Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss, 11. Juli 2017 - 5 TaBV 13/16

bei uns veröffentlicht am11.07.2017

Tenor

1. Auf die Beschwerde der beteiligten Arbeitgeberin (Beteiligte zu 1) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Stralsund vom 03.05.2016, Aktenzeichen 1 BV 5/16, wird dieser teilweise abgeändert.

Der Beteiligte zu 3) wird aus dem Betriebsrat des Betriebs der Beteiligten zu 1) im A-Stadt (D. Klinik) ausgeschlossen.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

1

Die Arbeitgeberin begehrt die Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds, hilfsweise dessen Ausschluss aus dem Betriebsrat wegen Störung des Betriebsfriedens.

2

Die Arbeitgeberin (Beteiligte zu 1) betreibt im A-Stadt eine Rehabilitationseinrichtung mit rund 120 Beschäftigten, die D. Klinik. Die D. Klinik besteht aus den Fachkliniken für Orthopädie, Innere Medizin und Psychosomatik. Chefarzt der Psychosomatik ist Herr Dr. G.. Die Klinik verfügt über 258 Betten. Die Arbeitgeberin ist nicht tarifgebunden. Der Betriebsrat der D. Klinik (Beteiligter zu 2) besteht aus sieben Mitgliedern.

3

Die Arbeitgeberin stellte den 1967 geborenen, ledigen und nicht unterhaltsverpflichteten Beteiligten zu 3) zum 01.04.2012 als Psychologen ein. Im November 2012 wurde er in den siebenköpfigen Betriebsrat gewählt, dessen Vorsitz er übernahm. Im September 2013 kam es zur Neuwahl des Betriebsrats, nachdem mehrere Betriebsratsmitglieder ihr Amt niedergelegt hatten. Der Beteiligte zu 3) wurde wiederum in den Betriebsrat gewählt. Der Betriebsrat bestimmte ihn erneut zum Vorsitzenden.

4

Zwischen den Beteiligten gibt es zahlreiche Auseinandersetzung, die zu verschiedenen Gerichts- und Einigungsstellenverfahren führten. Die Arbeitgeberin versuchte bereits mehrfach, die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3) zu erlangen (vgl. z. B. LAG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 24. Mai 2016 - 2 TaBV 22/15 - juris = ArbR 2016, 562). Im November 2013 beantragten 48 Beschäftigte der D. Klinik den Ausschluss des Beteiligten zu 3) aus dem Betriebsrat wegen nachhaltiger Störung des Betriebsfriedens, Gefährdung der Patientenversorgung und Schädigung des Ansehens der Klinik in der Öffentlichkeit (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 20.01.2016 - 5 TaBV 11/15 -). Der Antrag blieb u. a. deshalb erfolglos, weil nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts bei den verschiedenen E-Mails, Aushängen und sonstigen Äußerungen nicht eine Diffamierung von Personen im Vordergrund stand und die Grenzen der Meinungsfreiheit gewahrt waren.

5

Die Betriebspartner schlossen am 18.11.2015 nach Anrufung der Einigungsstelle eine Betriebsvereinbarung über ein betriebliches Entgeltsystem. Danach setzt sich das monatliche Entgelt aus dem Grundgehalt, Zulagen, Zuschlägen, vermögenswirksamen Leistungen und evtl. sonstigen Zahlungen zusammen. Die Betriebsvereinbarung enthält ein Entgeltgruppenschema mit insgesamt 13 Gruppen. In §§ 9, 10 der Betriebsvereinbarung sind Qualifikations- bzw. Funktionszulagen geregelt. Da sich die Beteiligten nicht über alle strittigen Punkte einigen konnten, entschied die Einigungsstelle über den Fälligkeitszeitpunkt der Gratifikationszahlung und über die Abstände zwischen den Entgeltgruppen. Der Einigungsstellenspruch war Gegenstand einer gerichtlichen Auseinandersetzung (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 20. Juni 2017 - 5 TaBV 17/16 - juris). Zwischen den Betriebspartnern gibt es verschiedene Meinungsverschiedenheiten zur Umsetzung der Betriebsvereinbarung Entgeltsystem.

6

Am 18.03.2016 fand eine Betriebsversammlung statt, an der auch zwei Vertreter des Marburger Bundes teilnahmen. In dieser Betriebsversammlung präsentierte der Beteiligte zu 3) eine Liste mit Qualifikations- und Funktionszulagen, die der Betriebsrat von dem Kaufmännischen Direktor mit der Kennzeichnung "VERTRAULICH" erhalten hatte. In der Liste sind insgesamt 38 Zulagenzahlungen mit dem jeweiligen Geldbetrag und der zugrundeliegenden Qualifikation bzw. Funktion aufgeführt, wobei die Beteiligten zu 2) und 3) in einigen Zeilen den Betrag löschten. Die hier nur auszugsweise wiedergegebene Liste hat den folgenden Inhalt:

7

"…

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Lohnart           

Lohnartentext           

Betrag (Gesamt)           

Begründung           

       

       

       

       

212     

Qualifikationszulage

138,00 €

Qualifizierungen in Time Office und Shiva

212     

Qualifikationszulage

       

div. Qualifizierungen, u.a. Manuelle Therapie, Osteopathie, … usw.

214     

Funktionszulage

       

Abteilungsleiter

214     

Funktionszulage

       

Therapieleitung

212     

Qualifikationszulage

75,00 €

div. Qualifizierungen, u.a. Kinesiotaping, KG-Geräte, MLD, … etc.

212     

Qualifikationszulage

       

Diplom-Sportlehrerin

214     

Funktionszulage

       

Therapieleitung

212     

Qualifikationszulage

138,00 €

div. Qualifizierungen im Bereich Schreibdienst, Sekretariat und Nachsorge (z.B. Nota)

214     

Funktionszulage

       

Funktionsverantwortliche; interne und externe Ansprechpartnerin Bäderabteilung

212     

Qualifikationszulage

 104,00 €

div. Qualifizierungen, u.a. Bobath, Manuelle Therapie, Medizinische Trainingstherapie … usw.

212     

Qualifikationszulage

       

Abschluss im Bereich Schmerztherapie "Pain Nurse", Kenntnisse im Strahlenschutz

       

       

       

       

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…"

10

Auf der Betriebsversammlung am 18.03.2016 ging es weiterhin um die schnellere Bearbeitung von Dienstplanänderungswünschen. Eine Arbeitnehmerin schlug vor, hierfür ein Komitee einzurichten. Der Chefarzt Dr. G. regte daraufhin an, einen Tausch von Diensten bei einer Vorlaufzeit von weniger als 24 Stunden nicht an die Zustimmung des Betriebsrats zu koppeln und bei mehr als 24 Stunden ein Komitee entscheiden zu lassen. Eine Arbeitnehmerin schlug vor, die Anträge in einer Box zu sammeln. Als möglichen Standort für diese Box nannte der Chefarzt das Sekretariat der Psychosomatik. Daraufhin erklärte der Beteiligte zu 3) gegenüber der Belegschaft:

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"Wenn die Box bei Dr. G. steht, dann ist ja klar, was passiert. Dann wird aussortiert. Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen."

12

Das veranlasste den Chefarzt zu der folgenden Äußerung:

13

"Sie Arschloch"

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Der Beteiligte zu 3) verwies den Chefarzt daraufhin des Raumes. Der Chefarzt befolgte die Aufforderung nach kurzer Diskussion, kam aber später wieder zurück und nahm an der restlichen Betriebsversammlung teil.

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Der Beteiligte zu 3) und weitere anwesende Betriebsratsmitglieder verfassten in der Betriebsratssitzung am 23.03.2016 das folgende Schreiben an den Chefarzt Dr. G., das zugleich allen Beschäftigten in der Regionaldirektion und der Zentralverwaltung sowie dem Marburger Bund zur Kenntnis gegeben werden sollte:

16

"…

17

Betriebsversammlung vom 18.3.2016
"Sie Arschloch!"

18

Werter Herr Dr. G.,

19

in unserer Betriebsversammlung vom 18.3.2016 haben Sie vorgeschlagen, im Sekretariat der Psychosomatik einen Topf aufzustellen, in den Beschäftigte unserer Klinik ihre Wünsche einwerfen können. In Reaktion auf die Skepsis des Unterzeichners bezüglich eines solchen Verfahrens titulierten Sie ihn lautstark als "Sie Arschloch". Sie rechtfertigten Ihre Ausdrucksweise mit der Wut, in die Sie sich und die um Sie herumsitzenden über fast eine Stunde systematisch hineingesteigert hatten.

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Grundsätzlich spricht natürlich auch aus Sicht des Betriebsrats nichts gegen basisdemokratische Abstimmungen, sofern der Wille der Beschäftigten frei geäußert werden kann. Leider ist das in unserer Klinik - wie Sie wissen - nicht immer der Fall. Wir haben mehrfach erlebt, dass Beschäftigte zu Wünschen genötigt werden, die den Bedürfnissen der Arbeitgeberin, nicht aber den Bedürfnissen der Betroffenen entsprechen.

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Wir möchten Ihnen einige Beispiele nennen, in der Hoffnung, dass Sie uns bei der Umsetzung der unmissverständlichen Mitarbeiterwünsche mit der gleichen Leidenschaft unterstützen, mit der Sie bisher den Betriebsrat bekämpft haben. Danach können wir uns dann gerne über den von Ihnen vorgeschlagenen Topf unterhalten.

22

Mit Datum vom 26.7.2014 hatte die Schwesternschaft einen offenen Brief an den damals für Personal zuständigen Geschäftsführer S… gerichtet, mit einem Antrag auf Angleichung der Schwesterngehälter auf Westniveau. …

23

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Die D. Klinik gehört zu den ertragreichsten Häusern des Konzerns. Durch eine völlig unangemessene Miete sind wir dauerhaft im Minus, wofür die Beschäftigten, nicht aber die Abteilungsleiter unseres Hauses oder die Beschäftigten der Zentrale zur Verantwortung gezogen werden. Immerhin ist laut aktuellem Geschäftsbericht die Mietzahlung inzwischen unter Vorbehalt der Rückforderung gestellt. Zeigen Sie, werter Herr Dr. G., dass Sie kein sozialinkompetentes "Arschloch" sind, das sich nur über die neuesten Jaguarmodelle den Kopf zerbricht und setzen Sie sich dafür ein, dass der Betriebsrat wirksam die Interessen der Belegschaft vertreten kann und z. B. die langersehnte Gehaltsangleichung in diesem Jahr endlich umgesetzt werden kann.

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Nach wie vor ist es das Anliegen des Betriebsrats, dass die Beschäftigten unseres Hauses fair bezahlt werden, für alle gleichverbindliche Arbeitszeitregelungen gelten, der Arbeits- und Gesundheitsschutz gemäß den gesetzlichen Bestimmungen beachtet wird und alle Kolleginnen und Kollegen die Chance haben, sich weiter zu qualifizieren. Was wir nach wie vor nicht wollen sind Krawallmacher und Jubelperser in Betriebsversammlungen und vor Arbeitsgerichten, die finanziell und /oder in anderer Hinsicht bevorzugt werden sowie unbeherrschte Klinikleitungsmitglieder, die meinen dem wirtschaftlichen Druck des distinguiert auftretenden Regionaldirektors mit Fäkaljargon und Stimmungsmache gegenüber Betriebsräten nachgeben zu müssen.

26

27

Mit freundlichen Grüßen

28

C.
Betriebsratsvorsitzender

29

…"

30

Am darauffolgenden Tag versandte der Beteiligte zu 3) das oben genannte Schreiben mit geringfügigen, hier nicht wiedergegebenen Änderungen per E-Mail an den Chefarzt sowie zur Kenntnis (Cc) an alle Arbeitnehmer mit E-Mail-Zugang in der D. Klinik, in fünf anderen Reha-Kliniken bzw. Krankenhäusern der Arbeitgeberin in Mecklenburg-Vorpommern, in der Zentralverwaltung und an service@marburger-bund-mv.de.

31

Mit Schreiben vom 01.04.2016, unterzeichnet von der Personalleiterin W., beantragte die Arbeitgeberin beim Betriebsrat die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3) wegen der Vorwürfe,

32
in einem Gespräch zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Betriebspartnern am 08.03.2016 die Entlassung einzelner Personen der Klinikleitung gefordert zu haben,
33
in der Betriebsversammlung am 16.03.2016 die Liste der anonymisierten, aber teilweise individualisierbaren Qualifikations- und Funktionszulagen entgegen der Geheimhaltungspflicht präsentiert zu haben und
34
den Chefarzt mit der E-Mail vom 24.03.2016 bewusst und mit Kalkül sogar über den Betrieb hinaus als sozialinkompetentes Arschloch beleidigt zu haben.
35

Die Arbeitgeberin teilte die Sozialdaten des Beteiligten zu 3) mit und schilderte im Einzelnen den zugrundeliegenden Sachverhalt. Der Betriebsrat widersprach dem Kündigungsverlangen noch am selben Tag per E-Mail. Aufgrund dessen hat die Arbeitgeberin am 07.04.2016 beim Arbeitsgericht Stralsund die gerichtliche Ersetzung der Zustimmung und hilfsweise den Ausschluss des Beteiligten zu 3) aus dem Betriebsrat beantragt.

36

Mit anwaltlichem Schreiben vom 25.04.2016 forderte der Beteiligte zu 3) die Personalleiterin W. zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung auf bezogen auf den im Antrag an den Betriebsrat vom 01.04.2016 enthaltenen Vorwurf, den Chefarzt als sozialinkompetentes Arschloch beleidigt zu haben.

37

Die Arbeitgeberin hat die Ansicht vertreten, der Beteiligte zu 3) habe in schwerwiegender Weise seine Pflichten verletzt, was eine außerordentliche Kündigung, jedenfalls aber einen Ausschluss aus dem Betriebsrat rechtfertige. Schon die Forderung nach einer Entlassung von Mitgliedern der Klinikleitung stelle eine Störung des Betriebsfriedens dar, erst recht in einem Gespräch, das dem Abbau der Spannungen habe dienen sollen. Die Veröffentlichung der Liste mit Qualifikations- und Funktionszulagen habe ebenfalls den Betriebsfrieden gestört, da trotz Anonymisierung Rückschlüsse auf einzelne Personen möglich gewesen seien. Das habe, wie vom Beteiligten zu 3) bezweckt, zu Unruhe auf der Betriebsversammlung geführt. Bei Präsentation der Zulagenliste habe der Beteiligte zu 3) sinngemäß behauptet, dass die Arbeitgeberin diese Zulagen für Gefälligkeiten gegenüber der Geschäftsführung zahle, insbesondere an Mitarbeiter, die mit der Arbeit des Betriebsrats in seiner aktuellen Besetzung nicht einverstanden seien.

38

In der Betriebsversammlung habe der Beteiligte zu 3) dem Chefarzt ein unredliches Verhalten unterstellt, wenn die Box mit den Dienstplanänderungswünschen in seinem Bereich stehe, und ihn damit diskreditiert. Der Chefarzt habe sich dann, obwohl er als ruhiger und besonnener Mensch gelte, im Affekt und spontan zu einer Äußerung provozieren lassen, die in der Tat nicht zu akzeptieren sei. Der Chefarzt habe sich dafür bei dem Beteiligten zu 3) zwischenzeitlich persönlich entschuldigt. Die Arbeitgeberin habe eine Ermahnung ausgesprochen. Der Beteiligte zu 3) habe sich hingegen nicht im Affekt geäußert, sondern sei noch einen Schritt weiter gegangen. Mit dem sechs Tage später versandten Schreiben habe er wohlüberlegt bewusst und gezielt provoziert und zur weiteren Eskalation beigetragen, erst recht durch die Verteilung des Schreibens außerhalb des Betriebs.

39

Die Arbeitgeberin hat erstinstanzlich beantragt,

40
1. die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen, fristlosen Kündigung des mit dem Beteiligten zu 3) bestehenden Arbeitsverhältnisses durch die Arbeitgeberin gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zu ersetzen, und
41
2. hilfsweise für den Fall der Zurückweisung des Antrages zu Ziffer 1, den Beteiligten zu 3) aus dem Betriebsrat des Betriebs der Arbeitgeberin in der A-Straße, A-Stadt, auszuschließen
42

Die Beteiligten zu 2) und 3) haben beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Es gebe weder einen Kündigungs- noch einen Ausschlussgrund. Der Beteiligte zu 3) habe in den Gesprächen am 08.03.2016 nicht die Entlassung von leitenden Mitarbeitern der Klinik gefordert. Die auf der Betriebsversammlung gezeigte Liste der Qualifikations- und Funktionszulagen habe keine Rückschlüsse auf bestimmte Mitarbeiter zugelassen. Gerade deshalb habe der Betriebsrat bei verschiedenen Qualifikationen und Funktionen die Zulagenhöhe gelöscht. Der Beteiligte zu 3) habe nicht behauptet, die Zulagen würden für Gefälligkeiten gegenüber der Arbeitgeberin gezahlt. Er habe lediglich auf Merkwürdigkeiten hingewiesen, z. B. eine doppelte Zulagenzahlung. Der Beteiligte zu 3) habe dem Chefarzt keine unredlichen Absichten unterstellt. Vielmehr versuche die Arbeitgeberin seit längerem, die Mitbestimmung des Betriebsrats in Arbeitszeitfragen in Teilbereichen abzuschaffen, wofür sich insbesondere der Chefarzt einsetze nebst der Arbeitgeberin nahestehenden Arbeitnehmern. Abgesehen davon, dass der Betriebsrat ohnehin nicht auf Mitbestimmungsrechte verzichten könne, sei nicht einzusehen, weshalb eine Box mit Änderungswünschen ausgerechnet im Sekretariat des Chefarztes aufgestellt werden solle. Der Betriebsrat habe den Chefarzt in dem offenen Brief vom 24.03.2016 nicht als "sozialinkompetentes Arschloch" beleidigt; vielmehr heiße es dort: "kein sozialinkompetentes Arschloch". Der Chefarzt habe den Beteiligten zu 3) zwar am 01.04.2016 angerufen, als dieser im Urlaub gewesen sei; er habe sich aber nicht für seine Äußerung entschuldigt, sondern nur erklärt, die Bezeichnung "Arschloch" sei ihm im Affekt herausgerutscht. Nur etwa eine halbe Stunde nach dem Telefonat habe die Arbeitgeberin beim Betriebsrat die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3) beantragt.

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Das Arbeitsgericht Stralsund hat mit Beschluss vom 03.05.2016 - 1 BV 5/16 - sowohl den Haupt- als auch den Hilfsantrag zurückgewiesen. Ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung des Beteiligten zu 3) liege nicht vor. Soweit er in dem Gespräch am 08.03.2015 diejenigen leitenden Mitarbeiter genannt haben sollte, die seiner Ansicht nach an der Misere schuld seien, handele es sich nicht um eine Pflichtverletzung, sondern um eine zulässige Meinungsäußerung zum Gesprächsthema. Ebenso wenig habe der Beteiligte zu 3) durch die Präsentation der Qualifikations- und Funktionszulagen eine Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis verletzt. Die Liste enthalte keine Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse. Die Präsentation der Liste habe nicht dazu gedient, den Betriebsfrieden zu stören, sondern die Meinungsunterschiede zwischen der Arbeitgeberin und dem Betriebsrat bei Umsetzung der Betriebsvereinbarung zum Entgeltsystem zu verdeutlichen. Die Äußerung des Beteiligten zu 3) zum Aufstellort der Box für Dienstplanänderungswünsche sei eine Reaktion auf die arbeitgeberseitig angedachte Einschränkung von Mitbestimmungsrechten. Einer solchen Entmachtung habe der Betriebsrat von vornherein nicht zustimmen können. Die Befürchtung des Beteiligten zu 3) mag überspitzt gewesen sein, habe aber angesichts des ohnehin kaum vorhandenen Vertrauens zwischen den Beteiligten nicht so ferngelegen. Schließlich rechtfertige auch die E-Mail vom 24.03.2016 nicht eine außerordentliche Kündigung. Sie enthalte zwar bei objektiver Betrachtung trotz des Wortes "kein" durchaus eine - vermeintlich geschickt formulierte - Beleidigung des Chefarztes. Dies abzustreiten verhöhne die Arbeitgeberin und den Chefarzt noch zusätzlich. Allerdings sei die Beleidigung nicht anlasslos erfolgt, sondern sei ihrerseits eine Reaktion auf die vorangegangene Beleidigung des Chefarztes gegenüber dem Beteiligten zu 3). Daran ändere auch eine evtl. erklärte telefonische Entschuldigung des Chefarztes nichts, zumal diese nicht in dem gleichen Rahmen, also betriebsöffentlich, stattgefunden habe. Wer in unsachlicher und emotionalisierender Weise auftrete, habe nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine entsprechende Reaktion des Betroffenen hinzunehmen. Der Betroffene habe ein Recht auf einen Gegenschlag. Im Übrigen gebe es keine einschlägige Abmahnung.

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Der Beteiligte zu 3) sei nicht aus dem Betriebsrat auszuschließen. Es sei schon nicht erkennbar, welche gesetzlichen Pflichten als Betriebsratsmitglied er verletzt haben sollte. Die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats sei nicht bedroht. Die Präsentation der Qualifikations- und Funktionszulagen habe nicht die Geheimhaltungspflicht des § 79 BetrVG verletzt, da die Liste keine Namen enthalten habe. Der Betriebsrat habe das Recht gehabt, die Belegschaft über die Zulagenzahlungen zu informieren.

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Am 28.06.2016 beantragte die Arbeitgeberin beim Arbeitsgericht Stralsund (Aktenzeichen 3 BV 73/16) erneut die Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3), hilfsweise seinen Ausschluss aus dem Betriebsrat. Der Beteiligte zu 3) hatte in zwei E-Mails vom 20.05.2016 an einen Mitarbeiter des Landesamtes für Gesundheit und Soziales in Mecklenburg-Vorpommern den folgenden Unterschriftenzusatz (Signatur) verwandt: "Bilanz der BR-Arbeit seit 2013: BV Entgeltsystem, BV Tabellenentgelte/Gratifikation; Beschlussverfahren zur Eingruppierung von Beschäftigten, Vereinbarungen zur Stärkung von Eigenverantwortung/ Mitarbeiterbeteiligung bei der Arbeitszeit, Einigungsstellen zum Arbeitsschutz / 27 Abmahnungen, 1 fristlose Kündigung, 10 Zustimmungsersetzungsverfahren zur fristlosen Kündigung, Gehaltsabzüge wegen BR-Arbeit, Wahlanfechtungsverfahren, 2 Amtsenthebungsverfahren, 3 Bestechungsversuche". Des Weiteren war er am 16.06.2016 zusammen mit zwei anderen Betriebsratsmitgliedern, obwohl ausdrücklich nicht eingeladen, zur Verabschiedungsfeier von Herrn Dr. B., Chefarzt Orthopädie, erschienen und hatte sich geweigert, den Raum zu verlassen, weshalb er letztlich mit Hilfe eines herbeigerufenen Haushandwerkers aus dem Raum geleitet wurde. Das Arbeitsgericht Stralsund wies die Anträge mit Beschluss vom 16.11.2016 zurück. Ein Rechtsmittel hiergegen hat die Arbeitgeberin nicht eingelegt.

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Wegen der Vorfälle auf der Betriebsversammlung am 18.03.2016 und dem daran anschließenden offenen Brief an den Chefarzt hält die Arbeitgeberin an ihrem Kündigungsbegehren bzw. hilfsweise dem Ausschluss aus dem Betriebsrat fest. Gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts vom 03.05.2016 - 1 BV 5/16 - hat sie fristgerecht Beschwerde eingelegt. Sie meint, das Arbeitsgericht habe die einzelnen Pflichtverletzungen unzutreffend gewichtet und darüber hinaus keine Gesamtschau der auf eine fortgesetzte Störung des Betriebsfriedens gerichteten Handlungen vorgenommen. Der Beteiligte zu 3) habe nicht nur arbeitsvertragliche Pflichten, sondern auch Amtspflichten als Betriebsratsmitglied verletzt.

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Lohn- und Gehaltslisten seien nach allgemeiner Auffassung als Betriebs- und Geschäftsgeheimnis zu werten. Die Art und Weise der Präsentation auf der Betriebsversammlung habe entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts nicht der Klärung von etwaigen Meinungsverschiedenheiten gedient, sondern allein dazu, Unruhe innerhalb der Belegschaft zu stiften. Da es gewisse Positionen im Betrieb nur einmal gebe, sei anhand der Liste von Qualifikations- und Funktionszulagen trotz Löschung einzelner Zahlen jedenfalls erkennbar gewesen, dass bestimmte Personen eine Zulage erhalten. Zudem habe der Beteiligte zu 3) behauptet, es handele sich um Gefälligkeitszahlungen, u. a. für dem derzeitigen Betriebsrat kritisch gegenüberstehende Mitarbeiter.

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Der Beteiligte zu 3) habe mit seiner Äußerung zum Vorschlag, die Box mit Dienstplanänderungswünschen im Sekretariat des Chefarztes Dr. G. aufzustellen, den Chefarzt unzweifelhaft diskreditiert. Der Beteiligte zu 3) habe ihm betriebsöffentlich die moralische Integrität abgesprochen und seine Missachtung ausgedrückt. Schon diese grobe Beleidigung rechtfertige für sich genommen eine außerordentliche Kündigung. Erst recht müsse das für die nachfolgende Beleidigung als sozialinkompetentes Arschloch gelten. Das Arbeitsgericht habe die Äußerung zwar zutreffend als Beleidigung gewürdigt und die Einlassung der Beteiligten zu 2) und 3), sich mit dem Wort "kein" davon distanziert zu haben, noch als zusätzliche Verhöhnung betrachtet. Es sei jedoch zu Unrecht davon ausgegangen, dass diese Beleidigung durch ein Recht auf Gegenschlag gedeckt sei. Beleidigungen seien Straftaten und nicht von der Meinungsfreiheit geschützt. Während sich der Chefarzt auf der Betriebsversammlung noch zu einer - gleichwohl ebenfalls nicht hinnehmbaren - Spontanäußerung habe hinreißen lassen, habe sich der Beteiligte zu 3) mehrere Tage Zeit gelassen für seine Antwort und diese dann nicht nur an die Mitarbeiter des Betriebs verschickt, sondern auch an zahlreiche Personen außerhalb des Betriebs und sogar außerhalb des Unternehmens. Die Arbeitgeberin bestreitet mit Nichtwissen, dass der Betriebsrat einen ordnungsgemäßen Beschluss zu dem offenen Brief an den Chefarzt gefasst hat.

49

Wenn das nicht für eine außerordentliche Kündigung genügen sollte, so sei aber zumindest ein Ausschluss aus dem Betriebsrat gerechtfertigt. Der Beteiligte zu 3) habe mit der Präsentation von Zulagenzahlungen gegen die Geheimhaltungspflicht verstoßen. Des Weiteren habe er die Pflicht zur Wahrung des Betriebsfriedens verletzt. Die grobe Beleidigung des Chefarztes als sozialinkompetentes Arschloch sei mit dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit in keiner Weise mehr vereinbar. Der Beteiligte zu 3) habe eine mehr oder weniger private Angelegenheit durch die Einschaltung betriebsfremder Personen auf eine andere Stufe gehoben. Abgesehen davon sei der Betriebsrat für die im Schreiben vom 24.03.2016 angesprochenen Fragen zur Gehaltshöhe überhaupt nicht zuständig. Das sei Aufgabe der Tarifvertragsparteien.

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Die Arbeitgeberin beantragt,

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den Beschluss des Arbeitsgerichts Stralsund vom 03.05.2016 - 1 BV 5/16 - abzuändern und

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1. die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen, fristlosen Kündigung des mit dem Beteiligten zu 3) bestehenden Arbeitsverhältnisses durch die Arbeitgeberin gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zu ersetzen, und
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2. hilfsweise für den Fall der Zurückweisung des Antrages zu Ziffer 1, den Beteiligten zu 3) aus dem Betriebsrat des Betriebs der Arbeitgeberin in der A-Straße, A-Stadt, auszuschließen.
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Der Betriebsrat beantragt,

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die Beschwerde der Arbeitgeberin zurückzuweisen.

56

Er verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung, verweist aber darauf, dass die E-Mail vom 24.03.2016 keinen beleidigenden Inhalt gehabt und den Betriebsfrieden nicht gestört habe. Dem Schreiben liege ein Betriebsratsbeschluss zugrunde. Der Beteiligte zu 3) habe den Betriebsrat im Rahmen der gefassten Beschlüsse vertreten. Der Betriebsrat habe den Chefarzt nicht beleidigt und auch nicht die Absicht gehabt, ihn zu beleidigen. Sollte die Formulierung tatsächlich missverständlich sein, werde das bedauert. Für die - dann wohl - unglückliche Ausdrucksweise entschuldige sich der Betriebsrat wie auch der Beteiligte zu 3). Der Chefarzt, ein im Krisenmanagement geschulter Psychologe, habe auch nicht im Affekt gehandelt, sondern sich ruhig aufgesetzt und dann "Sie Arschloch" gesagt.

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Des Weiteren seien die Gesamtumstände zu berücksichtigen. Der Beteiligte zu 3) sei von Repräsentanten der Arbeitgeberin in Betriebsversammlungen schon als "Kamikazeflieger", als "Arschloch" oder als "krank" bezeichnet worden. Eine Entschuldigung hierfür habe es nicht gegeben. Eingaben der Beteiligten zu 2) und 3) an die Klinikleitung, die Fäkalsprache abzustellen, seien erfolglos geblieben. Stattdessen habe die Arbeitgeberin Abmahnungen ausgesprochen. Der Umgangston sei unternehmensweit - vorsichtig gesagt - sehr rau. So habe der Chefarzt des Krankenhauses P. am S. in der offenen E-Mail an alle vom 26.02.2016 anlässlich des Ausscheidens eines Vorstandsmitgliedes seine große Erleichterung darüber zum Ausdruck gebracht und ihm viel Erfolg bei der Entwicklung seiner Sozialkompetenz gewünscht.

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Ohnehin könne die Arbeitgeberin ihr Kündigungs- und Ausschlussbegehren nicht mehr auf die obigen Vorwürfe stützen, nachdem der Beschluss des Arbeitsgerichts Stralsund vom 16.11.2016 - 3 BV 73/16 - rechtskräftig geworden sei. Damit stehe fest, dass jedenfalls bis zum 16.11.2016 kein wichtiger Grund im Sinne des § 626 BGB oder eine grobe Verletzung gesetzlicher Pflichten im Sinne des § 23 BetrVG vorgelegen habe. Die Arbeitgeberin stütze sich aber nur auf Sachverhalte vor diesem Zeitraum. Im Rahmen der Amtsermittlung seien alle Umstände des Einzelfalls zu würdigen. Die Arbeitgeberin könne die Anträge nicht auf bestimmte Sachverhalte beschränken. Der Beschluss des LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 24.05.2016 - 2 TaBV 22/15 - in einem weiteren Zustimmungsersetzungsverfahren sei ebenfalls erst nach der Betriebsversammlung vom 18.03.2016 und der E-Mail vom 24.03.2016 ergangen.

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Die Beschwerde der Arbeitgeberin sei hinsichtlich des Hilfsantrags unzulässig. Die Arbeitgeberin setze sich in ihrer Beschwerdebegründung nur teilweise mit der Argumentation des Arbeitsgerichts auseinander. Des Weiteren habe die Arbeitgeberin nicht vorgetragen, weshalb eine gesetzmäßige Arbeit des Beteiligten zu 3) nicht mehr zu erwarten sei. Der Betriebsrat habe in der Folgezeit durchaus einvernehmlich Betriebsvereinbarungen abgeschlossen und Dienstplänen zugestimmt. Die Arbeitgeberin verstoße ständig gegen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats. Sie ziehe beispielsweise den Betriebsratsmitgliedern bewusst rechtswidrig Gehalt ab, selbst für die Teilnahme an einer Mitarbeiterversammlung (dazu LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 28.03.2017 - 5 Sa 16/16 -). Die Arbeitgeberin habe den Bereitschaftsdienstplan der Ärzte für Juni 2017 trotz der fehlenden Zustimmung des Beteiligten zu 2) umgesetzt, ohne die Einigungsstelle anzurufen. Sie führe die Betriebsvereinbarung Entgeltsystem in mehrfacher Hinsicht nicht ordnungsgemäß durch, indem sie Funktions- und Qualifikationszulagen ohne Betriebsratsbeteiligung zahle oder das Entgeltsystem durch persönliche Zulagen unterlaufe.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle und auf die erstinstanzliche Entscheidung Bezug genommen.

B.

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Die Beschwerde ist zulässig und zum Teil begründet.

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I. Zulässigkeit der Beschwerde

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Die Arbeitgeberin hat die Beschwerde fristgerecht eingelegt und fristgerecht begründet. Das gilt auch für den Hilfsantrag auf Ausschluss aus dem Betriebsrat.

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Die Beschwerdebegründung muss nach § 89 Abs. 2 Satz 2 ArbGG angeben, auf welche im einzelnen anzuführenden Beschwerdegründe sowie auf welche neuen Tatsachen die Beschwerde gestützt wird. Allgemeine, formelhafte Wendungen genügen hierfür nicht. Der Beschwerdeführer darf sich nicht darauf beschränken, seine Rechtsausführungen aus den Vorinstanzen zu wiederholen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass der Beschwerdeführer die angefochtene Entscheidung im Hinblick auf das Rechtsmittel überprüft und mit Blickrichtung auf die Rechtslage durchdenkt (BAG, Beschluss vom 30. Oktober 2012 - 1 ABR 64/11 - Rn. 11, juris = NJW 2013, 2218). Der Beschwerdeführer muss im Einzelnen klar und konkret angeben, wie er durch die erstinstanzliche Entscheidung beschwert ist und welche Tatsachenfeststellungen und/oder welche die Entscheidung tragenden Rechtsansichten der ersten Instanz aus seiner Sicht unzutreffend sind (LAG Hessen, Beschluss vom 04. September 2007 - 4/5 TaBV 88/07 - Rn. 18, juris = ArbuR 2008, 77). Hat das erstinstanzliche Gericht seine Entscheidung auf mehrere voneinander unabhängige, die Entscheidung selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss in der Rechtsmittelbegründung für jede dieser Begründungen dargelegt werden, warum sie unzutreffend sein sollen. Andernfalls ist das Rechtsmittel insgesamt unzulässig (LAG Hessen, Beschluss vom 04. September 2007 - 4/5 TaBV 88/07 - Rn. 19, juris = ArbuR 2008, 77).

65

Die Arbeitgeberin hat nicht nur den Haupt-, sondern auch den Hilfsantrag ausreichend begründet. Das Arbeitsgericht hat sich mit dem Hilfsantrag nur noch kurz befasst und hat eine mögliche Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten allenfalls in einer Verwendung eventuell nicht ausreichend anonymisierter Daten auf der Betriebsversammlung gesehen. Im Übrigen hat es auf die Ausführungen zu der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung verwiesen. Die Arbeitgeberin hat in ihrer Beschwerdebegründung diese Erwägungen aufgegriffen und vor allem eingewandt, dass das Arbeitsgericht die Beleidigung des Chefarztes überhaupt nicht als Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten gewürdigt habe. Das Arbeitsgericht habe die hiermit verbundene Verletzung des Betriebsfriedens (§ 74 BetrVG) und den groben Verstoß gegen den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit nicht berücksichtigt. Die Arbeitgeberin hat zwar keine neuen Tatsachen herangezogen oder den Tatsachenfeststellungen des Arbeitsgerichts widersprochen. Das ist aber auch nicht erforderlich. Vielmehr wendet sie ein, das Arbeitsgericht habe bei der Entscheidung über den Ausschlussantrag einen wesentlichen Teil des Sachverhalts außenvorgelassen, obwohl dieser durchaus den Ausschluss aus dem Betriebsrat rechtfertige, wie beispielsweise das Landesarbeitsgericht Niedersachsen entschieden habe. Damit hat die Arbeitgeberin deutlich gemacht, was sie an der erstinstanzlichen Entscheidung bemängelt und weshalb die Ausführungen des Arbeitsgerichts aus ihrer Sicht die Entscheidung nicht tragen. Da das Arbeitsgericht selbst nur kurz zum Hilfsantrag Stellung genommen hat, konnte sich die Arbeitgeberin darüber hinaus nicht mit weiteren Punkten auseinandersetzen. Zur Geheimhaltungspflicht hatte sie bereits im Zusammenhang mit dem Hauptantrag vorgetragen. Auch das Arbeitsgericht hat insofern auf seine Ausführungen zum Hauptantrag verwiesen. Die Arbeitgeberin hat nicht ausschließlich ihr Vorbringen in der Vorinstanz wiederholt, sondern ist konkret auf die Argumentation des Arbeitsgerichts eingegangen und hat ihr eine eigene rechtliche Argumentation entgegengestellt. Das Arbeitsgericht hat seine Entscheidung nicht auf mehrere voneinander unabhängige, die Entscheidung selbstständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, mit denen sich die Arbeitgeberin als Beschwerdeführerin hätte auseinandersetzen müssen. Das Arbeitsgericht hat den Hilfsantrag allein deshalb zurückgewiesen, weil der Beteiligte zu 3) die Schweigepflicht durch die Präsentation der Zulagenliste nicht verletzt habe.

66

II. Begründetheit der Beschwerde

67

Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist hinsichtlich des Hauptantrages (Ersetzung der Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung) unbegründet, hinsichtlich des Hilfsantrages (Ausschluss aus dem Betriebsrat) jedoch begründet.

68

1. Zulässigkeit der Anträge

69

Die Anträge sind zulässig. Die Rechtskraft der Beschlüsse des Arbeitsgerichts Stralsund vom 18.11.2016 - 3 BV 73/16 - und des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 24.05.2016 - 2 TaBV 22/15 - steht weder einer Entscheidung über den Zustimmungsersetzungs- noch über den Ausschlussantrag entgegen.

70

Nach § 322 Abs. 1 ZPO sind Urteile der Rechtskraft nur insoweit fähig, als über den durch Klage oder Widerklage erhobenen Anspruch entschieden wurde. Diese Vorschrift findet auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren Anwendung (BAG, Beschluss vom 6. Juni 2000 - 1 ABR 21/99 - Rn. 15, juris = NZA 2010, 659). Die materielle Rechtskraftwirkung solcher Beschlüsse hindert grundsätzlich, dass bei Identität der Beteiligten und Identität des Sachverhalts die bereits rechtskräftig entschiedene Frage den Gerichten zur erneuten Entscheidung unterbreitet werden kann (BAG, Beschluss vom 05. März 2013 - 1 ABR 75/11 - Rn. 12, juris = DB 2013, 1423; BAG, Beschluss vom 6. Juni 2000 - 1 ABR 21/99 - Rn. 15, juris = NZA 2010, 659). Unzulässig ist eine erneute Klage, wenn die Streitgegenstände beider Prozesse identisch sind oder im zweiten Prozess das kontradiktorische Gegenteil der im ersten Prozess ausgesprochenen Rechtsfolge begehrt wird (BAG, Urteil vom 15. Juni 2016 - 4 AZR 485/14 - Rn. 29, juris = NZA 2017, 593; BGH, Urteil vom 16. Januar 2008 - XII ZR 216/05 - Rn. 22, juris = NJW 2008, 1227).

71

Bei der Entscheidung über einen Zustimmungsersetzungsantrag handelt es sich um eine rechtsgestaltende Entscheidung (BAG, Beschluss vom 08. Juni 2000 - 2 ABR 1/00 - Rn. 17, juris = NZA 2001, 91). Gleiches gilt für einen Beschluss nach § 23 Abs. 1 BetrVG (BAG, Beschluss vom 18. Mai 2016 - 7 ABR 81/13 - Rn. 18, juris = NZA-RR 2016, 582). Wird eine Gestaltungsklage abgewiesen, steht rechtskräftig fest, dass der Kläger zurzeit der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung des Erstprozesses die begehrte Gestaltung im Rahmen des Streitgegenstandes nicht verlangen konnte (Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 322, Rn. 5).

72

Das vorliegende Verfahren hat einen anderen Streitgegenstand als die vorangegangenen Beschlussverfahren, da eine Gestaltung zu einem späteren Zeitpunkt begehrt wird. Die im hiesigen Verfahren angestrebte Zustimmungsersetzung bzw. der Ausschluss wirken nicht auf einen früheren Zeitpunkt zurück, der bereits Gegenstand eines anderen Beschlussverfahrens war. Mit Rechtskraft der Beschlüsse des Arbeitsgerichts Stralsund vom 16.11.2016 - 3 BV 73/16 - und des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 24.05.2016 - 2 TaBV 22/15 - steht lediglich fest, dass ein Ausspruch der außerordentlichen Kündigung bzw. ein Ausschluss aus dem Betriebsrat zu den damaligen Zeitpunkten, d. h. zurzeit der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung, nicht mehr möglich ist. Zu einem späteren Zeitpunkt kann eine Kündigung oder ein Ausschluss aber berechtigt sein.

73

2. Begründetheit der Anträge

74

Der Hauptantrag auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung ist unbegründet, der Hilfsantrag auf Ausschluss des Beteiligten zu 3) aus dem Betriebsrat ist hingegen begründet.

75

a) Zustimmungsersetzung außerordentliche Kündigung

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Die vom Beteiligten zu 2) verweigerte Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3) ist nicht zu ersetzen.

77

Nach § 103 Abs. 1 BetrVG bedarf die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats der Zustimmung des Betriebsrats. Gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG, § 15 Abs. 1 KSchG ist die verweigerte Zustimmung zu ersetzen, wenn die beabsichtigte außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls aus wichtigem Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt ist. Es müssen also Tatsachen vorliegen, auf Grund derer der Arbeitgeberin unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist nicht mehr zugemutet werden kann (BAG, Beschluss vom 13. Mai 2015 - 2 ABR 38/14 - Rn. 18, juris = NZA 2016, 116).

78

Die Prüfung, ob ein Lebenssachverhalt einen wichtigen Grund in diesem Sinne darstellt, vollzieht sich zweistufig: Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar war oder nicht (BAG, Urteil vom 20. Oktober 2016 - 6 AZR 471/15 - Rn. 14, juris = NZA 2016, 1527).

79

Stützt der Arbeitgeber den wichtigen Grund bei einem Betriebsratsmitglied auf dessen Verhalten, muss dieses sich als Verletzung von Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis darstellen (BAG, Beschluss vom 13. Mai 2015 - 2 ABR 38/14 - Rn. 18, juris = NZA 2016, 116; BAG, Urteil vom 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 39, juris = NZA 2013, 143). Ist einem Betriebsratsmitglied dagegen ausschließlich eine Verletzung seiner Amtspflichten vorzuwerfen, kommt nur ein Ausschlussverfahren nach § 23 Abs. 1 BetrVG in Betracht. Es ist jedoch möglich, dass ein bestimmtes Verhalten sowohl Amtspflichten aus dem Betriebsverfassungsrecht als auch die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis verletzt (BAG, Urteil vom 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 39, juris = NZA 2013, 143; BAG, Beschluss vom 16. Oktober 1986 - 2 ABR 71/85 - Rn. 26, juris = ZTR 1987, 125; BAG, Urteil vom 25. Mai 1982 - 7 AZR 155/80 - Rn. 24, juris).

80

Ein wichtiger Grund kann sich sowohl aus der Verletzung einer vertraglichen Hauptpflicht als auch aus der schuldhaften Verletzung von Nebenpflichten, beispielsweise der Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des jeweils anderen Teils (§ 241 Abs. 2 BGB), ergeben (BAG, Urteil vom 20. Oktober 2016 - 6 AZR 471/15 - Rn. 18, juris = NZA 2016, 1527).

81

Eine grobe Beleidigung des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen ist eine Pflichtverletzung, die typischerweise als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung geeignet ist. Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen über seinen Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen aufstellt, insbesondere dann, wenn die Erklärungen den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen (BAG, Urteil vom 18. Dezember 2014 - 2 AZR 265/14 - Rn. 16, juris = NZA 2015, 797). Bewusst falsche Tatsachenbehauptungen fallen schon nicht in den Schutzbereich des Rechts auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 GG. Äußerungen, die nicht Tatsachenbehauptungen, sondern ein Werturteil enthalten, können hingegen vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt sein. Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG ist aber nicht schrankenlos gewährleistet. Es ist gemäß Art. 5 Abs. 2 GG durch die allgemeinen Gesetze und das Recht der persönlichen Ehre beschränkt (BAG, Urteil vom 18. Dezember 2014 - 2 AZR 265/14 - Rn. 17-18, juris = NZA 2015, 797).

82

Erweist sich das in einer Äußerung enthaltene Werturteil als Formalbeleidigung oder Schmähkritik, muss die Meinungsfreiheit regelmäßig zurücktreten. Allerdings macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Erklärung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Dafür muss hinzutreten, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (BAG, Urteil vom 18. Dezember 2014 - 2 AZR 265/14 - Rn. 20, juris = NZA 2015, 797) und es jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie darum geht, den anderen verächtlich zu machen und sein Ansehen zu schädigen.

83

Der Beteiligte zu 3) hat zusammen mit anderen Betriebsratsmitgliedern den Chefarzt durch den am 24.03.2016 versandten offenen Brief grob beleidigt. Er hat damit seine Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis zur Rücksichtnahme auf die Interessen anderer verletzt. Diese Pflicht, andere Betriebsangehörige nicht zu diffamieren, trifft alle Arbeitnehmer gleichermaßen, unabhängig davon, ob sie zugleich Mitglieder des Betriebsrats sind oder nicht.

84

Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Zu berücksichtigen sind regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel - etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung - gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (BAG, Urteil vom 20. Oktober 2016 - 6 AZR 471/15 - Rn. 30, juris = NZA 2016, 1527; BAG, Urteil vom 22. Oktober 2015 - 2 AZR 569/14 - Rn. 46, juris = NJW 2016, 1754).

85

Der Ausschluss aus dem Betriebsrat kann ein weniger einschneidendes Mittel sein, künftige Störungen im Arbeitsverhältnis zu verhindern, ohne sogleich das gesamte Arbeitsverhältnis zu beenden. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist ein Ausschlussverfahrens nach § 23 BetrVG gegenüber der außerordentlichen Kündigung nach § 626 BGB vorrangig (BAG, Urteil vom 25. Mai 1982 - 7 AZR 155/80 - Rn. 24, juris, vgl. ErfK/Koch, 17. Aufl. 2017, § 23 BetrVG, Rn. 2; Fitting/ Engels/ Schmidt/ Trebinger/ Linsenmaier, BetrVG, 28. Aufl. 2016, § 23, Rn. 23). Betriebsverfassungsrechtliche Amtsträger können gerade aufgrund ihrer Betriebsratstätigkeit leichter in Gefahr geraten, ihre arbeitsvertraglichen Pflichten zu verletzen, z. B. durch beleidigende Äußerungen gegenüber dem Arbeitgeber (BAG, Urteil vom 25. Mai 1982 - 7 AZR 155/80 - Rn. 24, juris). Arbeitnehmer, die dem Betriebsrat nicht angehören, sind solchen Konfliktsituationen von vornherein nicht ausgesetzt (BAG, Beschluss vom 16. Oktober 1986 - 2 ABR 71/85 - Rn. 28, juris = AP Nr. 95 zu § 626 BGB).

86

Die im hiesigen Verfahren gegenüber dem Beteiligten zu 3) erhobenen Vorwürfe hängen ausschließlich mit seiner Tätigkeit als Betriebsratsmitglied bzw. als Vorsitzender des Betriebsrats zusammen. Die Beleidigung des Chefarztes in der E-Mail vom 24.03.2016 geht auf Konflikte aus der Betriebsratstätigkeit zurück. Der Ausschluss aus dem Betriebsrat ist geeignet, die Konfliktherde schlagartig zu beseitigen. Mit gleichen oder ähnlichen Beleidigungen ist nach Beendigung der Mitgliedschaft im Betriebsrat nicht mehr zu rechnen. Ein Ausschluss aus dem Betriebsrat genügt, um derartige Beleidigungen gegenüber dem Chefarzt und anderen Repräsentanten der Arbeitgeberin zu verhindern. Einer außerordentlichen Kündigung, d. h. der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, bedarf es hierzu nicht.

87

b) Ausschluss aus dem Betriebsrat

88

Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 BetrVG kann der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht den Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten beantragen.

89

Gesetzliche Pflichten in diesem Sinne sind die Pflichten aus dem Betriebsverfassungsrecht (z. B. LAG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Januar 2015 - 6 TaBV 48/14 - Rn. 50, juris = NZA-RR 2015, 299). Darunter fallen die Pflichten als Betriebsratsmitglied ebenso wie die Pflichten in besonderen Funktionen, wie z. B. als Betriebsratsvorsitzender (LAG Hessen, Beschluss vom 19. September 2013 - 9 TaBV 225/12 - Rn. 32, juris). Von den Amtspflichten zu unterscheiden sind die - jeden Arbeitnehmer treffenden - Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis.

90

Voraussetzung ist eine grobe Verletzung einer Amtspflicht, d. h. eine objektiv erhebliche und offensichtlich schwerwiegende Pflichtverletzung, die unter Berücksichtigung aller Umstände eine weitere Amtsführung untragbar macht (BAG, Beschluss vom 27. Juli 2016 - 7 ABR 14/15 - Rn. 21, juris = NZA 2017, 136). Die Pflichtverletzung muss regelmäßig schuldhaft, d. h. vorsätzlich oder grob fahrlässig, begangen worden sein. Eine einmalige grobe Pflichtverletzung genügt (LAG Hessen, Beschluss vom 20. März 2017 - 16 TaBV 12/17 - Rn. 18, juris; LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 01. Oktober 2015 - 5 TaBV 876/15 - Rn. 44, juris = AE 2016, 98). Der Ausschluss aus dem Betriebsrat stellt keine Sanktion wegen der Amtspflichtverletzung dar, sondern soll künftige Amtspflichtverletzungen durch das betreffende Betriebsratsmitglied verhindern (LAG München, Beschluss vom 17. Januar 2017 - 6 TaBV 97/16 - Rn. 45, juris). Sinn und Zweck des § 23 Abs. 1 BetrVG ist es, die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats zu gewährleisten (BAG, Beschluss vom 05. September 1967 - 1 ABR 1/67 - Rn. 42, juris = MDR 1968, 84; LAG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Januar 2015 - 6 TaBV 48/14 - Rn. 72, juris = NZA-RR 2015, 299; Fitting/ Engels/ Schmidt/ Trebinger/ Linsenmaier, BetrVG, 28. Aufl. 2016, § 23, Rn. 18).

91

Die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats kann dadurch bedroht sein, dass Betriebsratsmitglieder ihre Aufgaben stark vernachlässigen. Auch ein querulatorisches oder krankhaft boshaftes Verhalten kann unter Umständen zum Ausschluss führen, wenn das Vertrauen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber oder zwischen Betriebsrat und Belegschaft in einem solchen Maß erschüttert ist, dass der Betriebsrat nicht mehr in der Lage ist, seine gesetzlichen Aufgaben zu erfüllen (BAG, Beschluss vom 05. September 1967 - 1 ABR 1/67 - Rn. 42, juris = MDR 1968, 84).

92

Nach § 74 Abs. 2 Satz 2 BetrVG haben Arbeitgeber und Betriebsrat Betätigungen zu unterlassen, durch die der Arbeitsablauf oder der Frieden des Betriebs beeinträchtigt werden. Diese Pflicht trifft nicht nur den Betriebsrat, sondern auch die einzelnen Betriebsratsmitglieder (ErfK/Kania, 17. Aufl. 2017, § 74 BetrVG, Rn. 16; Fitting/ Engels/ Schmidt/ Trebinger/ Linsenmaier, BetrVG, 28. Aufl. 2016, § 74, Rn. 27).

93

Der Begriff Betriebsfrieden beschreibt das friedliche, störungsfreie Zusammenleben und Zusammenwirken von Arbeitnehmern, Betriebsrat und Arbeitgeber auf der Grundlage vertrauensvoller Zusammenarbeit (GK-BetrVG/Kreutz, 10. Aufl. 2014, § 74, Rn. 133). Daraus ergibt sich aber nicht ein Verbot, um des lieben Friedens willen auf jeglichen Streit zu verzichten. Der Arbeitgeber kann ebenso wie der Betriebsrat bzw. die Betriebsratsmitglieder die Rechte aus dem Betriebsverfassungsrecht wahrnehmen und ggf. auch gerichtlich durchsetzen (GK-BetrVG/Kreutz, 10. Aufl. 2014, § 74, Rn. 137). Das Betriebsverfassungsgesetz geht davon aus, dass es aufgrund der unterschiedlichen Interessen von Arbeitgeber und Belegschaft durchaus zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat kommen kann (z. B. § 74 Abs. 1 Satz 2, § 76 Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Der Betriebsfrieden ist aber beeinträchtigt, wenn die Betriebspartner nicht die zur Lösung von Interessenkonflikten vorgesehenen Verfahren und Wege einhalten (LAG Düsseldorf, Beschluss vom 25. Mai 1976 - 15 TaBV 10/76 - DB 1977, 453) oder in einer Weise miteinander umgehen, die trotz Anerkennung bestehender Interessengegensätze schlechterdings nicht mit dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG) vereinbar ist (Fitting/ Engels/ Schmidt/ Trebinger/ Linsenmaier, BetrVG, 28. Aufl. 2016, § 74, Rn. 31; Rieble/Wiebauer, ZfA 2010, 115).

94

Der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit ist Maßstab dafür, wie die Betriebsparteien ihre gegenseitigen Rechte und Pflichten wahrzunehmen und auszuüben haben. Sie müssen dabei auch auf die Interessen der anderen Betriebspartei Rücksicht nehmen (BAG, Beschluss vom 28. Mai 2014 - 7 ABR 36/12 - Rn. 35, juris = NZA 2014, 1213). Die Vorschrift des § 2 Abs. 1 BetrVG bezieht sich nicht allein auf das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat als Gremium. Auch das einzelne Betriebsratsmitglied ist danach verpflichtet, durch sein Verhalten die Grundlagen des gegenseitigen Vertrauens nicht nachhaltig zu stören. Das einzelne Betriebsratsmitglied hat sich bei seiner Betriebsratstätigkeit innerhalb der Grenzen zu halten, die sich aus den allgemeinen Vorschriften der Rechtsordnung, insbesondere aus denen des Betriebsverfassungsgesetzes ergeben (LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 05. Juni 2014 - 10 TaBVGa 146/14 - Rn. 40, juris = NZA-RR 2014, 538).

95

Die Verbreitung von wahrheitswidrigen oder ehrverletzenden Behauptungen über den anderen Betriebspartner kann den Betriebsfrieden ebenso beeinträchtigen wie die zielgerichtete Einbindung von Dritten oder der Öffentlichkeit in den Konflikt. Es gehört grundsätzlich nicht zu den Aufgaben von Betriebsratsmitgliedern, die außerbetriebliche Öffentlichkeit über Betriebsratsinterna zu unterrichten. Weder aus den in Einzelbestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes geregelten besonderen Aufgaben und Befugnissen des Betriebsrats noch insbesondere aus der Aufzählung seiner allgemeinen Aufgaben in § 80 Abs. 1 BetrVG noch aus der Generalklausel über die vertrauensvolle Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG) ergibt sich eine Befugnis von Betriebsratsmitgliedern, von sich aus die außerbetriebliche Öffentlichkeit über innerbetriebliche Vorgänge zu unterrichten (LAG Hessen, Beschluss vom 07. März 2013 - 9 TaBV 197/12 - Rn. 27, juris).

96

Arbeitgeber und Betriebsrat sind hingegen berechtigt, die Belegschaft über betriebliche Vorgänge zu unterrichten. Das gilt auch für Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen. Die Betriebspartner dürfen sich im Rahmen der Meinungsfreiheit (vgl. Art. 5 Abs. 1 GG), die wiederum ihre Schranke in den allgemeinen Gesetzen und dem Recht der persönlichen Ehre findet, auch kritisch äußern. Das allein beeinträchtigt noch nicht das störungsfreie Zusammenleben und Zusammenwirken im Betrieb. Der Betriebsfrieden ist aber gefährdet, wenn bewusst falsche oder aus dem Zusammenhang gerissene Tatsachen verbreitet werden, um den anderen Betriebspartner in Misskredit zu bringen und verächtlich zu machen. Gleiches gilt für Äußerungen, bei denen nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern allein die Diffamierung von Personen und die persönliche Kränkung im Vordergrund steht (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 20.01.2016 - 5 TaBV 11/15 -; LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 05. Juni 2014 - 10 TaBVGa 146/14 - Rn. 50, juris = NZA-RR 2014, 538). Grobe Beschimpfungen, Verunglimpfungen oder Beleidigungen des Arbeitgebers sind mit dem Gebot zu vertrauensvoller Zusammenarbeit unvereinbar und geeignet, einen Ausschluss aus dem Betriebsrat zu rechtfertigen (LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 01. Oktober 2015 - 5 TaBV 876/15 - Rn. 54, juris = AE 2016, 98; LAG Hessen, Beschluss vom 23. Mai 2013 - 9 TaBV 17/13 - Rn. 31, juris; LAG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 31. März 2005 - 1 TaBV 15/04 - Rn. 38, juris; LAG Niedersachsen, Beschluss vom 25. Oktober 2004 - 5 TaBV 96/03 - Rn. 47, juris = NZA-RR 2005, 530). Die Beleidigung als Arschloch stellt eine schwere verbale Entgleisung dar (LAG Niedersachsen, Beschluss vom 25. Oktober 2004 - 5 TaBV 96/03 - Rn. 39, juris = NZA-RR 2005, 530).

97

Die grobe Beleidigung des Chefarztes in der E-Mail vom 24.03.2016 ist nicht als Grund für einen Ausschluss aus dem Betriebsrat verbraucht, da dieser Vorwurf nicht Gegenstand eines anderen, rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens war. Die Arbeitgeberin ist mit diesem Sachverhalt nicht präkludiert. Die Rechtskraft des arbeitsgerichtlichen Beschlusses vom 18.11.2016 - 3 BV 73/16 - steht dem nicht entgegen.

98

Der Umfang der materiellen Rechtskraft gemäß § 322 Abs. 1 ZPO ist aus dem Urteil und den dazu ergangenen Gründen zu bestimmen. Die objektiven Grenzen der Rechtskraft des Entscheidungsgegenstandes werden durch den Streitgegenstand des vorangegangenen Verfahrens bestimmt. Dieser richtet sich nach dem zur Entscheidung gestellten Antrag (Klageziel) und dem zugehörigen Lebenssachverhalt (Klagegrund), aus dem die begehrte Rechtsfolge hergeleitet wird (BAG, Beschluss vom 6. Juni 2000 - 1 ABR 21/99 - Rn. 15, juris = NZA 2010, 659). Bei einer klageabweisenden Entscheidung ist der ausschlaggebende Abweisungsgrund Teil des in Rechtskraft erwachsenden Entscheidungssatzes und nicht allein ein Element der Entscheidungsbegründung (BAG, Urteil vom 15. Juni 2016 - 4 AZR 485/14 - Rn. 40, juris = NZA 2017, 593; BAG, Urteil vom 10. April 2014 - 2 AZR 812/12 - Rn. 29, juris = NZA 2014, 653). Demnach tritt im Falle einer Kündigung eine Präklusionswirkung durch eine vorangegangene gerichtliche Entscheidung über die frühere Kündigung nur ein, wenn der Kündigungssachverhalt identisch ist. Hat sich dieser wesentlich geändert, darf der Arbeitgeber ein weiteres Mal kündigen (BAG, Urteil vom 20. Dezember 2012 - 2 AZR 867/11 - Rn. 26, juris = NZA 2013, 1003).

99

Die Streitgegenstände des vorliegenden und des Beschlussverfahrens beim Arbeitsgericht Stralsund unter dem Aktenzeichen 3 BV 73/16 sind nicht identisch. Die Arbeitgeberin hat ihren Ausschlussantrag beim Arbeitsgericht ausdrücklich auf einen anderen Lebenssachverhalt gestützt, nämlich zum einen auf die Rufschädigung der Arbeitgeberin gegenüber dem Landesamt für Gesundheit und Soziales mit der Behauptung von Bestechungsversuchen etc. und zum anderen auf die Störung der Verabschiedungsfeier des Chefarztes Dr. B.. Dementsprechend hat sich das Arbeitsgericht in der Begründung des Beschlusses auch nur mit diesen beiden Lebenssachverhalten auseinandergesetzt. Soweit die Arbeitgeberin in diesem Verfahren Sachverhalte angesprochen hat, auf die das vorliegende Beschlussverfahren gestützt wird, diente das ausschließlich dazu, das Gesamtbild abzurunden. Die Arbeitgeberin hat die jeweils angeführten Kündigungs- und Ausschlussgründe nicht in mehreren Verfahren parallel genutzt, sondern je nach Sachverhalt unterschiedliche Verfahren eingeleitet und diese Trennung beibehalten. Auch in das vorliegende Verfahren hat die Arbeitgeberin keine Vorwürfe aus anderen Verfahren eingeführt, sondern solche nur im Zusammenhang und unter Bezugnahme auf weitere Verfahren erwähnt.

100

Der Beteiligte zu 3) hat den Chefarzt als sozialinkompetentes Arschloch bezeichnet, das sich nur über die neuesten Jaguarmodelle den Kopf zerbricht. Die Einkleidung dieser Aussage in eine Aufforderung mit negativem Vorzeichen ändert nichts an ihrem Gehalt, wie die Aussage zu verstehen ist. Die Aufforderung an den Chefarzt, zu zeigen, dass er kein Arschloch ist, heißt nichts anderes als dass er eben doch ein Arschloch ist und bleibt, wenn er sein Verhalten nicht wie vom Betriebsrat gewünscht ändert. Der Chefarzt muss nach Ansicht des Betriebsrats erst noch zeigen, dass er kein Arschloch ist, das sich nur über die neuesten Jaguarmodelle den Kopf zerbricht. Das beinhaltet die Unterstellung, sich für nichts anderes zu interessieren als für Autos, also jedenfalls nicht für die Klinik und die dort Beschäftigten. Darüber hinaus wird zugleich noch seine Sozialinkompetenz angezweifelt. Auch die Sozialkompetenz hat er - der Aussage der Beteiligten zu 2) und 3) zufolge - erst noch zu beweisen, nämlich durch Unterstützung des Betriebsrats im Hinblick auf eine langersehnte Gehaltsangleichung, für die der Betriebsrat im Übrigen nicht zuständig ist. Die Aussage zielt allein darauf, den Chefarzt verächtlich zu machen und seine Person herabzuwürdigen. Eine derart grobe Beschimpfung des Chefarztes ist trotz aller Spannungen zwischen den Betriebspartnern nicht mehr mit einer interessenorientierten Betriebsratsarbeit zu rechtfertigen.

101

Die Anführungsstriche bei dem Begriff "Arschloch" schränken den Aussagegehalt nicht ein. Sie dienen der Kennzeichnung als Zitat, da ja der Chefarzt selbst diesen Ausdruck zuvor verwendet hat, was an dieser Stelle nochmals hervorgehoben wird. Ein entsprechendes Zitat findet sich in der Betreffzeile des offenen Briefes. Die vorangegangene, ebenfalls beleidigende Äußerung des Chefarztes rechtfertigt es nicht, die Eskalation der Auseinandersetzungen in mehrfacher Hinsicht voranzutreiben. Die Beteiligten zu 2) und 3) waren durchaus berechtigt, auf die Äußerung des Chefarztes in der Betriebsversammlung zu reagieren, insbesondere eine Entschuldigung zu fordern. Sie haben sich allerdings nicht auf eine noch angemessene Reaktion beschränkt, sondern die Situation genutzt, um das Ansehen des Chefarztes zum einen auf betrieblicher Ebene weiter zu schädigen und zum anderen ihn darüber hinaus bei den völlig unbeteiligten Mitarbeitern anderer Betriebe bloßzustellen und ihn verächtlich zu machen. Für eine derartige Ausweitung des Konflikts gab es keinen Anlass. Die Beteiligten zu 2) und 3) haben die Grenzen des Betriebsverfassungsrechts sowohl mit der Forderung zur Unterstützung bei der Gehaltserhöhung überschritten als auch mit der Einbindung von Betriebsfremden. Bei Betriebsfremden, die das Geschehen auf der Betriebsversammlung nicht kennen können, entsteht zudem noch der falsche Eindruck, dass die Äußerung des Chefarztes "Sie Arschloch!" mehr oder weniger aus dem Nichts heraus fiel. Die vorherige provozierende Äußerung des Beteiligten zu 3) ist nämlich nicht dargestellt. Die vorausgegangene Unterstellung dem Chefarzt gegenüber, Dienstplanänderungswünsche nach Belieben auszusortieren, ist mit dem neutralen Ausdruck "Skepsis" nur unzureichend wiedergegeben.

102

Bei der E-Mail vom 24.03.2016 handelt es sich - anders als bei der verbalen und emotionalen Entgleisung des Chefarztes, die der Beteiligte zu 3) auch als solche erkannt hat - nicht um eine spontane, unüberlegte Überreaktion. Der Beteiligte zu 3) hat den Text zusammen mit anderen Betriebsratsmitgliedern mehrere Tage nach der Betriebsversammlung mit Abstand zu den Ereignissen der Betriebsversammlung verfasst. Die Formulierungen gehen nicht auf eine emotional angespannte Situation zurück.

103

Der Text des offenen Briefes an den Chefarzt ist dem Beteiligten zu 3) zuzurechnen. Ob der Betriebsrat hierzu einen wirksamen Beschluss gefasst hat, kann dahinstehen. Ein Betriebsratsbeschluss entbindet Betriebsratsmitglieder nicht von ihrer Verantwortung (vgl. Fitting/ Engels/ Schmidt/ Trebinger/ Linsenmaier, BetrVG, 28. Aufl. 2016, § 1, Rn. 217). Der Beteiligte zu 3) hat aktiv an der Erarbeitung des Textes mitgewirkt. Er hat sich von den diffamierenden Aussagen über den Chefarzt nicht distanziert. Er hat die E-Mail nicht allein in seiner Funktion als Betriebsratsvorsitzender unterzeichnet und verschickt. Vielmehr hat er sich die Aussagen, falls nicht selbst formuliert, so doch zumindest zu Eigen gemacht, indem er sie als Ergebnis der Erörterungen im Betriebsrat mitgetragen hat.

104

Der Beteiligte zu 3) hat schuldhaft gehandelt. Er kannte den Text und den Aussagegehalt. Der Text ist nicht missverständlich formuliert. Er enthält gerade nicht die Erklärung, dass der Chefarzt kein sozialinkompetentes Arschloch ist. Für eine solche Aussage gab es keinen Anlass, da eine derartige Behauptung, die hätte widerrufen werden können, nicht im Raum stand. Vielmehr steht die Aussage ausdrücklich im Zusammenhang mit der geforderten Gehaltsangleichung, der auf diese Weise scheinbar Nachdruck verliehen werden sollte. Die Anspielung auf das alleinige Interesse des Chefarztes an den neuesten Jaguarmodellen kann ebenfalls nur den Sinn haben, ihn zu diskreditieren. Dem Beteiligten zu 3) waren die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zu den Grenzen der Meinungsfreiheit zumindest aus dem vorangegangenen Beschlussverfahren beim LAG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 20.01.2016 - 5 TaBV 11/15 - bekannt.

105

Soweit sich der Beteiligte zu 3) auf einen unternehmensweit rauen Umgangston beruft, entschuldigt das nicht die grobe Beleidigung des Chefarztes der Dünenwald Klinik. Dass sich ggf. auch andere pflichtwidrig verhalten, beispielsweise der angeführte Chefarzt eines anderen Krankenhauses der Arbeitgeberin, ist kein Freibrief für eigenes Fehlverhalten. Schon gar nicht berechtigt es dazu, den Boden des Betriebsverfassungsgesetzes zu verlassen und ohne Bezug zu den Aufgaben eines Betriebsrats das Ansehen eines Vorgesetzten innerhalb und außerhalb des Betriebs zu schädigen und ihn persönlich anzugreifen. Die Reaktion des Beteiligten zu 3) war auch angesichts von früheren verfehlten Äußerungen der Arbeitgeberin (Kamikazeflieger, Arschloch, krank) erkennbar unverhältnismäßig. Der offene Brief diente nicht mehr dazu, Interessen der Belegschaft zu verfolgen oder eine dem Beteiligten zu 3) zustehende Entschuldigung einzufordern. Er zielte vor allem auf eine Herabwürdigung des Chefarztes vor einer Vielzahl von Beschäftigten. Eine derartige Ansprache war von vornherein nicht dazu geeignet, im Interesse der Belegschaft für ein Wohlwollen des Chefarztes im Hinblick auf eine Lohnerhöhung zu werben. Die Verknüpfung einer Aufforderung mit einem persönlichen Angriff führt üblicherweise zur gegenteiligen Reaktion.

106

Die objektiv erhebliche und offensichtlich schwerwiegende Pflichtverletzung des Beteiligten zu 3) machen eine weitere Amtsführung untragbar. Die Herabwürdigung des Chefarztes innerhalb und auch außerhalb des Betriebes bedroht die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats. Eine konstruktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit, die eine ausgewogene Berücksichtigung von Belegschafts- und Arbeitgeberinteressen ermöglicht, ist nach einem derartigen persönlichen Angriff nicht mehr zu erwarten. Der persönliche Schlagabtausch überlagert die Betriebsratsarbeit und drängt diese in den Hintergrund. Der Beteiligte zu 3) hat nicht versucht, auf die Sachebene zurückzukehren und die grobe Beleidigung wieder aus der Welt zu schaffen. Er hat sich gegenüber dem Chefarzt nicht entschuldigt und dies auf die gleiche Art und Weise wie die Beleidigung kommuniziert. Weitere Angriffe auf die Person des Chefarztes sind nicht auszuschließen. Eine sachbezogene, von gegenseitigem Respekt und gegenseitiger Akzeptanz getragene Zusammenarbeit ist auf dieser Grundlage nicht möglich. Soweit trotz allem zwischenzeitlich Betriebsvereinbarungen zustande gekommen sind, ist damit weder die in dem offenen Brief enthaltene grobe Beleidigung noch die Gefahr weiterer grober Beleidigungen ausgeräumt. Der Abschluss von einzelnen Betriebsvereinbarungen lässt nicht den Schluss zu, dass der Beteiligte zu 3) zukünftig auf jegliche persönliche Angriffe verzichten wird.

107

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor. Das Verfahren wirft keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf. Das gilt auch für die Präklusion, bei der das Landesarbeitsgericht die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt hat.

Urteilsbesprechung zu Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss, 11. Juli 2017 - 5 TaBV 13/16

Urteilsbesprechungen zu Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss, 11. Juli 2017 - 5 TaBV 13/16

Referenzen - Gesetze

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Lastenausgleichsgesetz - LAG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 5


(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Fi

Betriebsverfassungsgesetz


§ 21a idF d. Art. 1 Nr. 51 G v. 23.7.2001 I 1852 dient der Umsetzung des Artikels 6 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim
Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss, 11. Juli 2017 - 5 TaBV 13/16 zitiert 18 §§.

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Tenor Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 21. September 2011 - 2 Sa 142/11 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

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Tenor Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 1. Juli 2011 - 8 TaBV 656/11 - wird zurückgewiesen.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11

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Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 18. Mai 2011 - 8 Sa 364/11 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Referenzen

Tenor

1. Die Beschwerde der beteiligten Arbeitgeberin wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

1

Die beteiligte Arbeitgeberin (Beteiligte zu 1) verlangt, dass die vom beteiligten Betriebsrat (Beteiligter zu 2) verweigerte Zustimmung zur Kündigung ihres Vorsitzenden (Beteiligter zu 3) durch das Gericht nach § 103 Absatz 2 BetrVG ersetzt wird.

2

Die Arbeitgeberin betreibt im gesamten Bundesgebiet Kliniken. In C-Stadt auf der Insel U. betreibt sie eine Rehabilitationsklinik für Innere Medizin, Orthopädie und Psychosomatik mit etwas über 100 Arbeitnehmern. Die ranghöchsten Arbeitnehmer der beteiligten Arbeitgeberin vor Ort sind die Chefärzte der drei medizinischen Abteilungen und der kaufmännische Direktor des Hauses.

3

Der 48-jährige Betriebsratsvorsitzende ist seit April 2012 als Psychologe in der Klinik tätig. Bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden erzielt er eine monatliche Arbeitsvergütung in Höhe von rund 3.420,00 Euro brutto. Zu seinen Arbeitsaufgaben gehört die Behandlung von Patienten auf der Grundlage von Therapieplänen. Er gehört dem Betriebsrat seit dem 13. November 2012 an. Er ist nicht im Sinne von § 38 BetrVG freigestellt.

4

Die beteiligte Arbeitgeberin beabsichtigt, das Arbeitsverhältnis zu dem beteiligten Betriebsratsvorsitzenden außerordentlich zu kündigen.

5

Der Betriebsratsvorsitzende hat am 27. Oktober 2014 Gelegenheit erhalten, zu den beiden älteren seinerzeit allein im Raum stehenden Vorwürfen gegen ihn Stellung zu nehmen (Protokoll dazu als Anlage 6 zur Antragsschrift zur Akte gelangt, hier Blatt 21 f). Danach hat die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 28. Oktober 2014 beim beteiligten Betriebsrat beantragt, die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung ihres Vorsitzenden zu erteilen. Die Zustimmung ist vom beteiligten Betriebsrat nicht innerhalb von drei Kalendertagen erteilt worden. Daraufhin hat die beteiligte Arbeitgeberin das vorliegende Beschlussverfahren eingeleitet. Die Antragsschrift ist beim Arbeitsgericht am 6. November 2014 eingegangen. Der Antrag stützt sich auf den Vorwurf der Arbeitsverweigerung wegen der nicht durchgeführten Therapie am 22. September 2014 und auf den Vorwurf, der beteiligte Betriebsratsvorsitzende habe sich unberechtigt am 4. Oktober 2014 Zugang zum Rechner des Chefarztes, dem er unterstellt ist, verschafft.

6

Während des bereits laufenden Beschlussverfahrens hat die beteiligte Arbeitgeberin einen dritten Vorwurf erhoben. Insoweit geht es um die breit gestreute Veröffentlichung einer Mail, die der beteiligte Betriebsratsvorsitzende an den stellvertretenden Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats am 14. November 2014 versandt hat ("S. bleibt!"). Der beteiligte Betriebsratsvorsitzende ist am 24. November 2014 zu diesem weiteren Vorwurf angehört worden. Die Arbeitgeberin hat wegen dieses Vorwurfs mit Schreiben vom 26. November 2014 beim beteiligten Betriebsrat erneut beantragt, die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung ihres Vorsitzenden zu erteilen. Der Betriebsrat hat auch diesem Antrag nicht innerhalb von drei Kalendertagen zugestimmt. Darauf hat die Arbeitgeberin im hiesigen Beschlussverfahren mit einem Schriftsatz, der am 1. Dezember 2014 bei Gericht eingegangen ist, die Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung auch wegen dieses dritten Vorwurfs beantragt.

7

Der älteste Vorwurf leitet sich aus dem Umstand ab, dass das beteiligte Betriebsratsmitglied am 22. September 2014 eine in seinen Kalender eingetragene Therapiesitzung mit einer Patientin nicht durchgeführt hat.

8

Für den beteiligten Betriebsratsvorsitzenden wird durch die Arbeitgeberin ein Kalender geführt, in den die zuständigen Ärzte Termine für Therapie-Sitzungen mit Patienten buchen können. Im Kalender gebuchte Termine für Therapie-Sitzungen sind als verbindliche Arbeitsanweisung zu verstehen. Zur Wahrung der eigenen Zeitsouveränität und zur Gewinnung ausreichender Zeit für die Betriebsratsarbeit kann der beteiligte Betriebsratsvorsitzende seinerseits im Kalender Tage oder einzelne Tagesabschnitte "blocken", die dann für Therapie-Sitzungen nicht zur Verfügung stehen.

9

Der beteiligte Betriebsratsvorsitzende hatte wenige Tage vor dem 22. September 2014 gegenüber der Arbeitgeberin bzw. gegenüber dem für ihn zuständigen Chefarzt mitgeteilt, dass für ihn der Kalender mit Stand vom 18. September 2014 verbindlich sei, und er weitere Therapiesitzungen wegen notwendig zu erledigender Betriebsratstätigkeit in den freien Zeiten zwischen den bereits gebuchten Sitzungen nicht abhalten könne. Trotz dieser Mitteilung des beteiligten Betriebsratsvorsitzenden ist ihm danach noch eine weitere Therapie-Sitzung für den 22. September 2014 (Montag) um 11:00 Uhr in den Kalender gebucht worden. Davon hat der Betriebsratsvorsitzende zum Arbeitsantritt an diesem Montag Kenntnis bekommen. Der Betriebsratsvorsitzende hat noch am Montagmorgen gegen diesen zusätzlichen Termin bei der leitenden Psychologin protestiert und dabei angekündigt, dass er den Termin nicht wahrnehmen werde. Dabei ist er auch geblieben, als er im weiteren Verlauf des Vormittags von dem für ihn zuständigen Chefarzt zur Wahrnehmung des Termins aufgefordert wurde. Zum Therapiezeitpunkt war das Zimmer, in dem der Betriebsratsvorsitzende für die Patienten ansprechbar ist, verschlossen. Die betroffene Patientin wurde mit einem vom Betriebsratsvorsitzenden an der Tür angebrachten Zettel darauf hingewiesen, dass sie sich bei der leitenden Psychologin melden solle.

10

Der weitere Vorwurf gegen den Betriebsratsvorsitzenden stützt sich auf den Umstand, dass dieser sich am 4. Oktober 2014 (einem Samstag) Zugang zum Büro der Sekretärin des Chefarztes verschafft hat und sich an deren Computer eingeloggt hat.

11

Der Betriebsratsvorsitzende hat einen Schlüssel, mit dem er auch Zugang zu dem Büro der Sekretärin des Chefarztes hat; dort wird für ihn ein Postfach für die dienstliche Post vorgehalten. Der Betriebsratsvorsitzende gibt hier im Rechtsstreit an, er habe an jenem Tage versucht, im Betriebsratsbüro etwas auszudrucken, was nicht gelungen sei. Er hat sich darauf in das Büro der Sekretärin begeben, hat sich an deren Computer mit seiner eigenen ihm zugeteilten Nutzerkennung eingeloggt und – so der Vortrag hier – habe dort erfolgreich den Druck des Dokuments vornehmen können. Nachträgliche Recherchen der Arbeitgeberin haben keinen Hinweis darauf ergeben, dass der Computer oder der Drucker im Betriebsratsbüro oder das Netz an jenem Tag gestört waren.

12

Der nachgeschobene dritte Vorwurf steht in Zusammenhang mit der Mail des Betriebsratsvorsitzenden an den stellvertretenden Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats vom 14. November 2014 ("S. bleibt!" – Kopie als Anlage Ast 5 eingereicht, hier Blatt 51R und 52; wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen).

13

"S." ist der Rufname eines weiteren Mitglieds des beteiligten Betriebsrats. Die beteiligte Arbeitgeberin hatte versucht, das Arbeitsverhältnis zu diesem Betriebsratsmitglied zu kündigen. Der Betriebsrat hatte die Zustimmung verweigert und der Antrag der Arbeitgeberin, die verweigerte Zustimmung durch das Arbeitsgericht ersetzen zu lassen, war wenige Tage vor der Mail vom 14. November 2014 vom Arbeitsgericht abgelehnt worden. Betriebsrat und Betriebsratsvorsitzender gehen davon aus, dass die Arbeitgeberin jenes Zustimmungsersetzungsverfahren in Kenntnis des nicht ausreichenden Anlasses für eine Kündigung betrieben hatte und hatten dementsprechend scharf die Arbeitgeberseite intern dafür kritisiert. Unter anderem wurde auch der Gesamtbetriebsrat in die Kampagne einbezogen und der dortige stellvertretende Vorsitzende hatte sich nach Auffassung des beteiligten Betriebsrats hilfreich für die Sache eingesetzt.

14

Mit der fraglichen Mail hat sich der beteiligte Betriebsratsvorsitzende bei seinem Kollegen aus dem Gesamtbetriebsrat für seine Unterstützung in der Sache "S." bedankt und ihn über den Ausgang des Zustimmungsersetzungsverfahrens vor dem Arbeitsgericht unterrichtet (Absätze 1 bis 3 der Mail). Die folgenden 6 Absätze nutzt der Betriebsratsvorsitzende sodann, um das Arbeitgeberverhalten nochmals in scharfem Ton kritisch zu bewerten. Der Unternehmensleitung wird dort "professionelles Union-Busting" vorgeworfen. Weiter ist die Rede von "willfährigen Belegschaftsvertretern", die "Teile der Klinikleitung bei der bewusst herbeigeführten Spaltung unserer Belegschaft unterstützen". Schließlich wird der Klinikleitung "Rechtsnihilismus" vorgeworfen und die "Inszenierung von Kündigungsgründen".

15

Diese Mail hat der beteiligte Betriebsrat bzw. der beteiligte Betriebsratsvorsitzende zeitnah per Mail an alle Mitarbeiter der Klinik vor Ort, an den Gesamtbetriebsrat sowie an Mitarbeiter bei ver.di und beim Marburger Bund weitergeleitet. Außerdem ist die Mail zur weiteren Verbreitung an den "Verein ./. Arbeitsunrecht e.V.", an "work-watch e.V." und an das "Solidaritätskomitee gegen Betriebsratsmobbing" weitergeleitet worden.

16

Schließlich hat der Betriebsrat die Mail in dem Betriebsratsschaukasten vor Ort ausgehängt. Der Schaukasten befindet sich in einem Flur mit Ausgang zum Wirtschaftshof. Der Flur wird von den Patienten, wenn sie sich an die Ausschilderung in der Klinik halten, nicht benutzt. Patienten, die sich mit den örtlichen Verhältnissen vertraut gemacht haben, nutzen diesen Flur jedoch gelegentlich zur Abkürzung von Laufwegen.

17

Das Arbeitsgericht Stralsund – Kammern Neubrandenburg – hat den Antrag der Arbeitgeberin mit Beschluss vom 14. Juli 2015 zurückgewiesen (13 BV 3002/14). Das Arbeitsgericht ist davon ausgegangen, dass die Arbeitgeberin nicht ausreichend zur Einhaltung der Kündigungserklärungsfrist aus § 626 Absatz 2 BGB vorgetragen habe. Auf diesen Beschluss wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes vor dem Arbeitsgericht Bezug genommen.

18

Mit der rechtzeitig eingelegten und fristgemäß begründeten Beschwerde verfolgt die Arbeitgeberin ihr Begehren unverändert fort.

19

Die Arbeitgeberin kritisiert die angegriffene Entscheidung. Das Zustimmungsersetzungsverfahren sei noch rechtzeitig anhängig gemacht worden. Die Frist im Sinne von § 626 Absatz 2 BGB habe bezüglich keinem der Vorwürfe vor dem Tag der Anhörung des beteiligten Betriebsratsvorsitzenden anlaufen können, denn erst mit dessen Anhörung seien die Ermittlungen zur Aufklärung des Sacherhalts abgeschlossen worden. Da keiner der Mitarbeiter vor Ort zum Ausspruch von Kündigungen berechtigt sei, müsse sogar auf den Zeitpunkt abgestellt werden, zu dem die Unternehmensleitung von den Vorwürfen Kenntnis erlangt habe; der kaufmännische Direktor habe erst nach der abschließenden Anhörung des beteiligten Vorsitzenden die Unternehmensleitung von den einzelnen Vorfällen unterrichtet. Der Arbeitgeberin sei es auch nicht zuzumuten gewesen, die Aufklärung wegen der Ereignisse am 22. September 2014 und am 4. Oktober 2014 früher aufzunehmen oder schneller abzuschließen, denn der für die Aufklärung zuständige kaufmännische Direktor sei durch Urlaub und vorrangige Dienstgeschäfte an einer früheren Aufklärung verhindert gewesen.

20

Die Arbeitgeberin meint im Übrigen, jeder der drei Vorwürfe für sich reiche bereits aus, um eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grunde im Sinne von § 626 Absatz1 BGB zu begründen.

21

Am 22. September 2014 habe der Betriebsratsvorsitzende eine Arbeitsverweigerung begangen. Diese sei beharrlich gewesen, da er trotz Hinweis des Chefarztes auf die fehlenden Gründe für die Arbeitsverweigerung und trotz Androhung von Konsequenzen die Arbeit nicht aufgenommen habe. Insoweit sei der Beteiligte auch bereits einschlägig abgemahnt gewesen.

22

Am 4. Oktober 2014 habe der Betriebsratsvorsitzende versucht, sich unberechtigt Zugang zum Computer seines Chefarztes zu verschaffen. Der diesbezügliche Verdacht stehe im Raum, da es für die Verwendung des Computers im Zimmer der Sekretärin keinen sachlichen Anlass gegeben habe und es dem Betriebsratsvorsitzenden nicht gelungen sei, den Verdacht zu widerlegen.

23

Durch die breite Veröffentlichung der Mail vom 14. November 2014 habe der Betriebsratsvorsitzende gegen seine Pflicht zur Verschwiegenheit verstoßen. Außerdem habe er rechtswidrig einen internen Konflikt nach außen getragen und sich dabei noch verleumderisch und herablassend über die Unternehmensführung geäußert.

24

Die beteiligte Arbeitgeberin beantragt,

25

unter Abänderung des angegriffenen Beschlusses des Arbeitsgericht Stralsund – Kammern Neubrandenburg – vom 14. Juli 2015 (13 BV 3002/14) die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3 nach § 103 Absatz 2 BetrVG zu ersetzen.

26

Der beteiligte Betriebsrat und der beteiligte Betriebsratsvorsitzende beantragen übereinstimmend,

27

die Beschwerde der Arbeitgeberin zurückzuweisen.

28

Der Betriebsrat und sein Vorsitzender verteidigen die angegriffene Entscheidung des Arbeitsgerichts. Außerdem betonen sie, dass die von der Arbeitgeberin vorgetragenen Ereignisse eine Kündigung aus wichtigem Grunde nicht rechtfertigen könnten.

29

Die nicht abgehaltene Therapiesitzung am 22. September 2014 könne die Kündigung nicht rechtfertigen. Es fehle gänzlich an einem pflichtwidrigen Verhalten. Nach wie vor gehe die Arbeitgeberin rechtsirrig davon aus, ein Betriebsrat dürfe nur dann seinen Arbeitsplatz zum Zwecke der Aufnahme von Betriebsratsarbeit verlassen, wenn dies vom Arbeitgeber zuvor gestattet worden sei.

30

Der Vorwurf des versuchten Datendiebstahls wegen der Nutzung des Computers der Sekretärin des Chefarztes sei abwegig. Wie die Arbeitgeberin selber richtig vortrage, habe er sich an diesem Computer mit seiner eigenen ihm zugeteilten Nutzerkennung eingeloggt, er habe daher nur Zugriff auf seine eigenen Daten gehabt, genauso wie wenn er sich an seinem eigenen Rechner eingeloggt hätte.

31

Auch die Verbreitung der Mail vom 14. November 2014 könne die beabsichtigte Kündigung nicht rechtfertigen. Ein Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht sei nicht erkennbar. Der Betriebsratsvorsitzende habe keine personenbezogenen Daten, die ihm in Zusammenhang mit der Erfüllung seiner Arbeitsaufgabe bekannt geworden seien, verbreitet. Angesichts der Vorgeschichte bezüglich des Kündigungsversuchs gegenüber dem Kollegen "S." habe die Schärfe der Kritik und das Ausmaß der Verbreitung der Mail noch nicht die durch die Loyalitätspflicht gezogenen Grenzen überschritten.

32

Das Beschwerdegericht hat die beim Arbeitsgericht Stralsund entstandenen Akten 13 BV 1/14 (Antrag des Betriebsrats auf Wiedereinrichtung des Schaukastens am Ausgang zum Wirtschaftshof) und 13 BV 1/15 (Antrag der Arbeitgeberin auf Ausschluss des Betriebsratsvorsitzenden aus dem Betriebsrat), beide bereits seit längerem abgeschlossen, auf Anregung der Arbeitgeberin zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts beigezogen.

33

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrages der Beteiligten wird auf das Protokoll der Anhörung und Erörterung vor der Kammer und auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

34

Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist nicht begründet. Die gegen den Betriebsratsvorsitzenden erhobenen Vorwürfe rechtfertigen dessen Kündigung nicht.

1.

35

Die Weigerung des Betriebsratsvorsitzenden, am 22. September 2014 die kurzfristig in seinen Kalender eingetragene weitere Therapiesitzung um 11:00 Uhr durchzuführen, rechtfertigt eine Kündigung nicht.

a)

36

Der Arbeitgeberin ist der Nachweis nicht gelungen, dass der Betriebsratsvorsitzende damit beharrlich die Erfüllung der ihm aufgetragenen Arbeitsaufgabe verweigert hat.

37

Nach § 37 Absatz 2 BetrVG sind Mitglieder des Betriebsrats von ihren beruflichen Aufgaben zu befreien, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Das Betriebsratsmitglied entscheidet selbst, ob es zur Aufnahme von Betriebsratstätigkeit den Arbeitsplatz verlässt, eine Zustimmung des Arbeitgebers ist dazu nicht erforderlich (ständige Rechtsprechung seit BAG 30. Januar 1973 – 1 ABR 1/73 – AP Nr. 3 zu § 40 BetrVG 1972 = BB 1973, 474; zuletzt noch BAG 29. Juni 2011 – 7 ABR 135/09 – BAGE 138, 233 = AP Nr. 152 zu § 37 BetrVG 1972 = DB 2012, 747). Das Betriebsratsmitglied hat sich allerdings bei seinem Fachvorgesetzten möglichst frühzeitig abzumelden, damit dieser die Chance hat, die Arbeit entsprechend umzuorganisieren (BAG 29. Juni 2011 aaO).

38

In diesem Sinne hat sich der beteiligte Betriebsratsvorsitzende rechtzeitig vor dem 22. September 2012 zur Aufnahme von Betriebsratstätigkeit abgemeldet, denn er hat am 18. oder 19. September 2014 seinen Vorgesetzten darauf hingewiesen, dass sein Therapiekalender mit Stand vom 18. September 2014 voll sei, da er die noch bestehenden freien Zeitabschnitte für die Wahrnehmung von Betriebsratstätigkeit benötige. Mit der ordnungsgemäßen Anzeige der beabsichtigten Betriebsratstätigkeit für den 22. September 2014 ab 11:00 Uhr ist die Arbeitspflicht des beteiligten Betriebsratsvorsitzenden für die Zeit seiner Betriebsratstätigkeit entfallen. Er unterlag daher nicht mehr dem Weisungsrecht des Arbeitgebers. Demnach hat er sich weder weisungswidrig verhalten, noch hat er seine Arbeitspflicht vernachlässigt.

39

Die Arbeitgeberin hat keine geeigneten Umstände vorgetragen, die den Schluss gestatten, der beteiligte Vorsitzende hätte die Aufnahme von Betriebsratstätigkeit lediglich vorgeschoben, um sein Nichtstun oder eine in Wahrheit doch gegebene Arbeitsverweigerung verbergen zu können.

40

Allein aus dem Umstand, dass sich Arbeitgeber und Betriebsrat vorliegend darauf verständigt haben, dass der Vorsitzende des Betriebsrats für zwei im Voraus feststehende Tage der Woche von der Arbeit zum Zwecke der Erledigung von Betriebsratsaufgaben freigestellt wird, kann nicht geschlossen werden, dass Betriebsratsarbeit, die der Betriebsrat darüber hinaus für erforderlich hält, in Wahrheit nicht erforderlich ist. Denn durch das Anknüpfen an das Merkmal der Erforderlichkeit in § 37 Absatz 2 BetrVG hat der Gesetzgeber einen flexiblen Maßstab geschaffen, der je nach den konkreten betrieblichen Verhältnissen zur Freistellung in gänzlich unterschiedlichem Umfang führen kann.

41

Möchte der Arbeitgeber im Beschlussverfahren vortragen, das Betriebsratsmitglied habe die Aufnahme von Betriebsratstätigkeit lediglich vorgeschoben, muss er also Umstände vortragen, die einen solchen Verdacht nahelegen. Es gibt allerdings keine Erfahrungssätze über das übliche Maß erforderlicher Betriebsratstätigkeit in Abhängigkeit von der Betriebs- oder der Betriebsratsgröße. Der Arbeitgeber müsste also grob die derzeit anstehenden Aufgaben des Betriebsrats skizzieren und diese der bisher dafür aufgewendeten Zeit gegenüberstellen. Derartigen Vortrag hat die Arbeitgeberin hier nicht ansatzweise geleistet. Abgesehen davon spricht schon allein die große Anzahl der Beschlussverfahren, die derzeit mit Beteiligung der Arbeitgeberin wegen des Betriebes auf U. bei Gericht anhängig sind oder jüngst anhängig waren, dafür, dass der zeitliche Aufwand der Betriebsratstätigkeit in diesem Betrieb derzeit außergewöhnlich hoch ist.

b)

42

Im Übrigen geht das Beschwerdegericht mit dem Arbeitsgericht davon aus, dass die Arbeitgeberin schon deshalb die beabsichtigte Kündigung nicht auf den Vorfall vom 22. September 2014 stützen kann, da die Kündigungserklärungsfrist aus § 626 Absatz 2 BGB nicht eingehalten ist.

43

Nach § 626 Absatz 2 Satz 1 BGB kann eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt nach Absatz 2 Satz 2 der Norm mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Der Kündigungsberechtigte, der bislang nur Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann deshalb nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Absatz 2 BGB zu laufen begänne. Sind die Ermittlungen abgeschlossen und hat er eine hinreichende Kenntnis vom Kündigungssachverhalt, beginnt der Lauf der Ausschlussfrist (BAG 21. Februar 2013 – 2 AZR 433/12 – AP Nr. 51 zu § 626 BGB Ausschlussfrist = NZA-RR 2013, 515; BAG 25. November 2010 – 2 AZR 171/09 – AP Nr. 231 zu § 626 BGB; BAG 17. März 2005 – 2 AZR 245/04 – AP Nr. 46 zu § 626 BGB Ausschlussfrist = NZA 2006, 101).

44

Neben den Mitgliedern der Organe von juristischen Personen und Körperschaften gehören zu den kündigungsberechtigten Personen auch die Mitarbeiter, denen der Arbeitgeber das Recht zur außerordentlichen Kündigung übertragen hat. Dagegen ist die Kenntnis anderer Personen für den Lauf der Ausschlussfrist grundsätzlich unbeachtlich. Dies gilt auch dann, wenn den Mitarbeitern Aufsichtsfunktionen übertragen worden sind. Nur ausnahmsweise muss sich der Arbeitgeber die Kenntnis solcher Personen nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) zurechnen lassen. Dazu müssen diese Personen eine herausgehobene Position und Funktion im Betrieb haben sowie tatsächlich und rechtlich in der Lage sein, einen Sachverhalt, der Anhaltspunkte für eine außerordentliche Kündigung bietet, so umfassend zu klären, dass mit ihrer Mitteilung der Kündigungsberechtigte ohne weitere eigene Nachforschungen seine (Kündigungs-)Entscheidung abgewogen treffen kann. Dementsprechend müssen diese Mitarbeiter in einer ähnlich selbständigen Stellung sein, wie ein gesetzlicher oder rechtsgeschäftlicher Vertreter des Arbeitgebers. Voraussetzung für eine Zurechenbarkeit der Kenntnisse dieser Personen zum Arbeitgeber ist ferner, dass die Verzögerung bei der Kenntniserlangung in dessen eigener Person auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebs oder der Verwaltung beruht (BAG 21. Februar 2013 aaO; BAG 23. Oktober 2008 – 2 AZR 388/07 – AP Nr. 217 zu § 626 BGB = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 23; BAG 26. November 1987 - 2 AZR 312/87 – RzK I 6g Nr. 13).

45

Gemessen an diesem Maßstab war die Kündigungserklärungsfrist wegen des Vorwurfs der Arbeitsverweigerung am 22. September 2014 schon lange vor Eingang der Antragsschrift beim Arbeitsgericht am 6. November 2014 abgelaufen. Denn der kaufmännische Leiter der Klinik muss aufgrund seiner betrieblichen Stellung als einer kündigungsberechtigten Person gleichgestellt behandelt werden. Außerdem beruht die verspätete Kenntnis der tatsächlich kündigungsberechtigten Personen auf der Leitungsebene des Unternehmens auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebes und der kaufmännische Leiter der Klinik hat die Aufklärung des Sachverhalts nicht zügig vorangetrieben. Daher hat die Kündigungserklärungsfrist bereits mit dem 22. September 2014 zu laufen begonnen.

aa)

46

Es kann dahinstehen, ob der kaufmännische Leiter der Klinik tatsächlich wie von der Arbeitgeberin behauptet keine Berechtigung hat, Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter vor Ort durch Kündigung zu beenden. Denn nach der oben zitierten Rechtsprechung ist er einer kündigungsberechtigten Person gleichzustellen, weil er im Betrieb in C-Stadt eine herausgehobene Funktion und Stellung hat und er tatsächlich und rechtlich in der Lage war, den Kündigungssachverhalt abschließend aufzuklären. Letzteres ergibt sich indirekt schon daraus, dass die kündigungsberechtigte Unternehmensleitung dem Vorschlag des kaufmännischen Direktors zur Einleitung der Kündigung ohne weitere eigene Ermittlungen zugestimmt hat.

bb)

47

Nach Lage der Dinge muss das Gericht auch davon ausgehen, dass die verzögerte Unterrichtung der kündigungsberechtigten Unternehmensleitung auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebes bei der Arbeitgeberin beruht.

48

Nach dem Vortrag der beteiligten Arbeitgeberin hat der kaufmännische Leiter der Klinik die kündigungsberechtigten Personen von dem hier streitigen Kündigungsanlass erst in Zusammenhang mit dem abschließenden Bericht nach Anhörung des beteiligten Vorsitzenden am 27. Oktober 2014 unterrichtet und diese späte Unterrichtung ist ihm nicht als pflichtwidriges Verhalten zum Vorwurf gemacht worden.

49

Diese Umstände offenbaren einen offensichtlichen Mangel in der Organisation des Betriebes. Denn durch die fehlende Pflicht des kaufmännischen Leiters, bereits bei Vorliegen von Anhaltspunkten für einen Kündigungsgrund der Unternehmensleitung zu berichten, begibt diese sich der Möglichkeit, steuernd in den weiteren Prozess einzugreifen. Gleichzeitig wird damit die Möglichkeit eröffnet, den Rückgriff auf einen vorhandenen Kündigungsgrund nahezu beliebig in die Länge zu ziehen, was gerade der Grund dafür war, dass die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die auf § 242 BGB aufbauende Rechtsprechung zur Zurechnung der Kenntnisse führender Mitarbeiter entwickelt hat, die nicht ihrerseits kündigungsberechtigt sind. Daher muss die fehlende Berichtspflicht des kaufmännischen Leiters der Klinik bei Auftauchen von Anhaltspunkten für einen Kündigungsgrund als eine unsachgemäße Betriebsorganisation bewertet werden.

cc)

50

Der kaufmännische Leiter der beteiligten Arbeitgeberin kann sich nicht auf das fehlende Anlaufen der Kündigungserklärungsfrist aus § 626 Absatz 2 BGB wegen weiterer Bemühungen zur Aufklärung des Sachverhalts berufen, da nicht erkennbar ist, welche Bemühungen er zwischen dem 22. September und dem Tag der Anhörung des beteiligten Vorsitzenden am 27. Oktober 2014 überhaupt zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts unternommen hat. Das Gericht ist daher nicht in der Lage die Feststellung zu treffen, die Aufklärung sei zügig vorgenommen worden. Die von Arbeitgeberseite vorgetragenen Gründe für die zögerliche Aufklärung (Urlaub und vorrangige Dienstaufgaben) sind nicht tragfähig.

2.

51

Die Nutzung des Computers der Sekretärin des Chefarztes am 4. Oktober 2014 durch den beteiligten Vorsitzenden rechtfertigt eine Kündigung nicht.

a)

52

Zugunsten der Arbeitgeberin kann unterstellt werden, es gäbe im Betrieb eine verbindliche Anweisung an alle Arbeitnehmer, sich stets nur an ihrem eigenen Computer im System einzuloggen.

53

Denn ein Verstoß gegen eine solche Ordnungsvorschrift könnte ohne Hinzutreten weiterer Umstände eine Kündigung ohne vorherigen Ausspruch einer Abmahnung nicht rechtfertigen.

b)

54

Die Sorge der Arbeitgeberin, der beteiligte Vorsitzende hätte mit der Nutzung des Geräts der Sekretärin des Chefarztes zum Einloggen im System unberechtigt Zugriff auf Dateien und Dokumente bekommen, zu deren Kenntnis er nicht berechtigt ist, kann das Gericht mangels näheren Tatsachenvortrages dazu seiner Entscheidung nicht zu Grunde legen.

55

Bereits vorbereitend zum Termin zur Anhörung und Erörterung hatte der Kammervorsitzende darauf hingewiesen, dass nach seinem Erfahrungswissen, die Möglichkeiten des Zugriffs auf Dateien und Dokumente nicht dadurch vergrößert werden könne, dass man sich an einem anderen Gerät in das System einlogge. Das war mit der Auflage verbunden gewesen, dazu vorzutragen, weshalb dies bei dem in der Klinik genutzten IT-System anders sein solle. Entsprechender Vortrag ist nicht geleistet worden.

56

Im Termin zur Anhörung und Erörterung ist dann noch darauf hingewiesen worden, dass eine Speicherung von Dateien durch die Sekretärin in Abweichung von den durch das System vorgeschlagenen Speicherorten (z.B. im Stammverzeichnis der lokalen Festplatte) gegebenenfalls dazu führen könne, dass Dritte, die sich an dem Gerät mit ihrer eigenen Kennung anmelden, dennoch Zugriff auf solche nicht den Richtlinien entsprechend abgespeicherten Dateien eines anderen Nutzers haben könnten. Die Arbeitgeberin hat aber nicht die Behauptung aufgestellt, die Sekretärin des Chefarztes habe ihre Dateien – oder auch nur einige ihrer Dateien – auf diese nicht sachgemäße Weise abgespeichert.

57

Damit reduziert sich die Sorge der Arbeitgeberin auf die Vermutung, der beteiligte Vorsitzende verfüge über Kenntnisse und Fähigkeiten sich am Computer mehr Rechte verschaffen zu können, um so einen Zugriff auf fremde Dateien zu bekommen. Da für diese Vermutung keine indiziellen Tatsachen vorgetragen sind, kann das Gericht darauf seine Entscheidung nicht stützen. Allein der Umstand, dass die vom beteiligten Vorsitzenden gegebene Begründung für sein Verhalten (Druckerstörung an seinem eigenen Gerät) anhand der Protokolldateien des Systems angeblich nicht nachvollzogen werden kann, rechtfertigt noch nicht derart weitgehende Schlüsse.

c)

58

Im Übrigen war die Kündigungserklärungsfrist aus § 626 Absatz 2 BGB, was das Arbeitsgericht richtig gesehen hat, auch bezüglich dieses Vorwurfs bereits lange vor Einleitung des vorliegenden Beschlussverfahrens abgelaufen. Wegen der Einzelheiten kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.

3.

59

Auch die Veröffentlichung der Mail vom 14. November 2014 reicht zur Begründung der beabsichtigen Kündigung nicht aus.

a)

60

Soweit der Vorsitzende mit der breit gestreuten Veröffentlichung der Mail und deren Aushang im Schaukasten des Betriebsrats möglicherweise gegen seine betriebsverfassungsrechtliche Verschwiegenheitspflicht (§ 79 BetrVG) verstoßen hat, kann daraus nicht das Recht zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses abgeleitet werden, denn das Betriebsverfassungsgesetz sieht in § 23 BetrVG eigene Sanktionen für Verstöße gegen betriebsverfassungsrechtliche Pflichten vor (LAG Mecklenburg-Vorpommern 27. November 2013 – 3 Sa 101/13 – juris.de). Gleiches gilt, soweit man auf eine ergänzende Verschwiegenheitspflicht, die sich aus dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit ableitet, abstellen würde. Auch die Verletzung dieser betriebsverfassungsrechtlichen Pflicht kann allein mit betriebsverfassungsrechtlichen Sanktionen geahndet werden.

b)

61

Die Kündigung lässt sich auch nicht auf einen Verstoß gegen das arbeitsvertragliche Gebot zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers aus § 241 Absatz 2 BGB ableiten.

62

Insoweit ist allerdings in der Rechtsprechung anerkannt, dass auch die Mitglieder des Betriebsrats wie alle anderen Arbeitnehmer in dem durch § 241 Absatz 2 BGB gezogenen Rahmen Rücksicht auf die Interessen ihres Arbeitgebers zu nehmen haben. Auch dann, wenn eine Handlung eines Betriebsratsmitglieds gleichzeitig Amtspflichten als auch arbeitsvertragliche Pflichten verletzt oder aber die Vertragsverletzung nur deshalb eingetreten ist, weil der Arbeitnehmer als Betriebsratsmitglied tätig geworden ist, kann ein wichtiger Grund zur Kündigung im Sinne des § 626 Absatz 1 BGB vorliegen (LAG Mecklenburg-Vorpommern 27. November 2013 aaO). Mit Rücksicht auf die besondere Konfliktsituation, in der sich das Betriebsratsmitglied aufgrund seiner Amtsstellung ohnehin befindet, ist die außerordentliche Kündigung aber nur gerechtfertigt, wenn unter Anlegung eines besonders strengen Maßstabs das pflichtwidrige Verhalten auch als schwerer Verstoß gegen die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis zu werten ist. (BAG 23. Oktober 2008 – 2 ABR 59/07 – AP Nr. 58 zu § 103 BetrVG 1972 = DB 2009, 1131).

c)

63

Ein in diesem Sinne schwerer Verstoß gegen die Rücksichtnahmepflichten aus § 241 Absatz 2 BGB kann im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden.

aa)

64

In der beanstandeten Mail hat der beteiligte Vorsitzende keine falschen Tatsachen mit Bezug auf die Arbeitgeberin behauptet.

65

Behauptungen tatsächlicher Art werden in der Mail nur wenige aufgestellt. Im ersten Absatz wird die Historie des Konflikts rund um den Versuch, den Betriebsratskollegen "S." zu kündigen, wiedergegeben. Im zweiten Absatz wird der Ausgang des Rechtsstreits um die beabsichtigte Kündigung des Betriebsratskollegen "S." geschildert. Außerdem gibt es bruchstückhaft Hinweise auf einen Entgeltkonflikt im Betrieb (3. und 5. Absatz).

66

Keine der an den genannten Stellen wiedergegebenen Behauptungen ist erkennbar falsch. Insoweit stellt auch die Arbeitgeberin keine gegenteiligen Behauptungen auf.

bb)

67

Soweit der beteiligte Vorsitzende in der Mail das Verhalten der Arbeitgeberin scharf kritisiert und ihr Handeln bewertet, handelt es sich um die Äußerung seiner Meinung, was ihm grundsätzlich nicht verboten ist.

68

Während Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit geprägt werden und der Überprüfung mit Mitteln des Beweises vor Gericht zugänglich sind, handelt es sich bei einer Meinung um eine Äußerung, die durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt ist. Bei der Frage, ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Tatsachenbehauptung oder als Werturteil anzusehen ist, kommt es entscheidend auf den Gesamtkontext der fraglichen Äußerung an. Die Abgrenzung zwischen Werturteilen und Tatsachenbehauptungen kann im Einzelfall schwierig sein, vor allem deswegen, weil die beiden Äußerungsformen nicht selten miteinander verbunden werden und erst gemeinsam den Sinn einer Äußerung ausmachen. In solchen Fällen ist der Begriff der Meinung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes weit zu verstehen: Sofern eine Äußerung, in der Tatsachen und Meinungen sich vermengen, durch die Elemente der Stellungnahme des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind, wird sie als Meinung von dem Grundrecht geschützt. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Trennung der wertenden und der tatsächlichen Gehalte, den Sinn der Äußerung aufhöbe oder verfälsche. Würde in einem solchen Fall das tatsächliche Element als ausschlaggebend angesehen, so könnte der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit wesentlich verkürzt werden (BVerfG 4. August 2016 – 1 BvR 2619/13 – juris.de).

69

Legt man diesen Maßstab an, muss der Vorwurf des "professionellen Union-Busting" (6. Absatz), der Vorwurf der "bewusst herbeigeführten Spaltung der Belegschaft" (8. Absatz) und der "Inszenierung von Kündigungsgründen" (9. Absatz) als bloße Meinungsäußerung bewertet werden und nicht als Tatsachenbehauptung. Gemeinsam ist allen Vorwürfen, dass der beteiligte Vorsitzende der Arbeitgeberin in ihrem Handeln gegenüber dem Betriebsrat – untechnisch ausgedrückt – eine feindliche Einstellung unterstellt. (professionelles Busting, bewusste Spaltung, Inszenierung). Diese innere Einstellung der Arbeitgeberin könnte rechtlich allenfalls als sogenannte innere Tatsachen bezeichnet werden. Damit wäre sie aber keine Tatsachen im Sinne der aufgezeigten Rechtsprechung, da sie einem Beweis nicht zugänglich sind. Auf innere Tatsachen kann nur mittels geeigneter Indiztatsachen mittelbar geschlossen werden. Da solche vom beteiligten Vorsitzenden nicht geäußert wurden, handelt es sich bei seiner Einschätzung der inneren Einstellung der Arbeitgeberin bei ihrem Handeln gegenüber dem Betriebsrat um eine bloße Meinungsäußerungen.

70

Die Meinungsäußerung durch den beteiligten Vorsitzenden kann auch unter Berücksichtigung der gesteigerten Rücksichtnahmepflicht im Arbeitsverhältnis noch nicht als pflichtwidrig angesehen werden. Meinungsäußerungen im Betrieb können insbesondere dann pflichtwidrig sein, wenn sie betriebliche Auswirkungen haben, also den Betriebsfrieden stören oder den Arbeitsablauf zum Erliegen bringen. Dass die Mail vom 14. November 2014 derartige Wirkungen gezeitigt hat, ist weder von der Arbeitgeberin vorgetragen noch sonst ersichtlich.

cc)

71

Der beteiligte Vorsitzende mag sich in der Mail an mancher Stelle im Ton vergriffen haben, die Herabsetzung oder Schmähung bestimmter Personen kann aber nicht erkannt werden.

72

Dazu ist zunächst hervorzuheben, dass die Arbeitgeberin, eine juristische Person in Form einer Kommanditgesellschaft mit Komplementär-GmbH, in der Mail des beteiligten Vorsitzenden sozusagen anonym bleibt. Es wird keine Person beim Namen genannt, bei der die feindliche Einstellung gegeben sein soll, vielmehr ist immer nur von "Teilen der Klinikleitung" oder von einzelnen "Klinikleitungsmitgliedern" die Rede. Für das Gericht als außenstehender Stelle geht nicht einmal eindeutig hervor, ob die Kritik dem örtlichen Leitungspersonal am Klinikstandort gilt oder dem Führungspersonal am Sitz des Unternehmens. Schon aus diesem Grunde scheidet die Annahme aus, der beteiligte Vorsitzende habe in der Mail einzelne Personen herabgesetzt oder gar beleidigt.

73

Zusätzlich ist der Umstand in die Bewertung mit einzubeziehen, dass die Mail in einem Kontext steht, der durch einen inzwischen schon mehrjährigen beiderseits eifrig befeuerten Konflikt zwischen der örtlichen Klinikleitung und dem beteiligten Betriebsrat steht, der beiderseits zu einer für Außenstehende nicht mehr nachvollziehbaren Verrohung der Umgangsformen geführt hat. Selbst wenn man also den Standpunkt vertreten würde, dass sich der beteiligte Vorsitzende in der Mail im Ton pflichtwidrig vergriffen habe, könnte dies die beabsichtigte Kündigung nicht rechtfertigen.

dd)

74

Man kann dem beteiligten Vorsitzenden allerdings vorwerfen, dass er mit der öffentlichen Verbreitung der Mail einen innerbetrieblichen Konflikt ohne Not nach außen getragen hat und damit dem nach außen untadeligen Ruf der Arbeitgeberin Schaden zugefügt hat.

75

Es ist anerkannt, dass Arbeitnehmer verpflichtet sind, bei innerbetrieblichen Konflikten zunächst eine innerbetriebliche Lösung anzustreben. Dabei muss gegebenenfalls auch eine innerbetriebliche Eskalationsleiter durchlaufen werden. Außenstehende Stellen dürfen erst dann eingeschaltet werden, wenn man innerbetrieblich kein Gehör findet. Soweit man außenstehende Stellen meint einschalten zu müssen, sollte man sich zusätzlich auf solche Stellen konzentrieren, von denen Hilfe erwartet werden kann und deren Einschaltung möglichst keine nicht unberechenbaren Nebenwirkungen nach sich ziehen kann. Daher ist die Einschaltung der Presse in aller Regel ein ungeeignetes Mittel für die Suche nach Unterstützung in einem innerbetrieblichen Konflikt.

76

Legt man diesen Maßstab zu Grunde, war die Verbreitung der Mail vom 14. November 2014 gegenüber außenstehenden Stellen pflichtwidrig. Soweit es um den Vorfall des Kündigungsversuchs gegenüber dem Betriebsratskollegen "S." ging, war der Konflikt durch die Entscheidung des Arbeitsgerichts abgeschlossen. Es bestand kein sachlicher Anlass mehr, hier nochmals Öl ins Feuer zu gießen. Soweit es in der Mail um den angedeuteten Konflikt um die innerbetriebliche Lohngerechtigkeit geht, ist überhaupt nicht erkennbar, dass insoweit die innerbetrieblichen Konfliktlösungsmechanismen bereits ausgeschöpft waren. Damit ist im Ergebnis festzustellen, dass sich der beteiligte Vorsitzende ohne konkreten Anlass über seinen Arbeitgeber gegenüber Dritten in einer Art und Weise geäußert hat, die geeignet ist, den Ruf der Arbeitgeberin zu beschädigen.

77

Die Gefahr der Rufschädigung wird durch den Kreis der Adressaten, an die sich die Mail gerichtet hatte, nicht verringert. Soweit der Vorsitzende die Mail auch an soziale Aktionsplattformen versendet hat, die damit werben, die Missachtung des Rechts im Arbeitsverhältnis und im Betrieb bekämpfen zu wollen, musste ihm klar sein, dass er damit einen Stein losgetreten hat, der – wenn die sozialen Aktionsplattformen darauf anspringen – geeignet ist, eine unkontrollierbare Lawine auszulösen.

78

Gleichwohl sieht sich das Gericht nicht in der Lage, allein auf Grund dieses Pflichtverstoßes die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zu der Kündigung zu ersetzen.

79

So ist es bereits zweifelhaft, ob man angesichts der bereits oben angesprochenen Verrohung im Umgang der Beteiligten miteinander noch von einem schweren Pflichtverstoß des beteiligten Vorsitzenden sprechen kann. Zum anderen muss man, gerade soweit man dem beteiligten Vorsitzenden einen aus seiner inneren Einstellung abgeleiteten Vorwurf machen will, nach der oben zitierten Rechtsprechung einen besonders strengen Maßstab anlegen. Unter Anlegung dieses besonders strengen Maßstabes steht es nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass es dem beteiligten Vorsitzenden bei der Weiterleitung der Mail an die genannten sozialen Aktionsplattformen klar war, was er dadurch – wenn diese auf das Thema anspringen – auslösen konnte. Schließlich hat das Gericht bei seiner Bewertung zu Gunsten des Vorsitzenden noch berücksichtigt, dass die deftigen Äußerungen über die Arbeitgeberin nahezu gänzlich ohne tatsächliche Belege erhoben wurden; Beschimpfungen dieser Art ohne ausreichende tatsächliche Belege haben nicht das Zeug dazu, sich im Netz aufgrund der ausgelösten Empörung explosionsartig zu verbreiten.

ee)

80

Das Geschehen ist auch unter Berücksichtigung der Mail im Schaukasten des Betriebsrats im Flur zum Wirtschaftshof nicht anders zu bewerten.

81

Wie aus der beigezogenen Akte 13 BV 1/14 beim Arbeitsgericht Stralsund ersichtlich, ist der Standort des Schaukastens des Betriebsrats unter dem Gesichtspunkt der Einsichtsmöglichkeit durch Patienten der Klinik nicht optimal gewählt. Da die Arbeitgeberin dem Betriebsrat jedoch keinen anderen besser geeigneten Platz für den Schaukasten angeboten hat, muss sie mit dem von ihr selbst mit geschaffenen Risiko leben, dass Patienten der Klinik einen neugierigen Blick auf die Mitteilungen des Betriebsrats werfen und damit Dinge erfahren, die sie eigentlich nichts angehen. Eine Einschränkung des Rechts des Betriebsrats, die Belegschaft über wichtige Dinge durch Aushang zu unterrichten, wird man aus der bisher nicht erfolgreich umgesetzten gesetzlichen Pflicht, dem Betriebsrat eine solche Fläche zur Verfügung zu stellen, nicht folgern können.

III.

82

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde aus §§ 72, 92 ArbGG sind nicht erfüllt

Tenor

1. Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Stralsund - Kammern Neubrandenburg - vom 24.02.2015, Aktenzeichen 13 BV 3/13, wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten über den Ausschluss des Betriebsratsvorsitzenden aus dem Betriebsrat.

2

Die Antragsteller und Beteiligten zu 1.01) bis 1.50) sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einer Rehabilitationsklinik mit rund 110 Beschäftigten. Der Betriebsrat (Beteiligter zu 3) besteht aus sieben Mitgliedern.

3

Die Arbeitgeberin (Beteiligte zu 4) stellte den Beteiligten zu 2) zum 01.04.2012 als Psychologen ein. Im November 2012 wurde der Beteiligte zu 2) in den Betriebsrat gewählt, dessen Vorsitz er übernahm.

4

Im Februar 2013 suspendierte die Arbeitgeberin ihn vorläufig vom Dienst, was sie in der Hausmitteilung vom 21.02.2013 bekanntgab. Daraufhin unterrichtete der Beteiligte zu 2) am 22.02.2013 die Belegschaft per Mail und per Aushang im Schaukasten des Betriebsrats über den Umfang des Hausverbots und die beabsichtigte Fortführung der Aufgaben als Betriebsratsmitglied.

5

Am 30.07.2013 informierte der Betriebsrat die Beschäftigten per Mail und Aushang über ihre Rechte bei Arbeitsunfähigkeit. In dem Infoblatt heißt es:

6

"…

7

Verhalten bei Arbeitsunfähigkeit (Arbeitsverhinderung)

8

Aus gegebenem Anlass möchten wir Euch auf den § 13 unserer Arbeitsordnung hinweisen, in dem die Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen geklärt ist.

9

In Absatz 3 heißt es dort, dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung spätestens vor Ablauf des dritten Kalendertages nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit vorzulegen ist.

10

Nur in begründeten Einzelfällen ist der Arbeitgeber berechtigt, ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit eine entsprechende Bescheinigung zu verlangen.

11

Die Regel lautet einfach: Zum Arzt müsst Ihr nur dann gehen, wenn absehbar ist, dass Ihr länger als drei Tage krank seid. Ansonsten genügt eine telefonische Mitteilung vor Arbeitsbeginn am ersten Arbeitsunfähigkeitstag mit Eurer Einschätzung, wie lange die Arbeitsunfähigkeit voraussichtlich dauern wird.

12

Bitte informiert uns, wenn Euch widerrechtlich ohne Begründung eine sofortige Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung abverlangt wird.

13

Wir klären noch, ob es erforderlich ist, während der Arbeitsunfähigkeit Telefonate zur Vertretungssituation mit Vorgesetzten zu führen.

14

Euer Betriebsrat

15

…"

16

Am 27.08.2013 gab der Beteiligte zu 2) der Belegschaft die folgenden, kurz zuvor mit der Arbeitgeberin ausgetauschten E-Mails zur Kenntnis, indem er diese weiterleitete und zudem aushängte:

17

"…

18

Von: … Betriebsrat

19

20

der Betriebsrat arbeitet zur Zeit an einer Stellungnahme, ob bzw. wie viele Patienten an Wochenenden in unserem Haus aufgenommen werden (können). Bitte teilen Sie uns mit, aus welchen Gründen Patienten am Wochenende aufgenommen werden, um wie viele Patienten es sich dabei handelt und wie mit den dafür erforderlichen Arbeitszeiten der Therapeuten/Ärzte bzw. Schwestern umgegangen wird. …

21

22

An: … Betriebsrat

23

24

das ist eine interessante frage, ob und warum überhaupt in unserer klinik patienten aufgenommen werden (müssen). für diese diskussion war in der tagesordnung der gestrigen betriebsversammlung leider kein raum mehr.

25

für die konkreteren zahlen genügt übrigens ein blick in die baal (im shiva) - dauert 2 minuten. unser betriebsrat braucht hierfür sicher unterstützung und eine freistellung für einen halben arbeitstag, einschliesslich externer rechtsberatung aus b..

26

27

Von: … Betriebsrat

28

29

Ihre allen Mitarbeitern des Hauses zur Kenntnis gegebene Antwort auf unsere Anfrage ist stillos und unproduktiv. Wir verbitten uns diese Art des Umgangs. Wir gehen davon aus, dass Ihr unten stehendes Schreiben nicht die Meinung der angeschriebenen Mitglieder der Klinikleitung repräsentiert.

30

…"

31

Im September 2013 kam es zur Neuwahl des Betriebsrats, nachdem drei Betriebsratsmitglieder ihr Amt niedergelegt hatten. Der Beteiligte zu 2) wurde wiederum in den Betriebsrat gewählt. Der Betriebsrat bestimmte ihn erneut zum Vorsitzenden.

32

Am 25.09.2013 beschwerten sich drei Psychologinnen bei dem Chefarzt der Psychosomatik über die schwierige Zusammenarbeit mit dem Beteiligten zu 2) und das gestörte Vertrauensverhältnis.

33

Am 01.10.2013 forderte der Betriebsrat bestimmte Freistellungen für den Folgetag, worauf der Leitende Physiotherapeut wie folgt mit E-Mail vom 01.10.2013 erwiderte:

34

"…

35

ich halte das, was aktuell hier abläuft, um es vorsichtig auszudrücken, für wenig zielführend und aus meiner Sicht auch nicht mitarbeiterorientiert.

36

Wie sich die aktuelle krankheitsbedingte Situation in der KG darstellt, muss ich nicht weiter erklären.

37

Sollten jetzt zu den ohnehin schon bereitgestellten BR-Zeiten noch zusätzliche Freistellungen anstehen, würde das die angespannte, kapazitäre Situation noch deutlich verschärfen. Mir, und ich denke ich spreche auch im Namen anderer Kollegen der Abt. KG, fehlt für diese Handlungsweise in der jetzigen Situation jegliches Verständnis.

38

Ich kann den zusätzlichen Freistellungen ausdrücklich nicht zustimmen.

39

…"

40

Am 28.10.2013 wandte sich der Beteiligte zu 2) mit der folgenden, allen Beschäftigten der Klinik zur Kenntnis gegebenen E-Mail an die Arbeitgeberin:

41

"…

42

uns liegen Therapiepläne vor, die am Sonntag, den 27.10.2013 für den 28.10.2013 erstellt wurden. Bitte teilen Sie uns mit, wer diese Therapiepläne erstellt hat und mit welchem Betriebsrat Sie die Anweisung von Sonntagsarbeit in der Therapiedisposition abgestimmt haben.

43

Die Pläne wurden erstellt, nachdem Ihnen bekannt war, dass am Montag, den 28.10.2013 die Betriebsratssitzung ab 9 Uhr stattfindet. Ein Ausweichen auf diesen Termin war nötig geworden, da Sie die Mitarbeiterversammlung am 29.10.2013 ohne Abstimmung mit dem Betriebsrat auf den von Ihnen selbst vorgeschlagenen Termin der Betriebsratssitzung gelegt hatten. Trotzdem wurden bei Betriebsratsmitgliedern Therapien am 28.10.2013 ab 9 Uhr eingetragen.

44

Wir bitten Sie, auch das Wohl der Patienten im Auge zu behalten und während bekannter Sitzungszeiten keine Therapien planen zu lassen. Wir weisen hiermit alle Mitarbeiter unseres Hauses darauf hin, dass dieses Problem nicht nur den Betriebsrat betrifft, sondern auch in unserer täglichen Arbeit Doppeltaktungen von Besprechungen und Patientenversorgung vorkommen.

45

Eine Kopie dieses Schreibens hängen wir im Schaukasten des Betriebsrats zur Einsichtnahme für Mitarbeiter ohne E-Mail-Zugang aus und bitten Sie, die betreffenden Mitarbeiter darüber zu informieren.

46

…"

47

Am 01.11.2013 beantwortete der Beteiligte zu 2) eine E-Mail der Arbeitgeberin vom Vortag zum Standort des Schaukastens, die er am 01.11.2013 im Schaukasten aushängte. In den E-Mails heißt es:

48

"…

49

An: … Betriebsrat

50

51

wir teilen Ihnen mit, dass der Schaukasten des Betriebsrats, der mittlerweile von Ihnen zur Veröffentlichung betriebsinterner Angelegenheiten genutzt wird, an eine für alle Mitarbeiter zugänglichen Stelle unserer Klinik umgesetzt wird.

52

Dass Patienten und Besucher sich über Interna unserer Klinik informieren können, ist damit so weit wie möglich ausgeschlossen.

53

Bitte händigen Sie uns bis zum Freitag, den 01.11.2013, 12.00 Uhr, den Schlüssel des Schaukastens aus, damit die Demontage vorgenommen werden kann.

54

55

Von: … Betriebsrat

56

57

vielen Dank für Ihr Schreiben vom 30.10.2013. Zunächst freuen wir uns, dass die vorherige BR-Vorsitzende der kaufmännischen Direktion neben ungehindertem Zugang zum Betriebsratsbüro nicht auch noch den Schlüssel zu unserem Schaukasten überlassen hat.

58

Wir werden ihr Anliegen in der nächsten Betriebsratssitzung diskutieren und bis dahin können Sie uns vielleicht mitteilen, ob Sie beim Schaukasten des Betriebsrats ein Mitbestimmungsrecht des BR sehen und wo Sie beabsichtigen, den Schaukasten aufzuhängen.

59

…"

60

Mit E-Mail vom 01.11.2013 lud der Beteiligte zu 2) die Geschäftsführung der Komplementärgesellschaft zu einer Betriebsversammlung am 13.11.2013 ein. Die Beschäftigen der Klinik und die Betriebsräte anderer Häuser des Konzerns erhielten die E-Mail zur Kenntnis. Dort heißt es:

61

"…

62

in unserer Mitarbeiterversammlung am Dienstag, den 29.10.2013, hat der Chefarzt unserer Fachklinik für Psychosomatik, Herr Dr. …, in einem angeblich durch Sie autorisierten Vortrag einige unzureichend informierte Mitarbeiter unserer Klinik mit der Behauptung in Angst und Schrecken versetzt, dass unsere Arbeitsplätze verloren gehen, wenn der gewählte Betriebsrat im Amt bleibt. Als Termin für die angeblich bevorstehende Schließung unserer Klinik nannte Herr Dr. … bereits am Freitag, den 25.10.2013, in einer interdisziplinären Teambesprechung den Sommer 2014.

63

Herr Dr. … hat sich auch zu der Behauptung hinreißen lassen, der Betriebsratsvorsitzende sei ein Kamikazeflieger, der bereits drei Einsätze in anderen Unternehmen hinter sich habe.

64

65

Der Betriebsrat arbeitet unermüdlich für den dauerhaften Erhalt unserer Arbeitsplätze und möglichst gesundheitsförderliche und motivierende Arbeitsbedingungen, für eine gute Qualifizierung unserer Mitarbeiter und für eine faire Bezahlung. Leider müssen wird dabei erleben, dass die Herren …, … und … die einzelnen Betriebsratsmitglieder auf der individualarbeitsrechtlichen und persönlichen Ebene derart angreifen, dass an eine sachdienliche Auseinandersetzung im Moment nicht zu denken ist. Den Krankenstand in unserer Klinik und im Betriebsrat zu erwähnen erübrigt sich wahrscheinlich.

66

Wir möchten Sie zu unserer Betriebsversammlung am 13.11.2013 zwischen 14 und 16 Uhr einladen und Sie bitten, unsere Kolleginnen und Kollegen darüber aufzuklären, dass wir Teil eines großen und wirtschaftlich ausgesprochen erfolgreichen Konzerns sind und Arbeitsplätze nicht dadurch gefährdet werden, dass ein Betriebsrat seine Mitbestimmungsrechte und den dazu nötigen Respekt einfordert. Die unsachlichen und rein auf die Person der einzelnen Betriebsratsmitglieder zielenden Angriffe der letzten Monate verschlingen kostbare Arbeitszeit und den Mitarbeitern und Patienten fehlt dafür nachvollziehbarer Weise das Verständnis.

67

Zum Abschluss der Versammlung hat Herr Dr. … noch etwas leider allzu wahres gesagt: Wir hätten auch dann Probleme alle Therapieanforderungen in unserer Klinik umzusetzen, wenn es keine Ausfälle durch Krankheit oder Betriebsratsarbeit gäbe.

68

…"

69

Die Arbeitgeberin erwiderte darauf mit E-Mail vom 05.11.2013, ebenfalls zur Kenntnis an alle Klinikmitarbeiter:

70

"…

71

wir haben heute eine Einladung zur Betriebsversammlung am 13.11.2013 von Ihnen erhalten.

72

Dieser Termin wurde von Ihnen festgelegt, ohne dass er zuvor mit uns besprochen, geschweige denn abgestimmt worden ist, wie es normalerweise üblich ist.

73

Da ich in der Tagesordnung auch über betriebliche Belange berichten soll, muss ich Ihnen leider mitteilen, dass ich an diesem Tag einen seit langem geplanten Termin außerhalb der Klinik wahrnehmen muss. Auch die Kurzfristigkeit dieser Einladung hätte es ohnehin nicht zugelassen, dass ich mich auf diesen Tagesordnungspunkt hinreichend hätte vorbereiten können.

74

Aus diesen Gründen sehen wir uns leider gezwungen, diese Betriebsversammlung abzusagen. Wir bieten Ihnen jedoch an, sich unverzüglich mit uns über einen für beide Seiten möglichen Folgetermin abzustimmen.

75

Bitte informieren Sie die Belegschaft, dass dieser Termin nicht stattfindet.

76

Einer Freitaktung der Mitarbeiter kann unter diesen Gesichtspunkten nicht zugestimmt werden.

77

Hinzu kommt, dass aufgrund der Kurzfristigkeit dieses Termins die bedarfsgerechte Versorgung unserer Patienten nicht sichergestellt werden kann.

78

Für Gespräche zur Findung eines neuen Termins stehe ich Ihnen ab dem 11.11.2013 zur Verfügung.

79

…"

80

Der Beteiligte zu 2) beantwortete dieses Schreiben mit der E-Mail vom 06.11.2013 an den kaufmännischen Direktor, wiederum verteilt an alle Mitarbeiter:

81

"…

82

Niemand hat die Absicht, Sie in der bevorstehenden Betriebsversammlung am 13.11.2013 über den TOP 4 berichten zu lassen. Sofern Sie unserer Einladung Folge leisten möchten, geben wir Ihnen gerne Gelegenheit, sich für Ihr ausfälliges Benehmen in der Mitarbeiterversammlung vom 29.10.2013 zu entschuldigen. Für darüber hinausgehende Äußerungen würden wir Ihnen keine Gelegenheit geben. Sie werden Verständnis dafür haben, dass wir uns einen Arbeitgebervertreter, der dem Betriebsratsvorsitzenden öffentlich "krankes Gelaber" vorwirft, vorerst nicht weiter antun möchten.

83

84

Da uns außer Ihrer persönlichen Verhinderung, die einer sachlichen Auseinandersetzung nur zuträglich sein kann, kein weiterer Grund bekannt ist, aus dem die Betriebsversammlung nicht zu dem kommunizierten Termin stattfinden könnte, wird die Betriebsversammlung, wie in der Einladung vom 5.11.2013 mitgeteilt, stattfinden. Wir würden es sehr bedauern, gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen, um mit unseren Kollegen in angemessener Form kommunizieren zu können. Sie dürfen nicht vergessen, dass es gutgläubige Mitarbeiter in unserem Haus gibt, die nach der Mitarbeiterversammlung vom 29.10.2013 tatsächlich Angst um ihre Existenz haben. Diese Ängste müssen und wollen wir schnellstmöglich zerstreuen und hoffen hier auf die Unterstützung der Geschäftsleitung.

85

…"

86

Mit Schriftsatz vom 30.10.2013, beim Arbeitsgericht eingegangen am 11.11.2013, haben 48 Beschäftigte der Klinik das Beschlussverfahren auf Abberufung des Beteiligten zu 2) aus dem Betriebsrat eingeleitet.

87

Wegen der geplanten Betriebsversammlung schrieb der Beteiligte zu 2) am 12.11.2013 eine E-Mail an die Chefärzte, verteilt an alle Mitarbeiter, in der es heißt:

88

"…

89

als Vertreter der Klinikleitung haben Sie in unten stehendem Schreiben die vom Betriebsrat einberufene Betriebsversammlung am 13.11.2013 abgesagt, ohne uns einen Alternativtermin vorzuschlagen.

90

91

Da die Betriebsversammlung nun nicht wie geplant stattfinden kann, möchten wir Ihnen exemplarisch die folgenden, von Kollegen an uns herangetragenen Fragen stellen:

92

Sehr geehrter Herr Dr. …, Sie bieten unter der Internetadresse … Ihre Leistungen unter der Postanschrift einer D. Massagepraxis an. Welche personellen und materiellen Ressourcen unserer Klinik nutzen Sie für diese Tätigkeit und in welcher Form profitiert unser Haus davon?

93

Sehr geehrter Herr Dr. …, auf Ihren Briefbögen als Chefarzt offerieren Sie Verkehrsmedizinische Begutachtungen. Es wurde die Frage gestellt, was Verkehrsmedizin mit Psychosomatik zu tun hat, welche personellen und materiellen Ressourcen unserer Klinik Sie für diese Tätigkeit nutzen und ob unsere Klinik davon profitiert.

94

…"

95

Der Beteiligte zu 2) versandte am 29.11.2013 an die Belegschaft per Mail das folgende Schreiben:

96

"…

97

Soll S. bleiben?

98

99

dem Betriebsrat liegt eine Anhörung zur beabsichtigten fristlosen Kündigung unseres Betriebsratskollegen … vor. Unser kaufmännischer Direktor hat uns als Betriebsrat aufgefordert, dieser Kündigungsabsicht bis zum 3.12.2013 zuzustimmen.

100

Zu den Kündigungsgründen führt der kaufmännische Direktor aus, dass das zur Kündigung von Herrn … führende Verhalten sowohl von der gesamten Klinikleitung als auch von einer "Vielzahl von Mitarbeitern unseres Hauses missbilligt" wird. Wir gehen davon aus, dass die wenigsten aus dieser "Vielzahl" von Mitarbeitern wissen, worum es geht.

101

… hatte der Klinikleitung mitgeteilt, dass er im Auftrag des Betriebsrats einen Mitarbeiter unseres Hauses zu einem Personalgespräch mit einem Geschäftsleitungsmitglied … in O. am 22.11.2013 begleiten wird. Dass sich Mitarbeiter in Deutschland bei dieser Art von Personalgesprächen von einem Betriebsratsmitglied ihres Vertrauens begleiten lassen können, ist eine Selbstverständlichkeit und rechtlich unzweifelhaft.

102

In der … Klinik wird dieses Recht verweigert, wie wir auch im Falle unserer Kollegin … erfahren mussten. … hat kurz nachdem sie ein Personalgespräch ohne Begleitung eines BR-Mitglieds abgelehnt hatte, ihren unbefristeten Arbeitsplatz in unserer Klinik verloren.

103

Ist es wirklich Euer Anliegen, dass Betriebsratsarbeit durch fristlose Kündigung bestraft wird?

104

…"

105

Der Betriebsrat hängte das Schreiben auch im Schaukasten aus, den der Hausmeister daraufhin gewaltsam entfernte.

106

Mit dem Schreiben vom 04.03.2014 an den kaufmännischen Direktor versuchte der Beteiligte zu 2), die Freistellungszeiten der Betriebsratsmitglieder zu klären:

107

"…

108

der § 37 BetrVG schreibt vor, dass Mitglieder des Betriebsrats ohne Minderung des Arbeitsentgelts von ihrer beruflichen Tätigkeit im erforderlichen Umfang zu befreien sind.

