das Amtsgericht durfte darum nicht allein wegen der ablehnenden Haltung des Jungendamts von der fehlenden Möglichkeit öffentlicher Hilfen ausgehen.

53

(cc) Das hier aus der Annahme einer vollumfänglichen Bindung an die Einschätzung des Kreisjugendamts resultierende Defizit bei der Ermittlung und Berücksichtigung milderer Mittel führt angesichts der Eingriffsintensität ohne Weiteres zur Verfassungswidrigkeit der Entscheidung.

54

2. Ob darüber hinaus der von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG vorliegt, kann hier dahinstehen.

55

3. Die Beschlüsse des Amtsgerichts vom 19. Juni 2013 und des Oberlandesgerichts vom 8. November 2013 beruhen auf den möglichen Verstößen gegen das Elternrecht. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Gerichte bei ausreichender Ermittlung und Würdigung aller Umstände des Einzelfalls im Lichte des bei der Trennung eines Kindes von den Eltern von Verfassungs wegen anzulegenden Beurteilungsmaßstabs eine Entscheidung zugunsten der Beschwerdeführerin getroffen hätten.

56

4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 166/03
vom
15. Dezember 2004
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB § 1666; MSA Artt. 3, 8
Die Gefahr, daß bei einem Mädchen gambischer Staatsangehörigkeit während eines
Aufenthalts in Gambia eine Beschneidung vorgenommen wird, rechtfertigt es, der
Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht gem. § 1666 Abs. 1 BGB insoweit zu entziehen
, als es um die Entscheidung geht, ob das Kind nach Gambia verbracht wird.
Ob diese Maßnahme allein ausreicht, um einen effektiven Schutz des Kindes zu gewährleisten
, hat der Tatrichter im Rahmen seines Auswahlermessens zu entscheiden.
BGH, Beschluß vom 15. Dezember 2004 - XII ZB 166/03 - OLG Dresden
AG Dresden
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. Dezember 2004 durch
die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Sprick, Weber-Monecke,
Prof. Dr. Wagenitz und Dose

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1 gegen den Beschluß des 20. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Dresden vom 15. Juli 2003 wird zurückgewiesen. Auf die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 2 wird der vorgenannte Beschluß bezüglich der Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten und insoweit aufgehoben, als in Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts - Familiengericht - Dresden vom 8. Mai 2003 die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für das Kind abgelehnt worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Die Entscheidung über die Rechtsbeschwerden ergeht gerichtsgebührenfrei. Beschwerdewert: 3.000 €.

Gründe:

I.

Die am 2. Juli 1998 geborene J. T. ist die Tochter der weiteren Beteiligten zu 1. Sie besitzt, ebenso wie ihre nicht mit einander verheirateten Eltern, die gambische Staatsangehörigkeit. Der Vater lebt in Gambia. Die Mutter heiratete am 24. November 2000 in Gambia einen deutschen Staatsangehörigen und folgte ihm zusammen mit ihrer Tochter im März 2001 nach Deutschland. Da die Mutter hier eine Ausbildung zur Altenpflegerin absolviert und sich deshalb gehindert sah, das Kind zu betreuen, beabsichtigte sie, dieses am 8. Januar 2003 durch ihren Ehemann und dessen Vater nach Gambia verbringen zu lassen. J. sollte in Gambia von der Familie der Mutter betreut werden und eine Vorschule besuchen. Das Jugendamt Dresden (weiterer Beteiligter zu 3), das über die bevorstehende Reise informiert worden war, veranlaßte am 6. Januar 2003 die Inobhutnahme des Kindes gemäß § 42 SGB VIII, weil es befürchtete, diesem drohe bei einem Aufenthalt in Gambia die Beschneidung. Auf Antrag des Jugendamtes entzog das Amtsgericht der Mutter zunächst vorläufig das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht der Gesundheitssorge und bestellte insoweit das Jugendamt zum Pfleger. Mit Beschluß vom 8. Mai 2003 hat das Amtsgericht auch in der Hauptsache entsprechend der vorläufigen Anordnung entschieden. Hiergegen hat die Mutter befristete Beschwerde eingelegt. Das Oberlandesgericht hat eine "mündliche Verhandlung" durchgeführt und anschließend eine vorläufige Anordnung erlassen, nach der das Kind der Mutter unverzüglich herauszugeben ist, dieser aber untersagt wird, das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit dem Kind zu verlassen oder zu gestatten, daß ihre Tochter mit
Dritten das Land verläßt. Auf die Beschwerde der Mutter hat das Oberlandesgericht den angefochtenen Beschluß teilweise abgeändert und dieser das Aufenthaltsbestimmungsrecht nur insoweit entzogen, als es um die Entscheidung geht, ob das Kind - zu Urlaubszwecken oder für einen längeren Aufenthalt - nach Gambia verbracht wird. Insoweit hat es Pflegschaft angeordnet und den weiteren Beteiligten zu 3) als Pfleger eingesetzt. Hiergegen richten sich die - zugelassenen - Rechtsbeschwerden der Mutter und der Landeshauptstadt Dresden - Ortsamt Plauen - (weiterer Beteiligter zu 2, im folgenden: Ortsamt). Die Mutter erstrebt die vollständige Abweisung des Antrags, während das Ortsamt die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts insgesamt erreichen möchte.

II.

Die Rechtsbeschwerde der Mutter ist unbegründet. Auf die Rechtsbeschwerde des Ortsamtes ist der Beschluß im Umfang der Anfechtung aufzuheben und die Sache insoweit an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen. A. Rechtsbeschwerde der Mutter 1. Das Oberlandesgericht, dessen Entscheidung in FamRZ 2003, 1862 ff. veröffentlicht ist, hat seine internationale Zuständigkeit sowie die Anwendbarkeit deutschen Rechts ohne weitere Ausführungen bejaht. Das begegnet im Ergebnis keinen rechtlichen Bedenken. Die - in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende - internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte richtet sich nach den Vorschriften des Haager Übereinkommens über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom
5. Oktober 1961 (BGBl. 1971 II 217; im folgenden: MSA). Nach Art. 1 MSA sind die Gerichte des Staates, in dem der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, vorbehaltlich der Artt. 3, 4 und 5 Abs. 3 MSA dafür zuständig, Maßnahmen zum Schutz der Person des Minderjährigen zu treffen. Nach Art. 13 Abs. 1 MSA ist das Übereinkommen auf alle Minderjährigen anzuwenden, die - wie hier das Kind J. - ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem der Vertragsstaaten haben, ohne daß der Minderjährige die Staatsangehörigkeit eines Vertragsstaates besitzen müßte (Staudinger/Kropholler BGB, 13. Bearb. - 1994 - Vorbemerkung zu Art. 19 EGBGB Rdn. 525 m.w.N.). Einen einschränkenden Vorbehalt gegenüber Angehörigen von Nichtvertragsstaaten nach Art. 13 Abs. 3 MSA hat die Bundesrepublik Deutschland nicht erklärt. Hinsichtlich der von den inländischen Gerichten zu treffenden Schutzmaßnahmen, zu denen die im Streit stehende Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts nach § 1666 BGB gehört (Staudinger/Kropholler aaO Rdn. 217), ist gemäß Art. 2 MSA innerstaatliches, hier also deutsches Recht anzuwenden. Gemäß Art. 3 MSA ist allerdings ein nach dem Recht des Heimatstaates des Kindes kraft Gesetzes bestehendes Gewaltverhältnis anzuerkennen. Ein Eingriff in ein solches Gewaltverhältnis liegt vor, wenn das ausländische Heimatrecht des Minderjährigen eine derartige Maßnahme nicht zuläßt (Palandt /Heldrich BGB 63. Aufl. Anh. zu Art. 24 EGBGB Rdn. 25). Dies macht die Rechtsbeschwerde der Mutter in bezug auf das gambische Recht geltend, ohne ihren Einwand zu konkretisieren. Dessen Richtigkeit entzieht sich infolgedessen einer Beurteilung. Feststellungen zu dem gambischen Recht hat das OLG nicht getroffen. Die Frage, ob der Einwand gerechtfertigt ist, bedarf indessen keiner Entscheidung. Ein eventuell bestehendes Gewaltverhältnis schließt es nämlich nach Art. 8 MSA nicht aus, daß die Behörden des Aufenthaltsstaates, also auch die deutschen Gerichte, Maßnahmen zum Schutz des Minderjährigen treffen, soweit er in seiner Person oder seinem Vermögen ernstlich gefährdet ist. Mit
solchen Schutzmaßnahmen kann deshalb auch in ein grundsätzlich anzuerkennendes Gewaltverhältnis eingegriffen werden. In den Fällen, in denen nach den §§ 1666 ff. BGB Maßnahmen zu treffen sind, ist in der Regel auch das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 8 MSA anzunehmen (BGHZ 60, 68, 73 f.). 2. In der Sache hat das Beschwerdegericht ein Eingreifen nach § 1666 BGB für erforderlich gehalten. Dazu hat es im wesentlichen ausgeführt: Die Durchführung der Beschneidung von Mädchen stelle eine erhebliche Beeinträchtigung des Kindeswohls dar. Es handele sich um Genitalverstümmelungen, in denen eine schwere Menschenrechtsverletzung zu sehen sei und die in ihrer Intensität den gravierendsten Erscheinungsformen asylerheblicher Verfolgungsmaßnahmen , wie der Folter, nicht nachstehe. Die Gefahr, als Mädchen in Gambia beschnitten zu werden, sei groß. Gambia sei der UN-Kinderrechtskonvention nicht beigetreten. Aus den vom Jugendamt vorgelegten Unterlagen gehe hervor, daß nach Auskunft lokal tätiger Nichtregierungsorganisationen in Gambia fast alle ethnischen Gruppen Genitalverstümmelungen praktizierten und zwischen 80 bis 90 % der weiblichen Bevölkerung beschnitten seien. Die Beschneidung könne Mädchen jeden Alters drohen, einer Dreijährigen ebenso wie einer 16-jährigen. Auch die Mutter habe bei ihrer Anhörung bestätigt, daß es keine Altersgrenze gebe, von der an ein Kind selbst entscheiden könne, ob es beschnitten werde oder nicht. Die traditionell begründete Beschneidung drohe dem Kind deshalb, sobald es sich in Gambia aufhalte. Insofern bestehe auch eine gegenwärtige, begründete Besorgnis der Schädigung. Die Mutter sei derzeit nicht in der Lage, ihre Tochter vor einer solchen Körperverletzung ausreichend zu schützen. Soweit sie bei ihrer Anhörung erklärt habe, sie wünsche nicht, daß ihrem Kind eine Beschneidung widerfahre, sei diese ablehnende Äußerung unter dem Druck des vorliegenden Verfahrens zustande gekommen und beruhe (noch) nicht auf eigener Erkenntnis. Denn die mehrfach geäußerte Auffassung , das Kind könne mit 14 Jahren selbst entscheiden, ob es beschnitten
werde, mache deutlich, daß die Mutter die Genitalverstümmelung nicht in dem erforderlichen Maße als bedrohliche Gefahr für ihre Tochter erkannt habe. Angesichts der Brutalität des Eingriffs und der möglichen physischen und psychischen Folgen hätte andererseits eine klare Ablehnung der Beschneidung in bezug auf ihr Kind erfolgen müssen. Die eigene Erfahrung der - ihrerseits beschnittenen - Mutter belege, daß selbst ein 13 Jahre altes Mädchen durch gezielte unrichtige Informationen dazu gebracht werden könne, sich die grausame Verstümmelung sogar selbst zu wünschen. Wenn die Mutter gleichwohl daran festhalte, die Entscheidung über die Beschneidung dem Kinde selbst zu überlassen , habe sie den Fehler ihrer eigenen Mutter wiederholt und damit gezeigt, daß sie nicht fähig sei, die Gefahr von ihrem Kind abzuwenden. Dies sei indessen umsomehr notwendig, als nach den zu den Akten gelangten Informationen traditionell die Großfamilie mitentscheide, ob eine Beschneidung durchgeführt werde. Da die Mutter gleichwohl geplant habe, daß das Kind während der Dauer ihrer Ausbildung in Gambia leben solle und es damit der Gefahr einer Genitalverstümmelung (schutzlos) ausgeliefert hätte, müsse ihr Verhalten als unverschuldetes Versagen, aber auch als Form von Vernachlässigung im Sinne des § 1666 Abs. 1 BGB angesehen werden. Richtig verstandenes elterliches Sorgerecht hätte von ihr nicht passives Verhalten, sondern aktives Tun verlangt. Die Gefährdung sei auch gegenwärtig. Die Mutter habe zwar erklärt, daß ihre Tochter sich nicht mehr ohne ihre Begleitung in Gambia aufhalten solle. Es sei jedoch zu besorgen, daß sie an diesem Entschluß nicht festhalte, sondern das Kind doch zu ihrer Familie nach Gambia bringe, wenn sie sich wegen der auf sie zukommenden Prüfungen zur Altenpflegerin außerstande sehe, neben ihrer Arbeit zu lernen und ihre Tochter ausreichend zu betreuen. Diese Gefahr werde durch die Bekanntschaft mit in der Nähe ihrer Wohnung lebenden gambischen Familien nicht aufgehoben. Die danach vorzunehmende Abwägung zwischen dem Elternrecht der Mutter einerseits und dem Recht des Kindes auf Schutz
seiner Menschenwürde und seiner körperlichen Unversehrtheit andererseits führe zu der Notwendigkeit der Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts insoweit, als es um Reisen des Kindes nach Gambia oder um Aufenthalte dort gehe. Angesichts des Ausmaßes der drohenden Gefahr müsse auch das Recht des Kindes, seine Verwandtschaft in seinem Heimatstaat zu besuchen, zurücktreten. Auf andere Weise könne ein hinreichend sicherer Schutz nicht gewährleistet werden. Auch der Respekt vor einer anderen Kultur rechtfertige keine abweichende Entscheidung. Die mit der Ausländereigenschaft von Mutter und Kind verbundenen Vorstellungen von Kultur, Tradition, Religion und Erziehung, denen grundsätzlich Bedeutung beizumessen sei, müßten zurücktreten, wenn die drohende Schädigung entsprechend der ordre-public-Klausel des Art. 6 EGBGB unter keinem Gesichtspunkt zu tolerieren sei. 3. Diese Ausführungen halten der im Verfahren der Rechtsbeschwerde allein möglichen rechtlichen Nachprüfung stand.
a) Nach § 1666 Abs. 1 BGB hat das Familiengericht, wenn das körperliche , geistige oder seelische Wohl eines Kindes durch mißbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, durch Vernachlässigung des Kindes, durch unverschuldetes Versagen der Eltern oder durch das Versagen eines Dritten gefährdet ist und die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden , die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Als derartige Maßnahme kommt insbesondere auch die Entziehung des Rechts zur Aufenthaltsbestimmung als Teil des Personensorgerechts (§§ 1626 Abs. 1, 1631 Abs. 1 BGB) in Betracht. Voraussetzung für ein Eingreifen des Familiengerichts ist eine gegenwärtige, in einem solchen Maß vorhandene Gefahr, daß sich bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen läßt (BGH Beschluß vom 14. Juli 1956 - IV ZB 32/56 - FamRZ 1956, 350,
351; BayObLG DAVorm 1981, 897, 898 f.; Staudinger/Coester BGB 13. Bearb. - 2004 - § 1666 Rdn. 79; MünchKomm/Olzen 4. Aufl. § 1666 Rdn. 49).
b) Daß die Beschneidung eines Mädchens als eine das Kindeswohl in ganz erheblicher Weise beeinträchtigende Behandlung zu beurteilen ist, hat das Berufungsgericht zu Recht angenommen. Nach Auffassung des Senats handelt es sich bei der Genitalverstümmelung um einen schweren Eingriff, der bleibende physische und psychische Schäden zur Folge hat. Dies gilt auch dann, wenn der Eingriff nicht - wie zumeist - unter unhaltbaren hygienischen Bedingungen, ohne Betäubung und mit grausamen Hilfsmitteln, wie Glasscherben oder Rasierklingen als Schneidewerkzeug, durchgeführt wird, sondern selbst wenn er nach allen Regeln ärztlichen Könnens erfolgt. Es bleibt ein radikaler Eingriff in die körperliche Integrität und psychische Befindlichkeit der Frau. Dabei verbietet sich eine Unterscheidung nach der Art der Verstümmelung (Klitorisbeschneidung , Excision oder Infibulation), denn in allen Fällen liegt eine grausame, folgenschwere und durch nichts zu rechtfertigende Mißhandlung vor (vgl. Bumke NVwZ 2002, 423, 426 m.w.N., sowie Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zur Beschneidung von Mädchen und Frauen BT-Drucks. 13/10682 S. 3 ff.). Auch die Rechtsbeschwerde der Mutter erhebt gegen die Beurteilung der Beschneidung durch das Berufungsgericht keine Einwendungen.
c) Sie rügt aber, das Beschwerdegericht habe eine hieraus resultierende gegenwärtige Gefahr für das Kind zu Unrecht bejaht. Es habe nicht berücksichtigt , daß die Mutter ihrem Vorbringen zufolge nicht gegen ihren Willen oder auf Druck ihrer Eltern, eines Elternteils oder naher Verwandter beschnitten worden sei, sondern aufgrund eigener Entscheidung, und zwar nach von dritter Seite erhaltener, heute als falsch und irreführend erkannter Informationen. In den Vorgang sei sie aber nicht als Kleinkind, sondern als Mädchen, das die Pubertät
durchlaufen habe, involviert gewesen. Daraus folge, daß niemand aus der Familie der Mutter Anstalten getroffen habe, sie als Kind oder ohne ihre Einwilligung als herangereiftes Mädchen beschneiden zu lassen, auch nicht ihr eigener Vater, in dessen Stamm noch Beschneidungen vorgenommen würden und der dieses Ritual befürwortet habe. Auf diesen sei ohnehin nicht abzustellen, da die Großmutter sich vor 20 Jahren von ihm habe scheiden lassen und inzwischen wieder verheiratet sei. J. habe aber bei der Großmutter und nicht bei ihrem leiblichen Großvater leben sollen. Daneben habe sie, als sie noch in Gambia gelebt habe, engen Kontakt zu ihrem leiblichen Vater und dessen Familie unterhalten , die nicht weit von der Großmutter entfernt lebten. Die Großmutter sei nicht beschnitten und lehne diesen Brauch ab. Sie habe auch ihrer Tochter verboten , sich dem Ritual zu unterziehen. Deshalb sei kein Anhaltspunkt dafür auszumachen, daß das Kind während eines Aufenthalts bei der Großmutter der Gefahr ausgesetzt wäre, diese könne eine Beschneidung veranlassen oder zulassen. Es sei auch nichts dafür ersichtlich, daß die Großmutter das Mädchen nicht vor Übergriffen Dritter schützen könne, denn sie habe ihre Tochter bis zu deren eigener Entscheidung vor einer zwangsweisen Beschneidung bewahrt. Auch von der Seite der Familie des leiblichen Vaters sei fürJ. nicht die Gefahr einer Beschneidung auszumachen. Zwar seien in dem Stamm, dem der Vater angehöre, Beschneidungen noch üblich. Der Vater und seine Familie lehnten, wie die Mutter bei ihrer Anhörung ausgeführt habe, aber Beschneidungen ab, weshalb in dieser Familie niemand beschnitten sei. Warum J. in einer solchen Familie der Gefahr ausgesetzt sein solle, als Kind fremdbestimmt beschnitten zu werden, sei nicht ersichtlich. Damit vermag die Rechtsbeschwerde der Mutter nicht durchzudringen. Das Beschwerdegericht hat den betreffenden Sachvortrag nicht übergangen , sondern in seine von Amts wegen (§ 12 FGG) zu treffenden Feststel-
lungen einbezogen. Es hat seiner Entscheidung die Umstände der eigenen Beschneidung der Mutter zugrunde gelegt, dem Gesichtspunkt, daß in der Familie des Vaters - entgegen den Gepflogenheiten ihres Stammes - Beschneidungen nicht üblich seien, aber ersichtlich keine Bedeutung beigemessen. Nach den von dem Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen entscheiden nämlich nicht die Eltern oder deren Familien allein über eine Beschneidung, sondern hierzu ist traditionell die Großfamilie mitberufen. Aus dieser Gestaltung ist letztlich auch zu erklären, daß die Großmutter die eigene Tochter nicht vor einer Beschneidung zu bewahren vermochte, obwohl letztere damals erst 13 Jahre alt war und ihr deshalb die Einsichtsfähigkeit und Reife für die von ihr zugunsten einer Beschneidung getroffene Entscheidung fehlte und die Großmutter diese Verstümmelung selbst ablehnt. Die Annahme des Oberlandesgerichts, die Großmutter könne in einer anderen Situation, nämlich bei Vorliegen anderer Umstände hinsichtlich der Beschneidung der Enkelin, bedingt durch äußere Einflüsse abermals versagen, stellt sich deshalb als vertretbare tatrichterliche Würdigung dar, gegen die aus Rechtsgründen nichts zu erinnern ist. Denn die hohe Beschneidungsquote von 80 - 90 % der weiblichen Bevölkerung Gambias kann, wenn sich die Ablehnung der Genitalverstümmelungen wie von der Rechtsbeschwerde geltend gemacht, durchsetzen ließe, nicht erklärt werden. Von daher ist es rechtlich auch nicht zu beanstanden, daß das Oberlandesgericht von einer hohen Wahrscheinlichkeit einer Beschneidung des Kindes bei einem Aufenthalt in Gambia ausgegangen ist.
d) Die Rechtsbeschwerde der Mutter wendet sich schließlich gegen die Annahme, dem Kind drohe eine gegenwärtige Gefahr, weil zu besorgen sei, daß die Mutter es im Zusammenhang mit den im Rahmen ihrer Ausbildung abzulegenden Prüfungen entgegen den abgegebenen Erklärungen doch nach Gambia verbringen werde. Sie beruft sich insoweit auf den Vortrag der Mutter,
mit ihrem Arbeitgeber Arbeitszeiten vereinbart zu haben, die eine Betreuung des Kindes erlaubten. Auch das vermag die Entscheidung, soweit sie zum Nachteil der Mutter ergangen ist, nicht in Frage zu stellen. Das Berufungsgericht hat nicht bezweifelt, daß die Mutter in der Lage sein wird, den normalen Alltag mit der Betreuung des Kindes in Einklang zu bringen. Seine Annahme, es sei zu befürchten, daß sich die Einstellung der Mutter unter dem Prüfungsdruck ändere, ist indessen eine von der Lebenserfahrung getragene tatrichterliche Würdigung. Für deren Berechtigung sprechen zudem die Mitteilungen der beiden Pflegefamilien, in denen das Kind sich aufgehalten hat. Danach ist J. nicht oder kaum in der Lage, sich selbst zu beschäftigen , sondern erheischt permanent Aufmerksamkeit. 4. Bei dieser Sachlage ist das Berufungsgericht zu Recht von einer gegenwärtigen , in einem solchen Maße vorhandenen Gefahr ausgegangen, daß sich im weiteren Verlauf eine erhebliche Schädigung des Kindes in Form einer Beschneidung mit hinreichender Sicherheit voraussehen läßt. Denn die Mutter ist, wie das Oberlandesgericht rechtsfehlerfrei festgestellt hat, derzeit jedenfalls noch nicht in der Lage, die Gefahr, die ihrem Kind in Gambia droht, realistisch einzuschätzen und dürfte deshalb bei zu erwartenden Betreuungsengpässen nicht davor zurückschrecken, ihr derzeit erklärtermaßen aufgegebenes Vorhaben einer Verbringung des Kindes nach Gambia doch noch in die Tat umzusetzen. Dem ist nach § 1666 Abs. 1 BGB durch die erforderlichen Maßnahmen zu begegnen. Insoweit stellt sich die angeordnete teilweise Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts jedenfalls als einerseits gebotener, andererseits aber auch verhältnismäßiger Eingriff in das Elternrecht dar, um das Kind vor einem irreparablen Schaden seiner psychischen und physischen Unversehrtheit
zu bewahren. Dessen Interesse, seine Verwandten in Gambia zu besuchen, oder das Bedürfnis, der heimatlichen Kultur und Tradition verbunden zu bleiben, müssen dahinter zurücktreten. B. Rechtsbeschwerde des Ortsamtes 1. Das Berufungsgericht hat es abgelehnt, weitere Maßnahmen zum Schutz des Kindes zu treffen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der vollständige Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts und die Unterbringung des Kindes in einer deutschen Pflegefamilie seien unverhältnismäßig. 2. Demgegenüber bringt die Beschwerde des Ortsamtes vor: Der Teilentzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts sei nicht ausreichend, um die Gefahr der Genitalverstümmelung weitgehend zu verhindern. Die angeordnete Pflegschaft könne praktisch nicht verhindern, daß die Mutter oder ein Dritter das Kind über einen Mitgliedsstaat der EU nach Gambia verbringe. Sie könne sich in der jeweiligen gambischen Botschaft einen Ersatzpaß für J. anfertigen lassen, während das Original bei der Amtspflegerin hinterlegt bleibe. Die begründete Besorgnis ergebe sich daraus, daß die Mutter sowohl im Verfahren vor dem Amtsgericht als auch vor dem Oberlandesgericht nicht habe erkennen lassen, daß sie aufgrund eigener Überzeugung ihre Tochter vor einer drohenden Genitalverstümmelung schützen wolle bzw. könne. Diesem Einwand ist ein Erfolg nicht zu versagen. Es erscheint nicht fernliegend, daß die Mutter, von der nach Auffassung des Oberlandesgerichts zu besorgen ist, sie werde im Prüfungsdruck ihr Kind doch noch nach Gambia verbringen, sich über die bisher getroffenen Maßnahmen hinwegsetzt und von dem von der Rechtsbeschwerde aufgezeigten Weg Gebrauch macht. Ziel der Maßnahmen nach § 1666 BGB muß aber die effekti-
ve Gefahrenabwehr für das Kind sein. Zwar steht jeder Eingriff in das Elternrecht unter dem Vorbehalt der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit. Insbesondere ist eine Trennung des Kindes von seinen Eltern nur dann zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, insbesondere durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann (§ 1666 a Abs. 1 Satz 1 BGB). Damit, daß das Berufungsgericht als weitergehende Maßnahmen von vornherein aber nur die vollständige Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts in Verbindung mit der Unterbringung in einer Pflegefamilie erwogen hat, hat es sich den Blick dafür verstellt, die Geeignetheit anderer, weniger gravierender Maßnahmen in seine Beurteilung einzubeziehen und in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt auch die Möglichkeit öffentlicher Hilfen, etwa im Sinne einer beaufsichtigenden Pflegschaft , zu prüfen, um auf diesem Weg einen auch tatsächlich wirkungsvollen Schutz des Kindes zu gewährleisten. 3. Da das Oberlandesgericht somit von seinem Auswahlermessen (vgl. hierzu Staudinger/Coester aaO § 1666 Rdn. 177) keinen fehlerfreien Gebrauch gemacht hat, kann die Entscheidung im Umfang der Anfechtung durch das Ortsamt keinen Bestand haben. Der Beschluß ist insoweit aufzuheben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen, damit es die unterlassene Prüfung, welche weitergehenden Maßnahmen zu ergreifen sind, in tatrichterlicher Verantwortung nachholen kann. Im weiteren Verfahren wird das Ortsamt
auch Gelegenheit haben, das Begehren zu wiederholen, der Mutter möge aufgegeben werden, das Kind regelmäßig einem Kinderarzt vorzustellen (vgl. zu entsprechenden Auflagen etwa Children's Protection Act 1993 - South Australia

).


Hahne Sprick Weber-Monecke Wagenitz Dose

Tenor

1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt.

2. Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

A.

1

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist die Frage, inwieweit Großeltern in ihrem Interesse geschützt sind, zum Vormund beziehungsweise Ergänzungspfleger ihres Enkelkindes bestellt zu werden.

I.

2

Die Beschwerdeführerin wendet sich als Großmutter ihrer im Jahr 2008 geborenen zweiten Enkelin dagegen, vom Familiengericht nicht nach § 1779 Abs. 2 Satz 2 BGB als deren Vormund ausgewählt worden zu sein.

3

1. Eine erste Enkeltochter der Beschwerdeführerin kam 2001 zur Welt. Das Kind wurde von seiner Mutter, der Tochter der Beschwerdeführerin, nach der Geburt in die Obhut der Beschwerdeführerin gegeben. Als die Enkeltochter etwa ein Jahr alt war, kehrte auch die Mutter in den Haushalt der Beschwerdeführerin zurück. Im Jahr 2008 kam die zweite Enkeltochter zur Welt. Die Mutter verblieb mit beiden Kindern bis 2011 im Haushalt der Beschwerdeführerin. Im August 2011 zog die Mutter zu einem Freund und nahm das jüngere Kind mit sich. Nach zwei Wochen trennte sie sich von diesem Mann und zog mit dem Kind zu einem neuen Freund. Die ältere Enkeltochter war auf eigenen Wunsch bei der Beschwerdeführerin geblieben. Die Beschwerdeführerin hielt das Verhalten der Mutter für kindeswohlgefährdend, weshalb sie sich an das Jugendamt wandte. Im September 2011 wurde das jüngere Kind, also die zweite Enkeltochter der Beschwerdeführerin, mit Zustimmung der Kindesmutter zunächst in einer Bereitschaftspflegefamilie untergebracht.

4

2. Im Wege der einstweiligen Anordnung entzog das Familiengericht der Mutter im Herbst 2011 die elterliche Sorge für beide Kinder und setzte zunächst das Jugendamt als Vormund ein. Im Dezember 2011 wechselte die jüngere, damals knapp vier Jahre alte zweite Enkeltochter in eine Pflegefamilie in Norddeutschland, wo sie bis heute lebt.