109

Durch den Umfang der BR-Arbeit sehen Sie die Patientenversorgung gefährdet und erwarten eine Reduktion der BR-Zeiten, anstatt die von der DRV vorgegebenen Stellen zu besetzen.

110

Herr Dr. … war bereit, Herrn … zu 25 % in seiner ärztlichen Tätigkeit zu entlasten. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie auch die übrigen BR-Mitglieder im gleichen Umfang entlasten. Laut Fitting (§ 37, Randnr. 16) obliegen den BR-Mitgliedern nicht unerhebliche Amtspflichten, die im Moment durch den unrechtmäßig vorgenommenen Gehaltsabzug nicht erfüllt werden können.

111

Für die dem Therapieplan unterworfenen BR-Mitglieder gehen wir deshalb von einer erforderlichen pauschalen Freistellung von 10 Stunden in der Woche aus (inklusive BR-Sitzung).

112

Zur Geschäftsführung des Betriebsrats halten wir eine pauschale Freistellung für weitere 10 Stunden für erforderlich, die zunächst vom BR-Vorsitzenden genutzt werden.

113

Eine pauschale Freistellung betrachten wir als Entgegenkommen, um eine Therapieplanung zuverlässiger zu ermöglichen.

114

Beachten Sie bitte, dass zur ordnungsgemäßen Durchführung von BR-Arbeiten keine Zustimmung des Arbeitgebers zur Arbeitsbefreiung erforderlich ist.

115

…"

116

Unter dem 29.04.2014 richtete der Betriebsrat, unterzeichnet von der stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden, ausgehängt im Schaukasten, das folgende Schreiben an die Geschäftsführung der Komplementärin:

117

"…

118

Aufhetzung von Kollegen

119

120

wie Sie wissen, hetzen die Chefärzte Dr. … und Dr. … spätestens seit Oktober 2013 einen Teil unserer Kolleginnen und Kollegen gegen den Betriebsrat auf.

121

In der jüngsten Hetzkampagne haben einige Mitarbeiter unserer Klinik dem Betriebsrat Mobbing und unwürdiges Verhalten vorgeworfen. Es ist die Rede davon, der Betriebsrat fordere die "Entfernung einer Kollegin aus dem Betrieb".

122

Seit Jahren sind in unserem Haus zahlreiche Stellen im Therapiebereich nicht besetzt. Deswegen kommt es zu erheblichen Einschränkungen in der Patientenversorgung, für die Herr … den Betriebsrat verantwortlich machen möchte. Um die Unterbesetzung zu kompensieren geht er mit Abmahnungen und Gehaltskürzungen gegen Betriebsratszeiten vor, verdichtet die Arbeitspläne von Kollegen und setzt zunehmend Praktikanten als billige Arbeitskräfte ein. Durch die eingeschränkte Patientenversorgung entstehen unnötige und teilweise schwerwiegende Konflikte in den beiden Dispositionsbereiche, die dazu geführt haben, dass alle bis Herbst 2013 dort beschäftigten Mitarbeiterinnen dauerhaft erkrankt sind oder unsere Klinik mehr oder weniger freiwillig verlassen. Notwendige Weiterbildungen und Einarbeitungen werden den Mitarbeiterinnen verwehrt, da Herr … seit Jahren, übrigens auch gegenüber der vorherigen Betriebsratsvorsitzenden, nicht bereit ist, die Betriebsvereinbarung zur Fort- und Weiterbildung einzuhalten. Anstatt die zugrunde liegenden Konflikte zu lösen und eine uneingeschränkte Patientenversorgung zu ermöglichen, will Herr … jetzt zusätzliche Stellen im Verwaltungsbereich schaffen.

123

Zwei der auf dem Hetzschreiben vom 15.04.2014 zu erkennenden Unterschriften beunruhigen uns besonders und veranlassen uns, Sie jetzt zu unverzüglichem Handeln aufzufordern. Es handelt sich dabei um die Unterschrift des stellvertretenden Chefarztes der Psychosomatik und die Unterschrift eines Mitarbeiters, der erst am 14.4.2014 seine Arbeit in unserer Klinik aufgenommen hatte. Dem stellvertretenden Chefarzt einer psychosomatischen Fachklinik ... sollte man ein ausreichendes Einschätzungsvermögen und die nötige fachliche Kompetenz zutrauen dürfen, leichtfertige Mobbingvorwürfe zu unterlassen. Ein Mitarbeiter, der sich an seinem zweiten Arbeitstag dazu hinreißen lässt, den Betriebsratmitgliedern Mobbing und unwürdiges Verhalten vorzuwerfen, kann dies nicht aus eigener Kenntnis der entsprechenden Umstände getan haben.

124

Wir erwarten von Ihnen, Herr …, dass Sie als der für Personalangelegenheiten zuständige Geschäftsführer … der Aufhetzung verunsicherter Kolleginnen und Kollegen durch die Mitglieder der Klinikleitung jetzt endgültig Einhalt gebieten. Dazu wird es unumgänglich sein, dass Sie die traditionelle Missachtung der Mitbestimmungsrechte in unserem Haus beenden und nach zwanzig wirtschaftlich außerordentlich erfolgreichen Jahren die Bereitschaft zur gesetzlich geforderten vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat zeigen.

125

In Ihrem offenen Brief vom 12.3.2014 hatten Sie die … Klinik … als eine "Perle" … bezeichnet. Lassen Sie den wirtschaftlichen Glanz dieser Perle endlich auch den in unserem Haus beschäftigten Mitarbeitern zu Gute kommen. Dazu gehört für uns die Besetzung aller im Therapiebereich offenen Stellen mit qualifizierten Fachpersonal und der Verzicht auf die Ausbeutung von Praktikanten. Damit würden die notwendigen Voraussetzungen geschaffen, um die Fluktuation und Krankenquote im Verwaltungsbereich, die jetzt so große Wellen schlägt, zu senken und die unnötigen Konflikte zu beenden.

126

…"

127

Die Antragsteller haben die Ansicht vertreten, dass die Abberufung des Beteiligten zu 2) zwingend notwendig sei, da die Versorgung der Patienten gefährdet und der Betriebsfrieden extrem gestört sei.

128

Der Betriebsratsvorsitzende vertrete nicht die Interessen der Belegschaft, sondern verfolge persönliche Interessen. Er setze andere Mitarbeiter unter Druck, wofür Äußerungen wie "Dich mach ich fertig" exemplarisch seien. Er habe mehrfach Mitarbeiter dazu aufgerufen, dringend erforderliche Überstunden nicht abzuleisten. Durch die von ihm beanspruchten umfangreichen Freistellungen für die Betriebsratsarbeit komme es immer wieder zu kurzfristigen Ausfällen von Therapien und zu Vertretungsfällen, die von Kollegen aufzufangen seien. Er habe mehrfach geäußert, auf die Vertretungssituation bei der Durchführung außerordentlicher Betriebsratssitzungen keine Rücksicht nehmen zu können. Er schädige das Ansehen der Klinik in der Öffentlichkeit, da er einen Großteil der Korrespondenz per Mail an den Vorstand und an andere Betriebsräte des Konzerns verschicke. Darüber hinaus hänge er die Schreiben im Schaukasten aus, was wegen der augenfälligen Querelen zur Verunsicherung von Patienten und Besuchern führe. Der Betriebsratsvorsitzende habe einen derartigen Konfrontationskurs eingeschlagen, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Arbeitgeberin nach den Grundsätzen des § 2 BetrVG nicht mehr möglich sei. Der Betriebsratsvorsitzende handle stets im Alleingang, ohne die anderen Betriebsratsmitglieder einzubeziehen. Der Betriebsrat nicke die Aktionen des Vorsitzenden nur ab.

129

Am 29.10.2013 habe sich der Beteiligte zu 2) während einer Gruppentherapie Autogenes Training in der Zeit von 09:15 bis 09:45 Uhr über seine persönliche Situation als Betriebsratsvorsitzender und die unzulänglichen Freistellungen beklagt, anstatt die Therapie durchzuführen. Das habe zu Beschwerden von Patienten geführt.

130

Die Beteiligten zu 1) haben erstinstanzlich beantragt,

131

den Beteiligten zu 2), Herrn H., aus dem bei der M. D. Klinik F-Stadt gebildeten Betriebsrat auszuschließen.

132

Die Beteiligten zu 2) und 3) haben beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Der Betriebsratsvorsitzende habe keine Amtspflichten verletzt. Selbstverständlich sei es zulässig, angesichts der von der Arbeitgeberin ausgesprochenen und bekannt gegebenen Suspendierung die Belegschaft über die Fortführung der Betriebsratstätigkeit zu unterrichten. Die Aushänge seien notwendig gewesen, da nicht allen Mitarbeitern ein E-Mail-Zugang zur Verfügung stehe. Ebenso selbstverständlich dürfe der Betriebsrat die Arbeitnehmer, wie mit dem Aushang zur Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen geschehen, über ihre Rechte und Pflichten informieren. Abgesehen davon handele es sich um Aushänge und Schreiben des Betriebsrats und nicht des Betriebsratsvorsitzenden. Da der Betriebsratsvorsitzende den Betriebsrat nur im Rahmen der gefassten Beschlüsse vertrete, fehle es schon deshalb an einer dem Beteiligten zu 2) zurechenbaren Amtspflichtverletzung. Der Beteiligte zu 2) habe während der Gruppentherapie am 29.10.2013 nicht gegen seine Schweigepflicht verstoßen. Er bestreitet, dass es zu Patientenbeschwerden gekommen sei. Eine Freistellung für die Betriebsratsarbeit habe er nur in einem solchen Umfang geltend gemacht, wie es erforderlich gewesen sei. Für außerordentliche Betriebsratssitzungen und Betriebsversammlungen habe es stets entsprechende Anlässe gegeben. In der Vergangenheit seien Betriebsratsmitglieder wegen Schwierigkeiten bei der Arbeitsbefreiung gezwungen gewesen, einen Großteil der Betriebsratsarbeit in der Freizeit zu erledigen. Unabhängig davon seien evtl. Verfehlungen aber keinesfalls so schwerwiegend, dass eine Amtsenthebung gerechtfertigt sei.

133

Die Arbeitgeberin hat sich erstinstanzlich dem Antrag der Beteiligten zu 1) angeschlossen.

134

Das Arbeitsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 24.02.2015 zurückgewiesen, weil es an einer groben Pflichtverletzung im Sinne des § 23 Abs. 1 BetrVG fehle. Das Verhalten des Betriebsrats könne nicht dem Vorsitzenden allein zugerechnet werden. Der Betriebsrat habe zwar unnötigerweise Betriebsinterna durch die Aushänge im Schaukasten öffentlich gemacht. Die Veröffentlichungen seien jedoch nicht dem Betriebsratsvorsitzenden als grobe Amtspflichtverletzung zuzuordnen. Darüber hinaus gebe es keine Anhaltspunkte, dass der Betriebsratsvorsitzende missbräuchlich Freistellungen in Anspruch genommen habe. Dem Betriebsrat und seinem Vorsitzenden sei es möglicherweise nicht immer gelungen, den Anlass der Betriebsratstätigkeit ausreichend zu kommunizieren. Die dadurch ggf. hervorgerufene Störung des Betriebsklimas sei aber nicht dem Betriebsratsvorsitzenden als grobe Pflichtverletzung zuzuordnen.

135

Hiergegen wenden sich die Antragsteller mit ihrer fristgerecht eingelegten und begründeten Beschwerde. Die Antragsteller sind der Ansicht, das Arbeitsgericht habe sich nicht ausreichend mit den zahlreichen und detailliert aufgeführten Pflichtverletzungen des Beteiligten zu 2) auseinandergesetzt. Was die Freistellung für Betriebsratsarbeit betreffe, so habe der Betriebsratsvorsitzende durchaus einen Ermessensspielraum. Allerdings habe der Beteiligte zu 2) diesen Spielraum missbraucht, indem er kurzfristig und unnötig spontan die von ihm zu leistenden Dienste abgesagt habe. Der Beteiligte zu 2) habe seine Schweigepflicht verletzt, weil er betriebsinterne Angelegenheiten gegenüber Patienten ausgeplaudert habe. Zudem habe er erheblichen Unfrieden gestiftet. Das Verhältnis zur Klinikleitung sei schwer beschädigt. Der Beteiligte zu 2) meine offenbar, einen persönlichen Kampf mit dem kaufmännischen Leiter der Klinik zulasten der Belegschaft ausfechten zu müssen. Während der Betriebsversammlung am 17.09.2015 habe er die Situation in der Klinik mit der eines Gladiatorenkampfes im alten Rom verglichen, bei dem am Ende das Volk darüber entscheide, wer als Sieger hervorgehe und wer getötet werde. Der Betriebsratsvorsitzende führe sich wie ein Alleinherrscher auf und dulde keinerlei Widerspruch aus den Reihen des Betriebsrats. Die Antragsteller seien nicht mehr bereit, den Beteiligten zu 2) als ihren Betriebsratsvorsitzenden zu akzeptieren.

136

Die Beteiligten zu 1.01) bis 1.50) beantragen,

137
1. den Beschluss des Arbeitsgerichts Stralsund vom 24.02.2015, Aktenzeichen 13 BV 3/13, abzuändern und
138
2. den Beteiligten zu 2), Herrn H., aus dem bei der M. D. Klinik F-Stadt gebildeten Betriebsrat auszuschließen.
139

Die Beteiligten zu 2) und 3) beantragen,

140

die Beschwerde zurückzuweisen.

141

Das Vorbringen der Antragsteller sei nach wie vor ohne Substanz. Es lasse keine schwerwiegenden Pflichtverletzungen erkennen. Der Beteiligte zu 2) bestreitet die Vorwürfe. Insbesondere bestreitet er, die Aushänge im Schaukasten im Alleingang veröffentlicht zu haben.

142

Die Beteiligte zu 4) ist im Beschwerdeverfahren nicht mehr aufgetreten.

143

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle und auf die erstinstanzliche Entscheidung Bezug genommen.

II.

144

Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat den Antrag zu Recht zurückgewiesen.

145

Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 BetrVG kann ein Viertel der wahlberechtigten Arbeitnehmer beim Arbeitsgericht den Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten beantragen.

146

Eine Abwahl des Betriebsrats oder einzelner Mitglieder sieht das Gesetz nicht vor. Ein Abwahlrecht steht weder dem oben genannten Viertel noch einer Mehrheit der wahlberechtigten Arbeitnehmer zu. Es genügt nicht, dass eine nennenswerte Zahl von Arbeitnehmern mit der Arbeit des Betriebsrats oder der eines seiner Mitglieder unzufrieden ist. Der Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat setzt eine grobe Verletzung der gesetzlichen Pflichten voraus.

147

Gesetzliche Pflichten in diesem Sinne sind die Pflichten aus dem Betriebsverfassungsrecht (z. B. LAG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Januar 2015 - 6 TaBV 48/14 - Rn. 50, juris = NZA-RR 2015, 299). Darunter fallen die Pflichten als Betriebsratsmitglied ebenso wie die Pflichten in besonderen Funktionen, wie z. B. als Betriebsratsvorsitzender (LAG Hessen, Beschluss vom 19. September 2013 - 9 TaBV 225/12 - Rn. 32, juris). Von den Amtspflichten zu unterscheiden sind die - jeden Arbeitnehmer treffenden - Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis. Eine Verletzung von Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis rechtfertigt nicht den Ausschluss aus dem Betriebsrat. Der Arbeitgeber kann aber eine solche Pflichtverletzung ggf. zum Anlass nehmen, den Arbeitnehmer abzumahnen oder zu kündigen. Diese Sanktionen sind wiederum ausgeschlossen, wenn ein Betriebsratsmitglied lediglich betriebsverfassungsrechtliche Amtspflichten verletzt (BAG, Beschluss vom 09. September 2015 - 7 ABR 69/13 - Rn. 41, juris = NZA 2016, 57). Es ist jedoch möglich, dass ein bestimmtes Verhalten sowohl Amtspflichten aus dem Betriebsverfassungsrecht als auch die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis verletzt (BAG, Beschluss vom 16. Oktober 1986 - 2 ABR 71/85 - Rn. 26, juris = ZTR 1987, 125; BAG, Urteil vom 25. Mai 1982 - 7 AZR 155/80 - Rn. 24, juris).

148

Darüber hinaus muss es sich um eine grobe Verletzung der Amtspflicht handeln, d. h. eine objektiv erhebliche und offensichtlich schwerwiegende Pflichtverletzung. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalles, insbesondere die betrieblichen Gegebenheiten und der Anlass der Pflichtverletzung. Ein grober Verstoß ist nur anzunehmen, wenn das Betriebsratsmitglied im Betriebsrat nicht mehr tragbar ist (BAG, Beschluss vom 22. Juni 1993 - 1 ABR 62/92 - Rn. 53, juris = NZA 1994, 184; LAG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Januar 2015 - 6 TaBV 48/14 - Rn. 50, juris = NZA-RR 2015, 299; LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 03. Dezember 2013 - 1 TaBV 11/33 - Rn. 73, juris; LAG Hessen, Beschluss vom 13. September 2012 - 9 TaBV 79/12 - Rn. 48, juris). Die Pflichtverletzung muss so schwerwiegend sein, dass das Vertrauensverhältnis zur Belegschaft oder innerhalb des Betriebsrats tiefgreifend erschüttert ist und deshalb der Ausschluss des Betriebsratsmitglieds aus dem Gremium notwendig wird, damit der Betriebsrat die ihm zugewiesenen Aufgaben zukünftig wieder ordnungsgemäß erfüllen kann. Sinn und Zweck des § 23 Abs. 1 BetrVG ist es, die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats zu gewährleisten (BAG, Beschluss vom 05. September 1967 - 1 ABR 1/67 - Rn. 42, juris = MDR 1968, 84; LAG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Januar 2015 - 6 TaBV 48/14 - Rn. 72, juris = NZA-RR 2015, 299; Fitting, BetrVG, 27. Aufl. 2014, § 23, Rn. 18). Die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats kann dadurch bedroht sein, dass Betriebsratsmitglieder ihre Aufgaben stark vernachlässigen. Auch ein querulatorisches oder krankhaft boshaftes Verhalten kann unter Umständen zum Ausschluss führen, wenn das Vertrauen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber oder zwischen Betriebsrat und Belegschaft in einem solchen Maß erschüttert ist, dass der Betriebsrat nicht mehr in der Lage ist, seine gesetzlichen Aufgaben zu erfüllen (BAG, Beschluss vom 05. September 1967 - 1 ABR 1/67 - Rn. 42, juris = MDR 1968, 84).

149

Der Beteiligte zu 2) hat weder seine Amtspflichten als Betriebsratsvorsitzender noch seine Amtspflichten als Betriebsratsmitglied grob verletzt. Die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats ist nicht ernsthaft gefährdet.

150

1. Anberaumung von Betriebsratssitzungen, § 30 BetrVG

151

Die Sitzungen des Betriebsrats finden in der Regel während der Arbeitszeit statt (§ 30 Satz 1 BetrVG). Der Betriebsrat bzw. dessen Vorsitzender bestimmt nach pflichtgemäßem Ermessen, wann, wie oft und wie lange er tagt (BAG, Beschluss vom 03. Juni 1969 - 1 ABR 1/69 - Rn. 16, juris = DB 1969, 1705).

152

Der Betriebsrat hat nach § 30 Satz 2 BetrVG bei der Ansetzung von Betriebsratssitzungen auf die betrieblichen Notwendigkeiten Rücksicht zu nehmen. Betriebliche Notwendigkeiten in diesem Sinne sind solche Gründe, die zwingend Vorrang vor dem Interesse des Betriebsrats auf Abhaltung einer Betriebsratssitzung zu dem von ihm vorgesehenen Zeitpunkt haben (LAG G-Stadt-CD., Beschluss vom 18. März 2010 - 2 TaBV 2694/09 - Rn. 22, juris = ZTR 2010, 491; GK-BetrVG/Raab, 10. Aufl. 2014, § 30, Rn. 7). Die Vorschrift betrifft die zeitliche Lage von Betriebsratssitzungen. Bei der Wahl des Zeitpunktes ist der Betriebsrat nicht völlig frei, sondern gehalten, zwingende betriebliche Belange zu berücksichtigen. Da die Sitzungen des Betriebsrats regelmäßig während der Arbeitszeit stattfinden, ist damit stets ein Eingriff in die betrieblichen Abläufe verbunden, da die Betriebsratsmitglieder in dieser Zeit nicht an ihrem Arbeitsplatz sind.

153

Ein grober Verstoß gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme auf betriebliche Notwendigkeiten liegt vor, wenn der Betriebsratsvorsitzende den Zeitpunkt der Sitzung so wählt, dass der Betriebsablauf ohne Not erheblich gestört wird, indem er z. B. den Zeitraum eines üblicherweise erhöhten Kundenaufkommens herausgreift.

154

Der Beteiligte zu 2) hat bei der Anberaumung von Betriebsratssitzungen nicht grob gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme verstoßen. Bei der Wahl des Zeitpunkts von Betriebsratssitzungen sind nicht nur die Arbeitsaufgaben des Betriebsratsvorsitzenden von Bedeutung, sondern gleichermaßen die Dienstpläne sämtlicher Betriebsratsmitglieder zu berücksichtigen. Es ist nicht ersichtlich, dass und ggf. welche Betriebsratssitzungen ohne Weiteres zu anderen Zeitpunkten hätten stattfinden können, zu denen der damit verbundene Arbeitsausfall der Betriebsratsmitglieder deutlich einfacher hätte bewältigt werden können.

155

2. Freistellung für Betriebsratsarbeit, § 37 BetrVG

156

Nach § 37 Abs. 2 BetrVG sind die Mitglieder des Betriebsrats von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist.

157

Die Erforderlichkeit bestimmt sich danach, ob das Betriebsratsmitglied vom Standpunkt eines vernünftigen Dritten aus bei gewissenhafter Würdigung aller Umstände und Abwägung der Interessen des Betriebs, des Betriebsrats und der Belegschaft die Arbeitsversäumnis für notwendig halten durfte, um eine bestimmte Betriebsratstätigkeit vorzunehmen (BAG, Urteil vom 06. August 1981 - 6 AZR 505/78 - Rn. 22, juris = AP Nr. 39 zu § 37 BetrVG 1972; Fitting, BetrVG, 27. Aufl. 2014, § 37, Rn. 38; Richardi/Thüsing, BetrVG, 15. Aufl. 2016, § 37, Rn. 25). Ein Betriebsratsmitglied, das den Rahmen seiner gesetzlichen Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte auszuschöpfen versucht, überschreitet nicht allein deshalb die Grenzen der Erforderlichkeit (ErfK/Koch, 16. Aufl. 2016, § 37 BetrVG, Rn. 3).

158

Der Beteiligte zu 2) hat seine Betriebsratstätigkeit nicht in einem Umfang ausgedehnt, der weit über den gesetzlichen Rahmen hinausgeht. Er hat nicht den ihm eingeräumten Beurteilungsspielraum grob überschritten. Mit dem Schreiben vom 04.03.2014 hat der Beteiligte zu 2) bei der Arbeitgeberin eine Pauschalierung der Freistellung im Umfang von 10 Stunden pro Woche für jedes Betriebsratsmitglied zuzüglich weiterer 10 Stunden für den Vorsitzenden vorgeschlagen. Diese Forderung erscheint angesichts der Freistellungsregelungen des § 38 Abs. 1 BetrVG nicht völlig überzogen. Danach ist in Betrieben mit in der Regel 200 bis 500 Arbeitnehmern ein Betriebsratsmitglied vollständig von der beruflichen Tätigkeit freizustellen. In Anbetracht einer Mitarbeiterzahl von rund 110 Beschäftigten mag der Vorschlag des Beteiligten zu 2) im oberen Bereich liegen. Eine grobe Pflichtverletzung lässt sich aber weder aus dem Ansinnen einer Pauschalregelung noch aus einer im zeitlichen Ausmaß vergleichbaren praktischen Handhabung herleiten.

159

3. Anberaumung von Betriebsversammlungen, § 44 BetrVG

160

Der Betriebsrat hat einmal in jedem Kalendervierteljahr eine Betriebsversammlung einzuberufen und in ihr einen Tätigkeitsbericht zu erstatten (§ 43 Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Die Betriebsversammlung findet während der Arbeitszeit statt, soweit nicht die Eigenart des Betriebs eine andere Regelung zwingend erfordert (§ 44 Abs. 1 Satz 1 BetrVG).

161

Der Betriebsrat bestimmt den Zeitpunkt der Betriebsversammlung durch Beschluss. Einer Zustimmung des Arbeitgebers bedarf es nicht (ErfK/Koch, 16. Aufl. 2016, §§ 42-46 BetrVG, Rn. 2; Fitting, BetrVG, 27. Aufl. 2014, § 44, Rn. 9; GK-BetrVG/Weber, 10. Aufl. 2014, § 44, Rn. 10). Der Betriebsrat muss den Arbeitgeber frühzeitig über den Zeitpunkt der Versammlung unterrichten, damit dieser die erforderlichen Vorkehrungen zeitgerecht treffen kann (ArbG Darmstadt, Beschluss vom 27. November 2003 - 5 BVGa 39/03 - Rn. 30, juris = AiB 2004, 754). Der Betriebsrat hat bei der Anberaumung einer Betriebsversammlung die betrieblichen Notwendigkeiten zu berücksichtigen und darauf zu achten, dass der Betriebsablauf möglichst wenig gestört und der Arbeitsausfall nach Möglichkeit gering gehalten wird (GK-BetrVG/Weber, BetrVG, 10. Aufl. 2014, § 44, Rn. 10; Richardi/Annuß, BetrVG, 15. Aufl. 2016, § 44, Rn. 18). Zugleich hat der Betriebsrat aber auch die Wünsche der Mitarbeiter zu berücksichtigen, um eine möglichst zahlreiche Teilnahme sicherzustellen.

162

Die Beteiligten zu 2) und 3) haben den Termin der für den 13.11.2013 geplanten Betriebsversammlung nicht zuvor mit der Arbeitgeberin abgestimmt. Wenn auch eine vorherige Absprache zweckmäßig gewesen wäre, um spätere Irritationen innerhalb der Belegschaft zu vermeiden, so liegt darin dennoch keine Pflichtverletzung. Der Betriebsrat war nicht verpflichtet, die Zustimmung der Arbeitgeberin einzuholen. Es handelt sich um eine Frage des Umgangs miteinander. Ein Verstoß gegen Rechtsvorschriften lässt sich daraus nicht herleiten. Die Vorgehensweise bewegt sich noch unterhalb der Schwelle zur rechtlichen Relevanz. Im Übrigen ist der Termin nicht so gewählt, dass der Arbeitsablauf ohne Not besonders und zielgerichtet gestört wird.

163

4. Beeinträchtigung des Betriebsfriedens, § 74 BetrVG

164

Nach § 74 Abs. 2 Satz 2 BetrVG haben Arbeitgeber und Betriebsrat Betätigungen zu unterlassen, durch die der Arbeitsablauf oder der Frieden des Betriebs beeinträchtigt werden. Diese Pflicht trifft nicht nur den Betriebsrat, sondern auch die einzelnen Betriebsratsmitglieder (ErfK/Kania, 16. Aufl. 2016, § 74 BetrVG, Rn. 16; Fitting, BetrVG, 27. Aufl. 2014, § 74, Rn. 27).

165

Der Begriff Betriebsfrieden beschreibt das friedliche, störungsfreie Zusammenleben und Zusammenwirken von Arbeitnehmern, Betriebsrat und Arbeitgeber auf der Grundlage vertrauensvoller Zusammenarbeit (GK-BetrVG/Kreutz, 10. Aufl. 2014, § 74, Rn. 133). Daraus ergibt sich aber nicht ein Verbot, um des lieben Friedens willen auf jeglichen Streit zu verzichten. Der Arbeitgeber kann ebenso wie der Betriebsrat bzw. die Betriebsratsmitglieder die Rechte aus dem Betriebsverfassungsrecht wahrnehmen und ggf. auch gerichtlich durchsetzen (GK-BetrVG/Kreutz, 10. Aufl. 2014, § 74, Rn. 137). Das Betriebsverfassungsgesetz geht davon aus, dass es aufgrund der unterschiedlichen Interessen von Arbeitgeber und Belegschaft durchaus zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat kommen kann (z. B. § 74 Abs. 1 Satz 2, § 76 Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Der Betriebsfriede ist erst beeinträchtigt, wenn Arbeitgeber oder Betriebsrat nicht ihre gegenseitigen Rechte und Befugnisse anerkennen, indem beispielsweise der Betriebsrat in die Leitung des Betriebs eingreift (§ 77 Abs. 1 Satz 2 BetrVG) oder der Arbeitgeber ihm nicht genehme Bekanntmachungen des Betriebsrats am Schwarzen Brett eigenmächtig entfernt (Fitting, BetrVG, 27. Aufl. 2014, § 74, Rn. 31a). Ebenso kann es den Betriebsfrieden beeinträchtigen, wenn die Betriebspartner nicht die zur Lösung von Interessenkonflikten vorgesehenen Verfahren und Wege einhalten (LAG Düsseldorf, Beschluss vom 25. Mai 1976 - 15 TaBV 10/76 - DB 1977, 453) oder in einer Weise miteinander umgehen, die trotz Anerkennung bestehender Interessengegensätze schlechterdings nicht mit dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG) vereinbar ist (Fitting, BetrVG, 27. Aufl. 2014, § 74, Rn. 31; Rieble/Wiebauer, ZfA 2010, 115).

166

Der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit ist Maßstab dafür, wie die Betriebsparteien ihre gegenseitigen Rechte und Pflichten wahrzunehmen und auszuüben haben. Sie müssen dabei auch auf die Interessen der anderen Betriebspartei Rücksicht nehmen (BAG, Beschluss vom 28. Mai 2014 - 7 ABR 36/12 - BAGE 148, 182-192, Rn. 35, juris). Die Vorschrift des § 2 Abs. 1 BetrVG bezieht sich nicht allein auf das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat als Gremium. Auch das einzelne Betriebsratsmitglied ist danach verpflichtet, durch sein Verhalten die Grundlagen des gegenseitigen Vertrauens nicht nachhaltig zu stören. Das einzelne Betriebsratsmitglied hat sich bei seiner Betriebsratstätigkeit innerhalb der Grenzen zu halten, die sich aus den allgemeinen Vorschriften der Rechtsordnung, insbesondere aus denen des Betriebsverfassungsgesetzes ergeben (LAG G-Stadt-CD., Beschluss vom 05. Juni 2014 - 10 TaBVGa 146/14 - Rn. 40, juris = NZA-RR 2014, 538).

167

Die Verbreitung von wahrheitswidrigen und ehrverletzenden Behauptungen über den anderen Betriebspartner kann den Betriebsfrieden ebenso beeinträchtigen wie die zielgerichtete Einbindung von Dritten, z. B. Kunden, in den Konflikt oder der Öffentlichkeit. Arbeitgeber und Betriebsrat sind grundsätzlich berechtigt, die Belegschaft über betriebliche Vorgänge zu unterrichten. Das gilt auch für Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen. Die Betriebspartner dürfen sich im Rahmen der Meinungsfreiheit (vgl. Art. 5 Abs. 1 GG), die wiederum ihre Schranke in den allgemeinen Gesetzen und dem Recht der persönlichen Ehre findet, auch kritisch äußern. Das allein beeinträchtigt noch nicht das störungsfreie Zusammenleben und Zusammenwirken im Betrieb. Der Betriebsfrieden ist erst dann gefährdet, wenn bewusst falsche oder aus dem Zusammenhang gerissene Tatsachen verbreitet werden, um den anderen Betriebspartner in Misskredit zu bringen und verächtlich zu machen. Das gilt für Äußerungen, bei denen nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung von Personen im Vordergrund steht (LAG G-Stadt-CD., Beschluss vom 05. Juni 2014 - 10 TaBVGa 146/14 - Rn. 50, juris = NZA-RR 2014, 538). Sofern diese Grenzen gewahrt sind, ist es im Rahmen der Meinungsfreiheit durchaus gestattet, Meinungsverschiedenheiten betriebsöffentlich mit "härteren Bandagen" auszutragen (LAG Niedersachsen, Beschluss vom 06. April 2004 - 1 TaBV 64/03 - Rn. 22, juris = NZA-RR 2005, 78). Des Weiteren ist der Betriebsrat berechtigt, die Belegschaft über rechtswidrige Maßnahmen des Arbeitgebers, z. B. die Anordnung von Überstunden ohne Beachtung der Mitbestimmungsrechte, zu unterrichten (LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 01. April 2009 - 3 TaBVGa 2/09 - juris; Fitting, BetrVG, 27. Aufl. 2014, § 74, Rn. 36).

168

Der Beteiligte zu 2) hat nach diesen Maßstäben den Betriebsfrieden nicht beeinträchtigt.

169

Er war berechtigt, die Belegschaft am 22.02.2013 per E-Mail und durch Aushang über die Reichweite seiner damaligen Suspendierung und die Fortführung der Betriebsratstätigkeit zu unterrichten. Es kann dahinstehen, ob dieser Sachverhalt, der in eine frühere Amtszeit fällt, den Ausschluss aus einem später gewählten Betriebsrat rechtfertigen kann (vgl. dazu LAG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Januar 2015 - 6 TaBV 48/14 - Rn. 72, juris; LAG München, Beschluss vom 28. April 2014 - 2 TaBV 44/13 - Rn. 132 ff., juris = LAGE § 103 BetrVG 2001 Nr. 17). Die Angaben in der ausgehängten und an die Belegschaft versandten E-Mail entsprechen jedenfalls den Tatsachen. Ehrverletzende Äußerungen gegenüber der Arbeitgeberin oder einzelnen Repräsentanten der Arbeitgeberin enthalten sie nicht. Der Beteiligte zu 2) hat die E-Mail nicht deshalb ausgehängt, um die Patienten gezielt in den Konflikt einzubeziehen, sondern um diejenigen Mitarbeiter ohne E-Mail-Zugang zu unterrichten. Der Betriebsrat muss die Möglichkeit haben, von sich aus mit der Belegschaft in Verbindung zu treten; der innerbetriebliche Dialog ist nicht auf die Durchführung von Betriebsversammlungen oder Sprechstunden beschränkt (BAG, Beschluss vom 29. April 2015 - 7 ABR 102/12 - Rn. 34, juris = NZA 2015, 1397; BAG, Beschluss vom 09. Juni 1999 - 7 ABR 66/97 - BAGE 92, 26-35, Rn. 26, juris).

170

Sofern Patienten durch den Aushang eher zufällig Kenntnis von den betriebsinternen Streitigkeiten erlangt haben, ist damit noch nicht der betriebliche Friede gefährdet. Allein deshalb steht das Unternehmen bzw. der Betrieb noch nicht in einem schlechten Licht dar, wenn auch der ein oder andere Patient aus Neugier heraus Mitarbeiter hierauf angesprochen haben mag. Weder der Beteiligte zu 2) noch der Beteiligte zu 3) haben den Schaukasten gezielt genutzt, um Patienten in ihrem Sinne zu instrumentalisieren und über diesen Weg unzulässig Druck auf die Arbeitgeberin auszuüben. Ebenso wenig haben sie sich gezielt an die Öffentlichkeit, z. B. über Presseorgane, gewandt, um mittels einer drohenden Rufschädigung die Arbeitgeberin zum Einlenken zu bewegen. Im Übrigen dürfte es sich durch Umhängen des Schaukastens vermeiden lassen, dass Patienten von innerbetrieblichen Angelegenheiten erfahren.

171

Das am 30.07.2013 per E-Mail versandte und zugleich ausgehängte Infoblatt zur Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen beeinträchtigt nicht das friedliche, störungsfreie Zusammenwirken im Betrieb. Es enthält keinen Aufruf, vermehrt Arbeitsunfähigkeiten in Anspruch zu nehmen. Der Beteiligte zu 2) und der Beteiligte zu 3) haben sich auf eine sachliche Darstellung der Rechtslage beschränkt. Ob dem Betriebsrat seinerzeit bereits das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 14. November 2012 - 5 AZR 886/11 - (NJW 2013, 892) zur Vorlagepflicht von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bekannt war, ist für die Frage der Auswirkungen auf den Betriebsfrieden unerheblich.

172

Der E-Mail-Verkehr im August 2013 zur Aufnahme von Patienten am Wochenende enthält zwar eine deutliche Kritik am Vorgehen des Betriebspartners. Das betrifft allerdings beide Seiten. Auch die Arbeitgeberin hat ihre Meinung zum Sachverstand des Betriebsrats zugespitzt dargestellt. Der Beteiligte zu 2) hat in seiner Antwort keinen schärferen Ton angeschlagen als zuvor die Arbeitgeberin.

173

Soweit der Beteiligte zu 2) in der E-Mail vom 01.11.2013 die bisherige Betriebsratsvorsitzende wegen der guten Zusammenarbeit mit der Arbeitgeberin kritisiert, hat er sich im Rahmen seiner Meinungsfreiheit bewegt. Das zu bewerten, ist den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Betriebs überlassen. Die Kritik bezieht sich auf die Sache, nämlich die Zusammenarbeit mit der Arbeitgeberin, nicht aber auf die Person der früheren Betriebsratsvorsitzenden.

174

In der E-Mail vom 06.11.2013 hat sich der Beteiligte zu 2) über eine auf ihn bezogene Äußerung des kaufmännischen Direktors auf der Mitarbeiterversammlung am 29.10.2013 beschwert ("krankes Gelaber") und eine Entschuldigung gefordert. Diese E-Mail kann den Betriebsfrieden nur dann beeinträchtigen, wenn sie unwahre Behauptungen enthält. Das ist soweit ersichtlich nicht der Fall.

175

Die E-Mail vom 12.11.2013 enthält keinen persönlichen Angriff auf die Chefärzte. Zum einen handelt es sich um Fragen aus der Belegschaft. Zum anderen sind die Fragen sachbezogen und nicht geeignet, die Chefärzte in ihrer Ehre und ihrem Ansehen zu verletzten. Unwahre Behauptungen werden nicht in den Raum gestellt.

176

Das Schreiben vom 29.11.2013 beeinträchtigt nicht den Betriebsfrieden. Der Beteiligte zu 2) hat die Belegschaft lediglich über die von der Arbeitgeberin beabsichtigte außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds unterrichtet. Es handelt sich nicht um eine unzulässige Stimmungsmache gegen die Arbeitgeberin oder deren Repräsentanten. Der Beteiligte zu 2) war berechtigt, im Namen des Beteiligten zu 3) die von der Arbeitgeberin beabsichtigte Kündigung zu kritisieren und hierüber die Belegschaft zu informieren.

177

Das Schreiben vom 29.04.2014 mit der Überschrift "Aufhetzung von Kollegen" ist nicht vom Beteiligten zu 2) unterzeichnet, sondern von der stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden. Eine Pflichtverletzung des Beteiligten zu 2) lässt sich daraus nicht herleiten. Der Beteiligte zu 2) hat mit dem Schreiben keine wahrheitswidrigen Äußerungen verbreiten lassen, die erkennbar ihm zuzurechnen sind.

178

Soweit der Beteiligte zu 2) in der Betriebsversammlung am 17.09.2015 die Situation in der Klinik mit der eines Gladiatorenkampfes im alten Rom verglichen hat, lässt das zwar ein stark belastetes Verhältnis zwischen Arbeitgeber, Betriebsrat und Belegschaft erkennen. Ein persönlicher, diffamierender Angriff auf bestimmte Personen ist damit aber nicht verbunden. Mit dieser durchaus martialischen Wortwahl hat er nicht direkt oder indirekt zu Gewalttaten aufgerufen. Auch sonst ist nicht ersichtlich, dass der Beteiligte zu 2) Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter konkret bedroht hat. Die Antragsteller konnten ihre Vorwürfe ("Dich mach ich fertig") nicht durch Tatsachen untermauern.

179

Ob die Politik des Betriebsrats und seine Positionierung gegenüber der Arbeitgeberin noch von der Mehrheit der Belegschaft getragen wird, kann dahinstehen. Der Betriebsfrieden ist allein deshalb noch nicht beeinträchtigt. Der Belegschaft steht es frei, zum nächsten Wahltermin entsprechenden Einfluss auf die Zusammensetzung des Betriebsrats zu nehmen.

180

5. Geheimhaltungspflichten, § 79 BetrVG

181

Nach § 79 Abs. 1 Satz 1 BetrVG sind Mitglieder des Betriebsrats verpflichtet, Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse, die ihnen wegen ihrer Zugehörigkeit zum Betriebsrat bekannt geworden und vom Arbeitgeber ausdrücklich als geheimhaltungsbedürftig bezeichnet worden sind, nicht zu offenbaren und nicht zu verwerten. Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse sind Tatsachen, Erkenntnisse oder Unterlagen, die mit einem Geschäftsbetrieb zusammenhängen und die nicht offenkundig sind, also nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt sind und nach dem Willen des Betriebsinhabers aufgrund eines berechtigten wirtschaftlichen Interesses geheim gehalten werden sollen (BAG Urteil vom 10. März 2009 - 1 ABR 87/07 - Rn. 25, juris = NZA 2010, 180; BAG, Beschluss vom 26. Februar 1987 - 6 ABR 46/84 - Rn. 16, juris = NZA 1988, 63). Das betrifft insbesondere Kundenlisten, Kalkulationsunterlagen, Rezepturen, Konstruktionszeichnungen etc.

182

Der Beteiligte zu 2) hat keine Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse offenbart oder verwertet. Er hat keine Tatsachen oder Erkenntnisse verbreitet, die von der Arbeitgeberin ausdrücklich als geheimhaltungsbedürftig bezeichnet worden sind. Sofern er in der Therapiesitzung am 29.10.2013 den Patienten über seine Schwierigkeiten als Betriebsratsmitglied mit der Arbeitgeberin berichtet haben sollte, handelt es sich nicht um ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, das nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt ist und das der Arbeitgeber ausdrücklich als geheimhaltungsbedürftig bezeichnet hat.

183

Ob der Beteiligte zu 2) gegen seine arbeitsvertragliche Pflicht verstoßen hat, die Therapiesitzung fachgerecht und im zeitlich festgelegten Umfang abzuhalten, bedarf hier keiner Entscheidung, da das nicht seine Amtspflichten als Betriebsratsmitglied oder als Betriebsratsvorsitzender betrifft.

III.

184

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor. Das Verfahren wirft keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf.

Tenor

1. Auf die Beschwerde des beteiligten Betriebsrats wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Stralsund (Kammern Neubrandenburg) vom 01.06.2016 - 11 BV 7/16 - abgeändert.

Der Antrag wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs zum Auszahlungszeitpunkt einer Sonderzahlung sowie zu den Abstufungen einer Entgeltordnung.

2

Die Arbeitgeberin (Beteiligte zu 1) betreibt im A-Stadt eine Rehabilitationseinrichtung, die D. Klinik, mit rund 120 Beschäftigten. Sie ist nicht tarifgebunden. Der Betriebsrat der D. Klinik (Beteiligter zu 2) besteht aus sieben Mitgliedern.

3

Die Arbeitgeberin stellte am 22.12.1995 eine ab 01.01.1996 gültige Sozialordnung auf, die folgende Regelung enthält:

4

"…

5

§ 12
Gratifikation

6

Der Arbeitgeber gewährt allen Mitarbeitern, die sich in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis befinden, pro Jahr zum Mai und November eine Gratifikationszahlung. Die Höhe der Gratifikation beträgt 50% des jeweiligen durchschnittlichen Monatsgehalts.

7

Die Berechnung der Gratifikation erfolgt nach den durchschnittlichen festen Monatsbezügen des jeweiligen Kalenderhalbjahres (Summe feste Bruttobezüge Januar bis Juni : 12, bzw. Summe feste Bruttobezüge Juli bis Dezember : 12).

8

9

Mitarbeiter, die vor dem 01.09. des Kalenderjahres ausscheiden, haben die im Mai ausbezahlte; Mitarbeiter die vor dem 01.03. des folgenden Jahres ausscheiden, die im November ausbezahlte Gratifikation zurückzuzahlen.

10

Zeiten, in denen kein Anspruch auf Vergütung besteht, mindern die Gratifikation entsprechend, z. B. unbezahlter Urlaub, Wehrdienst, Wehrdienstübungen, unentschuldigte Fehlzeiten, Zeiten ohne Lohnfortzahlung, Erziehungsurlaub.

11

…"

12

Die Arbeitgeberin verabschiedete am 02.04.2014 rückwirkend zum 01.04.2014 eine Gehaltsrichtlinie für die D. Klinik, die nach insgesamt 15 Berufsgruppen unterscheidet und für jede Gruppe ein bestimmtes, nach Dauer der Berufserfahrung gestaffeltes Monatsbruttogehalt vorsieht.

13

Nach Einführung des Mindestlohns zum 01.01.2015 verzichtete die Arbeitgeberin bei denjenigen Arbeitnehmern, deren Stundenlohn € 10,50 oder weniger betrug, auf eine Rückzahlung der Gratifikation aus der Sozialordnung vom 22.12.1996.

14

Am 18.11.2015 schlossen die Beteiligten nach Anrufung der Einigungsstelle eine Betriebsvereinbarung über ein betriebliches Entgeltsystem (im Folgenden nur: BV Entgeltsystem). Nach § 3 Abs. 1 BV Entgeltsystem setzt sich das monatliche Entgelt aus dem Grundgehalt, Zulagen, Zuschlägen, vermögenswirksamen Leistungen und evtl. sonstigen Zahlungen nach der Sozialordnung vom 22.12.1995 sowie einer Arbeitsordnung vom 22.12.1995 zusammen. Die Betriebsvereinbarung enthält ein Entgeltgruppenschema mit insgesamt 13 Gruppen, die auf Qualifikationen und Tätigkeiten aufbauen (Anlage 3 zu § 4 BV Entgeltsystem).

15

Da sich die Beteiligten nicht über alle strittigen Punkte einigen konnten, fasste die Einigungsstelle ebenfalls am 18.11.2015 den folgenden Beschluss:

16

"Im Spruchwege ergangene

Betriebsvereinbarung Tabellenentgelte
in Ergänzung der Betriebsvereinbarung Entgeltsystem sowie

Zahlungstermine der Gratifikation
nach § 12 Sozialordnung vom 22. Dezember 1995

17

18

§ 2 Grundgehalt nach Tabelle

19

Das Verhältnis der Höhe der Grundgehälter nach den Entgeltgruppen im Sinne der Betriebsvereinbarung Entgeltsystem vom 18. November 2015 ergibt sich aus der Anlage 1 zu dieser Betriebsvereinbarung.

20

Der Arbeitgeber bestimmt mitbestimmungsfrei die Höhe des Basisentgelts der EG 1. Die Höhe der Grundgehälter nach den EG 2 bis 13 ergibt sich, indem das Basisentgelt mit den aus der Anlage 1 ersichtlichen Faktoren multipliziert wird. …

21

§ 3 Zahlung Gratifikation

22

Die dem Grunde und der Höhe nach gemäß den Voraussetzungen des § 12 der Sozialordnung des Arbeitgebers vom 22. Dezember 1995 (SO) zu gewährende Gratifikation wird entsprechend des Wortlauts des vorgenannten § 12 SO pro Jahr zum Mai und November ausgezahlt.

23

24

Anlage 1

25

Tabelle BV Entgeltsystem M. (Abstände in Prozent)

26

Entgeltgruppe           

        

1         

100,00

2         

105,38

3         

109,11

4         

119,62

5         

131,16

6         

134,20

7         

139,58

8         

148,00

9         

204,69

10       

235,50

11       

329,86

12       

426,04

13       

503,24 bis 564,24

27

…"

28

Die Prozentsätze errechnete die Einigungsstelle anhand der Abstände zwischen den jeweiligen Einstiegsgehältern gemäß Gehaltsrichtlinie der Arbeitgeberin vom 02.04.2014. Der vom Vorsitzenden eigenhändig unterzeichnete Einigungsstellenspruch ging der Arbeitgeberin am 25.11.2015 zu. Mit dem am 09.12.2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag hat sie den Spruch gerichtlich angegriffen.

29

Die Arbeitgeberin hat die Ansicht vertreten, die Einigungsstelle habe bei beiden Regelungsgegenständen das ihr zustehende Ermessen überschritten.

30

Die Gratifikation sei grundsätzlich auf den Mindestlohnanspruch anrechenbar. Da die Einigungsstelle nicht wie von der Arbeitgeberin beantragt eine monatliche Auszahlung der Gratifikation beschlossen habe, laufe die Arbeitgeberin Gefahr, gegen die Fälligkeitsregelung des Mindestlohngesetzes (§ 2 MiLoG) zu verstoßen. Um dies zu vermeiden, müsse die Arbeitgeberin das Entgelt erhöhen, was zu einer erheblichen, nicht auffangbaren finanziellen Belastung bei den Personalkosten führe, zumal auch noch größere Investitionen in die Klinikausstattung erforderlich seien. Entgegen dem Betriebsverfassungsgesetz nehme der Betriebsrat damit indirekt Einfluss auf die gerade nicht mitbestimmungspflichtige Höhe der Löhne. Die Arbeitgeberin habe bei Aufstellung der Sozialordnung im Jahr 1995 nicht ansatzweise mit der Einführung eines Mindestlohns rechnen können. Die Geschäftsgrundlage habe sich mit dem Mindestlohn geändert.

31

Ebenso wenig habe die Einigungsstelle bei Festsetzung der Prozentsätze in der Entgeltordnung Rücksicht auf die Finanzsituation der Arbeitgeberin genommen. Die Einigungsstelle sei willkürlich über den Vorschlag der Arbeitgeberin hinweggegangen, der nach Gruppen gestaffelt eine Steigerung auf insgesamt 360,61 % in der EG 12 und ein Entgelt von € 5.800,- bis € 6.500,- in der EG 13 bei Oberärzten vorgesehen habe. Die damalige Arbeitsmarktsituation habe dies so erforderlich gemacht. Durch die Einführung des Mindestlohns habe sich das Gehaltsgefüge deutlich verschoben.

32

Die Arbeitgeberin hat erstinstanzlich beantragt

33

festzustellen, dass der Spruch der Einigungsstelle mit Datum vom 18. November 2015 zur Betriebsvereinbarung Tabellenentgelte in Ergänzung der Betriebsvereinbarung Entgeltsystem sowie Zahlungstermine der Gratifikation nach § 12 Sozialordnung vom 22. Dezember 1995 mitsamt der ebenfalls im Spruchweg verabschiedeten Anlage 1 "Tabelle BV Entgeltsystem M. (Abstände in Prozent)" unwirksam ist.

34

Der Betriebsrat hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Der Einigungsstellenspruch sei nicht zu beanstanden. Er verstoße weder gegen zwingendes höherrangiges Recht noch sei er ermessensfehlerhaft.

35

Die Einigungsstelle habe zu Recht den von der Arbeitgeberin vorgegebenen Sinn und Zweck der Gratifikation berücksichtigt. Die Gratifikation diene nicht nur der Entlohnung der geleisteten Arbeit, sondern solle auch die Betriebstreue fördern (sog. Mischcharakter). Es gebe keinen Grund, gerade bei den Niedriglohnempfängern den Charakter der Gratifikation zu ändern und so die Belegschaft zu spalten. Abgesehen davon handele es sich um arbeitsvertragliche Ansprüche der Arbeitnehmer, die der Betriebsrat ohnehin nicht ändern könne.

36

Bei dem Entgeltgruppenschema habe die Einigungsstelle die von der Arbeitgeberin festgelegten Abstände der Gruppen zueinander übernommen. Es gebe keine Anhaltspunkte für Änderungen bei den Wertigkeiten der Tätigkeiten. Eine Neubewertung sei nicht erforderlich gewesen.

37

Der Betriebsrat hat am 29.04.2016 beim Arbeitsgericht Stralsund ein weiteres Beschlussverfahren (Aktenzeichen 2 BV 7/16) eingeleitet mit dem Antrag, der Arbeitgeberin aufzugeben, die Höhe des Basisentgeltes der Entgeltgruppe 1 der BV Entgeltsystem rückwirkend zum 18.11.2015 zu bestimmen und dem Betriebsrat bekannt zu geben. Daraufhin übersandte die Arbeitgeberin dem Betriebsrat mit Schreiben vom 09.05.2016 den neuen, ab 01.04.2016 gültigen Vergütungsrahmen, der in der Entgeltgruppe 1 ein Monatsbruttogehalt von € 1.209,- vorsieht.

38

Das Arbeitsgericht Stralsund hat mit Beschluss vom 01.06.2016 festgestellt, dass der Einigungsstellenspruch vom 18.11.2015 unwirksam ist. Der Spruch verstoße gegen § 2 MiLoG, da er eine Anrechnung der Gratifikation auf den Mindestlohnanspruch nur in den Auszahlungsmonaten Mai und November zulasse, nicht aber in den übrigen Monaten. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats reiche nicht so weit, Lohnerhöhungen zu erzwingen.

39

Hiergegen wendet sich der Betriebsrat mit seiner fristgerecht eingelegten und begründeten Beschwerde. Er ist der Ansicht, das Arbeitsgericht sei zu Unrecht von einem Verstoß gegen das Mindestlohngesetz ausgegangen. Die Einführung des Mindestlohns sei kein sachlicher Grund, den Charakter der Sonderzahlung zu ändern. Erst recht habe es keinen Anlass für eine Ungleichbehandlung der Belegschaft gegeben.

40

Der Betriebsrat beantragt,

41

den Beschluss des Arbeitsgerichts Stralsund (Kammern Neubrandenburg) vom 01.06.2016 - 11 BV 7/16 - abzuändern und den Antrag der Arbeitgeberin zurückzuweisen.

42

Die Arbeitgeberin beantragt,

43

die Beschwerde des Betriebsrats zurückzuweisen.

44

Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und verweist darauf, dass nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 25.05.2016 - 5 AZR 135/16 - eine Sonderzahlung auf den Mindestlohn anrechenbar sei. Der Einigungsstellenspruch dürfe nicht dazu führen, dass die Arbeitgeberin gezwungen sei, gegen ihren Willen höhere Gehälter an die Mitarbeiter zu zahlen.

45

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle und auf die erstinstanzliche Entscheidung Bezug genommen.

II.

46

Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Der Einigungsstellenspruch vom 18.11.2015 ist rechtmäßig. Die Einigungsstelle hat bei beiden Regelungsgegenständen die Grenzen der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats und die Grenzen ihres Regelungsermessens gewahrt.

47

1. Auszahlungszeitpunkt der Gratifikation

48

a) Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, mitzubestimmen bei Zeit, Ort und Art der Auszahlung der Arbeitsentgelte.

49

Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG erfasst die Regelung des Zeitpunkts, zu dem die Arbeitsvergütung zu zahlen ist (BAG, Beschluss vom 22. Juli 2014 - 1 ABR 96/12 - Rn. 12, juris = NZA 2014, 1151). Es entfällt, soweit zwingende gesetzliche Regelungen bestehen und kein Gestaltungsspielraum der Betriebsparteien mehr verbleibt. Das Mitbestimmungsrecht kann durch eine abschließende gesetzliche Regelung zur Auszahlung des Mindestentgelts verdrängt werden (BAG, Beschluss vom 22. Juli 2014 - 1 ABR 96/12 - Rn. 13, juris = NZA 2014, 1151).

50

Das Mitbestimmungsrecht des beteiligten Betriebsrats zum Auszahlungszeitpunkt der Gratifikation aus der Sozialordnung vom 22.12.1995 ist weder durch § 2 Abs. 1 MiLoG ausgeschlossen noch verstößt die Regelung der Einigungsstelle gegen diese Vorschrift.

51

Nach § 1 Abs. 1 MiLoG hat jeder Arbeitnehmer Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber. Nach § 2 Abs. 1 MiLoG ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Mindestlohn zum Zeitpunkt der vereinbarten Fälligkeit, spätestens aber am letzten Bankarbeitstag (Frankfurt am Main) des Monats, der auf den Monat folgt, in dem die Arbeitsleistung erbracht wurde, zu zahlen. Wird keine Vereinbarung über die Fälligkeit getroffen, bleibt § 614 BGB unberührt. Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung beschränken oder ausschließen, sind insoweit unwirksam (§ 3 Satz 1 MiLoG).

52

Der Mindestlohnanspruch aus § 1 Abs. 1 MiLoG ist ein gesetzlicher Anspruch, der eigen-ständig neben den arbeits- oder tarifvertraglichen Entgeltanspruch tritt (BAG, Urteil vom 29. Juni 2016 - 5 AZR 716/15 - Rn. 18, juris = NZA 2016, 1332; BAG, Urteil vom 25. Mai 2016 - 5 AZR 135/16 - Rn. 22, juris = NZA 2016, 1327). Vorrangiger Zweck des gesetzlichen Mindestlohns ist es, jedem Arbeitnehmer ein existenzsicherndes Monatseinkommen zu gewährleisten (BT-Drs. 18/1558 S. 28; BAG, Urteil vom 21. Dezember 2016 - 5 AZR 374/16 - Rn. 23, juris = NZA 2017, 378). Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn haben alle Arbeitnehmer, auch wenn ihre durch Arbeits- oder Tarifvertrag geregelte Vergütung über dem gesetzlichen Mindestlohn liegt (BAG, Urteil vom 21. Dezember 2016 - 5 AZR 374/16 - Rn. 16, juris = NZA 2017, 378).

53

Das Mindestlohngesetz zielt nicht darauf ab, die bisherigen Vergütungsmodelle mit ihren unterschiedlichen Lohnbestandteilen einzuschränken. Auch nach der Einführung des Mindestlohns ist es zum Beispiel weiterhin möglich, Stück- und Akkordlöhne zu vereinbaren (BT-Drucks. 18/1558 S. 34). Der Gesetzgeber hat weder eine bestimmte Methode der Lohnermittlung vorgegeben noch einen festen Grundlohn. Den Arbeitsvertrags- und den Tarifvertragsparteien steht es frei, im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit bzw. Tarifautonomie unterschiedliche Entlohnungsformen zu vereinbaren (ErfK/Franzen, 17. Aufl. 2017, § 1 MiLoG, Rn. 5). Ebenso steht es ihnen frei, Jahressonderzahlungen so auszugestalten, dass sie geeignet sind, den gesetzlichen Mindestlohnanspruch Monat für Monat zu erfüllen. Zwingend ist das hingegen nicht. Das Mindestlohngesetz hat den Zweck, für eine monatliche Mindestabsicherung zu sorgen, nicht aber, darüber hinausgehende Zahlungen zu beschränken. Das Gesetz schützt die Arbeitnehmer, zielt jedoch nicht darauf ab, finanzielle Mehrbelastungen des Arbeitgebers durch Mindestlohnansprüche so gering wie möglich zu halten.

54

§ 2 Abs. 1 MiLoG legt nicht abschließend einen konkreten Zahlungstermin fest, sondern bestimmt lediglich einen Endtermin ("spätestens"), der nicht überschritten werden darf. Das eröffnet einen Regelungsspielraum. Den Arbeitsvertragsparteien steht es ebenso wie den Betriebspartnern im Rahmen des Mitbestimmungsrechts frei, den Fälligkeitszeitpunkt nach vorn zu verschieben.

55

Die Betriebspartner sind nicht gezwungen, die Fälligkeit einer Jahressonderzahlung dem Fälligkeitszeitpunkt des Mindestlohnes anzupassen und damit eine monatliche Anrechnung auf den gesetzlichen Mindestlohnanspruch zu ermöglichen. Eine derartige betriebliche Regelung ist zwar zulässig (BAG, Urteil vom 25. Mai 2016 - 5 AZR 135/16 - Rn. 46 ff., juris = NZA 2016, 1327), aber nicht von § 2 Abs. 1 MiLoG vorgegeben. Das Mindestlohngesetz greift gerade nicht in arbeits- und tarifvertragliche Entgelt- und Fälligkeitsregelungen ein. Es stellt vielmehr einen eigenständigen gesetzlichen Anspruch neben die arbeits- und tarifvertraglichen Ansprüche. Evtl. Mindestlohnansprüche von Arbeitnehmern beruhen auf dem Mindestlohngesetz und nicht auf Beteiligungsrechten des Betriebsrats (vgl. LAG Sachsen, Beschluss vom 27.07.2016 - 8 TaBV 1/16 - Rn. 52, juris = EzA-SD 2017, Nr. 4, 14).

56

b) Die Einigungsstelle fasst ihre Beschlüsse gemäß § 76 Abs. 5 Satz 3 BetrVG unter angemessener Berücksichtigung der Belange des Betriebs und der betroffenen Arbeitnehmer nach billigem Ermessen.

57

Gegenstand der gerichtlichen Kontrolle des von der Einigungsstelle ausgeübten Ermessens ist, ob die Regelung im Verhältnis zwischen den Betriebsparteien untereinander einen billigen Ausgleich der Interessen von Arbeitgeber und Betriebsrat als Sachwalter der Belegschaft darstellt. Die gerichtliche Beurteilung bezieht sich allein auf die getroffene Regelung als solche. Eine Überschreitung der Grenze des Ermessens muss in der Regelung selbst als Ergebnis des Abwägungsvorgangs liegen, nicht in den von der Einigungsstelle angestellten Erwägungen, sofern diese überhaupt bekannt gegeben worden sind (BAG, Beschluss vom 14. Januar 2014 - 1 ABR 49/12 - Rn. 23, juris = NZA-RR 2014, 356). Es ist für die Ausübung des Regelungsermessens ohne Bedeutung, ob sich der Einigungsstellenvorsitzende in der Einigungsstelle ausreichend mit den von der Arbeitgeberin erhobenen Einwendungen auseinandergesetzt hat (BAG, Beschluss vom 14. Januar 2014 - 1 ABR 49/12 - Rn. 25, juris = NZA-RR 2014, 356).

58

Die Regelungen zu § 3 des Einigungsstellenspruchs vom 18.11.2015 (Zahlung Gratifikation) sind nicht ermessensfehlerhaft.

59

Die Beibehaltung der bisherigen Auszahlungstermine Mai und November missachtet nicht die berechtigten Interessen der Arbeitgeberin. Ihre wirtschaftliche Existenz ist durch die Entscheidung der Einigungsstelle nicht gefährdet. Die Arbeitgeberin selbst hat den Zweck der Gratifikation seinerzeit festgelegt und dementsprechend die Auszahlungstermine bestimmt. Die Gratifikation ist einerseits ein zusätzliches Entgelt für die erbrachte Arbeitsleistung und dient andererseits dazu, die Betriebstreue zu fördern, was sich aus der Rückzahlungsklausel ergibt. Die Gratifikation wird nach Festlegung der Arbeitgeberin in zwei gleichen Teilen gezahlt, und zwar zu einer Zeit, in der Arbeitnehmer regelmäßig einen finanziellen Mehrbedarf haben (Urlaub, Weihnachten). An dieser Interessenlage hat sich nach der Einführung des Mindestlohns nichts geändert. Soweit die Arbeitgeberin daran interessiert ist, Aufstockungsansprüche aus dem Mindestlohngesetz bei Mitarbeitern im unteren Lohnbereich so gering wie möglich zu halten, ist dieser Wunsch durchaus verständlich. Ebenso nachvollziehbar ist es aber auch, es unter Berücksichtigung des Zwecks der Sonderzahlung bei einer Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer im Betrieb zu belassen.

60

2. Entgeltgruppensystem

61

Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, mitzubestimmen bei Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere bei der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen.

62

a) Entlohnungsgrundsätze sind die abstrakt-generellen Grundsätze zur Lohnfindung. Sie bestimmen das System, nach welchem das Arbeitsentgelt für die Belegschaft oder Teile der Belegschaft ermittelt oder bemessen werden soll. Entlohnungsgrundsätze sind damit die allgemeinen Vorgaben, aus denen sich die Vergütung der Arbeitnehmer des Betriebs in abstrakter Weise ergibt. Zu ihnen zählen neben der Grundentscheidung für eine Vergütung nach Zeit oder nach Leistung die daraus folgenden Entscheidungen über die Ausgestaltung des jeweiligen Systems. Der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG unterliegt die Einführung von Entlohnungsgrundsätzen und deren Änderung. Die konkrete Höhe des Arbeitsentgelts wird nicht vom Beteiligungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG erfasst (BAG, Beschluss vom 21. Februar 2017 - 1 ABR 12/15 - Rn. 23, juris = EzA-SD 2017, Nr. 10, 11-13).

63

Die Regelungen zu § 2 des Einigungsstellenspruchs vom 18.11.2015 (Grundgehalt nach Tabelle) erfassen nicht die Höhe des Arbeitsentgelts. Die Höhe des Arbeitsentgelts legt gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 des Spruchs mitbestimmungsfrei die Arbeitgeberin fest. Die Einigungsstelle hat gerade nicht das Basisentgelt bestimmt, insbesondere nicht auf das Mindestlohngesetz verwiesen. Die Arbeitgeberin ist nicht gezwungen, das Basisentgelt mit dem Mindestlohn festzusetzen. Sie ist lediglich gezwungen, Mindestlohnansprüche zu erfüllen, durch welche Lohnbestandteile auch immer, sofern diese anrechenbar sind. Rechtsgrundlage hierfür ist das Mindestlohngesetz, nicht das Betriebsverfassungsgesetz.

64

b) Die Regelungen zu § 2 des Einigungsstellenspruchs sind nicht ermessensfehlerhaft. Die Beibehaltung der bisherigen Abstufungen zwischen den Entgeltgruppen erscheint unter Berücksichtigung der arbeitgeberseitigen Interessen nicht unbillig. Es liegen keine Umstände vor, die eine Neubewertung der Abstände zwischen den Gruppen veranlassen könnten. Die Abstufungen richten sich nach der Qualifikation und den Tätigkeiten der Arbeitnehmer. Das Verhältnis der Gruppen zueinander hat sich seit der arbeitgeberseitig aufgestellten Gehaltsrichtlinie vom 02.04.2014 nicht wesentlich verändert. Am Arbeitsmarkt haben sich seit Erlass der Gehaltsrichtlinie keine kurzfristigen Entwicklungen ergeben, die eine Neubewertung erfordert hätten.

65

Die Einführung des Mindestlohnes bietet keinen Anlass für eine Verringerung der Abstände zwischen den Entgeltgruppen. Das von der Arbeitgeberin festzulegende Basisentgelt muss nicht zwangsläufig dem Mindestlohn entsprechen, was der Arbeitgeberin durchaus bewusst ist, da sie das monatliche Basisentgelt mit € 1.209,- angegeben hat, was unter Mindestlohn liegt. Das Mindestlohngesetz erweitert nicht das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats zu den Entgeltgrundsätzen.

66

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor. Das Verfahren wirft keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf.

(1) Die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Bordvertretung und des Seebetriebsrats, des Wahlvorstands sowie von Wahlbewerbern bedarf der Zustimmung des Betriebsrats.

(2) Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann das Arbeitsgericht sie auf Antrag des Arbeitgebers ersetzen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. In dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht ist der betroffene Arbeitnehmer Beteiligter.

(2a) Absatz 2 gilt entsprechend, wenn im Betrieb kein Betriebsrat besteht.

(3) Die Versetzung der in Absatz 1 genannten Personen, die zu einem Verlust des Amtes oder der Wählbarkeit führen würde, bedarf der Zustimmung des Betriebsrats; dies gilt nicht, wenn der betroffene Arbeitnehmer mit der Versetzung einverstanden ist. Absatz 2 gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass das Arbeitsgericht die Zustimmung zu der Versetzung ersetzen kann, wenn diese auch unter Berücksichtigung der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des betroffenen Arbeitnehmers aus dringenden betrieblichen Gründen notwendig ist.

(1) Die Mitglieder und Ersatzmitglieder des Betriebsrats sind verpflichtet, Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse, die ihnen wegen ihrer Zugehörigkeit zum Betriebsrat bekannt geworden und vom Arbeitgeber ausdrücklich als geheimhaltungsbedürftig bezeichnet worden sind, nicht zu offenbaren und nicht zu verwerten. Dies gilt auch nach dem Ausscheiden aus dem Betriebsrat. Die Verpflichtung gilt nicht gegenüber Mitgliedern des Betriebsrats. Sie gilt ferner nicht gegenüber dem Gesamtbetriebsrat, dem Konzernbetriebsrat, der Bordvertretung, dem Seebetriebsrat und den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat sowie im Verfahren vor der Einigungsstelle, der tariflichen Schlichtungsstelle (§ 76 Abs. 8) oder einer betrieblichen Beschwerdestelle (§ 86).

(2) Absatz 1 gilt sinngemäß für die Mitglieder und Ersatzmitglieder des Gesamtbetriebsrats, des Konzernbetriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Konzern-Jugend- und Auszubildendenvertretung, des Wirtschaftsausschusses, der Bordvertretung, des Seebetriebsrats, der gemäß § 3 Abs. 1 gebildeten Vertretungen der Arbeitnehmer, der Einigungsstelle, der tariflichen Schlichtungsstelle (§ 76 Abs. 8) und einer betrieblichen Beschwerdestelle (§ 86) sowie für die Vertreter von Gewerkschaften oder von Arbeitgebervereinigungen.

(1) Die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Bordvertretung und des Seebetriebsrats, des Wahlvorstands sowie von Wahlbewerbern bedarf der Zustimmung des Betriebsrats.

(2) Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann das Arbeitsgericht sie auf Antrag des Arbeitgebers ersetzen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. In dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht ist der betroffene Arbeitnehmer Beteiligter.

(2a) Absatz 2 gilt entsprechend, wenn im Betrieb kein Betriebsrat besteht.

(3) Die Versetzung der in Absatz 1 genannten Personen, die zu einem Verlust des Amtes oder der Wählbarkeit führen würde, bedarf der Zustimmung des Betriebsrats; dies gilt nicht, wenn der betroffene Arbeitnehmer mit der Versetzung einverstanden ist. Absatz 2 gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass das Arbeitsgericht die Zustimmung zu der Versetzung ersetzen kann, wenn diese auch unter Berücksichtigung der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des betroffenen Arbeitnehmers aus dringenden betrieblichen Gründen notwendig ist.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Mindestens ein Viertel der wahlberechtigten Arbeitnehmer, der Arbeitgeber oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft können beim Arbeitsgericht den Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat oder die Auflösung des Betriebsrats wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten beantragen. Der Ausschluss eines Mitglieds kann auch vom Betriebsrat beantragt werden.

(2) Wird der Betriebsrat aufgelöst, so setzt das Arbeitsgericht unverzüglich einen Wahlvorstand für die Neuwahl ein. § 16 Abs. 2 gilt entsprechend.

(3) Der Betriebsrat oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft können bei groben Verstößen des Arbeitgebers gegen seine Verpflichtungen aus diesem Gesetz beim Arbeitsgericht beantragen, dem Arbeitgeber aufzugeben, eine Handlung zu unterlassen, die Vornahme einer Handlung zu dulden oder eine Handlung vorzunehmen. Handelt der Arbeitgeber der ihm durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung auferlegten Verpflichtung zuwider, eine Handlung zu unterlassen oder die Vornahme einer Handlung zu dulden, so ist er auf Antrag vom Arbeitsgericht wegen einer jeden Zuwiderhandlung nach vorheriger Androhung zu einem Ordnungsgeld zu verurteilen. Führt der Arbeitgeber die ihm durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung auferlegte Handlung nicht durch, so ist auf Antrag vom Arbeitsgericht zu erkennen, dass er zur Vornahme der Handlung durch Zwangsgeld anzuhalten sei. Antragsberechtigt sind der Betriebsrat oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft. Das Höchstmaß des Ordnungsgeldes und Zwangsgeldes beträgt 10.000 Euro.

Tenor

1. Die Beschwerde der beteiligten Arbeitgeberin wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

1

Die beteiligte Arbeitgeberin (Beteiligte zu 1) verlangt, dass die vom beteiligten Betriebsrat (Beteiligter zu 2) verweigerte Zustimmung zur Kündigung ihres Vorsitzenden (Beteiligter zu 3) durch das Gericht nach § 103 Absatz 2 BetrVG ersetzt wird.

2

Die Arbeitgeberin betreibt im gesamten Bundesgebiet Kliniken. In C-Stadt auf der Insel U. betreibt sie eine Rehabilitationsklinik für Innere Medizin, Orthopädie und Psychosomatik mit etwas über 100 Arbeitnehmern. Die ranghöchsten Arbeitnehmer der beteiligten Arbeitgeberin vor Ort sind die Chefärzte der drei medizinischen Abteilungen und der kaufmännische Direktor des Hauses.

3

Der 48-jährige Betriebsratsvorsitzende ist seit April 2012 als Psychologe in der Klinik tätig. Bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden erzielt er eine monatliche Arbeitsvergütung in Höhe von rund 3.420,00 Euro brutto. Zu seinen Arbeitsaufgaben gehört die Behandlung von Patienten auf der Grundlage von Therapieplänen. Er gehört dem Betriebsrat seit dem 13. November 2012 an. Er ist nicht im Sinne von § 38 BetrVG freigestellt.

4

Die beteiligte Arbeitgeberin beabsichtigt, das Arbeitsverhältnis zu dem beteiligten Betriebsratsvorsitzenden außerordentlich zu kündigen.

5

Der Betriebsratsvorsitzende hat am 27. Oktober 2014 Gelegenheit erhalten, zu den beiden älteren seinerzeit allein im Raum stehenden Vorwürfen gegen ihn Stellung zu nehmen (Protokoll dazu als Anlage 6 zur Antragsschrift zur Akte gelangt, hier Blatt 21 f). Danach hat die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 28. Oktober 2014 beim beteiligten Betriebsrat beantragt, die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung ihres Vorsitzenden zu erteilen. Die Zustimmung ist vom beteiligten Betriebsrat nicht innerhalb von drei Kalendertagen erteilt worden. Daraufhin hat die beteiligte Arbeitgeberin das vorliegende Beschlussverfahren eingeleitet. Die Antragsschrift ist beim Arbeitsgericht am 6. November 2014 eingegangen. Der Antrag stützt sich auf den Vorwurf der Arbeitsverweigerung wegen der nicht durchgeführten Therapie am 22. September 2014 und auf den Vorwurf, der beteiligte Betriebsratsvorsitzende habe sich unberechtigt am 4. Oktober 2014 Zugang zum Rechner des Chefarztes, dem er unterstellt ist, verschafft.

6

Während des bereits laufenden Beschlussverfahrens hat die beteiligte Arbeitgeberin einen dritten Vorwurf erhoben. Insoweit geht es um die breit gestreute Veröffentlichung einer Mail, die der beteiligte Betriebsratsvorsitzende an den stellvertretenden Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats am 14. November 2014 versandt hat ("S. bleibt!"). Der beteiligte Betriebsratsvorsitzende ist am 24. November 2014 zu diesem weiteren Vorwurf angehört worden. Die Arbeitgeberin hat wegen dieses Vorwurfs mit Schreiben vom 26. November 2014 beim beteiligten Betriebsrat erneut beantragt, die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung ihres Vorsitzenden zu erteilen. Der Betriebsrat hat auch diesem Antrag nicht innerhalb von drei Kalendertagen zugestimmt. Darauf hat die Arbeitgeberin im hiesigen Beschlussverfahren mit einem Schriftsatz, der am 1. Dezember 2014 bei Gericht eingegangen ist, die Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung auch wegen dieses dritten Vorwurfs beantragt.

7

Der älteste Vorwurf leitet sich aus dem Umstand ab, dass das beteiligte Betriebsratsmitglied am 22. September 2014 eine in seinen Kalender eingetragene Therapiesitzung mit einer Patientin nicht durchgeführt hat.

8

Für den beteiligten Betriebsratsvorsitzenden wird durch die Arbeitgeberin ein Kalender geführt, in den die zuständigen Ärzte Termine für Therapie-Sitzungen mit Patienten buchen können. Im Kalender gebuchte Termine für Therapie-Sitzungen sind als verbindliche Arbeitsanweisung zu verstehen. Zur Wahrung der eigenen Zeitsouveränität und zur Gewinnung ausreichender Zeit für die Betriebsratsarbeit kann der beteiligte Betriebsratsvorsitzende seinerseits im Kalender Tage oder einzelne Tagesabschnitte "blocken", die dann für Therapie-Sitzungen nicht zur Verfügung stehen.

9

Der beteiligte Betriebsratsvorsitzende hatte wenige Tage vor dem 22. September 2014 gegenüber der Arbeitgeberin bzw. gegenüber dem für ihn zuständigen Chefarzt mitgeteilt, dass für ihn der Kalender mit Stand vom 18. September 2014 verbindlich sei, und er weitere Therapiesitzungen wegen notwendig zu erledigender Betriebsratstätigkeit in den freien Zeiten zwischen den bereits gebuchten Sitzungen nicht abhalten könne. Trotz dieser Mitteilung des beteiligten Betriebsratsvorsitzenden ist ihm danach noch eine weitere Therapie-Sitzung für den 22. September 2014 (Montag) um 11:00 Uhr in den Kalender gebucht worden. Davon hat der Betriebsratsvorsitzende zum Arbeitsantritt an diesem Montag Kenntnis bekommen. Der Betriebsratsvorsitzende hat noch am Montagmorgen gegen diesen zusätzlichen Termin bei der leitenden Psychologin protestiert und dabei angekündigt, dass er den Termin nicht wahrnehmen werde. Dabei ist er auch geblieben, als er im weiteren Verlauf des Vormittags von dem für ihn zuständigen Chefarzt zur Wahrnehmung des Termins aufgefordert wurde. Zum Therapiezeitpunkt war das Zimmer, in dem der Betriebsratsvorsitzende für die Patienten ansprechbar ist, verschlossen. Die betroffene Patientin wurde mit einem vom Betriebsratsvorsitzenden an der Tür angebrachten Zettel darauf hingewiesen, dass sie sich bei der leitenden Psychologin melden solle.

10

Der weitere Vorwurf gegen den Betriebsratsvorsitzenden stützt sich auf den Umstand, dass dieser sich am 4. Oktober 2014 (einem Samstag) Zugang zum Büro der Sekretärin des Chefarztes verschafft hat und sich an deren Computer eingeloggt hat.

11

Der Betriebsratsvorsitzende hat einen Schlüssel, mit dem er auch Zugang zu dem Büro der Sekretärin des Chefarztes hat; dort wird für ihn ein Postfach für die dienstliche Post vorgehalten. Der Betriebsratsvorsitzende gibt hier im Rechtsstreit an, er habe an jenem Tage versucht, im Betriebsratsbüro etwas auszudrucken, was nicht gelungen sei. Er hat sich darauf in das Büro der Sekretärin begeben, hat sich an deren Computer mit seiner eigenen ihm zugeteilten Nutzerkennung eingeloggt und – so der Vortrag hier – habe dort erfolgreich den Druck des Dokuments vornehmen können. Nachträgliche Recherchen der Arbeitgeberin haben keinen Hinweis darauf ergeben, dass der Computer oder der Drucker im Betriebsratsbüro oder das Netz an jenem Tag gestört waren.

12

Der nachgeschobene dritte Vorwurf steht in Zusammenhang mit der Mail des Betriebsratsvorsitzenden an den stellvertretenden Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats vom 14. November 2014 ("S. bleibt!" – Kopie als Anlage Ast 5 eingereicht, hier Blatt 51R und 52; wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen).

13

"S." ist der Rufname eines weiteren Mitglieds des beteiligten Betriebsrats. Die beteiligte Arbeitgeberin hatte versucht, das Arbeitsverhältnis zu diesem Betriebsratsmitglied zu kündigen. Der Betriebsrat hatte die Zustimmung verweigert und der Antrag der Arbeitgeberin, die verweigerte Zustimmung durch das Arbeitsgericht ersetzen zu lassen, war wenige Tage vor der Mail vom 14. November 2014 vom Arbeitsgericht abgelehnt worden. Betriebsrat und Betriebsratsvorsitzender gehen davon aus, dass die Arbeitgeberin jenes Zustimmungsersetzungsverfahren in Kenntnis des nicht ausreichenden Anlasses für eine Kündigung betrieben hatte und hatten dementsprechend scharf die Arbeitgeberseite intern dafür kritisiert. Unter anderem wurde auch der Gesamtbetriebsrat in die Kampagne einbezogen und der dortige stellvertretende Vorsitzende hatte sich nach Auffassung des beteiligten Betriebsrats hilfreich für die Sache eingesetzt.

14

Mit der fraglichen Mail hat sich der beteiligte Betriebsratsvorsitzende bei seinem Kollegen aus dem Gesamtbetriebsrat für seine Unterstützung in der Sache "S." bedankt und ihn über den Ausgang des Zustimmungsersetzungsverfahrens vor dem Arbeitsgericht unterrichtet (Absätze 1 bis 3 der Mail). Die folgenden 6 Absätze nutzt der Betriebsratsvorsitzende sodann, um das Arbeitgeberverhalten nochmals in scharfem Ton kritisch zu bewerten. Der Unternehmensleitung wird dort "professionelles Union-Busting" vorgeworfen. Weiter ist die Rede von "willfährigen Belegschaftsvertretern", die "Teile der Klinikleitung bei der bewusst herbeigeführten Spaltung unserer Belegschaft unterstützen". Schließlich wird der Klinikleitung "Rechtsnihilismus" vorgeworfen und die "Inszenierung von Kündigungsgründen".

15

Diese Mail hat der beteiligte Betriebsrat bzw. der beteiligte Betriebsratsvorsitzende zeitnah per Mail an alle Mitarbeiter der Klinik vor Ort, an den Gesamtbetriebsrat sowie an Mitarbeiter bei ver.di und beim Marburger Bund weitergeleitet. Außerdem ist die Mail zur weiteren Verbreitung an den "Verein ./. Arbeitsunrecht e.V.", an "work-watch e.V." und an das "Solidaritätskomitee gegen Betriebsratsmobbing" weitergeleitet worden.

16

Schließlich hat der Betriebsrat die Mail in dem Betriebsratsschaukasten vor Ort ausgehängt. Der Schaukasten befindet sich in einem Flur mit Ausgang zum Wirtschaftshof. Der Flur wird von den Patienten, wenn sie sich an die Ausschilderung in der Klinik halten, nicht benutzt. Patienten, die sich mit den örtlichen Verhältnissen vertraut gemacht haben, nutzen diesen Flur jedoch gelegentlich zur Abkürzung von Laufwegen.

17

Das Arbeitsgericht Stralsund – Kammern Neubrandenburg – hat den Antrag der Arbeitgeberin mit Beschluss vom 14. Juli 2015 zurückgewiesen (13 BV 3002/14). Das Arbeitsgericht ist davon ausgegangen, dass die Arbeitgeberin nicht ausreichend zur Einhaltung der Kündigungserklärungsfrist aus § 626 Absatz 2 BGB vorgetragen habe. Auf diesen Beschluss wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes vor dem Arbeitsgericht Bezug genommen.

18

Mit der rechtzeitig eingelegten und fristgemäß begründeten Beschwerde verfolgt die Arbeitgeberin ihr Begehren unverändert fort.

19

Die Arbeitgeberin kritisiert die angegriffene Entscheidung. Das Zustimmungsersetzungsverfahren sei noch rechtzeitig anhängig gemacht worden. Die Frist im Sinne von § 626 Absatz 2 BGB habe bezüglich keinem der Vorwürfe vor dem Tag der Anhörung des beteiligten Betriebsratsvorsitzenden anlaufen können, denn erst mit dessen Anhörung seien die Ermittlungen zur Aufklärung des Sacherhalts abgeschlossen worden. Da keiner der Mitarbeiter vor Ort zum Ausspruch von Kündigungen berechtigt sei, müsse sogar auf den Zeitpunkt abgestellt werden, zu dem die Unternehmensleitung von den Vorwürfen Kenntnis erlangt habe; der kaufmännische Direktor habe erst nach der abschließenden Anhörung des beteiligten Vorsitzenden die Unternehmensleitung von den einzelnen Vorfällen unterrichtet. Der Arbeitgeberin sei es auch nicht zuzumuten gewesen, die Aufklärung wegen der Ereignisse am 22. September 2014 und am 4. Oktober 2014 früher aufzunehmen oder schneller abzuschließen, denn der für die Aufklärung zuständige kaufmännische Direktor sei durch Urlaub und vorrangige Dienstgeschäfte an einer früheren Aufklärung verhindert gewesen.

20

Die Arbeitgeberin meint im Übrigen, jeder der drei Vorwürfe für sich reiche bereits aus, um eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grunde im Sinne von § 626 Absatz1 BGB zu begründen.

21

Am 22. September 2014 habe der Betriebsratsvorsitzende eine Arbeitsverweigerung begangen. Diese sei beharrlich gewesen, da er trotz Hinweis des Chefarztes auf die fehlenden Gründe für die Arbeitsverweigerung und trotz Androhung von Konsequenzen die Arbeit nicht aufgenommen habe. Insoweit sei der Beteiligte auch bereits einschlägig abgemahnt gewesen.

22

Am 4. Oktober 2014 habe der Betriebsratsvorsitzende versucht, sich unberechtigt Zugang zum Computer seines Chefarztes zu verschaffen. Der diesbezügliche Verdacht stehe im Raum, da es für die Verwendung des Computers im Zimmer der Sekretärin keinen sachlichen Anlass gegeben habe und es dem Betriebsratsvorsitzenden nicht gelungen sei, den Verdacht zu widerlegen.

23

Durch die breite Veröffentlichung der Mail vom 14. November 2014 habe der Betriebsratsvorsitzende gegen seine Pflicht zur Verschwiegenheit verstoßen. Außerdem habe er rechtswidrig einen internen Konflikt nach außen getragen und sich dabei noch verleumderisch und herablassend über die Unternehmensführung geäußert.

24

Die beteiligte Arbeitgeberin beantragt,

25

unter Abänderung des angegriffenen Beschlusses des Arbeitsgericht Stralsund – Kammern Neubrandenburg – vom 14. Juli 2015 (13 BV 3002/14) die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3 nach § 103 Absatz 2 BetrVG zu ersetzen.

26

Der beteiligte Betriebsrat und der beteiligte Betriebsratsvorsitzende beantragen übereinstimmend,

27

die Beschwerde der Arbeitgeberin zurückzuweisen.

28

Der Betriebsrat und sein Vorsitzender verteidigen die angegriffene Entscheidung des Arbeitsgerichts. Außerdem betonen sie, dass die von der Arbeitgeberin vorgetragenen Ereignisse eine Kündigung aus wichtigem Grunde nicht rechtfertigen könnten.

29

Die nicht abgehaltene Therapiesitzung am 22. September 2014 könne die Kündigung nicht rechtfertigen. Es fehle gänzlich an einem pflichtwidrigen Verhalten. Nach wie vor gehe die Arbeitgeberin rechtsirrig davon aus, ein Betriebsrat dürfe nur dann seinen Arbeitsplatz zum Zwecke der Aufnahme von Betriebsratsarbeit verlassen, wenn dies vom Arbeitgeber zuvor gestattet worden sei.

30

Der Vorwurf des versuchten Datendiebstahls wegen der Nutzung des Computers der Sekretärin des Chefarztes sei abwegig. Wie die Arbeitgeberin selber richtig vortrage, habe er sich an diesem Computer mit seiner eigenen ihm zugeteilten Nutzerkennung eingeloggt, er habe daher nur Zugriff auf seine eigenen Daten gehabt, genauso wie wenn er sich an seinem eigenen Rechner eingeloggt hätte.

31

Auch die Verbreitung der Mail vom 14. November 2014 könne die beabsichtigte Kündigung nicht rechtfertigen. Ein Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht sei nicht erkennbar. Der Betriebsratsvorsitzende habe keine personenbezogenen Daten, die ihm in Zusammenhang mit der Erfüllung seiner Arbeitsaufgabe bekannt geworden seien, verbreitet. Angesichts der Vorgeschichte bezüglich des Kündigungsversuchs gegenüber dem Kollegen "S." habe die Schärfe der Kritik und das Ausmaß der Verbreitung der Mail noch nicht die durch die Loyalitätspflicht gezogenen Grenzen überschritten.

32

Das Beschwerdegericht hat die beim Arbeitsgericht Stralsund entstandenen Akten 13 BV 1/14 (Antrag des Betriebsrats auf Wiedereinrichtung des Schaukastens am Ausgang zum Wirtschaftshof) und 13 BV 1/15 (Antrag der Arbeitgeberin auf Ausschluss des Betriebsratsvorsitzenden aus dem Betriebsrat), beide bereits seit längerem abgeschlossen, auf Anregung der Arbeitgeberin zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts beigezogen.

33

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrages der Beteiligten wird auf das Protokoll der Anhörung und Erörterung vor der Kammer und auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

34

Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist nicht begründet. Die gegen den Betriebsratsvorsitzenden erhobenen Vorwürfe rechtfertigen dessen Kündigung nicht.

1.

35

Die Weigerung des Betriebsratsvorsitzenden, am 22. September 2014 die kurzfristig in seinen Kalender eingetragene weitere Therapiesitzung um 11:00 Uhr durchzuführen, rechtfertigt eine Kündigung nicht.

a)

36

Der Arbeitgeberin ist der Nachweis nicht gelungen, dass der Betriebsratsvorsitzende damit beharrlich die Erfüllung der ihm aufgetragenen Arbeitsaufgabe verweigert hat.

37

Nach § 37 Absatz 2 BetrVG sind Mitglieder des Betriebsrats von ihren beruflichen Aufgaben zu befreien, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Das Betriebsratsmitglied entscheidet selbst, ob es zur Aufnahme von Betriebsratstätigkeit den Arbeitsplatz verlässt, eine Zustimmung des Arbeitgebers ist dazu nicht erforderlich (ständige Rechtsprechung seit BAG 30. Januar 1973 – 1 ABR 1/73 – AP Nr. 3 zu § 40 BetrVG 1972 = BB 1973, 474; zuletzt noch BAG 29. Juni 2011 – 7 ABR 135/09 – BAGE 138, 233 = AP Nr. 152 zu § 37 BetrVG 1972 = DB 2012, 747). Das Betriebsratsmitglied hat sich allerdings bei seinem Fachvorgesetzten möglichst frühzeitig abzumelden, damit dieser die Chance hat, die Arbeit entsprechend umzuorganisieren (BAG 29. Juni 2011 aaO).

38

In diesem Sinne hat sich der beteiligte Betriebsratsvorsitzende rechtzeitig vor dem 22. September 2012 zur Aufnahme von Betriebsratstätigkeit abgemeldet, denn er hat am 18. oder 19. September 2014 seinen Vorgesetzten darauf hingewiesen, dass sein Therapiekalender mit Stand vom 18. September 2014 voll sei, da er die noch bestehenden freien Zeitabschnitte für die Wahrnehmung von Betriebsratstätigkeit benötige. Mit der ordnungsgemäßen Anzeige der beabsichtigten Betriebsratstätigkeit für den 22. September 2014 ab 11:00 Uhr ist die Arbeitspflicht des beteiligten Betriebsratsvorsitzenden für die Zeit seiner Betriebsratstätigkeit entfallen. Er unterlag daher nicht mehr dem Weisungsrecht des Arbeitgebers. Demnach hat er sich weder weisungswidrig verhalten, noch hat er seine Arbeitspflicht vernachlässigt.

39

Die Arbeitgeberin hat keine geeigneten Umstände vorgetragen, die den Schluss gestatten, der beteiligte Vorsitzende hätte die Aufnahme von Betriebsratstätigkeit lediglich vorgeschoben, um sein Nichtstun oder eine in Wahrheit doch gegebene Arbeitsverweigerung verbergen zu können.

40

Allein aus dem Umstand, dass sich Arbeitgeber und Betriebsrat vorliegend darauf verständigt haben, dass der Vorsitzende des Betriebsrats für zwei im Voraus feststehende Tage der Woche von der Arbeit zum Zwecke der Erledigung von Betriebsratsaufgaben freigestellt wird, kann nicht geschlossen werden, dass Betriebsratsarbeit, die der Betriebsrat darüber hinaus für erforderlich hält, in Wahrheit nicht erforderlich ist. Denn durch das Anknüpfen an das Merkmal der Erforderlichkeit in § 37 Absatz 2 BetrVG hat der Gesetzgeber einen flexiblen Maßstab geschaffen, der je nach den konkreten betrieblichen Verhältnissen zur Freistellung in gänzlich unterschiedlichem Umfang führen kann.

41

Möchte der Arbeitgeber im Beschlussverfahren vortragen, das Betriebsratsmitglied habe die Aufnahme von Betriebsratstätigkeit lediglich vorgeschoben, muss er also Umstände vortragen, die einen solchen Verdacht nahelegen. Es gibt allerdings keine Erfahrungssätze über das übliche Maß erforderlicher Betriebsratstätigkeit in Abhängigkeit von der Betriebs- oder der Betriebsratsgröße. Der Arbeitgeber müsste also grob die derzeit anstehenden Aufgaben des Betriebsrats skizzieren und diese der bisher dafür aufgewendeten Zeit gegenüberstellen. Derartigen Vortrag hat die Arbeitgeberin hier nicht ansatzweise geleistet. Abgesehen davon spricht schon allein die große Anzahl der Beschlussverfahren, die derzeit mit Beteiligung der Arbeitgeberin wegen des Betriebes auf U. bei Gericht anhängig sind oder jüngst anhängig waren, dafür, dass der zeitliche Aufwand der Betriebsratstätigkeit in diesem Betrieb derzeit außergewöhnlich hoch ist.

b)

42

Im Übrigen geht das Beschwerdegericht mit dem Arbeitsgericht davon aus, dass die Arbeitgeberin schon deshalb die beabsichtigte Kündigung nicht auf den Vorfall vom 22. September 2014 stützen kann, da die Kündigungserklärungsfrist aus § 626 Absatz 2 BGB nicht eingehalten ist.

43

Nach § 626 Absatz 2 Satz 1 BGB kann eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt nach Absatz 2 Satz 2 der Norm mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Der Kündigungsberechtigte, der bislang nur Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann deshalb nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Absatz 2 BGB zu laufen begänne. Sind die Ermittlungen abgeschlossen und hat er eine hinreichende Kenntnis vom Kündigungssachverhalt, beginnt der Lauf der Ausschlussfrist (BAG 21. Februar 2013 – 2 AZR 433/12 – AP Nr. 51 zu § 626 BGB Ausschlussfrist = NZA-RR 2013, 515; BAG 25. November 2010 – 2 AZR 171/09 – AP Nr. 231 zu § 626 BGB; BAG 17. März 2005 – 2 AZR 245/04 – AP Nr. 46 zu § 626 BGB Ausschlussfrist = NZA 2006, 101).

44

Neben den Mitgliedern der Organe von juristischen Personen und Körperschaften gehören zu den kündigungsberechtigten Personen auch die Mitarbeiter, denen der Arbeitgeber das Recht zur außerordentlichen Kündigung übertragen hat. Dagegen ist die Kenntnis anderer Personen für den Lauf der Ausschlussfrist grundsätzlich unbeachtlich. Dies gilt auch dann, wenn den Mitarbeitern Aufsichtsfunktionen übertragen worden sind. Nur ausnahmsweise muss sich der Arbeitgeber die Kenntnis solcher Personen nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) zurechnen lassen. Dazu müssen diese Personen eine herausgehobene Position und Funktion im Betrieb haben sowie tatsächlich und rechtlich in der Lage sein, einen Sachverhalt, der Anhaltspunkte für eine außerordentliche Kündigung bietet, so umfassend zu klären, dass mit ihrer Mitteilung der Kündigungsberechtigte ohne weitere eigene Nachforschungen seine (Kündigungs-)Entscheidung abgewogen treffen kann. Dementsprechend müssen diese Mitarbeiter in einer ähnlich selbständigen Stellung sein, wie ein gesetzlicher oder rechtsgeschäftlicher Vertreter des Arbeitgebers. Voraussetzung für eine Zurechenbarkeit der Kenntnisse dieser Personen zum Arbeitgeber ist ferner, dass die Verzögerung bei der Kenntniserlangung in dessen eigener Person auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebs oder der Verwaltung beruht (BAG 21. Februar 2013 aaO; BAG 23. Oktober 2008 – 2 AZR 388/07 – AP Nr. 217 zu § 626 BGB = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 23; BAG 26. November 1987 - 2 AZR 312/87 – RzK I 6g Nr. 13).

45

Gemessen an diesem Maßstab war die Kündigungserklärungsfrist wegen des Vorwurfs der Arbeitsverweigerung am 22. September 2014 schon lange vor Eingang der Antragsschrift beim Arbeitsgericht am 6. November 2014 abgelaufen. Denn der kaufmännische Leiter der Klinik muss aufgrund seiner betrieblichen Stellung als einer kündigungsberechtigten Person gleichgestellt behandelt werden. Außerdem beruht die verspätete Kenntnis der tatsächlich kündigungsberechtigten Personen auf der Leitungsebene des Unternehmens auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebes und der kaufmännische Leiter der Klinik hat die Aufklärung des Sachverhalts nicht zügig vorangetrieben. Daher hat die Kündigungserklärungsfrist bereits mit dem 22. September 2014 zu laufen begonnen.

aa)

46

Es kann dahinstehen, ob der kaufmännische Leiter der Klinik tatsächlich wie von der Arbeitgeberin behauptet keine Berechtigung hat, Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter vor Ort durch Kündigung zu beenden. Denn nach der oben zitierten Rechtsprechung ist er einer kündigungsberechtigten Person gleichzustellen, weil er im Betrieb in C-Stadt eine herausgehobene Funktion und Stellung hat und er tatsächlich und rechtlich in der Lage war, den Kündigungssachverhalt abschließend aufzuklären. Letzteres ergibt sich indirekt schon daraus, dass die kündigungsberechtigte Unternehmensleitung dem Vorschlag des kaufmännischen Direktors zur Einleitung der Kündigung ohne weitere eigene Ermittlungen zugestimmt hat.

bb)

47

Nach Lage der Dinge muss das Gericht auch davon ausgehen, dass die verzögerte Unterrichtung der kündigungsberechtigten Unternehmensleitung auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebes bei der Arbeitgeberin beruht.

48

Nach dem Vortrag der beteiligten Arbeitgeberin hat der kaufmännische Leiter der Klinik die kündigungsberechtigten Personen von dem hier streitigen Kündigungsanlass erst in Zusammenhang mit dem abschließenden Bericht nach Anhörung des beteiligten Vorsitzenden am 27. Oktober 2014 unterrichtet und diese späte Unterrichtung ist ihm nicht als pflichtwidriges Verhalten zum Vorwurf gemacht worden.

49

Diese Umstände offenbaren einen offensichtlichen Mangel in der Organisation des Betriebes. Denn durch die fehlende Pflicht des kaufmännischen Leiters, bereits bei Vorliegen von Anhaltspunkten für einen Kündigungsgrund der Unternehmensleitung zu berichten, begibt diese sich der Möglichkeit, steuernd in den weiteren Prozess einzugreifen. Gleichzeitig wird damit die Möglichkeit eröffnet, den Rückgriff auf einen vorhandenen Kündigungsgrund nahezu beliebig in die Länge zu ziehen, was gerade der Grund dafür war, dass die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die auf § 242 BGB aufbauende Rechtsprechung zur Zurechnung der Kenntnisse führender Mitarbeiter entwickelt hat, die nicht ihrerseits kündigungsberechtigt sind. Daher muss die fehlende Berichtspflicht des kaufmännischen Leiters der Klinik bei Auftauchen von Anhaltspunkten für einen Kündigungsgrund als eine unsachgemäße Betriebsorganisation bewertet werden.

cc)

50

Der kaufmännische Leiter der beteiligten Arbeitgeberin kann sich nicht auf das fehlende Anlaufen der Kündigungserklärungsfrist aus § 626 Absatz 2 BGB wegen weiterer Bemühungen zur Aufklärung des Sachverhalts berufen, da nicht erkennbar ist, welche Bemühungen er zwischen dem 22. September und dem Tag der Anhörung des beteiligten Vorsitzenden am 27. Oktober 2014 überhaupt zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts unternommen hat. Das Gericht ist daher nicht in der Lage die Feststellung zu treffen, die Aufklärung sei zügig vorgenommen worden. Die von Arbeitgeberseite vorgetragenen Gründe für die zögerliche Aufklärung (Urlaub und vorrangige Dienstaufgaben) sind nicht tragfähig.

2.

51

Die Nutzung des Computers der Sekretärin des Chefarztes am 4. Oktober 2014 durch den beteiligten Vorsitzenden rechtfertigt eine Kündigung nicht.

a)

52

Zugunsten der Arbeitgeberin kann unterstellt werden, es gäbe im Betrieb eine verbindliche Anweisung an alle Arbeitnehmer, sich stets nur an ihrem eigenen Computer im System einzuloggen.

53

Denn ein Verstoß gegen eine solche Ordnungsvorschrift könnte ohne Hinzutreten weiterer Umstände eine Kündigung ohne vorherigen Ausspruch einer Abmahnung nicht rechtfertigen.

b)

54

Die Sorge der Arbeitgeberin, der beteiligte Vorsitzende hätte mit der Nutzung des Geräts der Sekretärin des Chefarztes zum Einloggen im System unberechtigt Zugriff auf Dateien und Dokumente bekommen, zu deren Kenntnis er nicht berechtigt ist, kann das Gericht mangels näheren Tatsachenvortrages dazu seiner Entscheidung nicht zu Grunde legen.

55

Bereits vorbereitend zum Termin zur Anhörung und Erörterung hatte der Kammervorsitzende darauf hingewiesen, dass nach seinem Erfahrungswissen, die Möglichkeiten des Zugriffs auf Dateien und Dokumente nicht dadurch vergrößert werden könne, dass man sich an einem anderen Gerät in das System einlogge. Das war mit der Auflage verbunden gewesen, dazu vorzutragen, weshalb dies bei dem in der Klinik genutzten IT-System anders sein solle. Entsprechender Vortrag ist nicht geleistet worden.

56

Im Termin zur Anhörung und Erörterung ist dann noch darauf hingewiesen worden, dass eine Speicherung von Dateien durch die Sekretärin in Abweichung von den durch das System vorgeschlagenen Speicherorten (z.B. im Stammverzeichnis der lokalen Festplatte) gegebenenfalls dazu führen könne, dass Dritte, die sich an dem Gerät mit ihrer eigenen Kennung anmelden, dennoch Zugriff auf solche nicht den Richtlinien entsprechend abgespeicherten Dateien eines anderen Nutzers haben könnten. Die Arbeitgeberin hat aber nicht die Behauptung aufgestellt, die Sekretärin des Chefarztes habe ihre Dateien – oder auch nur einige ihrer Dateien – auf diese nicht sachgemäße Weise abgespeichert.

57

Damit reduziert sich die Sorge der Arbeitgeberin auf die Vermutung, der beteiligte Vorsitzende verfüge über Kenntnisse und Fähigkeiten sich am Computer mehr Rechte verschaffen zu können, um so einen Zugriff auf fremde Dateien zu bekommen. Da für diese Vermutung keine indiziellen Tatsachen vorgetragen sind, kann das Gericht darauf seine Entscheidung nicht stützen. Allein der Umstand, dass die vom beteiligten Vorsitzenden gegebene Begründung für sein Verhalten (Druckerstörung an seinem eigenen Gerät) anhand der Protokolldateien des Systems angeblich nicht nachvollzogen werden kann, rechtfertigt noch nicht derart weitgehende Schlüsse.

c)

58

Im Übrigen war die Kündigungserklärungsfrist aus § 626 Absatz 2 BGB, was das Arbeitsgericht richtig gesehen hat, auch bezüglich dieses Vorwurfs bereits lange vor Einleitung des vorliegenden Beschlussverfahrens abgelaufen. Wegen der Einzelheiten kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.

3.

59

Auch die Veröffentlichung der Mail vom 14. November 2014 reicht zur Begründung der beabsichtigen Kündigung nicht aus.

a)

60

Soweit der Vorsitzende mit der breit gestreuten Veröffentlichung der Mail und deren Aushang im Schaukasten des Betriebsrats möglicherweise gegen seine betriebsverfassungsrechtliche Verschwiegenheitspflicht (§ 79 BetrVG) verstoßen hat, kann daraus nicht das Recht zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses abgeleitet werden, denn das Betriebsverfassungsgesetz sieht in § 23 BetrVG eigene Sanktionen für Verstöße gegen betriebsverfassungsrechtliche Pflichten vor (LAG Mecklenburg-Vorpommern 27. November 2013 – 3 Sa 101/13 – juris.de). Gleiches gilt, soweit man auf eine ergänzende Verschwiegenheitspflicht, die sich aus dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit ableitet, abstellen würde. Auch die Verletzung dieser betriebsverfassungsrechtlichen Pflicht kann allein mit betriebsverfassungsrechtlichen Sanktionen geahndet werden.

b)

61

Die Kündigung lässt sich auch nicht auf einen Verstoß gegen das arbeitsvertragliche Gebot zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers aus § 241 Absatz 2 BGB ableiten.

62

Insoweit ist allerdings in der Rechtsprechung anerkannt, dass auch die Mitglieder des Betriebsrats wie alle anderen Arbeitnehmer in dem durch § 241 Absatz 2 BGB gezogenen Rahmen Rücksicht auf die Interessen ihres Arbeitgebers zu nehmen haben. Auch dann, wenn eine Handlung eines Betriebsratsmitglieds gleichzeitig Amtspflichten als auch arbeitsvertragliche Pflichten verletzt oder aber die Vertragsverletzung nur deshalb eingetreten ist, weil der Arbeitnehmer als Betriebsratsmitglied tätig geworden ist, kann ein wichtiger Grund zur Kündigung im Sinne des § 626 Absatz 1 BGB vorliegen (LAG Mecklenburg-Vorpommern 27. November 2013 aaO). Mit Rücksicht auf die besondere Konfliktsituation, in der sich das Betriebsratsmitglied aufgrund seiner Amtsstellung ohnehin befindet, ist die außerordentliche Kündigung aber nur gerechtfertigt, wenn unter Anlegung eines besonders strengen Maßstabs das pflichtwidrige Verhalten auch als schwerer Verstoß gegen die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis zu werten ist. (BAG 23. Oktober 2008 – 2 ABR 59/07 – AP Nr. 58 zu § 103 BetrVG 1972 = DB 2009, 1131).

c)

63

Ein in diesem Sinne schwerer Verstoß gegen die Rücksichtnahmepflichten aus § 241 Absatz 2 BGB kann im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden.

aa)

64

In der beanstandeten Mail hat der beteiligte Vorsitzende keine falschen Tatsachen mit Bezug auf die Arbeitgeberin behauptet.

65

Behauptungen tatsächlicher Art werden in der Mail nur wenige aufgestellt. Im ersten Absatz wird die Historie des Konflikts rund um den Versuch, den Betriebsratskollegen "S." zu kündigen, wiedergegeben. Im zweiten Absatz wird der Ausgang des Rechtsstreits um die beabsichtigte Kündigung des Betriebsratskollegen "S." geschildert. Außerdem gibt es bruchstückhaft Hinweise auf einen Entgeltkonflikt im Betrieb (3. und 5. Absatz).

66

Keine der an den genannten Stellen wiedergegebenen Behauptungen ist erkennbar falsch. Insoweit stellt auch die Arbeitgeberin keine gegenteiligen Behauptungen auf.

bb)

67

Soweit der beteiligte Vorsitzende in der Mail das Verhalten der Arbeitgeberin scharf kritisiert und ihr Handeln bewertet, handelt es sich um die Äußerung seiner Meinung, was ihm grundsätzlich nicht verboten ist.

68

Während Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit geprägt werden und der Überprüfung mit Mitteln des Beweises vor Gericht zugänglich sind, handelt es sich bei einer Meinung um eine Äußerung, die durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt ist. Bei der Frage, ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Tatsachenbehauptung oder als Werturteil anzusehen ist, kommt es entscheidend auf den Gesamtkontext der fraglichen Äußerung an. Die Abgrenzung zwischen Werturteilen und Tatsachenbehauptungen kann im Einzelfall schwierig sein, vor allem deswegen, weil die beiden Äußerungsformen nicht selten miteinander verbunden werden und erst gemeinsam den Sinn einer Äußerung ausmachen. In solchen Fällen ist der Begriff der Meinung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes weit zu verstehen: Sofern eine Äußerung, in der Tatsachen und Meinungen sich vermengen, durch die Elemente der Stellungnahme des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind, wird sie als Meinung von dem Grundrecht geschützt. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Trennung der wertenden und der tatsächlichen Gehalte, den Sinn der Äußerung aufhöbe oder verfälsche. Würde in einem solchen Fall das tatsächliche Element als ausschlaggebend angesehen, so könnte der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit wesentlich verkürzt werden (BVerfG 4. August 2016 – 1 BvR 2619/13 – juris.de).

69

Legt man diesen Maßstab an, muss der Vorwurf des "professionellen Union-Busting" (6. Absatz), der Vorwurf der "bewusst herbeigeführten Spaltung der Belegschaft" (8. Absatz) und der "Inszenierung von Kündigungsgründen" (9. Absatz) als bloße Meinungsäußerung bewertet werden und nicht als Tatsachenbehauptung. Gemeinsam ist allen Vorwürfen, dass der beteiligte Vorsitzende der Arbeitgeberin in ihrem Handeln gegenüber dem Betriebsrat – untechnisch ausgedrückt – eine feindliche Einstellung unterstellt. (professionelles Busting, bewusste Spaltung, Inszenierung). Diese innere Einstellung der Arbeitgeberin könnte rechtlich allenfalls als sogenannte innere Tatsachen bezeichnet werden. Damit wäre sie aber keine Tatsachen im Sinne der aufgezeigten Rechtsprechung, da sie einem Beweis nicht zugänglich sind. Auf innere Tatsachen kann nur mittels geeigneter Indiztatsachen mittelbar geschlossen werden. Da solche vom beteiligten Vorsitzenden nicht geäußert wurden, handelt es sich bei seiner Einschätzung der inneren Einstellung der Arbeitgeberin bei ihrem Handeln gegenüber dem Betriebsrat um eine bloße Meinungsäußerungen.

70

Die Meinungsäußerung durch den beteiligten Vorsitzenden kann auch unter Berücksichtigung der gesteigerten Rücksichtnahmepflicht im Arbeitsverhältnis noch nicht als pflichtwidrig angesehen werden. Meinungsäußerungen im Betrieb können insbesondere dann pflichtwidrig sein, wenn sie betriebliche Auswirkungen haben, also den Betriebsfrieden stören oder den Arbeitsablauf zum Erliegen bringen. Dass die Mail vom 14. November 2014 derartige Wirkungen gezeitigt hat, ist weder von der Arbeitgeberin vorgetragen noch sonst ersichtlich.

cc)

71

Der beteiligte Vorsitzende mag sich in der Mail an mancher Stelle im Ton vergriffen haben, die Herabsetzung oder Schmähung bestimmter Personen kann aber nicht erkannt werden.

72

Dazu ist zunächst hervorzuheben, dass die Arbeitgeberin, eine juristische Person in Form einer Kommanditgesellschaft mit Komplementär-GmbH, in der Mail des beteiligten Vorsitzenden sozusagen anonym bleibt. Es wird keine Person beim Namen genannt, bei der die feindliche Einstellung gegeben sein soll, vielmehr ist immer nur von "Teilen der Klinikleitung" oder von einzelnen "Klinikleitungsmitgliedern" die Rede. Für das Gericht als außenstehender Stelle geht nicht einmal eindeutig hervor, ob die Kritik dem örtlichen Leitungspersonal am Klinikstandort gilt oder dem Führungspersonal am Sitz des Unternehmens. Schon aus diesem Grunde scheidet die Annahme aus, der beteiligte Vorsitzende habe in der Mail einzelne Personen herabgesetzt oder gar beleidigt.

73

Zusätzlich ist der Umstand in die Bewertung mit einzubeziehen, dass die Mail in einem Kontext steht, der durch einen inzwischen schon mehrjährigen beiderseits eifrig befeuerten Konflikt zwischen der örtlichen Klinikleitung und dem beteiligten Betriebsrat steht, der beiderseits zu einer für Außenstehende nicht mehr nachvollziehbaren Verrohung der Umgangsformen geführt hat. Selbst wenn man also den Standpunkt vertreten würde, dass sich der beteiligte Vorsitzende in der Mail im Ton pflichtwidrig vergriffen habe, könnte dies die beabsichtigte Kündigung nicht rechtfertigen.

dd)

74

Man kann dem beteiligten Vorsitzenden allerdings vorwerfen, dass er mit der öffentlichen Verbreitung der Mail einen innerbetrieblichen Konflikt ohne Not nach außen getragen hat und damit dem nach außen untadeligen Ruf der Arbeitgeberin Schaden zugefügt hat.

75

Es ist anerkannt, dass Arbeitnehmer verpflichtet sind, bei innerbetrieblichen Konflikten zunächst eine innerbetriebliche Lösung anzustreben. Dabei muss gegebenenfalls auch eine innerbetriebliche Eskalationsleiter durchlaufen werden. Außenstehende Stellen dürfen erst dann eingeschaltet werden, wenn man innerbetrieblich kein Gehör findet. Soweit man außenstehende Stellen meint einschalten zu müssen, sollte man sich zusätzlich auf solche Stellen konzentrieren, von denen Hilfe erwartet werden kann und deren Einschaltung möglichst keine nicht unberechenbaren Nebenwirkungen nach sich ziehen kann. Daher ist die Einschaltung der Presse in aller Regel ein ungeeignetes Mittel für die Suche nach Unterstützung in einem innerbetrieblichen Konflikt.

76

Legt man diesen Maßstab zu Grunde, war die Verbreitung der Mail vom 14. November 2014 gegenüber außenstehenden Stellen pflichtwidrig. Soweit es um den Vorfall des Kündigungsversuchs gegenüber dem Betriebsratskollegen "S." ging, war der Konflikt durch die Entscheidung des Arbeitsgerichts abgeschlossen. Es bestand kein sachlicher Anlass mehr, hier nochmals Öl ins Feuer zu gießen. Soweit es in der Mail um den angedeuteten Konflikt um die innerbetriebliche Lohngerechtigkeit geht, ist überhaupt nicht erkennbar, dass insoweit die innerbetrieblichen Konfliktlösungsmechanismen bereits ausgeschöpft waren. Damit ist im Ergebnis festzustellen, dass sich der beteiligte Vorsitzende ohne konkreten Anlass über seinen Arbeitgeber gegenüber Dritten in einer Art und Weise geäußert hat, die geeignet ist, den Ruf der Arbeitgeberin zu beschädigen.

77

Die Gefahr der Rufschädigung wird durch den Kreis der Adressaten, an die sich die Mail gerichtet hatte, nicht verringert. Soweit der Vorsitzende die Mail auch an soziale Aktionsplattformen versendet hat, die damit werben, die Missachtung des Rechts im Arbeitsverhältnis und im Betrieb bekämpfen zu wollen, musste ihm klar sein, dass er damit einen Stein losgetreten hat, der – wenn die sozialen Aktionsplattformen darauf anspringen – geeignet ist, eine unkontrollierbare Lawine auszulösen.

78

Gleichwohl sieht sich das Gericht nicht in der Lage, allein auf Grund dieses Pflichtverstoßes die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zu der Kündigung zu ersetzen.

79

So ist es bereits zweifelhaft, ob man angesichts der bereits oben angesprochenen Verrohung im Umgang der Beteiligten miteinander noch von einem schweren Pflichtverstoß des beteiligten Vorsitzenden sprechen kann. Zum anderen muss man, gerade soweit man dem beteiligten Vorsitzenden einen aus seiner inneren Einstellung abgeleiteten Vorwurf machen will, nach der oben zitierten Rechtsprechung einen besonders strengen Maßstab anlegen. Unter Anlegung dieses besonders strengen Maßstabes steht es nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass es dem beteiligten Vorsitzenden bei der Weiterleitung der Mail an die genannten sozialen Aktionsplattformen klar war, was er dadurch – wenn diese auf das Thema anspringen – auslösen konnte. Schließlich hat das Gericht bei seiner Bewertung zu Gunsten des Vorsitzenden noch berücksichtigt, dass die deftigen Äußerungen über die Arbeitgeberin nahezu gänzlich ohne tatsächliche Belege erhoben wurden; Beschimpfungen dieser Art ohne ausreichende tatsächliche Belege haben nicht das Zeug dazu, sich im Netz aufgrund der ausgelösten Empörung explosionsartig zu verbreiten.

ee)

80

Das Geschehen ist auch unter Berücksichtigung der Mail im Schaukasten des Betriebsrats im Flur zum Wirtschaftshof nicht anders zu bewerten.

81

Wie aus der beigezogenen Akte 13 BV 1/14 beim Arbeitsgericht Stralsund ersichtlich, ist der Standort des Schaukastens des Betriebsrats unter dem Gesichtspunkt der Einsichtsmöglichkeit durch Patienten der Klinik nicht optimal gewählt. Da die Arbeitgeberin dem Betriebsrat jedoch keinen anderen besser geeigneten Platz für den Schaukasten angeboten hat, muss sie mit dem von ihr selbst mit geschaffenen Risiko leben, dass Patienten der Klinik einen neugierigen Blick auf die Mitteilungen des Betriebsrats werfen und damit Dinge erfahren, die sie eigentlich nichts angehen. Eine Einschränkung des Rechts des Betriebsrats, die Belegschaft über wichtige Dinge durch Aushang zu unterrichten, wird man aus der bisher nicht erfolgreich umgesetzten gesetzlichen Pflicht, dem Betriebsrat eine solche Fläche zur Verfügung zu stellen, nicht folgern können.

III.

82

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde aus §§ 72, 92 ArbGG sind nicht erfüllt

(1) Für die Einlegung und Begründung der Beschwerde gilt § 11 Abs. 4 und 5 entsprechend.

(2) Die Beschwerdeschrift muß den Beschluß bezeichnen, gegen den die Beschwerde gerichtet ist, und die Erklärung enthalten, daß gegen diesen Beschluß die Beschwerde eingelegt wird. Die Beschwerdebegründung muß angeben, auf welche im einzelnen anzuführenden Beschwerdegründe sowie auf welche neuen Tatsachen die Beschwerde gestützt wird.

(3) Ist die Beschwerde nicht in der gesetzlichen Form oder Frist eingelegt oder begründet, so ist sie als unzulässig zu verwerfen. Der Beschluss kann ohne vorherige mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden ergehen; er ist unanfechtbar. Er ist dem Beschwerdeführer zuzustellen. § 522 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung ist nicht anwendbar.

(4) Die Beschwerde kann jederzeit in der für ihre Einlegung vorgeschriebenen Form zurückgenommen werden. Im Falle der Zurücknahme stellt der Vorsitzende das Verfahren ein. Er gibt hiervon den Beteiligten Kenntnis, soweit ihnen die Beschwerde zugestellt worden ist.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 1. Juli 2011 - 8 TaBV 656/11 - wird zurückgewiesen.

Gründe

1

A. Die Beteiligten streiten über die gerichtliche Durchsetzung des Beweisbeschlusses einer Einigungsstelle.

2

Die Arbeitgeberin betreibt ein Unternehmen, das bundesweit Dienstleistungen im Bereich des Geld- und Werttransportes erbringt. Antragsteller ist der im B Betrieb gebildete Betriebsrat.

3

Im Dezember 2008 errichteten die Betriebsparteien eine Einigungsstelle zum Thema „Gefährdungsbeurteilung und Unterweisung“. In ihrer achten Sitzung fasste diese mehrheitlich den Beschluss, alle Arbeitsplätze der Geschäftsstelle B und ausgesuchte andere Arbeitsplätze gemeinsam zu begehen. Dabei sollten ua. auch die Arbeitsplätze an Geldausgabeautomaten in Augenschein genommen sowie die Arbeitsplätze der Fahrer beladener Transporte in einer Geldschleuse besichtigt werden. Zu der beschlossenen Besichtigung der Arbeitsplätze ist es bislang nicht gekommen.

4

Der Betriebsrat hat geltend gemacht, die Arbeitgeberin habe die Begehung der in dem Zwischenbeschluss der Einigungsstelle aufgeführten Arbeitsplätze durch die Mitglieder der Einigungsstelle zu dulden. Ohne die beschlossenen Ortsbesichtigungen könnten die Gefährdungspotenziale der Arbeitsplätze nicht abschließend beurteilt werden.

5

Der Betriebsrat hat beantragt,

        

der Arbeitgeberin aufzugeben, unter Androhung eines Ordnungsgeldes, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, die Durchführung des Beschlusses der Einigungsstelle zum Regelungsgegenstand „Gefährdungsbeurteilung und Unterweisung“ zu dulden, der wie folgt lautet: Es soll nunmehr eine gemeinsame Begehung der Einigungsstelle aller Arbeitsplätze der Geschäftsstelle B am Betriebsstandort B, einschließlich der Büroarbeitsplätze, ebenso stattfinden, wie auch der exemplarisch ausgesuchten Arbeitsplätze an den GAA (Geldausgabe-Automaten)-Standorten S, Ha sowie He. Weiterhin soll die Einigungsstelle als Beispiel für Arbeitsplätze der Fahrer beladene Geldtransporter in der Geldschleuse besichtigen, die nachmittags zwischen ca. 13:00 bis 15:00 Uhr von ihrer Tour in der Geschäftsstelle B ankommen, bevor die Ladung mit dem Geld in der Geldbearbeitung entladen wird. Exemplarisch hierfür sollen die unterschiedlich beladenen Fahrzeuge (mit 3,5 Tonnen) der Tour Nr. 50 (Hartgeld), der Tour Nr. 2 (normale Mischtour) und der LZB (Landeszentralbank)-Tour Nr. 25 (mit einem LKW von 12 Tonnen als Fahrzeug) besichtigt werden.

6

Die Arbeitgeberin hat Antragsabweisung beantragt.

7

Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt dieser sein Begehren weiter.

8

B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet, weil bereits die Beschwerde des Betriebsrats gegen den erstinstanzlichen Beschluss des Arbeitsgerichts unzulässig war.

9

I. Die Zulässigkeit der Beschwerde ist eine vom Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu prüfende Prozessfortführungsvoraussetzung für die Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens (vgl. BAG 27. Juli 2010 - 1 AZR 186/09 - Rn. 17, NZA 2010, 1446).

10

II. Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts war unzulässig.

11

1. Nach § 89 Abs. 2 Satz 2 ArbGG iVm. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO ist Voraussetzung einer ordnungsgemäßen Beschwerdebegründung die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Die Beschwerdebegründung muss sich mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Beschlusses befassen. Allgemeine, formelhafte Wendungen genügen hierfür nicht. Auch darf sich der Beschwerdeführer nicht darauf beschränken, seine Rechtsausführungen aus den Vorinstanzen zu wiederholen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass der Beschwerdeführer die angefochtene Entscheidung im Hinblick auf das Rechtsmittel überprüft und mit Blickrichtung auf die Rechtslage durchdenkt (vgl. BAG 27. Juli 2010 - 1 AZR 186/09 - Rn. 13, NZA 2010, 1446).

12

2. Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung des Betriebsrats nicht. Der Betriebsrat hat hierin lediglich seine Rechtsauffassung dargelegt, ohne sich mit den Begründungsansätzen des Arbeitsgerichts zur Unzulässigkeit des Antrags auseinanderzusetzen.

13

a) Das Arbeitsgericht hat zur Begründung der Antragsabweisung ausgeführt, der Antrag des Betriebsrats sei schon deshalb unzulässig, weil das Einigungsstellenverfahren noch nicht abgeschlossen sei und der Betriebsrat dessen Fortsetzung verlangen könne. Des Weiteren hat es angenommen, es gebe keine Rechtsgrundlage dafür, dass der Betriebsrat für die Einigungsstelle mithilfe des Gerichts als Vollstreckungsorgan fungiere. Beschlüsse der Einigungsstelle seien kraft Gesetzes nicht vollstreckungsfähig. Auch für Zwischenbeschlüsse sei von Gesetzes wegen eine Zwangsvollstreckung nicht vorgesehen. Die Durchsetzung solcher Beschlüsse könne mangels gesetzlicher Grundlage auch nicht durch das Arbeitsgericht erzwungen werden.

14

b) In der Beschwerdebegründung wendet sich der Kläger zunächst gegen die Auffassung des Arbeitsgerichts, der Antrag sei unzulässig, weil das Einigungsstellenverfahren nicht abgeschlossen sei. Hierzu macht er geltend, die Fortsetzung des Einigungsstellenverfahrens habe mit dem anhängigen Beschlussverfahren nichts „gemeinsam“. Dies ergebe sich bereits aus dem Regelungsgegenstand der Einigungsstelle, der sich nicht nur auf die Gefährdungsbeurteilung, sondern auch auf die Unterweisung beziehe. Schon wegen der bisher nicht verhandelten Unterweisung sei die Einigungsstelle fortzusetzen, ohne dass sich dies negativ auf das anhängige Beschlussverfahren auswirken dürfe. Im Anschluss daran meint er, es könne nicht sein, dass die Einigungsstelle rechtsschutzlos bleibe, weil sich die Arbeitgeberin weigere, der Durchführung des Zwischenbeschlusses zuzustimmen. Da es sich bei der angestrebten Betriebsvereinbarung um eine „gestaltende Betriebsvereinbarung“ handele und diese Gestaltung durch die Einigungsstelle erst erfolgen könne, wenn diese sich über alle erforderlichen Tatsachen ein eigenes Bild verschafft habe, sei es Aufgabe einer der Betriebsparteien der Einigungsstelle die Durchsetzung eines Zwischenbeschlusses zu ermöglichen. Soweit Beschlüsse der Einigungsstelle kraft Gesetzes nicht selbst vollstreckungsfähig seien, müsse für den Betriebsrat die Möglichkeit gegeben sein, diese Beschlüsse gerichtlich erwirken zu können, um sicherzustellen, dass der gesetzliche Auftrag, die Einigung vollständig abzuschließen, erfüllt werden könne.

15

c) Damit legt der Betriebsrat lediglich seine Rechtsauffassung dar. Mit der Begründung des Arbeitsgerichts zur fehlenden Anspruchsgrundlage für sein Begehren setzt er sich an keiner Stelle inhaltlich auseinander. Seine Beschwerdebegründung erschöpft sich in der pauschalen Behauptung, es könne nicht sein, dass der Zwischenbeschluss der Einigungsstelle nicht gerichtlich durchgesetzt werden könne. Erst in dem nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist als Replik auf die Beschwerdebeantwortung der Arbeitgeberin eingegangenen Schriftsatz vom 28. Juni 2011 hat der Betriebsrat geltend gemacht, ein derartiger „Durchsetzungsanspruch“ müsse sich zumindest aus „§ 76 BetrVG iVm. § 242 BGB“ ergeben. Hierdurch wird jedoch der Mangel der Beschwerdebegründung nicht geheilt.

        

    Schmidt    

        

    Koch    

        

    Linck    

        

        

        

    Manfred Genz    

        

    N. Schuster    

                 

(1) Arbeitgeber und Betriebsrat sollen mindestens einmal im Monat zu einer Besprechung zusammentreten. Sie haben über strittige Fragen mit dem ernsten Willen zur Einigung zu verhandeln und Vorschläge für die Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zu machen.

(2) Maßnahmen des Arbeitskampfes zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat sind unzulässig; Arbeitskämpfe tariffähiger Parteien werden hierdurch nicht berührt. Arbeitgeber und Betriebsrat haben Betätigungen zu unterlassen, durch die der Arbeitsablauf oder der Frieden des Betriebs beeinträchtigt werden. Sie haben jede parteipolitische Betätigung im Betrieb zu unterlassen; die Behandlung von Angelegenheiten tarifpolitischer, sozialpolitischer, umweltpolitischer und wirtschaftlicher Art, die den Betrieb oder seine Arbeitnehmer unmittelbar betreffen, wird hierdurch nicht berührt.

(3) Arbeitnehmer, die im Rahmen dieses Gesetzes Aufgaben übernehmen, werden hierdurch in der Betätigung für ihre Gewerkschaft auch im Betrieb nicht beschränkt.

Tenor

1. Die Beschwerde der beteiligten Arbeitgeberin wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

1

Die beteiligte Arbeitgeberin (Beteiligte zu 1) verlangt, dass die vom beteiligten Betriebsrat (Beteiligter zu 2) verweigerte Zustimmung zur Kündigung ihres Vorsitzenden (Beteiligter zu 3) durch das Gericht nach § 103 Absatz 2 BetrVG ersetzt wird.

2

Die Arbeitgeberin betreibt im gesamten Bundesgebiet Kliniken. In C-Stadt auf der Insel U. betreibt sie eine Rehabilitationsklinik für Innere Medizin, Orthopädie und Psychosomatik mit etwas über 100 Arbeitnehmern. Die ranghöchsten Arbeitnehmer der beteiligten Arbeitgeberin vor Ort sind die Chefärzte der drei medizinischen Abteilungen und der kaufmännische Direktor des Hauses.

3

Der 48-jährige Betriebsratsvorsitzende ist seit April 2012 als Psychologe in der Klinik tätig. Bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden erzielt er eine monatliche Arbeitsvergütung in Höhe von rund 3.420,00 Euro brutto. Zu seinen Arbeitsaufgaben gehört die Behandlung von Patienten auf der Grundlage von Therapieplänen. Er gehört dem Betriebsrat seit dem 13. November 2012 an. Er ist nicht im Sinne von § 38 BetrVG freigestellt.

4

Die beteiligte Arbeitgeberin beabsichtigt, das Arbeitsverhältnis zu dem beteiligten Betriebsratsvorsitzenden außerordentlich zu kündigen.

5

Der Betriebsratsvorsitzende hat am 27. Oktober 2014 Gelegenheit erhalten, zu den beiden älteren seinerzeit allein im Raum stehenden Vorwürfen gegen ihn Stellung zu nehmen (Protokoll dazu als Anlage 6 zur Antragsschrift zur Akte gelangt, hier Blatt 21 f). Danach hat die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 28. Oktober 2014 beim beteiligten Betriebsrat beantragt, die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung ihres Vorsitzenden zu erteilen. Die Zustimmung ist vom beteiligten Betriebsrat nicht innerhalb von drei Kalendertagen erteilt worden. Daraufhin hat die beteiligte Arbeitgeberin das vorliegende Beschlussverfahren eingeleitet. Die Antragsschrift ist beim Arbeitsgericht am 6. November 2014 eingegangen. Der Antrag stützt sich auf den Vorwurf der Arbeitsverweigerung wegen der nicht durchgeführten Therapie am 22. September 2014 und auf den Vorwurf, der beteiligte Betriebsratsvorsitzende habe sich unberechtigt am 4. Oktober 2014 Zugang zum Rechner des Chefarztes, dem er unterstellt ist, verschafft.

6

Während des bereits laufenden Beschlussverfahrens hat die beteiligte Arbeitgeberin einen dritten Vorwurf erhoben. Insoweit geht es um die breit gestreute Veröffentlichung einer Mail, die der beteiligte Betriebsratsvorsitzende an den stellvertretenden Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats am 14. November 2014 versandt hat ("S. bleibt!"). Der beteiligte Betriebsratsvorsitzende ist am 24. November 2014 zu diesem weiteren Vorwurf angehört worden. Die Arbeitgeberin hat wegen dieses Vorwurfs mit Schreiben vom 26. November 2014 beim beteiligten Betriebsrat erneut beantragt, die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung ihres Vorsitzenden zu erteilen. Der Betriebsrat hat auch diesem Antrag nicht innerhalb von drei Kalendertagen zugestimmt. Darauf hat die Arbeitgeberin im hiesigen Beschlussverfahren mit einem Schriftsatz, der am 1. Dezember 2014 bei Gericht eingegangen ist, die Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung auch wegen dieses dritten Vorwurfs beantragt.

7

Der älteste Vorwurf leitet sich aus dem Umstand ab, dass das beteiligte Betriebsratsmitglied am 22. September 2014 eine in seinen Kalender eingetragene Therapiesitzung mit einer Patientin nicht durchgeführt hat.

8

Für den beteiligten Betriebsratsvorsitzenden wird durch die Arbeitgeberin ein Kalender geführt, in den die zuständigen Ärzte Termine für Therapie-Sitzungen mit Patienten buchen können. Im Kalender gebuchte Termine für Therapie-Sitzungen sind als verbindliche Arbeitsanweisung zu verstehen. Zur Wahrung der eigenen Zeitsouveränität und zur Gewinnung ausreichender Zeit für die Betriebsratsarbeit kann der beteiligte Betriebsratsvorsitzende seinerseits im Kalender Tage oder einzelne Tagesabschnitte "blocken", die dann für Therapie-Sitzungen nicht zur Verfügung stehen.

9

Der beteiligte Betriebsratsvorsitzende hatte wenige Tage vor dem 22. September 2014 gegenüber der Arbeitgeberin bzw. gegenüber dem für ihn zuständigen Chefarzt mitgeteilt, dass für ihn der Kalender mit Stand vom 18. September 2014 verbindlich sei, und er weitere Therapiesitzungen wegen notwendig zu erledigender Betriebsratstätigkeit in den freien Zeiten zwischen den bereits gebuchten Sitzungen nicht abhalten könne. Trotz dieser Mitteilung des beteiligten Betriebsratsvorsitzenden ist ihm danach noch eine weitere Therapie-Sitzung für den 22. September 2014 (Montag) um 11:00 Uhr in den Kalender gebucht worden. Davon hat der Betriebsratsvorsitzende zum Arbeitsantritt an diesem Montag Kenntnis bekommen. Der Betriebsratsvorsitzende hat noch am Montagmorgen gegen diesen zusätzlichen Termin bei der leitenden Psychologin protestiert und dabei angekündigt, dass er den Termin nicht wahrnehmen werde. Dabei ist er auch geblieben, als er im weiteren Verlauf des Vormittags von dem für ihn zuständigen Chefarzt zur Wahrnehmung des Termins aufgefordert wurde. Zum Therapiezeitpunkt war das Zimmer, in dem der Betriebsratsvorsitzende für die Patienten ansprechbar ist, verschlossen. Die betroffene Patientin wurde mit einem vom Betriebsratsvorsitzenden an der Tür angebrachten Zettel darauf hingewiesen, dass sie sich bei der leitenden Psychologin melden solle.

10

Der weitere Vorwurf gegen den Betriebsratsvorsitzenden stützt sich auf den Umstand, dass dieser sich am 4. Oktober 2014 (einem Samstag) Zugang zum Büro der Sekretärin des Chefarztes verschafft hat und sich an deren Computer eingeloggt hat.

11

Der Betriebsratsvorsitzende hat einen Schlüssel, mit dem er auch Zugang zu dem Büro der Sekretärin des Chefarztes hat; dort wird für ihn ein Postfach für die dienstliche Post vorgehalten. Der Betriebsratsvorsitzende gibt hier im Rechtsstreit an, er habe an jenem Tage versucht, im Betriebsratsbüro etwas auszudrucken, was nicht gelungen sei. Er hat sich darauf in das Büro der Sekretärin begeben, hat sich an deren Computer mit seiner eigenen ihm zugeteilten Nutzerkennung eingeloggt und – so der Vortrag hier – habe dort erfolgreich den Druck des Dokuments vornehmen können. Nachträgliche Recherchen der Arbeitgeberin haben keinen Hinweis darauf ergeben, dass der Computer oder der Drucker im Betriebsratsbüro oder das Netz an jenem Tag gestört waren.

12

Der nachgeschobene dritte Vorwurf steht in Zusammenhang mit der Mail des Betriebsratsvorsitzenden an den stellvertretenden Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats vom 14. November 2014 ("S. bleibt!" – Kopie als Anlage Ast 5 eingereicht, hier Blatt 51R und 52; wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen).

13

"S." ist der Rufname eines weiteren Mitglieds des beteiligten Betriebsrats. Die beteiligte Arbeitgeberin hatte versucht, das Arbeitsverhältnis zu diesem Betriebsratsmitglied zu kündigen. Der Betriebsrat hatte die Zustimmung verweigert und der Antrag der Arbeitgeberin, die verweigerte Zustimmung durch das Arbeitsgericht ersetzen zu lassen, war wenige Tage vor der Mail vom 14. November 2014 vom Arbeitsgericht abgelehnt worden. Betriebsrat und Betriebsratsvorsitzender gehen davon aus, dass die Arbeitgeberin jenes Zustimmungsersetzungsverfahren in Kenntnis des nicht ausreichenden Anlasses für eine Kündigung betrieben hatte und hatten dementsprechend scharf die Arbeitgeberseite intern dafür kritisiert. Unter anderem wurde auch der Gesamtbetriebsrat in die Kampagne einbezogen und der dortige stellvertretende Vorsitzende hatte sich nach Auffassung des beteiligten Betriebsrats hilfreich für die Sache eingesetzt.