5

3. Im Hauptsacheverfahren beantragte die Beschwerdeführerin, ihr die Vormundschaft für beide Kinder zu übertragen. Die Sachverständige empfahl, die jüngere Enkeltochter in der Pflegefamilie zu belassen. Auch die Mutter sprach sich während des gerichtlichen Verfahrens für einen Verbleib ihrer jüngeren Tochter in der Pflegefamilie aus. Die Verfahrensbeiständin und das Jugendamt befürworteten wegen der Verwurzelung des Kindes ebenfalls einen Verbleib in der Pflegefamilie. Mit angegriffenem Beschluss vom 3. Januar 2013 entzog das Familiengericht der Mutter die elterliche Sorge für beide Töchter. Es bestellte die Beschwerdeführerin nach § 1779 BGB zum Vormund für die ältere Tochter. Für die jüngere Tochter bestellte es hingegen das Jugendamt zum Vormund. Zur - hier allein angegriffenen - Übertragung der Vormundschaft für die jüngere Enkelin auf das Jugendamt führte das Familiengericht aus, dass die Bestellung der Beschwerdeführerin als Vormund nicht dem Kindeswohl entspreche.

6

4. Die Beschwerdeführerin legte gegen den Beschluss des Familiengerichts Beschwerde ein, die das Oberlandesgericht als unzulässig verwarf. Die Beschwerdeführerin sei nicht beschwerdeberechtigt im Sinne des § 59 FamFG. Zwar müssten Großeltern nach § 1779 Abs. 2 Satz 2 BGB und aus verfassungsrechtlichen Gründen bei der Auswahl des Vormunds berücksichtigt werden. Daraus folge aber nach dem unmissverständlichen Willen des Gesetzgebers keine zur Beschwerde berechtigende Rechtsposition (Verweis auf BGH, Beschluss vom 26. Juni 2013 - XII ZB 31/13 -, juris, Rn. 12-16; Beschluss vom 2. Februar 2011 - XII ZB 214/09 -, juris, Rn. 9 ff.).

II.

7

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die fachgerichtlichen Entscheidungen rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 8 EMRK, weil ihre nahe Verwandtenstellung nicht berücksichtigt worden sei. Sie ist der Ansicht, die Vormundschaft hätte ihr nur dann verweigert werden dürfen, wenn das Kindeswohl bei einer Herausnahme des Mädchens aus der Pflegefamilie gefährdet gewesen wäre. Zudem habe das Oberlandesgericht Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 19 Abs. 4 GG verletzt, weil es die Beschwerdeführerin nicht für beschwerdeberechtigt gehalten und sich mit der Verfassungsmäßigkeit von § 59 FamFG nicht hinreichend befasst habe.

III.

8

Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Senat vorgelegen. Dem Land Nordrhein-Westfalen, der Verfahrensbeiständin des Kindes aus dem Ausgangsverfahren, der Mutter und dem Vater sowie dem zum Vormund bestellten Jugendamt wurde Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Das Jugendamt hat sich gegen eine Rückführung des Kindes in den Haushalt der Beschwerdeführerin ausgesprochen.

B.

9

Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist nicht begründet.

I.

10

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere ist die Beschwerdeführerin beschwerdebefugt. Als Großmutter kann sie mit der Verfassungsbeschwerde geltend machen, das Familiengericht habe ihre durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte nahe verwandtschaftliche Beziehung bei der Auswahl des Vormunds für ihre Enkeltochter nicht hinreichend berücksichtigt.

II.

11

Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch unbegründet.

12

1. Die Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin nicht in durch Art. 6 GG geschützten Grundrechten.

13

a) Die Beschwerdeführerin hat ein grundrechtlich geschütztes Recht darauf, als Großmutter bei der Auswahl eines Vormunds oder Ergänzungspflegers für ihr von der Kindesmutter getrenntes Enkelkind berücksichtigt zu werden.

14

aa) Auf das Elterngrundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG kann sich die Beschwerdeführerin allerdings nicht selbst berufen. Der Schutz dieses Grundrechts steht grundsätzlich nur den Eltern eines Kindes zu. Da die Beschwerdeführerin hier nicht als Vormund ausgewählt wurde, sondern diese Stellung erst anstrebt, ist ihre Situation auch nicht mit der von Großeltern vergleichbar, die bereits zu Vormündern bestellt sind und ihr Enkelkind anstelle der Eltern pflegen und erziehen (dazu BVerfGE 34, 165 <200>).

15

bb) Die Beschwerdeführerin kann sich als Großmutter auch nicht darauf berufen, dass Eltern (1) und Kind (2) im Fall der Trennung des Kindes von den Eltern einen grundrechtlich gesicherten Anspruch darauf haben, dass bei der Auswahl von Vormündern oder Ergänzungspflegern nahe Verwandte berücksichtigt werden.

16

(1) Zwar kann die bevorzugte Berücksichtigung von Großeltern durch das von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 GG geschützte Grundrecht der Eltern verfassungsrechtlich geboten sein. Das Elterngrundrecht stellt hohe Anforderungen an die Trennung eines Kindes von den Eltern (stRspr; vgl. zuletzt im Einzelnen BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2014 - 1 BvR 160/14 -, juris, Rn. 27 ff.). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der unter anderem zur Auswahl des mildesten unter gleich geeigneten Mitteln verpflichtet (Erforderlichkeit), gebietet in diesem Zusammenhang insbesondere, nahe Verwandte, die zur Verantwortungsübernahme geeignet sind, als Vormünder oder Ergänzungspfleger in Betracht zu ziehen (stRspr; vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 8. März 2012 - 1 BvR 206/12 -, FamRZ 2012, S. 938 <939 f.>).

17

Wenn die Eltern die Bestellung von Verwandten zum Vormund oder Ergänzungspfleger und die Aufnahme des Kindes in deren Haushalt wünschen, stellt dies aus elterlicher Sicht ein milderes Mittel gegenüber der Übertragung der rechtlichen Verantwortung und tatsächlichen Betreuung des Kindes auf familienfremde Personen dar. Der Verbleib des Kindes im größeren Familienverband schafft unter diesen Umständen regelmäßig günstigere Voraussetzungen für die fortgesetzte elterliche Hinwendung zum Kind, welche auch nach der Trennung durch das elterliche Recht auf Pflege und Erziehung (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) geschützt ist. Wird die elterliche Hinwendung aufrechterhalten, kann dies zudem eine spätere Rückkehr des Kindes zu seinen Eltern begünstigen. Verwandte bei der Auswahl eines Vormunds oder Ergänzungspflegers zu berücksichtigen, trägt daher auch der Verpflichtung des Staates Rechnung, die Rückführung des Kindes aus dem grundsätzlich auf Zeit angelegten Pflegeverhältnis zu den Ursprungseltern zu fördern (vgl. BVerfGE 75, 201 <219>; 79, 51 <60>).

18

(2) Auch das Grundrecht des Kindes auf Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG; vgl. BVerfGE 133, 59 <73 ff.>) gebietet, bei der Auswahl eines Vormunds oder Ergänzungspflegers nahe Verwandte zu berücksichtigen, wenn dies die Aufrechterhaltung der Verbindung zu den Eltern begünstigt und diese im Interesse des Kindes ist.

19

(3) Ein eigenes Grundrecht der Großeltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, auf das die Beschwerdeführerin ihre Verfassungsbeschwerde stützen könnte, folgt daraus jedoch nicht. Zwar resultieren aus den genannten Rechten der Eltern und des Kindes in der Praxis regelmäßig gute Chancen für Großeltern, auf Wunsch der Eltern und des Kindes zum Vormund oder Ergänzungspfleger des Enkelkindes bestellt zu werden. Dabei handelt es sich aber um bloße Rechtsreflexe des Eltern- und des Kindesgrundrechts, die keinen eigenen grundrechtlichen Schutz der subjektiven Interessen der Großeltern begründen.

20

cc) Der Beschwerdeführerin steht indessen als Großmutter ein eigenes Recht aus Art. 6 Abs. 1 GG darauf zu, bei der Auswahl eines Vormunds oder Ergänzungspflegers in Betracht gezogen zu werden.

21

(1) Der Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG umfasst familiäre Bindungen zwischen Großeltern und ihrem Enkelkind.

22

Art. 6 Abs. 1 GG schützt die Familie zunächst als tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft der Kinder und ihrer Eltern. Im Zusammenleben der Eltern mit ihren heranwachsenden Kindern entfaltet die familiäre Gemeinschaft besondere Bedeutung, weil die leibliche und seelische Entwicklung der prinzipiell schutzbedürftigen Kinder in der Familie und der elterlichen Erziehung eine wesentliche Grundlage findet (vgl. BVerfGE 80, 81 <90>; 133, 59 <82>). Der Schutz des Familiengrundrechts reicht indessen über den Zweck hinaus, einen besonderen personellen Raum kindlicher Entfaltungsmöglichkeiten zu sichern. Er zielt generell auf den Schutz spezifisch familiärer Bindungen (vgl. BVerfGE 133, 59 <82 f.> m.w.N.), wie sie auch zwischen erwachsenen Familienmitgliedern (vgl. BVerfGE 80, 81 <91> m.w.N.) und auch - wenngleich regelmäßig weniger ausgeprägt - über mehrere Generationen hinweg zwischen den Mitgliedern einer Großfamilie bestehen können. Familiäre Bindungen sind im Selbstverständnis des Individuums regelmäßig von hoher Bedeutung und haben im Lebensalltag der Familienmitglieder häufig besondere praktische Relevanz. Sie zeichnen sich durch schicksalhafte Gegebenheit aus und können von besonderer Nähe und Zuneigung, von Verantwortungsbewusstsein und Beistandsbereitschaft geprägt sein (vgl. BVerfGE 57, 170 <178>; 112, 332 <352>). Nicht zuletzt wegen dieses eigenen Stellenwerts, der familiären Bindungen bei der Entfaltung der Persönlichkeit regelmäßig zukommt, hat das durch Art. 2 Abs. 1 GG verbürgte Gebot der Achtung der Entfaltungsfreiheit im privaten Lebensbereich durch die Verfassungsgarantie der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) eine besondere Verstärkung erfahren (vgl. BVerfGE 57, 170 <178> m.w.N.), die das Familienleben schützt und dem Individuum damit Chancen eröffnet, ein seinen familiären Bindungen gemäßes Leben zu führen.

23

Intensive Familienbindungen treten nicht nur im Verhältnis zwischen heranwachsenden Kindern und Eltern auf, sondern sind auch zwischen Mitgliedern der Generationen-Großfamilie möglich. Besondere Zuneigung und Nähe, familiäre Verantwortlichkeit füreinander, Rücksichtnahme- und Beistandsbereitschaft können insbesondere im Verhältnis zwischen Enkeln und Großeltern, aber auch zwischen nahen Verwandten in der Seitenlinie zum Tragen kommen. Bestehen zwischen nahen Verwandten tatsächlich von familiärer Verbundenheit geprägte engere Bindungen, sind diese vom Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG erfasst (vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 12. Aufl. 2012, Art. 6 Rn. 10; Kingreen, in: Jura 1997, S. 401 <402>; Pirson, in: Bonner Kommentar, Bd. 2, Art. 6 Abs. 1, Rn. 21 ; Robbers, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2010, Art. 6 Abs. 1, Rn. 88 m.w.N.; Uhle, in: Epping/Hillgruber, GG, 2. Aufl. 2013, Art. 6 Rn. 14; ebenso EGMR, Urteil vom 13. Juni 1979 - Marckx - NJW 1979, S. 2449, Rn. 45 zum Schutz des "Familienlebens" im Sinne des Art. 8 EMRK. A.A. Burgi, in: Friauf/Höfling, GG, Bd. 1, Art. 6 Rn. 20 ; von Coelln, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 6 Rn. 17. Soweit aus der Entscheidung des Senats vom 31. Mai 1978 etwas anderes gefolgert werden mag, hält der Senat daran nicht fest.). Es spricht nichts dafür, dass Art. 6 Abs. 1 GG die Beziehungen zwischen Großeltern und Enkelkind aus dem Schutz der Familie ausnehmen wollte. Vielmehr deutet der Wortlaut des Art. 6 Abs. 3 GG, der ausdrücklich vor der Trennung des Kindes von der "Familie" schützt, darauf hin, dass der Verfassungsgeber unter Familie mehr verstanden hat als die Gemeinschaft des Kindes mit seinen Eltern. Einer abnehmenden verwandtschaftlichen Nähe der Familienmitglieder zueinander ist bei der Bestimmung der Schutzintensität und der Konkretisierung der Schutzinhalte des Art. 6 Abs. 1 GG Rechnung zu tragen (vgl. Robbers, a.a.O., Rn. 89; Uhle, a.a.O., Rn. 14; Brosius-Gersdorf, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Art. 6 Rn. 112).

24

(2) Der grundrechtliche Schutz familiärer Beziehungen zwischen nahen Verwandten jenseits des Eltern-Kind-Verhältnisses umfasst deren Recht, bei der Entscheidung über die Auswahl eines Vormunds oder Ergänzungspflegers berücksichtigt zu werden, sofern tatsächlich eine engere familiäre Bindung zum Kind besteht. Die Vormundschaft oder Ergänzungspflegschaft ermöglicht es den Verwandten, das Kind zu sich zu nehmen und in eigener Verantwortung zu betreuen und zu erziehen. Auf diese Weise können sie ihre familiäre Bindung zum Kind fortführen und verwandtschaftlicher Verantwortung gerecht werden. Großeltern und sonstigen nahen Verwandten kommt daher bei der Auswahl des Vormunds oder Ergänzungspflegers der Vorrang gegenüber nicht verwandten Personen zu, sofern nicht im Einzelfall konkrete Erkenntnisse darüber bestehen, dass dem Wohl des Kindes, das für die Auswahl bestimmend ist (vgl. BVerfGE 75, 201 <218>; 68, 176 <188> zum Verhältnis der Kindesinteressen zu den Elterninteressen), durch die Auswahl einer dritten Person besser gedient ist.

25

b) Die angegriffenen Entscheidungen genügen den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 GG an die Berücksichtigung naher Verwandter bei der Auswahl eines Vormunds.

26

aa) Auf das von Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Recht naher Verwandter, bei der Entscheidung über die Auswahl eines Vormunds berücksichtigt zu werden, kann sich die Beschwerdeführerin hier berufen, weil davon auszugehen ist, dass tatsächlich eine engere familiäre Bindung zu ihrer Enkelin besteht oder jedenfalls vor dem Wechsel des Kindes in die Pflegefamilie bestanden hat. Sie hat mit ihrer Enkeltochter während der ersten Lebensjahre des Kindes in einem gemeinsamen Haushalt gelebt.

27

bb) Das Bundesverfassungsgericht überprüft die fachgerichtliche Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts hier nach allgemeinen Grundsätzen. Danach sind die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes sowie die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Regelungen im einzelnen Fall Angelegenheit der zuständigen Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Ihm obliegt lediglich die Kontrolle, ob die angegriffene Entscheidung Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts oder vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen (vgl. BVerfGE 72, 122 <138>; stRspr).

28

Anderes gilt zwar, wenn ein Kind von seinen Eltern gegen deren Willen getrennt wird. Bei gerichtlichen Entscheidungen, die Eltern zum Zweck der Trennung des Kindes von den Eltern das Sorgerecht für ihr Kind entziehen, besteht wegen des sachlichen Gewichts der Beeinträchtigung der Grundrechte von Eltern und Kindern Anlass, über den grundsätzlichen Prüfungsumfang hinauszugehen (vgl. BVerfGE 72, 122 <138>; stRspr). Vor allem prüft das Bundesverfassungsgericht dann, ob das Familiengericht in nachvollziehbarer Weise angenommen hat, es bestehe eine nachhaltige Gefährdung des Kindeswohls und diese sei nur durch die Trennung des Kindes von den Eltern, nicht aber durch weniger eingreifende Maßnahmen abwendbar. Dabei kann sich die verfassungsgerichtliche Kontrolle wegen des besonderen Eingriffsgewichts ausnahmsweise auch auf einzelne Auslegungsfehler (vgl. BVerfGE 60, 79 <91>) sowie auf deutliche Fehler bei der Feststellung und Würdigung des Sachverhalts erstrecken.

29

Diese strenge verfassungsgerichtliche Kontrolle betrifft jedoch die Wahrung der Grundrechte der Eltern und des Kindes, denen nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 GG (Eltern) und nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 GG (Kind) im Fall der Trennung besonderer verfassungsrechtlicher Schutz zuteil wird (vgl. BVerfGE 60, 79 <89>; 79, 51 <60>). Bei der verfassungsgerichtlichen Überprüfung der gerichtlichen Auswahl des Vormunds oder Ergänzungspflegers auf deren Vereinbarkeit mit den Grundrechten naher Verwandter besteht hingegen kein Anlass zu dieser strengen verfassungsgerichtlichen Kontrolle. Verwandte haben in ihrem Wunsch, als Vormund des von den Eltern getrennten Kindes eingesetzt zu werden, nicht an dem besonderen verfassungsrechtlichen Schutz der Eltern-Kind-Beziehung teil. Die Eingriffsintensität einer gegen Verwandte ausfallenden Auswahlentscheidung im Rahmen von § 1779 BGB bleibt regelmäßig hinter der einer Trennung des Kindes von den Eltern zurück.

30

cc) Die angegriffenen Entscheidungen haben die Tragweite der durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Belange der Beschwerdeführerin nicht verkannt. Das Familiengericht ist von einer besonderen Stellung der Beschwerdeführerin bei der Auswahl des Vormunds ausgegangen und hat deren Bestellung nicht von überzogenen Anforderungen abhängig gemacht. Es hat insbesondere nicht angenommen, dass die Beschwerdeführerin erst dann auszuwählen wäre, wenn dem Kindeswohl damit im Vergleich zum Verbleib in der Pflegefamilie besser gedient wäre. Das Familiengericht ist vielmehr mit ohne Weiteres nachvollziehbaren Erwägungen zu dem Ergebnis gelangt, dass dem Kindeswohl bei einem Verbleib in der Pflegefamilie besser gedient sei als bei einem Wechsel zur Beschwerdeführerin.

31

2. Die Beschwerdeführerin ist nicht dadurch in Grundrechten verletzt, dass ihr die Möglichkeit der Beschwerde nach § 59 FamFG versagt blieb.

32

a) Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen weder durch den Justizgewährungsanspruch noch durch Art. 101 Abs. 1 GG gezwungen, nahen Verwandten gegen die durch das Gericht getroffene Auswahl des Vormunds einen Rechtsbehelf zur Verfügung zu stellen. Wird die Entscheidung nach § 1779 BGB - wie im hier zu beurteilenden Fall - nicht nach § 3 Nr. 2a, § 14 RPflG durch den Rechtspfleger, sondern nach § 6, § 8 Abs. 1 RPflG durch den Familienrichter getroffen, besteht kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Eröffnung einer weiteren, gerichtlichen Instanz. Das Grundgesetz sichert im Bereich des Art. 19 Abs. 4 GG wie auch in dem des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs die Eröffnung des Rechtswegs. Die Garantie einer gerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeit gegen behauptete Rechtsverletzungen gewährleistet jedoch keinen Rechtsweg über mehrere Instanzen hinweg. Das Rechtsstaatsprinzip fordert, dass jeder Rechtsstreit um der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens willen irgendwann ein Ende findet. Wann dies der Fall ist, entscheidet das Gesetz. Insofern reicht es grundsätzlich aus, dass die Rechtsordnung eine einmalige Möglichkeit zur Einholung einer gerichtlichen Entscheidung eröffnet. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, unter Abwägung und Ausgleich der verschiedenen betroffenen Interessen zu entscheiden, ob es bei einer Instanz bleiben soll oder ob mehrere Instanzen bereitgestellt werden und unter welchen Voraussetzungen sie angerufen werden können (vgl. BVerfGE 107, 395 <401 f.>; stRspr).

33

b) Auch die Auslegung des § 59 Abs. 1 FamFG durch das Oberlandesgericht, wonach § 59 FamFG der Beschwerdeführerin als Großmutter hier keine Beschwerdeberechtigung einräumt, verletzt die Beschwerdeführerin nicht in der Rechtsschutzgarantie oder in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf den gesetzlichen Richter.

34

Mit dem für den Bereich des Zivilprozesses durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) gewährleisteten Gebot effektiven Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 93, 99 <107>) ist eine Auslegung und Anwendung der Zulassungsvoraussetzungen für ein Rechtsmittel dann unvereinbar, wenn sie sachlich nicht zu rechtfertigen ist, sich damit als objektiv willkürlich erweist und den Zugang zur nächsten Instanz unzumutbar erschwert (vgl. BVerfGE 125, 104 <137>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 16. Juli 2013 - 1 BvR 3057/11 -, NJW 2013, S. 3506 <3508>; stRspr). Die Entscheidung eines Gerichts, ein Rechtsmittel nicht zuzulassen, verstößt auch gegen die Gewährleistung des gesetzlichen Richters in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wenn dem eine willkürliche Auslegung oder Anwendung des Prozessrechts zugrunde liegt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 21. März 2012 - 1 BvR 2365/11 -, NJW 2012, S. 1715 m.w.N.).

35

Dass das Oberlandesgericht die Voraussetzungen des § 59 Abs. 1 FamFG willkürlich ausgelegt hätte, ist hier weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Nach § 59 Abs. 1 FamFG steht die Beschwerde demjenigen zu, der durch den Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Zwar berührt die Auswahlentscheidung nach § 1779 BGB das Grundrecht der Beschwerdeführerin als Großmutter aus Art. 6 Abs. 1 GG. Auch mit Blick darauf war sie nach § 1779 Abs. 3 Satz 1 BGB bei der Auswahl des Vormunds vom Familiengericht grundsätzlich anzuhören. Das Oberlandesgericht hat sich jedoch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs angeschlossen, der in Fortführung seiner früheren Rechtsprechung zu § 20 Abs. 1, § 57 Abs. 1 Nr. 9 FGG annimmt, dass auch § 59 Abs. 1 FamFG Großeltern in Verfahren, die die Bestellung eines Vormunds oder Ergänzungspflegers für ihr Enkelkind zum Gegenstand haben, grundsätzlich keine Beschwerdebefugnis einräumt (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Februar 2011 - XII ZB 214/09 -, juris; Beschluss vom 26. Juni 2013 - XII ZB 31/13 -, juris). Diese Interpretation von § 59 Abs. 1 FamFG ist nicht willkürlich. Sie beruht auf nachvollziehbarer systematischer Auslegung (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juni 2013 - XII ZB 31/13 -, juris, Rn. 16) und trägt dem legitimen Ziel des Gesetzgebers Rechnung, den Kreis der Beschwerdeberechtigten überschaubar zu halten, um eine zügige Beendigung des gerichtlichen Verfahrens zu ermöglichen, was in sorgerechtlichen Verfahren von besonderem Gewicht ist (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juni 2013 - XII ZB 31/13 -, juris, Rn. 14; Beschluss vom 2. Februar 2011 - XII ZB 214/09 -, juris, Rn. 10).

III.

36

Mangels Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde war der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts in entsprechender Anwendung des § 114 ZPO (vgl. BVerfGE 1, 109 <110 ff.>) abzulehnen.

IV.

37

Diese Entscheidung ist in Punkt II.2. im Verhältnis 7:1, im Übrigen einstimmig ergangen.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Eltern und Kinder sind einander Beistand und Rücksicht schuldig.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Tenor

1. Die Beschlüsse des Amtsgerichts München vom 19. September 2013 - 561 F 8157/13 - und des Oberlandesgerichts München vom 21. Januar 2014 - 26 UF 1513/13 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes und werden aufgehoben.

2. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

3. Der Freistaat Bayern hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

4. Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die im Wege der einstweiligen Anordnung erfolgte Entziehung von Teilbereichen des Sorgerechts für ihren im November 2012 geborenen Sohn.

2

1. a) Die Beschwerdeführerin ist bulgarische Staatsangehörige und lebte mit ihrem damaligen ebenfalls bulgarischen Lebensgefährten und der gemeinsamen heute 15-jährigen Tochter in Bulgarien. 2011 zog sie nach Deutschland, wo ihr Lebensgefährte eine Arbeitsstelle gefunden hatte. Die Tochter zog später nach. In Deutschland kam es zu Unstimmigkeiten zwischen den Eltern. Die Beschwerdeführerin lernte den Vater des hier betroffenen Kindes kennen und wurde von diesem schwanger. Die Beschwerdeführerin, ihre Tochter wie auch die Väter der beiden Kinder lebten fortan in wechselnden und ungesicherten Wohnverhältnissen. Als das hier betroffene Kind geboren wurde, verfügte die Beschwerdeführerin über keine Unterkunft. Dessen Vater wohnte in wechselnden Unterkünften seiner Arbeitgeber. Unmittelbar nach seiner Geburt wurde das Kind in der Kinderschutzstelle des städtischen Waisenhauses untergebracht. Aufgrund der unklaren Wohnsituation stimmte die Beschwerdeführerin der Unterbringung zu, bis sie eine neue Wohnung gefunden haben würde. Das Kind lebt nunmehr seit Mitte November 2012 in dem Waisenhaus. Die anschließende Wohnungssuche der Beschwerdeführerin gestaltete sich schwierig. Ende Juli 2013 zog sie in ein Frauenobdach.

3

b) Mit Schreiben vom 23. Juli 2013 regte das Jugendamt an, der Mutter für ihren Sohn das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitssorge sowie das Recht, Hilfen zu Erziehung nach §§ 27 ff. SGB VIII zu beantragen, zu entziehen. Die auf die Unterbringung des Kindes im Waisenhaus folgende Zeit sei von wiederkehrender Obdachlosigkeit der Eltern, wenig geklärten familiären Verhältnissen und partnerschaftlichen Verstrickungen geprägt. Die zunächst zweimal täglich vereinbarten Besuchstermine der Eltern im Waisenhaus seien von diesen zunehmend nicht oder nur sehr unzuverlässig eingehalten worden, so dass die Besuchssequenzen sukzessive auf zweimal wöchentlich reduziert worden seien. Bei dem Kindsvater sei häufig Alkoholgeruch festzustellen gewesen. Die Eltern seien nicht in der Lage, die Bedürfnisse des Kindes zu erkennen. Der Beschwerdeführerin sei es nach mehreren Interventionen besser gelungen, kindgerecht mit dem Kind zu sprechen und sich angemessen mit diesem zu beschäftigen. Ohne direkte Einflussnahme durch pädagogische Fachkräfte wirke sie jedoch hilflos und überfordert. Bei dem Jungen lägen nunmehr aufgrund der Lebensbedingungen in der Schutzstelle (häufiger Wechsel von Betreuungspersonen, zu viele andere Kinder, häufig unruhige Situationen) sowie der unregelmäßigen und unzuverlässigen Besuchskontakte viele Stressfaktoren vor. Der Junge sei in der weiteren Entwicklung des Sozialverhaltens massiv gefährdet, er benötige für eine gesunde Entwicklung dringend ein stabiles, verlässliches Umfeld mit möglichst wenig Bezugspersonen und Einzelzuwendung. Dieses könnten die Eltern aufgrund ihrer Lebensumstände nicht bieten.

4

2. a) Der vom Amtsgericht bestellte Verfahrensbeistand erstattete am 16. August 2013 Bericht und beschrieb den Jungen als "freundliches und ausgeglichenes Baby", das nach Mitteilung der Ärzte altersgemäß entwickelt sei. Die Gruppenleiterin im Waisenhaus sei für das Kind eine wichtige Bezugsperson. Beim Umgangskontakt mit den Eltern habe der Junge viel geschrien. Da die Eltern sehr unzuverlässig seien, könne der Umgang nur begleitet stattfinden. Die Psychologin des Waisenhauses habe hierzu ergänzt, dass mittlerweile eine Entfremdung eingetreten sei. Der sichere Hafen für das Kind seien die Gruppenleiterin des Waisenhauses sowie die Mitarbeiterinnen der Wohngruppe.

5

b) Die mittlerweile anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin wandte sich gegen die Anregung des Jugendamts. Sie habe sich ständig um eine Wohnung bemüht. Das Wohnungsamt, an das sie das Jugendamt verwiesen habe, habe ihr mitgeteilt, dass für bulgarische Staatsangehörige keine Wohnplätze zur Verfügung stünden. Auf dem freien Wohnungsmarkt und ohne finanzielle Unterstützung hätte sie so schnell keine Wohnung finden können. Sie lebe von beiden Vätern getrennt. Um sich finanziell absichern zu können und eine Wohnung zu finden, gehe sie einer Beschäftigung als Reinigungskraft nach. Allein deshalb hätten zahlreiche Besuchstermine abgesagt werden müssen.

6

c) Das Amtsgericht hörte die Beteiligten am 19. September 2013 an. In diesem Termin übergab das Jugendamt zwei Berichte des Kinderzentrums vom 29. Januar und 1. März 2013. Die Mutter war bei der Untersuchung ihres Kindes nicht eingebunden gewesen. Im Bericht vom Januar 2013 wird ausgeführt, für die Entwicklung des damals drei Monate alten Kindes werde es für dringend indiziert erachtet, dass bald eine kontinuierliche, stabile und enge Beziehung im Rahmen zum Beispiel einer Pflege- oder Adoptivfamilie geschaffen werde, insbesondere weil es die leiblichen Eltern nicht schafften, sich adäquat um den Jungen zu kümmern. Die Notwendigkeit einer festen Bezugsperson wurde auch im Bericht vom März 2013 betont. Aus psychologischer Sicht könne keinesfalls abgewartet werden, ob die Eltern verschiedenen Auflagen nachkämen, sondern es sei dringend die Vermittlung in eine Bereitschaftspflegefamilie anzuraten.

7

d) Mit einstweiliger Anordnung vom 19. September 2013 entzog das Amtsgericht der Beschwerdeführerin vorläufig die elterliche Sorge.

8

3. a) Mit ihrer Beschwerde widersprach die Mutter vor allem den tatsächlichen Einschätzungen des Gerichts und bekundete ihre Bereitschaft, öffentliche Hilfen und eine Erziehungsberatung in Anspruch zu nehmen sowie das Kind regelmäßig ärztlich untersuchen zu lassen. Mit weiterem Schriftsatz gab sie bekannt, seit dem 1. Januar 2014 eine private Einzimmerwohnung von ca. 40 qm angemietet zu haben; in dieser Wohnung lebt sie derzeit mit ihrer Tochter. Zudem regte die Beschwerdeführerin an, im Falle der auch vorübergehenden Aufrechterhaltung der Trennung den Umgang zu regeln. Sie habe stets Kooperationsbereitschaft gezeigt und übersehe nicht, dass eine Rückführung nur behutsam vorgenommen werden könne.

9

b) Der Verfahrensbeistand berichtete mit Schreiben vom 6. November 2013 gegenüber dem Oberlandesgericht, dass der Junge augenscheinlich altersgerecht entwickelt sei. Aus Sicht des Verfahrensbeistands könnten die Grundbedürfnisse des Kindes bei der Mutter jedoch nicht erfüllt werden, das Kind solle mehrere Jahre in eine geeignete Pflegefamilie verbracht werden.

10

c) Das Jugendamt berichtete dem Oberlandesgericht mit Schreiben vom 14. November 2013 von den Umgangskontakten der Mutter und der Halbschwester, die eine große Belastung darstellten. Das Kind selbst wirke seit drei Monaten fröhlich und agil, habe aber Einschlafprobleme. Die anfänglich hohe Irritierbarkeit habe sich in den letzten Monaten aufgrund des strukturierten Rahmens der Schutzstelle etwas gemildert.

11

Im Termin am 21. Januar 2014 erklärte das Jugendamt dann, mit dem Waisenhaus vereinbart zu haben, dass insbesondere der Umgang mit der Kindsmutter so unterstützt und erweitert werde, dass auch eine Rückführung des Kindes als mögliche Option vorbereitet werde. Daher sollten insbesondere die Umgangszeiten des Kindes mit der Mutter ausgedehnt werden. Das Kind solle aber bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens im Waisenhaus bleiben. Die Kindseltern bestätigten ihre Trennung. Der Kindsvater erklärte, den Jungen nicht aufnehmen zu können, sprach sich nunmehr aber anders als früher für eine Rückführung zur Mutter aus.

12

d) Mit Beschluss vom 21. Januar 2014 änderte das Oberlandesgericht den Beschluss des Amtsgerichts dahingehend ab, dass nur die Sorgerechtsbereiche Aufenthaltsbestimmungsrecht, Recht zur Zuführung zur ärztlichen Behandlung und Recht zur Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen entzogen wurden. Im Übrigen wurde die Beschwerde zurückgewiesen.

13

4. Die Beschwerdeführerin rügt mit ihrer Verfassungsbeschwerde eine Verletzung ihres Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG.

14

5. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen dem Bundesverfassungsgericht vor.

15

6. Das Bundesverfassungsgericht hat der Bayerischen Staatsregierung, dem Stadtjugendamt München und dem Verfahrensbeistand des Kindes Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Das Stadtjugendamt hat sich den gerichtlichen Entscheidungen angeschlossen.

II.

16

Die Kammer nimmt die zulässige Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des als verletzt gerügten Elternrechts der Beschwerdeführerin angezeigt ist, § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG. Diese Entscheidung kann von der Kammer getroffen werden, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die Verfassungsbeschwerde danach offensichtlich begründet ist, § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Die Beschwerdeführerin wird durch die angegriffenen Entscheidungen in ihrem Elternrecht aus Art. 6 Absatz 2 Satz 1 GG verletzt.

17

1. a) Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Der Schutz des Elternrechts erstreckt sich auf die wesentlichen Elemente des Sorgerechts, ohne die Elternverantwortung nicht ausgeübt werden kann (vgl. BVerfGE 84, 168 <180>; 107, 150 <173>). Eine Trennung des Kindes von seinen Eltern stellt den stärksten Eingriff in dieses Recht dar und unterliegt strenger verfassungsgerichtlicher Überprüfung. Dabei kann sich die verfassungsgerichtliche Kontrolle wegen des besonderen Eingriffsgewichts auch auf einzelne Auslegungsfehler sowie auf deutliche Fehler bei der Feststellung und Würdigung des Sachverhalts erstrecken (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2014 - 1 BvR 160/14 -, juris, Rn. 26; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 7. April 2014 - 1 BvR 3121/13 -, juris, Rn. 25). Die Trennung ist allein zu dem Zweck zulässig, das Kind vor nachhaltigen Gefährdungen zu schützen (b) und darf nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen (c). Entsprechendes gilt, wenn wie hier einem Elternteil das Sorgerecht für sein bereits von ihm getrenntes Kind entzogen und damit die Aufrechterhaltung der Trennung des Kindes von ihm gesichert wird. Dabei greift der starke Schutz des Elterngrundrechts auch dann ein, wenn ein Elternteil die Trennung von seinem Kind zunächst freiwillig herbeigeführt hatte und es nunmehr um die Aufrechterhaltung dieses Zustands geht (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 11. November 1988 - 1 BvR 585/88 -, juris, Rn. 29).

18

b) Ein Kind darf von seinen Eltern gegen deren Willen nur dann getrennt werden, wenn die Eltern versagen oder wenn das Kind aus anderen Gründen zu verwahrlosen droht. Dabei berechtigen nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit der Eltern den Staat auf der Grundlage seines ihm nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG zukommenden Wächteramts, die Eltern von der Pflege und Erziehung ihres Kindes auszuschalten oder gar selbst diese Aufgabe zu übernehmen (vgl. BVerfGE 24, 119 <144 f.>; 60, 79 <91>). Es gehört nicht zur Ausübung des Wächteramts, gegen den Willen der Eltern für eine bestmögliche Förderung der Fähigkeiten des Kindes zu sorgen. Um eine Trennung des Kindes von den Eltern zu rechtfertigen, muss das elterliche Fehlverhalten vielmehr ein solches Ausmaß erreichen, dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie oder einer Rückführung in die Familie in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist (vgl. BVerfGE 60, 79 <91>). Ihren einfachrechtlichen Ausdruck hat diese Anforderung in § 1666 Abs. 1 BGB gefunden. Die Annahme einer nachhaltigen Gefährdung des Kindes setzt voraus, dass bereits ein Schaden des Kindes eingetreten ist oder eine Gefahr gegenwärtig in einem solchen Maße besteht, dass sich bei ihrer weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2014 - 1 BvR 160/14 -, juris, Rn. 28; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 7. April 2014 - 1 BvR 3121/13 -, juris, Rn. 18; BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2004 - XII ZB 166/03 -, juris, Rn. 11).

19

Begehren Eltern - wie hier - die Rückführung ihres bereits fremduntergebrachten Kindes, kann eine solche Gefahr für das Kind gerade aus der Rückführung resultieren. In einem solchen Fall ist es verfassungsrechtlich geboten, bei der Kindeswohlprüfung nach § 1666 BGB die Tragweite einer Trennung des Kindes von seiner bisherigen Bezugsperson einzubeziehen und die Erziehungsfähigkeit der Ursprungsfamilie auch im Hinblick auf ihre Eignung zu berücksichtigen, die negativen Folgen einer eventuellen Traumatisierung der Kinder gering zu halten (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 22. August 2000 - 1 BvR 2006/98 -, FamRZ 2000, S. 1489). Das Kindeswohl gebietet es, die neuen gewachsenen Bindungen des Kindes zu seinen Pflegepersonen zu berücksichtigen und das Kind aus seiner neuen Obhut nur herauszunehmen, wenn die körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigungen des Kindes als Folge der Trennung von seinen bisherigen Bezugspersonen unter Berücksichtigung der Grundrechtsposition des Kindes noch hinnehmbar sind (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. Mai 2014 - 1 BvR 2882/13 -, juris, Rn. 31). Allerdings macht es einen Unterschied, ob das Kind bei Pflegeeltern, oder aber - wie hier - in einem Waisenhaus untergebracht ist. Lebt ein Kind in einem Waisenhaus, entstehen zum einen an die dortigen Bezugspersonen regelmäßig geringere Bindungen als an Pflegeeltern. Zum anderen wird das Kind nicht langfristig in dem Waisenhaus leben, so dass ein Wechsel der Betreuungspersonen und des Betreuungsumfelds ohnehin bevorsteht (vgl. BVerfGE 72, 122 <141>). Bei dieser Sachlage kommt dem Bindungsabbruch grundsätzlich geringere Bedeutung zu als bei der Rückführung aus einer Pflegefamilie.

20

c) Die Trennung des Kindes von seinen Eltern darf nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen und aufrechterhalten werden (vgl. BVerfGE 60, 79 <89>). In Übereinstimmung mit diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen erklärt § 1666a Abs. 1 Satz 1 BGB Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, nur dann für zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann. Die Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes schlagen sich insbesondere in einer Verpflichtung nieder, Maßnahmen zu ergreifen, mit denen ein Zueinanderfinden von Kind und Eltern gelingen kann. Stets ist zu fragen, ob sich die Kindeswohlgefahren durch eine behutsame, insbesondere zeitlich gestreckte, Rückkehr ausräumen lassen. Sind die Eltern nicht ohne Weiteres in der Lage, den erzieherischen Herausforderungen gerecht zu werden, vor die sie im Fall der - sei es auch zeitlich gestreckten - Rückkehr eines über längere Zeit fremduntergebrachten Kindes gestellt sind, sind sie hierbei durch öffentliche Hilfen zu unterstützen (§ 1666a Abs. 1 Satz 1 BGB; vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. Mai 2014 - 1 BvR 2882/13 -, juris, Rn. 35, m.w.N.). Dies gilt erst recht, wenn nicht die Rückkehr aus einer Pflegefamilie, sondern - wie hier - aus einem Waisenhaus in Rede steht. In einer solchen Situation steht dem Kind ohnehin ein weiterer Wechsel der Bezugsperson bevor, so dass die Rückkehr zu den Eltern in dieser Hinsicht keine Mehrbelastung des Kindes bedeutet. Zudem stehen einander in einer solchen Situation nur die Grundrechtspositionen der Eltern und des Kindes gegenüber (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 31. März 2010 - 1 BvR 2910/09 -, juris, Rn. 25; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 23. August 2006 - 1 BvR 476/04 -, juris, Rn. 23), nicht aber die von Pflegeeltern. Hier gilt daher umso mehr, dass vorrangig versucht werden muss, den Schutz des Kindes durch helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der leiblichen Eltern gerichtete Maßnahmen zu erreichen (vgl. BVerfGE 24, 119 <145>) und eine behutsame Rückführung zu ermöglichen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Januar 2014 - XII ZB 68/11 -, juris, Rn. 29).

21

2. Gemessen an diesen Grundsätzen verletzt die Entscheidung des Amtsgerichts das Elternrecht.

22

a) Dass das Kind bei einer Rückkehr zur Beschwerdeführerin in einer die Aufrechterhaltung der Trennung rechtfertigenden Weise gefährdet wäre, lässt sich den Ausführungen des Gerichts nicht entnehmen und ist auch ansonsten nicht ersichtlich.

23

aa) Das Gericht begründet das Vorliegen einer erheblichen Kindeswohlgefährdung im Fall der Rückführung zum einen damit, dass das Kind dringend einer verlässlichen, individuellen und kontinuierlichen Zuwendung bedürfe, dass die Mutter hierzu aber nicht in der Lage sei, da sie keine Arbeit habe, in einem Obdachlosenheim wohne und ihre partnerschaftlichen Verhältnisse nicht geklärt seien. Sie könne eine zuverlässige und altersgerechte Betreuung nicht sicherstellen.

24

In dieser sehr knappen Begründung bezieht sich das Gericht im Wesentlichen auf die Berichte des Jugendamts vom 23. Juli 2013, des Verfahrensbeistands vom 16. August 2013 und des Kinderzentrums vom Januar und März 2013. Eine eigenständige Würdigung insbesondere im Hinblick auf das entgegenstehende Vorbringen der Kindsmutter zu ihrer aktuellen Lebenssituation (Trennung vom Partner, Wohnen im Frauenobdach), den Schwierigkeiten bei der Umgangswahrnehmung aufgrund eigener Berufstätigkeit sowie der Nichthinzuziehung zu den Untersuchungen des Kinderzentrums unterbleibt. Da das Kind bereits fremduntergebracht war und ihm schon deshalb seitens der Beschwerdeführerin keine Gefahr drohte, drängte der Sorgerechtsentzug zeitlich nicht so sehr, dass das Gericht ausnahmsweise von einer näheren Begründung hätte absehen können.

25

Die Bezugnahme auf die Berichte des Kinderzentrums vom Januar und März 2013 ist bereits deshalb problematisch, weil nicht erkennbar ist, dass die dort bezüglich des damals erst wenige Monate alten Kindes getroffenen Feststellungen zum Entscheidungszeitpunkt noch unverändert zutrafen. Aus dem Bericht des Verfahrensbeistands vom 16. August 2013 ergibt sich vielmehr, dass sich die zuletzt geschilderten Spannungszustände des Kindes gelöst haben. Auch würdigt das Gericht nicht, dass die in den Berichten geschilderten Probleme maßgeblich auf die Fremdunterbringung des Kindes in dem Waisenhaus zurückzuführen waren und dass die Empfehlung der Ärzte dahin ging, dem Kind eine verlässliche Bezugsperson zur Seite zu stellen. Insoweit war grundsätzlich an die Mutter des Kindes zu denken. Dass die Ärzte eine Empfehlung in Richtung von Pflegeeltern aussprachen, beruhte offenbar weniger auf einer eigenen Sachprüfung als vielmehr auf einer nicht geprüften Übernahme der Angaben der das Kind vorstellenden Personen.

26

Soweit das Gericht ausführt, dass ein Wechsel des Kindes zur Mutter aufgrund ihrer Lebensumstände nicht in Betracht komme, tragen die Ausführungen nicht. Schilderungen zu "komplexen Verhältnissen zu dem Ex-Partner" sowie der "externen Beeinflussung" durch Dritte, auch durch die Halbschwester, bleiben vage und es erschließt sich nicht hinreichend, welche Gefährdung für das Kind hieraus resultieren soll. Soweit das Gericht die Obdachlosigkeit der Beschwerdeführerin für maßgeblich erachtet, kann dies zwar einen Gefährdungsgrund darstellen. Eine Obdachlosigkeit im eigentlichen Sinn lag aber nicht vor. Die Beschwerdeführerin lebte zum Zeitpunkt der Entscheidung in einem Frauenobdach, das auf Mütter mit Kindern eingerichtet ist und damit eine kindgerechte Unterkunft bietet.

27

bb) Soweit das Gericht zum anderen für maßgeblich erachtet, dass die Beschwerdeführerin die sozialen Bedürfnisse des Kindes, wie sie im Bericht des Kinderzentrums vom 1. März 2013 aufgezeigt worden seien - gemeint ist wohl das Bedürfnis nach einer festen Bezugsperson -, gar nicht erst erkenne, legt es nicht dar, worauf diese Annahme beruht und welche Art und welcher Grad von Kindeswohlgefährdung hieraus resultieren könnten. Wenn das Gericht insoweit auf eine fehlende Erziehungseignung der Beschwerdeführerin schließen möchte, hätte auch dies weiterer Darlegungen bedurft. Zwar mag die Beschwerdeführerin im Umgang mit dem Kind Defizite aufgewiesen haben. Dass diese die Aufrechterhaltung der Trennung rechtfertigen könnten, ist jedoch nicht ersichtlich. Es ist nicht dargelegt und auch nicht ohne Weiteres erkennbar, dass diese nicht hätten ausgeräumt werden können und inwiefern diese überhaupt zu einer schweren Schädigung der seelischen oder geistigen Entwicklung des Kindes führen würden.

28

cc) Dass das Kind wegen der spezifischen Belastungen einer Rückführung nicht hinnehmbaren Gefahren ausgesetzt wäre, legt das Gericht nicht dar. Zwar kann die Rückführung aus der Pflegestelle zu den Eltern das Kind belasten, weil damit der Abbruch von Bindungen verbunden sein kann, die in der Pflegestelle entstanden sind. Wie gesehen, kommt dem jedoch bei der Rückkehr aus einem Waisenhaus regelmäßig geringere Bedeutung zu als bei der Rückkehr von Pflegeeltern (s.o., II.1.b). Das Gericht hat zur Bedeutung der im Waisenhaus entstandenen Bindungen und zur Notwendigkeit durch eine Trennung entstehenden Beeinträchtigungen zu begegnen, keine Feststellungen getroffen und hat dazu, soweit ersichtlich, auch keine Ermittlungen angestellt.

29

dd) Zur unzutreffenden Bejahung der Voraussetzungen der Aufrechterhaltung einer Trennung des Kindes von der Mutter mag beigetragen haben, dass das Amtsgericht insofern einen falschen Prüfungsmaßstab zugrunde gelegt haben könnte. Ausweislich des Beweisbeschlusses vom 7. Januar 2014 zur Einholung eines Sachverständigengutachtens im hier nicht gegenständlichen Hauptsacheverfahren hat das Gericht dort die Frage sachverständiger Begutachtung unterzogen, "welche Sorgerechtsregelung am ehesten dem Kindeswohl entspricht". Dabei sei "auch darauf einzugehen, inwieweit die Rückführung des Kindes zur leiblichen Mutter dem Verbleib in einer Pflegefamilie vorzuziehen" sei. Beide Fragen entsprechen weder dem in § 1666 BGB vorgesehenen noch dem verfassungsrechtlich gebotenen Prüfungsmaßstab, wonach die Aufrechterhaltung der Trennung nur dann zulässig ist, wenn dem Kind bei den Eltern die nachhaltige Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung droht (s.o., II.1.b).

30

b) Ungeachtet des Fehlens einer die Sorgerechtsentziehung rechtfertigenden Kindeswohlgefährdung verstößt die Entscheidung des Amtsgerichts gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da das gesamte elterliche Sorgerecht entzogen wurde. Dies wurde nicht begründet und die Notwendigkeit ist auch ansonsten nicht ersichtlich. Inwieweit die Entscheidung darüber hinaus unverhältnismäßig ist, weil sie sich nicht mit dem Vorhandensein etwaiger milderer Mittel auseinandersetzt, bedarf keiner Entscheidung.

31

3. Auch die Entscheidung des Oberlandesgerichts verstößt gegen Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG.

32

a) Aus den Gründen der Entscheidung ergibt sich nicht mit hinreichender Sicherheit, dass im Falle der Rückführung des Kindes zur Beschwerdeführerin eine den Grundrechtseingriff rechtfertigende nachhaltige Gefahr einer erheblichen Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des Kindes besteht.

33

aa) Das Oberlandesgericht stützt die Annahme einer den teilweisen Sorgerechtsentzug rechtfertigenden Situation zunächst darauf, dass sich bereits aus dem einleitenden Bericht des Jugendamts vom 23. Juli 2013 ergeben habe, dass die Lebensverhältnisse der leiblichen Eltern von Beginn an äußerst unstet waren. Die Feststellungen des Gerichts hierzu bleiben jedoch zu vage, als dass sich daran eine entsprechende Kindeswohlgefährdung ablesen ließe. Dass die Lebensverhältnisse der Beschwerdeführerin unter Kindeswohlgesichtspunkten untragbar unstet seien, macht das Gericht vor allem an ihrer Wohnsituation fest. Zu dem Umstand, dass die Beschwerdeführerin seit dem 1. Januar 2014 eine Einzimmerwohnung von ca. 40 qm angemietet hat, führt das Gericht dabei jedoch lediglich aus, ein schriftlicher Mietvertrag liege noch nicht vor; inwieweit damit aktuell die Wohnsituation der Beschwerdeführerin gesichert sei, könne noch nicht abschließend eingeschätzt werden. Bei Zweifeln an der tatsächlichen Vermietung oder der Eignung des Wohnraums für die Aufnahme eines Kindes hätte das Oberlandesgericht aber nähere Ermittlungen anstellen müssen. In Sorgerechtsverfahren haben die Familiengerichte das Verfahren so zu gestalten, dass es geeignet ist, eine möglichst zuverlässige Grundlage zu schaffen (vgl. BVerfGE 55, 171 <182>). Weil bereits der vorläufige Entzug des Sorgerechts einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte der Eltern und des Kindes darstellt und weil schon die vorläufige Herausnahme des Kindes aus der Familie oder die vorläufige Aufrechterhaltung der bereits erfolgten Trennung Tatsachen schaffen kann, welche später nicht ohne Weiteres rückgängig zu machen sind, sind grundsätzlich auch bei einer Sorgerechtsentziehung im Eilverfahren hohe Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung zu stellen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 7. April 2014 - 1 BvR 3121/13 -, juris, Rn. 19 ff.). Die erforderlichen Ermittlungen hätten auch im Verfahren der einstweiligen Anordnung angestellt werden können und hätten zu keiner wesentlichen Verfahrensverzögerung geführt.

34

bb) Zwar stellt das Oberlandesgericht fest, dass sich das Jugendamt im Termin am 21. Januar 2014 eine vorsichtige Anbahnung der Rückführung des Kindes zur Mutter vorstellen konnte. Gleichwohl hat das Oberlandesgericht die Aufrechterhaltung des Sorgerechtsentzugs für angezeigt gehalten, weil eine Rückführung derzeit noch nicht verantwortet werden könne. Inwieweit die Wahrung des Kindeswohls der Einleitung der Rückführung entgegensteht, lässt sich den Ausführungen des Gerichts jedoch nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen.

35

Soweit das Oberlandesgericht auf die Berichte des Kinderzentrums vom 29. Januar und 1. März 2013 rekurriert, liegt die Situation, wie sie noch in den Berichten beschrieben wurde, nicht mehr vor. Auslöser einer zum damaligen Zeitpunkt beginnenden Anpassungsstörung war offenbar das Fehlen einer festen Bezugsperson für das Kind angesichts der Unterbringung in einem Waisenhaus mit wechselnden Betreuungspersonen. Dass diese Situation ein Jahr nach Erstellung des ersten Berichts so nicht mehr bestand, ergibt sich bereits aus den die weitere Entwicklung des Kindes beschreibenden Berichten des Verfahrensbeistands und des Jugendamts. Soweit das Gericht in diesem Zusammenhang darauf abstellt, in dem Bericht vom März 2013 heiße es, dass keineswegs abgewartet werden könne, bis die Eltern verschiedenen Auflagen nachkämen, waren damit Auflagen im Zusammenhang mit der Wohnsituation gemeint, die die Mutter jedenfalls nunmehr unzweifelhaft erfüllt hat. Dass die ohne Einbeziehung der Mutter erlangten Untersuchungsergebnisse Rückschlüsse auf deren "erhebliche Defizite" zulassen könnten, wie das Gericht ohne nähere Erläuterung feststellt, ist schon deshalb nicht anzunehmen, weil das Kind bereits eine Woche nach der Geburt von ihr getrennt wurde.

36

cc) Auch die übrigen Ausführungen tragen die Annahme einer nachhaltigen Kindeswohlgefährdung nicht. Der Hinweis des Gerichts auf die unsicheren Bindungen zwischen Mutter und Kind lässt für sich genommen nicht darauf schließen, dass bei der Rückführung für das Kind nicht hinnehmbare Belastungen eintreten würden, die von der Mutter nicht aufgefangen werden könnten. Der Hinweis auf die "anhaltend schwierigen Lebensumstände" der Mutter bleibt in diesem Zusammenhang ebenso vage wie die Feststellung, dass bei einem Wechsel zur Mutter die Grundbedürfnisse des Kindes nicht erfüllt werden könnten. Auch eine nach Einschätzung des Gerichts bis vor kurzem konflikthafte Beziehung zum früheren Partner kann eine Aufrechterhaltung der Trennung eines Kindes von seiner Mutter nicht ohne Hinzutreten weiterer Gefährdungsmomente rechtfertigen.

37

dd) Dass das Kind wegen der spezifischen Umstände einer Rückführung nicht hinnehmbaren Gefahren durch Bindungsabbrüche ausgesetzt wäre, legt auch das Oberlandesgericht nicht dar. Es hat zur Bedeutung der im Waisenhaus entstandenen Bindungen für das Kind und zur Notwendigkeit, durch eine Trennung etwa entstehenden Beeinträchtigungen zu begegnen, keine Feststellungen getroffen.

38

b) Die Entscheidung ist, soweit der vom Amtsgericht beschlossene Sorgerechtsentzug bestätigt wird, auch nicht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar.

39

Unverhältnismäßig ist insbesondere die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts. Selbst wenn man - was das Gericht nicht darlegt - unterstellt, dass dem Kind bei einer sofortigen Rückkehr zur Mutter wegen damit einhergehender Bindungsabbrüche nicht hinnehmbare Gefahren drohten, war die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts unverhältnismäßig. Das Gericht hat sich nicht damit auseinandergesetzt, dass die Beschwerdeführerin ihre Einsicht in die Notwendigkeit einer behutsamen Rückführung des Kindes bekundet hat, eine missbräuchliche Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrecht durch die Beschwerdeführerin daher nicht zu erwarten und ein Sorgerechtsentzug entsprechend schon aus diesem Grund nicht erforderlich war (vgl. BayObLG, Beschluss vom 18. Mai 1984 - BReg 1 Z 91/83 -, juris, Rn. 11). Dafür, dass sich die Beschwerdeführerin nicht an ihrer Äußerung festhalten lassen würde, gibt es keine Anhaltspunkte, das Oberlandesgericht hat hierzu auch nichts ausgeführt.

40

Das Gericht hat sich auch nicht mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit etwaige durch eine Rückführung zur Mutter entstehende Belastungen des Kindes durch mildere Mittel, gegebenenfalls unterstützt durch öffentliche Hilfemaßnahmen nach §§ 27 ff. SGB VIII, aufgefangen werden und entsprechende Rückführungshindernisse ausgeräumt werden könnten.

41

Schließlich hat das Gericht nicht hinreichend in Rechnung gestellt, dass in Fällen, in denen die Rückkehr eines Kindes zu seinen Eltern nicht sofort erfolgen kann, der durch Aufrechterhaltung der Trennung bewirkte Grundrechtseingriff grundsätzlich nur dann verhältnismäßig im engeren Sinne ist, wenn der Staat durch geeignete Fördermaßnahmen auf eine langfristige Rückführung des Kindes hinwirkt und die Rückführungsperspektive offenhält (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. Mai 2014 - 1 BvR 2882/13 -, juris, Rn. 32; BGH, Beschluss vom 22. Januar 2014 - XII ZB 68/11 -, juris, Rn. 29). Dies gilt auch im Verfahren der einstweiligen Anordnung, da auch in diesem aufgrund der nicht absehbaren Dauer des Hauptsacheverfahrens die Gefahr sich verfestigender Verhältnisse besteht. Das Gebot, Maßnahmen zur Familienzusammenführung zu prüfen, gewinnt gerade im Falle der Trennung eines Kindes unmittelbar nach der Geburt mit Zeitablauf zunehmend an Gewicht (vgl. EGMR (GK), K. u. T. ./. Finnland, Urteil vom 12. Juli 2001, Nr. 25702/94, NJW 2003, S. 809). Das Oberlandesgericht hat letztlich - wie zuvor das Amtsgericht - der Frage zu wenig Beachtung geschenkt, wie eine alsbaldige Wiedervereinigung der Familie erreicht werden könnte, um zu verhindern, dass eine weitere Verfestigung der offenbar bereits begonnenen Entfremdung des Kindes eintreten kann. Insoweit hätte es zumindest nahegelegen, zur Vorbereitung der Rückführung eine die Bindung des Kindes zur Mutter intensivierende Umgangsregelung zu treffen, wie es von der Beschwerdeführerin ausdrücklich angeregt worden war. Die im Termin seitens des Jugendamts angesprochene Vereinbarung mit dem Waisenhaus, den Umgang zu erweitern, wurde bislang lediglich dahingehend realisiert, dass der Beschwerdeführerin über die derzeit zweimal wöchentlich stattfindenden Umgangstermine hinaus eine weitere Stunde begleiteten Umgangs eingeräumt werden soll.

42

4. Die Beschlüsse des Amtsgerichts vom 19. September 2013 und des Oberlandesgerichts vom 21. Januar 2014 beruhen auf den Verstößen gegen das Elternrecht. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Gerichte bei verfassungsgemäßer Würdigung aller Umstände des Einzelfalls eine Entscheidung zugunsten der Beschwerdeführerin getroffen hätten.

43

5. Mit der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (vgl. BVerfGE 105, 197 <235>; stRspr).

44

6. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

Tenor

1. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, soweit sie sich gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 7. Juni 2013 - 626 F 5141/11 SO - richtet.

2. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 18. Oktober 2013 - 10 UF 178/13 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes und wird aufgehoben.

3. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

4. Das Land Niedersachsen hat der Beschwerdeführerin die Hälfte ihrer notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

5. Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) und für das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf 12.500 € (in Worten: zwölftausendfünfhundert Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde, mit der ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbunden ist, betrifft den Entzug der elterlichen Sorge für die 15-jährige Tochter der Beschwerdeführerin.