14

Mit der fraglichen Mail hat sich der beteiligte Betriebsratsvorsitzende bei seinem Kollegen aus dem Gesamtbetriebsrat für seine Unterstützung in der Sache "S." bedankt und ihn über den Ausgang des Zustimmungsersetzungsverfahrens vor dem Arbeitsgericht unterrichtet (Absätze 1 bis 3 der Mail). Die folgenden 6 Absätze nutzt der Betriebsratsvorsitzende sodann, um das Arbeitgeberverhalten nochmals in scharfem Ton kritisch zu bewerten. Der Unternehmensleitung wird dort "professionelles Union-Busting" vorgeworfen. Weiter ist die Rede von "willfährigen Belegschaftsvertretern", die "Teile der Klinikleitung bei der bewusst herbeigeführten Spaltung unserer Belegschaft unterstützen". Schließlich wird der Klinikleitung "Rechtsnihilismus" vorgeworfen und die "Inszenierung von Kündigungsgründen".

15

Diese Mail hat der beteiligte Betriebsrat bzw. der beteiligte Betriebsratsvorsitzende zeitnah per Mail an alle Mitarbeiter der Klinik vor Ort, an den Gesamtbetriebsrat sowie an Mitarbeiter bei ver.di und beim Marburger Bund weitergeleitet. Außerdem ist die Mail zur weiteren Verbreitung an den "Verein ./. Arbeitsunrecht e.V.", an "work-watch e.V." und an das "Solidaritätskomitee gegen Betriebsratsmobbing" weitergeleitet worden.

16

Schließlich hat der Betriebsrat die Mail in dem Betriebsratsschaukasten vor Ort ausgehängt. Der Schaukasten befindet sich in einem Flur mit Ausgang zum Wirtschaftshof. Der Flur wird von den Patienten, wenn sie sich an die Ausschilderung in der Klinik halten, nicht benutzt. Patienten, die sich mit den örtlichen Verhältnissen vertraut gemacht haben, nutzen diesen Flur jedoch gelegentlich zur Abkürzung von Laufwegen.

17

Das Arbeitsgericht Stralsund – Kammern Neubrandenburg – hat den Antrag der Arbeitgeberin mit Beschluss vom 14. Juli 2015 zurückgewiesen (13 BV 3002/14). Das Arbeitsgericht ist davon ausgegangen, dass die Arbeitgeberin nicht ausreichend zur Einhaltung der Kündigungserklärungsfrist aus § 626 Absatz 2 BGB vorgetragen habe. Auf diesen Beschluss wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes vor dem Arbeitsgericht Bezug genommen.

18

Mit der rechtzeitig eingelegten und fristgemäß begründeten Beschwerde verfolgt die Arbeitgeberin ihr Begehren unverändert fort.

19

Die Arbeitgeberin kritisiert die angegriffene Entscheidung. Das Zustimmungsersetzungsverfahren sei noch rechtzeitig anhängig gemacht worden. Die Frist im Sinne von § 626 Absatz 2 BGB habe bezüglich keinem der Vorwürfe vor dem Tag der Anhörung des beteiligten Betriebsratsvorsitzenden anlaufen können, denn erst mit dessen Anhörung seien die Ermittlungen zur Aufklärung des Sacherhalts abgeschlossen worden. Da keiner der Mitarbeiter vor Ort zum Ausspruch von Kündigungen berechtigt sei, müsse sogar auf den Zeitpunkt abgestellt werden, zu dem die Unternehmensleitung von den Vorwürfen Kenntnis erlangt habe; der kaufmännische Direktor habe erst nach der abschließenden Anhörung des beteiligten Vorsitzenden die Unternehmensleitung von den einzelnen Vorfällen unterrichtet. Der Arbeitgeberin sei es auch nicht zuzumuten gewesen, die Aufklärung wegen der Ereignisse am 22. September 2014 und am 4. Oktober 2014 früher aufzunehmen oder schneller abzuschließen, denn der für die Aufklärung zuständige kaufmännische Direktor sei durch Urlaub und vorrangige Dienstgeschäfte an einer früheren Aufklärung verhindert gewesen.

20

Die Arbeitgeberin meint im Übrigen, jeder der drei Vorwürfe für sich reiche bereits aus, um eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grunde im Sinne von § 626 Absatz1 BGB zu begründen.

21

Am 22. September 2014 habe der Betriebsratsvorsitzende eine Arbeitsverweigerung begangen. Diese sei beharrlich gewesen, da er trotz Hinweis des Chefarztes auf die fehlenden Gründe für die Arbeitsverweigerung und trotz Androhung von Konsequenzen die Arbeit nicht aufgenommen habe. Insoweit sei der Beteiligte auch bereits einschlägig abgemahnt gewesen.

22

Am 4. Oktober 2014 habe der Betriebsratsvorsitzende versucht, sich unberechtigt Zugang zum Computer seines Chefarztes zu verschaffen. Der diesbezügliche Verdacht stehe im Raum, da es für die Verwendung des Computers im Zimmer der Sekretärin keinen sachlichen Anlass gegeben habe und es dem Betriebsratsvorsitzenden nicht gelungen sei, den Verdacht zu widerlegen.

23

Durch die breite Veröffentlichung der Mail vom 14. November 2014 habe der Betriebsratsvorsitzende gegen seine Pflicht zur Verschwiegenheit verstoßen. Außerdem habe er rechtswidrig einen internen Konflikt nach außen getragen und sich dabei noch verleumderisch und herablassend über die Unternehmensführung geäußert.

24

Die beteiligte Arbeitgeberin beantragt,

25

unter Abänderung des angegriffenen Beschlusses des Arbeitsgericht Stralsund – Kammern Neubrandenburg – vom 14. Juli 2015 (13 BV 3002/14) die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3 nach § 103 Absatz 2 BetrVG zu ersetzen.

26

Der beteiligte Betriebsrat und der beteiligte Betriebsratsvorsitzende beantragen übereinstimmend,

27

die Beschwerde der Arbeitgeberin zurückzuweisen.

28

Der Betriebsrat und sein Vorsitzender verteidigen die angegriffene Entscheidung des Arbeitsgerichts. Außerdem betonen sie, dass die von der Arbeitgeberin vorgetragenen Ereignisse eine Kündigung aus wichtigem Grunde nicht rechtfertigen könnten.

29

Die nicht abgehaltene Therapiesitzung am 22. September 2014 könne die Kündigung nicht rechtfertigen. Es fehle gänzlich an einem pflichtwidrigen Verhalten. Nach wie vor gehe die Arbeitgeberin rechtsirrig davon aus, ein Betriebsrat dürfe nur dann seinen Arbeitsplatz zum Zwecke der Aufnahme von Betriebsratsarbeit verlassen, wenn dies vom Arbeitgeber zuvor gestattet worden sei.

30

Der Vorwurf des versuchten Datendiebstahls wegen der Nutzung des Computers der Sekretärin des Chefarztes sei abwegig. Wie die Arbeitgeberin selber richtig vortrage, habe er sich an diesem Computer mit seiner eigenen ihm zugeteilten Nutzerkennung eingeloggt, er habe daher nur Zugriff auf seine eigenen Daten gehabt, genauso wie wenn er sich an seinem eigenen Rechner eingeloggt hätte.

31

Auch die Verbreitung der Mail vom 14. November 2014 könne die beabsichtigte Kündigung nicht rechtfertigen. Ein Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht sei nicht erkennbar. Der Betriebsratsvorsitzende habe keine personenbezogenen Daten, die ihm in Zusammenhang mit der Erfüllung seiner Arbeitsaufgabe bekannt geworden seien, verbreitet. Angesichts der Vorgeschichte bezüglich des Kündigungsversuchs gegenüber dem Kollegen "S." habe die Schärfe der Kritik und das Ausmaß der Verbreitung der Mail noch nicht die durch die Loyalitätspflicht gezogenen Grenzen überschritten.

32

Das Beschwerdegericht hat die beim Arbeitsgericht Stralsund entstandenen Akten 13 BV 1/14 (Antrag des Betriebsrats auf Wiedereinrichtung des Schaukastens am Ausgang zum Wirtschaftshof) und 13 BV 1/15 (Antrag der Arbeitgeberin auf Ausschluss des Betriebsratsvorsitzenden aus dem Betriebsrat), beide bereits seit längerem abgeschlossen, auf Anregung der Arbeitgeberin zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts beigezogen.

33

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrages der Beteiligten wird auf das Protokoll der Anhörung und Erörterung vor der Kammer und auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

34

Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist nicht begründet. Die gegen den Betriebsratsvorsitzenden erhobenen Vorwürfe rechtfertigen dessen Kündigung nicht.

1.

35

Die Weigerung des Betriebsratsvorsitzenden, am 22. September 2014 die kurzfristig in seinen Kalender eingetragene weitere Therapiesitzung um 11:00 Uhr durchzuführen, rechtfertigt eine Kündigung nicht.

a)

36

Der Arbeitgeberin ist der Nachweis nicht gelungen, dass der Betriebsratsvorsitzende damit beharrlich die Erfüllung der ihm aufgetragenen Arbeitsaufgabe verweigert hat.

37

Nach § 37 Absatz 2 BetrVG sind Mitglieder des Betriebsrats von ihren beruflichen Aufgaben zu befreien, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Das Betriebsratsmitglied entscheidet selbst, ob es zur Aufnahme von Betriebsratstätigkeit den Arbeitsplatz verlässt, eine Zustimmung des Arbeitgebers ist dazu nicht erforderlich (ständige Rechtsprechung seit BAG 30. Januar 1973 – 1 ABR 1/73 – AP Nr. 3 zu § 40 BetrVG 1972 = BB 1973, 474; zuletzt noch BAG 29. Juni 2011 – 7 ABR 135/09 – BAGE 138, 233 = AP Nr. 152 zu § 37 BetrVG 1972 = DB 2012, 747). Das Betriebsratsmitglied hat sich allerdings bei seinem Fachvorgesetzten möglichst frühzeitig abzumelden, damit dieser die Chance hat, die Arbeit entsprechend umzuorganisieren (BAG 29. Juni 2011 aaO).

38

In diesem Sinne hat sich der beteiligte Betriebsratsvorsitzende rechtzeitig vor dem 22. September 2012 zur Aufnahme von Betriebsratstätigkeit abgemeldet, denn er hat am 18. oder 19. September 2014 seinen Vorgesetzten darauf hingewiesen, dass sein Therapiekalender mit Stand vom 18. September 2014 voll sei, da er die noch bestehenden freien Zeitabschnitte für die Wahrnehmung von Betriebsratstätigkeit benötige. Mit der ordnungsgemäßen Anzeige der beabsichtigten Betriebsratstätigkeit für den 22. September 2014 ab 11:00 Uhr ist die Arbeitspflicht des beteiligten Betriebsratsvorsitzenden für die Zeit seiner Betriebsratstätigkeit entfallen. Er unterlag daher nicht mehr dem Weisungsrecht des Arbeitgebers. Demnach hat er sich weder weisungswidrig verhalten, noch hat er seine Arbeitspflicht vernachlässigt.

39

Die Arbeitgeberin hat keine geeigneten Umstände vorgetragen, die den Schluss gestatten, der beteiligte Vorsitzende hätte die Aufnahme von Betriebsratstätigkeit lediglich vorgeschoben, um sein Nichtstun oder eine in Wahrheit doch gegebene Arbeitsverweigerung verbergen zu können.

40

Allein aus dem Umstand, dass sich Arbeitgeber und Betriebsrat vorliegend darauf verständigt haben, dass der Vorsitzende des Betriebsrats für zwei im Voraus feststehende Tage der Woche von der Arbeit zum Zwecke der Erledigung von Betriebsratsaufgaben freigestellt wird, kann nicht geschlossen werden, dass Betriebsratsarbeit, die der Betriebsrat darüber hinaus für erforderlich hält, in Wahrheit nicht erforderlich ist. Denn durch das Anknüpfen an das Merkmal der Erforderlichkeit in § 37 Absatz 2 BetrVG hat der Gesetzgeber einen flexiblen Maßstab geschaffen, der je nach den konkreten betrieblichen Verhältnissen zur Freistellung in gänzlich unterschiedlichem Umfang führen kann.

41

Möchte der Arbeitgeber im Beschlussverfahren vortragen, das Betriebsratsmitglied habe die Aufnahme von Betriebsratstätigkeit lediglich vorgeschoben, muss er also Umstände vortragen, die einen solchen Verdacht nahelegen. Es gibt allerdings keine Erfahrungssätze über das übliche Maß erforderlicher Betriebsratstätigkeit in Abhängigkeit von der Betriebs- oder der Betriebsratsgröße. Der Arbeitgeber müsste also grob die derzeit anstehenden Aufgaben des Betriebsrats skizzieren und diese der bisher dafür aufgewendeten Zeit gegenüberstellen. Derartigen Vortrag hat die Arbeitgeberin hier nicht ansatzweise geleistet. Abgesehen davon spricht schon allein die große Anzahl der Beschlussverfahren, die derzeit mit Beteiligung der Arbeitgeberin wegen des Betriebes auf U. bei Gericht anhängig sind oder jüngst anhängig waren, dafür, dass der zeitliche Aufwand der Betriebsratstätigkeit in diesem Betrieb derzeit außergewöhnlich hoch ist.

b)

42

Im Übrigen geht das Beschwerdegericht mit dem Arbeitsgericht davon aus, dass die Arbeitgeberin schon deshalb die beabsichtigte Kündigung nicht auf den Vorfall vom 22. September 2014 stützen kann, da die Kündigungserklärungsfrist aus § 626 Absatz 2 BGB nicht eingehalten ist.

43

Nach § 626 Absatz 2 Satz 1 BGB kann eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt nach Absatz 2 Satz 2 der Norm mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Der Kündigungsberechtigte, der bislang nur Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann deshalb nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Absatz 2 BGB zu laufen begänne. Sind die Ermittlungen abgeschlossen und hat er eine hinreichende Kenntnis vom Kündigungssachverhalt, beginnt der Lauf der Ausschlussfrist (BAG 21. Februar 2013 – 2 AZR 433/12 – AP Nr. 51 zu § 626 BGB Ausschlussfrist = NZA-RR 2013, 515; BAG 25. November 2010 – 2 AZR 171/09 – AP Nr. 231 zu § 626 BGB; BAG 17. März 2005 – 2 AZR 245/04 – AP Nr. 46 zu § 626 BGB Ausschlussfrist = NZA 2006, 101).

44

Neben den Mitgliedern der Organe von juristischen Personen und Körperschaften gehören zu den kündigungsberechtigten Personen auch die Mitarbeiter, denen der Arbeitgeber das Recht zur außerordentlichen Kündigung übertragen hat. Dagegen ist die Kenntnis anderer Personen für den Lauf der Ausschlussfrist grundsätzlich unbeachtlich. Dies gilt auch dann, wenn den Mitarbeitern Aufsichtsfunktionen übertragen worden sind. Nur ausnahmsweise muss sich der Arbeitgeber die Kenntnis solcher Personen nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) zurechnen lassen. Dazu müssen diese Personen eine herausgehobene Position und Funktion im Betrieb haben sowie tatsächlich und rechtlich in der Lage sein, einen Sachverhalt, der Anhaltspunkte für eine außerordentliche Kündigung bietet, so umfassend zu klären, dass mit ihrer Mitteilung der Kündigungsberechtigte ohne weitere eigene Nachforschungen seine (Kündigungs-)Entscheidung abgewogen treffen kann. Dementsprechend müssen diese Mitarbeiter in einer ähnlich selbständigen Stellung sein, wie ein gesetzlicher oder rechtsgeschäftlicher Vertreter des Arbeitgebers. Voraussetzung für eine Zurechenbarkeit der Kenntnisse dieser Personen zum Arbeitgeber ist ferner, dass die Verzögerung bei der Kenntniserlangung in dessen eigener Person auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebs oder der Verwaltung beruht (BAG 21. Februar 2013 aaO; BAG 23. Oktober 2008 – 2 AZR 388/07 – AP Nr. 217 zu § 626 BGB = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 23; BAG 26. November 1987 - 2 AZR 312/87 – RzK I 6g Nr. 13).

45

Gemessen an diesem Maßstab war die Kündigungserklärungsfrist wegen des Vorwurfs der Arbeitsverweigerung am 22. September 2014 schon lange vor Eingang der Antragsschrift beim Arbeitsgericht am 6. November 2014 abgelaufen. Denn der kaufmännische Leiter der Klinik muss aufgrund seiner betrieblichen Stellung als einer kündigungsberechtigten Person gleichgestellt behandelt werden. Außerdem beruht die verspätete Kenntnis der tatsächlich kündigungsberechtigten Personen auf der Leitungsebene des Unternehmens auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebes und der kaufmännische Leiter der Klinik hat die Aufklärung des Sachverhalts nicht zügig vorangetrieben. Daher hat die Kündigungserklärungsfrist bereits mit dem 22. September 2014 zu laufen begonnen.

aa)

46

Es kann dahinstehen, ob der kaufmännische Leiter der Klinik tatsächlich wie von der Arbeitgeberin behauptet keine Berechtigung hat, Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter vor Ort durch Kündigung zu beenden. Denn nach der oben zitierten Rechtsprechung ist er einer kündigungsberechtigten Person gleichzustellen, weil er im Betrieb in C-Stadt eine herausgehobene Funktion und Stellung hat und er tatsächlich und rechtlich in der Lage war, den Kündigungssachverhalt abschließend aufzuklären. Letzteres ergibt sich indirekt schon daraus, dass die kündigungsberechtigte Unternehmensleitung dem Vorschlag des kaufmännischen Direktors zur Einleitung der Kündigung ohne weitere eigene Ermittlungen zugestimmt hat.

bb)

47

Nach Lage der Dinge muss das Gericht auch davon ausgehen, dass die verzögerte Unterrichtung der kündigungsberechtigten Unternehmensleitung auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebes bei der Arbeitgeberin beruht.

48

Nach dem Vortrag der beteiligten Arbeitgeberin hat der kaufmännische Leiter der Klinik die kündigungsberechtigten Personen von dem hier streitigen Kündigungsanlass erst in Zusammenhang mit dem abschließenden Bericht nach Anhörung des beteiligten Vorsitzenden am 27. Oktober 2014 unterrichtet und diese späte Unterrichtung ist ihm nicht als pflichtwidriges Verhalten zum Vorwurf gemacht worden.

49

Diese Umstände offenbaren einen offensichtlichen Mangel in der Organisation des Betriebes. Denn durch die fehlende Pflicht des kaufmännischen Leiters, bereits bei Vorliegen von Anhaltspunkten für einen Kündigungsgrund der Unternehmensleitung zu berichten, begibt diese sich der Möglichkeit, steuernd in den weiteren Prozess einzugreifen. Gleichzeitig wird damit die Möglichkeit eröffnet, den Rückgriff auf einen vorhandenen Kündigungsgrund nahezu beliebig in die Länge zu ziehen, was gerade der Grund dafür war, dass die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die auf § 242 BGB aufbauende Rechtsprechung zur Zurechnung der Kenntnisse führender Mitarbeiter entwickelt hat, die nicht ihrerseits kündigungsberechtigt sind. Daher muss die fehlende Berichtspflicht des kaufmännischen Leiters der Klinik bei Auftauchen von Anhaltspunkten für einen Kündigungsgrund als eine unsachgemäße Betriebsorganisation bewertet werden.

cc)

50

Der kaufmännische Leiter der beteiligten Arbeitgeberin kann sich nicht auf das fehlende Anlaufen der Kündigungserklärungsfrist aus § 626 Absatz 2 BGB wegen weiterer Bemühungen zur Aufklärung des Sachverhalts berufen, da nicht erkennbar ist, welche Bemühungen er zwischen dem 22. September und dem Tag der Anhörung des beteiligten Vorsitzenden am 27. Oktober 2014 überhaupt zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts unternommen hat. Das Gericht ist daher nicht in der Lage die Feststellung zu treffen, die Aufklärung sei zügig vorgenommen worden. Die von Arbeitgeberseite vorgetragenen Gründe für die zögerliche Aufklärung (Urlaub und vorrangige Dienstaufgaben) sind nicht tragfähig.

2.

51

Die Nutzung des Computers der Sekretärin des Chefarztes am 4. Oktober 2014 durch den beteiligten Vorsitzenden rechtfertigt eine Kündigung nicht.

a)

52

Zugunsten der Arbeitgeberin kann unterstellt werden, es gäbe im Betrieb eine verbindliche Anweisung an alle Arbeitnehmer, sich stets nur an ihrem eigenen Computer im System einzuloggen.

53

Denn ein Verstoß gegen eine solche Ordnungsvorschrift könnte ohne Hinzutreten weiterer Umstände eine Kündigung ohne vorherigen Ausspruch einer Abmahnung nicht rechtfertigen.

b)

54

Die Sorge der Arbeitgeberin, der beteiligte Vorsitzende hätte mit der Nutzung des Geräts der Sekretärin des Chefarztes zum Einloggen im System unberechtigt Zugriff auf Dateien und Dokumente bekommen, zu deren Kenntnis er nicht berechtigt ist, kann das Gericht mangels näheren Tatsachenvortrages dazu seiner Entscheidung nicht zu Grunde legen.

55

Bereits vorbereitend zum Termin zur Anhörung und Erörterung hatte der Kammervorsitzende darauf hingewiesen, dass nach seinem Erfahrungswissen, die Möglichkeiten des Zugriffs auf Dateien und Dokumente nicht dadurch vergrößert werden könne, dass man sich an einem anderen Gerät in das System einlogge. Das war mit der Auflage verbunden gewesen, dazu vorzutragen, weshalb dies bei dem in der Klinik genutzten IT-System anders sein solle. Entsprechender Vortrag ist nicht geleistet worden.

56

Im Termin zur Anhörung und Erörterung ist dann noch darauf hingewiesen worden, dass eine Speicherung von Dateien durch die Sekretärin in Abweichung von den durch das System vorgeschlagenen Speicherorten (z.B. im Stammverzeichnis der lokalen Festplatte) gegebenenfalls dazu führen könne, dass Dritte, die sich an dem Gerät mit ihrer eigenen Kennung anmelden, dennoch Zugriff auf solche nicht den Richtlinien entsprechend abgespeicherten Dateien eines anderen Nutzers haben könnten. Die Arbeitgeberin hat aber nicht die Behauptung aufgestellt, die Sekretärin des Chefarztes habe ihre Dateien – oder auch nur einige ihrer Dateien – auf diese nicht sachgemäße Weise abgespeichert.

57

Damit reduziert sich die Sorge der Arbeitgeberin auf die Vermutung, der beteiligte Vorsitzende verfüge über Kenntnisse und Fähigkeiten sich am Computer mehr Rechte verschaffen zu können, um so einen Zugriff auf fremde Dateien zu bekommen. Da für diese Vermutung keine indiziellen Tatsachen vorgetragen sind, kann das Gericht darauf seine Entscheidung nicht stützen. Allein der Umstand, dass die vom beteiligten Vorsitzenden gegebene Begründung für sein Verhalten (Druckerstörung an seinem eigenen Gerät) anhand der Protokolldateien des Systems angeblich nicht nachvollzogen werden kann, rechtfertigt noch nicht derart weitgehende Schlüsse.

c)

58

Im Übrigen war die Kündigungserklärungsfrist aus § 626 Absatz 2 BGB, was das Arbeitsgericht richtig gesehen hat, auch bezüglich dieses Vorwurfs bereits lange vor Einleitung des vorliegenden Beschlussverfahrens abgelaufen. Wegen der Einzelheiten kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.

3.

59

Auch die Veröffentlichung der Mail vom 14. November 2014 reicht zur Begründung der beabsichtigen Kündigung nicht aus.

a)

60

Soweit der Vorsitzende mit der breit gestreuten Veröffentlichung der Mail und deren Aushang im Schaukasten des Betriebsrats möglicherweise gegen seine betriebsverfassungsrechtliche Verschwiegenheitspflicht (§ 79 BetrVG) verstoßen hat, kann daraus nicht das Recht zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses abgeleitet werden, denn das Betriebsverfassungsgesetz sieht in § 23 BetrVG eigene Sanktionen für Verstöße gegen betriebsverfassungsrechtliche Pflichten vor (LAG Mecklenburg-Vorpommern 27. November 2013 – 3 Sa 101/13 – juris.de). Gleiches gilt, soweit man auf eine ergänzende Verschwiegenheitspflicht, die sich aus dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit ableitet, abstellen würde. Auch die Verletzung dieser betriebsverfassungsrechtlichen Pflicht kann allein mit betriebsverfassungsrechtlichen Sanktionen geahndet werden.

b)

61

Die Kündigung lässt sich auch nicht auf einen Verstoß gegen das arbeitsvertragliche Gebot zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers aus § 241 Absatz 2 BGB ableiten.

62

Insoweit ist allerdings in der Rechtsprechung anerkannt, dass auch die Mitglieder des Betriebsrats wie alle anderen Arbeitnehmer in dem durch § 241 Absatz 2 BGB gezogenen Rahmen Rücksicht auf die Interessen ihres Arbeitgebers zu nehmen haben. Auch dann, wenn eine Handlung eines Betriebsratsmitglieds gleichzeitig Amtspflichten als auch arbeitsvertragliche Pflichten verletzt oder aber die Vertragsverletzung nur deshalb eingetreten ist, weil der Arbeitnehmer als Betriebsratsmitglied tätig geworden ist, kann ein wichtiger Grund zur Kündigung im Sinne des § 626 Absatz 1 BGB vorliegen (LAG Mecklenburg-Vorpommern 27. November 2013 aaO). Mit Rücksicht auf die besondere Konfliktsituation, in der sich das Betriebsratsmitglied aufgrund seiner Amtsstellung ohnehin befindet, ist die außerordentliche Kündigung aber nur gerechtfertigt, wenn unter Anlegung eines besonders strengen Maßstabs das pflichtwidrige Verhalten auch als schwerer Verstoß gegen die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis zu werten ist. (BAG 23. Oktober 2008 – 2 ABR 59/07 – AP Nr. 58 zu § 103 BetrVG 1972 = DB 2009, 1131).

c)

63

Ein in diesem Sinne schwerer Verstoß gegen die Rücksichtnahmepflichten aus § 241 Absatz 2 BGB kann im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden.

aa)

64

In der beanstandeten Mail hat der beteiligte Vorsitzende keine falschen Tatsachen mit Bezug auf die Arbeitgeberin behauptet.

65

Behauptungen tatsächlicher Art werden in der Mail nur wenige aufgestellt. Im ersten Absatz wird die Historie des Konflikts rund um den Versuch, den Betriebsratskollegen "S." zu kündigen, wiedergegeben. Im zweiten Absatz wird der Ausgang des Rechtsstreits um die beabsichtigte Kündigung des Betriebsratskollegen "S." geschildert. Außerdem gibt es bruchstückhaft Hinweise auf einen Entgeltkonflikt im Betrieb (3. und 5. Absatz).

66

Keine der an den genannten Stellen wiedergegebenen Behauptungen ist erkennbar falsch. Insoweit stellt auch die Arbeitgeberin keine gegenteiligen Behauptungen auf.

bb)

67

Soweit der beteiligte Vorsitzende in der Mail das Verhalten der Arbeitgeberin scharf kritisiert und ihr Handeln bewertet, handelt es sich um die Äußerung seiner Meinung, was ihm grundsätzlich nicht verboten ist.

68

Während Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit geprägt werden und der Überprüfung mit Mitteln des Beweises vor Gericht zugänglich sind, handelt es sich bei einer Meinung um eine Äußerung, die durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt ist. Bei der Frage, ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Tatsachenbehauptung oder als Werturteil anzusehen ist, kommt es entscheidend auf den Gesamtkontext der fraglichen Äußerung an. Die Abgrenzung zwischen Werturteilen und Tatsachenbehauptungen kann im Einzelfall schwierig sein, vor allem deswegen, weil die beiden Äußerungsformen nicht selten miteinander verbunden werden und erst gemeinsam den Sinn einer Äußerung ausmachen. In solchen Fällen ist der Begriff der Meinung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes weit zu verstehen: Sofern eine Äußerung, in der Tatsachen und Meinungen sich vermengen, durch die Elemente der Stellungnahme des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind, wird sie als Meinung von dem Grundrecht geschützt. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Trennung der wertenden und der tatsächlichen Gehalte, den Sinn der Äußerung aufhöbe oder verfälsche. Würde in einem solchen Fall das tatsächliche Element als ausschlaggebend angesehen, so könnte der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit wesentlich verkürzt werden (BVerfG 4. August 2016 – 1 BvR 2619/13 – juris.de).

69

Legt man diesen Maßstab an, muss der Vorwurf des "professionellen Union-Busting" (6. Absatz), der Vorwurf der "bewusst herbeigeführten Spaltung der Belegschaft" (8. Absatz) und der "Inszenierung von Kündigungsgründen" (9. Absatz) als bloße Meinungsäußerung bewertet werden und nicht als Tatsachenbehauptung. Gemeinsam ist allen Vorwürfen, dass der beteiligte Vorsitzende der Arbeitgeberin in ihrem Handeln gegenüber dem Betriebsrat – untechnisch ausgedrückt – eine feindliche Einstellung unterstellt. (professionelles Busting, bewusste Spaltung, Inszenierung). Diese innere Einstellung der Arbeitgeberin könnte rechtlich allenfalls als sogenannte innere Tatsachen bezeichnet werden. Damit wäre sie aber keine Tatsachen im Sinne der aufgezeigten Rechtsprechung, da sie einem Beweis nicht zugänglich sind. Auf innere Tatsachen kann nur mittels geeigneter Indiztatsachen mittelbar geschlossen werden. Da solche vom beteiligten Vorsitzenden nicht geäußert wurden, handelt es sich bei seiner Einschätzung der inneren Einstellung der Arbeitgeberin bei ihrem Handeln gegenüber dem Betriebsrat um eine bloße Meinungsäußerungen.

70

Die Meinungsäußerung durch den beteiligten Vorsitzenden kann auch unter Berücksichtigung der gesteigerten Rücksichtnahmepflicht im Arbeitsverhältnis noch nicht als pflichtwidrig angesehen werden. Meinungsäußerungen im Betrieb können insbesondere dann pflichtwidrig sein, wenn sie betriebliche Auswirkungen haben, also den Betriebsfrieden stören oder den Arbeitsablauf zum Erliegen bringen. Dass die Mail vom 14. November 2014 derartige Wirkungen gezeitigt hat, ist weder von der Arbeitgeberin vorgetragen noch sonst ersichtlich.

cc)

71

Der beteiligte Vorsitzende mag sich in der Mail an mancher Stelle im Ton vergriffen haben, die Herabsetzung oder Schmähung bestimmter Personen kann aber nicht erkannt werden.

72

Dazu ist zunächst hervorzuheben, dass die Arbeitgeberin, eine juristische Person in Form einer Kommanditgesellschaft mit Komplementär-GmbH, in der Mail des beteiligten Vorsitzenden sozusagen anonym bleibt. Es wird keine Person beim Namen genannt, bei der die feindliche Einstellung gegeben sein soll, vielmehr ist immer nur von "Teilen der Klinikleitung" oder von einzelnen "Klinikleitungsmitgliedern" die Rede. Für das Gericht als außenstehender Stelle geht nicht einmal eindeutig hervor, ob die Kritik dem örtlichen Leitungspersonal am Klinikstandort gilt oder dem Führungspersonal am Sitz des Unternehmens. Schon aus diesem Grunde scheidet die Annahme aus, der beteiligte Vorsitzende habe in der Mail einzelne Personen herabgesetzt oder gar beleidigt.

73

Zusätzlich ist der Umstand in die Bewertung mit einzubeziehen, dass die Mail in einem Kontext steht, der durch einen inzwischen schon mehrjährigen beiderseits eifrig befeuerten Konflikt zwischen der örtlichen Klinikleitung und dem beteiligten Betriebsrat steht, der beiderseits zu einer für Außenstehende nicht mehr nachvollziehbaren Verrohung der Umgangsformen geführt hat. Selbst wenn man also den Standpunkt vertreten würde, dass sich der beteiligte Vorsitzende in der Mail im Ton pflichtwidrig vergriffen habe, könnte dies die beabsichtigte Kündigung nicht rechtfertigen.

dd)

74

Man kann dem beteiligten Vorsitzenden allerdings vorwerfen, dass er mit der öffentlichen Verbreitung der Mail einen innerbetrieblichen Konflikt ohne Not nach außen getragen hat und damit dem nach außen untadeligen Ruf der Arbeitgeberin Schaden zugefügt hat.

75

Es ist anerkannt, dass Arbeitnehmer verpflichtet sind, bei innerbetrieblichen Konflikten zunächst eine innerbetriebliche Lösung anzustreben. Dabei muss gegebenenfalls auch eine innerbetriebliche Eskalationsleiter durchlaufen werden. Außenstehende Stellen dürfen erst dann eingeschaltet werden, wenn man innerbetrieblich kein Gehör findet. Soweit man außenstehende Stellen meint einschalten zu müssen, sollte man sich zusätzlich auf solche Stellen konzentrieren, von denen Hilfe erwartet werden kann und deren Einschaltung möglichst keine nicht unberechenbaren Nebenwirkungen nach sich ziehen kann. Daher ist die Einschaltung der Presse in aller Regel ein ungeeignetes Mittel für die Suche nach Unterstützung in einem innerbetrieblichen Konflikt.

76

Legt man diesen Maßstab zu Grunde, war die Verbreitung der Mail vom 14. November 2014 gegenüber außenstehenden Stellen pflichtwidrig. Soweit es um den Vorfall des Kündigungsversuchs gegenüber dem Betriebsratskollegen "S." ging, war der Konflikt durch die Entscheidung des Arbeitsgerichts abgeschlossen. Es bestand kein sachlicher Anlass mehr, hier nochmals Öl ins Feuer zu gießen. Soweit es in der Mail um den angedeuteten Konflikt um die innerbetriebliche Lohngerechtigkeit geht, ist überhaupt nicht erkennbar, dass insoweit die innerbetrieblichen Konfliktlösungsmechanismen bereits ausgeschöpft waren. Damit ist im Ergebnis festzustellen, dass sich der beteiligte Vorsitzende ohne konkreten Anlass über seinen Arbeitgeber gegenüber Dritten in einer Art und Weise geäußert hat, die geeignet ist, den Ruf der Arbeitgeberin zu beschädigen.

77

Die Gefahr der Rufschädigung wird durch den Kreis der Adressaten, an die sich die Mail gerichtet hatte, nicht verringert. Soweit der Vorsitzende die Mail auch an soziale Aktionsplattformen versendet hat, die damit werben, die Missachtung des Rechts im Arbeitsverhältnis und im Betrieb bekämpfen zu wollen, musste ihm klar sein, dass er damit einen Stein losgetreten hat, der – wenn die sozialen Aktionsplattformen darauf anspringen – geeignet ist, eine unkontrollierbare Lawine auszulösen.

78

Gleichwohl sieht sich das Gericht nicht in der Lage, allein auf Grund dieses Pflichtverstoßes die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zu der Kündigung zu ersetzen.

79

So ist es bereits zweifelhaft, ob man angesichts der bereits oben angesprochenen Verrohung im Umgang der Beteiligten miteinander noch von einem schweren Pflichtverstoß des beteiligten Vorsitzenden sprechen kann. Zum anderen muss man, gerade soweit man dem beteiligten Vorsitzenden einen aus seiner inneren Einstellung abgeleiteten Vorwurf machen will, nach der oben zitierten Rechtsprechung einen besonders strengen Maßstab anlegen. Unter Anlegung dieses besonders strengen Maßstabes steht es nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass es dem beteiligten Vorsitzenden bei der Weiterleitung der Mail an die genannten sozialen Aktionsplattformen klar war, was er dadurch – wenn diese auf das Thema anspringen – auslösen konnte. Schließlich hat das Gericht bei seiner Bewertung zu Gunsten des Vorsitzenden noch berücksichtigt, dass die deftigen Äußerungen über die Arbeitgeberin nahezu gänzlich ohne tatsächliche Belege erhoben wurden; Beschimpfungen dieser Art ohne ausreichende tatsächliche Belege haben nicht das Zeug dazu, sich im Netz aufgrund der ausgelösten Empörung explosionsartig zu verbreiten.

ee)

80

Das Geschehen ist auch unter Berücksichtigung der Mail im Schaukasten des Betriebsrats im Flur zum Wirtschaftshof nicht anders zu bewerten.

81

Wie aus der beigezogenen Akte 13 BV 1/14 beim Arbeitsgericht Stralsund ersichtlich, ist der Standort des Schaukastens des Betriebsrats unter dem Gesichtspunkt der Einsichtsmöglichkeit durch Patienten der Klinik nicht optimal gewählt. Da die Arbeitgeberin dem Betriebsrat jedoch keinen anderen besser geeigneten Platz für den Schaukasten angeboten hat, muss sie mit dem von ihr selbst mit geschaffenen Risiko leben, dass Patienten der Klinik einen neugierigen Blick auf die Mitteilungen des Betriebsrats werfen und damit Dinge erfahren, die sie eigentlich nichts angehen. Eine Einschränkung des Rechts des Betriebsrats, die Belegschaft über wichtige Dinge durch Aushang zu unterrichten, wird man aus der bisher nicht erfolgreich umgesetzten gesetzlichen Pflicht, dem Betriebsrat eine solche Fläche zur Verfügung zu stellen, nicht folgern können.

III.

82

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde aus §§ 72, 92 ArbGG sind nicht erfüllt

(1) Urteile sind der Rechtskraft nur insoweit fähig, als über den durch die Klage oder durch die Widerklage erhobenen Anspruch entschieden ist.

(2) Hat der Beklagte die Aufrechnung einer Gegenforderung geltend gemacht, so ist die Entscheidung, dass die Gegenforderung nicht besteht, bis zur Höhe des Betrages, für den die Aufrechnung geltend gemacht worden ist, der Rechtskraft fähig.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Schlussbeschluss des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 7. Juli 2011 - 9 TaBV 168/10 - wird zurückgewiesen.

Gründe

1

A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit von Altersgrenzenregelungen in Betriebsvereinbarungen.

2

Antragsteller ist der Betriebsrat eines am Standort W bestehenden Gemeinschaftsbetriebs. Dessen Inhaber sind seit einem am 1. Juli 2010 vollzogenen Betriebsinhaberwechsel die zu 2. (PGM) und zu 3. (PGS) beteiligten Arbeitgeberinnen. In dem Gemeinschaftsbetrieb finden kraft deren Tarifbindung die Tarifverträge der Chemischen Industrie Anwendung. Zu diesen gehört auch der im Jahr 2008 abgeschlossene Tarifvertrag „Lebensarbeitszeit und Demografie“ (TVLD). Dieser enthält ua. Regelungen über die Durchführung einer Demografieanalyse in den Betrieben und die Gestaltung von Arbeitszeitmodellen.

3

Die PGM schloss mit ihrem zu 4. beteiligten Gesamtbetriebsrat am 24. November 2009 eine „Freiwillige Gesamtbetriebsvereinbarung Umsetzung des Demografietarifvertrags“ (GBV 2009) ab. Deren § 5 enthält eine auf das Erreichen des Regelrentenalters bezogene Altersgrenze. Eine inhaltsgleiche Altersgrenzenregelung vereinbarte auch die PGS mit ihrem zu 5. beteiligten Gesamtbetriebsrat.

4

Im Gemeinschaftsbetrieb W bestand seit dem 12. Dezember 2008 eine zwischen den vormaligen Betriebsinhaberinnen und dem Betriebsrat vereinbarte Betriebsordnung (BO 2008). Nach deren Nr. 11.1 endete das Arbeitsverhältnis ohne Kündigung mit Ablauf des Kalendermonats, in dem das jeweils gültige gesetzliche Rentenalter vollendet wird. Am 23. Dezember 2009 schloss der Betriebsrat W eine „Freiwillige Betriebsvereinbarung Umsetzung des Demografietarifvertrags“ (BV 2009). § 4 BV 2009 enthält eine mit § 5 GBV 2009 übereinstimmende Altersgrenzenregelung.

5

Der Betriebsrat W hat die von ihm abgeschlossenen betrieblichen Altersgrenzenregelungen wie auch § 5 GBV 2009 für unwirksam gehalten. Altersgrenzenvereinbarungen in Betriebsvereinbarungen seien generell unzulässig. Jedenfalls sei ein Gesamtbetriebsrat hierfür nicht zuständig.

6

Der Betriebsrat W hat - soweit für die Rechtsbeschwerde von Bedeutung - zuletzt beantragt,

        

a)    

festzustellen, dass § 4 der Betriebsvereinbarung „Umsetzung des Demografietarifvertrags“ vom 23. Dezember 2009 und Ziffer 11.1 der Betriebsordnung vom 8. Dezember 2009 rechtsunwirksam sind und keine Rechtswirkung entfalten,

        

b)    

…       

        

c)    

festzustellen, dass § 5 GBV „Umsetzung des Demografietarifvertrags“ zwischen der Geschäftsleitung der Beteiligten zu 2. und dem Beteiligten zu 4. und § 5 GBV „Umsetzung des Demografietarifvertrags“ zwischen der Geschäftsleitung der Beteiligten zu 3. und dem Beteiligten zu 5. rechtsunwirksam sind und keine Rechtswirkung entfalten.

7

Die Arbeitgeberinnen haben die Abweisung der Anträge beantragt.

8

Das Arbeitsgericht hat den dort allein gestellten Antrag zu a) abgewiesen. Dagegen hat der Betriebsrat W Beschwerde eingelegt und sein Begehren um den Antrag zu c) erweitert. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen und den Antrag zu c) abgewiesen. Es hat die Rechtsbeschwerde nur in Bezug auf den Antrag zu c) zugelassen und darüber hinaus auf die Frage der Wirksamkeit der zwischen der PGM und ihrem Gesamtbetriebsrat in § 5 GBV 2009 vereinbarten Altersgrenzenregelung beschränkt. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat W entsprechend der zweitinstanzlichen Zulassungsentscheidung seinen Antrag zu c) weiter. Daneben hat er den vom Landesarbeitsgericht abgewiesenen Antrag zu a) im Wege der Antragserweiterung zur Entscheidung gestellt.

9

B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Beide Anträge des Betriebsrats sind unzulässig.

10

I. Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist der auf Feststellung der Unwirksamkeit von § 5 GBV 2009 gerichtete Antrag des Betriebsrats W. Für diesen hat das Landesarbeitsgericht die Rechtsbeschwerde ausdrücklich zugelassen. Daneben hat der Betriebsrat W seinen vom Beschwerdegericht abgewiesenen Antrag zur Geltung von § 4 BV 2009 sowie Nr. 11.1 BO 2008 im Wege der Antragserweiterung in das Rechtsbeschwerdeverfahren eingeführt.

11

II. Der auf die Feststellung der Unwirksamkeit von § 4 BV 2009 und Nr. 11.1 BO 2008 gerichtete Antrag ist unzulässig. Einer erneuten Sachentscheidung steht der Einwand der Rechtskraft (§ 322 Abs. 1 ZPO) entgegen.

12

1. Nach dem auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren anwendbaren § 322 Abs. 1 ZPO sind Beschlüsse der Rechtskraft fähig, soweit über den durch den Antrag erhobenen Anspruch entschieden ist(BAG 6. Juni 2000 - 1 ABR 21/99 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 95, 47). Die materielle Rechtskraftwirkung solcher Beschlüsse hindert grundsätzlich, dass bei Identität der Beteiligten und des Sachverhalts die bereits rechtskräftig entschiedene Frage den Gerichten zur erneuten Entscheidung unterbreitet werden kann. Das ist als negative Prozessvoraussetzung auch in der Rechtsbeschwerdeinstanz von Amts wegen zu beachten.

13

Der Begriff des Anspruchs in § 322 Abs. 1 ZPO bezeichnet den prozessualen Anspruch im Sinne der Streitgegenstandslehre. Die objektiven Grenzen der Rechtskraft des Entscheidungsgegenstandes werden durch den Streitgegenstand des vorangehenden Verfahrens bestimmt. Dieser richtet sich nach dem zur Entscheidung gestellten Antrag und dem zugehörigen Lebenssachverhalt, aus dem die begehrte Rechtsfolge hergeleitet wird (BAG 19. Januar 2010 - 1 ABR 55/08 - Rn. 15, BAGE 133, 75). Dabei sind Tatbestand und Entscheidungsgründe, erforderlichenfalls auch das Parteivorbringen, ergänzend heranzuziehen, wenn die Entscheidungsformel, wie insbesondere bei einer den Antrag abweisenden Entscheidung, den Streitgegenstand und damit den Umfang der Rechtskraft nicht erkennen lässt (BAG 19. Januar 2010 - 1 ABR 55/08 - aaO).

14

2. Danach ist der vom Betriebsrat in der Rechtsbeschwerdeinstanz im Wege der Antragserweiterung eingeführte Feststellungsantrag unzulässig. Über diesen hat das Beschwerdegericht bereits rechtskräftig entschieden.

15

Das Arbeitsgericht hat den auf Feststellung der Unwirksamkeit von § 4 BV 2009 und Nr. 11.1 BO 2008 gerichteten Antrag abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die dagegen gerichtete Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen und gegen diesen Teil seiner Entscheidung die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen. Hiergegen hat der Betriebsrat keine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist insoweit in Rechtskraft erwachsen. Es ist weder ersichtlich noch vom Betriebsrat geltend gemacht, dass die beschränkte Rechtsbeschwerdezulassung unbeachtlich ist und die Rechtsbeschwerde unbeschränkt eingelegt werden kann. Die Wirksamkeit der vom Gesamtbetriebsrat abgeschlossenen Altersgrenzenregelung in der GBV 2009 betrifft einen abtrennbaren selbständigen Teil des Gesamtstreitstoffs, über den gesondert und unabhängig von dem verbleibenden Verfahrensgegenstand entschieden werden konnte.

16

III. Auch der auf die Feststellung der Unwirksamkeit von § 5 GBV 2009 gerichtete Antrag ist unzulässig. Dem Betriebsrat fehlt bereits die erforderliche Antragsbefugnis iSv. § 81 Abs. 1 ArbGG.

17

1. Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren ist ein Beteiligter antragsbefugt, wenn er eigene Rechte geltend macht. Antragsbefugnis und die Beteiligtenstellung fallen nicht notwendig zusammen; § 83 Abs. 3 ArbGG besagt nichts darüber, ob ein Beteiligter im Beschlussverfahren einen Antrag stellen kann. Die Antragsbefugnis ist vielmehr nach den Regeln über die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens zu bestimmen (§ 81 Abs. 1 ArbGG). Regelmäßig kann nur derjenige ein gerichtliches Verfahren einleiten, der vorträgt, Träger des streitbefangenen Rechts zu sein. Ausnahmen gelten im Fall einer zulässigen Prozessstandschaft. Die Prozessführungsbefugnis im Urteilsverfahren und die Antragsbefugnis im Beschlussverfahren dienen dazu, Popularklagen auszuschließen. Im Beschlussverfahren ist die Antragsbefugnis nur gegeben, wenn der Antragsteller durch die begehrte Entscheidung in seiner kollektivrechtlichen Rechtsposition betroffen sein kann. Das ist regelmäßig nur dann der Fall, wenn er eigene Rechte geltend macht und dies nicht von vornherein als aussichtslos erscheint (BAG 17. Juni 2009 - 7 ABR 96/07 - Rn. 9).

18

2. Ein Betriebsrat kann die Unwirksamkeit einer von einer anderen Arbeitnehmervertretung abgeschlossenen Betriebsvereinbarung nicht unabhängig von einem Eingriff in seine eigene betriebsverfassungsrechtliche Rechtsposition geltend machen. Weder das BetrVG noch das ArbGG sehen ein inhaltliches Normenkontrollrecht der auf den unterschiedlichen Ebenen im Unternehmen und Konzern errichteten Arbeitnehmervertretungen vor. Die gerichtliche Überprüfung einer nicht selbst abgeschlossenen Betriebsvereinbarung kann von einem antragstellenden Betriebsrat nur in Hinblick auf eine Verletzung gerade seiner Regelungsbefugnis erfolgen. Fehlt dem abschließenden Betriebsrat insoweit die Zuständigkeit, erweist sich die Betriebsvereinbarung als Eingriff in die betriebsverfassungsrechtliche Rechtsposition des Antragstellers. Eine von einem unzuständigen Betriebsrat getroffene Vereinbarung ist unwirksam. Nur für den Ausspruch der darauf gestützten Rechtsfolge ist der für den Abschluss der Betriebsvereinbarung tatsächlich zuständige Betriebsrat antragsbefugt.

19

3. Danach fehlt dem Betriebsrat W die Antragsbefugnis. Er kann die Wirksamkeit von § 5 GBV 2009 nicht zur gerichtlichen Überprüfung stellen. Ein solcher Antrag wäre nur zulässig, wenn der Betriebsrat W geltend machen könnte, dass nicht der Gesamtbetriebsrat, sondern er für den Abschluss einer Altersgrenzenregelung zuständig sei. Nur dann wäre er von der unternehmensbezogenen Altersgrenzenregelung in einer eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsposition betroffen. Dies ist nicht der Fall. Der Senat hat aufgrund der mit der rechtskräftigen Abweisung des Antrags zu a) verbundenen Bindungswirkung von der fehlenden Zuständigkeit des Betriebsrats Weiterstadt für den Abschluss einer betrieblichen Altersgrenzenregelung auszugehen.

20

a) Rechtskräftige Beschlüsse entfalten gemäß § 322 Abs. 1 ZPO Bindungswirkung für ein nachfolgendes Verfahren, soweit über den mit dem Antrag erhobenen Anspruch entschieden worden ist. Die Bindungswirkung beschränkt sich auf den unmittelbaren Gegenstand des Beschlusses, dh. auf die Rechtsfolge, die aufgrund eines bestimmten Sachverhalts bei Schluss der mündlichen Verhandlung den Entscheidungssatz bildet. Einzelne Urteilselemente, tatsächliche Feststellungen und rechtliche Folgerungen, auf denen die getroffene Entscheidung aufbaut, werden dagegen von der Rechtskraft nicht erfasst (BGH 26. Juni 2003 - I ZR 269/00 - zu II 1 a der Gründe, NJW 2003, 3058). Das Gericht ist an die im Vorprozess getroffene Entscheidung gebunden, wenn deren Inhalt zum Tatbestand der im neuen Verfahren geltend gemachten Rechtsfolge gehört (Rosenberg/Schwab/Gottwald Zivilprozessrecht 17. Aufl. § 154 Rn. 8). Die im ersten Verfahren rechtskräftig entschiedene Rechtsfolge ist im zweiten Verfahren zugrunde zu legen, wenn diese dort eine Vorfrage darstellt. Bei einer den Antrag abweisenden Entscheidung ist der aus der Begründung zu ermittelnde, die Rechtsfolge bestimmende, ausschlaggebende Abweisungsgrund Teil des in Rechtskraft erwachsenden Entscheidungssatzes und nicht allein ein Element der Entscheidungsbegründung (BAG 20. November 2012 - 1 AZR 611/11 - Rn. 89).

21

b) Das Landesarbeitsgericht hat im Rahmen seiner Begründung zu den im Betrieb W bestehenden Regelungen entschieden, dass § 4 BV 2009 nach dem Betriebsübergang zum 1. Juli 2010 aufgrund der bei der PGM geltenden GBV 2009 unwirksam geworden ist. In seiner Begründung hat es die Regelungsbefugnis des Betriebsrats W für den Abschluss einer auf den Gemeinschaftsbetrieb beschränkten Altersgrenzenregelung für den Zeitraum nach Wirksamwerden des Betriebsübergangs verneint. Es hat die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats PGM nach § 50 Abs. 1 BetrVG bejaht und den Feststellungsantrag aus diesem Grund abgewiesen.

22

c) Danach ist der Betriebsrat W für den Antrag zu c) nicht antragsbefugt. Er wird durch die Geltung von § 5 GBV 2009 nicht in einer eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsposition betroffen. Dem Betriebsrat W fehlte zum Zeitpunkt der Anhörung vor dem Beschwerdegericht die Regelungsbefugnis für den Abschluss einer Betriebsvereinbarung über eine Altersgrenze. Dies folgt aus der Bindungswirkung der abweisenden Entscheidung des Landesarbeitsgerichts. Die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats nach § 50 Abs. 1 BetrVG war für das Beschwerdegericht der tragende Abweisungsgrund und nicht allein ein Element seiner Entscheidungsbegründung. Dies steht einer erneuten Prüfung der Regelungsbefugnis des Betriebsrats W im vorliegenden Verfahren entgegen.

23

d) Der Betriebsrat W ist auch nicht in Hinblick auf sein Überwachungsrecht (§ 80 Abs. 1 BetrVG) in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Position betroffen.

24

Nach dieser Bestimmung kann der Betriebsrat den Arbeitgeber zur Einhaltung der zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Schutzvorschriften auffordern. Das Überwachungsrecht des Betriebsrats ist darauf beschränkt, eine Nichtbeachtung oder fehlerhafte Durchführung der Vorschriften beim Arbeitgeber zu beanstanden und auf Abhilfe zu drängen (BAG 18. Mai 2010 - 1 ABR 6/09 - Rn. 21, BAGE 134, 249). Aus der Überwachungsaufgabe des Betriebsrats folgt indes kein Recht zur Normenkontrolle der nicht von ihm abgeschlossenen Normen.

        

    Schmidt    

        

    Linck    

        

    Koch    

        

        

        

    Manfred Gentz    

        

    Berg    

                 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 7. November 2013 - 6 Sa 105/13 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten noch über Entgeltdifferenzansprüche für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Mai 2012.

2

Die Beklagte ist Trägerin eines Zwei-Sparten-Theaters in F und D. Sie ist Mitglied im Arbeitgeberverband Deutscher Bühnenverein, Bundesverband der Theater und Orchester.

3

Der Kläger ist bei der Beklagten seit 1982 als Beleuchter/Stellwerksbeleuchter beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vom 27. April 1994 heißt es ua.:

        

㤠2

        

Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften (BMT-G-O vom 10. Dezember 1990) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) jeweils geltenden Fassung.

        

Außerdem finden die für den Arbeitgeber jeweils geltenden sonstigen einschlägigen Tarifverträge Anwendung.

        

…       

        

§ 4

        

Die Eingruppierung und die Vergütung richten sich nach der Vergütungsordnung zum BMT-G-O für den Bereich der VKA.

        

BMT-G-O L 4

Tätigkeit: Beleuchter

        

plus TBZ“

4

Am 28. Februar 1996 änderten die Parteien den Arbeitsvertrag hinsichtlich der Eingruppierung.

5

Ab 1996 schloss die Beklagte für die Arbeitnehmer, die unter den Geltungsbereich des BAT-O und BMT-G-O fielen, Haustarifverträge, ua. den „Betriebs-Tarifvertrag entsprechend § 15c Abs. 2 BAT-O/§ 14c BMT-G-O ‚Besondere regelmäßige Arbeitszeit‘“ (BTV) ab, mit dem die wöchentliche Arbeitszeit zeitlich befristet auf 37 Stunden herabgesetzt wurde.

6

Am 18. Januar 2005 vereinbarte die Beklagte mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) einen Haustarifvertrag (HTV), in dem es ua. heißt:

        

„…    

        

§ 1 Tarifanwendung

        

Die Tarifparteien vereinbaren die Anwendung des BAT-O/BMT-G-O einschließlich der sie ergänzenden, ändernden oder an ihre Stelle tretenden Tarifverträge in der jeweils gültigen Fassung. Der NV Bühne kommt für die Mitglieder der ver.di nicht zur Anwendung.

        

…       

        

§ 3 Besondere Regelungen zur Arbeitszeit / Blockfreizeit

        

1.    

Für den Zeitraum vom 1. August 2005 bis zum 31. Juli 2008 wird die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit der Beschäftigten … auf durchschnittlich 37 Stunden verkürzt. …

        

§ 6 Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen

        

1.    

Der Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen ist erstmals ab 1.8.2008 zulässig.

        

…       

        

§ 7 Vergütung

        

…       

        

3.    

Die linearen Tarifsteigerungen und strukturellen Angleichungen im BAT-O/BMT-G-O bleiben von diesem Tarifvertrag unberührt.

        

…       

        

§ 9 Inkrafttreten / Geltungsdauer

        

1.    

Dieser Tarifvertrag tritt am 1.8.2005 in Kraft. Er kann unter Einhaltung einer Frist von einem halben Jahr erstmals zum 31.7.2008 gekündigt werden.

        

2.    

Die §§ 3 und 7 treten automatisch zum 31.7.2008 ohne Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 des Tarifvertragsgesetzes außer Kraft.

        

…“    

7

Die Beklagte kündigte am 4. März 2008 den HTV zum 5. September 2008.

8

Im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Mai 2012 zahlte die Beklagte an den Kläger ein regelmäßiges monatliches Entgelt in Höhe von 2.474,80 Euro brutto. Der Betrag entspricht dem Tabellenentgelt der Entgeltgruppe 6 Stufe 6 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst im Bereich der kommunalen Arbeitgeberverbände (TVöD/VKA) im Kalenderjahr 2009.

9

Mit Schreiben vom 27. Mai 2010 machte der Kläger gegenüber der Beklagten Tarifentgelterhöhungen für die Zeit ab dem 1. Januar 2010 geltend, die die Beklagte zurückwies. Mit seiner der Beklagten am 13. Januar 2011 zugestellten Klage (Arbeitsgericht Chemnitz - 10 Ca 41/11 -) machte er bezifferte Entgeltdifferenzansprüche für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2010 geltend und beantragte zuletzt,

        

„…    

        

3.    

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 30. Mai 2011 ein um 1,8 % erhöhtes monatliches Tabellenentgelt gemäß dem TVöD-VKA-O auf Grundlage der Entgeltgruppe 6, Stufe 6 zu zahlen und dem Kläger darüber hinaus entsprechende Lohn-/Gehaltsabrech-nungen zu erteilen;

                 

hilfsweise festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 30. Mai 2011 ein um 1,8 % erhöhtes monatliches Tabellenentgelt gemäß dem TVöD-VKA-O auf Grundlage der Entgeltgruppe 6, Stufe 6 zu zahlen und dem Kläger darüber hinaus entsprechende Lohn- bzw. Gehaltsabrechnungen zu erteilen;

        

4.    

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, zukünftig, beginnend mit dem Monat Juni 2011, an den Kläger ein um 1,8 % und ab dem 1. August 2011 ein um weitere 0,5 % erhöhtes Tabellenentgelt gemäß dem TVöD-VKA-O auf Grundlage der Entgeltgruppe 6, Stufe 6 zu zahlen und dem Kläger darüber hinaus entsprechende Lohn-/Gehaltsabrechnungen zu erteilen;

                 

…       

        

6.    

die Beklagte zu verurteilen, für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2010 ein um 0,25 % auf 1,25 % sowie für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Mai 2011 um 0,25 % auf 1,50 % erhöhtes Leistungsentgelt nach § 18 Abs. 4 TVöD-VKA an den Kläger zu zahlen und darüber hinaus entsprechende Lohn-/Gehaltsabrechnungen zu erteilen;

                 

hilfsweise festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2010 ein um 0,25 % auf 1,25 % sowie für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Mai 2011 um 0,25 % auf 1,50 % erhöhtes Leistungsentgelt nach § 18 Abs. 4 TVöD-VKA an den Kläger zu zahlen und darüber hinaus entsprechende Lohn-/Gehaltsabrechnungen zu erteilen;

        

7.    

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ab 1. Juni 2011 für das Jahr 2011 ein um 0,25 % auf 1,50 %, für das Jahr 2012 ein um 0,25 % auf 1,75 % und für das Jahr 2013 ein um 0,25 % auf 2,00 % erhöhtes Leistungsentgelt nach § 18 Abs. 4 TVöD-VKA an den Kläger zu zahlen.“

10

Das Arbeitsgericht wies die Klage mit Urteil vom 21. Juni 2011 als teilweise unzulässig und insgesamt unbegründet ab. In den Entscheidungsgründen heißt es:

        

„1.     

Die Klage ist nur teilweise zulässig.

                 

Die Klageanträge zu 3. und 6. sind wegen §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO mangels Bestimmtheit unzulässig. Mit diesen Hauptanträgen begehrt der Kläger Zahlung von der Beklagte[n], ohne aber mit den Leistungsanträgen anzugeben, in welcher konkreten Höhe die geltend gemachten Forderungen bestehen sollen.

                 

Soweit der Kläger seine Ansprüche im Übrigen im Wege von Feststellungsanträgen verfolgt, sind diese ebenfalls unzulässig, da hier das nach § 256 Abs. 1 ZPO besondere Feststellungsinteresse nicht gegeben ist. …

        

2.    

Die Klage ist aber insgesamt unbegründet. …“

11

Der Kläger legte gegen diese Entscheidung Berufung beim Sächsischen Landesarbeitsgericht (- 5 Sa 476/11 -) ein und stellte für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Mai 2012 anstelle der erstinstanzlich geltend gemachten Feststellungsanträge nunmehr bezifferte Zahlungsanträge. Nachdem die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 4. Juli 2012 bereits die „Zurückweisung der Berufung einschließlich der Klageerweiterung“ beantragt hatte, nahm der Kläger dann die Berufung zurück. Die Beklagte widersprach der Berufungsrücknahme. Das Landesarbeitsgericht erließ daraufhin einen Beschluss nach § 516 Abs. 3 ZPO.

12

Der Kläger hat im vorliegenden Verfahren die Auffassung vertreten, der Arbeitsvertrag verweise dynamisch auf die jeweiligen Tarifverträge des öffentlichen Dienstes. Er habe deshalb für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Mai 2012 Anspruch auf Zahlung der Entgeltdifferenzen in Höhe der seit 2009 erfolgten Erhöhungen des Tabellenentgelts des TVöD/VKA.

13

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.056,06 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz in näher bestimmtem Umfang und zeitlicher Staffelung zu zahlen.

14

Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags ausgeführt, der Antrag sei schon aufgrund der rechtskräftigen Abweisung der Ansprüche im Vorprozess oder jedenfalls anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässig. Der Kläger habe den Zahlungsantrag für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Mai 2012 bereits im Berufungsverfahren des Vorprozesses im Wege der Klageerweiterung geltend gemacht. Die Berufungsrücknahme im Vorprozess erfasse die Klageerweiterung nicht. Sie habe ihre Zustimmung zur Rücknahme ausdrücklich verweigert. In der Sache finde der TVöD/VKA für das Arbeitsverhältnis nur noch statisch Anwendung. Der Arbeitsvertrag verweise auf den HTV. Aus § 7 Nr. 3 und § 9 Nr. 2 HTV ergebe sich, dass nach dem 31. Juli 2008 keine Pflicht zur Weitergabe von Tarifentgelterhöhungen mehr bestehe. Jedenfalls sei die arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel als „vorweggenommene Gleichstellungsabrede“ zu verstehen. Die Ansprüche seien im Übrigen nicht rechtzeitig geltend gemacht worden.

15

Die Vorinstanzen haben der Klage - soweit für die Revision von Belang - stattgegeben. Mit der vom Senat beschränkt zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

16

Die zulässige Revision ist unbegründet. Zwar durfte das Landesarbeitsgericht der Klage nicht mit der von ihm gegebenen Begründung stattgeben (I.). Die Entscheidung stellt sich gleichwohl aus anderen Gründen als richtig dar (II.). Deshalb war die Revision gem. § 561 ZPO zurückzuweisen.

17

I. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts enthält § 2 des Arbeitsvertrags keine Bezugnahme auf den HTV.

18

1. Der HTV ist kein den TVöD/VKA „ergänzender, ändernder oder ersetzender“ Tarifvertrag iSv. § 2 Satz 1 des Arbeitsvertrags. Nach dem Wortlaut der Bezugnahmeregelung ist das Arbeitsverhältnis den Tarifbestimmungen des öffentlichen Dienstes „für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände“ unterstellt worden. Damit sollten nur die von den Tarifvertragsparteien des TVöD/VKA abgeschlossenen (Verbands-)Tarifverträge in Bezug genommen werden. Dies können zwar auch firmenbezogene Sanierungstarifverträge sein. Sie müssen dann aber unter Beteiligung des Kommunalen Arbeitgeberverbands geschlossen worden sein. Nicht von der Bezugnahmeklausel erfasst sind hingegen Haustarifverträge eines privaten Arbeitgebers. Diese sind - jedenfalls arbeitgeberseitig - nicht von den Tarifvertragsparteien des TVöD/VKA abgeschlossen worden (vgl. BAG 26. August 2015 - 4 AZR 719/13 - Rn. 15).

19

2. Eine Bezugnahme auf den HTV ergibt sich auch nicht aus § 2 Satz 2 des Arbeitsvertrags, wonach „[a]ußerdem … die für den Arbeitgeber jeweils geltenden sonstigen einschlägigen Tarifverträge Anwendung“ finden sollen.

20

a) Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Bestimmung. Der Begriff „außerdem“ bedeutet „daneben“, „des Weiteren“, „im Übrigen“, „zusätzlich“ (Duden Das Bedeutungswörterbuch 4. Aufl.). Aus der Wortwahl ergibt sich, dass mit dieser ergänzenden Bezugnahmeregelung Tarifverträge erfasst werden sollten, die „neben“ dem TVöD oder „zusätzlich“ zu diesem zur Anwendung kommen können. Dabei kann es sich nur um Tarifverträge handeln, deren inhaltliche Regelungsbereiche sich nicht mit denen des TVöD überschneiden. Andernfalls wären sie nicht „neben“ dem, sondern vielmehr „anstelle“ des TVöD anwendbar (sh. zur Auslegung einer nahezu identischen Klausel BAG 26. August 2015 - 4 AZR 719/13 - Rn. 17 mwN).

21

b) Dieses Verständnis wird durch die Bezugnahme auf die „sonstigen“ einschlägigen Tarifverträge bestätigt. Ein verständiger Vertragspartner des Arbeitgebers durfte diese Formulierung als inhaltliche Einschränkung der Verweisung, dh. dahingehend verstehen, dass es sich insoweit nur um solche Tarifverträge handeln sollte, die sich in ihrem inhaltlichen Regelungsbereich von denen der Tarifverträge des TVöD/VKA unterscheiden und diese nicht „verdrängen“. Andernfalls käme der Regelung in § 2 Satz 2 des Arbeitsvertrags - was die Beklagte offenbar annimmt - die Funktion einer Tarifwechselklausel zu. Eine kleine dynamische Verweisung kann jedoch über ihren Wortlaut hinaus nur dann als große dynamische Verweisung (Tarifwechselklausel) ausgelegt werden, wenn sich dies aus den besonderen Umständen ergibt (vgl. nur BAG 6. Juli 2011 - 4 AZR 706/09 - Rn. 45 mwN, BAGE 138, 269). Solche sind dem Wortlaut der Bezugnahmeklausel im Entscheidungsfall nicht zu entnehmen (vgl. auch BAG 26. August 2015 - 4 AZR 719/13 - Rn. 18).

22

II. Die Entscheidung stellt sich jedoch aus anderen Gründen als richtig dar.

23

1. Die Klage ist zulässig. Die geltend gemachten Ansprüche sind weder anderweitig rechtshängig noch steht die Rechtskraft des Urteils des Arbeitsgerichts Chemnitz vom 21. Juni 2011 ihrer Zulässigkeit entgegen.

24

a) Der in die Revision gelangte Streitgegenstand ist nicht anderweitig rechtshängig iSv. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO. Zwar hat der Kläger in dem Berufungsverfahren vor dem Sächsischen Landesarbeitsgericht (- 5 Sa 476/11 -) einen Zahlungsantrag für denselben Zeitraum (Januar 2011 bis Mai 2012) gestellt. Durch die Berufungsrücknahme im Vorprozess ist dessen Rechtshängigkeit jedoch insgesamt entfallen.

25

aa) Die Erklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 4. Juli 2012 vor dem Landesarbeitsgericht, er „nehme die Berufung zurück“ bezieht sich auf das gesamte im Berufungsverfahren verfolgte Begehren. So haben auch sowohl die Parteien als auch das Landesarbeitsgericht die Erklärung verstanden. Dieses hat auf Antrag der Beklagten daraufhin einen Kostenbeschluss nach § 516 Abs. 3 ZPO erlassen.

26

bb) Die Rücknahme der Berufung war auch wirksam. Der Zustimmung der Beklagten bedurfte es nicht.

27

(1) Gem. § 516 Abs. 1 ZPO kann der Berufungskläger die Berufung bis zur Verkündung des Berufungsurteils ohne Zustimmung des Berufungsbeklagten zurücknehmen. Die Vorschrift stellt gegenüber § 269 ZPO eine Sonderregelung für die Rücknahme des Rechtsmittels dar(Baumbach/Lauterbach/Albers/Hart-mann ZPO 74. Aufl. § 269 Rn. 1). Die Rücknahme der Klage im Berufungsverfahren bedarf demgegenüber grundsätzlich der Zustimmung des Beklagten. § 269 Abs. 1 ZPO gilt auch im Berufungsverfahren(zB Zöller/Heßler ZPO 31. Aufl. § 516 Rn. 1). Das Zustimmungserfordernis erfasst grundsätzlich auch die teilweise Klagerücknahme. Dies setzt aber voraus, dass sich diese auf einen abtrennbaren Teil des Klagebegehrens bezieht (MüKoZPO/Becker-Eberhard 5. Aufl. § 264 Rn. 23). Bei einer lediglich qualitativen Klagebeschränkung - zB einem Übergang von einem Leistungs- zu einem Feststellungsantrag - ist § 269 Abs. 1 ZPO unabhängig von der Frage, ob es sich dabei um einen Fall des § 264 Nr. 2 ZPO handelt, nicht anzuwenden. Eine solche Beschränkung des Berufungsantrags bedarf daher nicht der Zustimmung des Prozessgegners (vgl. BAG 14. Dezember 2010 - 9 AZR 642/09 - Rn. 21).

28

(2) Danach findet § 269 Abs. 1 ZPO im Streitfall keine Anwendung. Der Kläger hat seine Klage in der Berufungsinstanz des Vorprozesses nicht etwa um einen selbständigen - abtrennbaren - Streitgegenstand erweitert. Er hat vielmehr lediglich teilweise einen unbezifferten in einen bezifferten und teilweise den ursprünglich gestellten Feststellungsantrag hinsichtlich der zwischenzeitlich fällig gewordenen Ansprüche in einen - bezifferten - Leistungsantrag umgestellt. Seine Erklärung der Berufungsrücknahme, die ersichtlich auf die Rücknahme des gesamten Berufungsbegehrens gerichtet war, ist entsprechend dahingehend zu verstehen, dass er seinen Antrag zunächst - soweit ein Übergang vom Feststellungs- zum Zahlungsantrag erfolgt war - wieder auf das Feststellungsbegehren beschränken und das Rechtsmittel sodann zurücknehmen wollte. Beides war ohne Zustimmung der Beklagten möglich. Die Frage, ob und ggf. in welchen Fällen eine in der Berufungsinstanz vorgenommene Klageerweiterung allein nach § 516 Abs. 1 ZPO ohne Zustimmung des Prozessgegners zurückgenommen werden kann, bedarf deshalb keiner Entscheidung.

29

b) Der Zulässigkeit der Zahlungsklage steht auch nicht eine Rechtskraft des Urteils des Arbeitsgerichts Chemnitz vom 21. Juni 2011 entgegen. Die materielle Rechtskraft eines Urteils führt in einem späteren Rechtsstreit nur dann zur Unzulässigkeit der neuen Klage, wenn die Streitgegenstände beider Prozesse identisch sind oder im zweiten Prozess das kontradiktorische Gegenteil der im ersten Prozess ausgesprochenen Rechtsfolge begehrt wird (BGH 16. Januar 2008 - XII ZR 216/05 - Rn. 22). Das ist hier nicht der Fall. Gegenstand des rechtskräftig gewordenen - erstinstanzlichen - Urteils im Vorprozess war für den hier streitgegenständlichen Zeitraum eine Feststellung, während hier ein Zahlungsanspruch geltend gemacht wird. Dabei handelt es sich um unterschiedliche Streitgegenstände (vgl. BGH 16. Januar 2008 - XII ZR 216/05 - aaO).

30

2. Die Klage ist begründet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Entgeltdifferenzansprüche zu.

31

a) Der Anspruch des Klägers auf die begehrten Tarifentgelterhöhungen für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Mai 2012 ergibt sich aus § 2 Satz 1 iVm. § 4 des Arbeitsvertrags. Die genannten Vertragsklauseln enthalten eine zeitdynamische Verweisung auf den TVöD/VKA in seiner jeweiligen Fassung.

32

aa) § 2 Satz 1 des Arbeitsvertrags vom 27. April 1994 verweist auf den BMT-G-O vom 10. Dezember 1990 sowie ergänzende, ändernde oder ersetzende Tarifverträge in der für den Bereich der VKA jeweils geltenden Fassung. Diese arbeitsvertragliche Verweisungsklausel ist eine zu dieser Zeit typische zeitdynamische Inbezugnahme des BMT-G-O in seiner jeweiligen Fassung (vgl. BAG 15. Juni 2011 - 4 AZR 563/09 - Rn. 29). Sie erfasst nach der Tarifsukzession auch den TVöD/VKA. Bei diesem handelt es sich um einen den BMT-G-O ersetzenden Tarifvertrag im Sinne der Klausel (vgl. ausführlich BAG 22. April 2009 - 4 ABR 14/08 - Rn. 21 ff., BAGE 130, 286).

33

bb) Die Bezugnahmeklausel ist keine Gleichstellungsabrede im Sinne der Senatsrechtsprechung. Die von der Rechtsprechung angenommenen Voraussetzungen liegen nicht vor (vgl. dazu zuletzt BAG 26. August 2015 - 4 AZR 719/13 - Rn. 21; 13. Mai 2015 - 4 AZR 244/14 - Rn. 20 mwN).

34

(1) Zum Zeitpunkt der Vereinbarung der Bezugnahmeklausel am 27. April 1994 war die Beklagte nicht an den in Bezug genommenen BMT-G-O gebunden. Sie war zu keinem Zeitpunkt Mitglied eines Mitgliedsverbands der VKA.

35

(2) Der Abschluss des BTV vom 30. Juni 1996 führt entgegen der Auffassung der Beklagten zu keinem anderen Ergebnis.

36

(a) Der BTV hat, anders als der HTV, keine Gebundenheit der Beklagten an den BMT-G-O zur Folge. In § 1 des BTV wurde lediglich der Geltungsbereich entsprechend dem Geltungsbereich des BMT-G-O festgelegt. Dies stellt keinen Verweis auf die Inhaltsnormen des BMT-G-O dar. Tarifgebunden an den BMT-G-O war die Beklagte damit auch im Jahre 1996 nicht.

37

(b) Überdies wurde der BTV erst mehr als zwei Jahre nach der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel vereinbart. Selbst die von der Beklagten angeführte Arbeitsvertragsänderung vom Februar 1996 lag zeitlich vor dem Abschluss des BTV. Eine „vorweggenommene Gleichstellungsabrede“ - wie die Beklagte meint - gibt es nicht. Die Tarifgebundenheit zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ist für die Annahme einer Gleichstellungsabrede in einem „Altvertrag“ zwingende Voraussetzung.

38

b) Dem Anspruch des Klägers steht auch die rechtskräftige Abweisung der Feststellungsanträge zu 3. (Hilfsantrag) und 4. durch das Urteil des Arbeitsgerichts Chemnitz vom 21. Juni 2011 nicht entgegen.

39

aa) Für die Bestimmung des Rechtskraftumfangs eines klageabweisenden Urteils ist von maßgebender Bedeutung, ob es sich um ein bloßes Prozessurteil handelt, mit dem die Klage als unzulässig abgewiesen worden ist, oder um ein die Begründetheit verneinendes Sachurteil. Lediglich letzterem kann eine präjudizielle Wirkung hinsichtlich der materiellen Sachprüfung im nachfolgenden Verfahren zukommen (vgl. BGH 25. November 1966 - V ZR 30/64 - zu II a der Gründe, BGHZ 46, 281).

40

Der Umfang der materiellen Rechtskraft gem. § 322 Abs. 1 ZPO ist aus dem Urteil und den dazu ergangenen Gründen zu bestimmen(BAG 27. Mai 2015 - 5 AZR 88/14 - Rn. 40, BAGE 152, 1). Erforderlichenfalls kann auch das wechselseitige Parteivorbringen ergänzend herangezogen werden (vgl. BGH 4. April 2014 - V ZR 275/12 - Rn. 29, BGHZ 200, 350). Bei einer klageabweisenden Entscheidung ist der ausschlaggebende Abweisungsgrund Teil des in Rechtskraft erwachsenden Entscheidungssatzes und nicht allein ein Element der Entscheidungsbegründung (vgl. BAG 10. April 2014 - 2 AZR 812/12 - Rn. 29).

41

(1) Lassen die Urteilsgründe eines klageabweisenden Urteils die Zulässigkeit der Klage - verfahrensfehlerhaft - dahinstehen, ist es der uneingeschränkten materiellen Rechtskraft fähig, wenn aus dessen Tenor und Entscheidungsgründen ersichtlich ist, dass das Gericht ungeachtet seiner Zweifel an der Zulässigkeit der Klage kein Prozessurteil erlassen, sondern eine Sachentscheidung getroffen hat (BGH 16. Januar 2008 - XII ZR 216/05 -). Dasselbe soll in den Fällen gelten, in denen das Gericht im Vorprozess ausnahmsweise eine Zulässigkeitsfrage dahinstehen lassen und eine Klage als „jedenfalls unbegründet“ abweisen darf (sh. dazu im Allgemeinen Zöller/Greger aaO Vor § 253 Rn. 10; zur Prüfung des Feststellungsinteresses nach § 256 Abs. 1 ZPO BAG 12. Februar 2003 - 10 AZR 299/02 - zu II 1 der Gründe mwN, BAGE 104, 324).

42

(2) Wird hingegen in einem Urteil die Zulässigkeit einer Klage ausdrücklich verneint und die Entscheidung tragend hierauf gestützt, sind die zusätzlichen Ausführungen zur Begründetheit als unverbindlich zu betrachten und so zu behandeln, als wären sie nicht vorhanden (vgl. BGH 16. Januar 2008 - XII ZR 216/05 - Rn. 14).

43

bb) Danach hat das Arbeitsgericht Chemnitz die damaligen Anträge zu 3. und 4. tragend als unzulässig abgewiesen. Die Ausführungen zur Begründetheit sind daher insoweit unverbindlich.

44

(1) Hinsichtlich des den Zeitraum Januar bis Mai 2011 betreffenden Antrags zu 3. hat das Arbeitsgericht im Vorprozess ausgeführt, dieser sei - neben dem Antrag zu 6. - „mangels Bestimmtheit unzulässig“. Diese Aussage hat es zwar im Folgesatz zunächst auf die Hauptanträge in den Anträgen zu 3. und 6. bezogen. Es hat jedoch sodann ausgeführt, die Klage sei - mangels besonderen Feststellungsinteresses - ebenfalls unzulässig, „soweit der Kläger seine Ansprüche im Übrigen im Wege von Feststellungsanträgen“ verfolge. Angesichts der namentlichen Nennung des Antrags zu 3. und der Verknüpfung „im Übrigen“ bezieht sich die Entscheidung über die Unzulässigkeit jedenfalls auch auf den im Antrag zu 3. - hilfsweise - enthaltenen Feststellungsantrag.

45

(2) Die Ausführungen des Arbeitsgerichts zur Zulässigkeit der Feststellungsanträge beziehen sich überdies auch auf den Antrag zu 4., welcher den Zeitraum ab Juni 2011 betrifft. Hierfür spricht schon der Wortlaut der Urteilsbegründung.

46

(a) Das Arbeitsgericht beschränkt die Abweisung der Anträge als unzulässig nicht auf die Anträge zu 3. und 6. Vielmehr spricht es insoweit ohne jede Beschränkung von der „[Anspruchsverfolgung] im Wege von Feststellungsanträgen“. Unter diesen Wortlaut fällt auch der Antrag zu 4.

47

(b) Entgegen der Auffassung der Revision spricht auch der letzte Satz der Zulässigkeitsprüfung des Arbeitsgerichts nicht für, sondern vielmehr gegen eine Beschränkung der Ausführungen auf die in den Anträgen zu 3. und 6. enthaltenen Hilfsanträge. Dort führt das Arbeitsgericht aus, der Kläger müsse „in einem solchen Fall … dann fällige Ansprüche jeweils beziffern“. Dies trifft nicht nur auf die mit dem Antrag zu 3. geltend gemachten fälligen und bezifferbaren Ansprüche, sondern gleichermaßen auf die zukünftig („dann“) fällig werdenden Ansprüche zu, die mit dem Antrag zu 4. verfolgt wurden.

48

c) Der Anspruch ist nicht nach § 37 Abs. 1 TVöD/VKA verfallen.

49

aa) Der Kläger hat jedenfalls mit seiner der Beklagten am 13. Januar 2011 zugestellten Klage eine dynamische Bezugnahme auf den TVöD/VKA und die daraus folgende Pflicht der Beklagten zur Weitergabe von Tarifentgelterhöhungen behauptet und seine Ansprüche für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2010 konkret beziffert. Damit hat er nach § 37 Abs. 1 Satz 2 TVöD/VKA auch für die im vorliegenden Rechtsstreit geltend gemachten Entgeltdifferenzen die Ausschlussfrist gewahrt.

50

bb) Die nachfolgende Rücknahme der Berufung in zweiter Instanz ändert daran nichts. § 37 Abs. 1 Satz 1 TVöD/VKA enthält lediglich eine Obliegenheit zur schriftlichen Geltendmachung. Ist diese - wie vorliegend - im Zuge einer Klageerhebung erfolgt, hat die spätere Klagerücknahme oder Berufungsrücknahme nach Unterliegen in erster Instanz auf die Wirksamkeit der Geltendmachung keine Auswirkungen (BAG 20. April 2011 - 4 AZR 368/09 - Rn. 64).

51

d) Die vom Kläger zuletzt geltend gemachten Ansprüche stehen ihm auch der Höhe nach zu. Insoweit hat die Beklagte in der Revision keine Rügen erhoben. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB iVm. § 24 Abs. 1 Satz 2 TVöD/VKA, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.

52

III. Die Beklagte hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Eylert    

        

    Creutzfeldt    

        

    Rinck    

        

        

        

    Rupprecht    

        

    Schuldt    

                 
22
3. Dies macht die vorliegende Klage zwar nicht unzulässig. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führt die materielle Rechtskraft eines Urteils in einem späteren Rechtsstreit nur dann zur Unzulässigkeit der neuen Klage und deshalb zur Prozessabweisung, wenn die Streitgegenstände beider Prozesse identisch sind oder im zweiten Prozess das kontradiktorische Gegenteil der im ersten Prozess ausgesprochenen Rechtsfolge begehrt wird. Das ist hier nicht der Fall. Da das Urteil im Vorprozess einen Feststellungsanspruch betrifft, während hier ein Leistungsanspruch geltend gemacht wird, liegen unterschiedliche Streitgegenstände vor (vgl. BGH, Urteile vom 22. November 1988 - VI ZR 341/87 - NJW 1989, 393 f. und vom 17. Februar 1983 - III ZR 184/81 - NJW 1983, 2032 f.).

(1) Mindestens ein Viertel der wahlberechtigten Arbeitnehmer, der Arbeitgeber oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft können beim Arbeitsgericht den Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat oder die Auflösung des Betriebsrats wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten beantragen. Der Ausschluss eines Mitglieds kann auch vom Betriebsrat beantragt werden.

(2) Wird der Betriebsrat aufgelöst, so setzt das Arbeitsgericht unverzüglich einen Wahlvorstand für die Neuwahl ein. § 16 Abs. 2 gilt entsprechend.

(3) Der Betriebsrat oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft können bei groben Verstößen des Arbeitgebers gegen seine Verpflichtungen aus diesem Gesetz beim Arbeitsgericht beantragen, dem Arbeitgeber aufzugeben, eine Handlung zu unterlassen, die Vornahme einer Handlung zu dulden oder eine Handlung vorzunehmen. Handelt der Arbeitgeber der ihm durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung auferlegten Verpflichtung zuwider, eine Handlung zu unterlassen oder die Vornahme einer Handlung zu dulden, so ist er auf Antrag vom Arbeitsgericht wegen einer jeden Zuwiderhandlung nach vorheriger Androhung zu einem Ordnungsgeld zu verurteilen. Führt der Arbeitgeber die ihm durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung auferlegte Handlung nicht durch, so ist auf Antrag vom Arbeitsgericht zu erkennen, dass er zur Vornahme der Handlung durch Zwangsgeld anzuhalten sei. Antragsberechtigt sind der Betriebsrat oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft. Das Höchstmaß des Ordnungsgeldes und Zwangsgeldes beträgt 10.000 Euro.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1. bis 248. und 254. bis 256. gegen den Beschluss des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 19. September 2013 - 9 TaBV 225/12 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde und die Anschlussrechtsbeschwerde des zu 253. beteiligten Betriebsrats gegen den Beschluss des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 19. September 2013 - 9 TaBV 225/12 - werden als unzulässig verworfen.

Gründe

1

A. Die Beteiligten streiten über den Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat.

2

Die Beteiligten zu 250. bis 252. und 257. betreiben einen Gemeinschaftsbetrieb, in dem bei Einleitung des vorliegenden Verfahrens 844 Arbeitnehmer beschäftigt waren. Der Beteiligte zu 253. ist der für den Gemeinschaftsbetrieb gewählte Betriebsrat. Die Beteiligte zu 249. ist Mitglied dieses Betriebsrats. Die zu 1. bis 248. und 254. bis 256. beteiligten Antragsteller sind in dem Gemeinschaftsbetrieb beschäftigte Arbeitnehmer.

3

Die Beteiligte zu 249. war die Vorsitzende des im Jahr 2010 gewählten Betriebsrats. Nachdem auf die Initiative der Beteiligten zu 8., 50., 66., 68. und 166., die der Minderheitsfraktion dieses Betriebsrats angehörten, in der Belegschaft um Unterstützung für einen Antrag auf Ausschließung der Beteiligten zu 249. aus dem Betriebsrat geworben worden war, leiteten die Antragsteller am 20. Juni 2011 das vorliegende Ausschließungsverfahren ein mit der Begründung, die Beteiligte zu 249. habe ihre betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten grob verletzt.

4

Die Antragsteller haben beantragt,

        

die Beteiligte zu 249. aus dem Betriebsrat auszuschließen.

5

Die Beteiligte zu 249. und der Betriebsrat haben beantragt, den Antrag abzuweisen. Die Arbeitgeberinnen haben keine Anträge gestellt.

6

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat den Beschluss des Arbeitsgerichts abgeändert und den Antrag abgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde begehren die Antragsteller die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Im Laufe des Rechtsbeschwerdeverfahrens fand im Mai 2014 eine Betriebsratswahl statt. Die Beteiligte zu 249. wurde erneut zum Betriebsratsmitglied gewählt. Sie ist jedoch nicht mehr Vorsitzende des Betriebsrats. Nach der Neuwahl haben die Antragsteller erklärt, der Ausschließungsantrag beziehe sich auch auf den Ausschluss der Beteiligten zu 249. aus dem im Jahr 2014 neu gewählten Betriebsrat. Der Betriebsrat beantragt, den Beschluss des Landesarbeitsgerichts aufzuheben und die Beschwerden gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts zurückzuweisen; er beantragt des Weiteren, die Beteiligte zu 249. aus dem Betriebsrat auszuschließen. Die Beteiligte zu 249. beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

7

B. Die Rechtsbeschwerde der Antragsteller ist zulässig, aber unbegründet. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats, mit der er die Zurückweisung der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Beschluss erstrebt, ist unzulässig, ebenso dessen Anschlussrechtsbeschwerde, mit der er die Ausschließung der Beteiligten zu 249. aus dem Betriebsrat begehrt.

8

I. Die zulässige Rechtsbeschwerde der Antragsteller ist unbegründet.

9

1. Die Rechtsbeschwerde der Antragsteller ist entgegen der im Schriftsatz vom 20. März 2014 vertretenen Ansicht des Betriebsrats nicht mangels ordnungsgemäßer Begründung unzulässig.

10

a) Nach § 94 Abs. 2 Satz 2 ArbGG muss die Rechtsbeschwerdebegründung angeben, inwieweit die Abänderung des angefochtenen Beschlusses beantragt wird, welche Bestimmungen verletzt sein sollen und worin die Verletzung bestehen soll. Dazu hat die Rechtsbeschwerde - wie die Revision im Urteilsverfahren gemäß § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO - den Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufzuzeigen, dass Gegenstand und Richtung ihres Angriffs erkennbar sind. Eine ordnungsgemäße Rechtsbeschwerdebegründung erfordert eine Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung. Der Rechtsbeschwerdeführer muss darlegen, warum er die Begründung des Beschwerdegerichts für unrichtig hält (BAG 7. Oktober 2015 - 7 ABR 75/13 - Rn. 11; 11. September 2013 - 7 ABR 29/12 - Rn. 13 mwN).

11

b) Diesen Anforderungen genügt die Rechtsbeschwerdebegründung. Sie setzt sich mit den tragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung ausreichend auseinander. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, das für den Ausschließungsantrag erforderliche Quorum sei nicht erfüllt, da das Quorum nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nur durch zum Teil massive Einflussnahme seitens des Leiters des Außendienstes der zu 250. bis 252. und 257. beteiligten Arbeitgeberinnen und einiger Business Coaches erreicht worden sei. Diese Begründung des Landesarbeitsgerichts haben die Antragsteller mit der Rechtsbeschwerdebegründung angegriffen, indem sie die Auffassung vertreten haben, die Einflussnahme von Vertretern der Arbeitgeberinnen auf die Entscheidung der Arbeitnehmer, sich am Ausschließungsverfahren zu beteiligen, sei nicht geeignet, das Quorum als nicht erreicht anzusehen, wenn die Arbeitnehmer nicht in ihrer Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt worden seien. Das sei vorliegend nicht der Fall gewesen. Die Antragsteller haben ferner dargelegt, warum aus ihrer Sicht das Ergebnis der Beweisaufnahme die Annahme des Landesarbeitsgerichts, es habe eine massive Einflussnahme auf die Arbeitnehmer stattgefunden, nicht trägt.

12

2. Die Rechtsbeschwerde der Antragsteller ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat den Antrag, die Beteiligte zu 249. aus dem Betriebsrat auszuschließen, im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der auf die Ausschließung der Beteiligten zu 249. aus dem im Jahr 2010 gewählten Betriebsrat gerichtete Antrag ist unzulässig. Soweit die Antragsteller in der Rechtsbeschwerdeinstanz erklärt haben, ihr Antrag beziehe sich auch auf den Ausschluss der Beteiligten zu 249. aus dem im Jahr 2014 gewählten Betriebsrat, liegt eine in der Rechtsbeschwerdeinstanz unzulässige Antragserweiterung vor.

13

a) Die Antragsteller begehren die Ausschließung der Beteiligten zu 249. sowohl aus dem im Jahr 2010 als auch aus dem im Jahr 2014 gewählten Betriebsrat nach § 23 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Der Ausschließungsantrag betrifft damit zwei Streitgegenstände.

14

aa) Nach dem für den Zivil- und Arbeitsgerichtsprozess einschließlich des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens geltenden sog. zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff wird der Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens durch den konkret gestellten Antrag (Klageantrag) und den ihm zugrunde liegenden Lebenssachverhalt (Klagegrund) bestimmt (vgl. etwa BAG 9. September 2015 - 7 ABR 69/13 - Rn. 32; 8. Dezember 2010 - 7 ABR 69/09 - Rn. 16 mwN). Der Verfahrensgegenstand wird daher erweitert iSd. auch auf die nachträgliche Antragshäufung anzuwendenden § 263 ZPO(vgl. zur nachträglichen Klagehäufung BGH 15. Januar 2001 - II ZR 48/99 - zu B II 1 der Gründe), wenn zwar kein zusätzlicher Antrag gestellt, der Antrag aber zusätzlich auf einen weiteren Lebenssachverhalt gestützt wird (BAG 2. Oktober 2007 - 1 ABR 79/06 - Rn. 18).

15

bb) Danach betrifft das Begehren, die Beteiligte zu 249. aus dem im Jahr 2014 gewählten Betriebsrat auszuschließen, einen anderen Streitgegenstand als das Begehren, sie aus dem im Jahr 2010 gewählten Betriebsrat auszuschließen. Der Antrag ist zwar jeweils auf die Ausschließung der Beteiligten zu 249. aus dem Betriebsrat gerichtet. Es geht jedoch um den Ausschluss aus verschiedenen Betriebsräten und damit um unterschiedliche Lebenssachverhalte. Der neu gewählte Betriebsrat ist mit seinem Vorgänger nicht identisch. Der Betriebsrat besteht nur für die Dauer seiner Amtszeit. Er ist - anders als der Gesamtbetriebsrat und der Konzernbetriebsrat (vgl. dazu BAG 15. Oktober 2014 - 7 ABR 53/12 - Rn. 33, BAGE 149, 261; 9. Februar 2011 - 7 ABR 11/10 - Rn. 42, BAGE 137, 123; 22. Juni 2005 - 7 ABR 30/04 - zu B II der Gründe) - keine Dauereinrichtung. Das Gesetz geht vielmehr von dem jeweils amtierenden Betriebsrat aus. Nach § 21 BetrVG beginnt die Amtszeit des Betriebsrats „mit der Wahl“ oder, wenn zu dieser Zeit noch ein Betriebsrat besteht, „mit Ablauf von dessen Amtszeit“. Das Gesetz stellt damit den bisherigen dem neu gewählten Betriebsrat gegenüber. In gleicher Weise unterscheidet das Gesetz in § 22 BetrVG für die Fälle der (vorzeitigen) Neuwahl des Betriebsrats zwischen dem alten und dem neuen Betriebsrat(BAG 29. April 1969 - 1 ABR 19/68 - zu II B 2 d der Gründe).

16

b) Der Antrag, die Beteiligte zu 249. aus dem im Jahr 2010 gewählten Betriebsrat auszuschließen, ist unzulässig, weil das Rechtsschutzinteresse an der begehrten Entscheidung im Laufe des Rechtsbeschwerdeverfahrens entfallen ist.

17

aa) Das Bestehen eines Rechtsschutzinteresses ist Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Sachentscheidung des Gerichts und deshalb in jeder Lage des Verfahrens, auch noch in der Rechtsbeschwerdeinstanz, von Amts wegen zu prüfen. Das Rechtsschutzinteresse fehlt, wenn die begehrte gerichtliche Entscheidung für die Beteiligten keine rechtliche Wirkung mehr entfalten kann (BAG 9. September 2015 - 7 ABR 47/13 - Rn. 12; 18. März 2015 - 7 ABR 6/13 - Rn. 16; 16. April 2008 - 7 ABR 4/07 - Rn. 13).

18

bb) Das ist bei dem Antrag auf Ausschließung der Beteiligten zu 249. aus dem im Jahr 2010 gewählten Betriebsrat der Fall. Die Amtszeit des im Jahr 2010 gewählten Betriebsrats hat gemäß § 21 Satz 3 iVm. § 13 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 BetrVG spätestens am 31. Mai 2014 geendet. Damit kann sich eine Entscheidung über den Ausschluss der Beteiligten zu 249. aus diesem Betriebsrat für die Beteiligten nicht mehr auswirken, da der gestaltende Beschluss nach § 23 Abs. 1 BetrVG keine Rückwirkung entfaltet, sondern nur für die Zukunft wirkt(BAG 29. April 1969 - 1 ABR 19/68 - zu II B 2 b, 4 der Gründe; 8. Dezember 1961 - 1 ABR 8/60 - zu II 3 a der Gründe, BAGE 12, 107). Insoweit gilt nichts anderes als für einen Wahlanfechtungsantrag. Dieser wird mit Ablauf der Amtszeit des Betriebsrats wegen des Wegfalls des Rechtsschutzinteresses unzulässig (vgl. BAG 9. September 2015 - 7 ABR 47/13 - Rn. 11 ff.).

19

c) Soweit die Antragsteller nunmehr beantragen, die Beteiligte zu 249. aus dem im Jahr 2014 gewählten Betriebsrat auszuschließen, handelt es sich um eine in der Rechtsbeschwerdeinstanz unzulässige Antragserweiterung.

20

aa) Die Antragsteller haben mit ihrer Erklärung, sie verfolgten mit ihrem Antrag auch den Ausschluss der Beteiligten zu 249. aus dem im Jahr 2014 gewählten Betriebsrat, ihren Antrag erweitert. Der Antrag war in den Vorinstanzen nur auf die Ausschließung der Beteiligten zu 249. aus dem im Jahr 2010 gewählten Betriebsrat gerichtet. Das ergibt die gebotene Antragsauslegung.

21

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat die gestellten Anträge als prozessuale Willenserklärungen selbstständig auszulegen. Maßgeblich sind die für Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts entwickelten Grundsätze. Entsprechend § 133 BGB ist nicht am buchstäblichen Sinn des in der Prozesserklärung gewählten Ausdrucks zu haften, sondern der in der Erklärung verkörperte Wille zu ermitteln. Im Zweifel sind Prozesserklärungen dahin auszulegen, dass das gewollt ist, was aus Sicht des Verfahrensbeteiligten nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht. Die schutzwürdigen Belange der übrigen Verfahrensbeteiligten sind zu berücksichtigen (vgl. etwa BAG 27. Mai 2015 - 7 ABR 20/13 - Rn. 18 mwN).

22

(2) Danach war der Antrag, die Beteiligte zu 249. aus dem Betriebsrat auszuschließen, in den Vorinstanzen nur auf die Ausschließung aus dem im Jahr 2010 gewählten Betriebsrat gerichtet und nicht auch als Antrag auf Ausschließung der Beteiligten zu 249. aus dem im Jahr 2014 gewählten Betriebsrat zu verstehen. Im Zeitpunkt des Schlusses der Anhörung der Beteiligten vor dem Landesarbeitsgericht am 19. September 2013 war dieser Betriebsrat noch nicht im Amt. Damit wäre ein Antrag auf Ausschluss der Beteiligten zu 249. aus dem im Jahr 2014 zu wählenden Betriebsrat unzulässig gewesen. Ein Antrag auf Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat kann erst nach der Wahl des Betriebsrats gestellt werden. Vor der Wahl ist ein solcher Antrag unzulässig. Das ergibt sich schon daraus, dass sich der Antrag nach § 23 Abs. 1 Satz 1 BetrVG auf den Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat richtet. Das setzt eine Mitgliedschaft in dem bereits amtierenden Betriebsrat voraus. Dieses Verständnis wird durch systematische Erwägungen bestätigt. Ein Ausschluss eines Wahlbewerbers aus einem noch zu wählenden Betriebsrat führte im Ergebnis zu einer mit § 8 BetrVG nicht zu vereinbarenden Beschränkung der Wählbarkeit. Im Übrigen besteht für einen Ausschließungsantrag vor der Wahl des Betriebsrats auch kein Rechtsschutzinteresse, da nicht feststeht, ob der Wahlbewerber überhaupt zum Betriebsratsmitglied gewählt wird.

23

bb) Die Erweiterung des Antrags auf den Ausschluss der Beteiligten zu 249. aus dem im Jahr 2014 gewählten Betriebsrat ist unzulässig.

24

(1) Antragserweiterungen und sonstige Antragsänderungen sind im Rechtsbeschwerdeverfahren wegen § 559 Abs. 1 ZPO grundsätzlich nicht mehr möglich(vgl. etwa BAG 20. April 2010 - 1 ABR 78/08 - Rn. 37, BAGE 134, 62). Der Schluss der Anhörung vor dem Beschwerdegericht bildet nicht nur bezüglich des tatsächlichen Vorbringens, sondern auch bezüglich der Anträge der Beteiligten die Entscheidungsgrundlage für das Rechtsbeschwerdegericht. Hiervon hat das Bundesarbeitsgericht - abgesehen von den Fällen des § 264 Nr. 2 ZPO - aus prozessökonomischen Gründen Ausnahmen zugelassen, wenn sich der neue Sachantrag auf einen in der Beschwerdeinstanz festgestellten oder von den Beteiligten übereinstimmend vorgetragenen Sachverhalt stützen kann, sich das rechtliche Prüfprogramm nicht wesentlich ändert und die Verfahrensrechte der anderen Beteiligten durch eine Sachentscheidung nicht verkürzt werden(vgl. etwa BAG 29. April 2015 - 7 ABR 102/12 - Rn. 59, BAGE 151, 286; 20. April 2010 - 1 ABR 78/08 - Rn. 37, aaO). Unschädlich ist es außerdem, wenn eine Änderung des Lebenssachverhalts allein in einer für Inhalt und Umfang des Streitstoffs folgenlosen Rechts- oder Funktionsnachfolge besteht (BAG 4. November 2015 - 7 ABR 61/13 - Rn. 20).

25

(2) Danach ist die Antragserweiterung unzulässig.

26

(a) Die Antragsteller haben ihren Antrag nicht iSv. § 264 Nr. 2 ZPO erweitert, sondern mit dem Antrag, die Beteiligte zu 249. aus dem im Jahr 2014 gewählten Betriebsrat auszuschließen, einen anderen Streitgegenstand in das Verfahren eingeführt. Der im Jahr 2014 gewählte Betriebsrat ist zwar Funktionsnachfolger des im Jahr 2010 gewählten Betriebsrats. Die Funktionsnachfolge ist jedoch vorliegend für den Inhalt und Umfang des Streitstoffs nicht folgenlos. Die mit der Neuwahl des Betriebsrats verbundene Änderung des Lebenssachverhalts führt vielmehr zu einer Veränderung des rechtlichen Prüfprogramms. Die Entscheidung über den Antrag auf Ausschließung aus dem neu gewählten Betriebsrat hängt von den bisher nicht entscheidungserheblichen Rechtsfragen ab, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen Pflichtverletzungen aus vorangegangenen Amtszeiten den Ausschluss aus dem Betriebsrat begründen können und ob im Zeitpunkt dieser Antragsänderung das für einen Ausschließungsantrag nach § 23 Abs. 1 BetrVG erforderliche Quorum vorliegen muss. Dies könnte ggf. neue Tatsachenfeststellungen erfordern.

27

(b) Die Antragserweiterung ist nicht deshalb ausnahmsweise zulässig, weil die Antragsteller im vorliegenden Verfahren aufgrund des Zeitablaufs seit der Einleitung des Verfahrens und der zwischenzeitlich erfolgten Neuwahl des Betriebsrats keine rechtskräftige Sachentscheidung über ihren Ausschließungsantrag erwirken können. Dadurch wird der Anspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) entgegen der Auffassung der Antragsteller nicht verletzt.

28

(aa) Das Gebot effektiven Rechtsschutzes ist Ausfluss des staatlichen Justizgewährleistungsanspruchs (vgl. BVerfG 9. Mai 1989 - 1 BvL 35/86 - zu IV 1 a der Gründe, BVerfGE 80, 103). Dieser garantiert nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern gebietet auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Der Bürger hat einen substantiellen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle. Der Zugang zu den Gerichten darf nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (BVerfG 20. Mai 2014 - 2 BvR 2512/13 - Rn. 13; 28. Februar 2013 - 2 BvR 612/12 - Rn. 19, BVerfGK 20, 207; 17. September 2012 - 1 BvR 2254/11 - Rn. 25, BVerfGK 20, 43). Art. 19 Abs. 4 GG gebietet den Gerichten, das Verfahrensrecht so anzuwenden, dass den erkennbaren Interessen des rechtsschutzsuchenden Bürgers bestmöglich Rechnung getragen wird(BVerfG 20. Mai 2014 - 2 BvR 2512/13 - Rn. 13).

29

(bb) Der Zugang zu den Gerichten ist den Antragstellern nicht dadurch unzumutbar erschwert, dass sie ihren Ausschließungsantrag nach einer Neuwahl des Betriebsrats nicht in der Rechtsbeschwerdeinstanz ändern und den Ausschluss des Mitglieds aus dem neu gewählten Betriebsrats beantragen können. Sie haben vielmehr die Möglichkeit, ein neues Ausschließungsverfahren beim Arbeitsgericht einzuleiten. Damit ist ein effektiver Rechtsschutz auch unter Berücksichtigung der zu erwartenden Dauer des Ausschließungsverfahrens gewährleistet. Wird der Antrag alsbald nach der Betriebsratswahl gestellt, ist mit einer rechtskräftigen Entscheidung vor Ablauf der Amtszeit zu rechnen.

30

II. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist unzulässig.

31

1. Der Betriebsrat hat mit Schriftsatz vom 20. April 2016 Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts eingelegt. Der Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats hat in der Anhörung vor dem Senat auf Nachfrage erklärt, der Antrag, den Beschluss des Landesarbeitsgerichts aufzuheben und die Beschwerden gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts zurückzuweisen, sei als Rechtsbeschwerde zu verstehen.

32

2. Die Rechtsbeschwerde ist schon deshalb unzulässig, weil sie nicht innerhalb der einmonatigen Rechtsbeschwerdefrist (§ 92 Abs. 2 Satz 1, § 74 Abs. 1 ArbGG) eingelegt worden ist. Der Beschluss des Landesarbeitsgerichts ist dem Amtsvorgänger des Betriebsrats am 13. November 2013 zugestellt worden. Der Betriebsrat ist mit Beginn seiner Amtszeit im Jahr 2014 nach dem Prinzip der Funktionsnachfolge und dem Grundgedanken der Kontinuität betriebsverfassungsrechtlicher Interessenvertretungen als Funktionsnachfolger seines Vorgängers im vorliegenden Verfahren in dessen Beteiligtenstellung eingetreten (vgl. BAG 27. Mai 2015 - 7 ABR 24/13 - Rn. 14; 13. Mai 2014 - 1 ABR 9/12 - Rn. 14; 24. August 2011 - 7 ABR 8/10 - Rn. 15, BAGE 139, 127). Er hat die verfahrensrechtliche Stellung des bisherigen Betriebsrats eingenommen (vgl. BAG 13. Mai 2014 - 1 ABR 9/12 - Rn. 14; 13. Februar 2013 - 7 ABR 36/11 - Rn. 16). Bei Eingang der Rechtsbeschwerde des Betriebsrats beim Bundesarbeitsgericht am 20. April 2016 war die Rechtsbeschwerdefrist abgelaufen.

33

III. Die Anschlussrechtsbeschwerde des Betriebsrats ist ebenfalls unzulässig.

34

1. Der Betriebsrat hat mit Schriftsatz vom 20. April 2016 neben der Rechtsbeschwerde auch eine Anschlussrechtsbeschwerde eingelegt. Nachdem er in den Vorinstanzen stets die Abweisung des Ausschließungsantrags der zu 1. bis 248. und zu 254. bis 256. beteiligten Arbeitnehmer beantragt hatte, hat er erstmals mit Schriftsatz vom 20. April 2016 selbst beantragt, die Beteiligte zu 249. aus dem Betriebsrat auszuschließen. Damit hat er einen eigenen Ausschließungsantrag nach § 23 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BetrVG gestellt. Ein neuer Sachantrag in der Rechtsbeschwerdeinstanz erfordert, dass der Antragsteller Rechtsmittelführer ist und sein Rechtsmittel zulässig ist (vgl. BAG 28. Mai 2014 - 5 AZR 794/12 - Rn. 12; für die Klageerweiterung in der Berufungsinstanz BGH 30. November 2005 - XII ZR 112/03 - Rn. 15) oder dass er sich dem Rechtsmittel eines anderen Verfahrensbeteiligten anschließt. Da der Betriebsrat keine zulässige Rechtsbeschwerde eingelegt hat, ist der Antrag als Anschlussrechtsbeschwerde auszulegen. Dieses Antragsverständnis hat der Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats in der Anhörung vor dem Senat auf Nachfrage bestätigt.

35

2. Die Anschlussrechtsbeschwerde ist unzulässig, da sie nicht fristgerecht eingelegt worden ist.

36

Eine Anschlussrechtsbeschwerde muss nach § 554 Abs. 2 Satz 2 ZPO iVm. § 92 Abs. 2 Satz 1 ArbGG innerhalb eines Monats nach Zustellung der Rechtsbeschwerdebegründung eingelegt werden. Diese Frist hat der Betriebsrat mit der am 20. April 2016 beim Bundesarbeitsgericht eingegangenen Anschlussrechtsbeschwerde nicht gewahrt. Die Rechtsbeschwerdebegründung der Antragsteller war dem Betriebsrat am 20. Januar 2014 zugestellt worden. Bei Eingang der Anschlussrechtsbeschwerde des Betriebsrats beim Bundesarbeitsgericht am 20. April 2016 war die Frist zur Einlegung der Anschlussrechtsbeschwerde abgelaufen. Entgegen der Ansicht des Betriebsrats gebietet sein Anspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes es nicht, die Vorschrift über die Frist zur Einlegung der Anschlussrechtsbeschwerde unangewendet zu lassen, um ihm die Stellung eines eigenen Ausschließungsantrags zu ermöglichen. Der Betriebsrat kann zwar im vorliegenden Verfahren wegen des Ablaufs der Rechtsmittelfristen keinen eigenen Ausschließungsantrag mehr anbringen. Es ist ihm jedoch unbenommen, ein Ausschließungsverfahren beim Arbeitsgericht einzuleiten.

        

    Gräfl    

        

    Kiel    

        

    M. Rennpferdt    

        

        

        

    Krollmann    

        

    Holzhausen     

                 

Tenor

1. Die Beschwerde der beteiligten Arbeitgeberin wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

1

Die beteiligte Arbeitgeberin (Beteiligte zu 1) verlangt, dass die vom beteiligten Betriebsrat (Beteiligter zu 2) verweigerte Zustimmung zur Kündigung ihres Vorsitzenden (Beteiligter zu 3) durch das Gericht nach § 103 Absatz 2 BetrVG ersetzt wird.

2

Die Arbeitgeberin betreibt im gesamten Bundesgebiet Kliniken. In C-Stadt auf der Insel U. betreibt sie eine Rehabilitationsklinik für Innere Medizin, Orthopädie und Psychosomatik mit etwas über 100 Arbeitnehmern. Die ranghöchsten Arbeitnehmer der beteiligten Arbeitgeberin vor Ort sind die Chefärzte der drei medizinischen Abteilungen und der kaufmännische Direktor des Hauses.

3

Der 48-jährige Betriebsratsvorsitzende ist seit April 2012 als Psychologe in der Klinik tätig. Bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden erzielt er eine monatliche Arbeitsvergütung in Höhe von rund 3.420,00 Euro brutto. Zu seinen Arbeitsaufgaben gehört die Behandlung von Patienten auf der Grundlage von Therapieplänen. Er gehört dem Betriebsrat seit dem 13. November 2012 an. Er ist nicht im Sinne von § 38 BetrVG freigestellt.

4

Die beteiligte Arbeitgeberin beabsichtigt, das Arbeitsverhältnis zu dem beteiligten Betriebsratsvorsitzenden außerordentlich zu kündigen.

5

Der Betriebsratsvorsitzende hat am 27. Oktober 2014 Gelegenheit erhalten, zu den beiden älteren seinerzeit allein im Raum stehenden Vorwürfen gegen ihn Stellung zu nehmen (Protokoll dazu als Anlage 6 zur Antragsschrift zur Akte gelangt, hier Blatt 21 f). Danach hat die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 28. Oktober 2014 beim beteiligten Betriebsrat beantragt, die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung ihres Vorsitzenden zu erteilen. Die Zustimmung ist vom beteiligten Betriebsrat nicht innerhalb von drei Kalendertagen erteilt worden. Daraufhin hat die beteiligte Arbeitgeberin das vorliegende Beschlussverfahren eingeleitet. Die Antragsschrift ist beim Arbeitsgericht am 6. November 2014 eingegangen. Der Antrag stützt sich auf den Vorwurf der Arbeitsverweigerung wegen der nicht durchgeführten Therapie am 22. September 2014 und auf den Vorwurf, der beteiligte Betriebsratsvorsitzende habe sich unberechtigt am 4. Oktober 2014 Zugang zum Rechner des Chefarztes, dem er unterstellt ist, verschafft.

6

Während des bereits laufenden Beschlussverfahrens hat die beteiligte Arbeitgeberin einen dritten Vorwurf erhoben. Insoweit geht es um die breit gestreute Veröffentlichung einer Mail, die der beteiligte Betriebsratsvorsitzende an den stellvertretenden Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats am 14. November 2014 versandt hat ("S. bleibt!"). Der beteiligte Betriebsratsvorsitzende ist am 24. November 2014 zu diesem weiteren Vorwurf angehört worden. Die Arbeitgeberin hat wegen dieses Vorwurfs mit Schreiben vom 26. November 2014 beim beteiligten Betriebsrat erneut beantragt, die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung ihres Vorsitzenden zu erteilen. Der Betriebsrat hat auch diesem Antrag nicht innerhalb von drei Kalendertagen zugestimmt. Darauf hat die Arbeitgeberin im hiesigen Beschlussverfahren mit einem Schriftsatz, der am 1. Dezember 2014 bei Gericht eingegangen ist, die Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung auch wegen dieses dritten Vorwurfs beantragt.

7

Der älteste Vorwurf leitet sich aus dem Umstand ab, dass das beteiligte Betriebsratsmitglied am 22. September 2014 eine in seinen Kalender eingetragene Therapiesitzung mit einer Patientin nicht durchgeführt hat.

8

Für den beteiligten Betriebsratsvorsitzenden wird durch die Arbeitgeberin ein Kalender geführt, in den die zuständigen Ärzte Termine für Therapie-Sitzungen mit Patienten buchen können. Im Kalender gebuchte Termine für Therapie-Sitzungen sind als verbindliche Arbeitsanweisung zu verstehen. Zur Wahrung der eigenen Zeitsouveränität und zur Gewinnung ausreichender Zeit für die Betriebsratsarbeit kann der beteiligte Betriebsratsvorsitzende seinerseits im Kalender Tage oder einzelne Tagesabschnitte "blocken", die dann für Therapie-Sitzungen nicht zur Verfügung stehen.

9

Der beteiligte Betriebsratsvorsitzende hatte wenige Tage vor dem 22. September 2014 gegenüber der Arbeitgeberin bzw. gegenüber dem für ihn zuständigen Chefarzt mitgeteilt, dass für ihn der Kalender mit Stand vom 18. September 2014 verbindlich sei, und er weitere Therapiesitzungen wegen notwendig zu erledigender Betriebsratstätigkeit in den freien Zeiten zwischen den bereits gebuchten Sitzungen nicht abhalten könne. Trotz dieser Mitteilung des beteiligten Betriebsratsvorsitzenden ist ihm danach noch eine weitere Therapie-Sitzung für den 22. September 2014 (Montag) um 11:00 Uhr in den Kalender gebucht worden. Davon hat der Betriebsratsvorsitzende zum Arbeitsantritt an diesem Montag Kenntnis bekommen. Der Betriebsratsvorsitzende hat noch am Montagmorgen gegen diesen zusätzlichen Termin bei der leitenden Psychologin protestiert und dabei angekündigt, dass er den Termin nicht wahrnehmen werde. Dabei ist er auch geblieben, als er im weiteren Verlauf des Vormittags von dem für ihn zuständigen Chefarzt zur Wahrnehmung des Termins aufgefordert wurde. Zum Therapiezeitpunkt war das Zimmer, in dem der Betriebsratsvorsitzende für die Patienten ansprechbar ist, verschlossen. Die betroffene Patientin wurde mit einem vom Betriebsratsvorsitzenden an der Tür angebrachten Zettel darauf hingewiesen, dass sie sich bei der leitenden Psychologin melden solle.

10

Der weitere Vorwurf gegen den Betriebsratsvorsitzenden stützt sich auf den Umstand, dass dieser sich am 4. Oktober 2014 (einem Samstag) Zugang zum Büro der Sekretärin des Chefarztes verschafft hat und sich an deren Computer eingeloggt hat.

11

Der Betriebsratsvorsitzende hat einen Schlüssel, mit dem er auch Zugang zu dem Büro der Sekretärin des Chefarztes hat; dort wird für ihn ein Postfach für die dienstliche Post vorgehalten. Der Betriebsratsvorsitzende gibt hier im Rechtsstreit an, er habe an jenem Tage versucht, im Betriebsratsbüro etwas auszudrucken, was nicht gelungen sei. Er hat sich darauf in das Büro der Sekretärin begeben, hat sich an deren Computer mit seiner eigenen ihm zugeteilten Nutzerkennung eingeloggt und – so der Vortrag hier – habe dort erfolgreich den Druck des Dokuments vornehmen können. Nachträgliche Recherchen der Arbeitgeberin haben keinen Hinweis darauf ergeben, dass der Computer oder der Drucker im Betriebsratsbüro oder das Netz an jenem Tag gestört waren.

12

Der nachgeschobene dritte Vorwurf steht in Zusammenhang mit der Mail des Betriebsratsvorsitzenden an den stellvertretenden Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats vom 14. November 2014 ("S. bleibt!" – Kopie als Anlage Ast 5 eingereicht, hier Blatt 51R und 52; wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen).

13

"S." ist der Rufname eines weiteren Mitglieds des beteiligten Betriebsrats. Die beteiligte Arbeitgeberin hatte versucht, das Arbeitsverhältnis zu diesem Betriebsratsmitglied zu kündigen. Der Betriebsrat hatte die Zustimmung verweigert und der Antrag der Arbeitgeberin, die verweigerte Zustimmung durch das Arbeitsgericht ersetzen zu lassen, war wenige Tage vor der Mail vom 14. November 2014 vom Arbeitsgericht abgelehnt worden. Betriebsrat und Betriebsratsvorsitzender gehen davon aus, dass die Arbeitgeberin jenes Zustimmungsersetzungsverfahren in Kenntnis des nicht ausreichenden Anlasses für eine Kündigung betrieben hatte und hatten dementsprechend scharf die Arbeitgeberseite intern dafür kritisiert. Unter anderem wurde auch der Gesamtbetriebsrat in die Kampagne einbezogen und der dortige stellvertretende Vorsitzende hatte sich nach Auffassung des beteiligten Betriebsrats hilfreich für die Sache eingesetzt.

14

Mit der fraglichen Mail hat sich der beteiligte Betriebsratsvorsitzende bei seinem Kollegen aus dem Gesamtbetriebsrat für seine Unterstützung in der Sache "S." bedankt und ihn über den Ausgang des Zustimmungsersetzungsverfahrens vor dem Arbeitsgericht unterrichtet (Absätze 1 bis 3 der Mail). Die folgenden 6 Absätze nutzt der Betriebsratsvorsitzende sodann, um das Arbeitgeberverhalten nochmals in scharfem Ton kritisch zu bewerten. Der Unternehmensleitung wird dort "professionelles Union-Busting" vorgeworfen. Weiter ist die Rede von "willfährigen Belegschaftsvertretern", die "Teile der Klinikleitung bei der bewusst herbeigeführten Spaltung unserer Belegschaft unterstützen". Schließlich wird der Klinikleitung "Rechtsnihilismus" vorgeworfen und die "Inszenierung von Kündigungsgründen".

15

Diese Mail hat der beteiligte Betriebsrat bzw. der beteiligte Betriebsratsvorsitzende zeitnah per Mail an alle Mitarbeiter der Klinik vor Ort, an den Gesamtbetriebsrat sowie an Mitarbeiter bei ver.di und beim Marburger Bund weitergeleitet. Außerdem ist die Mail zur weiteren Verbreitung an den "Verein ./. Arbeitsunrecht e.V.", an "work-watch e.V." und an das "Solidaritätskomitee gegen Betriebsratsmobbing" weitergeleitet worden.

16

Schließlich hat der Betriebsrat die Mail in dem Betriebsratsschaukasten vor Ort ausgehängt. Der Schaukasten befindet sich in einem Flur mit Ausgang zum Wirtschaftshof. Der Flur wird von den Patienten, wenn sie sich an die Ausschilderung in der Klinik halten, nicht benutzt. Patienten, die sich mit den örtlichen Verhältnissen vertraut gemacht haben, nutzen diesen Flur jedoch gelegentlich zur Abkürzung von Laufwegen.

17

Das Arbeitsgericht Stralsund – Kammern Neubrandenburg – hat den Antrag der Arbeitgeberin mit Beschluss vom 14. Juli 2015 zurückgewiesen (13 BV 3002/14). Das Arbeitsgericht ist davon ausgegangen, dass die Arbeitgeberin nicht ausreichend zur Einhaltung der Kündigungserklärungsfrist aus § 626 Absatz 2 BGB vorgetragen habe. Auf diesen Beschluss wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes vor dem Arbeitsgericht Bezug genommen.

18

Mit der rechtzeitig eingelegten und fristgemäß begründeten Beschwerde verfolgt die Arbeitgeberin ihr Begehren unverändert fort.

19

Die Arbeitgeberin kritisiert die angegriffene Entscheidung. Das Zustimmungsersetzungsverfahren sei noch rechtzeitig anhängig gemacht worden. Die Frist im Sinne von § 626 Absatz 2 BGB habe bezüglich keinem der Vorwürfe vor dem Tag der Anhörung des beteiligten Betriebsratsvorsitzenden anlaufen können, denn erst mit dessen Anhörung seien die Ermittlungen zur Aufklärung des Sacherhalts abgeschlossen worden. Da keiner der Mitarbeiter vor Ort zum Ausspruch von Kündigungen berechtigt sei, müsse sogar auf den Zeitpunkt abgestellt werden, zu dem die Unternehmensleitung von den Vorwürfen Kenntnis erlangt habe; der kaufmännische Direktor habe erst nach der abschließenden Anhörung des beteiligten Vorsitzenden die Unternehmensleitung von den einzelnen Vorfällen unterrichtet. Der Arbeitgeberin sei es auch nicht zuzumuten gewesen, die Aufklärung wegen der Ereignisse am 22. September 2014 und am 4. Oktober 2014 früher aufzunehmen oder schneller abzuschließen, denn der für die Aufklärung zuständige kaufmännische Direktor sei durch Urlaub und vorrangige Dienstgeschäfte an einer früheren Aufklärung verhindert gewesen.

20

Die Arbeitgeberin meint im Übrigen, jeder der drei Vorwürfe für sich reiche bereits aus, um eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grunde im Sinne von § 626 Absatz1 BGB zu begründen.

21

Am 22. September 2014 habe der Betriebsratsvorsitzende eine Arbeitsverweigerung begangen. Diese sei beharrlich gewesen, da er trotz Hinweis des Chefarztes auf die fehlenden Gründe für die Arbeitsverweigerung und trotz Androhung von Konsequenzen die Arbeit nicht aufgenommen habe. Insoweit sei der Beteiligte auch bereits einschlägig abgemahnt gewesen.

22

Am 4. Oktober 2014 habe der Betriebsratsvorsitzende versucht, sich unberechtigt Zugang zum Computer seines Chefarztes zu verschaffen. Der diesbezügliche Verdacht stehe im Raum, da es für die Verwendung des Computers im Zimmer der Sekretärin keinen sachlichen Anlass gegeben habe und es dem Betriebsratsvorsitzenden nicht gelungen sei, den Verdacht zu widerlegen.

23

Durch die breite Veröffentlichung der Mail vom 14. November 2014 habe der Betriebsratsvorsitzende gegen seine Pflicht zur Verschwiegenheit verstoßen. Außerdem habe er rechtswidrig einen internen Konflikt nach außen getragen und sich dabei noch verleumderisch und herablassend über die Unternehmensführung geäußert.

24

Die beteiligte Arbeitgeberin beantragt,

25

unter Abänderung des angegriffenen Beschlusses des Arbeitsgericht Stralsund – Kammern Neubrandenburg – vom 14. Juli 2015 (13 BV 3002/14) die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3 nach § 103 Absatz 2 BetrVG zu ersetzen.

26

Der beteiligte Betriebsrat und der beteiligte Betriebsratsvorsitzende beantragen übereinstimmend,

27

die Beschwerde der Arbeitgeberin zurückzuweisen.

28

Der Betriebsrat und sein Vorsitzender verteidigen die angegriffene Entscheidung des Arbeitsgerichts. Außerdem betonen sie, dass die von der Arbeitgeberin vorgetragenen Ereignisse eine Kündigung aus wichtigem Grunde nicht rechtfertigen könnten.

29

Die nicht abgehaltene Therapiesitzung am 22. September 2014 könne die Kündigung nicht rechtfertigen. Es fehle gänzlich an einem pflichtwidrigen Verhalten. Nach wie vor gehe die Arbeitgeberin rechtsirrig davon aus, ein Betriebsrat dürfe nur dann seinen Arbeitsplatz zum Zwecke der Aufnahme von Betriebsratsarbeit verlassen, wenn dies vom Arbeitgeber zuvor gestattet worden sei.

30

Der Vorwurf des versuchten Datendiebstahls wegen der Nutzung des Computers der Sekretärin des Chefarztes sei abwegig. Wie die Arbeitgeberin selber richtig vortrage, habe er sich an diesem Computer mit seiner eigenen ihm zugeteilten Nutzerkennung eingeloggt, er habe daher nur Zugriff auf seine eigenen Daten gehabt, genauso wie wenn er sich an seinem eigenen Rechner eingeloggt hätte.

31

Auch die Verbreitung der Mail vom 14. November 2014 könne die beabsichtigte Kündigung nicht rechtfertigen. Ein Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht sei nicht erkennbar. Der Betriebsratsvorsitzende habe keine personenbezogenen Daten, die ihm in Zusammenhang mit der Erfüllung seiner Arbeitsaufgabe bekannt geworden seien, verbreitet. Angesichts der Vorgeschichte bezüglich des Kündigungsversuchs gegenüber dem Kollegen "S." habe die Schärfe der Kritik und das Ausmaß der Verbreitung der Mail noch nicht die durch die Loyalitätspflicht gezogenen Grenzen überschritten.

32

Das Beschwerdegericht hat die beim Arbeitsgericht Stralsund entstandenen Akten 13 BV 1/14 (Antrag des Betriebsrats auf Wiedereinrichtung des Schaukastens am Ausgang zum Wirtschaftshof) und 13 BV 1/15 (Antrag der Arbeitgeberin auf Ausschluss des Betriebsratsvorsitzenden aus dem Betriebsrat), beide bereits seit längerem abgeschlossen, auf Anregung der Arbeitgeberin zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts beigezogen.

33

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrages der Beteiligten wird auf das Protokoll der Anhörung und Erörterung vor der Kammer und auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

34

Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist nicht begründet. Die gegen den Betriebsratsvorsitzenden erhobenen Vorwürfe rechtfertigen dessen Kündigung nicht.

1.

35

Die Weigerung des Betriebsratsvorsitzenden, am 22. September 2014 die kurzfristig in seinen Kalender eingetragene weitere Therapiesitzung um 11:00 Uhr durchzuführen, rechtfertigt eine Kündigung nicht.

a)

36

Der Arbeitgeberin ist der Nachweis nicht gelungen, dass der Betriebsratsvorsitzende damit beharrlich die Erfüllung der ihm aufgetragenen Arbeitsaufgabe verweigert hat.

37

Nach § 37 Absatz 2 BetrVG sind Mitglieder des Betriebsrats von ihren beruflichen Aufgaben zu befreien, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Das Betriebsratsmitglied entscheidet selbst, ob es zur Aufnahme von Betriebsratstätigkeit den Arbeitsplatz verlässt, eine Zustimmung des Arbeitgebers ist dazu nicht erforderlich (ständige Rechtsprechung seit BAG 30. Januar 1973 – 1 ABR 1/73 – AP Nr. 3 zu § 40 BetrVG 1972 = BB 1973, 474; zuletzt noch BAG 29. Juni 2011 – 7 ABR 135/09 – BAGE 138, 233 = AP Nr. 152 zu § 37 BetrVG 1972 = DB 2012, 747). Das Betriebsratsmitglied hat sich allerdings bei seinem Fachvorgesetzten möglichst frühzeitig abzumelden, damit dieser die Chance hat, die Arbeit entsprechend umzuorganisieren (BAG 29. Juni 2011 aaO).

38

In diesem Sinne hat sich der beteiligte Betriebsratsvorsitzende rechtzeitig vor dem 22. September 2012 zur Aufnahme von Betriebsratstätigkeit abgemeldet, denn er hat am 18. oder 19. September 2014 seinen Vorgesetzten darauf hingewiesen, dass sein Therapiekalender mit Stand vom 18. September 2014 voll sei, da er die noch bestehenden freien Zeitabschnitte für die Wahrnehmung von Betriebsratstätigkeit benötige. Mit der ordnungsgemäßen Anzeige der beabsichtigten Betriebsratstätigkeit für den 22. September 2014 ab 11:00 Uhr ist die Arbeitspflicht des beteiligten Betriebsratsvorsitzenden für die Zeit seiner Betriebsratstätigkeit entfallen. Er unterlag daher nicht mehr dem Weisungsrecht des Arbeitgebers. Demnach hat er sich weder weisungswidrig verhalten, noch hat er seine Arbeitspflicht vernachlässigt.

39

Die Arbeitgeberin hat keine geeigneten Umstände vorgetragen, die den Schluss gestatten, der beteiligte Vorsitzende hätte die Aufnahme von Betriebsratstätigkeit lediglich vorgeschoben, um sein Nichtstun oder eine in Wahrheit doch gegebene Arbeitsverweigerung verbergen zu können.

40

Allein aus dem Umstand, dass sich Arbeitgeber und Betriebsrat vorliegend darauf verständigt haben, dass der Vorsitzende des Betriebsrats für zwei im Voraus feststehende Tage der Woche von der Arbeit zum Zwecke der Erledigung von Betriebsratsaufgaben freigestellt wird, kann nicht geschlossen werden, dass Betriebsratsarbeit, die der Betriebsrat darüber hinaus für erforderlich hält, in Wahrheit nicht erforderlich ist. Denn durch das Anknüpfen an das Merkmal der Erforderlichkeit in § 37 Absatz 2 BetrVG hat der Gesetzgeber einen flexiblen Maßstab geschaffen, der je nach den konkreten betrieblichen Verhältnissen zur Freistellung in gänzlich unterschiedlichem Umfang führen kann.

41

Möchte der Arbeitgeber im Beschlussverfahren vortragen, das Betriebsratsmitglied habe die Aufnahme von Betriebsratstätigkeit lediglich vorgeschoben, muss er also Umstände vortragen, die einen solchen Verdacht nahelegen. Es gibt allerdings keine Erfahrungssätze über das übliche Maß erforderlicher Betriebsratstätigkeit in Abhängigkeit von der Betriebs- oder der Betriebsratsgröße. Der Arbeitgeber müsste also grob die derzeit anstehenden Aufgaben des Betriebsrats skizzieren und diese der bisher dafür aufgewendeten Zeit gegenüberstellen. Derartigen Vortrag hat die Arbeitgeberin hier nicht ansatzweise geleistet. Abgesehen davon spricht schon allein die große Anzahl der Beschlussverfahren, die derzeit mit Beteiligung der Arbeitgeberin wegen des Betriebes auf U. bei Gericht anhängig sind oder jüngst anhängig waren, dafür, dass der zeitliche Aufwand der Betriebsratstätigkeit in diesem Betrieb derzeit außergewöhnlich hoch ist.

b)

42

Im Übrigen geht das Beschwerdegericht mit dem Arbeitsgericht davon aus, dass die Arbeitgeberin schon deshalb die beabsichtigte Kündigung nicht auf den Vorfall vom 22. September 2014 stützen kann, da die Kündigungserklärungsfrist aus § 626 Absatz 2 BGB nicht eingehalten ist.

43

Nach § 626 Absatz 2 Satz 1 BGB kann eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt nach Absatz 2 Satz 2 der Norm mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Der Kündigungsberechtigte, der bislang nur Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann deshalb nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Absatz 2 BGB zu laufen begänne. Sind die Ermittlungen abgeschlossen und hat er eine hinreichende Kenntnis vom Kündigungssachverhalt, beginnt der Lauf der Ausschlussfrist (BAG 21. Februar 2013 – 2 AZR 433/12 – AP Nr. 51 zu § 626 BGB Ausschlussfrist = NZA-RR 2013, 515; BAG 25. November 2010 – 2 AZR 171/09 – AP Nr. 231 zu § 626 BGB; BAG 17. März 2005 – 2 AZR 245/04 – AP Nr. 46 zu § 626 BGB Ausschlussfrist = NZA 2006, 101).

44

Neben den Mitgliedern der Organe von juristischen Personen und Körperschaften gehören zu den kündigungsberechtigten Personen auch die Mitarbeiter, denen der Arbeitgeber das Recht zur außerordentlichen Kündigung übertragen hat. Dagegen ist die Kenntnis anderer Personen für den Lauf der Ausschlussfrist grundsätzlich unbeachtlich. Dies gilt auch dann, wenn den Mitarbeitern Aufsichtsfunktionen übertragen worden sind. Nur ausnahmsweise muss sich der Arbeitgeber die Kenntnis solcher Personen nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) zurechnen lassen. Dazu müssen diese Personen eine herausgehobene Position und Funktion im Betrieb haben sowie tatsächlich und rechtlich in der Lage sein, einen Sachverhalt, der Anhaltspunkte für eine außerordentliche Kündigung bietet, so umfassend zu klären, dass mit ihrer Mitteilung der Kündigungsberechtigte ohne weitere eigene Nachforschungen seine (Kündigungs-)Entscheidung abgewogen treffen kann. Dementsprechend müssen diese Mitarbeiter in einer ähnlich selbständigen Stellung sein, wie ein gesetzlicher oder rechtsgeschäftlicher Vertreter des Arbeitgebers. Voraussetzung für eine Zurechenbarkeit der Kenntnisse dieser Personen zum Arbeitgeber ist ferner, dass die Verzögerung bei der Kenntniserlangung in dessen eigener Person auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebs oder der Verwaltung beruht (BAG 21. Februar 2013 aaO; BAG 23. Oktober 2008 – 2 AZR 388/07 – AP Nr. 217 zu § 626 BGB = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 23; BAG 26. November 1987 - 2 AZR 312/87 – RzK I 6g Nr. 13).

45

Gemessen an diesem Maßstab war die Kündigungserklärungsfrist wegen des Vorwurfs der Arbeitsverweigerung am 22. September 2014 schon lange vor Eingang der Antragsschrift beim Arbeitsgericht am 6. November 2014 abgelaufen. Denn der kaufmännische Leiter der Klinik muss aufgrund seiner betrieblichen Stellung als einer kündigungsberechtigten Person gleichgestellt behandelt werden. Außerdem beruht die verspätete Kenntnis der tatsächlich kündigungsberechtigten Personen auf der Leitungsebene des Unternehmens auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebes und der kaufmännische Leiter der Klinik hat die Aufklärung des Sachverhalts nicht zügig vorangetrieben. Daher hat die Kündigungserklärungsfrist bereits mit dem 22. September 2014 zu laufen begonnen.

aa)

46

Es kann dahinstehen, ob der kaufmännische Leiter der Klinik tatsächlich wie von der Arbeitgeberin behauptet keine Berechtigung hat, Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter vor Ort durch Kündigung zu beenden. Denn nach der oben zitierten Rechtsprechung ist er einer kündigungsberechtigten Person gleichzustellen, weil er im Betrieb in C-Stadt eine herausgehobene Funktion und Stellung hat und er tatsächlich und rechtlich in der Lage war, den Kündigungssachverhalt abschließend aufzuklären. Letzteres ergibt sich indirekt schon daraus, dass die kündigungsberechtigte Unternehmensleitung dem Vorschlag des kaufmännischen Direktors zur Einleitung der Kündigung ohne weitere eigene Ermittlungen zugestimmt hat.

bb)

47

Nach Lage der Dinge muss das Gericht auch davon ausgehen, dass die verzögerte Unterrichtung der kündigungsberechtigten Unternehmensleitung auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebes bei der Arbeitgeberin beruht.

48

Nach dem Vortrag der beteiligten Arbeitgeberin hat der kaufmännische Leiter der Klinik die kündigungsberechtigten Personen von dem hier streitigen Kündigungsanlass erst in Zusammenhang mit dem abschließenden Bericht nach Anhörung des beteiligten Vorsitzenden am 27. Oktober 2014 unterrichtet und diese späte Unterrichtung ist ihm nicht als pflichtwidriges Verhalten zum Vorwurf gemacht worden.