2

1. a) Die am 28. November 1998 geborene Tochter ist aus der nichtehelichen Beziehung ihrer Eltern hervorgegangen. Die Eltern übten die elterliche Sorge zunächst aufgrund einer gemeinsamen Sorgeerklärung gemeinsam aus. Bis zum Jahr 2000 haben die Eltern mit dem Kind in häuslicher Gemeinschaft gelebt. Seit der Trennung der Eltern lebte die Tochter im Haushalt der Beschwerdeführerin. Die Tochter besucht das Gymnasium und ist nach allgemeiner Einschätzung eine gute Schülerin. Bis zum Sommer 2007 fand ein unproblematischer Umgang zwischen der Tochter und ihrem Vater statt. Später kam es zu wiederholten - auch gerichtlichen - Auseinandersetzungen bezüglich der elterlichen Sorge und des Umgangs. Das Amtsgericht setzte das Umgangsrecht des Vaters mit Beschluss vom 16. November 2010 mit sofortiger Wirkung bis auf weiteres aus. Im Anschluss an einen stationären Aufenthalt in einer Mutter-Kind-Klinik unterzog sich die Tochter auf ärztliches Anraten ab Oktober 2010 einer ambulanten Behandlung in einer Praxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie. Mitte 2011 ergaben sich erhebliche Probleme im Hinblick auf den regelmäßigen Schulbesuch sowie Suizidgedanken, die am 6. Juli 2011 zur stationären Aufnahme der Tochter in ein Kinder- und Jugendkrankenhaus führten. Dort wurden eine mittelgradige bis schwere depressive Episode sowie eine soziale Phobie diagnostiziert. Der stationäre Aufenthalt wurde am 4. September 2011 durch die Beschwerdeführerin gegen ausdrücklichen ärztlichen Rat beendet, woraufhin der Vater beantragte, der Beschwerdeführerin das Sorgerecht zu entziehen. Vom 29. Juni 2012 bis zum 10. August 2012 nahm die Tochter auf Veranlassung der Beschwerdeführerin an einer stationären Rehabilitationsmaßnahme in einer Rehabilitationsklinik für Kinder und Jugendliche außerhalb des Einflussbereichs der Mutter teil.

3

b) Das Amtsgericht hat der Beschwerdeführerin nach Einholung eines Sachverständigengutachtens durch Beschluss vom 7. Juni 2013 das Recht der Gesundheitssorge für die Tochter entzogen und im Einverständnis mit dem Vater auf einen Ergänzungspfleger übertragen.

4

c) Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wurde durch Beschluss des Oberlandesgerichts vom 18. Oktober 2013 beiden Eltern die gesamte Personensorge entzogen mit Ausnahme der Vermögenssorge, die auf den Vater übertragen wurde. Eine weitere Ausübung der Personensorge durch die Beschwerdeführerin sei ausgeschlossen, da sie zu einer akuten Gefährdung des Kindeswohls führen würde, die nicht durch mildere Mittel abgewendet werden könne (§§ 1666, 1666a BGB).

5

aa) Eine akute Kindeswohlgefährdung stehe aufgrund der Feststellungen der Sachverständigen fest, denen sich der Senat in eigener Würdigung ausdrücklich anschließe. Danach liege zwischen der Beschwerdeführerin und ihrer Tochter eine kindeswohlgefährdende symbiotische Beziehungsgestaltung vor, für die seitens der Mutter angemessenes Problembewusstsein fehle. Entsprechende fundierte Feststellungen und Einschätzungen fänden sich bereits in den früheren fachärztlichen Stellungnahmen bezüglich der Betroffenen.

6

In der persönlichen Anhörung des Kindes durch den Senat habe sich zudem bestätigt, dass die Tochter - ungeachtet überdurchschnittlicher Intelligenz sowie guter schulischer und außerschulischer Leistungen - erhebliche Defizite im sozialen Bereich aufweise. So wiesen sämtliche der von ihr benannten vielfachen persönlichen Interessen und Hobbys eine rein individuelle und vereinzelte Ausübung ohne Bezug auf konkrete andere Beteiligte auf - von alterstypischen Freundschaften oder gemeinsamen mit Gleichaltrigen ausgeübten Freizeitbeschäftigungen habe sie nicht zu berichten vermocht. Entsprechende Beobachtungen fänden sich in sämtlichen im Rahmen des Verfahrens bekannt gewordenen Schilderungen über das Kind.

7

Die Sachverständige habe weiter überzeugend dargelegt, dass die Fortdauer dieses symbiotischen Verhältnisses zur Mutter für die Tochter mit höchster Wahrscheinlichkeit erhebliche Persönlichkeitsstörungen zur Folge haben werde und eine Behinderung der altersgerechten Identitätsbildung der Tochter in ihrer gegenwärtigen entscheidenden Altersphase bedeute, die als akute Kindeswohlgefährdung verstanden werden müsse.

8

bb) Unter den Umständen des vorliegenden Falles stünden auch keine milderen Mittel zur Abwendung dieser Kindeswohlgefährdung zur Verfügung (§ 1666a BGB). Eine verlässliche therapeutische Behandlung des Kindes insbesondere im Hinblick auf die symbiotische und seine altersgerechte Entwicklung verhindernde Beziehung zur Mutter könne ohne eine umfassende Entziehung der Personensorge gegenüber der Mutter nicht erfolgen. Dies beruhe auf der bei der Mutter gänzlich fehlenden Problemwahrnehmung und -einsicht. Das Verhalten der Mutter gegenüber der erstinstanzlich bestellten Ergänzungspflegerin belege im Übrigen, dass auch die auf den Bereich der Gesundheitssorge begrenzte Entziehung der elterlichen Sorge zur Gefahrabwendung nicht ausreichend sei. So habe die Mutter bereits erneut eine nach den Erörterungen im Anhörungstermin vor dem Senat für die Problematik des Kindes ganz offenkundig ungeeignete Therapeutin - eine Diplom-Pädagogin, die über keinerlei ersichtliche oder belegte Qualifikation für die Therapie der hier in Rede stehenden Problematik verfüge - ausgewählt und halte an dieser Auswahl unbeirrt fest. Zudem habe die amtsgerichtlich für die Gesundheitssorge bestellte Ergänzungspflegerin im Rahmen der Anhörung dargestellt, dass sie bereits auf Grundlage der Reaktionen der Mutter im Rahmen der erfolgten Erstkontakte eine erfolgreiche Etablierung einer im Sinne der sachverständigen Feststellungen gebotenen Therapie des Kindes für ausgeschlossen halte.

9

cc) Die Entziehung der Personensorge sei auch geeignet. Sie sei namentlich nicht in dem Sinne ungeeignet, dass sie in der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung nicht zu einer Verbesserung der Situation des Kindes führen würde. Das Kind befinde sich zwar in einem Alter, welches die Grenze für eine hinreichend erfolgversprechende Herausnahme eines Kindes bilde. Die Sachverständige habe dargetan, dass in einer entsprechend qualifizierten auswärtigen Einrichtung mit hoher Wahrscheinlichkeit ein therapeutischer Zugang zu dem Kind gelingen werde. Diese Wahrscheinlichkeit könne zwar durch eine ausdrückliche Unterstützung seitens der Mutter gesteigert werden, sei aber notfalls auch ohne diese noch hinreichend hoch. Demgegenüber sei bei einem Verbleib der Tochter im bisherigen setting mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von weiteren erheblichen Persönlichkeitsstörungen der Tochter auszugehen. Jedenfalls ergebe sich für die Tochter keine Situation, die schlechter als bei einem Absehen von Hilfeleistung sein könnte.

10

d) Zu ihrer bereits im Laufe des Verfahrens vor dem Oberlandesgericht angedachten Unterbringung in einer therapeutischen Wohngruppe äußerte sich die Tochter in einem Brief an das Oberlandesgericht noch während des dort anhängigen Verfahrens ablehnend. Darin schreibt sie unter anderem, sie wolle in keine Wohngemeinschaft; das würde jetzt mehr kaputt machen, als es helfen würde, wenn es überhaupt helfen würde; sie werde gegen ihren Willen aus ihrer gewohnten Umgebung gerissen.

11

e) Das Kind befindet sich seit dem 21. Oktober 2013 in einer therapeutischen Wohngruppe.

12

f) Eine gegen den oberlandesgerichtlichen Beschluss erhobene Anhörungsrüge wurde mit Beschluss des Oberlandesgerichts vom 11. April 2014 zurückgewiesen.

13

2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung von Art. 6 Abs. 2, 3 GG. Am Rande rügt sie die Verletzung rechtlichen Gehörs. Das Oberlandesgericht sei von falschen Tatsachenvoraussetzungen ausgegangen. Es beschränke sich in seiner Begründung im Wesentlichen darauf, sich den Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen anzuschließen. Feststellungen dazu, ob die von der Gutachterin gefundenen Ergebnisse auf einer hinreichend sicheren Tatsachenbasis beruhten, fehlten ebenso wie die Würdigung des Beschwerdevorbringens der Mutter und die Prüfung, ob nicht mildere Mittel zur Abwendung einer eventuellen Gefahr ausreichten. Zwischen der Diagnose des Kinderkrankenhauses und der Entscheidung des Senats lägen mehr als zwei Jahre. In dieser Zeit habe sich die positive Entwicklung des Kindes fortgesetzt. Mit diesem Umstand habe sich das Gericht nicht auseinandergesetzt. Weder habe es die nahen Angehörigen noch die Lehrer des Kindes zu der tatsächlichen Situation vernommen. Das Gericht setze sich auch nicht damit auseinander, dass die Tochter nicht davon profitieren würde, wenn sie gegen ihren Willen in eine therapeutische Wohngruppe aufgenommen würde.

14

3. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen der Kammer vor.

15

4. Die Verfassungsbeschwerde wurde der Landesregierung Niedersachsen, dem Jugendamt, der Verfahrensbeiständin und dem Vater des betroffenen Kindes zugestellt. Die Niedersächsische Landesregierung und die Verfahrensbeiständin haben keine Stellungnahme abgegeben. Das Jugendamt und der Vater haben sich den Gründen der angegriffenen Entscheidungen angeschlossen.

II.

16

1. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, soweit sie sich gegen die Entscheidung des Amtsgerichts richtet. Insoweit ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, weil die Beschwerdeführerin die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung nicht dargetan hat.

17

2. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit sie sich gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts richtet und gibt ihr statt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Elternrechts der Beschwerdeführerin geboten (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Zu dieser Entscheidung ist die Kammer berufen, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet ist (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

18

a) Die Beschwerdeführerin wird durch die Entscheidung des Oberlandesgerichts in ihrem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Der Schutz des Elternrechts erstreckt sich auf die wesentlichen Elemente des Sorgerechts, ohne die Elternverantwortung nicht ausgeübt werden kann (vgl. BVerfGE 84, 168 <180>; 107, 150 <173>). Eine Trennung der Kinder von ihren Eltern stellt den stärksten Eingriff in dieses Recht dar und unterliegt strenger verfassungsgerichtlicher Kontrolle (aa). Sie ist nach Art. 6 Abs. 3 GG allein zu dem Zweck zulässig, das Kind vor nachhaltigen Gefährdungen zu schützen (s.u., bb)) und darf nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen (s.u., cc)). Diesen Anforderungen wird die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts nicht gerecht.

19

aa) Dem liegt ein strenger verfassungsgerichtlicher Kontrollmaßstab zugrunde. Zwar sind die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und die Würdigung des Tatbestandes sowie die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Regelungen im einzelnen Fall grundsätzlich Angelegenheit der zuständigen Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Dem Bundesverfassungsgericht obliegt lediglich die Kontrolle, ob die angegriffene Entscheidung Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts oder vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen (vgl. BVerfGE 72, 122 <138>; stRspr). Bei gerichtlichen Entscheidungen, die Eltern zum Zweck der Trennung des Kindes von den Eltern das Sorgerecht für ihr Kind entziehen, besteht hingegen wegen des sachlichen Gewichts der Beeinträchtigung der Grundrechte von Eltern und Kindern Anlass, über den grundsätzlichen Prüfungsumfang hinauszugehen (vgl. BVerfGE 55, 171 <181>; 75, 201 <221 f.>). Vor allem prüft das Bundesverfassungsgericht, ob das Familiengericht in nachvollziehbarer Weise angenommen hat, es bestehe eine nachhaltige Gefährdung des Kindeswohls und diese sei nur durch die Trennung des Kindes von den Eltern, nicht aber durch weniger eingreifende Maßnahmen abwendbar. Dabei kann sich die verfassungsgerichtliche Kontrolle wegen des besonderen Eingriffsgewichts ausnahmsweise auch auf einzelne Auslegungsfehler (vgl. BVerfGE 60, 79 <91>; 75, 201 <222>) sowie auf deutliche Fehler bei der Feststellung und Würdigung des Sachverhalts erstrecken.

20

bb) Die Annahme des Oberlandesgerichts, hier liege eine die Trennung des Kindes von der Mutter rechtfertigende Kindeswohlgefährdung vor, hält verfassungsrechtlicher Kontrolle am strengen Maßstab des Art. 6 Abs. 2 und 3 GG nicht stand.

21

(1) Soweit es um die Trennung des Kindes von seinen Eltern geht, ist dieser Grundrechtseingriff allein zu den in Art. 6 Abs. 3 GG genannten Zwecken zulässig. Danach dürfen Kinder gegen den Willen des Sorgeberechtigten nur von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen. Dabei berechtigen nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit der Eltern den Staat auf der Grundlage seines ihm nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG zukommenden Wächteramts, die Eltern von der Pflege und Erziehung ihres Kindes auszuschalten oder gar selbst diese Aufgabe zu übernehmen (vgl. BVerfGE 24, 119 <144 f.>; 60, 79 <91>). Es gehört nicht zur Ausübung des Wächteramts des Staates, gegen den Willen der Eltern für eine bestmögliche Förderung der Fähigkeiten des Kindes zu sorgen. Das Grundgesetz hat den Eltern die primäre Entscheidungszuständigkeit bezüglich der Förderung ihrer Kinder zugewiesen. Dabei wird auch in Kauf genommen, dass Kinder durch Entscheidungen der Eltern wirkliche oder vermeintliche Nachteile erleiden (vgl. BVerfGE 60, 79 <94>; BVerfGK 13, 119 <124>). Um eine Trennung des Kindes von den Eltern zu rechtfertigen, muss das elterliche Fehlverhalten vielmehr ein solches Ausmaß erreichen, dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist (vgl. BVerfGE 60, 79 <91>). Ihren einfachrechtlichen Ausdruck hat diese Anforderung in § 1666 Abs. 1 BGB gefunden. Die Annahme einer nachhaltigen Gefährdung des Kindes setzt voraus, dass bereits ein Schaden des Kindes eingetreten ist oder eine Gefahr gegenwärtig in einem solchen Maße besteht, dass sich bei ihrer weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2014 - 1 BvR 160/14 -, juris Rn. 28; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 7. April 2014 - 1 BvR 3121/13 -, juris Rn. 18; BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2004 - XII ZB 166/03 -, FamRZ 2005, S. 344 <345>).

22

(2) Dass die Tochter bei einem Verbleib bei ihrer Mutter in ihrem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist, lässt sich aufgrund der rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen des Oberlandesgerichts nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen. Das Oberlandesgericht stützt die Feststellung einer Kindeswohlgefährdung maßgeblich auf das eingeholte Sachverständigengutachten sowie auf die Krankenhausberichte des Kinder- und Jugendkrankenhauses aus dem Jahr 2011 und die Angaben der die Tochter ehemals ambulant behandelnden Ärztin, wonach eine kindeswohlgefährdende symbiotische Beziehungsgestaltung vorliege. Eine die Trennung des Kindes von der Mutter rechtfertigende gegenwärtige Kindeswohlgefährdung lässt sich insoweit weder aufgrund eines krankhaft symbiotischen Verhältnisses (a) noch aufgrund sonstiger Anhaltspunkte (b) hinreichend nachvollziehen.

23

(a) Zwar kann die seelische Gesundheit eines Kindes im Rechtssinne nachhaltig gefährdet sein, wenn seine Entwicklung durch überfürsorgliches "Bemuttern" gravierend gehemmt wird, etwa wenn das Kind von Außeneinflüssen ganz abgeschottet und seelisch völlig abhängig von der Mutter ist mit der Folge von Entwicklungsrückständen oder psychosomatischen Erkrankungen (vgl. Coester, in: Staudinger, BGB, Bd. IV, 2009, § 1666 Rn. 121 m.w.N.). Dass hier eine solche Situation besteht, lässt sich indessen nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen. Die Sachverständige, auf deren Gutachten sich das Oberlandesgericht für die Begründung der Kindeswohlgefährdung stützt, führt zu der symbiotischen Mutter-Tochter-Beziehung lediglich aus, sie teile insoweit die Sicht der bereits vorher einbezogenen Fachleute, ohne dabei die Fachleute und deren konkrete Ansichten zu benennen und nachvollziehbar darzustellen, aufgrund welcher Befundtatsachen sie zu dieser Auffassung gelangt ist. Dass die Sachverständige die Hypothese, es liege eine symbiotische Mutter-Tochter-Beziehung vor, einer eigenständigen gutachterlichen Prüfung unterzogen hat, ist nicht erkennbar. In dem psychologischen Abschlussbericht der Rehabilitationsklinik vom 7. August 2012 findet eine symbiotische Verstrickung zwischen Mutter und Tochter demgegenüber keine Erwähnung. Als Diagnosen werden dort eine sonstige somatoforme Störung und eine familiäre Belastungssituation angegeben. Als Grundproblematik wird der Sorgerechtsstreit der Eltern angesehen.

24

(b) Das Oberlandesgericht hat auch ansonsten nicht in hinreichend nachvollziehbarer Weise dargelegt, welche eine Trennung von Mutter und Kind rechtfertigende Kindeswohlgefährdung gegenwärtig besteht.

25

Soweit das Oberlandesgericht ausführt, dass sich die Tochter mehrfach in ambulanter und stationärer Behandlung befunden habe und im Rahmen einer stationären Behandlung anlässlich suizidaler Gedanken eine mittelgradige bis schwere depressive Episode festgestellt worden sei, greift es auf in mittlerweile fernerer Vergangenheit liegende Vorgänge zurück und lässt es an einer Auseinandersetzung mit der weiteren gesundheitlichen Entwicklung des Kindes fehlen. Die ambulanten und stationären Behandlungen, auf die das Gericht Bezug nimmt, lagen zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits längere Zeit zurück und erlauben nicht den Schluss auf eine gegenwärtige Gefahr. In dem aktuelleren Bericht der Rehabilitationsklinik wird als Rehabilitationsergebnis festgehalten, dass die Patientin in die Gleichaltrigengruppe gut integriert gewesen sei und viel Freude an gemeinsamen Aktivitäten gefunden habe. Eine depressive Episode wird nicht beschrieben. Auch Suizidgedanken finden keine Erwähnung. Mit dem Bericht setzt sich das Oberlandesgericht in seiner Entscheidung nicht inhaltlich auseinander.

26

Auch die Feststellungen des Oberlandesgerichts zum Freizeitverhalten des Kindes lassen nicht mit hinreichender Sicherheit auf eine nachhaltige Kindeswohlgefährdung schließen. Soweit das Oberlandesgericht erhebliche Defizite im sozialen Bereich des Kindes daraus ableitet, dass das Kind nicht von alterstypischen Freundschaften oder gemeinsam mit Gleichaltrigen ausgeübten Freizeitbeschäftigungen zu berichten vermocht habe, deckt sich dies - ungeachtet der Frage, ob sich eine Kindeswohlgefährdung des hier verlangten Ausmaßes so überhaupt begründen ließe - weder mit dem Abschlussbericht der Rehabilitationsklinik noch mit der schriftlichen Stellungnahme des Englischlehrers der Tochter, der diese als aufgeschlossene, bemerkenswert motivierte Schülerin beschreibt, die eine beste Freundin habe und bei ihren Mitschülern beliebt sei.

27

Auch dem vorliegenden Sachverständigengutachten, auf das das Oberlandesgericht seine Erwägungen maßgeblich stützt, lässt sich keine Feststellung einer aktuellen Kindeswohlgefährdung im Falle des Verbleibens des Kindes bei der Mutter entnehmen. Wie die Sachverständige zu der Ansicht gelangt ist, dass die Tochter der Beschwerdeführerin in den vergangenen Jahren starke Gewichtsverluste erlitten habe, die auf eine Essstörung der Tochter der Beschwerdeführerin hindeuteten und Grund zur Sorge bereiteten, ist nicht nachvollziehbar. Die vorgelegten Arztberichte lassen einen solch massiven Gewichtsverlust jedenfalls nicht erkennen. In keinem der vorgelegten Arztberichte wird ein Verdacht auf das Vorliegen einer Essstörung bei der Tochter der Beschwerdeführerin geäußert. Ob die offenbar vom Oberlandesgericht vorgenommene ergänzende Befragung der Sachverständigen hierüber weitere Erkenntnisse gebracht hat, lässt sich nicht feststellen, da sich deren Inhalt weder aus der angegriffenen Entscheidung noch aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Oberlandesgericht ergibt.

28

cc) Die Entscheidung des Oberlandesgerichts genügt zudem nicht den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, der verlangt, dass der Grundrechtseingriff zur Erreichung eines legitimen Zwecks geeignet und erforderlich ist und dazu in angemessenem Verhältnis steht. An die Trennung des Kindes von seinen Eltern als schwerstem Eingriff in das Elterngrundrecht sind auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten besonders strenge Anforderungen gestellt (vgl. BVerfGE 60, 79 <89>), denen die Entscheidung des Oberlandesgerichts nicht genügt. Zwar dient die Entziehung des Sorgerechts dem legitimen Zweck, das Wohl des Kindes zu schützen. Dass die Trennung des Kindes von seiner Mutter durch Unterbringung in einer therapeutischen Wohngemeinschaft gegen beider Willen im vorliegenden Fall geeignet (1), erforderlich (2) und angemessen (3) ist, lässt sich angesichts der Ausführungen des Gerichts jedoch nicht mit der bei strenger Verhältnismäßigkeitsprüfung gebotenen Sicherheit nachvollziehen und tritt auch nicht so offen zu Tage, dass sich nähere Ausführungen des Gerichts ausnahmsweise erübrigten.

29

(1) Nach diesen Maßstäben lässt sich bereits nicht feststellen, dass die Trennung des Kindes von der Mutter und die Unterbringung in einer therapeutischen Wohngruppe geeignet sind, die angenommene Gefahr zu beseitigen oder abzumildern.

30

(a) Geeignet sind nur Maßnahmen, die eine effektive Gefahrenabwehr gewährleisten (BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2004 - XII ZB 166/03 - FamRZ 2005, S. 344 <347>). Das ist hier nicht ersichtlich. Die Sachverständige, auf die sich das Oberlandesgericht maßgeblich beruft, hat in ihrem schriftlichen Gutachten keine direkte Empfehlung für eine stationäre Therapie der Tochter der Beschwerdeführerin ausgesprochen. Vielmehr führt sie aus, eine längerfristige stationäre Therapie oder ein Leben in einer therapeutischen Wohngruppe seien hilfreich und sinnvoll, jedoch ohne Mitwirken der Tochter nicht umsetzbar. Nach ergänzender Anhörung der Sachverständigen nimmt das Oberlandesgericht an, in einer entsprechend qualifizierten Einrichtung könne mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Zugang zu der Tochter gelingen. Angesichts der fehlenden Einsicht der Tochter in ihre Behandlungsbedürftigkeit ist allerdings nicht ersichtlich, worauf konkret diese Annahme gründet.

31

(b) Eine Trennung kann zudem nicht ohne Weiteres als aus Gründen des Kindeswohls geboten gelten, wenn sie ihrerseits nachteilige Folgen für das Kindeswohl haben kann. Die negativen Folgen einer Trennung des Kindes von den Eltern und einer Fremdunterbringung sind zu berücksichtigen (vgl. BVerfGK 19, 295 <303>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2014 - 1 BvR 160/14 -, juris Rn. 38) und müssen durch die hinreichend gewisse Aussicht auf Beseitigung der festgestellten Gefahr aufgewogen werden, so dass sich die Situation des Kindes in der Gesamtbetrachtung verbesserte (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2014 - 1 BvR 160/14 -, juris Rn. 38; BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011 - XII ZB 247/11 -, FamRZ 2012, S. 99 <102>). Nehmen Kind und Elternteil das Eltern-Kind-Verhältnis positiv wahr, ist die drohende psychosoziale Schädigung des Kindes im Falle der Trennung sehr groß, so dass nur schwerstwiegende Gefahren bei Verbleib des Kindes einen Eingriff rechtfertigen können (vgl. Coester, in: Staudinger, BGB, Bd. IV, 2009, § 1666 Rn. 217 m.w.N.).

32

Das Aufbrechen der hier engen und beiderseits positiv wahrgenommenen Mutter-Kind-Beziehung belastet das Kind zweifellos. Darum hätte das Oberlandesgericht besonders sorgfältig prüfen müssen, ob die getroffenen Maßnahmen geeignet sind, den gewünschten Erfolg zu erzielen, zumal zweifelhaft ist, ob die enge Mutter-Kind-Beziehung hier tatsächlich krankhaft symbiotischer Art ist und ihrem Aufbrechen tatsächlich der vom Gericht unterstellte positive Kindeswohleffekt zukommt. Im Fall des bloßen "psychosozialen Zusammenrückens" von Mutter und Kind mit dem Ziel der Ausgrenzung des umgangsberechtigten Vaters bei im Übrigen normaler Betreuung und Erziehung des Kindes kann der Schaden für das Kind infolge einer Zwangsmaßnahme deutlich größer sein als bei Unterlassen einer Intervention (vgl. Coester, in: Staudinger, BGB, Bd. IV, 2009, § 1666 Rn. 148 m.w.N).

33

Dass die Vorteile der Trennung hier deren negative Folgen für das Kind überwiegen, lässt sich anhand der Entscheidung des Oberlandesgerichts nicht feststellen. Das Gericht hat die Folgen der plötzlichen Herausnahme der Tochter der Beschwerdeführerin gegen ihren Willen aus ihrer gewohnten Umgebung sowie der Trennung von ihrer Mutter und die Unterbringung in einer therapeutischen Wohngruppe nicht hinreichend ins Verhältnis zu den negativen Folgen eines weiteren Verbleibens des Kindes bei der Mutter gesetzt. Dass das Gericht der Belastung durch die Herausnahme aus der Obhut der Mutter keine hinreichende Bedeutung beimisst, wird insbesondere an seiner Annahme deutlich, es ergebe sich für die Tochter jedenfalls keine Situation, die schlechter als bei einem Absehen von Hilfeleistung sein könnte, selbst wenn sich die Tochter auch in einer entsprechend qualifizierten Einrichtung der professionellen Hilfe entziehen sollte. Demnach misst das Gericht der aus der Trennung des Kindes von der Mutter resultierenden Belastungen des Kindes offenkundig keinerlei eigenständige Bedeutung bei. Ansonsten hätte es zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass die Summierung des Ausbleibens therapeutischer Effekte und der Trennung von der Mutter für das Kind schlimmer ist als das Ausbleiben therapeutischer Effekte ohne die zusätzliche Belastung durch eine Trennung. Es wäre zudem zu berücksichtigen gewesen, dass die Tochter durch die getroffene Maßnahme ihre Schule nicht weiter besuchen kann, wodurch sie aus ihrem offenbar auch durch freundschaftliche Bindungen geprägten Umfeld herausgenommen wird, was eine soziale Isolation des Kindes verstärken oder erst hervorrufen kann.

34

(2) Es ist auch nicht ersichtlich, dass die konkret getroffenen Anordnungen zur Erreichung des verfolgten Zwecks erforderlich sind.

35

(a) Eine Maßnahme ist nur dann erforderlich, wenn aus den zur Erreichung des Zweckes gleich gut geeigneten Mitteln das mildeste, also die geschützte Rechtsposition am wenigsten beeinträchtigende Mittel gewählt wird (BVerfGE 100, 313 <375>). Der Staat muss daher, bevor er Kinder von ihren Eltern trennt, nach Möglichkeit versuchen, durch helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der leiblichen Eltern gerichtete Maßnahmen sein Ziel zu erreichen (vgl. BVerfGE 24, 119 <145>; 60, 79 <93>). In Übereinstimmung mit diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen erklärt § 1666a Abs. 1 Satz 1 BGB Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, nur dann für zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann.

36

(b) Dass keine milderen Mittel zur Verfügung standen, die ebenso geeignet gewesen wären, die angenommene Gefährdung von dem Kind abzuwenden, ist der angegriffenen Entscheidung nicht mit hinreichender Sicherheit zu entnehmen und liegt auch ansonsten nicht auf der Hand. Insbesondere ist fraglich, ob allein eine stationäre Behandlung geeignet war, die festgestellte Kindeswohlgefährdung abzuwenden. Als mildere Mittel wären ambulante therapeutische Maßnahmen in Erwägung zu ziehen gewesen. So wurde von der Rehabilitationsklinik eine psychotherapeutische Weiterbehandlung der Tochter der Beschwerdeführerin am Heimatort empfohlen, nicht jedoch die Unterbringung in einer therapeutischen Wohngruppe. Warum ambulante Maßnahmen nicht zum Erfolg führen könnten, geht aus den Darlegungen des Gerichts nicht hinreichend deutlich hervor. Soweit sich das Gericht auf die Darstellung der amtsgerichtlich für die Gesundheitssorge bestellte Ergänzungspflegerin bezieht, eine erfolgreiche Etablierung einer im Sinne der sachverständigen Feststellungen gebotenen Therapie des Kindes sei bereits auf Grundlage der Reaktionen der Mutter im Rahmen der Erstkontakte für ausgeschlossen zu halten, fehlt es an einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit dieser Aussage. So ist etwa nicht ersichtlich, welche Maßnahmen die Ergänzungspflegerin zur Abwendung der Kindeswohlgefährdung eingeleitet hat, weshalb diese nicht zum Erfolg geführt haben und warum diese auch künftig nicht erfolgreich sein werden. Das Gericht legt auch nicht näher dar, warum es zur Einschätzung gelangt ist, die von der Beschwerdeführerin ausgewählte Therapeutin sei für eine Therapie der hier in Rede stehenden Problematik ganz "offenkundig ungeeignet".