49

Diese Umstände offenbaren einen offensichtlichen Mangel in der Organisation des Betriebes. Denn durch die fehlende Pflicht des kaufmännischen Leiters, bereits bei Vorliegen von Anhaltspunkten für einen Kündigungsgrund der Unternehmensleitung zu berichten, begibt diese sich der Möglichkeit, steuernd in den weiteren Prozess einzugreifen. Gleichzeitig wird damit die Möglichkeit eröffnet, den Rückgriff auf einen vorhandenen Kündigungsgrund nahezu beliebig in die Länge zu ziehen, was gerade der Grund dafür war, dass die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die auf § 242 BGB aufbauende Rechtsprechung zur Zurechnung der Kenntnisse führender Mitarbeiter entwickelt hat, die nicht ihrerseits kündigungsberechtigt sind. Daher muss die fehlende Berichtspflicht des kaufmännischen Leiters der Klinik bei Auftauchen von Anhaltspunkten für einen Kündigungsgrund als eine unsachgemäße Betriebsorganisation bewertet werden.

cc)

50

Der kaufmännische Leiter der beteiligten Arbeitgeberin kann sich nicht auf das fehlende Anlaufen der Kündigungserklärungsfrist aus § 626 Absatz 2 BGB wegen weiterer Bemühungen zur Aufklärung des Sachverhalts berufen, da nicht erkennbar ist, welche Bemühungen er zwischen dem 22. September und dem Tag der Anhörung des beteiligten Vorsitzenden am 27. Oktober 2014 überhaupt zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts unternommen hat. Das Gericht ist daher nicht in der Lage die Feststellung zu treffen, die Aufklärung sei zügig vorgenommen worden. Die von Arbeitgeberseite vorgetragenen Gründe für die zögerliche Aufklärung (Urlaub und vorrangige Dienstaufgaben) sind nicht tragfähig.

2.

51

Die Nutzung des Computers der Sekretärin des Chefarztes am 4. Oktober 2014 durch den beteiligten Vorsitzenden rechtfertigt eine Kündigung nicht.

a)

52

Zugunsten der Arbeitgeberin kann unterstellt werden, es gäbe im Betrieb eine verbindliche Anweisung an alle Arbeitnehmer, sich stets nur an ihrem eigenen Computer im System einzuloggen.

53

Denn ein Verstoß gegen eine solche Ordnungsvorschrift könnte ohne Hinzutreten weiterer Umstände eine Kündigung ohne vorherigen Ausspruch einer Abmahnung nicht rechtfertigen.

b)

54

Die Sorge der Arbeitgeberin, der beteiligte Vorsitzende hätte mit der Nutzung des Geräts der Sekretärin des Chefarztes zum Einloggen im System unberechtigt Zugriff auf Dateien und Dokumente bekommen, zu deren Kenntnis er nicht berechtigt ist, kann das Gericht mangels näheren Tatsachenvortrages dazu seiner Entscheidung nicht zu Grunde legen.

55

Bereits vorbereitend zum Termin zur Anhörung und Erörterung hatte der Kammervorsitzende darauf hingewiesen, dass nach seinem Erfahrungswissen, die Möglichkeiten des Zugriffs auf Dateien und Dokumente nicht dadurch vergrößert werden könne, dass man sich an einem anderen Gerät in das System einlogge. Das war mit der Auflage verbunden gewesen, dazu vorzutragen, weshalb dies bei dem in der Klinik genutzten IT-System anders sein solle. Entsprechender Vortrag ist nicht geleistet worden.

56

Im Termin zur Anhörung und Erörterung ist dann noch darauf hingewiesen worden, dass eine Speicherung von Dateien durch die Sekretärin in Abweichung von den durch das System vorgeschlagenen Speicherorten (z.B. im Stammverzeichnis der lokalen Festplatte) gegebenenfalls dazu führen könne, dass Dritte, die sich an dem Gerät mit ihrer eigenen Kennung anmelden, dennoch Zugriff auf solche nicht den Richtlinien entsprechend abgespeicherten Dateien eines anderen Nutzers haben könnten. Die Arbeitgeberin hat aber nicht die Behauptung aufgestellt, die Sekretärin des Chefarztes habe ihre Dateien – oder auch nur einige ihrer Dateien – auf diese nicht sachgemäße Weise abgespeichert.

57

Damit reduziert sich die Sorge der Arbeitgeberin auf die Vermutung, der beteiligte Vorsitzende verfüge über Kenntnisse und Fähigkeiten sich am Computer mehr Rechte verschaffen zu können, um so einen Zugriff auf fremde Dateien zu bekommen. Da für diese Vermutung keine indiziellen Tatsachen vorgetragen sind, kann das Gericht darauf seine Entscheidung nicht stützen. Allein der Umstand, dass die vom beteiligten Vorsitzenden gegebene Begründung für sein Verhalten (Druckerstörung an seinem eigenen Gerät) anhand der Protokolldateien des Systems angeblich nicht nachvollzogen werden kann, rechtfertigt noch nicht derart weitgehende Schlüsse.

c)

58

Im Übrigen war die Kündigungserklärungsfrist aus § 626 Absatz 2 BGB, was das Arbeitsgericht richtig gesehen hat, auch bezüglich dieses Vorwurfs bereits lange vor Einleitung des vorliegenden Beschlussverfahrens abgelaufen. Wegen der Einzelheiten kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.

3.

59

Auch die Veröffentlichung der Mail vom 14. November 2014 reicht zur Begründung der beabsichtigen Kündigung nicht aus.

a)

60

Soweit der Vorsitzende mit der breit gestreuten Veröffentlichung der Mail und deren Aushang im Schaukasten des Betriebsrats möglicherweise gegen seine betriebsverfassungsrechtliche Verschwiegenheitspflicht (§ 79 BetrVG) verstoßen hat, kann daraus nicht das Recht zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses abgeleitet werden, denn das Betriebsverfassungsgesetz sieht in § 23 BetrVG eigene Sanktionen für Verstöße gegen betriebsverfassungsrechtliche Pflichten vor (LAG Mecklenburg-Vorpommern 27. November 2013 – 3 Sa 101/13 – juris.de). Gleiches gilt, soweit man auf eine ergänzende Verschwiegenheitspflicht, die sich aus dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit ableitet, abstellen würde. Auch die Verletzung dieser betriebsverfassungsrechtlichen Pflicht kann allein mit betriebsverfassungsrechtlichen Sanktionen geahndet werden.

b)

61

Die Kündigung lässt sich auch nicht auf einen Verstoß gegen das arbeitsvertragliche Gebot zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers aus § 241 Absatz 2 BGB ableiten.

62

Insoweit ist allerdings in der Rechtsprechung anerkannt, dass auch die Mitglieder des Betriebsrats wie alle anderen Arbeitnehmer in dem durch § 241 Absatz 2 BGB gezogenen Rahmen Rücksicht auf die Interessen ihres Arbeitgebers zu nehmen haben. Auch dann, wenn eine Handlung eines Betriebsratsmitglieds gleichzeitig Amtspflichten als auch arbeitsvertragliche Pflichten verletzt oder aber die Vertragsverletzung nur deshalb eingetreten ist, weil der Arbeitnehmer als Betriebsratsmitglied tätig geworden ist, kann ein wichtiger Grund zur Kündigung im Sinne des § 626 Absatz 1 BGB vorliegen (LAG Mecklenburg-Vorpommern 27. November 2013 aaO). Mit Rücksicht auf die besondere Konfliktsituation, in der sich das Betriebsratsmitglied aufgrund seiner Amtsstellung ohnehin befindet, ist die außerordentliche Kündigung aber nur gerechtfertigt, wenn unter Anlegung eines besonders strengen Maßstabs das pflichtwidrige Verhalten auch als schwerer Verstoß gegen die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis zu werten ist. (BAG 23. Oktober 2008 – 2 ABR 59/07 – AP Nr. 58 zu § 103 BetrVG 1972 = DB 2009, 1131).

c)

63

Ein in diesem Sinne schwerer Verstoß gegen die Rücksichtnahmepflichten aus § 241 Absatz 2 BGB kann im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden.

aa)

64

In der beanstandeten Mail hat der beteiligte Vorsitzende keine falschen Tatsachen mit Bezug auf die Arbeitgeberin behauptet.

65

Behauptungen tatsächlicher Art werden in der Mail nur wenige aufgestellt. Im ersten Absatz wird die Historie des Konflikts rund um den Versuch, den Betriebsratskollegen "S." zu kündigen, wiedergegeben. Im zweiten Absatz wird der Ausgang des Rechtsstreits um die beabsichtigte Kündigung des Betriebsratskollegen "S." geschildert. Außerdem gibt es bruchstückhaft Hinweise auf einen Entgeltkonflikt im Betrieb (3. und 5. Absatz).

66

Keine der an den genannten Stellen wiedergegebenen Behauptungen ist erkennbar falsch. Insoweit stellt auch die Arbeitgeberin keine gegenteiligen Behauptungen auf.

bb)

67

Soweit der beteiligte Vorsitzende in der Mail das Verhalten der Arbeitgeberin scharf kritisiert und ihr Handeln bewertet, handelt es sich um die Äußerung seiner Meinung, was ihm grundsätzlich nicht verboten ist.

68

Während Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit geprägt werden und der Überprüfung mit Mitteln des Beweises vor Gericht zugänglich sind, handelt es sich bei einer Meinung um eine Äußerung, die durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt ist. Bei der Frage, ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Tatsachenbehauptung oder als Werturteil anzusehen ist, kommt es entscheidend auf den Gesamtkontext der fraglichen Äußerung an. Die Abgrenzung zwischen Werturteilen und Tatsachenbehauptungen kann im Einzelfall schwierig sein, vor allem deswegen, weil die beiden Äußerungsformen nicht selten miteinander verbunden werden und erst gemeinsam den Sinn einer Äußerung ausmachen. In solchen Fällen ist der Begriff der Meinung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes weit zu verstehen: Sofern eine Äußerung, in der Tatsachen und Meinungen sich vermengen, durch die Elemente der Stellungnahme des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind, wird sie als Meinung von dem Grundrecht geschützt. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Trennung der wertenden und der tatsächlichen Gehalte, den Sinn der Äußerung aufhöbe oder verfälsche. Würde in einem solchen Fall das tatsächliche Element als ausschlaggebend angesehen, so könnte der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit wesentlich verkürzt werden (BVerfG 4. August 2016 – 1 BvR 2619/13 – juris.de).

69

Legt man diesen Maßstab an, muss der Vorwurf des "professionellen Union-Busting" (6. Absatz), der Vorwurf der "bewusst herbeigeführten Spaltung der Belegschaft" (8. Absatz) und der "Inszenierung von Kündigungsgründen" (9. Absatz) als bloße Meinungsäußerung bewertet werden und nicht als Tatsachenbehauptung. Gemeinsam ist allen Vorwürfen, dass der beteiligte Vorsitzende der Arbeitgeberin in ihrem Handeln gegenüber dem Betriebsrat – untechnisch ausgedrückt – eine feindliche Einstellung unterstellt. (professionelles Busting, bewusste Spaltung, Inszenierung). Diese innere Einstellung der Arbeitgeberin könnte rechtlich allenfalls als sogenannte innere Tatsachen bezeichnet werden. Damit wäre sie aber keine Tatsachen im Sinne der aufgezeigten Rechtsprechung, da sie einem Beweis nicht zugänglich sind. Auf innere Tatsachen kann nur mittels geeigneter Indiztatsachen mittelbar geschlossen werden. Da solche vom beteiligten Vorsitzenden nicht geäußert wurden, handelt es sich bei seiner Einschätzung der inneren Einstellung der Arbeitgeberin bei ihrem Handeln gegenüber dem Betriebsrat um eine bloße Meinungsäußerungen.

70

Die Meinungsäußerung durch den beteiligten Vorsitzenden kann auch unter Berücksichtigung der gesteigerten Rücksichtnahmepflicht im Arbeitsverhältnis noch nicht als pflichtwidrig angesehen werden. Meinungsäußerungen im Betrieb können insbesondere dann pflichtwidrig sein, wenn sie betriebliche Auswirkungen haben, also den Betriebsfrieden stören oder den Arbeitsablauf zum Erliegen bringen. Dass die Mail vom 14. November 2014 derartige Wirkungen gezeitigt hat, ist weder von der Arbeitgeberin vorgetragen noch sonst ersichtlich.

cc)

71

Der beteiligte Vorsitzende mag sich in der Mail an mancher Stelle im Ton vergriffen haben, die Herabsetzung oder Schmähung bestimmter Personen kann aber nicht erkannt werden.

72

Dazu ist zunächst hervorzuheben, dass die Arbeitgeberin, eine juristische Person in Form einer Kommanditgesellschaft mit Komplementär-GmbH, in der Mail des beteiligten Vorsitzenden sozusagen anonym bleibt. Es wird keine Person beim Namen genannt, bei der die feindliche Einstellung gegeben sein soll, vielmehr ist immer nur von "Teilen der Klinikleitung" oder von einzelnen "Klinikleitungsmitgliedern" die Rede. Für das Gericht als außenstehender Stelle geht nicht einmal eindeutig hervor, ob die Kritik dem örtlichen Leitungspersonal am Klinikstandort gilt oder dem Führungspersonal am Sitz des Unternehmens. Schon aus diesem Grunde scheidet die Annahme aus, der beteiligte Vorsitzende habe in der Mail einzelne Personen herabgesetzt oder gar beleidigt.

73

Zusätzlich ist der Umstand in die Bewertung mit einzubeziehen, dass die Mail in einem Kontext steht, der durch einen inzwischen schon mehrjährigen beiderseits eifrig befeuerten Konflikt zwischen der örtlichen Klinikleitung und dem beteiligten Betriebsrat steht, der beiderseits zu einer für Außenstehende nicht mehr nachvollziehbaren Verrohung der Umgangsformen geführt hat. Selbst wenn man also den Standpunkt vertreten würde, dass sich der beteiligte Vorsitzende in der Mail im Ton pflichtwidrig vergriffen habe, könnte dies die beabsichtigte Kündigung nicht rechtfertigen.

dd)

74

Man kann dem beteiligten Vorsitzenden allerdings vorwerfen, dass er mit der öffentlichen Verbreitung der Mail einen innerbetrieblichen Konflikt ohne Not nach außen getragen hat und damit dem nach außen untadeligen Ruf der Arbeitgeberin Schaden zugefügt hat.

75

Es ist anerkannt, dass Arbeitnehmer verpflichtet sind, bei innerbetrieblichen Konflikten zunächst eine innerbetriebliche Lösung anzustreben. Dabei muss gegebenenfalls auch eine innerbetriebliche Eskalationsleiter durchlaufen werden. Außenstehende Stellen dürfen erst dann eingeschaltet werden, wenn man innerbetrieblich kein Gehör findet. Soweit man außenstehende Stellen meint einschalten zu müssen, sollte man sich zusätzlich auf solche Stellen konzentrieren, von denen Hilfe erwartet werden kann und deren Einschaltung möglichst keine nicht unberechenbaren Nebenwirkungen nach sich ziehen kann. Daher ist die Einschaltung der Presse in aller Regel ein ungeeignetes Mittel für die Suche nach Unterstützung in einem innerbetrieblichen Konflikt.

76

Legt man diesen Maßstab zu Grunde, war die Verbreitung der Mail vom 14. November 2014 gegenüber außenstehenden Stellen pflichtwidrig. Soweit es um den Vorfall des Kündigungsversuchs gegenüber dem Betriebsratskollegen "S." ging, war der Konflikt durch die Entscheidung des Arbeitsgerichts abgeschlossen. Es bestand kein sachlicher Anlass mehr, hier nochmals Öl ins Feuer zu gießen. Soweit es in der Mail um den angedeuteten Konflikt um die innerbetriebliche Lohngerechtigkeit geht, ist überhaupt nicht erkennbar, dass insoweit die innerbetrieblichen Konfliktlösungsmechanismen bereits ausgeschöpft waren. Damit ist im Ergebnis festzustellen, dass sich der beteiligte Vorsitzende ohne konkreten Anlass über seinen Arbeitgeber gegenüber Dritten in einer Art und Weise geäußert hat, die geeignet ist, den Ruf der Arbeitgeberin zu beschädigen.

77

Die Gefahr der Rufschädigung wird durch den Kreis der Adressaten, an die sich die Mail gerichtet hatte, nicht verringert. Soweit der Vorsitzende die Mail auch an soziale Aktionsplattformen versendet hat, die damit werben, die Missachtung des Rechts im Arbeitsverhältnis und im Betrieb bekämpfen zu wollen, musste ihm klar sein, dass er damit einen Stein losgetreten hat, der – wenn die sozialen Aktionsplattformen darauf anspringen – geeignet ist, eine unkontrollierbare Lawine auszulösen.

78

Gleichwohl sieht sich das Gericht nicht in der Lage, allein auf Grund dieses Pflichtverstoßes die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zu der Kündigung zu ersetzen.

79

So ist es bereits zweifelhaft, ob man angesichts der bereits oben angesprochenen Verrohung im Umgang der Beteiligten miteinander noch von einem schweren Pflichtverstoß des beteiligten Vorsitzenden sprechen kann. Zum anderen muss man, gerade soweit man dem beteiligten Vorsitzenden einen aus seiner inneren Einstellung abgeleiteten Vorwurf machen will, nach der oben zitierten Rechtsprechung einen besonders strengen Maßstab anlegen. Unter Anlegung dieses besonders strengen Maßstabes steht es nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass es dem beteiligten Vorsitzenden bei der Weiterleitung der Mail an die genannten sozialen Aktionsplattformen klar war, was er dadurch – wenn diese auf das Thema anspringen – auslösen konnte. Schließlich hat das Gericht bei seiner Bewertung zu Gunsten des Vorsitzenden noch berücksichtigt, dass die deftigen Äußerungen über die Arbeitgeberin nahezu gänzlich ohne tatsächliche Belege erhoben wurden; Beschimpfungen dieser Art ohne ausreichende tatsächliche Belege haben nicht das Zeug dazu, sich im Netz aufgrund der ausgelösten Empörung explosionsartig zu verbreiten.

ee)

80

Das Geschehen ist auch unter Berücksichtigung der Mail im Schaukasten des Betriebsrats im Flur zum Wirtschaftshof nicht anders zu bewerten.

81

Wie aus der beigezogenen Akte 13 BV 1/14 beim Arbeitsgericht Stralsund ersichtlich, ist der Standort des Schaukastens des Betriebsrats unter dem Gesichtspunkt der Einsichtsmöglichkeit durch Patienten der Klinik nicht optimal gewählt. Da die Arbeitgeberin dem Betriebsrat jedoch keinen anderen besser geeigneten Platz für den Schaukasten angeboten hat, muss sie mit dem von ihr selbst mit geschaffenen Risiko leben, dass Patienten der Klinik einen neugierigen Blick auf die Mitteilungen des Betriebsrats werfen und damit Dinge erfahren, die sie eigentlich nichts angehen. Eine Einschränkung des Rechts des Betriebsrats, die Belegschaft über wichtige Dinge durch Aushang zu unterrichten, wird man aus der bisher nicht erfolgreich umgesetzten gesetzlichen Pflicht, dem Betriebsrat eine solche Fläche zur Verfügung zu stellen, nicht folgern können.

III.

82

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde aus §§ 72, 92 ArbGG sind nicht erfüllt

(1) Die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Bordvertretung und des Seebetriebsrats, des Wahlvorstands sowie von Wahlbewerbern bedarf der Zustimmung des Betriebsrats.

(2) Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann das Arbeitsgericht sie auf Antrag des Arbeitgebers ersetzen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. In dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht ist der betroffene Arbeitnehmer Beteiligter.

(2a) Absatz 2 gilt entsprechend, wenn im Betrieb kein Betriebsrat besteht.

(3) Die Versetzung der in Absatz 1 genannten Personen, die zu einem Verlust des Amtes oder der Wählbarkeit führen würde, bedarf der Zustimmung des Betriebsrats; dies gilt nicht, wenn der betroffene Arbeitnehmer mit der Versetzung einverstanden ist. Absatz 2 gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass das Arbeitsgericht die Zustimmung zu der Versetzung ersetzen kann, wenn diese auch unter Berücksichtigung der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des betroffenen Arbeitnehmers aus dringenden betrieblichen Gründen notwendig ist.

(1) Die Kündigung eines Mitglieds eines Betriebsrats, einer Jugend- und Auszubildendenvertretung, einer Bordvertretung oder eines Seebetriebsrats ist unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und daß die nach § 103 des Betriebsverfassungsgesetzes erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt ist. Nach Beendigung der Amtszeit ist die Kündigung eines Mitglieds eines Betriebsrats, einer Jugend- und Auszubildendenvertretung oder eines Seebetriebsrats innerhalb eines Jahres, die Kündigung eines Mitglieds einer Bordvertretung innerhalb von sechs Monaten, jeweils vom Zeitpunkt der Beendigung der Amtszeit an gerechnet, unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen; dies gilt nicht, wenn die Beendigung der Mitgliedschaft auf einer gerichtlichen Entscheidung beruht.

(2) Die Kündigung eines Mitglieds einer Personalvertretung, einer Jugend- und Auszubildendenvertretung oder einer Jugendvertretung ist unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und daß die nach dem Personalvertretungsrecht erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt ist. Nach Beendigung der Amtszeit der in Satz 1 genannten Personen ist ihre Kündigung innerhalb eines Jahres, vom Zeitpunkt der Beendigung der Amtszeit an gerechnet, unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen; dies gilt nicht, wenn die Beendigung der Mitgliedschaft auf einer gerichtlichen Entscheidung beruht.

(3) Die Kündigung eines Mitglieds eines Wahlvorstands ist vom Zeitpunkt seiner Bestellung an, die Kündigung eines Wahlbewerbers vom Zeitpunkt der Aufstellung des Wahlvorschlags an, jeweils bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und daß die nach § 103 des Betriebsverfassungsgesetzes oder nach dem Personalvertretungsrecht erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch eine gerichtliche Entscheidung ersetzt ist. Innerhalb von sechs Monaten nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses ist die Kündigung unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen; dies gilt nicht für Mitglieder des Wahlvorstands, wenn dieser durch gerichtliche Entscheidung durch einen anderen Wahlvorstand ersetzt worden ist.

(3a) Die Kündigung eines Arbeitnehmers, der zu einer Betriebs-, Wahl- oder Bordversammlung nach § 17 Abs. 3, § 17a Nr. 3 Satz 2, § 115 Abs. 2 Nr. 8 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes einlädt oder die Bestellung eines Wahlvorstands nach § 16 Abs. 2 Satz 1, § 17 Abs. 4, § 17a Nr. 4, § 63 Abs. 3, § 115 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 oder § 116 Abs. 2 Nr. 7 Satz 5 des Betriebsverfassungsgesetzes beantragt, ist vom Zeitpunkt der Einladung oder Antragstellung an bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen; der Kündigungsschutz gilt für die ersten sechs in der Einladung oder die ersten drei in der Antragstellung aufgeführten Arbeitnehmer. Wird ein Betriebsrat, eine Jugend- und Auszubildendenvertretung, eine Bordvertretung oder ein Seebetriebsrat nicht gewählt, besteht der Kündigungsschutz nach Satz 1 vom Zeitpunkt der Einladung oder Antragstellung an drei Monate.

(3b) Die Kündigung eines Arbeitnehmers, der Vorbereitungshandlungen zur Errichtung eines Betriebsrats oder einer Bordvertretung unternimmt und eine öffentlich beglaubigte Erklärung mit dem Inhalt abgegeben hat, dass er die Absicht hat, einen Betriebsrat oder eine Bordvertretung zu errichten, ist unzulässig, soweit sie aus Gründen erfolgt, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen. Der Kündigungsschutz gilt von der Abgabe der Erklärung nach Satz 1 bis zum Zeitpunkt der Einladung zu einer Betriebs-, Wahl- oder Bordversammlung nach § 17 Absatz 3, § 17a Nummer 3 Satz 2, § 115 Absatz 2 Nummer 8 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes, längstens jedoch für drei Monate.

(4) Wird der Betrieb stillgelegt, so ist die Kündigung der in den Absätzen 1 bis 3a genannten Personen frühestens zum Zeitpunkt der Stillegung zulässig, es sei denn, daß ihre Kündigung zu einem früheren Zeitpunkt durch zwingende betriebliche Erfordernisse bedingt ist.

(5) Wird eine der in den Absätzen 1 bis 3a genannten Personen in einer Betriebsabteilung beschäftigt, die stillgelegt wird, so ist sie in eine andere Betriebsabteilung zu übernehmen. Ist dies aus betrieblichen Gründen nicht möglich, so findet auf ihre Kündigung die Vorschrift des Absatzes 4 über die Kündigung bei Stillegung des Betriebs sinngemäß Anwendung.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerden des Betriebsrats und des Beteiligten zu 3. wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. März 2014 - 2 TaBV 18/13 - aufgehoben.

2. Auf die Beschwerden des Betriebsrats und des Beteiligten zu 3. wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Trier vom 18. Juni 2013 - 2 BV 22/12 - abgeändert und der Antrag abgewiesen.

Gründe

1

A. Die Arbeitgeberin begehrt die Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beteiligten zu 3.

2

Die Arbeitgeberin ist ein bundesweit tätiges Einzelhandelsunternehmen mit Hauptsitz in H. In Deutschland betreibt sie etwa 390 Filialen, darunter eine Filiale in T. Der Beteiligte zu 3. ist bei ihr seit September 1999 als Mitarbeiter im Verkauf auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags mit sog. Jahresarbeitszeitregelung beschäftigt. Die vereinbarte Jahresarbeitszeit betrug zuletzt 1.660 Stunden. Die Arbeitgeberin setzt Mitarbeiter mit Jahresarbeitszeitregelung entsprechend dem Arbeitsanfall variabel ein. In ihrer Filiale in T erfolgt die Personalplanung monatlich gemäß einer Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit aus dem Jahre 2008. Im Arbeitsvertrag zwischen dem Beteiligten zu 3. und der Arbeitgeberin vom 10. September 2001 ist in § 4 Abs. 2 unter der Überschrift „Allgemeine Pflichten“ bestimmt, dass „Nebentätigkeiten […] nur mit dem Einverständnis des Arbeitgebers ausgeübt werden“ dürfen.

3

Der Beteiligte zu 3. ist Vorsitzender des für die Filiale in T gebildeten Betriebsrats. Er ist außerdem Mitglied im Gesamtbetriebsrat, im Wirtschaftsausschuss und im Europäischen Betriebsrat. Im Oktober 2012 teilte er der Arbeitgeberin unter dem Briefkopf „Komparative Betriebsratsberatung“ und unter Angabe seiner Steuernummer und Bankverbindung mit, dass er am 9. November 2012 als Beisitzer einer Einigungsstelle für den Betrieb der Arbeitgeberin in A tätig sein werde und hierfür vorsorglich um ihr Einverständnis bitte, obwohl er die arbeitsvertragliche Klausel zu Nebentätigkeiten für unwirksam halte. Zugleich zeigte er an, zukünftig „im Nebenerwerb als Betriebsratsberater (als Pendant zum Unternehmensberater)“ tätig zu sein, und bat auch dafür vorsorglich um das Einverständnis der Arbeitgeberin. Außerdem erinnerte er an ein Begehren um Reduzierung und Verteilung seiner Arbeitszeit. Durch die Ablehnung erschwere ihm die Arbeitgeberin seine Nebentätigkeit „in einer freiberuflichen Gründungsphase“. Unter demselben Briefkopf stellte der Beteiligte zu 3. der Arbeitgeberin ein Honorar für die Tätigkeit als Mitglied einer in der Filiale in S bis Januar 2012 geführten Einigungsstelle in Höhe von 9.163,00 Euro in Rechnung. Die Arbeitgeberin leistete darauf keine Zahlung.

4

Mit Schreiben vom 7. November 2012 verweigerte die Arbeitgeberin ihre Zustimmung zu den angezeigten Nebentätigkeiten. Der Beteiligte zu 3. müsse mit „arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur fristlosen Kündigung“ seines Arbeitsverhältnisses rechnen, wenn er sie dennoch ausübe.

5

Der Beteiligte zu 3. war von der Arbeitgeberin für den 9. November 2012 zur Arbeitsleistung vorgesehen. Der Betriebsrat stimmte dieser Einsatzplanung nicht zu. Durch Spruch der Einigungsstelle wurde der Personaleinsatz für November 2012 sodann in der Weise festgelegt, dass der Beteiligte zu 3. am 9. November 2012 nicht zur Arbeit eingeteilt war. Die Sitzung der Einigungsstelle in A am 9. November 2012 fand dennoch ohne ihn statt. Eine Sitzung am 18. Dezember 2012 nahm er wahr.

6

Der Beteiligte zu 3. wurde außerdem als Mitglied von Einigungsstellen in Filialen der Arbeitgeberin in W und He benannt. Die Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats der Filiale W teilte der Arbeitgeberin in einem Schreiben vom 19. November 2012 mit, der Beteiligte zu 3., „(Komparative Betriebsratsberatung, T)“, werde als Beisitzer an der Einigungsstelle in W teilnehmen. Seine Bestellung für die Einigungsstelle in He zeigte der Beteiligte zu 3. der Arbeitgeberin mit Schreiben vom 17. Dezember 2012 an. Er verwandte dafür erneut den Briefkopf „Komparative Betriebsratsberatung“.

7

Mit Schreiben vom 20. Dezember 2012 bat die Arbeitgeberin den Betriebsrat um Zustimmung zur außerordentlichen, fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beteiligten zu 3. Mit Beschluss vom 24. Dezember 2012 verweigerte der Betriebsrat die Zustimmung. Am 28. Dezember 2012 leitete die Arbeitgeberin das vorliegende Verfahren zu deren Ersetzung ein.

8

Der Beteiligte zu 3. nahm im Februar 2013 an zwei Sitzungen der Einigungsstelle in A und an einer Sitzung der Einigungsstelle in W teil. Anfang März 2013 nannte er der Arbeitgeberin weitere Termine für Sitzungen der Einigungsstellen in A, He und W. Gleichzeitig teilte er mit, die Termine zwar wahrnehmen zu wollen, nicht jedoch im Rahmen seiner ursprünglich geplanten Nebentätigkeit als „komparativer Betriebsratsberater“. Anfang April 2013 tagte die Einigungsstelle in W erneut unter seiner Beteiligung. Mit Schreiben vom 15. April 2013 stellte ihn die Arbeitgeberin für die Zukunft von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei.

9

Anfang Mai 2013 nannte der Beteiligte zu 3. der Arbeitgeberin weitere Sitzungstermine der Einigungsstellen in He und W. Er werde auch diese nicht in seiner Eigenschaft als „komparativer Betriebsratsberater“ wahrnehmen. Die Arbeitgeberin untersagte ihm die Teilnahme. Die Sitzung der Einigungsstelle in He wurde vertagt, die Sitzung in W fand mit ihm statt.

10

Anfang Juni 2013 übermittelte der Beteiligte zu 3. dem im Urlaub befindlichen „Store-Manager“ der Filiale in T eine E-Mail, in der er mitteilte, er werde am 7. Juni 2013 erneut an einer Sitzung der Einigungsstelle in W teilnehmen, wiederum aber nicht in seiner Eigenschaft als „komparativer Betriebsratsberater“.

11

Die Arbeitgeberin hat beim Betriebsrat die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung auch im Hinblick auf die Beteiligung an den Sitzungen der Einigungsstellen seit Februar 2013 beantragt. Der Betriebsrat hielt an seiner Verweigerung fest oder hat nicht reagiert. Die Arbeitgeberin hat ihren Antrag auf Zustimmungsersetzung ergänzend auf diese Sachverhalte gestützt.

12

Der Beteiligte zu 3. war an keinem der Tage, an denen er an Einigungsstellensitzungen teilnahm, zur Arbeit verpflichtet. Im Zusammenhang mit seiner Bestellung zum Beisitzer der Einigungsstellen in A, W und He kam es über Fragen seines Personaleinsatzes zu gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen den örtlichen Betriebsräten und der Arbeitgeberin, zum Teil unter seiner Beteiligung. Zwischen dem Beteiligten zu 3. und der Arbeitgeberin sind außerdem eine Klage auf Reduzierung und Verteilung seiner Arbeitszeit sowie eine Klage auf Zustimmung zu einer Nebentätigkeit als „Betriebsratsberater“ anhängig bzw. anhängig gewesen.

13

Die Arbeitgeberin hat die Auffassung vertreten, der Beteiligte zu 3. habe durch die Teilnahme an Einigungsstellen trotz ihrer ausdrücklichen Untersagung kontinuierlich und eklatant gegen seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen, insbesondere gegen seine ihr gegenüber bestehende Loyalitätspflicht verstoßen. In § 4 Abs. 2 des Arbeitsvertrags sei zwar kein Nebentätigkeitsverbot, aber ein Erlaubnisvorbehalt vereinbart worden. Die Nebentätigkeit als Einigungsstellenbeisitzer sei nicht genehmigungsfähig. Auch ohne ausdrückliche Vereinbarung sei es dem Beteiligten zu 3. nicht gestattet, eine solche Tätigkeit auszuüben. Durch sie würden betriebliche Interessen verletzt. Zum einen beeinträchtige sie ihr durch den Arbeitsvertrag abgesichertes Interesse an der Möglichkeit eines flexiblen Einsatzes des Beteiligten zu 3. Dessen Verhalten habe zu einer Flut von kostenintensiven Verfahren geführt. Zur Vermeidung weiterer Rechtsstreitigkeiten habe sie den Beteiligten zu 3. an den angekündigten Terminen von Einigungsstellensitzungen nicht mehr zur Arbeit eingeteilt. Zum anderen sei insbesondere das geschäftsmäßige Betreiben der Nebentätigkeit nicht mit den Loyalitätspflichten eines Arbeitnehmers vereinbar. Der Beteiligte zu 3. werde auf Seiten des Betriebsrats und damit gegen ihre Interessen, jedoch auf ihre Kosten tätig. Um seine geschäftlichen Interessen zu vertreten, müsse er zwangsläufig ihren Belangen zuwider handeln. Ein Verhalten wie das des Beteiligten zu 3. könne zu einem „Einigungsstellentourismus“ führen, bei dem sich die Betriebsräte des Unternehmens wechselseitig zu Beisitzern von Einigungsstellen beriefen. Die entgeltliche Tätigkeit als betriebsfremder Einigungsstellenbeisitzer führe zu einer verbotenen mittelbaren Begünstigung eines Betriebsratsmitglieds. Der Beteiligte zu 3. komme als Beisitzer für die Einigungsstellen anderer Betriebe nur aufgrund seiner als Betriebsratsmitglied gesammelten Erfahrungen und Kenntnisse in Betracht. Er wolle die auf ihre Kosten erworbenen Kenntnisse persönlich gewinnbringend - und dies wiederum auf ihre Kosten - verwerten. Sie habe in der Vergangenheit eine solche Nebentätigkeit des Beteiligten zu 3. weder geduldet noch genehmigt. Sie sei bislang davon ausgegangen, dass er als Beisitzer nur im Rahmen seines Betriebsratsamts tätig geworden sei. Auf die Verbote des § 78 BetrVG könne er sich nicht berufen. Er habe die Ämter als Beisitzer von Einigungsstellen gar nicht erst annehmen dürfen.

14

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

        

die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3. zu ersetzen.

15

Der Betriebsrat und der Beteiligte zu 3. haben beantragt, den Antrag abzuweisen. Sie haben die Ansicht vertreten, ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung liege nicht vor. Die durch den Beteiligten zu 3. ausgeübten Tätigkeiten als Beisitzer von Einigungsstellen seien zulässig. Er habe durch sie seine arbeitsvertraglichen Pflichten nicht verletzt. § 4 Abs. 2 des Arbeitsvertrags sei als Allgemeine Geschäftsbedingung wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot und als überraschende Klausel unwirksam. Zumindest habe der Beteiligte zu 3. einen Anspruch auf Erlaubnis gehabt. Betriebliche Interessen der Arbeitgeberin seien durch seine Tätigkeiten nicht beeinträchtigt worden. Ihm sei es aufgrund seiner Teilzeitbeschäftigung möglich gewesen, sowohl seine Arbeitsverpflichtung zu erfüllen, als auch die Ämter als Einigungsstellenbeisitzer auszuüben. Er gerate durch die Teilnahme an Einigungsstellen anderer Betriebe des Unternehmens auch nicht in einen Loyalitätskonflikt. Als Beisitzer sei er ebenso wie als Betriebsratsmitglied an den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit gebunden. Die Arbeitgeberin verstoße mit ihrer Kündigungsabsicht gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB und das Benachteiligungsverbot des § 78 BetrVG. Zudem genüge ihr Antrag an den Betriebsrat nicht den gesetzlichen Anforderungen, da er nicht die notwendigen tatsächlichen Informationen enthalte. Insbesondere habe die Arbeitgeberin nicht dargelegt, welche betrieblichen Interessen durch die Nebentätigkeit des Beteiligten zu 3. beeinträchtigt worden seien.

16

Die Vorinstanzen haben dem Antrag der Arbeitgeberin entsprochen. Mit ihren Rechtsbeschwerden verfolgen der Betriebsrat und der Beteiligte zu 3. ihr Begehren weiter, den Antrag abzuweisen.

17

B. Die Rechtsbeschwerden sind begründet. Die Vorinstanzen haben die Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung des Beteiligten zu 3. zu Unrecht ersetzt. Dessen Verhalten stellt keinen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses dar. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob die Zustimmung des Betriebsrats auch deshalb nicht zu ersetzen ist, weil die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt oder der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß entsprechend § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG über die Kündigungsgründe unterrichtet worden ist.

18

I. Nach § 103 Abs. 1 BetrVG bedarf die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats der Zustimmung des Betriebsrats. Gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG iVm. § 15 KSchG ist die verweigerte Zustimmung zu ersetzen, wenn die beabsichtigte außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. Dies setzt einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB voraus. Es müssen Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist nicht mehr zugemutet werden kann (vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 955/11 - Rn. 39 mwN; 23. April 2008 - 2 ABR 71/07 - Rn. 17 mwN). Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar war oder nicht ( BAG 18. Dezember 2014 - 2 AZR 265/14 - Rn. 14; 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13  - Rn. 39). Stützt der Arbeitgeber den wichtigen Grund bei einem Betriebsratsmitglied auf dessen Verhalten, muss dieses sich als Verletzung von Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis darstellen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 955/11 - Rn. 34; 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 39).

19

II. An einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB fehlt es. Mit der Annahme der Bestellungen als Beisitzer von Einigungsstellen anderer Betriebe der Arbeitgeberin und der Teilnahme an den Sitzungen dieser Einigungsstellen hat der Beteiligte zu 3. weder gegen seine Pflichten aus § 4 Abs. 2 des Arbeitsvertrags verstoßen noch seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Arbeitgeberin nach § 241 Abs. 2 BGB verletzt.

20

1. Zugunsten der Arbeitgeberin kann unterstellt werden, dass die Klausel in § 4 Abs. 2 des Arbeitsvertrags als sog. Erlaubnisvorbehalt zu verstehen und mit diesem Inhalt wirksam ist. Der Beteiligte zu 3. hatte einen Anspruch darauf, ihm die Tätigkeiten als Beisitzer der fraglichen Einigungsstellen zu gestatten. Mit ihnen war keine Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Arbeitgeberin verbunden (zum wichtigen Grund bei fortgesetzter Ausübung einer offensichtlich nicht genehmigungsfähigen Nebentätigkeit, vgl. BAG 18. September 2008 - 2 AZR 827/06 - Rn. 28; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 42; zur Eignung einer nicht genehmigten Nebentätigkeit als wichtiger Grund, wenn die vertraglich geschuldeten Leistungen beeinträchtigt werden, vgl. BAG 26. August 1976 - 2 AZR 377/75 - zu I 3 b der Gründe). Der Beteiligte zu 3. musste die von ihm ausgeübten Tätigkeiten als Beisitzer auch nicht zurückstellen, bis gerichtlich geklärt wäre, ob sie mit seinen arbeitsvertraglichen Pflichten vereinbar sind.

21

a) Ein Arbeitnehmer hat in Anbetracht seiner Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG einen Anspruch auf Erteilung der Zustimmung zur Ausübung von Nebentätigkeiten, sofern diese die betrieblichen Interessen nicht beeinträchtigen(BAG 13. März 2003 - 6 AZR 585/01 - zu II 2 der Gründe, BAGE 105, 205; 11. Dezember 2001 - 9 AZR 464/00 - zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 100, 70). Außerhalb der Arbeitszeit steht ihm die Verwendung seiner Arbeitskraft grundsätzlich frei. Soweit die Nebentätigkeit beruflicher Natur ist, kann er sich auf das Grundrecht der freien Berufswahl berufen (Art. 12 Abs. 1 GG). Nichtberufliche Tätigkeiten sind durch das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) geschützt. Der Arbeitnehmer hat jedoch jede Nebentätigkeit zu unterlassen, die mit seiner Arbeitspflicht kollidiert. Das ist der Fall, wenn sie gleichzeitig mit der Haupttätigkeit ausgeübt werden soll oder bei nicht gleichzeitiger Ausübung dann, wenn die vertraglich vereinbarte Arbeitsleistung unter ihr leidet. Solche Nebentätigkeiten stellen eine Verletzung der Arbeitspflicht dar (BAG 18. Januar 1996 - 6 AZR 314/95 - zu I 2 b aa der Gründe). Zu unterlassen sind ferner Nebentätigkeiten, die gegen das vertragliche Wettbewerbsverbot verstoßen (vgl. BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 644/13 - Rn. 27 ff.; 16. Januar 2013 - 10 AZR 560/11 - Rn. 14 ff.) oder sonst einen Interessenwiderstreit hervorrufen, der geeignet ist, das Vertrauen des Arbeitgebers in die Loyalität und Integrität des Arbeitnehmers zu zerstören (BAG 13. März 2003 - 6 AZR 585/01 - zu II 5 der Gründe, BAGE 105, 205; 28. Februar 2002 - 6 AZR 33/01 - zu 1 b bb der Gründe; ErfK/Müller-Glöge 15. Aufl. § 626 BGB Rn. 118; Peter Nebentätigkeiten von Arbeitnehmern S. 119 ff.).

22

b) Es bedarf keiner Entscheidung, ob die der Arbeitgeberin angezeigte Nebentätigkeit als „komparativer Betriebsratsberater“ oder eine gewerbsmäßige Teilnahme an Einigungsstellen, die über die gelegentliche Wahrnehmung von Bestellungen als Beisitzer hinausginge, die betrieblichen Interessen der Arbeitgeberin beeinträchtigte. Die vom Beteiligten zu 3. tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten als Beisitzer von Einigungsstellen in anderen Betrieben der Arbeitgeberin rechtfertigen entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht die Annahme, diese seien Teil eines auf Gewerbsmäßigkeit angelegten - wie auch immer näher zu bestimmenden - „Geschäftsmodells“ gewesen.

23

aa) Zwar hatte der Beteiligte zu 3. der Arbeitgeberin im Oktober 2012 angezeigt, im Nebenerwerb als „komparativer Betriebsratsberater“ tätig werden zu wollen. Er hatte an das Begehren um Reduzierung und Verteilung seiner Arbeitszeit erinnert und hatte der Arbeitgeberin vorgehalten, sie erschwere durch ihre Ablehnung seine „freiberufliche Gründungsphase“. Er hatte der Arbeitgeberin mit entsprechendem Briefkopf ein Honorar für die im Januar 2012 abgeschlossene Einigungsstelle in S in Rechnung gestellt und im Dezember 2012 unter demselben Briefkopf seine Bestellung zum Beisitzer der Einigungsstelle in He angezeigt. Auch der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats in W war die Titulierung seiner Tätigkeit als „komparative Betriebsratsberatung“ offensichtlich bekannt, wie sich aus ihrem Schreiben vom 19. November 2012 ergibt.

24

bb) Die tatsächlich wahrgenommenen Tätigkeiten als Beisitzer der Einigungsstellen in S, A und W - die Einigungsstelle in He ist nur noch ohne Beteiligung des Beteiligten zu 3. zusammengetreten - lassen jedoch eine über die gelegentliche Annahme solcher Bestellungen hinausgehende, einem bestimmten „Geschäftsmodell“ folgende und dauerhaft auf Gewinnerzielung angelegte gewerbsmäßige Betätigung des Beteiligten zu 3. nicht erkennen. Dagegen sprechen sowohl die geringe Zahl der Einigungsstellen als auch der Umstand, dass er - zumindest bislang - für seine Tätigkeiten in A und W kein Honorar in Rechnung gestellt und die Honorarforderung für die Einigungsstelle in S nicht weiterverfolgt hat. Der Beteiligte zu 3. hat der Arbeitgeberin seine Teilnahme an den Einigungsstellensitzungen außerdem seit März 2013 stets mit dem ausdrücklichen Hinweis angezeigt, die Termine nicht im Rahmen seiner ursprünglich geplanten Nebentätigkeit als „komparativer Betriebsratsberater“, sondern als einzelne Termine wahrnehmen zu wollen. Zudem ist weder konkret vorgetragen noch objektiv ersichtlich, dass der Beteiligte zu 3. etwa werbend für eine Tätigkeit als „Betriebsratsberater“ aufgetreten wäre. Selbst wenn er eine ursprünglich andere Absicht nur mit Blick auf das vorliegende Zustimmungsersetzungsverfahren nicht weiterverfolgt haben sollte, hätte er sie jedenfalls bislang nicht verwirklicht. Sofern er weiterhin auf Erteilung der Zustimmung zu einer Nebentätigkeit als „Betriebsratsberater“ klagen sollte, nähme er lediglich das Recht wahr, seinen - vermeintlichen - Anspruch gerichtlich klären zu lassen. Dies spräche allenfalls dafür, dass er ein „Geschäftsmodell“, das über die Wahrnehmung einzelner Ämter als Einigungsstellenbeisitzer hinausginge, für die Zukunft noch nicht aufgegeben hat. Nichts anderes gilt für die Klage auf Reduzierung und Festlegung der Lage seiner Arbeitszeit. Der Beteiligte zu 3. hatte sein Begehren zwar im Oktober 2012 noch in den Zusammenhang mit einer „freiberuflichen Gründungsphase“ gestellt. Auch dies spricht aber allenfalls dafür, dass er ursprünglich weitergehende Absichten gehabt und diese möglicherweise für die Zukunft noch nicht endgültig aufgegeben hat.

25

c) Soweit die Arbeitgeberin den Antrag auf die tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten des Beteiligten zu 3. als Beisitzer von Einigungsstellen anderer Betriebe stützt, war damit weder eine Verletzung seiner Arbeitspflicht noch eine Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Arbeitgeberin wegen einer Einschränkung seiner flexiblen Einsetzbarkeit verbunden.

26

aa) Seine Arbeitspflicht hat der Beteiligte zu 3. durch die Tätigkeiten als Beisitzer von Einigungsstellen nicht verletzt. Es liegen auch keine Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz vor. Unabhängig davon, dass der Beteiligte zu 3. an den Sitzungen der Einigungsstellen nicht als Arbeitnehmer teilgenommen hat, sind selbst bei einer Zusammenrechnung der aufgewendeten Zeiten mit den Zeiten seiner Teilzeittätigkeit für die Arbeitgeberin nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 ArbZG Überschreitungen der höchstzulässigen Arbeitszeit weder vorgetragen noch objektiv ersichtlich.

27

bb) Die ausgeübten Tätigkeiten als Einigungsstellenbeisitzer haben betriebliche Belange der Arbeitgeberin im Zusammenhang mit der Personaleinsatzplanung nicht beeinträchtigt. Dabei kann zugunsten der Arbeitgeberin unterstellt werden, dass die mit dem Beteiligten zu 3. getroffene Vereinbarung zur Jahresarbeitszeit wirksam war.

28

(1) Die Regelungen zur Personaleinsatzplanung in der Filiale T ermöglichten es, Kollisionen zwischen der gelegentlichen Teilnahme des Beteiligten zu 3. an Einigungsstellensitzungen und seiner Arbeitspflicht zu vermeiden. Die teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer mit variabler Arbeitszeit können dort vor der Festlegung des monatlichen Dienstplans Zeiten benennen, an denen sie aus dringenden Gründen an einem Einsatz gehindert sind, denen die Filialleitung nach Möglichkeit Rechnung trägt (vgl. Ziff. III 2 der Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit vom 18. Dezember 2008).

29

(2) Die Tätigkeiten des Beteiligten zu 3. haben die Möglichkeit der Arbeitgeberin, ihn flexibel einzusetzen, nicht in beachtlicher Weise eingeschränkt. Zwar hatte der Beteiligte zu 3. für den 9. November 2012 einen Freizeitwunsch geäußert und der Betriebsrat seine Einteilung für diesen Tag abgelehnt. Die Arbeitgeberin hat aber nicht behauptet, es hätten betriebliche Gründe vorgelegen, die den Einsatz des Beteiligten zu 3. am 9. November 2012 erforderlich gemacht hätten. Dagegen spricht auch, dass der Personaleinsatz von der Einigungsstelle für diesen Tag ohne den Beteiligten zu 3. festgelegt wurde. Ebenso wenig hat die Arbeitgeberin behauptet, dieser habe ihr - bis sie ihn von der Arbeitsleistung gänzlich freigestellt habe - seine Freizeitwünsche jeweils erst so spät angezeigt, dass deren Berücksichtigung zu betrieblichen Beeinträchtigungen geführt habe. Besondere Probleme bei der Einsatzplanung, die die Tätigkeiten des Beteiligten zu 3. verursacht hätten, sind vielmehr durch Tatsachen nicht belegt. Es war der Arbeitgeberin durchweg möglich, diesen an den Tagen der von ihm angezeigten Einigungsstellensitzungen gar nicht erst zur Arbeit einzuteilen. Damit verbundene Schwierigkeiten hat sie nicht dargelegt. War ihr aber eine Berücksichtigung der Freizeitwünsche des Beteiligten zu 3. möglich, stellt der Umstand, dass dieser sie anmeldete, keine Beeinträchtigung ihrer betrieblichen Belange dar. Es ist vielmehr Bestandteil der im Betrieb in T praktizierten Personaleinsatzplanung, dass private Freizeitwünsche der Arbeitnehmer und betriebliche Erfordernisse nach Möglichkeit in Einklang gebracht werden müssen.

30

(3) Das Vorbringen der Arbeitgeberin, sie sei dem Beteiligten zu 3. allein deshalb bei der Einsatzplanung entgegengekommen, weil sie weitere Auseinandersetzungen wegen seines Arbeitseinsatzes habe vermeiden wollen, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass es zu Streitigkeiten über die Personaleinsatzplanung deshalb gekommen ist, weil der Beteiligte zu 3. oder die beteiligten Betriebsräte nicht bereit gewesen wären, berechtigte betriebliche Erfordernisse der Arbeitgeberin anzuerkennen.

31

d) Der Beteiligte zu 3. war mit Blick auf seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Arbeitgeberin gemäß § 241 Abs. 2 BGB auch nicht aus anderen Gründen gehindert, die Benennungen als Einigungsstellenbeisitzer anzunehmen.

32

aa) In der Mitwirkung an einer Einigungsstelle nach § 76 BetrVG liegt für sich genommen keine Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen des Arbeitgebers. Die Einigungsstelle ist eine betriebsverfassungsrechtliche Institution eigener Art mit dem Zweck, die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei der Gestaltung der betrieblichen Ordnung zu gewährleisten, indem sie ggf. durch Zwangsschlichtung Pattsituationen im Bereich der paritätischen Mitbestimmung auflöst. Es handelt sich um das gesetzlich vorgesehene Verfahren, um in betrieblichen Regelungsstreitigkeiten eine Einigung herbeizuführen. Die von den jeweiligen Betriebsparteien bestellten Beisitzer sind weder deren Vertreter noch ihr verlängerter Arm. Sie wirken bei der Schlichtung des Regelungsstreits frei von Weisungen und mit einer gewissen inneren Unabhängigkeit mit (BAG 20. August 2014 - 7 ABR 64/12 - Rn. 22; 15. Mai 2001 - 1 ABR 39/00 - zu B II 2 b der Gründe, BAGE 97, 379). Dementsprechend können sie nicht mit Vertretern einer Betriebspartei gleichgesetzt werden, auch wenn ihre Nähe zu derjenigen Betriebspartei, die sie bestellt hat, nicht zu verkennen und vom Gesetz auch gewollt ist (BAG 29. Januar 2002 - 1 ABR 18/01 - zu B I 2 b cc der Gründe, BAGE 100, 239; 27. Juni 1995 - 1 ABR 3/95 - zu B II 1 a der Gründe, BAGE 80, 222). Die Tätigkeit der Einigungsstelle ist auf eine Beseitigung von Konflikten vornehmlich auf dem Weg der Herbeiführung eines für beide Seiten akzeptablen Kompromisses ausgerichtet (vgl. BAG 27. Juni 1995 - 1 ABR 3/95 - aaO). Die vom Betriebsrat bestellten Beisitzer vertreten dabei die Interessen der betroffenen Arbeitnehmer nicht mangels Loyalität gegenüber der Arbeitgeberseite, sondern aufgrund der ihnen vom Gesetz zugewiesenen Rolle. Sie sind nach § 76 Abs. 5 Satz 3 BetrVG überdies verpflichtet, ihre Entscheidung unter angemessener Berücksichtigung nicht nur der Interessen der betroffenen Arbeitnehmer, sondern auch der betrieblichen Belange und nach billigem Ermessen zu treffen(BAG 15. Mai 2001 - 1 ABR 39/00 - aaO; 18. Januar 1994 - 1 ABR 43/93 - zu B II 2 c der Gründe, BAGE 75, 261). Der Interessengegensatz zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite ist damit vom Gesetz vorausgesetzt und soll durch die Verhandlungen in der Einigungsstelle - unter Mitwirkung eines unabhängigen Vorsitzenden - gerade überwunden werden.

33

bb) Die Benennung des Beteiligten zu 3. als Beisitzer von Einigungsstellen anderer Betriebe der Arbeitgeberin war grundsätzlich zulässig.

34

(1) Der Betriebsrat bestellt seine Beisitzer durch Beschluss (BAG 10. Oktober 2007 - 7 ABR 51/06 - Rn. 11, BAGE 124, 188; 19. August 1992 - 7 ABR 58/91 - zu B II 2 a der Gründe). Er darf sich dabei für Personen entscheiden, denen er dahingehend vertraut, dass sie als Beisitzer die Interessen der Arbeitnehmer in Verhandlungen mit der anderen Seite wahren. Dies und das Vertrauen, durch das Erarbeiten von Kompromissen eine für beide Betriebsparteien annehmbare Konfliktlösung zu erreichen, ist der Maßstab, an dem sich der Betriebsrat bei seiner personellen Auswahl auszurichten hat. Es steht ihm dabei frei, betriebsexterne Beisitzer zu benennen. Er darf dies nicht nur dann, wenn deren Benennung auch erforderlich ist (BAG 10. Oktober 2007 - 7 ABR 51/06 - aaO; 24. April 1996 - 7 ABR 40/95 - zu B 3 der Gründe; für die Bestellung betriebsfremder, aber unternehmensangehöriger Beisitzer, vgl. BAG 21. Juni 1989 - 7 ABR 92/87 - zu B II 1 c der Gründe, BAGE 62, 129). Die Befugnis zur Bestellung von Beisitzern ist nicht auf einen bestimmten Personenkreis beschränkt, eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit kommt nicht in Betracht (BAG 20. August 2014 - 7 ABR 64/12 - Rn. 23; 28. Mai 2014 - 7 ABR 36/12 - Rn. 31 f., BAGE 148, 182). Dem Betriebsrat ist es allerdings verwehrt, Personen als Beisitzer von Einigungsstellen zu benennen, die offensichtlich ungeeignet sind, entsprechend der Funktion in der Einigungsstelle tätig zu werden (BAG 20. August 2014 - 7 ABR 64/12 - aaO; 28. Mai 2014 - 7 ABR 36/12 - Rn. 36).

35

(2) Danach bestanden gegen die Bestellung des Beteiligten zu 3. zum Beisitzer der Einigungsstellen in den anderen Betrieben der Arbeitgeberin keine Bedenken. Die Arbeitgeberin hat nicht behauptet, der Beteiligte zu 3. sei zur Wahrnehmung der dort anfallenden Aufgaben offensichtlich nicht geeignet gewesen.

36

cc) Der Beteiligte zu 3. geriet durch die Annahme der Benennungen selbst dann nicht in einen Konflikt mit seinen arbeitsvertraglichen Pflichten, wenn er für die Amtsausübung - anders als nach § 76a Abs. 2 BetrVG für die Teilnahme an einer Einigungsstelle im eigenen Betrieb - gemäß § 76a Abs. 3 BetrVG die Zahlung eines Honorars von der Arbeitgeberin beanspruchen könnte.

37

(1) Nach § 76a Abs. 3 BetrVG hat ein betriebsfremder Beisitzer gegenüber dem Arbeitgeber einen Anspruch auf Vergütung seiner Tätigkeit im Einigungsstellenverfahren, dessen Höhe sich nach den Maßgaben des § 76a Abs. 4 Satz 3 bis Satz 5 BetrVG richtet. Anders als nach der früheren Rechtslage hängt das Entstehen des Honoraranspruchs nicht mehr davon ab, ob der Betriebsrat dem Beisitzer ein Honorar zugesagt hat (BAG 10. Oktober 2007 - 7 ABR 51/06 - Rn. 11, BAGE 124, 188; 24. April 1996 - 7 ABR 40/95 - zu B 1 der Gründe). Der Honoraranspruch ist dem Grunde nach nur von der wirksamen Bestellung für eine im Betrieb des Arbeitgebers gebildete Einigungsstelle und der Annahme dieser Bestellung abhängig.

38

(2) Die wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers durch Honoraransprüche externer Beisitzer ist damit dem Einigungsstellenverfahren immanent. Sie ist nicht nur - möglicherweise - Folge der Bestellung eines betriebsfremden, aber doch unternehmensangehörigen Arbeitnehmers, sondern entsteht von Gesetzes wegen bei jeder Bestellung eines betriebsfremden Beisitzers.

39

(3) Ein (etwaiger) gesetzlicher Honoraranspruch des betriebsfremden unternehmensangehörigen Beisitzers, der zugleich Mitglied des Betriebsrats eines unternehmenszugehörigen Betriebs ist, verstieße nicht gegen das Begünstigungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG. Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist es, die Mitglieder eines der in § 78 Satz 1 BetrVG bezeichneten betriebsverfassungsrechtlichen Organe gegenüber den Mitarbeitern desselben Arbeitsverbunds wegen ihrer Amtstätigkeit weder zu benachteiligen noch zu begünstigen. Stünde einem betriebsfremden, aber unternehmensangehörigen Einigungsstellenbeisitzer gemäß § 76a Abs. 3 BetrVG ein Honoraranspruch zu(dies ablehnend und für eine entsprechende Anwendung von § 76a Abs. 2 BetrVG HWGNRH-Worzalla 9. Aufl. § 76a Rn. 15), handelte es sich nicht um eine gesetzlich missbilligte Begünstigung, sondern - ähnlich wie beim Sonderkündigungsschutz für Betriebsratsmitglieder gemäß § 15 KSchG und § 103 BetrVG - um eine gesetzlich gerade vorgesehene Ungleichbehandlung. Dementsprechend stellte schon nach der Rechtslage vor In-Kraft-Treten des § 76a BetrVG die Honorarzusage an einen betriebsfremden, aber unternehmensangehörigen Beisitzer keine Begünstigung iSd. § 78 Satz 2 BetrVG dar(BAG 21. Juni 1989 - 7 ABR 92/87 - zu B II 1 c der Gründe, BAGE 62, 129).

40

(4) Allein der Umstand, dass dem Beteiligten zu 3. gegen die Arbeitgeberin ein gesetzlicher Honoraranspruch aufgrund seiner Amtswahrnehmung zustehen könnte, rechtfertigt nicht die Annahme, er müsse in stärkerem Maße, als dies für die Vertretung der Interessen der betroffenen Arbeitnehmer in der Einigungsstelle erforderlich war, gegen ihre Interessen tätig geworden sein. Soweit sich die Arbeitgeberin darauf beruft, das „Geschäftsmodell“ des Beteiligten zu 3. habe nur funktionieren können, wenn er in den Einigungsstellen ausschließlich solche Interessen vertrat, welche den ihren zuwiderliefen, zielt sie auf ein dem Beteiligten zu 3. zugeschriebenes Bestreben, sich auf ihre Kosten eine weitere „Erwerbsquelle“ zu verschaffen. Wie ausgeführt, gibt es indessen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Beteiligte zu 3. seine Tätigkeiten als Beisitzer auf dieses Ziel ausgerichtet hätte. Soweit die Arbeitgeberin geltend macht, zur Verwirklichung seines Konzepts müsse der Beteiligte zu 3. die Interessen des jeweiligen örtlichen Betriebsrats „bestmöglich“ vertreten, verkennt sie, dass die Beisitzer auf Betriebsratsseite nicht die Interessen des sie bestellenden Gremiums, sondern diejenigen der von der Regelungsstreitigkeit betroffenen Arbeitnehmer wahrnehmen. Dies wiederum ist ihre gesetzlich vorgesehene Aufgabe. Selbst die „bestmögliche“ Vertretung der Arbeitnehmerinteressen in einer Einigungsstelle stellt deshalb keine Illoyalität gegenüber dem Arbeitgeber dar.

41

(5) Der Beteiligte zu 3. hat seine individualrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Arbeitgeberin auch dann nicht verletzt, wenn er - wie die Arbeitgeberin behauptet hat - als Beisitzer in den Einigungsstellen anderer Betriebe seine als Betriebsratsmitglied erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten genutzt hat und nur aufgrund ihrer überhaupt bestellt worden ist. Wäre dies als mittelbare Vergütung von Betriebsratstätigkeit anzusehen, läge darin allenfalls ein Grund, ihm einen Honoraranspruch für die Tätigkeit als externer Beisitzer zu versagen. Stünde dagegen das Prinzip des Ehrenamts in § 37 Abs. 1 BetrVG einem Honoraranspruch nach § 76a Abs. 3 BetrVG auch in einem solchen Fall nicht entgegen, wäre ebenso wenig eine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Arbeitgeberin verletzt.

42

(6) Es kann dahinstehen, ob dem Beteiligten zu 3. eine solche Pflichtverletzung vorzuwerfen wäre, wenn seine Bestellungen zum Beisitzer in Einigungsstellen anderer Betriebe Teil eines „Ringtauschs“ gewesen wären, wenn also die Betriebsräte der Arbeitgeberin ihre Mitglieder wechselseitig zu Einigungsstellenbeisitzern bestellt hätten, um ihnen Honoraransprüche zu verschaffen, die andernfalls wegen § 76a Abs. 2 BetrVG nicht entstünden. Nach den vorgetragenen Umständen ist nichts dafür ersichtlich, dass ein solches Vorgehen auch nur geplant gewesen wäre.

43

dd) Der Beteiligte zu 3. musste die von ihm ausgeübten Tätigkeiten nicht bis zu einer gerichtlichen Klärung ihrer Vereinbarkeit mit seinen arbeitsvertraglichen Pflichten zurückstellen. Dies gilt auch dann, wenn die Regelungen in § 4 Abs. 2 seines Arbeitsvertrags als - wirksame - Vereinbarung eines Erlaubnisvorbehalts zu verstehen wären. Sinn und Zweck eines solchen Vorbehalts ist es, den Arbeitgeber durch die Anzeige beabsichtigter Nebentätigkeiten in die Lage zu versetzen, vor deren Aufnahme zu prüfen, ob durch sie betriebliche Belange beeinträchtigt werden (vgl. dazu BAG 13. März 2003 - 6 AZR 585/01 - zu II 2 der Gründe, BAGE 105, 205; 11. Dezember 2001 - 9 AZR 464/00 - zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 100, 70; 21. September 1999 - 9 AZR 759/98 - zu I 2 der Gründe). Das Interesse, den Arbeitnehmer auch dann von der Ausübung einer - angezeigten - Nebentätigkeit abzuhalten, wenn er bei objektiver Betrachtung einen Anspruch auf ihre Erlaubnis hat, ist dagegen nicht schutzwürdig. Ein Arbeitnehmer, der mit der Ausübung einer rechtmäßigen Nebentätigkeit nicht bis zu einer gerichtlichen Entscheidung abwartet, handelt unter Berücksichtigung seiner Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG nicht pflichtwidrig. Anders als im Fall des eigenmächtigen Urlaubsantritts (vgl. hierzu BAG 22. Januar 1998 - 2 ABR 19/97 - zu B II 3 der Gründe; 20. Januar 1994 - 2 AZR 521/93 - zu II 2 a der Gründe) geht es nicht um die einseitige Suspendierung der Hauptleistungspflicht. Die Ausübung einer Nebentätigkeit in der Freizeit betrifft den einer Regulierung durch den Arbeitgeber grundsätzlich entzogenen Bereich der privaten Lebensgestaltung. Dies unterscheidet sie auch von der Nichtbeachtung einer unbilligen Leistungsbestimmung des Arbeitgebers (zur vorläufigen Bindung des Arbeitnehmers an eine solche Weisung vgl. BAG 22. Februar 2012 - 5 AZR 249/11 - Rn. 24, BAGE 141, 34; dazu kritisch Fischer FA 2014, 38; Preis NZA 2015, 1, 6; Thüsing JM 2014, 20).

44

2. Dafür, dass der Beteiligte zu 3. im Zusammenhang mit der Wahrnehmung seiner Aufgaben als Einigungsstellenbeisitzer in sonstiger Weise seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Arbeitgeberin gemäß § 241 Abs. 2 BGB verletzt hätte, gibt es keine Anhaltspunkte.

        

    Berger    

        

    Niemann    

        

    Rachor    

        

        

        

    A. Claes    

        

    Brossardt    

                 

Tenor

1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 6. Juli 2015 - 7 Sa 124/15 - aufgehoben.

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Weiden vom 4. Februar 2015 - 4 Ca 699/14 - teilweise abgeändert und wie folgt gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten noch darüber, ob das zwischen ihnen begründete Arbeitsverhältnis durch arbeitgeberseitige Kündigung fristlos oder erst mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist beendet wurde.

2

Der Beklagte betreibt mit nicht mehr als zehn Arbeitnehmern ein Transportunternehmen. Sein einziger Kunde ist ein Automobilhersteller, für den er mit schweren Lastkraftwagen „Just-in-time“-Lieferungen durchführt. Der 1984 geborene Kläger wurde zum 5. November 2013 bei dem Beklagten als LKW-Fahrer eingestellt.

3

Außerhalb seiner Arbeitszeit nahm der Kläger am Samstag, dem 11. Oktober 2014, Amphetamin und Methamphetamin („Crystal Meth“) ein. Ab dem darauffolgenden Montag erbrachte er in der Frühschicht ab 04:00 Uhr morgens plangemäß seine Arbeitsleistung. Am Dienstag, dem 14. Oktober 2014, wurde er nach Beendigung seiner Tätigkeit für den Beklagten bei einer Fahrt mit seinem privaten PKW von der Polizei kontrolliert und einem Drogenwischtest unterzogen. Dessen Ergebnis war positiv. Die Blutuntersuchung ergab später, dass der Kläger Amphetamin und Methamphetamin konsumiert hatte.

4

Am Abend des 14. Oktober 2014 rief der Kläger den Beklagten an und teilte ihm mit, dass er seine um 04:00 Uhr des folgenden Tages beginnende Tour nicht fahren könne. Er finde seinen Führerschein nicht. Die Polizei habe ihn kontrolliert und ihm mitgeteilt, er dürfe deswegen nicht mehr fahren. Der Beklagte wies darauf hin, dass die rechtzeitige Belieferung des Kunden sehr wichtig sei und ein Ersatzfahrer nicht zur Verfügung stehe. Der Kläger erklärte sich schließlich dazu bereit, die Tour durchzuführen und nahm seine Tätigkeit dementsprechend am Morgen des 15. Oktober 2014 auf. Am 27. Oktober 2014 sprach der Beklagte den Kläger auf das Telefonat vom 14. Oktober 2014 an. Es könne nicht sein, dass die Polizei ein Fahrverbot ausspreche, nur weil man seinen Führerschein nicht vorlegen könne. Der Kläger räumte daraufhin den positiven Drogenwischtest am 14. Oktober 2014 ein.

5

Mit Schreiben vom 28. Oktober 2014, welches dem Kläger am selben Tag zuging, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung. Das Kündigungsschreiben lautet auszugsweise wie folgt:

        

„Ihnen wurden bereits einige Gründe zu Ihrer Kündigung erläutert.

        

Diese sind insbesondere das laufende Verschlafen Ihrer Arbeitszeiten sowie der illegale Konsum von Betäubungsmitteln.

        

Dies wurde durch einen positiven Drogentest der Polizei am 14.10.2014 festgestellt.

        

Sie teilten dies jedoch nicht unverzüglich uns mit, sondern versuchten die entsprechenden Umstände zu verheimlichen. …

        

Die Einnahme von Drogen gaben Sie nach mehrmaligen Nachfragen und Androhung auf eine Untersuchung über den ASD der BG - Verkehr zu.“

6

Mit seiner am 6. November 2014 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen diese Kündigung gewandt.

7

Nach seiner Auffassung liegt kein hinreichender Grund für eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses vor. Der gesamte Geschehensablauf habe sich im privaten Bereich zugetragen. Es hätten keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung seiner Fahrtüchtigkeit oder eine konkrete Gefährdung des Straßenverkehrs bestanden. Deswegen habe es auch kein Ermittlungsverfahren nach § 315c bzw. § 316 StGB gegeben. Das bloße Begehen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 StVG rechtfertige keine außerordentliche Kündigung. Ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz sei nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Bei einem einmaligen Drogenkonsum hätte ohnehin eine Abmahnung ausgereicht.

8

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung des Beklagten vom 28. Oktober 2014, zugegangen am 28. Oktober 2014, nicht beendet worden ist.

9

Zur Begründung seines Klageabweisungsantrags hat der Beklagte vorgetragen, die fristlose Kündigung sei gerechtfertigt. Der Kläger habe jedenfalls vom 11. bis zum 14. Oktober 2014 unter Drogeneinfluss gestanden und in diesem Zustand ab dem 13. Oktober 2014 den ihm anvertrauten LKW gefahren. Zudem habe er in dem Gespräch am 14. Oktober 2014 den durchgeführten Drogenwischtest nicht erwähnt und dadurch die Möglichkeit einer am nächsten Tag noch bestehenden Fahruntüchtigkeit verschwiegen. Bei Kenntnis von dem positiven Ergebnis des Drogenwischtests wäre dem Kläger die Fahrt am 15. Oktober 2014 wegen des unvertretbaren Risikos einer erneuten Gefährdung des Straßenverkehrs untersagt worden. Erst am 27. Oktober 2014 sei der Sachverhalt aufgeklärt worden. Auf Nachfrage habe der Kläger in diesem Gespräch eingeräumt, dass ein Drogenkonsum evtl. noch festgestellt werden könnte. Der Beklagte habe ihm daraufhin erklärt, dass alle Fahrer sich jährlich beim Gesundheitsdienst der zuständigen Berufsgenossenschaft einer Untersuchung unterziehen müssten und bei dieser auch Blutuntersuchungen vorgenommen würden. Der Kläger habe gebeten, sich einer solchen Untersuchung nicht unterziehen zu müssen.

10

Eine weitere Beschäftigung des Klägers als LKW-Fahrer sei angesichts dessen potentieller Gefährdung des Straßenverkehrs durch Drogenkonsum und des Vertrauensverlusts auch nur für die Zeit der Kündigungsfrist nicht zumutbar gewesen. Außerdem hätte der einzige Kunde den Einsatz eines wegen Drogenmissbrauchs unzuverlässigen Fahrers nicht geduldet. Die Geschäftsbeziehung zu diesem existentiell wichtigen Kunden wäre bei einer Weiterbeschäftigung des Klägers insgesamt gefährdet gewesen. Andere Einsatzmöglichkeiten habe es für den Kläger nicht gegeben. Es würden nur LKW-Fahrer beschäftigt.

11

Das Arbeitsgericht hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung nicht fristlos beendet worden ist, sondern bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 30. November 2014 fortbestanden hat. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt der Beklagte sein Ziel der vollständigen Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe

12

Die zulässige Revision ist begründet. Die streitgegenständliche Kündigung hat das Arbeitsverhältnis gemäß § 626 Abs. 1 BGB ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist mit ihrem Zugang am 28. Oktober 2014 beendet.

13

I. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts liegt ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB vor.

14

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 17. März 2016 - 2 AZR 110/15 - Rn. 17 mwN).

15

2. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um bloße Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es anzuwendende Rechtsbegriffe in ihrer allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 22).

16

3. Dieser Überprüfung hält die angefochtene Entscheidung nicht stand.

17

a) Der Kläger hat in schwerwiegender Weise gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen, indem er am 11. Oktober 2014 Amphetamin und Methamphetamin eingenommen und dennoch ab dem 13. Oktober 2014 seine Tätigkeit als LKW-Fahrer verrichtet hat. Dies stellt einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB dar. Das Landesarbeitsgericht hat bei der vorzunehmenden Interessenabwägung die sich aus der Einnahme von Amphetamin und Methamphetamin für die Tätigkeit eines Berufskraftfahrers typischerweise ergebenden Gefahren nicht hinreichend gewürdigt.

18

aa) Die Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten kann „an sich“ einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB darstellen. Das betrifft sowohl auf die Hauptleistungspflicht bezogene Nebenleistungspflichten, die der Vorbereitung, der ordnungsgemäßen Durchführung und der Sicherung der Hauptleistung dienen und diese ergänzen, als auch sonstige, aus dem Gebot der Rücksichtnahme ( § 241 Abs. 2 BGB ) erwachsende Nebenpflichten (BAG 19. Januar 2016 - 2 AZR 449/15 - Rn. 29 mwN). Es besteht eine Nebenleistungspflicht des Arbeitnehmers, sich nicht in einen Zustand zu versetzen, in dem er seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis nicht erfüllen oder bei Erbringung seiner Arbeitsleistung sich oder andere gefährden kann (vgl. BAG 26. Januar 1995 - 2 AZR 649/94 - zu B III 3 a der Gründe, BAGE 79, 176; ErfK/Müller-Glöge 16. Aufl. § 626 BGB Rn. 137; HWK/Sandmann 7. Aufl. § 626 BGB Rn. 260). Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Fähigkeit zur (sicheren) Erbringung der Arbeitsleistung durch ein Verhalten während oder außerhalb der Arbeitszeit eingeschränkt wurde. So hat der Arbeitnehmer die Pflicht, seine Arbeitsfähigkeit auch nicht durch Alkoholgenuss in der Freizeit zu beeinträchtigen (vgl. BAG 26. Januar 1995 - 2 AZR 649/94 - aaO; 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 22; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 310; Liebscher in Thüsing/Laux/Lembke KSchG 3. Aufl. § 1 Rn. 468; Löwisch in Löwisch/Spinner/Wertheimer KSchG 10. Aufl. § 1 Rn. 213; ErfK/Müller-Glöge § 626 BGB Rn. 137). Ein Berufskraftfahrer hat aufgrund der besonderen Gefahren des öffentlichen Straßenverkehrs jeden die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigenden Alkoholkonsum zu unterlassen (vgl. BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 25; LAG Nürnberg 17. Dezember 2002 - 6 Sa 480/01 - zu II 1 der Gründe; KR/Fischermeier 11. Aufl. § 626 BGB Rn. 423; KR/Griebeling/Rachor § 1 KSchG Rn. 425; Krause in vHH/L 15. Aufl. § 1 Rn. 577; Staudinger/Preis (2016) § 626 Rn. 129 mwN; HaKo/Zimmermann 5. Aufl. § 1 Rn. 360).

19

bb) Nimmt ein Berufskraftfahrer Amphetamin und Methamphetamin ein und führt er dennoch im Rahmen seiner arbeitsvertraglichen Verpflichtung ein Fahrzeug des Arbeitgebers, kommt es wegen der sich aus diesem Drogenkonsum typischerweise ergebenden Gefahren nicht darauf an, ob seine Fahrtüchtigkeit konkret beeinträchtigt ist. Der Pflichtenverstoß liegt bereits in der massiven Gefährdung der Fahrtüchtigkeit.

20

(1) Dies entspricht den Wertungen des öffentlichen Rechts.

21

(a) Nach § 24a Abs. 2 Satz 1 StVG handelt ordnungswidrig, wer unter der Wirkung eines in der Anlage zu dieser Vorschrift genannten berauschenden Mittels im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt. Die Vorschrift erfasst Fahrten unter der Einwirkung bestimmter Rauschmittel, die allgemein geeignet sind, die Verkehrs- und Fahrsicherheit zu beeinträchtigen. Es handelt sich um einen abstrakten Gefährdungstatbestand, bei dem es auf eine tatsächliche Beeinträchtigung der Fahrsicherheit oder Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer im Einzelfall nicht ankommt (vgl. Janker/Hühnermann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker Straßenverkehrsrecht 24. Aufl. § 24a StVG Rn. 5). Amphetamin und Methamphetamin sind in der Anlage zu § 24a StVG genannt. Die Einnahme dieser Substanzen bewirkt zB erhöhte Risikobereitschaft und Enthemmung (vgl. König in Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht 43. Aufl. § 24a StVG Rn. 19).

22

(b) Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV) besteht bei Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) mit Ausnahme von Cannabis keine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Dies gilt unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen. Dementsprechend ist die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 3, §§ 11 bis 14 FeV bereits dann gerechtfertigt, wenn der Fahrerlaubnisinhaber mindestens einmal sogenannte „harte Drogen“ konsumiert hat. Der Fahrerlaubnisbehörde ist insoweit kein Ermessen eingeräumt (BayVGH 15. Juni 2016 - 11 CS 16.879 - Rn. 13; vgl. auch OVG NRW 23. Juli 2015 - 16 B 656/15 - Rn. 5; VGH Baden-Württemberg 7. April 2014 - 10 S 404/14 - Rn. 5; OVG Berlin-Brandenburg 10. Juni 2009 - OVG 1 S 97.09 - Rn. 4; VGH Hessen 21. März 2012 - 2 B 1570/11 - Rn. 6; Sächsisches OVG 28. Oktober 2015 - 3 B 289/15 - Rn. 5; OVG Sachsen-Anhalt 13. April 2012 - 3 M 47/12 - Rn. 6; Thüringer OVG 9. Juli 2014 - 2 EO 589/13 - Rn. 14; Koehl ZfSch 2015, 369 unter B). Zu den „harten Drogen“ zählen auch Amphetamin und Methamphetamin (§ 1 Abs. 1 BtMG iVm. Anlagen II und III zu § 1 Abs. 1 BtMG). Die Anlage 4 zur FeV beruht maßgeblich auf den Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung des Gemeinsamen Beirats für Verkehrsmedizin bei den für Verkehr und Gesundheit zuständigen Bundesministerien, denen ein entsprechendes verkehrsmedizinisches Erfahrungswissen zugrunde liegt und die den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis auf diesem Gebiet wiedergeben (BVerwG 14. November 2013 - 3 C 32.12 - Rn. 19 mwN, BVerwGE 148, 230).

23

(2) Vor diesem Hintergrund kann davon ausgegangen werden, dass die Einnahme von Amphetamin und Methamphetamin die Fahrtüchtigkeit in einem solchen Maß gefährdet, dass dies für sich genommen bei einem Berufskraftfahrer eine Verletzung des Arbeitsvertrags darstellt, wenn er trotz des Drogenkonsums seine Tätigkeit verrichtet. Die drogenbedingte Gefährdung der Fahrtüchtigkeit bewirkt zumindest abstrakt auch eine Gefährdung der Sicherheit des Straßenverkehrs. Im Rahmen seiner arbeitsvertraglichen Verpflichtungen ist der Berufskraftfahrer gehalten, eine solche Gefährdung zu verhindern. Er verletzt durch die Drogeneinnahme seine Verpflichtungen daher auch dann, wenn es trotz des Drogenkonsums nicht zu einer konkreten Einschränkung der Fahrtüchtigkeit oder zu kritischen Verkehrssituationen kommt. Es ist für die Prüfung eines Vertragsverstoßes auch unbeachtlich, ob der Berufskraftfahrer durch seine Fahrtätigkeit eine Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 Satz 1 StVG begeht oder ob die Substanz nicht mehr im Blut nachgewiesen werden kann(§ 24a Abs. 2 Satz 2 StVG).

24

cc) Ausgehend von diesen Grundsätzen liegt hier entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB vor, welcher die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigt.

25

(1) Der Kläger hat in schwerwiegender Weise gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen.

26

(a) Er konsumierte unstreitig am 11. Oktober 2014 Amphetamin und Methamphetamin. Dennoch verrichtete er vom 13. bis zum 15. Oktober 2014 seine Tätigkeit als LKW-Fahrer. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts stand er dabei noch „unter Drogeneinfluss“. Es ist jedenfalls bzgl. der Fahrten am 13. und 14. Oktober 2014 nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht dies aus dem Ergebnis des am Nachmittag des 14. Oktober 2014 durchgeführten Drogenwischtests geschlossen hat. Der Kläger hat damit seine vertraglichen Pflichten verletzt, auch wenn ungeklärt ist, inwieweit seine Fahrtüchtigkeit (noch) konkret beeinträchtigt war. Die Pflichtverletzung besteht, wie ausgeführt, schon in der Aufnahme der Tätigkeit trotz des Drogenkonsums.

27

(b) Diese Pflichtverletzung hat der Kläger schuldhaft begangen. Er handelte mindestens fahrlässig iSd. § 276 Abs. 2 BGB, indem er seine Fahrt am 13. Oktober 2014 um 04:00 Uhr morgens antrat, obwohl er erst zwei Tage vorher Amphetamin und Methamphetamin zu sich genommen hatte. Ihm musste bewusst gewesen sein, dass eine Fahrt unter Drogeneinfluss angesichts dieser kurzen Zeitdauer noch möglich war. Zudem hat er den LKW auch noch am 15. Oktober 2014 geführt, obwohl ihm das drogenbedingt erhöhte Risiko durch den positiven Drogenwischtest am 14. Oktober 2014 vor Augen geführt wurde. Der Umstand, dass der Kläger den Beklagten unstreitig noch am Abend dieses Tages angerufen und fälschlicherweise behauptet hat, er könne die Fahrt am nächsten Morgen wegen eines verlorenen Führerscheins nicht durchführen, lässt darauf schließen, dass er dieses Risiko auch erkannt hatte. Dabei kommt es nicht darauf an, welche Aussagen die Polizei ihm gegenüber gemacht hatte.

28

(c) Deshalb kann hier dahinstehen, unter welchen Umständen ein Berufskraftfahrer bei einem länger zurückliegenden Drogenkonsum davon ausgehen darf, dass keine Auswirkungen mehr bestehen. Auch die Problematik einer suchtbedingt fehlenden Steuerbarkeit des Verhaltens stellt sich nicht (vgl. hierzu BAG 20. Dezember 2012 - 2 AZR 32/11 - Rn. 14; HaKo/Zimmermann 5. Aufl. § 1 Rn. 354). Der Kläger hat nicht behauptet, im fraglichen Zeitraum drogensüchtig gewesen zu sein.

29

(2) Dem Beklagten war die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist auch bei Berücksichtigung der Interessen des Klägers nicht zumutbar. Die zu Gunsten des Klägers ausfallende Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts würdigt nicht alle in Betracht zu ziehenden Umstände. Da die für die Interessenabwägung relevanten Tatsachen sämtlich feststehen, kann der Senat die erforderliche Abwägung selbst vornehmen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 42).

30

(a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Zu berücksichtigen sind regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel - etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung - gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (BAG 22. Oktober 2015 - 2 AZR 569/14 - Rn. 46 mwN, BAGE 153, 111).

31

(b) Das Landesarbeitsgericht hat die außerordentliche Kündigung als unverhältnismäßig angesehen, weil „keine Umstände vorliegen, die den Schluss zulassen, der Kläger sei an den genannten Tagen gefahren, obwohl er fahruntüchtig gewesen sei“. Ein einmaliger Verstoß gegen § 24a Abs. 2 StVG ohne eine konkrete Gefahr für die Interessen des Arbeitgebers könne eine fristlose Kündigung nicht rechtfertigen. Es lägen keine Tatsachen vor, die auf einen regelmäßigen Drogenkonsum des Klägers, welcher seine persönliche Eignung für die Tätigkeit als Berufskraftfahrer in Frage stellen könnte, schließen ließen. Dies ergebe sich auch nicht aus der angeblichen Weigerung des Klägers, sich einer Untersuchung durch den medizinischen Dienst der Berufsgenossenschaft zu unterziehen. Es bestünden keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine generelle Weigerung.

32

(c) Diese Würdigung ist nicht frei von Rechtsfehlern.

33

(aa) Das Landesarbeitsgericht verkennt, dass schon die Einnahme von sogenannten „harten Drogen“ wie Amphetamin und Methamphetamin die Fahrtüchtigkeit in einem solchen Maß gefährdet, dass die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen entfällt. Der kündigungsrelevante Pflichtenverstoß des Klägers ist schon die Gefährdung seiner Fahrtüchtigkeit durch den Drogenmissbrauch vor Fahrtantritt. Ob seine Fahrtüchtigkeit bei den ab dem 13. Oktober 2014 durchgeführten Fahrten konkret beeinträchtigt war und deshalb eine erhöhte Gefahr im Straßenverkehr bestand, ist ohne Bedeutung.

34

(bb) Die vom Landesarbeitsgericht angenommene Erfüllung des Tatbestands des § 24a Abs. 2 StVG mag für sich genommen nicht ausreichen, um die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist anzunehmen. Das Begehen einer solchen Ordnungswidrigkeit wäre aber zu Lasten des Klägers in die Gesamtabwägung einzustellen.

35

(cc) Das Landesarbeitsgericht hat die Bedeutung der Zuverlässigkeit des Klägers im Hinblick auf den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz nicht hinreichend gewürdigt. Nach § 7 Abs. 2 der von der Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrswirtschaft (BG Verkehr) als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung erlassen Unfallverhütungsvorschrift „Grundsätze der Prävention“ dürfen Unternehmer Versicherte, die erkennbar nicht in der Lage sind, eine Arbeit ohne Gefahr für sich oder andere auszuführen, mit dieser Arbeit nicht beschäftigen. Eine Missachtung dieser Vorgaben kann zum Verlust des Versicherungsschutzes in der gesetzlichen Unfallversicherung führen (vgl. BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 25). Dem Beklagten war seit dem 27. Oktober 2014 bekannt, dass der Kläger „harte Drogen“ konsumiert hatte. Er musste daher davon ausgehen, dass ein weiterer Einsatz des Klägers das Risiko weiterer Fahrten unter Drogeneinfluss und damit Gefährdungen des öffentlichen Straßenverkehrs in sich birgt. Aus Sicht des Beklagten bestanden damit auch unabsehbare Risiken bzgl. seiner Haftung und des Versicherungsschutzes. Dies spricht für die Unzumutbarkeit der weiteren Beschäftigung des Klägers für den Beklagten.

36

(dd) Gleiches gilt hinsichtlich des möglichen Auftragsverlusts bei einem weiteren Einsatz des Klägers. Der Beklagte hat vorgetragen, dass der einzige Kunde bei Einsatz eines drogenbedingt unzuverlässigen Fahrers die Zuverlässigkeit des gesamten Unternehmens in Frage gestellt und ggf. den Auftrag entzogen hätte. Dies hat der Kläger nicht substantiiert bestritten. Die sich daraus ergebende wirtschaftliche Bedrohung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht nicht thematisiert.

37

(d) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts war dem Beklagten deshalb die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist auch bei Berücksichtigung der Interessen des Klägers nicht zumutbar.

38

(aa) Der Kläger hat eine Pflichtverletzung begangen, durch welche er nicht nur sich selbst, sondern auch andere Verkehrsteilnehmer sowie Güter des Beklagten zumindest potentiell in Gefahr gebracht hat. An der Schwere dieser Pflichtverletzung ändert es nichts, wenn es sich um einen einmaligen Drogenkonsum gehandelt haben sollte. Hätte der Kläger damals regelmäßig Drogen dieser Art konsumiert, hätte eine gesteigerte Wiederholungsgefahr bestanden, die zu Lasten des Klägers gewürdigt werden müsste.

39

(bb) Zu Gunsten des Klägers kann nicht berücksichtigt werden, dass es zu keinem Unfall kam. Zum einen kann dies als ein mehr oder minder zufälliger Umstand bei der Abwägung außer Betracht bleiben (vgl. bereits BAG 22. August 1963 - 2 AZR 114/63 -). Zum anderen würde das durch den Pflichtenverstoß geschaffene Risiko im Nachhinein unangemessen relativiert.

40

(cc) Soziale Belange rechtfertigen kein Überwiegen des Interesses des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist. Das Arbeitsverhältnis bestand erst seit knapp einem Jahr. Die persönliche Situation des Klägers lässt keine besondere Schutzwürdigkeit erkennen.

41

(dd) Die außerordentliche Kündigung ist keine unverhältnismäßige Reaktion auf die Pflichtverletzung des Klägers. Eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz war nicht möglich. Der Beklagte beschäftigt nach seinem unbestrittenen Vortrag ausschließlich Fahrer. Eine Abmahnung war entbehrlich. Die Pflichtverletzung des Klägers war so schwerwiegend, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Beklagten nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich ausgeschlossen war (vgl. BAG 19. November 2015 - 2 AZR 217/15 - Rn. 24; 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 22, BAGE 150, 109).

42

b) Das Landesarbeitsgericht hat nicht berücksichtigt, dass der Beklagte die außerordentliche Kündigung ausweislich des Kündigungsschreibens auch damit begründet hat, dass der Kläger ihn in dem Telefonat am 14. Oktober 2014 nicht über den durchgeführten Drogenwischtest informiert, sondern fälschlicherweise behauptet habe, er dürfe wegen eines verlorenen Führerscheins am nächsten Tag nicht fahren. Dieses Verhalten des Klägers rechtfertigt für sich genommen die fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

43

aa) Eine Nebenpflicht des Arbeitnehmers besteht darin, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen ( § 241 Abs. 2 BGB ). Diese Pflicht dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks ( BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13  - Rn. 19 mwN). Aus ihr leitet sich die allgemeine Pflicht des Arbeitnehmers ab, den Arbeitgeber im Rahmen des Zumutbaren unaufgefordert und rechtzeitig über Umstände zu informieren, die einer Erfüllung der Arbeitspflicht entgegenstehen (BAG 26. März 2015 - 2 AZR 517/14 - Rn. 24). Deshalb hat ein Arbeitnehmer den Verlust seiner Fahrerlaubnis unverzüglich mitzuteilen, wenn er diese für die Erbringung seiner Arbeitsleistung benötigt (vgl. Künzl/Sinner NZA-RR 2013, 561, 565). Zu den Nebenpflichten gehört auch die Schadensabwendungspflicht, nach welcher der Arbeitnehmer gehalten ist, drohende Schäden vom Arbeitgeber abzuwenden bzw. zu beseitigen, soweit ihm dies möglich und zumutbar ist. In Zusammenhang damit steht die Verpflichtung des Arbeitnehmers, bemerkbare oder voraussehbare Schäden oder Gefahren dem Arbeitgeber unverzüglich anzuzeigen (BAG 28. August 2008 - 2 AZR 15/07 - Rn. 21). Verstößt der Arbeitnehmer zumindest bedingt vorsätzlich gegen seine aus § 241 Abs. 2 BGB abzuleitende Pflicht, im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren drohende Schäden vom Arbeitgeber abzuwenden, liegt darin eine erhebliche Pflichtverletzung, die den Arbeitgeber grundsätzlich zur Kündigung aus wichtigem Grund berechtigt(vgl. BAG 18. Juni 2015 - 2 AZR 256/14 - Rn. 25).

44

bb) Der Kläger hatte die Pflicht, den Beklagten unverzüglich über das Ergebnis des Drogenwischtests am 14. Oktober 2014 zu informieren. Dies gilt auch angesichts des Umstands, dass der Test auf die polizeiliche Kontrolle einer Privatfahrt zurückzuführen ist. Der Bezug zum Arbeitsverhältnis ergibt sich aus der Einteilung des Klägers in die am nächsten Morgen um 04:00 Uhr beginnende Frühschicht. Dem Kläger wurde durch das Ergebnis des Drogenwischtests unmissverständlich verdeutlicht, dass der Drogenkonsum am vorangegangenen Samstag seine Fahrtüchtigkeit noch immer erheblich in Frage stellt. Seine Fähigkeit zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Vertragspflichten als LKW-Fahrer war damit zumindest bezogen auf den nächsten Tag zweifelhaft. Angesichts der mit einem Einsatz des Klägers zumindest abstrakt verbundenen Gefahren für den Straßenverkehr und Güter des Beklagten musste der Beklagte offensichtlich über diese Situation unterrichtet werden, um ihm eine Entscheidung bzgl. der weiteren Vorgehensweise auf zutreffender Tatsachengrundlage zu ermöglichen.

45

cc) Diese Pflicht hat der Kläger nicht erfüllt. Er hat in dem Telefonat am Abend des 14. Oktober 2014 die Polizeikontrolle und deren Ergebnis vielmehr wahrheitswidrig dargestellt, indem er behauptet hat, er dürfe nach polizeilicher Auskunft am nächsten Tag den LKW nicht fahren, weil er seinen Führerschein verlegt habe. Über den wirklichen Sachverhalt hat er den Beklagten nicht informiert.

46

dd) Diese Pflichtverletzung stellt einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB dar.

47

(1) Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung ist zu Lasten des Klägers nicht nur die Schwere der Vertragsverletzung zu berücksichtigen, sondern auch die bewusste Täuschung des Beklagten über die Geschehnisse am 14. Oktober 2014. Der Beklagte hat im Kündigungsschreiben zu Recht angeführt, der Kläger habe versucht, „die entsprechenden Umstände zu verheimlichen“. Der Kläger hat mit seiner Vorgehensweise dem auch für die kurzfristige Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderlichen Vertrauen des Beklagten die Grundlage entzogen. Der Beklagte konnte sich nicht mehr sicher sein, dass der Kläger ihn über sicherheitsrelevante Vorgänge pflichtgemäß unterrichtet. Da der Beklagte auf die Zuverlässigkeit der Mitteilungen seiner Fahrer angewiesen ist, war ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zumutbar.

48

(2) Eine Abmahnung war auch bzgl. dieses gravierenden Pflichtenverstoßes entbehrlich. Der Kläger konnte nicht erwarten, dass der Beklagte die irreführende Darstellung der Polizeikontrolle akzeptiert.

49

c) Selbst wenn die beiden angeführten Kündigungsgründe für sich genommen die fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht rechtfertigen würden, wäre die außerordentliche Kündigung jedenfalls bei einer Gesamtbetrachtung wirksam. Der Kläger hat durch die für einen Berufskraftfahrer unverantwortbare Gefährdung seiner Fahrtüchtigkeit in Verbindung mit dem Versuch einer Vertuschung des Drogenwischtests die für das Arbeitsverhältnis unabdingbare Vertrauensgrundlage zerstört.

50

II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).

51

1. Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB ist bzgl. beider Kündigungsgründe gewahrt. Sie beginnt nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald er eine zuverlässige und hinreichend vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 54 mwN). Der Beklagte hat hier nach seinem insoweit unbestrittenen Vortrag erst im Gespräch am 27. Oktober 2014 von den maßgeblichen Umständen Kenntnis erlangt. Der Zugang der Kündigung erfolgte bereits am 28. Oktober 2014.

52

2. Die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 28. Oktober 2014 ergibt sich auch nicht aus anderen Umständen. Solche sind weder behauptet noch ersichtlich.

53

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

        

    Fischermeier    

        

    Spelge    

        

    Krumbiegel     

        

        

        

    Wollensak    

        

    Döpfert     

                 

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerden des Betriebsrats und des Beteiligten zu 3. wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. März 2014 - 2 TaBV 18/13 - aufgehoben.

2. Auf die Beschwerden des Betriebsrats und des Beteiligten zu 3. wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Trier vom 18. Juni 2013 - 2 BV 22/12 - abgeändert und der Antrag abgewiesen.

Gründe

1

A. Die Arbeitgeberin begehrt die Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beteiligten zu 3.

2

Die Arbeitgeberin ist ein bundesweit tätiges Einzelhandelsunternehmen mit Hauptsitz in H. In Deutschland betreibt sie etwa 390 Filialen, darunter eine Filiale in T. Der Beteiligte zu 3. ist bei ihr seit September 1999 als Mitarbeiter im Verkauf auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags mit sog. Jahresarbeitszeitregelung beschäftigt. Die vereinbarte Jahresarbeitszeit betrug zuletzt 1.660 Stunden. Die Arbeitgeberin setzt Mitarbeiter mit Jahresarbeitszeitregelung entsprechend dem Arbeitsanfall variabel ein. In ihrer Filiale in T erfolgt die Personalplanung monatlich gemäß einer Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit aus dem Jahre 2008. Im Arbeitsvertrag zwischen dem Beteiligten zu 3. und der Arbeitgeberin vom 10. September 2001 ist in § 4 Abs. 2 unter der Überschrift „Allgemeine Pflichten“ bestimmt, dass „Nebentätigkeiten […] nur mit dem Einverständnis des Arbeitgebers ausgeübt werden“ dürfen.

3

Der Beteiligte zu 3. ist Vorsitzender des für die Filiale in T gebildeten Betriebsrats. Er ist außerdem Mitglied im Gesamtbetriebsrat, im Wirtschaftsausschuss und im Europäischen Betriebsrat. Im Oktober 2012 teilte er der Arbeitgeberin unter dem Briefkopf „Komparative Betriebsratsberatung“ und unter Angabe seiner Steuernummer und Bankverbindung mit, dass er am 9. November 2012 als Beisitzer einer Einigungsstelle für den Betrieb der Arbeitgeberin in A tätig sein werde und hierfür vorsorglich um ihr Einverständnis bitte, obwohl er die arbeitsvertragliche Klausel zu Nebentätigkeiten für unwirksam halte. Zugleich zeigte er an, zukünftig „im Nebenerwerb als Betriebsratsberater (als Pendant zum Unternehmensberater)“ tätig zu sein, und bat auch dafür vorsorglich um das Einverständnis der Arbeitgeberin. Außerdem erinnerte er an ein Begehren um Reduzierung und Verteilung seiner Arbeitszeit. Durch die Ablehnung erschwere ihm die Arbeitgeberin seine Nebentätigkeit „in einer freiberuflichen Gründungsphase“. Unter demselben Briefkopf stellte der Beteiligte zu 3. der Arbeitgeberin ein Honorar für die Tätigkeit als Mitglied einer in der Filiale in S bis Januar 2012 geführten Einigungsstelle in Höhe von 9.163,00 Euro in Rechnung. Die Arbeitgeberin leistete darauf keine Zahlung.

4

Mit Schreiben vom 7. November 2012 verweigerte die Arbeitgeberin ihre Zustimmung zu den angezeigten Nebentätigkeiten. Der Beteiligte zu 3. müsse mit „arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur fristlosen Kündigung“ seines Arbeitsverhältnisses rechnen, wenn er sie dennoch ausübe.

5

Der Beteiligte zu 3. war von der Arbeitgeberin für den 9. November 2012 zur Arbeitsleistung vorgesehen. Der Betriebsrat stimmte dieser Einsatzplanung nicht zu. Durch Spruch der Einigungsstelle wurde der Personaleinsatz für November 2012 sodann in der Weise festgelegt, dass der Beteiligte zu 3. am 9. November 2012 nicht zur Arbeit eingeteilt war. Die Sitzung der Einigungsstelle in A am 9. November 2012 fand dennoch ohne ihn statt. Eine Sitzung am 18. Dezember 2012 nahm er wahr.

6

Der Beteiligte zu 3. wurde außerdem als Mitglied von Einigungsstellen in Filialen der Arbeitgeberin in W und He benannt. Die Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats der Filiale W teilte der Arbeitgeberin in einem Schreiben vom 19. November 2012 mit, der Beteiligte zu 3., „(Komparative Betriebsratsberatung, T)“, werde als Beisitzer an der Einigungsstelle in W teilnehmen. Seine Bestellung für die Einigungsstelle in He zeigte der Beteiligte zu 3. der Arbeitgeberin mit Schreiben vom 17. Dezember 2012 an. Er verwandte dafür erneut den Briefkopf „Komparative Betriebsratsberatung“.

7

Mit Schreiben vom 20. Dezember 2012 bat die Arbeitgeberin den Betriebsrat um Zustimmung zur außerordentlichen, fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beteiligten zu 3. Mit Beschluss vom 24. Dezember 2012 verweigerte der Betriebsrat die Zustimmung. Am 28. Dezember 2012 leitete die Arbeitgeberin das vorliegende Verfahren zu deren Ersetzung ein.

8

Der Beteiligte zu 3. nahm im Februar 2013 an zwei Sitzungen der Einigungsstelle in A und an einer Sitzung der Einigungsstelle in W teil. Anfang März 2013 nannte er der Arbeitgeberin weitere Termine für Sitzungen der Einigungsstellen in A, He und W. Gleichzeitig teilte er mit, die Termine zwar wahrnehmen zu wollen, nicht jedoch im Rahmen seiner ursprünglich geplanten Nebentätigkeit als „komparativer Betriebsratsberater“. Anfang April 2013 tagte die Einigungsstelle in W erneut unter seiner Beteiligung. Mit Schreiben vom 15. April 2013 stellte ihn die Arbeitgeberin für die Zukunft von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei.

9

Anfang Mai 2013 nannte der Beteiligte zu 3. der Arbeitgeberin weitere Sitzungstermine der Einigungsstellen in He und W. Er werde auch diese nicht in seiner Eigenschaft als „komparativer Betriebsratsberater“ wahrnehmen. Die Arbeitgeberin untersagte ihm die Teilnahme. Die Sitzung der Einigungsstelle in He wurde vertagt, die Sitzung in W fand mit ihm statt.

10

Anfang Juni 2013 übermittelte der Beteiligte zu 3. dem im Urlaub befindlichen „Store-Manager“ der Filiale in T eine E-Mail, in der er mitteilte, er werde am 7. Juni 2013 erneut an einer Sitzung der Einigungsstelle in W teilnehmen, wiederum aber nicht in seiner Eigenschaft als „komparativer Betriebsratsberater“.

11

Die Arbeitgeberin hat beim Betriebsrat die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung auch im Hinblick auf die Beteiligung an den Sitzungen der Einigungsstellen seit Februar 2013 beantragt. Der Betriebsrat hielt an seiner Verweigerung fest oder hat nicht reagiert. Die Arbeitgeberin hat ihren Antrag auf Zustimmungsersetzung ergänzend auf diese Sachverhalte gestützt.

12

Der Beteiligte zu 3. war an keinem der Tage, an denen er an Einigungsstellensitzungen teilnahm, zur Arbeit verpflichtet. Im Zusammenhang mit seiner Bestellung zum Beisitzer der Einigungsstellen in A, W und He kam es über Fragen seines Personaleinsatzes zu gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen den örtlichen Betriebsräten und der Arbeitgeberin, zum Teil unter seiner Beteiligung. Zwischen dem Beteiligten zu 3. und der Arbeitgeberin sind außerdem eine Klage auf Reduzierung und Verteilung seiner Arbeitszeit sowie eine Klage auf Zustimmung zu einer Nebentätigkeit als „Betriebsratsberater“ anhängig bzw. anhängig gewesen.

13

Die Arbeitgeberin hat die Auffassung vertreten, der Beteiligte zu 3. habe durch die Teilnahme an Einigungsstellen trotz ihrer ausdrücklichen Untersagung kontinuierlich und eklatant gegen seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen, insbesondere gegen seine ihr gegenüber bestehende Loyalitätspflicht verstoßen. In § 4 Abs. 2 des Arbeitsvertrags sei zwar kein Nebentätigkeitsverbot, aber ein Erlaubnisvorbehalt vereinbart worden. Die Nebentätigkeit als Einigungsstellenbeisitzer sei nicht genehmigungsfähig. Auch ohne ausdrückliche Vereinbarung sei es dem Beteiligten zu 3. nicht gestattet, eine solche Tätigkeit auszuüben. Durch sie würden betriebliche Interessen verletzt. Zum einen beeinträchtige sie ihr durch den Arbeitsvertrag abgesichertes Interesse an der Möglichkeit eines flexiblen Einsatzes des Beteiligten zu 3. Dessen Verhalten habe zu einer Flut von kostenintensiven Verfahren geführt. Zur Vermeidung weiterer Rechtsstreitigkeiten habe sie den Beteiligten zu 3. an den angekündigten Terminen von Einigungsstellensitzungen nicht mehr zur Arbeit eingeteilt. Zum anderen sei insbesondere das geschäftsmäßige Betreiben der Nebentätigkeit nicht mit den Loyalitätspflichten eines Arbeitnehmers vereinbar. Der Beteiligte zu 3. werde auf Seiten des Betriebsrats und damit gegen ihre Interessen, jedoch auf ihre Kosten tätig. Um seine geschäftlichen Interessen zu vertreten, müsse er zwangsläufig ihren Belangen zuwider handeln. Ein Verhalten wie das des Beteiligten zu 3. könne zu einem „Einigungsstellentourismus“ führen, bei dem sich die Betriebsräte des Unternehmens wechselseitig zu Beisitzern von Einigungsstellen beriefen. Die entgeltliche Tätigkeit als betriebsfremder Einigungsstellenbeisitzer führe zu einer verbotenen mittelbaren Begünstigung eines Betriebsratsmitglieds. Der Beteiligte zu 3. komme als Beisitzer für die Einigungsstellen anderer Betriebe nur aufgrund seiner als Betriebsratsmitglied gesammelten Erfahrungen und Kenntnisse in Betracht. Er wolle die auf ihre Kosten erworbenen Kenntnisse persönlich gewinnbringend - und dies wiederum auf ihre Kosten - verwerten. Sie habe in der Vergangenheit eine solche Nebentätigkeit des Beteiligten zu 3. weder geduldet noch genehmigt. Sie sei bislang davon ausgegangen, dass er als Beisitzer nur im Rahmen seines Betriebsratsamts tätig geworden sei. Auf die Verbote des § 78 BetrVG könne er sich nicht berufen. Er habe die Ämter als Beisitzer von Einigungsstellen gar nicht erst annehmen dürfen.

14

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

        

die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3. zu ersetzen.

15

Der Betriebsrat und der Beteiligte zu 3. haben beantragt, den Antrag abzuweisen. Sie haben die Ansicht vertreten, ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung liege nicht vor. Die durch den Beteiligten zu 3. ausgeübten Tätigkeiten als Beisitzer von Einigungsstellen seien zulässig. Er habe durch sie seine arbeitsvertraglichen Pflichten nicht verletzt. § 4 Abs. 2 des Arbeitsvertrags sei als Allgemeine Geschäftsbedingung wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot und als überraschende Klausel unwirksam. Zumindest habe der Beteiligte zu 3. einen Anspruch auf Erlaubnis gehabt. Betriebliche Interessen der Arbeitgeberin seien durch seine Tätigkeiten nicht beeinträchtigt worden. Ihm sei es aufgrund seiner Teilzeitbeschäftigung möglich gewesen, sowohl seine Arbeitsverpflichtung zu erfüllen, als auch die Ämter als Einigungsstellenbeisitzer auszuüben. Er gerate durch die Teilnahme an Einigungsstellen anderer Betriebe des Unternehmens auch nicht in einen Loyalitätskonflikt. Als Beisitzer sei er ebenso wie als Betriebsratsmitglied an den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit gebunden. Die Arbeitgeberin verstoße mit ihrer Kündigungsabsicht gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB und das Benachteiligungsverbot des § 78 BetrVG. Zudem genüge ihr Antrag an den Betriebsrat nicht den gesetzlichen Anforderungen, da er nicht die notwendigen tatsächlichen Informationen enthalte. Insbesondere habe die Arbeitgeberin nicht dargelegt, welche betrieblichen Interessen durch die Nebentätigkeit des Beteiligten zu 3. beeinträchtigt worden seien.

16

Die Vorinstanzen haben dem Antrag der Arbeitgeberin entsprochen. Mit ihren Rechtsbeschwerden verfolgen der Betriebsrat und der Beteiligte zu 3. ihr Begehren weiter, den Antrag abzuweisen.

17

B. Die Rechtsbeschwerden sind begründet. Die Vorinstanzen haben die Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung des Beteiligten zu 3. zu Unrecht ersetzt. Dessen Verhalten stellt keinen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses dar. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob die Zustimmung des Betriebsrats auch deshalb nicht zu ersetzen ist, weil die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt oder der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß entsprechend § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG über die Kündigungsgründe unterrichtet worden ist.

18

I. Nach § 103 Abs. 1 BetrVG bedarf die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats der Zustimmung des Betriebsrats. Gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG iVm. § 15 KSchG ist die verweigerte Zustimmung zu ersetzen, wenn die beabsichtigte außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. Dies setzt einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB voraus. Es müssen Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist nicht mehr zugemutet werden kann (vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 955/11 - Rn. 39 mwN; 23. April 2008 - 2 ABR 71/07 - Rn. 17 mwN). Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar war oder nicht ( BAG 18. Dezember 2014 - 2 AZR 265/14 - Rn. 14; 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13  - Rn. 39). Stützt der Arbeitgeber den wichtigen Grund bei einem Betriebsratsmitglied auf dessen Verhalten, muss dieses sich als Verletzung von Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis darstellen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 955/11 - Rn. 34; 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 39).

19

II. An einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB fehlt es. Mit der Annahme der Bestellungen als Beisitzer von Einigungsstellen anderer Betriebe der Arbeitgeberin und der Teilnahme an den Sitzungen dieser Einigungsstellen hat der Beteiligte zu 3. weder gegen seine Pflichten aus § 4 Abs. 2 des Arbeitsvertrags verstoßen noch seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Arbeitgeberin nach § 241 Abs. 2 BGB verletzt.

20

1. Zugunsten der Arbeitgeberin kann unterstellt werden, dass die Klausel in § 4 Abs. 2 des Arbeitsvertrags als sog. Erlaubnisvorbehalt zu verstehen und mit diesem Inhalt wirksam ist. Der Beteiligte zu 3. hatte einen Anspruch darauf, ihm die Tätigkeiten als Beisitzer der fraglichen Einigungsstellen zu gestatten. Mit ihnen war keine Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Arbeitgeberin verbunden (zum wichtigen Grund bei fortgesetzter Ausübung einer offensichtlich nicht genehmigungsfähigen Nebentätigkeit, vgl. BAG 18. September 2008 - 2 AZR 827/06 - Rn. 28; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 42; zur Eignung einer nicht genehmigten Nebentätigkeit als wichtiger Grund, wenn die vertraglich geschuldeten Leistungen beeinträchtigt werden, vgl. BAG 26. August 1976 - 2 AZR 377/75 - zu I 3 b der Gründe). Der Beteiligte zu 3. musste die von ihm ausgeübten Tätigkeiten als Beisitzer auch nicht zurückstellen, bis gerichtlich geklärt wäre, ob sie mit seinen arbeitsvertraglichen Pflichten vereinbar sind.

21

a) Ein Arbeitnehmer hat in Anbetracht seiner Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG einen Anspruch auf Erteilung der Zustimmung zur Ausübung von Nebentätigkeiten, sofern diese die betrieblichen Interessen nicht beeinträchtigen(BAG 13. März 2003 - 6 AZR 585/01 - zu II 2 der Gründe, BAGE 105, 205; 11. Dezember 2001 - 9 AZR 464/00 - zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 100, 70). Außerhalb der Arbeitszeit steht ihm die Verwendung seiner Arbeitskraft grundsätzlich frei. Soweit die Nebentätigkeit beruflicher Natur ist, kann er sich auf das Grundrecht der freien Berufswahl berufen (Art. 12 Abs. 1 GG). Nichtberufliche Tätigkeiten sind durch das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) geschützt. Der Arbeitnehmer hat jedoch jede Nebentätigkeit zu unterlassen, die mit seiner Arbeitspflicht kollidiert. Das ist der Fall, wenn sie gleichzeitig mit der Haupttätigkeit ausgeübt werden soll oder bei nicht gleichzeitiger Ausübung dann, wenn die vertraglich vereinbarte Arbeitsleistung unter ihr leidet. Solche Nebentätigkeiten stellen eine Verletzung der Arbeitspflicht dar (BAG 18. Januar 1996 - 6 AZR 314/95 - zu I 2 b aa der Gründe). Zu unterlassen sind ferner Nebentätigkeiten, die gegen das vertragliche Wettbewerbsverbot verstoßen (vgl. BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 644/13 - Rn. 27 ff.; 16. Januar 2013 - 10 AZR 560/11 - Rn. 14 ff.) oder sonst einen Interessenwiderstreit hervorrufen, der geeignet ist, das Vertrauen des Arbeitgebers in die Loyalität und Integrität des Arbeitnehmers zu zerstören (BAG 13. März 2003 - 6 AZR 585/01 - zu II 5 der Gründe, BAGE 105, 205; 28. Februar 2002 - 6 AZR 33/01 - zu 1 b bb der Gründe; ErfK/Müller-Glöge 15. Aufl. § 626 BGB Rn. 118; Peter Nebentätigkeiten von Arbeitnehmern S. 119 ff.).

22

b) Es bedarf keiner Entscheidung, ob die der Arbeitgeberin angezeigte Nebentätigkeit als „komparativer Betriebsratsberater“ oder eine gewerbsmäßige Teilnahme an Einigungsstellen, die über die gelegentliche Wahrnehmung von Bestellungen als Beisitzer hinausginge, die betrieblichen Interessen der Arbeitgeberin beeinträchtigte. Die vom Beteiligten zu 3. tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten als Beisitzer von Einigungsstellen in anderen Betrieben der Arbeitgeberin rechtfertigen entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht die Annahme, diese seien Teil eines auf Gewerbsmäßigkeit angelegten - wie auch immer näher zu bestimmenden - „Geschäftsmodells“ gewesen.

23

aa) Zwar hatte der Beteiligte zu 3. der Arbeitgeberin im Oktober 2012 angezeigt, im Nebenerwerb als „komparativer Betriebsratsberater“ tätig werden zu wollen. Er hatte an das Begehren um Reduzierung und Verteilung seiner Arbeitszeit erinnert und hatte der Arbeitgeberin vorgehalten, sie erschwere durch ihre Ablehnung seine „freiberufliche Gründungsphase“. Er hatte der Arbeitgeberin mit entsprechendem Briefkopf ein Honorar für die im Januar 2012 abgeschlossene Einigungsstelle in S in Rechnung gestellt und im Dezember 2012 unter demselben Briefkopf seine Bestellung zum Beisitzer der Einigungsstelle in He angezeigt. Auch der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats in W war die Titulierung seiner Tätigkeit als „komparative Betriebsratsberatung“ offensichtlich bekannt, wie sich aus ihrem Schreiben vom 19. November 2012 ergibt.

24

bb) Die tatsächlich wahrgenommenen Tätigkeiten als Beisitzer der Einigungsstellen in S, A und W - die Einigungsstelle in He ist nur noch ohne Beteiligung des Beteiligten zu 3. zusammengetreten - lassen jedoch eine über die gelegentliche Annahme solcher Bestellungen hinausgehende, einem bestimmten „Geschäftsmodell“ folgende und dauerhaft auf Gewinnerzielung angelegte gewerbsmäßige Betätigung des Beteiligten zu 3. nicht erkennen. Dagegen sprechen sowohl die geringe Zahl der Einigungsstellen als auch der Umstand, dass er - zumindest bislang - für seine Tätigkeiten in A und W kein Honorar in Rechnung gestellt und die Honorarforderung für die Einigungsstelle in S nicht weiterverfolgt hat. Der Beteiligte zu 3. hat der Arbeitgeberin seine Teilnahme an den Einigungsstellensitzungen außerdem seit März 2013 stets mit dem ausdrücklichen Hinweis angezeigt, die Termine nicht im Rahmen seiner ursprünglich geplanten Nebentätigkeit als „komparativer Betriebsratsberater“, sondern als einzelne Termine wahrnehmen zu wollen. Zudem ist weder konkret vorgetragen noch objektiv ersichtlich, dass der Beteiligte zu 3. etwa werbend für eine Tätigkeit als „Betriebsratsberater“ aufgetreten wäre. Selbst wenn er eine ursprünglich andere Absicht nur mit Blick auf das vorliegende Zustimmungsersetzungsverfahren nicht weiterverfolgt haben sollte, hätte er sie jedenfalls bislang nicht verwirklicht. Sofern er weiterhin auf Erteilung der Zustimmung zu einer Nebentätigkeit als „Betriebsratsberater“ klagen sollte, nähme er lediglich das Recht wahr, seinen - vermeintlichen - Anspruch gerichtlich klären zu lassen. Dies spräche allenfalls dafür, dass er ein „Geschäftsmodell“, das über die Wahrnehmung einzelner Ämter als Einigungsstellenbeisitzer hinausginge, für die Zukunft noch nicht aufgegeben hat. Nichts anderes gilt für die Klage auf Reduzierung und Festlegung der Lage seiner Arbeitszeit. Der Beteiligte zu 3. hatte sein Begehren zwar im Oktober 2012 noch in den Zusammenhang mit einer „freiberuflichen Gründungsphase“ gestellt. Auch dies spricht aber allenfalls dafür, dass er ursprünglich weitergehende Absichten gehabt und diese möglicherweise für die Zukunft noch nicht endgültig aufgegeben hat.

25

c) Soweit die Arbeitgeberin den Antrag auf die tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten des Beteiligten zu 3. als Beisitzer von Einigungsstellen anderer Betriebe stützt, war damit weder eine Verletzung seiner Arbeitspflicht noch eine Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Arbeitgeberin wegen einer Einschränkung seiner flexiblen Einsetzbarkeit verbunden.

26

aa) Seine Arbeitspflicht hat der Beteiligte zu 3. durch die Tätigkeiten als Beisitzer von Einigungsstellen nicht verletzt. Es liegen auch keine Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz vor. Unabhängig davon, dass der Beteiligte zu 3. an den Sitzungen der Einigungsstellen nicht als Arbeitnehmer teilgenommen hat, sind selbst bei einer Zusammenrechnung der aufgewendeten Zeiten mit den Zeiten seiner Teilzeittätigkeit für die Arbeitgeberin nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 ArbZG Überschreitungen der höchstzulässigen Arbeitszeit weder vorgetragen noch objektiv ersichtlich.

27

bb) Die ausgeübten Tätigkeiten als Einigungsstellenbeisitzer haben betriebliche Belange der Arbeitgeberin im Zusammenhang mit der Personaleinsatzplanung nicht beeinträchtigt. Dabei kann zugunsten der Arbeitgeberin unterstellt werden, dass die mit dem Beteiligten zu 3. getroffene Vereinbarung zur Jahresarbeitszeit wirksam war.

28

(1) Die Regelungen zur Personaleinsatzplanung in der Filiale T ermöglichten es, Kollisionen zwischen der gelegentlichen Teilnahme des Beteiligten zu 3. an Einigungsstellensitzungen und seiner Arbeitspflicht zu vermeiden. Die teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer mit variabler Arbeitszeit können dort vor der Festlegung des monatlichen Dienstplans Zeiten benennen, an denen sie aus dringenden Gründen an einem Einsatz gehindert sind, denen die Filialleitung nach Möglichkeit Rechnung trägt (vgl. Ziff. III 2 der Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit vom 18. Dezember 2008).

29

(2) Die Tätigkeiten des Beteiligten zu 3. haben die Möglichkeit der Arbeitgeberin, ihn flexibel einzusetzen, nicht in beachtlicher Weise eingeschränkt. Zwar hatte der Beteiligte zu 3. für den 9. November 2012 einen Freizeitwunsch geäußert und der Betriebsrat seine Einteilung für diesen Tag abgelehnt. Die Arbeitgeberin hat aber nicht behauptet, es hätten betriebliche Gründe vorgelegen, die den Einsatz des Beteiligten zu 3. am 9. November 2012 erforderlich gemacht hätten. Dagegen spricht auch, dass der Personaleinsatz von der Einigungsstelle für diesen Tag ohne den Beteiligten zu 3. festgelegt wurde. Ebenso wenig hat die Arbeitgeberin behauptet, dieser habe ihr - bis sie ihn von der Arbeitsleistung gänzlich freigestellt habe - seine Freizeitwünsche jeweils erst so spät angezeigt, dass deren Berücksichtigung zu betrieblichen Beeinträchtigungen geführt habe. Besondere Probleme bei der Einsatzplanung, die die Tätigkeiten des Beteiligten zu 3. verursacht hätten, sind vielmehr durch Tatsachen nicht belegt. Es war der Arbeitgeberin durchweg möglich, diesen an den Tagen der von ihm angezeigten Einigungsstellensitzungen gar nicht erst zur Arbeit einzuteilen. Damit verbundene Schwierigkeiten hat sie nicht dargelegt. War ihr aber eine Berücksichtigung der Freizeitwünsche des Beteiligten zu 3. möglich, stellt der Umstand, dass dieser sie anmeldete, keine Beeinträchtigung ihrer betrieblichen Belange dar. Es ist vielmehr Bestandteil der im Betrieb in T praktizierten Personaleinsatzplanung, dass private Freizeitwünsche der Arbeitnehmer und betriebliche Erfordernisse nach Möglichkeit in Einklang gebracht werden müssen.

30

(3) Das Vorbringen der Arbeitgeberin, sie sei dem Beteiligten zu 3. allein deshalb bei der Einsatzplanung entgegengekommen, weil sie weitere Auseinandersetzungen wegen seines Arbeitseinsatzes habe vermeiden wollen, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass es zu Streitigkeiten über die Personaleinsatzplanung deshalb gekommen ist, weil der Beteiligte zu 3. oder die beteiligten Betriebsräte nicht bereit gewesen wären, berechtigte betriebliche Erfordernisse der Arbeitgeberin anzuerkennen.

31

d) Der Beteiligte zu 3. war mit Blick auf seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Arbeitgeberin gemäß § 241 Abs. 2 BGB auch nicht aus anderen Gründen gehindert, die Benennungen als Einigungsstellenbeisitzer anzunehmen.

32

aa) In der Mitwirkung an einer Einigungsstelle nach § 76 BetrVG liegt für sich genommen keine Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen des Arbeitgebers. Die Einigungsstelle ist eine betriebsverfassungsrechtliche Institution eigener Art mit dem Zweck, die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei der Gestaltung der betrieblichen Ordnung zu gewährleisten, indem sie ggf. durch Zwangsschlichtung Pattsituationen im Bereich der paritätischen Mitbestimmung auflöst. Es handelt sich um das gesetzlich vorgesehene Verfahren, um in betrieblichen Regelungsstreitigkeiten eine Einigung herbeizuführen. Die von den jeweiligen Betriebsparteien bestellten Beisitzer sind weder deren Vertreter noch ihr verlängerter Arm. Sie wirken bei der Schlichtung des Regelungsstreits frei von Weisungen und mit einer gewissen inneren Unabhängigkeit mit (BAG 20. August 2014 - 7 ABR 64/12 - Rn. 22; 15. Mai 2001 - 1 ABR 39/00 - zu B II 2 b der Gründe, BAGE 97, 379). Dementsprechend können sie nicht mit Vertretern einer Betriebspartei gleichgesetzt werden, auch wenn ihre Nähe zu derjenigen Betriebspartei, die sie bestellt hat, nicht zu verkennen und vom Gesetz auch gewollt ist (BAG 29. Januar 2002 - 1 ABR 18/01 - zu B I 2 b cc der Gründe, BAGE 100, 239; 27. Juni 1995 - 1 ABR 3/95 - zu B II 1 a der Gründe, BAGE 80, 222). Die Tätigkeit der Einigungsstelle ist auf eine Beseitigung von Konflikten vornehmlich auf dem Weg der Herbeiführung eines für beide Seiten akzeptablen Kompromisses ausgerichtet (vgl. BAG 27. Juni 1995 - 1 ABR 3/95 - aaO). Die vom Betriebsrat bestellten Beisitzer vertreten dabei die Interessen der betroffenen Arbeitnehmer nicht mangels Loyalität gegenüber der Arbeitgeberseite, sondern aufgrund der ihnen vom Gesetz zugewiesenen Rolle. Sie sind nach § 76 Abs. 5 Satz 3 BetrVG überdies verpflichtet, ihre Entscheidung unter angemessener Berücksichtigung nicht nur der Interessen der betroffenen Arbeitnehmer, sondern auch der betrieblichen Belange und nach billigem Ermessen zu treffen(BAG 15. Mai 2001 - 1 ABR 39/00 - aaO; 18. Januar 1994 - 1 ABR 43/93 - zu B II 2 c der Gründe, BAGE 75, 261). Der Interessengegensatz zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite ist damit vom Gesetz vorausgesetzt und soll durch die Verhandlungen in der Einigungsstelle - unter Mitwirkung eines unabhängigen Vorsitzenden - gerade überwunden werden.

33

bb) Die Benennung des Beteiligten zu 3. als Beisitzer von Einigungsstellen anderer Betriebe der Arbeitgeberin war grundsätzlich zulässig.

34

(1) Der Betriebsrat bestellt seine Beisitzer durch Beschluss (BAG 10. Oktober 2007 - 7 ABR 51/06 - Rn. 11, BAGE 124, 188; 19. August 1992 - 7 ABR 58/91 - zu B II 2 a der Gründe). Er darf sich dabei für Personen entscheiden, denen er dahingehend vertraut, dass sie als Beisitzer die Interessen der Arbeitnehmer in Verhandlungen mit der anderen Seite wahren. Dies und das Vertrauen, durch das Erarbeiten von Kompromissen eine für beide Betriebsparteien annehmbare Konfliktlösung zu erreichen, ist der Maßstab, an dem sich der Betriebsrat bei seiner personellen Auswahl auszurichten hat. Es steht ihm dabei frei, betriebsexterne Beisitzer zu benennen. Er darf dies nicht nur dann, wenn deren Benennung auch erforderlich ist (BAG 10. Oktober 2007 - 7 ABR 51/06 - aaO; 24. April 1996 - 7 ABR 40/95 - zu B 3 der Gründe; für die Bestellung betriebsfremder, aber unternehmensangehöriger Beisitzer, vgl. BAG 21. Juni 1989 - 7 ABR 92/87 - zu B II 1 c der Gründe, BAGE 62, 129). Die Befugnis zur Bestellung von Beisitzern ist nicht auf einen bestimmten Personenkreis beschränkt, eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit kommt nicht in Betracht (BAG 20. August 2014 - 7 ABR 64/12 - Rn. 23; 28. Mai 2014 - 7 ABR 36/12 - Rn. 31 f., BAGE 148, 182). Dem Betriebsrat ist es allerdings verwehrt, Personen als Beisitzer von Einigungsstellen zu benennen, die offensichtlich ungeeignet sind, entsprechend der Funktion in der Einigungsstelle tätig zu werden (BAG 20. August 2014 - 7 ABR 64/12 - aaO; 28. Mai 2014 - 7 ABR 36/12 - Rn. 36).

35

(2) Danach bestanden gegen die Bestellung des Beteiligten zu 3. zum Beisitzer der Einigungsstellen in den anderen Betrieben der Arbeitgeberin keine Bedenken. Die Arbeitgeberin hat nicht behauptet, der Beteiligte zu 3. sei zur Wahrnehmung der dort anfallenden Aufgaben offensichtlich nicht geeignet gewesen.

36

cc) Der Beteiligte zu 3. geriet durch die Annahme der Benennungen selbst dann nicht in einen Konflikt mit seinen arbeitsvertraglichen Pflichten, wenn er für die Amtsausübung - anders als nach § 76a Abs. 2 BetrVG für die Teilnahme an einer Einigungsstelle im eigenen Betrieb - gemäß § 76a Abs. 3 BetrVG die Zahlung eines Honorars von der Arbeitgeberin beanspruchen könnte.

37

(1) Nach § 76a Abs. 3 BetrVG hat ein betriebsfremder Beisitzer gegenüber dem Arbeitgeber einen Anspruch auf Vergütung seiner Tätigkeit im Einigungsstellenverfahren, dessen Höhe sich nach den Maßgaben des § 76a Abs. 4 Satz 3 bis Satz 5 BetrVG richtet. Anders als nach der früheren Rechtslage hängt das Entstehen des Honoraranspruchs nicht mehr davon ab, ob der Betriebsrat dem Beisitzer ein Honorar zugesagt hat (BAG 10. Oktober 2007 - 7 ABR 51/06 - Rn. 11, BAGE 124, 188; 24. April 1996 - 7 ABR 40/95 - zu B 1 der Gründe). Der Honoraranspruch ist dem Grunde nach nur von der wirksamen Bestellung für eine im Betrieb des Arbeitgebers gebildete Einigungsstelle und der Annahme dieser Bestellung abhängig.

38

(2) Die wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers durch Honoraransprüche externer Beisitzer ist damit dem Einigungsstellenverfahren immanent. Sie ist nicht nur - möglicherweise - Folge der Bestellung eines betriebsfremden, aber doch unternehmensangehörigen Arbeitnehmers, sondern entsteht von Gesetzes wegen bei jeder Bestellung eines betriebsfremden Beisitzers.

39

(3) Ein (etwaiger) gesetzlicher Honoraranspruch des betriebsfremden unternehmensangehörigen Beisitzers, der zugleich Mitglied des Betriebsrats eines unternehmenszugehörigen Betriebs ist, verstieße nicht gegen das Begünstigungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG. Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist es, die Mitglieder eines der in § 78 Satz 1 BetrVG bezeichneten betriebsverfassungsrechtlichen Organe gegenüber den Mitarbeitern desselben Arbeitsverbunds wegen ihrer Amtstätigkeit weder zu benachteiligen noch zu begünstigen. Stünde einem betriebsfremden, aber unternehmensangehörigen Einigungsstellenbeisitzer gemäß § 76a Abs. 3 BetrVG ein Honoraranspruch zu(dies ablehnend und für eine entsprechende Anwendung von § 76a Abs. 2 BetrVG HWGNRH-Worzalla 9. Aufl. § 76a Rn. 15), handelte es sich nicht um eine gesetzlich missbilligte Begünstigung, sondern - ähnlich wie beim Sonderkündigungsschutz für Betriebsratsmitglieder gemäß § 15 KSchG und § 103 BetrVG - um eine gesetzlich gerade vorgesehene Ungleichbehandlung. Dementsprechend stellte schon nach der Rechtslage vor In-Kraft-Treten des § 76a BetrVG die Honorarzusage an einen betriebsfremden, aber unternehmensangehörigen Beisitzer keine Begünstigung iSd. § 78 Satz 2 BetrVG dar(BAG 21. Juni 1989 - 7 ABR 92/87 - zu B II 1 c der Gründe, BAGE 62, 129).

40

(4) Allein der Umstand, dass dem Beteiligten zu 3. gegen die Arbeitgeberin ein gesetzlicher Honoraranspruch aufgrund seiner Amtswahrnehmung zustehen könnte, rechtfertigt nicht die Annahme, er müsse in stärkerem Maße, als dies für die Vertretung der Interessen der betroffenen Arbeitnehmer in der Einigungsstelle erforderlich war, gegen ihre Interessen tätig geworden sein. Soweit sich die Arbeitgeberin darauf beruft, das „Geschäftsmodell“ des Beteiligten zu 3. habe nur funktionieren können, wenn er in den Einigungsstellen ausschließlich solche Interessen vertrat, welche den ihren zuwiderliefen, zielt sie auf ein dem Beteiligten zu 3. zugeschriebenes Bestreben, sich auf ihre Kosten eine weitere „Erwerbsquelle“ zu verschaffen. Wie ausgeführt, gibt es indessen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Beteiligte zu 3. seine Tätigkeiten als Beisitzer auf dieses Ziel ausgerichtet hätte. Soweit die Arbeitgeberin geltend macht, zur Verwirklichung seines Konzepts müsse der Beteiligte zu 3. die Interessen des jeweiligen örtlichen Betriebsrats „bestmöglich“ vertreten, verkennt sie, dass die Beisitzer auf Betriebsratsseite nicht die Interessen des sie bestellenden Gremiums, sondern diejenigen der von der Regelungsstreitigkeit betroffenen Arbeitnehmer wahrnehmen. Dies wiederum ist ihre gesetzlich vorgesehene Aufgabe. Selbst die „bestmögliche“ Vertretung der Arbeitnehmerinteressen in einer Einigungsstelle stellt deshalb keine Illoyalität gegenüber dem Arbeitgeber dar.

41

(5) Der Beteiligte zu 3. hat seine individualrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Arbeitgeberin auch dann nicht verletzt, wenn er - wie die Arbeitgeberin behauptet hat - als Beisitzer in den Einigungsstellen anderer Betriebe seine als Betriebsratsmitglied erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten genutzt hat und nur aufgrund ihrer überhaupt bestellt worden ist. Wäre dies als mittelbare Vergütung von Betriebsratstätigkeit anzusehen, läge darin allenfalls ein Grund, ihm einen Honoraranspruch für die Tätigkeit als externer Beisitzer zu versagen. Stünde dagegen das Prinzip des Ehrenamts in § 37 Abs. 1 BetrVG einem Honoraranspruch nach § 76a Abs. 3 BetrVG auch in einem solchen Fall nicht entgegen, wäre ebenso wenig eine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Arbeitgeberin verletzt.

42

(6) Es kann dahinstehen, ob dem Beteiligten zu 3. eine solche Pflichtverletzung vorzuwerfen wäre, wenn seine Bestellungen zum Beisitzer in Einigungsstellen anderer Betriebe Teil eines „Ringtauschs“ gewesen wären, wenn also die Betriebsräte der Arbeitgeberin ihre Mitglieder wechselseitig zu Einigungsstellenbeisitzern bestellt hätten, um ihnen Honoraransprüche zu verschaffen, die andernfalls wegen § 76a Abs. 2 BetrVG nicht entstünden. Nach den vorgetragenen Umständen ist nichts dafür ersichtlich, dass ein solches Vorgehen auch nur geplant gewesen wäre.

43

dd) Der Beteiligte zu 3. musste die von ihm ausgeübten Tätigkeiten nicht bis zu einer gerichtlichen Klärung ihrer Vereinbarkeit mit seinen arbeitsvertraglichen Pflichten zurückstellen. Dies gilt auch dann, wenn die Regelungen in § 4 Abs. 2 seines Arbeitsvertrags als - wirksame - Vereinbarung eines Erlaubnisvorbehalts zu verstehen wären. Sinn und Zweck eines solchen Vorbehalts ist es, den Arbeitgeber durch die Anzeige beabsichtigter Nebentätigkeiten in die Lage zu versetzen, vor deren Aufnahme zu prüfen, ob durch sie betriebliche Belange beeinträchtigt werden (vgl. dazu BAG 13. März 2003 - 6 AZR 585/01 - zu II 2 der Gründe, BAGE 105, 205; 11. Dezember 2001 - 9 AZR 464/00 - zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 100, 70; 21. September 1999 - 9 AZR 759/98 - zu I 2 der Gründe). Das Interesse, den Arbeitnehmer auch dann von der Ausübung einer - angezeigten - Nebentätigkeit abzuhalten, wenn er bei objektiver Betrachtung einen Anspruch auf ihre Erlaubnis hat, ist dagegen nicht schutzwürdig. Ein Arbeitnehmer, der mit der Ausübung einer rechtmäßigen Nebentätigkeit nicht bis zu einer gerichtlichen Entscheidung abwartet, handelt unter Berücksichtigung seiner Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG nicht pflichtwidrig. Anders als im Fall des eigenmächtigen Urlaubsantritts (vgl. hierzu BAG 22. Januar 1998 - 2 ABR 19/97 - zu B II 3 der Gründe; 20. Januar 1994 - 2 AZR 521/93 - zu II 2 a der Gründe) geht es nicht um die einseitige Suspendierung der Hauptleistungspflicht. Die Ausübung einer Nebentätigkeit in der Freizeit betrifft den einer Regulierung durch den Arbeitgeber grundsätzlich entzogenen Bereich der privaten Lebensgestaltung. Dies unterscheidet sie auch von der Nichtbeachtung einer unbilligen Leistungsbestimmung des Arbeitgebers (zur vorläufigen Bindung des Arbeitnehmers an eine solche Weisung vgl. BAG 22. Februar 2012 - 5 AZR 249/11 - Rn. 24, BAGE 141, 34; dazu kritisch Fischer FA 2014, 38; Preis NZA 2015, 1, 6; Thüsing JM 2014, 20).

44

2. Dafür, dass der Beteiligte zu 3. im Zusammenhang mit der Wahrnehmung seiner Aufgaben als Einigungsstellenbeisitzer in sonstiger Weise seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Arbeitgeberin gemäß § 241 Abs. 2 BGB verletzt hätte, gibt es keine Anhaltspunkte.

        

    Berger    

        

    Niemann    

        

    Rachor    

        

        

        

    A. Claes    

        

    Brossardt    

                 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 18. Mai 2011 - 8 Sa 364/11 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der 1968 geborene Kläger ist verheiratet und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Er war seit April 1998 bei dem beklagten Landschaftsverband als Gärtner gegen ein durchschnittliches Bruttomonatsentgelt in Höhe von 2.800,00 Euro beschäftigt. Der Kläger ist zu 70 vH in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert. Seit März 2004 war er Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen im Dezernat 9 des Beklagten. Er ist anlässlich seiner Einstellung nach dem Gesetz über die förmliche Verpflichtung nicht beamteter Personen ua. auf die Strafvorschrift § 201 StGB(Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes) hingewiesen worden.

3

Am 16. August 2006 führte Herr B - ein Mitarbeiter des Beklagten - ein Personalgespräch mit dem Kläger. Der Kläger zeichnete dieses Gespräch ohne Einwilligung seines Gesprächspartners auf. Im Anschluss daran schnitt er heimlich zwei weitere Personalgespräche mit. Das Aufnahmegerät hatte er sich von einem damaligen Kollegen geliehen. Er gab es diesem, ohne die Mitschnitte gelöscht zu haben, zurück. Der Kollege zeichnete im Mai 2008 ebenfalls drei Gespräche im Betrieb heimlich auf.

4

Am 9. Februar 2010 ging beim Beklagten ein Schreiben der Staatsanwaltschaft ein. Diese teilte mit, im Zusammenhang mit einem gegen den betreffenden Kollegen des Klägers geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren seien Audiodateien beschlagnahmt worden. Der Beklagte beantragte Akteneinsicht, die er bis zum 2. März 2010 erhielt. Eine Anhörung der Dateien gestattete die Staatsanwaltschaft nur den von den Aufzeichnungen betroffenen Mitarbeitern. Herr B hörte die Aufzeichnungen am 24. März 2010 an und unterrichtete den Beklagten über deren Inhalt.

5

Mit Schreiben vom 25. März 2010 lud der Beklagte den Kläger zu einer Anhörung am 30. März 2010. Der Kläger hielt die Äußerungsfrist für zu kurz bemessen. Der Beklagte räumte ihm daraufhin eine Frist zur Stellungnahme bis zum 6. April 2010, 9:00 Uhr, ein. Der Kläger äußerte sich auch bis zu deren Ablauf nicht.

6

Der Beklagte beantragte noch am selben Tag sowohl beim örtlichen Personalrat als auch beim Gesamtpersonalrat die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien. Der Personalrat erteilte die Zustimmung mit Schreiben vom 8. April 2010, der Gesamtpersonalrat teilte mit Schreiben gleichen Datums mit, gegen die beabsichtigte Kündigung keine Bedenken zu haben.

7

Noch am 6. April 2010 hatte der Beklagte auch die Zustimmung des Integrationsamts zu der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung beantragt. Sie wurde am 19. April 2010 erteilt.

8

Mit Schreiben vom 19. April 2010 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien fristlos.

9

Dagegen hat der Kläger rechtzeitig Kündigungsschutzklage erhoben. Er hat gemeint, es fehle der Kündigung an einem wichtigen Grund. Er sei jahrelangem schikanösen Verhalten des Behördenleiters ausgesetzt gewesen. Das Aufnahmegerät habe er zur Abwehr möglicher rechtlicher Eingriffe eingesetzt. Zudem leide er an Diabetes mellitus. Dies führe zu Konzentrationsstörungen. Er sei im August 2006 psychosomatisch erkrankt und nicht in der Lage gewesen, einem Gespräch länger als eine Viertelstunde zu folgen. Die Aufzeichnung habe er auch wegen seiner Konzentrationsstörungen vorgenommen. Den Gesprächsmitschnitt habe er nachträglich abgehört, keine rechtlich relevanten Eingriffe festgestellt und das Gerät dem Kollegen mit der Bitte zurückgegeben, den Inhalt zu löschen. Dazu sei er selbst nicht in der Lage gewesen. Der Kollege habe die Löschung zugesichert, jedoch nicht vorgenommen. Von den Tonbandmitschnitten des Kollegen habe er erst im Nachhinein erfahren und hierüber aus Datenschutzgründen Stillschweigen bewahrt. Der Kollege sei ebenfalls schwerbehindert und er, der Kläger, zur Verschwiegenheit verpflichtet gewesen. Der Kläger hat zudem die Ansicht vertreten, der Beklagte habe die Frist gem. § 626 Abs. 2 BGB, § 91 Abs. 5 SGB IX nicht gewahrt. Auch sei die Beteiligung des Integrationsamts nicht ordnungsgemäß gewesen. Im Übrigen fehle es an der nach § 96 Abs. 3 SGB IX erforderlichen Zustimmung der Schwerbehindertenvertretung. Der Kläger hat ferner die Erteilung eines Zwischenzeugnisses sowie seine vorläufige Weiterbeschäftigung verlangt.

10

Er hat zuletzt beantragt

        

1.    

festzustellen, dass die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 19. April 2010 rechtsunwirksam ist und das Arbeitsverhältnis unverändert fortbesteht;

        

2.    

für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. den Beklagten zu verurteilen, ihn zu den bisherigen Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen und ihm ein Zwischenzeugnis zu erteilen.

11

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei unter allen rechtlichen Gesichtspunkten wirksam. Der Kläger habe am 16. August 2006 heimlich drei dienstliche Gespräche aufgenommen. Aus den Mitschnitten des Kollegen ergebe sich, dass der Kläger auch von dessen Aufzeichnungen am 6., 14. und 21. Mai 2008 gewusst habe. An diesen Gesprächen sei er als Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen beteiligt gewesen.

12

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die außerordentliche Kündigung vom 19. April 2010 zu Recht als wirksam angesehen (I.). Die Anträge auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses und vorläufige Weiterbeschäftigung sind dem Senat als uneigentliche Hilfsanträge nicht mehr zur Entscheidung angefallen (II.).

14

I. Ohne Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht die außerordentliche, fristlose Kündigung des Beklagten vom 19. April 2010 für wirksam erachtet.

15

1. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, die Kündigung habe nicht gem. § 96 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der Zustimmung der Schwerbehindertenvertretung bedurft.

16

a) Nach § 96 Abs. 3 Satz 1 SGB IX besitzen die Vertrauenspersonen der schwerbehinderten Menschen gegenüber dem Arbeitgeber die gleiche persönliche Rechtsstellung, insbesondere den gleichen Kündigungsschutz wie ein Mitglied des Betriebs- oder Personalrats. Für die Vertrauenspersonen gilt damit § 15 KSchG iVm. § 103 BetrVG bzw. den maßgeblichen personalvertretungsrechtlichen Vorschriften entsprechend. Dies wird ganz überwiegend dahin verstanden, dass die Vertrauenspersonen ebenfalls nur aus wichtigem Grund und nur mit Zustimmung des Betriebs- oder Personalrats gekündigt werden können (vgl. BAG 11. Mai 2000 - 2 AZR 276/99 - BAGE 94, 313; 23. Juni 1993 - 2 ABR 58/92 - AP ArbGG 1979 § 83a Nr. 2 = EzA BetrVG 1972 § 103 Nr. 34; BVerwG 25. Februar 2004 - 6 P 12.03 - zu II 1 c der Gründe, AP BPersVG § 47 Nr. 4; Kittner/Däubler/Zwanziger-Deinert 8. Aufl. § 15 KSchG Rn. 15 und § 103 BetrVG Rn. 11; Fitting 26. Aufl. § 103 Rn. 6; ErfK/Kiel 12. Aufl. § 15 KSchG Rn. 9; Knittel SGB IX 6. Aufl. § 96 Rn. 42; Schaub/Koch ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 178 Rn. 85; Kossens in Kossens/von der Heide/Maaß SGB IX 3. Aufl. § 96 Rn. 13; Laber ArbRB 2010, 342, 344; APS/Linck 4. Aufl. § 15 KSchG Rn. 59, 60; HaKo/Nägele-Berkner 4. Aufl. § 15 Rn. 31; Pahlen in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 96 Rn. 5; HWK/Quecke 5. Aufl. § 15 KSchG Rn. 16; Cramer/Ritz/F. Dopatka SGB IX 6. Aufl. § 96 Rn. 8; Thüsing in Richardi BetrVG 12. Aufl. § 103 Rn. 11; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 14. Aufl. § 15 Rn. 33).

17

b) Zum Teil wird in jüngerer Zeit angenommen, nach § 96 Abs. 3 Satz 1 SGB IX seien § 15 KSchG und § 103 BetrVG mit der Maßgabe anzuwenden, dass nicht die vorherige Zustimmung des Betriebsrats, sondern die der Schwerbehindertenvertretung erforderlich sei(LAG Hamm 21. Januar 2011 - 13 TaBV 72/10 - LAGE SGB IX § 96 Nr. 2 mit zust. Anm. Grimme AiB 2011, 555; Düwell in LPK-SGB IX 3. Aufl. § 96 Rn. 60, 61; Trenk-Hinterberger in HK-SGB IX § 96 Rn. 10; unklar: DKKW/Bachner BetrVG 13. Aufl. § 103 Rn. 11). Andernfalls werde der Eigenständigkeit dieses Organs nicht ausreichend Rechnung getragen (LAG Hamm 21. Januar 2011 - 13 TaBV 72/10 - Rn. 58, aaO; Düwell in LPK-SGB IX § 96 Rn. 61). Sinn der maßgeblichen Schutznorm sei es, die Vertretung, die ein Mitglied verlieren solle, selbst über die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung entscheiden zu lassen (LAG Hamm 21. Januar 2011 - 13 TaBV 72/10 - Rn. 61, aaO; Düwell in LPK-SGB IX aaO). Solle einer Vertrauensperson gekündigt werden, so könne der Betriebsrat die Frage, ob der Kündigungsgrund mit ihrer Amtstätigkeit im Zusammenhang stehe, nicht aus eigener Kenntnis beantworten. Hinzu komme, dass in manchen Betrieben zwar eine Schwerbehindertenvertretung, aber kein Betriebsrat vorhanden sei (Düwell in LPK-SGB IX aaO). Sinn und Zweck des in § 103 Abs. 1 BetrVG aufgestellten Zustimmungserfordernisses sei nicht nur der Schutz des jeweils betroffenen Amtsträgers, sondern zu verhindern, dass ein demokratisch gewähltes Gremium durch den Verlust einzelner Mitglieder in seiner Funktionsfähigkeit und in der Kontinuität seiner Amtsführung beeinträchtigt werde. Dieses Ziel sei nur dann effektiv zu erreichen, wenn das jeweils betroffene Gremium selbst - ggf. also die Schwerbehindertenvertretung - über die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung entscheide (LAG Hamm 21. Januar 2011 - 13 TaBV 72/10 - Rn. 61, aaO). Bei der Schwerbehindertenvertretung handele es sich um eine eigenständige Interessenvertretung der von ihr repräsentierten Menschen. Sie habe andere Aufgaben als der Betriebsrat (LAG Hamm 21. Januar 2011 - 13 TaBV 72/10 - Rn. 66, aaO). Zwischen der Schwerbehindertenvertretung und dem Betriebsrat könne es Auseinandersetzungen über die angemessene Berücksichtigung der Belange schwerbehinderter Menschen geben. Daher sei es allein sachgerecht, in Ausfüllung des in § 96 Abs. 3 Satz 1 SGB IX verwandten Rechtsbegriffs „gleiche persönliche Rechtsstellung“ die Schwerbehindertenvertretung und nicht den Betriebsrat über den Antrag auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung eines Mitglieds entscheiden zu lassen(LAG Hamm 21. Januar 2011 - 13 TaBV 72/10 - Rn. 67, aaO).

18

c) Die zuletzt dargestellte Ansicht überzeugt nicht. Zutreffend ist die zuerst genannte Auffassung. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses einer Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen bedarf nach § 96 Abs. 3 Satz 1 SGB IX iVm. § 103 BetrVG bzw. den jeweiligen personalvertretungsrechtlichen Vorschriften der Zustimmung des Betriebs- oder Personalrats. Der Zustimmung der Schwerbehindertenvertretung bedarf sie nicht.

19

aa) Schon nach dem Wortlaut von § 96 Abs. 3 Satz 1 SGB IX ist dieses Verständnis das näher liegende. Die Regelung bestimmt, dass die Vertrauenspersonen die „gleiche persönliche Rechtsstellung“ wie Mitglieder des Betriebs- oder Personalrats besitzen. Sie enthält damit eine Rechtsfolgenverweisung. Es wird der Anwendungsbereich von § 15 KSchG und § 103 BetrVG bzw. den entsprechenden personalvertretungsrechtlichen Regelungen auf die Vertrauenspersonen der schwerbehinderten Menschen erstreckt. Die Bestimmung des § 96 Abs. 3 Satz 1 SGB IX ordnet dagegen nicht etwa eine „entsprechende Anwendung“ der Regelungen über den Sonderkündigungsschutz für Betriebs- oder Personalratsmitglieder an. Zwar wäre vom Wortsinn wohl auch diese Auslegung noch umfasst: Eine „gleiche“ muss nicht eine „identische“ Rechtsstellung bedeuten. Dennoch legt die Anordnung der „gleichen persönlichen Rechtsstellung“ eine Gleichbehandlung auch in Verfahrensfragen nahe.

20

bb) Der Entstehungsgeschichte des Kündigungsschutzes für die Vertrauenspersonen der schwerbehinderten Menschen lassen sich ebenfalls keine eindeutigen Hinweise für die Auslegung entnehmen. Auch sie spricht aber eher für das hier vertretene Verständnis.

21

(1) Bei der Einführung des besonderen Kündigungsschutzes für den Vertrauensmann der Schwerbeschädigten im Jahre 1961 ging es zunächst nur um den Ausschluss der ordentlichen Kündigung (vgl. Gröninger SchwbeschG Neubearbeitung 1962 § 13 Anm. 8 Buchst. a). Zu diesem Zeitpunkt bestand der Kündigungsschutz für Betriebs- und Personalratsratsmitglieder allein darin, dass ihnen gegenüber die ordentliche Kündigung - grundsätzlich - ausgeschlossen war (§ 13 KSchG 1951, § 59 Abs. 2 PersVG 1955). Das zusätzliche Zustimmungserfordernis gem. § 103 BetrVG iVm. § 15 KSchG gilt erst seit Inkrafttreten des Betriebsverfassungsgesetzes 1972(BGBl. I S. 13). Im Personalvertretungsrecht wurde es durch § 47 Abs. 1, § 108 Abs. 1 BPersVG 1974(BGBl. I S. 693) eingeführt.

22

(2) Die Regelung über die „gleiche“ Rechtsstellung der Vertrauensleute ist im Wesentlichen unverändert zunächst in das Schwerbehindertengesetz, dort zuletzt in § 26 Abs. 3 SchwbG, und sodann in das Sozialgesetzbuch Band IX übernommen worden. Bei der Reform der Betriebsverfassung 1972 wurden die Konsequenzen des mit § 103 BetrVG eingeführten Zustimmungserfordernisses für den Kündigungsschutz der Schwerbehindertenvertretung nicht erörtert(vgl. Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drucks. VI/1786 S. 53; Ausschussbericht BT-Drucks. VI/2729 S. 47). Auch sonst lassen sich den Gesetzesmaterialien keine Hinweise darauf entnehmen, welche Bedeutung das für Betriebsratsmitglieder geltende Zustimmungserfordernis für die vorgesehene „gleiche“ kündigungsschutzrechtliche Stellung der Vertrauensleute der Schwerbehinderten haben sollte (vgl. die Entwurfsbegründung von 1973 zu einem Schwerbehindertengesetz, dort noch zu § 19e Abs. 3 des Entwurfs, BT-Drucks. 7/656 S. 32 f.).

23

(3) Es gibt deshalb auch keine Hinweise darauf, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen wäre, dem Erfordernis einer Zustimmung des Betriebs- oder Personalrats bei Betriebs- bzw. Personalratsmitgliedern entspreche es bei den Vertrauenspersonen der schwerbehinderten Menschen, dass die Schwerbehindertenvertretung zustimmen müsse. Stattdessen hat der Gesetzgeber noch bei Verabschiedung des Sozialgesetzbuchs Band IX im Jahre 2001 an der bisherigen Formulierung festgehalten, obwohl die höchstrichterliche Rechtsprechung stets angenommen hatte, aus ihr folge, dass auch der außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses einer Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen der Betriebs- bzw. Personalrat zustimmen müsse und nicht die Schwerbehindertenvertretung (vgl. BAG 23. Juni 1993 - 2 ABR 58/92 - AP ArbGG 1979 § 83a Nr. 2 = EzA BetrVG 1972 § 103 Nr. 34; 11. Mai 2000 - 2 AZR 276/99 - BAGE 94, 313). In der Begründung des Gesetzentwurfs zu den §§ 93 bis 100 SGB IX heißt es lediglich, die Regelungen übertrügen inhaltsgleich die bisherigen §§ 23 bis 29 des Schwerbehindertengesetzes(BT-Drucks. 14/5074 S. 113).

24

cc) Sinn und Zweck des besonderen Kündigungsschutzes stehen dem Verständnis der Rechtsprechung nicht entgegen.

25

(1) Durch eine Stärkung seiner Stellung sollte die Unabhängigkeit des Vertrauensmanns der Schwerbeschädigten gegenüber dem Arbeitgeber gefördert werden (BT-Drucks. 3/1256 S. 18; BT-Drucks. 3/2701 S. 3). Der Vertrauensmann könne in die Lage kommen, zB aus Anlass der Kündigung eines Schwerbeschädigten eine andere Auffassung einnehmen zu müssen als sein Arbeitgeber (BT-Drucks. 3/1256 aaO). Mögliche Interessenkonflikte im Verhältnis zu Betriebs- oder Personalrat waren nicht Gegenstand der Überlegungen.

26

(2) Soweit das Zustimmungserfordernis gem. § 103 BetrVG neben dem Schutz des jeweils betroffenen Amtsträgers auch bezweckt zu verhindern, dass ein demokratisch gewähltes Gremium durch den Verlust einzelner Mitglieder in seiner Funktionsfähigkeit und in der Kontinuität seiner Amtsführung beeinträchtigt wird(vgl. BAG 17. März 2005 - 2 AZR 275/04  - AP BetrVG 1972 § 27 Nr. 6 = EzA BetrVG 2001 § 28 Nr. 1; 4. März 2004 -  2 AZR 147/03  - BAGE 110, 1), ergibt sich daraus nicht, dass nicht dem Betriebs- bzw. Personalrat die Wahrnehmung dieser Interessen auch bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses einer Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen übertragen sein soll.

27

(a) Ein möglicher Interessenkonflikt zwischen Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung spricht nicht notwendig für eine Zuständigkeit der Schwerbehindertenvertretung. Zu Interessenkonflikten kann es ebenso gut zwischen der Vertrauensperson und ihrem Stellvertreter kommen. Umgekehrt kann es gerade interessengerecht sein, dem alle Arbeitnehmer vertretenden und typischerweise größeren Gremium des Betriebs- bzw. Personalrats die Verantwortung für die Entscheidung über eine Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Vertrauensperson der Schwerbehinderten zu übertragen. Sollte eine Zustimmung der Schwerbehindertenvertretung erforderlich sein, müsste darüber das in seiner Stellung unmittelbar selbst betroffene - bei mehreren Stellvertretern erste - stellvertretende Mitglied (vgl. zur Zusammensetzung der Schwerbehindertenvertretung: § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) entscheiden. Die Vertrauensperson wäre nach allgemeinen Grundsätzen rechtlich verhindert.

28

(b) Die erforderliche Kenntnis von den Hintergründen der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung kann sich der Betriebsrat sowohl durch eine Anhörung der Vertrauensperson selbst verschaffen als auch durch eine Beteiligung des stellvertretenden Mitglieds gem. § 95 Abs. 4 Satz 1 SGB IX, § 32 BetrVG an der Sitzung, in welcher über den Zustimmungsantrag beraten wird.

29

(c) Der Gesichtspunkt, es solle jeweils das demokratisch gewählte Gremium selbst über die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines seiner Mitglieder entscheiden, rechtfertigt keine andere Auslegung. § 96 Abs. 3 Satz 1 SGB IX lässt sich gerade nicht hinreichend sicher entnehmen, es habe unter diesem Aspekt das Erfordernis einer Zustimmung der Schwerbehindertenvertretung und nicht des Betriebs- bzw. Personalrats geregelt werden sollen. Auch für deren Zuständigkeit lassen sich vielmehr gewichtige Gründe anführen. So obliegt dem Betriebs- bzw. Personalrat die Vertretung der Interessen aller Beschäftigten, während die Schwerbehindertenvertretung ausschließlich die Interessen der schwerbehinderten Arbeitnehmer vertritt. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses einer Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen kann aber die Interessen der gesamten Belegschaft betreffen. Auch mag der Gesetzgeber bewusst davon abgesehen haben, ein doppeltes Zustimmungserfordernis für den Fall zu schaffen, dass eine Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen zugleich Mitglied des Betriebs- oder Personalrats ist.

30

(d) Eine Schutzlücke für den Fall, dass in einem Betrieb zwar eine Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen, aber kein Betriebsrat gewählt ist, besteht nicht. Die Wahl einer Schwerbehindertenvertretung setzt nach § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB IX voraus, dass im Betrieb wenigstens fünf schwerbehinderte Menschen nicht nur vorübergehend beschäftigt sind. Damit ist zugleich die erforderliche Betriebsgröße für die Wahl eines Betriebsrats von gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG mindestens fünf Arbeitnehmern erreicht. Auf diese Weise ist gewährleistet, dass eine Initiative zur Bestellung eines Wahlvorstands für eine Betriebsratswahl allein von den schwerbehinderten Beschäftigten ausgehen kann (vgl. § 17 Abs. 3 und 4, § 17a Nr. 3 und 4 BetrVG). Sollte dennoch kein Betriebsrat gewählt worden sein, ist zu bedenken, ob nicht entsprechend § 103 Abs. 2 BetrVG der Arbeitgeber die Erteilung der Zustimmung zur Kündigung unmittelbar beim Arbeitsgericht beantragen muss - ebenso wie bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Wahlvorstandsmitglieds oder Wahlbewerbers, wenn noch kein Betriebsrat gebildet ist(dazu BAG 30. Mai 1978 - 2 AZR 637/76 - zu C I 1 der Gründe, BAGE 30, 320; 12. August 1976 - 2 AZR 303/75 - BAGE 28, 152). Das gleiche Problem bestünde im Übrigen für die Gegenauffassung, wenn kein stellvertretendes Mitglied der Schwerbehindertenvertretung gewählt wäre.

31

dd) Entscheidend für die zutreffende Auslegung von § 96 Abs. 3 Satz 1 SGB IX sind systematische Erwägungen. Den Regelungen der §§ 94 ff. SGB IX insgesamt lässt sich an keiner Stelle ein Hinweis darauf entnehmen, auf die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses einer Vertrauensperson der Schwerbehinderten seien § 103 BetrVG bzw. die entsprechenden personalvertretungsrechtlichen Vorschriften lediglich sinngemäß anzuwenden, sodass ihr nicht der Betriebs- oder Personalrat, sondern die Schwerbehindertenvertretung, dh. praktisch deren - ggf. erstes - stellvertretendes Mitglied, zustimmen müsse. Es gibt schlechthin keinen Anhaltspunkt für die Annahme, § 96 Abs. 3 Satz 1 SGB IX wolle die Vertrauenspersonen der schwerbehinderten Menschen mit der Anordnung der „gleichen persönlichen Rechtsstellung“ nicht nur gleichsam in die Aufzählung der geschützten Personen in § 15 Abs. 1, Abs. 2 KSchG aufnehmen, sondern kündigungsrechtlich - gerade ungleich diesen - einem eigenständigen Gremium unterstellen. Hinweise gibt es für das Gegenteil.

32

(1) So ist eine Vertretung der Vertrauensperson durch das stellvertretende Mitglied wegen Betroffenheit in eigener Sache im Gesetz gar nicht vorgesehen. Anders als § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG für die Vertretung eines ordentlichen Betriebsratsmitglieds durch ein Ersatzmitglied spricht § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB IX nicht allgemein von „zeitweiliger Verhinderung“, sondern nur von der Verhinderung der Vertrauensperson „durch Abwesenheit oder Wahrnehmung anderer Aufgaben“.

33

(2) Eine Zuständigkeit der Schwerbehindertenvertretung, über die Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Vertrauensperson zu entscheiden, würde ersichtlich aus dem Rahmen der ihr sonst übertragenen Aufgaben fallen. Die Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung bestehen nach § 95 Abs. 1 SGB IX in der Förderung der Eingliederung sowie der Beratung und Unterstützung schwerbehinderter Menschen. Sie hat zwar gem. § 95 Abs. 2 SGB IX Unterrichtungs-, Anhörungs- und Einsichtsrechte sowie nach § 95 Abs. 4 SGB IX, § 32 BetrVG das Recht, beratend an den Sitzungen des Betriebs- oder Personalrats und von dessen Ausschüssen teilzunehmen, und kann ggf. beantragen, einen Beschluss des Betriebs- oder Personalrats auszusetzen. Sie verfügt aber nicht über eigene Mitbestimmungsrechte.

34

(3) Im Übrigen fehlte es an einer Bestimmung des Rechtswegs für ein mögliches Zustimmungsersetzungsverfahren des Arbeitgebers. § 2a Abs. 1 Nr. 3a ArbGG sieht eine Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen lediglich für „Angelegenheiten aus den §§ 94, 95 und 139“ des SGB IX vor. Angelegenheiten nach § 96 Abs. 3 SGB IX sind nicht genannt.

35

d) Danach bedurfte die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers keiner Zustimmung der Schwerbehindertenvertretung.

36

2. Unter Bezugnahme auf das arbeitsgerichtliche Urteil hat das Landesarbeitsgericht ohne Rechtsfehler angenommen, die nach § 96 Abs. 3 Satz 1 SGB IX iVm. § 43 LPVG-NW erforderliche Zustimmung des Personalrats habe bei Ausspruch der Kündigung vorgelegen. Dagegen erhebt der Kläger mit der Revision keine Einwände.

37

3. Rechtsfehlerfrei hat das Landesarbeitsgericht entschieden, die außerordentliche Kündigung vom 19. April 2010 beruhe auf einem wichtigen Grund iSv. § 15 Abs. 2 KSchG, § 626 Abs. 1 BGB.

38

a) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht ( BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 14, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09  - Rn. 16, BAGE 134, 349).

39

b) Stützt der Arbeitgeber den wichtigen Grund iSv. § 15 Abs. 1 KSchG, § 626 Abs. 1 BGB bei einem Betriebsratsmitglied auf dessen Verhalten, muss dieses sich als Verletzung von Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis darstellen. Ist einem Betriebsratsmitglied dagegen ausschließlich eine Verletzung seiner Amtspflichten vorzuwerfen, ist nur ein Ausschlussverfahren nach § 23 Abs. 1 BetrVG möglich. Ein Verhalten verletzt ausschließlich Amtspflichten, wenn das Betriebsratsmitglied lediglich „kollektivrechtliche“ Pflichten verletzt hat. Verstößt es sowohl gegen solche als auch gegen eine für alle Arbeitnehmer gleichermaßen geltende vertragliche Pflicht, liegt - jedenfalls auch - eine Vertragspflichtverletzung vor (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08 - Rn. 15 f., AP KSchG 1969 § 15 Nr. 67 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 67; 5. November 2009 -  2 AZR 487/08  - Rn. 30 f., AP KSchG 1969 § 15 Nr. 65 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 64). Diese Grundsätze gelten gem. § 96 Abs. 3 SGB IX entsprechend für eine auf Gründe im Verhalten einer Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen gestützte außerordentliche Kündigung.

40

c) Danach hat das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen, das Verhalten des Klägers rechtfertige „an sich“ eine außerordentliche Kündigung. Der Kläger hat am 16. August 2006 heimlich ein zwischen ihm und Herrn B geführtes Personalgespräch aufgezeichnet. Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an (vgl. § 201 StGB). Maßgeblich ist die mit diesem Verhalten verbundene Verletzung der dem Kläger nach § 241 Abs. 2 BGB obliegenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des Beklagten. Dieser hat seine Mitarbeiter bei der Ausübung ihrer Tätigkeit auch im Hinblick auf die Vertraulichkeit des Wortes zu schützen. Das nicht öffentlich gesprochene Wort eines anderen darf - auch im Betrieb - nicht heimlich mitgeschnitten werden. Die Amtspflichten des Klägers als Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen waren insoweit ohne Bedeutung. Der Kläger war an dem Gespräch nicht in seiner Eigenschaft als Vertrauensperson beteiligt. Soweit er am 16. August 2006 zwei weitere Personalgespräche aufgezeichnet hat, an denen er nach dem Vorbringen des Beklagten nunmehr in dieser Eigenschaft beteiligt war, hat er damit jedenfalls auch eine alle Arbeitnehmer treffende Pflicht und erneut nicht ausschließlich seine Amtspflichten verletzt. Dies gilt gleichermaßen, soweit er nach der Würdigung des Landesarbeitsgerichts im Mai 2008 an Aufzeichnungen von Personalgesprächen durch seinen Kollegen beteiligt war.

41

d) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die außerordentliche Kündigung sei unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

42

aa) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 26, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349).

43

bb) Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf ( BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09  - Rn. 34, BAGE 134, 349). Auch Unterhaltspflichten und der Familienstand können - je nach Lage des Falls - Bedeutung gewinnen. Sie sind jedenfalls bei der Interessenabwägung nicht generell ausgeschlossen und können zu berücksichtigen sein ( BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - aaO; 16. Dezember 2004 - 2 ABR 7/04  - zu B II 3 b aa der Gründe , AP BGB § 626 Nr. 191 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 7). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind ( BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - aaO; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08  - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33).

44

cc) Für die Beurteilung, ob Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber iSv. § 15 Abs. 1, Abs. 2 KSchG, § 626 Abs. 1 BGB aus wichtigem Grund zur Kündigung berechtigen, ist auf die Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist abzustellen. Ist eine Weiterbeschäftigung bis dahin zumutbar, ist die Kündigung unwirksam (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08 - Rn. 17, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 67 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 67).

45

dd) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz nur daraufhin überprüft, ob es Rechtsbegriffe in ihrer allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 29, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 17, BAGE 134, 349).

46

ee) Danach ist die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

47

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe seine Pflichten vorsätzlich und schwerwiegend verletzt. Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe seien nicht ersichtlich. Die behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die es ihm nicht erlaubt hätten, sich länger als 15 Minuten zu konzentrieren, hätten allenfalls dazu führen können, die Gesprächsteilnehmer um ihr Einverständnis mit einer Aufzeichnung der Gespräche zu bitten oder sich handschriftliche Aufzeichnungen zu machen. Dass der Kläger stattdessen die Gespräche heimlich mitgeschnitten habe, lasse nur den Schluss zu, dass er sie ggf. für eigene Zwecke gegen Mitarbeiter des Beklagten oder gegen diesen selbst habe verwenden wollen. Die Schwere des Vertragsverstoßes mache eine Abmahnung ausnahmsweise entbehrlich. Der Kläger habe erkennen müssen, dass sein Verhalten für den Beklagten schon erstmalig nicht hinnehmbar sei. Das Vertrauen in seine Gutwilligkeit, Loyalität und Redlichkeit sei ernsthaft und unwiederbringlich gestört. Dem Kläger sei nicht nur eine einmalige Vertragsverletzung vorzuwerfen. Er habe am 16. August 2006 drei verschiedene Personalgespräche aufgezeichnet und außerdem das Aufzeichnungsgerät mit den Aufnahmen seinem Kollegen ausgehändigt. Darüber hinaus habe er zumindest von zwei heimlichen Aufnahmen, die der Kollege im Mai 2008 gefertigt habe, noch während der Mitschnitte Kenntnis erlangt. Er sei dadurch auch an diesen beteiligt gewesen. Wegen der Schwere der Pflichtverletzungen sei dem Beklagten eine Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist nicht zumutbar gewesen. Weder die Dauer des Arbeitsverhältnisses noch das Lebensalter des Klägers, die von ihm aufgezeigten persönlichen Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt und seine Unterhaltspflichten könnten ein anderes Ergebnis rechtfertigen.

48

(2) Bei der Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, dass der Kläger bei Begründung des Arbeitsverhältnisses auf die Bestimmung des § 201 StGB ausdrücklich hingewiesen worden ist. Seinen Einwand, er habe das mit ihm geführte Personalgespräch zur Abwehr möglicher rechtlicher Eingriffe mitgeschnitten, durfte das Landesarbeitsgericht mit der zutreffenden Begründung als unbeachtlich ansehen, dass die befürchteten Eingriffe „im Nebulösen“ verblieben seien. Der Kläger erhebt dagegen keine beachtliche Verfahrensrüge. Soweit er geltend macht, er habe von Anfang an eine Kenntnis von den Tonbandmitschnitten seines Kollegen bestritten, ist seine Verfahrensrüge unzulässig. Der Kläger legt nicht dar, an welcher Stelle welchen Schriftsatzes er dies vorgebracht haben will. Die Rüge ist überdies unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat das Bestreiten des Klägers nicht übergangen, sondern mangels hinreichender Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Beklagten als unbeachtlich angesehen. Dies hält sich im Rahmen tatrichterlicher Würdigung.

49

(3) Das Landesarbeitsgericht hat den Prüfungsmaßstab für die Annahme eines wichtigen Grundes nicht verkannt. Es hat mit Blick auf den Ausschluss der ordentlichen Kündigung gem. § 96 Abs. 3 Satz 1 SGB IX, § 15 Abs. 1, Abs. 2 KSchG zu Recht auf die Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist abgestellt. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht in die Würdigung Pflichtverletzungen des Klägers im Rahmen von Situationen einbezogen hat, in die dieser nur als Vertrauensperson der Schwerbehinderten geraten konnte. In seinem Verhalten liegt zugleich eine Vertragspflichtverletzung. Soweit an den wichtigen Grund in diesem Fall ein „strengerer“ Maßstab anzulegen ist (vgl. dazu BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08 - Rn. 15, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 67 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 67; 5. November 2009 - 2 AZR 487/08 - Rn. 30, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 65 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 64), durfte das Landesarbeitsgericht die Grenze auch angesichts dessen als überschritten ansehen. Der Kläger hat durch die Aufzeichnung des mit ihm selbst geführten Personalgesprächs seine arbeitsvertraglichen Nebenpflichten ganz ohne Amtsbezug verletzt. Er ist deshalb gerade nicht allein durch die Ausübung seines Amts als Vertrauensperson der Schwerbehinderten in Konflikt mit seinen arbeitsvertraglichen Pflichten geraten (lediglich die Beachtung dieses Gesichtspunkts im Rahmen der Interessenabwägung ist gemeint, wenn für diese Fälle auf einen „strengeren“ Maßstab verwiesen wird; vgl. dazu BAG 25. Mai 1982 - 7 AZR 155/80 - zu II 1 a der Gründe). Der Kläger hat die Personalgespräche zudem zu eigenen Zwecken und damit nicht einmal im Hinblick auf sein Amt mitgeschnitten.

50

(4) Das Landesarbeitsgericht hat den Umstand, dass die vom Kläger selbst getätigten Mitschnitte im Kündigungszeitpunkt schon einige Jahre zurücklagen, nicht entscheidend zu seinen Gunsten gewürdigt. Dies ist angesichts der Schwere und Häufigkeit der Pflichtverletzungen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. In Bezug auf die Aufzeichnung von Personalgesprächen durch einen Kollegen hat das Landesarbeitsgericht dem Kläger nicht nur die Verletzung möglicher - nach dessen Auffassung nicht bestehender - Offenbarungspflicht vorgehalten. Es ist vielmehr mit dem Arbeitsgericht zutreffend davon ausgegangen, aus dem Inhalt der Aufzeichnungen ergebe sich, dass der Kläger diese bewusst habe geschehen lassen und auch in der Folge nicht unterbunden habe. Das spreche für seine Beteiligung und Komplizenschaft.

51

(5) Dem vom Kläger angeführten Arbeitsplatzkonflikt, der Anlass für das Personalgespräch am 16. August 2006 gewesen sei, hat das Landesarbeitsgericht zu Recht ebenfalls keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen. Es hat sich durch Bezugnahme auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts die Auffassung zu eigen gemacht, der Kläger habe eine Mitverursachung seines Fehlverhaltens durch den Beklagten nicht nachvollziehbar dargelegt. Dies lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Ein möglicher Konflikt im Zusammenhang mit einer geplanten Versetzung vermag das Verhalten des Klägers nicht zu entschuldigen. Dass und in welcher Weise der Beklagte etwa in unziemlicher Weise gegen ihn vorgegangen wäre, hat er nicht vorgetragen.

52

4. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Frist des § 626 Abs. 2 BGB iVm. § 91 Abs. 2 SGB IX sei eingehalten. Die Frist hat erst am 6. April 2010 zu laufen begonnen. Sie ist durch die Kündigung vom 19. April 2010 gewahrt. Der Beklagte hat alles Gebotene zur Aufklärung des Sachverhalts unternehmen und hierfür die dem Kläger eingeräumte Stellungnahmefrist auf dessen Wunsch bis zum 6. April 2010 verlängern dürfen.

53

5. Die erforderliche Zustimmung des Integrationsamts lag bei Ausspruch der Kündigung vor.

54

II. Die Anträge auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses und vorläufige Weiterbeschäftigung sind dem Senat als uneigentliche Hilfsanträge nicht zur Entscheidung angefallen. Letzterer ist überdies nur auf eine Beschäftigung für die Dauer des Rechtsstreits gerichtet; dieser ist mit der Entscheidung über den Feststellungsantrag rechtskräftig abgeschlossen.

55

III. Die Kosten des Revisionsverfahrens hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO der Kläger zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Rinck    

        

    Rachor    

        

        

        

    A. Claes    

        

    Sieg    

                 

(1) Mindestens ein Viertel der wahlberechtigten Arbeitnehmer, der Arbeitgeber oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft können beim Arbeitsgericht den Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat oder die Auflösung des Betriebsrats wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten beantragen. Der Ausschluss eines Mitglieds kann auch vom Betriebsrat beantragt werden.

(2) Wird der Betriebsrat aufgelöst, so setzt das Arbeitsgericht unverzüglich einen Wahlvorstand für die Neuwahl ein. § 16 Abs. 2 gilt entsprechend.

(3) Der Betriebsrat oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft können bei groben Verstößen des Arbeitgebers gegen seine Verpflichtungen aus diesem Gesetz beim Arbeitsgericht beantragen, dem Arbeitgeber aufzugeben, eine Handlung zu unterlassen, die Vornahme einer Handlung zu dulden oder eine Handlung vorzunehmen. Handelt der Arbeitgeber der ihm durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung auferlegten Verpflichtung zuwider, eine Handlung zu unterlassen oder die Vornahme einer Handlung zu dulden, so ist er auf Antrag vom Arbeitsgericht wegen einer jeden Zuwiderhandlung nach vorheriger Androhung zu einem Ordnungsgeld zu verurteilen. Führt der Arbeitgeber die ihm durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung auferlegte Handlung nicht durch, so ist auf Antrag vom Arbeitsgericht zu erkennen, dass er zur Vornahme der Handlung durch Zwangsgeld anzuhalten sei. Antragsberechtigt sind der Betriebsrat oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft. Das Höchstmaß des Ordnungsgeldes und Zwangsgeldes beträgt 10.000 Euro.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 18. Mai 2011 - 8 Sa 364/11 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der 1968 geborene Kläger ist verheiratet und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Er war seit April 1998 bei dem beklagten Landschaftsverband als Gärtner gegen ein durchschnittliches Bruttomonatsentgelt in Höhe von 2.800,00 Euro beschäftigt. Der Kläger ist zu 70 vH in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert. Seit März 2004 war er Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen im Dezernat 9 des Beklagten. Er ist anlässlich seiner Einstellung nach dem Gesetz über die förmliche Verpflichtung nicht beamteter Personen ua. auf die Strafvorschrift § 201 StGB(Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes) hingewiesen worden.

3

Am 16. August 2006 führte Herr B - ein Mitarbeiter des Beklagten - ein Personalgespräch mit dem Kläger. Der Kläger zeichnete dieses Gespräch ohne Einwilligung seines Gesprächspartners auf. Im Anschluss daran schnitt er heimlich zwei weitere Personalgespräche mit. Das Aufnahmegerät hatte er sich von einem damaligen Kollegen geliehen. Er gab es diesem, ohne die Mitschnitte gelöscht zu haben, zurück. Der Kollege zeichnete im Mai 2008 ebenfalls drei Gespräche im Betrieb heimlich auf.

4

Am 9. Februar 2010 ging beim Beklagten ein Schreiben der Staatsanwaltschaft ein. Diese teilte mit, im Zusammenhang mit einem gegen den betreffenden Kollegen des Klägers geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren seien Audiodateien beschlagnahmt worden. Der Beklagte beantragte Akteneinsicht, die er bis zum 2. März 2010 erhielt. Eine Anhörung der Dateien gestattete die Staatsanwaltschaft nur den von den Aufzeichnungen betroffenen Mitarbeitern. Herr B hörte die Aufzeichnungen am 24. März 2010 an und unterrichtete den Beklagten über deren Inhalt.

5

Mit Schreiben vom 25. März 2010 lud der Beklagte den Kläger zu einer Anhörung am 30. März 2010. Der Kläger hielt die Äußerungsfrist für zu kurz bemessen. Der Beklagte räumte ihm daraufhin eine Frist zur Stellungnahme bis zum 6. April 2010, 9:00 Uhr, ein. Der Kläger äußerte sich auch bis zu deren Ablauf nicht.

6

Der Beklagte beantragte noch am selben Tag sowohl beim örtlichen Personalrat als auch beim Gesamtpersonalrat die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien. Der Personalrat erteilte die Zustimmung mit Schreiben vom 8. April 2010, der Gesamtpersonalrat teilte mit Schreiben gleichen Datums mit, gegen die beabsichtigte Kündigung keine Bedenken zu haben.

7

Noch am 6. April 2010 hatte der Beklagte auch die Zustimmung des Integrationsamts zu der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung beantragt. Sie wurde am 19. April 2010 erteilt.

8

Mit Schreiben vom 19. April 2010 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien fristlos.

9

Dagegen hat der Kläger rechtzeitig Kündigungsschutzklage erhoben. Er hat gemeint, es fehle der Kündigung an einem wichtigen Grund. Er sei jahrelangem schikanösen Verhalten des Behördenleiters ausgesetzt gewesen. Das Aufnahmegerät habe er zur Abwehr möglicher rechtlicher Eingriffe eingesetzt. Zudem leide er an Diabetes mellitus. Dies führe zu Konzentrationsstörungen. Er sei im August 2006 psychosomatisch erkrankt und nicht in der Lage gewesen, einem Gespräch länger als eine Viertelstunde zu folgen. Die Aufzeichnung habe er auch wegen seiner Konzentrationsstörungen vorgenommen. Den Gesprächsmitschnitt habe er nachträglich abgehört, keine rechtlich relevanten Eingriffe festgestellt und das Gerät dem Kollegen mit der Bitte zurückgegeben, den Inhalt zu löschen. Dazu sei er selbst nicht in der Lage gewesen. Der Kollege habe die Löschung zugesichert, jedoch nicht vorgenommen. Von den Tonbandmitschnitten des Kollegen habe er erst im Nachhinein erfahren und hierüber aus Datenschutzgründen Stillschweigen bewahrt. Der Kollege sei ebenfalls schwerbehindert und er, der Kläger, zur Verschwiegenheit verpflichtet gewesen. Der Kläger hat zudem die Ansicht vertreten, der Beklagte habe die Frist gem. § 626 Abs. 2 BGB, § 91 Abs. 5 SGB IX nicht gewahrt. Auch sei die Beteiligung des Integrationsamts nicht ordnungsgemäß gewesen. Im Übrigen fehle es an der nach § 96 Abs. 3 SGB IX erforderlichen Zustimmung der Schwerbehindertenvertretung. Der Kläger hat ferner die Erteilung eines Zwischenzeugnisses sowie seine vorläufige Weiterbeschäftigung verlangt.

10

Er hat zuletzt beantragt

        

1.    

festzustellen, dass die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 19. April 2010 rechtsunwirksam ist und das Arbeitsverhältnis unverändert fortbesteht;

        

2.    

für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. den Beklagten zu verurteilen, ihn zu den bisherigen Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen und ihm ein Zwischenzeugnis zu erteilen.

11

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei unter allen rechtlichen Gesichtspunkten wirksam. Der Kläger habe am 16. August 2006 heimlich drei dienstliche Gespräche aufgenommen. Aus den Mitschnitten des Kollegen ergebe sich, dass der Kläger auch von dessen Aufzeichnungen am 6., 14. und 21. Mai 2008 gewusst habe. An diesen Gesprächen sei er als Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen beteiligt gewesen.

12

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die außerordentliche Kündigung vom 19. April 2010 zu Recht als wirksam angesehen (I.). Die Anträge auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses und vorläufige Weiterbeschäftigung sind dem Senat als uneigentliche Hilfsanträge nicht mehr zur Entscheidung angefallen (II.).

14

I. Ohne Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht die außerordentliche, fristlose Kündigung des Beklagten vom 19. April 2010 für wirksam erachtet.

15

1. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, die Kündigung habe nicht gem. § 96 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der Zustimmung der Schwerbehindertenvertretung bedurft.

16

a) Nach § 96 Abs. 3 Satz 1 SGB IX besitzen die Vertrauenspersonen der schwerbehinderten Menschen gegenüber dem Arbeitgeber die gleiche persönliche Rechtsstellung, insbesondere den gleichen Kündigungsschutz wie ein Mitglied des Betriebs- oder Personalrats. Für die Vertrauenspersonen gilt damit § 15 KSchG iVm. § 103 BetrVG bzw. den maßgeblichen personalvertretungsrechtlichen Vorschriften entsprechend. Dies wird ganz überwiegend dahin verstanden, dass die Vertrauenspersonen ebenfalls nur aus wichtigem Grund und nur mit Zustimmung des Betriebs- oder Personalrats gekündigt werden können (vgl. BAG 11. Mai 2000 - 2 AZR 276/99 - BAGE 94, 313; 23. Juni 1993 - 2 ABR 58/92 - AP ArbGG 1979 § 83a Nr. 2 = EzA BetrVG 1972 § 103 Nr. 34; BVerwG 25. Februar 2004 - 6 P 12.03 - zu II 1 c der Gründe, AP BPersVG § 47 Nr. 4; Kittner/Däubler/Zwanziger-Deinert 8. Aufl. § 15 KSchG Rn. 15 und § 103 BetrVG Rn. 11; Fitting 26. Aufl. § 103 Rn. 6; ErfK/Kiel 12. Aufl. § 15 KSchG Rn. 9; Knittel SGB IX 6. Aufl. § 96 Rn. 42; Schaub/Koch ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 178 Rn. 85; Kossens in Kossens/von der Heide/Maaß SGB IX 3. Aufl. § 96 Rn. 13; Laber ArbRB 2010, 342, 344; APS/Linck 4. Aufl. § 15 KSchG Rn. 59, 60; HaKo/Nägele-Berkner 4. Aufl. § 15 Rn. 31; Pahlen in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 96 Rn. 5; HWK/Quecke 5. Aufl. § 15 KSchG Rn. 16; Cramer/Ritz/F. Dopatka SGB IX 6. Aufl. § 96 Rn. 8; Thüsing in Richardi BetrVG 12. Aufl. § 103 Rn. 11; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 14. Aufl. § 15 Rn. 33).

17

b) Zum Teil wird in jüngerer Zeit angenommen, nach § 96 Abs. 3 Satz 1 SGB IX seien § 15 KSchG und § 103 BetrVG mit der Maßgabe anzuwenden, dass nicht die vorherige Zustimmung des Betriebsrats, sondern die der Schwerbehindertenvertretung erforderlich sei(LAG Hamm 21. Januar 2011 - 13 TaBV 72/10 - LAGE SGB IX § 96 Nr. 2 mit zust. Anm. Grimme AiB 2011, 555; Düwell in LPK-SGB IX 3. Aufl. § 96 Rn. 60, 61; Trenk-Hinterberger in HK-SGB IX § 96 Rn. 10; unklar: DKKW/Bachner BetrVG 13. Aufl. § 103 Rn. 11). Andernfalls werde der Eigenständigkeit dieses Organs nicht ausreichend Rechnung getragen (LAG Hamm 21. Januar 2011 - 13 TaBV 72/10 - Rn. 58, aaO; Düwell in LPK-SGB IX § 96 Rn. 61). Sinn der maßgeblichen Schutznorm sei es, die Vertretung, die ein Mitglied verlieren solle, selbst über die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung entscheiden zu lassen (LAG Hamm 21. Januar 2011 - 13 TaBV 72/10 - Rn. 61, aaO; Düwell in LPK-SGB IX aaO). Solle einer Vertrauensperson gekündigt werden, so könne der Betriebsrat die Frage, ob der Kündigungsgrund mit ihrer Amtstätigkeit im Zusammenhang stehe, nicht aus eigener Kenntnis beantworten. Hinzu komme, dass in manchen Betrieben zwar eine Schwerbehindertenvertretung, aber kein Betriebsrat vorhanden sei (Düwell in LPK-SGB IX aaO). Sinn und Zweck des in § 103 Abs. 1 BetrVG aufgestellten Zustimmungserfordernisses sei nicht nur der Schutz des jeweils betroffenen Amtsträgers, sondern zu verhindern, dass ein demokratisch gewähltes Gremium durch den Verlust einzelner Mitglieder in seiner Funktionsfähigkeit und in der Kontinuität seiner Amtsführung beeinträchtigt werde. Dieses Ziel sei nur dann effektiv zu erreichen, wenn das jeweils betroffene Gremium selbst - ggf. also die Schwerbehindertenvertretung - über die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung entscheide (LAG Hamm 21. Januar 2011 - 13 TaBV 72/10 - Rn. 61, aaO). Bei der Schwerbehindertenvertretung handele es sich um eine eigenständige Interessenvertretung der von ihr repräsentierten Menschen. Sie habe andere Aufgaben als der Betriebsrat (LAG Hamm 21. Januar 2011 - 13 TaBV 72/10 - Rn. 66, aaO). Zwischen der Schwerbehindertenvertretung und dem Betriebsrat könne es Auseinandersetzungen über die angemessene Berücksichtigung der Belange schwerbehinderter Menschen geben. Daher sei es allein sachgerecht, in Ausfüllung des in § 96 Abs. 3 Satz 1 SGB IX verwandten Rechtsbegriffs „gleiche persönliche Rechtsstellung“ die Schwerbehindertenvertretung und nicht den Betriebsrat über den Antrag auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung eines Mitglieds entscheiden zu lassen(LAG Hamm 21. Januar 2011 - 13 TaBV 72/10 - Rn. 67, aaO).

18

c) Die zuletzt dargestellte Ansicht überzeugt nicht. Zutreffend ist die zuerst genannte Auffassung. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses einer Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen bedarf nach § 96 Abs. 3 Satz 1 SGB IX iVm. § 103 BetrVG bzw. den jeweiligen personalvertretungsrechtlichen Vorschriften der Zustimmung des Betriebs- oder Personalrats. Der Zustimmung der Schwerbehindertenvertretung bedarf sie nicht.

19

aa) Schon nach dem Wortlaut von § 96 Abs. 3 Satz 1 SGB IX ist dieses Verständnis das näher liegende. Die Regelung bestimmt, dass die Vertrauenspersonen die „gleiche persönliche Rechtsstellung“ wie Mitglieder des Betriebs- oder Personalrats besitzen. Sie enthält damit eine Rechtsfolgenverweisung. Es wird der Anwendungsbereich von § 15 KSchG und § 103 BetrVG bzw. den entsprechenden personalvertretungsrechtlichen Regelungen auf die Vertrauenspersonen der schwerbehinderten Menschen erstreckt. Die Bestimmung des § 96 Abs. 3 Satz 1 SGB IX ordnet dagegen nicht etwa eine „entsprechende Anwendung“ der Regelungen über den Sonderkündigungsschutz für Betriebs- oder Personalratsmitglieder an. Zwar wäre vom Wortsinn wohl auch diese Auslegung noch umfasst: Eine „gleiche“ muss nicht eine „identische“ Rechtsstellung bedeuten. Dennoch legt die Anordnung der „gleichen persönlichen Rechtsstellung“ eine Gleichbehandlung auch in Verfahrensfragen nahe.

20

bb) Der Entstehungsgeschichte des Kündigungsschutzes für die Vertrauenspersonen der schwerbehinderten Menschen lassen sich ebenfalls keine eindeutigen Hinweise für die Auslegung entnehmen. Auch sie spricht aber eher für das hier vertretene Verständnis.

21

(1) Bei der Einführung des besonderen Kündigungsschutzes für den Vertrauensmann der Schwerbeschädigten im Jahre 1961 ging es zunächst nur um den Ausschluss der ordentlichen Kündigung (vgl. Gröninger SchwbeschG Neubearbeitung 1962 § 13 Anm. 8 Buchst. a). Zu diesem Zeitpunkt bestand der Kündigungsschutz für Betriebs- und Personalratsratsmitglieder allein darin, dass ihnen gegenüber die ordentliche Kündigung - grundsätzlich - ausgeschlossen war (§ 13 KSchG 1951, § 59 Abs. 2 PersVG 1955). Das zusätzliche Zustimmungserfordernis gem. § 103 BetrVG iVm. § 15 KSchG gilt erst seit Inkrafttreten des Betriebsverfassungsgesetzes 1972(BGBl. I S. 13). Im Personalvertretungsrecht wurde es durch § 47 Abs. 1, § 108 Abs. 1 BPersVG 1974(BGBl. I S. 693) eingeführt.

22

(2) Die Regelung über die „gleiche“ Rechtsstellung der Vertrauensleute ist im Wesentlichen unverändert zunächst in das Schwerbehindertengesetz, dort zuletzt in § 26 Abs. 3 SchwbG, und sodann in das Sozialgesetzbuch Band IX übernommen worden. Bei der Reform der Betriebsverfassung 1972 wurden die Konsequenzen des mit § 103 BetrVG eingeführten Zustimmungserfordernisses für den Kündigungsschutz der Schwerbehindertenvertretung nicht erörtert(vgl. Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drucks. VI/1786 S. 53; Ausschussbericht BT-Drucks. VI/2729 S. 47). Auch sonst lassen sich den Gesetzesmaterialien keine Hinweise darauf entnehmen, welche Bedeutung das für Betriebsratsmitglieder geltende Zustimmungserfordernis für die vorgesehene „gleiche“ kündigungsschutzrechtliche Stellung der Vertrauensleute der Schwerbehinderten haben sollte (vgl. die Entwurfsbegründung von 1973 zu einem Schwerbehindertengesetz, dort noch zu § 19e Abs. 3 des Entwurfs, BT-Drucks. 7/656 S. 32 f.).

23

(3) Es gibt deshalb auch keine Hinweise darauf, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen wäre, dem Erfordernis einer Zustimmung des Betriebs- oder Personalrats bei Betriebs- bzw. Personalratsmitgliedern entspreche es bei den Vertrauenspersonen der schwerbehinderten Menschen, dass die Schwerbehindertenvertretung zustimmen müsse. Stattdessen hat der Gesetzgeber noch bei Verabschiedung des Sozialgesetzbuchs Band IX im Jahre 2001 an der bisherigen Formulierung festgehalten, obwohl die höchstrichterliche Rechtsprechung stets angenommen hatte, aus ihr folge, dass auch der außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses einer Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen der Betriebs- bzw. Personalrat zustimmen müsse und nicht die Schwerbehindertenvertretung (vgl. BAG 23. Juni 1993 - 2 ABR 58/92 - AP ArbGG 1979 § 83a Nr. 2 = EzA BetrVG 1972 § 103 Nr. 34; 11. Mai 2000 - 2 AZR 276/99 - BAGE 94, 313). In der Begründung des Gesetzentwurfs zu den §§ 93 bis 100 SGB IX heißt es lediglich, die Regelungen übertrügen inhaltsgleich die bisherigen §§ 23 bis 29 des Schwerbehindertengesetzes(BT-Drucks. 14/5074 S. 113).

24

cc) Sinn und Zweck des besonderen Kündigungsschutzes stehen dem Verständnis der Rechtsprechung nicht entgegen.

25

(1) Durch eine Stärkung seiner Stellung sollte die Unabhängigkeit des Vertrauensmanns der Schwerbeschädigten gegenüber dem Arbeitgeber gefördert werden (BT-Drucks. 3/1256 S. 18; BT-Drucks. 3/2701 S. 3). Der Vertrauensmann könne in die Lage kommen, zB aus Anlass der Kündigung eines Schwerbeschädigten eine andere Auffassung einnehmen zu müssen als sein Arbeitgeber (BT-Drucks. 3/1256 aaO). Mögliche Interessenkonflikte im Verhältnis zu Betriebs- oder Personalrat waren nicht Gegenstand der Überlegungen.

26

(2) Soweit das Zustimmungserfordernis gem. § 103 BetrVG neben dem Schutz des jeweils betroffenen Amtsträgers auch bezweckt zu verhindern, dass ein demokratisch gewähltes Gremium durch den Verlust einzelner Mitglieder in seiner Funktionsfähigkeit und in der Kontinuität seiner Amtsführung beeinträchtigt wird(vgl. BAG 17. März 2005 - 2 AZR 275/04  - AP BetrVG 1972 § 27 Nr. 6 = EzA BetrVG 2001 § 28 Nr. 1; 4. März 2004 -  2 AZR 147/03  - BAGE 110, 1), ergibt sich daraus nicht, dass nicht dem Betriebs- bzw. Personalrat die Wahrnehmung dieser Interessen auch bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses einer Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen übertragen sein soll.

27

(a) Ein möglicher Interessenkonflikt zwischen Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung spricht nicht notwendig für eine Zuständigkeit der Schwerbehindertenvertretung. Zu Interessenkonflikten kann es ebenso gut zwischen der Vertrauensperson und ihrem Stellvertreter kommen. Umgekehrt kann es gerade interessengerecht sein, dem alle Arbeitnehmer vertretenden und typischerweise größeren Gremium des Betriebs- bzw. Personalrats die Verantwortung für die Entscheidung über eine Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Vertrauensperson der Schwerbehinderten zu übertragen. Sollte eine Zustimmung der Schwerbehindertenvertretung erforderlich sein, müsste darüber das in seiner Stellung unmittelbar selbst betroffene - bei mehreren Stellvertretern erste - stellvertretende Mitglied (vgl. zur Zusammensetzung der Schwerbehindertenvertretung: § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) entscheiden. Die Vertrauensperson wäre nach allgemeinen Grundsätzen rechtlich verhindert.

28

(b) Die erforderliche Kenntnis von den Hintergründen der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung kann sich der Betriebsrat sowohl durch eine Anhörung der Vertrauensperson selbst verschaffen als auch durch eine Beteiligung des stellvertretenden Mitglieds gem. § 95 Abs. 4 Satz 1 SGB IX, § 32 BetrVG an der Sitzung, in welcher über den Zustimmungsantrag beraten wird.

29

(c) Der Gesichtspunkt, es solle jeweils das demokratisch gewählte Gremium selbst über die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines seiner Mitglieder entscheiden, rechtfertigt keine andere Auslegung. § 96 Abs. 3 Satz 1 SGB IX lässt sich gerade nicht hinreichend sicher entnehmen, es habe unter diesem Aspekt das Erfordernis einer Zustimmung der Schwerbehindertenvertretung und nicht des Betriebs- bzw. Personalrats geregelt werden sollen. Auch für deren Zuständigkeit lassen sich vielmehr gewichtige Gründe anführen. So obliegt dem Betriebs- bzw. Personalrat die Vertretung der Interessen aller Beschäftigten, während die Schwerbehindertenvertretung ausschließlich die Interessen der schwerbehinderten Arbeitnehmer vertritt. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses einer Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen kann aber die Interessen der gesamten Belegschaft betreffen. Auch mag der Gesetzgeber bewusst davon abgesehen haben, ein doppeltes Zustimmungserfordernis für den Fall zu schaffen, dass eine Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen zugleich Mitglied des Betriebs- oder Personalrats ist.

30

(d) Eine Schutzlücke für den Fall, dass in einem Betrieb zwar eine Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen, aber kein Betriebsrat gewählt ist, besteht nicht. Die Wahl einer Schwerbehindertenvertretung setzt nach § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB IX voraus, dass im Betrieb wenigstens fünf schwerbehinderte Menschen nicht nur vorübergehend beschäftigt sind. Damit ist zugleich die erforderliche Betriebsgröße für die Wahl eines Betriebsrats von gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG mindestens fünf Arbeitnehmern erreicht. Auf diese Weise ist gewährleistet, dass eine Initiative zur Bestellung eines Wahlvorstands für eine Betriebsratswahl allein von den schwerbehinderten Beschäftigten ausgehen kann (vgl. § 17 Abs. 3 und 4, § 17a Nr. 3 und 4 BetrVG). Sollte dennoch kein Betriebsrat gewählt worden sein, ist zu bedenken, ob nicht entsprechend § 103 Abs. 2 BetrVG der Arbeitgeber die Erteilung der Zustimmung zur Kündigung unmittelbar beim Arbeitsgericht beantragen muss - ebenso wie bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Wahlvorstandsmitglieds oder Wahlbewerbers, wenn noch kein Betriebsrat gebildet ist(dazu BAG 30. Mai 1978 - 2 AZR 637/76 - zu C I 1 der Gründe, BAGE 30, 320; 12. August 1976 - 2 AZR 303/75 - BAGE 28, 152). Das gleiche Problem bestünde im Übrigen für die Gegenauffassung, wenn kein stellvertretendes Mitglied der Schwerbehindertenvertretung gewählt wäre.

31

dd) Entscheidend für die zutreffende Auslegung von § 96 Abs. 3 Satz 1 SGB IX sind systematische Erwägungen. Den Regelungen der §§ 94 ff. SGB IX insgesamt lässt sich an keiner Stelle ein Hinweis darauf entnehmen, auf die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses einer Vertrauensperson der Schwerbehinderten seien § 103 BetrVG bzw. die entsprechenden personalvertretungsrechtlichen Vorschriften lediglich sinngemäß anzuwenden, sodass ihr nicht der Betriebs- oder Personalrat, sondern die Schwerbehindertenvertretung, dh. praktisch deren - ggf. erstes - stellvertretendes Mitglied, zustimmen müsse. Es gibt schlechthin keinen Anhaltspunkt für die Annahme, § 96 Abs. 3 Satz 1 SGB IX wolle die Vertrauenspersonen der schwerbehinderten Menschen mit der Anordnung der „gleichen persönlichen Rechtsstellung“ nicht nur gleichsam in die Aufzählung der geschützten Personen in § 15 Abs. 1, Abs. 2 KSchG aufnehmen, sondern kündigungsrechtlich - gerade ungleich diesen - einem eigenständigen Gremium unterstellen. Hinweise gibt es für das Gegenteil.

32

(1) So ist eine Vertretung der Vertrauensperson durch das stellvertretende Mitglied wegen Betroffenheit in eigener Sache im Gesetz gar nicht vorgesehen. Anders als § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG für die Vertretung eines ordentlichen Betriebsratsmitglieds durch ein Ersatzmitglied spricht § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB IX nicht allgemein von „zeitweiliger Verhinderung“, sondern nur von der Verhinderung der Vertrauensperson „durch Abwesenheit oder Wahrnehmung anderer Aufgaben“.

33

(2) Eine Zuständigkeit der Schwerbehindertenvertretung, über die Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Vertrauensperson zu entscheiden, würde ersichtlich aus dem Rahmen der ihr sonst übertragenen Aufgaben fallen. Die Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung bestehen nach § 95 Abs. 1 SGB IX in der Förderung der Eingliederung sowie der Beratung und Unterstützung schwerbehinderter Menschen. Sie hat zwar gem. § 95 Abs. 2 SGB IX Unterrichtungs-, Anhörungs- und Einsichtsrechte sowie nach § 95 Abs. 4 SGB IX, § 32 BetrVG das Recht, beratend an den Sitzungen des Betriebs- oder Personalrats und von dessen Ausschüssen teilzunehmen, und kann ggf. beantragen, einen Beschluss des Betriebs- oder Personalrats auszusetzen. Sie verfügt aber nicht über eigene Mitbestimmungsrechte.

34

(3) Im Übrigen fehlte es an einer Bestimmung des Rechtswegs für ein mögliches Zustimmungsersetzungsverfahren des Arbeitgebers. § 2a Abs. 1 Nr. 3a ArbGG sieht eine Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen lediglich für „Angelegenheiten aus den §§ 94, 95 und 139“ des SGB IX vor. Angelegenheiten nach § 96 Abs. 3 SGB IX sind nicht genannt.

35

d) Danach bedurfte die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers keiner Zustimmung der Schwerbehindertenvertretung.

36

2. Unter Bezugnahme auf das arbeitsgerichtliche Urteil hat das Landesarbeitsgericht ohne Rechtsfehler angenommen, die nach § 96 Abs. 3 Satz 1 SGB IX iVm. § 43 LPVG-NW erforderliche Zustimmung des Personalrats habe bei Ausspruch der Kündigung vorgelegen. Dagegen erhebt der Kläger mit der Revision keine Einwände.

37

3. Rechtsfehlerfrei hat das Landesarbeitsgericht entschieden, die außerordentliche Kündigung vom 19. April 2010 beruhe auf einem wichtigen Grund iSv. § 15 Abs. 2 KSchG, § 626 Abs. 1 BGB.

38

a) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht ( BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 14, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09  - Rn. 16, BAGE 134, 349).

39

b) Stützt der Arbeitgeber den wichtigen Grund iSv. § 15 Abs. 1 KSchG, § 626 Abs. 1 BGB bei einem Betriebsratsmitglied auf dessen Verhalten, muss dieses sich als Verletzung von Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis darstellen. Ist einem Betriebsratsmitglied dagegen ausschließlich eine Verletzung seiner Amtspflichten vorzuwerfen, ist nur ein Ausschlussverfahren nach § 23 Abs. 1 BetrVG möglich. Ein Verhalten verletzt ausschließlich Amtspflichten, wenn das Betriebsratsmitglied lediglich „kollektivrechtliche“ Pflichten verletzt hat. Verstößt es sowohl gegen solche als auch gegen eine für alle Arbeitnehmer gleichermaßen geltende vertragliche Pflicht, liegt - jedenfalls auch - eine Vertragspflichtverletzung vor (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08 - Rn. 15 f., AP KSchG 1969 § 15 Nr. 67 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 67; 5. November 2009 -  2 AZR 487/08  - Rn. 30 f., AP KSchG 1969 § 15 Nr. 65 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 64). Diese Grundsätze gelten gem. § 96 Abs. 3 SGB IX entsprechend für eine auf Gründe im Verhalten einer Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen gestützte außerordentliche Kündigung.

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c) Danach hat das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen, das Verhalten des Klägers rechtfertige „an sich“ eine außerordentliche Kündigung. Der Kläger hat am 16. August 2006 heimlich ein zwischen ihm und Herrn B geführtes Personalgespräch aufgezeichnet. Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an (vgl. § 201 StGB). Maßgeblich ist die mit diesem Verhalten verbundene Verletzung der dem Kläger nach § 241 Abs. 2 BGB obliegenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des Beklagten. Dieser hat seine Mitarbeiter bei der Ausübung ihrer Tätigkeit auch im Hinblick auf die Vertraulichkeit des Wortes zu schützen. Das nicht öffentlich gesprochene Wort eines anderen darf - auch im Betrieb - nicht heimlich mitgeschnitten werden. Die Amtspflichten des Klägers als Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen waren insoweit ohne Bedeutung. Der Kläger war an dem Gespräch nicht in seiner Eigenschaft als Vertrauensperson beteiligt. Soweit er am 16. August 2006 zwei weitere Personalgespräche aufgezeichnet hat, an denen er nach dem Vorbringen des Beklagten nunmehr in dieser Eigenschaft beteiligt war, hat er damit jedenfalls auch eine alle Arbeitnehmer treffende Pflicht und erneut nicht ausschließlich seine Amtspflichten verletzt. Dies gilt gleichermaßen, soweit er nach der Würdigung des Landesarbeitsgerichts im Mai 2008 an Aufzeichnungen von Personalgesprächen durch seinen Kollegen beteiligt war.

41

d) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die außerordentliche Kündigung sei unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

42

aa) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 26, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349).

43

bb) Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf ( BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09  - Rn. 34, BAGE 134, 349). Auch Unterhaltspflichten und der Familienstand können - je nach Lage des Falls - Bedeutung gewinnen. Sie sind jedenfalls bei der Interessenabwägung nicht generell ausgeschlossen und können zu berücksichtigen sein ( BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - aaO; 16. Dezember 2004 - 2 ABR 7/04  - zu B II 3 b aa der Gründe , AP BGB § 626 Nr. 191 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 7). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind ( BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - aaO; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08  - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33).

44

cc) Für die Beurteilung, ob Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber iSv. § 15 Abs. 1, Abs. 2 KSchG, § 626 Abs. 1 BGB aus wichtigem Grund zur Kündigung berechtigen, ist auf die Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist abzustellen. Ist eine Weiterbeschäftigung bis dahin zumutbar, ist die Kündigung unwirksam (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08 - Rn. 17, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 67 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 67).

45

dd) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz nur daraufhin überprüft, ob es Rechtsbegriffe in ihrer allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 29, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 17, BAGE 134, 349).

46

ee) Danach ist die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

47

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe seine Pflichten vorsätzlich und schwerwiegend verletzt. Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe seien nicht ersichtlich. Die behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die es ihm nicht erlaubt hätten, sich länger als 15 Minuten zu konzentrieren, hätten allenfalls dazu führen können, die Gesprächsteilnehmer um ihr Einverständnis mit einer Aufzeichnung der Gespräche zu bitten oder sich handschriftliche Aufzeichnungen zu machen. Dass der Kläger stattdessen die Gespräche heimlich mitgeschnitten habe, lasse nur den Schluss zu, dass er sie ggf. für eigene Zwecke gegen Mitarbeiter des Beklagten oder gegen diesen selbst habe verwenden wollen. Die Schwere des Vertragsverstoßes mache eine Abmahnung ausnahmsweise entbehrlich. Der Kläger habe erkennen müssen, dass sein Verhalten für den Beklagten schon erstmalig nicht hinnehmbar sei. Das Vertrauen in seine Gutwilligkeit, Loyalität und Redlichkeit sei ernsthaft und unwiederbringlich gestört. Dem Kläger sei nicht nur eine einmalige Vertragsverletzung vorzuwerfen. Er habe am 16. August 2006 drei verschiedene Personalgespräche aufgezeichnet und außerdem das Aufzeichnungsgerät mit den Aufnahmen seinem Kollegen ausgehändigt. Darüber hinaus habe er zumindest von zwei heimlichen Aufnahmen, die der Kollege im Mai 2008 gefertigt habe, noch während der Mitschnitte Kenntnis erlangt. Er sei dadurch auch an diesen beteiligt gewesen. Wegen der Schwere der Pflichtverletzungen sei dem Beklagten eine Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist nicht zumutbar gewesen. Weder die Dauer des Arbeitsverhältnisses noch das Lebensalter des Klägers, die von ihm aufgezeigten persönlichen Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt und seine Unterhaltspflichten könnten ein anderes Ergebnis rechtfertigen.

48

(2) Bei der Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, dass der Kläger bei Begründung des Arbeitsverhältnisses auf die Bestimmung des § 201 StGB ausdrücklich hingewiesen worden ist. Seinen Einwand, er habe das mit ihm geführte Personalgespräch zur Abwehr möglicher rechtlicher Eingriffe mitgeschnitten, durfte das Landesarbeitsgericht mit der zutreffenden Begründung als unbeachtlich ansehen, dass die befürchteten Eingriffe „im Nebulösen“ verblieben seien. Der Kläger erhebt dagegen keine beachtliche Verfahrensrüge. Soweit er geltend macht, er habe von Anfang an eine Kenntnis von den Tonbandmitschnitten seines Kollegen bestritten, ist seine Verfahrensrüge unzulässig. Der Kläger legt nicht dar, an welcher Stelle welchen Schriftsatzes er dies vorgebracht haben will. Die Rüge ist überdies unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat das Bestreiten des Klägers nicht übergangen, sondern mangels hinreichender Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Beklagten als unbeachtlich angesehen. Dies hält sich im Rahmen tatrichterlicher Würdigung.

49

(3) Das Landesarbeitsgericht hat den Prüfungsmaßstab für die Annahme eines wichtigen Grundes nicht verkannt. Es hat mit Blick auf den Ausschluss der ordentlichen Kündigung gem. § 96 Abs. 3 Satz 1 SGB IX, § 15 Abs. 1, Abs. 2 KSchG zu Recht auf die Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist abgestellt. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht in die Würdigung Pflichtverletzungen des Klägers im Rahmen von Situationen einbezogen hat, in die dieser nur als Vertrauensperson der Schwerbehinderten geraten konnte. In seinem Verhalten liegt zugleich eine Vertragspflichtverletzung. Soweit an den wichtigen Grund in diesem Fall ein „strengerer“ Maßstab anzulegen ist (vgl. dazu BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08 - Rn. 15, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 67 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 67; 5. November 2009 - 2 AZR 487/08 - Rn. 30, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 65 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 64), durfte das Landesarbeitsgericht die Grenze auch angesichts dessen als überschritten ansehen. Der Kläger hat durch die Aufzeichnung des mit ihm selbst geführten Personalgesprächs seine arbeitsvertraglichen Nebenpflichten ganz ohne Amtsbezug verletzt. Er ist deshalb gerade nicht allein durch die Ausübung seines Amts als Vertrauensperson der Schwerbehinderten in Konflikt mit seinen arbeitsvertraglichen Pflichten geraten (lediglich die Beachtung dieses Gesichtspunkts im Rahmen der Interessenabwägung ist gemeint, wenn für diese Fälle auf einen „strengeren“ Maßstab verwiesen wird; vgl. dazu BAG 25. Mai 1982 - 7 AZR 155/80 - zu II 1 a der Gründe). Der Kläger hat die Personalgespräche zudem zu eigenen Zwecken und damit nicht einmal im Hinblick auf sein Amt mitgeschnitten.

50

(4) Das Landesarbeitsgericht hat den Umstand, dass die vom Kläger selbst getätigten Mitschnitte im Kündigungszeitpunkt schon einige Jahre zurücklagen, nicht entscheidend zu seinen Gunsten gewürdigt. Dies ist angesichts der Schwere und Häufigkeit der Pflichtverletzungen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. In Bezug auf die Aufzeichnung von Personalgesprächen durch einen Kollegen hat das Landesarbeitsgericht dem Kläger nicht nur die Verletzung möglicher - nach dessen Auffassung nicht bestehender - Offenbarungspflicht vorgehalten. Es ist vielmehr mit dem Arbeitsgericht zutreffend davon ausgegangen, aus dem Inhalt der Aufzeichnungen ergebe sich, dass der Kläger diese bewusst habe geschehen lassen und auch in der Folge nicht unterbunden habe. Das spreche für seine Beteiligung und Komplizenschaft.

51

(5) Dem vom Kläger angeführten Arbeitsplatzkonflikt, der Anlass für das Personalgespräch am 16. August 2006 gewesen sei, hat das Landesarbeitsgericht zu Recht ebenfalls keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen. Es hat sich durch Bezugnahme auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts die Auffassung zu eigen gemacht, der Kläger habe eine Mitverursachung seines Fehlverhaltens durch den Beklagten nicht nachvollziehbar dargelegt. Dies lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Ein möglicher Konflikt im Zusammenhang mit einer geplanten Versetzung vermag das Verhalten des Klägers nicht zu entschuldigen. Dass und in welcher Weise der Beklagte etwa in unziemlicher Weise gegen ihn vorgegangen wäre, hat er nicht vorgetragen.

52

4. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Frist des § 626 Abs. 2 BGB iVm. § 91 Abs. 2 SGB IX sei eingehalten. Die Frist hat erst am 6. April 2010 zu laufen begonnen. Sie ist durch die Kündigung vom 19. April 2010 gewahrt. Der Beklagte hat alles Gebotene zur Aufklärung des Sachverhalts unternehmen und hierfür die dem Kläger eingeräumte Stellungnahmefrist auf dessen Wunsch bis zum 6. April 2010 verlängern dürfen.

53

5. Die erforderliche Zustimmung des Integrationsamts lag bei Ausspruch der Kündigung vor.

54

II. Die Anträge auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses und vorläufige Weiterbeschäftigung sind dem Senat als uneigentliche Hilfsanträge nicht zur Entscheidung angefallen. Letzterer ist überdies nur auf eine Beschäftigung für die Dauer des Rechtsstreits gerichtet; dieser ist mit der Entscheidung über den Feststellungsantrag rechtskräftig abgeschlossen.

55

III. Die Kosten des Revisionsverfahrens hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO der Kläger zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Rinck    

        

    Rachor    

        

        

        

    A. Claes    

        

    Sieg    

                 

(1) Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen.

(2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.

Tenor

1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 6. Juli 2015 - 7 Sa 124/15 - aufgehoben.

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Weiden vom 4. Februar 2015 - 4 Ca 699/14 - teilweise abgeändert und wie folgt gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten noch darüber, ob das zwischen ihnen begründete Arbeitsverhältnis durch arbeitgeberseitige Kündigung fristlos oder erst mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist beendet wurde.

2

Der Beklagte betreibt mit nicht mehr als zehn Arbeitnehmern ein Transportunternehmen. Sein einziger Kunde ist ein Automobilhersteller, für den er mit schweren Lastkraftwagen „Just-in-time“-Lieferungen durchführt. Der 1984 geborene Kläger wurde zum 5. November 2013 bei dem Beklagten als LKW-Fahrer eingestellt.

3

Außerhalb seiner Arbeitszeit nahm der Kläger am Samstag, dem 11. Oktober 2014, Amphetamin und Methamphetamin („Crystal Meth“) ein. Ab dem darauffolgenden Montag erbrachte er in der Frühschicht ab 04:00 Uhr morgens plangemäß seine Arbeitsleistung. Am Dienstag, dem 14. Oktober 2014, wurde er nach Beendigung seiner Tätigkeit für den Beklagten bei einer Fahrt mit seinem privaten PKW von der Polizei kontrolliert und einem Drogenwischtest unterzogen. Dessen Ergebnis war positiv. Die Blutuntersuchung ergab später, dass der Kläger Amphetamin und Methamphetamin konsumiert hatte.

4

Am Abend des 14. Oktober 2014 rief der Kläger den Beklagten an und teilte ihm mit, dass er seine um 04:00 Uhr des folgenden Tages beginnende Tour nicht fahren könne. Er finde seinen Führerschein nicht. Die Polizei habe ihn kontrolliert und ihm mitgeteilt, er dürfe deswegen nicht mehr fahren. Der Beklagte wies darauf hin, dass die rechtzeitige Belieferung des Kunden sehr wichtig sei und ein Ersatzfahrer nicht zur Verfügung stehe. Der Kläger erklärte sich schließlich dazu bereit, die Tour durchzuführen und nahm seine Tätigkeit dementsprechend am Morgen des 15. Oktober 2014 auf. Am 27. Oktober 2014 sprach der Beklagte den Kläger auf das Telefonat vom 14. Oktober 2014 an. Es könne nicht sein, dass die Polizei ein Fahrverbot ausspreche, nur weil man seinen Führerschein nicht vorlegen könne. Der Kläger räumte daraufhin den positiven Drogenwischtest am 14. Oktober 2014 ein.

5

Mit Schreiben vom 28. Oktober 2014, welches dem Kläger am selben Tag zuging, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung. Das Kündigungsschreiben lautet auszugsweise wie folgt:

        

„Ihnen wurden bereits einige Gründe zu Ihrer Kündigung erläutert.

        

Diese sind insbesondere das laufende Verschlafen Ihrer Arbeitszeiten sowie der illegale Konsum von Betäubungsmitteln.

        

Dies wurde durch einen positiven Drogentest der Polizei am 14.10.2014 festgestellt.

        

Sie teilten dies jedoch nicht unverzüglich uns mit, sondern versuchten die entsprechenden Umstände zu verheimlichen. …

        

Die Einnahme von Drogen gaben Sie nach mehrmaligen Nachfragen und Androhung auf eine Untersuchung über den ASD der BG - Verkehr zu.“

6

Mit seiner am 6. November 2014 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen diese Kündigung gewandt.

7

Nach seiner Auffassung liegt kein hinreichender Grund für eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses vor. Der gesamte Geschehensablauf habe sich im privaten Bereich zugetragen. Es hätten keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung seiner Fahrtüchtigkeit oder eine konkrete Gefährdung des Straßenverkehrs bestanden. Deswegen habe es auch kein Ermittlungsverfahren nach § 315c bzw. § 316 StGB gegeben. Das bloße Begehen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 StVG rechtfertige keine außerordentliche Kündigung. Ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz sei nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Bei einem einmaligen Drogenkonsum hätte ohnehin eine Abmahnung ausgereicht.

8

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung des Beklagten vom 28. Oktober 2014, zugegangen am 28. Oktober 2014, nicht beendet worden ist.

9

Zur Begründung seines Klageabweisungsantrags hat der Beklagte vorgetragen, die fristlose Kündigung sei gerechtfertigt. Der Kläger habe jedenfalls vom 11. bis zum 14. Oktober 2014 unter Drogeneinfluss gestanden und in diesem Zustand ab dem 13. Oktober 2014 den ihm anvertrauten LKW gefahren. Zudem habe er in dem Gespräch am 14. Oktober 2014 den durchgeführten Drogenwischtest nicht erwähnt und dadurch die Möglichkeit einer am nächsten Tag noch bestehenden Fahruntüchtigkeit verschwiegen. Bei Kenntnis von dem positiven Ergebnis des Drogenwischtests wäre dem Kläger die Fahrt am 15. Oktober 2014 wegen des unvertretbaren Risikos einer erneuten Gefährdung des Straßenverkehrs untersagt worden. Erst am 27. Oktober 2014 sei der Sachverhalt aufgeklärt worden. Auf Nachfrage habe der Kläger in diesem Gespräch eingeräumt, dass ein Drogenkonsum evtl. noch festgestellt werden könnte. Der Beklagte habe ihm daraufhin erklärt, dass alle Fahrer sich jährlich beim Gesundheitsdienst der zuständigen Berufsgenossenschaft einer Untersuchung unterziehen müssten und bei dieser auch Blutuntersuchungen vorgenommen würden. Der Kläger habe gebeten, sich einer solchen Untersuchung nicht unterziehen zu müssen.

10

Eine weitere Beschäftigung des Klägers als LKW-Fahrer sei angesichts dessen potentieller Gefährdung des Straßenverkehrs durch Drogenkonsum und des Vertrauensverlusts auch nur für die Zeit der Kündigungsfrist nicht zumutbar gewesen. Außerdem hätte der einzige Kunde den Einsatz eines wegen Drogenmissbrauchs unzuverlässigen Fahrers nicht geduldet. Die Geschäftsbeziehung zu diesem existentiell wichtigen Kunden wäre bei einer Weiterbeschäftigung des Klägers insgesamt gefährdet gewesen. Andere Einsatzmöglichkeiten habe es für den Kläger nicht gegeben. Es würden nur LKW-Fahrer beschäftigt.

11

Das Arbeitsgericht hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung nicht fristlos beendet worden ist, sondern bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 30. November 2014 fortbestanden hat. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt der Beklagte sein Ziel der vollständigen Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe

12

Die zulässige Revision ist begründet. Die streitgegenständliche Kündigung hat das Arbeitsverhältnis gemäß § 626 Abs. 1 BGB ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist mit ihrem Zugang am 28. Oktober 2014 beendet.

13

I. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts liegt ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB vor.

14

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 17. März 2016 - 2 AZR 110/15 - Rn. 17 mwN).

15

2. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um bloße Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es anzuwendende Rechtsbegriffe in ihrer allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 22).

16

3. Dieser Überprüfung hält die angefochtene Entscheidung nicht stand.

17

a) Der Kläger hat in schwerwiegender Weise gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen, indem er am 11. Oktober 2014 Amphetamin und Methamphetamin eingenommen und dennoch ab dem 13. Oktober 2014 seine Tätigkeit als LKW-Fahrer verrichtet hat. Dies stellt einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB dar. Das Landesarbeitsgericht hat bei der vorzunehmenden Interessenabwägung die sich aus der Einnahme von Amphetamin und Methamphetamin für die Tätigkeit eines Berufskraftfahrers typischerweise ergebenden Gefahren nicht hinreichend gewürdigt.

18

aa) Die Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten kann „an sich“ einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB darstellen. Das betrifft sowohl auf die Hauptleistungspflicht bezogene Nebenleistungspflichten, die der Vorbereitung, der ordnungsgemäßen Durchführung und der Sicherung der Hauptleistung dienen und diese ergänzen, als auch sonstige, aus dem Gebot der Rücksichtnahme ( § 241 Abs. 2 BGB ) erwachsende Nebenpflichten (BAG 19. Januar 2016 - 2 AZR 449/15 - Rn. 29 mwN). Es besteht eine Nebenleistungspflicht des Arbeitnehmers, sich nicht in einen Zustand zu versetzen, in dem er seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis nicht erfüllen oder bei Erbringung seiner Arbeitsleistung sich oder andere gefährden kann (vgl. BAG 26. Januar 1995 - 2 AZR 649/94 - zu B III 3 a der Gründe, BAGE 79, 176; ErfK/Müller-Glöge 16. Aufl. § 626 BGB Rn. 137; HWK/Sandmann 7. Aufl. § 626 BGB Rn. 260). Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Fähigkeit zur (sicheren) Erbringung der Arbeitsleistung durch ein Verhalten während oder außerhalb der Arbeitszeit eingeschränkt wurde. So hat der Arbeitnehmer die Pflicht, seine Arbeitsfähigkeit auch nicht durch Alkoholgenuss in der Freizeit zu beeinträchtigen (vgl. BAG 26. Januar 1995 - 2 AZR 649/94 - aaO; 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 22; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 310; Liebscher in Thüsing/Laux/Lembke KSchG 3. Aufl. § 1 Rn. 468; Löwisch in Löwisch/Spinner/Wertheimer KSchG 10. Aufl. § 1 Rn. 213; ErfK/Müller-Glöge § 626 BGB Rn. 137). Ein Berufskraftfahrer hat aufgrund der besonderen Gefahren des öffentlichen Straßenverkehrs jeden die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigenden Alkoholkonsum zu unterlassen (vgl. BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 25; LAG Nürnberg 17. Dezember 2002 - 6 Sa 480/01 - zu II 1 der Gründe; KR/Fischermeier 11. Aufl. § 626 BGB Rn. 423; KR/Griebeling/Rachor § 1 KSchG Rn. 425; Krause in vHH/L 15. Aufl. § 1 Rn. 577; Staudinger/Preis (2016) § 626 Rn. 129 mwN; HaKo/Zimmermann 5. Aufl. § 1 Rn. 360).

19

bb) Nimmt ein Berufskraftfahrer Amphetamin und Methamphetamin ein und führt er dennoch im Rahmen seiner arbeitsvertraglichen Verpflichtung ein Fahrzeug des Arbeitgebers, kommt es wegen der sich aus diesem Drogenkonsum typischerweise ergebenden Gefahren nicht darauf an, ob seine Fahrtüchtigkeit konkret beeinträchtigt ist. Der Pflichtenverstoß liegt bereits in der massiven Gefährdung der Fahrtüchtigkeit.

20

(1) Dies entspricht den Wertungen des öffentlichen Rechts.

21

(a) Nach § 24a Abs. 2 Satz 1 StVG handelt ordnungswidrig, wer unter der Wirkung eines in der Anlage zu dieser Vorschrift genannten berauschenden Mittels im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt. Die Vorschrift erfasst Fahrten unter der Einwirkung bestimmter Rauschmittel, die allgemein geeignet sind, die Verkehrs- und Fahrsicherheit zu beeinträchtigen. Es handelt sich um einen abstrakten Gefährdungstatbestand, bei dem es auf eine tatsächliche Beeinträchtigung der Fahrsicherheit oder Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer im Einzelfall nicht ankommt (vgl. Janker/Hühnermann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker Straßenverkehrsrecht 24. Aufl. § 24a StVG Rn. 5). Amphetamin und Methamphetamin sind in der Anlage zu § 24a StVG genannt. Die Einnahme dieser Substanzen bewirkt zB erhöhte Risikobereitschaft und Enthemmung (vgl. König in Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht 43. Aufl. § 24a StVG Rn. 19).

22

(b) Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV) besteht bei Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) mit Ausnahme von Cannabis keine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Dies gilt unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen. Dementsprechend ist die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 3, §§ 11 bis 14 FeV bereits dann gerechtfertigt, wenn der Fahrerlaubnisinhaber mindestens einmal sogenannte „harte Drogen“ konsumiert hat. Der Fahrerlaubnisbehörde ist insoweit kein Ermessen eingeräumt (BayVGH 15. Juni 2016 - 11 CS 16.879 - Rn. 13; vgl. auch OVG NRW 23. Juli 2015 - 16 B 656/15 - Rn. 5; VGH Baden-Württemberg 7. April 2014 - 10 S 404/14 - Rn. 5; OVG Berlin-Brandenburg 10. Juni 2009 - OVG 1 S 97.09 - Rn. 4; VGH Hessen 21. März 2012 - 2 B 1570/11 - Rn. 6; Sächsisches OVG 28. Oktober 2015 - 3 B 289/15 - Rn. 5; OVG Sachsen-Anhalt 13. April 2012 - 3 M 47/12 - Rn. 6; Thüringer OVG 9. Juli 2014 - 2 EO 589/13 - Rn. 14; Koehl ZfSch 2015, 369 unter B). Zu den „harten Drogen“ zählen auch Amphetamin und Methamphetamin (§ 1 Abs. 1 BtMG iVm. Anlagen II und III zu § 1 Abs. 1 BtMG). Die Anlage 4 zur FeV beruht maßgeblich auf den Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung des Gemeinsamen Beirats für Verkehrsmedizin bei den für Verkehr und Gesundheit zuständigen Bundesministerien, denen ein entsprechendes verkehrsmedizinisches Erfahrungswissen zugrunde liegt und die den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis auf diesem Gebiet wiedergeben (BVerwG 14. November 2013 - 3 C 32.12 - Rn. 19 mwN, BVerwGE 148, 230).

23

(2) Vor diesem Hintergrund kann davon ausgegangen werden, dass die Einnahme von Amphetamin und Methamphetamin die Fahrtüchtigkeit in einem solchen Maß gefährdet, dass dies für sich genommen bei einem Berufskraftfahrer eine Verletzung des Arbeitsvertrags darstellt, wenn er trotz des Drogenkonsums seine Tätigkeit verrichtet. Die drogenbedingte Gefährdung der Fahrtüchtigkeit bewirkt zumindest abstrakt auch eine Gefährdung der Sicherheit des Straßenverkehrs. Im Rahmen seiner arbeitsvertraglichen Verpflichtungen ist der Berufskraftfahrer gehalten, eine solche Gefährdung zu verhindern. Er verletzt durch die Drogeneinnahme seine Verpflichtungen daher auch dann, wenn es trotz des Drogenkonsums nicht zu einer konkreten Einschränkung der Fahrtüchtigkeit oder zu kritischen Verkehrssituationen kommt. Es ist für die Prüfung eines Vertragsverstoßes auch unbeachtlich, ob der Berufskraftfahrer durch seine Fahrtätigkeit eine Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 Satz 1 StVG begeht oder ob die Substanz nicht mehr im Blut nachgewiesen werden kann(§ 24a Abs. 2 Satz 2 StVG).

24

cc) Ausgehend von diesen Grundsätzen liegt hier entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB vor, welcher die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigt.

25

(1) Der Kläger hat in schwerwiegender Weise gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen.

26

(a) Er konsumierte unstreitig am 11. Oktober 2014 Amphetamin und Methamphetamin. Dennoch verrichtete er vom 13. bis zum 15. Oktober 2014 seine Tätigkeit als LKW-Fahrer. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts stand er dabei noch „unter Drogeneinfluss“. Es ist jedenfalls bzgl. der Fahrten am 13. und 14. Oktober 2014 nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht dies aus dem Ergebnis des am Nachmittag des 14. Oktober 2014 durchgeführten Drogenwischtests geschlossen hat. Der Kläger hat damit seine vertraglichen Pflichten verletzt, auch wenn ungeklärt ist, inwieweit seine Fahrtüchtigkeit (noch) konkret beeinträchtigt war. Die Pflichtverletzung besteht, wie ausgeführt, schon in der Aufnahme der Tätigkeit trotz des Drogenkonsums.

27

(b) Diese Pflichtverletzung hat der Kläger schuldhaft begangen. Er handelte mindestens fahrlässig iSd. § 276 Abs. 2 BGB, indem er seine Fahrt am 13. Oktober 2014 um 04:00 Uhr morgens antrat, obwohl er erst zwei Tage vorher Amphetamin und Methamphetamin zu sich genommen hatte. Ihm musste bewusst gewesen sein, dass eine Fahrt unter Drogeneinfluss angesichts dieser kurzen Zeitdauer noch möglich war. Zudem hat er den LKW auch noch am 15. Oktober 2014 geführt, obwohl ihm das drogenbedingt erhöhte Risiko durch den positiven Drogenwischtest am 14. Oktober 2014 vor Augen geführt wurde. Der Umstand, dass der Kläger den Beklagten unstreitig noch am Abend dieses Tages angerufen und fälschlicherweise behauptet hat, er könne die Fahrt am nächsten Morgen wegen eines verlorenen Führerscheins nicht durchführen, lässt darauf schließen, dass er dieses Risiko auch erkannt hatte. Dabei kommt es nicht darauf an, welche Aussagen die Polizei ihm gegenüber gemacht hatte.

28

(c) Deshalb kann hier dahinstehen, unter welchen Umständen ein Berufskraftfahrer bei einem länger zurückliegenden Drogenkonsum davon ausgehen darf, dass keine Auswirkungen mehr bestehen. Auch die Problematik einer suchtbedingt fehlenden Steuerbarkeit des Verhaltens stellt sich nicht (vgl. hierzu BAG 20. Dezember 2012 - 2 AZR 32/11 - Rn. 14; HaKo/Zimmermann 5. Aufl. § 1 Rn. 354). Der Kläger hat nicht behauptet, im fraglichen Zeitraum drogensüchtig gewesen zu sein.

29

(2) Dem Beklagten war die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist auch bei Berücksichtigung der Interessen des Klägers nicht zumutbar. Die zu Gunsten des Klägers ausfallende Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts würdigt nicht alle in Betracht zu ziehenden Umstände. Da die für die Interessenabwägung relevanten Tatsachen sämtlich feststehen, kann der Senat die erforderliche Abwägung selbst vornehmen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 42).

30

(a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Zu berücksichtigen sind regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel - etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung - gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (BAG 22. Oktober 2015 - 2 AZR 569/14 - Rn. 46 mwN, BAGE 153, 111).

31

(b) Das Landesarbeitsgericht hat die außerordentliche Kündigung als unverhältnismäßig angesehen, weil „keine Umstände vorliegen, die den Schluss zulassen, der Kläger sei an den genannten Tagen gefahren, obwohl er fahruntüchtig gewesen sei“. Ein einmaliger Verstoß gegen § 24a Abs. 2 StVG ohne eine konkrete Gefahr für die Interessen des Arbeitgebers könne eine fristlose Kündigung nicht rechtfertigen. Es lägen keine Tatsachen vor, die auf einen regelmäßigen Drogenkonsum des Klägers, welcher seine persönliche Eignung für die Tätigkeit als Berufskraftfahrer in Frage stellen könnte, schließen ließen. Dies ergebe sich auch nicht aus der angeblichen Weigerung des Klägers, sich einer Untersuchung durch den medizinischen Dienst der Berufsgenossenschaft zu unterziehen. Es bestünden keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine generelle Weigerung.

32

(c) Diese Würdigung ist nicht frei von Rechtsfehlern.

33

(aa) Das Landesarbeitsgericht verkennt, dass schon die Einnahme von sogenannten „harten Drogen“ wie Amphetamin und Methamphetamin die Fahrtüchtigkeit in einem solchen Maß gefährdet, dass die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen entfällt. Der kündigungsrelevante Pflichtenverstoß des Klägers ist schon die Gefährdung seiner Fahrtüchtigkeit durch den Drogenmissbrauch vor Fahrtantritt. Ob seine Fahrtüchtigkeit bei den ab dem 13. Oktober 2014 durchgeführten Fahrten konkret beeinträchtigt war und deshalb eine erhöhte Gefahr im Straßenverkehr bestand, ist ohne Bedeutung.

34

(bb) Die vom Landesarbeitsgericht angenommene Erfüllung des Tatbestands des § 24a Abs. 2 StVG mag für sich genommen nicht ausreichen, um die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist anzunehmen. Das Begehen einer solchen Ordnungswidrigkeit wäre aber zu Lasten des Klägers in die Gesamtabwägung einzustellen.

35

(cc) Das Landesarbeitsgericht hat die Bedeutung der Zuverlässigkeit des Klägers im Hinblick auf den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz nicht hinreichend gewürdigt. Nach § 7 Abs. 2 der von der Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrswirtschaft (BG Verkehr) als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung erlassen Unfallverhütungsvorschrift „Grundsätze der Prävention“ dürfen Unternehmer Versicherte, die erkennbar nicht in der Lage sind, eine Arbeit ohne Gefahr für sich oder andere auszuführen, mit dieser Arbeit nicht beschäftigen. Eine Missachtung dieser Vorgaben kann zum Verlust des Versicherungsschutzes in der gesetzlichen Unfallversicherung führen (vgl. BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 25). Dem Beklagten war seit dem 27. Oktober 2014 bekannt, dass der Kläger „harte Drogen“ konsumiert hatte. Er musste daher davon ausgehen, dass ein weiterer Einsatz des Klägers das Risiko weiterer Fahrten unter Drogeneinfluss und damit Gefährdungen des öffentlichen Straßenverkehrs in sich birgt. Aus Sicht des Beklagten bestanden damit auch unabsehbare Risiken bzgl. seiner Haftung und des Versicherungsschutzes. Dies spricht für die Unzumutbarkeit der weiteren Beschäftigung des Klägers für den Beklagten.

36

(dd) Gleiches gilt hinsichtlich des möglichen Auftragsverlusts bei einem weiteren Einsatz des Klägers. Der Beklagte hat vorgetragen, dass der einzige Kunde bei Einsatz eines drogenbedingt unzuverlässigen Fahrers die Zuverlässigkeit des gesamten Unternehmens in Frage gestellt und ggf. den Auftrag entzogen hätte. Dies hat der Kläger nicht substantiiert bestritten. Die sich daraus ergebende wirtschaftliche Bedrohung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht nicht thematisiert.

37

(d) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts war dem Beklagten deshalb die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist auch bei Berücksichtigung der Interessen des Klägers nicht zumutbar.

38

(aa) Der Kläger hat eine Pflichtverletzung begangen, durch welche er nicht nur sich selbst, sondern auch andere Verkehrsteilnehmer sowie Güter des Beklagten zumindest potentiell in Gefahr gebracht hat. An der Schwere dieser Pflichtverletzung ändert es nichts, wenn es sich um einen einmaligen Drogenkonsum gehandelt haben sollte. Hätte der Kläger damals regelmäßig Drogen dieser Art konsumiert, hätte eine gesteigerte Wiederholungsgefahr bestanden, die zu Lasten des Klägers gewürdigt werden müsste.

39

(bb) Zu Gunsten des Klägers kann nicht berücksichtigt werden, dass es zu keinem Unfall kam. Zum einen kann dies als ein mehr oder minder zufälliger Umstand bei der Abwägung außer Betracht bleiben (vgl. bereits BAG 22. August 1963 - 2 AZR 114/63 -). Zum anderen würde das durch den Pflichtenverstoß geschaffene Risiko im Nachhinein unangemessen relativiert.

40

(cc) Soziale Belange rechtfertigen kein Überwiegen des Interesses des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist. Das Arbeitsverhältnis bestand erst seit knapp einem Jahr. Die persönliche Situation des Klägers lässt keine besondere Schutzwürdigkeit erkennen.

41

(dd) Die außerordentliche Kündigung ist keine unverhältnismäßige Reaktion auf die Pflichtverletzung des Klägers. Eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz war nicht möglich. Der Beklagte beschäftigt nach seinem unbestrittenen Vortrag ausschließlich Fahrer. Eine Abmahnung war entbehrlich. Die Pflichtverletzung des Klägers war so schwerwiegend, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Beklagten nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich ausgeschlossen war (vgl. BAG 19. November 2015 - 2 AZR 217/15 - Rn. 24; 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 22, BAGE 150, 109).

42

b) Das Landesarbeitsgericht hat nicht berücksichtigt, dass der Beklagte die außerordentliche Kündigung ausweislich des Kündigungsschreibens auch damit begründet hat, dass der Kläger ihn in dem Telefonat am 14. Oktober 2014 nicht über den durchgeführten Drogenwischtest informiert, sondern fälschlicherweise behauptet habe, er dürfe wegen eines verlorenen Führerscheins am nächsten Tag nicht fahren. Dieses Verhalten des Klägers rechtfertigt für sich genommen die fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

43

aa) Eine Nebenpflicht des Arbeitnehmers besteht darin, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen ( § 241 Abs. 2 BGB ). Diese Pflicht dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks ( BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13  - Rn. 19 mwN). Aus ihr leitet sich die allgemeine Pflicht des Arbeitnehmers ab, den Arbeitgeber im Rahmen des Zumutbaren unaufgefordert und rechtzeitig über Umstände zu informieren, die einer Erfüllung der Arbeitspflicht entgegenstehen (BAG 26. März 2015 - 2 AZR 517/14 - Rn. 24). Deshalb hat ein Arbeitnehmer den Verlust seiner Fahrerlaubnis unverzüglich mitzuteilen, wenn er diese für die Erbringung seiner Arbeitsleistung benötigt (vgl. Künzl/Sinner NZA-RR 2013, 561, 565). Zu den Nebenpflichten gehört auch die Schadensabwendungspflicht, nach welcher der Arbeitnehmer gehalten ist, drohende Schäden vom Arbeitgeber abzuwenden bzw. zu beseitigen, soweit ihm dies möglich und zumutbar ist. In Zusammenhang damit steht die Verpflichtung des Arbeitnehmers, bemerkbare oder voraussehbare Schäden oder Gefahren dem Arbeitgeber unverzüglich anzuzeigen (BAG 28. August 2008 - 2 AZR 15/07 - Rn. 21). Verstößt der Arbeitnehmer zumindest bedingt vorsätzlich gegen seine aus § 241 Abs. 2 BGB abzuleitende Pflicht, im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren drohende Schäden vom Arbeitgeber abzuwenden, liegt darin eine erhebliche Pflichtverletzung, die den Arbeitgeber grundsätzlich zur Kündigung aus wichtigem Grund berechtigt(vgl. BAG 18. Juni 2015 - 2 AZR 256/14 - Rn. 25).

44

bb) Der Kläger hatte die Pflicht, den Beklagten unverzüglich über das Ergebnis des Drogenwischtests am 14. Oktober 2014 zu informieren. Dies gilt auch angesichts des Umstands, dass der Test auf die polizeiliche Kontrolle einer Privatfahrt zurückzuführen ist. Der Bezug zum Arbeitsverhältnis ergibt sich aus der Einteilung des Klägers in die am nächsten Morgen um 04:00 Uhr beginnende Frühschicht. Dem Kläger wurde durch das Ergebnis des Drogenwischtests unmissverständlich verdeutlicht, dass der Drogenkonsum am vorangegangenen Samstag seine Fahrtüchtigkeit noch immer erheblich in Frage stellt. Seine Fähigkeit zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Vertragspflichten als LKW-Fahrer war damit zumindest bezogen auf den nächsten Tag zweifelhaft. Angesichts der mit einem Einsatz des Klägers zumindest abstrakt verbundenen Gefahren für den Straßenverkehr und Güter des Beklagten musste der Beklagte offensichtlich über diese Situation unterrichtet werden, um ihm eine Entscheidung bzgl. der weiteren Vorgehensweise auf zutreffender Tatsachengrundlage zu ermöglichen.

45

cc) Diese Pflicht hat der Kläger nicht erfüllt. Er hat in dem Telefonat am Abend des 14. Oktober 2014 die Polizeikontrolle und deren Ergebnis vielmehr wahrheitswidrig dargestellt, indem er behauptet hat, er dürfe nach polizeilicher Auskunft am nächsten Tag den LKW nicht fahren, weil er seinen Führerschein verlegt habe. Über den wirklichen Sachverhalt hat er den Beklagten nicht informiert.

46

dd) Diese Pflichtverletzung stellt einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB dar.

47

(1) Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung ist zu Lasten des Klägers nicht nur die Schwere der Vertragsverletzung zu berücksichtigen, sondern auch die bewusste Täuschung des Beklagten über die Geschehnisse am 14. Oktober 2014. Der Beklagte hat im Kündigungsschreiben zu Recht angeführt, der Kläger habe versucht, „die entsprechenden Umstände zu verheimlichen“. Der Kläger hat mit seiner Vorgehensweise dem auch für die kurzfristige Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderlichen Vertrauen des Beklagten die Grundlage entzogen. Der Beklagte konnte sich nicht mehr sicher sein, dass der Kläger ihn über sicherheitsrelevante Vorgänge pflichtgemäß unterrichtet. Da der Beklagte auf die Zuverlässigkeit der Mitteilungen seiner Fahrer angewiesen ist, war ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zumutbar.

48

(2) Eine Abmahnung war auch bzgl. dieses gravierenden Pflichtenverstoßes entbehrlich. Der Kläger konnte nicht erwarten, dass der Beklagte die irreführende Darstellung der Polizeikontrolle akzeptiert.

49

c) Selbst wenn die beiden angeführten Kündigungsgründe für sich genommen die fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht rechtfertigen würden, wäre die außerordentliche Kündigung jedenfalls bei einer Gesamtbetrachtung wirksam. Der Kläger hat durch die für einen Berufskraftfahrer unverantwortbare Gefährdung seiner Fahrtüchtigkeit in Verbindung mit dem Versuch einer Vertuschung des Drogenwischtests die für das Arbeitsverhältnis unabdingbare Vertrauensgrundlage zerstört.

50

II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).

51

1. Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB ist bzgl. beider Kündigungsgründe gewahrt. Sie beginnt nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald er eine zuverlässige und hinreichend vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 54 mwN). Der Beklagte hat hier nach seinem insoweit unbestrittenen Vortrag erst im Gespräch am 27. Oktober 2014 von den maßgeblichen Umständen Kenntnis erlangt. Der Zugang der Kündigung erfolgte bereits am 28. Oktober 2014.

52

2. Die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 28. Oktober 2014 ergibt sich auch nicht aus anderen Umständen. Solche sind weder behauptet noch ersichtlich.

53

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

        

    Fischermeier    

        

    Spelge    

        

    Krumbiegel     

        

        

        

    Wollensak    

        

    Döpfert     

                 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 26. November 2013 - 7 Sa 444/12 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung und über einen Auflösungsantrag des beklagten Landkreises.

2

Die Klägerin ist Dipl.-Verwaltungswirtin. Sie war bei dem beklagten Landkreis seit Oktober 2010 als Angestellte beschäftigt. Ihr war die Leitung der Erhebungsstelle Zensus übertragen. Auf das Arbeitsverhältnis fand aufgrund arbeitsvertraglicher Verweisung der TVöD-VKA Anwendung.

3

Am 22. April 2012 fand die Wahl des Landrats statt. Der Amtsinhaber stellte sich zur Wiederwahl. Die parteilose Klägerin kandidierte ebenfalls. Sie warb mit einem Flyer für sich. In diesem stellte sie die „Säulen“ ihrer Politik vor, als welche sie „Transparenz in der Verwaltung“, „Bürgernahe Politik“ und „Jugend, Familien und Senioren“ bezeichnete. Zum Punkt „Transparenz in der Verwaltung“ hieß es in dem Flyer:

        

„Wie der jüngste Umweltskandal in [B.] und der Subventionsbetrug am [Rathaus in C.] beweist, deckt der amtierende Landrat sogar die Betrügereien im Kreis. Ich stehe für eine transparente Politik, die Gesetze einhält und die Pflichtaufgaben des Landkreises überprüft.“

4

Der Flyer lag einem lokalen Anzeigenblatt bei, das am 18. April 2012 mit einer Auflage von 28.700 verteilt wurde.

5

Nach Beteiligung des Personalrats kündigte der beklagte Landkreis das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 21. April 2012 außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 30. Juni 2012. Er warf der Klägerin üble Nachrede und Beleidigung seines Repräsentanten vor.

6

Gegen die Kündigung hat die Klägerin rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Sie hat gemeint, es sei weder ein Grund für die außerordentliche noch für die ordentliche Kündigung gegeben. Sie habe sich nicht im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses geäußert, sondern als Kandidatin im Wahlkampf. Ihr Flyer werde missverstanden. Es sei ihr nicht darum gegangen, den amtierenden Landrat persönlich zu diffamieren, einer Straftat zu bezichtigen oder gar zu beleidigen. Sie habe vielmehr zum Ausdruck bringen wollen, dass der Landrat im Hinblick auf den Umweltskandal in B. und die Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der Sanierung des Rathauses in C. nichts unternommen habe und stattdessen transparenter und in der Öffentlichkeit aktiver mit diesem Thema hätte umgehen müssen. Das sei von der Meinungsfreiheit gedeckt. Im Übrigen habe sie nur Vorwürfe wiederholt, die zuvor in der Presse erhoben worden seien. Die Klägerin hat zudem die Personalratsbeteiligung als fehlerhaft gerügt.

7

Sie hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die fristlose Kündigung noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 21. April 2012 aufgelöst wurde;

        

2.    

den beklagten Landkreis zu verurteilen, sie als Sachbearbeiterin zu den Bedingungen des Arbeitsvertrags vom 27. September 2010 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens weiter zu beschäftigten.

8

Der beklagte Landkreis hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise, das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2012 gegen Zahlung einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Abfindung aufzulösen.

9

Er hat die Kündigung für wirksam gehalten. Die Klägerin habe dem Landrat wider besseres Wissen unterstellt, dieser decke Betrügereien, sei also aktiv am Vertuschen von Straftaten beteiligt und erfülle damit den Straftatbestand der Strafvereitelung. Die Unterstellung krimineller Machenschaften sei eine von der Meinungsfreiheit nicht gedeckte grobe Beleidigung und üble Nachrede. Der Landrat müsse dies auch im Wahlkampf nicht hinnehmen. Solche Vorwürfe habe es in der Presse nicht gegeben. Der Personalrat sei ordnungsgemäß beteiligt worden. Zumindest sei das Arbeitsverhältnis nach § 9 KSchG aufzulösen. Der Betriebsfrieden sei nachhaltig gestört. Schon früher habe es wegen einer Konkurrentenklage Spannungen mit der Klägerin gegeben. Diese müsse sich außerdem das Verhalten ihres Vaters zurechnen lassen. Der habe die Landratswahl angefochten. Seine verbalen Ausfälle gegen den Kreiswahlleiter und die Mitarbeiter des Kreiswahlbüros zeigten deutlich, dass eine gedeihliche Zusammenarbeit auch mit der Klägerin nicht mehr möglich sei.

10

Die Klägerin hat beantragt, den Auflösungsantrag abzuweisen.

11

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben, den Auflösungsantrag des Beklagten hat es abgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der beklagte Landkreis die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat richtig entschieden.

13

I. Die fristlose Kündigung hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

14

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar war oder nicht (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 39; 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 16).

15

2. Als wichtiger Grund kann neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet sein, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 40; 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 19). Zu diesen Nebenpflichten zählt insbesondere die Pflicht der Arbeitsvertragsparteien zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des jeweils anderen Teils (§ 241 Abs. 2 BGB). Danach hat der Arbeitnehmer seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - aaO; 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - aaO mwN).

16

3. Eine in diesem Sinne erhebliche Pflichtverletzung stellen ua. grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen dar (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 14, BAGE 138, 312). Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen über seinen Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen aufstellt, insbesondere dann, wenn die Erklärungen den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 41; 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - aaO).

17

a) Ein Arbeitnehmer kann sich für bewusst falsche Tatsachenbehauptungen nicht auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG berufen. Solche Behauptungen sind vom Schutzbereich des Grundrechts nicht umfasst (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19). Anderes gilt für Äußerungen, die nicht Tatsachenbehauptungen, sondern ein Werturteil enthalten. Sie fallen in den Schutzbereich des Rechts auf Meinungsfreiheit. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 18; 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21). Darauf kann sich auch ein Arbeitnehmer berufen. Mit der Bedeutung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit wäre es unvereinbar, wenn es in der betrieblichen Arbeitswelt nicht oder nur eingeschränkt anwendbar wäre (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 42; 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - Rn. 24 mwN). Der Grundrechtsschutz besteht dabei unabhängig davon, welches Medium der Arbeitnehmer für seine Meinungsäußerung nutzt und ob diese rational oder emotional, begründet oder unbegründet ist. Vom Grundrecht der Meinungsfreiheit umfasste Äußerungen verlieren den sich daraus ergebenden Schutz selbst dann nicht, wenn sie scharf oder überzogen geäußert werden (vgl. BVerfG 28. November 2011 - 1 BvR 917/09 - Rn. 18 mwN).

18

b) Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG ist allerdings nicht schrankenlos gewährleistet. Es ist gemäß Art. 5 Abs. 2 GG durch die allgemeinen Gesetze und das Recht der persönlichen Ehre beschränkt. Mit diesen muss es in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden (BVerfG 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1; 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 7, 198; BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 42; 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 35). Auch § 241 Abs. 2 BGB gehört zu den allgemeinen, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit beschränkenden Gesetzen. Zwischen der Meinungsfreiheit und dem beschränkenden Gesetz findet demnach eine Wechselwirkung statt. Die Reichweite der Pflicht zur vertraglichen Rücksichtnahme muss ihrerseits unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts bestimmt, der Meinungsfreiheit muss dabei also die ihr gebührende Beachtung geschenkt werden - und umgekehrt (vgl. BVerfG 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - aaO; 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] aaO).

19

aa) Im Rahmen der Abwägung fällt die Richtigkeit des Tatsachengehalts, der dem Werturteil zugrunde liegt, ins Gewicht (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19; 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1). Handelt es sich bei einem Werturteil um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, dann spricht die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede (BVerfG 22. Juni 1982 - 1 BvR 1376/79 - zu B II 1 a der Gründe, BVerfGE 61, 1; 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] zu B II 4 der Gründe, BVerfGE 7, 198).

20

bb) Erweist sich das in einer Äußerung enthaltene Werturteil als Formalbeleidigung oder Schmähkritik, muss die Meinungsfreiheit regelmäßig zurücktreten (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 23; 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - zu C III 2 der Gründe, BVerfGE 93, 266). Allerdings macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Erklärung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Dafür muss hinzutreten, das bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht, die diese jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll (vgl. BVerfG 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - aaO; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 36; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 17, BAGE 138, 312; BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 4 a der Gründe).

21

4. Danach ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Klägerin habe ihre Pflicht zur Rücksichtnahme gemäß § 241 Abs. 2 BGB nicht verletzt, nicht zu beanstanden. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, bei den Äußerungen der Klägerin in dem Wahl-Werbeflyer habe es sich um eine vom Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützte Meinungsäußerung gehandelt. Diese habe die Grenze zur Schmähkritik nicht überschritten und gehe, da sie im Wahlkampf erfolgt sei, der Pflicht zur Rücksichtnahme gegenüber dem beklagten Landkreis vor.

22

a) Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, die Aussagen der Klägerin in dem am 18. April 2012 verteilten Flyer stellten nicht schon deshalb keine Vertragspflichtverletzung dar, weil sie außerdienstlich und überdies im Wahlkampf gefallen seien. Die Klägerin hat die Amtswahrnehmung des Landrats kritisiert. Das berührt unmittelbar die Belange auch des beklagten Landkreises.

23

b) Das vom Landesarbeitsgericht zugrunde gelegte Verständnis der Äußerungen in dem Flyer ist nicht zu beanstanden. Das Gericht hat angenommen, die Wahlwerbung sei nicht zwingend dahin zu verstehen, die Klägerin habe dem amtierenden Landrat kriminelles Verhalten vorgeworfen. Ebenso gut sei eine mildere, politische Deutung möglich. Danach habe die Klägerin dem Landrat den Vorwurf gemacht, bei Betrügereien im Landkreis das Licht der Öffentlichkeit zu scheuen und damit demokratische Kontrolle zu behindern. Insofern handele es sich um eine Meinungsäußerung, die dem Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG unterfalle. Die dagegen vom beklagten Landkreis vorgebrachten Einwände greifen nicht durch.

24

aa) Ob der Sinn einer Meinungsäußerung vom Berufungsgericht zutreffend erfasst worden ist, ist vom Revisionsgericht uneingeschränkt zu überprüfen (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 47; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 15, BAGE 138, 312).

25

(1) Für die Ermittlung des Aussagegehalts einer schriftlichen Äußerung ist darauf abzustellen, wie sie vom Empfänger verstanden werden muss. Dabei ist eine isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils regelmäßig nicht ausreichend. Vielmehr sind der sprachliche Kontext und die sonstigen erkennbaren Begleitumstände zu berücksichtigen (BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 15, BAGE 138, 312; vgl. auch BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 3 der Gründe). Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des von ihr Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 20; 12. Mai 2009 - 1 BvR 2272/04 - Rn. 31). Mehrdeutige Äußerungen dürfen wegen eines möglichen Inhalts nicht zu nachteiligen Folgen führen, ohne dass eine Deutung, die zu einem von der Meinungsfreiheit gedeckten Ergebnis führen würde, mit schlüssigen, überzeugenden Gründen ausgeschlossen worden ist (BVerfG 12. Mai 2009 - 1 BvR 2272/04 - aaO mwN; BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 46).

26

(2) Während für Werturteile die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage kennzeichnend ist, werden Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit charakterisiert (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 40). Anders als Werturteile sind Tatsachenbehauptungen daher grundsätzlich dem Beweis zugänglich (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21; 13. April 1994 - 1 BvR 23/94 - zu B II 1 b der Gründe, BVerfGE 90, 241). Gilt für Meinungsäußerungen, insbesondere im öffentlichen Meinungskampf, bei der Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Rechtsgut, in dessen Interesse sie durch ein allgemeines Gesetz eingeschränkt werden kann, eine Vermutung zu Gunsten der freien Rede, gilt dies für Tatsachenbehauptungen nicht in gleicher Weise (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 18 mwN). Ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Meinungsäußerung oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist, beurteilt sich nach dem Gesamtkontext, in dem sie steht (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - aaO). Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird den Anforderungen an eine zuverlässige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - aaO). Auch eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile einer Äußerung ist nur zulässig, wenn dadurch ihr Sinn nicht verfälscht wird (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - aaO). Wo dies der Fall wäre, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden. Anderenfalls drohte eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtschutzes (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - aaO mwN).

27

(3) In der Verwendung eines Rechtsbegriffs liegt nur dann eine Tatsachenbehauptung, wenn die Beurteilung nicht als bloße Rechtsauffassung kenntlich gemacht ist, sondern beim Adressaten zugleich die Vorstellung von konkreten, in die Wertung eingebetteten tatsächlichen Vorgängen hervorruft, die als solche einer Überprüfung mit den Mitteln des Beweises zugänglich sind. Dabei kommt es auch hier entscheidend auf den Zusammenhang an, in dem der Rechtsbegriff verwendet wird (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 28; BGH 27. April 1999 - VI ZR 174/97 - zu II 2 a der Gründe; 22. Juni 1982 - VI ZR 255/80 - zu 2 b der Gründe).

28

bb) Danach enthält die Annahme des Landesarbeitsgerichts, es sei ein - verglichen mit der Deutung des Beklagten - milderes, nämlich politisches Verständnis der Äußerung der Klägerin ohne Weiteres möglich, keinen Rechtsfehler. Das Landesarbeitsgericht hat den möglichen Aussagegehalt der fraglichen Äußerung nach ihrem Kontext beurteilt und dabei berücksichtigt, dass es sich um eine Äußerung im Rahmen von Wahlwerbung, also als Teil der politischen Auseinandersetzung mit einem Gegenkandidaten handelte. Die Aussage über dessen Amtswahrnehmung war in das eigene „Drei-Säulen-Programm“ der Klägerin eingebettet. Mit der Formulierung, der amtierende Landrat „decke“ Betrügereien im Landkreis, war deshalb nicht notwendigerweise der Vorwurf verbunden, der Landrat habe sich selbst - etwa der Strafvereitelung - strafbar gemacht. Ebenso gut lässt sich die Äußerung dahin verstehen, der Landrat habe politisch nicht genügend zur Aufklärung der aufgeführten - angeblichen - Missstände unternommen. Diese Deutung liegt angesichts der von der Klägerin an gleicher Stelle hervorgehobenen Bedeutung von Transparenz im Verwaltungshandeln sogar näher. Daran ändern der Fettdruck und die farbige Gestaltung des Flyers unter Nutzung von Fotomaterial nichts. Der Vorwurf wiegt politisch schwer genug, um als ein aus Sicht der Klägerin maßgebliches und gestalterisch zu unterstreichendes Argument in der Auseinandersetzung mit ihrem Gegenkandidaten betont zu werden.

29

cc) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht in der Äußerung der Klägerin über den amtierenden Landrat ihrem Schwerpunkt nach ein Werturteil gesehen, und nicht eine dem Wahrheits- oder Unwahrheitsbeweis zugängliche Tatsachenbehauptung.

30

(1) Der Vorwurf, nicht genug zur Aufklärung - vermeintlicher - Betrügereien im öffentlichen Bereich getan zu haben, umschreibt kein spezifisches, einem objektiven Wahrheitsbeweis zugängliches Verhalten (für den Begriff „decken“ als Teil der Passage: „Besonders gefährlich sind die …, die [Herr] F.G. deckt“ ebenso EGMR 17. April 2014 - 5709/09 - Rn. 50). Der Vorwurf kann im vorliegenden Zusammenhang vielmehr schon das Unterlassen höherer Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts oder auch nur mangelndes Interesse daran zum Gegenstand haben. Die Gründe dafür, schon in bloßer Passivität politisch ein „Decken“ von Missständen zu erblicken, können unterschiedlich sein und hängen erkennbar von der subjektiven Einschätzung des Betrachters ab. Der Vorwurf, etwas zu „decken“, bringt daher vor allem die Meinung zum Ausdruck, der Betreffende habe nicht alles von ihm zu Fordernde zur Aufklärung unternommen. Ob eine solche Wertung berechtigt erscheint, ist eine Frage des Dafürhaltens und Meinens ohne konkret fassbaren Tatsachenkern.

31

(2) Dies gilt auch dann, wenn man in die Auslegung einbezieht, dass die Klägerin dem Landrat vorgeworfen hat, „Betrügereien“ im Landkreis zu decken, wie der jüngste „Umweltskandal“ in B. und der „Subventionsbetrug“ am Rathaus in C. bewiesen. Aus der Bezugnahme auf die solcherart umschriebenen Vorgänge ergibt sich zwar erst die Relevanz des Vorwurfs. Hätte die Klägerin neutraler von bloßen „Vorgängen“ gesprochen, hätte der Vorhalt, nicht genug zu deren Aufklärung getan zu haben, nicht das gleiche Gewicht gehabt. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht aber auch in der Verwendung dieser Begriffe keine dem Beweis zugänglichen Tatsachenbehauptungen gesehen. Die Ausdrücke „Umweltskandal“ und „Betrügereien“ sind dafür zu unbestimmt. Der Terminus „Subventionsbetrug“ ist zwar ein Rechtsbegriff, der den Straftatbestand des § 264 StGB bezeichnet. Ein verständiger Leser verknüpft mit seiner Verwendung in dem Wahl-Werbeflyer der Klägerin aber nicht die Vorstellung von konkreten, strafrechtlich relevanten Vorgängen, die einer Überprüfung mit den Mitteln des Beweises zugänglich wären. Die von der Klägerin verwendeten Formulierungen dienten im Rahmen des Wahlkampfs ersichtlich als pointierte Schlagworte zur Beschreibung der von ihr ausgemachten Missstände, um die Leser ggf. dazu zu animieren, sich über die fraglichen Vorgänge selbst näher zu unterrichten. Soweit die Klägerin von „Subventionsbetrug“ spricht, ist damit erkennbar allenfalls eine pauschale Umschreibung gemeint, ohne dass diese einen fassbaren Tatsachenkern zum Gegenstand hätte. Es kommt daher nicht darauf an, ob es, wie der Beklagte im Revisionsverfahren geltend gemacht hat, „unstreitig“ feststeht, dass es „derartige Straftaten“ weder in B. noch in C. gegeben habe. Das Landesarbeitsgericht hat im Übrigen eine solche Feststellung nicht getroffen; einen Antrag nach § 320 Abs. 1 ZPO hat der Beklagte nicht gestellt, eine zulässige Verfahrensrüge hat er nicht erhoben.

32

(3) Der Ausdruck, die genannten Vorgänge „bewiesen“, dass der amtierende Landrat Betrügereien im Landkreis decke, ändert nichts am Charakter der Aussage als Meinungsäußerung. „Beweisen“ steht im gegebenen Zusammenhang für „belegen“ oder „zeigen“. Die Klägerin erklärt damit, sie halte das von ihr kritisierte Verhalten des Landrats durch die angesprochenen Vorfälle für belegt oder erwiesen. Ob dies gerechtfertigt ist, ist erneut eine Frage des Dafürhaltens und Meinens, ohne dass konkret fassbare Tatsachen behauptet würden. Selbst im Rechtssinne erfordert die Frage, ob etwas „bewiesen“ ist, eine wertende Betrachtung. In einem nicht juristischen Kontext wie hier liegt erst recht ein wertender Gebrauch nahe (vgl. zu den Begriffen „absichtlich“ und „bewusst“ BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 19).

33

(4) Ein anderes Verständnis verlangt auch nicht die anschließende Formulierung, die Klägerin stehe für eine transparente Politik, die „Gesetze einhält und die Pflichtaufgaben des Landkreises überprüft“. Damit wird dem bisherigen Landrat nicht implizit und zwingend vorgeworfen, die Gesetze verletzt zu haben. Ebenso gut lässt sich die Aussage dahin verstehen, die Klägerin wolle hervorheben, dass sie als Landrätin möglichen Gesetzesverstößen konsequenter und transparenter nachgehe. Auch dies ergibt sich nicht zuletzt aus dem Zusammenhang der Äußerung mit der von ihr so bezeichneten Säule ihrer Politik „Transparenz in der Verwaltung“.

34

dd) Das Landesarbeitsgericht hat die an die Öffentlichkeit gerichteten schriftlichen Aussagen der Klägerin zu Recht aus der objektiven Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums ausgelegt. Entgegen der Auffassung des beklagten Landkreises kommt es nicht darauf an, ob der Flyer überwiegend politisch interessierte oder desinteressierte Empfänger erreichte und ob diese um den Erhalt der Informationen gebeten hatten oder nicht. Die von dem Beklagten angestellten Schlussfolgerungen sind überdies nicht zwingend. Gerade ein nur flüchtiger, politisch desinteressierter und möglicherweise außerhalb des Wahlkampfgebiets ansässiger Leser des Flyers wird dessen Aussagen kaum auf einen konkreten Tatsachenkern bezogen haben.

35

c) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht der Meinungsfreiheit der Klägerin Vorrang vor ihrer Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Beklagten eingeräumt.

36

aa) Allerdings kann es die vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB gebieten, dass es ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes unterlässt, die Amtswahrnehmung von Repräsentanten seines Arbeitgebers in der Öffentlichkeit herabzuwürdigen. Unter welchen Voraussetzungen dies anzunehmen ist, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Die Klägerin hat ihre Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des beklagten Landkreises deshalb nicht verletzt, weil deren Reichweite ihrerseits unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit bestimmt werden muss.

37

bb) Bei der Würdigung der fraglichen Erklärungen fällt entscheidend ins Gewicht, dass es sich um Äußerungen der Klägerin über einen Gegenkandidaten im laufenden Wahlkampf gehandelt hat. Ein Wahlbewerber muss sich in einer solchen Situation ggf. auch überzogener Kritik stellen. Die Grenzen zulässiger Kritik sind gegenüber einem Politiker weiter gefasst als gegenüber einer Privatperson (zu Art. 10 Abs. 1 EMRK vgl. EGMR 17. April 2014 - 5709/09 - Rn. 41). Auch als Beschäftigte des betroffenen Landkreises durfte die Klägerin für das Amt des Landrats kandidieren und sich im Rahmen ihrer Wahlwerbung mit der Amtsausübung des seinerseits kandidierenden Landrats auseinandersetzen. Durch ihre Kandidatur und ihre öffentlichen Äußerungen setzte sich die Klägerin gleichermaßen selbst der kritischen Überprüfung aus (vgl. zu diesem Kriterium EGMR 17. April 2014 - 5709/09 - Rn. 39). In einem öffentlichen Wahlkampf ist auch ein Arbeitnehmer nicht darauf verwiesen, Kritik an der Amtsausübung eines Gegenkandidaten, der zugleich Repräsentant seines Arbeitgebers ist, zunächst nur intern zu äußern. Es geht gerade um den öffentlichen Meinungskampf, in dessen Rahmen ansonsten zu beachtende vertragliche Pflichten zur Rücksichtnahme, soweit im Interesse der Meinungsfreiheit erforderlich, zurücktreten müssen. Die Klägerin war als Leiterin der Erhebungsstelle Zensus nicht unmittelbar persönlich für den amtierenden Landrat tätig. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob von ihr anderenfalls eine weitergehende Zurückhaltung auch in einem öffentlichen Wahlkampf hätte verlangt werden können.

38

cc) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Grenzen zur Schmähkritik seien nicht überschritten. Bei den Äußerungen der Klägerin stand nicht die persönliche Diffamierung des amtierenden Landrats im Vordergrund. Die Klägerin hat nach dem vom Berufungsgericht zutreffend zugrunde gelegten Verständnis ihrer Erklärungen nicht dem Landrat selbst „kriminelle Machenschaften“ unterstellt. Sie hat vielmehr, wenn auch in zugespitzter Form, Kritik an dessen Amtswahrnehmung geübt und damit ein bereits zuvor in der Öffentlichkeit diskutiertes Thema aufgegriffen (vgl. bspw. die Pressemitteilung der Deutschen Umwelthilfe vom 2. November 2011 als Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 28. Januar 2013: „Das Landratsamt verharmlost … und blockiert…“). Es ging - entgegen der Auffassung des Beklagten - um eine politische Frage von öffentlichem Interesse (vgl. zu diesem Kriterium EGMR 17. April 2014 - 5709/09 - Rn. 42), hier das Erfordernis transparenten Verwaltungshandelns.

39

dd) Die Klägerin hat die Kritik an der Amtswahrnehmung ihres Gegenkandidaten nicht ins Blaue hinein erhoben. An einem solchen Beitrag bestünde auch im politischen Wahlkampf kein anerkennenswertes Interesse. Sie hat sich vielmehr darauf berufen, in der Presse veröffentlichte Berichte und öffentlich diskutierte Vorgänge aufgegriffen zu haben. Ihrer kritischen Bewertung der Amtsausübung des Landrats lag damit zumindest die Tatsache zugrunde, dass die Vorgänge in B. und C. und die Rolle des Landratsamts in der Öffentlichkeit als aufklärungsbedürftig angesehen worden waren. Der beklagte Landkreis mag zwar zutreffend geltend gemacht haben, der Landrat sei in der Presse nicht „krimineller Machenschaften“ bezichtigt worden. Ein solcher Aussagegehalt kommt aber - wie ausgeführt - auch dem Flyer der Klägerin nicht zu. Handelt es sich stattdessen um ein Werturteil - hier über die Amtsausübung des Landrats - und bei diesem um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, spricht eine Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede (BVerfG 22. Juni 1982 - 1 BvR 1376/79 - zu B II 1 a der Gründe, BVerfGE 61, 1; 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] zu B II 4 der Gründe, BVerfGE 7, 198). Sie beschränkt sich entgegen der Auffassung des Beklagten nicht auf spontane, mündliche Äußerungen. Vielmehr schützt Art. 5 Abs. 1 GG die freie Meinungsäußerung „in Wort, Schrift und Bild“(vgl. BVerfG 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] aaO: ua. schriftlicher Boykottaufruf; 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 -: Veröffentlichung eines „Denkzettels“ im Internet). Bei einer spontanen, mündlichen Erklärung mag außerdem die mögliche Unbedachtheit einer gewählten Formulierung zu berücksichtigen sein.

40

ee) Die Äußerung der Klägerin ging nach Form und Zeitpunkt nicht über das in einem Wahlkampf hinzunehmende Maß hinaus.

41

(1) Der beklagte Landkreis hat geltend gemacht, die Klägerin habe offensichtlich um jeden Preis potentielle Wähler für sich gewinnen wollen. Dabei lässt er außer Acht, dass sie dies nicht durch eine persönliche Diffamierung des amtierenden Landrats, sondern durch eine politische Stellungnahme zu dessen Amtswahrnehmung versucht hat. Dass sie damit zugleich beabsichtigt haben dürfte, die Wähler gegen den amtierenden Landrat und für sich selbst einzunehmen, ist nicht zu missbilligender Zweck eines Wahlkampfs.

42

(2) Ob der Vorgang anders zu beurteilen wäre, wenn die Klägerin zur Unterstützung ihrer Äußerungen ihren Dienst beim Beklagten in die Waagschale geworfen und den Lesern zB das Vorhandensein darauf beruhender besonderer Einblicke in die Zusammenhänge suggeriert hätte, bedarf keiner Entscheidung. Ein Hinweis auf ihre Beschäftigung bei dem beklagten Landkreis war dem Flyer nicht zu entnehmen.

43

(3) Dass der Flyer über das Gebiet des beklagten Landkreises hinaus verbreitet worden wäre, ist vom Landesarbeitsgericht weder festgestellt worden, noch würde dies ein anderes Ergebnis rechtfertigen. Das Anzeigenblatt, dem der Flyer beigelegt war, ist jedenfalls auch in dem Gebiet des beklagten Landkreises verteilt worden. Die Klägerin musste von dieser Möglichkeit seiner Verbreitung nicht deshalb absehen, weil das Blatt einen über den Landkreis hinausreichenden Einzugsbereich hatte.

44

(4) Soweit der Beklagte geltend gemacht hat, die Klägerin habe bewusst einen so späten Zeitpunkt für die Veröffentlichung gewählt, dass dem amtierenden Landrat vor der Wahl keine Reaktion mehr möglich gewesen sei, ist dies bereits unschlüssig. Das Anzeigenblatt wurde am 18. April 2012 verteilt, die Landratswahl fand am 22. April 2012 statt.

45

II. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung ist sozial ungerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG. Die Klägerin hat - wie ausgeführt - ihre Vertragspflichten nicht verletzt.

46

III. Den Auflösungsantrag des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zu Recht abgewiesen. Der beklagte Landkreis hat keine Umstände dargelegt, die einer weiteren gedeihlichen Zusammenarbeit der Parteien nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG entgegenstünden. Weder genügen frühere Spannungen aufgrund einer Konkurrentenklage als Auflösungsgrund, noch ist ersichtlich, warum sich die Klägerin ein Verhalten ihres Vaters zurechnen lassen müsste.

47

IV. Der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an. Das Kündigungsschutzverfahren ist rechtskräftig abgeschlossen.

48

V. Als unterlegene Partei hat der beklagte Landkreis gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

        

        

    F. Löllgen     

        

    Gerschermann    

                 

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 26. November 2013 - 7 Sa 444/12 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung und über einen Auflösungsantrag des beklagten Landkreises.

2

Die Klägerin ist Dipl.-Verwaltungswirtin. Sie war bei dem beklagten Landkreis seit Oktober 2010 als Angestellte beschäftigt. Ihr war die Leitung der Erhebungsstelle Zensus übertragen. Auf das Arbeitsverhältnis fand aufgrund arbeitsvertraglicher Verweisung der TVöD-VKA Anwendung.