37

(3) Zur Angemessenheit der Trennung von Mutter und Tochter hat das Oberlandesgericht keine Feststellungen getroffen. Dass die Grundrechtsbelastung durch die Unterbringung der Tochter in einer therapeutischen Wohngruppe gegen den Willen von Mutter und Kind in einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen der Maßnahme steht, kann aufgrund der hier ersichtlichen Umstände nicht angenommen werden. Auf der einen Seite ist die unfreiwillige Trennung ein besonders schwerer Eingriff in die Grundrechte von Mutter und Kind (bb)(1)). Dass auf der anderen Seite das Kindeswohl gegenwärtig bei einem Verbleib im Haushalt der Mutter besonders schwerwiegenden Gefahren ausgesetzt wäre, erscheint nach den Darlegungen des Oberlandesgerichts selbst dann eher ungewiss, wenn man mit dem Gericht von einer symbiotischen Mutter-Kind-Beziehung ausginge. Zwar hatte die Tochter im zeitlichen Zusammenhang mit den Umgangsauseinandersetzungen der Eltern Suizidgedanken geäußert und es waren Probleme beim regelmäßigen Schulbesuch aufgetreten, was zur stationären Aufnahme in ein Kinder- und Jugendkrankenhaus geführt hatte. Die dort erstellte Diagnose einer mittelgradigen bis schweren depressiven Episode und einer sozialen Phobie lag jedoch im Entscheidungszeitpunkt bereits mehr als zwei Jahre zurück.

38

Bei dieser Sachlage steht die Grundrechtsbelastung von Mutter und Kind durch eine unfreiwillige Trennung auch dann außer Verhältnis zu den Vorteilen der Fremdunterbringung, wenn dem Gericht in der Annahme gefolgt wird, dass die Unterbringung der Tochter in der Wohngruppe ihrem seelischen Wohl dient, und dass andere therapeutische Maßnahmen geringere positive Effekte hätten. Die Trennung eines Kindes von seinen Eltern bleibt Ultima Ratio und darf von Verfassungs wegen nur im äußersten Fall erfolgen, der sich hier nicht feststellen lässt. Hingegen ist der Staat durch Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG grundsätzlich weder ermächtigt noch verpflichtet, zu erzwingen, dass Eltern ihrem Kind die optimale Therapie zukommen lassen; dies gilt jedenfalls dann, wenn die aus Gerichtssicht optimale Therapie nur mittels einer unfreiwilligen Trennung von Eltern und Kind durchgeführt werden könnte.

39

b) Ob darüber hinaus der von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG vorliegt, kann hier dahinstehen.

40

c) Der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 18. Oktober 2013 beruht auf den Verstößen gegen das Elternrecht. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Gericht bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und ausreichender Ermittlung des Sachverhalts eine Entscheidung zugunsten der Beschwerdeführerin getroffen hätte.

41

3. Mit der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (vgl. BVerfGE 105, 197 <235>; stRspr).

42

4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

Tenor

1. Die Beschlüsse des Amtsgerichts Langenfeld vom 4. Juli 2013 - 42 F 81/13 - und des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 4. Oktober 2013 - II-5 UF 119/13 - verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes.

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf wird aufgehoben, soweit er die Entziehung des Sorgerechts bestätigt. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht Düsseldorf zurückverwiesen.

Die Verfassungsbeschwerde wird im Übrigen nicht zur Entscheidung angenommen.

2. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

3. Das Land Nordrhein-Westfalen hat den Beschwerdeführern zwei Drittel ihrer notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

4. Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

1. Die Beschwerdeführer wenden sich gegen die im Wege der einstweiligen Anordnung erfolgte Entziehung von Teilbereichen des Sorgerechts für ihre im Jahr 2010 geborene Tochter. Die Beschwerdeführer hatten mit ihrer Tochter in einem gemeinsamen Haushalt gelebt, bis diese am 27. Mai 2013 gegen den Willen der Eltern in einem Kinderheim untergebracht wurde. Die Beschwerdeführerin, die bereits erwachsene Söhne hat, war aufgrund psychischer Probleme seit der Geburt der Tochter kontinuierlich in ambulanter, vorübergehend auch stationärer psychotherapeutischer Behandlung. Seit Mai 2011 erhielt die Familie Unterstützung durch eine sozialpädagogische Familienhilfe.

2

a) Auf Antrag des Jugendamts vom 24. Mai 2013 entzog das Amtsgericht den Beschwerdeführern mit angegriffenem Beschluss vom 24. Mai 2013 im Wege der einstweiligen Anordnung ohne vorherige Anhörung die Personensorge und bestellte eine Ergänzungspflegerin. Außerdem verpflichtete es die Beschwerdeführer zur Herausgabe des Kindes an die Ergänzungspflegerin. Aus der Antragsschrift des Jugendamts und der vom Jugendamt in Auftrag gegebenen psychiatrischen Stellungnahme des Gesundheitsamts ergebe sich, dass das Kind in der Obhut seiner Eltern gefährdet sei. Die Beschwerdeführerin sei in ihrer Erziehungsfähigkeit schwer beeinträchtigt, der Beschwerdeführer sei nicht in der Lage, dies auszugleichen und die Betreuung und Erziehung zu übernehmen. Im Haushalt der Beschwerdeführer bestünden starke Spannungen, die das Kind miterlebe. Nach der psychiatrischen Stellungnahme des Gesundheitsamts werde ein Verbleib in dem von Spannung, Aggressivität und Dissoziation geprägten Umfeld zu einer schweren Beeinträchtigung des Kindes führen. Nach dem Bericht des Jugendamts zeigten sich bei dem Kind bereits Auffälligkeiten.

3

Das Mädchen wurde am selben Tag in einer sogenannten Kriseninterventionsgruppe eines Kinderheims untergebracht, wo sie seitdem lebt.

4

b) Die Beschwerdeführer beantragten beim Amtsgericht, die Sorgerechtsentziehung aufzuheben, hilfsweise das Kind in den Haushalt der Großmutter oder einer Tante väterlicherseits zu überführen.

5

aa) Das Amtsgericht hörte die Beschwerdeführer, das Jugendamt, die Ergänzungspflegerin, den Verfahrensbeistand, die ehemalige Familienhelferin und den Arzt an, der die psychiatrische Stellungnahme des Gesundheitsamts erstellt hatte. Die Großmutter und die Tante des Kindes väterlicherseits waren während der mündlichen Verhandlung im Gerichtsgebäude anwesend, wurden aber nicht gehört. Beide beantragten am selben Tag schriftlich, am Verfahren beteiligt und zum Ergänzungspfleger bestellt zu werden.

6

bb) Mit angegriffenem Beschluss vom 4. Juli 2013 erhielt das Amtsgericht die einstweilige Anordnung aufrecht. Eine Änderung setze eine umfassende Abklärung der Fähigkeit und Bereitschaft der Beschwerdeführer oder anderer Bezugspersonen zur Wahrnehmung der Pflege und Erziehung des Kindes voraus, wozu ein psychiatrisches und familienpsychologisches Gutachten erforderlich sei. Im einstweiligen Verfahren habe sich gezeigt, dass die Beschwerdeführer bisher nicht in der Lage waren, ihr Verhalten gegeneinander und gegenüber dem Kind so zu steuern, dass eine Kindeswohlgefährdung vermieden werde. Die Beschwerdeführerin sei wegen ihrer Erkrankung derzeit nicht in der Lage, das Kind so zu betreuen, dass das Kindeswohl ausreichend gesichert sei. Der Beschwerdeführer sei nicht in der Lage, das Kind gegenüber dem Verhalten der Beschwerdeführerin abzuschirmen und seinerseits eine kindeswohlgerechte kontinuierliche Entwicklung sicherzustellen; allein wegen seiner berufsbedingten Abwesenheit wäre das Kind häufig mit der Beschwerdeführerin allein. Die Entwicklung des Kindes sei bereits beeinträchtigt. Es verweigere häufiger das Essen, zeige aggressives Verhalten gegenüber anderen Kindern und Erzieherinnen, wenn diese ihr Grenzen setzten, außerdem halte es die Hände über den Kopf und zucke bei jeder schnellen Bewegung oder einem etwas lauteren Ton zusammen. Es sei auch nicht hilfreich, das Kind bei einer Verwandten, etwa der Großmutter, unterzubringen. Denn das Kind habe sich gerade in seiner neuen Umgebung eingelebt. Bei einer Änderung müsse es erneut die Bezugspersonen wechseln. Außerdem sei damit zu rechnen, dass die Beschwerdeführerin bei einer Unterbringung bei Verwandten weiterhin starken Einfluss auf die Entwicklung des Kindes haben würde.

7

c) Die Beschwerdeführer legten gegen die Entscheidung des Amtsgerichts Beschwerde ein und begehrten abermals, das Kind im Haushalt der Großmutter oder Tante unterzubringen.

8

aa) Das Oberlandesgericht hörte die Beschwerdeführer, die Großmutter, die Tante, einen Vertreter des Jugendamts sowie die Ergänzungspflegerin an.

9

bb) Mit angegriffenem Beschluss vom 4. Oktober 2013 beschränkte das Oberlandesgericht die einstweilige Entziehung des Sorgerechts auf die Bereiche Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge und das Recht zur Antragstellung nach §§ 27 f. SGB VIII und wies die Beschwerde im Übrigen zurück.

10

Nach den Feststellungen des Jugendamts habe das Kind Verhaltensauffälligkeiten gezeigt. Es habe sich nach den Beobachtungen in der Kindertagesstätte aggressiv gegenüber anderen Kindern und Erzieherinnen verhalten und halte bei jeder schnellen Bewegung oder einem etwas lauteren Ton die Hände über den Kopf und zucke zusammen. Nach einem von der Ergänzungspflegerin überreichten Kurzbericht der Psychologin des Kinderheims vom 10. September 2013 fänden sich bei dem Kind klinisch auffällige Verhaltensweisen im Bereich des oppositionell-aggressiven Verhaltens bei gleichzeitig gering ausgeprägten sozialen Kompetenzen. Das Kind scheine auf Erlebtes zurückzugreifen, ein Zusammenhang mit der Erkrankung der Mutter in ihren depressiven und aggressiven Anteilen sei anzunehmen.

11

Das Oberlandesgericht ging davon aus, dass bei einem Verbleib im elterlichen Haushalt eine konkrete Gefahr für die Entwicklung des Kindes im Sinne des § 1666 BGB bestünde, und dass die Verhaltensauffälligkeiten des Kindes nach dem Stand des summarischen Verfahrens auf dem Verhalten der Eltern beruhten. Nach den Beobachtungen der Familienhelferin sei es immer wieder zu erheblichen Streitigkeiten der Eltern gekommen. Nach den Angaben des Arztes des Gesundheitsamts leide die Beschwerdeführerin an einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung; sie sei in ihrer Erziehungsfähigkeit aufgrund eines Mentalisierungsdefizits, einer Affektregulationsbeeinträchtigung und einer Impulsstörung erheblich beeinträchtigt. Nach dem Entlassungsbericht der Klinik, in die sich die Beschwerdeführerin im Sommer 2012 für sechs Wochen mit ihrer Tochter begeben hatte, weise die Beschwerdeführerin eine emotionale instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ auf. Ob diese Annahmen zuträfen oder es der Beschwerdeführerin wieder gut gehe, sei im Hauptsacheverfahren durch Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zu klären. Mildere Mittel als die Heimunterbringung seien nicht vorhanden.

12

2. Die Beschwerdeführer haben Verfassungsbeschwerde erhoben, mit der sie eine Verletzung von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 GG rügen. Sie legen dar, dass eine Gefährdung des Kindeswohls, die eine Trennung des Kindes von den Eltern rechtfertigen könnte, nicht festgestellt worden sei. Die Fachgerichte hätten es versäumt, die von Dritten beschriebenen Gefahren einer eigenen, spezifisch rechtlichen Beurteilung zu unterziehen. Die Gefahr sei nicht derart dringend gewesen, dass die Trennung im Wege der einstweiligen Anordnung hätte erfolgen dürfen. Die Fachgerichte hätten gar nicht geprüft, ob ein Aufschub bis zur vollständigen Sachverhaltsklärung möglich gewesen wäre. Die Entscheidungen seien außerdem unverhältnismäßig. Die Maßnahme sei nicht geeignet, die Situation des Kindes zu verbessern. Die Fachgerichte hätten sich mit den erheblichen traumatisierenden Folgen einer plötzlichen, für ein Kleinkind unverständlichen und überfallartigen Herausnahme aus dem elterlichen Haushalt überhaupt nicht befasst. Es sei zudem nicht nach milderen Mitteln gesucht worden.

13

3. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen, das Jugendamt, die Ergänzungspflegerin und die Verfahrensbeiständin des Kindes aus dem Ausgangsverfahren hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Akten des familiengerichtlichen Ausgangsverfahrens lagen der Kammer vor.

II.

14

1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, soweit sie sich gegen die zweite Entscheidung des Amtsgerichts und gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts richtet, weil dies zur Durchsetzung des als verletzt gerügten Elternrechts der Beschwerdeführer angezeigt ist, § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG. Diese Entscheidung kann von der Kammer getroffen werden, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden und die Verfassungsbeschwerde danach offensichtlich begründet ist, § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG.

15

2. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist insoweit begründet, weil die Entscheidung des Amtsgerichts vom 4. Juli 2013 und die Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 4. Oktober 2013 die Beschwerdeführer in ihrem grundrechtlich geschützten Elternrecht verletzen (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG). Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihres Kindes. Der Schutz des Elternrechts erstreckt sich auf die wesentlichen Elemente des Sorgerechts, ohne die Elternverantwortung nicht ausgeübt werden kann (vgl. BVerfGE 84, 168 <180>; 107, 150 <173>). Eine Trennung des Kindes von seinen Eltern stellt den stärksten Eingriff in dieses Recht dar. Sie ist nach Art. 6 Abs. 3 GG allein zu dem Zweck zulässig, das Kind vor nachhaltigen Gefährdungen zu schützen (a) und darf nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen (b). Dem genügen die beiden Entscheidungen nicht.

16

a) Den Entscheidungen ist nicht mit hinreichender Sicherheit zu entnehmen, dass eine die Trennung des Kindes von den Eltern rechtfertigende Kindeswohlgefährdung vorliegt. An die Annahme einer solchen Kindeswohlgefährdung sind von Verfassungs wegen strenge Anforderungen zu stellen (aa). Dem genügen die zweite Entscheidung des Amtsgerichts (bb) und die Entscheidung des Oberlandesgerichts (cc) nicht. Dass eine die Trennung rechtfertigende Gefahr des Kindeswohls besteht, liegt angesichts der fachgerichtlichen Feststellungen auch nicht so offen zu Tage, dass sich nähere Ausführungen der Gerichte ausnahmsweise erübrigen könnten (dd).

17

aa) Der verfassungsgerichtlichen Überprüfung eines Sorgerechtsentzugs liegen besondere Maßstäbe zugrunde. Die Annahme einer - die Trennung des Kindes von den Eltern allein rechtfertigenden - Kindeswohlgefährdung unterliegt strengen Voraussetzungen (1). Damit verbunden sind hohe Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung, die grundsätzlich auch im fachgerichtlichen Eilverfahren gelten (2). Gerichtliche Entscheidungen über eine die Trennung des Kindes von den Eltern vorbereitende Sorgerechtsentziehung unterliegen intensiver Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht (3).

18

(1) Soweit es um die Trennung des Kindes von seinen Eltern geht, ist die Sorgerechtsentziehung verfassungsrechtlich nur bei einer Gefährdung des Kindeswohls zu rechtfertigen, an deren Annahme strenge Anforderungen zu stellen sind. Eine Trennung des Kindes von seinen Eltern ist allein zu den in Art. 6 Abs. 3 GG genannten Zwecken zulässig. Danach darf ein Kind gegen den Willen des Sorgeberechtigten nur von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn das Kind aus anderen Gründen zu verwahrlosen droht. Dabei berechtigen nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit der Eltern den Staat, auf der Grundlage seines ihm nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG zukommenden Wächteramts die Eltern von der Pflege und Erziehung ihres Kindes auszuschalten oder gar selbst diese Aufgabe zu übernehmen (vgl. BVerfGE 24, 119 <144 f.>; 60, 79 <91>). Es gehört nicht zur Ausübung des Wächteramts des Staates, gegen den Willen der Eltern für eine bestmögliche Förderung der Fähigkeiten des Kindes zu sorgen. Das Grundgesetz hat die primäre Entscheidungszuständigkeit von Eltern zur Förderung ihres Kindes anerkannt. Dabei wird auch in Kauf genommen, dass Kinder durch Entscheidungen der Eltern wirkliche oder vermeintliche Nachteile erleiden (vgl. BVerfGE 60, 79 <94>). Um eine Trennung des Kindes von den Eltern zu rechtfertigen, muss das elterliche Fehlverhalten vielmehr ein solches Ausmaß erreichen, dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist (vgl. BVerfGE 60, 79 <91>). Ihren einfachrechtlichen Ausdruck hat diese Anforderung in § 1666 Abs. 1 BGB gefunden. Die Annahme einer nachhaltigen Gefährdung des Kindes setzt voraus, dass bereits ein Schaden des Kindes eingetreten ist oder eine Gefahr gegenwärtig in einem solchen Maße besteht, dass sich bei ihrer weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (vgl. BVerfGK 19, 295 <301>; BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2004 - XII ZB 166/03 -, FamRZ 2005, S. 344 <345>).

19

(2) (a) Neben diesen materiellrechtlichen Vorgaben kommt auch der Ausgestaltung des gerichtlichen Verfahrens hohe Bedeutung für die Gewährleistung effektiven Grundrechtsschutzes zu (vgl. BVerfGE 63, 131 <143>). In Sorgerechtsverfahren haben die Familiengerichte das Verfahren so zu gestalten, dass es geeignet ist, eine möglichst zuverlässige Grundlage zu schaffen (vgl. BVerfGE 55, 171 <182>). Damit sind hohe Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung gestellt, die so erfolgen muss, dass sich die materiellrechtlich geforderte hohe Prognosesicherheit ("mit ziemlicher Sicherheit", vgl. BVerfGK 19, 295 <301>) tatsächlich erzielen lässt.

20

(b) Steht wie hier eine Entscheidung im Eilverfahren in Rede, bleiben die praktisch verfügbaren Aufklärungsmöglichkeiten angesichts der spezifischen Eilbedürftigkeit dieser Verfahren allerdings regelmäßig hinter den im Hauptsacheverfahren bestehenden Möglichkeiten zurück. Eine Sorgerechtsentziehung aufgrund summarischer Prüfung im Wege der einstweiligen Anordnung ist damit zwar nicht ausgeschlossen. Sie unterliegt jedoch besonderen verfassungsrechtlichen Anforderungen.

21

(aa) Generell ist die Frage, wie weit die Sachverhaltsermittlung im Eilverfahren reichen muss, in Ansehung der gegen und für eine Eilmaßnahme sprechenden Grundrechte zu beantworten. Je schwerer die dem Einzelnen auferlegte Belastung wiegt und je mehr die Maßnahme Unabänderliches bewirkt, umso gesicherter muss die Tatsachengrundlage des Grundrechtseingriffs sein (vgl. BVerfGE 67, 43 <58 f.>; 69, 315 <363 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 23. Januar 2008 - 1 BvR 2911/07 -, juris, Rn. 25). Andererseits kann umso eher auf ungesicherter Tatsachengrundlage entschieden werden, je schwerer das zu schützende Rechtsgut wiegt und je eilbedürftiger die Entscheidung ist.

22

(bb) Danach bemisst sich die gebotene Intensität der Sachverhaltsermittlung im Fall des Sorgerechtsentzugs im Eilverfahren einerseits nach dem Recht der Eltern, von einem unberechtigten Sorgerechtsentzug verschont zu bleiben (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) und andererseits nach dem Recht des Kindes, durch die staatliche Gemeinschaft vor nachhaltigen Gefahren, insbesondere für sein körperliches Wohl geschützt zu werden, die ihm im elterlichen Haushalt drohen (Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG). Von einer unberechtigten Trennung von den Eltern verschont zu bleiben, liegt im Übrigen auch im durch das Grundrecht auf Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, vgl. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 19. Februar 2013 - 1 BvL 1/11 u.a. -, juris, Rn. 41 ff.; Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2013 - 1 BvL 6/10 -, juris, Rn. 101) geschützten Interesse des Kindes.

23

Weil bereits der vorläufige Entzug des Sorgerechts einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte der Eltern und des Kindes darstellt und weil schon die vorläufige Herausnahme des Kindes aus der Familie Tatsachen schaffen kann, welche später nicht ohne Weiteres rückgängig zu machen sind, sind grundsätzlich auch bei einer Sorgerechtsentziehung im Eilverfahren hohe Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung zu stellen. Sie sind umso höher, je geringer der möglicherweise eintretende Schaden des Kindes wiegt und in je größerer zeitlicher Ferne der zu erwartende Schadenseintritt liegt. So fehlt es regelmäßig an der gebotenen Dringlichkeit einer Maßnahme, wenn sich die drohenden Beeinträchtigungen erst über längere Zeiträume entwickeln und sich die Gefährdungslage im Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht derart verdichtet hat, dass ein sofortiges Einschreiten geboten wäre.

24

Ohne weitergehende Sachverhaltsaufklärung können die Gerichte angesichts besonderer Schwere und zeitlicher Nähe der dem Kind drohenden Gefahr eine Trennung des Kindes von seinen Eltern allerdings dann veranlassen, wenn die Gefahr wegen der Art der zu erwartenden Schädigung des Kindes und der zeitlichen Nähe des zu erwartenden Schadenseintritts ein sofortiges Einschreiten gebietet. Ein sofortiges Einschreiten aufgrund vorläufiger Ermittlungsergebnisse kommt im Eilverfahren etwa bei Hinweisen auf körperliche Misshandlungen, Missbrauch oder gravierende, gesundheitsgefährdende Formen der Vernachlässigung in Betracht.

25

(3) Bei der verfassungsgerichtlichen Überprüfung eines die Trennung des Kindes von den Eltern vorbereitenden Sorgerechtsentzugs kommt ein strenger Kontrollmaßstab zur Anwendung. Zwar sind die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und die Würdigung des Tatbestandes sowie die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Regelungen im einzelnen Fall grundsätzlich Angelegenheit der zuständigen Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Dem Bundesverfassungsgericht obliegt im Regelfall lediglich die Kontrolle, ob die angegriffene Entscheidung Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts oder vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen (vgl. BVerfGE 72, 122 <138>; stRspr). Bei gerichtlichen Entscheidungen, die Eltern zum Zweck der Wegnahme des Kindes das Sorgerecht für ihr Kind entziehen, besteht hingegen wegen des sachlichen Gewichts der Beeinträchtigung der Grundrechte von Eltern und Kind Anlass, über den grundsätzlichen Prüfungsumfang hinauszugehen (vgl. BVerfGE 55, 171 <181>; 75, 201 <221 f.>). Vor allem prüft das Bundesverfassungsgericht, ob das Familiengericht in nachvollziehbarer Weise angenommen hat, es bestehe eine nachhaltige Gefährdung des Kindeswohls und diese sei nur durch die Trennung des Kindes von den Eltern, nicht aber durch weniger intensiv eingreifende Maßnahmen abwendbar. Dabei kann sich die verfassungsgerichtliche Kontrolle wegen des besonderen Eingriffsgewichts ausnahmsweise auch auf einzelne Auslegungsfehler (vgl. BVerfGE 60, 79 <91>; 75, 201 <222>) sowie auf deutliche Fehler bei der Feststellung und Würdigung des Sachverhalts erstrecken.

26

bb) Die Entscheidung des Amtsgerichts vom 4. Juli 2013 verletzt das Grundrecht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Das Gericht hat - auch nach eigener Einschätzung - nicht auf gesicherter Ermittlungsgrundlage entschieden; es beabsichtigt, das aus seiner Sicht notwendige Sachverständigengutachten, das sowohl psychiatrischen wie familienpsychologischen Sachverstand erfordere, erst in einem Hauptsacheverfahren einzuholen. Wegen der Intensität des Grundrechtseingriffs durfte der die Wegnahme des Kindes vorbereitende Sorgerechtsentzug auf diesen vorläufigen Ermittlungsstand nur dann gestützt werden, wenn die Gefahr einer schweren und zeitlich nahen Kindeswohlgefahr bestand, die ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung ausschloss. Das Gericht hat das Bestehen einer solchen Kindeswohlgefahr nicht nachvollziehbar festgestellt. Es geht davon aus, dass die Beschwerdeführer bisher nicht in der Lage waren, ihr Verhalten gegen-einander und gegenüber dem Kind so zu steuern, dass eine Kindeswohlgefährdung vermieden wurde. Die Entwicklung des Kindes sei bereits beeinträchtigt. Das Kind verweigere häufiger das Essen, zeige aggressives Verhalten gegenüber anderen Kindern und Erzieherinnen, wenn diese ihr Grenzen setzten und halte bei jeder schnellen Bewegung oder einem etwas lauteren Ton die Hände über den Kopf und zucke zusammen. Die Beschwerdeführerin sei wegen ihrer Erkrankung gegenwärtig nicht in der Lage, das Kind so zu betreuen, dass das Kindeswohl ausreichend gesichert sei. Mit diesen Ausführungen benennt das Gericht weder die konkrete Art und das Gewicht der Gefahren, die dem Kind bei einem Verbleib im elterlichen Haushalt drohen könnten, noch erfolgt eine richterliche Einschätzung der zeitlichen Dringlichkeit der Fremdunterbringung. Beides wäre angesichts des lediglich vorläufigen Ermittlungsstands, welcher der Entscheidung zugrunde lag, verfassungsrechtlich notwendig gewesen. Da das Kind zu diesem Zeitpunkt bereits aus dem elterlichen Haushalt herausgenommen und die unterstellte Kindeswohlgefahr damit vorläufig gebannt war, stand das Amtsgericht - anders als bei der ersten Entscheidung (s.u., III.) - auch nicht unter solch außergewöhnlichem Zeitdruck, dass sich die notwendigen richterlichen Ermittlungen, Darlegungen und Einschätzungen ausnahmsweise erübrigten.

27

cc) Auch anhand der Begründung der Entscheidung des Oberlandesgerichts lässt sich nicht nachvollziehen, worin die sachliche und zeitliche Dringlichkeit einer Trennung des Kindes von seinen Eltern zu sehen ist, die den Sorgerechtsentzug auf Grundlage des nach wie vor lediglich vorläufig ermittelten Sachverhalts allein rechtfertigen könnte. Das Gericht spricht von einer konkreten Gefahr für die Entwicklung des Kindes, ohne jedoch die Art der Gefahr und die zeitliche Dringlichkeit der Herausnahme des Kindes zu spezifizieren. Das Gericht erwähnt zwar Berichte über psychische Erkrankungen der Beschwerdeführerin, über erhebliche Streitigkeiten der Eltern und über auffällige Verhaltensweisen des Kindes im Bereich des oppositionell-aggressiven Verhaltens bei gering ausgeprägten sozialen Kompetenzen. Auch insoweit unterbleiben aber eine Benennung und Bewertung der Art des dem Kind im elterlichen Haushalt drohenden Schadens. Dass dem Kind ein schwerer Schaden droht, der ein sofortiges Einschreiten wegen der zeitlichen Nähe des Schadenseintritts erforderte, wird auch nicht durch die bloße Wiedergabe der Beobachtung begründet, das Kind halte bei jeder schnellen Bewegung oder einem etwas lauteren Ton die Hände über den Kopf und zucke zusammen.

28

dd) Dass dem Kind im Haushalt der Eltern in naher Zukunft eine schwere Gefahr drohte, ist nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen auch nicht solchermaßen offenkundig, dass nähere Ausführungen der Gerichte verfassungsrechtlich entbehrlich wären. Der von den Gerichten benannte, aber nicht weiter analysierte Umstand, dass mehreren Betreuern des Mädchens schreckhafte Reaktionen auf laute Ansprache, teilweise auch auf schnelle Bewegungen aufgefallen waren, mag die Vermutung erlauben, das Kind habe körperliche Gewalt erlebt, lässt darauf ohne nähere Erläuterungen jedoch nicht hinreichend deutlich schließen. Weder das psychiatrische Gutachten des Gesundheitsamts noch die langjährige Familienhelferin hatten berichtet, dass es in der Vergangenheit zu körperlicher Gewalt der Beschwerdeführerin gegen das Kind gekommen sei. Laut Antragsschrift des Jugendamts hat die Beschwerdeführerin selbst von einer Ohrfeige berichtet, die sie ihrer Tochter (wohl im Jahr 2011) gegeben habe, als sie sich überfordert gefühlt habe. Sie habe ihr Fehlverhalten bedauert und sich dafür geschämt. Für eine darüber hinausgehende Gewalttätigkeit gegenüber ihrer Tochter spricht dies nicht; auch sonst ist nichts ersichtlich, was hierauf mit hinreichender Sicherheit schließen ließe.