3

Am 22. April 2012 fand die Wahl des Landrats statt. Der Amtsinhaber stellte sich zur Wiederwahl. Die parteilose Klägerin kandidierte ebenfalls. Sie warb mit einem Flyer für sich. In diesem stellte sie die „Säulen“ ihrer Politik vor, als welche sie „Transparenz in der Verwaltung“, „Bürgernahe Politik“ und „Jugend, Familien und Senioren“ bezeichnete. Zum Punkt „Transparenz in der Verwaltung“ hieß es in dem Flyer:

        

„Wie der jüngste Umweltskandal in [B.] und der Subventionsbetrug am [Rathaus in C.] beweist, deckt der amtierende Landrat sogar die Betrügereien im Kreis. Ich stehe für eine transparente Politik, die Gesetze einhält und die Pflichtaufgaben des Landkreises überprüft.“

4

Der Flyer lag einem lokalen Anzeigenblatt bei, das am 18. April 2012 mit einer Auflage von 28.700 verteilt wurde.

5

Nach Beteiligung des Personalrats kündigte der beklagte Landkreis das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 21. April 2012 außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 30. Juni 2012. Er warf der Klägerin üble Nachrede und Beleidigung seines Repräsentanten vor.

6

Gegen die Kündigung hat die Klägerin rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Sie hat gemeint, es sei weder ein Grund für die außerordentliche noch für die ordentliche Kündigung gegeben. Sie habe sich nicht im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses geäußert, sondern als Kandidatin im Wahlkampf. Ihr Flyer werde missverstanden. Es sei ihr nicht darum gegangen, den amtierenden Landrat persönlich zu diffamieren, einer Straftat zu bezichtigen oder gar zu beleidigen. Sie habe vielmehr zum Ausdruck bringen wollen, dass der Landrat im Hinblick auf den Umweltskandal in B. und die Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der Sanierung des Rathauses in C. nichts unternommen habe und stattdessen transparenter und in der Öffentlichkeit aktiver mit diesem Thema hätte umgehen müssen. Das sei von der Meinungsfreiheit gedeckt. Im Übrigen habe sie nur Vorwürfe wiederholt, die zuvor in der Presse erhoben worden seien. Die Klägerin hat zudem die Personalratsbeteiligung als fehlerhaft gerügt.

7

Sie hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die fristlose Kündigung noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 21. April 2012 aufgelöst wurde;

        

2.    

den beklagten Landkreis zu verurteilen, sie als Sachbearbeiterin zu den Bedingungen des Arbeitsvertrags vom 27. September 2010 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens weiter zu beschäftigten.

8

Der beklagte Landkreis hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise, das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2012 gegen Zahlung einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Abfindung aufzulösen.

9

Er hat die Kündigung für wirksam gehalten. Die Klägerin habe dem Landrat wider besseres Wissen unterstellt, dieser decke Betrügereien, sei also aktiv am Vertuschen von Straftaten beteiligt und erfülle damit den Straftatbestand der Strafvereitelung. Die Unterstellung krimineller Machenschaften sei eine von der Meinungsfreiheit nicht gedeckte grobe Beleidigung und üble Nachrede. Der Landrat müsse dies auch im Wahlkampf nicht hinnehmen. Solche Vorwürfe habe es in der Presse nicht gegeben. Der Personalrat sei ordnungsgemäß beteiligt worden. Zumindest sei das Arbeitsverhältnis nach § 9 KSchG aufzulösen. Der Betriebsfrieden sei nachhaltig gestört. Schon früher habe es wegen einer Konkurrentenklage Spannungen mit der Klägerin gegeben. Diese müsse sich außerdem das Verhalten ihres Vaters zurechnen lassen. Der habe die Landratswahl angefochten. Seine verbalen Ausfälle gegen den Kreiswahlleiter und die Mitarbeiter des Kreiswahlbüros zeigten deutlich, dass eine gedeihliche Zusammenarbeit auch mit der Klägerin nicht mehr möglich sei.

10

Die Klägerin hat beantragt, den Auflösungsantrag abzuweisen.

11

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben, den Auflösungsantrag des Beklagten hat es abgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der beklagte Landkreis die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat richtig entschieden.

13

I. Die fristlose Kündigung hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

14

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar war oder nicht (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 39; 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 16).

15

2. Als wichtiger Grund kann neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet sein, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 40; 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 19). Zu diesen Nebenpflichten zählt insbesondere die Pflicht der Arbeitsvertragsparteien zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des jeweils anderen Teils (§ 241 Abs. 2 BGB). Danach hat der Arbeitnehmer seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - aaO; 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - aaO mwN).

16

3. Eine in diesem Sinne erhebliche Pflichtverletzung stellen ua. grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen dar (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 14, BAGE 138, 312). Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen über seinen Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen aufstellt, insbesondere dann, wenn die Erklärungen den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 41; 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - aaO).

17

a) Ein Arbeitnehmer kann sich für bewusst falsche Tatsachenbehauptungen nicht auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG berufen. Solche Behauptungen sind vom Schutzbereich des Grundrechts nicht umfasst (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19). Anderes gilt für Äußerungen, die nicht Tatsachenbehauptungen, sondern ein Werturteil enthalten. Sie fallen in den Schutzbereich des Rechts auf Meinungsfreiheit. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 18; 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21). Darauf kann sich auch ein Arbeitnehmer berufen. Mit der Bedeutung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit wäre es unvereinbar, wenn es in der betrieblichen Arbeitswelt nicht oder nur eingeschränkt anwendbar wäre (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 42; 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - Rn. 24 mwN). Der Grundrechtsschutz besteht dabei unabhängig davon, welches Medium der Arbeitnehmer für seine Meinungsäußerung nutzt und ob diese rational oder emotional, begründet oder unbegründet ist. Vom Grundrecht der Meinungsfreiheit umfasste Äußerungen verlieren den sich daraus ergebenden Schutz selbst dann nicht, wenn sie scharf oder überzogen geäußert werden (vgl. BVerfG 28. November 2011 - 1 BvR 917/09 - Rn. 18 mwN).

18

b) Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG ist allerdings nicht schrankenlos gewährleistet. Es ist gemäß Art. 5 Abs. 2 GG durch die allgemeinen Gesetze und das Recht der persönlichen Ehre beschränkt. Mit diesen muss es in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden (BVerfG 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1; 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 7, 198; BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 42; 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 35). Auch § 241 Abs. 2 BGB gehört zu den allgemeinen, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit beschränkenden Gesetzen. Zwischen der Meinungsfreiheit und dem beschränkenden Gesetz findet demnach eine Wechselwirkung statt. Die Reichweite der Pflicht zur vertraglichen Rücksichtnahme muss ihrerseits unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts bestimmt, der Meinungsfreiheit muss dabei also die ihr gebührende Beachtung geschenkt werden - und umgekehrt (vgl. BVerfG 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - aaO; 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] aaO).

19

aa) Im Rahmen der Abwägung fällt die Richtigkeit des Tatsachengehalts, der dem Werturteil zugrunde liegt, ins Gewicht (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19; 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1). Handelt es sich bei einem Werturteil um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, dann spricht die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede (BVerfG 22. Juni 1982 - 1 BvR 1376/79 - zu B II 1 a der Gründe, BVerfGE 61, 1; 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] zu B II 4 der Gründe, BVerfGE 7, 198).

20

bb) Erweist sich das in einer Äußerung enthaltene Werturteil als Formalbeleidigung oder Schmähkritik, muss die Meinungsfreiheit regelmäßig zurücktreten (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 23; 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - zu C III 2 der Gründe, BVerfGE 93, 266). Allerdings macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Erklärung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Dafür muss hinzutreten, das bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht, die diese jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll (vgl. BVerfG 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - aaO; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 36; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 17, BAGE 138, 312; BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 4 a der Gründe).

21

4. Danach ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Klägerin habe ihre Pflicht zur Rücksichtnahme gemäß § 241 Abs. 2 BGB nicht verletzt, nicht zu beanstanden. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, bei den Äußerungen der Klägerin in dem Wahl-Werbeflyer habe es sich um eine vom Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützte Meinungsäußerung gehandelt. Diese habe die Grenze zur Schmähkritik nicht überschritten und gehe, da sie im Wahlkampf erfolgt sei, der Pflicht zur Rücksichtnahme gegenüber dem beklagten Landkreis vor.

22

a) Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, die Aussagen der Klägerin in dem am 18. April 2012 verteilten Flyer stellten nicht schon deshalb keine Vertragspflichtverletzung dar, weil sie außerdienstlich und überdies im Wahlkampf gefallen seien. Die Klägerin hat die Amtswahrnehmung des Landrats kritisiert. Das berührt unmittelbar die Belange auch des beklagten Landkreises.

23

b) Das vom Landesarbeitsgericht zugrunde gelegte Verständnis der Äußerungen in dem Flyer ist nicht zu beanstanden. Das Gericht hat angenommen, die Wahlwerbung sei nicht zwingend dahin zu verstehen, die Klägerin habe dem amtierenden Landrat kriminelles Verhalten vorgeworfen. Ebenso gut sei eine mildere, politische Deutung möglich. Danach habe die Klägerin dem Landrat den Vorwurf gemacht, bei Betrügereien im Landkreis das Licht der Öffentlichkeit zu scheuen und damit demokratische Kontrolle zu behindern. Insofern handele es sich um eine Meinungsäußerung, die dem Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG unterfalle. Die dagegen vom beklagten Landkreis vorgebrachten Einwände greifen nicht durch.

24

aa) Ob der Sinn einer Meinungsäußerung vom Berufungsgericht zutreffend erfasst worden ist, ist vom Revisionsgericht uneingeschränkt zu überprüfen (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 47; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 15, BAGE 138, 312).

25

(1) Für die Ermittlung des Aussagegehalts einer schriftlichen Äußerung ist darauf abzustellen, wie sie vom Empfänger verstanden werden muss. Dabei ist eine isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils regelmäßig nicht ausreichend. Vielmehr sind der sprachliche Kontext und die sonstigen erkennbaren Begleitumstände zu berücksichtigen (BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 15, BAGE 138, 312; vgl. auch BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 3 der Gründe). Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des von ihr Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 20; 12. Mai 2009 - 1 BvR 2272/04 - Rn. 31). Mehrdeutige Äußerungen dürfen wegen eines möglichen Inhalts nicht zu nachteiligen Folgen führen, ohne dass eine Deutung, die zu einem von der Meinungsfreiheit gedeckten Ergebnis führen würde, mit schlüssigen, überzeugenden Gründen ausgeschlossen worden ist (BVerfG 12. Mai 2009 - 1 BvR 2272/04 - aaO mwN; BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 46).

26

(2) Während für Werturteile die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage kennzeichnend ist, werden Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit charakterisiert (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 40). Anders als Werturteile sind Tatsachenbehauptungen daher grundsätzlich dem Beweis zugänglich (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21; 13. April 1994 - 1 BvR 23/94 - zu B II 1 b der Gründe, BVerfGE 90, 241). Gilt für Meinungsäußerungen, insbesondere im öffentlichen Meinungskampf, bei der Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Rechtsgut, in dessen Interesse sie durch ein allgemeines Gesetz eingeschränkt werden kann, eine Vermutung zu Gunsten der freien Rede, gilt dies für Tatsachenbehauptungen nicht in gleicher Weise (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 18 mwN). Ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Meinungsäußerung oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist, beurteilt sich nach dem Gesamtkontext, in dem sie steht (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - aaO). Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird den Anforderungen an eine zuverlässige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - aaO). Auch eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile einer Äußerung ist nur zulässig, wenn dadurch ihr Sinn nicht verfälscht wird (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - aaO). Wo dies der Fall wäre, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden. Anderenfalls drohte eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtschutzes (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - aaO mwN).

27

(3) In der Verwendung eines Rechtsbegriffs liegt nur dann eine Tatsachenbehauptung, wenn die Beurteilung nicht als bloße Rechtsauffassung kenntlich gemacht ist, sondern beim Adressaten zugleich die Vorstellung von konkreten, in die Wertung eingebetteten tatsächlichen Vorgängen hervorruft, die als solche einer Überprüfung mit den Mitteln des Beweises zugänglich sind. Dabei kommt es auch hier entscheidend auf den Zusammenhang an, in dem der Rechtsbegriff verwendet wird (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 28; BGH 27. April 1999 - VI ZR 174/97 - zu II 2 a der Gründe; 22. Juni 1982 - VI ZR 255/80 - zu 2 b der Gründe).

28

bb) Danach enthält die Annahme des Landesarbeitsgerichts, es sei ein - verglichen mit der Deutung des Beklagten - milderes, nämlich politisches Verständnis der Äußerung der Klägerin ohne Weiteres möglich, keinen Rechtsfehler. Das Landesarbeitsgericht hat den möglichen Aussagegehalt der fraglichen Äußerung nach ihrem Kontext beurteilt und dabei berücksichtigt, dass es sich um eine Äußerung im Rahmen von Wahlwerbung, also als Teil der politischen Auseinandersetzung mit einem Gegenkandidaten handelte. Die Aussage über dessen Amtswahrnehmung war in das eigene „Drei-Säulen-Programm“ der Klägerin eingebettet. Mit der Formulierung, der amtierende Landrat „decke“ Betrügereien im Landkreis, war deshalb nicht notwendigerweise der Vorwurf verbunden, der Landrat habe sich selbst - etwa der Strafvereitelung - strafbar gemacht. Ebenso gut lässt sich die Äußerung dahin verstehen, der Landrat habe politisch nicht genügend zur Aufklärung der aufgeführten - angeblichen - Missstände unternommen. Diese Deutung liegt angesichts der von der Klägerin an gleicher Stelle hervorgehobenen Bedeutung von Transparenz im Verwaltungshandeln sogar näher. Daran ändern der Fettdruck und die farbige Gestaltung des Flyers unter Nutzung von Fotomaterial nichts. Der Vorwurf wiegt politisch schwer genug, um als ein aus Sicht der Klägerin maßgebliches und gestalterisch zu unterstreichendes Argument in der Auseinandersetzung mit ihrem Gegenkandidaten betont zu werden.

29

cc) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht in der Äußerung der Klägerin über den amtierenden Landrat ihrem Schwerpunkt nach ein Werturteil gesehen, und nicht eine dem Wahrheits- oder Unwahrheitsbeweis zugängliche Tatsachenbehauptung.

30

(1) Der Vorwurf, nicht genug zur Aufklärung - vermeintlicher - Betrügereien im öffentlichen Bereich getan zu haben, umschreibt kein spezifisches, einem objektiven Wahrheitsbeweis zugängliches Verhalten (für den Begriff „decken“ als Teil der Passage: „Besonders gefährlich sind die …, die [Herr] F.G. deckt“ ebenso EGMR 17. April 2014 - 5709/09 - Rn. 50). Der Vorwurf kann im vorliegenden Zusammenhang vielmehr schon das Unterlassen höherer Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts oder auch nur mangelndes Interesse daran zum Gegenstand haben. Die Gründe dafür, schon in bloßer Passivität politisch ein „Decken“ von Missständen zu erblicken, können unterschiedlich sein und hängen erkennbar von der subjektiven Einschätzung des Betrachters ab. Der Vorwurf, etwas zu „decken“, bringt daher vor allem die Meinung zum Ausdruck, der Betreffende habe nicht alles von ihm zu Fordernde zur Aufklärung unternommen. Ob eine solche Wertung berechtigt erscheint, ist eine Frage des Dafürhaltens und Meinens ohne konkret fassbaren Tatsachenkern.

31

(2) Dies gilt auch dann, wenn man in die Auslegung einbezieht, dass die Klägerin dem Landrat vorgeworfen hat, „Betrügereien“ im Landkreis zu decken, wie der jüngste „Umweltskandal“ in B. und der „Subventionsbetrug“ am Rathaus in C. bewiesen. Aus der Bezugnahme auf die solcherart umschriebenen Vorgänge ergibt sich zwar erst die Relevanz des Vorwurfs. Hätte die Klägerin neutraler von bloßen „Vorgängen“ gesprochen, hätte der Vorhalt, nicht genug zu deren Aufklärung getan zu haben, nicht das gleiche Gewicht gehabt. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht aber auch in der Verwendung dieser Begriffe keine dem Beweis zugänglichen Tatsachenbehauptungen gesehen. Die Ausdrücke „Umweltskandal“ und „Betrügereien“ sind dafür zu unbestimmt. Der Terminus „Subventionsbetrug“ ist zwar ein Rechtsbegriff, der den Straftatbestand des § 264 StGB bezeichnet. Ein verständiger Leser verknüpft mit seiner Verwendung in dem Wahl-Werbeflyer der Klägerin aber nicht die Vorstellung von konkreten, strafrechtlich relevanten Vorgängen, die einer Überprüfung mit den Mitteln des Beweises zugänglich wären. Die von der Klägerin verwendeten Formulierungen dienten im Rahmen des Wahlkampfs ersichtlich als pointierte Schlagworte zur Beschreibung der von ihr ausgemachten Missstände, um die Leser ggf. dazu zu animieren, sich über die fraglichen Vorgänge selbst näher zu unterrichten. Soweit die Klägerin von „Subventionsbetrug“ spricht, ist damit erkennbar allenfalls eine pauschale Umschreibung gemeint, ohne dass diese einen fassbaren Tatsachenkern zum Gegenstand hätte. Es kommt daher nicht darauf an, ob es, wie der Beklagte im Revisionsverfahren geltend gemacht hat, „unstreitig“ feststeht, dass es „derartige Straftaten“ weder in B. noch in C. gegeben habe. Das Landesarbeitsgericht hat im Übrigen eine solche Feststellung nicht getroffen; einen Antrag nach § 320 Abs. 1 ZPO hat der Beklagte nicht gestellt, eine zulässige Verfahrensrüge hat er nicht erhoben.

32

(3) Der Ausdruck, die genannten Vorgänge „bewiesen“, dass der amtierende Landrat Betrügereien im Landkreis decke, ändert nichts am Charakter der Aussage als Meinungsäußerung. „Beweisen“ steht im gegebenen Zusammenhang für „belegen“ oder „zeigen“. Die Klägerin erklärt damit, sie halte das von ihr kritisierte Verhalten des Landrats durch die angesprochenen Vorfälle für belegt oder erwiesen. Ob dies gerechtfertigt ist, ist erneut eine Frage des Dafürhaltens und Meinens, ohne dass konkret fassbare Tatsachen behauptet würden. Selbst im Rechtssinne erfordert die Frage, ob etwas „bewiesen“ ist, eine wertende Betrachtung. In einem nicht juristischen Kontext wie hier liegt erst recht ein wertender Gebrauch nahe (vgl. zu den Begriffen „absichtlich“ und „bewusst“ BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 19).

33

(4) Ein anderes Verständnis verlangt auch nicht die anschließende Formulierung, die Klägerin stehe für eine transparente Politik, die „Gesetze einhält und die Pflichtaufgaben des Landkreises überprüft“. Damit wird dem bisherigen Landrat nicht implizit und zwingend vorgeworfen, die Gesetze verletzt zu haben. Ebenso gut lässt sich die Aussage dahin verstehen, die Klägerin wolle hervorheben, dass sie als Landrätin möglichen Gesetzesverstößen konsequenter und transparenter nachgehe. Auch dies ergibt sich nicht zuletzt aus dem Zusammenhang der Äußerung mit der von ihr so bezeichneten Säule ihrer Politik „Transparenz in der Verwaltung“.

34

dd) Das Landesarbeitsgericht hat die an die Öffentlichkeit gerichteten schriftlichen Aussagen der Klägerin zu Recht aus der objektiven Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums ausgelegt. Entgegen der Auffassung des beklagten Landkreises kommt es nicht darauf an, ob der Flyer überwiegend politisch interessierte oder desinteressierte Empfänger erreichte und ob diese um den Erhalt der Informationen gebeten hatten oder nicht. Die von dem Beklagten angestellten Schlussfolgerungen sind überdies nicht zwingend. Gerade ein nur flüchtiger, politisch desinteressierter und möglicherweise außerhalb des Wahlkampfgebiets ansässiger Leser des Flyers wird dessen Aussagen kaum auf einen konkreten Tatsachenkern bezogen haben.

35

c) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht der Meinungsfreiheit der Klägerin Vorrang vor ihrer Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Beklagten eingeräumt.

36

aa) Allerdings kann es die vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB gebieten, dass es ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes unterlässt, die Amtswahrnehmung von Repräsentanten seines Arbeitgebers in der Öffentlichkeit herabzuwürdigen. Unter welchen Voraussetzungen dies anzunehmen ist, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Die Klägerin hat ihre Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des beklagten Landkreises deshalb nicht verletzt, weil deren Reichweite ihrerseits unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit bestimmt werden muss.

37

bb) Bei der Würdigung der fraglichen Erklärungen fällt entscheidend ins Gewicht, dass es sich um Äußerungen der Klägerin über einen Gegenkandidaten im laufenden Wahlkampf gehandelt hat. Ein Wahlbewerber muss sich in einer solchen Situation ggf. auch überzogener Kritik stellen. Die Grenzen zulässiger Kritik sind gegenüber einem Politiker weiter gefasst als gegenüber einer Privatperson (zu Art. 10 Abs. 1 EMRK vgl. EGMR 17. April 2014 - 5709/09 - Rn. 41). Auch als Beschäftigte des betroffenen Landkreises durfte die Klägerin für das Amt des Landrats kandidieren und sich im Rahmen ihrer Wahlwerbung mit der Amtsausübung des seinerseits kandidierenden Landrats auseinandersetzen. Durch ihre Kandidatur und ihre öffentlichen Äußerungen setzte sich die Klägerin gleichermaßen selbst der kritischen Überprüfung aus (vgl. zu diesem Kriterium EGMR 17. April 2014 - 5709/09 - Rn. 39). In einem öffentlichen Wahlkampf ist auch ein Arbeitnehmer nicht darauf verwiesen, Kritik an der Amtsausübung eines Gegenkandidaten, der zugleich Repräsentant seines Arbeitgebers ist, zunächst nur intern zu äußern. Es geht gerade um den öffentlichen Meinungskampf, in dessen Rahmen ansonsten zu beachtende vertragliche Pflichten zur Rücksichtnahme, soweit im Interesse der Meinungsfreiheit erforderlich, zurücktreten müssen. Die Klägerin war als Leiterin der Erhebungsstelle Zensus nicht unmittelbar persönlich für den amtierenden Landrat tätig. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob von ihr anderenfalls eine weitergehende Zurückhaltung auch in einem öffentlichen Wahlkampf hätte verlangt werden können.

38

cc) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Grenzen zur Schmähkritik seien nicht überschritten. Bei den Äußerungen der Klägerin stand nicht die persönliche Diffamierung des amtierenden Landrats im Vordergrund. Die Klägerin hat nach dem vom Berufungsgericht zutreffend zugrunde gelegten Verständnis ihrer Erklärungen nicht dem Landrat selbst „kriminelle Machenschaften“ unterstellt. Sie hat vielmehr, wenn auch in zugespitzter Form, Kritik an dessen Amtswahrnehmung geübt und damit ein bereits zuvor in der Öffentlichkeit diskutiertes Thema aufgegriffen (vgl. bspw. die Pressemitteilung der Deutschen Umwelthilfe vom 2. November 2011 als Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 28. Januar 2013: „Das Landratsamt verharmlost … und blockiert…“). Es ging - entgegen der Auffassung des Beklagten - um eine politische Frage von öffentlichem Interesse (vgl. zu diesem Kriterium EGMR 17. April 2014 - 5709/09 - Rn. 42), hier das Erfordernis transparenten Verwaltungshandelns.

39

dd) Die Klägerin hat die Kritik an der Amtswahrnehmung ihres Gegenkandidaten nicht ins Blaue hinein erhoben. An einem solchen Beitrag bestünde auch im politischen Wahlkampf kein anerkennenswertes Interesse. Sie hat sich vielmehr darauf berufen, in der Presse veröffentlichte Berichte und öffentlich diskutierte Vorgänge aufgegriffen zu haben. Ihrer kritischen Bewertung der Amtsausübung des Landrats lag damit zumindest die Tatsache zugrunde, dass die Vorgänge in B. und C. und die Rolle des Landratsamts in der Öffentlichkeit als aufklärungsbedürftig angesehen worden waren. Der beklagte Landkreis mag zwar zutreffend geltend gemacht haben, der Landrat sei in der Presse nicht „krimineller Machenschaften“ bezichtigt worden. Ein solcher Aussagegehalt kommt aber - wie ausgeführt - auch dem Flyer der Klägerin nicht zu. Handelt es sich stattdessen um ein Werturteil - hier über die Amtsausübung des Landrats - und bei diesem um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, spricht eine Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede (BVerfG 22. Juni 1982 - 1 BvR 1376/79 - zu B II 1 a der Gründe, BVerfGE 61, 1; 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] zu B II 4 der Gründe, BVerfGE 7, 198). Sie beschränkt sich entgegen der Auffassung des Beklagten nicht auf spontane, mündliche Äußerungen. Vielmehr schützt Art. 5 Abs. 1 GG die freie Meinungsäußerung „in Wort, Schrift und Bild“(vgl. BVerfG 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] aaO: ua. schriftlicher Boykottaufruf; 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 -: Veröffentlichung eines „Denkzettels“ im Internet). Bei einer spontanen, mündlichen Erklärung mag außerdem die mögliche Unbedachtheit einer gewählten Formulierung zu berücksichtigen sein.

40

ee) Die Äußerung der Klägerin ging nach Form und Zeitpunkt nicht über das in einem Wahlkampf hinzunehmende Maß hinaus.

41

(1) Der beklagte Landkreis hat geltend gemacht, die Klägerin habe offensichtlich um jeden Preis potentielle Wähler für sich gewinnen wollen. Dabei lässt er außer Acht, dass sie dies nicht durch eine persönliche Diffamierung des amtierenden Landrats, sondern durch eine politische Stellungnahme zu dessen Amtswahrnehmung versucht hat. Dass sie damit zugleich beabsichtigt haben dürfte, die Wähler gegen den amtierenden Landrat und für sich selbst einzunehmen, ist nicht zu missbilligender Zweck eines Wahlkampfs.

42

(2) Ob der Vorgang anders zu beurteilen wäre, wenn die Klägerin zur Unterstützung ihrer Äußerungen ihren Dienst beim Beklagten in die Waagschale geworfen und den Lesern zB das Vorhandensein darauf beruhender besonderer Einblicke in die Zusammenhänge suggeriert hätte, bedarf keiner Entscheidung. Ein Hinweis auf ihre Beschäftigung bei dem beklagten Landkreis war dem Flyer nicht zu entnehmen.

43

(3) Dass der Flyer über das Gebiet des beklagten Landkreises hinaus verbreitet worden wäre, ist vom Landesarbeitsgericht weder festgestellt worden, noch würde dies ein anderes Ergebnis rechtfertigen. Das Anzeigenblatt, dem der Flyer beigelegt war, ist jedenfalls auch in dem Gebiet des beklagten Landkreises verteilt worden. Die Klägerin musste von dieser Möglichkeit seiner Verbreitung nicht deshalb absehen, weil das Blatt einen über den Landkreis hinausreichenden Einzugsbereich hatte.

44

(4) Soweit der Beklagte geltend gemacht hat, die Klägerin habe bewusst einen so späten Zeitpunkt für die Veröffentlichung gewählt, dass dem amtierenden Landrat vor der Wahl keine Reaktion mehr möglich gewesen sei, ist dies bereits unschlüssig. Das Anzeigenblatt wurde am 18. April 2012 verteilt, die Landratswahl fand am 22. April 2012 statt.

45

II. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung ist sozial ungerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG. Die Klägerin hat - wie ausgeführt - ihre Vertragspflichten nicht verletzt.

46

III. Den Auflösungsantrag des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zu Recht abgewiesen. Der beklagte Landkreis hat keine Umstände dargelegt, die einer weiteren gedeihlichen Zusammenarbeit der Parteien nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG entgegenstünden. Weder genügen frühere Spannungen aufgrund einer Konkurrentenklage als Auflösungsgrund, noch ist ersichtlich, warum sich die Klägerin ein Verhalten ihres Vaters zurechnen lassen müsste.

47

IV. Der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an. Das Kündigungsschutzverfahren ist rechtskräftig abgeschlossen.

48

V. Als unterlegene Partei hat der beklagte Landkreis gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

        

        

    F. Löllgen     

        

    Gerschermann    

                 

Tenor

1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 6. Juli 2015 - 7 Sa 124/15 - aufgehoben.

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Weiden vom 4. Februar 2015 - 4 Ca 699/14 - teilweise abgeändert und wie folgt gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten noch darüber, ob das zwischen ihnen begründete Arbeitsverhältnis durch arbeitgeberseitige Kündigung fristlos oder erst mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist beendet wurde.

2

Der Beklagte betreibt mit nicht mehr als zehn Arbeitnehmern ein Transportunternehmen. Sein einziger Kunde ist ein Automobilhersteller, für den er mit schweren Lastkraftwagen „Just-in-time“-Lieferungen durchführt. Der 1984 geborene Kläger wurde zum 5. November 2013 bei dem Beklagten als LKW-Fahrer eingestellt.

3

Außerhalb seiner Arbeitszeit nahm der Kläger am Samstag, dem 11. Oktober 2014, Amphetamin und Methamphetamin („Crystal Meth“) ein. Ab dem darauffolgenden Montag erbrachte er in der Frühschicht ab 04:00 Uhr morgens plangemäß seine Arbeitsleistung. Am Dienstag, dem 14. Oktober 2014, wurde er nach Beendigung seiner Tätigkeit für den Beklagten bei einer Fahrt mit seinem privaten PKW von der Polizei kontrolliert und einem Drogenwischtest unterzogen. Dessen Ergebnis war positiv. Die Blutuntersuchung ergab später, dass der Kläger Amphetamin und Methamphetamin konsumiert hatte.

4

Am Abend des 14. Oktober 2014 rief der Kläger den Beklagten an und teilte ihm mit, dass er seine um 04:00 Uhr des folgenden Tages beginnende Tour nicht fahren könne. Er finde seinen Führerschein nicht. Die Polizei habe ihn kontrolliert und ihm mitgeteilt, er dürfe deswegen nicht mehr fahren. Der Beklagte wies darauf hin, dass die rechtzeitige Belieferung des Kunden sehr wichtig sei und ein Ersatzfahrer nicht zur Verfügung stehe. Der Kläger erklärte sich schließlich dazu bereit, die Tour durchzuführen und nahm seine Tätigkeit dementsprechend am Morgen des 15. Oktober 2014 auf. Am 27. Oktober 2014 sprach der Beklagte den Kläger auf das Telefonat vom 14. Oktober 2014 an. Es könne nicht sein, dass die Polizei ein Fahrverbot ausspreche, nur weil man seinen Führerschein nicht vorlegen könne. Der Kläger räumte daraufhin den positiven Drogenwischtest am 14. Oktober 2014 ein.

5

Mit Schreiben vom 28. Oktober 2014, welches dem Kläger am selben Tag zuging, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung. Das Kündigungsschreiben lautet auszugsweise wie folgt:

        

„Ihnen wurden bereits einige Gründe zu Ihrer Kündigung erläutert.

        

Diese sind insbesondere das laufende Verschlafen Ihrer Arbeitszeiten sowie der illegale Konsum von Betäubungsmitteln.

        

Dies wurde durch einen positiven Drogentest der Polizei am 14.10.2014 festgestellt.

        

Sie teilten dies jedoch nicht unverzüglich uns mit, sondern versuchten die entsprechenden Umstände zu verheimlichen. …

        

Die Einnahme von Drogen gaben Sie nach mehrmaligen Nachfragen und Androhung auf eine Untersuchung über den ASD der BG - Verkehr zu.“

6

Mit seiner am 6. November 2014 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen diese Kündigung gewandt.

7

Nach seiner Auffassung liegt kein hinreichender Grund für eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses vor. Der gesamte Geschehensablauf habe sich im privaten Bereich zugetragen. Es hätten keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung seiner Fahrtüchtigkeit oder eine konkrete Gefährdung des Straßenverkehrs bestanden. Deswegen habe es auch kein Ermittlungsverfahren nach § 315c bzw. § 316 StGB gegeben. Das bloße Begehen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 StVG rechtfertige keine außerordentliche Kündigung. Ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz sei nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Bei einem einmaligen Drogenkonsum hätte ohnehin eine Abmahnung ausgereicht.

8

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung des Beklagten vom 28. Oktober 2014, zugegangen am 28. Oktober 2014, nicht beendet worden ist.

9

Zur Begründung seines Klageabweisungsantrags hat der Beklagte vorgetragen, die fristlose Kündigung sei gerechtfertigt. Der Kläger habe jedenfalls vom 11. bis zum 14. Oktober 2014 unter Drogeneinfluss gestanden und in diesem Zustand ab dem 13. Oktober 2014 den ihm anvertrauten LKW gefahren. Zudem habe er in dem Gespräch am 14. Oktober 2014 den durchgeführten Drogenwischtest nicht erwähnt und dadurch die Möglichkeit einer am nächsten Tag noch bestehenden Fahruntüchtigkeit verschwiegen. Bei Kenntnis von dem positiven Ergebnis des Drogenwischtests wäre dem Kläger die Fahrt am 15. Oktober 2014 wegen des unvertretbaren Risikos einer erneuten Gefährdung des Straßenverkehrs untersagt worden. Erst am 27. Oktober 2014 sei der Sachverhalt aufgeklärt worden. Auf Nachfrage habe der Kläger in diesem Gespräch eingeräumt, dass ein Drogenkonsum evtl. noch festgestellt werden könnte. Der Beklagte habe ihm daraufhin erklärt, dass alle Fahrer sich jährlich beim Gesundheitsdienst der zuständigen Berufsgenossenschaft einer Untersuchung unterziehen müssten und bei dieser auch Blutuntersuchungen vorgenommen würden. Der Kläger habe gebeten, sich einer solchen Untersuchung nicht unterziehen zu müssen.

10

Eine weitere Beschäftigung des Klägers als LKW-Fahrer sei angesichts dessen potentieller Gefährdung des Straßenverkehrs durch Drogenkonsum und des Vertrauensverlusts auch nur für die Zeit der Kündigungsfrist nicht zumutbar gewesen. Außerdem hätte der einzige Kunde den Einsatz eines wegen Drogenmissbrauchs unzuverlässigen Fahrers nicht geduldet. Die Geschäftsbeziehung zu diesem existentiell wichtigen Kunden wäre bei einer Weiterbeschäftigung des Klägers insgesamt gefährdet gewesen. Andere Einsatzmöglichkeiten habe es für den Kläger nicht gegeben. Es würden nur LKW-Fahrer beschäftigt.

11

Das Arbeitsgericht hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung nicht fristlos beendet worden ist, sondern bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 30. November 2014 fortbestanden hat. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt der Beklagte sein Ziel der vollständigen Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe

12

Die zulässige Revision ist begründet. Die streitgegenständliche Kündigung hat das Arbeitsverhältnis gemäß § 626 Abs. 1 BGB ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist mit ihrem Zugang am 28. Oktober 2014 beendet.

13

I. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts liegt ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB vor.

14

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 17. März 2016 - 2 AZR 110/15 - Rn. 17 mwN).

15

2. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um bloße Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es anzuwendende Rechtsbegriffe in ihrer allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 22).

16

3. Dieser Überprüfung hält die angefochtene Entscheidung nicht stand.

17

a) Der Kläger hat in schwerwiegender Weise gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen, indem er am 11. Oktober 2014 Amphetamin und Methamphetamin eingenommen und dennoch ab dem 13. Oktober 2014 seine Tätigkeit als LKW-Fahrer verrichtet hat. Dies stellt einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB dar. Das Landesarbeitsgericht hat bei der vorzunehmenden Interessenabwägung die sich aus der Einnahme von Amphetamin und Methamphetamin für die Tätigkeit eines Berufskraftfahrers typischerweise ergebenden Gefahren nicht hinreichend gewürdigt.

18

aa) Die Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten kann „an sich“ einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB darstellen. Das betrifft sowohl auf die Hauptleistungspflicht bezogene Nebenleistungspflichten, die der Vorbereitung, der ordnungsgemäßen Durchführung und der Sicherung der Hauptleistung dienen und diese ergänzen, als auch sonstige, aus dem Gebot der Rücksichtnahme ( § 241 Abs. 2 BGB ) erwachsende Nebenpflichten (BAG 19. Januar 2016 - 2 AZR 449/15 - Rn. 29 mwN). Es besteht eine Nebenleistungspflicht des Arbeitnehmers, sich nicht in einen Zustand zu versetzen, in dem er seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis nicht erfüllen oder bei Erbringung seiner Arbeitsleistung sich oder andere gefährden kann (vgl. BAG 26. Januar 1995 - 2 AZR 649/94 - zu B III 3 a der Gründe, BAGE 79, 176; ErfK/Müller-Glöge 16. Aufl. § 626 BGB Rn. 137; HWK/Sandmann 7. Aufl. § 626 BGB Rn. 260). Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Fähigkeit zur (sicheren) Erbringung der Arbeitsleistung durch ein Verhalten während oder außerhalb der Arbeitszeit eingeschränkt wurde. So hat der Arbeitnehmer die Pflicht, seine Arbeitsfähigkeit auch nicht durch Alkoholgenuss in der Freizeit zu beeinträchtigen (vgl. BAG 26. Januar 1995 - 2 AZR 649/94 - aaO; 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 22; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 310; Liebscher in Thüsing/Laux/Lembke KSchG 3. Aufl. § 1 Rn. 468; Löwisch in Löwisch/Spinner/Wertheimer KSchG 10. Aufl. § 1 Rn. 213; ErfK/Müller-Glöge § 626 BGB Rn. 137). Ein Berufskraftfahrer hat aufgrund der besonderen Gefahren des öffentlichen Straßenverkehrs jeden die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigenden Alkoholkonsum zu unterlassen (vgl. BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 25; LAG Nürnberg 17. Dezember 2002 - 6 Sa 480/01 - zu II 1 der Gründe; KR/Fischermeier 11. Aufl. § 626 BGB Rn. 423; KR/Griebeling/Rachor § 1 KSchG Rn. 425; Krause in vHH/L 15. Aufl. § 1 Rn. 577; Staudinger/Preis (2016) § 626 Rn. 129 mwN; HaKo/Zimmermann 5. Aufl. § 1 Rn. 360).

19

bb) Nimmt ein Berufskraftfahrer Amphetamin und Methamphetamin ein und führt er dennoch im Rahmen seiner arbeitsvertraglichen Verpflichtung ein Fahrzeug des Arbeitgebers, kommt es wegen der sich aus diesem Drogenkonsum typischerweise ergebenden Gefahren nicht darauf an, ob seine Fahrtüchtigkeit konkret beeinträchtigt ist. Der Pflichtenverstoß liegt bereits in der massiven Gefährdung der Fahrtüchtigkeit.

20

(1) Dies entspricht den Wertungen des öffentlichen Rechts.

21

(a) Nach § 24a Abs. 2 Satz 1 StVG handelt ordnungswidrig, wer unter der Wirkung eines in der Anlage zu dieser Vorschrift genannten berauschenden Mittels im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt. Die Vorschrift erfasst Fahrten unter der Einwirkung bestimmter Rauschmittel, die allgemein geeignet sind, die Verkehrs- und Fahrsicherheit zu beeinträchtigen. Es handelt sich um einen abstrakten Gefährdungstatbestand, bei dem es auf eine tatsächliche Beeinträchtigung der Fahrsicherheit oder Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer im Einzelfall nicht ankommt (vgl. Janker/Hühnermann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker Straßenverkehrsrecht 24. Aufl. § 24a StVG Rn. 5). Amphetamin und Methamphetamin sind in der Anlage zu § 24a StVG genannt. Die Einnahme dieser Substanzen bewirkt zB erhöhte Risikobereitschaft und Enthemmung (vgl. König in Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht 43. Aufl. § 24a StVG Rn. 19).

22

(b) Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV) besteht bei Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) mit Ausnahme von Cannabis keine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Dies gilt unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen. Dementsprechend ist die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 3, §§ 11 bis 14 FeV bereits dann gerechtfertigt, wenn der Fahrerlaubnisinhaber mindestens einmal sogenannte „harte Drogen“ konsumiert hat. Der Fahrerlaubnisbehörde ist insoweit kein Ermessen eingeräumt (BayVGH 15. Juni 2016 - 11 CS 16.879 - Rn. 13; vgl. auch OVG NRW 23. Juli 2015 - 16 B 656/15 - Rn. 5; VGH Baden-Württemberg 7. April 2014 - 10 S 404/14 - Rn. 5; OVG Berlin-Brandenburg 10. Juni 2009 - OVG 1 S 97.09 - Rn. 4; VGH Hessen 21. März 2012 - 2 B 1570/11 - Rn. 6; Sächsisches OVG 28. Oktober 2015 - 3 B 289/15 - Rn. 5; OVG Sachsen-Anhalt 13. April 2012 - 3 M 47/12 - Rn. 6; Thüringer OVG 9. Juli 2014 - 2 EO 589/13 - Rn. 14; Koehl ZfSch 2015, 369 unter B). Zu den „harten Drogen“ zählen auch Amphetamin und Methamphetamin (§ 1 Abs. 1 BtMG iVm. Anlagen II und III zu § 1 Abs. 1 BtMG). Die Anlage 4 zur FeV beruht maßgeblich auf den Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung des Gemeinsamen Beirats für Verkehrsmedizin bei den für Verkehr und Gesundheit zuständigen Bundesministerien, denen ein entsprechendes verkehrsmedizinisches Erfahrungswissen zugrunde liegt und die den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis auf diesem Gebiet wiedergeben (BVerwG 14. November 2013 - 3 C 32.12 - Rn. 19 mwN, BVerwGE 148, 230).

23

(2) Vor diesem Hintergrund kann davon ausgegangen werden, dass die Einnahme von Amphetamin und Methamphetamin die Fahrtüchtigkeit in einem solchen Maß gefährdet, dass dies für sich genommen bei einem Berufskraftfahrer eine Verletzung des Arbeitsvertrags darstellt, wenn er trotz des Drogenkonsums seine Tätigkeit verrichtet. Die drogenbedingte Gefährdung der Fahrtüchtigkeit bewirkt zumindest abstrakt auch eine Gefährdung der Sicherheit des Straßenverkehrs. Im Rahmen seiner arbeitsvertraglichen Verpflichtungen ist der Berufskraftfahrer gehalten, eine solche Gefährdung zu verhindern. Er verletzt durch die Drogeneinnahme seine Verpflichtungen daher auch dann, wenn es trotz des Drogenkonsums nicht zu einer konkreten Einschränkung der Fahrtüchtigkeit oder zu kritischen Verkehrssituationen kommt. Es ist für die Prüfung eines Vertragsverstoßes auch unbeachtlich, ob der Berufskraftfahrer durch seine Fahrtätigkeit eine Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 Satz 1 StVG begeht oder ob die Substanz nicht mehr im Blut nachgewiesen werden kann(§ 24a Abs. 2 Satz 2 StVG).

24

cc) Ausgehend von diesen Grundsätzen liegt hier entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB vor, welcher die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigt.

25

(1) Der Kläger hat in schwerwiegender Weise gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen.

26

(a) Er konsumierte unstreitig am 11. Oktober 2014 Amphetamin und Methamphetamin. Dennoch verrichtete er vom 13. bis zum 15. Oktober 2014 seine Tätigkeit als LKW-Fahrer. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts stand er dabei noch „unter Drogeneinfluss“. Es ist jedenfalls bzgl. der Fahrten am 13. und 14. Oktober 2014 nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht dies aus dem Ergebnis des am Nachmittag des 14. Oktober 2014 durchgeführten Drogenwischtests geschlossen hat. Der Kläger hat damit seine vertraglichen Pflichten verletzt, auch wenn ungeklärt ist, inwieweit seine Fahrtüchtigkeit (noch) konkret beeinträchtigt war. Die Pflichtverletzung besteht, wie ausgeführt, schon in der Aufnahme der Tätigkeit trotz des Drogenkonsums.

27

(b) Diese Pflichtverletzung hat der Kläger schuldhaft begangen. Er handelte mindestens fahrlässig iSd. § 276 Abs. 2 BGB, indem er seine Fahrt am 13. Oktober 2014 um 04:00 Uhr morgens antrat, obwohl er erst zwei Tage vorher Amphetamin und Methamphetamin zu sich genommen hatte. Ihm musste bewusst gewesen sein, dass eine Fahrt unter Drogeneinfluss angesichts dieser kurzen Zeitdauer noch möglich war. Zudem hat er den LKW auch noch am 15. Oktober 2014 geführt, obwohl ihm das drogenbedingt erhöhte Risiko durch den positiven Drogenwischtest am 14. Oktober 2014 vor Augen geführt wurde. Der Umstand, dass der Kläger den Beklagten unstreitig noch am Abend dieses Tages angerufen und fälschlicherweise behauptet hat, er könne die Fahrt am nächsten Morgen wegen eines verlorenen Führerscheins nicht durchführen, lässt darauf schließen, dass er dieses Risiko auch erkannt hatte. Dabei kommt es nicht darauf an, welche Aussagen die Polizei ihm gegenüber gemacht hatte.

28

(c) Deshalb kann hier dahinstehen, unter welchen Umständen ein Berufskraftfahrer bei einem länger zurückliegenden Drogenkonsum davon ausgehen darf, dass keine Auswirkungen mehr bestehen. Auch die Problematik einer suchtbedingt fehlenden Steuerbarkeit des Verhaltens stellt sich nicht (vgl. hierzu BAG 20. Dezember 2012 - 2 AZR 32/11 - Rn. 14; HaKo/Zimmermann 5. Aufl. § 1 Rn. 354). Der Kläger hat nicht behauptet, im fraglichen Zeitraum drogensüchtig gewesen zu sein.

29

(2) Dem Beklagten war die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist auch bei Berücksichtigung der Interessen des Klägers nicht zumutbar. Die zu Gunsten des Klägers ausfallende Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts würdigt nicht alle in Betracht zu ziehenden Umstände. Da die für die Interessenabwägung relevanten Tatsachen sämtlich feststehen, kann der Senat die erforderliche Abwägung selbst vornehmen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 42).

30

(a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Zu berücksichtigen sind regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel - etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung - gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (BAG 22. Oktober 2015 - 2 AZR 569/14 - Rn. 46 mwN, BAGE 153, 111).

31

(b) Das Landesarbeitsgericht hat die außerordentliche Kündigung als unverhältnismäßig angesehen, weil „keine Umstände vorliegen, die den Schluss zulassen, der Kläger sei an den genannten Tagen gefahren, obwohl er fahruntüchtig gewesen sei“. Ein einmaliger Verstoß gegen § 24a Abs. 2 StVG ohne eine konkrete Gefahr für die Interessen des Arbeitgebers könne eine fristlose Kündigung nicht rechtfertigen. Es lägen keine Tatsachen vor, die auf einen regelmäßigen Drogenkonsum des Klägers, welcher seine persönliche Eignung für die Tätigkeit als Berufskraftfahrer in Frage stellen könnte, schließen ließen. Dies ergebe sich auch nicht aus der angeblichen Weigerung des Klägers, sich einer Untersuchung durch den medizinischen Dienst der Berufsgenossenschaft zu unterziehen. Es bestünden keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine generelle Weigerung.

32

(c) Diese Würdigung ist nicht frei von Rechtsfehlern.

33

(aa) Das Landesarbeitsgericht verkennt, dass schon die Einnahme von sogenannten „harten Drogen“ wie Amphetamin und Methamphetamin die Fahrtüchtigkeit in einem solchen Maß gefährdet, dass die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen entfällt. Der kündigungsrelevante Pflichtenverstoß des Klägers ist schon die Gefährdung seiner Fahrtüchtigkeit durch den Drogenmissbrauch vor Fahrtantritt. Ob seine Fahrtüchtigkeit bei den ab dem 13. Oktober 2014 durchgeführten Fahrten konkret beeinträchtigt war und deshalb eine erhöhte Gefahr im Straßenverkehr bestand, ist ohne Bedeutung.

34

(bb) Die vom Landesarbeitsgericht angenommene Erfüllung des Tatbestands des § 24a Abs. 2 StVG mag für sich genommen nicht ausreichen, um die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist anzunehmen. Das Begehen einer solchen Ordnungswidrigkeit wäre aber zu Lasten des Klägers in die Gesamtabwägung einzustellen.

35

(cc) Das Landesarbeitsgericht hat die Bedeutung der Zuverlässigkeit des Klägers im Hinblick auf den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz nicht hinreichend gewürdigt. Nach § 7 Abs. 2 der von der Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrswirtschaft (BG Verkehr) als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung erlassen Unfallverhütungsvorschrift „Grundsätze der Prävention“ dürfen Unternehmer Versicherte, die erkennbar nicht in der Lage sind, eine Arbeit ohne Gefahr für sich oder andere auszuführen, mit dieser Arbeit nicht beschäftigen. Eine Missachtung dieser Vorgaben kann zum Verlust des Versicherungsschutzes in der gesetzlichen Unfallversicherung führen (vgl. BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 25). Dem Beklagten war seit dem 27. Oktober 2014 bekannt, dass der Kläger „harte Drogen“ konsumiert hatte. Er musste daher davon ausgehen, dass ein weiterer Einsatz des Klägers das Risiko weiterer Fahrten unter Drogeneinfluss und damit Gefährdungen des öffentlichen Straßenverkehrs in sich birgt. Aus Sicht des Beklagten bestanden damit auch unabsehbare Risiken bzgl. seiner Haftung und des Versicherungsschutzes. Dies spricht für die Unzumutbarkeit der weiteren Beschäftigung des Klägers für den Beklagten.

36

(dd) Gleiches gilt hinsichtlich des möglichen Auftragsverlusts bei einem weiteren Einsatz des Klägers. Der Beklagte hat vorgetragen, dass der einzige Kunde bei Einsatz eines drogenbedingt unzuverlässigen Fahrers die Zuverlässigkeit des gesamten Unternehmens in Frage gestellt und ggf. den Auftrag entzogen hätte. Dies hat der Kläger nicht substantiiert bestritten. Die sich daraus ergebende wirtschaftliche Bedrohung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht nicht thematisiert.

37

(d) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts war dem Beklagten deshalb die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist auch bei Berücksichtigung der Interessen des Klägers nicht zumutbar.

38

(aa) Der Kläger hat eine Pflichtverletzung begangen, durch welche er nicht nur sich selbst, sondern auch andere Verkehrsteilnehmer sowie Güter des Beklagten zumindest potentiell in Gefahr gebracht hat. An der Schwere dieser Pflichtverletzung ändert es nichts, wenn es sich um einen einmaligen Drogenkonsum gehandelt haben sollte. Hätte der Kläger damals regelmäßig Drogen dieser Art konsumiert, hätte eine gesteigerte Wiederholungsgefahr bestanden, die zu Lasten des Klägers gewürdigt werden müsste.

39

(bb) Zu Gunsten des Klägers kann nicht berücksichtigt werden, dass es zu keinem Unfall kam. Zum einen kann dies als ein mehr oder minder zufälliger Umstand bei der Abwägung außer Betracht bleiben (vgl. bereits BAG 22. August 1963 - 2 AZR 114/63 -). Zum anderen würde das durch den Pflichtenverstoß geschaffene Risiko im Nachhinein unangemessen relativiert.

40

(cc) Soziale Belange rechtfertigen kein Überwiegen des Interesses des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist. Das Arbeitsverhältnis bestand erst seit knapp einem Jahr. Die persönliche Situation des Klägers lässt keine besondere Schutzwürdigkeit erkennen.

41

(dd) Die außerordentliche Kündigung ist keine unverhältnismäßige Reaktion auf die Pflichtverletzung des Klägers. Eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz war nicht möglich. Der Beklagte beschäftigt nach seinem unbestrittenen Vortrag ausschließlich Fahrer. Eine Abmahnung war entbehrlich. Die Pflichtverletzung des Klägers war so schwerwiegend, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Beklagten nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich ausgeschlossen war (vgl. BAG 19. November 2015 - 2 AZR 217/15 - Rn. 24; 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 22, BAGE 150, 109).

42

b) Das Landesarbeitsgericht hat nicht berücksichtigt, dass der Beklagte die außerordentliche Kündigung ausweislich des Kündigungsschreibens auch damit begründet hat, dass der Kläger ihn in dem Telefonat am 14. Oktober 2014 nicht über den durchgeführten Drogenwischtest informiert, sondern fälschlicherweise behauptet habe, er dürfe wegen eines verlorenen Führerscheins am nächsten Tag nicht fahren. Dieses Verhalten des Klägers rechtfertigt für sich genommen die fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

43

aa) Eine Nebenpflicht des Arbeitnehmers besteht darin, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen ( § 241 Abs. 2 BGB ). Diese Pflicht dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks ( BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13  - Rn. 19 mwN). Aus ihr leitet sich die allgemeine Pflicht des Arbeitnehmers ab, den Arbeitgeber im Rahmen des Zumutbaren unaufgefordert und rechtzeitig über Umstände zu informieren, die einer Erfüllung der Arbeitspflicht entgegenstehen (BAG 26. März 2015 - 2 AZR 517/14 - Rn. 24). Deshalb hat ein Arbeitnehmer den Verlust seiner Fahrerlaubnis unverzüglich mitzuteilen, wenn er diese für die Erbringung seiner Arbeitsleistung benötigt (vgl. Künzl/Sinner NZA-RR 2013, 561, 565). Zu den Nebenpflichten gehört auch die Schadensabwendungspflicht, nach welcher der Arbeitnehmer gehalten ist, drohende Schäden vom Arbeitgeber abzuwenden bzw. zu beseitigen, soweit ihm dies möglich und zumutbar ist. In Zusammenhang damit steht die Verpflichtung des Arbeitnehmers, bemerkbare oder voraussehbare Schäden oder Gefahren dem Arbeitgeber unverzüglich anzuzeigen (BAG 28. August 2008 - 2 AZR 15/07 - Rn. 21). Verstößt der Arbeitnehmer zumindest bedingt vorsätzlich gegen seine aus § 241 Abs. 2 BGB abzuleitende Pflicht, im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren drohende Schäden vom Arbeitgeber abzuwenden, liegt darin eine erhebliche Pflichtverletzung, die den Arbeitgeber grundsätzlich zur Kündigung aus wichtigem Grund berechtigt(vgl. BAG 18. Juni 2015 - 2 AZR 256/14 - Rn. 25).

44

bb) Der Kläger hatte die Pflicht, den Beklagten unverzüglich über das Ergebnis des Drogenwischtests am 14. Oktober 2014 zu informieren. Dies gilt auch angesichts des Umstands, dass der Test auf die polizeiliche Kontrolle einer Privatfahrt zurückzuführen ist. Der Bezug zum Arbeitsverhältnis ergibt sich aus der Einteilung des Klägers in die am nächsten Morgen um 04:00 Uhr beginnende Frühschicht. Dem Kläger wurde durch das Ergebnis des Drogenwischtests unmissverständlich verdeutlicht, dass der Drogenkonsum am vorangegangenen Samstag seine Fahrtüchtigkeit noch immer erheblich in Frage stellt. Seine Fähigkeit zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Vertragspflichten als LKW-Fahrer war damit zumindest bezogen auf den nächsten Tag zweifelhaft. Angesichts der mit einem Einsatz des Klägers zumindest abstrakt verbundenen Gefahren für den Straßenverkehr und Güter des Beklagten musste der Beklagte offensichtlich über diese Situation unterrichtet werden, um ihm eine Entscheidung bzgl. der weiteren Vorgehensweise auf zutreffender Tatsachengrundlage zu ermöglichen.

45

cc) Diese Pflicht hat der Kläger nicht erfüllt. Er hat in dem Telefonat am Abend des 14. Oktober 2014 die Polizeikontrolle und deren Ergebnis vielmehr wahrheitswidrig dargestellt, indem er behauptet hat, er dürfe nach polizeilicher Auskunft am nächsten Tag den LKW nicht fahren, weil er seinen Führerschein verlegt habe. Über den wirklichen Sachverhalt hat er den Beklagten nicht informiert.

46

dd) Diese Pflichtverletzung stellt einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB dar.

47

(1) Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung ist zu Lasten des Klägers nicht nur die Schwere der Vertragsverletzung zu berücksichtigen, sondern auch die bewusste Täuschung des Beklagten über die Geschehnisse am 14. Oktober 2014. Der Beklagte hat im Kündigungsschreiben zu Recht angeführt, der Kläger habe versucht, „die entsprechenden Umstände zu verheimlichen“. Der Kläger hat mit seiner Vorgehensweise dem auch für die kurzfristige Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderlichen Vertrauen des Beklagten die Grundlage entzogen. Der Beklagte konnte sich nicht mehr sicher sein, dass der Kläger ihn über sicherheitsrelevante Vorgänge pflichtgemäß unterrichtet. Da der Beklagte auf die Zuverlässigkeit der Mitteilungen seiner Fahrer angewiesen ist, war ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zumutbar.

48

(2) Eine Abmahnung war auch bzgl. dieses gravierenden Pflichtenverstoßes entbehrlich. Der Kläger konnte nicht erwarten, dass der Beklagte die irreführende Darstellung der Polizeikontrolle akzeptiert.

49

c) Selbst wenn die beiden angeführten Kündigungsgründe für sich genommen die fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht rechtfertigen würden, wäre die außerordentliche Kündigung jedenfalls bei einer Gesamtbetrachtung wirksam. Der Kläger hat durch die für einen Berufskraftfahrer unverantwortbare Gefährdung seiner Fahrtüchtigkeit in Verbindung mit dem Versuch einer Vertuschung des Drogenwischtests die für das Arbeitsverhältnis unabdingbare Vertrauensgrundlage zerstört.

50

II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).

51

1. Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB ist bzgl. beider Kündigungsgründe gewahrt. Sie beginnt nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald er eine zuverlässige und hinreichend vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 54 mwN). Der Beklagte hat hier nach seinem insoweit unbestrittenen Vortrag erst im Gespräch am 27. Oktober 2014 von den maßgeblichen Umständen Kenntnis erlangt. Der Zugang der Kündigung erfolgte bereits am 28. Oktober 2014.

52

2. Die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 28. Oktober 2014 ergibt sich auch nicht aus anderen Umständen. Solche sind weder behauptet noch ersichtlich.

53

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

        

    Fischermeier    

        

    Spelge    

        

    Krumbiegel     

        

        

        

    Wollensak    

        

    Döpfert     

                 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 28. Mai 2014 - 10 Sa 770/13 - im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, wie es der Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 19. Juni 2013 - 19 Ca 13099/12 - stattgegeben hat.

2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München wird insgesamt zurückgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der Kläger wurde 1961 geboren, ist verheiratet und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Er war seit 1989 - zunächst als Systemanalytiker und zuletzt als IT-Spezialist - bei der Beklagten beschäftigt. Die vereinbarte Wochenarbeitszeit belief sich auf 35 Stunden. Sein Arbeitsverhältnis war nach § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 des Manteltarifvertrags für die Arbeitnehmer der bayerischen Metall- und Elektroindustrie (MTV) vom 23. Juni 2008 verhaltensbedingt nur noch aus wichtigem Grund kündbar.

3

Zwischen den Parteien kam es mehrfach zu Unstimmigkeiten über die dem Kläger zugeteilten Aufgaben und sein berufliches Fortkommen. Mit E-Mail vom 30. März 2009 forderte dieser die Beklagte auf, ihn vertragsgemäß zu beschäftigen und sein „Aschenputtel-Dasein“ zu beenden. Die Beklagte übe „Psychoterror“ aus. Sie versuche, ihn zu zermürben und zu demütigen, was bei ihm zu einer seelischen Erkrankung geführt habe. Gleichzeitig kündigte er an, ggf. von einem Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 BGB Gebrauch machen zu wollen. Nach mehreren Gesprächen wurde ihm für die Zeit ab Oktober 2009 einvernehmlich die Tätigkeit eines IT-Chefarchitekten und die Leitung eines Projekts übertragen.

4

Das dem Kläger anvertraute Projekt endete spätestens im September 2011. Im Mai 2011 wurde ihm die Aufgabe eines sog. Blueprint-Vorfilterers und im Februar 2012 diejenige eines „TRM-Koordinators“ jeweils mit seinem Einverständnis übertragen. Nachdem die Einarbeitung abgeschlossen war, lasteten diese Tätigkeiten ihn für drei bis vier Stunden pro Woche aus. Das ihm im Juni 2012 unterbreitete Angebot, zusätzlich im Projekt „SharePoint“ tätig zu werden, lehnte er ab.

5

Mit E-Mail vom 10. September 2012 richtete der Kläger eine Petition an die Personalleitung der Beklagten. In der beigefügten PowerPoint-Präsentation führte er aus, dass seit 1996 eine „massive Entwicklungsblockade“ gegen ihn verhängt worden sei. Trotz seiner „ständig sehr guten Ergebnisse“ und der „mustergültigen Einhaltung aller geltenden Regeln“ sei er nicht befördert worden. Dieses „unternehmensbedingte, großangelegte Mobbing“ habe bei ihm zu „totaler Frustration“ geführt. Seine Arbeitsmoral liege „brach“, die „innere Kündigung (sei) perfekt“. Die Beklagte habe ihn „krank gemacht“, für eine „neue Aufgabe oder Funktion habe (er) keine Kraft mehr“. Er sei „körperlich erschöpft, sowie seelisch und geistig ausgebrannt“. Die Beklagte habe sein „Potenzial definitiv und unwiederbringlich kaputt gemacht“. Man befinde sich in einem Dilemma wie in einer „schlechten Ehe“ und solle sich „lieber heute als morgen voneinander trennen“. Die von ihm „bevorzugte Lösung“ sei deshalb eine „bezahlte Freistellung mit garantiertem Bestandsschutz bis zum Eintritt in die gesetzliche Rente bzw. die Freizeitphase der Altersteilzeit“. In einer weiteren E-Mail vom 20. September 2012 teilte der Kläger der Beklagten mit, ihm sei es nicht mehr möglich und zumutbar, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Ab dem 1. Oktober 2012 werde er von einem Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 und Abs. 3 BGB Gebrauch machen.

6

Die Beklagte wies die Vorwürfe mit Schreiben vom 28. September 2012 zurück und ließ den Kläger wissen, dass sie es als schwerwiegende Verletzung seiner Hauptleistungspflicht betrachten und ggf. arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zu einer Kündigung ziehen werde, wenn er der Arbeit fernbleiben sollte. Zugleich lud sie ihn für den 1. Oktober 2012 zu einem Personalgespräch ein. Der Kläger erwiderte mit E-Mail vom gleichen Tag, er sei „sprachlos“ aufgrund der „inhaltslosen Aussagen“ und „billigen Drohungen“. Die Beklagte habe „die Zusammenarbeit unmöglich gemacht“ und „ihre Glaubwürdigkeit und ihre Integrität restlos und unwiederbringlich kompromittiert“.

7

Der Kläger erschien - wie angekündigt - ab dem 1. Oktober 2012 nicht mehr zur Arbeit. In der Folge entspann sich zwischen den Parteien ein nicht geringer Schrift- und E-Mail-Wechsel, in dessen Zuge die Beklagte den Kläger zweimal wegen Arbeitsverweigerung abmahnte und ihn noch weitere drei Mal vergeblich zu einem Personalgespräch einlud. Im fünften Anlauf kam für den 15. Oktober 2012 ein solches Gespräch zustande, in dem die Parteien keine Einigung erzielen konnten. Mit Schreiben vom 17. Oktober 2012 erteilte die Beklagte dem Kläger eine „letztmalige Abmahnung“. Nachdem auch diese fruchtlos geblieben war, kündigte sie dessen Arbeitsverhältnis - nach Anhörung des Betriebsrats - mit Schreiben vom 26. Oktober 2012 außerordentlich fristlos, hilfsweise außerordentlich mit Auslauffrist zum 31. Mai 2013.

8

Hiergegen hat der Kläger sich rechtzeitig mit der vorliegenden Klage gewandt. Er hat gemeint, er habe seine Arbeitspflicht nicht verletzt, weil er wirksam ein Leistungsverweigerungsrecht geltend gemacht habe. Angesichts der gegen ihn verhängten „Entwicklungsblockade“ und des fortwährenden „Mobbing“ sei es ihm unzumutbar, weiterhin seine Arbeitsleistung zu erbringen. Die Kündigung stelle sich als Maßregelung dar.

9

Der Kläger hat - soweit noch von Interesse - beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 26. Oktober 2012 noch durch die außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist vom 26. Oktober 2012 aufgelöst worden ist.

10

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, der Kläger habe seine Arbeitspflicht beharrlich verletzt. Er sei nicht berechtigt gewesen, die Leistung zu verweigern. Die von ihm - ohnehin unsubstantiiert - erhobenen Vorwürfe seien unzutreffend. Der Kläger habe sich auch nicht in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befunden. Vielmehr sei er sich des mit seinem Vorgehen verbundenen Risikos bewusst gewesen.

11

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte das Ziel, das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist zulässig und begründet.

13

A. Der Senat kann über die Revision entscheiden. Es kommt nicht darauf an, ob der Rechtsstreit deshalb nach § 244 Abs. 1 ZPO unterbrochen gewesen ist, weil der ursprüngliche Prozessbevollmächtigte des Klägers im Laufe des Revisionsverfahrens die Zulassung zur Anwaltschaft und damit gemäß § 11 Abs. 4 ArbGG die Fähigkeit verloren hat, die Vertretung seiner Partei fortzuführen(gegen eine Unterbrechung bei Bestellung eines Abwicklers BFH 10. Februar 1982 - I R 225/78 - BFHE 135, 445; für eine Unterbrechung trotz Bestellung eines Abwicklers OLG Köln 3. Juni 1993 - 12 W 19/93 - zu I der Gründe; Stein/Jonas/Roth ZPO 22. Aufl. § 244 Rn. 9). Eine mögliche Unterbrechung ist jedenfalls dadurch beendet worden, dass der Abwickler der Kanzlei des früheren Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 30. April 2015 seine Bestellung gegenüber dem Bundesarbeitsgericht angezeigt hat und die Anzeige der Beklagten zugestellt worden ist (§ 244 Abs. 1, § 250 ZPO). Bei einem amtlich bestellten Abwickler handelt es sich um einen „bestellten neuen Anwalt“ iSv. § 244 Abs. 1 ZPO(BAG 13. Mai 1997 - 3 AZR 66/96 - zu A der Gründe).

14

B. Die Revision ist zulässig. Entgegen der Ansicht des Klägers ist sie ordnungsgemäß begründet worden.

15

I. Nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO gehört zum notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung die Angabe der Revisionsgründe. Bei einer Sachrüge muss der vermeintliche Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufgezeigt werden, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Dazu muss die Revisionsbegründung eine Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils enthalten. Das erfordert die genaue Darlegung der Gesichtspunkte, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll (vgl. BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 16).

16

II. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung gerecht. Die Beklagte wendet sich gegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts, unter Abwägung der beiderseitigen Interessen sei es ihr zumutbar, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Sie legt dar, welche von ihm festgestellten Umstände es außer Acht gelassen habe und wie daraus ein anderes Ergebnis folge. Diese Sachrüge wäre im Fall ihrer Begründetheit geeignet, das Berufungsurteil - soweit es durch die Beklagte angefochten wird - zu Fall zu bringen. Das reicht als Revisionsangriff aus. Darauf, ob die Beklagte die von ihr zudem erhobenen Verfahrensrügen ausreichend begründet hat, kommt es für die Zulässigkeit der Revision deshalb nicht an.

17

C. Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage zu Unrecht stattgegeben. Sie ist unbegründet. Die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 26. Oktober 2012 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit ihrem Zugang aufgelöst. Sie ist wirksam.

18

I. Es besteht ein wichtiger Grund iSv. § 626 BGB iVm. § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 MTV.

19

1. Nach § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 MTV können die Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmern, die - wie der Kläger - das 50. Lebensjahr vollendet und dem Betrieb oder Unternehmen mindestens 15 Jahre angehört haben, verhaltensbedingt nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Mit dem Begriff des „wichtigen Grundes“ knüpft der MTV an die gesetzliche Regelung des § 626 Abs. 1 BGB an(für insoweit vergleichbare Tarifverträge BAG 28. Oktober 2010 - 2 AZR 688/09 - Rn. 31; 12. Januar 2006 - 2 AZR 242/05 - Rn. 24).

20

2. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der - ggf. fiktiven - Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 19, BAGE 149, 355; 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 19). Bei der Interessenabwägung ist die ordentliche Unkündbarkeit seines Arbeitsverhältnisses - hier: nach § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 MTV - nicht gesondert zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 48 mwN, BAGE 137, 54).

21

3. Der Kläger hat einen „an sich“ wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB herbeigeführt, indem er die von ihm geschuldete Arbeitsleistung beharrlich verweigerte.

22

a) Die beharrliche Weigerung eines Arbeitnehmers, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, ist „an sich“ geeignet, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Ein Arbeitnehmer verweigert die ihm angewiesene Arbeit beharrlich, wenn er sie bewusst und nachdrücklich nicht leisten will. Ob er zur Arbeitsleistung verpflichtet war, entscheidet sich nach der objektiven Rechtslage. Verweigert der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung in der Annahme, er handele rechtmäßig, hat grundsätzlich er selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als unzutreffend erweist (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 29, 32).

23

b) Der kündigende Arbeitgeber ist darlegungs- und beweispflichtig für alle Umstände, die einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB begründen sollen. Ihn trifft die Darlegungs- und Beweislast auch für diejenigen Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen. Allerdings hat hierzu der Arbeitnehmer seinerseits nach § 138 Abs. 2 ZPO substantiiert vorzutragen; er muss darlegen, warum sein Fehlen als „entschuldigt“ anzusehen sei. Nur die im Rahmen der insofern abgestuften Darlegungs- und Beweislast vom Arbeitnehmer behaupteten Tatsachen hat der Arbeitgeber zu widerlegen (vgl. BAG 17. Juni 2003 - 2 AZR 123/02 - zu II 2 b aa der Gründe; 21. Mai 1992 - 2 AZR 10/92 - zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 70, 262).

24

c) Der Kläger verweigerte seit dem 1. Oktober 2012 die von ihm geschuldete Arbeitsleistung. Er war grundsätzlich verpflichtet, die ihm mit seinem Einverständnis übertragenen Tätigkeiten eines „Blueprint-Vorfilterers“ und eines „TRM-Koordinators“ auszuführen.

25

d) Der Kläger war nicht berechtigt, die Arbeitsleistung zu verweigern, weil es ihm gemäß § 275 Abs. 3 BGB unzumutbar gewesen wäre, sie zu erbringen.

26

aa) Nach § 275 Abs. 3 BGB kann der Schuldner die Leistung verweigern, wenn er sie persönlich zu erbringen hat und sie ihm unter Abwägung des ihr entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers nicht zugemutet werden kann. Die Vorschrift betrifft das Spannungsverhältnis von Vertragstreue und Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung (BAG 13. August 2010 - 1 AZR 173/09 - Rn. 12, BAGE 135, 203). Sie löst es (nur) dann zugunsten des Schuldners auf, wenn für diesen die Leistungserbringung in hohem Maße belastend ist (MüKoBGB/Ernst 6. Aufl. § 275 Rn. 116), weil ein Fall besonderer Leistungserschwerung vorliegt (Alpmann in jurisPK-BGB 7. Aufl. § 275 Rn. 70). Dem Schuldner kann die Erfüllung der von ihm persönlich zu erbringenden Leistung unzumutbar sein, wenn er dadurch Gefahr läuft, in bedeutsamen Rechtsgütern verletzt zu werden (vgl. Staudinger/Caspers (2014) § 275 Rn. 112: Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit). Im Falle einer zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung des Arbeitnehmers selbst - nicht eines seiner nahen Angehörigen - ist umstritten, ob die Leistungsbefreiung automatisch gemäß § 275 Abs. 1 BGB eintritt oder der Betreffende erst von einem Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB Gebrauch machen muss(zum Streitstand siehe Alpmann in jurisPK-BGB 7. Aufl. § 275 Rn. 71; MüKoBGB/Ernst 6. Aufl. § 275 Rn. 118).

27

bb) Dem Kläger war es nicht unzumutbar, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.

28

(1) Er beruft sich nicht etwa darauf, dass er bereits arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Eine entsprechende ärztliche Bescheinigung gemäß § 5 EFZG hat er nicht vorgelegt. Es ist auch nicht ersichtlich, dass eine Arbeitsunfähigkeit zumindest zu erwarten gewesen wäre, wenn er seine Tätigkeit fortgesetzt hätte. Zwar hat der Kläger behauptet, an einer psychischen Erkrankung zu leiden. Jedoch hat er diese nur schlagwortartig umschrieben. Es fehlt an Vortrag zu den Symptomen und dazu, wie sich die Krankheit - die ihm offenbar seit Jahren bekannt ist - in der jüngeren Vergangenheit entwickelt hat, welche konkreten Auswirkungen die Situation am Arbeitsplatz hatte und warum es ihm deshalb nicht mehr zugemutet werden konnte, die Arbeitsleistung fortzusetzen.

29

(2) Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass es dem Kläger nicht aufgrund von - drohenden - Persönlichkeitsrechtsverletzungen unzumutbar gewesen sei, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen (zur eingeschränkten Überprüfbarkeit der tatrichterlichen Würdigung vgl. BAG 28. Oktober 2010 - 8 AZR 546/09 - Rn. 20; 24. April 2008 - 8 AZR 347/07 - Rn. 36).

30

(a) Nicht jedes den Arbeitnehmer belastende Verhalten des Arbeitgebers oder eines seiner Repräsentanten (§ 278 BGB) stellt einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers oder eine Verletzung vertraglicher Pflichten zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) dar. Persönlichkeitsrechte werden nicht allein dadurch verletzt, dass im Arbeitsleben übliche Konflikte auftreten, die sich durchaus über einen längeren Zeitraum erstrecken können. Sozial- und rechtsadäquates Verhalten muss aufgrund der gebotenen objektiven Betrachtungsweise - dh. ohne Rücksicht auf das subjektive Empfinden des betroffenen Arbeitnehmers - von der rechtlichen Bewertung ausgenommen werden. Mangels entsprechender Systematik und Zielrichtung werden keine Rechte des Arbeitnehmers beeinträchtigt, wenn er von verschiedenen Vorgesetzten, die nicht zusammenwirken und die zeitlich aufeinanderfolgen, in seiner Arbeitsleistung kritisiert oder schlecht beurteilt wird. Dies gilt insbesondere dann, wenn seine Arbeitsleistung nicht nur beanstandet oder ignoriert, sondern auch positiv gewürdigt wird. Ebenso müssen Verhaltensweisen von Arbeitgebern oder Vorgesetzten unberücksichtigt bleiben, die lediglich eine Reaktion auf Provokationen durch den vermeintlich „gemobbten“ Arbeitnehmer darstellen. Insoweit fehlt es an der eindeutigen Täter-Opfer-Konstellation (BAG 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - Rn. 86, BAGE 122, 304).

31

(b) Zur Begründung des Vorwurfs, er sei systematisch in seiner beruflichen Entwicklung „blockiert“ worden, beruft der Kläger sich darauf, dass ihm Zwischenzeugnisse mit unrichtigem Inhalt erteilt, ein Telearbeitsplatz verweigert, Leistungspunkte gestrichen, keine herausfordernden Aufgaben übertragen und eine Fortbildung und Beförderung verwehrt worden seien. Weitere Verhaltensweisen der Beklagten hat er nicht konkret dargetan; es ersetzt keinen substantiierten Sachvortrag, Vorschriften zu benennen, gegen die sie verstoßen haben soll.

32

(c) Mit dem Landesarbeitsgericht lassen die vom Kläger geschilderten Verhaltensweisen weder einzeln für sich noch in ihrer Gesamtschau den Schluss auf eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts zu. Zwischen den Parteien bestanden lediglich Konflikte wie sie im Arbeitsleben üblich sind. Sie ergaben sich aus unterschiedlichen Auffassungen über die Qualität der Arbeitsleistung und -ergebnisse des Klägers. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte oder einer ihrer Repräsentanten (§ 278 BGB) auch nur in einem Einzelfall die Ebene der Sachlichkeit verlassen hätte. Im Übrigen würde selbst dies nicht ausreichen, um eine Rechtsverletzung anzunehmen (vgl. BAG 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - Rn. 76, BAGE 122, 304).

33

(aa) Der Kläger mag es als erniedrigend empfunden haben, dass ehemalige Kollegen zu seinen Vorgesetzten wurden. In diesem Empfinden mag er dadurch bestärkt worden sein, dass seine Arbeitsleistung schlechter beurteilt wurde, als er es für gerechtfertigt hielt. Er hatte jedoch keinen Rechtsanspruch darauf, gleichfalls befördert zu werden (vgl. zur „Fürsorgepflicht“ des Arbeitgebers BAG 23. September 1992 - 5 AZR 526/91 - zu II 6 der Gründe). Die Beklagte hat substantiiert dargetan, dass sie ihn nicht als „Führungskraft“ sehe, weil er aus ihrer Sicht nicht über ausreichende Gestaltungsfähigkeiten bei komplexen, noch unklaren Sachverhalten und nicht über das erforderliche Team- und Kommunikationsverhalten verfüge.

34

(bb) Es ist nicht ersichtlich, dass gegen den Kläger eine „Entwicklungsblockade“ verhängt worden wäre. Ihm sind Angebote zur Fort- und Weiterbildung unterbreitet worden. Diese hat er entweder nicht angenommen oder er hat die begonnenen Schulungen - etwa das sog. Gallup-Stärkentraining - vorzeitig abgebrochen. Wenn Probleme in seinem Arbeitsumfeld aufgetreten sind, hat die Beklagte versucht, Tätigkeiten in anderen Bereichen für ihn zu finden und ihm einen „unbelasteten Neustart“ zu ermöglichen. Nach seinen eigenen Angaben ist er nicht nur kritisiert, sondern verschiedentlich für seine Arbeitsleistung und seine Arbeitsergebnisse auch gelobt worden. Zu keiner Zeit wurde ihm eine Aufgabe entzogen. Die Notwendigkeit, ihm neue Tätigkeiten zuzuweisen, ergab sich vielmehr dadurch, dass die ihm übertragenen Projekte abgeschlossen waren. Dass der Kläger mit den ihm zuletzt übertragenen Tätigkeiten eines „Blueprint-Vorfilterers“ und eines „TRM-Koordinators“ nicht ausgelastet war, lässt nicht den Schluss zu, die Beklagte habe ihn auf das „Abstellgleis“ geschoben. Ihm ist zusätzlich ein Einsatz im Projekt „SharePoint“ angeboten worden. Diesen hat er - mit der Begründung, dass er sich dafür zunächst hätte fortbilden müssen - abgelehnt. Er hat auch im Prozess keine Angaben dazu gemacht, welche möglichen Aufgaben, die den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen entsprochen und nicht eine Beförderung bedeutet hätten, die Beklagte ihm „vorenthalten“ habe.

35

(cc) Es kommt hinzu, dass die Auseinandersetzungen um den Telearbeitsplatz und die Streichung von Leistungspunkten bei Beginn der Arbeitsverweigerung bereits im Sinne des Klägers „ausgestanden“ waren. Ihm war ein Telearbeitsplatz eingerichtet worden. Sein Vorgesetzter hatte ihm lediglich nahegelegt, in seinem - des Klägers - eigenen Interesse gleichwohl ausreichend im Unternehmen „präsent“ zu sein. Die nach den bei der Beklagten üblichen Gepflogenheiten anlässlich eines Aufgabenwechsels „gehaltsneutral“ gestrichenen Leistungspunkte waren ihm auf seinen „Protest“ hin wieder gutgeschrieben worden. Das hatte für ihn eine Gehaltserhöhung zur Folge, obwohl er sich in der neuen Tätigkeit noch nicht in der dazu erforderlichen Weise „bewährt“ haben konnte.

36

e) Die Arbeitsverweigerung durch den Kläger war nicht in Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts gemäß § 273 Abs. 1 BGB gerechtfertigt.

37

aa) Nach dieser Vorschrift darf der Schuldner, der aus dem gleichen Rechtsverhältnis, auf dem seine Verpflichtung beruht, einen fälligen Anspruch gegen den Gläubiger hat - sofern sich aus dem Schuldverhältnis nichts anderes ergibt -, die geschuldete Leistung verweigern, bis die ihm gebührende Leistung bewirkt wird. Dem Arbeitnehmer kann ein Recht zustehen, die Arbeitsleistung zurückzuhalten, wenn der Arbeitgeber seine aus dem Arbeitsverhältnis folgenden Haupt- oder Nebenpflichten schuldhaft nicht erfüllt. So liegt es beispielsweise, wenn der Arbeitgeber oder einer seiner Repräsentanten (§ 278 BGB) die Gesundheit des Arbeitnehmers oder dessen Persönlichkeitsrecht in erheblicher Weise verletzt und mit weiteren Verletzungen zu rechnen ist. Die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts steht unter dem Gebot von Treu und Glauben nach § 242 BGB und unterliegt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dementsprechend muss der Arbeitnehmer unter Angabe des Grundes dem Arbeitgeber klar und eindeutig mitteilen, er werde dieses Recht mit Blick auf eine ganz bestimmte, konkrete Gegenforderung wahrnehmen. Nur so wird dem Arbeitgeber die Möglichkeit eröffnet, den möglichen Anspruch des Arbeitnehmers zu prüfen und ggf. zu erfüllen. Wenn der Arbeitnehmer berechtigterweise von einem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch macht, liegt keine Arbeitsverweigerung vor (vgl. BAG 13. März 2008 - 2 AZR 88/07 - Rn. 39 ff. mwN).

38

bb) Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger kein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB geltend gemacht. Obwohl ihm ausweislich vorheriger Mitteilungen - etwa in der E-Mail vom 30. März 2009 - der Unterschied zwischen beiden Normen bestens bekannt war, hat er die Beklagte mit E-Mail vom 20. September 2012 (lediglich) wissen lassen, dass ihm die weitere Arbeitsleistung unzumutbar sei und er ab dem 1. Oktober 2012 von seinem Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 und Abs. 3 BGB Gebrauch machen werde. Noch in der Klageschrift hat er sich ausschließlich auf § 275 BGB bezogen. Dementsprechend hat er von der Beklagten nicht etwa verlangt, bestimmte Ansprüche zu erfüllen, Maßnahmen zu ergreifen oder Zustände zu beenden. Mithilfe der Weigerung, seine Arbeitsleistung zu erbringen, wollte er weder eine vertragsgemäße Beschäftigung noch die Unterlassung von weiterem „Mobbing“ erreichen. Vielmehr hat er lediglich „vorgeschlagen“, ihn unter Fortzahlung der Vergütung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze von der Arbeitsleistung freizustellen. Darin erblickte er nicht mehr als die Festschreibung dessen, was nach § 275 Abs. 3 iVm. § 326 Abs. 2 BGB ohnehin - unveränderlich - gelte.

39

cc) Gemäß den Ausführungen zu § 275 Abs. 3 BGB bestanden im Übrigen keine Gegenansprüche, auf die der Kläger ein Recht, seine Arbeitsleistung zurückzuhalten, erfolgreich hätte stützen können. Zwar hatte er einen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung im Umfang von 35 Wochenstunden. Auch wurde dieser von der Beklagten bei weitem nicht vollständig erfüllt, weil der Kläger nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts mit den ihm zuletzt übertragenen Tätigkeiten eines „Blueprint-Vorfilterers“ und eines „TRM-Koordinators“ nur im Umfang von drei bis vier Stunden pro Woche ausgelastet war. Die „Unterbeschäftigung“ beruhte jedoch darauf, dass der Kläger die ihm ergänzend angetragene Tätigkeit im Projekt „SharePoint“ nicht hatte übernehmen wollen. Unter diesen Umständen wäre es rechtsmissbräuchlich iSv. § 242 BGB, die Arbeitsleistung mit dem Ziel zurückzuhalten, weitere Aufgaben zugewiesen zu bekommen.

40

f) Der Kläger hat seine geschuldete Arbeitsleistung bewusst und nachhaltig verweigert.

41

aa) Obgleich die Beklagte ihn mit Schreiben vom 28. September 2012 darauf hingewiesen hatte, dass sie dies als schwerwiegenden Verstoß gegen seine Hauptleistungspflicht betrachten und ggf. arbeitsrechtliche Konsequenzen ziehen werde, blieb er ab dem 1. Oktober 2012 der Arbeit fern und nahm sie trotz dreier Abmahnungen und mehrerer Aufforderungen der Beklagten bis zum Kündigungszeitpunkt - über mehr als dreieinhalb Wochen - nicht wieder auf.

42

bb) Der Kläger befand sich nicht in einem entschuldbaren Rechtsirrtum.

43

(1) Der Geltungsanspruch des Rechts bewirkt, dass der Schuldner das Risiko eines Rechtsirrtums grundsätzlich selbst trägt und es nicht dem Gläubiger überbürden kann (BAG 19. August 2015 - 5 AZR 975/13 - Rn. 31). Ein unverschuldeter Rechtsirrtum liegt nur vor, wenn der Schuldner seinen Irrtum auch unter Anwendung der zu beachtenden Sorgfalt nicht erkennen konnte. Dabei sind strenge Maßstäbe anzulegen. Es reicht nicht aus, dass er sich für seine eigene Rechtsauffassung auf eine eigene Prüfung und fachkundige Beratung stützen kann. Ein Unterliegen in einem möglichen Rechtsstreit muss zwar nicht undenkbar sein (vgl. BAG 12. November 1992 - 8 AZR 503/91 - zu I 1 der Gründe, BAGE 71, 350). Gleichwohl liegt ein entschuldbarer Rechtsirrtum nur dann vor, wenn der Schuldner damit nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht zu rechnen brauchte; ein normales Prozessrisiko entlastet ihn nicht (vgl. BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 34; BGH 6. Dezember 2006 - IV ZR 34/05 - zu II 1 a aa der Gründe; 27. September 1989 - IVa ZR 156/88 -).

44

(2) Der Kläger hat sich nicht fachkundig beraten lassen, bevor er die Arbeitsleistung verweigert hat. Nach seinem eigenen Vorbringen war er sich des Risikos, dass ein Leistungsverweigerungsrecht von den Gerichten verneint werden könnte, vollauf bewusst. Unter diesen Umständen kann von einem entschuldbaren, unvermeidbaren Rechtsirrtum keine Rede sein.

45

4. Bei der abschließenden Interessenabwägung überwiegt - entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts - das Interesse der Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dessen Fortsetzung war ihr selbst für den Lauf der - fiktiven - ordentlichen Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Schluss eines Kalendermonats (§ 8 Ziff. 2 Abs. 2 Satz 1 MTV) nicht zuzumuten.

46

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der - fiktiven - Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zuzumuten war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel - etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung - gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (vgl. BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 21; 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 47, BAGE 149, 355).

47

b) Dem Berufungsgericht kommt bei dieser Prüfung und Interessenabwägung - obwohl es sich um Rechtsanwendung handelt - ein gewisser Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz aber daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 24; 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 42). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist dann möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - aaO; 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 16).

48

c) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Beklagten sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zuzumuten gewesen, hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

49

aa) Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung ist insoweit nicht zu beanstanden, wie es zugunsten des Klägers die lange Dauer des Arbeitsverhältnisses, dessen von erheblichen Pflichtverletzungen freien Verlauf, seine Unterhaltspflichten und den Umstand berücksichtigt hat, dass die Beklagte nicht nach weiteren Möglichkeiten gesucht hat, ihn vertragsgemäß in Vollzeit zu beschäftigen. Dass der Kläger einen Einsatz im Projekt „SharePoint“ abgelehnt hatte, führte zwar dazu, dass er seine Arbeitsleistung nicht mit dem Ziel zurückhalten durfte, man möge ihm weitere Aufgaben übertragen. Dies entband die Beklagte jedoch nicht davon, „von sich aus“ andere bzw. zusätzliche Tätigkeiten für ihn zu suchen.

50

bb) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht auf der anderen Seite die Schwere der Pflichtverletzung und den Grad des ihn treffenden Verschuldens zulasten des Klägers berücksichtigt.

51

(1) Die Pflichtverletzung des Klägers war schwerwiegend. Er hat gegen seine Hauptleistungspflicht verstoßen und es der Beklagten unmöglich gemacht, mit der von ihm geschuldeten Arbeitsleistung zu planen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob und ggf. welche Arbeiten aufgrund seiner Abwesenheit nicht erledigt wurden (vgl. dazu BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 43). Ebenso wenig ist es von Belang, dass er mit den Tätigkeiten als „Blueprint-Vorfilterer“ und „TRM-Koordinator“ lediglich für drei bis vier Wochenstunden ausgelastet war. Wollte man dies anders sehen, müssten geringfügig Beschäftigte selbst dann nicht mit einer Kündigung rechnen, wenn sie die Arbeitsleistung noch so beharrlich verweigern sollten.

52

(2) Den Kläger traf ein erhebliches Verschulden. Er war sich des mit seinem Vorgehen verbundenen Risikos nach eigenem Bekunden hinlänglich bewusst. Die Möglichkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung hatte er ausdrücklich ins Kalkül gezogen.

53

cc) Das Landesarbeitsgericht durfte angesichts aller Umstände nicht annehmen, die Interessen des Klägers überwögen, weil der Beklagten eine mildere Reaktionsmöglichkeit zur Verfügung gestanden habe.

54

(1) Es hat gemeint, die Beklagte habe dem Kläger spätestens in dem Personalgespräch am 15. Oktober 2012 eine Verbesserung der von ihm als unerträglich empfundenen Arbeitssituation in Aussicht stellen und ihm so „den Weg zurück (…) ebnen“ müssen. Es könne „nicht von vornherein ausgeschlossen“ werden, „dass (er) ein solches Angebot wahrgenommen hätte“. Es sei ihm „gerade um eine angemessene Beschäftigung“ gegangen. Der Beklagten sei es deshalb zumutbar gewesen, dem Kläger zunächst „ein Entgegenkommen bei der Übernahme weiterer Aufgaben zu zeigen“.

55

(2) Die Annahme, darin habe ein milderes Mittel bestanden, das geeignet gewesen wäre, die Arbeitsverweigerung zu beenden, ist rechtsfehlerhaft. Sie steht im Widerspruch zu der Intention des Klägers, wie sie aus dessen vorangegangenen Bekundungen und - diese bestätigend - seinem Prozessvortrag deutlich geworden ist.

56

(a) Ausweislich seiner E-Mails vom 10., 20. und 28. September 2012 hielt der Kläger es für unzumutbar iSv. § 275 Abs. 3 BGB, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. In Festschreibung dessen, was gemäß § 326 Abs. 2 BGB ohnehin gelte, „bevorzuge“ er eine bezahlte Freistellung bis zum Eintritt in die Regelaltersrente. Er war danach unter keinen Umständen (mehr) bereit, den bestehenden Arbeitsvertrag zu erfüllen. Die Beklagte musste mit Blick auf diese Äußerungen annehmen, dass sie ihn nicht dazu hätte bewegen können, seine ablehnende Haltung aufzugeben, indem sie ihm die Übernahme weiterer, den Vereinbarungen der Parteien entsprechender Aufgaben anböte. Eine „angemessene Beschäftigung“ wäre vielmehr in den Augen des Klägers - so musste es sich ihr darstellen - allenfalls eine solche gewesen, die eine Beförderung in den Bereich der „AT-Angestellten“ bzw. der „Führungskräfte“ bedeutet hätte. Und selbst das musste zweifelhaft erscheinen, nachdem er mit der E-Mail vom 28. September 2012 mitgeteilt hatte, die „innere Kündigung“ sei „perfekt“, für eine „neue Aufgabe oder Funktion habe (er) keine Kraft mehr“, die Beklagte habe „die Zusammenarbeit unmöglich gemacht“ und „ihre Glaubwürdigkeit und ihre Integrität restlos und unwiederbringlich kompromittiert“.

57

(b) Dass er schlechterdings nicht (mehr) bereit war, den bestehenden Arbeitsvertrag zu erfüllen, hat der Kläger durch seinen prozessualen Vortrag untermauert. So hat er im Schriftsatz vom 28. Mai 2013 ausgeführt, es sei „offensichtlich“, dass die „Vertrauensbasis nicht wiederhergestellt“ werden könne und die Prognose für eine erfolgreiche Zusammenarbeit „negativ“ sei. In seinem Schriftsatz vom 10. Juni 2013 hat er die einzigen Wege beschrieben, die er als gangbar ansehe, um den Konflikt der Parteien zu lösen: entweder eine bezahlte Freistellung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze oder die Zahlung einer Abfindung iHv. 1.502.550,00 Euro zzgl. einer Betriebsrente iHv. 600,00 Euro pro Monate. Als „worst case“ komme auch eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses in Betracht, allerdings nur bei Gewährung einer Gehaltserhöhung, Zusage von Altersteilzeit und Androhung eines Ordnungsgelds für die Beklagte.

58

d) Gab es demnach kein milderes Mittel, um den Kläger dazu zu bewegen, künftig seinen Arbeitsvertrag zu erfüllen, überwog das Interesse der Beklagten daran, das Arbeitsverhältnis sofort zu beenden. Da der Kläger bei vollem Risikobewusstsein seine Hauptleistungspflicht nachhaltig verletzt und deren weitere Erfüllung abgelehnt hatte, ohne dass die Aussicht bestanden hätte, ihn „zur Umkehr“ bewegen zu können, hat er der Beklagten selbst die befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar gemacht. Nicht anders läge es, wenn er sie - im Sinne des von ihm beschriebenen „worst-case“-Szenarios - dazu hätte „nötigen“ wollen, ihn zu befördern, ihm Altersteilzeit zu bewilligen und ihm eine Betriebsrente in der geforderten Höhe zu zahlen.

59

5. Die Beklagte hat die Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Sie hat die Kündigung damit begründet, der Kläger weigere sich beharrlich, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Damit hat sie einen Dauertatbestand geltend gemacht, der sich fortlaufend neu verwirklichte (vgl. BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 45; 13. Mai 2004 - 2 AZR 36/04 - zu II 1 der Gründe).

60

II. Die Kündigung ist nicht deshalb nach § 134 BGB nichtig, weil sie gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB verstieße. So läge es nur, wenn tragender Beweggrund, dh. wesentliches Motiv für sie eine zulässige Rechtsausübung gewesen wäre (vgl. BAG 20. Dezember 2012 - 2 AZR 867/11 - Rn. 45; 19. April 2012 - 2 AZR 233/11 - Rn. 47). Das wiederum setzte voraus, dass das geltend gemachte Recht tatsächlich existierte (ErfK/Preis 15. Aufl. § 612a BGB Rn. 5; KR/Treber 10. Aufl. § 612a BGB Rn. 6). Dem Kläger stand aber weder ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB noch ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB zu. Er hat kein Recht in zulässiger Weise ausgeübt, sondern beharrlich die von ihm geschuldete Arbeitsleistung verweigert.

61

III. Die Kündigung ist nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß angehört worden. Hierüber besteht zwischen den Parteien kein Streit.

62

D. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Niemann    

        

        

        

    Krichel    

        

    Jan Eulen    

                 

(1) Mindestens ein Viertel der wahlberechtigten Arbeitnehmer, der Arbeitgeber oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft können beim Arbeitsgericht den Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat oder die Auflösung des Betriebsrats wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten beantragen. Der Ausschluss eines Mitglieds kann auch vom Betriebsrat beantragt werden.

(2) Wird der Betriebsrat aufgelöst, so setzt das Arbeitsgericht unverzüglich einen Wahlvorstand für die Neuwahl ein. § 16 Abs. 2 gilt entsprechend.

(3) Der Betriebsrat oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft können bei groben Verstößen des Arbeitgebers gegen seine Verpflichtungen aus diesem Gesetz beim Arbeitsgericht beantragen, dem Arbeitgeber aufzugeben, eine Handlung zu unterlassen, die Vornahme einer Handlung zu dulden oder eine Handlung vorzunehmen. Handelt der Arbeitgeber der ihm durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung auferlegten Verpflichtung zuwider, eine Handlung zu unterlassen oder die Vornahme einer Handlung zu dulden, so ist er auf Antrag vom Arbeitsgericht wegen einer jeden Zuwiderhandlung nach vorheriger Androhung zu einem Ordnungsgeld zu verurteilen. Führt der Arbeitgeber die ihm durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung auferlegte Handlung nicht durch, so ist auf Antrag vom Arbeitsgericht zu erkennen, dass er zur Vornahme der Handlung durch Zwangsgeld anzuhalten sei. Antragsberechtigt sind der Betriebsrat oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft. Das Höchstmaß des Ordnungsgeldes und Zwangsgeldes beträgt 10.000 Euro.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Mindestens ein Viertel der wahlberechtigten Arbeitnehmer, der Arbeitgeber oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft können beim Arbeitsgericht den Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat oder die Auflösung des Betriebsrats wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten beantragen. Der Ausschluss eines Mitglieds kann auch vom Betriebsrat beantragt werden.

(2) Wird der Betriebsrat aufgelöst, so setzt das Arbeitsgericht unverzüglich einen Wahlvorstand für die Neuwahl ein. § 16 Abs. 2 gilt entsprechend.

(3) Der Betriebsrat oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft können bei groben Verstößen des Arbeitgebers gegen seine Verpflichtungen aus diesem Gesetz beim Arbeitsgericht beantragen, dem Arbeitgeber aufzugeben, eine Handlung zu unterlassen, die Vornahme einer Handlung zu dulden oder eine Handlung vorzunehmen. Handelt der Arbeitgeber der ihm durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung auferlegten Verpflichtung zuwider, eine Handlung zu unterlassen oder die Vornahme einer Handlung zu dulden, so ist er auf Antrag vom Arbeitsgericht wegen einer jeden Zuwiderhandlung nach vorheriger Androhung zu einem Ordnungsgeld zu verurteilen. Führt der Arbeitgeber die ihm durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung auferlegte Handlung nicht durch, so ist auf Antrag vom Arbeitsgericht zu erkennen, dass er zur Vornahme der Handlung durch Zwangsgeld anzuhalten sei. Antragsberechtigt sind der Betriebsrat oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft. Das Höchstmaß des Ordnungsgeldes und Zwangsgeldes beträgt 10.000 Euro.

Tenor

I.

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 03.07.2014 - AZ: 4 BV 12/14 - abgeändert.

Der Beteiligte zu 2) wird aus dem Betriebsrat der RWW Rheinisch-Westfälische Wasserwerksgesellschaft mbH ausgeschlossen.

II.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.


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Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 2. wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 23. Januar 2015 - 6 TaBV 48/14 - aufgehoben.

Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 3. Juli 2014 - 4 BV 12/14 - wird zurückgewiesen.

Gründe

1

A. Die Beteiligten streiten über den Ausschluss des Beteiligten zu 2. aus dem Betriebsrat.

2

Die zu 1. beteiligte Arbeitgeberin betreibt ein Unternehmen der Wasserversorgung und -dienstleistung. Für ihren Betrieb ist der zu 3. beteiligte Betriebsrat gebildet, dessen Mitglied der Beteiligte zu 2. ist.

3

Hauptanteilseignerin der Arbeitgeberin ist die R AG. In der Vergangenheit gab es Überlegungen zu einer Veräußerung der Gesellschaftsanteile durch die R AG. Dabei gehörte im Jahr 2002 ua. die Fa. G zu den Interessenten.

4

In einem Gespräch am 21. Januar 2014 informierte der Geschäftsführer der Arbeitgeberin den Betriebsratsvorsitzenden und den damaligen stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden über Planungen der R AG, Gesellschaftsanteile der Arbeitgeberin zu verkaufen. Dabei wurde unter Hinweis auf die absolute Vertraulichkeit der Information ua. die Fa. G als Kaufinteressentin genannt. Darüber setzte der Betriebsratsvorsitzende während der Betriebsratssitzung vom 29. Januar 2014, an der auch der Beteiligte zu 2. teilnahm, die übrigen Betriebsratsmitglieder unter Hinweis auf die strenge Vertraulichkeit der Information in Kenntnis.

5

Im Rahmen einer Mitgliederversammlung der ver.di-Betriebsgruppe am 17. Februar 2014 brachte der Beteiligte zu 2. einen möglichen Verkauf von Gesellschaftsanteilen der Arbeitgeberin durch die R AG zur Sprache. Der ebenfalls anwesende Betriebsratsvorsitzende wies ihn dabei auf seine Verschwiegenheitspflicht hin.

6

Am 20. Februar 2014 fand im Betrieb der Arbeitgeberin eine Betriebsversammlung statt, anlässlich derer sich die Kandidaten für die anstehende Betriebsratswahl, ua. der Beteiligte zu 2., vorstellten. Zu Beginn der Rede des Beteiligten zu 2. wies der Betriebsratsvorsitzende diesen auf seine Verschwiegenheitspflicht hin. Gleichwohl brachte der Beteiligte zu 2. in seiner Rede einen möglichen Verkauf von Gesellschaftsanteilen durch die R AG an die Fa. G zur Sprache.

7

Mit ihrem am 25. März 2014 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat die Arbeitgeberin den Ausschluss des Beteiligten zu 2. aus dem Betriebsrat begehrt. Am 15./16. April 2014 fand die Wahl eines neuen Betriebsrats statt. Der Beteiligte zu 2. wurde dabei erneut als Betriebsratsmitglied gewählt.

8

Die Arbeitgeberin hat geltend gemacht, der Beteiligte zu 2. sei gemäß § 23 Abs. 1 BetrVG wegen einer groben Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten aus dem Betriebsrat auszuschließen. Ihr Rechtsschutzbedürfnis für den Ausschließungsantrag bleibe auch nach der Neuwahl des Betriebsrats bestehen. Der Beteiligte zu 2. habe auf der Mitgliederversammlung der ver.di-Betriebsgruppe am 17. Februar 2014 und auf der Betriebsversammlung am 20. Februar 2014 vertrauliche Informationen über den geplanten Anteilsverkauf öffentlich bekannt gemacht und dadurch seine Geheimhaltungspflicht zum Zweck der eigenen Wahlwerbung verletzt. Auf diese Indiskretion sei eine anschließende Presseberichterstattung über die geplanten Anteilsverkäufe zurückzuführen, wodurch der Verhandlungsprozess erheblich gestört worden sei. Dies wirke sich belastend auf die neue Amtszeit aus und rechtfertige auch den Ausschluss aus dem neu gewählten Betriebsrat.

9

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

        

den Beteiligten zu 2. aus dem Betriebsrat der Wgesellschaft mbH auszuschließen.

10

Der Beteiligte zu 2. hat beantragt, den Antrag abzuweisen.

11

Der Beteiligte zu 2. hat den Standpunkt eingenommen, der Antrag sei aufgrund der Neuwahl des Betriebsrats unzulässig geworden. Eine etwaige in der vorherigen Amtsperiode begangene Pflichtverletzung könne gemäß § 23 Abs. 1 BetrVG nicht zum Ausschluss aus dem neu gewählten Betriebsrat führen. Im Übrigen habe er nicht gegen die Geheimhaltungspflicht verstoßen. Der Geschäftsführer der Arbeitgeberin habe auf einer Betriebsversammlung im Herbst 2013 selbst eingeräumt, ein Anteilsverkauf könne nicht ausgeschlossen werden. Es sei unverkennbar gewesen, dass im Falle eines Verkaufs die Fa. G als Käufer in Betracht kommen werde, da sie bereits in der Vergangenheit Interesse am Erwerb von Anteilen gezeigt habe.

12

Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihm stattgegeben. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Beteiligte zu 2. die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Die Arbeitgeberin beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

13

B. Die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 2. ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat dem Antrag der Arbeitgeberin zu Unrecht stattgegeben.

14

I. Der Antrag ist zulässig.

15

1. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, dass die Arbeitgeberin lediglich die Ausschließung des Beteiligten zu 2. aus dem im Jahr 2014 gewählten Betriebsrat begehrt. Zwar war ihr Antrag bei Einleitung des Verfahrens vor der Neuwahl des Betriebsrats auf die Ausschließung des Beteiligten zu 2. aus dem zu diesem Zeitpunkt amtierenden Betriebsrat gerichtet. Aus dem Vorbringen der Arbeitgeberin, sie halte nach der Neuwahl des Betriebsrats an dem Antrag fest, weil die behauptete Pflichtverletzung in die neue Amtszeit fortwirke, ergibt sich jedoch, dass sie nunmehr die Ausschließung aus dem neu gewählten Gremium verlangt. Dieses zutreffende Verständnis stellen die Beteiligten nicht in Frage.

16

2. Das Begehren, den Beteiligten zu 2. aus dem im Jahr 2014 gewählten Betriebsrat auszuschließen, betrifft einen anderen Streitgegenstand als der auf die Ausschließung aus dem vorherigen Betriebsrat gerichtete Antrag (vgl. BAG 18. Mai 2016 - 7 ABR 81/13 - Rn. 15). Daher hat die Arbeitgeberin bereits erstinstanzlich eine Antragsänderung gemäß § 81 Abs. 3 ArbGG vorgenommen. Das Arbeitsgericht hat den ursprünglichen, auf Ausschluss aus dem vorigen Betriebsrat gerichteten Antrag mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abgewiesen und zusätzlich ausgeführt, der Ausschluss aus dem neu gewählten Betriebsrat könne nicht mit einer Pflichtverletzung begründet werden, die der Beteiligte zu 2. während der früheren Amtszeit begangen habe. Damit hat es über den geänderten Antrag in der Sache entschieden und die Antragsänderung für zulässig erachtet. Daran ist der Senat gemäß § 81 Abs. 3 Satz 3 ArbGG gebunden.

17

3. Die gemäß § 81 Abs. 1 ArbGG, § 23 Abs. 1 BetrVG antragsbefugte Arbeitgeberin besitzt auch das erforderliche Rechtsschutzinteresse für den geänderten Antrag.

18

a) Das Bestehen eines Rechtsschutzinteresses ist Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Sachentscheidung des Gerichts und deshalb in jeder Lage des Verfahrens, auch noch in der Rechtsbeschwerdeinstanz, von Amts wegen zu prüfen. Das Rechtsschutzinteresse fehlt, wenn die begehrte gerichtliche Entscheidung für die Beteiligten keine rechtliche Wirkung mehr entfalten kann (BAG 18. Mai 2016 - 7 ABR 81/13 - Rn. 17; 9. September 2015 - 7 ABR 47/13 - Rn. 12).

19

b) Diesen Anforderungen genügt der auf Ausschließung des Beteiligten zu 2. aus dem im Jahr 2014 gewählten Betriebsrat gerichtete Antrag. Dieser Betriebsrat ist im Amt und der Beteiligte zu 2. ist Mitglied dieses Betriebsrats. Damit kann sich eine Entscheidung über den Ausschluss des Beteiligten zu 2. nach § 23 Abs. 1 BetrVG für die Beteiligten auswirken.

20

II. Der Antrag ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, dass die Voraussetzungen nach § 23 Abs. 1 BetrVG für eine Ausschließung des Beteiligten zu 2. aus dem im Jahr 2014 gewählten Betriebsrat erfüllt sind.

21

1. Gemäß § 23 Abs. 1 BetrVG kann ua. der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht den Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten beantragen. Eine grobe Verletzung der gesetzlichen Pflichten kann zum Ausschluss des Betriebsratsmitglieds führen, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände die weitere Amtsausübung des Betriebsratsmitglieds untragbar erscheint (vgl. BAG 22. Juni 1993 - 1 ABR 62/92 - BAGE 73, 291). Allerdings kann eine Pflichtverletzung, die während einer vorangegangenen Amtszeit des Betriebsrats begangen wurde, den Ausschluss des Betriebsratsmitglieds aus dem neu gewählten Betriebsrat nicht rechtfertigen (BAG 29. April 1969 - 1 ABR 19/68 - zu II B 4 der Gründe; ebenso HaKo-BetrVG/Düwell 4. Aufl. § 23 Rn. 5; Fitting 28. Aufl. § 23 Rn. 25; MüArbR/Joost 3. Aufl. § 222 Rn. 10; WPK/Kreft BetrVG 4. Aufl. § 23 Rn. 14; DKKW-Trittin 15. Aufl. § 23 Rn. 27 ff.; aA HWGNRH-Huke 9. Aufl. § 23 Rn. 19; ErfK/Koch 16. Aufl. § 23 BetrVG Rn. 2; Oetker GK-BetrVG 10. Aufl. § 23 Rn. 55; Thüsing in Richardi BetrVG 15. Aufl. § 23 Rn. 26). Dies gilt unabhängig davon, ob die Pflichtverletzung aus einer vorangegangen Amtszeit Auswirkungen auf die neue Amtszeit haben kann. Das ergibt die Auslegung des § 23 Abs. 1 BetrVG.

22

a) Der Wortlaut des § 23 Abs. 1 BetrVG lässt offen, ob eine Pflichtverletzung aus einer vorherigen Amtsperiode zum Ausschluss des erneut gewählten Betriebsratsmitglieds aus dem neu gewählten Gremium führen kann.

23

b) Gegen die Möglichkeit, den Ausschluss eines Betriebsratsmitglieds nach § 23 Abs. 1 BetrVG auf eine in der abgelaufenen Amtszeit begangene Pflichtverletzung zu stützen, sprechen systematische Erwägungen.

24

aa) Der Betriebsrat besteht nur für die Dauer seiner Amtszeit. Er ist - anders als der Gesamtbetriebsrat und der Konzernbetriebsrat (vgl. dazu BAG 15. Oktober 2014 - 7 ABR 53/12 - Rn. 33, BAGE 149, 261; 9. Februar 2011 - 7 ABR 11/10 - Rn. 42, BAGE 137, 123) - keine Dauereinrichtung (BAG 18. Mai 2016 - 7 ABR 81/13 - Rn. 15). Das Gesetz geht vielmehr von dem jeweils amtierenden Betriebsrat aus. Nach § 21 BetrVG beginnt die Amtszeit des Betriebsrats „mit der Wahl“ oder, wenn zu dieser Zeit noch ein Betriebsrat besteht, „mit Ablauf von dessen Amtszeit“. Das Gesetz stellt damit den bisherigen dem neu gewählten Betriebsrat gegenüber. In gleicher Weise unterscheidet das Gesetz in § 22 BetrVG für die Fälle der (vorzeitigen) Neuwahl des Betriebsrats zwischen dem alten und dem neuen Betriebsrat(BAG 29. April 1969 - 1 ABR 19/68 - zu II B 2 d der Gründe).

25

Damit im Einklang steht die gesetzliche Regelung in § 24 BetrVG zum Erlöschen der Mitgliedschaft im Betriebsrat. Gemäß § 24 Nr. 1 BetrVG endet die Mitgliedschaft im Betriebsrat mit dem Ablauf der Amtszeit. Nach § 24 Nr. 5 BetrVG erlischt die Mitgliedschaft zudem mit dem Ausschluss aus dem Betriebsrat oder dessen Auflösung aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung. § 23 Abs. 1 BetrVG regelt ebenfalls sowohl den Ausschluss des einzelnen Mitglieds als auch die Auflösung des Betriebsrats unter der gemeinsamen Voraussetzung einer groben Pflichtverletzung. In beiden Fällen bewirkt erst die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung das Ende der Amtszeit bzw. das Ende der Mitgliedschaft. Sowohl § 24 BetrVG als auch § 23 BetrVG unterfallen dem Zweiten Abschnitt des Gesetzes „Amtszeit des Betriebsrats“.

26

Das macht deutlich, dass das Gesetz die Mitgliedschaft eng an das jeweilige für die Dauer seiner Amtszeit bestehende Betriebsratsgremium bindet. Dieses einheitliche Regelungsgefüge legt es nahe, dass sich die Neuwahl des Betriebsrats in beiden in § 23 Abs. 1 BetrVG geregelten Fällen (Ausschluss des Mitglieds und Auflösung des Gremiums) in gleicher Weise auswirkt. Ein Antrag auf Auflösung des Betriebsrats nach § 23 Abs. 1 BetrVG kommt nur für den jeweils amtierenden Betriebsrat in Betracht. Nach Ablauf der Amtszeit ist diese nicht mehr möglich. Ein Auflösungsverfahren kann auch nicht gegen den neuen Betriebsrat fortgeführt werden, weil der neue Betriebsrat auch bei Personenidentität mit dem alten Betriebsrat nicht identisch ist (vgl. etwa Oetker GK-BetrVG 10. Aufl. § 23 Rn. 109; ErfK/Koch 16. Aufl. § 23 BetrVG Rn. 14). Ein Auflösungsantrag nach § 23 Abs. 1 BetrVG kann daher nur auf Pflichtverletzungen gestützt werden, die der jeweils amtierende Betriebsrat während der laufenden Amtszeit begangen hat. Entsprechendes hat für den Ausschluss eines Betriebsratsmitglieds aus dem Betriebsrat zu gelten.

27

bb) Die Regelung zur Wählbarkeit in § 8 BetrVG bestätigt diese Sichtweise. Die Wählbarkeit zum Betriebsrat wird nach § 8 Abs. 1 Satz 3 BetrVG lediglich bei Verlust der Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, infolge strafrechtlicher Verurteilung ausgeschlossen. Ansonsten führen Pflichtverletzungen nicht zum Verlust der Wählbarkeit nach § 8 BetrVG. Die Regelung zählt die zwingenden Wählbarkeitsvoraussetzungen erschöpfend auf (BAG 16. Februar 1973 - 1 ABR 18/72 - zu II 3 der Gründe, BAGE 25, 60; vgl. auch Fitting 28. Aufl. § 8 Rn. 5). Daher kann auch ein nach § 23 Abs. 1 BetrVG rechtskräftig aus dem Betriebsrat ausgeschlossenes Betriebsratsmitglied unmittelbar erneut zum Betriebsratsmitglied gewählt werden. Das zeigt, dass das Gesetz die Konsequenzen betriebsverfassungsrechtlicher Pflichtverletzungen auf die jeweilige Amtsperiode begrenzt. Anderenfalls hinge die Frage, ob das Betriebsratsmitglied Mitglied des neu gewählten Gremiums wird oder bleibt, letztlich davon ab, zu welchem Zeitpunkt eine rechtskräftige Entscheidung über den Ausschlussantrag ergeht. Bei einer rechtskräftigen Entscheidung noch während der vorherigen Amtsperiode könnte das ausgeschlossene Betriebsratsmitglied sofort erneut zum Betriebsratsmitglied gewählt werden. Wird das Ausschlussverfahren hingegen erst in der neuen Amtszeit rechtskräftig beendet, würde auch das neue Amt enden. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein solches von Zufälligkeiten abhängiges Ergebnis vom Gesetz beabsichtigt ist.

28

c) Sinn und Zweck des § 23 Abs. 1 BetrVG gebieten keine andere Sichtweise. Die Vorschrift soll ein Mindestmaß gesetzmäßigen Verhaltens des Betriebsrats und seiner Mitglieder im Rahmen der betriebsverfassungsmäßigen Ordnung für die Zukunft sicherstellen (Oetker GK-BetrVG 10. Aufl. § 23 Rn. 15; vgl. zu § 23 Abs. 3 BetrVG BAG 20. August 1991 - 1 ABR 85/90 - zu B II 2 der Gründe, BAGE 68, 200), nicht aber vergangenes Verhalten bestrafen (HaKo-BetrVG/Düwell 4. Aufl. § 23 Rn. 5). Dieser Regelungszweck erfordert nicht, auch groben Pflichtverletzungen aus der abgelaufenen Amtszeit mit einem Ausschluss aus dem neu gewählten Gremium zu begegnen. Das Gesetz nimmt - wie § 8 BetrVG verdeutlicht - vielmehr hin, dass vergangene Pflichtverletzungen ohne Auswirkung auf die Mitgliedschaft im Betriebsrat bleiben können.

29

d) Damit wird die verfahrensrechtliche Position des Arbeitgebers oder anderer Antragsberechtigter im Ausschließungsverfahren nach § 23 Abs. 1 BetrVG nicht unzumutbar verkürzt. Zwar kann der Fall eintreten, dass grobe Pflichtverletzungen eines Betriebsratsmitglieds nicht zur Ausschließung aus dem Betriebsrat führen, weil während der Amtszeit wegen Zeitablaufs keine rechtskräftige Entscheidung über einen Ausschließungsantrag ergeht, etwa dann, wenn die Pflichtverletzung erst gegen Ende der Amtszeit begangen wird. Das Ausschließungsverfahren ist jedoch nicht die einzige Möglichkeit, auf Pflichtverletzungen eines Betriebsratsmitglieds zu reagieren. Der Arbeitgeber hat bei Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit einer bestimmten Betätigung des Betriebsrats oder eines seiner Mitglieder unter den Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO die Möglichkeit, deren Zulässigkeit im Wege eines Feststellungsantrags klären zu lassen. Bei einer Beeinträchtigung des Eigentumsrechts kann der Arbeitgeber auch gegen das einzelne Betriebsratsmitglied unter den Voraussetzungen des § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB einen Unterlassungsanspruch geltend machen. Der Anwendbarkeit von § 1004 BGB steht die betriebsverfassungsrechtliche Konzeption des § 23 BetrVG, die bei groben Amtspflichtverletzungen des Betriebsrats oder einzelner seiner Mitglieder lediglich die Möglichkeit der gerichtlichen Auflösung des Betriebsrats oder den Ausschluss einzelner seiner Mitglieder kennt, nicht entgegen(BAG 15. Oktober 2013 - 1 ABR 31/12 - Rn. 27, BAGE 146, 189). Eine am Ende der Amtsperiode begangene Pflichtverletzung bliebe auch nicht weitgehend sanktionslos, wenn der Ausschluss nach § 23 Abs. 1 BetrVG auf in der laufenden Amtsperiode begangene Pflichtverletzungen beschränkt ist(so aber HWGNRH-Huke 9. Aufl. § 23 Rn. 19). Pflichtverletzungen aus vergangenen Amtsperioden können bei Wiederholungsverhalten in die Beurteilung, ob die weitere Amtsausübung des Betriebsratsmitglieds unter Berücksichtigung aller Umstände untragbar erscheint, einbezogen werden. Die Verletzung der Geheimhaltungspflicht kann auf Antrag des Verletzten nach § 120 BetrVG als Straftat geahndet werden.

30

2. Danach ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, der Beteiligte zu 2. sei wegen grober Verletzung seiner betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten gemäß § 23 Abs. 1 BetrVG aus dem im Jahr 2014 gewählten Betriebsrat auszuschließen, rechtsfehlerhaft. Da die zur Begründung des Ausschließungsantrags herangezogenen Geheimhaltungspflichtverletzungen nicht in der laufenden Amtsperiode des 2014 gewählten Betriebsrats begangen wurden, können sie gemäß § 23 Abs. 1 BetrVG einen Ausschluss aus diesem Gremium nicht zur Folge haben. Es kann daher dahinstehen, ob der Beteiligte zu 2. eine grobe Pflichtverletzung begangen hat.

        

    Gräfl    

        

    Kiel    

        

    Waskow    

        

        

        

    Busch    

        

    Rose    

                 

(1) Mindestens ein Viertel der wahlberechtigten Arbeitnehmer, der Arbeitgeber oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft können beim Arbeitsgericht den Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat oder die Auflösung des Betriebsrats wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten beantragen. Der Ausschluss eines Mitglieds kann auch vom Betriebsrat beantragt werden.

(2) Wird der Betriebsrat aufgelöst, so setzt das Arbeitsgericht unverzüglich einen Wahlvorstand für die Neuwahl ein. § 16 Abs. 2 gilt entsprechend.

(3) Der Betriebsrat oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft können bei groben Verstößen des Arbeitgebers gegen seine Verpflichtungen aus diesem Gesetz beim Arbeitsgericht beantragen, dem Arbeitgeber aufzugeben, eine Handlung zu unterlassen, die Vornahme einer Handlung zu dulden oder eine Handlung vorzunehmen. Handelt der Arbeitgeber der ihm durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung auferlegten Verpflichtung zuwider, eine Handlung zu unterlassen oder die Vornahme einer Handlung zu dulden, so ist er auf Antrag vom Arbeitsgericht wegen einer jeden Zuwiderhandlung nach vorheriger Androhung zu einem Ordnungsgeld zu verurteilen. Führt der Arbeitgeber die ihm durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung auferlegte Handlung nicht durch, so ist auf Antrag vom Arbeitsgericht zu erkennen, dass er zur Vornahme der Handlung durch Zwangsgeld anzuhalten sei. Antragsberechtigt sind der Betriebsrat oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft. Das Höchstmaß des Ordnungsgeldes und Zwangsgeldes beträgt 10.000 Euro.

Tenor

I.

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 03.07.2014 - AZ: 4 BV 12/14 - abgeändert.

Der Beteiligte zu 2) wird aus dem Betriebsrat der RWW Rheinisch-Westfälische Wasserwerksgesellschaft mbH ausgeschlossen.

II.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.


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(1) Arbeitgeber und Betriebsrat sollen mindestens einmal im Monat zu einer Besprechung zusammentreten. Sie haben über strittige Fragen mit dem ernsten Willen zur Einigung zu verhandeln und Vorschläge für die Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zu machen.

(2) Maßnahmen des Arbeitskampfes zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat sind unzulässig; Arbeitskämpfe tariffähiger Parteien werden hierdurch nicht berührt. Arbeitgeber und Betriebsrat haben Betätigungen zu unterlassen, durch die der Arbeitsablauf oder der Frieden des Betriebs beeinträchtigt werden. Sie haben jede parteipolitische Betätigung im Betrieb zu unterlassen; die Behandlung von Angelegenheiten tarifpolitischer, sozialpolitischer, umweltpolitischer und wirtschaftlicher Art, die den Betrieb oder seine Arbeitnehmer unmittelbar betreffen, wird hierdurch nicht berührt.

(3) Arbeitnehmer, die im Rahmen dieses Gesetzes Aufgaben übernehmen, werden hierdurch in der Betätigung für ihre Gewerkschaft auch im Betrieb nicht beschränkt.

(1) Zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, Gesamtbetriebsrat oder Konzernbetriebsrat ist bei Bedarf eine Einigungsstelle zu bilden. Durch Betriebsvereinbarung kann eine ständige Einigungsstelle errichtet werden.

(2) Die Einigungsstelle besteht aus einer gleichen Anzahl von Beisitzern, die vom Arbeitgeber und Betriebsrat bestellt werden, und einem unparteiischen Vorsitzenden, auf dessen Person sich beide Seiten einigen müssen. Kommt eine Einigung über die Person des Vorsitzenden nicht zustande, so bestellt ihn das Arbeitsgericht. Dieses entscheidet auch, wenn kein Einverständnis über die Zahl der Beisitzer erzielt wird.

(3) Die Einigungsstelle hat unverzüglich tätig zu werden. Sie fasst ihre Beschlüsse nach mündlicher Beratung mit Stimmenmehrheit. Bei der Beschlussfassung hat sich der Vorsitzende zunächst der Stimme zu enthalten; kommt eine Stimmenmehrheit nicht zustande, so nimmt der Vorsitzende nach weiterer Beratung an der erneuten Beschlussfassung teil. Die Beschlüsse der Einigungsstelle sind schriftlich niederzulegen und vom Vorsitzenden zu unterschreiben oder in elektronischer Form niederzulegen und vom Vorsitzenden mit seiner qualifizierten elektronischen Signatur zu versehen sowie Arbeitgeber und Betriebsrat zuzuleiten.

(4) Durch Betriebsvereinbarung können weitere Einzelheiten des Verfahrens vor der Einigungsstelle geregelt werden.

(5) In den Fällen, in denen der Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzt, wird die Einigungsstelle auf Antrag einer Seite tätig. Benennt eine Seite keine Mitglieder oder bleiben die von einer Seite genannten Mitglieder trotz rechtzeitiger Einladung der Sitzung fern, so entscheiden der Vorsitzende und die erschienenen Mitglieder nach Maßgabe des Absatzes 3 allein. Die Einigungsstelle fasst ihre Beschlüsse unter angemessener Berücksichtigung der Belange des Betriebs und der betroffenen Arbeitnehmer nach billigem Ermessen. Die Überschreitung der Grenzen des Ermessens kann durch den Arbeitgeber oder den Betriebsrat nur binnen einer Frist von zwei Wochen, vom Tage der Zuleitung des Beschlusses an gerechnet, beim Arbeitsgericht geltend gemacht werden.

(6) Im übrigen wird die Einigungsstelle nur tätig, wenn beide Seiten es beantragen oder mit ihrem Tätigwerden einverstanden sind. In diesen Fällen ersetzt ihr Spruch die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat nur, wenn beide Seiten sich dem Spruch im voraus unterworfen oder ihn nachträglich angenommen haben.

(7) Soweit nach anderen Vorschriften der Rechtsweg gegeben ist, wird er durch den Spruch der Einigungsstelle nicht ausgeschlossen.

(8) Durch Tarifvertrag kann bestimmt werden, dass an die Stelle der in Absatz 1 bezeichneten Einigungsstelle eine tarifliche Schlichtungsstelle tritt.

(1) Arbeitgeber und Betriebsrat arbeiten unter Beachtung der geltenden Tarifverträge vertrauensvoll und im Zusammenwirken mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen zum Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebs zusammen.

(2) Zur Wahrnehmung der in diesem Gesetz genannten Aufgaben und Befugnisse der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften ist deren Beauftragten nach Unterrichtung des Arbeitgebers oder seines Vertreters Zugang zum Betrieb zu gewähren, soweit dem nicht unumgängliche Notwendigkeiten des Betriebsablaufs, zwingende Sicherheitsvorschriften oder der Schutz von Betriebsgeheimnissen entgegenstehen.

(3) Die Aufgaben der Gewerkschaften und der Vereinigungen der Arbeitgeber, insbesondere die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder, werden durch dieses Gesetz nicht berührt.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 15. November 2011 - 1 TaBV 5/11 - wird zurückgewiesen.

Gründe

1

A. Die Arbeitgeberin und der Betriebsrat streiten darüber, ob der Betriebsrat berechtigt ist, Herrn B als Beisitzer in Einigungsstellen im Betrieb zu benennen und die Benennung aufrechtzuerhalten.

2

Die Arbeitgeberin betreibt eine Spezialklinik mit mehr als 400 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Dem bei ihr gebildeten elfköpfigen Betriebsrat gehörte auch Herr B als stellvertretender Vorsitzender an. Er war zugleich Vorsitzender des Konzernbetriebsrats. Die Leitung der Arbeitgeberin besteht aus drei Personen: der Geschäftsführerin Frau Dr. O, dem ärztlichen Leiter Prof. Dr. R und der pflegerischen Zentrumsleitung Frau A. Zwischen den Beteiligten gab es wiederholt Auseinandersetzungen.

3

Im Januar 2009 kam es zu einem Konflikt über angebliche Arbeitszeitverstöße im Herzkatheterlabor. Das nahm Herr B, der seinerzeit noch Betriebsratsmitglied war, zum Anlass, tätig zu werden. In diesem Zusammenhang schickte Herr Dr. T, der bei der Arbeitgeberin als Oberarzt mit Personalverantwortung tätig ist, eine E-Mail an Frau Dr. O und an Prof. Dr. R. Darin äußerte er, Schuld an möglichen Verstößen sei Frau K, eine Schwester, die dort leitend tätig war. Dr. T führte weiter aus, Frau K sei eine krasse Fehlbesetzung, weil sie wegen einer inhaltlichen und zu vermutenden persönlichen Nähe zu Herrn B die Voraussetzungen für eine Führungsposition nicht erfülle. Der Inhalt dieser E-Mail wurde Herrn B bekannt. Daraufhin kam es zu Äußerungen seinerseits gegenüber Frau A. Die Arbeitgeberin geht davon aus, dass Herr B am 27. Januar 2009 Folgendes geäußert hat:

        

„Dr. T soll sich mal schön zurückhalten, denn Dr. T hat schon zehnmal den Schwanz von Prof. R gelutscht.“

4

Die Geschäftsführerin Frau Dr. O erfuhr von den Äußerungen am 3. März 2009. In der Folgezeit erhielten auch Prof. Dr. R und Herr Dr. T Kenntnis davon. Mit E-Mail vom 31. März und 27. April 2009 bedauerte Herr B gegenüber Herrn Prof. Dr. R, Frau Dr. O und Frau A seine Äußerungen und entschuldigte sich. Eine Entschuldigung gegenüber Herrn Dr. T erfolgte nicht.

5

Die Arbeitgeberin betrieb aufgrund der Äußerungen die außerordentliche Kündigung von Herrn B. Nachdem der Betriebsrat der Kündigung nicht zugestimmt hatte, leitete die Arbeitgeberin ein Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 BetrVG beim Arbeitsgericht Hamburg ein. Dieses ersetzte nach Beweisaufnahme mit Beschluss vom 2. Dezember 2009 die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsmitglieds B. Es sah als erwiesen an, dass die Äußerung über Herrn Dr. T gefallen war.

6

Gegen diesen Beschluss legte der Betriebsrat Beschwerde ein. Im Beschwerdeverfahren vor dem Landesarbeitsgericht schlossen die Beteiligten und Herr B am 30. September 2010 einen Vergleich. Danach sollte Herr B sein Betriebsratsamt bis zum 31. Dezember 2010 zum Zwecke der Amtsübergabe weiterführen. Mit Ablauf dieses Tages sollte er aus dem Betriebsrat ausscheiden. Gleichzeitig war vereinbart, dass Herr B nach diesem Zeitpunkt unwiderruflich freigestellt werden und sein Arbeitsverhältnis zur Arbeitgeberin mit Ablauf des 30. April 2011 enden sollte.

7

Während des laufenden Zustimmungsersetzungsverfahrens arbeitete Herr B weiter bei der Arbeitgeberin und leistete auch Überstunden. Zudem war er in Einigungsstellen tätig, so ua. in einer Einigungsstelle zum System S, einer Krankenhausinformationssoftware, die zB der Führung einer elektronischen Patientenakte dient. Die Einigungsstelle, die sich mit dem endgültigen Abschluss einer Betriebsvereinbarung zu diesem System befasste, konstituierte sich am 4. Mai 2010.

8

Am 14. Oktober 2010, also nach Abschluss des Vergleichs im Zustimmungsersetzungsverfahren, bestätigte der Betriebsrat, dass Herr B weiter Beisitzer der noch laufenden Einigungsstelle zum System S bleiben sollte. Zudem begehrte er die Bildung einer Einigungsstelle „Dienstkleidung“ und benannte auch insoweit Herrn B als Beisitzer. Diese Einigungsstelle hat ihre Arbeit zwischenzeitlich abgeschlossen. Mit weiterem Beschluss vom 11. November 2010 begehrte der Betriebsrat die Einsetzung einer Einigungsstelle zur Gefährdungsanalyse bei Anwendung des Systems S und benannte auch für diese Einigungsstelle Herrn B als Beisitzer. Die Teilnahme von Herrn B als Beisitzer in Einigungsstellen wurde von der Arbeitgeberin erstmals am 8. oder 9. Dezember 2010 problematisiert.

9

Herr B weigerte sich zunächst, zum 31. Dezember 2010 sein Mandat niederzulegen. Er vertrat die Auffassung, die im Vergleich getroffene Regelung über die Mandatsniederlegung zum Jahresende 2010 sei eine bloße Absichtserklärung. Seine Schlüssel und den Mitarbeiterausweis gab er am 30. Dezember 2010 ua. mit der Begründung nicht heraus, er sei Beisitzer in mehreren Einigungsstellen. Am 4. Januar 2011 übergab Herr B die Schlüssel zum Betriebsratsbüro der Geschäftsleitung und hielt sich anschließend ebenso wie am 5. Januar 2011 im Betriebsratsbüro auf. Am 6. Januar 2011 nahm er an einem arbeitsgerichtlichen Termin zum Thema „Auswahlrichtlinien“ teil. Nachdem die Beklagte am 5. Januar 2011 ein Zwangsvollstreckungsverfahren aus dem vor dem Landesarbeitsgericht geschlossenen Vergleich einleitete und am 7. Januar 2011 ein Schreiben zu einer Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung von Herrn B dem Betriebsrat überreichte, legte Herr B sein Betriebsratsamt nieder.

10

Der Betriebsrat kündigte mit Schreiben vom 21. Dezember 2010, 4. Januar 2011, 7. Januar 2011 und 10. Januar 2011 der Arbeitgeberin weitere Einigungsstellenverfahren an. Die Versuche der Arbeitgeberin, durch einen Antrag in den bereits bestehenden Einigungsstellen das Verfahren auszusetzen, bis gerichtlich über die Beteiligung von Herrn B als Beisitzer entschieden ist, lehnten die Einigungsstellenvorsitzenden im März 2011 ab. Unter dem 18. März 2011 bekräftigte der Betriebsrat gegenüber der Arbeitgeberin, er wolle aus in dem Schreiben im Einzelnen genannten „sachlichen“ Gründen an der Beschlussfassung festhalten, Herrn B als Beisitzer zu benennen.

11

Die Arbeitgeberin hat die Ansicht vertreten, der Betriebsrat sei nicht berechtigt, Herrn B als Beisitzer für Einigungsstellen zu benennen. Sie hat behauptet, sie habe mit dem im Vergleich vereinbarten Ende der Betriebsratstätigkeit von Herrn B erst mit Ende des Jahres 2010 dem Betriebsrat die Möglichkeit geben wollen, dass Herr B einen Funktionsnachfolger einarbeite. Die Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats habe nach Abschluss des Vergleichs der Geschäftsführerin der Arbeitgeberin im Hinblick auf diesen Vergleich eine deutliche Verschlechterung des Betriebsklimas prophezeit. Der Betriebsrat habe ausweislich eines Protokolls einer Klausurtagung vom 20. bis 21. Dezember 2010 Herrn B noch für Betriebsratsarbeit vorgesehen. Herr B sei am 26. Mai 2011 im Betriebsratsbüro anwesend gewesen und habe während eines Telefonats zwischen der Assistentin der Geschäftsführung und einem Mitglied des Betriebsrats im Hintergrund geäußert: „Was sollen sie machen? Noch mal kündigen geht nicht.“ Der Betriebsrat habe offensichtlich einen Plan gefasst, den Inhalt des Vergleichs zu umgehen und durch eine Steigerung der Zahl von Anrufungen der Einigungsstelle Herrn B weiterhin Einnahmen zu verschaffen. Dies müsse sie - die Arbeitgeberin - nicht hinnehmen. Im Hinblick auf die Äußerungen, die Herr B über Herrn Dr. T bezogen auf Prof. Dr. R getan habe, sei es ihr unzumutbar, mit Herrn B in einer Einigungsstelle zusammenzuarbeiten. Der Betriebsrat sei nicht berechtigt, Einigungsstellenbeisitzer zu benennen, die dem Arbeitgeber unzumutbar seien. Die Arbeitgeberin habe deshalb einen Anspruch auf eine entsprechende Unterlassung des Betriebsrats. Jedenfalls könne sie die Feststellung der Unzulässigkeit eines derartigen Vorgehens erwirken.

12

Die Arbeitgeberin hat - soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Interesse - zuletzt beantragt

        

1.    

dem Betriebsrat aufzugeben, es zu unterlassen, Herrn B als Beisitzer in Einigungsstellen im Betrieb der Arbeitgeberin zu benennen,

        

2.    

festzustellen, dass der Betriebsrat nicht berechtigt ist, Herrn B als Beisitzer in Einigungsstellen im Betrieb der Arbeitgeberin zu bestellen,

        

hilfsweise

        

3.    

festzustellen, dass der Betriebsrat nicht berechtigt ist, Herrn B als Beisitzer in Einigungsstellen im Betrieb der Arbeitgeberin zu bestellen, solange Herr Prof. Dr. R und/oder Frau Dr. O im Betrieb der Arbeitgeberin tätig sind,

        

hilfsweise für den Fall der Zurückweisung dieser Anträge

        

4.    

festzustellen, dass der Betriebsrat nicht berechtigt ist, Herrn B weiterhin als Beisitzer der Einigungsstelle „S“ (Einigungsstelle wegen der Regelung der Einführung, des Betriebs, der Weiterentwicklung und der Sicherung der Betriebsbereitschaft des klinischen Arbeitsplatzsystems S) zu bestellen,

        

5.    

festzustellen, dass der Betriebsrat nicht berechtigt ist, Herrn B als Beisitzer der Einigungsstelle „Gefährdungsanalyse“ (Einigungsstelle wegen der Regelung der Gefährdungsbeurteilung, Unterweisung und der erforderlichen organisatorischen Vorkehrungen an Arbeitsplätzen, die von der Einführung von S betroffen sind) zu bestellen.

13

Der Betriebsrat hat beantragt, die Anträge abzuweisen.

14

Der Betriebsrat hat die Ansicht vertreten, es gebe keine Rechtsgrundlage für einen Unterlassungsanspruch der Arbeitgeberin gegen Handlungen des Betriebsrats. Er sei auch nicht verpflichtet, die Benennung von Herrn B als Beisitzer in Einigungsstellen zu unterlassen. Das sei auch nicht Gegenstand des Vergleichs vom 30. September 2010 gewesen.