29

b) Inwieweit die zweite Entscheidung des Amtsgerichts und die Entscheidung des Oberlandesgerichts darüber hinaus den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzen (siehe dazu BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2014 - 1 BvR 160/14 -, juris), bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Sofern das Oberlandesgericht die Fremdunterbringung des Kindes weiterhin für geboten erachten sollte, wird es insoweit prüfen müssen, ob die Großmutter des Mädchens oder seine Tante zum Ergänzungspfleger zu bestellen sind. Die Unterbringung des Kindes bei Verwandten kann im Vergleich zur Heimunterbringung eine Eltern und Kind weniger stark belastende Maßnahme sein. Ist die Verwandtenunterbringung zur Abwendung der Kindeswohlgefahr ebenso geeignet, genügt die Heimunterbringung nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

30

Die vom Amtsgericht und vom Oberlandesgericht angeführten Gründe dafür, warum von einer Bestellung der Verwandten als Ergänzungspfleger abzusehen sei, begegnen teilweise erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Das gilt etwa für die Erwägung, das Mädchen habe sich gerade in ihrer neuen Umgebung eingewöhnt und ein erneuter Aufenthaltswechsel belaste das Kind. Das Kind ist in einer sogenannten Kriseninterventionsgruppe untergebracht, die keine Dauer-lösung bietet, so dass dem Kind ohnehin ein weiterer Wechsel bevorsteht. Davon abgesehen kann das Argument der Eingewöhnung in den Fällen einer auf vorläufiger Sorgerechtsentziehung beruhenden Fremdunterbringung grundsätzlich nicht durchgreifen, weil damit Entscheidungen, die im Eilverfahren auf wenig gesicherter tatsächlicher Grundlage gefällt werden, faktisch endgültig zu werden drohen, da sie die Voraussetzungen für den Fortbestand der Trennung schaffen. Auch das Argument, es sei damit zu rechnen, dass die Beschwerdeführerin bei einer Verwandtenunterbringung weiterhin starken Einfluss auf die Entwicklung des Kindes haben würde, begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken. Diese Aussage geht darüber hinweg, dass die Verwandtenunterbringung gerade auch deshalb ein milderes Mittel darstellt, weil sie es den Eltern ermöglicht, den Kontakt zum Kind leichter zu halten und dessen Entwicklung weiter zu beeinflussen, soweit dies dem Kindeswohl nicht schadet.

III.

31

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, soweit die Beschwerdeführer sich gegen die Entscheidung des Amtsgerichts vom 24. Mai 2013 wenden. Insoweit kommt der Sache weder grundlegende Bedeutung zu noch ist die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführer angezeigt. Diese Entscheidung ist verfassungsgemäß.

32

Die Annahme des Amtsgerichts in seiner Entscheidung vom 24. Mai 2013, es liege eine die Trennung des Kindes von den Eltern rechtfertigende Kindeswohlgefährdung vor, hält verfassungsrechtlicher Kontrolle am Maßstab des Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 GG noch stand.

33

Die Entscheidung des Amtsgerichts beruht auf summarischer Prüfung, die sich in tatsächlicher Hinsicht allein auf die Antragsschrift des Jugendamts und die psychiatrische Stellungnahme des Gesundheitsamts stützt. Das Gericht hätte eine weitergehende Sachverhaltsaufklärung zur Frage der Kindeswohlgefahr in der kurzen Zeit, die zwischen dem am Freitag dem 24. Mai 2013 beim Amtsgericht eingegangenen Antrag des Jugendamts und der vom Jugendamt für den Vormittag des Montags den 27. Mai 2013 geplanten Herausnahme des Kindes aus dem elterlichen Haushalt verblieb, kaum vornehmen können.

34

Den Ausführungen des Amtsgerichts ist die angesichts dieser noch sehr ungewissen Ermittlungslage verfassungsrechtlich geforderte Dringlichkeit der Herausnahme des Kindes aus dem elterlichen Haushalt zwar nicht unmittelbar zu entnehmen. Es benennt die Gefahren für das Kindeswohl nur sehr allgemein und verzichtet auf eine Bewertung ihrer Schwere und Dringlichkeit. Das Amtsgericht mag aus den in seiner Entscheidung in Bezug genommenen Ausführungen des Jugendamts und des Gesundheitsamts jedoch die Möglichkeit einer jederzeit aktualisierbaren Gefahr für Leib und Leben des Kindes abgeleitet haben. Das Jugendamt hat unter Verweis auf die psychiatrische Stellungnahme des Gesundheitsamts ausgeführt, eine akute Kindeswohlgefährdung werde eintreten, wenn die Beschwerdeführerin ihre wiederholt geäußerten Tötungsphantasien im Rahmen von krisenhaften Konflikten oder überfordernden Kontextänderungen nicht mehr kontrollieren könne. Zwar findet diese Einschätzung in den vom Jugendamt wiedergegebenen Aussagen keine hinreichende Grundlage. Dort wird über früher geäußerte Tötungsgedanken und fremdaggressives Verhalten gegenüber dem Ehemann berichtet, was zu einem Klinikaufenthalt im Sommer 2011 führte. Laut Klinik sind fremdaggressive Impulse gegenüber dem Kind jedoch tatsächlich nicht aufgetreten. Das Jugendamt erwähnt in seiner Antragsschrift einen Bericht der Familienhelferin, die Beschwerdeführerin habe das Foto eines zu Tode gekommenen Mädchens aufgestellt, weil ihr der Fall sehr nahe gehe, und sie spreche darüber, dass ihr das vor zwei Jahren auch hätte passieren können. Dies lässt aber nicht den Schluss auf eine auch nur halbwegs reale, aktuelle Tötungsneigung gegenüber dem Kind zu. Zu Recht wurde dieser Aspekt weder in der zweiten Entscheidung des Amtsgerichts noch in der Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts aufgegriffen, die beide nicht unter demselben Zeitdruck getroffen werden mussten, unter dem das Amtsgericht hier stand.

35

Angesichts einer sehr hohen Schadensintensität, die durch den Antragsschriftsatz des Jugendamts angedeutet war, ist die Annahme, das Kind müsse zur Abwendung einer Gefahr für Leib und Leben sofort aus der Familie herausgenommen werden, noch nachvollziehbar. Wegen des besonderen Zeitdrucks genügt insoweit ausnahmsweise auch die bloße Bezugnahme auf die Ausführungen des Jugendamts und die psychiatrische Stellungnahme durch das Gericht noch verfassungsrechtlichen Anforderungen.

IV.

36

1. Es wird lediglich der Beschluss des Oberlandesgerichts, soweit er die Entziehung des Sorgerechts bestätigt, aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG), weil er dem Interesse der Beschwerdeführer, möglichst rasch eine das Verfahren abschließende Entscheidung zu erhalten (vgl. BVerfGE 84, 1 <5>; 94, 372 <400>), am besten dient.

37

2. Mit der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (vgl. BVerfGE 105, 197 <235>; stRspr).

38

3. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.

39

Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

Tenor

1. Der Beschluss des Amtsgerichts Landau in der Pfalz vom 19. Juni 2013 - 1 F 287/12 - und der Beschluss des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 8. November 2013 - 2 UF 106/13 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes und werden aufgehoben.

2. Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

3. Das Land Rheinland-Pfalz hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

4. Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) und für das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf 12.500 € (in Worten: zwölftausendfünfhundert Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführerin wendet sich - gleichzeitig im Wege des Eilantrags - gegen den Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts und des Rechts zur Beantragung von Hilfen zur Erziehung für ihre beiden in den Jahren 2009 und 2011 geborenen jüngsten Kinder.

2

1. a) Die Beschwerdeführerin ist Mutter von fünf Kindern. Ihre älteste, nichteheliche Tochter ist bereits volljährig und wohnt nicht mehr im mütterlichen Haushalt. Aus einer mittlerweile rechtskräftig geschiedenen Ehe sind zwei weitere Kinder, geboren 2001 und 2004, hervorgegangen, die nach Trennung und Scheidung zunächst in der Obhut der Beschwerdeführerin lebten. Nach der Scheidung wurde die Beschwerdeführerin 2009 und 2011 Mutter der beiden hier betroffenen Kinder, die zunächst ebenfalls in der Obhut der Mutter aufwuchsen.

3

Seit 2009 erhielt die Familie Erziehungshilfen in Form von sozialpädagogischer Familienhilfe. Dabei waren nacheinander zwei verschiedene Träger im Einsatz. Da diese familienunterstützende Maßnahme nicht ausreichte, erhielt die Familie zusätzlich eine ambulante flexible Hilfe durch eine Hauswirtschafterin. Die Hilfen wurden vom Kreisjugendamt zum 1. Januar 2013 eingestellt.

4

Im Jahr 2010 durchlitt die Beschwerdeführerin eine mehrmonatige mittelgradige depressive Episode. Diese führte im Jahr 2010 zu einer parasuizidalen Tabletteningestion, in deren Folge die Beschwerdeführerin unterschiedliche medizinische, psychiatrische und psychotherapeutische Behandlungen stationärer und ambulanter Art erfuhr.

5

Mit Schriftsatz vom 6. November 2012 beantragte der geschiedene Ehemann die Übertragung der elterlichen Sorge für die beiden gemeinsamen Kinder auf sich. Das Kreisjugendamt beantragte am 12. November 2012 die Einleitung eines Verfahrens gemäß § 1666 BGB bezüglich der vier minderjährigen Kinder der Beschwerdeführerin. Mit Schreiben vom 27. Februar 2013 beantragte das Kreisjugendamt die Anordnung familiengerichtlicher Eilmaßnahmen. Die Situation der betroffenen Kinder habe sich deutlich verschlechtert, so dass nun ein akuter Handlungsbedarf bestehe. Durch gerichtliche Vereinbarung vom 27. März 2013 einigten sich die Eltern darauf, dass der Sohn der geschiedenen Eheleute bis auf Weiteres beim Vater lebt.

6

b) Mit Beschluss vom 27. März 2013 entschied das Amtsgericht nach Anhörung der Kinder sowie nach Anhörung unterschiedlicher professionell Beteiligter, von familiengerichtlichen Maßnahmen im Wege der einstweiligen Anordnung abzusehen.

7

c) Mit Beschluss vom 17. Juni 2013 übertrug das Familiengericht die elterliche Sorge für die beiden gemeinsamen Kinder gemäß § 1671 Abs. 1 BGB auf den Vater. Auch die gemeinsame Tochter zog daraufhin zum Vater. Nach persönlicher Anhörung der Beteiligten durch den Senat nahm die Beschwerdeführerin ihre gegen den amtsgerichtlichen Beschluss eingelegte Beschwerde auf Empfehlung des Oberlandesgerichts mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2013 zurück.

8

d) Durch angegriffenen Beschluss des Amtsgerichts vom 19. Juni 2013 wurde - nach Einholung eines Sachverständigengutachtens - der Beschwerdeführerin die elterliche Sorge für die beiden bei ihr verbliebenen Kinder hinsichtlich der Teilbereiche Aufenthaltsbestimmung und Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen entzogen und auf das Kreisjugendamt als Ergänzungspfleger übertragen. Das Kindeswohl sei aufgrund (unverschuldeten) Versagens der Mutter im Fall eines weiteren Wohnens im mütterlichen Haushalt gefährdet.

9

Das Gericht stützte sich dabei ausdrücklich im Wesentlichen auf die Erkenntnisse der Sachverständigen: Diese kämen zu dem Ergebnis, dass eine Fremdunterbringung sinnvoll sei, um den beiden Kindern die Chance auf eine ruhige, gesunde, sichere und verlässliche Umgebung ohne gravierende Mängel in der Basisversorgung zu geben. Die Mutter sei in der allgemeinen Erziehungsfähigkeit deutlich eingeschränkt. Hinsichtlich der speziellen Erziehungsfähigkeit seien insbesondere bei den Teilaspekten körperliche Versorgung und Schutz sowie Vermittlung von Regeln erhebliche Einschränkungen festgestellt worden. Die Mutter befinde sich aufgrund eigener psychischer Erkrankung und ihrer Persönlichkeitsstruktur im Allgemeinen in einer dauernden Überlastungssituation. Hierdurch sei es trotz des großen von außerhalb in der Familie installierten Helfersystems offenbar wiederholt zu Situationen gekommen, die das körperliche, geistige und seelische Wohl der Kinder zumindest mittelfristig gefährdet hätten und auch zukünftig gefährden könnten. Die fachlichen Empfehlungen der durch das Jugendamt installierten Hilfspersonen seien von der Mutter regelmäßig nicht umgesetzt worden.

10

Das Gericht verkenne nicht, dass es der Mutter unter Inanspruchnahme der diversen durch das Jugendamt installierten Hilfsmaßnahmen zeitweise gelungen sei, eine positive Entwicklung hinsichtlich der Strukturierung des Haushalts und der Kindererziehung in Gang zu setzen. Nachdem allerdings die Fortführung von Hilfemaßnahmen durch das Jugendamt abgelehnt werde und die Mutter daher selbst für eine Verbesserung der Lebens- und Wohnsituation sorgen müsste, sei davon auszugehen, dass für die betroffenen Kinder im Haushalt der Mutter eine latente Gefahrensituation bestehe. Die Anordnung sonstiger, milderer Maßnahmen komme nicht in Betracht. Die Inanspruchnahme öffentlicher Hilfen scheide bereits deswegen aus, weil das zuständige Jugendamt die Durchführung weiterer Hilfemaßnahmen im Haushalt der Mutter ablehne. Das Jugendamt sehe keine geeigneten Hilfsansätze und betrachte die Hilfemaßnahmen als gescheitert. Das Familiengericht sei insoweit an den Beurteilungsrahmen des Jugendamts gebunden.

11

e) Gegen die erstinstanzliche Entscheidung legte die Beschwerdeführerin Beschwerde ein und beantragte zugleich die Aussetzung ihrer Vollziehung. Hierauf stellte das Amtsgericht mit Beschluss vom 25. Juni 2013 die Vollstreckung seines Beschlusses vom 19. Juni 2013 einstweilen ein.

12

f) Die Beschwerde der Beschwerdeführerin wurde durch angegriffenen Beschluss des Oberlandesgerichts vom 8. November 2013 zurückgewiesen. Der Senat teile die Einschätzung des Familiengerichts, dass es zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung erforderlich sei, der Mutter die elterliche Sorge für ihre beiden jüngsten Kinder in den Teilbereichen Aufenthaltsbestimmung und Beantragung von Hilfen zur Erziehung zu entziehen. Nach den überzeugenden Feststellungen der Sachverständigen sei die Mutter in ihrer Erziehungsfähigkeit erheblich eingeschränkt. Sie sei nicht in der Lage, ausreichend Verantwortung für ihre Kinder wahrzunehmen und sie zu erziehen und zu fördern. Die Sachverständigen hätten im Rahmen ihrer eingehenden Begutachtung erhebliche Defizite bereits bei der Erfüllung der Minimalanforderungen an eine ausreichende körperliche Versorgung und den Schutz der beiden Kinder sowie bei der Vermittlung von Regeln festgestellt.

13

Auch im Rahmen der über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren installierten intensiven familienpädagogischen Betreuung sei es nicht im erforderlichen Maß gelungen, der Mutter die zur eigenverantwortlichen und eigenständigen Betreuung, Versorgung und Erziehung ihrer Kinder erforderlichen Fähigkeiten zu vermitteln. Aus Sicht der in die ambulante Hilfe einbezogenen Fachkräfte sei auf diesem Weg eine Verbesserung der Situation nicht mehr zu erwarten gewesen. Die Hilfsmöglichkeiten seien ausgeschöpft, die Familienhilfe habe erfolglos beendet werden müssen. Der Senat sehe sich an diese Einschätzung der mit der konkreten Situation vertrauten Fachkräfte gebunden. Er habe keine Veranlassung, an deren Richtigkeit zu zweifeln. Alle in die Familienhilfe eingebundenen Personen hätten gleichermaßen berichtet, dass sich die häusliche Situation und die Entwicklung der Kinder mit der intensiven Unterstützung durch Familienhilfe, Hauswirtschafterin und sozialpädagogische Begleitung zwar (zunächst) verbessert habe, dass mit diesen Hilfen aber keine anhaltenden Veränderungen im Verhalten der Mutter hätten erreicht werden können, ihr insbesondere nicht die Fähigkeiten hätten vermittelt werden können, die Bedürfnisse ihrer Kinder selbständig zu erkennen und entsprechend zu handeln.

14

g) Die beiden Kinder wurden am 15. November 2013 in eine Pflegefamilie überführt.

15

h) Die durch die Beschwerdeführerin erhobene Anhörungsrüge wurde mit Beschluss des Oberlandesgerichts vom 19. Dezember 2013 zurückgewiesen.

16

2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und Art. 103 Abs. 1 GG.

17

Aufgrund des Sachverhalts habe das Oberlandesgericht nicht zur Feststellung eines bereits eingetretenen Schadens der Kinder oder einer gegenwärtigen nachhaltigen Gefährdung gelangen können. Die Sachverständigen hätten im Rahmen ihrer Begutachtung festgestellt, dass eine akute Kindeswohlgefährdung nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden könne und aus gutachterlicher Sicht nicht sicher als gegeben angesehen werde. Die von den Sachverständigen festgestellte mittelfristige Gefährdungslage reiche nicht aus, um der Beschwerdeführerin das Aufenthaltsbestimmungsrecht entziehen zu können.

18

Darüber hinaus hätten beide Instanzen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht beachtet. Das Amtsgericht sei zu einer Verhältnismäßigkeitsprüfung erst gar nicht vorgedrungen, weil es rechtsirrig davon ausgegangen sei, dass dem Jugendamt bei der Frage, ob der Beschwerdeführerin weiter ambulante Hilfe zu bewilligen sei oder die Kinder aus dem Haushalt der Beschwerdeführerin herausgenommen werden müssten, ein Beurteilungsrahmen zustehe, an den das Gericht gebunden sei. Das Oberlandesgericht sei im Rahmen seiner Entscheidung zu dem Ergebnis gekommen, mildere Mittel zur Abwehr der Gefährdung stünden nicht zur Verfügung. Es habe insoweit jedoch wesentlichen Vortrag und wesentliche Beweisantritte der Beschwerdeführerin übergangen.

19

Das Oberlandesgericht beschäftige sich im Rahmen seiner Entscheidung überhaupt nicht mit der in zweiter Instanz neu aufgetretenen Situation, dass bereits vor Erlass seiner Entscheidung am 8. November 2013 festgestanden habe, dass die Beschwerdeführerin fortan nur noch ihre beiden kleinen Kinder in Obhut habe, so dass die von den Sachverständigen dargelegte Überforderungssituation bei Betreuung der vier Kinder nicht mehr bestanden habe.

20

3. Die Akten des Ausgangsverfahrens und des Kreisjugendamts lagen der Kammer vor.

21

4. Die Verfassungsbeschwerde wurde der Landesregierung Rheinland-Pfalz, dem Kreisjugendamt und der Verfahrensbeiständin zugestellt. Es wurden keine Stellungnahmen abgegeben.

II.

22

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt.

23

Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Eltern-rechts der Beschwerdeführerin geboten (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Zu dieser Entscheidung ist die Kammer berufen, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet ist (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

24

1. Die Beschwerdeführerin wird durch die angegriffenen Entscheidungen in ihrem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt.

25

a) Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Der Schutz des Elternrechts erstreckt sich auf die wesentlichen Elemente des Sorgerechts, ohne die Elternverantwortung nicht ausgeübt werden kann (vgl. BVerfGE 84, 168 <180>; 107, 150 <173>). Eine Trennung der Kinder von ihren Eltern stellt den stärksten Eingriff in dieses Recht dar. Sie ist nach Art. 6 Abs. 3 GG allein zu dem Zweck zulässig, das Kind vor nachhaltigen Gefährdungen zu schützen (s.u., b)) und darf nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen (s.u., c)). Diesen Anforderungen werden die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht.

26

Dabei kommt ein strenger Kontrollmaßstab zur Anwendung. Zwar sind die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und die Würdigung des Tatbestandes sowie die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Regelungen im einzelnen Fall grundsätzlich Angelegenheit der zuständigen Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Dem Bundesverfassungsgericht obliegt lediglich die Kontrolle, ob die angegriffene Entscheidung Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts oder vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen (vgl. BVerfGE 72, 122 <138>; stRspr). Bei gerichtlichen Entscheidungen, die Eltern zum Zweck der Trennung des Kindes von den Eltern das Sorgerecht für ihr Kind entziehen, besteht hingegen wegen des sachlichen Gewichts der Beeinträchtigung der Grundrechte von Eltern und Kindern Anlass, über den grundsätzlichen Prüfungsumfang hinauszugehen (vgl. BVerfGE 55, 171 <181>; 75, 201 <221 f.>). Vor allem prüft das Bundesverfassungsgericht, ob das Familiengericht in nachvollziehbarer Weise angenommen hat, es bestehe eine nachhaltige Gefährdung des Kindeswohls und diese sei nur durch die Trennung des Kindes von den Eltern, nicht aber durch weniger eingreifende Maßnahmen abwendbar. Dabei kann sich die verfassungsgerichtliche Kontrolle wegen des besonderen Eingriffsgewichts ausnahmsweise auch auf einzelne Auslegungsfehler (vgl. BVerfGE 60, 79 <91>; 75, 201 <222>) sowie auf deutliche Fehler bei der Feststellung und Würdigung des Sachverhalts erstrecken.

27

b) Die Annahme, hier liege eine die Trennung der Kinder von der Mutter rechtfertigende Kindeswohlgefährdung vor, hält verfassungsrechtlicher Kontrolle am strengen Maßstab des Art. 6 Abs. 2 und 3 GG nicht stand.

28

aa) Soweit es um die Trennung des Kindes von seinen Eltern geht, ist dieser Grundrechtseingriff allein zu den in Art. 6 Abs. 3 GG genannten Zwecken zulässig. Danach dürfen Kinder gegen den Willen des Sorgeberechtigten nur von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen. Dabei berechtigen nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit der Eltern den Staat auf der Grundlage seines ihm nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG zukommenden Wächteramts, die Eltern von der Pflege und Erziehung ihres Kindes auszuschalten oder gar selbst diese Aufgabe zu übernehmen (vgl. BVerfGE 24, 119 <144 f.>; 60, 79 <91>). Es gehört nicht zur Ausübung des Wächteramts des Staates, gegen den Willen der Eltern für eine bestmögliche Förderung der Fähigkeiten des Kindes zu sorgen. Das Grundgesetz hat den Eltern die primäre Entscheidungszuständigkeit bezüglich der Förderung ihrer Kinder zugewiesen. Dabei wird auch in Kauf genommen, dass Kinder durch Entscheidungen der Eltern wirkliche oder vermeintliche Nachteile erleiden (vgl. BVerfGE 60, 79 <94>; BVerfGK 13, 119 <124>). Um eine Trennung des Kindes von den Eltern zu rechtfertigen, muss das elterliche Fehlverhalten vielmehr ein solches Ausmaß erreichen, dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist (vgl. BVerfGE 60, 79 <91>). Ihren einfachrechtlichen Ausdruck hat diese Anforderung in § 1666 Abs. 1 BGB gefunden. Die Annahme einer nachhaltigen Gefährdung des Kindes setzt voraus, dass bereits ein Schaden des Kindes eingetreten ist oder eine Gefahr gegenwärtig in einem solchen Maße besteht, dass sich bei ihrer weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (vgl. BVerfGK 19, 295 <301>; BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2004 - XII ZB 166/03 -, FamRZ 2005, S. 344 <345>).

29

bb) Dass die beiden Kinder bei einem Verbleib bei ihrer Mutter in ihrem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet sind, lässt sich aufgrund der Erwägungen beider Gerichte nicht mit der gebotenen Sicherheit feststellen.

30

(1) Amtsgericht und Oberlandesgericht stützen die Feststellung einer Kindeswohlgefährdung maßgeblich auf das eingeholte Sachverständigengutachten, obwohl dieses weder ausdrücklich noch in der Sache zu dem Ergebnis gelangt, dass eine nachhaltige Kindeswohlgefährdung im Sinne eines bereits eingetretenen Schadens der Kinder oder einer gegenwärtigen Gefahr besteht. Die Gutachter führen aus, eine "akute Kindeswohlgefährdung" sei bei keinem der Kinder zweifelsfrei nachgewiesen. Zwar sehen sie eine "mittel- bzw. langfristige Gefährdung" des Kindeswohls. Eine künftige Gefährdung begründet jedoch keine nachhaltige Kindeswohlgefahr im verfassungsrechtlichen Sinne.

31

Vor diesem Hintergrund ist auch die im Wesentlichen auf die Feststellungen der Sachverständigen gestützte, in der Begründung beider Gerichte zentrale Annahme tatsächlich nicht hinreichend nachvollziehbar, die Mutter erfülle bereits die Minimalanforderungen an eine ausreichende körperliche Versorgung ihrer Kinder nicht. Das Oberlandesgericht führt dies nicht aus. Das Amtsgericht zitiert hierfür zwar zusätzlich die Feststellung der Sachverständigen, es bestünden Defizite der Beschwerdeführerin bei der Beschaffung von witterungsgerechter Kleidung für die Kinder, in der Organisation des Alltags, in der Hautpflege der Kinder mit Neurodermitis, hinsichtlich einer allergenarmen Umgebung zu Hause, bei der Zahnpflege, bei der Beschränkung des Medienkonsums und bei der Zubereitung kindgerechter Mahlzeiten. Diese Aufzählung von Defiziten lässt erkennen, dass hier keine guten Bedingungen für die Entwicklung eines Kindes bestehen. Auf einen eingetretenen Schaden oder eine gegenwärtige Gefahr im Sinne von Art. 6 Abs. 3 GG lässt die bloße Inbezugnahme dieser Umstände jedoch schon deshalb nicht schließen, weil die Sachverständigen selbst hieraus lediglich eine mittel- bis langfristige Gefährdung abgeleitet haben.

32

(2) Weil die Sachverständigen in ihrem Gutachten eine nachhaltige Kindeswohlgefahr weder im Ergebnis noch der Sache nach festgestellt haben, hätten die Gerichte selbst aufzeigen müssen, aus welchen Umständen sie schließen, dass bereits ein Schaden bei den Kindern eingetreten ist oder eine Gefahr gegenwärtig in einem solchen Maße besteht, dass sich bei ihrer weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt und worin dieser Schaden konkret besteht. Tatsächlich haben beide Gerichte weitere Umstände angeführt. Diese tragen die Annahme einer nachhaltigen Kindeswohlgefahr jedoch nicht.

33

(a) Das Amtsgericht führt ergänzend aus, die Unfähigkeit der Mutter, für eine schadfreie Umgebung der Kinder zu sorgen, zeige sich auch daran, dass sie, obwohl bei den beiden älteren Kindern chronische Hauterkrankungen vorlagen, nicht für ein hygienisches Lebensumfeld Sorge getragen habe. Die Wohnung sei oft in einem chaotischen und unhygienischen Zustand gewesen. Zudem habe die Mutter zuletzt auch noch einen Hund angeschafft. Bei im Übrigen körperlich gesunden Familienmitgliedern und grundsätzlich hygienischen Lebensumständen möge die Anschaffung eines Haustieres regelmäßig kein gewichtiger Negativfaktor sein. Unter Beachtung der Erkrankungen der Kinder und der ohnehin sehr bedenklichen Zustände der Wohnung zeige dies allerdings, dass die Mutter die eigene Situation und Belastbarkeit völlig falsch einschätze.

34

Zwar bietet die häusliche Situation der Beschwerdeführerin deren Kindern zweifelsohne auch insoweit keine guten Entwicklungsbedingungen. Eine die Trennung der Kinder von der Mutter rechtfertigende nachhaltige Kindeswohlgefahr vermag der vom Amtsgericht hervorgehobene Umstand, dass die Mutter trotz chronischer Hauterkrankungen der Kinder zusätzlich ein Haustier angeschafft hat, aber schon deshalb nicht zu begründen, weil die beiden hautkranken Kinder nicht mehr im Haushalt der Mutter leben. Dass die beiden verbliebenen Kinder unter vergleichbaren Gesundheitsproblemen leiden, ist nicht ersichtlich. Ungeachtet der Frage, ob das beschriebene Verhalten überhaupt eine Art. 6 Abs. 3 GG genügende nachhaltige Kindeswohlgefahr begründen konnte, lässt sich eine Trennung von Kind und Eltern grundsätzlich nicht auf eine in der Vergangenheit liegende Gefährdungslage stützen, weil es auch dann an der verfassungsrechtlich geforderten Gegenwärtigkeit einer konkreten Gefahr fehlt.

35

Das Amtsgericht selbst gelangt folgerichtig, jedoch verfassungsrechtlich nicht ausreichend lediglich zu der Einschätzung, dass für die betroffenen Kinder eine "latente" Gefahrensituation im Haushalt der Mutter bestehe.

36

(b) Eine nachhaltige Kindeswohlgefährdung lässt sich entgegen den Feststellungen des Oberlandesgerichts auch nicht aus dem Verhalten des älteren der beiden Kinder im Kindergarten herleiten. So begründen weder das von der Verfahrensbeiständin beschriebene introvertierte Wesen des Kindes noch eine gewisse Distanziertheit des Kindes zur Mutter und zu anderen Personen oder gar der Umstand, dass das Kind an Aktivitäten in der Kindergartengruppe nur eingeschränkt teilnehme und entweder allein oder mit zwei anderen Kindern spiele, die ebenfalls nur bedingt in die Gruppe integriert seien, eine die Trennung von Mutter und Kindern rechtfertigende Kindeswohlgefahr.

37

c) Die Entscheidungen genügen zudem nicht den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Die Trennung des Kindes von seinen Eltern darf nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen (vgl. BVerfGE 60, 79 <89>). Das setzt voraus, dass die Trennung zur Erreichung der Abwendung einer nachhaltigen Kindeswohlgefahr geeignet und erforderlich ist und dazu in angemessenem Verhältnis steht.

38

aa) Es lässt sich nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen, dass die Trennung der Kinder von der Mutter geeignet ist, die von den Gerichten angenommenen Gefahren zu beseitigen oder abzumildern. Zwar wäre die Trennung grundsätzlich geeignet, die nach Ansicht der Gerichte bei der Mutter für die Kinder bestehenden Gefahren zu beseitigen. Allerdings ruft die Trennung des Kindes von den Eltern regelmäßig eigenständige Belastungen des Kindes hervor, weil das Kind unter der Trennung selbst dann leiden kann, wenn sein Wohl bei den Eltern nicht gesichert war. Eine Maßnahme kann nicht ohne Weiteres als zur Wahrung des Kindeswohls geeignet gelten, wenn sie ihrerseits nachteilige Folgen für das Kindeswohl haben kann. Solche negativen Folgen einer Trennung des Kindes von den Eltern und einer Fremdunterbringung sind zu berücksichtigen (vgl. BVerfGK 19, 295 <303>) und müssten durch die Beseitigung der festgestellten Gefahr aufgewogen werden, so dass sich die Situation des Kindes in der Gesamtbetrachtung verbessern würde (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011 - XII ZB 247/11 -, FamRZ 2012, S. 99 <102>).

39

Dies lässt sich hier nicht feststellen. Weder das Oberlandesgericht noch das Amtsgericht haben die Folgen der plötzlichen Herausnahme der Kinder aus ihrer gewohnten Umgebung sowie der Trennung von ihrer Mutter und der Unterbringung in einer Pflegefamilie ins Verhältnis zu den negativen Folgen eines weiteren Verbleibens der Kinder bei der Mutter gesetzt.

40

bb) Schließlich sind die konkret getroffenen Anordnungen zur Erreichung des verfolgten Zwecks nicht erforderlich. Erforderlich ist eine Maßnahme nur dann, wenn kein milderes Mittel zur Verfügung steht, das zur Erreichung des angestrebten Zwecks gleich gut geeignet ist (vgl. BVerfGE 100, 313 <375>).

41

(1) Der Staat muss darum, bevor er Kinder von ihren Eltern trennt, nach Möglichkeit versuchen, durch helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der leiblichen Eltern gerichtete Maßnahmen sein Ziel zu erreichen (vgl. BVerfGE 24, 119 <145>; 60, 79 <93>). In Übereinstimmung mit diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen erklärt § 1666a Abs. 1 Satz 1 BGB Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, nur dann für zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann.

42

(2) Dass keine milderen Mittel zur Verfügung standen, die ebenso geeignet gewesen wären, die festgestellte Gefährdung von den Kindern abzuwenden, lässt sich hier nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen. Als mildere Mittel kommen Maßnahmen in Betracht, die einen Verbleib der Kinder bei der Beschwerdeführerin mit staatlicher Hilfe ermöglichen könnten. Zu Recht haben darum beide Gerichte die Frage weiterer Hilfemaßnahmen aufgeworfen. Beide Gerichte haben indessen verneint, dass die von ihnen angenommene Kindeswohlgefährdung durch weitere Hilfemaßnahmen abgewendet werden könnte und haben solchen Maßnahmen damit im konkreten Fall die Eignung zur Zweckerreichung abgesprochen. Insoweit halten weder die Ausführungen des Oberlandesgerichts noch die des Amtsgerichts der hier notwendig strengen verfassungsrechtlichen Prüfung stand.

43

(a) Die Ausführungen des Oberlandesgerichts lassen nicht mit hinreichender Sicherheit erkennen, dass die angenommene Kindeswohlgefährdung nicht durch weitere öffentliche Hilfemaßnahmen abgewendet werden könnte. Die Beschwerdeführerin ist bereit, Hilfen anzunehmen und hat deren Fortsetzung erfolglos beantragt. Das Oberlandesgericht geht allerdings davon aus, dass mit den gewährten Hilfen keine anhaltenden Veränderungen im Verhalten der Mutter erreicht werden können. Für diese Annahme ist eine hinreichende tatsächliche Grundlage jedoch nicht erkennbar.

44

(aa) Die Feststellung des Oberlandesgerichts, alle in die Familienhilfe eingebundenen Personen hätten "gleichermaßen" berichtet, dass mit den gewährten Hilfen keine anhaltenden Veränderungen im Verhalten der Mutter hätten erreicht werden können, ist nicht nachvollziehbar. Zwar haben sich das Kreisjugendamt, die Verfahrensbeiständin und andere Helfer aus dem Umfeld der Beschwerdeführerin für eine Herausnahme der Kinder aus deren Haushalt ausgesprochen. Im Gegensatz dazu wurde jedoch in den dem Gericht vorliegenden Berichten des zuletzt in der Familie tätigen Familienhilfeträgers eine insgesamt positive Entwicklung festgestellt. So wird etwa im Bericht für den Zeitraum 1. Oktober 2011 - 1. Februar 2012 ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin die Wohnung jede Woche etwas mehr strukturiere, sie nehme Verbesserungsvorschläge an und entwickle eigene Lösungen daraus. Laut Bericht für den Zeitraum 5. Januar 2012 - 4. September 2012 sei weiter ein Prozess der ständigen Verbesserung erkennbar. In ihrem Bericht für den Zeitraum 14. September 2012 - 31. Dezember 2012 führen die Familienhelfer schließlich aus, dass eine "Fortführung der positiven Entwicklung" zu verzeichnen sei. Ausweislich des Protokolls der Anhörung am 27. März 2013 im amtsgerichtlichen Verfahren der einstweiligen Anordnung, dessen Akte beizuziehen die Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren beantragt hatte, berichtete die Familienhelferin außerdem, dass die Beschwerdeführerin sich stabilisiert habe und der Alltag besser geregelt gewesen sei. Die Mutter habe die Unterstützung der Familienhelferin durchgehend angenommen. Sie habe während ihrer Zeit in der Familie weder eine Verwahrlosung noch eine sonstige konkrete Gefährdung der Kinder gesehen. Diese seien versorgt worden, wenn auch nicht optimal. Sie hätte zuletzt den Eindruck gehabt, dass die Beschwerdeführerin es mit fremder Hilfe schaffen würde, auch ihre Berufstätigkeit sowie die zahlreichen Termine, die für die Kinder und sie selbst wahrgenommen werden müssen, zu regeln.

45

Es findet sich keine Begründung dafür, warum diesen Aussagen keine Bedeutung beigemessen werden sollte. Zwar ist es offenbar zu Unstimmigkeiten zwischen Jugendamt und freien Trägern gekommen. So ist auch im Sachverständigengutachten ausgeführt, dass es zum Ende des Hilfezeitraums einige "Ungereimtheiten" gegeben habe, die nicht näher bewertet werden könnten. Daraus folgt jedoch nicht ohne Weiteres, dass die Aussagen der freien Träger unbeachtlich sind.

46

(bb) Darüber hinaus wäre zu berücksichtigen gewesen, dass die Beschwerdeführerin aufgrund des Wechsels der beiden älteren Kinder in die Obhut des Vaters im März und im Juni 2013 zum Zeitpunkt der Entscheidung des Oberlandesgerichts nur noch zwei Kinder zu betreuen hätte. Vor diesem Hintergrund drängt sich die vom Gericht nicht beantwortete Frage auf, ob weitere Hilfemaßnahmen eventuell eine weitergehende Wirkung entfalten würden als zu der Zeit, als sich vier Kinder in der Obhut der Beschwerdeführerin befanden. Zwar haben die Sachverständigen im Rahmen ihrer Anhörung vor dem Amtsgericht auch für den Fall der verkleinerten Familie eine Kindeswohlgefährdung angenommen. Die Sachverständigen haben jedoch gerade nicht die Situation im Falle fortgesetzter Hilfemaßnahmen bewertet, sondern haben die Situation für den Fall beurteilt, dass die Beschwerdeführerin mit den beiden Kindern auf sich gestellt wäre.

47

(b) Auch die Ausführungen des Amtsgerichts lassen nicht erkennen, dass die angenommene Kindeswohlgefährdung nicht durch mildere Mittel in Gestalt weiterer öffentlicher Hilfemaßnahmen abgewendet werden könnte. Das Amtsgericht sah sich insoweit an die Einschätzung des Jugendamts gebunden und hat es versäumt, selbständig zu ermitteln, ob öffentliche Hilfen tatsächlich geeignet waren, die Kindeswohlgefahr abzuwenden (aa). Die Eignung öffentlicher Hilfen war nicht allein durch die Weigerung des Jugendamts ausgeschlossen, der Beschwerdeführerin weitere Hilfen zu gewähren (bb).

48

(aa) Das Amtsgericht konnte nicht allein aufgrund der ungeprüft übernommenen Einschätzung des Jugendamts davon ausgehen, die Fortführung der Hilfemaßnahmen sei nicht geeignet, die Beschwerdeführerin in den Stand zu versetzen, ihrer Elternverantwortung gerecht zu werden. Dies hätte das Amtsgericht vielmehr eigenständig ermitteln müssen.

49

Das Familiengericht hat bei der Entscheidung nach §§ 1666, 1666a BGB zu ermitteln, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Entziehung des Sorgerechts vorliegen. Es muss sein Verfahren so gestalten, dass es selbst möglichst zuverlässig die Grundlage einer am Kindeswohl orientierten Entscheidung erkennen kann (vgl. BVerfGE 55, 171 <182>). Die hier maßgebliche Frage, ob der Gefahr für die Kinder nicht auf andere Weise als durch Trennung von den Eltern, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann (§ 1666a Abs. 1 Satz 1 BGB), betrifft eine verfassungsrechtlich zentrale Tatbestandsvoraussetzung und muss darum vom Familiengericht von Amts wegen aufgeklärt werden. Ob öffentliche Hilfen erfolgversprechend sind, muss das Familiengericht letztlich in eigener Verantwortung beurteilen, wozu es sich eine zuverlässige Entscheidungsgrund-lage verschaffen und diese in seiner Entscheidung auch darlegen muss (vgl. BVerfGK 13, 119 <127 f.>). Die eigene Ermittlungspflicht trägt dazu bei, zu verhindern, dass Kinder von ihren Eltern getrennt werden, ohne dass die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 3 GG vorliegen und schützt damit Grundrechte der Eltern und des Kindes.

50

Weil die Ermittlungspflicht grundrechtliche Schutzfunktion entfaltet, können sich die Gerichte ihrer nicht ohne gesetzliche Grundlage entledigen - auch nicht im Wege der Annahme einer Bindung an Feststellungen des Jugendamts. Ob eine gesetzliche Bindung des Familiengerichts an die Feststellungen und Wertungen des Jugendamts besteht, ist - ungeachtet der Frage der Vereinbarkeit einer solchen Bindung mit dem Grundgesetz - zunächst eine Frage der Auslegung des einfachen Rechts. Aus §§ 1666, 1666a BGB oder den Vorschriften des SGB VIII über die Gewährung öffentlicher Hilfen ist für die Annahme einer Bindung des Familiengerichts an die Feststellungen des Jugendamts nichts erkennbar. Das Amtsgericht behauptet eine solche Bindung zwar, zeigt jedoch nicht auf, inwiefern diese durch Auslegung des geltenden Rechts hergeleitet werden könnte. Eine Bindung ergibt sich auch nicht aus den Grundsätzen über die verfassungsrechtliche Anerkennung administrativer Letztentscheidungsrechte. Danach sind behördliche Entscheidungen in besonderen, wiederum gesetzlich zu bestimmenden Konstellationen gerichtlich nur eingeschränkt auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfbar. Dies gilt für behördliche Planungs- und Ermessensentscheidungen sowie ausnahmsweise für gebundene Entscheidungen, bei denen der Gesetzgeber der Verwaltung im Verhältnis zur die Verwaltung kontrollierenden Gerichtsbarkeit einen sogenannten Beurteilungsspielraum eingeräumt hat (vgl. BVerfGE 129, 1 <21 ff.> m.w.N.). Diese Grundsätze kommen hier - ungeachtet der fehlenden gesetzlichen Grundlage - jedoch bereits deshalb nicht zur Anwendung, weil die familiengerichtliche Entscheidung nach § 1666 BGB nicht als Kontrolle behördlicher Entscheidungen, sondern als eigene und originäre Sachentscheidung des Gerichts ausgestaltet ist. Die gerichtliche Kontrolle der Entscheidungen des Jugendamts über die Gewährung öffentlicher Hilfen obliegt de lege lata nicht den Familiengerichten, sondern den Verwaltungsgerichten (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2001 - 5 C 6/00 -, juris, Rn. 11; Coester, in: Staudinger, 2009, § 1666a, Rn. 13; Olzen, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 6. Auflage, 2012, § 1666, Rn. 177).

51

Dass das Familiengericht bei der Entscheidung nach § 1666 BGB nicht rechtlich an die Einschätzung des Jugendamts zur Eignung weiterer Hilfemaßnahmen gebunden ist, schließt freilich nicht aus, dass es bei der ihm aufgegebenen Ermittlung der für und gegen einen Sorgerechtsentzug sprechenden Tatsachen auch die Aussagen der seitens des Jugendamts mit dem Sachverhalt befassten Fachkräfte heranzieht. Das gilt auch für deren Einschätzung der Zweckerreichungseignung weiterer Hilfemaßnahmen. Beim Jugendamt werden häufig aufgrund unmittelbarer Kontakte mit den betroffenen Familien gute Kenntnisse über den einzelnen Sachverhalt bestehen, die sich das Familiengericht bei seiner Entscheidungsfindung zunutze machen kann. Das Gericht hat diese Aussagen jedoch wie die Angaben anderer mit dem Fall befasster Personen genau zu analysieren, mit anderen Informationen abzugleichen und in den größeren sachlichen Kontext zu stellen, um so etwa besondere Spannungsverhältnisse berücksichtigen zu können, wie sie hier zwischen staatlichen Stellen und freien Trägern aufgetreten zu sein scheinen. Es hat all das rechtlich zu würdigen und vor diesem Hintergrund eine eigene Entscheidung darüber zu treffen, ob die Entziehung des Sorgerechts durch (weitere) Maßnahmen öffentlicher Hilfe abgewendet werden kann und darum aus Gründen der Verhältnismäßigkeit unterbleiben muss. Dem wird das Familiengericht nicht gerecht, wenn es ohne Weiteres von einer Bindung an die Einschätzung des Jugendamts ausgeht.

52

(bb) Das Amtsgericht durfte die Inanspruchnahme öffentlicher Hilfen auch nicht deshalb als denkbares milderes Mittel außer Betracht lassen, weil die Durchführung einer vom Jugendamt bereits abgelehnten Hilfemaßnahme praktisch nicht durchsetzbar wäre. Zwar ist ungewiss, ob das Familiengericht befugt ist, das Jugendamt zur Gewährung öffentlicher Hilfen zu verpflichten. Jedoch können die Personensorgeberechtigten den Anspruch auf Hilfen nach §§ 27 ff. SGB VIII grundsätzlich vor den Verwaltungsgerichten durchsetzen. Allerdings ist der Mutter hier auch das Recht zur Beantragung von Hilfen entzogen und gerade auf das Jugendamt als Ergänzungspfleger übertragen worden. Das Jugendamt kann den Anspruch auf öffentliche Hilfen im Weigerungsfall nicht gegen sich selbst im Gerichtswege durchsetzen. Das den Eltern unverändert zustehende Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gebietet indessen, auch in diesem Fall eine effektive Möglichkeit gerichtlicher Überprüfung der behördlichen Entscheidungen zu eröffnen. Mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG wäre es nicht zu vereinbaren, wenn im grundrechtssensiblen Bereich des Kindesschutzes eine Situation entstünde, in der behördliche Entscheidungen über die Gewährung öffentlicher Hilfen gerichtlicher Überprüfung entzogen wären. Das gilt erst recht dann, wenn diese Hilfen - wie hier - ein Mittel zur Abwendung der Trennung des Kindes von den Eltern sein können (§ 1666a Abs. 1 Satz 1 BGB), ohne deren Gewährung das Kind von den Eltern getrennt werden müsste. Das Amtsgericht durfte darum nicht allein wegen der ablehnenden Haltung des Jungendamts von der fehlenden Möglichkeit öffentlicher Hilfen ausgehen.

53

(cc) Das hier aus der Annahme einer vollumfänglichen Bindung an die Einschätzung des Kreisjugendamts resultierende Defizit bei der Ermittlung und Berücksichtigung milderer Mittel führt angesichts der Eingriffsintensität ohne Weiteres zur Verfassungswidrigkeit der Entscheidung.

54

2. Ob darüber hinaus der von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG vorliegt, kann hier dahinstehen.

55

3. Die Beschlüsse des Amtsgerichts vom 19. Juni 2013 und des Oberlandesgerichts vom 8. November 2013 beruhen auf den möglichen Verstößen gegen das Elternrecht. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Gerichte bei ausreichender Ermittlung und Würdigung aller Umstände des Einzelfalls im Lichte des bei der Trennung eines Kindes von den Eltern von Verfassungs wegen anzulegenden Beurteilungsmaßstabs eine Entscheidung zugunsten der Beschwerdeführerin getroffen hätten.

56

4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 247/11
vom
26. Oktober 2011
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Die Regelung in § 18 FamFG ist verfassungskonform dahin auszulegen, dass die
Frist zur Nachholung der Begründung der Rechtsbeschwerde nicht zwei Wochen,
sondern einen Monat beträgt (im Anschluss an BGHZ 184, 323 = NJW 2008,
3500).

b) Zur Beseitigung einer Gefährdung des Kindeswohls (hier: Umgangsvereitelung
und massive Beeinflussung des Kindes durch die allein sorgeberechtigte Mutter
gegen den Vater) darf nur das mildeste Mittel gewählt werden. Vor Entziehung des
- gesamten - Aufenthaltsbestimmungsrechts wegen Umgangsvereitelung ist eine
Umgangspflegschaft einzurichten. Davon kann nur bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit
abgesehen werden.

c) Auch bei Wahl des mildesten Mittels hat ein Eingriff in das Sorgerecht (hier: Entziehung
des Aufenthaltsbestimmungsrechts zum Zweck der Heimunterbringung)
zu unterbleiben, wenn dieser mit anderweitigen Beeinträchtigungen des Kindeswohls
einhergeht und bei einer Gesamtbetrachtung zu keiner Verbesserung der
Situation des gefährdeten Kindes führt (im Anschluss an Senatsbeschluss vom
11. Juli 1984 - IVb ZB 73/83 - FamRZ 1985, 169, 171).
BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011 - XII ZB 247/11 - OLG Naumburg
AG Zerbst
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Oktober 2011 durch die
Richter Dose, Weber-Monecke, Dr. Klinkhammer, Schilling und Dr. Günter

beschlossen:
1. Der Beteiligten zu 1 wird gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und zur Begründung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. 2. Auf die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1 wird der Beschluss des 3. Zivilsenats - 1. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Naumburg vom 7. Dezember 2010 aufgehoben. Das Verfahren wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Wert: 3.000 €

Gründe:

A.

1
Die Rechtsbeschwerdeführerin (im Folgenden: Mutter) wendet sich gegen die teilweise Entziehung des Sorgerechts für ihre im Mai 2000 geborene Tochter.
2
Die nicht miteinander verheirateten Eltern, die zunächst mit dem Kind zusammengelebt hatten, trennten sich im April 2009. Das Kind blieb im Haus- halt der Mutter, der die alleinige elterliche Sorge zusteht. Das Kind wurde während der Woche von der Großmutter mütterlicherseits betreut, zu der es eine enge Beziehung hat. Die Wochenenden verbrachte es bei der Mutter.
3
Der Vater versuchte nach der Trennung wiederholt, Umgang mit dem Kind zu erhalten. Auf seinen Antrag wurde ein Umgangsverfahren vor dem Familiengericht durchgeführt. Trotz einer von den Eltern getroffenen vorläufigen Vereinbarung, eines später gegen die Mutter verhängten Ordnungsgeldes sowie einer anschließenden gerichtlichen Umgangsregelung kamen Umgangskontakte nicht zustande. Das Scheitern lag im Wesentlichen in der ablehnenden Haltung der Mutter begründet, die dem Kind wegen seines Wunsches nach Kontakt mit dem Vater unter anderem massive Vorhaltungen gemacht hatte und auch einen begleiteten Umgang im Jugendamt ablehnte. Weitere Vermittlungsbemühungen und -vorschläge blieben ohne Erfolg.
4
Entsprechend vorherigen Androhungen hat das Amtsgericht im Juni 2010 das vorliegende Verfahren zur Entziehung der elterlichen Sorge eingeleitet. Es hat zur Erziehungsfähigkeit der Mutter ein familienpsychologisches Sachverständigen-Gutachten eingeholt. Das Amtsgericht hat sodann die Verfahrensbeteiligten und die Sachverständige angehört. Eine Anhörung des Kindes im abschließenden Anhörungstermin ist daran gescheitert, dass die anwesende Großmutter dem Amtsrichter den Zugang zum Kind unmöglich gemacht hat. Mit Beschluss vom Tag der Anhörung hat das Amtsgericht der Mutter die elterliche Sorge in den Teilbereichen Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge und Recht zur Antragstellung auf Sozialleistungen entzogen und diese dem Jugendamt als Pfleger übertragen. Das Kind befindet sich seit der Entscheidung in einem Heim der Jugendhilfe.
5
Das Oberlandesgericht hat die von der Mutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts eingelegte Beschwerde zurückgewiesen. Es hat im Ausspruch seines Beschwerdebeschlusses die Rechtsbeschwerde insoweit zugelassen, als es um die Rechtsfrage geht, ob in einem Sorgerechtsverfahren, bei dem für das betroffene Kind bereits ein Verfahrensbeistand zur Wahrnehmung seiner Rechte bestellt worden ist, noch ein Ergänzungspfleger für das Verfahren zu bestellen ist.
6
Die Mutter hat nach Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe durch den Senat gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts Rechtsbeschwerde eingelegt , mit der sie die Aufhebung der teilweisen Sorgerechtsentziehung erstrebt. Sie beantragt wegen versäumter Einlegungs- und Begründungsfrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

B.

7
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung (§ 71 Abs. 1 Satz 1 FamFG) wie auch zur Begründung der Rechtsbeschwerde (§ 71 Abs. 2 Satz 1 FamFG) ist der Mutter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
8
Die Mutter war vor Bewilligung der beantragten Verfahrenskostenhilfe durch den Senat an der Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gehindert und hat Einlegung und Begründung auch rechtzeitig nachgeholt. Die Begründung der Rechtsbeschwerde ist indessen anders als deren Einlegung nicht innerhalb der in § 18 Abs. 3 Satz 2 FamFG aufgeführten Frist nachgeholt worden. Gemäß § 18 Abs. 3 Satz 2 FamFG ist die versäumte Rechtshandlung innerhalb der Antragsfrist für die Wiedereinsetzung nachzuholen, welche nach § 18 Abs. 1 FamFG zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses beträgt. Das Hindernis war die Verfahrenskostenbedürftigkeit der Mutter, welche durch die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe durch den Senat entfallen ist (vgl. BGHZ 176, 379, 381 f. = NJW 2008, 3500).
9
Die Frist von zwei Wochen, die im Hinblick auf die Begründung der Rechtsbeschwerde nach dem Gesetzeswortlaut abgelaufen wäre, ist hingegen aus verfassungsrechtlichen Gründen auf die Rechtsmittelbegründung nicht anzuwenden. Denn anderenfalls wäre die nach Art. 3 Abs. 1 GG gebotene Gleichbehandlung bemittelter und unbemittelter Verfahrensbeteiligter nicht mehr gewährleistet (vgl. BVerfG NJW 1987, 1191; FamRZ 2000, 474, 475). Die hier gebotene verfassungskonforme Auslegung führt zu einer Wiedereinsetzungsfrist für die Begründung der Rechtsbeschwerde von einem Monat.
10
Die Regelung in § 18 FamFG muss, ebenso wie die inhaltsgleiche Regelung in § 234 Abs. 1 ZPO in der bis zum 31. August 2004 geltenden Fassung (dazu Senatsbeschluss vom 9. Juli 2003 - XII ZB 147/02 - FamRZ 2003, 1462, 1463), verfassungskonform ausgelegt werden (BGHZ 184, 323 = FamRZ 2010, 809 [LS] Rn. 9 mwN). Der Gesetzgeber hat sich bei der Formulierung von § 18 FamFG an dem früheren § 22 FGG einerseits und an § 60 VwGO andererseits ausgerichtet (Entwurfsbegründung BT-Drucks. 16/6308 S. 183). Er hat dabei aber übersehen, dass das frühere Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit keine besondere Begründungsfrist kannte und § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO (ebenso wie § 234 ZPO) durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz vom 24. August 2004 (BGBl. I S. 2198) um eine besondere Monatsfrist bei der Versäumung der Begründungsfrist ergänzt worden ist, um der ansonsten entstehenden verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Verkürzung der Frist für eine bedürftige Partei entgegenzuwirken (BGHZ 184, 323 = FamRZ 2010, 809 [LS] Rn. 9).
11
Bei der danach gebotenen verfassungskonformen Anwendung der Vorschrift beginnt die Frist zur Nachholung der Begründung zwar gemäß § 18 Abs. 1 FamFG mit der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe (vgl. BGHZ 176, 379, 381 f. = NJW 2008, 3500). Sie beträgt aber nicht zwei Wochen. Es gilt vielmehr die Monatsfrist des § 71 Abs. 2 Satz 1 FamFG (BGHZ 184, 323 = FamRZ 2010, 809 [LS] Rn. 9).

C.

12
Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

I.

13
Das Oberlandesgericht hat sich in verfahrensrechtlicher Hinsicht der Auffassung angeschlossen, dass es neben der Bestellung eines Verfahrensbeistands keiner zusätzlichen Bestellung eines Ergänzungspflegers bedürfe, und dies ausführlich begründet.
14
In der Sache habe das Amtsgericht der Mutter zu Recht Teilbereiche der elterlichen Sorge entzogen. Nach dem Ergebnis der amtsgerichtlichen Ermittlungen und der vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen habe der massive Interessenkonflikt der Kindeseltern bereits deutliche und für das Kindeswohl nachteilige seelische Auswirkungen auf das Kind gehabt, sodass bereits von einem Schaden für das Kind gesprochen werden könne. Das Oberlandesgericht hat sich auf das Sachverständigen-Gutachten bezogen, nach dem das Kind auch nach der Trennung eine tiefe und eigentlich positive emotionale Bindung zum Vater habe, der sich früher ebenfalls intensiv um die Betreuung des Kindes gekümmert habe. Diese Bindung werde aber von der Mutter, die die Trennung vom Vater emotional immer noch nicht überwunden habe und diesem negativ gegenüberstehe, abgelehnt, was sie auch durch ihr Verhalten dem Kind gegenüber zum Ausdruck bringe. Bei der Mutter, die den Vater im Beisein des Kindes auf das Übelste beschimpft habe, sei eine massive Verweigerungshaltung gegenüber den Kontakten zwischen Vater und Kind vorhanden. Dass das Kind vom "Fremdgehen" des Vaters gesprochen habe, lasse auf eine direkte und indirekte negative Beeinflussung des Kindes schließen. Der Mutter fehle diesbezüglich die elterliche Feinfühligkeit, ihr elterliches Wohlverhalten gegenüber den Bindungen des Kindes zum Vater sei eingeschränkt. Unter den dargestellten Umständen halte die Sachverständige eine gesunde Zukunftsentwicklung des Mädchens im Haushalt der Mutter nicht für möglich, unterbinde diese doch mit ihrem Verhalten auch eine gesunde Autonomieentwicklung des Kindes. Würde das Kind weiter im Haushalt der Mutter bleiben, so würde dies nach Auffassung der Sachverständigen den sicheren Kontaktabbruch zwischen Vater und Tochter zur Folge haben. Diese Situation würde dazu führen, dass das Kind sich im Alter von 20 bis 25 Jahren wegen des erlittenen Bindungsverlustes und einer sich hieraus wahrscheinlich entwickelnden Neurose und Bindungsstörung in psychotherapeutische Behandlung werde begeben müssen. Zudem könnten die erlittenen seelischen Störungen, ggf. schon während der Pubertät, zu einer Delinquenz des Kindes führen. Auch nach den Schilderungen des Jugendamts leide das Kind unter dem Interessenkonflikt, habe nach Angaben der Schule Probleme im Umgang mit Gleichaltrigen und werde von anderen gemieden , weil es häufig nur über Zuhause spreche und einen Jargon wie Erwachsene verwende. Nach den Berichten des Verfahrensbeistands sei das Kind in seinem Bindungsverhalten gestört. Die bei ihm vorhandenen seelischen Störungen erforderten es, dass es nach seiner Heimunterbringung psychologisch und psychotherapeutisch begleitet werde. Die Mutter unternehme alles, um Umgangs- termine von Vater und Kind zu konterkarieren. Nach den Angaben des Verfahrensbeistands habe das Kind bis zu seiner Heimunterbringung durch das Jugendamt in der Obhut von Großmutter und Mutter gelebt und sei diesen emotional sehr verbunden. Da es aber gleichwohl auch eine gute Bindung zum Vater habe und eigentlich auch Kontakt zu ihm wünsche, jedoch Angst vor den Vorwürfen der Mutter und deren Hass auf den Vater habe, entscheide es sich dafür , keinen Umgang mit dem Vater zu pflegen. Das Kind wolle aber neben seinem Kontakt mit dem Vater eigentlich nur seine Ruhe vor dem Streit der Eltern haben.
15
Die (Teil-)Entziehung der elterlichen Sorge sei auch verhältnismäßig. Die gegen den Umgang des Kindes mit seinem Vater gerichteten, von Hass gegen diesen wegen der Trennung erfüllten, sich wiederholt im Beisein des Kindes in wüsten Beschimpfungen des Vaters und teilweise auch der übrigen Verfahrensbeteiligten und des Gerichts getätigten Äußerungen und sonstigen subtilen Einflussnahmen der Mutter erforderten es zwingend, dass das Kind aus dem Haushalt der Mutter und der Großmutter herausgelöst werde. Der weitere Verbleib des Kindes im Haushalt der Mutter/Großmutter würde dazu führen, dass sich die seelischen Belastungen des Kindes weiter krankhaft verfestigten und später gar zu einer regelrechten Neurose mit etwaiger Delinquenz des Kindes auswachsen könnten. Die Mutter habe bislang sämtliche Hilfestellungen psychologischer , psychotherapeutischer, familientherapeutischer und auch jugendamtlicher Art abgelehnt, das gerichtliche Angebot einer Mediation ausgeschlagen und sämtliche Hilfestellungen des Verfahrensbeistands und des Jugendamts beim für das Kind wichtigen Umgang mit dem Vater abgelehnt. Demnach habe keine andere Möglichkeit als die teilweise Sorgerechtsentziehung bestanden. Wie wenig einsichtig die Mutter sei, zeige sich daran, dass Ordnungsmittel hätten verhängt werden müssen. Sie habe gar deren Vollstreckung als milderes Mittel gegen sich verlangt. Dagegen spreche bereits, dass sie es monatelang in der Hand gehabt habe, dem Kind unbelasteten Umgang mit dem Vater zu ermöglichen , dies aber auch nichts an der eigentlichen Belastungssituation des Kindes, nämlich der immer wieder gegenüber dem Kind bekundeten ablehnenden Haltung gegenüber dem Vater, ändern würde.
16
Aus der Anhörung des Kindes durch das Oberlandesgericht habe sich zudem ergeben, dass es derzeit nicht geneigt sei, in den Haushalt der Mutter zurückzukehren, weil es befürchte, von der Mutter erneut unter emotionalen Druck gesetzt zu werden. Dem Kind sei nach dem Gespräch mit dem Senat des Oberlandesgerichts regelrecht eine Last weggebrochen, als es von der Senatsvorsitzenden gefragt worden sei, was es davon hielte, noch eine Weile im Heim zu bleiben und Mutter und Großmutter, wie in einem Internat, an den Wochenenden besuchen zu können. Eine Justizhauptsekretärin habe dem Gericht zu berichten gewusst, dass das Kind anschließend bei einer Begegnung mit der Mutter auf dem Flur gefasst gewirkt habe, während die Mutter vor dem Kind geweint habe.
17
Das Oberlandesgericht hat "aufgrund der gesamten Umstände" keine andere Möglichkeit gesehen, als der Mutter das Sorgerecht teilweise zu entziehen , um das Kind "in der Obhut seines Pflegers bzw. dessen Kinderheim" zur Ruhe kommen zu lassen und ihm alsbald die von ihm gewünschten Umgangskontakte mit dem Vater zu ermöglichen.