15

Das Arbeitsgericht hat entsprechend den hilfsweise gestellten Anträgen zu 4. und 5. erkannt. Im Übrigen hat es die Anträge der Arbeitgeberin abgewiesen. Gegen diese Entscheidung haben beide Beteiligten Beschwerde eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde der Arbeitgeberin zurückgewiesen und auf die Beschwerde des Betriebsrats die Anträge insgesamt abgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt die Arbeitgeberin ihre Anträge weiter. Der Betriebsrat begehrt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

16

B. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht unter teilweiser Abänderung des arbeitsgerichtlichen Beschlusses die Anträge insgesamt abgewiesen. Der Hauptantrag zu 1. ist schon deshalb unbegründet, weil Arbeitgebern keine gerichtlich durchsetzbaren Unterlassungsansprüche gegen den Betriebsrat zustehen. Mit dem weiteren als Hauptantrag gestellten Feststellungsantrag dringt die Arbeitgeberin nicht durch, da der Betriebsrat nicht verpflichtet ist, es zu unterlassen, Herrn B als Beisitzer in Einigungsstellen zu benennen. Eine derartige Verpflichtung besteht auch nicht hinsichtlich der in den hilfsweise gestellten Anträgen zu 4. und 5. genannten Einigungsstellen.

17

I. Der Hauptantrag zu 1. ist schon deshalb unbegründet, weil Arbeitgeber gegen den Betriebsrat keinen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf Unterlassung von betriebsverfassungswidrigem Verhalten haben.

18

1. Der Senat hat dies im Beschluss vom 17. März 2010 (- 7 ABR 95/08 - Rn. 24 ff., BAGE 133, 342) zum in § 74 Abs. 2 Satz 3 BetrVG normierten Verbot parteipolitischer Betätigung im Betrieb entschieden. Er hat dabei zum einen auf das Grundkonzept von § 23 BetrVG abgestellt. Diese gesetzliche Regelung sieht in ihrem Absatz 3 bei groben Verstößen gegen das Betriebsverfassungsgesetz einen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats gegen den Arbeitgeber vor, nicht jedoch einen solchen des Arbeitgebers gegen den Betriebsrat. Dafür weist sie dem Arbeitgeber nach § 23 Abs. 1 Satz 1 BetrVG die Befugnis zu, unter den genannten Voraussetzungen die Auflösung des Betriebsrats zu beantragen. Der Senat hat aus dieser gesetzlichen Konzeption geschlossen, ein Unterlassungsanspruch des Arbeitgebers könne auch nicht aus anderen betriebsverfassungsrechtlichen Regelungen hergeleitet werden. Zudem hat er angenommen, wegen der Vermögenslosigkeit des Betriebsrats sei ein Unterlassungstitel ohnehin nicht vollstreckbar. Es reiche für den Rechtsschutz des Arbeitgebers aus, wenn diesem die Möglichkeit offenstehe, entsprechende Feststellungsanträge zu verfolgen.

19

Der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts hat sich im Beschluss vom 15. Oktober 2013 (- 1 ABR 31/12 - Rn. 26) diesen Argumenten auch für die Regelung in § 74 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 BetrVG angeschlossen, wonach Maßnahmen des Arbeitskampfes zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat unzulässig sind.

20

2. Diese von der Rechtsprechung entwickelte Konzeption gilt auch für andere in Betracht kommende betriebsverfassungsrechtliche Vorschriften und greift auch ein, wenn sich Verpflichtungen des Betriebsrats aus Abreden zwischen ihm und dem Arbeitgeber ergeben. Die von der Arbeitgeberin dagegen angebrachten Argumente überzeugen nicht.

21

a) Ohne Erfolg weist die Arbeitgeberin darauf hin, § 85 Abs. 2 ArbGG sehe die Möglichkeit vorläufigen Rechtsschutzes auch für den Arbeitgeber vor. Daraus folgt nicht notwendig, dass dem Arbeitgeber auch gerichtlich durchsetzbare Unterlassungsansprüche zur Seite stehen müssen. Wegen des aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Gebots effektiven Rechtsschutzes kann der Arbeitgeber allerdings im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren unter den Voraussetzungen von § 940 ZPO eine Feststellungsverfügung zur vorläufigen Regelung eines Sachverhalts erwirken, wenn Verstöße des Betriebsrats gegen seine betriebsverfassungsrechtlichen Verpflichtungen in Rede stehen. Dabei kann dahinstehen, inwieweit allgemein eine derartige Feststellungsverfügung zulässig ist (verneinend zB LAG München 1. Dezember 2004 - 5 Sa 913/04 -; einschränkend auch zB OLG Frankfurt 15. November 1996 - 24 W 37/96 -). Feststellungsverfahren des Arbeitgebers gegen den Betriebsrat haben, entsprechend der Grundkonzeption von § 23 BetrVG, den Zweck, als Vorstufe einer möglichen Amtsenthebung des Betriebsrats zwischen den Betriebsparteien die Rechtslage zu klären. Der Arbeitgeber kann auf diese Weise ein dieser Rechtslage entsprechendes Verhalten des Betriebsrats herbeiführen. Soweit es gesetzliche Gründe dafür gibt, dass die Rechtslage zugunsten des Arbeitgebers nicht erst im Hauptsacheverfahren, sondern vorher geklärt wird, besteht gerade im Hinblick auf die Gründe, die einen Unterlassungsanspruch des Arbeitgebers gegen den Betriebsrat ausschließen, die Notwendigkeit und Möglichkeit auch von Feststellungsverfügungen. Die Besonderheit einer Feststellungsverfügung korrespondiert damit mit der Unmöglichkeit für den Arbeitgeber, ein betriebsverfassungswidriges Verhalten des Betriebsrats im Wege einer Unterlassungsverfügung zu unterbinden.

22

b) Zu Unrecht beruft sich die Arbeitgeberin auch darauf, Titel gegen den Betriebsrat könnten im Wege der Zwangsvollstreckung gegen seine Mitglieder durchgesetzt werden. Der Betriebsrat ist als Organ der Betriebsverfassung im Rahmen seines betriebsverfassungsrechtlichen Wirkungskreises rechtsfähig (vgl. BGH 25. Oktober 2012 - III ZR 266/11 - BGHZ 195, 174 mit umfassenden Nachweisen) und damit rechtlich von seinen Einzelmitgliedern zu unterscheiden. Dementsprechend kann er auch Beteiligter im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren sein (§ 83 Abs. 3 ArbGG). Die gegen ihn ergehenden gerichtlichen Entscheidungen richten sich nicht gegen seine Mitglieder. Diese sind - anders als etwa Organmitglieder juristischer Personen - auch nicht in der Lage, die Handlungen des Betriebsrats so zu steuern, dass sie zwangsvollstreckungsrechtlich für die Erfüllung von titulierten Verpflichtungen gegen den Betriebsrat in Anspruch genommen werden könnten.

23

3. Damit steht der Arbeitgeberin der geltend gemachte Unterlassungsanspruch von vornherein nicht zu, auch nicht, soweit sie sich mit ihrem Anspruch darauf beruft, der Betriebsrat verstoße zumindest gegen den Geist des vor dem Landesarbeitsgericht im Zustimmungsersetzungsverfahren geschlossenen Vergleichs.

24

II. Die Arbeitgeberin dringt auch mit ihrem als Hauptantrag zu 2. gestellten Feststellungsantrag nicht durch. Dieser ist zwar zulässig, aber unbegründet.

25

1. Gegen die Zulässigkeit des Antrags bestehen keine Bedenken. Insbesondere sind die Voraussetzungen des auch im Beschlussverfahren anwendbaren § 256 Abs. 1 ZPO erfüllt. Der Antrag bezieht sich auf die Feststellung eines vom Betriebsrat bestrittenen Rechtsverhältnisses, nämlich der Verpflichtung zur Unterlassung der Benennung von Herrn B als Beisitzer in Einigungsstellen. Das Interesse an alsbaldiger gerichtlicher Feststellung ergibt sich daraus, dass der Betriebsrat seine Verpflichtung weiter leugnet.

26

2. Der Antrag ist jedoch unbegründet. Der Betriebsrat ist nicht verpflichtet, es zu unterlassen, Herrn B als Beisitzer für Einigungsstellen bei der Arbeitgeberin zu benennen.

27

a) Entgegen der Ansicht des Betriebsrats ist der Feststellungsantrag nicht etwa deshalb bereits unbegründet, weil er auf die Feststellung zur Verpflichtung einer Unterlassung gerichtet ist. Der Umstand, dass der Arbeitgeber ein betriebsverfassungswidriges Verhalten des Betriebsrats nicht im Wege eines Unterlassungsantrags gerichtlich unterbinden kann, bedeutet nicht, dass dem Betriebsrat ein solches Verhalten erlaubt wäre. Die Unmöglichkeit des Unterlassungsantrags gebietet, wie ausgeführt, gerade die Möglichkeit eines entsprechenden Feststellungsantrags.

28

b) Es fehlt jedoch an einer Rechtsgrundlage für die von der Arbeitgeberin geltend gemachte Pflicht des Betriebsrats, Herrn B nicht mehr als Beisitzer für Einigungsstellen zu benennen.

29

aa) Eine derartige Pflicht folgt zunächst nicht aus dem zwischen den Beteiligten im Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 BetrVG am 30. September 2010 geschlossenen Vergleich. Das Beschwerdegericht hat diesen Vergleich nicht ausgelegt. Obwohl es sich um eine nichttypische Vereinbarung handelt (zu diesem Rechtscharakter auch bei gerichtlichem Vergleich: BAG 24. August 2006 - 8 AZR 574/05 - Rn. 17), kann der Senat als Rechtsbeschwerdegericht den Vergleich auslegen, da es weiterer Feststellungen in tatsächlicher Hinsicht nicht bedarf (vgl. BAG 24. November 2005 - 2 AZR 614/04 - Rn. 33, BAGE 116, 254 für die vergleichbare Situation im Revisionsverfahren). Auch auf der Basis des Vortrags der Arbeitgeberin, die Tätigkeit von Herrn B in der Einigungsstelle sei bei Vergleichsschluss angesprochen worden, ergibt sich nicht, dass diese weitere Tätigkeit mit dem Ausscheiden von Herrn B aus dem Betriebsrat beendet sein sollte. Die Einigungsstelle ist ein besonders zu bildendes Organ der Betriebsverfassung. Die Benennung und Tätigkeit als Beisitzer einer Einigungsstelle hängt von der Mitgliedschaft im Betriebsrat nicht ab. Gerade wenn über die Tätigkeit von Herrn B in der Einigungsstelle gesprochen, jedoch keine Regelung über eine Tätigkeit in Einigungsstellen getroffen wurde, spricht dies dafür, dass die Betriebsparteien eine derartige Regelung auch nicht treffen wollten. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob der Betriebsrat sich so weitgehend rechtlich überhaupt hätte binden können.

30

bb) Ein Anspruch folgt auch nicht etwa aus einer entsprechenden Anwendung der Regelungen der ZPO über die Befangenheit von Schiedsrichtern (§§ 1036 f. ZPO).

31

Diese Regeln gelten entsprechend für den Vorsitzenden einer Einigungsstelle (vgl. BAG 11. September 2001 - 1 ABR 5/01 - zu B I 1 der Gründe, BAGE 99, 42; vgl. auch BAG 17. November 2010 - 7 ABR 100/09 - Rn. 16 ff., BAGE 136, 207). Das ist jedoch auf die Beisitzer einer Einigungsstelle nicht zu übertragen. Eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit kommt hier nicht in Betracht (vgl. Richardi in Richardi BetrVG 14. Aufl. § 76 Rn. 49 mit umfassenden Nachweisen). Das Erfordernis der Unparteilichkeit des Vorsitzenden einer Einigungsstelle nach § 76 Abs. 2 Satz 1 BetrVG erstreckt sich nicht auf die Beisitzer. Das Gesetz sieht die Bestellung von Beisitzern durch die Betriebsparteien vor. Nur hinsichtlich der Person des Vorsitzenden und der Zahl der Beisitzer, nicht dagegen hinsichtlich deren Person entscheidet gemäß § 76 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 BetrVG, § 98 Abs. 1 Satz 1 ArbGG das Arbeitsgericht, soweit sich die Betriebsparteien nicht einigen können.

32

Die Betriebsparteien dürfen sich dabei für Personen entscheiden, denen sie dahingehend vertrauen, dass sie als Beisitzer die Interessen der Arbeitnehmer oder des Arbeitgebers in Verhandlungen mit der anderen Seite wahren. Dies und das Vertrauen, durch das Erarbeiten von Kompromissen eine für beide Betriebsparteien annehmbare Konfliktlösung zu erreichen, ist der Maßstab, an dem sich die Betriebsparteien bei ihrer Benennungsentscheidung auszurichten haben. Ob ein solches Vertrauen gerechtfertigt ist, entzieht sich dabei jedoch der gerichtlichen Nachprüfung (vgl. BAG 24. April 1996 - 7 ABR 40/95 - zu B 3 c der Gründe). Es steht den Betriebsparteien dabei auch frei, externe Beisitzer zu benennen (vgl. BAG 31. Juli 1986 - 6 ABR 79/83 -). Ihre Befugnis zur Bestellung von Beisitzern ist nicht auf einen bestimmten Personenkreis beschränkt (BAG 14. Januar 1983 - 6 ABR 67/79 - zu II 2 der Gründe).

33

Entgegen der Ansicht des Betriebsrats kann er deshalb im vorliegenden Fall auch nicht seinerseits etwas aus den in § 1037 Abs. 2 Satz 1 ZPO geregelten Fristen herleiten.

34

cc) Entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin folgt eine Verpflichtung des Betriebsrats, Herrn B nicht mehr als Einigungsstellenbeisitzer zu benennen, auch nicht aus § 2 Abs. 1 BetrVG.

35

(1) Die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat werden durch die Rechte und Pflichten bestimmt, die dem Betriebsverfassungsrecht zugrunde liegen, sowie durch die wechselseitigen Rücksichtspflichten, die sich aus § 2 Abs. 1 BetrVG ergeben. Aus dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit folgt deshalb, dass sich aus der Wertung der im Gesetz vorgesehenen Rechte auch Nebenpflichten ergeben können (vgl. BAG 18. Mai 2010 - 1 ABR 6/09 - Rn. 23, BAGE 134, 249). Der Grundsatz ist Maßstab dafür, wie die Betriebsparteien ihre gegenseitigen Rechte und Pflichten wahrzunehmen und auszuüben haben. Sie müssen dabei auch auf die Interessen anderer Betriebsparteien Rücksicht nehmen (vgl. BAG 14. März 1989 - 1 ABR 80/87 - zu B II 3 b cc der Gründe, BAGE 61, 189). Jedoch kann aus § 2 Abs. 1 BetrVG nicht unabhängig vom Bestehen konkreter betriebsverfassungsrechtlicher Rechtsvorschriften das Entstehen von Rechten und Pflichten des Arbeitgebers oder des Betriebsrats hergeleitet werden. Die Bestimmung betrifft lediglich die Art der Ausübung bestehender Rechte (BAG 23. August 1984 - 6 AZR 520/82 - zu I 4 der Gründe, BAGE 46, 282). Es geht letztlich um die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben auch in der Betriebsverfassung (vgl. BAG 14. Januar 1993 - 2 AZR 387/92 - zu C II 4 c der Gründe).

36

(2) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist es den Betriebsparteien verwehrt, Personen als Beisitzer von Einigungsstellen zu benennen, die von ihrer Person her offensichtlich ungeeignet sind, entsprechend der Funktion der Einigungsstelle tätig zu werden. Das gilt dann, wenn sie hinsichtlich ihrer Kenntnisse und Erfahrungen offensichtlich ungeeignet sind, über die der Einigungsstelle zugrunde liegende Regelungsmaterie zu entscheiden (für diese Fallgestaltung: BAG 24. April 1996 - 7 ABR 40/95 - zu B 3 d der Gründe). Es gilt aber auch, wenn der benannten Person die mangelnde Eignung in sonstiger Weise anhaftet und sich daraus ergibt, dass sie in der Einigungsstelle ihre Funktion nicht ordnungsgemäß ausüben kann. Dabei ist ein strenger Maßstab anzulegen; insbesondere geht es nicht darum, einzelne Verhaltensweisen der Person in der Vergangenheit zu sanktionieren. Maßstab ist auch nicht, ob Gründe für eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses oder den Ausschluss aus dem Betriebsrat vorliegen. Eine Person scheidet als Beisitzer der Einigungsstelle vielmehr nur aus, wenn unter ihrer Mitwirkung eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung der Einigungsstelle nicht zu erwarten ist.

37

(3) Danach kann die Arbeitgeberin wegen der Äußerung des Herrn B über Dr. T vom Betriebsrat nicht verlangen, dass er Herrn B nicht als Einigungsstellenbeisitzer benennt. Der in Rede stehende Vorfall, so wie er von der Arbeitgeberin zugrunde gelegt wird, stellt zwar eine grobe und schwerwiegende Entgleisung von Herrn B dar. Trotzdem lässt diese einmalige Entgleisung nicht den Schluss auf eine offensichtlich mangelnde persönliche Eignung zur Wahrnehmung des Amtes des Einigungsstellenbeisitzers zu. Das gilt umso mehr, als Herr B während des laufenden Zustimmungsersetzungsverfahrens an Einigungsstellensitzungen teilgenommen hat und die Arbeitgeberin keine Vorkommnisse vorgetragen hat, die auf einen grundsätzlichen Mangel an persönlicher Eignung schließen lassen.

38

(4) Auch unter sonstigen Gesichtspunkten verstößt der Betriebsrat durch die Benennung von Herrn B als Einigungsstellenbeisitzer nicht gegen das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit.

39

Zugunsten der Arbeitgeberin kann nichts aus der Vielzahl von Einigungsstellen, deren Bildung der Betriebsrat ins Auge gefasst hat, geschlossen werden. Es steht jeder Betriebspartei zu, eine Entscheidung darüber zu treffen, auf welchem im Gesetz vorgesehenen Wege sie eine Regelung im Rahmen der Mitbestimmungsrechte des Betriebsverfassungsgesetzes herbeiführt. Dies unterliegt nicht gerichtlicher Kontrolle.

40

Auch aus dem Abschluss des gerichtlichen Vergleichs im Zustimmungsersetzungsverfahren ergibt sich nichts anderes. Dieser Vergleich kann unter dem Gesichtspunkt der vertrauensvollen Zusammenarbeit nicht in seiner Wirkung über seinen tatsächlichen Inhalt hinaus ausgedehnt werden. Aus dem Inhalt des Vergleichs ergibt sich gerade nicht, dass der Betriebsrat verpflichtet ist, Herrn B nicht mehr als Einigungsstellenbeisitzer zu benennen.

41

dd) Gegenteiliges folgt entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin auch nicht aus § 74 Abs. 2 Satz 2 BetrVG. Die personelle Zusammensetzung einer Einigungsstelle hat mit dem Betriebsfrieden nichts zu tun.

42

III. Aus den unter II. genannten Gründen kann die Arbeitgeberin auch mit ihrem Hilfsantrag zu 3. nicht durchdringen.

43

IV. Ebenso wenig sind die Hilfsanträge zu 4. und 5. begründet. Die Arbeitgeberin hat nicht geltend gemacht, dass es Hinweise auf die offensichtlich mangelnde Eignung von Herrn B gibt, gerade als Beisitzer in den im Antrag genannten Einigungsstellen tätig zu sein. Insbesondere hat sie nicht vorgetragen, das Verhalten des Herrn B in diesen Einigungsstellen habe deren ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung in irgendeiner Weise konkret beeinträchtigt.

        

    Linsenmaier    

        

    Rachor    

        

    Zwanziger    

        

        

        

    Schiller    

        

    Kley    

                 

(1) Arbeitgeber und Betriebsrat arbeiten unter Beachtung der geltenden Tarifverträge vertrauensvoll und im Zusammenwirken mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen zum Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebs zusammen.

(2) Zur Wahrnehmung der in diesem Gesetz genannten Aufgaben und Befugnisse der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften ist deren Beauftragten nach Unterrichtung des Arbeitgebers oder seines Vertreters Zugang zum Betrieb zu gewähren, soweit dem nicht unumgängliche Notwendigkeiten des Betriebsablaufs, zwingende Sicherheitsvorschriften oder der Schutz von Betriebsgeheimnissen entgegenstehen.

(3) Die Aufgaben der Gewerkschaften und der Vereinigungen der Arbeitgeber, insbesondere die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder, werden durch dieses Gesetz nicht berührt.

(1) Der Betriebsrat hat folgende allgemeine Aufgaben:

1.
darüber zu wachen, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden;
2.
Maßnahmen, die dem Betrieb und der Belegschaft dienen, beim Arbeitgeber zu beantragen;
2a.
die Durchsetzung der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern, insbesondere bei der Einstellung, Beschäftigung, Aus-, Fort- und Weiterbildung und dem beruflichen Aufstieg, zu fördern;
2b.
die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit zu fördern;
3.
Anregungen von Arbeitnehmern und der Jugend- und Auszubildendenvertretung entgegenzunehmen und, falls sie berechtigt erscheinen, durch Verhandlungen mit dem Arbeitgeber auf eine Erledigung hinzuwirken; er hat die betreffenden Arbeitnehmer über den Stand und das Ergebnis der Verhandlungen zu unterrichten;
4.
die Eingliederung schwerbehinderter Menschen einschließlich der Förderung des Abschlusses von Inklusionsvereinbarungen nach § 166 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch und sonstiger besonders schutzbedürftiger Personen zu fördern;
5.
die Wahl einer Jugend- und Auszubildendenvertretung vorzubereiten und durchzuführen und mit dieser zur Förderung der Belange der in § 60 Abs. 1 genannten Arbeitnehmer eng zusammenzuarbeiten; er kann von der Jugend- und Auszubildendenvertretung Vorschläge und Stellungnahmen anfordern;
6.
die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer im Betrieb zu fördern;
7.
die Integration ausländischer Arbeitnehmer im Betrieb und das Verständnis zwischen ihnen und den deutschen Arbeitnehmern zu fördern, sowie Maßnahmen zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit im Betrieb zu beantragen;
8.
die Beschäftigung im Betrieb zu fördern und zu sichern;
9.
Maßnahmen des Arbeitsschutzes und des betrieblichen Umweltschutzes zu fördern.

(2) Zur Durchführung seiner Aufgaben nach diesem Gesetz ist der Betriebsrat rechtzeitig und umfassend vom Arbeitgeber zu unterrichten; die Unterrichtung erstreckt sich auch auf die Beschäftigung von Personen, die nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber stehen, und umfasst insbesondere den zeitlichen Umfang des Einsatzes, den Einsatzort und die Arbeitsaufgaben dieser Personen. Dem Betriebsrat sind auf Verlangen jederzeit die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen; in diesem Rahmen ist der Betriebsausschuss oder ein nach § 28 gebildeter Ausschuss berechtigt, in die Listen über die Bruttolöhne und -gehälter Einblick zu nehmen. Zu den erforderlichen Unterlagen gehören auch die Verträge, die der Beschäftigung der in Satz 1 genannten Personen zugrunde liegen. Soweit es zur ordnungsgemäßen Erfüllung der Aufgaben des Betriebsrats erforderlich ist, hat der Arbeitgeber ihm sachkundige Arbeitnehmer als Auskunftspersonen zur Verfügung zu stellen; er hat hierbei die Vorschläge des Betriebsrats zu berücksichtigen, soweit betriebliche Notwendigkeiten nicht entgegenstehen.

(3) Der Betriebsrat kann bei der Durchführung seiner Aufgaben nach näherer Vereinbarung mit dem Arbeitgeber Sachverständige hinzuziehen, soweit dies zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist. Muss der Betriebsrat zur Durchführung seiner Aufgaben die Einführung oder Anwendung von Künstlicher Intelligenz beurteilen, gilt insoweit die Hinzuziehung eines Sachverständigen als erforderlich. Gleiches gilt, wenn sich Arbeitgeber und Betriebsrat auf einen ständigen Sachverständigen in Angelegenheiten nach Satz 2 einigen.

(4) Für die Geheimhaltungspflicht der Auskunftspersonen und der Sachverständigen gilt § 79 entsprechend.

(1) Arbeitgeber und Betriebsrat arbeiten unter Beachtung der geltenden Tarifverträge vertrauensvoll und im Zusammenwirken mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen zum Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebs zusammen.

(2) Zur Wahrnehmung der in diesem Gesetz genannten Aufgaben und Befugnisse der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften ist deren Beauftragten nach Unterrichtung des Arbeitgebers oder seines Vertreters Zugang zum Betrieb zu gewähren, soweit dem nicht unumgängliche Notwendigkeiten des Betriebsablaufs, zwingende Sicherheitsvorschriften oder der Schutz von Betriebsgeheimnissen entgegenstehen.

(3) Die Aufgaben der Gewerkschaften und der Vereinigungen der Arbeitgeber, insbesondere die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder, werden durch dieses Gesetz nicht berührt.

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Tenor

1. Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Stralsund - Kammern Neubrandenburg - vom 24.02.2015, Aktenzeichen 13 BV 3/13, wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten über den Ausschluss des Betriebsratsvorsitzenden aus dem Betriebsrat.

2

Die Antragsteller und Beteiligten zu 1.01) bis 1.50) sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einer Rehabilitationsklinik mit rund 110 Beschäftigten. Der Betriebsrat (Beteiligter zu 3) besteht aus sieben Mitgliedern.

3

Die Arbeitgeberin (Beteiligte zu 4) stellte den Beteiligten zu 2) zum 01.04.2012 als Psychologen ein. Im November 2012 wurde der Beteiligte zu 2) in den Betriebsrat gewählt, dessen Vorsitz er übernahm.

4

Im Februar 2013 suspendierte die Arbeitgeberin ihn vorläufig vom Dienst, was sie in der Hausmitteilung vom 21.02.2013 bekanntgab. Daraufhin unterrichtete der Beteiligte zu 2) am 22.02.2013 die Belegschaft per Mail und per Aushang im Schaukasten des Betriebsrats über den Umfang des Hausverbots und die beabsichtigte Fortführung der Aufgaben als Betriebsratsmitglied.

5

Am 30.07.2013 informierte der Betriebsrat die Beschäftigten per Mail und Aushang über ihre Rechte bei Arbeitsunfähigkeit. In dem Infoblatt heißt es:

6

"…

7

Verhalten bei Arbeitsunfähigkeit (Arbeitsverhinderung)

8

Aus gegebenem Anlass möchten wir Euch auf den § 13 unserer Arbeitsordnung hinweisen, in dem die Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen geklärt ist.

9

In Absatz 3 heißt es dort, dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung spätestens vor Ablauf des dritten Kalendertages nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit vorzulegen ist.

10

Nur in begründeten Einzelfällen ist der Arbeitgeber berechtigt, ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit eine entsprechende Bescheinigung zu verlangen.

11

Die Regel lautet einfach: Zum Arzt müsst Ihr nur dann gehen, wenn absehbar ist, dass Ihr länger als drei Tage krank seid. Ansonsten genügt eine telefonische Mitteilung vor Arbeitsbeginn am ersten Arbeitsunfähigkeitstag mit Eurer Einschätzung, wie lange die Arbeitsunfähigkeit voraussichtlich dauern wird.

12

Bitte informiert uns, wenn Euch widerrechtlich ohne Begründung eine sofortige Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung abverlangt wird.

13

Wir klären noch, ob es erforderlich ist, während der Arbeitsunfähigkeit Telefonate zur Vertretungssituation mit Vorgesetzten zu führen.

14

Euer Betriebsrat

15

…"

16

Am 27.08.2013 gab der Beteiligte zu 2) der Belegschaft die folgenden, kurz zuvor mit der Arbeitgeberin ausgetauschten E-Mails zur Kenntnis, indem er diese weiterleitete und zudem aushängte:

17

"…

18

Von: … Betriebsrat

19

20

der Betriebsrat arbeitet zur Zeit an einer Stellungnahme, ob bzw. wie viele Patienten an Wochenenden in unserem Haus aufgenommen werden (können). Bitte teilen Sie uns mit, aus welchen Gründen Patienten am Wochenende aufgenommen werden, um wie viele Patienten es sich dabei handelt und wie mit den dafür erforderlichen Arbeitszeiten der Therapeuten/Ärzte bzw. Schwestern umgegangen wird. …

21

22

An: … Betriebsrat

23

24

das ist eine interessante frage, ob und warum überhaupt in unserer klinik patienten aufgenommen werden (müssen). für diese diskussion war in der tagesordnung der gestrigen betriebsversammlung leider kein raum mehr.

25

für die konkreteren zahlen genügt übrigens ein blick in die baal (im shiva) - dauert 2 minuten. unser betriebsrat braucht hierfür sicher unterstützung und eine freistellung für einen halben arbeitstag, einschliesslich externer rechtsberatung aus b..

26

27

Von: … Betriebsrat

28

29

Ihre allen Mitarbeitern des Hauses zur Kenntnis gegebene Antwort auf unsere Anfrage ist stillos und unproduktiv. Wir verbitten uns diese Art des Umgangs. Wir gehen davon aus, dass Ihr unten stehendes Schreiben nicht die Meinung der angeschriebenen Mitglieder der Klinikleitung repräsentiert.

30

…"

31

Im September 2013 kam es zur Neuwahl des Betriebsrats, nachdem drei Betriebsratsmitglieder ihr Amt niedergelegt hatten. Der Beteiligte zu 2) wurde wiederum in den Betriebsrat gewählt. Der Betriebsrat bestimmte ihn erneut zum Vorsitzenden.

32

Am 25.09.2013 beschwerten sich drei Psychologinnen bei dem Chefarzt der Psychosomatik über die schwierige Zusammenarbeit mit dem Beteiligten zu 2) und das gestörte Vertrauensverhältnis.

33

Am 01.10.2013 forderte der Betriebsrat bestimmte Freistellungen für den Folgetag, worauf der Leitende Physiotherapeut wie folgt mit E-Mail vom 01.10.2013 erwiderte:

34

"…

35

ich halte das, was aktuell hier abläuft, um es vorsichtig auszudrücken, für wenig zielführend und aus meiner Sicht auch nicht mitarbeiterorientiert.

36

Wie sich die aktuelle krankheitsbedingte Situation in der KG darstellt, muss ich nicht weiter erklären.

37

Sollten jetzt zu den ohnehin schon bereitgestellten BR-Zeiten noch zusätzliche Freistellungen anstehen, würde das die angespannte, kapazitäre Situation noch deutlich verschärfen. Mir, und ich denke ich spreche auch im Namen anderer Kollegen der Abt. KG, fehlt für diese Handlungsweise in der jetzigen Situation jegliches Verständnis.

38

Ich kann den zusätzlichen Freistellungen ausdrücklich nicht zustimmen.

39

…"

40

Am 28.10.2013 wandte sich der Beteiligte zu 2) mit der folgenden, allen Beschäftigten der Klinik zur Kenntnis gegebenen E-Mail an die Arbeitgeberin:

41

"…

42

uns liegen Therapiepläne vor, die am Sonntag, den 27.10.2013 für den 28.10.2013 erstellt wurden. Bitte teilen Sie uns mit, wer diese Therapiepläne erstellt hat und mit welchem Betriebsrat Sie die Anweisung von Sonntagsarbeit in der Therapiedisposition abgestimmt haben.

43

Die Pläne wurden erstellt, nachdem Ihnen bekannt war, dass am Montag, den 28.10.2013 die Betriebsratssitzung ab 9 Uhr stattfindet. Ein Ausweichen auf diesen Termin war nötig geworden, da Sie die Mitarbeiterversammlung am 29.10.2013 ohne Abstimmung mit dem Betriebsrat auf den von Ihnen selbst vorgeschlagenen Termin der Betriebsratssitzung gelegt hatten. Trotzdem wurden bei Betriebsratsmitgliedern Therapien am 28.10.2013 ab 9 Uhr eingetragen.

44

Wir bitten Sie, auch das Wohl der Patienten im Auge zu behalten und während bekannter Sitzungszeiten keine Therapien planen zu lassen. Wir weisen hiermit alle Mitarbeiter unseres Hauses darauf hin, dass dieses Problem nicht nur den Betriebsrat betrifft, sondern auch in unserer täglichen Arbeit Doppeltaktungen von Besprechungen und Patientenversorgung vorkommen.

45

Eine Kopie dieses Schreibens hängen wir im Schaukasten des Betriebsrats zur Einsichtnahme für Mitarbeiter ohne E-Mail-Zugang aus und bitten Sie, die betreffenden Mitarbeiter darüber zu informieren.

46

…"

47

Am 01.11.2013 beantwortete der Beteiligte zu 2) eine E-Mail der Arbeitgeberin vom Vortag zum Standort des Schaukastens, die er am 01.11.2013 im Schaukasten aushängte. In den E-Mails heißt es:

48

"…

49

An: … Betriebsrat

50

51

wir teilen Ihnen mit, dass der Schaukasten des Betriebsrats, der mittlerweile von Ihnen zur Veröffentlichung betriebsinterner Angelegenheiten genutzt wird, an eine für alle Mitarbeiter zugänglichen Stelle unserer Klinik umgesetzt wird.

52

Dass Patienten und Besucher sich über Interna unserer Klinik informieren können, ist damit so weit wie möglich ausgeschlossen.

53

Bitte händigen Sie uns bis zum Freitag, den 01.11.2013, 12.00 Uhr, den Schlüssel des Schaukastens aus, damit die Demontage vorgenommen werden kann.

54

55

Von: … Betriebsrat

56

57

vielen Dank für Ihr Schreiben vom 30.10.2013. Zunächst freuen wir uns, dass die vorherige BR-Vorsitzende der kaufmännischen Direktion neben ungehindertem Zugang zum Betriebsratsbüro nicht auch noch den Schlüssel zu unserem Schaukasten überlassen hat.

58

Wir werden ihr Anliegen in der nächsten Betriebsratssitzung diskutieren und bis dahin können Sie uns vielleicht mitteilen, ob Sie beim Schaukasten des Betriebsrats ein Mitbestimmungsrecht des BR sehen und wo Sie beabsichtigen, den Schaukasten aufzuhängen.

59

…"

60

Mit E-Mail vom 01.11.2013 lud der Beteiligte zu 2) die Geschäftsführung der Komplementärgesellschaft zu einer Betriebsversammlung am 13.11.2013 ein. Die Beschäftigen der Klinik und die Betriebsräte anderer Häuser des Konzerns erhielten die E-Mail zur Kenntnis. Dort heißt es:

61

"…

62

in unserer Mitarbeiterversammlung am Dienstag, den 29.10.2013, hat der Chefarzt unserer Fachklinik für Psychosomatik, Herr Dr. …, in einem angeblich durch Sie autorisierten Vortrag einige unzureichend informierte Mitarbeiter unserer Klinik mit der Behauptung in Angst und Schrecken versetzt, dass unsere Arbeitsplätze verloren gehen, wenn der gewählte Betriebsrat im Amt bleibt. Als Termin für die angeblich bevorstehende Schließung unserer Klinik nannte Herr Dr. … bereits am Freitag, den 25.10.2013, in einer interdisziplinären Teambesprechung den Sommer 2014.

63

Herr Dr. … hat sich auch zu der Behauptung hinreißen lassen, der Betriebsratsvorsitzende sei ein Kamikazeflieger, der bereits drei Einsätze in anderen Unternehmen hinter sich habe.

64

65

Der Betriebsrat arbeitet unermüdlich für den dauerhaften Erhalt unserer Arbeitsplätze und möglichst gesundheitsförderliche und motivierende Arbeitsbedingungen, für eine gute Qualifizierung unserer Mitarbeiter und für eine faire Bezahlung. Leider müssen wird dabei erleben, dass die Herren …, … und … die einzelnen Betriebsratsmitglieder auf der individualarbeitsrechtlichen und persönlichen Ebene derart angreifen, dass an eine sachdienliche Auseinandersetzung im Moment nicht zu denken ist. Den Krankenstand in unserer Klinik und im Betriebsrat zu erwähnen erübrigt sich wahrscheinlich.

66

Wir möchten Sie zu unserer Betriebsversammlung am 13.11.2013 zwischen 14 und 16 Uhr einladen und Sie bitten, unsere Kolleginnen und Kollegen darüber aufzuklären, dass wir Teil eines großen und wirtschaftlich ausgesprochen erfolgreichen Konzerns sind und Arbeitsplätze nicht dadurch gefährdet werden, dass ein Betriebsrat seine Mitbestimmungsrechte und den dazu nötigen Respekt einfordert. Die unsachlichen und rein auf die Person der einzelnen Betriebsratsmitglieder zielenden Angriffe der letzten Monate verschlingen kostbare Arbeitszeit und den Mitarbeitern und Patienten fehlt dafür nachvollziehbarer Weise das Verständnis.

67

Zum Abschluss der Versammlung hat Herr Dr. … noch etwas leider allzu wahres gesagt: Wir hätten auch dann Probleme alle Therapieanforderungen in unserer Klinik umzusetzen, wenn es keine Ausfälle durch Krankheit oder Betriebsratsarbeit gäbe.

68

…"

69

Die Arbeitgeberin erwiderte darauf mit E-Mail vom 05.11.2013, ebenfalls zur Kenntnis an alle Klinikmitarbeiter:

70

"…

71

wir haben heute eine Einladung zur Betriebsversammlung am 13.11.2013 von Ihnen erhalten.

72

Dieser Termin wurde von Ihnen festgelegt, ohne dass er zuvor mit uns besprochen, geschweige denn abgestimmt worden ist, wie es normalerweise üblich ist.

73

Da ich in der Tagesordnung auch über betriebliche Belange berichten soll, muss ich Ihnen leider mitteilen, dass ich an diesem Tag einen seit langem geplanten Termin außerhalb der Klinik wahrnehmen muss. Auch die Kurzfristigkeit dieser Einladung hätte es ohnehin nicht zugelassen, dass ich mich auf diesen Tagesordnungspunkt hinreichend hätte vorbereiten können.

74

Aus diesen Gründen sehen wir uns leider gezwungen, diese Betriebsversammlung abzusagen. Wir bieten Ihnen jedoch an, sich unverzüglich mit uns über einen für beide Seiten möglichen Folgetermin abzustimmen.

75

Bitte informieren Sie die Belegschaft, dass dieser Termin nicht stattfindet.

76

Einer Freitaktung der Mitarbeiter kann unter diesen Gesichtspunkten nicht zugestimmt werden.

77

Hinzu kommt, dass aufgrund der Kurzfristigkeit dieses Termins die bedarfsgerechte Versorgung unserer Patienten nicht sichergestellt werden kann.

78

Für Gespräche zur Findung eines neuen Termins stehe ich Ihnen ab dem 11.11.2013 zur Verfügung.

79

…"

80

Der Beteiligte zu 2) beantwortete dieses Schreiben mit der E-Mail vom 06.11.2013 an den kaufmännischen Direktor, wiederum verteilt an alle Mitarbeiter:

81

"…

82

Niemand hat die Absicht, Sie in der bevorstehenden Betriebsversammlung am 13.11.2013 über den TOP 4 berichten zu lassen. Sofern Sie unserer Einladung Folge leisten möchten, geben wir Ihnen gerne Gelegenheit, sich für Ihr ausfälliges Benehmen in der Mitarbeiterversammlung vom 29.10.2013 zu entschuldigen. Für darüber hinausgehende Äußerungen würden wir Ihnen keine Gelegenheit geben. Sie werden Verständnis dafür haben, dass wir uns einen Arbeitgebervertreter, der dem Betriebsratsvorsitzenden öffentlich "krankes Gelaber" vorwirft, vorerst nicht weiter antun möchten.

83

84

Da uns außer Ihrer persönlichen Verhinderung, die einer sachlichen Auseinandersetzung nur zuträglich sein kann, kein weiterer Grund bekannt ist, aus dem die Betriebsversammlung nicht zu dem kommunizierten Termin stattfinden könnte, wird die Betriebsversammlung, wie in der Einladung vom 5.11.2013 mitgeteilt, stattfinden. Wir würden es sehr bedauern, gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen, um mit unseren Kollegen in angemessener Form kommunizieren zu können. Sie dürfen nicht vergessen, dass es gutgläubige Mitarbeiter in unserem Haus gibt, die nach der Mitarbeiterversammlung vom 29.10.2013 tatsächlich Angst um ihre Existenz haben. Diese Ängste müssen und wollen wir schnellstmöglich zerstreuen und hoffen hier auf die Unterstützung der Geschäftsleitung.

85

…"

86

Mit Schriftsatz vom 30.10.2013, beim Arbeitsgericht eingegangen am 11.11.2013, haben 48 Beschäftigte der Klinik das Beschlussverfahren auf Abberufung des Beteiligten zu 2) aus dem Betriebsrat eingeleitet.

87

Wegen der geplanten Betriebsversammlung schrieb der Beteiligte zu 2) am 12.11.2013 eine E-Mail an die Chefärzte, verteilt an alle Mitarbeiter, in der es heißt:

88

"…

89

als Vertreter der Klinikleitung haben Sie in unten stehendem Schreiben die vom Betriebsrat einberufene Betriebsversammlung am 13.11.2013 abgesagt, ohne uns einen Alternativtermin vorzuschlagen.

90

91

Da die Betriebsversammlung nun nicht wie geplant stattfinden kann, möchten wir Ihnen exemplarisch die folgenden, von Kollegen an uns herangetragenen Fragen stellen:

92

Sehr geehrter Herr Dr. …, Sie bieten unter der Internetadresse … Ihre Leistungen unter der Postanschrift einer D. Massagepraxis an. Welche personellen und materiellen Ressourcen unserer Klinik nutzen Sie für diese Tätigkeit und in welcher Form profitiert unser Haus davon?

93

Sehr geehrter Herr Dr. …, auf Ihren Briefbögen als Chefarzt offerieren Sie Verkehrsmedizinische Begutachtungen. Es wurde die Frage gestellt, was Verkehrsmedizin mit Psychosomatik zu tun hat, welche personellen und materiellen Ressourcen unserer Klinik Sie für diese Tätigkeit nutzen und ob unsere Klinik davon profitiert.

94

…"

95

Der Beteiligte zu 2) versandte am 29.11.2013 an die Belegschaft per Mail das folgende Schreiben:

96

"…

97

Soll S. bleiben?

98

99

dem Betriebsrat liegt eine Anhörung zur beabsichtigten fristlosen Kündigung unseres Betriebsratskollegen … vor. Unser kaufmännischer Direktor hat uns als Betriebsrat aufgefordert, dieser Kündigungsabsicht bis zum 3.12.2013 zuzustimmen.

100

Zu den Kündigungsgründen führt der kaufmännische Direktor aus, dass das zur Kündigung von Herrn … führende Verhalten sowohl von der gesamten Klinikleitung als auch von einer "Vielzahl von Mitarbeitern unseres Hauses missbilligt" wird. Wir gehen davon aus, dass die wenigsten aus dieser "Vielzahl" von Mitarbeitern wissen, worum es geht.

101

… hatte der Klinikleitung mitgeteilt, dass er im Auftrag des Betriebsrats einen Mitarbeiter unseres Hauses zu einem Personalgespräch mit einem Geschäftsleitungsmitglied … in O. am 22.11.2013 begleiten wird. Dass sich Mitarbeiter in Deutschland bei dieser Art von Personalgesprächen von einem Betriebsratsmitglied ihres Vertrauens begleiten lassen können, ist eine Selbstverständlichkeit und rechtlich unzweifelhaft.

102

In der … Klinik wird dieses Recht verweigert, wie wir auch im Falle unserer Kollegin … erfahren mussten. … hat kurz nachdem sie ein Personalgespräch ohne Begleitung eines BR-Mitglieds abgelehnt hatte, ihren unbefristeten Arbeitsplatz in unserer Klinik verloren.

103

Ist es wirklich Euer Anliegen, dass Betriebsratsarbeit durch fristlose Kündigung bestraft wird?

104

…"

105

Der Betriebsrat hängte das Schreiben auch im Schaukasten aus, den der Hausmeister daraufhin gewaltsam entfernte.

106

Mit dem Schreiben vom 04.03.2014 an den kaufmännischen Direktor versuchte der Beteiligte zu 2), die Freistellungszeiten der Betriebsratsmitglieder zu klären:

107

"…

108

der § 37 BetrVG schreibt vor, dass Mitglieder des Betriebsrats ohne Minderung des Arbeitsentgelts von ihrer beruflichen Tätigkeit im erforderlichen Umfang zu befreien sind.

109

Durch den Umfang der BR-Arbeit sehen Sie die Patientenversorgung gefährdet und erwarten eine Reduktion der BR-Zeiten, anstatt die von der DRV vorgegebenen Stellen zu besetzen.

110

Herr Dr. … war bereit, Herrn … zu 25 % in seiner ärztlichen Tätigkeit zu entlasten. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie auch die übrigen BR-Mitglieder im gleichen Umfang entlasten. Laut Fitting (§ 37, Randnr. 16) obliegen den BR-Mitgliedern nicht unerhebliche Amtspflichten, die im Moment durch den unrechtmäßig vorgenommenen Gehaltsabzug nicht erfüllt werden können.

111

Für die dem Therapieplan unterworfenen BR-Mitglieder gehen wir deshalb von einer erforderlichen pauschalen Freistellung von 10 Stunden in der Woche aus (inklusive BR-Sitzung).

112

Zur Geschäftsführung des Betriebsrats halten wir eine pauschale Freistellung für weitere 10 Stunden für erforderlich, die zunächst vom BR-Vorsitzenden genutzt werden.

113

Eine pauschale Freistellung betrachten wir als Entgegenkommen, um eine Therapieplanung zuverlässiger zu ermöglichen.

114

Beachten Sie bitte, dass zur ordnungsgemäßen Durchführung von BR-Arbeiten keine Zustimmung des Arbeitgebers zur Arbeitsbefreiung erforderlich ist.

115

…"

116

Unter dem 29.04.2014 richtete der Betriebsrat, unterzeichnet von der stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden, ausgehängt im Schaukasten, das folgende Schreiben an die Geschäftsführung der Komplementärin:

117

"…

118

Aufhetzung von Kollegen

119

120

wie Sie wissen, hetzen die Chefärzte Dr. … und Dr. … spätestens seit Oktober 2013 einen Teil unserer Kolleginnen und Kollegen gegen den Betriebsrat auf.

121

In der jüngsten Hetzkampagne haben einige Mitarbeiter unserer Klinik dem Betriebsrat Mobbing und unwürdiges Verhalten vorgeworfen. Es ist die Rede davon, der Betriebsrat fordere die "Entfernung einer Kollegin aus dem Betrieb".

122

Seit Jahren sind in unserem Haus zahlreiche Stellen im Therapiebereich nicht besetzt. Deswegen kommt es zu erheblichen Einschränkungen in der Patientenversorgung, für die Herr … den Betriebsrat verantwortlich machen möchte. Um die Unterbesetzung zu kompensieren geht er mit Abmahnungen und Gehaltskürzungen gegen Betriebsratszeiten vor, verdichtet die Arbeitspläne von Kollegen und setzt zunehmend Praktikanten als billige Arbeitskräfte ein. Durch die eingeschränkte Patientenversorgung entstehen unnötige und teilweise schwerwiegende Konflikte in den beiden Dispositionsbereiche, die dazu geführt haben, dass alle bis Herbst 2013 dort beschäftigten Mitarbeiterinnen dauerhaft erkrankt sind oder unsere Klinik mehr oder weniger freiwillig verlassen. Notwendige Weiterbildungen und Einarbeitungen werden den Mitarbeiterinnen verwehrt, da Herr … seit Jahren, übrigens auch gegenüber der vorherigen Betriebsratsvorsitzenden, nicht bereit ist, die Betriebsvereinbarung zur Fort- und Weiterbildung einzuhalten. Anstatt die zugrunde liegenden Konflikte zu lösen und eine uneingeschränkte Patientenversorgung zu ermöglichen, will Herr … jetzt zusätzliche Stellen im Verwaltungsbereich schaffen.

123

Zwei der auf dem Hetzschreiben vom 15.04.2014 zu erkennenden Unterschriften beunruhigen uns besonders und veranlassen uns, Sie jetzt zu unverzüglichem Handeln aufzufordern. Es handelt sich dabei um die Unterschrift des stellvertretenden Chefarztes der Psychosomatik und die Unterschrift eines Mitarbeiters, der erst am 14.4.2014 seine Arbeit in unserer Klinik aufgenommen hatte. Dem stellvertretenden Chefarzt einer psychosomatischen Fachklinik ... sollte man ein ausreichendes Einschätzungsvermögen und die nötige fachliche Kompetenz zutrauen dürfen, leichtfertige Mobbingvorwürfe zu unterlassen. Ein Mitarbeiter, der sich an seinem zweiten Arbeitstag dazu hinreißen lässt, den Betriebsratmitgliedern Mobbing und unwürdiges Verhalten vorzuwerfen, kann dies nicht aus eigener Kenntnis der entsprechenden Umstände getan haben.

124

Wir erwarten von Ihnen, Herr …, dass Sie als der für Personalangelegenheiten zuständige Geschäftsführer … der Aufhetzung verunsicherter Kolleginnen und Kollegen durch die Mitglieder der Klinikleitung jetzt endgültig Einhalt gebieten. Dazu wird es unumgänglich sein, dass Sie die traditionelle Missachtung der Mitbestimmungsrechte in unserem Haus beenden und nach zwanzig wirtschaftlich außerordentlich erfolgreichen Jahren die Bereitschaft zur gesetzlich geforderten vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat zeigen.

125

In Ihrem offenen Brief vom 12.3.2014 hatten Sie die … Klinik … als eine "Perle" … bezeichnet. Lassen Sie den wirtschaftlichen Glanz dieser Perle endlich auch den in unserem Haus beschäftigten Mitarbeitern zu Gute kommen. Dazu gehört für uns die Besetzung aller im Therapiebereich offenen Stellen mit qualifizierten Fachpersonal und der Verzicht auf die Ausbeutung von Praktikanten. Damit würden die notwendigen Voraussetzungen geschaffen, um die Fluktuation und Krankenquote im Verwaltungsbereich, die jetzt so große Wellen schlägt, zu senken und die unnötigen Konflikte zu beenden.

126

…"

127

Die Antragsteller haben die Ansicht vertreten, dass die Abberufung des Beteiligten zu 2) zwingend notwendig sei, da die Versorgung der Patienten gefährdet und der Betriebsfrieden extrem gestört sei.

128

Der Betriebsratsvorsitzende vertrete nicht die Interessen der Belegschaft, sondern verfolge persönliche Interessen. Er setze andere Mitarbeiter unter Druck, wofür Äußerungen wie "Dich mach ich fertig" exemplarisch seien. Er habe mehrfach Mitarbeiter dazu aufgerufen, dringend erforderliche Überstunden nicht abzuleisten. Durch die von ihm beanspruchten umfangreichen Freistellungen für die Betriebsratsarbeit komme es immer wieder zu kurzfristigen Ausfällen von Therapien und zu Vertretungsfällen, die von Kollegen aufzufangen seien. Er habe mehrfach geäußert, auf die Vertretungssituation bei der Durchführung außerordentlicher Betriebsratssitzungen keine Rücksicht nehmen zu können. Er schädige das Ansehen der Klinik in der Öffentlichkeit, da er einen Großteil der Korrespondenz per Mail an den Vorstand und an andere Betriebsräte des Konzerns verschicke. Darüber hinaus hänge er die Schreiben im Schaukasten aus, was wegen der augenfälligen Querelen zur Verunsicherung von Patienten und Besuchern führe. Der Betriebsratsvorsitzende habe einen derartigen Konfrontationskurs eingeschlagen, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Arbeitgeberin nach den Grundsätzen des § 2 BetrVG nicht mehr möglich sei. Der Betriebsratsvorsitzende handle stets im Alleingang, ohne die anderen Betriebsratsmitglieder einzubeziehen. Der Betriebsrat nicke die Aktionen des Vorsitzenden nur ab.

129

Am 29.10.2013 habe sich der Beteiligte zu 2) während einer Gruppentherapie Autogenes Training in der Zeit von 09:15 bis 09:45 Uhr über seine persönliche Situation als Betriebsratsvorsitzender und die unzulänglichen Freistellungen beklagt, anstatt die Therapie durchzuführen. Das habe zu Beschwerden von Patienten geführt.

130

Die Beteiligten zu 1) haben erstinstanzlich beantragt,

131

den Beteiligten zu 2), Herrn H., aus dem bei der M. D. Klinik F-Stadt gebildeten Betriebsrat auszuschließen.

132

Die Beteiligten zu 2) und 3) haben beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Der Betriebsratsvorsitzende habe keine Amtspflichten verletzt. Selbstverständlich sei es zulässig, angesichts der von der Arbeitgeberin ausgesprochenen und bekannt gegebenen Suspendierung die Belegschaft über die Fortführung der Betriebsratstätigkeit zu unterrichten. Die Aushänge seien notwendig gewesen, da nicht allen Mitarbeitern ein E-Mail-Zugang zur Verfügung stehe. Ebenso selbstverständlich dürfe der Betriebsrat die Arbeitnehmer, wie mit dem Aushang zur Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen geschehen, über ihre Rechte und Pflichten informieren. Abgesehen davon handele es sich um Aushänge und Schreiben des Betriebsrats und nicht des Betriebsratsvorsitzenden. Da der Betriebsratsvorsitzende den Betriebsrat nur im Rahmen der gefassten Beschlüsse vertrete, fehle es schon deshalb an einer dem Beteiligten zu 2) zurechenbaren Amtspflichtverletzung. Der Beteiligte zu 2) habe während der Gruppentherapie am 29.10.2013 nicht gegen seine Schweigepflicht verstoßen. Er bestreitet, dass es zu Patientenbeschwerden gekommen sei. Eine Freistellung für die Betriebsratsarbeit habe er nur in einem solchen Umfang geltend gemacht, wie es erforderlich gewesen sei. Für außerordentliche Betriebsratssitzungen und Betriebsversammlungen habe es stets entsprechende Anlässe gegeben. In der Vergangenheit seien Betriebsratsmitglieder wegen Schwierigkeiten bei der Arbeitsbefreiung gezwungen gewesen, einen Großteil der Betriebsratsarbeit in der Freizeit zu erledigen. Unabhängig davon seien evtl. Verfehlungen aber keinesfalls so schwerwiegend, dass eine Amtsenthebung gerechtfertigt sei.

133

Die Arbeitgeberin hat sich erstinstanzlich dem Antrag der Beteiligten zu 1) angeschlossen.

134

Das Arbeitsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 24.02.2015 zurückgewiesen, weil es an einer groben Pflichtverletzung im Sinne des § 23 Abs. 1 BetrVG fehle. Das Verhalten des Betriebsrats könne nicht dem Vorsitzenden allein zugerechnet werden. Der Betriebsrat habe zwar unnötigerweise Betriebsinterna durch die Aushänge im Schaukasten öffentlich gemacht. Die Veröffentlichungen seien jedoch nicht dem Betriebsratsvorsitzenden als grobe Amtspflichtverletzung zuzuordnen. Darüber hinaus gebe es keine Anhaltspunkte, dass der Betriebsratsvorsitzende missbräuchlich Freistellungen in Anspruch genommen habe. Dem Betriebsrat und seinem Vorsitzenden sei es möglicherweise nicht immer gelungen, den Anlass der Betriebsratstätigkeit ausreichend zu kommunizieren. Die dadurch ggf. hervorgerufene Störung des Betriebsklimas sei aber nicht dem Betriebsratsvorsitzenden als grobe Pflichtverletzung zuzuordnen.

135

Hiergegen wenden sich die Antragsteller mit ihrer fristgerecht eingelegten und begründeten Beschwerde. Die Antragsteller sind der Ansicht, das Arbeitsgericht habe sich nicht ausreichend mit den zahlreichen und detailliert aufgeführten Pflichtverletzungen des Beteiligten zu 2) auseinandergesetzt. Was die Freistellung für Betriebsratsarbeit betreffe, so habe der Betriebsratsvorsitzende durchaus einen Ermessensspielraum. Allerdings habe der Beteiligte zu 2) diesen Spielraum missbraucht, indem er kurzfristig und unnötig spontan die von ihm zu leistenden Dienste abgesagt habe. Der Beteiligte zu 2) habe seine Schweigepflicht verletzt, weil er betriebsinterne Angelegenheiten gegenüber Patienten ausgeplaudert habe. Zudem habe er erheblichen Unfrieden gestiftet. Das Verhältnis zur Klinikleitung sei schwer beschädigt. Der Beteiligte zu 2) meine offenbar, einen persönlichen Kampf mit dem kaufmännischen Leiter der Klinik zulasten der Belegschaft ausfechten zu müssen. Während der Betriebsversammlung am 17.09.2015 habe er die Situation in der Klinik mit der eines Gladiatorenkampfes im alten Rom verglichen, bei dem am Ende das Volk darüber entscheide, wer als Sieger hervorgehe und wer getötet werde. Der Betriebsratsvorsitzende führe sich wie ein Alleinherrscher auf und dulde keinerlei Widerspruch aus den Reihen des Betriebsrats. Die Antragsteller seien nicht mehr bereit, den Beteiligten zu 2) als ihren Betriebsratsvorsitzenden zu akzeptieren.

136

Die Beteiligten zu 1.01) bis 1.50) beantragen,

137
1. den Beschluss des Arbeitsgerichts Stralsund vom 24.02.2015, Aktenzeichen 13 BV 3/13, abzuändern und
138
2. den Beteiligten zu 2), Herrn H., aus dem bei der M. D. Klinik F-Stadt gebildeten Betriebsrat auszuschließen.
139

Die Beteiligten zu 2) und 3) beantragen,

140

die Beschwerde zurückzuweisen.

141

Das Vorbringen der Antragsteller sei nach wie vor ohne Substanz. Es lasse keine schwerwiegenden Pflichtverletzungen erkennen. Der Beteiligte zu 2) bestreitet die Vorwürfe. Insbesondere bestreitet er, die Aushänge im Schaukasten im Alleingang veröffentlicht zu haben.

142

Die Beteiligte zu 4) ist im Beschwerdeverfahren nicht mehr aufgetreten.

143

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle und auf die erstinstanzliche Entscheidung Bezug genommen.

II.

144

Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat den Antrag zu Recht zurückgewiesen.

145

Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 BetrVG kann ein Viertel der wahlberechtigten Arbeitnehmer beim Arbeitsgericht den Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten beantragen.

146

Eine Abwahl des Betriebsrats oder einzelner Mitglieder sieht das Gesetz nicht vor. Ein Abwahlrecht steht weder dem oben genannten Viertel noch einer Mehrheit der wahlberechtigten Arbeitnehmer zu. Es genügt nicht, dass eine nennenswerte Zahl von Arbeitnehmern mit der Arbeit des Betriebsrats oder der eines seiner Mitglieder unzufrieden ist. Der Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat setzt eine grobe Verletzung der gesetzlichen Pflichten voraus.

147

Gesetzliche Pflichten in diesem Sinne sind die Pflichten aus dem Betriebsverfassungsrecht (z. B. LAG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Januar 2015 - 6 TaBV 48/14 - Rn. 50, juris = NZA-RR 2015, 299). Darunter fallen die Pflichten als Betriebsratsmitglied ebenso wie die Pflichten in besonderen Funktionen, wie z. B. als Betriebsratsvorsitzender (LAG Hessen, Beschluss vom 19. September 2013 - 9 TaBV 225/12 - Rn. 32, juris). Von den Amtspflichten zu unterscheiden sind die - jeden Arbeitnehmer treffenden - Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis. Eine Verletzung von Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis rechtfertigt nicht den Ausschluss aus dem Betriebsrat. Der Arbeitgeber kann aber eine solche Pflichtverletzung ggf. zum Anlass nehmen, den Arbeitnehmer abzumahnen oder zu kündigen. Diese Sanktionen sind wiederum ausgeschlossen, wenn ein Betriebsratsmitglied lediglich betriebsverfassungsrechtliche Amtspflichten verletzt (BAG, Beschluss vom 09. September 2015 - 7 ABR 69/13 - Rn. 41, juris = NZA 2016, 57). Es ist jedoch möglich, dass ein bestimmtes Verhalten sowohl Amtspflichten aus dem Betriebsverfassungsrecht als auch die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis verletzt (BAG, Beschluss vom 16. Oktober 1986 - 2 ABR 71/85 - Rn. 26, juris = ZTR 1987, 125; BAG, Urteil vom 25. Mai 1982 - 7 AZR 155/80 - Rn. 24, juris).

148

Darüber hinaus muss es sich um eine grobe Verletzung der Amtspflicht handeln, d. h. eine objektiv erhebliche und offensichtlich schwerwiegende Pflichtverletzung. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalles, insbesondere die betrieblichen Gegebenheiten und der Anlass der Pflichtverletzung. Ein grober Verstoß ist nur anzunehmen, wenn das Betriebsratsmitglied im Betriebsrat nicht mehr tragbar ist (BAG, Beschluss vom 22. Juni 1993 - 1 ABR 62/92 - Rn. 53, juris = NZA 1994, 184; LAG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Januar 2015 - 6 TaBV 48/14 - Rn. 50, juris = NZA-RR 2015, 299; LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 03. Dezember 2013 - 1 TaBV 11/33 - Rn. 73, juris; LAG Hessen, Beschluss vom 13. September 2012 - 9 TaBV 79/12 - Rn. 48, juris). Die Pflichtverletzung muss so schwerwiegend sein, dass das Vertrauensverhältnis zur Belegschaft oder innerhalb des Betriebsrats tiefgreifend erschüttert ist und deshalb der Ausschluss des Betriebsratsmitglieds aus dem Gremium notwendig wird, damit der Betriebsrat die ihm zugewiesenen Aufgaben zukünftig wieder ordnungsgemäß erfüllen kann. Sinn und Zweck des § 23 Abs. 1 BetrVG ist es, die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats zu gewährleisten (BAG, Beschluss vom 05. September 1967 - 1 ABR 1/67 - Rn. 42, juris = MDR 1968, 84; LAG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Januar 2015 - 6 TaBV 48/14 - Rn. 72, juris = NZA-RR 2015, 299; Fitting, BetrVG, 27. Aufl. 2014, § 23, Rn. 18). Die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats kann dadurch bedroht sein, dass Betriebsratsmitglieder ihre Aufgaben stark vernachlässigen. Auch ein querulatorisches oder krankhaft boshaftes Verhalten kann unter Umständen zum Ausschluss führen, wenn das Vertrauen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber oder zwischen Betriebsrat und Belegschaft in einem solchen Maß erschüttert ist, dass der Betriebsrat nicht mehr in der Lage ist, seine gesetzlichen Aufgaben zu erfüllen (BAG, Beschluss vom 05. September 1967 - 1 ABR 1/67 - Rn. 42, juris = MDR 1968, 84).

149

Der Beteiligte zu 2) hat weder seine Amtspflichten als Betriebsratsvorsitzender noch seine Amtspflichten als Betriebsratsmitglied grob verletzt. Die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats ist nicht ernsthaft gefährdet.

150

1. Anberaumung von Betriebsratssitzungen, § 30 BetrVG

151

Die Sitzungen des Betriebsrats finden in der Regel während der Arbeitszeit statt (§ 30 Satz 1 BetrVG). Der Betriebsrat bzw. dessen Vorsitzender bestimmt nach pflichtgemäßem Ermessen, wann, wie oft und wie lange er tagt (BAG, Beschluss vom 03. Juni 1969 - 1 ABR 1/69 - Rn. 16, juris = DB 1969, 1705).

152

Der Betriebsrat hat nach § 30 Satz 2 BetrVG bei der Ansetzung von Betriebsratssitzungen auf die betrieblichen Notwendigkeiten Rücksicht zu nehmen. Betriebliche Notwendigkeiten in diesem Sinne sind solche Gründe, die zwingend Vorrang vor dem Interesse des Betriebsrats auf Abhaltung einer Betriebsratssitzung zu dem von ihm vorgesehenen Zeitpunkt haben (LAG G-Stadt-CD., Beschluss vom 18. März 2010 - 2 TaBV 2694/09 - Rn. 22, juris = ZTR 2010, 491; GK-BetrVG/Raab, 10. Aufl. 2014, § 30, Rn. 7). Die Vorschrift betrifft die zeitliche Lage von Betriebsratssitzungen. Bei der Wahl des Zeitpunktes ist der Betriebsrat nicht völlig frei, sondern gehalten, zwingende betriebliche Belange zu berücksichtigen. Da die Sitzungen des Betriebsrats regelmäßig während der Arbeitszeit stattfinden, ist damit stets ein Eingriff in die betrieblichen Abläufe verbunden, da die Betriebsratsmitglieder in dieser Zeit nicht an ihrem Arbeitsplatz sind.

153

Ein grober Verstoß gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme auf betriebliche Notwendigkeiten liegt vor, wenn der Betriebsratsvorsitzende den Zeitpunkt der Sitzung so wählt, dass der Betriebsablauf ohne Not erheblich gestört wird, indem er z. B. den Zeitraum eines üblicherweise erhöhten Kundenaufkommens herausgreift.

154

Der Beteiligte zu 2) hat bei der Anberaumung von Betriebsratssitzungen nicht grob gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme verstoßen. Bei der Wahl des Zeitpunkts von Betriebsratssitzungen sind nicht nur die Arbeitsaufgaben des Betriebsratsvorsitzenden von Bedeutung, sondern gleichermaßen die Dienstpläne sämtlicher Betriebsratsmitglieder zu berücksichtigen. Es ist nicht ersichtlich, dass und ggf. welche Betriebsratssitzungen ohne Weiteres zu anderen Zeitpunkten hätten stattfinden können, zu denen der damit verbundene Arbeitsausfall der Betriebsratsmitglieder deutlich einfacher hätte bewältigt werden können.

155

2. Freistellung für Betriebsratsarbeit, § 37 BetrVG

156

Nach § 37 Abs. 2 BetrVG sind die Mitglieder des Betriebsrats von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist.

157

Die Erforderlichkeit bestimmt sich danach, ob das Betriebsratsmitglied vom Standpunkt eines vernünftigen Dritten aus bei gewissenhafter Würdigung aller Umstände und Abwägung der Interessen des Betriebs, des Betriebsrats und der Belegschaft die Arbeitsversäumnis für notwendig halten durfte, um eine bestimmte Betriebsratstätigkeit vorzunehmen (BAG, Urteil vom 06. August 1981 - 6 AZR 505/78 - Rn. 22, juris = AP Nr. 39 zu § 37 BetrVG 1972; Fitting, BetrVG, 27. Aufl. 2014, § 37, Rn. 38; Richardi/Thüsing, BetrVG, 15. Aufl. 2016, § 37, Rn. 25). Ein Betriebsratsmitglied, das den Rahmen seiner gesetzlichen Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte auszuschöpfen versucht, überschreitet nicht allein deshalb die Grenzen der Erforderlichkeit (ErfK/Koch, 16. Aufl. 2016, § 37 BetrVG, Rn. 3).

158

Der Beteiligte zu 2) hat seine Betriebsratstätigkeit nicht in einem Umfang ausgedehnt, der weit über den gesetzlichen Rahmen hinausgeht. Er hat nicht den ihm eingeräumten Beurteilungsspielraum grob überschritten. Mit dem Schreiben vom 04.03.2014 hat der Beteiligte zu 2) bei der Arbeitgeberin eine Pauschalierung der Freistellung im Umfang von 10 Stunden pro Woche für jedes Betriebsratsmitglied zuzüglich weiterer 10 Stunden für den Vorsitzenden vorgeschlagen. Diese Forderung erscheint angesichts der Freistellungsregelungen des § 38 Abs. 1 BetrVG nicht völlig überzogen. Danach ist in Betrieben mit in der Regel 200 bis 500 Arbeitnehmern ein Betriebsratsmitglied vollständig von der beruflichen Tätigkeit freizustellen. In Anbetracht einer Mitarbeiterzahl von rund 110 Beschäftigten mag der Vorschlag des Beteiligten zu 2) im oberen Bereich liegen. Eine grobe Pflichtverletzung lässt sich aber weder aus dem Ansinnen einer Pauschalregelung noch aus einer im zeitlichen Ausmaß vergleichbaren praktischen Handhabung herleiten.

159

3. Anberaumung von Betriebsversammlungen, § 44 BetrVG

160

Der Betriebsrat hat einmal in jedem Kalendervierteljahr eine Betriebsversammlung einzuberufen und in ihr einen Tätigkeitsbericht zu erstatten (§ 43 Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Die Betriebsversammlung findet während der Arbeitszeit statt, soweit nicht die Eigenart des Betriebs eine andere Regelung zwingend erfordert (§ 44 Abs. 1 Satz 1 BetrVG).

161

Der Betriebsrat bestimmt den Zeitpunkt der Betriebsversammlung durch Beschluss. Einer Zustimmung des Arbeitgebers bedarf es nicht (ErfK/Koch, 16. Aufl. 2016, §§ 42-46 BetrVG, Rn. 2; Fitting, BetrVG, 27. Aufl. 2014, § 44, Rn. 9; GK-BetrVG/Weber, 10. Aufl. 2014, § 44, Rn. 10). Der Betriebsrat muss den Arbeitgeber frühzeitig über den Zeitpunkt der Versammlung unterrichten, damit dieser die erforderlichen Vorkehrungen zeitgerecht treffen kann (ArbG Darmstadt, Beschluss vom 27. November 2003 - 5 BVGa 39/03 - Rn. 30, juris = AiB 2004, 754). Der Betriebsrat hat bei der Anberaumung einer Betriebsversammlung die betrieblichen Notwendigkeiten zu berücksichtigen und darauf zu achten, dass der Betriebsablauf möglichst wenig gestört und der Arbeitsausfall nach Möglichkeit gering gehalten wird (GK-BetrVG/Weber, BetrVG, 10. Aufl. 2014, § 44, Rn. 10; Richardi/Annuß, BetrVG, 15. Aufl. 2016, § 44, Rn. 18). Zugleich hat der Betriebsrat aber auch die Wünsche der Mitarbeiter zu berücksichtigen, um eine möglichst zahlreiche Teilnahme sicherzustellen.

162

Die Beteiligten zu 2) und 3) haben den Termin der für den 13.11.2013 geplanten Betriebsversammlung nicht zuvor mit der Arbeitgeberin abgestimmt. Wenn auch eine vorherige Absprache zweckmäßig gewesen wäre, um spätere Irritationen innerhalb der Belegschaft zu vermeiden, so liegt darin dennoch keine Pflichtverletzung. Der Betriebsrat war nicht verpflichtet, die Zustimmung der Arbeitgeberin einzuholen. Es handelt sich um eine Frage des Umgangs miteinander. Ein Verstoß gegen Rechtsvorschriften lässt sich daraus nicht herleiten. Die Vorgehensweise bewegt sich noch unterhalb der Schwelle zur rechtlichen Relevanz. Im Übrigen ist der Termin nicht so gewählt, dass der Arbeitsablauf ohne Not besonders und zielgerichtet gestört wird.

163

4. Beeinträchtigung des Betriebsfriedens, § 74 BetrVG

164

Nach § 74 Abs. 2 Satz 2 BetrVG haben Arbeitgeber und Betriebsrat Betätigungen zu unterlassen, durch die der Arbeitsablauf oder der Frieden des Betriebs beeinträchtigt werden. Diese Pflicht trifft nicht nur den Betriebsrat, sondern auch die einzelnen Betriebsratsmitglieder (ErfK/Kania, 16. Aufl. 2016, § 74 BetrVG, Rn. 16; Fitting, BetrVG, 27. Aufl. 2014, § 74, Rn. 27).

165

Der Begriff Betriebsfrieden beschreibt das friedliche, störungsfreie Zusammenleben und Zusammenwirken von Arbeitnehmern, Betriebsrat und Arbeitgeber auf der Grundlage vertrauensvoller Zusammenarbeit (GK-BetrVG/Kreutz, 10. Aufl. 2014, § 74, Rn. 133). Daraus ergibt sich aber nicht ein Verbot, um des lieben Friedens willen auf jeglichen Streit zu verzichten. Der Arbeitgeber kann ebenso wie der Betriebsrat bzw. die Betriebsratsmitglieder die Rechte aus dem Betriebsverfassungsrecht wahrnehmen und ggf. auch gerichtlich durchsetzen (GK-BetrVG/Kreutz, 10. Aufl. 2014, § 74, Rn. 137). Das Betriebsverfassungsgesetz geht davon aus, dass es aufgrund der unterschiedlichen Interessen von Arbeitgeber und Belegschaft durchaus zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat kommen kann (z. B. § 74 Abs. 1 Satz 2, § 76 Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Der Betriebsfriede ist erst beeinträchtigt, wenn Arbeitgeber oder Betriebsrat nicht ihre gegenseitigen Rechte und Befugnisse anerkennen, indem beispielsweise der Betriebsrat in die Leitung des Betriebs eingreift (§ 77 Abs. 1 Satz 2 BetrVG) oder der Arbeitgeber ihm nicht genehme Bekanntmachungen des Betriebsrats am Schwarzen Brett eigenmächtig entfernt (Fitting, BetrVG, 27. Aufl. 2014, § 74, Rn. 31a). Ebenso kann es den Betriebsfrieden beeinträchtigen, wenn die Betriebspartner nicht die zur Lösung von Interessenkonflikten vorgesehenen Verfahren und Wege einhalten (LAG Düsseldorf, Beschluss vom 25. Mai 1976 - 15 TaBV 10/76 - DB 1977, 453) oder in einer Weise miteinander umgehen, die trotz Anerkennung bestehender Interessengegensätze schlechterdings nicht mit dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG) vereinbar ist (Fitting, BetrVG, 27. Aufl. 2014, § 74, Rn. 31; Rieble/Wiebauer, ZfA 2010, 115).

166

Der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit ist Maßstab dafür, wie die Betriebsparteien ihre gegenseitigen Rechte und Pflichten wahrzunehmen und auszuüben haben. Sie müssen dabei auch auf die Interessen der anderen Betriebspartei Rücksicht nehmen (BAG, Beschluss vom 28. Mai 2014 - 7 ABR 36/12 - BAGE 148, 182-192, Rn. 35, juris). Die Vorschrift des § 2 Abs. 1 BetrVG bezieht sich nicht allein auf das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat als Gremium. Auch das einzelne Betriebsratsmitglied ist danach verpflichtet, durch sein Verhalten die Grundlagen des gegenseitigen Vertrauens nicht nachhaltig zu stören. Das einzelne Betriebsratsmitglied hat sich bei seiner Betriebsratstätigkeit innerhalb der Grenzen zu halten, die sich aus den allgemeinen Vorschriften der Rechtsordnung, insbesondere aus denen des Betriebsverfassungsgesetzes ergeben (LAG G-Stadt-CD., Beschluss vom 05. Juni 2014 - 10 TaBVGa 146/14 - Rn. 40, juris = NZA-RR 2014, 538).

167

Die Verbreitung von wahrheitswidrigen und ehrverletzenden Behauptungen über den anderen Betriebspartner kann den Betriebsfrieden ebenso beeinträchtigen wie die zielgerichtete Einbindung von Dritten, z. B. Kunden, in den Konflikt oder der Öffentlichkeit. Arbeitgeber und Betriebsrat sind grundsätzlich berechtigt, die Belegschaft über betriebliche Vorgänge zu unterrichten. Das gilt auch für Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen. Die Betriebspartner dürfen sich im Rahmen der Meinungsfreiheit (vgl. Art. 5 Abs. 1 GG), die wiederum ihre Schranke in den allgemeinen Gesetzen und dem Recht der persönlichen Ehre findet, auch kritisch äußern. Das allein beeinträchtigt noch nicht das störungsfreie Zusammenleben und Zusammenwirken im Betrieb. Der Betriebsfrieden ist erst dann gefährdet, wenn bewusst falsche oder aus dem Zusammenhang gerissene Tatsachen verbreitet werden, um den anderen Betriebspartner in Misskredit zu bringen und verächtlich zu machen. Das gilt für Äußerungen, bei denen nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung von Personen im Vordergrund steht (LAG G-Stadt-CD., Beschluss vom 05. Juni 2014 - 10 TaBVGa 146/14 - Rn. 50, juris = NZA-RR 2014, 538). Sofern diese Grenzen gewahrt sind, ist es im Rahmen der Meinungsfreiheit durchaus gestattet, Meinungsverschiedenheiten betriebsöffentlich mit "härteren Bandagen" auszutragen (LAG Niedersachsen, Beschluss vom 06. April 2004 - 1 TaBV 64/03 - Rn. 22, juris = NZA-RR 2005, 78). Des Weiteren ist der Betriebsrat berechtigt, die Belegschaft über rechtswidrige Maßnahmen des Arbeitgebers, z. B. die Anordnung von Überstunden ohne Beachtung der Mitbestimmungsrechte, zu unterrichten (LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 01. April 2009 - 3 TaBVGa 2/09 - juris; Fitting, BetrVG, 27. Aufl. 2014, § 74, Rn. 36).

168

Der Beteiligte zu 2) hat nach diesen Maßstäben den Betriebsfrieden nicht beeinträchtigt.

169

Er war berechtigt, die Belegschaft am 22.02.2013 per E-Mail und durch Aushang über die Reichweite seiner damaligen Suspendierung und die Fortführung der Betriebsratstätigkeit zu unterrichten. Es kann dahinstehen, ob dieser Sachverhalt, der in eine frühere Amtszeit fällt, den Ausschluss aus einem später gewählten Betriebsrat rechtfertigen kann (vgl. dazu LAG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Januar 2015 - 6 TaBV 48/14 - Rn. 72, juris; LAG München, Beschluss vom 28. April 2014 - 2 TaBV 44/13 - Rn. 132 ff., juris = LAGE § 103 BetrVG 2001 Nr. 17). Die Angaben in der ausgehängten und an die Belegschaft versandten E-Mail entsprechen jedenfalls den Tatsachen. Ehrverletzende Äußerungen gegenüber der Arbeitgeberin oder einzelnen Repräsentanten der Arbeitgeberin enthalten sie nicht. Der Beteiligte zu 2) hat die E-Mail nicht deshalb ausgehängt, um die Patienten gezielt in den Konflikt einzubeziehen, sondern um diejenigen Mitarbeiter ohne E-Mail-Zugang zu unterrichten. Der Betriebsrat muss die Möglichkeit haben, von sich aus mit der Belegschaft in Verbindung zu treten; der innerbetriebliche Dialog ist nicht auf die Durchführung von Betriebsversammlungen oder Sprechstunden beschränkt (BAG, Beschluss vom 29. April 2015 - 7 ABR 102/12 - Rn. 34, juris = NZA 2015, 1397; BAG, Beschluss vom 09. Juni 1999 - 7 ABR 66/97 - BAGE 92, 26-35, Rn. 26, juris).

170

Sofern Patienten durch den Aushang eher zufällig Kenntnis von den betriebsinternen Streitigkeiten erlangt haben, ist damit noch nicht der betriebliche Friede gefährdet. Allein deshalb steht das Unternehmen bzw. der Betrieb noch nicht in einem schlechten Licht dar, wenn auch der ein oder andere Patient aus Neugier heraus Mitarbeiter hierauf angesprochen haben mag. Weder der Beteiligte zu 2) noch der Beteiligte zu 3) haben den Schaukasten gezielt genutzt, um Patienten in ihrem Sinne zu instrumentalisieren und über diesen Weg unzulässig Druck auf die Arbeitgeberin auszuüben. Ebenso wenig haben sie sich gezielt an die Öffentlichkeit, z. B. über Presseorgane, gewandt, um mittels einer drohenden Rufschädigung die Arbeitgeberin zum Einlenken zu bewegen. Im Übrigen dürfte es sich durch Umhängen des Schaukastens vermeiden lassen, dass Patienten von innerbetrieblichen Angelegenheiten erfahren.

171

Das am 30.07.2013 per E-Mail versandte und zugleich ausgehängte Infoblatt zur Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen beeinträchtigt nicht das friedliche, störungsfreie Zusammenwirken im Betrieb. Es enthält keinen Aufruf, vermehrt Arbeitsunfähigkeiten in Anspruch zu nehmen. Der Beteiligte zu 2) und der Beteiligte zu 3) haben sich auf eine sachliche Darstellung der Rechtslage beschränkt. Ob dem Betriebsrat seinerzeit bereits das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 14. November 2012 - 5 AZR 886/11 - (NJW 2013, 892) zur Vorlagepflicht von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bekannt war, ist für die Frage der Auswirkungen auf den Betriebsfrieden unerheblich.

172

Der E-Mail-Verkehr im August 2013 zur Aufnahme von Patienten am Wochenende enthält zwar eine deutliche Kritik am Vorgehen des Betriebspartners. Das betrifft allerdings beide Seiten. Auch die Arbeitgeberin hat ihre Meinung zum Sachverstand des Betriebsrats zugespitzt dargestellt. Der Beteiligte zu 2) hat in seiner Antwort keinen schärferen Ton angeschlagen als zuvor die Arbeitgeberin.

173

Soweit der Beteiligte zu 2) in der E-Mail vom 01.11.2013 die bisherige Betriebsratsvorsitzende wegen der guten Zusammenarbeit mit der Arbeitgeberin kritisiert, hat er sich im Rahmen seiner Meinungsfreiheit bewegt. Das zu bewerten, ist den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Betriebs überlassen. Die Kritik bezieht sich auf die Sache, nämlich die Zusammenarbeit mit der Arbeitgeberin, nicht aber auf die Person der früheren Betriebsratsvorsitzenden.

174

In der E-Mail vom 06.11.2013 hat sich der Beteiligte zu 2) über eine auf ihn bezogene Äußerung des kaufmännischen Direktors auf der Mitarbeiterversammlung am 29.10.2013 beschwert ("krankes Gelaber") und eine Entschuldigung gefordert. Diese E-Mail kann den Betriebsfrieden nur dann beeinträchtigen, wenn sie unwahre Behauptungen enthält. Das ist soweit ersichtlich nicht der Fall.

175

Die E-Mail vom 12.11.2013 enthält keinen persönlichen Angriff auf die Chefärzte. Zum einen handelt es sich um Fragen aus der Belegschaft. Zum anderen sind die Fragen sachbezogen und nicht geeignet, die Chefärzte in ihrer Ehre und ihrem Ansehen zu verletzten. Unwahre Behauptungen werden nicht in den Raum gestellt.

176

Das Schreiben vom 29.11.2013 beeinträchtigt nicht den Betriebsfrieden. Der Beteiligte zu 2) hat die Belegschaft lediglich über die von der Arbeitgeberin beabsichtigte außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds unterrichtet. Es handelt sich nicht um eine unzulässige Stimmungsmache gegen die Arbeitgeberin oder deren Repräsentanten. Der Beteiligte zu 2) war berechtigt, im Namen des Beteiligten zu 3) die von der Arbeitgeberin beabsichtigte Kündigung zu kritisieren und hierüber die Belegschaft zu informieren.

177

Das Schreiben vom 29.04.2014 mit der Überschrift "Aufhetzung von Kollegen" ist nicht vom Beteiligten zu 2) unterzeichnet, sondern von der stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden. Eine Pflichtverletzung des Beteiligten zu 2) lässt sich daraus nicht herleiten. Der Beteiligte zu 2) hat mit dem Schreiben keine wahrheitswidrigen Äußerungen verbreiten lassen, die erkennbar ihm zuzurechnen sind.

178

Soweit der Beteiligte zu 2) in der Betriebsversammlung am 17.09.2015 die Situation in der Klinik mit der eines Gladiatorenkampfes im alten Rom verglichen hat, lässt das zwar ein stark belastetes Verhältnis zwischen Arbeitgeber, Betriebsrat und Belegschaft erkennen. Ein persönlicher, diffamierender Angriff auf bestimmte Personen ist damit aber nicht verbunden. Mit dieser durchaus martialischen Wortwahl hat er nicht direkt oder indirekt zu Gewalttaten aufgerufen. Auch sonst ist nicht ersichtlich, dass der Beteiligte zu 2) Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter konkret bedroht hat. Die Antragsteller konnten ihre Vorwürfe ("Dich mach ich fertig") nicht durch Tatsachen untermauern.

179

Ob die Politik des Betriebsrats und seine Positionierung gegenüber der Arbeitgeberin noch von der Mehrheit der Belegschaft getragen wird, kann dahinstehen. Der Betriebsfrieden ist allein deshalb noch nicht beeinträchtigt. Der Belegschaft steht es frei, zum nächsten Wahltermin entsprechenden Einfluss auf die Zusammensetzung des Betriebsrats zu nehmen.

180

5. Geheimhaltungspflichten, § 79 BetrVG

181

Nach § 79 Abs. 1 Satz 1 BetrVG sind Mitglieder des Betriebsrats verpflichtet, Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse, die ihnen wegen ihrer Zugehörigkeit zum Betriebsrat bekannt geworden und vom Arbeitgeber ausdrücklich als geheimhaltungsbedürftig bezeichnet worden sind, nicht zu offenbaren und nicht zu verwerten. Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse sind Tatsachen, Erkenntnisse oder Unterlagen, die mit einem Geschäftsbetrieb zusammenhängen und die nicht offenkundig sind, also nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt sind und nach dem Willen des Betriebsinhabers aufgrund eines berechtigten wirtschaftlichen Interesses geheim gehalten werden sollen (BAG Urteil vom 10. März 2009 - 1 ABR 87/07 - Rn. 25, juris = NZA 2010, 180; BAG, Beschluss vom 26. Februar 1987 - 6 ABR 46/84 - Rn. 16, juris = NZA 1988, 63). Das betrifft insbesondere Kundenlisten, Kalkulationsunterlagen, Rezepturen, Konstruktionszeichnungen etc.

182

Der Beteiligte zu 2) hat keine Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse offenbart oder verwertet. Er hat keine Tatsachen oder Erkenntnisse verbreitet, die von der Arbeitgeberin ausdrücklich als geheimhaltungsbedürftig bezeichnet worden sind. Sofern er in der Therapiesitzung am 29.10.2013 den Patienten über seine Schwierigkeiten als Betriebsratsmitglied mit der Arbeitgeberin berichtet haben sollte, handelt es sich nicht um ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, das nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt ist und das der Arbeitgeber ausdrücklich als geheimhaltungsbedürftig bezeichnet hat.

183

Ob der Beteiligte zu 2) gegen seine arbeitsvertragliche Pflicht verstoßen hat, die Therapiesitzung fachgerecht und im zeitlich festgelegten Umfang abzuhalten, bedarf hier keiner Entscheidung, da das nicht seine Amtspflichten als Betriebsratsmitglied oder als Betriebsratsvorsitzender betrifft.

III.

184

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor. Das Verfahren wirft keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf.

(1) Urteile sind der Rechtskraft nur insoweit fähig, als über den durch die Klage oder durch die Widerklage erhobenen Anspruch entschieden ist.

(2) Hat der Beklagte die Aufrechnung einer Gegenforderung geltend gemacht, so ist die Entscheidung, dass die Gegenforderung nicht besteht, bis zur Höhe des Betrages, für den die Aufrechnung geltend gemacht worden ist, der Rechtskraft fähig.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 7. November 2013 - 6 Sa 105/13 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten noch über Entgeltdifferenzansprüche für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Mai 2012.

2

Die Beklagte ist Trägerin eines Zwei-Sparten-Theaters in F und D. Sie ist Mitglied im Arbeitgeberverband Deutscher Bühnenverein, Bundesverband der Theater und Orchester.

3

Der Kläger ist bei der Beklagten seit 1982 als Beleuchter/Stellwerksbeleuchter beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vom 27. April 1994 heißt es ua.:

        

㤠2

        

Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften (BMT-G-O vom 10. Dezember 1990) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) jeweils geltenden Fassung.

        

Außerdem finden die für den Arbeitgeber jeweils geltenden sonstigen einschlägigen Tarifverträge Anwendung.

        

…       

        

§ 4

        

Die Eingruppierung und die Vergütung richten sich nach der Vergütungsordnung zum BMT-G-O für den Bereich der VKA.

        

BMT-G-O L 4

Tätigkeit: Beleuchter

        

plus TBZ“

4

Am 28. Februar 1996 änderten die Parteien den Arbeitsvertrag hinsichtlich der Eingruppierung.

5

Ab 1996 schloss die Beklagte für die Arbeitnehmer, die unter den Geltungsbereich des BAT-O und BMT-G-O fielen, Haustarifverträge, ua. den „Betriebs-Tarifvertrag entsprechend § 15c Abs. 2 BAT-O/§ 14c BMT-G-O ‚Besondere regelmäßige Arbeitszeit‘“ (BTV) ab, mit dem die wöchentliche Arbeitszeit zeitlich befristet auf 37 Stunden herabgesetzt wurde.

6

Am 18. Januar 2005 vereinbarte die Beklagte mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) einen Haustarifvertrag (HTV), in dem es ua. heißt:

        

„…    

        

§ 1 Tarifanwendung

        

Die Tarifparteien vereinbaren die Anwendung des BAT-O/BMT-G-O einschließlich der sie ergänzenden, ändernden oder an ihre Stelle tretenden Tarifverträge in der jeweils gültigen Fassung. Der NV Bühne kommt für die Mitglieder der ver.di nicht zur Anwendung.

        

…       

        

§ 3 Besondere Regelungen zur Arbeitszeit / Blockfreizeit

        

1.    

Für den Zeitraum vom 1. August 2005 bis zum 31. Juli 2008 wird die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit der Beschäftigten … auf durchschnittlich 37 Stunden verkürzt. …

        

§ 6 Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen

        

1.    

Der Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen ist erstmals ab 1.8.2008 zulässig.

        

…       

        

§ 7 Vergütung

        

…       

        

3.    

Die linearen Tarifsteigerungen und strukturellen Angleichungen im BAT-O/BMT-G-O bleiben von diesem Tarifvertrag unberührt.

        

…       

        

§ 9 Inkrafttreten / Geltungsdauer

        

1.    

Dieser Tarifvertrag tritt am 1.8.2005 in Kraft. Er kann unter Einhaltung einer Frist von einem halben Jahr erstmals zum 31.7.2008 gekündigt werden.

        

2.    

Die §§ 3 und 7 treten automatisch zum 31.7.2008 ohne Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 des Tarifvertragsgesetzes außer Kraft.

        

…“    

7

Die Beklagte kündigte am 4. März 2008 den HTV zum 5. September 2008.

8

Im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Mai 2012 zahlte die Beklagte an den Kläger ein regelmäßiges monatliches Entgelt in Höhe von 2.474,80 Euro brutto. Der Betrag entspricht dem Tabellenentgelt der Entgeltgruppe 6 Stufe 6 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst im Bereich der kommunalen Arbeitgeberverbände (TVöD/VKA) im Kalenderjahr 2009.

9

Mit Schreiben vom 27. Mai 2010 machte der Kläger gegenüber der Beklagten Tarifentgelterhöhungen für die Zeit ab dem 1. Januar 2010 geltend, die die Beklagte zurückwies. Mit seiner der Beklagten am 13. Januar 2011 zugestellten Klage (Arbeitsgericht Chemnitz - 10 Ca 41/11 -) machte er bezifferte Entgeltdifferenzansprüche für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2010 geltend und beantragte zuletzt,

        

„…    

        

3.    

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 30. Mai 2011 ein um 1,8 % erhöhtes monatliches Tabellenentgelt gemäß dem TVöD-VKA-O auf Grundlage der Entgeltgruppe 6, Stufe 6 zu zahlen und dem Kläger darüber hinaus entsprechende Lohn-/Gehaltsabrech-nungen zu erteilen;

                 

hilfsweise festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 30. Mai 2011 ein um 1,8 % erhöhtes monatliches Tabellenentgelt gemäß dem TVöD-VKA-O auf Grundlage der Entgeltgruppe 6, Stufe 6 zu zahlen und dem Kläger darüber hinaus entsprechende Lohn- bzw. Gehaltsabrechnungen zu erteilen;

        

4.    

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, zukünftig, beginnend mit dem Monat Juni 2011, an den Kläger ein um 1,8 % und ab dem 1. August 2011 ein um weitere 0,5 % erhöhtes Tabellenentgelt gemäß dem TVöD-VKA-O auf Grundlage der Entgeltgruppe 6, Stufe 6 zu zahlen und dem Kläger darüber hinaus entsprechende Lohn-/Gehaltsabrechnungen zu erteilen;

                 

…       

        

6.    

die Beklagte zu verurteilen, für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2010 ein um 0,25 % auf 1,25 % sowie für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Mai 2011 um 0,25 % auf 1,50 % erhöhtes Leistungsentgelt nach § 18 Abs. 4 TVöD-VKA an den Kläger zu zahlen und darüber hinaus entsprechende Lohn-/Gehaltsabrechnungen zu erteilen;

                 

hilfsweise festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2010 ein um 0,25 % auf 1,25 % sowie für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Mai 2011 um 0,25 % auf 1,50 % erhöhtes Leistungsentgelt nach § 18 Abs. 4 TVöD-VKA an den Kläger zu zahlen und darüber hinaus entsprechende Lohn-/Gehaltsabrechnungen zu erteilen;

        

7.    

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ab 1. Juni 2011 für das Jahr 2011 ein um 0,25 % auf 1,50 %, für das Jahr 2012 ein um 0,25 % auf 1,75 % und für das Jahr 2013 ein um 0,25 % auf 2,00 % erhöhtes Leistungsentgelt nach § 18 Abs. 4 TVöD-VKA an den Kläger zu zahlen.“

10

Das Arbeitsgericht wies die Klage mit Urteil vom 21. Juni 2011 als teilweise unzulässig und insgesamt unbegründet ab. In den Entscheidungsgründen heißt es:

        

„1.     

Die Klage ist nur teilweise zulässig.

                 

Die Klageanträge zu 3. und 6. sind wegen §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO mangels Bestimmtheit unzulässig. Mit diesen Hauptanträgen begehrt der Kläger Zahlung von der Beklagte[n], ohne aber mit den Leistungsanträgen anzugeben, in welcher konkreten Höhe die geltend gemachten Forderungen bestehen sollen.

                 

Soweit der Kläger seine Ansprüche im Übrigen im Wege von Feststellungsanträgen verfolgt, sind diese ebenfalls unzulässig, da hier das nach § 256 Abs. 1 ZPO besondere Feststellungsinteresse nicht gegeben ist. …

        

2.    

Die Klage ist aber insgesamt unbegründet. …“

11

Der Kläger legte gegen diese Entscheidung Berufung beim Sächsischen Landesarbeitsgericht (- 5 Sa 476/11 -) ein und stellte für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Mai 2012 anstelle der erstinstanzlich geltend gemachten Feststellungsanträge nunmehr bezifferte Zahlungsanträge. Nachdem die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 4. Juli 2012 bereits die „Zurückweisung der Berufung einschließlich der Klageerweiterung“ beantragt hatte, nahm der Kläger dann die Berufung zurück. Die Beklagte widersprach der Berufungsrücknahme. Das Landesarbeitsgericht erließ daraufhin einen Beschluss nach § 516 Abs. 3 ZPO.

12

Der Kläger hat im vorliegenden Verfahren die Auffassung vertreten, der Arbeitsvertrag verweise dynamisch auf die jeweiligen Tarifverträge des öffentlichen Dienstes. Er habe deshalb für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Mai 2012 Anspruch auf Zahlung der Entgeltdifferenzen in Höhe der seit 2009 erfolgten Erhöhungen des Tabellenentgelts des TVöD/VKA.

13

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.056,06 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz in näher bestimmtem Umfang und zeitlicher Staffelung zu zahlen.

14

Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags ausgeführt, der Antrag sei schon aufgrund der rechtskräftigen Abweisung der Ansprüche im Vorprozess oder jedenfalls anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässig. Der Kläger habe den Zahlungsantrag für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Mai 2012 bereits im Berufungsverfahren des Vorprozesses im Wege der Klageerweiterung geltend gemacht. Die Berufungsrücknahme im Vorprozess erfasse die Klageerweiterung nicht. Sie habe ihre Zustimmung zur Rücknahme ausdrücklich verweigert. In der Sache finde der TVöD/VKA für das Arbeitsverhältnis nur noch statisch Anwendung. Der Arbeitsvertrag verweise auf den HTV. Aus § 7 Nr. 3 und § 9 Nr. 2 HTV ergebe sich, dass nach dem 31. Juli 2008 keine Pflicht zur Weitergabe von Tarifentgelterhöhungen mehr bestehe. Jedenfalls sei die arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel als „vorweggenommene Gleichstellungsabrede“ zu verstehen. Die Ansprüche seien im Übrigen nicht rechtzeitig geltend gemacht worden.

15

Die Vorinstanzen haben der Klage - soweit für die Revision von Belang - stattgegeben. Mit der vom Senat beschränkt zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

16

Die zulässige Revision ist unbegründet. Zwar durfte das Landesarbeitsgericht der Klage nicht mit der von ihm gegebenen Begründung stattgeben (I.). Die Entscheidung stellt sich gleichwohl aus anderen Gründen als richtig dar (II.). Deshalb war die Revision gem. § 561 ZPO zurückzuweisen.

17

I. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts enthält § 2 des Arbeitsvertrags keine Bezugnahme auf den HTV.

18

1. Der HTV ist kein den TVöD/VKA „ergänzender, ändernder oder ersetzender“ Tarifvertrag iSv. § 2 Satz 1 des Arbeitsvertrags. Nach dem Wortlaut der Bezugnahmeregelung ist das Arbeitsverhältnis den Tarifbestimmungen des öffentlichen Dienstes „für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände“ unterstellt worden. Damit sollten nur die von den Tarifvertragsparteien des TVöD/VKA abgeschlossenen (Verbands-)Tarifverträge in Bezug genommen werden. Dies können zwar auch firmenbezogene Sanierungstarifverträge sein. Sie müssen dann aber unter Beteiligung des Kommunalen Arbeitgeberverbands geschlossen worden sein. Nicht von der Bezugnahmeklausel erfasst sind hingegen Haustarifverträge eines privaten Arbeitgebers. Diese sind - jedenfalls arbeitgeberseitig - nicht von den Tarifvertragsparteien des TVöD/VKA abgeschlossen worden (vgl. BAG 26. August 2015 - 4 AZR 719/13 - Rn. 15).

19

2. Eine Bezugnahme auf den HTV ergibt sich auch nicht aus § 2 Satz 2 des Arbeitsvertrags, wonach „[a]ußerdem … die für den Arbeitgeber jeweils geltenden sonstigen einschlägigen Tarifverträge Anwendung“ finden sollen.

20

a) Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Bestimmung. Der Begriff „außerdem“ bedeutet „daneben“, „des Weiteren“, „im Übrigen“, „zusätzlich“ (Duden Das Bedeutungswörterbuch 4. Aufl.). Aus der Wortwahl ergibt sich, dass mit dieser ergänzenden Bezugnahmeregelung Tarifverträge erfasst werden sollten, die „neben“ dem TVöD oder „zusätzlich“ zu diesem zur Anwendung kommen können. Dabei kann es sich nur um Tarifverträge handeln, deren inhaltliche Regelungsbereiche sich nicht mit denen des TVöD überschneiden. Andernfalls wären sie nicht „neben“ dem, sondern vielmehr „anstelle“ des TVöD anwendbar (sh. zur Auslegung einer nahezu identischen Klausel BAG 26. August 2015 - 4 AZR 719/13 - Rn. 17 mwN).

21

b) Dieses Verständnis wird durch die Bezugnahme auf die „sonstigen“ einschlägigen Tarifverträge bestätigt. Ein verständiger Vertragspartner des Arbeitgebers durfte diese Formulierung als inhaltliche Einschränkung der Verweisung, dh. dahingehend verstehen, dass es sich insoweit nur um solche Tarifverträge handeln sollte, die sich in ihrem inhaltlichen Regelungsbereich von denen der Tarifverträge des TVöD/VKA unterscheiden und diese nicht „verdrängen“. Andernfalls käme der Regelung in § 2 Satz 2 des Arbeitsvertrags - was die Beklagte offenbar annimmt - die Funktion einer Tarifwechselklausel zu. Eine kleine dynamische Verweisung kann jedoch über ihren Wortlaut hinaus nur dann als große dynamische Verweisung (Tarifwechselklausel) ausgelegt werden, wenn sich dies aus den besonderen Umständen ergibt (vgl. nur BAG 6. Juli 2011 - 4 AZR 706/09 - Rn. 45 mwN, BAGE 138, 269). Solche sind dem Wortlaut der Bezugnahmeklausel im Entscheidungsfall nicht zu entnehmen (vgl. auch BAG 26. August 2015 - 4 AZR 719/13 - Rn. 18).

22

II. Die Entscheidung stellt sich jedoch aus anderen Gründen als richtig dar.

23

1. Die Klage ist zulässig. Die geltend gemachten Ansprüche sind weder anderweitig rechtshängig noch steht die Rechtskraft des Urteils des Arbeitsgerichts Chemnitz vom 21. Juni 2011 ihrer Zulässigkeit entgegen.

24

a) Der in die Revision gelangte Streitgegenstand ist nicht anderweitig rechtshängig iSv. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO. Zwar hat der Kläger in dem Berufungsverfahren vor dem Sächsischen Landesarbeitsgericht (- 5 Sa 476/11 -) einen Zahlungsantrag für denselben Zeitraum (Januar 2011 bis Mai 2012) gestellt. Durch die Berufungsrücknahme im Vorprozess ist dessen Rechtshängigkeit jedoch insgesamt entfallen.

25

aa) Die Erklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 4. Juli 2012 vor dem Landesarbeitsgericht, er „nehme die Berufung zurück“ bezieht sich auf das gesamte im Berufungsverfahren verfolgte Begehren. So haben auch sowohl die Parteien als auch das Landesarbeitsgericht die Erklärung verstanden. Dieses hat auf Antrag der Beklagten daraufhin einen Kostenbeschluss nach § 516 Abs. 3 ZPO erlassen.

26

bb) Die Rücknahme der Berufung war auch wirksam. Der Zustimmung der Beklagten bedurfte es nicht.

27

(1) Gem. § 516 Abs. 1 ZPO kann der Berufungskläger die Berufung bis zur Verkündung des Berufungsurteils ohne Zustimmung des Berufungsbeklagten zurücknehmen. Die Vorschrift stellt gegenüber § 269 ZPO eine Sonderregelung für die Rücknahme des Rechtsmittels dar(Baumbach/Lauterbach/Albers/Hart-mann ZPO 74. Aufl. § 269 Rn. 1). Die Rücknahme der Klage im Berufungsverfahren bedarf demgegenüber grundsätzlich der Zustimmung des Beklagten. § 269 Abs. 1 ZPO gilt auch im Berufungsverfahren(zB Zöller/Heßler ZPO 31. Aufl. § 516 Rn. 1). Das Zustimmungserfordernis erfasst grundsätzlich auch die teilweise Klagerücknahme. Dies setzt aber voraus, dass sich diese auf einen abtrennbaren Teil des Klagebegehrens bezieht (MüKoZPO/Becker-Eberhard 5. Aufl. § 264 Rn. 23). Bei einer lediglich qualitativen Klagebeschränkung - zB einem Übergang von einem Leistungs- zu einem Feststellungsantrag - ist § 269 Abs. 1 ZPO unabhängig von der Frage, ob es sich dabei um einen Fall des § 264 Nr. 2 ZPO handelt, nicht anzuwenden. Eine solche Beschränkung des Berufungsantrags bedarf daher nicht der Zustimmung des Prozessgegners (vgl. BAG 14. Dezember 2010 - 9 AZR 642/09 - Rn. 21).

28

(2) Danach findet § 269 Abs. 1 ZPO im Streitfall keine Anwendung. Der Kläger hat seine Klage in der Berufungsinstanz des Vorprozesses nicht etwa um einen selbständigen - abtrennbaren - Streitgegenstand erweitert. Er hat vielmehr lediglich teilweise einen unbezifferten in einen bezifferten und teilweise den ursprünglich gestellten Feststellungsantrag hinsichtlich der zwischenzeitlich fällig gewordenen Ansprüche in einen - bezifferten - Leistungsantrag umgestellt. Seine Erklärung der Berufungsrücknahme, die ersichtlich auf die Rücknahme des gesamten Berufungsbegehrens gerichtet war, ist entsprechend dahingehend zu verstehen, dass er seinen Antrag zunächst - soweit ein Übergang vom Feststellungs- zum Zahlungsantrag erfolgt war - wieder auf das Feststellungsbegehren beschränken und das Rechtsmittel sodann zurücknehmen wollte. Beides war ohne Zustimmung der Beklagten möglich. Die Frage, ob und ggf. in welchen Fällen eine in der Berufungsinstanz vorgenommene Klageerweiterung allein nach § 516 Abs. 1 ZPO ohne Zustimmung des Prozessgegners zurückgenommen werden kann, bedarf deshalb keiner Entscheidung.

29

b) Der Zulässigkeit der Zahlungsklage steht auch nicht eine Rechtskraft des Urteils des Arbeitsgerichts Chemnitz vom 21. Juni 2011 entgegen. Die materielle Rechtskraft eines Urteils führt in einem späteren Rechtsstreit nur dann zur Unzulässigkeit der neuen Klage, wenn die Streitgegenstände beider Prozesse identisch sind oder im zweiten Prozess das kontradiktorische Gegenteil der im ersten Prozess ausgesprochenen Rechtsfolge begehrt wird (BGH 16. Januar 2008 - XII ZR 216/05 - Rn. 22). Das ist hier nicht der Fall. Gegenstand des rechtskräftig gewordenen - erstinstanzlichen - Urteils im Vorprozess war für den hier streitgegenständlichen Zeitraum eine Feststellung, während hier ein Zahlungsanspruch geltend gemacht wird. Dabei handelt es sich um unterschiedliche Streitgegenstände (vgl. BGH 16. Januar 2008 - XII ZR 216/05 - aaO).

30

2. Die Klage ist begründet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Entgeltdifferenzansprüche zu.

31

a) Der Anspruch des Klägers auf die begehrten Tarifentgelterhöhungen für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Mai 2012 ergibt sich aus § 2 Satz 1 iVm. § 4 des Arbeitsvertrags. Die genannten Vertragsklauseln enthalten eine zeitdynamische Verweisung auf den TVöD/VKA in seiner jeweiligen Fassung.

32

aa) § 2 Satz 1 des Arbeitsvertrags vom 27. April 1994 verweist auf den BMT-G-O vom 10. Dezember 1990 sowie ergänzende, ändernde oder ersetzende Tarifverträge in der für den Bereich der VKA jeweils geltenden Fassung. Diese arbeitsvertragliche Verweisungsklausel ist eine zu dieser Zeit typische zeitdynamische Inbezugnahme des BMT-G-O in seiner jeweiligen Fassung (vgl. BAG 15. Juni 2011 - 4 AZR 563/09 - Rn. 29). Sie erfasst nach der Tarifsukzession auch den TVöD/VKA. Bei diesem handelt es sich um einen den BMT-G-O ersetzenden Tarifvertrag im Sinne der Klausel (vgl. ausführlich BAG 22. April 2009 - 4 ABR 14/08 - Rn. 21 ff., BAGE 130, 286).

33

bb) Die Bezugnahmeklausel ist keine Gleichstellungsabrede im Sinne der Senatsrechtsprechung. Die von der Rechtsprechung angenommenen Voraussetzungen liegen nicht vor (vgl. dazu zuletzt BAG 26. August 2015 - 4 AZR 719/13 - Rn. 21; 13. Mai 2015 - 4 AZR 244/14 - Rn. 20 mwN).

34

(1) Zum Zeitpunkt der Vereinbarung der Bezugnahmeklausel am 27. April 1994 war die Beklagte nicht an den in Bezug genommenen BMT-G-O gebunden. Sie war zu keinem Zeitpunkt Mitglied eines Mitgliedsverbands der VKA.

35

(2) Der Abschluss des BTV vom 30. Juni 1996 führt entgegen der Auffassung der Beklagten zu keinem anderen Ergebnis.

36

(a) Der BTV hat, anders als der HTV, keine Gebundenheit der Beklagten an den BMT-G-O zur Folge. In § 1 des BTV wurde lediglich der Geltungsbereich entsprechend dem Geltungsbereich des BMT-G-O festgelegt. Dies stellt keinen Verweis auf die Inhaltsnormen des BMT-G-O dar. Tarifgebunden an den BMT-G-O war die Beklagte damit auch im Jahre 1996 nicht.

37

(b) Überdies wurde der BTV erst mehr als zwei Jahre nach der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel vereinbart. Selbst die von der Beklagten angeführte Arbeitsvertragsänderung vom Februar 1996 lag zeitlich vor dem Abschluss des BTV. Eine „vorweggenommene Gleichstellungsabrede“ - wie die Beklagte meint - gibt es nicht. Die Tarifgebundenheit zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ist für die Annahme einer Gleichstellungsabrede in einem „Altvertrag“ zwingende Voraussetzung.

38

b) Dem Anspruch des Klägers steht auch die rechtskräftige Abweisung der Feststellungsanträge zu 3. (Hilfsantrag) und 4. durch das Urteil des Arbeitsgerichts Chemnitz vom 21. Juni 2011 nicht entgegen.

39

aa) Für die Bestimmung des Rechtskraftumfangs eines klageabweisenden Urteils ist von maßgebender Bedeutung, ob es sich um ein bloßes Prozessurteil handelt, mit dem die Klage als unzulässig abgewiesen worden ist, oder um ein die Begründetheit verneinendes Sachurteil. Lediglich letzterem kann eine präjudizielle Wirkung hinsichtlich der materiellen Sachprüfung im nachfolgenden Verfahren zukommen (vgl. BGH 25. November 1966 - V ZR 30/64 - zu II a der Gründe, BGHZ 46, 281).

40

Der Umfang der materiellen Rechtskraft gem. § 322 Abs. 1 ZPO ist aus dem Urteil und den dazu ergangenen Gründen zu bestimmen(BAG 27. Mai 2015 - 5 AZR 88/14 - Rn. 40, BAGE 152, 1). Erforderlichenfalls kann auch das wechselseitige Parteivorbringen ergänzend herangezogen werden (vgl. BGH 4. April 2014 - V ZR 275/12 - Rn. 29, BGHZ 200, 350). Bei einer klageabweisenden Entscheidung ist der ausschlaggebende Abweisungsgrund Teil des in Rechtskraft erwachsenden Entscheidungssatzes und nicht allein ein Element der Entscheidungsbegründung (vgl. BAG 10. April 2014 - 2 AZR 812/12 - Rn. 29).

41

(1) Lassen die Urteilsgründe eines klageabweisenden Urteils die Zulässigkeit der Klage - verfahrensfehlerhaft - dahinstehen, ist es der uneingeschränkten materiellen Rechtskraft fähig, wenn aus dessen Tenor und Entscheidungsgründen ersichtlich ist, dass das Gericht ungeachtet seiner Zweifel an der Zulässigkeit der Klage kein Prozessurteil erlassen, sondern eine Sachentscheidung getroffen hat (BGH 16. Januar 2008 - XII ZR 216/05 -). Dasselbe soll in den Fällen gelten, in denen das Gericht im Vorprozess ausnahmsweise eine Zulässigkeitsfrage dahinstehen lassen und eine Klage als „jedenfalls unbegründet“ abweisen darf (sh. dazu im Allgemeinen Zöller/Greger aaO Vor § 253 Rn. 10; zur Prüfung des Feststellungsinteresses nach § 256 Abs. 1 ZPO BAG 12. Februar 2003 - 10 AZR 299/02 - zu II 1 der Gründe mwN, BAGE 104, 324).

42

(2) Wird hingegen in einem Urteil die Zulässigkeit einer Klage ausdrücklich verneint und die Entscheidung tragend hierauf gestützt, sind die zusätzlichen Ausführungen zur Begründetheit als unverbindlich zu betrachten und so zu behandeln, als wären sie nicht vorhanden (vgl. BGH 16. Januar 2008 - XII ZR 216/05 - Rn. 14).

43

bb) Danach hat das Arbeitsgericht Chemnitz die damaligen Anträge zu 3. und 4. tragend als unzulässig abgewiesen. Die Ausführungen zur Begründetheit sind daher insoweit unverbindlich.

44

(1) Hinsichtlich des den Zeitraum Januar bis Mai 2011 betreffenden Antrags zu 3. hat das Arbeitsgericht im Vorprozess ausgeführt, dieser sei - neben dem Antrag zu 6. - „mangels Bestimmtheit unzulässig“. Diese Aussage hat es zwar im Folgesatz zunächst auf die Hauptanträge in den Anträgen zu 3. und 6. bezogen. Es hat jedoch sodann ausgeführt, die Klage sei - mangels besonderen Feststellungsinteresses - ebenfalls unzulässig, „soweit der Kläger seine Ansprüche im Übrigen im Wege von Feststellungsanträgen“ verfolge. Angesichts der namentlichen Nennung des Antrags zu 3. und der Verknüpfung „im Übrigen“ bezieht sich die Entscheidung über die Unzulässigkeit jedenfalls auch auf den im Antrag zu 3. - hilfsweise - enthaltenen Feststellungsantrag.

45

(2) Die Ausführungen des Arbeitsgerichts zur Zulässigkeit der Feststellungsanträge beziehen sich überdies auch auf den Antrag zu 4., welcher den Zeitraum ab Juni 2011 betrifft. Hierfür spricht schon der Wortlaut der Urteilsbegründung.

46

(a) Das Arbeitsgericht beschränkt die Abweisung der Anträge als unzulässig nicht auf die Anträge zu 3. und 6. Vielmehr spricht es insoweit ohne jede Beschränkung von der „[Anspruchsverfolgung] im Wege von Feststellungsanträgen“. Unter diesen Wortlaut fällt auch der Antrag zu 4.

47

(b) Entgegen der Auffassung der Revision spricht auch der letzte Satz der Zulässigkeitsprüfung des Arbeitsgerichts nicht für, sondern vielmehr gegen eine Beschränkung der Ausführungen auf die in den Anträgen zu 3. und 6. enthaltenen Hilfsanträge. Dort führt das Arbeitsgericht aus, der Kläger müsse „in einem solchen Fall … dann fällige Ansprüche jeweils beziffern“. Dies trifft nicht nur auf die mit dem Antrag zu 3. geltend gemachten fälligen und bezifferbaren Ansprüche, sondern gleichermaßen auf die zukünftig („dann“) fällig werdenden Ansprüche zu, die mit dem Antrag zu 4. verfolgt wurden.

48

c) Der Anspruch ist nicht nach § 37 Abs. 1 TVöD/VKA verfallen.

49

aa) Der Kläger hat jedenfalls mit seiner der Beklagten am 13. Januar 2011 zugestellten Klage eine dynamische Bezugnahme auf den TVöD/VKA und die daraus folgende Pflicht der Beklagten zur Weitergabe von Tarifentgelterhöhungen behauptet und seine Ansprüche für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2010 konkret beziffert. Damit hat er nach § 37 Abs. 1 Satz 2 TVöD/VKA auch für die im vorliegenden Rechtsstreit geltend gemachten Entgeltdifferenzen die Ausschlussfrist gewahrt.

50

bb) Die nachfolgende Rücknahme der Berufung in zweiter Instanz ändert daran nichts. § 37 Abs. 1 Satz 1 TVöD/VKA enthält lediglich eine Obliegenheit zur schriftlichen Geltendmachung. Ist diese - wie vorliegend - im Zuge einer Klageerhebung erfolgt, hat die spätere Klagerücknahme oder Berufungsrücknahme nach Unterliegen in erster Instanz auf die Wirksamkeit der Geltendmachung keine Auswirkungen (BAG 20. April 2011 - 4 AZR 368/09 - Rn. 64).

51

d) Die vom Kläger zuletzt geltend gemachten Ansprüche stehen ihm auch der Höhe nach zu. Insoweit hat die Beklagte in der Revision keine Rügen erhoben. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB iVm. § 24 Abs. 1 Satz 2 TVöD/VKA, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.

52

III. Die Beklagte hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Eylert    

        

    Creutzfeldt    

        

    Rinck    

        

        

        

    Rupprecht    

        

    Schuldt    

                 

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 17. Juli 2012 - 10 Sa 890/12 - im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, wie es die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 23. November 2011 - 2 Ca 561/11 - durch die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien am 30. Juni 2011 geendet hat, und durch die Verurteilung des beklagten Erzbistums zur Zahlung von 1.323,46 Euro brutto „abzüglich 2.694,15 Euro netto“ zurückgewiesen hat.

2. Im Übrigen wird die Revision der Klägerin zurückgewiesen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Änderungskündigung und über Vergütungsansprüche.

2

Die 1972 geborene Klägerin war seit Februar 1998 bei dem beklagten Erzbistum zunächst als Gemeindeassistentin und anschließend als Gemeindereferentin beschäftigt. Sie erhielt zuletzt Vergütung nach Entgeltgruppe 10 Stufe 5 der Anlage 5 (Entgelttabelle) zu § 23 der Kirchlichen Arbeits- und Vergütungsordnung für das beklagte Erzbistum(KAVO) in Höhe von etwa 3.900,00 Euro brutto monatlich.

3

Die Klägerin unterzeichnete vor Aufnahme ihrer Tätigkeit eine Erklärung mit welcher sie anerkannte, als Gemeindeassistentin bzw. -referentin in besonderer Weise am Sendungsauftrag der Kirche teilzunehmen. Sie verpflichtete sich, ihre arbeitsvertraglichen Pflichten in besonderem Maße loyal zu erfüllen und bei der Ausübung ihres Dienstes kirchliche Vorschriften zu beachten und zu wahren. Ferner nahm sie gemäß der Vereinbarung zur Kenntnis, dass die Anlage 20 zur KAVO sowie das Diözesane Statut für Gemeindereferentinnen und Gemeindereferenten im beklagten Erzbistum vom 11. September 1995 (Kirchliches Amtsblatt für die Erzdiözese Paderborn 1996 Stück 3 Nr. 30) nebst Anlagen in den jeweiligen Fassungen Bestandteil ihres Anstellungsvertrags seien.

4

Mit Urkunde vom 5. Februar 2000 beauftragte der Erzbischof von Paderborn die Klägerin in einer liturgischen Feier zum Dienst als Gemeindereferentin im beklagten Erzbistum und verlieh ihr zugleich die Lehrbefugnis zur Erteilung des katholischen Religionsunterrichts an Grund-, Haupt-, Sonder-, Real- und Gesamtschulen (missio canonica).

5

Nachdem die Klägerin zunächst im Pastoralverbund S tätig war, setzte das beklagte Erzbistum sie ab Mai 2007 auf ihren Wunsch im Pastoralverbund Paderborn ein. Ihre Klage auf Feststellung, dass sie nicht verpflichtet sei, ihren Wohnsitz in die Einsatzgemeinde zu verlegen, wies das Landesarbeitsgericht im August 2009 ab. Die Entscheidung wurde rechtskräftig.

6

Von Ende Januar 2009 bis Ende Februar 2010 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Mit Schreiben vom 25. Januar 2010 beantragte sie ihre Umsetzung in den Pastoralverbund Se oder den Pastoralverbund H. In einem Gespräch über ihren künftigen Einsatz wurde ihr mitgeteilt, dass ihr die kanonische Beauftragung zum Dienst als Gemeindereferentin entzogen werden solle. Das beklagte Erzbistum hörte die Klägerin zu dieser Absicht außerdem mit Schreiben vom 11. Februar 2010 an.

7

Mit Dekret vom 16. März 2010 entzog das beklagte Erzbistum der Klägerin die mit Urkunde vom 5. Februar 2000 erteilte kanonische Beauftragung mit sofortiger Wirkung. Die Beauftragung stelle einen innerkirchlichen Rechtsakt dar, der zurückgenommen werden könne und müsse, wenn das für eine pastorale Tätigkeit im Auftrag des Diözesanbischofs erforderliche Vertrauensverhältnis dauerhaft und irreparabel beschädigt sei. Die Klägerin habe während des Verfahrens über die Residenzpflicht wiederholt unwahre und ehrverletzende Tatsachenbehauptungen zum Nachteil des Bistums, des Bischofs und von Mitarbeitern getätigt oder derartige Behauptungen durch ihren Ehemann geduldet und diese durch gezielten Einsatz der Presse in die Öffentlichkeit getragen. Die Behauptungen seien in hohem Maße geeignet gewesen, das Ansehen der Kirche und das Vertrauensverhältnis zum Bischof zu beschädigen.

8

Die Klägerin beantragte erfolglos die Aussetzung des Vollzugs und Rücknahme des Dekrets. Ihre Beschwerde an den Apostolischen Stuhl nach can. 1737 des Codex Iuris Canonici in der Fassung vom 25. Januar 1983 (CIC) wies die congregatio pro clericis mit Dekret vom 16. Oktober 2010 zurück.

9

Im April 2010 wies das beklagte Erzbistum der Klägerin eine Tätigkeit im audiovisuellen Archiv des Instituts für Religionspädagogik und Medienarbeit zu, welcher diese zunächst nachkam. Mit Schreiben vom 13. Juli 2010 kündigte sie an, ab dem 26. Juli 2010 ein Zurückbehaltungsrecht an ihrer Arbeitsleistung wegen nicht vertragsgemäßer Beschäftigung geltend zu machen. In einem Personalgespräch von diesem Tage wurde ihr angeboten, eine Arbeitshilfe für den „Materialkoffer zum Christentum“ für den Einsatz in der Grundschule zu erstellen. Die Tätigkeit betreffe religionspädagogische Aufgaben, entspreche in vollem Umfang ihrer Ausbildung und sei der Entgeltgruppe 9 bis 10 zuzuordnen. Die Klägerin lehnte die angebotene Beschäftigung ab. Das beklagte Erzbistum zahlte ihr daraufhin ab dem 26. Juli 2010 kein Arbeitsentgelt mehr.

10

Die Klägerin erhob Klage auf Beschäftigung als Gemeindereferentin und Zahlung der vertraglichen Vergütung für die Zeit vom 26. Juli bis zum 30. September 2010. Nachdem der Klage erstinstanzlich überwiegend stattgegeben worden war, erklärte das beklagte Erzbistum mit Schreiben vom 2. und 22. Dezember 2010 - nach Anhörung der Mitarbeitervertretung - außerordentliche Kündigungen, jeweils verbunden mit dem Angebot, das Arbeitsverhältnis zu geänderten Bedingungen als Sekretärin mit einer Vergütung gemäß Entgeltgruppe 5 Stufe 5 KAVO fortzusetzen. Nach erneuter Anhörung der Mitarbeitervertretung erklärte es am 29. Dezember 2010, wiederum verbunden mit dem Angebot einer Weiterbeschäftigung als Sekretärin, eine ordentliche Kündigung zum 30. Juni 2011. Die Klägerin lehnte das Änderungsangebot ab.

11

Auf die Berufung des beklagten Erzbistums wies das Landesarbeitsgericht im September 2011 das Begehren der Klägerin auf Beschäftigung als Gemeindereferentin und Zahlung der Vergütung für die Zeit bis zum 30. September 2010 ab. Es könne dahinstehen, ob dem Beschäftigungsanspruch bereits der Entzug der Beauftragung als Gemeindereferentin entgegenstehe. Er sei jedenfalls aufgrund der nicht offensichtlich unwirksamen Änderungskündigungen entfallen. Ein Vergütungsanspruch scheide aus, da die Klägerin das Angebot des Bistums, eine Arbeitshilfe für den Unterricht in der Grundschule zu erstellen, abgelehnt habe. Das Urteil wurde rechtskräftig.

12

Im vorliegenden Rechtsstreit hat sich die Klägerin gegen die Wirksamkeit der Änderungskündigungen vom 2., 22. und 29. Dezember 2010 gewandt und für die Zeit vom 26. Juli bis zum 30. September 2010 Nachzahlung von insgesamt 103,24 Euro wegen einer zum 1. März 2010 erfolgten Vergütungserhöhung begehrt. Sie hat ferner die Zahlung von Verzugslohn für die Zeit vom 1. Oktober bis zum 2. Dezember 2010 in Höhe von insgesamt 8.286,03 Euro und der Weihnachtszuwendung für das Jahr 2010 in Höhe von 80 vH ihres Bruttomonatsgehalts verlangt. Auf den Gesamtbetrag in Höhe von 11.565,58 Euro brutto hat sie sich Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts iHv. 2.694,15 Euro anrechnen lassen. Hilfsweise hat sie Anspruch auf Abgeltung von 27 Urlaubstagen erhoben.

13

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, das beklagte Erzbistum könne sich zur Begründung der Änderungskündigungen nicht auf den Entzug ihrer kanonischen Beauftragung berufen. Anderenfalls vermöge es sich selbst einen Kündigungsgrund zu schaffen. Sie habe als Gemeindereferentin kein kirchliches Amt bekleidet, sondern sei lediglich zu einem Dienst beauftragt worden. Ihr Arbeitsverhältnis sei gekündigt worden, weil sie in vorangegangenen Prozessen ihre Rechte ausgeübt habe. Das Änderungsangebot sei unzumutbar, da es unnötig weit in ihre Rechte eingreife.

14

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentlichen Kündigungen seitens des beklagten Erzbistums vom 2. und 22. Dezember 2010 noch durch dessen ordentliche Kündigung vom 29. Dezember 2010 beendet worden ist;

        

2.    

das beklagte Erzbistum zu verurteilen, an sie 11.565,58 Euro brutto abzüglich 2.694,15 Euro netto zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank aus 9,10 Euro seit dem 1. August 2010, aus 47,07 Euro seit dem 1. September 2010, aus weiteren 47,07 Euro seit dem 1. Oktober 2010, aus 3.970,39 Euro seit dem 1. November 2010, aus 7.146,70 Euro seit dem 1. Dezember 2010 sowie aus 345,25 Euro seit dem 1. Januar 2011 zu zahlen;

        

3.    

hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1) das beklagte Erzbistum zu verurteilen, an sie 4.947,75 Euro brutto abzüglich 2.266,29 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 1. Juli 2011 zu zahlen.

15

Das beklagte Erzbistum hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Auffassung vertreten, jedenfalls die ordentliche Änderungskündigung sei aus Gründen in der Person der Klägerin sozial gerechtfertigt. Der Klägerin fehle nach dem Entzug der kanonischen Beauftragung die Voraussetzung für die Ausübung einer Tätigkeit als Gemeindereferentin. Das Selbstbestimmungsrecht der Kirche verbiete es den Arbeitsgerichten, diesen in der kirchlichen Gerichtsbarkeit abschließend gewürdigten Sachverhalt einer eigenen Prüfung zu unterziehen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Annahmeverzugslohn, da sie nicht leistungsfähig gewesen sei. Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung hänge davon ab, ob das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2011 ende. Solange dies nicht rechtskräftig feststehe, liege eine unzulässige Klage auf künftige Leistung vor.

16

Das Arbeitsgericht hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentlichen Änderungskündigungen nicht aufgelöst worden ist. Es hat das beklagte Erzbistum verurteilt, an die Klägerin eine anteilige Weihnachtszuwendung in Höhe von 1.323,46 Euro brutto abzgl. 2.694,15 Euro netto nebst Zinsen zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht das beklagte Erzbistum zur Zahlung von Urlaubsabgeltung verurteilt. Im Übrigen hat es die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre Anträge weiter, soweit sie mit ihnen vor dem Landesarbeitsgericht unterlegen ist.

Entscheidungsgründe

17

Die Revision hat teilweise Erfolg. Mit der von ihm gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht nicht annehmen, das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis sei durch die ordentliche Änderungskündigung des beklagten Erzbistums vom 29. Dezember 2010 zum 30. Juni 2011 aufgelöst worden. Ob die Kündigung wirksam ist, steht noch nicht fest. Von der der Klägerin zugesprochenen - anteiligen - Weihnachtszuwendung für das Jahr 2010 in Höhe von 1.323,46 Euro brutto hat das Landesarbeitsgericht zu Unrecht einen Betrag in Höhe von 2.694,15 Euro netto in Abzug gebracht. In welcher Höhe sich die Klägerin erhaltene Sozialleistungen auf diesen Anspruch anrechnen lassen muss, bedarf weiterer Sachaufklärung. Im Übrigen ist die Revision unbegründet. Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf den begehrten Verzugslohn noch auf eine - im Bruttobetrag - höhere Weihnachtszuwendung für das Jahr 2010.

18

I. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über die ordentliche Änderungskündigung ist aufzuheben und die Sache insoweit an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Nach den bisherigen Feststellungen steht nicht fest, dass sich das beklagte Erzbistum darauf beschränkt hat, mit der Kündigung solche Änderungen vorzuschlagen, die die Klägerin billigerweise hätte hinnehmen müssen.

19

1. Der Antrag der Klägerin ist zu Recht nach § 4 Satz 1 KSchG auf die Feststellung gerichtet, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch die Kündigung vom 29. Dezember 2010 nicht aufgelöst worden. Die Klägerin hat das mit der Kündigung verbundene Änderungsangebot nicht, auch nicht unter dem Vorbehalt des § 2 KSchG, angenommen. Damit bleibt es bei der in der Änderungskündigung enthaltenen Kündigungserklärung. Die Parteien streiten - anders als wenn die Klägerin das mit der Kündigung verbundene Änderungsangebot unter dem Vorbehalt des § 2 KSchG angenommen hätte - nicht über die Wirksamkeit der Änderung der Arbeitsbedingungen iSv. § 4 Satz 2 KSchG, sondern über eine Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch die Kündigung(vgl. KR-Friedrich 10. Aufl. § 4 KSchG Rn. 284; APS/Hesse 4. Aufl. § 4 KSchG Rn. 116; MüKoBGB/Hergenröder 6. Aufl. § 4 KSchG Rn. 93; ErfK/Kiel 13. Aufl. § 4 KSchG Rn. 27; umgekehrt für den Fall der Annahme unter Vorbehalt BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 25/11 - Rn. 20, 21).

20

2. Der Kündigungsschutzantrag ist nicht deshalb unbegründet, weil zwischen den Parteien kein Arbeitsverhältnis bestanden hätte. Die Klägerin ist vom beklagten Erzbistum als Arbeitnehmerin beschäftigt worden. Die Parteien hatten entsprechend Nr. 5 des Diözesanen Statuts für Gemeindereferentinnen und Gemeindereferenten im beklagten Erzbistum vom 28. Dezember 1995 (Kirchliches Amtsblatt für die Erzdiözese Paderborn 1996 Stück 3 Nr. 30; abgelöst durch das Diözesane Statut vom 1. Dezember 2006, Kirchliches Amtsblatt für die Erzdiözese Paderborn 2006 Stück 11 Nr. 142) die Bedingungen des Anstellungsverhältnisses der Klägerin als Gemeindereferentin in einem Arbeitsvertrag geregelt. Hierüber besteht zwischen ihnen kein Streit.

21

3. Die Kündigung ist nicht deshalb unwirksam, weil eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch das beklagte Erzbistum nach § 41 Abs. 3 Satz 1 KAVO ausgeschlossen gewesen wäre. Voraussetzung dafür ist, dass der Arbeitnehmer mehr als 15 Jahre beschäftigt und älter als 40 Jahre ist. Die Klägerin hatte im maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung - unabhängig davon, ob sie bereits über eine hinreichende Beschäftigungszeit verfügte - das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet.

22

4. Ob die Kündigung gemäß § 2 iVm. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt ist, steht noch nicht fest. Zwar fehlte der Klägerin nach dem Entzug der kanonischen Beauftragung voraussichtlich auf Dauer die Befähigung für die vertraglich vereinbarte Tätigkeit als Gemeindereferentin im beklagten Erzbistum. Der Senat kann aber nicht selbst beurteilen, ob das Bistum der Klägerin eine Änderung der Arbeitsbedingungen angeboten hat, die sich nicht weiter als erforderlich vom bisherigen Vertragsinhalt entfernte.

23

a) Bedienen sich die Kirchen der Privatautonomie, um Arbeitsverhältnisse zu begründen, so findet auf diese das staatliche Arbeitsrecht Anwendung. Die Einbeziehung der kirchlichen Arbeitsverhältnisse in das staatliche Arbeitsrecht hebt deren Zugehörigkeit zu den „eigenen Angelegenheiten“ der Kirche iSv. Art. 140 GG, Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV allerdings nicht auf. Sie darf deshalb die verfassungsrechtlich geschützte Eigenart des kirchlichen Dienstes, das kirchliche Proprium, nicht in Frage stellen. Die Verfassungsgarantie des Selbstbestimmungsrechts bleibt auch für die Gestaltung der Arbeitsverhältnisse wesentlich (vgl. BVerfG 4. Juni 1985 - 2 BvR 1703/83  ua. - zu B II 1 d der Gründe, BVerfGE 70, 138 ; BAG 25. April 2013 - 2 AZR 579/12 - Rn. 25).

24

b) Eine Änderungskündigung iSv. § 2 KSchG ist sozial gerechtfertigt, wenn das Änderungsangebot des Arbeitgebers durch Gründe iSd. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist und sich darauf beschränkt, solche Änderungen vorzusehen, die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muss(vgl. für die betriebsbedingte Änderungskündigung BAG 20. Juni 2013 - 2 AZR 396/12 - Rn. 16; 23. Februar 2012 - 2 AZR 44/11 - Rn. 34). Dieser Maßstab gilt unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer das Änderungsangebot - wie im Streitfall - abgelehnt oder unter Vorbehalt angenommen hat (vgl. BAG 20. Juni 2013 - 2 AZR 396/12 - aaO; 23. Februar 2012 - 2 AZR 44/11 - aaO). Ob der Arbeitnehmer eine ihm vorgeschlagene Änderung billigerweise akzeptieren muss, ist nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beurteilen. Die Änderungen müssen geeignet und erforderlich sein, um den Inhalt des Arbeitsvertrags den geänderten Beschäftigungsmöglichkeiten anzupassen. Diese Voraussetzungen müssen für alle vorgesehenen Änderungen vorliegen. Ausgangspunkt ist die bisherige vertragliche Regelung. Die angebotenen Änderungen dürfen sich von deren Inhalt nicht weiter entfernen, als zur Erreichung des angestrebten Ziels erforderlich ist (BAG 20. Juni 2013 - 2 AZR 396/12 - Rn. 17; 15. Januar 2009 - 2 AZR 641/07 - Rn. 15).

25

c) Für eine Änderung der Vertragsbedingungen lagen im Streitfall Gründe in der Person der Klägerin iSv. § 2 iVm. § 1 Abs. 2 KSchG vor.

26

aa) Als Gründe in der Person, die eine ordentliche Kündigung nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial rechtfertigen können, kommen Umstände in Betracht, die auf den persönlichen Verhältnissen oder Eigenschaften des Arbeitnehmers beruhen. Eine auf sie gestützte Kündigung kann sozial gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer aus Gründen in seiner Person - die nicht von ihm verschuldet sein müssen - zu der nach dem Vertrag vorausgesetzten Arbeitsleistung ganz oder teilweise nicht mehr in der Lage ist. In diesen Fällen liegt in der Regel eine erhebliche und dauerhafte Störung des vertraglichen Austauschverhältnisses vor, der der Arbeitgeber, wenn keine andere Beschäftigung mehr möglich ist, mit einer Kündigung begegnen kann (vgl. für eine Beendigungskündigung BAG 6. September 2012 - 2 AZR 372/11 - Rn. 19; für eine außerordentliche (Änderungs-)Kündigung mit Auslauffrist 28. Oktober 2010 - 2 AZR 688/09 - Rn. 32; 26. November 2009 - 2 AZR 272/08 - Rn. 24, BAGE 132, 299).

27

bb) Nach dem Entzug der kanonischen Beauftragung war die Klägerin voraussichtlich dauerhaft nicht mehr in der Lage, die nach dem Vertrag vorausgesetzte Arbeitsleistung als Gemeindereferentin im beklagten Erzbistum zu erbringen.

28

(1) Dies folgt nicht schon daraus, dass der von der Klägerin im Vorprozess erhobene Anspruch auf Beschäftigung als Gemeindereferentin rechtskräftig abgewiesen wurde.

29

(a) Der Umfang der materiellen Rechtskraft gemäß § 322 Abs. 1 ZPO ist aus dem Urteil und den dazu ergangenen Gründen zu bestimmen. Bei einer klageabweisenden Entscheidung ist der aus der Begründung zu ermittelnde ausschlaggebende Abweisungsgrund Teil des in Rechtskraft erwachsenden Entscheidungssatzes und nicht allein ein Element der Entscheidungsbegründung (BAG 20. November 2012 - 1 AZR 611/11 - Rn. 89; BGH 24. Juni 1993 - III ZR 43/92  - zu III 1 der Gründe ).

30

(b) Dass eine Weiterbeschäftigung der Klägerin als Gemeindereferentin dem beklagten Erzbistum unmöglich gewesen wäre, steht danach noch nicht rechtskräftig fest. Ausschlaggebender Grund für die Abweisung der Klage auf Beschäftigung als Gemeindereferentin war allein, dass das beklagte Erzbistum zwischenzeitlich ua. die hier gegenständliche Änderungskündigung erklärt hatte, welche den Beschäftigungsanspruch der Klägerin als Gemeindereferentin entfallen ließ.