II.

18
Das hält rechtlicher Überprüfung nicht in allen Punkten stand.
19
1. Die angefochtene Entscheidung steht in vollem Umfang zur Überprüfung durch den Senat. Die vom Oberlandesgericht in den Tenor seiner Ent- scheidung aufgenommene Beschränkung der Rechtsbeschwerdezulassung auf die Rechtsfrage der Notwendigkeit eines Ergänzungspflegers ist nicht wirksam.
20
Eine beschränkte Zulassung der Rechtsbeschwerde ist - wie die der Revision - nur bezüglich selbstständiger Teile des Verfahrensgegenstandes möglich. Insofern kann die Zulassung des Rechtsmittels beschränkt werden, wenn auch das Rechtsmittel selbst entsprechend beschränkt werden könnte (vgl. Senatsurteile vom 25. Januar 1995 - XII ZR 195/93 - FamRZ 1995, 1405 und BGHZ 153, 358, 362 f. = FamRZ 2003, 590, 591). Auf einzelne Rechtsfragen, die nicht ausschließlich einen abgrenzbaren Teil des Verfahrensgegenstandes betreffen, kann die Zulassung daher nicht beschränkt werden. Die Bestellung eines Ergänzungspflegers betrifft eine Verfahrensfrage, die den gesamten Verfahrensgegenstand erfasst. Da sich aus der Beschränkung auch keine ausschließliche Zulassung des Rechtsmittels - nur - für einzelne Verfahrensbeteiligte ergibt und die Frage der Beschwer durch die fehlende Ergänzungspflegerbestellung hier nicht maßgeblich ist, steht die Entscheidung des Oberlandesgerichts somit in vollem Umfang zur Überprüfung durch den Senat.
21
2. Die vom Oberlandesgericht behandelte Streitfrage, ob in Kindschaftsverfahren neben dem Verfahrensbeistand zusätzlich ein Ergänzungspfleger zu bestellen ist, hat der Senat inzwischen im Sinne der auch vom Oberlandesgericht vertretenen Auffassung entschieden (Senatsbeschluss vom 7. September 2011 - XII ZB 12/11 - zur Veröffentlichung bestimmt).
22
Die Frage ist im vorliegenden Fall aber nicht entscheidungserheblich. Die Entziehung der elterlichen Vertretungsbefugnis nach §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 BGB und Bestellung eines Ergänzungspflegers erfordern ein gesondertes Verfahren vor dem Familiengericht. Solange den sorgeberechtigten Eltern oder dem sorgeberechtigten Elternteil die Vertretungsbefugnis nicht entzogen wor- den ist, bleiben diese zur gesetzlichen Vertretung des Kindes im Verfahren befugt. Ein gesetzlicher Ausschluss der Eltern von der Vertretung nach §§ 1629 Abs. 2 Satz 1, 1795 BGB kommt im Kindschaftsverfahren nach allgemeiner Auffassung nicht in Betracht. Das Kind ist demnach im vorliegenden Verfahren durch die Mutter ordnungsgemäß vertreten. Dass die Vorinstanzen davon abgesehen haben, eine Mitteilung nach § 22 a FamFG zu machen oder von Amts wegen ein - gesondertes - Verfahren zur Entziehung der elterlichen Vertretungsbefugnis anzuregen, war unabhängig vom umstrittenen Verhältnis zwischen Verfahrensbeistandschaft und Ergänzungspflegschaft jedenfalls nicht verfahrensfehlerhaft.
23
3. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts begegnet hingegen in der Sache durchgreifenden Bedenken. Die von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen tragen eine Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und weiterer Sorgebefugnisse der Mutter nicht.
24
Wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet wird und die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden, hat das Familiengericht nach § 1666 Abs. 1 BGB die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind. Zu den gerichtlichen Maßnahmen gehört insbesondere nach § 1666 Abs. 3 Nr. 6 BGB die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge.
25
a) Nach der Rechtsprechung des Senats ist Voraussetzung für ein Eingreifen des Familiengerichts eine gegenwärtige, in einem solchen Maß vorhandene Gefahr, dass sich bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (Senatsbeschlüsse BGHZ 184, 269 = FamRZ 2010, 720 Rn. 19 und vom 15. Dezember 2004 - XII ZB 166/03 - FamRZ 2005, 344, 345 mwN). Als gewichtige Gesichtspunkte des Kindeswohls hat der Senat die Erziehungseignung der Eltern, die Bindungen des Kindes, die Prinzipien der Förderung und der Kontinuität sowie die Beachtung des Kindeswillens angeführt (Senatsbeschlüsse BGHZ 185, 272 = FamRZ 2010, 1060 Rn. 19 und vom 6. Dezember 1989 - IVb ZB 66/88 - FamRZ 1990, 392, 393 mN, jeweils zu § 1671 BGB).
26
Die sich daraus ergebenden Anforderungen für eine Gefährdung des Kindeswohls hat die angefochtene Entscheidung im Ausgangspunkt allerdings berücksichtigt. Das Oberlandesgericht hat eine Gefährdung des Kindeswohls darin gesehen, dass das Verhalten der Mutter bei dem Kind zu einem Loyalitätskonflikt geführt habe. Dieser habe bereits manifeste Verhaltensauffälligkeiten und Bindungsstörungen hervorgerufen, die nach Mitteilung des Jugendamts sogar psychologisch und psychotherapeutisch behandelt werden müssten. Dabei handelt es sich um einen Befund, der zu einem Eingriff in das Sorgerecht nach § 1666 BGB Veranlassung gibt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 12. März 1986 - IVb ZB 87/85 - NJW-RR 1986, 1264, 1265 sowie vom 11. Juli 1984 - IVb ZB 73/83 - FamRZ 1985, 169, 171). Denn durch das Verhalten der Mutter, das sowohl durch Herabsetzung des Vaters als auch durch Manipulation des Kindes auf eine Unterbindung der Umgangskontakte gerichtet ist, werden die nach den Feststellungen der Vorinstanzen intakten Bindungen des Kindes zu seinem Vater erheblich beeinträchtigt. Das begründet jedenfalls im Zusammenhang mit dem bestehenden verschärften Elternkonflikt die Gefahr einer seelischen Schädigung des Kindes. Zugleich erweist sich eine nur eingeschränkte Erziehungseignung der Mutter, weil ihr die erforderliche Bindungstoleranz fehlt und sie dem Kind demzufolge in seiner weiteren Entwicklung nur eine unzureichende Beziehungssicherheit vermitteln kann.
27
b) § 1666 Abs. 1 BGB setzt weiterhin voraus, dass die vom Familiengericht zu treffenden Maßnahmen zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind. Die Erforderlichkeit der Maßnahme ist Bestandteil der Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne und wird in Bezug auf Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, durch § 1666 a Abs. 1 Satz 1 BGB dahin konkretisiert, dass der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann (vgl. Art. 6 Abs. 3 GG).
28
aa) Vor einer - teilweisen - Entziehung des Sorgerechts hat das Familiengericht zu überprüfen, ob mildere Mittel zur Verfügung stehen, um der Gefährdung entgegenzuwirken. Dies gebietet nicht nur das Kindeswohl und der Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG, sondern auch das durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte Elternrecht, in das nur so weit eingegriffen werden darf, als es wegen der konkreten Gefährdung des Kindeswohls unerlässlich ist. Im vorliegenden Fall kommt als milderes Mittel außer der Vollstreckung der gerichtlichen Umgangsregelung aber auch die Einrichtung einer Umgangspflegschaft in Betracht, welche in § 1684 Abs. 3 Sätze 3 - 6 BGB in der seit dem 1. September 2009 geltenden Fassung gesetzlich geregelt ist (vgl. Staudinger/Coester BGB [2009] § 1666 Rn. 146 mwN). Danach kann das Familiengericht auch eine Pflegschaft für die Durchführung des Umgangs anordnen, wenn die Eltern ihre gesetzliche Pflicht, alles zu unterlassen, was das Verhältnis des Kindes zum jeweils anderen Elternteil beeinträchtigt oder die Erziehung erschwert (§ 1684 Abs. 2 Satz 1 BGB, Wohlverhaltensgebot), dauerhaft oder wiederholt erheblich verletzen. Die Umgangspflegschaft umfasst das Recht, die Herausgabe des Kindes zur Durchführung des Umgangs zu verlangen und für die Dauer des Umgangs dessen Aufenthalt zu bestimmen. Wie sich an den Voraussetzungen der Umgangspflegschaft zeigt, ist diese vom Gesetz vor allem für den Fall der Umgangsverweigerung durch einen Elternteil und die damit verbundene Kindeswohlbeeinträchtigung (vgl. § 1626 Abs. 3 Satz 1 BGB) als geeignete Maß- nahme vorgesehen. Da die Umgangspflegschaft den Eingriff auf das zunächst erforderliche Maß begrenzt, ist sie gegenüber einem (vollständigen) Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts nach § 1666 BGB als milderes Mittel vorrangig. Von ihrer Anordnung kann demnach nur dann abgesehen werden, wenn die Umgangspflegschaft offensichtlich keinen Erfolg verspricht.
29
bb) Die Erforderlichkeit einer gerichtlichen Sorgerechtsentziehung nach § 1666 BGB schließt es ferner mit ein, dass die konkrete Maßnahme geeignet ist, um die Gefahr für das Kindeswohl zu beseitigen (Senatsbeschluss vom 12. März 1986 - IVb ZB 87/85 - NJW-RR 1986, 1264, 1265; Staudinger/Coester BGB [2009] § 1666 Rn. 212). An der Eignung fehlt es nicht nur, wenn die Maßnahme die Gefährdung des Kindeswohls nicht beseitigen kann. Vielmehr ist die Maßnahme auch dann ungeeignet, wenn sie mit anderweitigen Beeinträchtigungen des Kindeswohls einhergeht und diese durch die Beseitigung der festgestellten Gefahr nicht aufgewogen werden (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Juli 1984 - IVb ZB 73/83 - FamRZ 1985, 169, 171 - zu § 1671 BGB - OLG Hamm FamRZ 2007, 1677; BayObLG FamRZ 1998, 1044; Staudinger/Coester BGB [2009] § 1666 Rn. 212 mwN; vgl. auch Gottschalk FPR 2007, 308, 309 f.). Selbst wenn demnach die Maßnahme als solche für die Belange, in denen das Kindeswohl gefährdet ist, die erwünschten Wirkungen entfaltet, ist sie dennoch ungeeignet, wenn sie in anderen Belangen des Kindeswohls wiederum eine Gefährdungslage schafft und deswegen in der Gesamtbetrachtung zu keiner Verbesserung der Situation des gefährdeten Kindes führt.
30
cc) Darüber hinaus gelten in kindschaftsrechtlichen Familiensachen und insbesondere in Verfahren betreffend die Entziehung der elterlichen Sorge gemäß § 1666 BGB besondere Anforderungen an die tatrichterliche Sachaufklärung (Senatsbeschluss BGHZ 184, 269 = FamRZ 2010, 720 Rn. 29 mwN - auch für das Folgende). Denn die verfassungsrechtliche Dimension von Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 GG beeinflusst auch das Verfahrensrecht und seine Handhabung im Kindschaftsverfahren. Das gerichtliche Verfahren muss in seiner Ausgestaltung dem Gebot effektiven Grundrechtsschutzes entsprechen, weshalb insbesondere die zur Verfügung stehenden Aufklärungs- und Prüfungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden müssen (BVerfG FamRZ 2009, 399, 400; FamRZ 2002, 1021, 1023). Das bedeutet nicht nur, dass die Verfahrensgestaltung den Elternrechten Rechnung tragen muss. Vielmehr steht das Verfahrensrecht auch unter dem Primat des Kindeswohls, zu dessen Schutz der Staat im Rahmen seines Wächteramtes gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG verpflichtet ist. Die Gerichte müssen ihr Verfahren so gestalten, dass sie möglichst zuverlässig die Grundlage einer am Kindeswohl orientierten Entscheidung erkennen können (BVerfG FamRZ 2009, 399, 400).
31
c) Diesen Maßstäben wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht. Zum einen hat das Oberlandesgericht nicht erschöpfend begründet, dass mildere Maßnahmen nicht möglich sind. Zum anderen mangelt es an einer hinreichenden Aufklärung einer Eignung der teilweisen Sorgerechtsentziehung in der von den Vorinstanzen angeordneten Form.
32
aa) Das Oberlandesgericht hat als mildere Maßnahme lediglich die weitere Vollstreckung der gerichtlichen Umgangsregelung in Betracht gezogen. Hinsichtlich der Möglichkeit, eine Umgangspflegschaft einzurichten, enthält der angefochtene Beschluss hingegen keine Begründung. Auch die vom Amtsgericht gegebene Begründung, auf die das Oberlandesgericht lediglich in einer pauschalen Bezugnahme verwiesen hat, rechtfertigt eine Außerachtlassung der Umgangspflegschaft nicht.
33
Das Amtsgericht hat angeführt, eine Umgangspflegschaft sei nicht in Betracht gekommen. Diese hätte Sinn gemacht, wenn es Probleme bei der Durch- führung, wie etwa der Übergabe des Kindes, gegeben hätte. Vorliegend sei aber eine derart hohe negative Beeinflussung des Kindes für die Probleme ausschlaggebend. Das Kind habe die negative Meinung ihrer Mutter und ihrer Großmutter zu großen Teilen übernommen und müsse gegen den erklärten Willen der Mutter handeln. Zudem habe der Verfahrensbeistand erklärt, jedenfalls teilweise die Umgänge zu begleiten, was gescheitert sei. Die Einrichtung einer Umgangspflegschaft könne das Problem daher nicht lösen.
34
Das genügt zur Begründung indessen nicht. Eine Aussichtslosigkeit der Umgangspflegschaft lässt sich nur annehmen, wenn es nach den getroffenen Feststellungen offensichtlich ist, dass eine Umgangspflegschaft keinen Erfolg haben wird. Selbst eine nahe liegende Vermutung, die Umgangspflegschaft werde nicht die erwünschten Wirkungen zeitigen, reicht aber nicht aus, um von ihrer Anordnung abzusehen und sogleich weiterreichende Maßnahmen nach § 1666 BGB zu ergreifen. Vielmehr kann von einer Umgangspflegschaft jedenfalls gegenüber einer vollständigen Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts mit dem Ziel einer Heimunterbringung nur abgesehen werden, wenn die Umgangspflegschaft sich entweder als unwirksam erwiesen hat oder von vornherein offensichtlich aussichtslos ist.
35
Das ist hier nicht hinreichend festgestellt. Allein die Beeinflussung des Kindes durch Mutter und Großmutter genügt dazu nicht. Hierbei handelt es sich sogar um die Voraussetzung der Einrichtung einer Umgangspflegschaft, welche somit gerade auf den Fall der - auch nachhaltigen - negativen Beeinflussung durch den Obhutselternteil zugeschnitten ist. Die vom Amtsgericht angeführten Erfahrungen mit einem vereinbarten Umgangskontakt, der durch den Verfahrensbeistand zu begleiten war, reichen nicht aus. Denn dem Verfahrensbeistand stehen - abgesehen davon, dass er bereits in anderer Funktion am Verfahren beteiligt ist - die rechtlichen Befugnisse eines Umgangspflegers nach § 1684 Abs. 3 Satz 4 BGB, über den Aufenthalt des Kindes zu bestimmen und dessen Herausgabe zu verlangen, nicht zur Verfügung.
36
bb) Auch im Hinblick auf die Eignung der teilweisen Entziehung des Sorgerechts der Mutter fehlt es an einer hinreichenden Aufklärung durch die Vorinstanzen.
37
Wie oben ausgeführt, genügt es nicht, dass die Maßnahme als solche für die Belange, in denen das Kindeswohl gefährdet ist, die erwünschten Wirkungen entfaltet. Sie ist vielmehr gleichwohl ungeeignet, wenn sie in anderen Belangen des Kindeswohls wiederum eine Gefährdungslage schafft und deswegen in der Gesamtbetrachtung zu keiner Verbesserung der Situation des gefährdeten Kindes führt. Die nach § 26 FamFG gebotene tatrichterliche Sachaufklärung unterliegt dabei im Rahmen der Sorgerechtsentziehung besonderen Anforderungen.
38
Hierbei ist zu beachten, dass die vom Amtsgericht angeordnete Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts mit einer Heimunterbringung des Kindes verbunden ist, was spätestens in der Beschwerdeinstanz auch offensichtlich geworden ist. Die unbefristete Heimunterbringung stellt aber als eine Maßnahme , die mit der Herausnahme des Kindes aus der Obhut eines Elternteils verbunden ist, einen besonders schwerwiegenden Eingriff dar, der insbesondere im Hinblick auf das Kindeswohl einer eingehenden Aufklärung und Absicherung bedurft hätte (vgl. BVerfG FamRZ 2010, 713). Daran fehlt es im vorliegenden Fall.
39
Weder das Amtsgericht noch das Oberlandesgericht hat sich damit auseinandergesetzt , welche mittelfristige Perspektive mit der Heimunterbringung des Kindes verbunden ist. Ein Wechsel des Kindes in die Obhut des Vaters ist von den Vorinstanzen nicht in Betracht gezogen worden. Vielmehr soll die Mut- ter nach Auffassung der Vorinstanzen trotz ihrer nur eingeschränkten Erziehungseignung offenbar die Hauptbezugsperson des Kindes bleiben. Ihr sind dementsprechend die übrigen Sorgerechtsbefugnisse belassen worden. Es hätte demnach der Begründung bedurft, welche mittelfristige Perspektive für das Kind im Fall der Heimunterbringung bestehen soll (vgl. etwa §§ 27, 36 SGB VIII). Ein dauerhafter Verbleib des Kindes im Heim ließe sich nur rechtfertigen , wenn beide Elternteile auf Dauer erziehungsungeeignet wären und eine Abwägung der Vor- und Nachteile die dauerhafte Heimunterbringung als die für das Kindeswohl bessere Alternative erscheinen ließe.
40
Um dies festzustellen, reichte die Anhörung des Kindes durch den Senat des Oberlandesgerichts nicht aus. Bei der bestehenden komplexen Problematik hätte das Oberlandesgericht vielmehr der eingehenden sachverständigen Beratung bedurft, welche hier trotz Hinzuziehung einer Gutachterin unzureichend geblieben ist. Das vom Amtsgericht eingeholte und vom Oberlandesgericht verwertete Sachverständigen-Gutachten bezog sich lediglich auf die grundsätzliche Erziehungseignung der Mutter, welche von der Sachverständigen - wenn auch mit Einschränkungen - bejaht worden ist. Das Gutachten konzentriert sich auf die Umgangsproblematik, ohne die Gesamtsituation des Kindes und dessen künftige Entwicklung in Betracht zu ziehen. Das mag aus der Sicht der Sachverständigen , die eine Erziehungseignung bejaht hat, jedenfalls bei Erstellung des Gutachtens offenbar auch nicht nahe gelegen haben. Der sachverständigen Begutachtung hätte dagegen insbesondere die nach dem Beschluss des Amtsgerichts veränderte Situation bedurft. Es genügte nicht, dass die Sachverständige - durch das Anhörungsprotokoll nicht näher dokumentiert - vom Oberlandesgericht angehört worden ist und die Anhörung sich jedenfalls nach der Begründung des angefochtenen Beschlusses wiederum nur auf die Kindeswohlbeeinträchtigung wegen der Beeinflussung des Kindes durch die Mutter bezogen hat.
41
Vielmehr war es erforderlich, dass das Oberlandesgericht sich mit sachverständiger Hilfe ein umfassendes Bild von der Lebenssituation des Kindes im Heim verschaffte. Nur eine umfassende Aufklärung in diesem Sinne hätte es ermöglicht, eine mittelfristige Perspektive für das Kind darzustellen und sodann aufgrund einer verlässlichen Abwägung der Vor- und Nachteile einer Heimunterbringung die Eignung der getroffenen Maßnahme zu überprüfen.
42
Ohne weitere Feststellungen verbleibt indessen als Rechtfertigung der Maßnahme - das Fehlen milderer Mittel hier unterstellt - lediglich die effiziente Durchsetzung der Umgangskontakte zwischen Vater und Kind sowie die - weitgehende - Vermeidung von Beeinflussungen des Kindes durch die Mutter. Ob eine Sorgerechtsentziehung zu diesen Zwecken überhaupt eine geeignete Maßnahme darstellen kann, ist in Frage gestellt worden (Staudinger/Coester BGB [2009] § 1666 Rn. 146 f.; Salgo Perspektiven des Familienrechts FS Schwab S. 891 ff.). Ob dem gefolgt werden kann, kann allerdings offenbleiben. Denn diese Frage ist vom Familiengericht nicht grundsätzlich zu entscheiden. Ihre Beantwortung liegt vielmehr vornehmlich auf dem Fachgebiet der (Familien -)Psychologie. Das Familiengericht bedarf daher zur hinreichenden Aufklärung des Sachverhalts der Beratung durch einen geeigneten Sachverständigen. Erst auf dieser Grundlage kann eine Beurteilung des Kindeswohls und der in diesem Rahmen vor allem zu berücksichtigenden Bindungen des Kindes sowie der Erziehungsfähigkeit seiner Eltern stattfinden. Allein zum Zweck der effizienten Durchsetzung von Umgangskontakten darf eine Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts mit dem Ziel der Heimunterbringung jedenfalls nicht angeordnet werden.

III.

43
Der angefochtene Beschluss ist demnach aufzuheben. Dem Senat ist eine abschließende Sachentscheidung nicht möglich, weil es weiterer Tatsachenaufklärung im Sinne der dargestellten Anforderungen bedarf.
44
Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass - neben der Prüfung der Einrichtung einer Umgangspflegschaft - ein ergänzendes Sachverständigen -Gutachten einzuholen ist. Dessen Fragestellung hat sich auf eine umfassende Aufklärung des Kindeswohls, insbesondere der Lebens- und Entwicklungsbedingungen und -perspektiven des Kindes zu richten und hat damit wesentlich über die bislang im Vordergrund stehenden Fragen der Erziehungseignung der Mutter im Hinblick auf die Bindungstoleranz und die damit einhergehende Ermöglichung des Umgangs zwischen Vater und Kind hinauszugehen. Erforderlich ist auch, dass das Kind in seiner gegenwärtigen Umgebung psychologisch begutachtet wird. In die familienpsychologische Begutachtung wird ferner auch die Großmutter als wichtige Bezugsperson des Kindes einbezogen werden müssen. Soweit zudem das Verhalten des Kindes in der Schule oder in anderen Zusammenhängen eine Rolle spielt, wird sich das Oberlandesgericht nicht auf die Angaben des Verfahrensbeistands verlassen dürfen, sondern sich - durch Befragung der Lehrer oder sonstiger Bezugspersonen - einen unmittelbaren Eindruck verschaffen müssen.
45
Die auf der Grundlage der in diesem Sinne umfassenden Aufklärung zu treffende Entscheidung nach § 1666 BGB hängt schließlich davon ab, ob die Erziehungseignung der Mutter derart eingeschränkt ist, dass es für das Wohl des Kindes auf Dauer schädlicher ist, wenn es in der Obhut der Mutter verbleibt , als wenn es im Heim untergebracht wird. Sollte dies nicht der Fall sein, ist eine Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts nicht nur übermäßig, sondern im Sinne der oben aufgeführten Maßstäbe bereits ungeeignet, so dass es an der Erforderlichkeit der Maßnahme im Sinne von § 1666 Abs. 1 BGB fehlt.
Dose Weber-Monecke Klinkhammer Schilling Günter
Vorinstanzen:
AG Zerbst, Entscheidung vom 21.09.2010 - 7 F 246/10 SO -
OLG Naumburg, Entscheidung vom 07.12.2010 - 3 UF 178/10 -

(1) Die Aufenthaltserlaubnis ist dem ausländischen

1.
Ehegatten eines Deutschen,
2.
minderjährigen ledigen Kind eines Deutschen,
3.
Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge
zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Sie ist abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 in den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 zu erteilen. Sie soll in der Regel abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 in den Fällen des Satzes 1 Nr. 1 erteilt werden. Sie kann abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 dem nicht personensorgeberechtigten Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen erteilt werden, wenn die familiäre Gemeinschaft schon im Bundesgebiet gelebt wird. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2, Satz 3 und Abs. 2 Satz 1 ist in den Fällen des Satzes 1 Nr. 1 entsprechend anzuwenden.

(2) Dem Ausländer ist in der Regel eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn er drei Jahre im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist, die familiäre Lebensgemeinschaft mit dem Deutschen im Bundesgebiet fortbesteht, kein Ausweisungsinteresse besteht und er über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt. § 9 Absatz 2 Satz 2 bis 5 gilt entsprechend. Im Übrigen wird die Aufenthaltserlaubnis verlängert, solange die familiäre Lebensgemeinschaft fortbesteht.

(3) Die §§ 31 und 34 finden mit der Maßgabe Anwendung, dass an die Stelle des Aufenthaltstitels des Ausländers der gewöhnliche Aufenthalt des Deutschen im Bundesgebiet tritt. Die einem Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge erteilte Aufenthaltserlaubnis ist auch nach Eintritt der Volljährigkeit des Kindes zu verlängern, solange das Kind mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und das Kind sich in einer Ausbildung befindet, die zu einem anerkannten schulischen oder beruflichen Bildungsabschluss oder Hochschulabschluss führt.

(4) Auf sonstige Familienangehörige findet § 36 entsprechende Anwendung.

(5) (weggefallen)

(1) Erweist sich der Antrag auf Verwirkung der Grundrechte (§ 13 Nr. 1), die Anklage gegen den Bundespräsidenten (§ 13 Nr. 4) oder einen Richter (§ 13 Nr. 9) als unbegründet, so sind dem Antragsgegner oder dem Angeklagten die notwendigen Auslagen einschließlich der Kosten der Verteidigung zu ersetzen.

(2) Erweist sich eine Verfassungsbeschwerde als begründet, so sind dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen ganz oder teilweise zu erstatten.

(3) In den übrigen Fällen kann das Bundesverfassungsgericht volle oder teilweise Erstattung der Auslagen anordnen.

(1) Bei Rahmengebühren bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts kann bei der Bemessung herangezogen werden. Bei Rahmengebühren, die sich nicht nach dem Gegenstandswert richten, ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist.

(2) Ist eine Rahmengebühr auf eine andere Rahmengebühr anzurechnen, ist die Gebühr, auf die angerechnet wird, so zu bestimmen, als sei der Rechtsanwalt zuvor nicht tätig gewesen.

(3) Im Rechtsstreit hat das Gericht ein Gutachten des Vorstands der Rechtsanwaltskammer einzuholen, soweit die Höhe der Gebühr streitig ist; dies gilt auch im Verfahren nach § 495a der Zivilprozessordnung. Das Gutachten ist kostenlos zu erstatten.