31

(2) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dem beklagten Erzbistum sei nach Maßgabe seines kirchlichen Selbstverständnisses eine Weiterbeschäftigung der Klägerin als Gemeindereferentin unmöglich gewesen, nachdem dieser ihre kanonische Beauftragung entzogen worden sei.

32

(a) Die staatlichen Gerichte haben ihrer Prüfung grundsätzlich die Anforderungen zugrunde zu legen, die nach dem kirchlichen Selbstverständnis an die Ausübung kirchlicher Ämter zu stellen sind. Nach Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 1 und Abs. 3 WRV ordnet und verwaltet jede Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten selbstständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates. Damit erkennt der Staat die Kirchen als Institutionen mit dem Recht der Selbstbestimmung an, die ihrem Wesen nach unabhängig vom Staat sind und ihre Gewalt nicht von ihm herleiten (BVerfG 9. Dezember 2008 - 2 BvR 717/08 - Rn. 3). Die Folge ist, dass der Staat in ihre inneren Verhältnisse nicht eingreifen darf (BVerfG 9. Dezember 2008 - 2 BvR 717/08 - Rn. 4; 17. Februar 1965 - 1 BvR 732/64 - zu II 1 der Gründe, BVerfGE 18, 385). Die Ausgestaltung des innerkirchlichen Dienst- und Amtsrechts unterliegt nach Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 Satz 2 WRV dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht und ist - sofern die Kirchen es nicht selbst dem staatlichen Recht unterstellen - der Gerichtsbarkeit des Staates entzogen(BVerfG 9. Dezember 2008 - 2 BvR 717/08 - Rn. 7).Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht und die in Art. 137 Abs. 3 Satz 2 WRV ausdrücklich gewährleistete Ämterautonomie umfassen das Recht festzulegen, welche Kirchenämter einzurichten, wie diese zu besetzen und welche Anforderungen an die Amtsinhaber zu stellen sind(BVerfG 9. Dezember 2008 - 2 BvR 717/08 - Rn. 14; BVerwG 25. November 1982 - 2 C 21/78 - zu II 1 der Gründe, BVerwGE 66, 241).

33

(b) Nach dem Selbstverständnis des beklagten Erzbistums als Teil der verfassten Kirchen handelt es sich bei dem pastoralen Dienst einer Gemeindereferentin um ein Kirchenamt iSv. can. 145 CIC, dessen Ausübung konstitutiv einer kanonischen Beauftragung gemäß can. 228 § 1 CIC bedarf. In Nr. 5 der Anlage 20 zur KAVO ist demgemäß vorgesehen, dass die Mitarbeiter im pastoralen Dienst des Bistums durch den Diözesanbischof beauftragt werden.

34

(c) Anhaltspunkte dafür, dass dieses Verständnis deshalb unplausibel sei, weil ein kirchliches Amt nur das geistliche Amt des Priestertums sein könne, bestehen entgegen der Auffassung der Klägerin nicht.

35

(aa) Nur das Priesteramt ist zwar mit der sog. sacra potestas ausgestattet (Bethke Das kirchenamtliche Dienstverhältnis von Laien S. 15 mwN). Daneben können aber auch Laien zu besonderen kirchlichen Ämtern mit geistlicher Zielsetzung herangezogen werden (Bethke Das kirchenamtliche Dienstverhältnis von Laien S. 17 mwN), wenn die zuständige kirchliche Autorität solche Ämter zusätzlich schafft (vgl. Hallermann TThZ 108 (1999), 200, 207). Can. 145 § 1 CIC sieht die Möglichkeit der Einrichtung eines kirchlichen Amts durch kirchliche Anordnung ausdrücklich vor. Zwar wird die Anwendung des Begriffs „Amt“ auf die Stellung von Laien teilweise vermieden (vgl. Bethke Das kirchenamtliche Dienstverhältnis von Laien S. 23). Dennoch handelt es sich bei der Tätigkeit einer Gemeindereferentin nicht um einen nur vorübergehend eingerichteten Dienst, einen bloßen „munus“ (vgl. Hallermann TThZ 108 (1999), 200, 206 f.), sondern um einen ständigen Dienst zur Erfüllung eines geistlichen Zwecks. Er muss nach can. 145 § 1 CIC durch eine zuständige Autorität übertragen werden und ermächtigt den Berufenen zum Handeln im Namen der Kirche(vgl. Bethke Das kirchenamtliche Dienstverhältnis von Laien S. 45, 47; Hallermann TThZ 108 (1999), 200, 207 f., 214 ff.). Der bischöfliche Auftrag hebt die Tätigkeit einer Gemeindereferentin über die einem jeden Katholiken eingeräumte Fähigkeit heraus (vgl. Bethke Das kirchenamtliche Dienstverhältnis von Laien S. 45). Die Entscheidung der congregatio pro clericis über die Beschwerde der Klägerin gegen den Entzug ihrer kanonischen Beauftragung hat dieses Verständnis vom Dienst einer Gemeindereferentin als Kirchenamt bestätigt.

36

(bb) Im beklagten Erzbistum wurde der besondere Dienst der Gemeindereferentinnen und Gemeindereferenten teilkirchlich eingerichtet und festgelegt, dass der Erzbischof die dazu ausersehenen Personen ausdrücklich beauftragt (vgl. Nr. 1 des Diözesanen Statuts für Gemeindereferentinnen und Gemeindereferenten im beklagten Erzbistum vom 28. Dezember 1995, Kirchliches Amtsblatt für die Erzdiözese Paderborn 1996 Stück 3 Nr. 30, abgelöst durch das Diözesane Statut vom 1. Dezember 2006, Kirchliches Amtsblatt für die Erzdiözese Paderborn 2006 Stück 11 Nr. 142).

37

(d) In ihrer Erklärung von Januar 1998 hat die Klägerin die Geltung der Anlage 20 zur KAVO sowie des Diözesanen Statuts für Gemeindereferentinnen und Gemeindereferenten im beklagten Erzbistum vom 11. September 1995 für ihr Arbeitsverhältnis anerkannt. Einer ausdrücklichen arbeitsvertraglichen Vereinbarung, ihre Beschäftigung als Gemeindereferentin setze eine kanonische Beauftragung voraus, bedurfte es daneben nicht.

38

(3) Die für den Dienst als Gemeindereferentin konstitutive kanonische Beauftragung ist der Klägerin von der dafür zuständigen kirchlichen Stelle - bestätigt von der congregatio pro clericis und für die staatlichen Gerichte verbindlich - entzogen worden.

39

(a) Eine Kontrolle dieser kircheninternen Maßnahme durch die staatlichen Gerichte findet grundsätzlich nicht statt. Den Kirchen ist gemäß Art. 137 Abs. 3 Satz 2 WRV ein besonderer Schutz bei der Ämtervergabe zuzubilligen. Weder die Ämtervergabe noch der Amtsentzug unterliegen dem staatlichen Rechtsschutz (Mager in v. Münch/Kunig GG Bd. 2 6. Aufl. Art. 140 Rn. 47; Lücke EuGRZ 1995, 651, 654 f.). So stellt auch der Entzug der missio canonica einen innerkirchlichen Akt dar, der aufgrund des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung nicht zugänglich ist (BAG 25. Mai 1988 - 7 AZR 506/87 - zu I 3 c der Gründe). Staatliche Mitwirkungsrechte bei der Besetzung kirchlicher Ämter können nur aufgrund vertraglicher Vereinbarungen zwischen Staat und Religionsgemeinschaften begründet werden (Korioth in Maunz/Dürig GG Stand Januar 2013 Art. 140 GG/Art. 137 WRV Rn. 31).

40

(b) Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat dieses Primat des kirchlichen Selbstverständnisses im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 EMRK anerkannt. Auf Maßnahmen, die zum Kirchenrecht zählen und nicht Teil des Staatsrechts sind, findet Art. 6 EMRK keine Anwendung(vgl. EGMR 6. Dezember 2011 - 38254/04 - Rn. 79 ff., 88).

41

(c) Der Entzug der kanonischen Beauftragung der Klägerin für den Dienst als Gemeindereferentin steht nicht im Widerspruch zu Grundprinzipien der Rechtsordnung, wie sie im allgemeinen Willkürverbot ( Art. 3 Abs. 1 GG ), den guten Sitten iSd. § 138 BGB oder demordre public ihren Niederschlag gefunden haben.

42

(aa) Die congregatio pro clericis hat den Entzug der Beauftragung mit Blick darauf gebilligt, dass die Klägerin ihrer Residenzpflicht nicht nachgekommen und das erforderliche Vertrauensverhältnis für eine pastorale Tätigkeit im Auftrag des Erzbischofs irreparabel beschädigt sei. Sie hat darin den nach can. 193 § 1 CIC erforderlichen schwerwiegenden Grund dafür gesehen, die Klägerin ihres Amts zu entheben.

43

(bb) Dies lässt jedenfalls keinen Widerspruch zu Grundprinzipien der Rechtsordnung erkennen. Es ist nicht willkürlich, in einer möglichen Verletzung von Dienst- bzw. Amtspflichten verbunden mit einem Verlust des für die Amtsausübung nach dem kirchlichen Selbstverständnis erforderlichen Vertrauens einen Grund für den Entzug des Amts zu sehen. Es unterliegt keiner Überprüfung durch die staatlichen Gerichte, welche Umstände im Einzelnen die entsprechende innerkirchliche Einschätzung gerechtfertigt haben und ob diese zutrifft.

44

(4) Mit dem Entzug der kanonischen Beauftragung fehlte der Klägerin dauerhaft die Befähigung für die vertraglich vereinbarte Tätigkeit einer Gemeindereferentin. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass eine erneute Beauftragung zu erwarten gewesen wäre. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der Entzug ihrer kanonischen Beauftragung nicht deshalb kündigungsschutzrechtlich unbeachtlich, weil er auf einer Entscheidung des Bistums selbst beruht. Dieses hat sich damit nicht willkürlich selbst einen Kündigungsgrund geschaffen. Es war bei seiner Entscheidung an die kirchenrechtlichen Voraussetzungen nach can. 193 § 1 CIC gebunden. Ob diese beachtet wurden, unterlag zudem der kircheninternen Kontrolle, ua. durch die congregatio pro clericis. Die Beschränkung auf eine ausschließlich innerkirchliche Überprüfung dieser Maßnahme ist vom verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrecht der Kirche umfasst und einer Kontrolle durch die staatlichen Gerichte entzogen.

45

d) Aufgrund des Wegfalls der Befähigung der Klägerin für die vertraglich geschuldete Tätigkeit als Gemeindereferentin ist eine Änderung der vertraglichen Arbeitsbedingungen notwendig geworden. Nach den bisherigen Feststellungen ist offen, ob das beklagte Erzbistum mit dem Angebot, die Klägerin als Sekretärin mit Vergütung nach Entgeltgruppe 5 weiterzubeschäftigen, die Anpassung auf das objektiv erforderliche Maß beschränkt hat. Die entsprechende Sachaufklärung wird das Landesarbeitsgericht nachzuholen haben.

46

aa) Die Klägerin hat geltend gemacht, das Angebot einer Teilzeitstelle mit der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit und einer Vergütung nach Entgeltgruppe 10 hätte die bisherigen Vertragsbedingungen weniger geändert. Sie hat sich damit zumindest konkludent darauf berufen, mit den ihr zuvor angebotenen religionspädagogischen Aufgaben im Institut für Religionspädagogik und Medienarbeit weiterbeschäftigt werden zu können.

47

bb) Damit hat die Klägerin entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts hinreichend ausgeführt, wie sie sich eine anderweitige, ihrer bisherigen Tätigkeit näher kommende Beschäftigung vorstellt. Es ist im Rahmen von § 2 iVm. § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG nicht erforderlich, dass der Arbeitnehmer einen ganz bestimmten freien Arbeitsplatz bezeichnet. Er genügt seiner Darlegungslast in der Regel schon dadurch, dass er angibt, an welchen Betrieb er denkt und welche Art der Beschäftigung er meint (BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 552/11 - Rn. 30; 24. Mai 2012 - 2 AZR 62/11 - Rn. 28, BAGE 142, 36). Es war daher Sache des beklagten Erzbistums, substantiiert zu erläutern, aus welchem Grund eine Beschäftigung der Klägerin auf einem Arbeitsplatz mit den angebotenen religionspädagogischen Aufgaben nicht möglich gewesen sei. Das Landesarbeitsgericht wird ihm Gelegenheit zu ergänzendem Vorbringen zu geben haben. In der vom Bistum in Bezug genommenen Anhörung der Mitarbeitervertretung vom 16. Dezember 2010 wurde lediglich ausgeführt, die Klägerin habe zumutbare andere Tätigkeiten abgelehnt.

48

cc) Die vorausgegangene Ablehnung der nunmehr ins Spiel gebrachten Tätigkeit hindert die Klägerin nicht, sich auf diese Änderungsmöglichkeit zu berufen. Ihr Verhalten wäre nur dann widersprüchlich, wenn sie zuvor hätte erkennen lassen, sie werde ein entsprechendes Angebot unter keinen Umständen, auch nicht bei Ausspruch einer Änderungskündigung und auch nicht unter dem Vorbehalt des § 2 KSchG annehmen(vgl. BAG 21. April 2005 - 2 AZR 132/04 - zu B II 4 c ee der Gründe, BAGE 114, 243). Dafür gibt es keine Anhaltspunkte.

49

dd) Auch das Angebot einer Weiterbeschäftigung mit Aufgaben der Entgeltgruppe 10 zu einem geringeren zeitlichen Umfang als bisher hätte weniger weit vom bisherigen Arbeitsvertrag der Klägerin entfernt sein können als die angebotene Vollzeitstelle als Sekretärin. Dies gilt selbst dann, wenn die Klägerin aufgrund des geringeren Beschäftigungsumfangs trotz der höheren Entgeltgruppe weniger verdient hätte als bei einer Beschäftigung als Sekretärin in Vollzeit.

50

(1) Im Arbeitsverhältnis kommt der Höhe der Vergütung pro Zeiteinheit und damit der Wertigkeit der Tätigkeit eine besondere Bedeutung zu. Diese bleibt - anders als beim Angebot einer geringerwertigen Tätigkeit mit unverändertem Stundenumfang - bei einer bloßen Reduzierung des Beschäftigungsumfangs gleich. Sie stellt deshalb grundsätzlich den weniger weit reichenden Eingriff in das vertragliche Austauschverhältnis dar.

51

(2) Daran ändert sich im Grundsatz nichts, wenn der Arbeitnehmer auf der Teilzeitstelle mit höherwertiger Tätigkeit insgesamt eine geringere Vergütung erzielt als auf der Vollzeitstelle mit geringerwertiger Tätigkeit. Zwar verschlechtert sich dadurch sein Gesamtvergütungsanspruch. Der höhere Gesamtverdienst auf der geringer bewerteten Vollzeitstelle wiegt aber den objektiven Vorteil der Beschäftigung mit einer höherwertigen Tätigkeit auf einer Teilzeitstelle in der Regel nicht auf. Dieser liegt darin, dass der Arbeitnehmer seine aufgrund der Teilzeitbeschäftigung frei werdende Arbeitskraft anderweitig verwerten oder nutzen kann. Zudem hat er bei einer Beschäftigung in Teilzeit die Möglichkeit, dem Arbeitgeber nach § 9 TzBfG den Wunsch nach einer Verlängerung seiner Arbeitszeit anzuzeigen mit der Folge, dass er bei der zukünftigen Besetzung eines geeigneten freien Arbeitsplatzes uU bevorzugt berücksichtigt werden muss. Nicht zuletzt ermöglicht ihm eine Weiterbeschäftigung auf der Teilzeitstelle mit höherwertiger Tätigkeit eher den Erhalt seiner Qualifikationen.

52

(3) Im Streitfall würde der objektive Vorteil der Beibehaltung einer nach Entgeltgruppe 10 zu vergütenden Tätigkeit bei einem Beschäftigungsumfang von 50 vH - wie von der Klägerin geltend gemacht - nicht dadurch aufgewogen, dass nach dem Vorbringen des beklagten Erzbistums die Klägerin als Sekretärin in Vollzeit 2.650,82 Euro brutto, in ihrer bisherigen Entgeltgruppe 10 dann hingegen nur 1.997,10 Euro verdient hätte, was einem Unterschied in Höhe von 394,89 Euro netto entspräche. Eine solche Vergütungsdifferenz von - auf Bruttobasis - weniger als 25 vH vermöchte die erhebliche Herabstufung nach der Art der Tätigkeit, verbunden mit einer Herabgruppierung um fünf Entgeltgruppen bei weiterhin voller Arbeitszeit, nicht zu kompensieren.

53

ee) Die Notwendigkeit, die Anpassung der Vertragsbedingungen auf das objektiv erforderliche Maß zu beschränken, stellt keine Überforderung des Arbeitgebers dar. Sofern im Einzelfall schwierig zu bestimmen sein sollte, welches von mehreren möglichen Änderungsangeboten sich weniger weit vom bisherigen Vertragsinhalt entfernt, steht es dem Arbeitgeber frei, dem Arbeitnehmer die in Betracht kommenden Änderungen alternativ anzubieten. Der Arbeitnehmer hätte dann die Wahl, eines der Angebote vorbehaltlos oder unter dem Vorbehalt des § 2 KSchG anzunehmen oder sämtliche Änderungsangebote abzulehnen. Auf eine abgelehnte Weiterbeschäftigungsmöglichkeit vermöchte er sich im Rechtsstreit nicht mehr widerspruchsfrei als eine den bisherigen Vertragsbedingungen näher kommende Alternative zu berufen (vgl. zu diesem Erfordernis der Widerspruchsfreiheit BAG 21. September 2006 - 2 AZR 607/05 - Rn. 46; 21. April 2005 - 2 AZR 132/04 - zu B II 4 c gg der Gründe mwN, BAGE 114, 243).

54

5. Die Sache ist hinsichtlich des Kündigungsschutzantrags nicht aus anderen Gründen zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

55

a) Die Kündigung ist nach den bisherigen Feststellungen nicht wegen fehlerhafter Anhörung der Mitarbeitervertretung unwirksam.

56

aa) Die Klägerin unterfällt gemäß Art. 5 § 11 des Diözesanen Statuts für Gemeindereferentinnen und Gemeindereferenten vom 1. Dezember 2006 (Kirchliches Amtsblatt für die Erzdiözese Paderborn 2006 Stück 11 Nr. 142) der Zuständigkeit der für diese gebildeten Mitarbeitervertretung. Die Gemeindereferentinnen und Gemeindereferenten des beklagten Erzbistums gelten als Einrichtung im Sinne des § 1a Abs. 2 der Mitarbeitervertretungsordnung für das beklagte Erzbistum(MAVO).

57

bb) Eine Kündigung, die unter Missachtung von § 30 Abs. 1 und Abs. 2 MAVO ausgesprochen wurde, ist wegen § 30 Abs. 5 MAVO auch nach staatlichem Recht unwirksam(vgl. BAG 10. Dezember 1992 - 2 AZR 271/92 - zu II 1 der Gründe; APS/Linck 4. Aufl. Mitarbeitervertretung im kirchlichen Bereich Rn. 63).

58

cc) Nach § 30 Abs. 1 MAVO ist der Mitarbeitervertretung vor jeder ordentlichen Kündigung durch den Dienstgeber schriftlich die Absicht zu kündigen mitzuteilen. Bestand das Arbeitsverhältnis bei der Kündigung mindestens sechs Monate, sind auch die Gründe für die Kündigung darzulegen. Will die Mitarbeitervertretung gegen die Kündigung Einwendungen geltend machen, hat sie diese gemäß § 30 Abs. 2 MAVO unter Angabe der Gründe dem Dienstgeber spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen. Erhebt die Mitarbeitervertretung innerhalb der Frist keine Einwendungen, gilt die beabsichtigte Kündigung als nicht beanstandet. Erhebt die Mitarbeitervertretung Einwendungen und hält der Dienstgeber an der Kündigungsabsicht fest, werden die Einwendungen in einer gemeinsamen Sitzung von Dienstgeber und Mitarbeitervertretung mit dem Ziel einer Verständigung beraten. Der Dienstgeber setzt den Termin der gemeinsamen Sitzung fest und lädt hierzu ein.

59

dd) Die Regelungen in § 30 Abs. 1 und Abs. 2 MAVO sind - mit Ausnahme der Beratungspflicht nach rechtzeitig erhobenen Einwendungen - § 102 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG nachgebildet. Insofern können die dort geltenden Grundsätze für die Auslegung herangezogen werden (vgl. BAG 16. Oktober 1991 - 2 AZR 156/91 - zu II 2 c der Gründe). Wie bei § 102 Abs. 1 BetrVG hat der Dienstgeber nicht alle erdenklichen, sondern nur die für ihn maßgebenden Kündigungsgründe mitzuteilen(APS/Linck 4. Aufl. Mitarbeitervertretung im kirchlichen Bereich Rn. 31; MAVO/Fuhrmann 6. Aufl. § 30 Rn. 37, 40; Joussen ZMV 2006, 116, 119). Die Kündigungsgründe sind konkret darzustellen, pauschale Angaben und bloße Werturteile genügen nicht.

60

ee) Im Streitfall wird das durchgeführte Anhörungsverfahren den Anforderungen des § 30 Abs. 1 MAVO gerecht. Das beklagte Erzbistum hat die Mitarbeitervertretung mit Schreiben vom 16. Dezember 2010 ausreichend über die Kündigungsgründe unterrichtet. Aus dem Schreiben ergibt sich, dass der Klägerin nach Auffassung des Bistums aufgrund des Entzugs der kanonischen Beauftragung endgültig die Befähigung zur Ausübung ihrer vertraglichen Verpflichtungen als Gemeindereferentin fehlte und aus diesem Grund (hilfsweise) die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses - verbunden mit dem aus Sicht des Bistums für sie am wenigsten nachteiligen Angebot einer Weiterbeschäftigung als Sekretärin nach Entgeltgruppe 5 - erklärt werden sollte.

61

ff) Nach den bisherigen Feststellungen gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass das beklagte Erzbistum das weitere Verfahren nach § 30 Abs. 2 MAVO nicht eingehalten hätte.

62

b) Die Kündigung ist nicht wegen eines Verstoßes gegen das Verbot von Maßregelungen in § 612a BGB unwirksam.

63

aa) Nach § 612a BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Maßnahme nicht deshalb benachteiligen, weil dieser in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Als Maßnahme kommt auch eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Betracht. Sie kann sich als Benachteiligung wegen einer zulässigen Rechtsausübung darstellen. Das Maßregelungsverbot ist verletzt, wenn zwischen der Rechtsausübung und der Benachteiligung ein unmittelbarer Zusammenhang besteht. Dafür muss die zulässige Rechtsausübung der tragende Grund, dh. das wesentliche Motiv für die benachteiligende Maßnahme gewesen sein. Es reicht nicht aus, dass die Rechtsausübung nur der äußere Anlass für sie war ( BAG 19. April 2012 - 2 AZR 233/11 - Rn. 47; 12. Mai 2011 - 2 AZR 384/10  - Rn. 38 ).

64

bb) Nach diesen Grundsätzen liegt hier kein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot vor. Es ist nicht erkennbar, dass die Rechtsausübung der Klägerin in Gestalt der Vorprozesse der tragende Grund für die Änderungskündigung vom 29. Dezember 2010 gewesen wäre. Das Bistum hat sich zur Begründung der Änderungskündigung auf den Entzug der kanonischen Beauftragung der Klägerin für den Dienst als Gemeindereferentin berufen. Der Entzug seinerseits war laut des die Beschwerde der Klägerin zurückweisenden Dekrets der congregatio pro clericis nicht darauf gestützt, dass die Klägerin Rechtsstreitigkeiten mit dem Bistum geführt hatte. Der Amtsentzug wurde als gerechtfertigt angesehen, weil die Klägerin ihre Residenzpflicht verletzt habe und das Vertrauensverhältnis für eine pastorale Tätigkeit im Auftrag des Erzbischofs nicht mehr gegeben sei. Dies wiederum war nach der Begründung des Dekrets über den Entzug der Beauftragung nicht deshalb der Fall, weil die Klägerin Rechtsstreitigkeiten gegen ihren Dienstherrn geführt, sondern weil sie unwahre und ehrverletzende Behauptungen verbreitet bzw. deren Verbreitung geduldet und gefördert habe. Anhaltspunkte dafür, der in Wirklichkeit tragende Grund für die Entscheidung sei gleichwohl der Umstand gewesen, dass die Klägerin überhaupt ihre Rechte klageweise geltend gemacht hatte, sind nicht gegeben. Die kircheninterne Würdigung des Verhaltens der Klägerin unterliegt keiner Überprüfung durch die staatlichen Gerichte.

65

II. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf - weitergehende - Vergütung aus § 615 Satz 1 iVm. § 611 Abs. 1, § 293 ff. BGB. Es bedarf keiner Entscheidung, ob ihr ein auf die Gehaltserhöhung gerichteter Anspruch für die Zeit vom 26. Juli bis zum 30. September 2010 bereits durch die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts im Vorprozess über den dort eingeklagten Betrag rechtskräftig aberkannt ist oder ob es sich insofern um die Entscheidung über eine (verdeckte) Teilklage handelt, deren Bindungswirkung lediglich den erhobenen Teilanspruch umfasst (vgl. dazu BGH 27. Juli 2012 - V ZR 258/11 - Rn. 9; 9. April 1997 - IV ZR 113/96 - BGHZ 135, 178). Das beklagte Erzbistum war weder während dieses Zeitraums noch in der Zeit vom 1. Oktober 2010 bis zum 2. Dezember 2010 mit der Annahme der Arbeitsleistung der Klägerin in Verzug.

66

1. Nach § 297 BGB kommt der Arbeitgeber trotz Vorliegens der sonstigen Voraussetzungen nicht in Annahmeverzug, wenn der Arbeitnehmer außerstande ist, die vertraglich geschuldete Leistung zu bewirken. Neben der - tatsächlichen oder rechtlichen - Leistungsunfähigkeit erfasst § 297 BGB auch das Fehlen von Leistungswilligkeit. Ein leistungsunwilliger Arbeitnehmer setzt sich selbst außerstande, die Arbeitsleistung zu bewirken. Die objektive Leistungsfähigkeit und der subjektive Leistungswille sind Voraussetzungen, die während der gesamten Dauer des Annahmeverzugs vorliegen müssen ( BAG 12. Dezember 2012 - 5 AZR 93/12 - Rn. 25; 22. Februar 2012 -  5 AZR 249/11  - Rn. 16 , BAGE 141, 34).

67

2. Die Klägerin war in diesem Sinne zur Leistung unfähig bzw. unwillig. Für die vertraglich geschuldete Tätigkeit als Gemeindereferentin fehlte ihr nach dem sofort wirksamen Entzug der kanonischen Beauftragung am 16. März 2010 die subjektive Leistungsfähigkeit. Wird zu ihren Gunsten unterstellt, das beklagte Erzbistum sei aufgrund seiner Fürsorgepflicht gehalten gewesen, sie - vorübergehend - mit anderen als den vertragsgemäßen Arbeiten zu beschäftigen (vgl. zur Diskussion BAG 27. August 2008 - 5 AZR 16/08 - Rn. 15; 18. Dezember 1986 - 2 AZR 34/86 - zu B II 4 der Gründe), ist es dieser Verpflichtung hier nachgekommen. Es hat der Klägerin näher benannte religionspädagogische Aufgaben zugewiesen, deren Erfüllung diese mit Wirkung ab dem 26. Juli 2010 ablehnte. Dies begründet ihre Leistungsunwilligkeit jedenfalls ab diesem Zeitpunkt.

68

III. Die Klägerin hat keinen Anspruch aus § 611 Abs. 1 BGB iVm. § 33a Abs. 1 KAVO, § 1 Abs. 1 der Anlage 14 zur KAVO auf Zahlung einer Weihnachtszuwendung für das Jahr 2010 über den ihr zugesprochenen Anteil in Höhe von 5/12 hinaus. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, der volle Anspruch auf 80 vH eines Bruttomonatsgehalts sei gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 der Anlage 14 zur KAVO in dem Umfang zu kürzen gewesen, wie die Klägerin für volle Kalendermonate im Jahr 2010 keinen Entgeltanspruch hatte. Dies war in sieben Monaten - im Januar und Februar sowie von August bis Dezember 2010 - der Fall.

69

1. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 der Anlage 14 zur KAVO vermindert sich die Weihnachtszuwendung um ein Zwölftel für jeden Kalendermonat, für den der Mitarbeiter während des Kalenderjahres keinen Anspruch auf Bezüge aus einem Rechtsverhältnis der in § 1 Abs. 1 Nr. 2 der Anlage 14 zur KAVO genannten Art hat.

70

2. Die Regelung ist wirksam. Dies gilt selbst dann, wenn sie als allgemeine Geschäftsbedingung ebenso wie eine rein einzelvertragliche Bestimmung einer vollen Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB unterliegen sollte (vgl. zum Prüfungsmaßstab bei kirchlichen Arbeitsvertragsregelungen BAG 17. November 2005 - 6 AZR 160/05 - Rn. 16 ff., 19, 20 ff.).

71

a) Die Kürzungsregelung in § 2 Abs. 2 Satz 1 der Anlage 14 zur KAVO ist nicht unklar iSv. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Sie sieht eine Kürzung pro rata temporis für Monate ohne Bezüge mit im Satz 2 der Bestimmung konkret benannten Ausnahmen vor.

72

b) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Kürzungsregelung nicht deshalb unangemessen benachteiligend iSv. § 307 Abs. 1 BGB und damit unwirksam, weil sie nicht danach unterscheidet, ob der Arbeitnehmer aufgrund eines ihm selbst oder eines dem Arbeitgeber zuzurechnenden Umstands keinen Vergütungsanspruch hatte. Mit Blick auf einen möglichen Anspruchsverlust infolge von Arbeitsunfähigkeit ergibt sich schon aus § 4a EFZG, dass das Gesetz im Rahmen der dort genannten Grenzen - die hier nicht überschritten sind - eine solche Differenzierung bei Kürzungsregelungen für Sondervergütungen nicht verlangt. In welchen sonstigen Fällen ein Arbeitnehmer im bestehenden Arbeitsverhältnis aufgrund eines dem Arbeitgeber zuzurechnenden Umstands seinen Vergütungsanspruch verlieren könnte, ist weder von der Klägerin vorgetragen, noch objektiv ersichtlich. So trägt der Arbeitgeber das Betriebsrisiko und hat bei Annahmeverzug die Vergütung fortzuzahlen.

73

3. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Klägerin habe für die Monate Januar und Februar 2010 wegen ihrer von Januar 2009 bis Ende Februar 2010 andauernden Erkrankung keinen Entgeltanspruch gehabt. Auch für die Monate August bis Dezember 2010 hat es einen Vergütungsanspruch der Klägerin zutreffend verneint. Die Klägerin hat in dieser Zeit keine Arbeitsleistung erbracht, das beklagte Erzbistum war - wie ausgeführt - mit der Annahme ihrer Leistung auch nicht in Verzug. Ein Vergütungsanspruch für die Zeit nach dem 2. Dezember 2010 ist als solcher nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits. Dennoch hat das Landesarbeitsgericht im Ergebnis einen Entgeltanspruch der Klägerin für den Monat Dezember 2010 mit Recht verneint. Zwar hat das beklagte Erzbistum am 2. Dezember 2010 eine - unwirksame - außerordentliche Änderungskündigung ausgesprochen. Die Klägerin war jedoch zur Leistung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit als Gemeindereferentin weiterhin nicht fähig. Für andere Arbeiten fehlte ihr der erforderliche Leistungswille. Das beklagte Erzbistum musste ihr jedenfalls zur Vermeidung von Annahmeverzug nicht noch einmal die Arbeiten anbieten, die sie bereits abgelehnt hatte (vgl. BAG 27. August 2008 - 5 AZR 16/08 - Rn. 15).

74

IV. Die Revision ist begründet, soweit das Landesarbeitsgericht von der der Klägerin zugesprochenen anteiligen Weihnachtszuwendung für das Jahr 2010 in Höhe von 1.323,46 Euro brutto Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 2.694,15 Euro netto in Abzug gebracht hat. Ob und in welcher Höhe der Anspruch gemäß § 115 SGB X auf Sozialleistungsträger übergegangen und anzurechnen ist, steht noch nicht fest.

75

1. Auch Sonderzahlungen sind grundsätzlich übergangsfähige Entgeltleistungen (vgl. BAG 26. Mai 1992 - 9 AZR 41/91 - BAGE 70, 275). Nach der Begriffsbestimmung in § 14 SGB IV sind Arbeitsentgelt alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf sie besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Die mögliche Unpfändbarkeit eines Anspruchs auf Weihnachtsvergütung steht dem Übergang gemäß § 115 Abs. 2 SGB X nicht entgegen.

76

2. Voraussetzung für den Übergang eines Anspruchs nach § 115 Abs. 1 SGB X ist, dass seine Nichterfüllung kausal war für die Leistung durch den Träger.

77

a) Zweck des § 115 SGB X ist es, dem Sozialleistungsträger die Leistungen zurückzuerstatten, die nicht angefallen wären, wenn der Arbeitgeber seiner Leistungspflicht rechtzeitig nachgekommen wäre. Voraussetzung ist also eine Kumulation von Ansprüchen in der Person des Leistungsempfängers derart, dass zu der Befriedigung eines identischen Interesses der Arbeitgeber und ggf. ein Sozialleistungsträger verpflichtet sind. Die Bestimmung verlangt eine zeitliche Kongruenz dergestalt, dass die Sozialleistung tatsächlich an die Stelle des Arbeitsentgelts getreten ist. Eine völlige zeitliche Deckung von arbeitsrechtlichem Vergütungszeitraum und sozialrechtlichem Leistungszeitraum ist dafür nicht erforderlich. Entscheidend ist, für welchen Zeitraum die Leistungen des Arbeitgebers auf der einen und die des Sozialleistungsträgers auf der anderen Seite bestimmt sind (vgl. BAG 21. März 2012 - 5 AZR 61/11 - Rn. 21, BAGE 141, 95; 26. Mai 1993 - 5 AZR 405/92 - zu 2 a der Gründe, BAGE 73, 186).

78

b) Das Landesarbeitsgericht hat bislang nicht geprüft, ob und ggf. in welcher Höhe eine zeitliche und inhaltliche Kongruenz der angerechneten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und des Anspruchs der Klägerin auf Weihnachtszuwendung gegeben ist. Dies wird es nachzuholen haben. Die Überleitungsanzeige vom 10. Februar 2011 bezog sich nur auf Lohnansprüche für den Zeitraum vom 5. Oktober 2010 bis zum 30. November 2010.

79

c) In Betracht kommt auch eine Anrechnung anderer Sozialleistungen. Die Klägerin hat vorgetragen, ab dem 12. Dezember 2010 Arbeitslosengeld erhalten zu haben.

80

3. Die Höhe eines möglichen Forderungsübergangs auf den Sozialleistungsträger gemäß § 115 Abs. 1 SGB X ist durch die Höhe des Anspruchs des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt begrenzt(vgl. BeckOK SozR/Pohl 30. Edition § 115 SGB X Rn. 21 mwN). Ein den Entgeltanspruch des Arbeitnehmers übersteigender Betrag kann nicht übergehen. Auch dies wird das Landesarbeitsgericht ggf. zu berücksichtigen haben.

81

V. Die Verurteilung des beklagten Erzbistums zur Zahlung von Urlaubsabgeltung wird das Landesarbeitsgericht, sollte es zu dem Ergebnis kommen, die Kündigung vom 29. Dezember 2010 habe das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst, aufzuheben und für gegenstandslos zu erklären haben (vgl. BAG 24. Januar 2013 - 2 AZR 140/12 - Rn. 29; BGH 14. Dezember 1988 - IVa ZR 209/87  - zu IV der Gründe, BGHZ 106, 219 ). Andernfalls verbleibt es bei deren Rechtskraft. Die Entscheidung über den von der Klägerin nur hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Kündigungsschutzantrag erhobenen Anspruch auf Urlaubsabgeltung steht unter der auflösenden Bedingung, dass dem Hauptantrag endgültig stattgegeben wird und damit kein Raum mehr für die Entscheidung über den Hilfsantrag bleibt (vgl. BGH 6. November 2012 - II ZR 280/11 -; 14. Dezember 1988 - IVa ZR 209/87 - aaO). Eine Aufhebung durch den Senat kommt nicht in Betracht, weil das Bistum selbst seine Verurteilung nicht angefochten hat.

        

    Kreft    

        

    Rinck    

        

    Rachor    

        

        

        

    Söller    

        

    Jan Eulen    

                 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 21. September 2011 - 2 Sa 142/11 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.

2

Die Beklagte ist ein kommunaler Versorgungsträger mit etwa 100 Beschäftigten. Die 1970 geborene Klägerin war bei ihr seit August 2003 als Leiterin der Abteilung Kaufmännische Dienste beschäftigt. Sie ist verheiratet und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet.

3

Im Zusammenhang mit dem vorgesehenen Wechsel der Klägerin in die Geschäftsführung fasste der Aufsichtsrat der Beklagten am 13. Dezember 2004 den Beschluss, einem neu berufenen Geschäftsführer zuzusagen, er werde im Falle seiner Abberufung nach dreijähriger Tätigkeit die vorherige Funktion im Arbeitsverhältnis wieder bekleiden können. Am 23. Mai 2005 bestellte der Aufsichtsrat die Klägerin zur zweiten Geschäftsführerin der Beklagten. Der am 31. Mai 2005 zwischen den Parteien geschlossene Dienstvertrag lautet auszugsweise:

        

„§ 1 Tätigkeit und Aufgabenbereich

                          

[Die Klägerin] wird mit Wirkung vom 1. Juni 2005 als Geschäftsführerin der Gesellschaft angestellt.

                          

Innerhalb der Geschäftsführung übernimmt [die Klägerin] den Kaufmännischen Bereich.

                 

…       

        

§ 2 Vertragsdauer

        

Der Anstellungsvertrag ist bis zum 31. Mai 2008 befristet. Er verlängert sich jeweils um fünf Jahre, es sei denn eine der Vertragsparteien kündigt drei Monate vor Auslaufen des Anstellungsvertrags schriftlich an, dass eine Fortsetzung des Anstellungsverhältnisses nicht gewollt ist. Das Recht zur fristlosen Kündigung bleibt unberührt.

        

Das zwischen der Gesellschaft und [der Klägerin] bestehende Arbeitsverhältnis ruht für die Laufzeit des Geschäftsführervertrages. Sofern der Geschäftsführervertrag beendet wird, lebt das Arbeitsverhältnis wieder auf. Die Gesellschaft sichert [der Klägerin] ein Rückkehrrecht auf ihre bisherige Stelle als ,Abteilungsleiterin Kaufmännische Dienste’ zu.“

4

Am 20. April 2006 wurde das zweite Kind der Klägerin geboren. Diese beabsichtigte, Elternzeit in Anspruch zu nehmen, und bat um ihre Abberufung als Geschäftsführerin. Dem kam der Aufsichtsrat nach. Am 29. August 2006 trat die Klägerin ihre Elternzeit an, die sie zunächst bis zum 31. Oktober 2007 verlangt hatte. Während dieser Zeit besetzte die Beklagte weder die Position des zweiten Geschäftsführers neu noch die Stelle der Abteilungsleiterin Kaufmännische Dienste. Die entsprechenden Aufgaben verteilte sie auf andere Mitarbeiter um, ua. auf eine der Klägerin bislang unterstellte Sachbearbeiterin. Dieser übertrug die Beklagte im Juni 2006 Gesamtprokura und setzte sie ab Mitte September 2006 als Kaufmännische Assistentin der Geschäftsführung ein. Nach ihrem Ausscheiden stellte die Beklagte für sie die Mitarbeiterin M ein. Frau M wurde 1953 geboren und ist verheiratet. Im Herbst 2007 erteilte ihr die Beklagte Gesamtprokura.

5

Auf Antrag der Klägerin verlängerte die Beklagte die Elternzeit bis zum 31. Mai 2008. Mit Schreiben vom 4. Dezember 2007 teilte die Stadt als Gesellschafterin der Beklagten der Klägerin mit, den Geschäftsführer-Dienstvertrag nicht verlängern zu wollen. Im Februar 2008 beantragte die Klägerin, ihre Arbeitszeit im Anschluss an die Elternzeit auf 24 Stunden pro Woche zu verringern. Mit Schreiben vom 5. Mai 2008 bat sie erneut um eine entsprechende Anpassung des Anstellungsvertrags. Die Beklagte bestätigte unter dem 9. Mai 2008 die Wirksamkeit der Arbeitszeitverringerung gem. § 8 Abs. 5 TzBfG und bat um ein Gespräch am 2. Juni 2008. Mit E-Mail vom 20. Mai 2008 beantragte die Klägerin aufgrund veränderter persönlicher Umstände eine Verlängerung der Elternzeit bis zum 31. August 2008 bei gleichzeitiger Verschiebung der Arbeitszeitverringerung auf den 1. September 2008. Darauf reagierte die Beklagte nicht.

6

Die Klägerin erschien am 2. Juni 2008 zum Dienstantritt. Ihr wurde ein Schreiben vom 30. Mai 2008 ausgehändigt, in welchem die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 30. September 2008 kündigte und die Klägerin bis dahin von der Arbeitsleistung freistellte. Der Geschäftsführer der Beklagten hatte am 9. April 2008 folgende Erklärung unterzeichnet:

        

„Unternehmerische Entscheidung

        

Auflösung der Abteilung Kaufmännische Dienste

        

Mit heutigem Datum habe ich entschieden, die Abteilung Kaufm. Dienste mit sofortiger Wirkung aufzulösen und als Gruppe Kaufm. Dienste in der direkten Unterstellung zum Geschäftsführer weiterzuführen. Der Einsatz einer Abteilungsleiterin Kaufm. Dienste und die Besetzung der Sekretariatsstelle sind nicht mehr vorgesehen.“

7

Die Klage gegen die Kündigung vom 30. Mai 2008 hatte Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Kündigung sei unwirksam, weil sie gegen das vertraglich vereinbarte Rückkehrrecht verstoße. Danach habe die Klägerin einen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung nach Ablauf des Geschäftsführervertrags. Dieser sei bis zum 2. Juni 2008 nicht erfüllt gewesen.

8

Unter dem 1. Oktober 2008 fasste der Geschäftsführer der Beklagten erneut den Beschluss, die Abteilung Kaufmännische Dienste aufzulösen.

9

Mit Schreiben vom 16. Oktober 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zum 31. Dezember 2008. Auch die hiergegen gerichtete Kündigungsschutzklage hatte Erfolg. Nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts war es der Beklagten nach Sinn und Zweck der im Geschäftsführer-Dienstvertrag vereinbarten Rückkehrklausel verwehrt, sich auf eine Umverteilung der Arbeitsaufgaben der Klägerin zu berufen. Die Beklagte habe ihre Organisation so zu gestalten, dass eine tatsächliche Rückkehr der Klägerin nach Inanspruchnahme der Elternzeit möglich sei. Außerdem sei der wahre Grund für ihre unternehmerische Entscheidung die Verärgerung darüber gewesen, dass die Klägerin auf ihren Posten als Abteilungsleiterin nur in Teilzeit habe zurückkehren wollen.

10

Mit Schreiben vom 17. Oktober 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, mit Schreiben vom 21. Oktober 2008 fristgemäß zum 31. Dezember 2008. Zur Begründung berief sie sich für beide Kündigungen darauf, das Vertrauensverhältnis zur Klägerin sei zerstört, weil diese Schmerzensgeldforderungen gegen sie erhoben habe. Hinsichtlich der fristlosen Kündigung wurde der Rechtsstreit beiderseits für erledigt erklärt, nachdem die Beklagte erklärt hatte, aus der Kündigung keine Rechte mehr herleiten zu wollen. In Bezug auf die Kündigung vom 21. Oktober 2008 wurde rechtskräftig festgestellt, dass auch diese das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat.

11

Am 17. April 2009 unterzeichnete der Geschäftsführer der Beklagten eine weitere Erklärung über die Absicht, die Abteilung Kaufmännische Dienste aufzulösen. Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 28. April 2009 zum 30. Juni 2009.

12

Dagegen hat die Klägerin rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Sie hat die Auffassung vertreten, die Kündigung vom 28. April 2009 sei schon deshalb unwirksam, weil es sich um eine unzulässige Wiederholungskündigung handele. Zudem verstoße sie gegen ihr vertragliches Rückkehrrecht. Diesen Anspruch habe die Beklagte nach wie vor nicht erfüllt, da sie sie bislang nicht wieder als Abteilungsleiterin Kaufmännische Dienste beschäftigt habe. Grund für die Rückkehrklausel sei die Absicht gewesen, sie bei Ablauf des befristeten Geschäftsführervertrags nicht schlechter zu stellen als vorher in ihrem unbefristeten Arbeitsverhältnis als Abteilungsleiterin. Es sei Wille der Vertragspartner gewesen, sie im Anschluss an den Geschäftsführungsvertrag wieder als solche tätig werden zu lassen. Dieses Rückkehrrecht habe die Beklagte durch ihre Entscheidung, die Stelle aufzulösen, treuwidrig vereitelt.

13

Überdies fehle es an einem betrieblichen Grund für die Kündigung. Es sei nicht möglich, ihre Funktionen und Arbeitsaufgaben entfallen zu lassen. Diese seien in einem Unternehmen unverzichtbar. Der technische Geschäftsführer könne ihre Arbeitsaufgaben nicht übernehmen, weil hierzu eine fachspezifische Ausbildung erforderlich sei. Ferner sei die Sozialauswahl fehlerhaft. Ihre Tätigkeiten übe nunmehr Frau M aus, die weniger schutzbedürftig sei. Es handele sich um dieselbe Hierarchieebene. Die Beklagte diskriminiere sie, da sie die Kündigung nur wegen des Wunsches nach Teilzeitarbeit ausgesprochen habe. Darin liege zugleich eine unzulässige Maßregelung nach § 612a BGB. Zudem sei der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Die Beklagte habe ihn nicht hinreichend über den Ausgang des vorangegangenen Kündigungsschutzrechtsstreits unterrichtet.

14

Die Klägerin hat - soweit noch von Interesse - beantragt

        

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 28. April 2009 nicht zum 30. Juni 2009 aufgelöst ist.

15

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Rückkehrklausel räume der Klägerin keinen besonderen Kündigungsschutz ein. Sie enthalte auch keine Arbeitsplatzgarantie. Im Übrigen habe sie den betreffenden Anspruch erfüllt. Die Klägerin sei schon im August 2006 auf ihren Wunsch hin in das Arbeitsverhältnis zurückgekehrt, spätestens sei sie das zum 1. Juni 2008. Eine Monate später ausgesprochene Kündigung verstoße nicht gegen die Rückkehrklausel. Die Kündigung sei durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt. Sie habe die Tätigkeiten der Klägerin umverteilt, ohne dass eine Ersatzeinstellung notwendig geworden sei. Die Sozialauswahl sei ordnungsgemäß. Es gebe keine mit der Klägerin vergleichbaren Arbeitnehmer.

16

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

17

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Kündigung vom 28. April 2009 zu Recht als wirksam angesehen.

18

I. Die Kündigung ist nicht wegen Verstoßes gegen § 2 Abs. 2 Satz 3 des Geschäftsführer-Dienstvertrags der Parteien unwirksam. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, das dort vereinbarte Rückkehrrecht führe nicht zu einem Kündigungsverbot. Dies ergibt die Auslegung der Bestimmung (§§ 133, 157 BGB).

19

1. Es kann dahinstehen, ob es sich bei der Regelung in § 2 Abs. 2 Satz 3 des Vertrags um eine Allgemeine Geschäftsbedingung handelt, deren Auslegung durch das Landesarbeitsgericht im Revisionsverfahren einer umfassenden Überprüfung unterliegt(vgl. BAG 9. September 2010 - 2 AZR 446/09 - Rn. 18 ff.; 20. Mai 2008 - 9 AZR 271/07 - Rn. 18, AP BGB § 305 Nr. 13), oder um eine atypische Willenserklärung, deren Auslegung revisionsrechtlich nur daraufhin überprüft werden kann, ob sie methodische Regeln verletzt, gegen Denk- und Erfahrungssätze verstößt oder wesentliche Tatsachen unberücksichtigt gelassen hat (BAG 26. März 2009 - 2 AZR 633/07 - Rn. 25, BAGE 130, 166; 13. November 2007 - 3 AZR 636/06 - Rn. 22, AP BetrAVG § 1 Nr. 50). Die Auslegung durch das Landesarbeitsgericht hält auch einer uneingeschränkten Überprüfung stand.

20

2. Nach dem Wortlaut von § 2 Abs. 2 Satz 3 des Vertrags sicherte die Beklagte der Klägerin die Rückkehr auf ihre bisherige Stelle zu. Von einer tatsächlichen Beschäftigung für einen bestimmten Mindestzeitraum ist dabei nicht die Rede. Dem entspricht der vorangehende Satz 2 der Bestimmung. Danach sollte das Arbeitsverhältnis - entgegen der Regel (vgl. BAG 15. März 2011 - 10 AZB 32/10 - Rn. 11, AP ArbGG 1979 § 2 Nr. 95 = EzA ArbGG 1979 § 5 Nr. 44; 19. Juli 2007 - 6 AZR 774/06 - Rn. 14, BAGE 123, 294) - „wieder aufleben“, also mit allen gegenseitigen Rechten und Pflichten wieder in Kraft gesetzt werden, sofern der Geschäftsführervertrag beendet würde. Der Sinn und Zweck der Rückkehrklausel im folgenden Satz 3 liegt demnach ersichtlich in der Klarstellung, auf welche Stelle die Klägerin nach Wiederaufleben des Arbeitsverhältnisses einen Anspruch haben sollte. Ihr sollte, wie sie selbst geltend gemacht hat, im Wege des Bestandsschutzes die Stelle erhalten bleiben, auf der sie in ihrem bisherigen Vertragsverhältnis weiterbeschäftigt worden wäre. Der Vereinbarung lässt sich dagegen nicht entnehmen, dass der rechtliche und soziale Besitzstand der Klägerin stärker als mit ihrem bisherigen Arbeitsverhältnis verbunden geschützt werden sollte. Die Rückkehrklausel enthält damit kein Kündigungsverbot. Sie garantiert weder den weiteren Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, noch gewährt sie einen Anspruch auf eine bestimmte Mindestbeschäftigungszeit im Anschluss an das Dienstverhältnis als Geschäftsführerin.

21

3. Die Kündigung vom 28. April 2009 ist nicht deshalb unwirksam, weil durch sie die Erfüllung eines Rechts der Klägerin auf tatsächliche Beschäftigung unter Verstoß gegen den Rechtsgedanken des § 162 BGB oder den Grundsatz von Treu und Glauben vereitelt worden wäre. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, das Arbeitsverhältnis der Klägerin sei gem. § 2 Abs. 2 Satz 2 des Geschäftsführer-Dienstvertrags spätestens nach Ablauf der Elternzeit am 1. Juni 2008 wieder aufgelebt. Ein über den allgemeinen Beschäftigungsanspruch hinausgehendes Recht auf tatsächliche Beschäftigung besaß die Klägerin dagegen nicht. Die Rückkehr auf ihre Stelle setzte nicht zwangsläufig auch eine tatsächliche Beschäftigung auf dieser Stelle voraus. Aus der Rückkehrabrede der Parteien ließe sich überdies nicht entnehmen, für welchen Zeitraum die Klägerin tatsächlich hätte beschäftigt werden müssen, bevor die Beklagte erstmals wieder hätte kündigen dürfen.

22

4. Diesem Verständnis von § 2 Abs. 2 Satz 3 des Geschäftsführer-Dienstvertrags steht nicht die materielle Rechtskraft der Entscheidungen über die Kündigungen vom 30. Mai und 16. Oktober 2008 entgegen.

23

a) Präjudizielle Rechtsverhältnisse und Vorfragen werden nur dann iSv. § 322 ZPO rechtskräftig festgestellt, wenn sie selbst Streitgegenstand waren. Es genügt nicht, dass über sie als bloße Vorfragen zu entscheiden war (vgl. BGH 21. April 2010 - VIII ZR 6/09 - Rn. 9, NJW 2010, 2208; 7. Juli 1993 - VIII ZR 103/92 - zu II 1 der Gründe, BGHZ 123, 137; Zöller/Vollkommer ZPO 29. Aufl. Vor § 322 Rn. 34; Musielak/Musielak ZPO 9. Aufl. § 322 Rn. 17). Streitgegenstand einer Kündigungsschutzklage nach § 4 Satz 1 KSchG ist, ob ein Arbeitsverhältnis durch eine bestimmte Kündigung aufgelöst worden ist(sog. punktuelle Streitgegenstandslehre, BAG 22. November 2012 - 2 AZR 732/11 -; 25. März 2004 - 2 AZR 399/03 - zu B II 1 der Gründe, AP BMT-G II § 54 Nr. 5 = EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 4). Einzelne Begründungselemente nehmen grundsätzlich nicht an der materiellen Rechtskraft teil (vgl. nur BAG 25. August 2010 - 10 AZR 275/09 - Rn. 16, BAGE 135, 239; BGH 26. Juni 2003 - I ZR 269/00 - Rn. 22, NJW 2003, 3058).

24

b) Die Auslegung von § 2 Abs. 2 Satz 3 des Dienstvertrags durch das Landesarbeitsgericht stellt ein bloßes Begründungselement für die Feststellung dar, dass die Kündigungen vom 30. Mai und 16. Oktober 2008 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet haben. Die materielle Rechtskraft der Entscheidungen in den Vorprozessen erstreckt sich auf sie grundsätzlich nicht.

25

c) Etwas anderes folgt im Streitfall auch nicht aus dem Verbot der Wiederholungskündigung.

26

aa) Eine Kündigung kann nicht erfolgreich auf Gründe gestützt werden, die der Arbeitgeber schon zur Begründung einer vorhergehenden Kündigung vorgebracht hat und die in dem früheren Kündigungsschutzprozess mit dem Ergebnis materiell geprüft worden sind, dass sie die Kündigung nicht tragen. Mit einer Wiederholung dieser Gründe zur Stützung einer späteren Kündigung ist der Arbeitgeber dann ausgeschlossen ( BAG 6. September 2012 - 2 AZR 372/11 - Rn. 13; 8. November 2007 - 2 AZR 528/06  - Rn. 20 ff. mwN, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 19; 12. Februar 2004 - 2 AZR 307/03 - zu B II 2 c aa der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 75 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 129; 26. August 1993 - 2 AZR 159/93 - zu II 1 der Gründe, BAGE 74, 143). Eine Präklusionswirkung in diesem Sinne entfaltet die Entscheidung über die frühere Kündigung allerdings nur bei identischem Kündigungssachverhalt. Hat sich dieser wesentlich geändert, darf der Arbeitgeber ein weiteres Mal kündigen ( BAG 26. November 2009 - 2 AZR 272/08  - Rn. 19, BAGE 132, 299 ). Das gilt auch bei einem sog. Dauertatbestand ( BAG 6. September 2012 - 2 AZR 372/11 - aaO ). Die Präklusionswirkung tritt ferner dann nicht ein, wenn die frühere Kündigung bereits aus formellen Gründen, also etwa wegen der nicht ordnungsgemäßen Beteiligung der Mitarbeitervertretung für unwirksam erklärt worden ist (BAG 25. März 2004 - 2 AZR 399/03 - zu C I der Gründe, AP BMT-G II § 54 Nr. 5 = EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 4; KR-Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 403).

27

(1) Auch dieses Verbot, eine Kündigung nach rechtskräftiger Feststellung der Unwirksamkeit einer vorhergegangenen Kündigung bei gleich gebliebenem Kündigungssachverhalt und nach dessen materieller Prüfung erneut auf eben diesen Sachverhalt zu stützen, findet - trotz der Unterschiedlichkeit der Streitgegenstände - seine Grundlage in der Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen (vgl. BAG 26. November 2009 - 2 AZR 272/08 - Rn. 19, BAGE 132, 299; 26. August 1993 -  2 AZR 159/93  - zu II 1 d der Gründe, BAGE 74, 143 ). Bei der Würdigung, ein bestimmter Lebenssachverhalt könne eine Kündigung materiell nicht begründen, handelt es sich nicht bloß um ein Element der Begründung für die Feststellung, dass die Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat. Diese Würdigung nimmt vielmehr selbst an der Rechtskraftwirkung der Entscheidung teil. Der Grund liegt in der Gleichwertigkeit einer solchen Feststellung mit einem (fiktiven) Gestaltungsurteil, in dem eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen der fraglichen Gründe abgelehnt wird (Bötticher Gestaltungsrecht und Unterwerfung im Privatrecht 1964, S. 5). Nach der Konzeption des Kündigungsschutzgesetzes muss sich zwar der Arbeitnehmer gem. §§ 4, 7 KSchG(ggf. iVm. § 13 Abs. 1 Satz 2 oder Abs. 3 KSchG) mit einer Feststellungsklage gegen das vom Arbeitgeber durch den Ausspruch einer Kündigung in Anspruch genommene Gestaltungsrecht wehren. Der Sache nach handelt es sich jedoch um eine „Gestaltungsgegenklage“, mit der der Arbeitnehmer das vom Arbeitgeber in Anspruch genommene Gestaltungsrecht zur gerichtlichen Überprüfung stellt. Die Rechtskraft einer Entscheidung, die nach materieller Prüfung des Kündigungsgrundes der Kündigungsschutzklage stattgibt, entspricht deshalb der Rechtskraftwirkung eines Gestaltungsurteils (Bötticher aaO). So würde sich, müsste der Arbeitgeber durch Gestaltungsklage eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichtlich erwirken, die Rechtskraft einer diese Klage nach materieller Prüfung der vorgebrachten Gründe abweisenden Entscheidung darauf erstrecken, dass das in Anspruch genommene Gestaltungsrecht nicht bestand (vgl. zur Rechtskraftwirkung eines klageabweisenden Gestaltungsurteils BAG 26. August 1993 - 2 AZR 159/93 - zu II 1 d bb der Gründe, BAGE 74, 143 ; MünchKommZPO/Gottwald 4. Aufl. § 322 Rn. 186; Stein/Jonas/Leipold ZPO 22. Aufl. § 322 Rn. 109; Musielak/Musielak ZPO 9. Aufl. § 322 Rn. 64). Dementsprechend umfasst die materielle Rechtskraft der einer Kündigungsschutzklage stattgebenden Entscheidung die Untauglichkeit eines vorgetragenen Lebenssachverhalts als Kündigungsgrund, wenn er materiell geprüft worden ist. Dann wiederum vermag dieser Lebenssachverhalt auch eine nachfolgende, allein auf ihn gestützte Kündigung wegen § 322 ZPO nicht zu begründen. Von der Frage, ob das in Anspruch genommene Gestaltungsrecht besteht, ist die Frage, ob es rechtsgeschäftlich wirksam erklärt wurde, zu unterscheiden (Bötticher aaO, S. 4). Ist nur die Rechtswirksamkeit der rechtsgeschäftlichen Erklärung - etwa wegen Formmangels - in einem Vorprozess verneint worden, schließt dies nicht aus, von dem Gestaltungsrecht als solchem mit einer späteren, auf denselben Kündigungsgrund gestützten, nunmehr wirksam erklärten Kündigung erneut Gebrauch zu machen.

28

(2) Das Verbot der Wiederholungskündigung lässt sich dagegen nicht allein aus dem Verbrauch des Gestaltungsrechts schon durch seine (erstmalige) Ausübung herleiten. Ein „Verbrauch“ des Gestaltungsrechts tritt nur bei dessen wirksamer Ausübung ein (missverständlich daher BAG 26. August 1993 - 2 AZR 159/93 - zu II 1 c der Gründe, BAGE 74, 143; vgl. auch 26. November 2009 - 2 AZR 272/08 - BAGE 132, 299 ). Nur die ordnungsgemäße Gestaltungserklärung „konsumiert“ das Gestaltungsrecht (Bötticher Gestaltungsrecht und Unterwerfung im Privatrecht 1964, S. 6).

29

bb) Bei Anwendung dieser Grundsätze steht der Umstand, dass das Landesarbeitsgericht auf die Unwirksamkeit der Kündigungen vom 30. Mai und 16. Oktober 2008 erkannt hat, der Wirksamkeit der Kündigung vom 28. April 2009 nicht entgegen. Diese Kündigung ist keine Wiederholungskündigung im dargelegten Sinne. Das Landesarbeitsgericht hat nicht einem bestimmten Lebenssachverhalt die materielle Eignung als Kündigungsgrund abgesprochen, der als der nämliche der Kündigung vom 28. April 2009 zugrunde läge. Es hat vielmehr § 2 Abs. 2 Satz 3 des Geschäftsführer-Dienstvertrags der Parteien dahin ausgelegt, dass dieser als generelles vertragliches Kündigungsverbot schon einer wirksamen Ausübung des Kündigungsrechts der Beklagten entgegenstehe. Damit hat es nicht rechtskräftig das in Anspruch genommene materielle Kündigungsrecht als solches, sondern nur die Wirksamkeit seiner rechtsgeschäftlichen Erklärung verneint.

30

(1) Die Kündigung vom 30. Mai 2008 hat das Landesarbeitsgericht als unwirksam angesehen, weil sie gegen das vertraglich vereinbarte Rückkehrrecht verstoßen habe. Der - von ihm angenommene - Anspruch der Klägerin auf tatsächliche Beschäftigung nach Ablauf des Geschäftsführervertrags sei bis zum 2. Juni 2008 nicht erfüllt gewesen. Dies betrifft die Wirksamkeit der Kündigung als Kündigungserklärung, nicht das mögliche materielle Kündigungsrecht aufgrund dringender betrieblicher Erfordernisse. Das Landesarbeitsgericht hat nicht geprüft, ob die Entscheidung der Beklagten, die Abteilung Kaufmännische Dienste endgültig aufzulösen, materiell geeignet war, eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin sozial zu rechtfertigen. Es hat lediglich der am 2. Juni 2008 zugegangenen, hierauf gestützten Kündigungserklärung die rechtsgeschäftliche Wirksamkeit versagt, weil der vereinbarte Rückkehranspruch der Klägerin zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfüllt worden sei.

31

(2) Mit Blick auf die Kündigung vom 16. Oktober 2008 hat das Landesarbeitsgericht angenommen, der Beklagten sei es nach Sinn und Zweck der Rückkehrklausel verwehrt gewesen, sich auf eine Umverteilung der Arbeitsaufgaben der Klägerin als Kündigungsgrund zu berufen. Das lasse die Abrede ins Leere laufen. Auch dies betrifft die Wirksamkeit der Kündigungserklärung als Ausübung des in Anspruch genommenen Gestaltungsrechts, nicht das materielle Kündigungsrecht selbst. Soweit das Landesarbeitsgericht ausgeführt hat, die Beklagte habe ihre Organisation so gestalten müssen, dass eine tatsächliche Rückkehr der Klägerin nach Inanspruchnahme der Elternzeit möglich sei, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Das Landesarbeitsgericht hat mit dieser Erwägung näher begründet, warum die Beklagte sich auf den in Anspruch genommenen Kündigungsgrund nicht habe berufen dürfen, ihr also die Ausübung des Kündigungsrechts verwehrt sei. Es hat dagegen nicht angenommen, die Beklagte habe mit der Rückkehrabrede auf das Recht zur betriebsbedingten Kündigung dauerhaft verzichtet.

32

II. Die Kündigung vom 28. April 2009 ist aufgrund dringender betrieblicher Erfordernisse iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial gerechtfertigt.

33

1. Dringende betriebliche Erfordernisse, die eine Kündigung bedingen, können sich daraus ergeben, dass der Arbeitgeber sich zu einer organisatorischen Maßnahme entschließt, deren Umsetzung das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfallen lässt. Eine solche unternehmerische Entscheidung ist gerichtlich nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist ( BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 124/11 - Rn. 21, EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 167; 23. Februar 2012 - 2 AZR 548/10  - Rn. 17, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 189 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 166). Nachzuprüfen ist, ob die fragliche Entscheidung tatsächlich umgesetzt wurde und dadurch das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer entfallen ist ( BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 124/11 - aaO; 23. Februar 2012 - 2 AZR 548/10  - aaO).

34

2. Allerdings kann in Fällen, in denen die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers und sein Kündigungsentschluss praktisch deckungsgleich sind, die ansonsten berechtigte Vermutung, die fragliche Entscheidung sei aus sachlichen Gründen erfolgt, nicht unbesehen greifen. Da die Kündigung nach dem Gesetz an das Vorliegen von Gründen gebunden ist, die außerhalb ihrer selbst liegen, muss der Arbeitgeber in solchen Fällen seine Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und zeitlichen Nachhaltigkeit verdeutlichen ( BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 124/11 - Rn. 22, EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 167; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09  - Rn. 14, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 186 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 165). Daran fehlt es, wenn die Entscheidung in ihrer Folge zu einer Überforderung oder Benachteiligung des im Betrieb verbliebenen Personals führte (vgl. Rost Jahrbuch des Arbeitsrechts Bd. 39 S. 83) oder sie lediglich Vorwand dafür ist, bestimmte Arbeitnehmer aus dem Betrieb zu drängen, obwohl Beschäftigungsbedarf und Beschäftigungsmöglichkeiten objektiv fortbestehen und etwa nur der Inhalt des Arbeitsvertrags als zu belastend angesehen wird ( BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 124/11 - aaO; 23. Februar 2012 - 2 AZR 548/10  - Rn. 18, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 189 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 166).

35

Läuft die unternehmerische Entscheidung auf den Abbau einer Hierarchieebene oder die Streichung eines einzelnen Arbeitsplatzes hinaus verbunden mit einer Umverteilung der dem betroffenen Arbeitnehmer bisher zugewiesenen Aufgaben, muss der Arbeitgeber konkret erläutern, in welchem Umfang und aufgrund welcher Maßnahmen die bisher vom gekündigten Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten für diesen zukünftig entfallen. Nur so kann geprüft werden, ob die Entscheidung den dargestellten Voraussetzungen genügt. Der Arbeitgeber muss die Auswirkungen seiner unternehmerischen Vorgaben und Planungen auf das erwartete Arbeitsvolumen anhand einer schlüssigen Prognose im Einzelnen darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal ohne überobligationsmäßige Leistungen, dh. im Rahmen ihrer vertraglich geschuldeten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit erledigt werden können ( BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 124/11 - EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 167; 23. Februar 2012 - 2 AZR 548/10  - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 189 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 166).

36

3. Danach hat das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen, wegen der Auflösung der Abteilung Kaufmännische Dienste und der Umverteilung der Aufgaben der Klägerin sei das Bedürfnis für deren Beschäftigung als Leiterin dieser Abteilung entfallen. Es hat festgestellt, die Beklagte habe bereits mit dem Wechsel der Klägerin in die Geschäftsführung einen Teil ihrer Tätigkeiten anderen Mitarbeitern übertragen. Diese seien dadurch nicht überobligatorisch belastet worden. Die übrigen Aufgaben habe die Klägerin zunächst selbst weiter wahrgenommen, nunmehr als Geschäftsführerin. Mit dem Beginn ihrer Elternzeit seien sie dem anderen Geschäftsführer zugefallen. Die Umverteilung der Aufgaben habe sich als praktisch umsetzbar erwiesen.

37

a) Das Landesarbeitsgericht hat damit nicht darauf abgestellt, die Aufgaben der Klägerin seien entfallen. Es hat vielmehr angenommen, sie hätten auf andere Mitarbeiter verteilt werden können, ohne dass es dadurch zu Überlastungen gekommen sei. Da die Umverteilung bereits längere Zeit praktisch umgesetzt war, ging der Einwand der Klägerin ins Leere, ihr Mitgeschäftsführer habe ihre Aufgaben mangels ausreichender Qualifikation gar nicht übernehmen können. Mit der Entscheidung, die Funktion einer Leiterin der Abteilung Kaufmännische Dienste zukünftig einzusparen, war der Arbeitsplatz der Klägerin sodann dauerhaft weggefallen.

38

b) Den maßgeblichen Sachverhalt hat das Landesarbeitsgericht als unstreitig angesehen. Einer Beweisaufnahme bedurfte es damit nicht. Dagegen hat die Klägerin keine zulässigen Verfahrensrügen erhoben. Sie hat nicht dargelegt, an welcher Stelle welchen Schriftsatzes sie Art und Umfang ihrer einzelnen Tätigkeiten und deren Verteilung auf andere Mitarbeiter und ihren Mitgeschäftsführer bestritten habe. Der Hinweis, Frau M sei „letztlich“ für sie eingestellt worden, ist unbeachtlich. Damit hat sie nicht bestritten, dass Frau M die Nachfolgerin derjenigen Mitarbeiterin war, die zuvor einen Teil ihrer - der Klägerin - Aufgaben übernommen hatte.

39

c) Der Beklagten war es trotz der - rechtskräftig festgestellten - Unwirksamkeit der Kündigungen vom 30. Mai und 16. Oktober 2008 nicht verwehrt, die Kündigung vom 28. April 2009 auf die genannten betrieblichen Umstände zu stützen. Dieser Kündigungsgrund wurde in den Vorprozessen materiellrechtlich nicht geprüft. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob allein die „Neuauflage“ der schon zuvor getroffenen, inhaltsgleichen unternehmerischen Entscheidungen vom 9. April 2008 und 1. Oktober 2008, die Abteilung Kaufmännische Dienste aufzulösen, zu einem anderen als dem den Kündigungen vom 30. Mai und 16. Oktober 2008 zugrunde liegenden Lebenssachverhalt führte.

40

4. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Entscheidung der Beklagten, die Abteilung Kaufmännische Dienste aufzulösen, sei nicht missbräuchlich gewesen, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

41

a) Das Berufungsgericht hat alle relevanten Gesichtspunkte berücksichtigt und vertretbar tatrichterlich gewürdigt. Es hat bedacht, dass möglicherweise eine gewisse Verärgerung über die Klägerin Anlass für die Entscheidung war. Es hat angenommen, gleichwohl habe die Beklagte ihre Entscheidungsfreiheit nicht missbraucht. Für die Streichung der Stelle habe es nachvollziehbare wirtschaftliche Gründe gegeben. Die Stelleneinsparung habe nicht bezweckt, die Klägerin daran zu hindern, ihre Rechte in Anspruch zu nehmen. Ebenso wenig habe sie der Umgehung von Schutzbestimmungen gedient. Das Landesarbeitsgericht hat dabei die beträchtliche Zeitspanne seit dem Ende der Elternzeit und dem Teilzeitverlangen der Klägerin sowie den Umstand in Rechnung gestellt, dass die Beklagte sie in ihrem Begehren, Elternzeit in Anspruch zu nehmen, wunschgemäß durch Abberufung als Geschäftsführerin unterstützt und ihrem späteren Teilzeitantrag entsprochen habe.

42

b) Dies lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Der Würdigung des Landesarbeitsgerichts steht nicht entgegen, dass es im Zusammenhang mit der Kündigung vom 16. Oktober 2008 angenommen hatte, der wahre Grund für ihre unternehmerische Entscheidung sei die Verärgerung darüber gewesen, dass die Klägerin auf ihren Posten als Abteilungsleiterin nur in Teilzeit habe zurückkehren wollen. Das betraf allein die damalige Ausübung des Kündigungsrechts und ist für die Beurteilung der hier streitgegenständlichen Kündigung nicht maßgebend.

43

5. Die Kündigung vom 28. April 2009 ist nicht wegen fehlerhafter Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG sozial ungerechtfertigt. Die Klägerin und Frau M sind jedenfalls mit Blick auf die betriebliche Hierarchieebene nicht vergleichbar. Der Klägerin als Abteilungsleiterin waren die Mitarbeiter der Abteilung Kaufmännische Dienste unterstellt. Es ist weder vorgetragen noch objektiv ersichtlich, dass Frau M eine ähnliche hierarchische Stellung einnähme und ihr weitere Mitarbeiter - etwa aus dem kaufmännischen Bereich - unterstellt wären. Für eine solche Annahme reicht der Umstand, dass ihr Gesamtprokura erteilt wurde, nicht aus. Die Erteilung von Prokura ist nicht zwingend an eine hierarchische Position geknüpft.

44

III. Die Kündigung ist nicht gem. § 5 TzBfG iVm. § 134 BGB wegen der Inanspruchnahme von Rechten nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz oder gem. § 612a BGB wegen Verstoßes gegen das Maßregelungsverbot unwirksam.

45

1. Eine unzulässige Benachteiligung kann zwar auch darin liegen, dass der Arbeitgeber eine Kündigung ausspricht (Laux/Schlachter TzBfG 2. Aufl. § 5 Rn. 11; vgl. auch BAG 2. April 1987 - 2 AZR 227/86 - zu II 1 d aa der Gründe, BAGE 55, 190). Erforderlich ist aber ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Benachteiligung und der Inanspruchnahme eines Rechts. Bloße Mitursächlichkeit genügt nicht. Die zulässige Rechtsausübung muss der tragende Beweggrund, dh. das wesentliche Motiv für die benachteiligende Maßnahme gewesen sein (BAG 18. September 2007 - 3 AZR 639/06 - Rn. 27, BAGE 124, 71; 22. Mai 2003 - 2 AZR 426/02 - zu B III 2 b der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Wartezeit Nr. 18 = EzA BGB 2002 § 242 Kündigung Nr. 2).

46

2. Im Streitfall gibt es dafür keinen Anhaltspunkt. Das Landesarbeitsgericht hat - zu Recht - angenommen, die unternehmerische Entscheidung der Beklagten, die Abteilung Kaufmännische Dienste aufzulösen, sei nicht rechtsmissbräuchlich gewesen. Dafür, dass dennoch die Inanspruchnahme von Rechten durch die Klägerin und nicht der Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses der tragende Grund für die Kündigung gewesen wäre, ist nach dem festgestellten Sachverhalt nichts ersichtlich.

47

IV. Die Kündigung ist nicht gem. § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Mit Schreiben vom 20. April 2009 hat die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat über die für sie maßgeblichen Umstände unterrichtet. Sie hat sowohl die Umverteilung der Arbeitsaufgaben der Klägerin im Einzelnen dargestellt als auch die vertragliche Rückkehrklausel wiedergegeben. Der Betriebsrat konnte sich damit ein hinreichendes Bild über den Kündigungssachverhalt machen. Das Schreiben enthielt ferner Angaben darüber, warum aus Sicht der Beklagten eine Sozialauswahl entbehrlich war. Vorsorglich waren aber neben den Sozialdaten der Klägerin auch die der Frau M aufgeführt. Außerdem wurde der Betriebsrat darüber unterrichtet, dass der Rechtsstreit über die Wirksamkeit der Kündigung vom 30. Mai 2008 noch nicht abgeschlossen war. Die Angabe weiterer prozessualer Einzelheiten war für die Anhörung zu der beabsichtigten neuerlichen Kündigung nicht erforderlich.

48

V. Die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels hat gem. § 97 ZPO die Klägerin zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

        

        

    Frey    

        

    Perreng    

                 

Tenor

1. Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Stralsund - Kammern Neubrandenburg - vom 24.02.2015, Aktenzeichen 13 BV 3/13, wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten über den Ausschluss des Betriebsratsvorsitzenden aus dem Betriebsrat.

2

Die Antragsteller und Beteiligten zu 1.01) bis 1.50) sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einer Rehabilitationsklinik mit rund 110 Beschäftigten. Der Betriebsrat (Beteiligter zu 3) besteht aus sieben Mitgliedern.

3

Die Arbeitgeberin (Beteiligte zu 4) stellte den Beteiligten zu 2) zum 01.04.2012 als Psychologen ein. Im November 2012 wurde der Beteiligte zu 2) in den Betriebsrat gewählt, dessen Vorsitz er übernahm.

4

Im Februar 2013 suspendierte die Arbeitgeberin ihn vorläufig vom Dienst, was sie in der Hausmitteilung vom 21.02.2013 bekanntgab. Daraufhin unterrichtete der Beteiligte zu 2) am 22.02.2013 die Belegschaft per Mail und per Aushang im Schaukasten des Betriebsrats über den Umfang des Hausverbots und die beabsichtigte Fortführung der Aufgaben als Betriebsratsmitglied.

5

Am 30.07.2013 informierte der Betriebsrat die Beschäftigten per Mail und Aushang über ihre Rechte bei Arbeitsunfähigkeit. In dem Infoblatt heißt es:

6

"…

7

Verhalten bei Arbeitsunfähigkeit (Arbeitsverhinderung)

8

Aus gegebenem Anlass möchten wir Euch auf den § 13 unserer Arbeitsordnung hinweisen, in dem die Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen geklärt ist.

9

In Absatz 3 heißt es dort, dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung spätestens vor Ablauf des dritten Kalendertages nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit vorzulegen ist.

10

Nur in begründeten Einzelfällen ist der Arbeitgeber berechtigt, ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit eine entsprechende Bescheinigung zu verlangen.

11

Die Regel lautet einfach: Zum Arzt müsst Ihr nur dann gehen, wenn absehbar ist, dass Ihr länger als drei Tage krank seid. Ansonsten genügt eine telefonische Mitteilung vor Arbeitsbeginn am ersten Arbeitsunfähigkeitstag mit Eurer Einschätzung, wie lange die Arbeitsunfähigkeit voraussichtlich dauern wird.

12

Bitte informiert uns, wenn Euch widerrechtlich ohne Begründung eine sofortige Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung abverlangt wird.

13

Wir klären noch, ob es erforderlich ist, während der Arbeitsunfähigkeit Telefonate zur Vertretungssituation mit Vorgesetzten zu führen.

14

Euer Betriebsrat

15

…"

16

Am 27.08.2013 gab der Beteiligte zu 2) der Belegschaft die folgenden, kurz zuvor mit der Arbeitgeberin ausgetauschten E-Mails zur Kenntnis, indem er diese weiterleitete und zudem aushängte:

17

"…

18

Von: … Betriebsrat

19

20

der Betriebsrat arbeitet zur Zeit an einer Stellungnahme, ob bzw. wie viele Patienten an Wochenenden in unserem Haus aufgenommen werden (können). Bitte teilen Sie uns mit, aus welchen Gründen Patienten am Wochenende aufgenommen werden, um wie viele Patienten es sich dabei handelt und wie mit den dafür erforderlichen Arbeitszeiten der Therapeuten/Ärzte bzw. Schwestern umgegangen wird. …

21

22

An: … Betriebsrat

23

24

das ist eine interessante frage, ob und warum überhaupt in unserer klinik patienten aufgenommen werden (müssen). für diese diskussion war in der tagesordnung der gestrigen betriebsversammlung leider kein raum mehr.

25

für die konkreteren zahlen genügt übrigens ein blick in die baal (im shiva) - dauert 2 minuten. unser betriebsrat braucht hierfür sicher unterstützung und eine freistellung für einen halben arbeitstag, einschliesslich externer rechtsberatung aus b..

26

27

Von: … Betriebsrat

28

29

Ihre allen Mitarbeitern des Hauses zur Kenntnis gegebene Antwort auf unsere Anfrage ist stillos und unproduktiv. Wir verbitten uns diese Art des Umgangs. Wir gehen davon aus, dass Ihr unten stehendes Schreiben nicht die Meinung der angeschriebenen Mitglieder der Klinikleitung repräsentiert.

30

…"

31

Im September 2013 kam es zur Neuwahl des Betriebsrats, nachdem drei Betriebsratsmitglieder ihr Amt niedergelegt hatten. Der Beteiligte zu 2) wurde wiederum in den Betriebsrat gewählt. Der Betriebsrat bestimmte ihn erneut zum Vorsitzenden.

32

Am 25.09.2013 beschwerten sich drei Psychologinnen bei dem Chefarzt der Psychosomatik über die schwierige Zusammenarbeit mit dem Beteiligten zu 2) und das gestörte Vertrauensverhältnis.

33

Am 01.10.2013 forderte der Betriebsrat bestimmte Freistellungen für den Folgetag, worauf der Leitende Physiotherapeut wie folgt mit E-Mail vom 01.10.2013 erwiderte:

34

"…

35

ich halte das, was aktuell hier abläuft, um es vorsichtig auszudrücken, für wenig zielführend und aus meiner Sicht auch nicht mitarbeiterorientiert.

36

Wie sich die aktuelle krankheitsbedingte Situation in der KG darstellt, muss ich nicht weiter erklären.

37

Sollten jetzt zu den ohnehin schon bereitgestellten BR-Zeiten noch zusätzliche Freistellungen anstehen, würde das die angespannte, kapazitäre Situation noch deutlich verschärfen. Mir, und ich denke ich spreche auch im Namen anderer Kollegen der Abt. KG, fehlt für diese Handlungsweise in der jetzigen Situation jegliches Verständnis.

38

Ich kann den zusätzlichen Freistellungen ausdrücklich nicht zustimmen.

39

…"

40

Am 28.10.2013 wandte sich der Beteiligte zu 2) mit der folgenden, allen Beschäftigten der Klinik zur Kenntnis gegebenen E-Mail an die Arbeitgeberin:

41

"…

42

uns liegen Therapiepläne vor, die am Sonntag, den 27.10.2013 für den 28.10.2013 erstellt wurden. Bitte teilen Sie uns mit, wer diese Therapiepläne erstellt hat und mit welchem Betriebsrat Sie die Anweisung von Sonntagsarbeit in der Therapiedisposition abgestimmt haben.

43

Die Pläne wurden erstellt, nachdem Ihnen bekannt war, dass am Montag, den 28.10.2013 die Betriebsratssitzung ab 9 Uhr stattfindet. Ein Ausweichen auf diesen Termin war nötig geworden, da Sie die Mitarbeiterversammlung am 29.10.2013 ohne Abstimmung mit dem Betriebsrat auf den von Ihnen selbst vorgeschlagenen Termin der Betriebsratssitzung gelegt hatten. Trotzdem wurden bei Betriebsratsmitgliedern Therapien am 28.10.2013 ab 9 Uhr eingetragen.

44

Wir bitten Sie, auch das Wohl der Patienten im Auge zu behalten und während bekannter Sitzungszeiten keine Therapien planen zu lassen. Wir weisen hiermit alle Mitarbeiter unseres Hauses darauf hin, dass dieses Problem nicht nur den Betriebsrat betrifft, sondern auch in unserer täglichen Arbeit Doppeltaktungen von Besprechungen und Patientenversorgung vorkommen.

45

Eine Kopie dieses Schreibens hängen wir im Schaukasten des Betriebsrats zur Einsichtnahme für Mitarbeiter ohne E-Mail-Zugang aus und bitten Sie, die betreffenden Mitarbeiter darüber zu informieren.

46

…"

47

Am 01.11.2013 beantwortete der Beteiligte zu 2) eine E-Mail der Arbeitgeberin vom Vortag zum Standort des Schaukastens, die er am 01.11.2013 im Schaukasten aushängte. In den E-Mails heißt es:

48

"…

49

An: … Betriebsrat

50

51

wir teilen Ihnen mit, dass der Schaukasten des Betriebsrats, der mittlerweile von Ihnen zur Veröffentlichung betriebsinterner Angelegenheiten genutzt wird, an eine für alle Mitarbeiter zugänglichen Stelle unserer Klinik umgesetzt wird.

52

Dass Patienten und Besucher sich über Interna unserer Klinik informieren können, ist damit so weit wie möglich ausgeschlossen.

53

Bitte händigen Sie uns bis zum Freitag, den 01.11.2013, 12.00 Uhr, den Schlüssel des Schaukastens aus, damit die Demontage vorgenommen werden kann.

54

55

Von: … Betriebsrat

56

57

vielen Dank für Ihr Schreiben vom 30.10.2013. Zunächst freuen wir uns, dass die vorherige BR-Vorsitzende der kaufmännischen Direktion neben ungehindertem Zugang zum Betriebsratsbüro nicht auch noch den Schlüssel zu unserem Schaukasten überlassen hat.

58

Wir werden ihr Anliegen in der nächsten Betriebsratssitzung diskutieren und bis dahin können Sie uns vielleicht mitteilen, ob Sie beim Schaukasten des Betriebsrats ein Mitbestimmungsrecht des BR sehen und wo Sie beabsichtigen, den Schaukasten aufzuhängen.

59

…"

60

Mit E-Mail vom 01.11.2013 lud der Beteiligte zu 2) die Geschäftsführung der Komplementärgesellschaft zu einer Betriebsversammlung am 13.11.2013 ein. Die Beschäftigen der Klinik und die Betriebsräte anderer Häuser des Konzerns erhielten die E-Mail zur Kenntnis. Dort heißt es:

61

"…

62

in unserer Mitarbeiterversammlung am Dienstag, den 29.10.2013, hat der Chefarzt unserer Fachklinik für Psychosomatik, Herr Dr. …, in einem angeblich durch Sie autorisierten Vortrag einige unzureichend informierte Mitarbeiter unserer Klinik mit der Behauptung in Angst und Schrecken versetzt, dass unsere Arbeitsplätze verloren gehen, wenn der gewählte Betriebsrat im Amt bleibt. Als Termin für die angeblich bevorstehende Schließung unserer Klinik nannte Herr Dr. … bereits am Freitag, den 25.10.2013, in einer interdisziplinären Teambesprechung den Sommer 2014.

63

Herr Dr. … hat sich auch zu der Behauptung hinreißen lassen, der Betriebsratsvorsitzende sei ein Kamikazeflieger, der bereits drei Einsätze in anderen Unternehmen hinter sich habe.

64

65

Der Betriebsrat arbeitet unermüdlich für den dauerhaften Erhalt unserer Arbeitsplätze und möglichst gesundheitsförderliche und motivierende Arbeitsbedingungen, für eine gute Qualifizierung unserer Mitarbeiter und für eine faire Bezahlung. Leider müssen wird dabei erleben, dass die Herren …, … und … die einzelnen Betriebsratsmitglieder auf der individualarbeitsrechtlichen und persönlichen Ebene derart angreifen, dass an eine sachdienliche Auseinandersetzung im Moment nicht zu denken ist. Den Krankenstand in unserer Klinik und im Betriebsrat zu erwähnen erübrigt sich wahrscheinlich.

66

Wir möchten Sie zu unserer Betriebsversammlung am 13.11.2013 zwischen 14 und 16 Uhr einladen und Sie bitten, unsere Kolleginnen und Kollegen darüber aufzuklären, dass wir Teil eines großen und wirtschaftlich ausgesprochen erfolgreichen Konzerns sind und Arbeitsplätze nicht dadurch gefährdet werden, dass ein Betriebsrat seine Mitbestimmungsrechte und den dazu nötigen Respekt einfordert. Die unsachlichen und rein auf die Person der einzelnen Betriebsratsmitglieder zielenden Angriffe der letzten Monate verschlingen kostbare Arbeitszeit und den Mitarbeitern und Patienten fehlt dafür nachvollziehbarer Weise das Verständnis.

67

Zum Abschluss der Versammlung hat Herr Dr. … noch etwas leider allzu wahres gesagt: Wir hätten auch dann Probleme alle Therapieanforderungen in unserer Klinik umzusetzen, wenn es keine Ausfälle durch Krankheit oder Betriebsratsarbeit gäbe.

68

…"

69

Die Arbeitgeberin erwiderte darauf mit E-Mail vom 05.11.2013, ebenfalls zur Kenntnis an alle Klinikmitarbeiter:

70

"…

71

wir haben heute eine Einladung zur Betriebsversammlung am 13.11.2013 von Ihnen erhalten.

72

Dieser Termin wurde von Ihnen festgelegt, ohne dass er zuvor mit uns besprochen, geschweige denn abgestimmt worden ist, wie es normalerweise üblich ist.

73

Da ich in der Tagesordnung auch über betriebliche Belange berichten soll, muss ich Ihnen leider mitteilen, dass ich an diesem Tag einen seit langem geplanten Termin außerhalb der Klinik wahrnehmen muss. Auch die Kurzfristigkeit dieser Einladung hätte es ohnehin nicht zugelassen, dass ich mich auf diesen Tagesordnungspunkt hinreichend hätte vorbereiten können.

74

Aus diesen Gründen sehen wir uns leider gezwungen, diese Betriebsversammlung abzusagen. Wir bieten Ihnen jedoch an, sich unverzüglich mit uns über einen für beide Seiten möglichen Folgetermin abzustimmen.

75

Bitte informieren Sie die Belegschaft, dass dieser Termin nicht stattfindet.

76

Einer Freitaktung der Mitarbeiter kann unter diesen Gesichtspunkten nicht zugestimmt werden.

77

Hinzu kommt, dass aufgrund der Kurzfristigkeit dieses Termins die bedarfsgerechte Versorgung unserer Patienten nicht sichergestellt werden kann.

78

Für Gespräche zur Findung eines neuen Termins stehe ich Ihnen ab dem 11.11.2013 zur Verfügung.

79

…"

80

Der Beteiligte zu 2) beantwortete dieses Schreiben mit der E-Mail vom 06.11.2013 an den kaufmännischen Direktor, wiederum verteilt an alle Mitarbeiter:

81

"…

82

Niemand hat die Absicht, Sie in der bevorstehenden Betriebsversammlung am 13.11.2013 über den TOP 4 berichten zu lassen. Sofern Sie unserer Einladung Folge leisten möchten, geben wir Ihnen gerne Gelegenheit, sich für Ihr ausfälliges Benehmen in der Mitarbeiterversammlung vom 29.10.2013 zu entschuldigen. Für darüber hinausgehende Äußerungen würden wir Ihnen keine Gelegenheit geben. Sie werden Verständnis dafür haben, dass wir uns einen Arbeitgebervertreter, der dem Betriebsratsvorsitzenden öffentlich "krankes Gelaber" vorwirft, vorerst nicht weiter antun möchten.

83

84

Da uns außer Ihrer persönlichen Verhinderung, die einer sachlichen Auseinandersetzung nur zuträglich sein kann, kein weiterer Grund bekannt ist, aus dem die Betriebsversammlung nicht zu dem kommunizierten Termin stattfinden könnte, wird die Betriebsversammlung, wie in der Einladung vom 5.11.2013 mitgeteilt, stattfinden. Wir würden es sehr bedauern, gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen, um mit unseren Kollegen in angemessener Form kommunizieren zu können. Sie dürfen nicht vergessen, dass es gutgläubige Mitarbeiter in unserem Haus gibt, die nach der Mitarbeiterversammlung vom 29.10.2013 tatsächlich Angst um ihre Existenz haben. Diese Ängste müssen und wollen wir schnellstmöglich zerstreuen und hoffen hier auf die Unterstützung der Geschäftsleitung.

85

…"

86

Mit Schriftsatz vom 30.10.2013, beim Arbeitsgericht eingegangen am 11.11.2013, haben 48 Beschäftigte der Klinik das Beschlussverfahren auf Abberufung des Beteiligten zu 2) aus dem Betriebsrat eingeleitet.

87

Wegen der geplanten Betriebsversammlung schrieb der Beteiligte zu 2) am 12.11.2013 eine E-Mail an die Chefärzte, verteilt an alle Mitarbeiter, in der es heißt:

88

"…

89

als Vertreter der Klinikleitung haben Sie in unten stehendem Schreiben die vom Betriebsrat einberufene Betriebsversammlung am 13.11.2013 abgesagt, ohne uns einen Alternativtermin vorzuschlagen.

90

91

Da die Betriebsversammlung nun nicht wie geplant stattfinden kann, möchten wir Ihnen exemplarisch die folgenden, von Kollegen an uns herangetragenen Fragen stellen:

92

Sehr geehrter Herr Dr. …, Sie bieten unter der Internetadresse … Ihre Leistungen unter der Postanschrift einer D. Massagepraxis an. Welche personellen und materiellen Ressourcen unserer Klinik nutzen Sie für diese Tätigkeit und in welcher Form profitiert unser Haus davon?

93

Sehr geehrter Herr Dr. …, auf Ihren Briefbögen als Chefarzt offerieren Sie Verkehrsmedizinische Begutachtungen. Es wurde die Frage gestellt, was Verkehrsmedizin mit Psychosomatik zu tun hat, welche personellen und materiellen Ressourcen unserer Klinik Sie für diese Tätigkeit nutzen und ob unsere Klinik davon profitiert.

94

…"

95

Der Beteiligte zu 2) versandte am 29.11.2013 an die Belegschaft per Mail das folgende Schreiben:

96

"…

97

Soll S. bleiben?

98

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dem Betriebsrat liegt eine Anhörung zur beabsichtigten fristlosen Kündigung unseres Betriebsratskollegen … vor. Unser kaufmännischer Direktor hat uns als Betriebsrat aufgefordert, dieser Kündigungsabsicht bis zum 3.12.2013 zuzustimmen.

100

Zu den Kündigungsgründen führt der kaufmännische Direktor aus, dass das zur Kündigung von Herrn … führende Verhalten sowohl von der gesamten Klinikleitung als auch von einer "Vielzahl von Mitarbeitern unseres Hauses missbilligt" wird. Wir gehen davon aus, dass die wenigsten aus dieser "Vielzahl" von Mitarbeitern wissen, worum es geht.

101

… hatte der Klinikleitung mitgeteilt, dass er im Auftrag des Betriebsrats einen Mitarbeiter unseres Hauses zu einem Personalgespräch mit einem Geschäftsleitungsmitglied … in O. am 22.11.2013 begleiten wird. Dass sich Mitarbeiter in Deutschland bei dieser Art von Personalgesprächen von einem Betriebsratsmitglied ihres Vertrauens begleiten lassen können, ist eine Selbstverständlichkeit und rechtlich unzweifelhaft.

102

In der … Klinik wird dieses Recht verweigert, wie wir auch im Falle unserer Kollegin … erfahren mussten. … hat kurz nachdem sie ein Personalgespräch ohne Begleitung eines BR-Mitglieds abgelehnt hatte, ihren unbefristeten Arbeitsplatz in unserer Klinik verloren.

103

Ist es wirklich Euer Anliegen, dass Betriebsratsarbeit durch fristlose Kündigung bestraft wird?

104

…"

105

Der Betriebsrat hängte das Schreiben auch im Schaukasten aus, den der Hausmeister daraufhin gewaltsam entfernte.

106

Mit dem Schreiben vom 04.03.2014 an den kaufmännischen Direktor versuchte der Beteiligte zu 2), die Freistellungszeiten der Betriebsratsmitglieder zu klären:

107

"…

108

der § 37 BetrVG schreibt vor, dass Mitglieder des Betriebsrats ohne Minderung des Arbeitsentgelts von ihrer beruflichen Tätigkeit im erforderlichen Umfang zu befreien sind.

109

Durch den Umfang der BR-Arbeit sehen Sie die Patientenversorgung gefährdet und erwarten eine Reduktion der BR-Zeiten, anstatt die von der DRV vorgegebenen Stellen zu besetzen.

110

Herr Dr. … war bereit, Herrn … zu 25 % in seiner ärztlichen Tätigkeit zu entlasten. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie auch die übrigen BR-Mitglieder im gleichen Umfang entlasten. Laut Fitting (§ 37, Randnr. 16) obliegen den BR-Mitgliedern nicht unerhebliche Amtspflichten, die im Moment durch den unrechtmäßig vorgenommenen Gehaltsabzug nicht erfüllt werden können.

111

Für die dem Therapieplan unterworfenen BR-Mitglieder gehen wir deshalb von einer erforderlichen pauschalen Freistellung von 10 Stunden in der Woche aus (inklusive BR-Sitzung).

112

Zur Geschäftsführung des Betriebsrats halten wir eine pauschale Freistellung für weitere 10 Stunden für erforderlich, die zunächst vom BR-Vorsitzenden genutzt werden.

113

Eine pauschale Freistellung betrachten wir als Entgegenkommen, um eine Therapieplanung zuverlässiger zu ermöglichen.

114

Beachten Sie bitte, dass zur ordnungsgemäßen Durchführung von BR-Arbeiten keine Zustimmung des Arbeitgebers zur Arbeitsbefreiung erforderlich ist.

115

…"

116

Unter dem 29.04.2014 richtete der Betriebsrat, unterzeichnet von der stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden, ausgehängt im Schaukasten, das folgende Schreiben an die Geschäftsführung der Komplementärin:

117

"…

118

Aufhetzung von Kollegen

119

120

wie Sie wissen, hetzen die Chefärzte Dr. … und Dr. … spätestens seit Oktober 2013 einen Teil unserer Kolleginnen und Kollegen gegen den Betriebsrat auf.

121

In der jüngsten Hetzkampagne haben einige Mitarbeiter unserer Klinik dem Betriebsrat Mobbing und unwürdiges Verhalten vorgeworfen. Es ist die Rede davon, der Betriebsrat fordere die "Entfernung einer Kollegin aus dem Betrieb".

122

Seit Jahren sind in unserem Haus zahlreiche Stellen im Therapiebereich nicht besetzt. Deswegen kommt es zu erheblichen Einschränkungen in der Patientenversorgung, für die Herr … den Betriebsrat verantwortlich machen möchte. Um die Unterbesetzung zu kompensieren geht er mit Abmahnungen und Gehaltskürzungen gegen Betriebsratszeiten vor, verdichtet die Arbeitspläne von Kollegen und setzt zunehmend Praktikanten als billige Arbeitskräfte ein. Durch die eingeschränkte Patientenversorgung entstehen unnötige und teilweise schwerwiegende Konflikte in den beiden Dispositionsbereiche, die dazu geführt haben, dass alle bis Herbst 2013 dort beschäftigten Mitarbeiterinnen dauerhaft erkrankt sind oder unsere Klinik mehr oder weniger freiwillig verlassen. Notwendige Weiterbildungen und Einarbeitungen werden den Mitarbeiterinnen verwehrt, da Herr … seit Jahren, übrigens auch gegenüber der vorherigen Betriebsratsvorsitzenden, nicht bereit ist, die Betriebsvereinbarung zur Fort- und Weiterbildung einzuhalten. Anstatt die zugrunde liegenden Konflikte zu lösen und eine uneingeschränkte Patientenversorgung zu ermöglichen, will Herr … jetzt zusätzliche Stellen im Verwaltungsbereich schaffen.

123

Zwei der auf dem Hetzschreiben vom 15.04.2014 zu erkennenden Unterschriften beunruhigen uns besonders und veranlassen uns, Sie jetzt zu unverzüglichem Handeln aufzufordern. Es handelt sich dabei um die Unterschrift des stellvertretenden Chefarztes der Psychosomatik und die Unterschrift eines Mitarbeiters, der erst am 14.4.2014 seine Arbeit in unserer Klinik aufgenommen hatte. Dem stellvertretenden Chefarzt einer psychosomatischen Fachklinik ... sollte man ein ausreichendes Einschätzungsvermögen und die nötige fachliche Kompetenz zutrauen dürfen, leichtfertige Mobbingvorwürfe zu unterlassen. Ein Mitarbeiter, der sich an seinem zweiten Arbeitstag dazu hinreißen lässt, den Betriebsratmitgliedern Mobbing und unwürdiges Verhalten vorzuwerfen, kann dies nicht aus eigener Kenntnis der entsprechenden Umstände getan haben.

124

Wir erwarten von Ihnen, Herr …, dass Sie als der für Personalangelegenheiten zuständige Geschäftsführer … der Aufhetzung verunsicherter Kolleginnen und Kollegen durch die Mitglieder der Klinikleitung jetzt endgültig Einhalt gebieten. Dazu wird es unumgänglich sein, dass Sie die traditionelle Missachtung der Mitbestimmungsrechte in unserem Haus beenden und nach zwanzig wirtschaftlich außerordentlich erfolgreichen Jahren die Bereitschaft zur gesetzlich geforderten vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat zeigen.

125

In Ihrem offenen Brief vom 12.3.2014 hatten Sie die … Klinik … als eine "Perle" … bezeichnet. Lassen Sie den wirtschaftlichen Glanz dieser Perle endlich auch den in unserem Haus beschäftigten Mitarbeitern zu Gute kommen. Dazu gehört für uns die Besetzung aller im Therapiebereich offenen Stellen mit qualifizierten Fachpersonal und der Verzicht auf die Ausbeutung von Praktikanten. Damit würden die notwendigen Voraussetzungen geschaffen, um die Fluktuation und Krankenquote im Verwaltungsbereich, die jetzt so große Wellen schlägt, zu senken und die unnötigen Konflikte zu beenden.

126

…"

127

Die Antragsteller haben die Ansicht vertreten, dass die Abberufung des Beteiligten zu 2) zwingend notwendig sei, da die Versorgung der Patienten gefährdet und der Betriebsfrieden extrem gestört sei.

128

Der Betriebsratsvorsitzende vertrete nicht die Interessen der Belegschaft, sondern verfolge persönliche Interessen. Er setze andere Mitarbeiter unter Druck, wofür Äußerungen wie "Dich mach ich fertig" exemplarisch seien. Er habe mehrfach Mitarbeiter dazu aufgerufen, dringend erforderliche Überstunden nicht abzuleisten. Durch die von ihm beanspruchten umfangreichen Freistellungen für die Betriebsratsarbeit komme es immer wieder zu kurzfristigen Ausfällen von Therapien und zu Vertretungsfällen, die von Kollegen aufzufangen seien. Er habe mehrfach geäußert, auf die Vertretungssituation bei der Durchführung außerordentlicher Betriebsratssitzungen keine Rücksicht nehmen zu können. Er schädige das Ansehen der Klinik in der Öffentlichkeit, da er einen Großteil der Korrespondenz per Mail an den Vorstand und an andere Betriebsräte des Konzerns verschicke. Darüber hinaus hänge er die Schreiben im Schaukasten aus, was wegen der augenfälligen Querelen zur Verunsicherung von Patienten und Besuchern führe. Der Betriebsratsvorsitzende habe einen derartigen Konfrontationskurs eingeschlagen, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Arbeitgeberin nach den Grundsätzen des § 2 BetrVG nicht mehr möglich sei. Der Betriebsratsvorsitzende handle stets im Alleingang, ohne die anderen Betriebsratsmitglieder einzubeziehen. Der Betriebsrat nicke die Aktionen des Vorsitzenden nur ab.

129

Am 29.10.2013 habe sich der Beteiligte zu 2) während einer Gruppentherapie Autogenes Training in der Zeit von 09:15 bis 09:45 Uhr über seine persönliche Situation als Betriebsratsvorsitzender und die unzulänglichen Freistellungen beklagt, anstatt die Therapie durchzuführen. Das habe zu Beschwerden von Patienten geführt.

130

Die Beteiligten zu 1) haben erstinstanzlich beantragt,

131

den Beteiligten zu 2), Herrn H., aus dem bei der M. D. Klinik F-Stadt gebildeten Betriebsrat auszuschließen.

132

Die Beteiligten zu 2) und 3) haben beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Der Betriebsratsvorsitzende habe keine Amtspflichten verletzt. Selbstverständlich sei es zulässig, angesichts der von der Arbeitgeberin ausgesprochenen und bekannt gegebenen Suspendierung die Belegschaft über die Fortführung der Betriebsratstätigkeit zu unterrichten. Die Aushänge seien notwendig gewesen, da nicht allen Mitarbeitern ein E-Mail-Zugang zur Verfügung stehe. Ebenso selbstverständlich dürfe der Betriebsrat die Arbeitnehmer, wie mit dem Aushang zur Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen geschehen, über ihre Rechte und Pflichten informieren. Abgesehen davon handele es sich um Aushänge und Schreiben des Betriebsrats und nicht des Betriebsratsvorsitzenden. Da der Betriebsratsvorsitzende den Betriebsrat nur im Rahmen der gefassten Beschlüsse vertrete, fehle es schon deshalb an einer dem Beteiligten zu 2) zurechenbaren Amtspflichtverletzung. Der Beteiligte zu 2) habe während der Gruppentherapie am 29.10.2013 nicht gegen seine Schweigepflicht verstoßen. Er bestreitet, dass es zu Patientenbeschwerden gekommen sei. Eine Freistellung für die Betriebsratsarbeit habe er nur in einem solchen Umfang geltend gemacht, wie es erforderlich gewesen sei. Für außerordentliche Betriebsratssitzungen und Betriebsversammlungen habe es stets entsprechende Anlässe gegeben. In der Vergangenheit seien Betriebsratsmitglieder wegen Schwierigkeiten bei der Arbeitsbefreiung gezwungen gewesen, einen Großteil der Betriebsratsarbeit in der Freizeit zu erledigen. Unabhängig davon seien evtl. Verfehlungen aber keinesfalls so schwerwiegend, dass eine Amtsenthebung gerechtfertigt sei.

133

Die Arbeitgeberin hat sich erstinstanzlich dem Antrag der Beteiligten zu 1) angeschlossen.

134

Das Arbeitsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 24.02.2015 zurückgewiesen, weil es an einer groben Pflichtverletzung im Sinne des § 23 Abs. 1 BetrVG fehle. Das Verhalten des Betriebsrats könne nicht dem Vorsitzenden allein zugerechnet werden. Der Betriebsrat habe zwar unnötigerweise Betriebsinterna durch die Aushänge im Schaukasten öffentlich gemacht. Die Veröffentlichungen seien jedoch nicht dem Betriebsratsvorsitzenden als grobe Amtspflichtverletzung zuzuordnen. Darüber hinaus gebe es keine Anhaltspunkte, dass der Betriebsratsvorsitzende missbräuchlich Freistellungen in Anspruch genommen habe. Dem Betriebsrat und seinem Vorsitzenden sei es möglicherweise nicht immer gelungen, den Anlass der Betriebsratstätigkeit ausreichend zu kommunizieren. Die dadurch ggf. hervorgerufene Störung des Betriebsklimas sei aber nicht dem Betriebsratsvorsitzenden als grobe Pflichtverletzung zuzuordnen.

135

Hiergegen wenden sich die Antragsteller mit ihrer fristgerecht eingelegten und begründeten Beschwerde. Die Antragsteller sind der Ansicht, das Arbeitsgericht habe sich nicht ausreichend mit den zahlreichen und detailliert aufgeführten Pflichtverletzungen des Beteiligten zu 2) auseinandergesetzt. Was die Freistellung für Betriebsratsarbeit betreffe, so habe der Betriebsratsvorsitzende durchaus einen Ermessensspielraum. Allerdings habe der Beteiligte zu 2) diesen Spielraum missbraucht, indem er kurzfristig und unnötig spontan die von ihm zu leistenden Dienste abgesagt habe. Der Beteiligte zu 2) habe seine Schweigepflicht verletzt, weil er betriebsinterne Angelegenheiten gegenüber Patienten ausgeplaudert habe. Zudem habe er erheblichen Unfrieden gestiftet. Das Verhältnis zur Klinikleitung sei schwer beschädigt. Der Beteiligte zu 2) meine offenbar, einen persönlichen Kampf mit dem kaufmännischen Leiter der Klinik zulasten der Belegschaft ausfechten zu müssen. Während der Betriebsversammlung am 17.09.2015 habe er die Situation in der Klinik mit der eines Gladiatorenkampfes im alten Rom verglichen, bei dem am Ende das Volk darüber entscheide, wer als Sieger hervorgehe und wer getötet werde. Der Betriebsratsvorsitzende führe sich wie ein Alleinherrscher auf und dulde keinerlei Widerspruch aus den Reihen des Betriebsrats. Die Antragsteller seien nicht mehr bereit, den Beteiligten zu 2) als ihren Betriebsratsvorsitzenden zu akzeptieren.

136

Die Beteiligten zu 1.01) bis 1.50) beantragen,

137
1. den Beschluss des Arbeitsgerichts Stralsund vom 24.02.2015, Aktenzeichen 13 BV 3/13, abzuändern und
138
2. den Beteiligten zu 2), Herrn H., aus dem bei der M. D. Klinik F-Stadt gebildeten Betriebsrat auszuschließen.
139

Die Beteiligten zu 2) und 3) beantragen,

140

die Beschwerde zurückzuweisen.

141

Das Vorbringen der Antragsteller sei nach wie vor ohne Substanz. Es lasse keine schwerwiegenden Pflichtverletzungen erkennen. Der Beteiligte zu 2) bestreitet die Vorwürfe. Insbesondere bestreitet er, die Aushänge im Schaukasten im Alleingang veröffentlicht zu haben.

142

Die Beteiligte zu 4) ist im Beschwerdeverfahren nicht mehr aufgetreten.

143

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle und auf die erstinstanzliche Entscheidung Bezug genommen.

II.

144

Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat den Antrag zu Recht zurückgewiesen.

145

Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 BetrVG kann ein Viertel der wahlberechtigten Arbeitnehmer beim Arbeitsgericht den Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten beantragen.

146

Eine Abwahl des Betriebsrats oder einzelner Mitglieder sieht das Gesetz nicht vor. Ein Abwahlrecht steht weder dem oben genannten Viertel noch einer Mehrheit der wahlberechtigten Arbeitnehmer zu. Es genügt nicht, dass eine nennenswerte Zahl von Arbeitnehmern mit der Arbeit des Betriebsrats oder der eines seiner Mitglieder unzufrieden ist. Der Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat setzt eine grobe Verletzung der gesetzlichen Pflichten voraus.

147

Gesetzliche Pflichten in diesem Sinne sind die Pflichten aus dem Betriebsverfassungsrecht (z. B. LAG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Januar 2015 - 6 TaBV 48/14 - Rn. 50, juris = NZA-RR 2015, 299). Darunter fallen die Pflichten als Betriebsratsmitglied ebenso wie die Pflichten in besonderen Funktionen, wie z. B. als Betriebsratsvorsitzender (LAG Hessen, Beschluss vom 19. September 2013 - 9 TaBV 225/12 - Rn. 32, juris). Von den Amtspflichten zu unterscheiden sind die - jeden Arbeitnehmer treffenden - Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis. Eine Verletzung von Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis rechtfertigt nicht den Ausschluss aus dem Betriebsrat. Der Arbeitgeber kann aber eine solche Pflichtverletzung ggf. zum Anlass nehmen, den Arbeitnehmer abzumahnen oder zu kündigen. Diese Sanktionen sind wiederum ausgeschlossen, wenn ein Betriebsratsmitglied lediglich betriebsverfassungsrechtliche Amtspflichten verletzt (BAG, Beschluss vom 09. September 2015 - 7 ABR 69/13 - Rn. 41, juris = NZA 2016, 57). Es ist jedoch möglich, dass ein bestimmtes Verhalten sowohl Amtspflichten aus dem Betriebsverfassungsrecht als auch die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis verletzt (BAG, Beschluss vom 16. Oktober 1986 - 2 ABR 71/85 - Rn. 26, juris = ZTR 1987, 125; BAG, Urteil vom 25. Mai 1982 - 7 AZR 155/80 - Rn. 24, juris).

148

Darüber hinaus muss es sich um eine grobe Verletzung der Amtspflicht handeln, d. h. eine objektiv erhebliche und offensichtlich schwerwiegende Pflichtverletzung. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalles, insbesondere die betrieblichen Gegebenheiten und der Anlass der Pflichtverletzung. Ein grober Verstoß ist nur anzunehmen, wenn das Betriebsratsmitglied im Betriebsrat nicht mehr tragbar ist (BAG, Beschluss vom 22. Juni 1993 - 1 ABR 62/92 - Rn. 53, juris = NZA 1994, 184; LAG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Januar 2015 - 6 TaBV 48/14 - Rn. 50, juris = NZA-RR 2015, 299; LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 03. Dezember 2013 - 1 TaBV 11/33 - Rn. 73, juris; LAG Hessen, Beschluss vom 13. September 2012 - 9 TaBV 79/12 - Rn. 48, juris). Die Pflichtverletzung muss so schwerwiegend sein, dass das Vertrauensverhältnis zur Belegschaft oder innerhalb des Betriebsrats tiefgreifend erschüttert ist und deshalb der Ausschluss des Betriebsratsmitglieds aus dem Gremium notwendig wird, damit der Betriebsrat die ihm zugewiesenen Aufgaben zukünftig wieder ordnungsgemäß erfüllen kann. Sinn und Zweck des § 23 Abs. 1 BetrVG ist es, die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats zu gewährleisten (BAG, Beschluss vom 05. September 1967 - 1 ABR 1/67 - Rn. 42, juris = MDR 1968, 84; LAG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Januar 2015 - 6 TaBV 48/14 - Rn. 72, juris = NZA-RR 2015, 299; Fitting, BetrVG, 27. Aufl. 2014, § 23, Rn. 18). Die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats kann dadurch bedroht sein, dass Betriebsratsmitglieder ihre Aufgaben stark vernachlässigen. Auch ein querulatorisches oder krankhaft boshaftes Verhalten kann unter Umständen zum Ausschluss führen, wenn das Vertrauen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber oder zwischen Betriebsrat und Belegschaft in einem solchen Maß erschüttert ist, dass der Betriebsrat nicht mehr in der Lage ist, seine gesetzlichen Aufgaben zu erfüllen (BAG, Beschluss vom 05. September 1967 - 1 ABR 1/67 - Rn. 42, juris = MDR 1968, 84).

149

Der Beteiligte zu 2) hat weder seine Amtspflichten als Betriebsratsvorsitzender noch seine Amtspflichten als Betriebsratsmitglied grob verletzt. Die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats ist nicht ernsthaft gefährdet.

150

1. Anberaumung von Betriebsratssitzungen, § 30 BetrVG

151

Die Sitzungen des Betriebsrats finden in der Regel während der Arbeitszeit statt (§ 30 Satz 1 BetrVG). Der Betriebsrat bzw. dessen Vorsitzender bestimmt nach pflichtgemäßem Ermessen, wann, wie oft und wie lange er tagt (BAG, Beschluss vom 03. Juni 1969 - 1 ABR 1/69 - Rn. 16, juris = DB 1969, 1705).

152

Der Betriebsrat hat nach § 30 Satz 2 BetrVG bei der Ansetzung von Betriebsratssitzungen auf die betrieblichen Notwendigkeiten Rücksicht zu nehmen. Betriebliche Notwendigkeiten in diesem Sinne sind solche Gründe, die zwingend Vorrang vor dem Interesse des Betriebsrats auf Abhaltung einer Betriebsratssitzung zu dem von ihm vorgesehenen Zeitpunkt haben (LAG G-Stadt-CD., Beschluss vom 18. März 2010 - 2 TaBV 2694/09 - Rn. 22, juris = ZTR 2010, 491; GK-BetrVG/Raab, 10. Aufl. 2014, § 30, Rn. 7). Die Vorschrift betrifft die zeitliche Lage von Betriebsratssitzungen. Bei der Wahl des Zeitpunktes ist der Betriebsrat nicht völlig frei, sondern gehalten, zwingende betriebliche Belange zu berücksichtigen. Da die Sitzungen des Betriebsrats regelmäßig während der Arbeitszeit stattfinden, ist damit stets ein Eingriff in die betrieblichen Abläufe verbunden, da die Betriebsratsmitglieder in dieser Zeit nicht an ihrem Arbeitsplatz sind.

153

Ein grober Verstoß gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme auf betriebliche Notwendigkeiten liegt vor, wenn der Betriebsratsvorsitzende den Zeitpunkt der Sitzung so wählt, dass der Betriebsablauf ohne Not erheblich gestört wird, indem er z. B. den Zeitraum eines üblicherweise erhöhten Kundenaufkommens herausgreift.

154

Der Beteiligte zu 2) hat bei der Anberaumung von Betriebsratssitzungen nicht grob gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme verstoßen. Bei der Wahl des Zeitpunkts von Betriebsratssitzungen sind nicht nur die Arbeitsaufgaben des Betriebsratsvorsitzenden von Bedeutung, sondern gleichermaßen die Dienstpläne sämtlicher Betriebsratsmitglieder zu berücksichtigen. Es ist nicht ersichtlich, dass und ggf. welche Betriebsratssitzungen ohne Weiteres zu anderen Zeitpunkten hätten stattfinden können, zu denen der damit verbundene Arbeitsausfall der Betriebsratsmitglieder deutlich einfacher hätte bewältigt werden können.

155

2. Freistellung für Betriebsratsarbeit, § 37 BetrVG

156

Nach § 37 Abs. 2 BetrVG sind die Mitglieder des Betriebsrats von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist.

157

Die Erforderlichkeit bestimmt sich danach, ob das Betriebsratsmitglied vom Standpunkt eines vernünftigen Dritten aus bei gewissenhafter Würdigung aller Umstände und Abwägung der Interessen des Betriebs, des Betriebsrats und der Belegschaft die Arbeitsversäumnis für notwendig halten durfte, um eine bestimmte Betriebsratstätigkeit vorzunehmen (BAG, Urteil vom 06. August 1981 - 6 AZR 505/78 - Rn. 22, juris = AP Nr. 39 zu § 37 BetrVG 1972; Fitting, BetrVG, 27. Aufl. 2014, § 37, Rn. 38; Richardi/Thüsing, BetrVG, 15. Aufl. 2016, § 37, Rn. 25). Ein Betriebsratsmitglied, das den Rahmen seiner gesetzlichen Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte auszuschöpfen versucht, überschreitet nicht allein deshalb die Grenzen der Erforderlichkeit (ErfK/Koch, 16. Aufl. 2016, § 37 BetrVG, Rn. 3).

158

Der Beteiligte zu 2) hat seine Betriebsratstätigkeit nicht in einem Umfang ausgedehnt, der weit über den gesetzlichen Rahmen hinausgeht. Er hat nicht den ihm eingeräumten Beurteilungsspielraum grob überschritten. Mit dem Schreiben vom 04.03.2014 hat der Beteiligte zu 2) bei der Arbeitgeberin eine Pauschalierung der Freistellung im Umfang von 10 Stunden pro Woche für jedes Betriebsratsmitglied zuzüglich weiterer 10 Stunden für den Vorsitzenden vorgeschlagen. Diese Forderung erscheint angesichts der Freistellungsregelungen des § 38 Abs. 1 BetrVG nicht völlig überzogen. Danach ist in Betrieben mit in der Regel 200 bis 500 Arbeitnehmern ein Betriebsratsmitglied vollständig von der beruflichen Tätigkeit freizustellen. In Anbetracht einer Mitarbeiterzahl von rund 110 Beschäftigten mag der Vorschlag des Beteiligten zu 2) im oberen Bereich liegen. Eine grobe Pflichtverletzung lässt sich aber weder aus dem Ansinnen einer Pauschalregelung noch aus einer im zeitlichen Ausmaß vergleichbaren praktischen Handhabung herleiten.

159

3. Anberaumung von Betriebsversammlungen, § 44 BetrVG

160

Der Betriebsrat hat einmal in jedem Kalendervierteljahr eine Betriebsversammlung einzuberufen und in ihr einen Tätigkeitsbericht zu erstatten (§ 43 Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Die Betriebsversammlung findet während der Arbeitszeit statt, soweit nicht die Eigenart des Betriebs eine andere Regelung zwingend erfordert (§ 44 Abs. 1 Satz 1 BetrVG).

161

Der Betriebsrat bestimmt den Zeitpunkt der Betriebsversammlung durch Beschluss. Einer Zustimmung des Arbeitgebers bedarf es nicht (ErfK/Koch, 16. Aufl. 2016, §§ 42-46 BetrVG, Rn. 2; Fitting, BetrVG, 27. Aufl. 2014, § 44, Rn. 9; GK-BetrVG/Weber, 10. Aufl. 2014, § 44, Rn. 10). Der Betriebsrat muss den Arbeitgeber frühzeitig über den Zeitpunkt der Versammlung unterrichten, damit dieser die erforderlichen Vorkehrungen zeitgerecht treffen kann (ArbG Darmstadt, Beschluss vom 27. November 2003 - 5 BVGa 39/03 - Rn. 30, juris = AiB 2004, 754). Der Betriebsrat hat bei der Anberaumung einer Betriebsversammlung die betrieblichen Notwendigkeiten zu berücksichtigen und darauf zu achten, dass der Betriebsablauf möglichst wenig gestört und der Arbeitsausfall nach Möglichkeit gering gehalten wird (GK-BetrVG/Weber, BetrVG, 10. Aufl. 2014, § 44, Rn. 10; Richardi/Annuß, BetrVG, 15. Aufl. 2016, § 44, Rn. 18). Zugleich hat der Betriebsrat aber auch die Wünsche der Mitarbeiter zu berücksichtigen, um eine möglichst zahlreiche Teilnahme sicherzustellen.

162

Die Beteiligten zu 2) und 3) haben den Termin der für den 13.11.2013 geplanten Betriebsversammlung nicht zuvor mit der Arbeitgeberin abgestimmt. Wenn auch eine vorherige Absprache zweckmäßig gewesen wäre, um spätere Irritationen innerhalb der Belegschaft zu vermeiden, so liegt darin dennoch keine Pflichtverletzung. Der Betriebsrat war nicht verpflichtet, die Zustimmung der Arbeitgeberin einzuholen. Es handelt sich um eine Frage des Umgangs miteinander. Ein Verstoß gegen Rechtsvorschriften lässt sich daraus nicht herleiten. Die Vorgehensweise bewegt sich noch unterhalb der Schwelle zur rechtlichen Relevanz. Im Übrigen ist der Termin nicht so gewählt, dass der Arbeitsablauf ohne Not besonders und zielgerichtet gestört wird.

163

4. Beeinträchtigung des Betriebsfriedens, § 74 BetrVG

164

Nach § 74 Abs. 2 Satz 2 BetrVG haben Arbeitgeber und Betriebsrat Betätigungen zu unterlassen, durch die der Arbeitsablauf oder der Frieden des Betriebs beeinträchtigt werden. Diese Pflicht trifft nicht nur den Betriebsrat, sondern auch die einzelnen Betriebsratsmitglieder (ErfK/Kania, 16. Aufl. 2016, § 74 BetrVG, Rn. 16; Fitting, BetrVG, 27. Aufl. 2014, § 74, Rn. 27).

165

Der Begriff Betriebsfrieden beschreibt das friedliche, störungsfreie Zusammenleben und Zusammenwirken von Arbeitnehmern, Betriebsrat und Arbeitgeber auf der Grundlage vertrauensvoller Zusammenarbeit (GK-BetrVG/Kreutz, 10. Aufl. 2014, § 74, Rn. 133). Daraus ergibt sich aber nicht ein Verbot, um des lieben Friedens willen auf jeglichen Streit zu verzichten. Der Arbeitgeber kann ebenso wie der Betriebsrat bzw. die Betriebsratsmitglieder die Rechte aus dem Betriebsverfassungsrecht wahrnehmen und ggf. auch gerichtlich durchsetzen (GK-BetrVG/Kreutz, 10. Aufl. 2014, § 74, Rn. 137). Das Betriebsverfassungsgesetz geht davon aus, dass es aufgrund der unterschiedlichen Interessen von Arbeitgeber und Belegschaft durchaus zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat kommen kann (z. B. § 74 Abs. 1 Satz 2, § 76 Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Der Betriebsfriede ist erst beeinträchtigt, wenn Arbeitgeber oder Betriebsrat nicht ihre gegenseitigen Rechte und Befugnisse anerkennen, indem beispielsweise der Betriebsrat in die Leitung des Betriebs eingreift (§ 77 Abs. 1 Satz 2 BetrVG) oder der Arbeitgeber ihm nicht genehme Bekanntmachungen des Betriebsrats am Schwarzen Brett eigenmächtig entfernt (Fitting, BetrVG, 27. Aufl. 2014, § 74, Rn. 31a). Ebenso kann es den Betriebsfrieden beeinträchtigen, wenn die Betriebspartner nicht die zur Lösung von Interessenkonflikten vorgesehenen Verfahren und Wege einhalten (LAG Düsseldorf, Beschluss vom 25. Mai 1976 - 15 TaBV 10/76 - DB 1977, 453) oder in einer Weise miteinander umgehen, die trotz Anerkennung bestehender Interessengegensätze schlechterdings nicht mit dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG) vereinbar ist (Fitting, BetrVG, 27. Aufl. 2014, § 74, Rn. 31; Rieble/Wiebauer, ZfA 2010, 115).

166

Der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit ist Maßstab dafür, wie die Betriebsparteien ihre gegenseitigen Rechte und Pflichten wahrzunehmen und auszuüben haben. Sie müssen dabei auch auf die Interessen der anderen Betriebspartei Rücksicht nehmen (BAG, Beschluss vom 28. Mai 2014 - 7 ABR 36/12 - BAGE 148, 182-192, Rn. 35, juris). Die Vorschrift des § 2 Abs. 1 BetrVG bezieht sich nicht allein auf das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat als Gremium. Auch das einzelne Betriebsratsmitglied ist danach verpflichtet, durch sein Verhalten die Grundlagen des gegenseitigen Vertrauens nicht nachhaltig zu stören. Das einzelne Betriebsratsmitglied hat sich bei seiner Betriebsratstätigkeit innerhalb der Grenzen zu halten, die sich aus den allgemeinen Vorschriften der Rechtsordnung, insbesondere aus denen des Betriebsverfassungsgesetzes ergeben (LAG G-Stadt-CD., Beschluss vom 05. Juni 2014 - 10 TaBVGa 146/14 - Rn. 40, juris = NZA-RR 2014, 538).

167

Die Verbreitung von wahrheitswidrigen und ehrverletzenden Behauptungen über den anderen Betriebspartner kann den Betriebsfrieden ebenso beeinträchtigen wie die zielgerichtete Einbindung von Dritten, z. B. Kunden, in den Konflikt oder der Öffentlichkeit. Arbeitgeber und Betriebsrat sind grundsätzlich berechtigt, die Belegschaft über betriebliche Vorgänge zu unterrichten. Das gilt auch für Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen. Die Betriebspartner dürfen sich im Rahmen der Meinungsfreiheit (vgl. Art. 5 Abs. 1 GG), die wiederum ihre Schranke in den allgemeinen Gesetzen und dem Recht der persönlichen Ehre findet, auch kritisch äußern. Das allein beeinträchtigt noch nicht das störungsfreie Zusammenleben und Zusammenwirken im Betrieb. Der Betriebsfrieden ist erst dann gefährdet, wenn bewusst falsche oder aus dem Zusammenhang gerissene Tatsachen verbreitet werden, um den anderen Betriebspartner in Misskredit zu bringen und verächtlich zu machen. Das gilt für Äußerungen, bei denen nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung von Personen im Vordergrund steht (LAG G-Stadt-CD., Beschluss vom 05. Juni 2014 - 10 TaBVGa 146/14 - Rn. 50, juris = NZA-RR 2014, 538). Sofern diese Grenzen gewahrt sind, ist es im Rahmen der Meinungsfreiheit durchaus gestattet, Meinungsverschiedenheiten betriebsöffentlich mit "härteren Bandagen" auszutragen (LAG Niedersachsen, Beschluss vom 06. April 2004 - 1 TaBV 64/03 - Rn. 22, juris = NZA-RR 2005, 78). Des Weiteren ist der Betriebsrat berechtigt, die Belegschaft über rechtswidrige Maßnahmen des Arbeitgebers, z. B. die Anordnung von Überstunden ohne Beachtung der Mitbestimmungsrechte, zu unterrichten (LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 01. April 2009 - 3 TaBVGa 2/09 - juris; Fitting, BetrVG, 27. Aufl. 2014, § 74, Rn. 36).

168

Der Beteiligte zu 2) hat nach diesen Maßstäben den Betriebsfrieden nicht beeinträchtigt.

169

Er war berechtigt, die Belegschaft am 22.02.2013 per E-Mail und durch Aushang über die Reichweite seiner damaligen Suspendierung und die Fortführung der Betriebsratstätigkeit zu unterrichten. Es kann dahinstehen, ob dieser Sachverhalt, der in eine frühere Amtszeit fällt, den Ausschluss aus einem später gewählten Betriebsrat rechtfertigen kann (vgl. dazu LAG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Januar 2015 - 6 TaBV 48/14 - Rn. 72, juris; LAG München, Beschluss vom 28. April 2014 - 2 TaBV 44/13 - Rn. 132 ff., juris = LAGE § 103 BetrVG 2001 Nr. 17). Die Angaben in der ausgehängten und an die Belegschaft versandten E-Mail entsprechen jedenfalls den Tatsachen. Ehrverletzende Äußerungen gegenüber der Arbeitgeberin oder einzelnen Repräsentanten der Arbeitgeberin enthalten sie nicht. Der Beteiligte zu 2) hat die E-Mail nicht deshalb ausgehängt, um die Patienten gezielt in den Konflikt einzubeziehen, sondern um diejenigen Mitarbeiter ohne E-Mail-Zugang zu unterrichten. Der Betriebsrat muss die Möglichkeit haben, von sich aus mit der Belegschaft in Verbindung zu treten; der innerbetriebliche Dialog ist nicht auf die Durchführung von Betriebsversammlungen oder Sprechstunden beschränkt (BAG, Beschluss vom 29. April 2015 - 7 ABR 102/12 - Rn. 34, juris = NZA 2015, 1397; BAG, Beschluss vom 09. Juni 1999 - 7 ABR 66/97 - BAGE 92, 26-35, Rn. 26, juris).

170

Sofern Patienten durch den Aushang eher zufällig Kenntnis von den betriebsinternen Streitigkeiten erlangt haben, ist damit noch nicht der betriebliche Friede gefährdet. Allein deshalb steht das Unternehmen bzw. der Betrieb noch nicht in einem schlechten Licht dar, wenn auch der ein oder andere Patient aus Neugier heraus Mitarbeiter hierauf angesprochen haben mag. Weder der Beteiligte zu 2) noch der Beteiligte zu 3) haben den Schaukasten gezielt genutzt, um Patienten in ihrem Sinne zu instrumentalisieren und über diesen Weg unzulässig Druck auf die Arbeitgeberin auszuüben. Ebenso wenig haben sie sich gezielt an die Öffentlichkeit, z. B. über Presseorgane, gewandt, um mittels einer drohenden Rufschädigung die Arbeitgeberin zum Einlenken zu bewegen. Im Übrigen dürfte es sich durch Umhängen des Schaukastens vermeiden lassen, dass Patienten von innerbetrieblichen Angelegenheiten erfahren.

171

Das am 30.07.2013 per E-Mail versandte und zugleich ausgehängte Infoblatt zur Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen beeinträchtigt nicht das friedliche, störungsfreie Zusammenwirken im Betrieb. Es enthält keinen Aufruf, vermehrt Arbeitsunfähigkeiten in Anspruch zu nehmen. Der Beteiligte zu 2) und der Beteiligte zu 3) haben sich auf eine sachliche Darstellung der Rechtslage beschränkt. Ob dem Betriebsrat seinerzeit bereits das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 14. November 2012 - 5 AZR 886/11 - (NJW 2013, 892) zur Vorlagepflicht von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bekannt war, ist für die Frage der Auswirkungen auf den Betriebsfrieden unerheblich.

172

Der E-Mail-Verkehr im August 2013 zur Aufnahme von Patienten am Wochenende enthält zwar eine deutliche Kritik am Vorgehen des Betriebspartners. Das betrifft allerdings beide Seiten. Auch die Arbeitgeberin hat ihre Meinung zum Sachverstand des Betriebsrats zugespitzt dargestellt. Der Beteiligte zu 2) hat in seiner Antwort keinen schärferen Ton angeschlagen als zuvor die Arbeitgeberin.

173

Soweit der Beteiligte zu 2) in der E-Mail vom 01.11.2013 die bisherige Betriebsratsvorsitzende wegen der guten Zusammenarbeit mit der Arbeitgeberin kritisiert, hat er sich im Rahmen seiner Meinungsfreiheit bewegt. Das zu bewerten, ist den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Betriebs überlassen. Die Kritik bezieht sich auf die Sache, nämlich die Zusammenarbeit mit der Arbeitgeberin, nicht aber auf die Person der früheren Betriebsratsvorsitzenden.

174

In der E-Mail vom 06.11.2013 hat sich der Beteiligte zu 2) über eine auf ihn bezogene Äußerung des kaufmännischen Direktors auf der Mitarbeiterversammlung am 29.10.2013 beschwert ("krankes Gelaber") und eine Entschuldigung gefordert. Diese E-Mail kann den Betriebsfrieden nur dann beeinträchtigen, wenn sie unwahre Behauptungen enthält. Das ist soweit ersichtlich nicht der Fall.

175

Die E-Mail vom 12.11.2013 enthält keinen persönlichen Angriff auf die Chefärzte. Zum einen handelt es sich um Fragen aus der Belegschaft. Zum anderen sind die Fragen sachbezogen und nicht geeignet, die Chefärzte in ihrer Ehre und ihrem Ansehen zu verletzten. Unwahre Behauptungen werden nicht in den Raum gestellt.

176

Das Schreiben vom 29.11.2013 beeinträchtigt nicht den Betriebsfrieden. Der Beteiligte zu 2) hat die Belegschaft lediglich über die von der Arbeitgeberin beabsichtigte außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds unterrichtet. Es handelt sich nicht um eine unzulässige Stimmungsmache gegen die Arbeitgeberin oder deren Repräsentanten. Der Beteiligte zu 2) war berechtigt, im Namen des Beteiligten zu 3) die von der Arbeitgeberin beabsichtigte Kündigung zu kritisieren und hierüber die Belegschaft zu informieren.

177

Das Schreiben vom 29.04.2014 mit der Überschrift "Aufhetzung von Kollegen" ist nicht vom Beteiligten zu 2) unterzeichnet, sondern von der stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden. Eine Pflichtverletzung des Beteiligten zu 2) lässt sich daraus nicht herleiten. Der Beteiligte zu 2) hat mit dem Schreiben keine wahrheitswidrigen Äußerungen verbreiten lassen, die erkennbar ihm zuzurechnen sind.

178

Soweit der Beteiligte zu 2) in der Betriebsversammlung am 17.09.2015 die Situation in der Klinik mit der eines Gladiatorenkampfes im alten Rom verglichen hat, lässt das zwar ein stark belastetes Verhältnis zwischen Arbeitgeber, Betriebsrat und Belegschaft erkennen. Ein persönlicher, diffamierender Angriff auf bestimmte Personen ist damit aber nicht verbunden. Mit dieser durchaus martialischen Wortwahl hat er nicht direkt oder indirekt zu Gewalttaten aufgerufen. Auch sonst ist nicht ersichtlich, dass der Beteiligte zu 2) Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter konkret bedroht hat. Die Antragsteller konnten ihre Vorwürfe ("Dich mach ich fertig") nicht durch Tatsachen untermauern.

179

Ob die Politik des Betriebsrats und seine Positionierung gegenüber der Arbeitgeberin noch von der Mehrheit der Belegschaft getragen wird, kann dahinstehen. Der Betriebsfrieden ist allein deshalb noch nicht beeinträchtigt. Der Belegschaft steht es frei, zum nächsten Wahltermin entsprechenden Einfluss auf die Zusammensetzung des Betriebsrats zu nehmen.

180

5. Geheimhaltungspflichten, § 79 BetrVG

181

Nach § 79 Abs. 1 Satz 1 BetrVG sind Mitglieder des Betriebsrats verpflichtet, Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse, die ihnen wegen ihrer Zugehörigkeit zum Betriebsrat bekannt geworden und vom Arbeitgeber ausdrücklich als geheimhaltungsbedürftig bezeichnet worden sind, nicht zu offenbaren und nicht zu verwerten. Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse sind Tatsachen, Erkenntnisse oder Unterlagen, die mit einem Geschäftsbetrieb zusammenhängen und die nicht offenkundig sind, also nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt sind und nach dem Willen des Betriebsinhabers aufgrund eines berechtigten wirtschaftlichen Interesses geheim gehalten werden sollen (BAG Urteil vom 10. März 2009 - 1 ABR 87/07 - Rn. 25, juris = NZA 2010, 180; BAG, Beschluss vom 26. Februar 1987 - 6 ABR 46/84 - Rn. 16, juris = NZA 1988, 63). Das betrifft insbesondere Kundenlisten, Kalkulationsunterlagen, Rezepturen, Konstruktionszeichnungen etc.

182

Der Beteiligte zu 2) hat keine Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse offenbart oder verwertet. Er hat keine Tatsachen oder Erkenntnisse verbreitet, die von der Arbeitgeberin ausdrücklich als geheimhaltungsbedürftig bezeichnet worden sind. Sofern er in der Therapiesitzung am 29.10.2013 den Patienten über seine Schwierigkeiten als Betriebsratsmitglied mit der Arbeitgeberin berichtet haben sollte, handelt es sich nicht um ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, das nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt ist und das der Arbeitgeber ausdrücklich als geheimhaltungsbedürftig bezeichnet hat.

183

Ob der Beteiligte zu 2) gegen seine arbeitsvertragliche Pflicht verstoßen hat, die Therapiesitzung fachgerecht und im zeitlich festgelegten Umfang abzuhalten, bedarf hier keiner Entscheidung, da das nicht seine Amtspflichten als Betriebsratsmitglied oder als Betriebsratsvorsitzender betrifft.

III.

184

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor. Das Verfahren wirft keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf.