Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 31. Mai 2016 - 6 Sa 308/15

ECLI:ECLI:DE:LAGRLP:2016:0531.6SA308.15.0A
bei uns veröffentlicht am31.05.2016

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Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 19. Mai 2015 - 2 Ca 107/15 - wird kostenpflichtig mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass auch die die Entfernung der Abmahnungen vom 05. und 08. Dezember 2014 aus der Personalakte betreffenden Klageanträge zu 4 und 5 abgewiesen werden.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung und um dem Kläger erteilte Abmahnungen.

2

Der bei Ausspruch der Kündigung 38-jährige, ledige und niemandem zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit Beginn seiner Ausbildung am 26. August 1993 beim beklagten Chemieunternehmen beschäftigt, zuletzt als Chemikant in dessen PE-Wachsfabrik zu einer Bruttomonatsvergütung von 4.774,22 Euro.

3

Vom 21. August 2014 bis 22. September 2014 wurde der Kläger in eine andere Betriebsabteilung versetzt. Vom 23. September 2014 bis 25. Oktober 2014 wurde er bezahlt von seiner Arbeitsleistung freigestellt. Zwischen den Parteien ist streitig, ob Ursache für die Maßnahmen - wie von der Beklagten behauptet - Unstimmigkeiten zwischen dem Kläger und seinen Schichtkollegen waren. Die Beklagte hat eine Notiz über ein Gespräch vom 05. August 2014 erstellt, wobei der Kläger die zugrundeliegende, ihm auf Bitte kurz überlassene mündliche Mitschrift des Betriebsleiters zerriss. Unter dem 07. August 2014 teilte die Beklagte dem Kläger auch schriftlich einen deswegen mündlich am 05. August 2014 erteilten Verweis mit. Ab 27. Oktober 2014 wurde der Kläger wieder in der PE-Wachsfabrik eingesetzt, ausschließlich in der Tagschicht. In einem Gespräch mit mehreren Teilnehmern am 05. November 2014 erhielt der Kläger aus umstrittenen Gründen im Hinblick auf seine Tätigkeit am Computer vom stellvertretenden Betriebsleiter Dr. W die Anweisung, sich täglich nicht länger als 15 Minuten über Kollegen und das Rapportbuch zu informieren und - in Absprache mit dem Produktionsmeister E. - nur bis zu 15 Minuten täglich Emails zu bearbeiten. Weiter wurde er darauf hingewiesen, dass er verpflichtet sei, die Aufnahme der Tätigkeit, eine Änderung des Arbeitsplatzes, sowie Besprechungen und Pausen beim Zeugen E. an- und abzumelden. Wegen der Einzelheiten der von der Beklagten zum Gespräch gefertigten Email vom 05. November 2014, die an sämtliche Gesprächsteilnehmer, unter diesen der Kläger, versandt wurde, wird auf Bl. 58 f. d. A. Bezug genommen.

4

Die Beklagte auferlegte dem Kläger am 13. November 2014 eine Geldbuße in Höhe von 50,00 Euro wegen Arbeitsverweigerung. Weiter mahnte sie den Kläger mit Schreiben vom 05. Dezember 2014 (Bl. 63 f. d. A.) und 08. Dezember 2014 (Bl. 65 d. A.) wegen Überziehung der festgelegten PC-Zeiten am 13. November 2014 und 19. November 2014 ab. Unter dem 15. Dezember 2014 (Bl. 67 d. A.) und 16. Dezember 2014 (Bl. 68 d. A.) erteilte sie dem Kläger wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Kollegen eine Abmahnung. Wegen der Formulierungen der Abmahnungen im Einzelnen wird auf den Akteninhalt verwiesen. Die von der Beklagten gegenüber dem Kläger erhobenen Vorwürfe sind zwischen den Parteien jeweils streitig.

5

Am 05. Januar 2015 beschwerte sich der Kläger bei den Produktionsmeistern E. und F. über eine Email des Betriebsleiters Dr. K vom 29. Dezember 2014, in der dieser mitteilte, der Kläger habe am 22. Dezember 2014 absprachewidrig die Reparatur einer beauftragten Firma eingestellt, um seine Mittagspause anzutreten. Es kam zu einer inhaltlich streitigen Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und den beiden Meistern. Der Kläger verließ in der Folge das Meisterbüro, ohne an diesem Tag, mit dem ihm vorgesetzten Meister E. die Tagesarbeit abzusprechen. Es ist zwischen den Parteien umstritten, ob der Kläger sich im weiteren Verlauf mehrfach geweigert hat, dies nachzuholen. In der Folge beschloss der stellvertretende Betriebsleiter Dr. W, den Kläger vom Betriebsgelände entfernen zu lassen. Im Beisein des herbeigerufenen Ermittlungsdienstes der Beklagten begab sich der Kläger zur Mittagspause in den Pausenraum. Dass der Ermittlungsdienst den Kläger zuvor erfolglos aufgefordert hatte, das Gelände zu verlassen, hat der Kläger zuletzt bestritten. Die herbeigerufene Polizei legte dem Kläger schließlich Handfesseln an und brachte ihn vor das Werksgelände.

6

Die Beklagte hörte den bei ihr gebildeten Betriebsrat mit Schreiben vom 09. Januar 2015, wegen dessen Inhaltes auf Bl. 94 f. d. A. Bezug genommen wird, zu der beabsichtigten fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Klägers an. Mit Schreiben vom 12. Januar 2015 teilte der Betriebsrat mit, die beabsichtigten Kündigungen zur Kenntnis zu nehmen.

7

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 13. Januar 2015, dem Kläger zugegangen am 16. Januar 2015, fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30. Juni 2015.

8

Der Kläger hat am 27. Januar 2015 beim Arbeitsgericht Ludwigshafen am Rhein Kündigungsschutzklage erhoben. In der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht am 19. Mai 2015 hat der Kläger die Klage um einen Antrag auf Rückzahlung der Geldbuße und verschiedene Anträge auf Entfernung von Abmahnungen erweitert.

9

Er hat erstinstanzlich - soweit vorliegend relevant - im Wesentlichen vorgetragen, er habe am 05. Januar 2015 weder Mitarbeiter beschimpft, noch seine Arbeit verweigert oder Arbeitsanweisungen zu Unrecht verweigert, die beiden Meister hätten sich vielmehr bedrohlich vor ihm aufgebaut. Da nur Dr. W ihm gegenüber weisungsbefugt sei, sei es auch unerheblich, dass er sich später geweigert habe, mit dem Zeugen E. die Tagesarbeit zu besprechen und stattdessen seine Prioritätenliste abgearbeitet habe. Die Mitarbeiter des Ermittlungsdienstes hätten ihn schikaniert und bedroht, obwohl er pünktlich Mittagspause machen müsse und der Mitarbeiter R habe seinen Fuß genau in dem Moment in eine aus Sicherheitsgründen zu schließende Tür gestellt, als er die Tür habe zumachen wollen. Auch die herbeigerufene Polizei habe sich schon auf ihn "eingeschossen" gehabt. Die Abmahnungen vom 05. und 08. Dezember 2014 seien ausweislich seiner Gegendarstellungen vom 11. Dezember 2014 (Bl. 191 f. d. A.) zu Unrecht erteilt worden, da er sich nicht vertragswidrig verhalten habe. Insbesondere habe er sich an die - in minutiöser Taktung ohnehin lebensfremden - zeitlichen Vorgaben gehalten, welche im Übrigen nicht betriebsüblich seien. Die Beklagte habe - wie bereits im November 2014 - am 23. Januar 2015 unberechtigt Werkpost von ihm geöffnet.

10

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

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1. es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 13. Januar 2015 beendet wird,

12

2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1 wird die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Bedingungen als Chemiefacharbeiter weiterzubeschäftigen,

13

3. die Beklagte wird verurteilt, die mit Schreiben vom 13. November 2014 verhängte Geldbuße in Höhe von 50,00 Euro samt Prozesszinsen an den Kläger zurückzuzahlen,

14

4. die Beklagte wird verurteilt, die Abmahnung vom 05. Dezember 2014 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen,

15

5. die Beklagte wird verurteilt, die Abmahnung vom 08. Dezember 2014 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen,

16

6. die Beklagte wird verurteilt, die Abmahnung vom 15. Dezember 2014 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen,

17

7. die Beklagte wird verurteilt, die Abmahnung vom 16. Dezember 2014 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen,

18

8. die Beklagte wird verurteilt, die Abmahnung vom 07. Januar 2015 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen,

19

9. die Beklagte wird verurteilt, die Abmahnung vom 08. Februar 2015 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.

20

10. die Beklagte wird verurteilt, den Verweis vom 05. August 2014 aus der Personalakte des Klägers zu streichen.

21

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

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die Klage abzuweisen.

23

Sie hat erstinstanzlich - soweit vorliegend von Belang - im Wesentlichen vorgetragen, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei ihr nicht mehr zumutbar, da der Kläger Arbeitsanweisungen seiner Vorgesetzten gänzlich missachte und sich nichts mehr sagen lasse. Hintergrund für die Versetzung und Freistellung seien Unstimmigkeiten zwischen dem Kläger und seinen Arbeitskollegen gewesen. Am 05. Januar 2015 habe der aufgebrachte Kläger sich bedrohlich gegenüber dem Produktionsmeister F. aufgebaut und ihn der Lüge bezichtigt. Eine Intervention des vorgesetzten Produktionsmeisters E., dass der Kläger nun die Tagesarbeit absprechen solle, habe dieser ignoriert, beim eigenmächtigen Verlassen des Meisterzimmers die Tür geknallt und nach Aufforderung, zurückzukommen gesagt, mit den Meistern brauche er keine Absprachen zu machen. Mehrfache Ausrufe im Betrieb seien erfolglos gewesen, gegen 9.45 Uhr und 10.20 Uhr habe sich der Kläger gegenüber dem Meister E. anlässlich der Aufforderung, in das Meisterbüro zu kommen, um die Arbeit abzusprechen, weiter geweigert. Gegenüber den Mitarbeitern des Ermittlungsdienstes habe der Kläger vehement bestritten, die Arbeit zu verweigern und sich geweigert, das Gelände zu verlassen, sondern erst einmal Mittagspause gemacht und anschließend zumindest billigend in Kauf genommen, den Mitarbeiter des Erkennungsdienstes R durch kraftvolles Zuziehen einer Tür beinahe zu verletzen. Zu den Vorgaben vom 05. November 2014 zum Umfang von PC-Arbeiten sei es nach verschiedenen Pflichtverstößen des Klägers gekommen. Am 13. November 2014 habe sich der Kläger trotzdem absprachewidrig in der Zeit von 8.00 bis 9.45 Uhr am PC in der Messwarte im HR-Kiosk aufgehalten und Emails verfasst. Am 19. November 2014 habe er wiederum ohne Absprache in der Zeit von 7.10 bis 8.10 Uhr am PC gesessen und Verbesserungsvorschläge gelesen und dies entgegen Aufforderung des Vorgesetzten E. nicht eingestellt.

24

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Teilurteil vom 19. Mai 2015 hinsichtlich des Kündigungsschutzantrages abgewiesen, da die streitgegenständliche Kündigung, zu der der Betriebsrat ordnungsgemäß gehört worden sei, wirksam sei und das Arbeitsverhältnis mit ihrem Zugang beendet habe. Der Kläger habe sich nachhaltig berechtigten Anordnungen der Beklagten widersetzt. Am 05. Januar 2015 habe er sich mehrfach geweigert, der Aufforderung des ihm naturgemäß vorgesetzten Meisters E. zur Absprache des Tagesplans nachzukommen, obwohl er nach dem Gesprächsprotokoll vom 05. November 2014 ausdrücklich darauf hingewiesen worden sei, dass auch die Nichtaufnahme einer zugewiesenen Arbeit durch den Zeugen E. eine Arbeitsverweigerung sei. Die Weigerung habe dann in der Weigerung gegipfelt, das Betriebsgelände zu verlassen. Erst die Polizei habe den uneinsichtigen Kläger entfernen können. Die nachhaltige Arbeitsverweigerung sei nicht die erste gewesen, nachdem der Kläger sich unstreitig entgegen der Weisung des Vorgesetzten E. schon am 19. November 2014 geweigert habe, mit anderer Arbeit zu beginnen, anstatt am PC zu sitzen. Angesichts dieser mehrfachen, sich steigernden Arbeitsverweigerungen sei die Beklagte trotz der allein für den Kläger sprechenden langen Betriebszugehörigkeit zur fristlosen Kündigung berechtigt gewesen, ohne dass es auf die Wirksamkeit der Abmahnungen ankomme, da der Sachverhalt unstreitig sei. Die Beklagte habe sich um Lösungen bemüht und den Kläger für einen Monat bezahlt freigestellt, während der Kläger nicht erkenne, dass er nicht nur die von ihm "für richtig" befundene Arbeit machen müsse, sondern Anweisungen anderer zu befolgen habe. Der uneigentliche Hilfsantrag auf Weiterbeschäftigung sei nicht zur Entscheidung angefallen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf Bl. 275 ff. d. A. Bezug genommen.

25

Der Kläger hat mit am 02. Juli 2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tag Berufung gegen das ihm am 03. Juni 2015 zugestellte Teilurteil eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 27. Juli 2015, bei Gericht eingegangen am gleichen Tag, begründet.

26

Der Kläger macht zur Begründung seiner Berufung nach Maßgabe seiner Berufungsbegründungsschrift vom 27. Juli 2015 und seiner Schriftsätze vom 22. Dezember 2015 und 02. März 2016, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 253 ff., 316 ff. d. A. und 354 ff. d. A.), zweitinstanzlich im Wesentlichen geltend, zwar sei es ab August 2014 zu Kritik der Beklagten an seiner Arbeitsleistung gekommen, allerdings nicht zu Unstimmigkeiten zwischen ihm und Schichtkollegen. Er habe gegen die Abmahnungen wegen der Vorfälle vom 13. und 19. November 2014 Gegendarstellungen eingereicht und die Anweisungen der Meister stets befolgt. Auch am 05. Januar 2015 habe es keine beharrliche Arbeitsverweigerung gegeben. Vielmehr hätten sich die Zeugen E. und F. bedrohlich vor ihm aufgebaut und ihn beschimpft, nicht umgekehrt, Anrufe habe es nicht gegeben und er habe auch nicht behauptet, es gebe nichts zu besprechen und nicht die Tür zugeknallt; die Telefonate habe es nicht gegeben. Auch habe der Werkschutz ihn nicht aufgefordert, das Gelände zu verlassen. Es sei völlig unrealistisch, warum sich sein vorher einwandfreies Verhalten plötzlich geändert haben solle. Auch sei das Arbeitsgericht mit keinem Wort auf seine Gegendarstellungen und auf das unberechtigte Öffnen von Werkpost eingegangen. Er habe die ihm seitens seines Vorgesetzten erstellte Prioritätenliste abgearbeitet und stets korrekt und gewissenhaft seine Arbeiten ausgeführt. Kleinste Verstöße seien sofort geahndet worden. Die wechselnden Verpflichtungen zur Arbeitsausführung hätten immer nur ihn getroffen und die Systematik im Vorgehen der Beklagten (eine Reihe von Abmahnungen, eine ungerechtfertigte Geldbuße, eine Freistellung ohne Angabe von Gründen, eine Versetzung) habe darauf abgezielt, ihn im Sinne von "Bossing" zu zermürben. Die Ernsthaftigkeit der angeblichen Personalgespräche und Hilfsangebote werde bestritten. Zuletzt hat der Kläger vorgetragen, da er keine Niederschrift über die angeblichen Vereinbarungen vom 05. November 2014 erhalten habe, werde bestritten, dass es diese gegeben habe. Die Vorwürfe aus den zu spät erteilten Abmahnungen vom 05. und 08. Dezember 2014 seien unzutreffend und diese aus der Personalakte zu entfernen. Er habe im HR-Kiosk seine Arbeit verrichtet, anderes könne auch niemand bezeugen und das angebliche Lesen und Schreiben von Verbesserungsvorschlägen sei von den angeblichen Vereinbarungen vom 05. November 2014 nicht umfasst. Der Betriebsrat sei nicht vollständig informiert worden, weil ihm von der Beklagten nicht seine Gegendarstellungen mitgeteilt worden seien, auch wenn er diese selbst nicht nur an die Personalabteilung und den Betriebsleiter, sondern auch an den Betriebsrat gesendet habe, allerdings nur per Email ohne rechtsverbindlichen Charakter.

27

Die Berufungskammer hat die Parteien mit Beschluss vom 19. Januar 2016 darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, infolge Unzulässigkeit des Teilurteils die noch in der ersten Instanz anhängigen Klageanträge zu 4) und 5) betreffend der Abmahnungen vom 05. und 08. Dezember 2014 an sich zu ziehen.

28

Der Kläger hat daraufhin zuletzt beantragt,

29

1. das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen zu dem Aktenzeichen 2 Ca 107/15 aufzuheben und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 13. Januar 2015 beendet wurde und

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2. die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom 05. Dezember 2014 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen und

31

3. die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom 08. Dezember 2014 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.

32

Die Beklagte beantragt,

33

die Berufung gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 19. Mai 2015 - 2 Ca 1007/15 - kostenpflichtig zurückzuweisen,

34

die Anträge des Klägers zu 2) und 3) zurückzuweisen, die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnungen vom 05. Dezember 2014 und 08. Dezember 2014 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.

35

Die Beklagte verteidigt das vom Kläger angefochtene Urteil nach Maßgabe der Schriftsätze vom 28. August 2015, 08. Januar 2016 und vom 11. April 2016, auf die Bezug genommen wird (Bl. 273 ff. d. A., 322 d. A. und 364 ff. d. A.), zweitinstanzlich im Wesentlichen wie folgt, die Kündigung sei berechtigt, da beharrlicher als vorliegend Arbeitsanweisungen wohl nicht verweigert werden könnten. Nachdem der Kläger sich erstinstanzlich im Wesentlichen damit begnügt habe, die Weisungskompetenz der Meister E. und F. zu in Abrede zu stellen, bestreite er nun erstmals - wenn auch nur pauschal - die Vorgänge am 05. Januar 2015 und auch die Vorkommnisse um den 05. November 2014 und werde an seine Wahrheitspflicht erinnert. Soweit er bestreite, dass der Wachdienst ihn zum Verlassen des Geländes aufgefordert hätten, möge er bitte doch erklären, was dieser sonst bis zum Eintreffen der Polizei von ihm gewollt haben solle. Die unsubstantiierten Behauptungen des Klägers zu angeblichem "Bossing" seien angesichts der Vielzahl von Lösungsversuchen durch die Beklagte nicht zutreffend. Auch die Beklagte könne sich im Übrigen die Verhaltensänderung des Klägers nicht erklären. Der Kläger habe sich die Verfehlungen wie in den Abmahnungen vom 05. und 08. Dezember 2014 beschrieben zu schulde kommen lassen. Es passe ins Bild des gesamten Prozessverlaufs, dass der Kläger nun erstmals die Vereinbarung vom 05. November 2014 ebenso bestreite, wie - unsubstantiiert - die Abmahnungsvorwürfe, hinsichtlich derer notfalls Beweis zu erheben sei. Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß informiert worden und habe insbesondere über die Gegendarstellungen des Klägers verfügt, die an die Personalabteilung lediglich zur Kenntnisnahme gesendet worden seien.

36

Die Berufungskammer hat aufgrund Beweisbeschlusses vom 31. Mai 2016 Beweis erhoben über die Behauptungen der Beklagten zu den Vorfällen am Morgen des 05. Januar 2015, am 13. November 2014 und 19. November 2014 durch Vernehmung der Zeugen E., F., G. und R. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Bl. 423 ff. d. A. verwiesen.

37

Im Übrigen wird wegen des Sach- und Streitstandes im Berufungsverfahren ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A

38

Die zulässige Berufung ist in der Sache nicht erfolgreich.

39

I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, wurde vom Kläger nach Zustellung des erstinstanzlichen Teilurteils am 03. Juni 2015 mit am 02. Juli 2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tag form- und fristgerecht eingelegt (§ 66 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 519 ZPO) und mit am 27. Juli 2015 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tag rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet (§ 66 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 520 ZPO).

40

II. Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht angenommen, dass bereits die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 13. Januar 2015, die der Kläger fristgemäß nach §§ 4 Satz 1, 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG angegriffen hat, das Arbeitsverhältnis der Parteien zum Zeitpunkt ihres Zugangs am 16. Januar 2015 mit sofortiger Wirkung beendet hat. Allerdings hätte das Arbeitsgericht über die Kündigungsschutzklage nicht gesondert im Wege des Teilurteils entscheiden dürfen, ohne zugleich auch über die Abmahnungen vom 05. und 08. Dezember 2014 zu befinden. Dies hatte die Berufungskammer nachzuholen. Auch insoweit blieb dem Begehren des Klägers der Erfolg jedoch verwehrt.

41

1. Das Arbeitsgericht hat zu Unrecht ein Teilurteil über die Kündigungsschutzklage erlassen, ohne zugleich die Abmahnungen vom 05. und 08. Dezember 2014 zu bescheiden. Die Voraussetzungen für den Erlass dieses Teilurteils nach § 301 Abs. 1 ZPO lagen nicht vor. Dennoch bedurfte es einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 ZPO nicht, da die Berufungskammer den insoweit maßgeblichen Teil des Rechtsstreits, der noch beim Arbeitsgericht verblieben ist, rechtlich und tatsächlich von Amts wegen an sich ziehen und einheitlich entscheiden konnte.

42

1.1. Die Voraussetzungen für ein Teilurteil nach § 301 Abs. 1 ZPO waren im Hinblick auf die Abweisung des Kündigungsschutzantrages nicht gegeben.

43

a) Ist von mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen nur der eine zur Endentscheidung reif, so hat das Gericht sie durch Endurteil als Teilurteil zu erlassen (§ 301 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Hierbei setzt die Entscheidungsreife voraus, dass das Teilurteil unabhängig vom Schlussurteil erlassen werden kann bzw. zwischen dem durch ein Teilurteil entschiedenen Teil einerseits und dem noch nicht entschiedenen Teil andererseits kein Widerspruch entstehen darf; das bedeutet, dass es für den Erlass eines Teilurteils nicht auf solche Urteils- oder Begründungselemente ankommen darf, die auch bei der weiteren Entscheidung über den noch nicht entscheidungsreifen Teil maßgebend sein können (BAG 17. April 2013 - 4 AZR 361/11 - Rn. 12, mwN, zitiert nach juris). Eine solche Gefahr ist namentlich gegeben, wenn in einem Teilurteil aufgrund einer materiellrechtlichen Verzahnung zwischen den prozessual selbständigen Ansprüchen eine Frage entschieden wird, die sich dem Gericht im weiteren Verfahren über die verbleibenden Ansprüche noch einmal stellt oder stellen kann (BGH 11. Mai 2011 - VIII ZR 42/10 - Rn. 14, BGHZ 189, 356). Ein Teilurteil kommt schon dann nicht in Betracht, wenn es eine Vorfrage entscheidet, die sich dem Gericht im weiteren Verfahren noch einmal stellt (BAG 08. September 2011 - 2 AZR 388/10 - Rn. 54, zitiert nach juris). Insoweit kommt es nicht nur auf das entscheidende Gericht selbst an, sondern darüber hinaus auf eine auch nur mögliche abweichende Beurteilung durch das Rechtsmittelgericht (BAG 17. April 2013 - 4 AZR 361/11 - Rn. 12 aaO unter Verweis auf BGH 27. Oktober 1999 - VIII ZR 184/98 - zitiert nach juris).

44

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen durfte ein Teilurteil über den Kündigungsschutzantrag nicht ergehen, ohne auch über die Abmahnungen vom 05. und 08. Dezember 2014 zu befinden. Auch wenn das Arbeitsgericht bei seiner Entscheidung über die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung wegen des Vorfalls vom 05. Januar 2015 die Frage der Berechtigung der von der Beklagten zuvor ausgesprochenen Abmahnungen ausdrücklich hat dahinstehen lassen, hat es zur Begründung des außerordentlichen Kündigungsgrundes Feststellungen getroffen zu vorangegangenen Pflichtverletzungen des Klägers und ist hierbei ua. davon ausgegangen, dass er auch bei dem der Abmahnung vom 08. Dezember 2014 zugrunde liegenden Vorfall vom 19. November 2014 eine Anweisung der Beklagten missachtet hat. Damit hat das Arbeitsgericht zur Begründung seiner Entscheidung über die Kündigung ein Element herangezogen, auf welches es für die Entscheidung über die Abmahnung vom 08. Dezember 2014 erneut ankommt. Gleiches gilt nach Auffassung der Berufungskammer für den Vorfall vom 13. November 2014, den die Beklagte mit der Abmahnung vom 05. Dezember 2014 geahndet hat, da sich der Kläger in beiden Fällen - wie beim Kündigungsvorfall - nach den Behauptungen der Beklagten deren Anweisungen widersetzt hat. Darauf, dass der - im Übrigen bereits erstinstanzlich Gegendarstellungen zur Akte reichende - Kläger den beklagtenseits vorgetragenen Sachverhalt vom 19. November 2014 nach Auffassung des Arbeitsgerichts nicht substantiiert bestritten hat, kam es insoweit nicht entscheidungserheblich an. Schon der zweitinstanzlich geänderte bzw. konkretisierte Sachvortrag des Klägers zu den Vorfällen zeigt, dass widersprüchliche Entscheidungen gerade nicht ausgeschlossen sind, wenn über die Kündigungsschutzklage und die die Abmahnungen vom 05. und 08. Dezember 2014 betreffenden Anträge getrennt im Wege von Teil- und Schlussurteil entschieden wird.

45

1.2. Dem Berufungsgericht war eine Entscheidung in der Sache möglich, ohne dass es einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht bedurft hätte. Es kann dahinstehen, ob entgegen § 68 ArbGG, nach dem eine Zurückverweisung des Rechtsstreits durch das Landesarbeitsgericht an das Arbeitsgerichts wegen eines Mangels des Verfahrens nicht zulässig ist, eine solche im Falle eines unzulässigen Teilurteils nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 ZPO generell in Betracht kommt(vgl. LAG Köln 15. Dezember 2014 - 4 Sa 574/14 - Rn. 28 unter Verweis auf BAG 20. Februar 2014 - 2 AZR 864/12 - Rn. 12 f. und BAG 20. Februar 2014 - 2 AZR 248/13 Rn. 28 f., jeweils zitiert nach juris). Auch wenn man dies annimmt, hat die Berufungskammer vorliegend von einer Zurückverweisung in Ausübung des ihr nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 ZPO zustehenden Ermessens abgesehen und den noch beim Arbeitsgericht anhängigen Teil des Rechtsstreits von Belang - die auf Entfernung der Abmahnungen vom 05. und 08. Dezember 2014 aus der Personalakte des Klägers gerichteten Klageanträge - an sich gezogen (vgl. BAG 20. Februar 2014 - 2 AZR 864/12 - Rn. 23; 24. November 2004 - 10 AZR 169/04 - Rn. 36, BGH 13. Oktober 2000 - V ZR 356/99 - Rn. 16, jeweils zitiert nach juris). Die Berufungskammer vermochte angesichts des beschränkten tatsächlichen Umfangs der noch erstinstanzlich anhängigen, jedoch für die Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag maßgeblichen beiden Anträge - auch und gerade unter Berücksichtigung des im arbeitsgerichtlichen Kündigungsschutzverfahren geltenden besonderen Beschleunigungsgrundsatzes - nicht von einem unbehebbaren Mangel im Verfahren auszugehen, der die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht hätte rechtfertigen können (vgl. LAG Düsseldorf 08. März 2013 - 5 Sa 684/11 - Rn. 72, zitiert nach juris).

46

2. Die Voraussetzungen für eine wirksame außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB liegen vor. Sonstige Unwirksamkeitsgründe sind nicht ersichtlich.

47

2.1. Der Kläger hat der Beklagten durch sein Verhalten am 05. Januar 2015 iSd. § 626 Abs. 1 BGB Anlass für eine außerordentliche Kündigung gegeben, die die Beklagte fristgerecht nach § 626 Abs. 2 BGB ausgesprochen hat.

48

2.1.1. Das Arbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass das dem Kläger vorgeworfene Verhalten den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung rechtfertigt.

49

a) Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände "an sich" und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar war oder nicht (BAG 18. Dezember 2014 - 2 AZR 265/14 - Rn. 14; 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 39; 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 16; jeweils zitiert nach juris).

50

b) Der Kläger hat seine arbeitsvertraglichen Pflichten in erheblicher Weise verletzt, indem er sich am 05. Januar 2015 beharrlich geweigert hat, mit dem ihm vorgesetzten Meister E. die Tagesarbeit abzustimmen.

51

aa) Die beharrliche Weigerung eines Arbeitnehmers, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, ist "an sich" geeignet, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Ein Arbeitnehmer verweigert die ihm angewiesene Arbeit beharrlich, wenn er sie bewusst und nachdrücklich nicht leisten will (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 29; 23. Mai 2013 - 2 AZR 54/12 - Rn. 39; 24. Februar 2011 - 2 AZR 636/09 - Rn. 15, jeweils zitiert nach juris). Ob er zur Arbeitsleistung verpflichtet war, entscheidet sich nach der objektiven Rechtslage. Verweigert der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung in der Annahme, er handele rechtmäßig, hat grundsätzlich er selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als unzutreffend erweist (BAG 22. Oktober 2015 - 2 AZR 569/14 - Rn. 22, zitiert nach juris).

52

bb) Nach Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugen E. und F. steht auch für die Berufungskammer unter Berücksichtigung des gesamten Inhaltes der Verhandlungen zur Überzeugung nach § 286 ZPO fest, dass der Kläger sich am 05. Januar 2015 beharrlich geweigert hat, der Aufforderung des Zeugen E. nachzukommen, die Tagesarbeit mit ihm abzusprechen. Beide Zeugen, hinsichtlich deren Glaubwürdigkeit kein Anlass zu Zweifeln ersichtlich war, haben übereinstimmend bekundet, dass der Kläger am Morgen des 05. Januar 2015 die Bitte des Meisters E., mit ihm die Tagesarbeit abzusprechen, ignoriert, stattdessen das Meisterbüro verlassen und währenddessen seine Auffassung bekräftigt hat, mit den Meistern überhaupt keine Absprachen treffen zu müssen. Beide Zeugen haben auf Befragen die Behauptung des Klägers, die Meister hätten sich bedrohlich vor ihm aufgebaut, nicht bestätigen können; vielmehr hat der Zeuge E. ausgesagt, beide Meister hätten gesessen und der Zeuge F. hat angegeben, der Kläger habe sich vielmehr drohend vor ihm aufgebaut. Weiter hat der Zeuge E. bekundet, den Kläger im Verlauf des Vormittags zum Zwecke der Arbeitsabsprache erneut in der Messwarte aufgesucht und auch telefonisch zu einer solchen aufgefordert zu haben, ohne dass der Kläger dem nachgekommen ist. Beide Zeugen haben ohne Widerspruch ausgesagt, nachdem der Kläger sich zur Absprache nicht bereit erklärt habe, sei der Ermittlungsdienst der Beklagten eingeschaltet worden, um den Kläger vom Gelände zu entfernen. Nachdem auch dies erfolglos geblieben war, entfernte - insoweit unstreitig - die herbeigerufene Polizei den uneinsichtigen Kläger vom Betriebsgelände, was der Zeuge E. bestätigt hat, während der Zeuge F. angegeben hat, zum Zeitpunkt des Eintreffen des Werkschutzes nicht mehr anwesend gewesen zu sein. Angesichts dieser eindeutigen Zeugenaussagen vermochte sich die Berufungskammer dem Vortrag des Klägers, der sämtliche durch die Zeugen bestätigten Vorwürfe zumindest zweitinstanzlich ausdrücklich in Abrede gestellt hat, nicht anzuschließen. Angesichts der Vielzahl der Aufforderungen und der anhaltenden Weigerung des Klägers, den Aufforderungen des Meisters E. nachzukommen, was schließlich in der Entfernung des Klägers in Handfesseln durch die Polizei aus dem Betrieb gipfelte, kann das Verhalten des Klägers auch nach Ansicht der Berufungskammer nicht anders als eine beharrliche Verweigerung der Arbeitsleistung gewertet werden. Der Einwand des Klägers, der Zeuge E. sei ihm gegenüber nicht weisungsbefugt, ändert hieran nichts. Der Meister E. war dem Kläger - wie vom Arbeitsgericht zutreffend festgestellt - nicht nur bereits aufgrund seiner Position objektiv vorgesetzt, sondern die Beklagte hatte den Kläger darüber hinaus jedenfalls in den ihm unstreitig übersandten Abmahnungen mehrfach auf diesen Umstand hingewiesen. Sollte der Kläger trotz allem gegenteiliger Auffassung gewesen sein, änderte diese falsche Einschätzung der Rechtslage an der Beharrlichkeit seiner Pflichtverletzung nichts. Wenn der Kläger schließlich behauptet, eine Prioritätenliste bzw. verbleibende Restaufgaben vom Vortrag abgearbeitet zu haben, macht dies - ungeachtet der Frage, was der Kläger im Einzelnen gemacht haben will - deutlich, dass der Kläger seine persönliche Wertung, welche Arbeiten vorrangig sind, über die Wertung seines Vorgesetzten oder der Beklagten stellt. An dieser Fehleinschätzung hat der Kläger bis zuletzt festgehalten, ohne dass Anhaltspunkte dafür vorgetragen oder sonst ersichtlich gewesen wären, dass er zu einer Verhaltensänderung nicht in der Lage gewesen wäre.

53

c) Der Beklagten war die Weiterbeschäftigung des Klägers auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist in Abwägung der beiderseitigen Interessen der Parteien nicht zuzumuten.

54

aa) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Im Vergleich zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung kommen als mildere Mittel insbesondere eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung in Betracht. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 21, zitiert nach juris; 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 47; 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 15 mwN, jeweils zitiert nach juris).

55

bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Arbeitsgericht zu Recht angenommen, dass das Interesse der Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses das Interesse des Klägers an dessen Fortbestand auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist überwiegt.

56

(1) Zu Gunsten des nicht unterhaltspflichtigen und bei Kündigungsausspruch erst 38-jährigen Klägers ist zweifellos dessen langjährige Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen, während der - soweit ersichtlich - bis August 2014 eine nennenswerte Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien nicht vorgelegen hat. Allein die lange beanstandungsfreie Betriebszugehörigkeit des Klägers vermag jedoch nicht die erhebliche und nachhaltige Arbeitsverweigerung aufzuwiegen, derer sich der Kläger am 05. Januar 2015 schuldig gemacht hat. Der eigensinnig erscheinende Kläger hat an diesem Tag klar zu erkennen gegeben, dass er gewillt ist, Arbeitsanweisungen über mehrere Stunden so lange zu ignorieren, bis der Beklagten keine andere Möglichkeit mehr bleibt, als ihn mithilfe der Polizei des Betriebsgeländes zu verweisen. Dass es sich hierbei nicht um ein einmaliges Widersetzen handelte, hat das Arbeitsgericht zu Recht betont, nachdem der Kläger bereits im August 2014 eine Gesprächsnotiz des Betriebsleiters zerrissen hatte und auch im Rechtsstreit keine Reue hat erkennen lassen. Auch die Berufungskammer geht davon aus, dass unter diesen Umständen eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger auch nur für wenige Monate bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht denkbar ist.

57

(2) Die Beklagte war nicht auf mildere Mittel als den Ausspruch der Kündigung zu verweisen. Abgesehen davon, dass - unabhängig von deren Anlässen - weder die im Sommer 2014 erfolgte zeitweise Umsetzung des Klägers noch dessen bezahlte Freistellung über ca. einen Monat den Vorfall vom 05. Januar 2015 verhindern konnte, war vorliegend zu berücksichtigen, dass die Beklagte den Kläger bereits am 05. und 08. Dezember 2014 rechtmäßig abgemahnt hatte, nachdem er sich bereits sowohl am 13., als auch am 19. November 2014 Arbeitsanweisungen widersetzt hatte. Valide Anhaltspunkte für die Behauptung des Klägers, er sehe sich systematischen ungerechtfertigten Angriffen durch die Beklagte wegen Kleinigkeiten ausgesetzt, vermochte die Berufungskammer angesichts der tatsächlich erfolgten Pflichtverletzungen des Klägers nicht zu sehen, ohne dass es noch auf die vom Kläger behauptete unberechtigte Öffnung von Werkpost durch die Beklagte angekommen wäre.

58

(2.1.) Nach Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugen E., G. und R steht für die Berufungskammer unter Berücksichtigung des gesamten Inhaltes der Verhandlungen fest, dass der Kläger, der jedenfalls zweitinstanzlich die abgemahnten Pflichtverletzungen in Abrede gestellt hat, sich wie von der Beklagten behauptet am 13. und am 19. November 2014 länger in der Messwarte mit Computer-Tätigkeiten aufgehalten hat, als ihm dies in der klaren Anweisung vom 05. November 2014 zugebilligt war. In der Gesprächsnotiz vom 05. November 2014, die ausweislich des entsprechenden Verteilers auch dem Kläger per Email erhalten hat und die ihm damit entgegen der offenbar von ihm vertretenen Ansicht spätestens auf diesem Weg in ausreichender Form zur Kenntnis gelangt ist, hat die Beklagte deutlich festgehalten, dass der Kläger täglich 15 Minuten Zeit für die Rapportbuchkontrolle am Computer erhält und ihm zudem bis zu 15 Minuten Zeit eingeräumt werde, in Absprache mit dem Meister E. seine Emails zu bearbeiten. Dennoch haben die Zeugen E., G. und R übereinstimmend ausgesagt, dass sich der Kläger an den von der Beklagten angegebenen Tagen und Zeiten länger als während der von ihm zugewiesenen Rahmenzeiten am Computer aufgehalten hat. Der Zeuge G. hat dies für den 13. November 2014 glaubhaft bestätigt, unter Angabe von Details wie der Tatsache, dass er den Vorfall zusammen mit dem Schichtführer W festgestellt hat, dass es gegen 9.00 Uhr gewesen sein müsse, weil es draußen schon hell gewesen sei und dass er davon ausgehe, dass der Kläger von der Maske des Computers her Emails bearbeitet habe und im HR-Kiosk tätig gewesen sei. Der Zeuge R konnte sich als stellvertretender Schichtführer daran erinnern, dass der Kläger für den 19. November 2014 als Unterstützung vorgesehen war, jedoch gegen 7.45 Uhr noch immer am Computer in der Messwarte saß und diesen trotz gegenteiliger Aufforderung des Zeugen E. und erneuter Aufforderung des Zeugen R bis 8.10 Uhr nicht verlassen hat. Der Zeuge R hat deutlich gemacht, dass der Kläger währenddessen jedenfalls nicht der ihm zugewiesenen Tätigkeit nachgegangen ist. Der Zeuge E. hat während seiner Vernehmung die Aussagen der Zeugen G. und R bestätigt, die ihn darauf hingewiesen hätten, dass der Kläger sich nicht an die Absprache halte, und hat bekundet, den Kläger hierauf angesprochen und ihn erfolglos aufgefordert zu haben, die Arbeit aufzunehmen. Veranlassung, an der Glaubwürdigkeit der Zeugen zu zweifeln, hatte die Berufungskammer nicht.

59

(2.2.) Nachdem die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 05. und 08. Dezember 2014 unter Androhung kündigungsrechtlicher Konsequenzen abgemahnt hat, ohne dass der Kläger sich dies zur Warnung hätte dienen lassen, ist die Beklagte auf den Ausspruch weiterer Abmahnungen, deren positiver Einfluss auf das Arbeitsverhältnis unter keinem Gesichtspunkt erkennbar war, nicht zu verweisen. Ob auch die anderen Abmahnungen oder die Auferlegung der Geldbuße zu Recht erfolgt sind, konnte für die Frage der Wirksamkeit der Kündigung dahinstehen.

60

2.1.2. Die Beklagte hat die Kündigung fristgerecht nach § 626 Abs. 2 BGB erklärt, da die außerordentliche Kündigung dem Kläger am 13. Januar 2015 und damit innerhalb von zwei Wochen nach dem Kündigungsvorfall am 05. Januar 2015 zugegangen ist.

61

2.2. Die Beklagte hat den Betriebsrat entgegen der Auffassung der Berufung ordnungsgemäß vor Ausspruch der Kündigung beteiligt. Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Gemäß Satz 2 der Bestimmung hat ihm der Arbeitgeber die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Nach Satz 3 ist eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung unwirksam. Der notwendige Inhalt der Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG richtet sich nach Sinn und Zweck der Anhörung. Dieser besteht darin, den Betriebsrat in die Lage zu versetzen, sachgerecht, dh. ggf. zugunsten des Arbeitnehmers auf den Arbeitgeber einzuwirken. Der Betriebsrat soll die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe überprüfen und sich über sie eine eigene Meinung bilden können; die Anhörung soll dem Betriebsrat nicht die selbständige - objektive - Überprüfung der rechtlichen Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung, sondern ggf. eine Einflussnahme auf die Willensbildung des Arbeitgebers ermöglichen (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 15/15 Rn. 15 mwN, zitiert nach juris). Dem ist die Beklagte vorliegend nachgekommen. Der Kläger hat nicht in Abrede gestellt, dass die Beklagte den Betriebsrat mit Schreiben vom 09. Januar 2015 umfangreich zu der beabsichtigten fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Klägers angehört und dieser mit Schreiben vom 12. Januar 2015 abschließend mitgeteilt hat, die beabsichtigten Kündigungen zur Kenntnis zu nehmen. Die Berufung hält die Anhörung allein für unvollständig, weil die Beklagte dem Betriebsrat die Gegendarstellungen des Klägers zu den Abmahnungen nicht hat zukommen lassen. Dem vermochte die Berufungskammer sich im vorliegenden Fall nicht anzuschließen. Zwar gehört zu einer vollständigen und wahrheitsgemäßen Information des Betriebsrates auch die Unterrichtung über dem Arbeitgeber bekannte und für eine Stellungnahme des Betriebsrats möglicherweise bedeutsame Tatsachen, die den Arbeitnehmer entlasten und deshalb gegen den Ausspruch einer Kündigung sprechen können (BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 352/11 - Rn. 41, zitiert nach juris). Vorliegend hat der Kläger seine Gegendarstellungen jedoch ausweislich des entsprechenden Email-Verteilers in erster Linie für die Beklagte ersichtlich an den Betriebsrat gerichtet und sie der Personalabteilung und dem Betriebsleiter lediglich in Kopie zukommen lassen. Vor dem Hintergrund, dass der Betriebsrat daher offensichtliche Kenntnis über die nach Auffassung des Klägers entlastenden Momente aus seinen Gegendarstellungen hatte, hat die Beklagte den Betriebsrat nicht unvollständig iSd. § 102 Abs. 1 BetrVG informiert.

62

3. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entfernung der Abmahnungen vom 05. und 08. Dezember 2014 aus der Personalakte entsprechend den erstinstanzlichen Klageanträgen zu 4) und 5). Arbeitnehmer können in entsprechender Anwendung von §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangen. Der Anspruch besteht, wenn die Abmahnung inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt (BAG 20. Januar 2015 - 9 AZR 860/13 - Rn. 31, zitiert nach juris). Da die Abmahnungen wegen der Vorfälle vom 13. und 19. November 2014 aus den unter A II 2.1.1. c bb (2) dargestellten Gründen zu Recht erteilt worden sind, scheidet ein Anspruch des Klägers auf Entfernung aus.

B

63

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

64

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht gegeben.

Urteilsbesprechung zu Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 31. Mai 2016 - 6 Sa 308/15

Urteilsbesprechungen zu Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 31. Mai 2016 - 6 Sa 308/15

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Lastenausgleichsgesetz - LAG

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(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 242 Leistung nach Treu und Glauben


Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 72 Grundsatz


(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist.
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 31. Mai 2016 - 6 Sa 308/15 zitiert 17 §§.

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(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt. (2) Die Berufung kann nur eingelegt werden, a) wenn sie in dem Urtei

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 286 Freie Beweiswürdigung


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(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt. (2) Die Berufungsschrift muss enthalten:1.die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;2.die Erklärung, dass gegen dieses Urtei

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(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufung muß innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden. Mit der Zustellung der Berufungsbegründung ist der Berufungsbeklagte auf die Frist für die Berufungsbeantwortung hinzuweisen. Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt.

(2) Die Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung muss unverzüglich erfolgen. § 522 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bleibt unberührt; die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung ergeht durch Beschluss des Vorsitzenden. § 522 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung.

(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt.

(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,

a)
wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist,
b)
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt,
c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder
d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.

(3) Das Arbeitsgericht hat die Berufung zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft
a)
zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen,
b)
über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder
c)
zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt, oder
3.
das Arbeitsgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihm im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.

(3a) Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, ob die Berufung zugelassen oder nicht zugelassen wird, ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Ist dies unterblieben, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden. Über den Antrag kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(4) Das Landesarbeitsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(5) Ist die Berufung nicht zugelassen worden, hat der Berufungskläger den Wert des Beschwerdegegenstands glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides Statt darf er nicht zugelassen werden.

(6) Für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. Die Vorschriften über das Verfahren vor dem Einzelrichter finden keine Anwendung.

(7) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1 und 3, des § 50, des § 51 Abs. 1, der §§ 52, 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, Abs. 2 und 4, des § 54 Absatz 6, des § 54a, der §§ 56 bis 59, 61 Abs. 2 und 3 und der §§ 62 und 63 über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellungen, persönliches Erscheinen der Parteien, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, Güterichter, Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung, Vorbereitung der streitigen Verhandlung, Verhandlung vor der Kammer, Beweisaufnahme, Versäumnisverfahren, Inhalt des Urteils, Zwangsvollstreckung und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen gelten entsprechend.

(8) Berufungen in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind vorrangig zu erledigen.

(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt.

(2) Die Berufungsschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;
2.
die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.

(3) Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsschrift anzuwenden.

(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufung muß innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden. Mit der Zustellung der Berufungsbegründung ist der Berufungsbeklagte auf die Frist für die Berufungsbeantwortung hinzuweisen. Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt.

(2) Die Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung muss unverzüglich erfolgen. § 522 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bleibt unberührt; die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung ergeht durch Beschluss des Vorsitzenden. § 522 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung.

(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt.

(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,

a)
wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist,
b)
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt,
c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder
d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.

(3) Das Arbeitsgericht hat die Berufung zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft
a)
zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen,
b)
über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder
c)
zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt, oder
3.
das Arbeitsgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihm im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.

(3a) Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, ob die Berufung zugelassen oder nicht zugelassen wird, ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Ist dies unterblieben, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden. Über den Antrag kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(4) Das Landesarbeitsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(5) Ist die Berufung nicht zugelassen worden, hat der Berufungskläger den Wert des Beschwerdegegenstands glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides Statt darf er nicht zugelassen werden.

(6) Für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. Die Vorschriften über das Verfahren vor dem Einzelrichter finden keine Anwendung.

(7) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1 und 3, des § 50, des § 51 Abs. 1, der §§ 52, 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, Abs. 2 und 4, des § 54 Absatz 6, des § 54a, der §§ 56 bis 59, 61 Abs. 2 und 3 und der §§ 62 und 63 über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellungen, persönliches Erscheinen der Parteien, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, Güterichter, Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung, Vorbereitung der streitigen Verhandlung, Verhandlung vor der Kammer, Beweisaufnahme, Versäumnisverfahren, Inhalt des Urteils, Zwangsvollstreckung und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen gelten entsprechend.

(8) Berufungen in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind vorrangig zu erledigen.

(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen.

(2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt.

(3) Die Berufungsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Berufungsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die Berufungsbegründung muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge);
2.
die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt;
3.
die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
4.
die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 zuzulassen sind.

(4) Die Berufungsbegründung soll ferner enthalten:

1.
die Angabe des Wertes des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes, wenn von ihm die Zulässigkeit der Berufung abhängt;
2.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.

(5) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden.

Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Im Falle des § 2 ist die Klage auf Feststellung zu erheben, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist. Hat der Arbeitnehmer Einspruch beim Betriebsrat eingelegt (§ 3), so soll er der Klage die Stellungnahme des Betriebsrats beifügen. Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer ab.

(1) Ist von mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen nur der eine oder ist nur ein Teil eines Anspruchs oder bei erhobener Widerklage nur die Klage oder die Widerklage zur Endentscheidung reif, so hat das Gericht sie durch Endurteil (Teilurteil) zu erlassen. Über einen Teil eines einheitlichen Anspruchs, der nach Grund und Höhe streitig ist, kann durch Teilurteil nur entschieden werden, wenn zugleich ein Grundurteil über den restlichen Teil des Anspruchs ergeht.

(2) Der Erlass eines Teilurteils kann unterbleiben, wenn es das Gericht nach Lage der Sache nicht für angemessen erachtet.

(1) Das Berufungsgericht hat die notwendigen Beweise zu erheben und in der Sache selbst zu entscheiden.

(2) Das Berufungsgericht darf die Sache, soweit ihre weitere Verhandlung erforderlich ist, unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an das Gericht des ersten Rechtszuges nur zurückverweisen,

1.
soweit das Verfahren im ersten Rechtszuge an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist,
2.
wenn durch das angefochtene Urteil ein Einspruch als unzulässig verworfen ist,
3.
wenn durch das angefochtene Urteil nur über die Zulässigkeit der Klage entschieden ist,
4.
wenn im Falle eines nach Grund und Betrag streitigen Anspruchs durch das angefochtene Urteil über den Grund des Anspruchs vorab entschieden oder die Klage abgewiesen ist, es sei denn, dass der Streit über den Betrag des Anspruchs zur Entscheidung reif ist,
5.
wenn das angefochtene Urteil im Urkunden- oder Wechselprozess unter Vorbehalt der Rechte erlassen ist,
6.
wenn das angefochtene Urteil ein Versäumnisurteil ist oder
7.
wenn das angefochtene Urteil ein entgegen den Voraussetzungen des § 301 erlassenes Teilurteil ist
und eine Partei die Zurückverweisung beantragt. Im Fall der Nummer 3 hat das Berufungsgericht sämtliche Rügen zu erledigen. Im Fall der Nummer 7 bedarf es eines Antrags nicht.

(1) Ist von mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen nur der eine oder ist nur ein Teil eines Anspruchs oder bei erhobener Widerklage nur die Klage oder die Widerklage zur Endentscheidung reif, so hat das Gericht sie durch Endurteil (Teilurteil) zu erlassen. Über einen Teil eines einheitlichen Anspruchs, der nach Grund und Höhe streitig ist, kann durch Teilurteil nur entschieden werden, wenn zugleich ein Grundurteil über den restlichen Teil des Anspruchs ergeht.

(2) Der Erlass eines Teilurteils kann unterbleiben, wenn es das Gericht nach Lage der Sache nicht für angemessen erachtet.

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Teil-Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 14. Januar 2011 - 18 Sa 744/10 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Eingruppierung des Klägers und sich daraus ergebende Lohnansprüche.

2

Die Beklagte betreibt ein Bauunternehmen und ist kraft Verbandszugehörigkeit tarifgebunden. Der Kläger ist jedenfalls seit 2009 Mitglied der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU).

3

Der Kläger, der eine dreieinhalbjährige Ausbildung zum Kfz-Mechaniker mit Schwerpunkt Nutzkraftwagen-Instandhaltung absolviert hat und über eine Fahrerlaubnis für die (früheren) Klassen 2 und 3 verfügt, ist seit Februar 1999 bei der Beklagten beschäftigt. Er wurde zunächst überwiegend in der Werkstatt und daneben auch als Kraftfahrer tätig. Seit März 2006 arbeitete er überwiegend als Kraftfahrer. Dabei transportierte er auch Gefahrengüter. Er besitzt eine „ADR-Bescheinigung über die Schulung der Führer von Kraftfahrzeugen zur Beförderung gefährlicher Güter“. Seit Januar 2009 wird er nicht mehr in der Werkstatt eingesetzt und verrichtet seit dem Frühjahr 2010 überwiegend Bauhilfstätigkeiten. Er erhielt zuletzt einen Stundenlohn von 12,90 Euro brutto sowie eine Zulage in Höhe von 0,20 Euro brutto je Stunde.

4

Der Kläger hat mit seiner Klage die Ansicht vertreten, er übe eine Tätigkeit iSd. Lohngruppe 3 des Bundesrahmentarifvertrags für das Baugewerbe (BRTV Bau) aus, weshalb ihm die für diese Lohngruppe im Tarifvertrag zur Regelung der Löhne und Ausbildungsvergütungen im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme der fünf neuen Länder und des Landes Berlin (TV-Lohn West) vorgesehene Vergütung zustehe. Für den Zeitraum von Juli bis September 2009 belaufe die sich daraus ergebende Vergütungsdifferenz auf 777,46 Euro. Als gelernter Kraftfahrzeugmechaniker könne er eine anerkannte Ausbildung vorweisen und habe auch Facharbeiten als Kraftfahrzeugschlosser verrichtet. Bei seiner Werkstatttätigkeit habe er Geräte und Maschinen gewartet und betreut. Auch als Kraftfahrer habe er Facharbeiten des Berufsbildes ausgeübt, auch ohne dass es einer Prüfung als Berufskraftfahrer bedurft hätte, da er über die im BRTV Bau alternativ vorgesehenen, durch längere Berufserfahrung erworbenen gleichwertigen Fertigkeiten verfüge. Sein weiterer, außerhalb der Werkstatt erfolgte Einsatz seit Januar 2009 widerspreche der vertraglich vereinbarten Tätigkeit als Betriebsschlosser. Der arbeitsvertragswidrige Einsatz könne nicht zu einem Entzug der vertraglich geschuldeten Vergütung nach der Lohngruppe 3 TV-Lohn West führen.

5

Ferner ergebe sich aus den Regelungen des Tarifvertrags zur Einführung neuer Lohnstrukturen für die gewerblichen Arbeitnehmer des Baugewerbes vom 4. Juli 2002 (TV-Lohnstrukturen) die begehrte Eingruppierung in die Lohngruppe 3 BRTV Bau bzw. zumindest in die Lohngruppe 2a TV-Lohn West. Der TV-Lohnstrukturen habe die Überleitung der bis zum 31. August 2002 nach dem Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV Bau aF) eingruppierten Arbeitnehmer des Baugewerbes geregelt. Nach der zuvor geltenden Vergütungsordnung sei er in die Berufsgruppe M IV BRTV Bau aF einzugruppieren gewesen. Die frühere Berufsgruppe M IV entspreche nach dem TV-Lohnstrukturen der Lohngruppe 3 des neuen Systems, die der Berufsgruppe M V der Lohngruppe 2a des TV-Lohn West.

6

Der Kläger hat, soweit für die Revision von Bedeutung, beantragt:

        

1.    

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 777,46 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24. Oktober 2009 zu zahlen.

        

2.    

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger eine Vergütung nach der Lohngruppe 3 des Tarifvertrags zur Regelung der Löhne und Ausbildungsvergütungen im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme der fünf neuen Länder und des Landes Berlin vom 23. Mai 2009 in Verbindung mit dem Manteltarifvertrag für das Baugewerbe (gewerblicher Arbeitnehmer) zu zahlen.

                 

Hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 2):

        

3.    

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger eine Vergütung nach der Lohngruppe 2a des Tarifvertrags zur Regelung der Löhne und Ausbildungsvergütungen im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme der fünf neuen Länder und des Landes Berlin vom 23. Mai 2009 in Verbindung mit dem Manteltarifvertrag für das Baugewerbe (gewerblicher Arbeitnehmer) zu zahlen.

7

Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag damit begründet, der Kläger sei als Kraftfahrer lediglich nach der Lohngruppe 2 TV-Lohn West zu vergüten. Es gebe keine vertragliche Vereinbarung über eine Tätigkeit als Schlosser. Er sei bis zum Jahr 2008 lediglich für zwei bis maximal drei Monate in den Wintermonaten in der Werkstatt eingesetzt worden. Die Kfz-Mechaniker-Ausbildung sei keine anerkannte Ausbildung im Sinne des BRTV Bau aF. Der Kläger sei kein Berufskraftfahrer und habe keine gleichwertigen Fertigkeiten erworben. Auf den TV-Lohnstrukturen könne er sich nicht berufen. Er sei vor dessen Inkrafttreten weder mit einer Tätigkeit nach der früheren Berufsgruppe M IV BRTV Bau aF noch nach der Berufsgruppe M V BRTV Bau aF beschäftigt gewesen. Eine Überleitung in die Lohngruppe 3 bzw. 2a TV-Lohn West scheide deshalb aus. Die Berufsgruppe M V BRTV Bau aF sei nicht in die Lohngruppe 2a TV-Lohn West überzuleiten gewesen. Im Übrigen seien mögliche Ansprüche verfallen, verjährt oder verwirkt. Der Kläger habe sie über die sieben Jahre seit Inkrafttreten des neuen Lohngruppensystems nicht geltend gemacht.

8

Das Arbeitsgericht hat die Klage, soweit noch rechtshängig, abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers hinsichtlich des Antrags zu 2) durch ein Teilurteil zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision des Klägers ist erfolglos. Das Landesarbeitsgericht konnte durch Teilurteil entscheiden und hat den Feststellungsantrag zu 2) zu Recht abgewiesen.

10

I. Das Landesarbeitsgericht hat entgegen der Auffassung der Revision kein unzulässiges Teilurteil iSv. § 301 ZPO erlassen.

11

1. Der Erlass eines Teilurteils ist nach § 301 Abs. 1 ZPO nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig.

12

Ist von mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen nur der eine zur Endentscheidung reif, so hat das Gericht sie durch Endurteil als Teilurteil zu erlassen (§ 301 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung (zB BAG 23. März 2005 - 4 AZR 243/04 - mwN, BAGE 114, 194; BGH 11. Mai 2011 - VIII ZR 42/10 - mwN, BGHZ 189, 356) und Literatur (zB Zöller/Vollkommer ZPO 29. Aufl. § 301 Rn. 7; Stein/Jonas/Leipold ZPO 22. Aufl. § 301 Rn. 14 ff.; Musielak FS Lüke S. 561, 568 ff.) setzt die Entscheidungsreife voraus, dass das Teilurteil unabhängig vom Schlussurteil erlassen werden kann bzw. zwischen dem durch ein Teilurteil entschiedenen Teil einerseits und dem noch nicht entschiedenen Teil andererseits kein Widerspruch entstehen darf. Das bedeutet, dass es für den Erlass eines Teilurteils nicht auf solche Urteils- oder Begründungselemente ankommen darf, die auch bei der weiteren Entscheidung über den noch nicht entscheidungsreifen Teil maßgebend sein können. Eine solche Gefahr ist namentlich gegeben, wenn in einem Teilurteil aufgrund einer materiellrechtlichen Verzahnung zwischen den prozessual selbständigen Ansprüchen eine Frage entschieden wird, die sich dem Gericht im weiteren Verfahren über die verbleibenden Ansprüche noch einmal stellt oder stellen kann (BGH 11. Mai 2011 - VIII ZR 42/10 - Rn. 14, BGHZ 189, 356). Insoweit kommt es nicht nur auf das entscheidende Gericht selbst an, sondern darüber hinaus auf eine auch nur mögliche abweichende Beurteilung durch das Rechtsmittelgericht (BGH 27. Oktober 1999 - VIII ZR 184/98 -). Ist eine Entscheidung über den Gegenstand des Teilurteils nur möglich, wenn bei der Rechtsanwendung Fragen beantwortet werden, die auch für den verbleibenden Teil des Rechtsstreits von entscheidungserheblicher Bedeutung sind, ist ein Teilurteil unzulässig.

13

Die notwendige Widerspruchsfreiheit bezieht sich allerdings weder auf den Tenor des Teilurteils - dieser bindet das Gericht nach § 318 ZPO ohnehin - noch auf die Beantwortung abstrakter Rechtsfragen im Teilurteil, die für den weiteren Teil des Rechtsstreits von Bedeutung sind oder sein können. An die Beurteilung abstrakter Rechtsfragen in einem abgetrennten Teil des Zivilprozesses ist ein Gericht nicht gebunden; es kann sie im weiteren Verfahren auch abweichend beantworten (BAG 23. März 2005 - 4 AZR 243/04 - BAGE 114, 194; BGH 28. November 2003 - V ZR 123/03 - BGHZ 157, 133).

14

2. Unter Zugrundelegung dieser Kriterien erweist sich das Teilurteil des Landesarbeitsgerichts nicht als unzulässig.

15

a) Das Revisionsgericht ist auch ohne eine - hier allerdings ausdrücklich erhobene - entsprechende Verfahrensrüge gehalten, die Zulässigkeit des Teilurteils zu überprüfen (nunmehr BGH 11. Mai 2011 - VIII ZR 42/10 - Rn. 19 ff., BGHZ 189, 356).

16

b) Das Teilurteil des Landesarbeitsgerichts hat den im Hauptantrag zu 2) geltend gemachten Anspruch des Klägers auf Feststellung der Vergütungsverpflichtung der Beklagten nach der Lohngruppe 3 BRTV Bau verneint und sich bei der Überprüfung insgesamt mit vier verschiedenen Anspruchsgrundlagen befasst, die sämtlich auf unterschiedliche Lebenssachverhalte zurückzuführen sind und deshalb in der Sache jeweils einen eigenen Streitgegenstand bilden.

17

aa) Dabei hat das Landesarbeitsgericht folgende tarifliche Bestimmungen aus dem BRTV Bau, die für das Arbeitsverhältnis der Parteien kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit gelten, als maßgeblich angesehen:

        

„§ 5   

        

Lohn   

        

1. Lohngrundlage

        

…       

        

2. Grundlagen der Eingruppierung

                 

2.1     

Jeder Arbeitnehmer ist unter Beachtung des § 99 des Betriebsverfassungsgesetzes nach den folgenden Grundlagen in eine der Lohngruppen 1 bis 6 einzugruppieren.

                 

2.2     

Für die Eingruppierung des Arbeitnehmers sind seine Ausbildung, seine Fertigkeiten und Kenntnisse sowie die von ihm auszuübende Tätigkeit maßgebend. Die vereinbarte Eingruppierung ist dem Arbeitnehmer innerhalb eines Monats schriftlich zu bestätigen.

                 

2.3     

Führt ein Arbeitnehmer mehrere Tätigkeiten gleichzeitig aus, die in verschiedenen Gruppen genannt sind, wird er in diejenige Gruppe eingruppiert, die seiner überwiegenden Tätigkeit entspricht.

        

…       

        

3. Lohngruppen

                 

Es werden die folgenden Lohngruppen festgelegt:

                 

       

                 

Lohngruppe 3 - Facharbeiter/Baugeräteführer/Berufskraftfahrer -

                 

Tätigkeit:

                 

-       

Facharbeiten des jeweiligen Berufsbildes

                 

Regelqualifikation:

                 

-       

baugewerbliche Stufenausbildung in der zweiten Stufe im ersten Jahr

                 

-       

baugewerbliche Stufenausbildung in der ersten Stufe und Berufserfahrung

                 

-       

anerkannte Ausbildung außerhalb der baugewerblichen Stufenausbildung

                 

-       

anerkannte Ausbildung als Maler und Lackierer, Garten- und Landschaftsbauer, Tischler jeweils mit Berufserfahrung

                 

-       

anerkannte Ausbildung, deren Berufsbild keine Anwendung für eine baugewerbliche Tätigkeit findet, und Berufserfahrung

                 

-       

Berufsausbildung zum Baugeräteführer

                 

-       

Prüfung als Berufskraftfahrer

                 

-       

durch längere Berufserfahrung erworbene gleichwertige Fertigkeiten

        

Tätigkeitsbeispiele:

        

keine“

18

Weiter hat der Kläger seinen Klageanspruch auf die Überleitungsbestimmungen im TV-Lohnstrukturen gestützt, die ua. den folgenden Wortlaut haben:

        

„§ 2   

        

Übergang in die neuen Lohngruppen

        

(1) Zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe vom 4. Juli 2002 gehen die gewerblichen Arbeitnehmer wie folgt in die neuen Lohngruppen über:

        

1.    

Berufsgruppen I bis VIII

        
        

1.1     

Berufsgruppe I

in die Lohngruppe 6

        

…       

…       

…       

        

1.8     

Berufsgruppe VIII

in die Lohngruppe 1

        

2.    

Berufsgruppen M I bis M VI

        
        

2.1     

Berufsgruppe M I

in die Lohngruppe 6

        

…       

…       

…       

        

2.4     

Berufsgruppe M IV

in die Lohngruppe 3

                 

(M IV 1 - M IV 3)

        
        

2.5     

Berufsgruppe M V

in die Lohngruppe 2

                 

(M V 1 - M V 4)

        
        

2.6     

Berufsgruppe M VI

in die Lohngruppe 1

        

(2) … 

        

§ 3     

        

Lohnanspruch nach Übergang

        

(1) Ist der sich nach dem Übergang in die neue Lohnstruktur ergebende neue Gesamttarifstundenlohn niedriger als der bisherige Gesamttarifstundenlohn des gewerblichen Arbeitnehmers, so behält der Arbeitnehmer auch nach In-Kraft-Treten der neuen Lohnstruktur den Anspruch auf seinen bisherigen Gesamttarifstundenlohn (Besitzstandsregelung). Dieser nimmt an zukünftigen tariflichen Lohnerhöhungen teil. …

        

§ 4     

        

Inkrafttreten

        

Dieser Tarifvertrag tritt am 1. September 2002 in Kraft und kann mit einer Frist von sechs Monaten jeweils zum 31. Dezember, erstmals zum 31. Dezember 2006, gekündigt werden.“

19

bb) Über die weiteren Anträge des Klägers, den Hilfsantrag auf Feststellung der Vergütungsverpflichtung nach Lohngruppe 2a TV-Lohn West aufgrund der Überleitung aus der alten Berufsgruppe M V BRTV Bau aF und aufgrund des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes sowie über den unbedingt gestellten bezifferten Zahlungsantrag zu 1), dessen Berechnung sich auf die Differenz zwischen dem gezahlten Lohn und der begehrten Lohngruppe 3 BRTV Bau bezieht, hat das Landesarbeitsgericht keine Entscheidung getroffen.

20

cc) Bei der Anwendung der oa. tariflichen Bestimmungen auf den vom Kläger mit seinem Hauptantrag zu 2) zur Entscheidung gestellten Sachverhalt hat das Landesarbeitsgericht keine entscheidungserhebliche Frage beantwortet, die sich bei der Entscheidung über den Zahlungsantrag zu 1) und den Hilfsantrag zu 3) erneut stellen würde.

21

(1) Zur Begründung seines Hauptantrags zu 2) hat sich der Kläger auf vier verschiedene Anspruchsgrundlagen gestützt.

22

(a) Zum einen hat er die Auffassung vertreten, er erfülle die Anforderungen des Tätigkeitsmerkmals des dritten Spiegelstrichs von Lohngruppe 3 BRTV Bau. Er sei im Jahre 1999 als Schlosser eingestellt worden und zunächst auch tätig gewesen. Die Beklagte dürfe ihn nicht vertragswidrig beschäftigen und sich dann bei der Eingruppierung auf diese vertragswidrige Beschäftigung berufen. Seiner vertraglich geschuldeten Tätigkeit als Schlosser liege eine anerkannte Ausbildung außerhalb der baugewerblichen Stufenausbildung zugrunde.

23

(b) Zum anderen sei er auch in die Lohngruppe 3 letzter Spiegelstrich BRTV Bau einzugruppieren, wenn man seine tatsächlich ausgeübte Tätigkeit als Kraftfahrer zugrunde lege, da er über die einem Berufskraftfahrer gleichwertigen Fertigkeiten verfüge.

24

(c) Weiterhin ergebe sich seine Eingruppierung in die Lohngruppe 3 BRTV Bau aus den anlässlich der grundlegenden Neustrukturierung des BRTV Bau im Jahre 2002 vereinbarten Überleitungsregelungen des TV-Lohnstrukturen, die nach wie vor in Kraft seien. Es spiele keine Rolle, dass er erst zu einem späteren Zeitpunkt Gewerkschaftsmitglied geworden sei. Er sei früher als Baugeräteführer iSv. Berufsgruppe M IV 1 BRTV Bau aF tätig gewesen; daraus ergebe sich nach dem TV-Lohnstrukturen eine Überleitung in die Lohngruppe 3 BRTV Bau.

25

(d) Schließlich müsse man zumindest seine frühere Tätigkeit als Kraftfahrer zugrunde legen, die entsprechend der Berufsgruppe M IV 2 BRTV Bau aF nach dem TV-Lohnstrukturen zu einer Eingruppierung in die Lohngruppe 3 BRTV Bau führe.

26

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Abweisung des Feststellungsantrags zu 2) auf die Nichterfüllung der Anforderungen der Tätigkeitsmerkmale des BRTV Bau und auf die Unanwendbarkeit des TV-Lohnstrukturen gestützt.

27

(a) Da der Kläger schon seit März 2006 überwiegend als Kraftfahrer eingesetzt worden und seit Januar 2009 überhaupt nicht mehr in der Werkstatt tätig gewesen sei, könne er sich auf seine frühere Tätigkeit als Schlosser nicht berufen. Es habe keine vertragliche Abrede des Inhalts gegeben, nach der er ausschließlich oder hauptsächlich als Schlosser in der Werkstatt hätte tätig werden sollen. Zumindest über die Arbeit als Kraftfahrer hätten die Parteien stillschweigend eine vertragliche Vereinbarung getroffen.

28

(b) Als Kraftfahrer erfülle er die Anforderungen des Tätigkeitsmerkmals der Lohngruppe 3 letzter Spiegelstrich BRTV Bau nicht. Er sei kein geprüfter Berufskraftfahrer und verfüge auch nicht über durch längere Berufserfahrung erworbene gleichwertige Fertigkeiten. Hierfür mangele es unter anderem an Kenntnissen der Tank- und Siloreinigung, der Nahrungsmittel- und Gefahrguttransporte sowie der Personenbeförderung mit Kraftomnibussen.

29

(c) Auf eine Überleitung in die Lohngruppe 3 BRTV Bau aus dem bis 2002 geltenden System des BRTV Bau 2001 nach dem TV-Lohnstrukturen könne sich der Kläger schon deshalb nicht berufen, weil der TV-Lohnstrukturen nicht auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbar sei. Dieser Überleitungstarifvertrag habe lediglich zum damaligen Zeitpunkt die Überleitung in das neue Tarifsystem geregelt. Damals sei das alte Tarifsystem aber nicht maßgebend für das Arbeitsverhältnis gewesen, weil der Kläger erst im Jahre 2009 in die Gewerkschaft eingetreten sei. Damit könne keine von den zu diesem Zeitpunkt geltenden Eingruppierungsregelungen im BRTV Bau (neu) unabhängige Eingruppierung begründet werden.

30

(3) Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über den Hauptantrag zu 2) enthält damit keine Begründungselemente, die für die Entscheidung über den verbleibenden Teil des Rechtsstreits, den Hauptantrag zu 1) und den Hilfsantrag zu 3) von Bedeutung sein können und das Berufungsgericht nicht über § 318 ZPO sowieso schon binden.

31

(a) Der Tenor des Teilurteils ist nach § 318 ZPO im weiteren Rechtsstreit verbindlich zugrunde zu legen. Hinsichtlich des Hilfsantrags hat dies keinerlei Auswirkungen, da dieser auf die Feststellung der Vergütungsverpflichtung nach Lohngruppe 2a TV-Lohn West gerichtet ist. Soweit der Hauptantrag zu 1) auf Zahlung gerichtet ist, entfaltet die getroffene Feststellung Bindungswirkung dahin gehend, dass einem etwaigen Restvergütungsanspruch des Klägers jedenfalls nicht die Eingruppierung in die Lohngruppe 3 BRTV Bau zugrunde gelegt werden kann. Das hat zwar unmittelbare Auswirkungen auf die Entscheidung über den Zahlungsantrag. Dies betrifft aber nicht das Gebot der Widerspruchsfreiheit zwischen Teil- und Schlussurteil, da es hier nicht um ein Begründungselement des Teilurteils geht, sondern um den Tenor selbst, an den das Berufungsgericht nach Maßgabe des § 318 ZPO ohnehin gebunden ist.

32

(b) Bei der Widerspruchsfreiheit des entschiedenen Teils zum verbleibenden Teil der Entscheidung über den Hilfsantrag des Klägers auf Feststellung der Lohngruppe 2a TV-Lohn West ist zu differenzieren.

33

(aa) Dieser Hilfsantrag bezieht sich nach der Begründung des Landesarbeitsgerichts ausschließlich auf die Frage, ob ein Verstoß der Beklagten gegen das arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgebot vorliegt, indem die Beklagte andere bei ihr beschäftigte Kraftfahrer aufgrund eines generalisierenden Prinzips bewusst übertariflich nach der Lohngruppe 2a TV-Lohn West vergütet. Insoweit hat das Landesarbeitsgericht zu Recht einen Einfluss der Begründungselemente seines Teilurteils auf diese Folgeentscheidung verneint. Denn dabei handelt es sich um einen Sachverhalt, dessen rechtliche Bewertung von der Eingruppierung des Klägers in die Lohngruppe 3 BRTV Bau - sei es originär, sei es aufgrund des TV-Lohnstrukturen - unabhängig ist.

34

(bb) Das Landesarbeitsgericht hat zwar im Weiteren übersehen, dass der Kläger eine Eingruppierung in die Lohngruppe 2a TV-Lohn West auch auf eine tarifliche Überleitungsregelung stützt. Diese ist aber nicht Inhalt des vom Landesarbeitsgericht behandelten und für unanwendbar gehaltenen TV-Lohnstrukturen, sondern des TV-Lohn West. Nach dem Willen der Tarifvertragsparteien sollte mit dieser „Sonderlohngruppe 2a“ in einem besondern Teil des Tarifgebiets für bestimmte Arbeitnehmer der 2002 neu geschaffenen Lohngruppe 2 eine neue Lohngruppe mit einer höheren Vergütung gebildet werden (vgl. dazu BAG 28. September 2005 - 10 AZR 593/04 -). Die Kriterien für die Überleitung aus dem bisherigen Berufsgruppensystem in die Sonderlohngruppe 2a sind in § 2 Abs. 7 Satz 2 TV-Lohn West(jetzt § 2 Abs. 6 Satz 2 TV-Lohn West idF vom 23. Mai 2009) geregelt worden.

35

Mit dem TV-Lohn West und den Voraussetzungen für die Überleitung in die Sonderlohngruppe 2a befasst sich das Teilurteil des Landesarbeitsgerichts jedoch nicht, sondern lediglich mit dem für den Hilfsantrag danach unbeachtlichen Überleitungsbestimmungen des TV-Lohnstrukturen. Deshalb ist ein möglicher Widerspruch der noch offenen Entscheidung über den Hilfsantrag zu einem Begründungselement des Teilurteils nicht ersichtlich.

36

II. Die Revision ist in der Sache unbegründet. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts weist keine revisiblen Rechtsfehler auf. Der Kläger hat keinen Anspruch auf ein Entgelt nach der Lohngruppe 3 BRTV Bau.

37

1. Der Kläger ist nicht als Schlosser nach dem Tätigkeitsmerkmal dritter Spiegelstrich der Lohngruppe 3 BRTV Bau zu vergüten.

38

a) Das Landesarbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, für die Eingruppierung des Klägers komme es nicht auf seine frühere Tätigkeit als Schlosser an, da er schon seit März 2006 überwiegend als Kraftfahrer eingesetzt worden und seit Januar 2009 überhaupt nicht mehr in der Werkstatt tätig gewesen sei. Zumindest über den überwiegenden Einsatz als Kraftfahrer hätten die Parteien stillschweigend eine vertragliche Vereinbarung getroffen. Dieser habe niemals geltend gemacht, dass sein Einsatz als Kraftfahrer vertragswidrig sei. Deshalb sei die Zuweisung von Tätigkeiten als Kraftfahrer, die der Kläger ab März 2006 überwiegend ausgeübt habe, auch zulässig gewesen.

39

b) Diese Begründung hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Der Kläger hat nicht dargetan, dass sein überwiegender Einsatz als Kraftfahrer nicht vom Direktionsrecht der Beklagten gedeckt gewesen ist. Er hat lediglich vorgetragen, die zur ursprünglich vereinbarten Tätigkeit als Schlosser „hinzutretende zusätzliche Tätigkeit als Kraftfahrer (sei) jedenfalls nicht ausschließlich Inhalt des vorliegenden Arbeitsvertragsverhältnisses geworden“. Hiervon ist das Landesarbeitsgericht aber auch nicht ausgegangen. Wie der Kläger selbst hat es lediglich dessen Einsatz als Kraftfahrer als vertragsgemäß angesehen, auch wenn dieser nicht ausschließlich Inhalt des Arbeitsvertrags sei. Insofern reicht aber schon die vertragsgemäße überwiegende Tätigkeit des Klägers als Kraftfahrer, auf die selbst bei mehreren Tätigkeiten unterschiedlicher Bewertung nach § 5 Nr. 2.3 BRTV Bau abzustellen ist, um eine etwaige frühere Schlossertätigkeit geringen Umfangs für die Eingruppierung nicht heranzuziehen.

40

2. Das Landesarbeitsgericht hat auch zu Recht entschieden, dass der Kläger als nicht geprüfter Kraftfahrer, der auch nicht über durch längere Berufserfahrung erworbene gleichwertige Fertigkeiten eines Berufskraftfahrers verfüge, kein Berufskraftfahrer iSd. Lohngruppe 3 BRTV Bau ist. Ihm fehlten unter anderem die erforderlichen Kenntnisse in der Tank- und Siloreinigung, für die Nahrungsmittel- und Gefahrguttransporte sowie der Personenbeförderung mit Kraftomnibussen.

41

Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision sind erfolglos. Soweit der Kläger geltend macht, dass lediglich diejenigen Ausbildungsinhalte „gleichwertig“ erworben sein müssten, die in einem Betrieb des Baugewerbes - allgemein oder gar dem konkreten Beschäftigungsbetrieb - abverlangt werden könnten, ist dies unzutreffend. Das Landesarbeitsgericht ist bei seinen Erwägungen zutreffend von der Voraussetzung ausgegangen, dass die Formulierung im letzten Spiegelstrich der Aufzählung der Regelqualifikationen in der Lohngruppe 3 BRTV Bau („durch längere Berufserfahrung erworbene gleichwertige Fertigkeiten“) sich auf alle davor, also in den Spiegelstrichen 1 bis 7 genannten beruflichen Qualifikationsanforderungen bezieht. Bereits aus dem Wortlaut der Tarifnorm ergibt sich damit, dass die erworbenen Fertigkeiten der jeweils genannten formalen Regelqualifikation „gleichwertig“ sein müssen. Diese Gleichwertigkeit bezieht sich auf die in der Ausbildung vermittelten Inhalte (zB für die der baugewerblichen Stufenausbildung - zweiter Spiegelstrich - entsprechenden Fertigkeiten BAG 14. November 2007 - 4 AZR 863/06 - BAGE 125, 57).

42

3. Das Landesarbeitsgericht hat weiter zu Recht angenommen, dass die Überleitungsvorschriften des TV-Lohnstrukturen die zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens 2002 bestehenden Eingruppierungen und Vergütungen in die neuen Lohnstrukturen gem. § 5 BRTV Bau überleiten sollten, auf nach dem Überleitungszeitpunkt begründete oder der Tarifgebundenheit unterworfene Arbeitsverhältnisse nicht anwendbar sind.

43

Der Hinweis der Revision, der Kläger könne sich als Gewerkschaftsmitglied gegenüber der tarifgebundenen Beklagten auf den TV-Lohnstrukturen berufen, soweit die sonstigen Voraussetzungen der jeweiligen Vergütungsgruppe gegeben seien, weil der TV-Lohnstrukturen nach wie vor gelte, geht fehl.

44

Der TV-Lohnstrukturen befasste sich zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens im Jahre 2002 mit der Überleitung der nach dem BRTV Bau aF eingruppierten Arbeitnehmer. Zu diesen gehörte der Kläger nicht. Sein Arbeitsverhältnis unterlag zu diesem Zeitpunkt nicht dem BRTV Bau aF. Er war nicht nach diesem Tarifvertrag eingruppiert. Er wurde deshalb von dem Überleitungstarifvertrag nicht erfasst. Es bedurfte für ihn keiner Überleitung. Die Eingruppierung derjenigen Arbeitsverhältnisse, die erst nach dem Inkrafttreten der Neuregelungen des BRTV Bau im Jahre 2002 diesem erstmals unterfielen, erfolgt allein nach dem BRTV Bau in seiner ab 2002 geltenden Fassung, unabhängig davon, ob diese erstmalige Geltung des BRTV Bau auf einer Neueinstellung oder einer erst in diesem Zeitraum entstandenen Tarifgebundenheit beruhte. So hätte auch ein Arbeitgeber, der zB im Jahre 2005 dem tarifschließenden Arbeitgeberverband beitrat, eine Eingruppierung allein nach Maßgabe des BRTV Bau durchführen und keine - gleichsam rückwirkende - Eingruppierung nach den alten Regelungen des BRTV Bau aF nebst anschließender fiktiver Überleitung nach dem TV-Lohnstrukturen vornehmen müssen. Der Kläger hat niemals einer „Berufsgruppe“ des alten BRTV Bau angehört, so dass die Überleitungsregelungen für ihn nicht gelten.

45

III. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

        

    Eylert    

        

    Treber    

        

    Creutzfeldt    

        

        

        

    Kiefer    

        

    Fritz    

                 
14
Eine solche Gefahr besteht bei einer Mehrheit selbständiger prozessualer Ansprüche, wenn zwischen den prozessual selbständigen Ansprüchen eine materiell-rechtliche Verzahnung besteht oder die Ansprüche prozessual in ein Abhängigkeitsverhältnis gestellt sind (BGH, Urteile vom 28. November 2003 - V ZR 123/03, BGHZ 157, 133, 142 f.; vom 7. November 2006 - X ZR 149/04, aaO; vom 16. Juni 2010 - VIII ZR 62/09, aaO).

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 26. April 2010 - 16 Sa 59/10 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung.

2

Die Beklagte betreibt in W die Verwaltung, den Neubau, die Sanierung und den Verkauf von Immobilien. Sie beschäftigt etwa 100 Arbeitnehmer. Der 1958 geborene Kläger war bei ihr seit dem 1. Juli 1997 als sog. Kleininstandhalter und Außendiensttechniker tätig.

3

Bei der Beklagten ist ein fünfköpfiger Betriebsrat gewählt. Der Kläger war zuletzt erstes Ersatzmitglied. Am 10. März 2009 wurde er zu einer Betriebsratssitzung herangezogen.

4

Zu den Arbeitsaufgaben des Klägers gehörte es, Immobilien im Stadtgebiet aufzusuchen, um dort ggf. Abnahmen durchzuführen, Gespräche mit Handwerkern zu führen und sonstige Arbeiten zu erledigen. Die erforderlichen Fahrten führte er mit seinem privaten Pkw durch. Zum Nachweis hatte er ein Fahrtenbuch zu führen. Die Beklagte erstattete ihm für jeden dienstlich gefahrenen Kilometer 0,30 Euro.

5

Die betriebliche Arbeitszeitregelung sieht eine Kernarbeitszeit von 9:00 Uhr bis 15:00 Uhr vor. Ab 6:00 Uhr können Arbeitszeiten erfasst werden.

6

Am 3. Februar 2009 beauftragte die Beklagte wegen - aus ihrer Sicht - auffallend hoher Kilometerabrechnungen eine Detektei mit der Beobachtung der Außendiensttätigkeit des Klägers. Die Detektei nahm an vier Tagen Ende Februar 2009 und in der Zeit vom 15. bis 20. März 2009 Observationen vor. Hierfür stellte sie der Beklagten einen Betrag von rund 26.000,00 Euro in Rechnung. Das Fahrtenbuch für März 2009 legte der Kläger am 3. April 2009 vor. Am 6. April 2009 glich der Prozessbevollmächtigte der Beklagten die dortigen Eintragungen mit den Feststellungen der Detektei ab. Daraus ging hervor, dass der Kläger für zwei Tage im Februar und drei Tage im März 2009 Fahrtziele eingetragen hatte, die er nicht angefahren hatte. Außerdem ergab sich, dass er an manchen Tagen während der Arbeitszeit private Angelegenheiten verrichtet hatte, im Einzelfall bis zu 20 Minuten.

7

Am 7. April 2009 wurde die Beklagte in Person ihres Geschäftsführers über das Ergebnis der Beobachtung und des Abgleichs unterrichtet. Mit Schreiben vom selben Tag hörte sie den Betriebsrat zu einer beabsichtigten fristlosen Kündigung des Klägers an. Am 14. April 2009 beschloss der Betriebsrat durch seine ordentlichen Mitglieder, „die Zustimmung“ zur Kündigung zu verweigern. Er war - anders als die Beklagte - der Auffassung, dem Kläger stehe aufgrund früheren Nachrückens in das Gremium der Sonderkündigungsschutz nach § 103 BetrVG zu.

8

Ebenfalls am 7. April 2009 hörte die Beklagte den Kläger zum Ergebnis ihrer Ermittlungen an. Zugleich stellte sie ihn von der Arbeitsleistung frei und erteilte ihm Hausverbot. Mit Schreiben vom 14. April 2009 räumte der Kläger ein, an zwei Tagen kurzzeitig während der Arbeitszeit private Dinge erledigt zu haben. Einen vorsätzlichen Spesenbetrug bestritt er.

9

Am 14. April 2009 bewilligte die Beklagte einem ordentlichen Betriebsratsmitglied Erholungsurlaub für den 15. und den 20. April 2009.

10

Mit Schreiben vom 15. April 2009, das dem Kläger um 10:00 Uhr desselben Tags durch Boten zugestellt wurde, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien unter dem Gesichtspunkt einer Tatkündigung außerordentlich fristlos. Um 16:00 Uhr des Tags nahm das beurlaubte Betriebsratsmitglied - nach telefonischer Abstimmung mit der Betriebsratsvorsitzenden - trotz Urlaubs an einem Beratungsgespräch in einer Rechtsanwaltskanzlei teil. Das Gespräch diente der Abstimmung des weiteren Vorgehens im Fall des Klägers.

11

Mit Schreiben vom 21. und 22. April 2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut jeweils fristlos, diesmal unter dem Gesichtspunkt des Verdachts. Daneben beantragte sie vorsorglich beim Arbeitsgericht die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zu einer noch auszusprechenden fristlosen Kündigung. Hierüber werden getrennte Verfahren geführt, die derzeit ausgesetzt sind.

12

Der Kläger hat gegen die Kündigung vom 15. April 2009 rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, er habe seine Arbeitspflichten jedenfalls nicht schwerwiegend verletzt. Im Übrigen sei die Kündigung schon deshalb unwirksam, weil sie ohne die nach § 103 Abs. 1 BetrVG erforderliche Zustimmung des Betriebsrats erfolgt sei. Ihm habe bei Zugang der Kündigung Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG zugestanden. Er sei am Morgen des 15. April 2009 für das urlaubsbedingt verhinderte ordentliche Mitglied in den Betriebsrat nachgerückt. Der Annahme eines Verhinderungsfalls stehe nicht entgegen, dass dieses Mitglied am Nachmittag des Tages einen auswärtigen Beratungstermin wahrgenommen habe. Für eine Verhinderung des ordentlichen Mitglieds jedenfalls bis zum Beginn des Beratungstermins spreche auch die - unstreitige - Hinzuziehung eines anderen Ersatzmitglieds zu einer um die Mittagszeit des 15. April 2009 durchgeführten Betriebsratssitzung, an der teilzunehmen er selbst wegen eigener Betroffenheit verhindert gewesen sei.

13

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche, fristlose Kündigung der Beklagten vom 15. April 2009 nicht aufgelöst worden ist.

14

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, widerklagend,

        

den Kläger zu verurteilen, an sie 26.032,38 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. Mai 2009 zu zahlen.

15

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund iSv. § 626 BGB liege vor. Der Kläger habe einen vorsätzlichen Arbeitszeit- und Spesenbetrug begangen. Damit sei die Kündigung auch unter Berücksichtigung eines ihm aufgrund der Betriebsratstätigkeit vom 10. März 2009 zustehenden nachwirkenden Kündigungsschutzes gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG wirksam. Besonderen Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG könne der Kläger dagegen nicht beanspruchen. Im Kündigungszeitpunkt habe mangels Verhinderung des ordentlichen Betriebsratsmitglieds kein Fall der Stellvertretung vorgelegen. Das ordentliche Betriebsratsmitglied habe sich während seines Urlaubs am Ort des Betriebssitzes aufgehalten. Das indiziere die Bereitschaft, Betriebsratsaufgaben wahrzunehmen. Zudem habe das Mitglied der Betriebsratsvorsitzenden am Vortag zugesagt, trotz seines Urlaubs für Betriebsratstätigkeiten zur Verfügung zu stehen. Unabhängig davon habe ein Kündigungsschutz für den Kläger frühestens mit Beginn der Kernarbeitszeit eingesetzt; das Kündigungsschreiben habe aber bereits um 8:30 Uhr ihren Machtbereich verlassen. Der Kläger habe überdies Betriebsratsaufgaben nicht wahrgenommen. Auch sei er durch die Freistellung und das Hausverbot selbst an der Ausübung des Betriebsratsamts verhindert gewesen. Im Übrigen sei es ihm nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf den Sonderkündigungsschutz zu berufen. Er habe sich diesen im kollusiven Zusammenwirken mit dem ordentlichen Betriebsratsmitglied verschafft. Was die mit der Widerklage geltend gemachten Detektivkosten angehe, so sei die Beauftragung einer Detektei zur Aufklärung des Verdachts auf erhebliche Pflichtverletzungen seitens des Klägers erforderlich gewesen.

16

Der Kläger hat beantragt, die Widerklage abzuweisen.

17

Das Arbeitsgericht hat der Klage nach Beweisaufnahme durch Teilurteil stattgegeben. Über die Widerklage hat es nicht entschieden. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

18

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung vom 15. April 2009 nicht aufgelöst worden. Die Kündigung ist, wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben, nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG iVm. § 103 Abs. 1 BetrVG unwirksam, da sie ohne die erforderliche Zustimmung des Betriebsrats erklärt worden ist.

19

I. Das Zustimmungserfordernis ergibt sich nicht schon aus der Betriebsratstätigkeit des Klägers vom 10. März 2009. Der Verhinderungsfall, der dieser Tätigkeit zugrunde lag, bestand im Kündigungszeitpunkt unstreitig nicht mehr. Der Kläger konnte sich wegen seiner früheren Betriebsratstätigkeit demzufolge nur auf den nachwirkenden Kündigungsschutz aus § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG berufen, ohne dass es zudem einer Zustimmung des Betriebsrats bedurft hätte(vgl. BAG 18. Mai 2006 - 6 AZR 627/05 - Rn. 22 mwN, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 2 = EzA ArbGG 1979 § 69 Nr. 5; 12. Februar 2004 - 2 AZR 163/03 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 15 Ersatzmitglied Nr. 1 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 56).

20

II. Die Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung war deshalb notwendig, weil der Kläger am 15. April 2009 mit Beginn dieses Arbeitstags für das urlaubsbedingt verhinderte Betriebsratsmitglied erneut in den Betriebsrat nachgerückt war. Ihm stand damit im Kündigungszeitpunkt der besondere Kündigungsschutz aus § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG zu.

21

1. Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG ist die Kündigung eines Mitglieds des Betriebsrats unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und dass die nach § 103 BetrVG erforderliche Zustimmung des Betriebsrats vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt ist.

22

2. Dieser besondere Kündigungsschutz gilt auch für Ersatzmitglieder, soweit und solange sie ein verhindertes ordentliches Ersatzmitglied im Betriebsrat vertreten.

23

a) Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 BetrVG rückt ein Ersatzmitglied in den Betriebsrat nach, sofern ein ordentliches Mitglied aus diesem ausscheidet. Das gilt nach § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG entsprechend für die Dauer der Stellvertretung eines zeitweilig verhinderten ordentlichen Mitglieds.

24

b) Eine zeitweilige Verhinderung in diesem Sinne liegt vor, wenn ein Betriebsratsmitglied aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht in der Lage ist, sein Amt auszuüben (BAG 23. August 1984 - 2 AZR 391/83 - zu B II 1 a der Gründe, BAGE 46, 258). Diese Voraussetzung ist während des Erholungsurlaubs eines Betriebsratsmitglieds jedenfalls dann erfüllt, wenn es nicht zuvor seine Bereitschaft angezeigt hat, trotz des Urlaubs für Betriebsratstätigkeiten zur Verfügung zu stehen.

25

aa) Die Frage, ob die Gewährung von Erholungsurlaub stets zu einer Verhinderung iSv. § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG führt, wird unterschiedlich beantwortet.

26

(1) Das Bundesarbeitsgericht hat sich mit der Problematik vornehmlich aus der Sicht des beurlaubten Betriebsratsmitglieds befasst. Zur urlaubsrechtlichen Behandlung freigestellter Betriebsratsmitglieder hat es ausgeführt, die Gewährung von Erholungsurlaub bewirke, dass das Betriebsratsmitglied von seiner betriebsverfassungsrechtlichen Amtstätigkeit suspendiert werde. Daraus folge, dass Urlaub ein Verhinderungsgrund für die Teilnahme an Betriebsratssitzungen iSv. § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG sei(BAG 20. August 2002 - 9 AZR 261/01 - zu I 1 der Gründe, BAGE 102, 251). In einer älteren Entscheidung (BAG 24. Juni 1969 - 1 ABR 6/69 - zu D der Gründe, AP BetrVG § 39 Nr. 8 = EzA BetrVG § 39 Nr. 3)ging es um die Frage, ob einem ordentlichen Betriebsratsmitglied Anspruch auf Erstattung von Fahrtkosten für die Anreise zu einer Betriebsratssitzung zustand, an der es während seines Urlaubs teilgenommen hatte. In diesem Zusammenhang hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, das Betriebsratsmitglied sei zwar wegen seiner urlaubsbedingten Verhinderung nicht verpflichtet gewesen, an der Betriebsratssitzung teilzunehmen, sei dazu aber berechtigt gewesen.

27

(2) Im Schrifttum wird teilweise die Auffassung vertreten, die Gewährung von Erholungsurlaub begründe nicht in jedem Fall eine Verhinderung iSv. § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG(DKK/Buschmann BetrVG 12. Aufl. § 25 Rn. 17; Fitting BetrVG 25. Aufl. § 25 Rn. 21; Stege/Weinspach/Schiefer BetrVG 9. Aufl. § 25 Rn. 4; WPK/Wlotzke BetrVG 4. Aufl. § 25 Rn. 10; Brill BlStSozArbR 1983, 177, 179; Uhmann NZA 2000, 576, 579). Insbesondere dann, wenn sich das Betriebsratsmitglied während des Urlaubs in der Nähe des Betriebssitzes aufhalte, müsse im Rahmen einer Einzelfallbewertung geklärt werden, ob die mit der Urlaubsgewährung verbundene Freistellung von der Arbeitspflicht eine zeitweilige Verhinderung bewirke. Von einer tatsächlichen Verhinderung sei auszugehen, wenn die Amtsausübung dem Betriebsratsmitglied persönlich unzumutbar sei (AnwK/Kloppenburg 2. Aufl. § 25 BetrVG Rn. 8; Fitting BetrVG 25. Aufl. § 25 Rn. 21; ähnlich wohl Eylert in: Schwarze/Eylert/Schrader KSchG § 15 Rn. 27).

28

(3) Ein anderer Teil der Lehre (GK-BetrVG/Oetker 9. Aufl. § 25 Rn. 17) und mit ihm einige Instanzgerichte (LAG Rheinland-Pfalz 9. April 2001 - 7 Sa 54/01 -; ArbG Emden 13. Dezember 1978 - 1 Ca 420/78 - ARST 1979, 132; für das Personalvertretungsrecht: VG Münster 28. August 1986 - 2 PVB 3/86 - ZBR 87, 55) gehen davon aus, Erholungsurlaub begründe stets eine objektive rechtliche Verhinderung an der Wahrnehmung der Betriebsratstätigkeit. Dem ist das Landesarbeitsgericht im angefochtenen Berufungsurteil mit der Einschränkung gefolgt, eine Verhinderung bestehe jedenfalls so lange, bis das beurlaubte Betriebsratsmitglied seine Bereitschaft zur Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben positiv anzeige.

29

bb) Der Senat schließt sich im Ergebnis den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts an. Wird einem Betriebsratsmitglied Erholungsurlaub bewilligt, führt dies nicht nur zum Ruhen seiner Verpflichtung zur Arbeitsleistung, sondern zugleich zur Suspendierung seiner Amtspflichten. Dem Betriebsratsmitglied wird zwar aufgrund des Erholungsurlaubs die Verrichtung seiner Amtspflichten nicht ohne Weiteres objektiv unmöglich, grundsätzlich aber unzumutbar. Das beurlaubte Betriebsratsmitglied gilt zumindest so lange als zeitweilig verhindert, bis es seine Bereitschaft, gleichwohl Betriebsratstätigkeiten zu verrichten, positiv anzeigt.

30

(1) Zwar handelt es sich bei der Erfüllung von Betriebsratsaufgaben um die Wahrnehmung eines Ehrenamts (§ 37 Abs. 1 BetrVG) und nicht um eine dem Urlaubszweck entgegenstehende Erwerbstätigkeit iSv. § 8 BUrlG. Es widerspräche aber dem auf Erholung ausgerichteten Sinn der Befreiung von der Arbeitspflicht, nicht zugleich von der Betriebsratstätigkeit befreit zu sein. Die Wahrnehmung des Betriebsratsamts während des Urlaubs ist dem Betriebsratsmitglied deshalb, auch wenn sie objektiv möglich sein sollte, typischerweise unzumutbar. Die Rechtslage ist der bei der Elternzeit, für die das Bundesarbeitsgericht angenommen hat, sie führe nicht zwingend zu einer Verhinderung iSv. § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG(vgl. BAG 25. Mai 2005 - 7 ABR 45/04 - Rn. 17, AP BetrVG 1972 § 24 Nr. 13 = EzA BetrVG 2001 § 40 Nr. 9), schon deshalb nicht vergleichbar, weil der Arbeitnehmer während der Elternzeit sogar die Möglichkeit hat, einer gewerblichen Tätigkeit - in Teilzeit - nachzugehen.

31

Auch bei der Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit kann es Fälle geben, in denen die Erkrankung den Arbeitnehmer zwar außerstande setzt, seine Arbeitspflichten zu erfüllen, nicht aber sein Betriebsratsamt wahrzunehmen (BAG 15. November 1984 - 2 AZR 341/83 - zu B IV 1 der Gründe, BAGE 47, 201).

32

(2) Zudem sprechen Gründe der Praktikabilität und Rechtssicherheit dafür, dass mit der Urlaubsgewährung regelmäßig eine Suspendierung der Pflicht zur Wahrnehmung des Betriebsratsamts einhergeht. Hinge die Beurteilung, ob einem Betriebsratsmitglied während des Urlaubs eine Betriebsratstätigkeit persönlich zumutbar ist oder nicht, von den Umständen des Einzelfalls ab, würde dies die Feststellung einer Verhinderung erheblich erschweren. Dies wiederum würde zum einen die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats beeinträchtigen. Zum anderen wären Betriebsratsbeschlüsse, die in Abwesenheit eines beurlaubten Betriebsratsmitglieds gefasst werden, mit einem nicht unerheblichen Risiko der Unwirksamkeit behaftet. Eine Einzelfallbetrachtung liefe zudem darauf hinaus, Umstände zu erforschen, die der privaten Urlaubsgestaltung und damit dem engsten persönlichen Lebensbereich des Betriebsratsmitglieds zuzuordnen sind (vgl. HaKo-BetrVG/Düwell 3. Aufl. § 25 Rn. 9; Richardi/Thüsing BetrVG 12. Aufl. § 25 Rn. 15; WPK/Wlotzke BetrVG 4. Aufl. § 25 Rn. 10). Es bedarf deshalb einfacher, klarer Kriterien für die Feststellung einer zeitweiligen Verhinderung. Diesem Verlangen der Rechtssicherheit ist am ehesten Genüge getan, wenn die Urlaubsgewährung grundsätzlich zur Verhinderung des Betriebsratsmitglieds führt, es sei denn, dieses hätte seine Bereitschaft zur Betriebsratstätigkeit positiv, ggf. konkludent angezeigt. Solange eine solche - positive - Anzeige nicht vorliegt, ist das beurlaubte Betriebsratsmitglied iSv. § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG als verhindert anzusehen(im Ergebnis ebenso HaKo-BetrVG/Düwell 3. Aufl. § 25 Rn. 9).

33

c) Das Ersatzmitglied erwirbt den Sonderkündigungsschutzschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG für die Dauer der Verhinderung des Betriebsratsmitglieds. Der Schutz hängt nicht davon ab, dass das Ersatzmitglied während der Vertretungszeit tatsächlich Betriebsratsaufgaben erledigt. Er setzt im Urlaubsfall regelmäßig mit dem üblichen Arbeitsbeginn am ersten Urlaubstag des verhinderten Betriebsratsmitglieds ein.

34

aa) Ersatzmitglieder vertreten ordentliche Mitglieder des Betriebsrats nicht nur in einzelnen Amtsgeschäften, wie etwa in der Teilnahme an Betriebsratssitzungen. Sie rücken vielmehr gemäß § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG für die Dauer der Verhinderung eines Betriebsratsmitglieds in den Betriebsrat nach(vgl. BAG 5. September 1986 - 7 AZR 175/85 - zu I der Gründe, BAGE 53, 23; 17. Januar 1979 - 5 AZR 891/77 - zu 2 a der Gründe, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 5 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 21). Der Eintritt des Ersatzmitglieds vollzieht sich automatisch mit Beginn des Verhinderungsfalls. Er hängt nicht davon ab, dass die Verhinderung des ordentlichen Mitglieds dem Ersatzmitglied bekannt ist (BAG 5. September 1986 - 7 AZR 175/85 - aaO).

35

(1) Die zeitweilige Verhinderung des ordentlichen Mitglieds erfasst die Wahrnehmung des Betriebsratsamts als solches. Der während dieser Zeit gewährleistete - volle - Sonderkündigungsschutz des Ersatzmitglieds ist dementsprechend nicht auf Zeiten beschränkt, in denen es konkrete Betriebsratstätigkeit entfaltet. Der besondere Schutz steht ihm selbst dann zu, wenn während der Vertretungszeit keine Betriebsratstätigkeit anfällt (BAG 5. September 1986 - 7 AZR 175/85 - zu I der Gründe, BAGE 53, 23; 17. Januar 1979 - 5 AZR 891/77 - zu 2 der Gründe, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 5 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 21). Es genügt die Möglichkeit, dass dem Ersatzmitglied Betriebsratsaufgaben zufallen könnten (so auch ErfK/Koch 11. Aufl. § 25 BetrVG Rn. 8; Fitting BetrVG 25. Aufl. § 25 Rn. 9; HaKo-KSchR/Fiebig 3. Aufl. § 15 Rn. 38; KR/Etzel 9. Aufl. § 103 BetrVG Rn. 48; MünchKommBGB/Hergenröder 5. Aufl. § 15 KSchG Rn. 32; WPK/Wlotzke BetrVG 4. Aufl. § 25 Rn. 23; Uhmann NZA 2000, 576, 578).

36

(2) Die gegenteilige Auffassung, die den besonderen Kündigungsschutz für Ersatzmitglieder auch während einer Vertretung davon abhängig macht, dass das Ersatzmitglied in irgendeiner Form Betriebsratsaufgaben wahrgenommen hat (so Bader/Bram/Dörner § 15 KSchG Rn. 20; Eylert in Schwarze/Eylert/ Schrader KSchG § 15 Rn. 28; Löwisch/Spinner KSchG 9. Aufl. § 15 Rn. 31; vermittelnd Schulin Anm. EzA KSchG § 15 nF Nr. 36: kein Kündigungsschutz bei Vertretungszeiten ohne Amtstätigkeit bis zu drei Tagen), wird dem Zweck der Vertretungsregelung und dem durch sie vermittelten besonderen Kündigungsschutz nicht hinreichend gerecht.

37

(a) Das Nachrücken des Ersatzmitglieds während der zeitweiligen Verhinderung eines ordentlichen Betriebsratsmitglieds soll im Interesse einer möglichst wirksamen Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Befugnisse eine stets vollzählige und dem Wählerwillen entsprechende Besetzung des Betriebsrats sicherstellen. Es soll nicht nur die Möglichkeit einer wirksamen Beschlussfassung nach § 33 Abs. 2 BetrVG gewährleisten. Vielmehr sollen selbst kurze Unterbesetzungen vermieden werden (BAG 6. September 1979 - 2 AZR 548/77 - zu II 2 e der Gründe, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 7 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 23; ErfK/Koch 11. Aufl. § 25 BetrVG Rn. 4).

38

(b) Die außerordentliche Kündigung eines Ersatzmitglieds während eines andauernden Vertretungsfalls berührt damit kollektive Interessen des Betriebsrats und der Belegschaft. Ihnen trägt das Zustimmungserfordernis in § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG iVm. § 103 Abs. 1 BetrVG Rechnung. Sie verlangen nach einem nahtlosen Eintritt des Sonderkündigungsschutzes für das zeitweise nachgerückte Ersatzmitglied. Setzte der volle Sonderkündigungsschutz erst bei Verrichtung konkreter Betriebsratstätigkeit ein, bestünde die Gefahr, dass die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats beeinträchtigt wird. Dies gilt insbesondere dann, wenn außer dem nachgerückten kein weiteres Ersatzmitglied zur Verfügung steht (ähnlich BAG 9. November 1977 - 5 AZR 175/76 - zu 1 b der Gründe, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 3 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 13).

39

(c) Der Gefahr eines Rechtsmissbrauchs auf Seiten des Ersatzmitglieds kann mit Hilfe von § 242 BGB sachgerecht begegnet werden. Danach kann die Berufung auf den besonderen Kündigungsschutz im Einzelfall ausgeschlossen sein. Davon ist etwa auszugehen, wenn ein Verhinderungsfall kollusiv zu dem Zweck herbeigeführt wurde, dem Ersatzmitglied den besonderen Kündigungsschutz zu verschaffen (vgl. BAG 12. Februar 2004 - 2 AZR 163/03 - zu B I 2 der Gründe, AP KSchG 1969 § 15 Ersatzmitglied Nr. 1 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 56).

40

bb) Dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 12. Februar 2004 (- 2 AZR 163/03 - AP KSchG 1969 § 15 Ersatzmitglied Nr. 1 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 56) ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen. Die Entscheidung betrifft den nachwirkenden Kündigungsschutz eines Ersatzmitglieds, dh. den Bestandsschutz nach Beendigung des konkreten Verhinderungsfalls. Die Auffassung des Senats, der Kündigungsschutz aus § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG stehe dem Ersatzmitglied nur zu, wenn es während der Zeit der Stellvertretung tatsächlich Betriebsratstätigkeit entfaltet hat, beruht auf dem anderen Schutzzweck dieser Regelung. Ihr Zweck besteht darin, eine „Abkühlungsphase“ in der Beziehung von ehemaligem Betriebsratsmitglied und Arbeitgeber zu gewährleisten und erst danach die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung wieder zu eröffnen. Hat das Ersatzmitglied während der Zeit, in der es in den Betriebsrat nachgerückt war, keine konkreten Betriebsratsaufgaben wahrgenommen, fehlt es an einer Situation, in der Konflikte mit dem Arbeitgeber hätten entstehen können; einer durch den nachwirkenden Kündigungsschutz herbeizuführenden „Abkühlung“ bedarf es dann nicht (vgl. auch BAG 6. September 1979 - 2 AZR 548/77 - zu II 2 e der Gründe, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 7 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 23; ErfK/Kiel 11. Aufl. § 15 Rn. 13; Richardi/Thüsing BetrVG 12. Aufl. § 25 Rn. 31).

41

d) Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen im Streitfall die Voraussetzungen des besonderen Kündigungsschutzes aus § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG für den Kläger vor. Dieser war bei Zugang der Kündigung Mitglied des Betriebsrats iSv. § 15 Abs. 1 KSchG, § 103 Abs. 1 BetrVG, § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG.

42

aa) Der Kläger war für den 15. April 2009 nach § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG in den Betriebsrat nachgerückt. Die Beklagte hatte einem ordentlichen Betriebsratsmitglied am 14. April 2009 für den 15. und den 20. April 2009 Erholungsurlaub bewilligt. Damit war das ordentliche Mitglied an der Wahrnehmung seines Betriebsratsamts am 15. April 2009 verhindert. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, das Mitglied habe der Betriebsratsvorsitzenden am 14. April 2009 nicht etwa eine Zusage gegeben, am nächsten Tag für Betriebsratstätigkeiten zur Verfügung zu stehen. Es habe auch nicht erklärt, sich für telefonische Rückfragen in Betriebsratsangelegenheiten bereit zu halten. Mit dem Ziel der Abstimmung eines Anwaltstermins habe sodann der Betriebsrat am 15. April 2009 frühestens um 10:55 Uhr Kontakt mit dem beurlaubten Mitglied aufgenommen. An diese Feststellungen, die von der Revision nicht angegriffen werden, ist der Senat gebunden (§ 559 Abs. 2 ZPO).

43

bb) Der Sonderkündigungsschutz des Klägers begann am Morgen des 15. April 2009 spätestens um 6:00 Uhr. Dies ist der Zeitpunkt, zu dem das verhinderte Betriebsratsmitglied nach den im Betrieb geltenden Arbeitszeitregelungen seine Arbeit aufnehmen konnte (für die Maßgeblichkeit dieses Zeitpunkts vgl. BAG 5. September 1986 - 7 AZR 175/85 - zu I der Gründe, BAGE 53, 23; 6. September 1979 - 2 AZR 548/77 - zu II 2 e der Gründe, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 7 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 23). Bei Zugang der Kündigung gegen 10:00 Uhr hat demnach der Sonderkündigungsschutz für den Kläger schon bestanden. Selbst wenn man mit der Beklagten den Beginn der Kernarbeitszeit um 9:00 Uhr für maßgebend hielte, führte dies zu keinem anderen Ergebnis. Für die Beurteilung, ob dem Ersatzmitglied besonderer Kündigungsschutz zusteht, kommt es auf die Verhältnisse bei Zugang und nicht bei Abgabe der Kündigungserklärung an (statt vieler: Eylert in Schwarze/Eylert/Schrader KSchG § 15 Rn. 34).

44

cc) Dem Kündigungsschutz steht nicht entgegen, dass sich das beurlaubte Betriebsratsmitglied noch am 15. April 2009 bereit erklärt hat, einen Termin bei dem den Betriebsrat beratenden Rechtsanwalt wahrzunehmen. Es ist schon fraglich, ob damit seine Verhinderung entfiel. Selbst wenn dies anzunehmen sein sollte, wäre damit für den Kläger nicht der nachträgliche Wegfall des zuvor erworbenen Kündigungsschutzes verbunden gewesen. Der besondere Schutz aus § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG steht dem Ersatzmitglied unabhängig von der Dauer des Verhinderungsfalls und damit auch bei nur kurzzeitiger Verhinderung zu. Dass sich die Kündigungsbeschränkung in solchen Fällen, zumal wenn es nicht zur Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben durch das Ersatzmitglied gekommen ist, selten auswirken mag, steht dem nicht entgegen (BAG 9. November 1977 - 5 AZR 175/76 - zu 1 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 3 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 13; Brill BlStSozArbR 1983, 177, 178; Uhmann NZA 2000, 576, 578). Ob freilich überhaupt eine Verhinderung vorliegt, wenn der Ausfall eines ordentlichen Betriebsratsmitglieds von vornherein allenfalls für wenige Stunden zu erwarten steht - etwa wegen eines kurzzeitigen Arztbesuchs - und der Betriebsrat sich darauf einstellen kann, braucht nicht entschieden zu werden. Im Fall des - und sei es wie hier nur eintägigen - Erholungsurlaubs ist eine Verhinderung gegeben, soweit sich das ordentliche Betriebsratsmitglied nicht von vornherein zur Erledigung von Betriebsratstätigkeit bereit erklärt hat.

45

e) Der Sonderkündigungsschutz scheitert nicht daran, dass der Kläger wegen seiner Freistellung und der Erteilung eines Hausverbots im maßgebenden Zeitpunkt selbst iSv. § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG an einer Mitwirkung im Betriebsrat gehindert gewesen wäre.

46

aa) Bei der Freistellung des Klägers handelte es sich um eine einseitige Maßnahme der Beklagten, die die betriebsverfassungsrechtliche Position des Klägers unberührt ließ. Anders als beim Erholungsurlaub, der auf einen Freistellungswunsch des Arbeitnehmers zurückgeht, ist bei einseitiger Suspendierung der Arbeitspflicht durch den Arbeitgeber nicht zugleich von persönlicher Unzumutbarkeit der Wahrnehmung des Betriebsratsamts auszugehen. Der Umstand, dass im Streitfall der Kläger gegen die Freistellung keine rechtlichen Schritte unternommen hat, ändert hieran nichts.

47

bb) Ein vom Arbeitgeber ausgesprochenes Hausverbot lässt die Befugnis des Arbeitnehmers, das Betriebsratsbüro zum Zwecke der Betriebsratstätigkeit aufzusuchen, im Regelfall unberührt. Da der Arbeitgeber Personen, die eine Funktion in der Betriebsverfassung wahrnehmen, zu denen auch Ersatzmitglieder zählen, nach § 78 Satz 1 BetrVG bei ihrer Amtsausübung nicht behindern darf(vgl. Fitting BetrVG 25. Aufl. § 78 Rn. 2; Richardi/Thüsing BetrVG 12. Aufl. § 78 Rn. 7), wäre das Verbot andernfalls grundsätzlich unwirksam. Im Einzelfall sind zwar Ausnahmen denkbar. Hier hat die Beklagte jedoch kein besonderes schutzwürdiges Interesse daran dargetan, dem Kläger den Zutritt zum Betrieb selbst zur Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben verweigern zu können.

48

cc) Der Sonderkündigungsschutz wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass am 15. April 2009 im Betriebsrat Beschlüsse gefasst oder Gespräche in Bezug auf einen Gegenstand geführt wurden, von dem der Kläger möglicherweise selbst betroffen war. Dies erfolgte in jedem Fall nach Zugang der Kündigung. Zwar steht einem Ersatzmitglied bei einer eigenen zeitweiligen Verhinderung der besondere Kündigungsschutz nur zu, wenn die Dauer dieser Verhinderung im Vergleich zur Gesamtdauer der Vertretungszeit verhältnismäßig gering ist (BAG 6. September 1979 - 2 AZR 548/77 - zu II 2 b bb der Gründe, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 7 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 23). Dies gilt aber nicht für die Verhinderung eines Ersatzmitglieds, die auf eigener Betroffenheit beruht. In diesem Fall verbleibt stets die Möglichkeit, dass weitere Betriebsratsaufgaben anfallen, an deren Erledigung das Ersatzmitglied nicht gehindert wäre.

49

III. Die Beklagte hat die erforderliche Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung des Klägers nicht eingeholt. Dies führt zur Unwirksamkeit der Kündigung. Dem Kläger ist es nicht nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf den Sonderkündigungsschutz zu berufen. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, es fehle an hinreichenden Anhaltspunkten für einen Rechtsmissbrauch, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

50

1. Das in § 242 BGB verankerte Prinzip von Treu und Glauben bildet eine allen Rechten immanente Inhaltsbegrenzung. Welche Einschränkungen sich daraus für die Ausübung einer erworbenen Rechtsposition ergeben, hängt von einer umfassenden Bewertung der gesamten Fallumstände ab. Diese Bewertung vorzunehmen ist zunächst Sache des Tatrichters und in der Revisionsinstanz nur auf mögliche Rechtsfehler hin zu überprüfen (BGH 8. Mai 2003 - VII ZR 216/02 - zu III 2 der Gründe, NJW 2003, 2448).

51

2. Solche Rechtsfehler zeigt die Revision nicht auf. Das Berufungsgericht hat geprüft, ob das ordentliche Betriebsratsmitglied den Urlaub für den 15. und 20. April 2009 zu dem Zweck beantragt haben könnte, dem Kläger den besonderen Kündigungsschutz zu verschaffen. Es hat dies auf der Grundlage des Ergebnisses der vom Arbeitsgericht durchgeführten Beweisaufnahme verneint. Dabei hat es durchaus die Kurzfristigkeit des erst am 14. April 2009 förmlich gestellten Urlaubsantrags in den Blick genommen. Es hat dieser deshalb kein entscheidendes Gewicht beigemessen, weil das ordentliche Mitglied seinen Urlaubswunsch für die beiden Tage, an deren Vorabenden Fußballländerspiele übertragen wurden, schon längere Zeit zuvor mündlich angebracht habe. Die Revision macht nicht geltend, das Landesarbeitsgericht habe sonstige Gesichtspunkte, die für eine kollusive Herbeiführung des Kündigungsschutzes sprechen könnten, übersehen.

52

IV. Die Revision ist nicht deshalb begründet, weil das Arbeitsgericht über die Wirksamkeit der Kündigung nicht durch Teilurteil nach § 301 Abs. 1 ZPO hätte entscheiden dürfen.

53

1. Soweit die Vorinstanzen aus tatsächlichen Erwägungen von einer mangelnden Entscheidungsreife des Streits über die Widerklageforderung ausgegangen sind, ist dies revisionsrechtlich nicht zu überprüfen.

54

2. § 301 Abs. 1 ZPO setzt neben der Teilbarkeit des Streitgegenstands voraus, dass die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen ausgeschlossen ist; das Schlussurteil darf dem Teilurteil in keinem Fall widersprechen können (BAG 23. März 2005 - 4 AZR 243/04 - zu I der Gründe mwN, BAGE 114, 194). Widersprüchlichkeit bestünde nicht erst im Fall eines Rechtskraftkonflikts, sondern schon bei unterschiedlicher Beurteilung von Urteilselementen, auch wenn diese weder in Rechtskraft erwachsen noch das Gericht nach § 318 ZPO für das weitere Verfahren binden(vgl. BAG 23. März 2005 - 4 AZR 243/04 - aaO; BGH 11. Mai 2011 - VIII ZR 42/10 - Rn. 13, NJW 2011, 2736; 19. November 2008 - VIII ZR 47/07 - Rn. 15, NJW-RR 2009, 494; 5. Dezember 2000 - VI ZR 275/99 - zu II der Gründe, NJW 2001, 760; 27. Mai 1992 - IV ZR 42/91 - zu I 2 der Gründe mwN, NJW-RR 1992, 1053; Musielak ZPO 8. Aufl. § 301 Rn. 11). Ein Teilurteil kommt schon dann nicht in Betracht, wenn es eine Vorfrage entscheidet, die sich dem Gericht im weiteren Verfahren noch einmal stellt. Das gilt grundsätzlich auch im Verhältnis von Klage und Widerklage (vgl. BGH 26. September 1996 - X ZR 48/95 - NJW 1997, 453; 12. Januar 1994 - XII ZR 167/92 - zu 4 der Gründe, NJW-RR 1994, 379).

55

3. Nach der Begründung, auf die das Arbeitsgericht seine Entscheidung im Teilurteil gestützt und der sich das Landesarbeitsgericht im Ergebnis angeschlossen hat, ist die Gefahr einer Widersprüchlichkeit nicht zu erkennen. Beide Vorinstanzen haben die Kündigung vom 15. April 2009 bereits aus den formellen Gründen des § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG für unwirksam erachtet. Aus ihrer Sicht kam es auf das Vorbringen der Beklagten zur materiell-rechtlichen Rechtfertigung der Kündigung, das teilweise zugleich ihre Widerklageforderung stützt, nicht an (zur möglichen Widersprüchlichkeit in einem solchen Fall vgl. Reichold in Thomas/Putzo ZPO 32. Aufl. § 301 Rn. 3). Zwar kann sich die Gefahr einer Widersprüchlichkeit auch aus der bloßen Möglichkeit abweichender Beurteilung im Rechtsmittelverfahren ergeben (BAG 23. März 2005 - 4 AZR 243/04 - zu I der Gründe, BAGE 114, 194; BGH 4. November 2002 - II ZR 287/01 - BGHReport 2003, 284; aA wohl Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 69. Aufl. § 301 Rn. 6). Ob im Streitfall von einer solchen Gefahr auszugehen war, kann offenbleiben. Wie aufgezeigt, sind die Ausführungen der Vorinstanzen zur Unwirksamkeit der Kündigung vom 15. April 2009 revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das schließt die Gefahr einer abweichenden Beurteilung für die Zukunft aus. Ein etwaiger Mangel des Teilurteils wäre damit jedenfalls geheilt.

56

V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Grimberg    

        

    Niebler    

                 

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Teil-Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 14. Januar 2011 - 18 Sa 744/10 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Eingruppierung des Klägers und sich daraus ergebende Lohnansprüche.

2

Die Beklagte betreibt ein Bauunternehmen und ist kraft Verbandszugehörigkeit tarifgebunden. Der Kläger ist jedenfalls seit 2009 Mitglied der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU).

3

Der Kläger, der eine dreieinhalbjährige Ausbildung zum Kfz-Mechaniker mit Schwerpunkt Nutzkraftwagen-Instandhaltung absolviert hat und über eine Fahrerlaubnis für die (früheren) Klassen 2 und 3 verfügt, ist seit Februar 1999 bei der Beklagten beschäftigt. Er wurde zunächst überwiegend in der Werkstatt und daneben auch als Kraftfahrer tätig. Seit März 2006 arbeitete er überwiegend als Kraftfahrer. Dabei transportierte er auch Gefahrengüter. Er besitzt eine „ADR-Bescheinigung über die Schulung der Führer von Kraftfahrzeugen zur Beförderung gefährlicher Güter“. Seit Januar 2009 wird er nicht mehr in der Werkstatt eingesetzt und verrichtet seit dem Frühjahr 2010 überwiegend Bauhilfstätigkeiten. Er erhielt zuletzt einen Stundenlohn von 12,90 Euro brutto sowie eine Zulage in Höhe von 0,20 Euro brutto je Stunde.

4

Der Kläger hat mit seiner Klage die Ansicht vertreten, er übe eine Tätigkeit iSd. Lohngruppe 3 des Bundesrahmentarifvertrags für das Baugewerbe (BRTV Bau) aus, weshalb ihm die für diese Lohngruppe im Tarifvertrag zur Regelung der Löhne und Ausbildungsvergütungen im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme der fünf neuen Länder und des Landes Berlin (TV-Lohn West) vorgesehene Vergütung zustehe. Für den Zeitraum von Juli bis September 2009 belaufe die sich daraus ergebende Vergütungsdifferenz auf 777,46 Euro. Als gelernter Kraftfahrzeugmechaniker könne er eine anerkannte Ausbildung vorweisen und habe auch Facharbeiten als Kraftfahrzeugschlosser verrichtet. Bei seiner Werkstatttätigkeit habe er Geräte und Maschinen gewartet und betreut. Auch als Kraftfahrer habe er Facharbeiten des Berufsbildes ausgeübt, auch ohne dass es einer Prüfung als Berufskraftfahrer bedurft hätte, da er über die im BRTV Bau alternativ vorgesehenen, durch längere Berufserfahrung erworbenen gleichwertigen Fertigkeiten verfüge. Sein weiterer, außerhalb der Werkstatt erfolgte Einsatz seit Januar 2009 widerspreche der vertraglich vereinbarten Tätigkeit als Betriebsschlosser. Der arbeitsvertragswidrige Einsatz könne nicht zu einem Entzug der vertraglich geschuldeten Vergütung nach der Lohngruppe 3 TV-Lohn West führen.

5

Ferner ergebe sich aus den Regelungen des Tarifvertrags zur Einführung neuer Lohnstrukturen für die gewerblichen Arbeitnehmer des Baugewerbes vom 4. Juli 2002 (TV-Lohnstrukturen) die begehrte Eingruppierung in die Lohngruppe 3 BRTV Bau bzw. zumindest in die Lohngruppe 2a TV-Lohn West. Der TV-Lohnstrukturen habe die Überleitung der bis zum 31. August 2002 nach dem Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV Bau aF) eingruppierten Arbeitnehmer des Baugewerbes geregelt. Nach der zuvor geltenden Vergütungsordnung sei er in die Berufsgruppe M IV BRTV Bau aF einzugruppieren gewesen. Die frühere Berufsgruppe M IV entspreche nach dem TV-Lohnstrukturen der Lohngruppe 3 des neuen Systems, die der Berufsgruppe M V der Lohngruppe 2a des TV-Lohn West.

6

Der Kläger hat, soweit für die Revision von Bedeutung, beantragt:

        

1.    

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 777,46 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24. Oktober 2009 zu zahlen.

        

2.    

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger eine Vergütung nach der Lohngruppe 3 des Tarifvertrags zur Regelung der Löhne und Ausbildungsvergütungen im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme der fünf neuen Länder und des Landes Berlin vom 23. Mai 2009 in Verbindung mit dem Manteltarifvertrag für das Baugewerbe (gewerblicher Arbeitnehmer) zu zahlen.

                 

Hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 2):

        

3.    

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger eine Vergütung nach der Lohngruppe 2a des Tarifvertrags zur Regelung der Löhne und Ausbildungsvergütungen im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme der fünf neuen Länder und des Landes Berlin vom 23. Mai 2009 in Verbindung mit dem Manteltarifvertrag für das Baugewerbe (gewerblicher Arbeitnehmer) zu zahlen.

7

Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag damit begründet, der Kläger sei als Kraftfahrer lediglich nach der Lohngruppe 2 TV-Lohn West zu vergüten. Es gebe keine vertragliche Vereinbarung über eine Tätigkeit als Schlosser. Er sei bis zum Jahr 2008 lediglich für zwei bis maximal drei Monate in den Wintermonaten in der Werkstatt eingesetzt worden. Die Kfz-Mechaniker-Ausbildung sei keine anerkannte Ausbildung im Sinne des BRTV Bau aF. Der Kläger sei kein Berufskraftfahrer und habe keine gleichwertigen Fertigkeiten erworben. Auf den TV-Lohnstrukturen könne er sich nicht berufen. Er sei vor dessen Inkrafttreten weder mit einer Tätigkeit nach der früheren Berufsgruppe M IV BRTV Bau aF noch nach der Berufsgruppe M V BRTV Bau aF beschäftigt gewesen. Eine Überleitung in die Lohngruppe 3 bzw. 2a TV-Lohn West scheide deshalb aus. Die Berufsgruppe M V BRTV Bau aF sei nicht in die Lohngruppe 2a TV-Lohn West überzuleiten gewesen. Im Übrigen seien mögliche Ansprüche verfallen, verjährt oder verwirkt. Der Kläger habe sie über die sieben Jahre seit Inkrafttreten des neuen Lohngruppensystems nicht geltend gemacht.

8

Das Arbeitsgericht hat die Klage, soweit noch rechtshängig, abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers hinsichtlich des Antrags zu 2) durch ein Teilurteil zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision des Klägers ist erfolglos. Das Landesarbeitsgericht konnte durch Teilurteil entscheiden und hat den Feststellungsantrag zu 2) zu Recht abgewiesen.

10

I. Das Landesarbeitsgericht hat entgegen der Auffassung der Revision kein unzulässiges Teilurteil iSv. § 301 ZPO erlassen.

11

1. Der Erlass eines Teilurteils ist nach § 301 Abs. 1 ZPO nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig.

12

Ist von mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen nur der eine zur Endentscheidung reif, so hat das Gericht sie durch Endurteil als Teilurteil zu erlassen (§ 301 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung (zB BAG 23. März 2005 - 4 AZR 243/04 - mwN, BAGE 114, 194; BGH 11. Mai 2011 - VIII ZR 42/10 - mwN, BGHZ 189, 356) und Literatur (zB Zöller/Vollkommer ZPO 29. Aufl. § 301 Rn. 7; Stein/Jonas/Leipold ZPO 22. Aufl. § 301 Rn. 14 ff.; Musielak FS Lüke S. 561, 568 ff.) setzt die Entscheidungsreife voraus, dass das Teilurteil unabhängig vom Schlussurteil erlassen werden kann bzw. zwischen dem durch ein Teilurteil entschiedenen Teil einerseits und dem noch nicht entschiedenen Teil andererseits kein Widerspruch entstehen darf. Das bedeutet, dass es für den Erlass eines Teilurteils nicht auf solche Urteils- oder Begründungselemente ankommen darf, die auch bei der weiteren Entscheidung über den noch nicht entscheidungsreifen Teil maßgebend sein können. Eine solche Gefahr ist namentlich gegeben, wenn in einem Teilurteil aufgrund einer materiellrechtlichen Verzahnung zwischen den prozessual selbständigen Ansprüchen eine Frage entschieden wird, die sich dem Gericht im weiteren Verfahren über die verbleibenden Ansprüche noch einmal stellt oder stellen kann (BGH 11. Mai 2011 - VIII ZR 42/10 - Rn. 14, BGHZ 189, 356). Insoweit kommt es nicht nur auf das entscheidende Gericht selbst an, sondern darüber hinaus auf eine auch nur mögliche abweichende Beurteilung durch das Rechtsmittelgericht (BGH 27. Oktober 1999 - VIII ZR 184/98 -). Ist eine Entscheidung über den Gegenstand des Teilurteils nur möglich, wenn bei der Rechtsanwendung Fragen beantwortet werden, die auch für den verbleibenden Teil des Rechtsstreits von entscheidungserheblicher Bedeutung sind, ist ein Teilurteil unzulässig.

13

Die notwendige Widerspruchsfreiheit bezieht sich allerdings weder auf den Tenor des Teilurteils - dieser bindet das Gericht nach § 318 ZPO ohnehin - noch auf die Beantwortung abstrakter Rechtsfragen im Teilurteil, die für den weiteren Teil des Rechtsstreits von Bedeutung sind oder sein können. An die Beurteilung abstrakter Rechtsfragen in einem abgetrennten Teil des Zivilprozesses ist ein Gericht nicht gebunden; es kann sie im weiteren Verfahren auch abweichend beantworten (BAG 23. März 2005 - 4 AZR 243/04 - BAGE 114, 194; BGH 28. November 2003 - V ZR 123/03 - BGHZ 157, 133).

14

2. Unter Zugrundelegung dieser Kriterien erweist sich das Teilurteil des Landesarbeitsgerichts nicht als unzulässig.

15

a) Das Revisionsgericht ist auch ohne eine - hier allerdings ausdrücklich erhobene - entsprechende Verfahrensrüge gehalten, die Zulässigkeit des Teilurteils zu überprüfen (nunmehr BGH 11. Mai 2011 - VIII ZR 42/10 - Rn. 19 ff., BGHZ 189, 356).

16

b) Das Teilurteil des Landesarbeitsgerichts hat den im Hauptantrag zu 2) geltend gemachten Anspruch des Klägers auf Feststellung der Vergütungsverpflichtung der Beklagten nach der Lohngruppe 3 BRTV Bau verneint und sich bei der Überprüfung insgesamt mit vier verschiedenen Anspruchsgrundlagen befasst, die sämtlich auf unterschiedliche Lebenssachverhalte zurückzuführen sind und deshalb in der Sache jeweils einen eigenen Streitgegenstand bilden.

17

aa) Dabei hat das Landesarbeitsgericht folgende tarifliche Bestimmungen aus dem BRTV Bau, die für das Arbeitsverhältnis der Parteien kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit gelten, als maßgeblich angesehen:

        

„§ 5   

        

Lohn   

        

1. Lohngrundlage

        

…       

        

2. Grundlagen der Eingruppierung

                 

2.1     

Jeder Arbeitnehmer ist unter Beachtung des § 99 des Betriebsverfassungsgesetzes nach den folgenden Grundlagen in eine der Lohngruppen 1 bis 6 einzugruppieren.

                 

2.2     

Für die Eingruppierung des Arbeitnehmers sind seine Ausbildung, seine Fertigkeiten und Kenntnisse sowie die von ihm auszuübende Tätigkeit maßgebend. Die vereinbarte Eingruppierung ist dem Arbeitnehmer innerhalb eines Monats schriftlich zu bestätigen.

                 

2.3     

Führt ein Arbeitnehmer mehrere Tätigkeiten gleichzeitig aus, die in verschiedenen Gruppen genannt sind, wird er in diejenige Gruppe eingruppiert, die seiner überwiegenden Tätigkeit entspricht.

        

…       

        

3. Lohngruppen

                 

Es werden die folgenden Lohngruppen festgelegt:

                 

       

                 

Lohngruppe 3 - Facharbeiter/Baugeräteführer/Berufskraftfahrer -

                 

Tätigkeit:

                 

-       

Facharbeiten des jeweiligen Berufsbildes

                 

Regelqualifikation:

                 

-       

baugewerbliche Stufenausbildung in der zweiten Stufe im ersten Jahr

                 

-       

baugewerbliche Stufenausbildung in der ersten Stufe und Berufserfahrung

                 

-       

anerkannte Ausbildung außerhalb der baugewerblichen Stufenausbildung

                 

-       

anerkannte Ausbildung als Maler und Lackierer, Garten- und Landschaftsbauer, Tischler jeweils mit Berufserfahrung

                 

-       

anerkannte Ausbildung, deren Berufsbild keine Anwendung für eine baugewerbliche Tätigkeit findet, und Berufserfahrung

                 

-       

Berufsausbildung zum Baugeräteführer

                 

-       

Prüfung als Berufskraftfahrer

                 

-       

durch längere Berufserfahrung erworbene gleichwertige Fertigkeiten

        

Tätigkeitsbeispiele:

        

keine“

18

Weiter hat der Kläger seinen Klageanspruch auf die Überleitungsbestimmungen im TV-Lohnstrukturen gestützt, die ua. den folgenden Wortlaut haben:

        

„§ 2   

        

Übergang in die neuen Lohngruppen

        

(1) Zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe vom 4. Juli 2002 gehen die gewerblichen Arbeitnehmer wie folgt in die neuen Lohngruppen über:

        

1.    

Berufsgruppen I bis VIII

        
        

1.1     

Berufsgruppe I

in die Lohngruppe 6

        

…       

…       

…       

        

1.8     

Berufsgruppe VIII

in die Lohngruppe 1

        

2.    

Berufsgruppen M I bis M VI

        
        

2.1     

Berufsgruppe M I

in die Lohngruppe 6

        

…       

…       

…       

        

2.4     

Berufsgruppe M IV

in die Lohngruppe 3

                 

(M IV 1 - M IV 3)

        
        

2.5     

Berufsgruppe M V

in die Lohngruppe 2

                 

(M V 1 - M V 4)

        
        

2.6     

Berufsgruppe M VI

in die Lohngruppe 1

        

(2) … 

        

§ 3     

        

Lohnanspruch nach Übergang

        

(1) Ist der sich nach dem Übergang in die neue Lohnstruktur ergebende neue Gesamttarifstundenlohn niedriger als der bisherige Gesamttarifstundenlohn des gewerblichen Arbeitnehmers, so behält der Arbeitnehmer auch nach In-Kraft-Treten der neuen Lohnstruktur den Anspruch auf seinen bisherigen Gesamttarifstundenlohn (Besitzstandsregelung). Dieser nimmt an zukünftigen tariflichen Lohnerhöhungen teil. …

        

§ 4     

        

Inkrafttreten

        

Dieser Tarifvertrag tritt am 1. September 2002 in Kraft und kann mit einer Frist von sechs Monaten jeweils zum 31. Dezember, erstmals zum 31. Dezember 2006, gekündigt werden.“

19

bb) Über die weiteren Anträge des Klägers, den Hilfsantrag auf Feststellung der Vergütungsverpflichtung nach Lohngruppe 2a TV-Lohn West aufgrund der Überleitung aus der alten Berufsgruppe M V BRTV Bau aF und aufgrund des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes sowie über den unbedingt gestellten bezifferten Zahlungsantrag zu 1), dessen Berechnung sich auf die Differenz zwischen dem gezahlten Lohn und der begehrten Lohngruppe 3 BRTV Bau bezieht, hat das Landesarbeitsgericht keine Entscheidung getroffen.

20

cc) Bei der Anwendung der oa. tariflichen Bestimmungen auf den vom Kläger mit seinem Hauptantrag zu 2) zur Entscheidung gestellten Sachverhalt hat das Landesarbeitsgericht keine entscheidungserhebliche Frage beantwortet, die sich bei der Entscheidung über den Zahlungsantrag zu 1) und den Hilfsantrag zu 3) erneut stellen würde.

21

(1) Zur Begründung seines Hauptantrags zu 2) hat sich der Kläger auf vier verschiedene Anspruchsgrundlagen gestützt.

22

(a) Zum einen hat er die Auffassung vertreten, er erfülle die Anforderungen des Tätigkeitsmerkmals des dritten Spiegelstrichs von Lohngruppe 3 BRTV Bau. Er sei im Jahre 1999 als Schlosser eingestellt worden und zunächst auch tätig gewesen. Die Beklagte dürfe ihn nicht vertragswidrig beschäftigen und sich dann bei der Eingruppierung auf diese vertragswidrige Beschäftigung berufen. Seiner vertraglich geschuldeten Tätigkeit als Schlosser liege eine anerkannte Ausbildung außerhalb der baugewerblichen Stufenausbildung zugrunde.

23

(b) Zum anderen sei er auch in die Lohngruppe 3 letzter Spiegelstrich BRTV Bau einzugruppieren, wenn man seine tatsächlich ausgeübte Tätigkeit als Kraftfahrer zugrunde lege, da er über die einem Berufskraftfahrer gleichwertigen Fertigkeiten verfüge.

24

(c) Weiterhin ergebe sich seine Eingruppierung in die Lohngruppe 3 BRTV Bau aus den anlässlich der grundlegenden Neustrukturierung des BRTV Bau im Jahre 2002 vereinbarten Überleitungsregelungen des TV-Lohnstrukturen, die nach wie vor in Kraft seien. Es spiele keine Rolle, dass er erst zu einem späteren Zeitpunkt Gewerkschaftsmitglied geworden sei. Er sei früher als Baugeräteführer iSv. Berufsgruppe M IV 1 BRTV Bau aF tätig gewesen; daraus ergebe sich nach dem TV-Lohnstrukturen eine Überleitung in die Lohngruppe 3 BRTV Bau.

25

(d) Schließlich müsse man zumindest seine frühere Tätigkeit als Kraftfahrer zugrunde legen, die entsprechend der Berufsgruppe M IV 2 BRTV Bau aF nach dem TV-Lohnstrukturen zu einer Eingruppierung in die Lohngruppe 3 BRTV Bau führe.

26

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Abweisung des Feststellungsantrags zu 2) auf die Nichterfüllung der Anforderungen der Tätigkeitsmerkmale des BRTV Bau und auf die Unanwendbarkeit des TV-Lohnstrukturen gestützt.

27

(a) Da der Kläger schon seit März 2006 überwiegend als Kraftfahrer eingesetzt worden und seit Januar 2009 überhaupt nicht mehr in der Werkstatt tätig gewesen sei, könne er sich auf seine frühere Tätigkeit als Schlosser nicht berufen. Es habe keine vertragliche Abrede des Inhalts gegeben, nach der er ausschließlich oder hauptsächlich als Schlosser in der Werkstatt hätte tätig werden sollen. Zumindest über die Arbeit als Kraftfahrer hätten die Parteien stillschweigend eine vertragliche Vereinbarung getroffen.

28

(b) Als Kraftfahrer erfülle er die Anforderungen des Tätigkeitsmerkmals der Lohngruppe 3 letzter Spiegelstrich BRTV Bau nicht. Er sei kein geprüfter Berufskraftfahrer und verfüge auch nicht über durch längere Berufserfahrung erworbene gleichwertige Fertigkeiten. Hierfür mangele es unter anderem an Kenntnissen der Tank- und Siloreinigung, der Nahrungsmittel- und Gefahrguttransporte sowie der Personenbeförderung mit Kraftomnibussen.

29

(c) Auf eine Überleitung in die Lohngruppe 3 BRTV Bau aus dem bis 2002 geltenden System des BRTV Bau 2001 nach dem TV-Lohnstrukturen könne sich der Kläger schon deshalb nicht berufen, weil der TV-Lohnstrukturen nicht auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbar sei. Dieser Überleitungstarifvertrag habe lediglich zum damaligen Zeitpunkt die Überleitung in das neue Tarifsystem geregelt. Damals sei das alte Tarifsystem aber nicht maßgebend für das Arbeitsverhältnis gewesen, weil der Kläger erst im Jahre 2009 in die Gewerkschaft eingetreten sei. Damit könne keine von den zu diesem Zeitpunkt geltenden Eingruppierungsregelungen im BRTV Bau (neu) unabhängige Eingruppierung begründet werden.

30

(3) Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über den Hauptantrag zu 2) enthält damit keine Begründungselemente, die für die Entscheidung über den verbleibenden Teil des Rechtsstreits, den Hauptantrag zu 1) und den Hilfsantrag zu 3) von Bedeutung sein können und das Berufungsgericht nicht über § 318 ZPO sowieso schon binden.

31

(a) Der Tenor des Teilurteils ist nach § 318 ZPO im weiteren Rechtsstreit verbindlich zugrunde zu legen. Hinsichtlich des Hilfsantrags hat dies keinerlei Auswirkungen, da dieser auf die Feststellung der Vergütungsverpflichtung nach Lohngruppe 2a TV-Lohn West gerichtet ist. Soweit der Hauptantrag zu 1) auf Zahlung gerichtet ist, entfaltet die getroffene Feststellung Bindungswirkung dahin gehend, dass einem etwaigen Restvergütungsanspruch des Klägers jedenfalls nicht die Eingruppierung in die Lohngruppe 3 BRTV Bau zugrunde gelegt werden kann. Das hat zwar unmittelbare Auswirkungen auf die Entscheidung über den Zahlungsantrag. Dies betrifft aber nicht das Gebot der Widerspruchsfreiheit zwischen Teil- und Schlussurteil, da es hier nicht um ein Begründungselement des Teilurteils geht, sondern um den Tenor selbst, an den das Berufungsgericht nach Maßgabe des § 318 ZPO ohnehin gebunden ist.

32

(b) Bei der Widerspruchsfreiheit des entschiedenen Teils zum verbleibenden Teil der Entscheidung über den Hilfsantrag des Klägers auf Feststellung der Lohngruppe 2a TV-Lohn West ist zu differenzieren.

33

(aa) Dieser Hilfsantrag bezieht sich nach der Begründung des Landesarbeitsgerichts ausschließlich auf die Frage, ob ein Verstoß der Beklagten gegen das arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgebot vorliegt, indem die Beklagte andere bei ihr beschäftigte Kraftfahrer aufgrund eines generalisierenden Prinzips bewusst übertariflich nach der Lohngruppe 2a TV-Lohn West vergütet. Insoweit hat das Landesarbeitsgericht zu Recht einen Einfluss der Begründungselemente seines Teilurteils auf diese Folgeentscheidung verneint. Denn dabei handelt es sich um einen Sachverhalt, dessen rechtliche Bewertung von der Eingruppierung des Klägers in die Lohngruppe 3 BRTV Bau - sei es originär, sei es aufgrund des TV-Lohnstrukturen - unabhängig ist.

34

(bb) Das Landesarbeitsgericht hat zwar im Weiteren übersehen, dass der Kläger eine Eingruppierung in die Lohngruppe 2a TV-Lohn West auch auf eine tarifliche Überleitungsregelung stützt. Diese ist aber nicht Inhalt des vom Landesarbeitsgericht behandelten und für unanwendbar gehaltenen TV-Lohnstrukturen, sondern des TV-Lohn West. Nach dem Willen der Tarifvertragsparteien sollte mit dieser „Sonderlohngruppe 2a“ in einem besondern Teil des Tarifgebiets für bestimmte Arbeitnehmer der 2002 neu geschaffenen Lohngruppe 2 eine neue Lohngruppe mit einer höheren Vergütung gebildet werden (vgl. dazu BAG 28. September 2005 - 10 AZR 593/04 -). Die Kriterien für die Überleitung aus dem bisherigen Berufsgruppensystem in die Sonderlohngruppe 2a sind in § 2 Abs. 7 Satz 2 TV-Lohn West(jetzt § 2 Abs. 6 Satz 2 TV-Lohn West idF vom 23. Mai 2009) geregelt worden.

35

Mit dem TV-Lohn West und den Voraussetzungen für die Überleitung in die Sonderlohngruppe 2a befasst sich das Teilurteil des Landesarbeitsgerichts jedoch nicht, sondern lediglich mit dem für den Hilfsantrag danach unbeachtlichen Überleitungsbestimmungen des TV-Lohnstrukturen. Deshalb ist ein möglicher Widerspruch der noch offenen Entscheidung über den Hilfsantrag zu einem Begründungselement des Teilurteils nicht ersichtlich.

36

II. Die Revision ist in der Sache unbegründet. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts weist keine revisiblen Rechtsfehler auf. Der Kläger hat keinen Anspruch auf ein Entgelt nach der Lohngruppe 3 BRTV Bau.

37

1. Der Kläger ist nicht als Schlosser nach dem Tätigkeitsmerkmal dritter Spiegelstrich der Lohngruppe 3 BRTV Bau zu vergüten.

38

a) Das Landesarbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, für die Eingruppierung des Klägers komme es nicht auf seine frühere Tätigkeit als Schlosser an, da er schon seit März 2006 überwiegend als Kraftfahrer eingesetzt worden und seit Januar 2009 überhaupt nicht mehr in der Werkstatt tätig gewesen sei. Zumindest über den überwiegenden Einsatz als Kraftfahrer hätten die Parteien stillschweigend eine vertragliche Vereinbarung getroffen. Dieser habe niemals geltend gemacht, dass sein Einsatz als Kraftfahrer vertragswidrig sei. Deshalb sei die Zuweisung von Tätigkeiten als Kraftfahrer, die der Kläger ab März 2006 überwiegend ausgeübt habe, auch zulässig gewesen.

39

b) Diese Begründung hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Der Kläger hat nicht dargetan, dass sein überwiegender Einsatz als Kraftfahrer nicht vom Direktionsrecht der Beklagten gedeckt gewesen ist. Er hat lediglich vorgetragen, die zur ursprünglich vereinbarten Tätigkeit als Schlosser „hinzutretende zusätzliche Tätigkeit als Kraftfahrer (sei) jedenfalls nicht ausschließlich Inhalt des vorliegenden Arbeitsvertragsverhältnisses geworden“. Hiervon ist das Landesarbeitsgericht aber auch nicht ausgegangen. Wie der Kläger selbst hat es lediglich dessen Einsatz als Kraftfahrer als vertragsgemäß angesehen, auch wenn dieser nicht ausschließlich Inhalt des Arbeitsvertrags sei. Insofern reicht aber schon die vertragsgemäße überwiegende Tätigkeit des Klägers als Kraftfahrer, auf die selbst bei mehreren Tätigkeiten unterschiedlicher Bewertung nach § 5 Nr. 2.3 BRTV Bau abzustellen ist, um eine etwaige frühere Schlossertätigkeit geringen Umfangs für die Eingruppierung nicht heranzuziehen.

40

2. Das Landesarbeitsgericht hat auch zu Recht entschieden, dass der Kläger als nicht geprüfter Kraftfahrer, der auch nicht über durch längere Berufserfahrung erworbene gleichwertige Fertigkeiten eines Berufskraftfahrers verfüge, kein Berufskraftfahrer iSd. Lohngruppe 3 BRTV Bau ist. Ihm fehlten unter anderem die erforderlichen Kenntnisse in der Tank- und Siloreinigung, für die Nahrungsmittel- und Gefahrguttransporte sowie der Personenbeförderung mit Kraftomnibussen.

41

Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision sind erfolglos. Soweit der Kläger geltend macht, dass lediglich diejenigen Ausbildungsinhalte „gleichwertig“ erworben sein müssten, die in einem Betrieb des Baugewerbes - allgemein oder gar dem konkreten Beschäftigungsbetrieb - abverlangt werden könnten, ist dies unzutreffend. Das Landesarbeitsgericht ist bei seinen Erwägungen zutreffend von der Voraussetzung ausgegangen, dass die Formulierung im letzten Spiegelstrich der Aufzählung der Regelqualifikationen in der Lohngruppe 3 BRTV Bau („durch längere Berufserfahrung erworbene gleichwertige Fertigkeiten“) sich auf alle davor, also in den Spiegelstrichen 1 bis 7 genannten beruflichen Qualifikationsanforderungen bezieht. Bereits aus dem Wortlaut der Tarifnorm ergibt sich damit, dass die erworbenen Fertigkeiten der jeweils genannten formalen Regelqualifikation „gleichwertig“ sein müssen. Diese Gleichwertigkeit bezieht sich auf die in der Ausbildung vermittelten Inhalte (zB für die der baugewerblichen Stufenausbildung - zweiter Spiegelstrich - entsprechenden Fertigkeiten BAG 14. November 2007 - 4 AZR 863/06 - BAGE 125, 57).

42

3. Das Landesarbeitsgericht hat weiter zu Recht angenommen, dass die Überleitungsvorschriften des TV-Lohnstrukturen die zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens 2002 bestehenden Eingruppierungen und Vergütungen in die neuen Lohnstrukturen gem. § 5 BRTV Bau überleiten sollten, auf nach dem Überleitungszeitpunkt begründete oder der Tarifgebundenheit unterworfene Arbeitsverhältnisse nicht anwendbar sind.

43

Der Hinweis der Revision, der Kläger könne sich als Gewerkschaftsmitglied gegenüber der tarifgebundenen Beklagten auf den TV-Lohnstrukturen berufen, soweit die sonstigen Voraussetzungen der jeweiligen Vergütungsgruppe gegeben seien, weil der TV-Lohnstrukturen nach wie vor gelte, geht fehl.

44

Der TV-Lohnstrukturen befasste sich zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens im Jahre 2002 mit der Überleitung der nach dem BRTV Bau aF eingruppierten Arbeitnehmer. Zu diesen gehörte der Kläger nicht. Sein Arbeitsverhältnis unterlag zu diesem Zeitpunkt nicht dem BRTV Bau aF. Er war nicht nach diesem Tarifvertrag eingruppiert. Er wurde deshalb von dem Überleitungstarifvertrag nicht erfasst. Es bedurfte für ihn keiner Überleitung. Die Eingruppierung derjenigen Arbeitsverhältnisse, die erst nach dem Inkrafttreten der Neuregelungen des BRTV Bau im Jahre 2002 diesem erstmals unterfielen, erfolgt allein nach dem BRTV Bau in seiner ab 2002 geltenden Fassung, unabhängig davon, ob diese erstmalige Geltung des BRTV Bau auf einer Neueinstellung oder einer erst in diesem Zeitraum entstandenen Tarifgebundenheit beruhte. So hätte auch ein Arbeitgeber, der zB im Jahre 2005 dem tarifschließenden Arbeitgeberverband beitrat, eine Eingruppierung allein nach Maßgabe des BRTV Bau durchführen und keine - gleichsam rückwirkende - Eingruppierung nach den alten Regelungen des BRTV Bau aF nebst anschließender fiktiver Überleitung nach dem TV-Lohnstrukturen vornehmen müssen. Der Kläger hat niemals einer „Berufsgruppe“ des alten BRTV Bau angehört, so dass die Überleitungsregelungen für ihn nicht gelten.

45

III. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

        

    Eylert    

        

    Treber    

        

    Creutzfeldt    

        

        

        

    Kiefer    

        

    Fritz    

                 

Wegen eines Mangels im Verfahren des Arbeitsgerichts ist die Zurückverweisung unzulässig.

(1) Das Berufungsgericht hat die notwendigen Beweise zu erheben und in der Sache selbst zu entscheiden.

(2) Das Berufungsgericht darf die Sache, soweit ihre weitere Verhandlung erforderlich ist, unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an das Gericht des ersten Rechtszuges nur zurückverweisen,

1.
soweit das Verfahren im ersten Rechtszuge an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist,
2.
wenn durch das angefochtene Urteil ein Einspruch als unzulässig verworfen ist,
3.
wenn durch das angefochtene Urteil nur über die Zulässigkeit der Klage entschieden ist,
4.
wenn im Falle eines nach Grund und Betrag streitigen Anspruchs durch das angefochtene Urteil über den Grund des Anspruchs vorab entschieden oder die Klage abgewiesen ist, es sei denn, dass der Streit über den Betrag des Anspruchs zur Entscheidung reif ist,
5.
wenn das angefochtene Urteil im Urkunden- oder Wechselprozess unter Vorbehalt der Rechte erlassen ist,
6.
wenn das angefochtene Urteil ein Versäumnisurteil ist oder
7.
wenn das angefochtene Urteil ein entgegen den Voraussetzungen des § 301 erlassenes Teilurteil ist
und eine Partei die Zurückverweisung beantragt. Im Fall der Nummer 3 hat das Berufungsgericht sämtliche Rügen zu erledigen. Im Fall der Nummer 7 bedarf es eines Antrags nicht.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Teilurteil des Arbeitsgerichts Köln vom 02.05.2014 – 1 Ca 4466/13 – aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Berufungsverfahrens – an das Arbeitsgericht Köln zurückverwiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.


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Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 16. August 2012 - 13 Sa 1408/11 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier außerordentlicher Kündigungen und Gehaltsansprüche des Klägers.

2

Der Kläger war bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen seit etwa 30 Jahren beschäftigt. Ab 1983 erbrachte er seine Tätigkeit in Kuwait, zuletzt als „General Manager“. Dem Arbeitsverhältnis lag ein Arbeitsvertrag von September 2004 zugrunde. Dort war ua. bestimmt, dass der Vertrag „ausschließlich dem Arbeitsgesetz und den anderen relevanten Gesetzen in Kuwait in der jeweils gültigen Fassung“ unterliege.

3

Mit Schreiben vom 26. Oktober 2007 kündigte die Rechtsvorgängerin der Beklagten das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich mit der Begründung, der Kläger habe gezielt Auftragsvergaben zu ihren Lasten beeinflusst. Mit seiner rechtzeitig erhobenen Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht.

4

Am 2. April 2008 kündigte die Rechtsvorgängerin der Beklagten vorsorglich erneut außerordentlich. Mit Schriftsatz vom 9. September 2008 hat sich der Kläger auch gegen diese Kündigung gewandt und darüber hinaus Ansprüche aus Annahmeverzug geltend gemacht.

5

Er hat zuletzt beantragt

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 26. Oktober 2007 nicht beendet worden ist, sondern ungekündigt fortbesteht;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 2. April 2008 beendet worden ist;

3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 120.039,30 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 13.337,70 Euro seit dem jeweils Ersten der Monate Januar 2008 bis einschließlich September 2008 zu zahlen.

6

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Kündigungen für wirksam gehalten. Ansprüche aus Annahmeverzug beständen nicht.

7

Am 7. Oktober 2008 hat der Kläger in der arbeitsrechtlichen Streitigkeit der Parteien auch vor einem kuwaitischen Gericht Klage erhoben. Mit Urteil vom 9. Januar 2012 hat die dortige erste Instanz zu seinen Gunsten entschieden. Die Beklagte hat Rechtsmittel eingelegt.

8

Im vorliegenden Verfahren hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Es hat angenommen, Gegenstand des Rechtsstreits sei ein - deutschem Recht unterliegendes - Arbeitsverhältnis gewesen, das neben demjenigen bestanden habe, welches durch Vertrag vom September 2004 begründet worden sei und kuwaitischem Recht unterliege. Es sei durch die außerordentliche Kündigung vom 26. Oktober 2007 wirksam beendet worden. Den Fortbestand des dem kuwaitischen Recht unterliegenden Arbeitsverhältnisses habe der Kläger - ausschließlich - bei den kuwaitischen Gerichten geltend gemacht. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht das Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Arbeitsgericht zurückverwiesen. Mit der Revision begehrt die Beklagte, das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist begründet. Das angegriffene Urteil war aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dieses musste in der Sache entscheiden und durfte den Rechtsstreit nicht seinerseits an das Arbeitsgericht zurückverweisen. Der Senat selbst kann über die Klageanträge nicht abschließend befinden. Der relevante Sachverhalt ist noch nicht hinreichend festgestellt (§ 563 Abs. 3 ZPO).

10

I. Das Landesarbeitsgericht hat den Rechtsstreit zu Unrecht an das Arbeitsgericht zurückverwiesen.

11

1. Gemäß § 68 ArbGG ist die Zurückverweisung des Rechtsstreits wegen eines Mangels im Verfahren des Arbeitsgerichts unzulässig.

12

a) Die Vorschrift schränkt die in § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO für den Fall eines Verfahrensmangels vorgesehene Möglichkeit der Zurückverweisung an die erste Instanz ein(vgl. GMP/Germelmann ArbGG 8. Aufl. § 68 Rn. 1). Im arbeitsgerichtlichen Verfahren hat das Berufungsgericht grundsätzlich selbst in der Sache zu entscheiden. Die Vorschrift dient der Prozessbeschleunigung (BAG 4. Dezember 1958 - 2 AZR 282/57 - zu 3 der Gründe, BAGE 7, 99). Sie gilt auch bei schwerwiegenden Verfahrensfehlern (GMP/Germelmann ArbGG 8. Aufl. § 68 Rn. 2; ErfK/Koch 14. Aufl. § 68 ArbGG Rn. 1).

13

b) Eine Zurückverweisung an das Arbeitsgericht kommt - neben den in § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 7 ArbGG genannten Fällen - ausnahmsweise in Betracht, wenn ein Verfahrensfehler vorliegt, der in der Berufungsinstanz nicht korrigiert werden kann (BAG 20. Februar 2014 - 2 AZR 248/13 -; GMP/Germelmann ArbGG 8. Aufl. § 68 Rn. 4; GK-ArbGG/Vossen § 68 Rn. 12; Düwell/Lipke/Maul-Sartori ArbGG 3. Aufl. § 68 Rn. 10; Hauck/Helml/Biebl ArbGG 4. Aufl. § 68 Rn. 4; ErfK/Koch 14. Aufl. § 68 ArbGG Rn. 2). Das ist etwa der Fall, wenn das Gericht erster Instanz eine Entscheidung getroffen hat, ohne dass - wirksam - Sachanträge gestellt worden wären (BAG 26. Juni 2008 - 6 AZR 478/07 - Rn. 20) oder wenn ein Urteil gegen eine in Wahrheit nicht beklagte Partei ergangen ist (BAG 20. Februar 2014 - 2 AZR 248/13 -).

14

2. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts leidet das Urteil des Arbeitsgerichts im Streitfall nicht an einem solchen nicht korrigierbaren Verfahrensmangel.

15

a) Allerdings hat das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen, das Arbeitsgericht habe gegen § 308 Abs. 1 ZPO verstoßen, weil es dem Kläger etwas abgesprochen habe, was nicht beantragt worden sei.

16

aa) Gemäß § 308 Abs. 1 ZPO ist das Gericht nicht befugt, einer Partei etwas zu- oder abzusprechen, was nicht beantragt ist. Die Regelung ist Ausdruck der im Zivilprozess geltenden Dispositionsmaxime. Das Gericht darf nur über den geltend gemachten Anspruch und Streitgegenstand entscheiden. Die Antragsbindung besteht sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht. Das Gericht darf weder über ein „plus“ noch ein „aliud“ befinden (Zöller/Vollkommer ZPO 30. Aufl. § 308 Rn. 2; Musielak/Musielak ZPO 10. Aufl. § 308 Rn. 7).

17

bb) Nach dem für das arbeitsgerichtliche Urteilsverfahren geltenden zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff wird der Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens durch den gestellten Antrag (Klageantrag) und den ihm zugrunde liegenden Lebenssachverhalt (Klagegrund) bestimmt. Der Streitgegenstand ändert sich, wenn der entweder gestellte Antrag oder der ihm zugrunde liegende Lebenssachverhalt ein anderer geworden ist (BAG 26. Juni 2013 - 5 AZR 428/12 - Rn. 16; 13. Dezember 2011 - 1 AZR 508/10 - Rn. 21 mwN).

18

cc) Danach hat das Arbeitsgericht über einen Anspruch entschieden, den der Kläger nicht geltend gemacht hatte, und gegen § 308 Abs. 1 ZPO verstoßen. Es hat zwar, indem es die Wirksamkeit der Kündigung vom 26. Oktober 2007 angenommen und die Klage abgewiesen hat, über den gestellten Klageantrag entschieden. Es hat seiner Entscheidung jedoch einen anderen als den vom Kläger geltend gemachten Klagegrund und Lebenssachverhalt zugrunde gelegt.

19

(1) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, zwischen den Parteien habe nur ein Arbeitsverhältnis bestanden. Dieses sei Anfang der achtziger Jahre begründet und durch den Vertrag vom September 2004 lediglich auf eine neue Grundlage gestellt worden. Für die Auffassung des Arbeitsgerichts, neben das seinerzeit begründete habe im September 2004 ein weiteres - nunmehr kuwaitischem Recht unterliegendes - Arbeitsverhältnis treten sollen, gibt es nach dem Vortrag der Parteien keine tatsächlichen Anhaltspunkte.

20

(2) Auf der Grundlage seiner Annahme, es bestünden zwei - das eine deutschem, das andere kuwaitischem Recht unterstehende - Arbeitsverhältnisse, hat das Arbeitsgericht über einen vom Kläger nicht vorgebrachten und auch tatsächlich nicht existenten Lebenssachverhalt entschieden. Zugleich hat es eine Entscheidung über den maßgeblichen Streitgegenstand unterlassen.

21

b) Der Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO erlaubt gleichwohl nicht die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht. Es handelt sich nicht um einen Verfahrensfehler, der nicht vom Landesarbeitsgericht korrigiert werden könnte.

22

aa) Gemäß § 528 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG unterliegen der Entscheidung des Berufungsgerichts nur die Berufungsanträge. Das Berufungsgericht ist danach nur insoweit zur Entscheidung befugt, wie ihm der Rechtsstreit zur Entscheidung angefallen ist. Dies setzt voraus, dass das Eingangsgericht über den erstinstanzlich rechtshängig gemachten Streitgegenstand entschieden hat und die Entscheidung angefochten worden ist. Ob und inwieweit über einen Anspruch erstinstanzlich entschieden wurde, ist im Einzelfall durch Auslegung des angefochtenen Urteils zu ermitteln (vgl. MünchKommZPO/Rimmelspacher 4. Aufl. § 528 Rn. 7).

23

(1) Hat das Gericht erster Instanz ein Endurteil erlassen, dabei aber über einen Streitgegenstand oder einen abtrennbaren Teil desselben bewusst nicht entschieden, liegt ein Teilurteil iSv. § 301 ZPO vor. Der von ihm nicht erfasste Streitgegenstand bleibt beim Eingangsgericht anhängig. Etwas anderes gilt nur, wenn ein Teilurteil unzulässig ist. In diesem Fall kann das Rechtsmittelgericht den nicht von der Entscheidung erfassten Teil des Streitgegenstands an sich ziehen und so den unzulässig geteilten Streitgegenstand wieder zusammenführen (BAG 24. November 2004 - 10 AZR 169/04 - zu B I 4 c der Gründe, BAGE 113, 21; BGH 13. Oktober 2000 - V ZR 356/99 - zu III der Gründe).

24

(2) Hat das Gericht erster Instanz über einen von mehreren Streitgegenständen versehentlich nicht entschieden, bleibt dieser Teil ebenfalls zunächst bei ihm anhängig. Der Kläger kann die Ergänzung des Urteils nach § 321 ZPO beantragen. Versäumt er die Frist des § 321 Abs. 2 ZPO, erlischt die Rechtshängigkeit des betreffenden Streitgegenstands.

25

(3) Etwas anderes gilt, wenn das Gericht erster Instanz über einen Streitgegenstand deshalb nicht entschieden hat, weil es das Klagebegehren unzutreffend ausgelegt hat (vgl. Zöller/Heßler ZPO 30. Aufl. § 528 Rn. 12). In einem solchen Fall hat es aus seiner Sicht - wenngleich objektiv rechtsfehlerhaft - über das ganze Klagebegehren und damit über den gesamten Streitstoff entschieden. Zum Inhalt seiner Entscheidung gehört auch die Frage, welcher Anspruch erhoben und beschieden worden ist (vgl. BGH 28. Mai 1998 - I ZR 275/95 - zu II 2 a der Gründe). Legt die beschwerte Partei gegen die Entscheidung Berufung ein, gelangt der Streitgegenstand folglich insgesamt in die zweite Instanz (vgl. MünchKommZPO/Rimmelspacher 4. Aufl. § 528 Rn. 8; Prütting/Gehrlein/Oberheim ZPO 5. Aufl. § 528 Rn. 6). Der Rechtsfehler des erstinstanzlichen Gerichts kann damit durch das Berufungsgericht korrigiert werden. Für einen Antrag auf Erlass eines Ergänzungsurteils nach § 321 ZPO ist dementsprechend kein Raum(BGH 27. November 1979 - VI ZR 40/78 - zu II 2 b der Gründe).

26

bb) Hier ist dem Landesarbeitsgericht der Gegenstand des arbeitsgerichtlichen Verfahrens vollständig zur Entscheidung angefallen. Die „Auswechslung“ des dem Kündigungsschutzantrag zugrunde liegenden Lebenssachverhalts durch das Arbeitsgericht hat nicht bewirkt, dass ein Teil des Streitgegenstands noch in erster Instanz anhängig geblieben wäre.

27

(1) Das Arbeitsgericht hat angenommen, die Parteien stritten lediglich über den Fortbestand eines dem deutschen Recht unterliegenden Arbeitsverhältnisses. Ein Streit über das mit Vertrag von September 2004 begründete weitere Arbeitsverhältnis sei bei ihm nicht anhängig. Damit hat es sowohl nach dem formellen Antrag als auch inhaltlich über den gesamten ihm aus seiner Sicht unterbreiteten Lebenssachverhalt entschieden. Sein Rechtsfehler besteht nicht darin, dass es über einen Teil des geltend gemachten Begehrens nicht entschieden hätte, sondern darin, dass es das Begehren des Klägers unzutreffend ausgelegt hat. Diesen Rechtsfehler hat der Kläger mit seiner Berufung gerügt. Auf diese Weise ist der gesamte Streitstoff in die Rechtsmittelinstanz gelangt. Über ihn konnte und musste das Berufungsgericht mit Blick auf § 68 ArbGG selbst entscheiden.

28

(2) Dem kann nicht entgegengehalten werden, die Parteien „verlören“ in diesem Fall eine Instanz. Den Verlust einer (Tatsachen-)Instanz hat der Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen (Bader/Creutzfeldt/Friedrich ArbGG 5. Aufl. § 68 Rn. 1; Däuber/Hjort/Schubert/Wolmerath ArbGG 3. Aufl. § 68 Rn. 1). Er wird durch die Beschleunigung des Verfahrens aufgewogen (BAG 4. Dezember 1958 - 2 AZR 282/57 - BAGE 7, 99). Das Rechtsstaatsprinzip verlangt nicht zwingend einen mehrstufigen Instanzenzug. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, unter Abwägung und Ausgleich der betroffenen Interessen zu entscheiden, ob es bei einer Instanz bleiben soll, ob mehrere Instanzen bereitgestellt werden und unter welchen Voraussetzungen sie angerufen werden können (vgl. BVerfG 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02 - [Fachgerichtlicher Rechtsschutz] zu C I 2 a der Gründe, BVerfGE 107, 395; BAG 4. Mai 2011 - 7 AZR 252/10 - Rn. 30, BAGE 138, 9).

29

II. Ob die Klage zulässig und begründet ist, vermag der Senat nicht abschließend zu beurteilen. Das Landesarbeitsgericht hat dies - aus seiner Sicht folgerichtig - nicht geprüft und dazu keine Feststellungen getroffen. Dies wird es unter Beachtung der nachstehenden Erwägungen nachzuholen haben.

30

1. Die deutschen Gerichte sind - wie das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zu Recht angenommen hat - international zuständig.

31

a) Die internationale Zuständigkeit richtet sich nach der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO). Der für ihre Anwendung erforderliche Auslandsbezug ist gegeben. Nach dem Erwägungsgrund Nr. 8 reicht es insoweit aus, dass der fragliche Rechtsstreit einen Bezugspunkt zum Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufweist (vgl. HK-ZPO/Dörner 5. Aufl. VO (EG) Vorbem. zu Art. 1 Rn. 3; Musielak/Stadler ZPO 10. Aufl. VO (EG) Art. 2 Rn. 2; zur Rechtslage nach dem EuGVÜ EuGH 13. Juli 2000 - C-412/98 -).

32

b) Nach Art. 19 Nr. 1 EuGVVO kann ein Arbeitgeber vom Arbeitnehmer vor den Gerichten des Mitgliedstaats verklagt werden, in dem er seinen Wohnsitz hat. Gesellschaften und juristische Personen haben ihren Wohnsitz an dem Ort, an dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung befindet (Art. 60 Abs. 1 EuGVVO). Der Sitz der Beklagten liegt in Deutschland.

33

2. In prozessualer Hinsicht wird das Landesarbeitsgericht zu prüfen haben, ob die Entscheidung der kuwaitischen Gerichte einer eigenen Sachentscheidung entgegensteht.

34

a) Gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO darf die Streitsache während der Dauer der Rechtshängigkeit von keiner Partei anderweitig anhängig gemacht werden. Ist die Sache bereits bei einem anderen Gericht rechtshängig, ist die zweite Klage als unzulässig abzuweisen (zB MünchKommZPO/Becker-Eberhard 4. Aufl. § 261 Rn. 42). Das gilt grundsätzlich auch für die Rechtshängigkeit im Ausland, sofern mit der Anerkennung der vom ausländischen Gericht zu treffenden Entscheidung zu rechnen ist (BGH 10. Oktober 1985 - I ZR 1/83 - zu I 1 der Gründe). Hat ein Gericht die bereits bestehende anderweitige Rechtshängigkeit übersehen und rechtskräftig in der Sache entschieden, muss das andere Gericht die Rechtskraft dieses Urteils seinerseits beachten und muss die bei ihm anhängige Klage als unzulässig abweisen (BGH 6. Oktober 1982 - IVb ZR 729/80 - zu II 2 a der Gründe; MünchKommZPO/Becker-Eberhard, aaO).

35

b) Die Rechtskraft eines Urteils steht der Sachentscheidung in einem anderen Verfahren allerdings nur entgegen, wenn die Gegenstände beider Streitigkeiten identisch sind. Eine Identität ist gegeben, wenn Klageantrag und Lebenssachverhalt übereinstimmen (vgl. BGH 17. Mai 2001 - IX ZR 256/99 - zu A I 1 der Gründe). Dies ist nicht der Fall, wenn sich entweder der Antrag oder der zur Entscheidung gestellte Lebenssachverhalt nicht deckt (MünchKommZPO/Becker-Eberhard 4. Aufl. § 261 Rn. 56).

36

c) Die anderweitige Rechtshängigkeit sowie die entgegenstehende Rechtskraft sind Prozesshindernisse, die grundsätzlich von Amts wegen zu berücksichtigen sind. Amtsprüfung bedeutet dabei keine Amtsermittlung, sondern verlangt nur, einen Sachverhalt, der ein solches Hindernis ergibt, auch ohne entsprechende Rüge zu berücksichtigen. Das Gericht kann zu einem Hinweis nach § 139 Abs. 2 ZPO verpflichtet sein, wenn Anlass zu der Annahme besteht, es könnte ein Verfahrenshindernis vorliegen (BGH 20. Januar 1989 - V ZR 173/87 - zu 2 der Gründe).

37

d) Im Streitfall ist der Rechtsstreit in Kuwait - entgegen der Feststellung des Landesarbeitsgerichts - nicht vor, sondern nach der hier zu bescheidenden Klage rechtshängig geworden. Eine dortige Entscheidung in der Sache bildete daher - abgesehen von ihrer Anerkennungsfähigkeit - nur dann ein Prozesshindernis im hiesigen Verfahren, wenn die Entscheidung des kuwaitischen Gerichts schon rechtskräftig und die Streitgegenstände identisch wären. Dies hat bislang keine der Parteien geltend gemacht.

38

3. Sollte es auf die Frage ankommen, ob auf den Streitfall das kuwaitische materielle Recht anzuwenden ist, hat das Landesarbeitsgericht die entsprechende Prüfung nach Art. 27 ff. EGBGB (aF) vorzunehmen.

39

a) Die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I-VO) findet gemäß ihrem Art. 28 auf den Streitfall keine Anwendung. Der Arbeitsvertrag der Parteien wurde vor dem 17. Dezember 2009 geschlossen.

40

b) Nach Art. 27 Abs. 1 Satz 1 EGBGB (aF) unterliegt ein Vertrag dem von den Parteien gewählten Recht. Im Streitfall haben diese für die arbeitsrechtlichen Streitigkeiten ausdrücklich die Geltung kuwaitischen Rechts vereinbart. Allerdings darf die Rechtswahl gemäß Art. 30 Abs. 1 EGBGB (aF) nicht dazu führen, dass dem Arbeitnehmer der Schutz entzogen wird, der ihm durch die zwingenden Bestimmungen des gemäß Art. 30 Abs. 2 EGBGB (aF) ohne Rechtswahl anwendbaren Rechts gewährt wird. Die Vorschrift soll gewährleisten, dass dem Arbeitnehmer als der typischerweise sozial und wirtschaftlich schwächeren Partei durch die Rechtswahl nicht der Mindestschutz „seines“ Rechts entzogen wird (BT-Drs. 10/504 S. 81). Für die Annahme, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien danach deutsches Recht oder gar das Recht eines anderen Staates anzuwenden wäre, bestehen derzeit keine Anhaltspunkte.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Kreft    

        

        

        

    Sieg    

        

    Nielebock    

                 

(1) Das Berufungsgericht hat die notwendigen Beweise zu erheben und in der Sache selbst zu entscheiden.

(2) Das Berufungsgericht darf die Sache, soweit ihre weitere Verhandlung erforderlich ist, unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an das Gericht des ersten Rechtszuges nur zurückverweisen,

1.
soweit das Verfahren im ersten Rechtszuge an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist,
2.
wenn durch das angefochtene Urteil ein Einspruch als unzulässig verworfen ist,
3.
wenn durch das angefochtene Urteil nur über die Zulässigkeit der Klage entschieden ist,
4.
wenn im Falle eines nach Grund und Betrag streitigen Anspruchs durch das angefochtene Urteil über den Grund des Anspruchs vorab entschieden oder die Klage abgewiesen ist, es sei denn, dass der Streit über den Betrag des Anspruchs zur Entscheidung reif ist,
5.
wenn das angefochtene Urteil im Urkunden- oder Wechselprozess unter Vorbehalt der Rechte erlassen ist,
6.
wenn das angefochtene Urteil ein Versäumnisurteil ist oder
7.
wenn das angefochtene Urteil ein entgegen den Voraussetzungen des § 301 erlassenes Teilurteil ist
und eine Partei die Zurückverweisung beantragt. Im Fall der Nummer 3 hat das Berufungsgericht sämtliche Rügen zu erledigen. Im Fall der Nummer 7 bedarf es eines Antrags nicht.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 16. August 2012 - 13 Sa 1408/11 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier außerordentlicher Kündigungen und Gehaltsansprüche des Klägers.

2

Der Kläger war bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen seit etwa 30 Jahren beschäftigt. Ab 1983 erbrachte er seine Tätigkeit in Kuwait, zuletzt als „General Manager“. Dem Arbeitsverhältnis lag ein Arbeitsvertrag von September 2004 zugrunde. Dort war ua. bestimmt, dass der Vertrag „ausschließlich dem Arbeitsgesetz und den anderen relevanten Gesetzen in Kuwait in der jeweils gültigen Fassung“ unterliege.

3

Mit Schreiben vom 26. Oktober 2007 kündigte die Rechtsvorgängerin der Beklagten das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich mit der Begründung, der Kläger habe gezielt Auftragsvergaben zu ihren Lasten beeinflusst. Mit seiner rechtzeitig erhobenen Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht.

4

Am 2. April 2008 kündigte die Rechtsvorgängerin der Beklagten vorsorglich erneut außerordentlich. Mit Schriftsatz vom 9. September 2008 hat sich der Kläger auch gegen diese Kündigung gewandt und darüber hinaus Ansprüche aus Annahmeverzug geltend gemacht.

5

Er hat zuletzt beantragt

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 26. Oktober 2007 nicht beendet worden ist, sondern ungekündigt fortbesteht;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 2. April 2008 beendet worden ist;

3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 120.039,30 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 13.337,70 Euro seit dem jeweils Ersten der Monate Januar 2008 bis einschließlich September 2008 zu zahlen.

6

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Kündigungen für wirksam gehalten. Ansprüche aus Annahmeverzug beständen nicht.

7

Am 7. Oktober 2008 hat der Kläger in der arbeitsrechtlichen Streitigkeit der Parteien auch vor einem kuwaitischen Gericht Klage erhoben. Mit Urteil vom 9. Januar 2012 hat die dortige erste Instanz zu seinen Gunsten entschieden. Die Beklagte hat Rechtsmittel eingelegt.

8

Im vorliegenden Verfahren hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Es hat angenommen, Gegenstand des Rechtsstreits sei ein - deutschem Recht unterliegendes - Arbeitsverhältnis gewesen, das neben demjenigen bestanden habe, welches durch Vertrag vom September 2004 begründet worden sei und kuwaitischem Recht unterliege. Es sei durch die außerordentliche Kündigung vom 26. Oktober 2007 wirksam beendet worden. Den Fortbestand des dem kuwaitischen Recht unterliegenden Arbeitsverhältnisses habe der Kläger - ausschließlich - bei den kuwaitischen Gerichten geltend gemacht. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht das Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Arbeitsgericht zurückverwiesen. Mit der Revision begehrt die Beklagte, das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist begründet. Das angegriffene Urteil war aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dieses musste in der Sache entscheiden und durfte den Rechtsstreit nicht seinerseits an das Arbeitsgericht zurückverweisen. Der Senat selbst kann über die Klageanträge nicht abschließend befinden. Der relevante Sachverhalt ist noch nicht hinreichend festgestellt (§ 563 Abs. 3 ZPO).

10

I. Das Landesarbeitsgericht hat den Rechtsstreit zu Unrecht an das Arbeitsgericht zurückverwiesen.

11

1. Gemäß § 68 ArbGG ist die Zurückverweisung des Rechtsstreits wegen eines Mangels im Verfahren des Arbeitsgerichts unzulässig.

12

a) Die Vorschrift schränkt die in § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO für den Fall eines Verfahrensmangels vorgesehene Möglichkeit der Zurückverweisung an die erste Instanz ein(vgl. GMP/Germelmann ArbGG 8. Aufl. § 68 Rn. 1). Im arbeitsgerichtlichen Verfahren hat das Berufungsgericht grundsätzlich selbst in der Sache zu entscheiden. Die Vorschrift dient der Prozessbeschleunigung (BAG 4. Dezember 1958 - 2 AZR 282/57 - zu 3 der Gründe, BAGE 7, 99). Sie gilt auch bei schwerwiegenden Verfahrensfehlern (GMP/Germelmann ArbGG 8. Aufl. § 68 Rn. 2; ErfK/Koch 14. Aufl. § 68 ArbGG Rn. 1).

13

b) Eine Zurückverweisung an das Arbeitsgericht kommt - neben den in § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 7 ArbGG genannten Fällen - ausnahmsweise in Betracht, wenn ein Verfahrensfehler vorliegt, der in der Berufungsinstanz nicht korrigiert werden kann (BAG 20. Februar 2014 - 2 AZR 248/13 -; GMP/Germelmann ArbGG 8. Aufl. § 68 Rn. 4; GK-ArbGG/Vossen § 68 Rn. 12; Düwell/Lipke/Maul-Sartori ArbGG 3. Aufl. § 68 Rn. 10; Hauck/Helml/Biebl ArbGG 4. Aufl. § 68 Rn. 4; ErfK/Koch 14. Aufl. § 68 ArbGG Rn. 2). Das ist etwa der Fall, wenn das Gericht erster Instanz eine Entscheidung getroffen hat, ohne dass - wirksam - Sachanträge gestellt worden wären (BAG 26. Juni 2008 - 6 AZR 478/07 - Rn. 20) oder wenn ein Urteil gegen eine in Wahrheit nicht beklagte Partei ergangen ist (BAG 20. Februar 2014 - 2 AZR 248/13 -).

14

2. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts leidet das Urteil des Arbeitsgerichts im Streitfall nicht an einem solchen nicht korrigierbaren Verfahrensmangel.

15

a) Allerdings hat das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen, das Arbeitsgericht habe gegen § 308 Abs. 1 ZPO verstoßen, weil es dem Kläger etwas abgesprochen habe, was nicht beantragt worden sei.

16

aa) Gemäß § 308 Abs. 1 ZPO ist das Gericht nicht befugt, einer Partei etwas zu- oder abzusprechen, was nicht beantragt ist. Die Regelung ist Ausdruck der im Zivilprozess geltenden Dispositionsmaxime. Das Gericht darf nur über den geltend gemachten Anspruch und Streitgegenstand entscheiden. Die Antragsbindung besteht sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht. Das Gericht darf weder über ein „plus“ noch ein „aliud“ befinden (Zöller/Vollkommer ZPO 30. Aufl. § 308 Rn. 2; Musielak/Musielak ZPO 10. Aufl. § 308 Rn. 7).

17

bb) Nach dem für das arbeitsgerichtliche Urteilsverfahren geltenden zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff wird der Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens durch den gestellten Antrag (Klageantrag) und den ihm zugrunde liegenden Lebenssachverhalt (Klagegrund) bestimmt. Der Streitgegenstand ändert sich, wenn der entweder gestellte Antrag oder der ihm zugrunde liegende Lebenssachverhalt ein anderer geworden ist (BAG 26. Juni 2013 - 5 AZR 428/12 - Rn. 16; 13. Dezember 2011 - 1 AZR 508/10 - Rn. 21 mwN).

18

cc) Danach hat das Arbeitsgericht über einen Anspruch entschieden, den der Kläger nicht geltend gemacht hatte, und gegen § 308 Abs. 1 ZPO verstoßen. Es hat zwar, indem es die Wirksamkeit der Kündigung vom 26. Oktober 2007 angenommen und die Klage abgewiesen hat, über den gestellten Klageantrag entschieden. Es hat seiner Entscheidung jedoch einen anderen als den vom Kläger geltend gemachten Klagegrund und Lebenssachverhalt zugrunde gelegt.

19

(1) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, zwischen den Parteien habe nur ein Arbeitsverhältnis bestanden. Dieses sei Anfang der achtziger Jahre begründet und durch den Vertrag vom September 2004 lediglich auf eine neue Grundlage gestellt worden. Für die Auffassung des Arbeitsgerichts, neben das seinerzeit begründete habe im September 2004 ein weiteres - nunmehr kuwaitischem Recht unterliegendes - Arbeitsverhältnis treten sollen, gibt es nach dem Vortrag der Parteien keine tatsächlichen Anhaltspunkte.

20

(2) Auf der Grundlage seiner Annahme, es bestünden zwei - das eine deutschem, das andere kuwaitischem Recht unterstehende - Arbeitsverhältnisse, hat das Arbeitsgericht über einen vom Kläger nicht vorgebrachten und auch tatsächlich nicht existenten Lebenssachverhalt entschieden. Zugleich hat es eine Entscheidung über den maßgeblichen Streitgegenstand unterlassen.

21

b) Der Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO erlaubt gleichwohl nicht die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht. Es handelt sich nicht um einen Verfahrensfehler, der nicht vom Landesarbeitsgericht korrigiert werden könnte.

22

aa) Gemäß § 528 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG unterliegen der Entscheidung des Berufungsgerichts nur die Berufungsanträge. Das Berufungsgericht ist danach nur insoweit zur Entscheidung befugt, wie ihm der Rechtsstreit zur Entscheidung angefallen ist. Dies setzt voraus, dass das Eingangsgericht über den erstinstanzlich rechtshängig gemachten Streitgegenstand entschieden hat und die Entscheidung angefochten worden ist. Ob und inwieweit über einen Anspruch erstinstanzlich entschieden wurde, ist im Einzelfall durch Auslegung des angefochtenen Urteils zu ermitteln (vgl. MünchKommZPO/Rimmelspacher 4. Aufl. § 528 Rn. 7).

23

(1) Hat das Gericht erster Instanz ein Endurteil erlassen, dabei aber über einen Streitgegenstand oder einen abtrennbaren Teil desselben bewusst nicht entschieden, liegt ein Teilurteil iSv. § 301 ZPO vor. Der von ihm nicht erfasste Streitgegenstand bleibt beim Eingangsgericht anhängig. Etwas anderes gilt nur, wenn ein Teilurteil unzulässig ist. In diesem Fall kann das Rechtsmittelgericht den nicht von der Entscheidung erfassten Teil des Streitgegenstands an sich ziehen und so den unzulässig geteilten Streitgegenstand wieder zusammenführen (BAG 24. November 2004 - 10 AZR 169/04 - zu B I 4 c der Gründe, BAGE 113, 21; BGH 13. Oktober 2000 - V ZR 356/99 - zu III der Gründe).

24

(2) Hat das Gericht erster Instanz über einen von mehreren Streitgegenständen versehentlich nicht entschieden, bleibt dieser Teil ebenfalls zunächst bei ihm anhängig. Der Kläger kann die Ergänzung des Urteils nach § 321 ZPO beantragen. Versäumt er die Frist des § 321 Abs. 2 ZPO, erlischt die Rechtshängigkeit des betreffenden Streitgegenstands.

25

(3) Etwas anderes gilt, wenn das Gericht erster Instanz über einen Streitgegenstand deshalb nicht entschieden hat, weil es das Klagebegehren unzutreffend ausgelegt hat (vgl. Zöller/Heßler ZPO 30. Aufl. § 528 Rn. 12). In einem solchen Fall hat es aus seiner Sicht - wenngleich objektiv rechtsfehlerhaft - über das ganze Klagebegehren und damit über den gesamten Streitstoff entschieden. Zum Inhalt seiner Entscheidung gehört auch die Frage, welcher Anspruch erhoben und beschieden worden ist (vgl. BGH 28. Mai 1998 - I ZR 275/95 - zu II 2 a der Gründe). Legt die beschwerte Partei gegen die Entscheidung Berufung ein, gelangt der Streitgegenstand folglich insgesamt in die zweite Instanz (vgl. MünchKommZPO/Rimmelspacher 4. Aufl. § 528 Rn. 8; Prütting/Gehrlein/Oberheim ZPO 5. Aufl. § 528 Rn. 6). Der Rechtsfehler des erstinstanzlichen Gerichts kann damit durch das Berufungsgericht korrigiert werden. Für einen Antrag auf Erlass eines Ergänzungsurteils nach § 321 ZPO ist dementsprechend kein Raum(BGH 27. November 1979 - VI ZR 40/78 - zu II 2 b der Gründe).

26

bb) Hier ist dem Landesarbeitsgericht der Gegenstand des arbeitsgerichtlichen Verfahrens vollständig zur Entscheidung angefallen. Die „Auswechslung“ des dem Kündigungsschutzantrag zugrunde liegenden Lebenssachverhalts durch das Arbeitsgericht hat nicht bewirkt, dass ein Teil des Streitgegenstands noch in erster Instanz anhängig geblieben wäre.

27

(1) Das Arbeitsgericht hat angenommen, die Parteien stritten lediglich über den Fortbestand eines dem deutschen Recht unterliegenden Arbeitsverhältnisses. Ein Streit über das mit Vertrag von September 2004 begründete weitere Arbeitsverhältnis sei bei ihm nicht anhängig. Damit hat es sowohl nach dem formellen Antrag als auch inhaltlich über den gesamten ihm aus seiner Sicht unterbreiteten Lebenssachverhalt entschieden. Sein Rechtsfehler besteht nicht darin, dass es über einen Teil des geltend gemachten Begehrens nicht entschieden hätte, sondern darin, dass es das Begehren des Klägers unzutreffend ausgelegt hat. Diesen Rechtsfehler hat der Kläger mit seiner Berufung gerügt. Auf diese Weise ist der gesamte Streitstoff in die Rechtsmittelinstanz gelangt. Über ihn konnte und musste das Berufungsgericht mit Blick auf § 68 ArbGG selbst entscheiden.

28

(2) Dem kann nicht entgegengehalten werden, die Parteien „verlören“ in diesem Fall eine Instanz. Den Verlust einer (Tatsachen-)Instanz hat der Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen (Bader/Creutzfeldt/Friedrich ArbGG 5. Aufl. § 68 Rn. 1; Däuber/Hjort/Schubert/Wolmerath ArbGG 3. Aufl. § 68 Rn. 1). Er wird durch die Beschleunigung des Verfahrens aufgewogen (BAG 4. Dezember 1958 - 2 AZR 282/57 - BAGE 7, 99). Das Rechtsstaatsprinzip verlangt nicht zwingend einen mehrstufigen Instanzenzug. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, unter Abwägung und Ausgleich der betroffenen Interessen zu entscheiden, ob es bei einer Instanz bleiben soll, ob mehrere Instanzen bereitgestellt werden und unter welchen Voraussetzungen sie angerufen werden können (vgl. BVerfG 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02 - [Fachgerichtlicher Rechtsschutz] zu C I 2 a der Gründe, BVerfGE 107, 395; BAG 4. Mai 2011 - 7 AZR 252/10 - Rn. 30, BAGE 138, 9).

29

II. Ob die Klage zulässig und begründet ist, vermag der Senat nicht abschließend zu beurteilen. Das Landesarbeitsgericht hat dies - aus seiner Sicht folgerichtig - nicht geprüft und dazu keine Feststellungen getroffen. Dies wird es unter Beachtung der nachstehenden Erwägungen nachzuholen haben.

30

1. Die deutschen Gerichte sind - wie das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zu Recht angenommen hat - international zuständig.

31

a) Die internationale Zuständigkeit richtet sich nach der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO). Der für ihre Anwendung erforderliche Auslandsbezug ist gegeben. Nach dem Erwägungsgrund Nr. 8 reicht es insoweit aus, dass der fragliche Rechtsstreit einen Bezugspunkt zum Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufweist (vgl. HK-ZPO/Dörner 5. Aufl. VO (EG) Vorbem. zu Art. 1 Rn. 3; Musielak/Stadler ZPO 10. Aufl. VO (EG) Art. 2 Rn. 2; zur Rechtslage nach dem EuGVÜ EuGH 13. Juli 2000 - C-412/98 -).

32

b) Nach Art. 19 Nr. 1 EuGVVO kann ein Arbeitgeber vom Arbeitnehmer vor den Gerichten des Mitgliedstaats verklagt werden, in dem er seinen Wohnsitz hat. Gesellschaften und juristische Personen haben ihren Wohnsitz an dem Ort, an dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung befindet (Art. 60 Abs. 1 EuGVVO). Der Sitz der Beklagten liegt in Deutschland.

33

2. In prozessualer Hinsicht wird das Landesarbeitsgericht zu prüfen haben, ob die Entscheidung der kuwaitischen Gerichte einer eigenen Sachentscheidung entgegensteht.

34

a) Gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO darf die Streitsache während der Dauer der Rechtshängigkeit von keiner Partei anderweitig anhängig gemacht werden. Ist die Sache bereits bei einem anderen Gericht rechtshängig, ist die zweite Klage als unzulässig abzuweisen (zB MünchKommZPO/Becker-Eberhard 4. Aufl. § 261 Rn. 42). Das gilt grundsätzlich auch für die Rechtshängigkeit im Ausland, sofern mit der Anerkennung der vom ausländischen Gericht zu treffenden Entscheidung zu rechnen ist (BGH 10. Oktober 1985 - I ZR 1/83 - zu I 1 der Gründe). Hat ein Gericht die bereits bestehende anderweitige Rechtshängigkeit übersehen und rechtskräftig in der Sache entschieden, muss das andere Gericht die Rechtskraft dieses Urteils seinerseits beachten und muss die bei ihm anhängige Klage als unzulässig abweisen (BGH 6. Oktober 1982 - IVb ZR 729/80 - zu II 2 a der Gründe; MünchKommZPO/Becker-Eberhard, aaO).

35

b) Die Rechtskraft eines Urteils steht der Sachentscheidung in einem anderen Verfahren allerdings nur entgegen, wenn die Gegenstände beider Streitigkeiten identisch sind. Eine Identität ist gegeben, wenn Klageantrag und Lebenssachverhalt übereinstimmen (vgl. BGH 17. Mai 2001 - IX ZR 256/99 - zu A I 1 der Gründe). Dies ist nicht der Fall, wenn sich entweder der Antrag oder der zur Entscheidung gestellte Lebenssachverhalt nicht deckt (MünchKommZPO/Becker-Eberhard 4. Aufl. § 261 Rn. 56).

36

c) Die anderweitige Rechtshängigkeit sowie die entgegenstehende Rechtskraft sind Prozesshindernisse, die grundsätzlich von Amts wegen zu berücksichtigen sind. Amtsprüfung bedeutet dabei keine Amtsermittlung, sondern verlangt nur, einen Sachverhalt, der ein solches Hindernis ergibt, auch ohne entsprechende Rüge zu berücksichtigen. Das Gericht kann zu einem Hinweis nach § 139 Abs. 2 ZPO verpflichtet sein, wenn Anlass zu der Annahme besteht, es könnte ein Verfahrenshindernis vorliegen (BGH 20. Januar 1989 - V ZR 173/87 - zu 2 der Gründe).

37

d) Im Streitfall ist der Rechtsstreit in Kuwait - entgegen der Feststellung des Landesarbeitsgerichts - nicht vor, sondern nach der hier zu bescheidenden Klage rechtshängig geworden. Eine dortige Entscheidung in der Sache bildete daher - abgesehen von ihrer Anerkennungsfähigkeit - nur dann ein Prozesshindernis im hiesigen Verfahren, wenn die Entscheidung des kuwaitischen Gerichts schon rechtskräftig und die Streitgegenstände identisch wären. Dies hat bislang keine der Parteien geltend gemacht.

38

3. Sollte es auf die Frage ankommen, ob auf den Streitfall das kuwaitische materielle Recht anzuwenden ist, hat das Landesarbeitsgericht die entsprechende Prüfung nach Art. 27 ff. EGBGB (aF) vorzunehmen.

39

a) Die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I-VO) findet gemäß ihrem Art. 28 auf den Streitfall keine Anwendung. Der Arbeitsvertrag der Parteien wurde vor dem 17. Dezember 2009 geschlossen.

40

b) Nach Art. 27 Abs. 1 Satz 1 EGBGB (aF) unterliegt ein Vertrag dem von den Parteien gewählten Recht. Im Streitfall haben diese für die arbeitsrechtlichen Streitigkeiten ausdrücklich die Geltung kuwaitischen Rechts vereinbart. Allerdings darf die Rechtswahl gemäß Art. 30 Abs. 1 EGBGB (aF) nicht dazu führen, dass dem Arbeitnehmer der Schutz entzogen wird, der ihm durch die zwingenden Bestimmungen des gemäß Art. 30 Abs. 2 EGBGB (aF) ohne Rechtswahl anwendbaren Rechts gewährt wird. Die Vorschrift soll gewährleisten, dass dem Arbeitnehmer als der typischerweise sozial und wirtschaftlich schwächeren Partei durch die Rechtswahl nicht der Mindestschutz „seines“ Rechts entzogen wird (BT-Drs. 10/504 S. 81). Für die Annahme, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien danach deutsches Recht oder gar das Recht eines anderen Staates anzuwenden wäre, bestehen derzeit keine Anhaltspunkte.

        

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    Berger    

        

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
VERSÄ UMNISURTEIL
V ZR 356/99 Verkündet am:
13. Oktober 2000
K a n i k ,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
-----------------------------------
Hält das Berufungsgericht ein Teilurteil des Landgerichts zu Unrecht für zulässig
und zieht den dort noch anhängigen Streitteil nicht zu sich herauf, kann das Revisionsgericht
unter Aufhebung des Berufungsurteils die Sache an das Berufungsgericht
zurückverweisen, wenn dessen Entscheidung über den gesamten Rechtsstreit
sachdienlich im Sinne des § 540 ZPO ist.
BGH, Urt. v. 13. Oktober 2000 - V ZR 356/99 - OLG Düsseldorf
LG Düsseldorf
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 13. Oktober 2000 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Wenzel und die
Richter Tropf, Schneider, Dr. Klein und Dr. Lemke

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 30. August 1999 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Mit notariellem Vertrag vom 1. September 1997 erwarben die Kläger von der Beklagten ein Grundstück "wie besichtigt, ohne Gewähr für Größe, Güte und Beschaffenheit ...", das mit einem 1973 im vorderen Teil errichteten Mehrfamilienhaus und einem älteren Hintergebäude bebaut ist. Die Baugenehmigung für das Vordergebäude war der Beklagten und ihrem Großvater mit der - rechtskräftigen - Auflage erteilt worden, das Hintergebäude spätestens acht Monate nach der Schlußabnahme zu beseitigen. Nach einer vom Landgericht
eingeholten amtlichen Auskunft ist das Hintergebäude formell und materiell illegal, die Wahrscheinlichkeit einer Vollstreckung der Abrißverfügung aber sehr gering.
Die Kläger haben auf den Kaufpreis von 750.000 DM lediglich 574.900 DM bezahlt. Den Restbetrag von 175.100 DM behalten sie mit der Behauptung ein, die Beklagte habe ihnen die Abrißverfügung arglistig verschwiegen. Nachdem die Beklagte wegen des Restkaufpreises die Zwangsvollstreckung aus der Kaufvertragsurkunde eingeleitet hatte, haben die Kläger Klage erhoben und (neben einem Hilfsantrag) beantragt,
1. die Zwangsvollstreckung für unzulässig zu erklären, 2. festzustellen, daß sie zur Kaufpreisminderung um 175.100 DM berechtigt seien, 3. die Beklagte zu verurteilen, den beurkundenden Notar zur Stellung des Eigentumsumschreibungsantrags anzuweisen und 4. festzustellen, daß die Beklagte zur Zahlung der Abrißkosten verpflichtet sei, wenn die Kläger aufgrund behördlicher Anweisung das Hintergebäude abreißen lassen müßten.
Das Landgericht hat mit seiner als "Grundurteil" bezeichneten Entscheidung dem Klageantrag zu 2 dem Grunde nach und zu 4 uneingeschränkt stattgegeben ; im übrigen hat es eine Beweisaufnahme über die Minderung des Kaufpreises durch die Beseitigungsauflage angeordnet. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klageanträge zu 2 und 4 abgewiesen.
Dagegen richtet sich die Revision der Kläger, mit der sie in erster Linie die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils, hilfsweise die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Oberlandesgericht begehren.

Entscheidungsgründe:


I.


Das Berufungsgericht sieht die landgerichtliche Entscheidung als TeilGrundurteil (Klageantrag zu 2) und Teil-Endurteil (Klageantrag zu 4) an. Es hält sie für zulässig, weil die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen nicht bestehe; denn die Klageanträge zu 1 und 3 stützten sich materiellrechtlich auf den mit dem Teil-Grundurteil zuerkannten Anspruch, das Landgericht sei nach § 318 ZPO an dieses Urteil und an die insoweit ergehende rechtskräftige Entscheidung des Rechtsmittelgerichts gebunden.
In der Sache verneint das Berufungsgericht ein arglistiges Handeln der Beklagten.

II.


Dies hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
1. Die Beklagte war trotz ordnungsgemäßer Ladung im Verhandlungstermin nicht vertreten. Deshalb ist über die Revision durch Versäumnisurteil zu entscheiden, obwohl das Urteil inhaltlich nicht auf der Säumnisfolge beruht
(vgl. BGHZ 37, 79, 81 ff; Senatsurt. v. 6. Juni 1986, V ZR 96/85, NJW 1996, 3086).
2. Zu Unrecht hält das Berufungsgericht die vom Landgericht gewählte Verfahrensweise der teilweisen Entscheidung des Rechtsstreits für zulässig. Die Voraussetzungen für den Erlaß eines Teilurteils (§ 301 ZPO) lagen nämlich nicht vor.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes darf ein Teilurteil nur dann ergehen, wenn es von der Entscheidung über den Rest des geltend gemachten prozessualen Anspruchs unabhängig ist, so daß die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen - auch infolge einer abweichenden Beurteilung durch das Rechtsmittelgericht - ausgeschlossen ist (s. nur BGHZ 107, 236, 242; 120, 376, 380; BGH, Urt. v. 26. September 1996, X ZR 48/95, NJW 1997, 453, 455; Urt. v. 12. Januar 1999, VI ZR 77/98, NJW 1999, 1035; Urt. v. 24. Februar 1999, XII ZR 155/97, NJW 1999, 1718, 1719 - jeweils m.w.N. -). Das gilt nach § 301 Abs. 1, 1. Alt. ZPO auch für den - hier gegebenen - Fall, daß von mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen nur ein Teil entscheidungsreif ist (BGH, Urt. v. 12. Januar 1999, aaO).
Hier liegt die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen wegen der abweichenden Beurteilung der Frage der Arglist durch das Rechtsmittelgericht geradezu auf der Hand. Denn alle Klageanträge stützen sich auf denselben Klagegrund, nämlich die von den Klägern behauptete arglistige Täuschung durch die Beklagte (§ 463 Satz 2 BGB). Auch die Begründetheit der noch nicht beschiedenen Klageanträge setzt voraus, daß die Kläger von der Beklagen arglistig getäuscht wurden; nur dann wäre der restliche Kaufpreisanspruch der
Beklagten durch Aufrechnung mit dem Schadensersatzanspruch der Kläger erloschen.
3. Die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen kann auch nicht mit dem vom Berufungsgericht herangezogenen Grundsatz der Eigenbindung der Gerichte nach § 318 ZPO beseitigt werden. Denn die Bindung erstreckt sich nur auf den Urteilsausspruch, nicht dagegen auf die in den Entscheidungsgründen dafür angegebene rechtliche Begründung und die vom Tatrichter festgestellten Tatsachen (BGH, Beschl. v. 21. Februar 1994, II ZB 13/93, NJW 1994, 1222 f; Musielak, ZPO, § 318 Rdn. 2). Deswegen könnte das Landgericht bei seiner Entscheidung über die Klageanträge zu 1 und 3 die Frage der Arglist durchaus anders beurteilen als bisher. Dies übersieht das Berufungsgericht und erkennt deswegen nicht, daß seine Auffassung auf das Ergebnis hinausläuft, daß jedes Teilurteil gerechtfertigt wäre.

III.


Die Unzulässigkeit des Teilurteils führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils (§ 564 Abs. 1 ZPO). Eine abschließende Entscheidung (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) ist dem Senat nicht möglich. Er kann den noch nicht beschiedenen Teil des Rechtsstreits nicht an sich ziehen und anstelle des Berufungsgerichts gemäß § 540 ZPO darüber entscheiden (vgl. MünchKomm-ZPO/ Wenzel, 2. Aufl., § 565 Rdn. 28), weil die Nachprüfung des Berufungsurteils durch die Revisionsanträge begrenzt wird (§ 559 Abs. 1 ZPO). Da aber das Berufungsgericht so verfahren kann (vgl. BGH, Urt. v. 19. November 1959, VII ZR 93/59, NJW 1960, 339, 340; v. 12. Januar 1999, VI ZR 77/98, NJW 1999, 1035, 1036 m.w.N.), ist die Sache nicht an das Landgericht, sondern an
das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dessen Entscheidung ist sachdienlich , weil der Sachverhalt geklärt ist, das Berufungsgericht die erforderlichen Feststellungen getroffen hat, weitere Feststellungen durch das Landgericht nicht mehr zu erwarten sind und ein arglistiges Handeln der Beklagten danach nicht vorliegt.
1. Zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, daß das den Klägern verkaufte Grundstück mit einem Fehler behaftet ist, weil das Hintergebäude baurechtlich formell und materiell illegal ist. Ob die zuständige Behörde den baurechtswidrigen Zustand weiter - wie bisher - duldet, ist unerheblich. Mangelfrei wäre das Grundstück nur dann gewesen, wenn bei Gefahrübergang eine rechtsverbindliche behördliche Erklärung vorgelegen hätte, die den Klägern auf Dauer die gesicherte Befugnis gegeben hätte, das Hintergebäude stehen zu lassen (vgl. Senatsurt. v. 20. März 1987, V ZR 27/86, NJW 1987, 2511, 2512). Das war nicht der Fall, denn nach der vom Landgericht eingeholten amtlichen Auskunft ist lediglich die Wahrscheinlichkeit einer Vollstreckung der Beseitigungsauflage sehr gering.
2. Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Annahme des Berufungsgerichts , die Parteien hätten in dem Kaufvertrag einen umfassenden Gewährleistungsausschluß vereinbart.
Der Umfang der Haftungsfreizeichnung ist durch Auslegung zu ermitteln. Da das Berufungsgericht dies unterlassen hat und weitere Feststellungen nicht in Betracht kommen, kann der Senat die Auslegung selbst vornehmen (BGHZ 65, 107, 112; 121, 284, 289). Dafür ist in erster Linie vom Wortlaut der Vereinbarung auszugehen. Soll die Haftung für jeden Mangel ausgeschlossen sein,
muß dies eindeutig und für den Käufer verständlich formuliert werden (Senatsurt. v. 27. Mai 1964, V ZR 146/62, WM 1964, 853, 854). Das ist hier geschehen. Zwar ist der Revision zuzugeben, daß die Anknüpfung an eine vorausgegangene Besichtigung des Grundstücks durch die Kläger auf eine Beschränkung des Haftungsausschlusses auf erkennbare Mängel hindeutet, zu denen der baurechtswidrige Zustand des Grundstücks nicht gehört. Aber die Formulierung "verkauft wie besichtigt" wird durch den Nachsatz "ohne Gewähr für Größe, Güte und Beschaffenheit ergänzt. Dies ist eindeutig in dem Sinn, daß die Haftung für alle Mängel, also auch für verborgene, ausgeschlossen sein soll (vgl. Senatsurt. v. 27. Mai 1964, aaO). Daß sich der baurechtswidrige Zustand auf die Beschaffenheit des Grundstücks auswirkt, ist - entgegen der Auffassung der Revision - nicht zweifelhaft.
3. Zu Recht verneint das Berufungsgericht ein arglistiges Handeln der Beklagten.
Die Darlegungs- und Beweislast für die Arglist der Beklagten liegt bei den Klägern. Sie müssen beweisen, daß die Beklagte seinerzeit von der auch an sie gerichteten Baugenehmigung, in der die Beseitigungsauflage enthalten war, Kenntnis genommen hat. Das bloße Bestreiten des anderslautenden Vortrags der Beklagten reicht nicht aus. Die Beweislast läßt sich insoweit nicht auf die Beklagte verlagern. Eine Beweislastumkehr muß auf die Fälle beschränkt bleiben, in denen nach anerkannten methodischen Grundlagen eine Abweichung von der Grundregel, daß der Anspruchsteller die Beweislast für die rechtsbegründenden Tatbestandsmerkmale trägt, erforderlich erscheint. Das ist hier nicht der Fall. Auch eine Beweiserleichterung nach den Grundsätzen über den Anscheinsbeweis kommt nicht in Betracht. Es gibt nämlich grundsätzlich
keinen Beweis des ersten Anscheins für individuelle Verhaltensweisen von Menschen in bestimmten Lebenslagen (BGHZ 123, 311, 316 m. umfangr. Nachw.). Der vorliegende Sachverhalt rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.
Auf die Hilfserwägung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe die Beseitigungsauflage vergessen, kommt es nach alledem nicht an.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 91, 100 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in § 708 Nr. 2 ZPO.
Wenzel Tropf Schneider Klein Lemke

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 26. November 2013 - 7 Sa 444/12 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung und über einen Auflösungsantrag des beklagten Landkreises.

2

Die Klägerin ist Dipl.-Verwaltungswirtin. Sie war bei dem beklagten Landkreis seit Oktober 2010 als Angestellte beschäftigt. Ihr war die Leitung der Erhebungsstelle Zensus übertragen. Auf das Arbeitsverhältnis fand aufgrund arbeitsvertraglicher Verweisung der TVöD-VKA Anwendung.

3

Am 22. April 2012 fand die Wahl des Landrats statt. Der Amtsinhaber stellte sich zur Wiederwahl. Die parteilose Klägerin kandidierte ebenfalls. Sie warb mit einem Flyer für sich. In diesem stellte sie die „Säulen“ ihrer Politik vor, als welche sie „Transparenz in der Verwaltung“, „Bürgernahe Politik“ und „Jugend, Familien und Senioren“ bezeichnete. Zum Punkt „Transparenz in der Verwaltung“ hieß es in dem Flyer:

        

„Wie der jüngste Umweltskandal in [B.] und der Subventionsbetrug am [Rathaus in C.] beweist, deckt der amtierende Landrat sogar die Betrügereien im Kreis. Ich stehe für eine transparente Politik, die Gesetze einhält und die Pflichtaufgaben des Landkreises überprüft.“

4

Der Flyer lag einem lokalen Anzeigenblatt bei, das am 18. April 2012 mit einer Auflage von 28.700 verteilt wurde.

5

Nach Beteiligung des Personalrats kündigte der beklagte Landkreis das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 21. April 2012 außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 30. Juni 2012. Er warf der Klägerin üble Nachrede und Beleidigung seines Repräsentanten vor.

6

Gegen die Kündigung hat die Klägerin rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Sie hat gemeint, es sei weder ein Grund für die außerordentliche noch für die ordentliche Kündigung gegeben. Sie habe sich nicht im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses geäußert, sondern als Kandidatin im Wahlkampf. Ihr Flyer werde missverstanden. Es sei ihr nicht darum gegangen, den amtierenden Landrat persönlich zu diffamieren, einer Straftat zu bezichtigen oder gar zu beleidigen. Sie habe vielmehr zum Ausdruck bringen wollen, dass der Landrat im Hinblick auf den Umweltskandal in B. und die Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der Sanierung des Rathauses in C. nichts unternommen habe und stattdessen transparenter und in der Öffentlichkeit aktiver mit diesem Thema hätte umgehen müssen. Das sei von der Meinungsfreiheit gedeckt. Im Übrigen habe sie nur Vorwürfe wiederholt, die zuvor in der Presse erhoben worden seien. Die Klägerin hat zudem die Personalratsbeteiligung als fehlerhaft gerügt.

7

Sie hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die fristlose Kündigung noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 21. April 2012 aufgelöst wurde;

        

2.    

den beklagten Landkreis zu verurteilen, sie als Sachbearbeiterin zu den Bedingungen des Arbeitsvertrags vom 27. September 2010 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens weiter zu beschäftigten.

8

Der beklagte Landkreis hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise, das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2012 gegen Zahlung einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Abfindung aufzulösen.

9

Er hat die Kündigung für wirksam gehalten. Die Klägerin habe dem Landrat wider besseres Wissen unterstellt, dieser decke Betrügereien, sei also aktiv am Vertuschen von Straftaten beteiligt und erfülle damit den Straftatbestand der Strafvereitelung. Die Unterstellung krimineller Machenschaften sei eine von der Meinungsfreiheit nicht gedeckte grobe Beleidigung und üble Nachrede. Der Landrat müsse dies auch im Wahlkampf nicht hinnehmen. Solche Vorwürfe habe es in der Presse nicht gegeben. Der Personalrat sei ordnungsgemäß beteiligt worden. Zumindest sei das Arbeitsverhältnis nach § 9 KSchG aufzulösen. Der Betriebsfrieden sei nachhaltig gestört. Schon früher habe es wegen einer Konkurrentenklage Spannungen mit der Klägerin gegeben. Diese müsse sich außerdem das Verhalten ihres Vaters zurechnen lassen. Der habe die Landratswahl angefochten. Seine verbalen Ausfälle gegen den Kreiswahlleiter und die Mitarbeiter des Kreiswahlbüros zeigten deutlich, dass eine gedeihliche Zusammenarbeit auch mit der Klägerin nicht mehr möglich sei.

10

Die Klägerin hat beantragt, den Auflösungsantrag abzuweisen.

11

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben, den Auflösungsantrag des Beklagten hat es abgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der beklagte Landkreis die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat richtig entschieden.

13

I. Die fristlose Kündigung hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

14

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar war oder nicht (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 39; 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 16).

15

2. Als wichtiger Grund kann neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet sein, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 40; 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 19). Zu diesen Nebenpflichten zählt insbesondere die Pflicht der Arbeitsvertragsparteien zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des jeweils anderen Teils (§ 241 Abs. 2 BGB). Danach hat der Arbeitnehmer seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - aaO; 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - aaO mwN).

16

3. Eine in diesem Sinne erhebliche Pflichtverletzung stellen ua. grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen dar (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 14, BAGE 138, 312). Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen über seinen Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen aufstellt, insbesondere dann, wenn die Erklärungen den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 41; 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - aaO).

17

a) Ein Arbeitnehmer kann sich für bewusst falsche Tatsachenbehauptungen nicht auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG berufen. Solche Behauptungen sind vom Schutzbereich des Grundrechts nicht umfasst (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19). Anderes gilt für Äußerungen, die nicht Tatsachenbehauptungen, sondern ein Werturteil enthalten. Sie fallen in den Schutzbereich des Rechts auf Meinungsfreiheit. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 18; 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21). Darauf kann sich auch ein Arbeitnehmer berufen. Mit der Bedeutung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit wäre es unvereinbar, wenn es in der betrieblichen Arbeitswelt nicht oder nur eingeschränkt anwendbar wäre (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 42; 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - Rn. 24 mwN). Der Grundrechtsschutz besteht dabei unabhängig davon, welches Medium der Arbeitnehmer für seine Meinungsäußerung nutzt und ob diese rational oder emotional, begründet oder unbegründet ist. Vom Grundrecht der Meinungsfreiheit umfasste Äußerungen verlieren den sich daraus ergebenden Schutz selbst dann nicht, wenn sie scharf oder überzogen geäußert werden (vgl. BVerfG 28. November 2011 - 1 BvR 917/09 - Rn. 18 mwN).

18

b) Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG ist allerdings nicht schrankenlos gewährleistet. Es ist gemäß Art. 5 Abs. 2 GG durch die allgemeinen Gesetze und das Recht der persönlichen Ehre beschränkt. Mit diesen muss es in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden (BVerfG 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1; 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 7, 198; BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 42; 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 35). Auch § 241 Abs. 2 BGB gehört zu den allgemeinen, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit beschränkenden Gesetzen. Zwischen der Meinungsfreiheit und dem beschränkenden Gesetz findet demnach eine Wechselwirkung statt. Die Reichweite der Pflicht zur vertraglichen Rücksichtnahme muss ihrerseits unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts bestimmt, der Meinungsfreiheit muss dabei also die ihr gebührende Beachtung geschenkt werden - und umgekehrt (vgl. BVerfG 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - aaO; 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] aaO).

19

aa) Im Rahmen der Abwägung fällt die Richtigkeit des Tatsachengehalts, der dem Werturteil zugrunde liegt, ins Gewicht (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19; 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1). Handelt es sich bei einem Werturteil um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, dann spricht die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede (BVerfG 22. Juni 1982 - 1 BvR 1376/79 - zu B II 1 a der Gründe, BVerfGE 61, 1; 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] zu B II 4 der Gründe, BVerfGE 7, 198).

20

bb) Erweist sich das in einer Äußerung enthaltene Werturteil als Formalbeleidigung oder Schmähkritik, muss die Meinungsfreiheit regelmäßig zurücktreten (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 23; 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - zu C III 2 der Gründe, BVerfGE 93, 266). Allerdings macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Erklärung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Dafür muss hinzutreten, das bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht, die diese jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll (vgl. BVerfG 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - aaO; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 36; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 17, BAGE 138, 312; BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 4 a der Gründe).

21

4. Danach ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Klägerin habe ihre Pflicht zur Rücksichtnahme gemäß § 241 Abs. 2 BGB nicht verletzt, nicht zu beanstanden. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, bei den Äußerungen der Klägerin in dem Wahl-Werbeflyer habe es sich um eine vom Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützte Meinungsäußerung gehandelt. Diese habe die Grenze zur Schmähkritik nicht überschritten und gehe, da sie im Wahlkampf erfolgt sei, der Pflicht zur Rücksichtnahme gegenüber dem beklagten Landkreis vor.

22

a) Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, die Aussagen der Klägerin in dem am 18. April 2012 verteilten Flyer stellten nicht schon deshalb keine Vertragspflichtverletzung dar, weil sie außerdienstlich und überdies im Wahlkampf gefallen seien. Die Klägerin hat die Amtswahrnehmung des Landrats kritisiert. Das berührt unmittelbar die Belange auch des beklagten Landkreises.

23

b) Das vom Landesarbeitsgericht zugrunde gelegte Verständnis der Äußerungen in dem Flyer ist nicht zu beanstanden. Das Gericht hat angenommen, die Wahlwerbung sei nicht zwingend dahin zu verstehen, die Klägerin habe dem amtierenden Landrat kriminelles Verhalten vorgeworfen. Ebenso gut sei eine mildere, politische Deutung möglich. Danach habe die Klägerin dem Landrat den Vorwurf gemacht, bei Betrügereien im Landkreis das Licht der Öffentlichkeit zu scheuen und damit demokratische Kontrolle zu behindern. Insofern handele es sich um eine Meinungsäußerung, die dem Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG unterfalle. Die dagegen vom beklagten Landkreis vorgebrachten Einwände greifen nicht durch.

24

aa) Ob der Sinn einer Meinungsäußerung vom Berufungsgericht zutreffend erfasst worden ist, ist vom Revisionsgericht uneingeschränkt zu überprüfen (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 47; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 15, BAGE 138, 312).

25

(1) Für die Ermittlung des Aussagegehalts einer schriftlichen Äußerung ist darauf abzustellen, wie sie vom Empfänger verstanden werden muss. Dabei ist eine isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils regelmäßig nicht ausreichend. Vielmehr sind der sprachliche Kontext und die sonstigen erkennbaren Begleitumstände zu berücksichtigen (BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 15, BAGE 138, 312; vgl. auch BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 3 der Gründe). Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des von ihr Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 20; 12. Mai 2009 - 1 BvR 2272/04 - Rn. 31). Mehrdeutige Äußerungen dürfen wegen eines möglichen Inhalts nicht zu nachteiligen Folgen führen, ohne dass eine Deutung, die zu einem von der Meinungsfreiheit gedeckten Ergebnis führen würde, mit schlüssigen, überzeugenden Gründen ausgeschlossen worden ist (BVerfG 12. Mai 2009 - 1 BvR 2272/04 - aaO mwN; BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 46).

26

(2) Während für Werturteile die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage kennzeichnend ist, werden Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit charakterisiert (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 40). Anders als Werturteile sind Tatsachenbehauptungen daher grundsätzlich dem Beweis zugänglich (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21; 13. April 1994 - 1 BvR 23/94 - zu B II 1 b der Gründe, BVerfGE 90, 241). Gilt für Meinungsäußerungen, insbesondere im öffentlichen Meinungskampf, bei der Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Rechtsgut, in dessen Interesse sie durch ein allgemeines Gesetz eingeschränkt werden kann, eine Vermutung zu Gunsten der freien Rede, gilt dies für Tatsachenbehauptungen nicht in gleicher Weise (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 18 mwN). Ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Meinungsäußerung oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist, beurteilt sich nach dem Gesamtkontext, in dem sie steht (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - aaO). Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird den Anforderungen an eine zuverlässige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - aaO). Auch eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile einer Äußerung ist nur zulässig, wenn dadurch ihr Sinn nicht verfälscht wird (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - aaO). Wo dies der Fall wäre, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden. Anderenfalls drohte eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtschutzes (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - aaO mwN).

27

(3) In der Verwendung eines Rechtsbegriffs liegt nur dann eine Tatsachenbehauptung, wenn die Beurteilung nicht als bloße Rechtsauffassung kenntlich gemacht ist, sondern beim Adressaten zugleich die Vorstellung von konkreten, in die Wertung eingebetteten tatsächlichen Vorgängen hervorruft, die als solche einer Überprüfung mit den Mitteln des Beweises zugänglich sind. Dabei kommt es auch hier entscheidend auf den Zusammenhang an, in dem der Rechtsbegriff verwendet wird (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 28; BGH 27. April 1999 - VI ZR 174/97 - zu II 2 a der Gründe; 22. Juni 1982 - VI ZR 255/80 - zu 2 b der Gründe).

28

bb) Danach enthält die Annahme des Landesarbeitsgerichts, es sei ein - verglichen mit der Deutung des Beklagten - milderes, nämlich politisches Verständnis der Äußerung der Klägerin ohne Weiteres möglich, keinen Rechtsfehler. Das Landesarbeitsgericht hat den möglichen Aussagegehalt der fraglichen Äußerung nach ihrem Kontext beurteilt und dabei berücksichtigt, dass es sich um eine Äußerung im Rahmen von Wahlwerbung, also als Teil der politischen Auseinandersetzung mit einem Gegenkandidaten handelte. Die Aussage über dessen Amtswahrnehmung war in das eigene „Drei-Säulen-Programm“ der Klägerin eingebettet. Mit der Formulierung, der amtierende Landrat „decke“ Betrügereien im Landkreis, war deshalb nicht notwendigerweise der Vorwurf verbunden, der Landrat habe sich selbst - etwa der Strafvereitelung - strafbar gemacht. Ebenso gut lässt sich die Äußerung dahin verstehen, der Landrat habe politisch nicht genügend zur Aufklärung der aufgeführten - angeblichen - Missstände unternommen. Diese Deutung liegt angesichts der von der Klägerin an gleicher Stelle hervorgehobenen Bedeutung von Transparenz im Verwaltungshandeln sogar näher. Daran ändern der Fettdruck und die farbige Gestaltung des Flyers unter Nutzung von Fotomaterial nichts. Der Vorwurf wiegt politisch schwer genug, um als ein aus Sicht der Klägerin maßgebliches und gestalterisch zu unterstreichendes Argument in der Auseinandersetzung mit ihrem Gegenkandidaten betont zu werden.

29

cc) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht in der Äußerung der Klägerin über den amtierenden Landrat ihrem Schwerpunkt nach ein Werturteil gesehen, und nicht eine dem Wahrheits- oder Unwahrheitsbeweis zugängliche Tatsachenbehauptung.

30

(1) Der Vorwurf, nicht genug zur Aufklärung - vermeintlicher - Betrügereien im öffentlichen Bereich getan zu haben, umschreibt kein spezifisches, einem objektiven Wahrheitsbeweis zugängliches Verhalten (für den Begriff „decken“ als Teil der Passage: „Besonders gefährlich sind die …, die [Herr] F.G. deckt“ ebenso EGMR 17. April 2014 - 5709/09 - Rn. 50). Der Vorwurf kann im vorliegenden Zusammenhang vielmehr schon das Unterlassen höherer Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts oder auch nur mangelndes Interesse daran zum Gegenstand haben. Die Gründe dafür, schon in bloßer Passivität politisch ein „Decken“ von Missständen zu erblicken, können unterschiedlich sein und hängen erkennbar von der subjektiven Einschätzung des Betrachters ab. Der Vorwurf, etwas zu „decken“, bringt daher vor allem die Meinung zum Ausdruck, der Betreffende habe nicht alles von ihm zu Fordernde zur Aufklärung unternommen. Ob eine solche Wertung berechtigt erscheint, ist eine Frage des Dafürhaltens und Meinens ohne konkret fassbaren Tatsachenkern.

31

(2) Dies gilt auch dann, wenn man in die Auslegung einbezieht, dass die Klägerin dem Landrat vorgeworfen hat, „Betrügereien“ im Landkreis zu decken, wie der jüngste „Umweltskandal“ in B. und der „Subventionsbetrug“ am Rathaus in C. bewiesen. Aus der Bezugnahme auf die solcherart umschriebenen Vorgänge ergibt sich zwar erst die Relevanz des Vorwurfs. Hätte die Klägerin neutraler von bloßen „Vorgängen“ gesprochen, hätte der Vorhalt, nicht genug zu deren Aufklärung getan zu haben, nicht das gleiche Gewicht gehabt. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht aber auch in der Verwendung dieser Begriffe keine dem Beweis zugänglichen Tatsachenbehauptungen gesehen. Die Ausdrücke „Umweltskandal“ und „Betrügereien“ sind dafür zu unbestimmt. Der Terminus „Subventionsbetrug“ ist zwar ein Rechtsbegriff, der den Straftatbestand des § 264 StGB bezeichnet. Ein verständiger Leser verknüpft mit seiner Verwendung in dem Wahl-Werbeflyer der Klägerin aber nicht die Vorstellung von konkreten, strafrechtlich relevanten Vorgängen, die einer Überprüfung mit den Mitteln des Beweises zugänglich wären. Die von der Klägerin verwendeten Formulierungen dienten im Rahmen des Wahlkampfs ersichtlich als pointierte Schlagworte zur Beschreibung der von ihr ausgemachten Missstände, um die Leser ggf. dazu zu animieren, sich über die fraglichen Vorgänge selbst näher zu unterrichten. Soweit die Klägerin von „Subventionsbetrug“ spricht, ist damit erkennbar allenfalls eine pauschale Umschreibung gemeint, ohne dass diese einen fassbaren Tatsachenkern zum Gegenstand hätte. Es kommt daher nicht darauf an, ob es, wie der Beklagte im Revisionsverfahren geltend gemacht hat, „unstreitig“ feststeht, dass es „derartige Straftaten“ weder in B. noch in C. gegeben habe. Das Landesarbeitsgericht hat im Übrigen eine solche Feststellung nicht getroffen; einen Antrag nach § 320 Abs. 1 ZPO hat der Beklagte nicht gestellt, eine zulässige Verfahrensrüge hat er nicht erhoben.

32

(3) Der Ausdruck, die genannten Vorgänge „bewiesen“, dass der amtierende Landrat Betrügereien im Landkreis decke, ändert nichts am Charakter der Aussage als Meinungsäußerung. „Beweisen“ steht im gegebenen Zusammenhang für „belegen“ oder „zeigen“. Die Klägerin erklärt damit, sie halte das von ihr kritisierte Verhalten des Landrats durch die angesprochenen Vorfälle für belegt oder erwiesen. Ob dies gerechtfertigt ist, ist erneut eine Frage des Dafürhaltens und Meinens, ohne dass konkret fassbare Tatsachen behauptet würden. Selbst im Rechtssinne erfordert die Frage, ob etwas „bewiesen“ ist, eine wertende Betrachtung. In einem nicht juristischen Kontext wie hier liegt erst recht ein wertender Gebrauch nahe (vgl. zu den Begriffen „absichtlich“ und „bewusst“ BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 19).

33

(4) Ein anderes Verständnis verlangt auch nicht die anschließende Formulierung, die Klägerin stehe für eine transparente Politik, die „Gesetze einhält und die Pflichtaufgaben des Landkreises überprüft“. Damit wird dem bisherigen Landrat nicht implizit und zwingend vorgeworfen, die Gesetze verletzt zu haben. Ebenso gut lässt sich die Aussage dahin verstehen, die Klägerin wolle hervorheben, dass sie als Landrätin möglichen Gesetzesverstößen konsequenter und transparenter nachgehe. Auch dies ergibt sich nicht zuletzt aus dem Zusammenhang der Äußerung mit der von ihr so bezeichneten Säule ihrer Politik „Transparenz in der Verwaltung“.

34

dd) Das Landesarbeitsgericht hat die an die Öffentlichkeit gerichteten schriftlichen Aussagen der Klägerin zu Recht aus der objektiven Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums ausgelegt. Entgegen der Auffassung des beklagten Landkreises kommt es nicht darauf an, ob der Flyer überwiegend politisch interessierte oder desinteressierte Empfänger erreichte und ob diese um den Erhalt der Informationen gebeten hatten oder nicht. Die von dem Beklagten angestellten Schlussfolgerungen sind überdies nicht zwingend. Gerade ein nur flüchtiger, politisch desinteressierter und möglicherweise außerhalb des Wahlkampfgebiets ansässiger Leser des Flyers wird dessen Aussagen kaum auf einen konkreten Tatsachenkern bezogen haben.

35

c) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht der Meinungsfreiheit der Klägerin Vorrang vor ihrer Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Beklagten eingeräumt.

36

aa) Allerdings kann es die vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB gebieten, dass es ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes unterlässt, die Amtswahrnehmung von Repräsentanten seines Arbeitgebers in der Öffentlichkeit herabzuwürdigen. Unter welchen Voraussetzungen dies anzunehmen ist, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Die Klägerin hat ihre Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des beklagten Landkreises deshalb nicht verletzt, weil deren Reichweite ihrerseits unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit bestimmt werden muss.

37

bb) Bei der Würdigung der fraglichen Erklärungen fällt entscheidend ins Gewicht, dass es sich um Äußerungen der Klägerin über einen Gegenkandidaten im laufenden Wahlkampf gehandelt hat. Ein Wahlbewerber muss sich in einer solchen Situation ggf. auch überzogener Kritik stellen. Die Grenzen zulässiger Kritik sind gegenüber einem Politiker weiter gefasst als gegenüber einer Privatperson (zu Art. 10 Abs. 1 EMRK vgl. EGMR 17. April 2014 - 5709/09 - Rn. 41). Auch als Beschäftigte des betroffenen Landkreises durfte die Klägerin für das Amt des Landrats kandidieren und sich im Rahmen ihrer Wahlwerbung mit der Amtsausübung des seinerseits kandidierenden Landrats auseinandersetzen. Durch ihre Kandidatur und ihre öffentlichen Äußerungen setzte sich die Klägerin gleichermaßen selbst der kritischen Überprüfung aus (vgl. zu diesem Kriterium EGMR 17. April 2014 - 5709/09 - Rn. 39). In einem öffentlichen Wahlkampf ist auch ein Arbeitnehmer nicht darauf verwiesen, Kritik an der Amtsausübung eines Gegenkandidaten, der zugleich Repräsentant seines Arbeitgebers ist, zunächst nur intern zu äußern. Es geht gerade um den öffentlichen Meinungskampf, in dessen Rahmen ansonsten zu beachtende vertragliche Pflichten zur Rücksichtnahme, soweit im Interesse der Meinungsfreiheit erforderlich, zurücktreten müssen. Die Klägerin war als Leiterin der Erhebungsstelle Zensus nicht unmittelbar persönlich für den amtierenden Landrat tätig. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob von ihr anderenfalls eine weitergehende Zurückhaltung auch in einem öffentlichen Wahlkampf hätte verlangt werden können.

38

cc) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Grenzen zur Schmähkritik seien nicht überschritten. Bei den Äußerungen der Klägerin stand nicht die persönliche Diffamierung des amtierenden Landrats im Vordergrund. Die Klägerin hat nach dem vom Berufungsgericht zutreffend zugrunde gelegten Verständnis ihrer Erklärungen nicht dem Landrat selbst „kriminelle Machenschaften“ unterstellt. Sie hat vielmehr, wenn auch in zugespitzter Form, Kritik an dessen Amtswahrnehmung geübt und damit ein bereits zuvor in der Öffentlichkeit diskutiertes Thema aufgegriffen (vgl. bspw. die Pressemitteilung der Deutschen Umwelthilfe vom 2. November 2011 als Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 28. Januar 2013: „Das Landratsamt verharmlost … und blockiert…“). Es ging - entgegen der Auffassung des Beklagten - um eine politische Frage von öffentlichem Interesse (vgl. zu diesem Kriterium EGMR 17. April 2014 - 5709/09 - Rn. 42), hier das Erfordernis transparenten Verwaltungshandelns.

39

dd) Die Klägerin hat die Kritik an der Amtswahrnehmung ihres Gegenkandidaten nicht ins Blaue hinein erhoben. An einem solchen Beitrag bestünde auch im politischen Wahlkampf kein anerkennenswertes Interesse. Sie hat sich vielmehr darauf berufen, in der Presse veröffentlichte Berichte und öffentlich diskutierte Vorgänge aufgegriffen zu haben. Ihrer kritischen Bewertung der Amtsausübung des Landrats lag damit zumindest die Tatsache zugrunde, dass die Vorgänge in B. und C. und die Rolle des Landratsamts in der Öffentlichkeit als aufklärungsbedürftig angesehen worden waren. Der beklagte Landkreis mag zwar zutreffend geltend gemacht haben, der Landrat sei in der Presse nicht „krimineller Machenschaften“ bezichtigt worden. Ein solcher Aussagegehalt kommt aber - wie ausgeführt - auch dem Flyer der Klägerin nicht zu. Handelt es sich stattdessen um ein Werturteil - hier über die Amtsausübung des Landrats - und bei diesem um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, spricht eine Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede (BVerfG 22. Juni 1982 - 1 BvR 1376/79 - zu B II 1 a der Gründe, BVerfGE 61, 1; 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] zu B II 4 der Gründe, BVerfGE 7, 198). Sie beschränkt sich entgegen der Auffassung des Beklagten nicht auf spontane, mündliche Äußerungen. Vielmehr schützt Art. 5 Abs. 1 GG die freie Meinungsäußerung „in Wort, Schrift und Bild“(vgl. BVerfG 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] aaO: ua. schriftlicher Boykottaufruf; 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 -: Veröffentlichung eines „Denkzettels“ im Internet). Bei einer spontanen, mündlichen Erklärung mag außerdem die mögliche Unbedachtheit einer gewählten Formulierung zu berücksichtigen sein.

40

ee) Die Äußerung der Klägerin ging nach Form und Zeitpunkt nicht über das in einem Wahlkampf hinzunehmende Maß hinaus.

41

(1) Der beklagte Landkreis hat geltend gemacht, die Klägerin habe offensichtlich um jeden Preis potentielle Wähler für sich gewinnen wollen. Dabei lässt er außer Acht, dass sie dies nicht durch eine persönliche Diffamierung des amtierenden Landrats, sondern durch eine politische Stellungnahme zu dessen Amtswahrnehmung versucht hat. Dass sie damit zugleich beabsichtigt haben dürfte, die Wähler gegen den amtierenden Landrat und für sich selbst einzunehmen, ist nicht zu missbilligender Zweck eines Wahlkampfs.

42

(2) Ob der Vorgang anders zu beurteilen wäre, wenn die Klägerin zur Unterstützung ihrer Äußerungen ihren Dienst beim Beklagten in die Waagschale geworfen und den Lesern zB das Vorhandensein darauf beruhender besonderer Einblicke in die Zusammenhänge suggeriert hätte, bedarf keiner Entscheidung. Ein Hinweis auf ihre Beschäftigung bei dem beklagten Landkreis war dem Flyer nicht zu entnehmen.

43

(3) Dass der Flyer über das Gebiet des beklagten Landkreises hinaus verbreitet worden wäre, ist vom Landesarbeitsgericht weder festgestellt worden, noch würde dies ein anderes Ergebnis rechtfertigen. Das Anzeigenblatt, dem der Flyer beigelegt war, ist jedenfalls auch in dem Gebiet des beklagten Landkreises verteilt worden. Die Klägerin musste von dieser Möglichkeit seiner Verbreitung nicht deshalb absehen, weil das Blatt einen über den Landkreis hinausreichenden Einzugsbereich hatte.

44

(4) Soweit der Beklagte geltend gemacht hat, die Klägerin habe bewusst einen so späten Zeitpunkt für die Veröffentlichung gewählt, dass dem amtierenden Landrat vor der Wahl keine Reaktion mehr möglich gewesen sei, ist dies bereits unschlüssig. Das Anzeigenblatt wurde am 18. April 2012 verteilt, die Landratswahl fand am 22. April 2012 statt.

45

II. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung ist sozial ungerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG. Die Klägerin hat - wie ausgeführt - ihre Vertragspflichten nicht verletzt.

46

III. Den Auflösungsantrag des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zu Recht abgewiesen. Der beklagte Landkreis hat keine Umstände dargelegt, die einer weiteren gedeihlichen Zusammenarbeit der Parteien nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG entgegenstünden. Weder genügen frühere Spannungen aufgrund einer Konkurrentenklage als Auflösungsgrund, noch ist ersichtlich, warum sich die Klägerin ein Verhalten ihres Vaters zurechnen lassen müsste.

47

IV. Der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an. Das Kündigungsschutzverfahren ist rechtskräftig abgeschlossen.

48

V. Als unterlegene Partei hat der beklagte Landkreis gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

        

        

    F. Löllgen     

        

    Gerschermann    

                 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 15. März 2013 - 13 Sa 6/13 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Rheine vom 3. September 2012 - 3 Ca 319/12 - teilweise abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 15. März 2012 nicht aufgelöst worden ist.

3. Im Übrigen wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung und einer binnen der Kündigungsfrist erklärten außerordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte produziert Wellpappe für Verpackungen und Displays. Sie beschäftigte zuletzt etwa 210 Arbeitnehmer. Der 1984 geborene Kläger stand vom 18. Mai bis 15. September 2009 und ab dem 9. November 2010 in ihren Diensten, zuletzt als Produktionsmitarbeiter.

3

Am 10. Februar 2012 fand auf Einladung der Gewerkschaft ver.di in dem bisher betriebsratslosen Betrieb der Beklagten eine Betriebsversammlung zum Zweck der Wahl eines Wahlvorstands statt. Zu der für den Beginn der Versammlung angesetzten Uhrzeit waren hauptamtliche Gewerkschaftssekretäre noch nicht anwesend. Gleichwohl wurde ein Versammlungsleiter gewählt. Laut des von diesem verfassten Protokolls beschlossen die Teilnehmer einstimmig, keinen Wahlvorstand zu wählen. Die Versammlung wurde geschlossen. Die zwischenzeitlich eingetroffenen Gewerkschaftssekretäre versuchten, die Anwesenden zum Bleiben zu bewegen. Teilweise gelang dies. An einer anschließend durchgeführten Abstimmung über die Wahl eines Wahlvorstands beteiligten sich etwa 50 Arbeitnehmer. Auf den Kläger als Kandidaten von ver.di entfielen 33 Stimmen. Die Zahl der bei der Abstimmung insgesamt anwesenden Arbeitnehmer ließ sich später nicht mehr feststellen.

4

Mit Schreiben vom 17. Februar 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31. März 2012. Sie warf dem Kläger vor, er sei am Vortag 15 Minuten zu spät zur Arbeit erschienen. Bereits am 7. April 2011 und am 27. Oktober 2011 hatte sie den Kläger - im einen Fall wegen einer behaupteten Verspätung von 22 Minuten, im anderen Fall wegen Nichterscheinens zur Nachtschicht - abgemahnt.

5

In den Tagen nach Zugang der Kündigung nahm der Kläger an einem Treffen gewerkschaftlich organisierter Beschäftigter der Beklagten teil. Anlässlich der Zusammenkunft wurde durch „Streik.TV“ - einer im Auftrag von ver.di produzierten online-TV-Sendung für gewerkschaftsrelevante Themen - unter dem Aufmacher „[Die Beklagte] behindert die Bildung eines Betriebsrats“ ein Video-Interview erstellt. Darin schilderte ein „Hintergrundsprecher“, bei der Beklagten habe ein Wahlvorstand zur Einleitung einer Betriebsratswahl gewählt werden sollen. Sodann äußerte sich der Kläger mit den Worten: „Wir haben Probleme mit den Arbeitszeiten, mit Urlaubszeiten, mit Pausenzeiten. Dann haben wir viele Probleme, dass das Vertrauen zu den Mitarbeitern fehlt, da großer Druck von oben aufgebaut ist. Viele Sicherheitsvorkehrungen fehlen an einzelnen Maschinen. Ich möchte fast behaupten, dass keine Maschine zu 100 Prozent ausgerüstet ist. Das Problem ist, dass keine Fachkräfte vorhanden sind und dass das Beherrschen der Maschinen nicht zu 100 Prozent erfüllt wird.“

6

Das Video wurde am 22. Februar 2012 in das Internet eingestellt und war bei „YouTube“ zu sehen. Der Kläger selbst verbreitete es über seinen „Facebook“-Account. Mit Schreiben vom 15. März 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien „fristlos, hilfsweise fristgerecht“.

7

Auf Antrag von ver.di bestellte das Arbeitsgericht am 21. März 2012 - rechtskräftig - einen fünfköpfigen Wahlvorstand zur Durchführung einer Betriebsratswahl im Betrieb der Beklagten. Der Kläger, den ver.di als Kandidaten benannt hatte, wurde nicht eingesetzt.

8

Der Kläger hat gegen die Kündigungen rechtzeitig Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, aufgrund seiner Kandidatur für den Wahlvorstand habe er besonderen Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 3 KSchG genossen. Die außerordentliche Kündigung sei demzufolge unwirksam, weil sie ohne die erforderliche Zustimmung iSd. § 103 BetrVG erklärt worden sei, die ordentlichen Kündigungen seien wegen seines Sonderkündigungsschutzes ausgeschlossen gewesen. Abgesehen davon fehle es an Kündigungsgründen. Mit seinen Äußerungen in dem Video, für die er sich auf sein Recht auf Meinungsfreiheit berufen könne, habe er seine vertraglichen Pflichten nicht verletzt. Am 16. Februar 2012 sei er lediglich drei Minuten zu spät zur Arbeit erschienen und dies witterungsbedingt.

9

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die Kündigung der Beklagten vom 17. Februar 2012 noch durch die Kündigung der Beklagten vom 15. März 2012 aufgelöst worden ist.

10

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen für den vom Kläger angenommenen Sonderkündigungsschutz lägen nicht vor. Die fristlose Kündigung sei aus wichtigem Grund gerechtfertigt. Die Äußerungen des Klägers in dem Video-Interview, soweit mit ihnen das Fehlen von Fachkräften behauptet werde, seien „verleumderisch“. Sie erfüllten überdies den Tatbestand der Kreditgefährdung. Sie seien geeignet gewesen, Kunden und mögliche Stellenbewerber abzuschrecken. Mit der Billigung seines Verhaltens habe der Kläger nicht rechnen dürfen. Zumindest habe das Arbeitsverhältnis aufgrund einer der ordentlichen Kündigungen sein Ende gefunden. Was die Kündigung vom 17. Februar 2012 angehe, so sei der Kläger am Tag zuvor mit erheblicher Verspätung zur Arbeit erschienen, ohne dies genügend entschuldigt zu haben.

11

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Feststellungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe

12

Die zulässige Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils (§ 562 Abs. 1 ZPO)und zu einer Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung. Der Feststellungsantrag des Klägers ist begründet, soweit er sich gegen die fristlose Kündigung vom 15. März 2012 richtet. Dies kann der Senat abschließend entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Hinsichtlich des weitergehenden Feststellungsbegehrens war die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 17. Februar 2012 zum 31. März 2012 aufgelöst worden ist, steht noch nicht fest. Damit kommt derzeit eine Sachentscheidung über die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 15. März 2012, die zu einem nach dem 31. März 2012 liegenden Zeitpunkt wirken würde, nicht in Betracht.

13

A. Die Revision des Klägers ist zulässig. Zwar enthält die Revisionsbegründung keinen förmlichen Antrag. Dies ist jedoch unschädlich.

14

I. Nach § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 ZPO muss die Revisionsbegründung eine Erklärung darüber enthalten, inwieweit das angegriffene Urteil angefochten und seine Aufhebung beantragt werde. Dafür ist nicht erforderlich, dass dieser Revisionsantrag gesondert hervorgehoben und ausdrücklich formuliert wird. Es genügt, dass sein Inhalt aus der Begründung zweifelsfrei ersichtlich wird (BAG 31. Januar 2008 - 8 AZR 11/07 - Rn. 27; BGH 25. März 2014 - II ZB 3/13 - Rn. 7).

15

II. Das Begehren des Klägers wird aus der Revisionsbegründung hinreichend deutlich. Der Kläger rügt, das Landesarbeitsgericht habe die fristlose Kündigung vom 15. März 2012 zu Unrecht als wirksam angesehen und habe es deshalb rechtsfehlerhaft versäumt, über die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigungen zu befinden. Darin kommt sein Begehren zum Ausdruck, das angefochtene Urteil insgesamt aufzuheben und seiner Berufung in vollem Umfang stattzugeben. Das genügt.

16

B. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil war aufzuheben. Das Landesarbeitsgericht durfte die Klage nicht mit der Begründung abweisen, das Arbeitsverhältnis sei durch die fristlose Kündigung vom 15. März 2012 aufgelöst worden. Diese Kündigung ist unwirksam.

17

I. Der Kläger hat mit seinem gegen „die Kündigung vom 15. März 2012“ gerichteten Feststellungsantrag die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG sowohl hinsichtlich der fristlosen, als auch hinsichtlich der hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung von diesem Tag gewahrt. Der betreffende Schriftsatz ist am 23. März 2012 bei Gericht eingegangen. Der Antrag ist ausreichend bestimmt, auch wenn in ihm nicht förmlich zwischen beiden Kündigungen unterschieden wird. Die beigegebene Begründung lässt deutlich erkennen, dass der Kläger keine der Kündigungserklärungen vom 15. März 2012 gegen sich gelten lassen will (zur Problematik vgl. BAG 16. November 1970 - 2 AZR 33/70 - zu III der Gründe; HaKo/Gallner KSchR 4. Aufl. § 4 Rn. 64).

18

II. Die fristlose Kündigung vom 15. März 2012 ist nicht schon deshalb unwirksam, weil es zu ihrer Wirksamkeit - entsprechend § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG, § 103 Abs. 1, Abs. 2 BetrVG - der vorherigen gerichtlichen Zustimmung bedurft hätte. Dem Kläger stand im maßgebenden Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung der geltend gemachte Sonderkündigungsschutz aus § 15 Abs. 3 KSchG nicht zu(zum Beurteilungszeitpunkt vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 955/11 - Rn. 20 mwN). Der Kläger war weder Mitglied des Wahlvorstands noch „Wahlbewerber“ im Sinne dieser Bestimmung.

19

1. Nach § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG ist die Kündigung eines Mitglieds des Wahlvorstands vom Zeitpunkt seiner Bestellung an, die Kündigung eines „Wahlbewerbers“ vom Zeitpunkt der Aufstellung des Wahlvorschlags an, jeweils bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und dass die nach § 103 BetrVG erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt ist.

20

2. Der Kläger war bei Zugang der Kündigung nicht Mitglied eines Wahlvorstands iSv. § 15 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 KSchG, § 103 BetrVG. In Betracht kommt allenfalls, dass er am 10. Februar 2012 in ein solches Amt gewählt worden wäre. Das war jedoch nicht der Fall. Eine Wahl iSv. § 17 Abs. 2 BetrVG hat nicht stattgefunden.

21

a) Die Bestellung des Wahlvorstands bestimmt sich nach den Vorschriften des BetrVG, hier nach § 17 BetrVG. Nach Absatz 2 der Vorschrift wird der Wahlvorstand in Betrieben, in denen kein Betriebsrat besteht, unter den dort genannten Voraussetzungen in einer Betriebsversammlung von der Mehrheit der anwesenden Arbeitnehmer gewählt. Zu dieser Betriebsversammlung kann nach § 17 Abs. 3 BetrVG ua. eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft einladen und dabei Vorschläge für die Zusammensetzung des Gremiums machen. Im Übrigen gelten für diese Betriebsversammlung die Vorschriften der §§ 42 ff. BetrVG, soweit sie nicht das Bestehen eines Betriebsrats voraussetzen (BAG 26. November 2009 - 2 AZR 185/08 - Rn. 11, BAGE 132, 293; 24. März 1988 - 2 AZR 629/87 - zu II 2 a der Gründe mwN).

22

b) Da es sich um bloße Vorbereitungshandlungen zur Wahl eines Betriebsrats handelt, ist zwar ein „übertriebener Formalismus“ mit Blick auf die Einhaltung der einschlägigen Verfahrensvorschriften fehl am Platz, solange nicht gegen die Grundprinzipien einer demokratischen Wahl verstoßen wird (BAG 24. März 1988 - 2 AZR 629/87 - zu II 4 b aa der Gründe). Unverzichtbare Mindestanforderung ist aber, dass die Wahl in einer Betriebsversammlung erfolgte und das erforderliche Quorum erreicht ist. Jeder für den Wahlvorstand vorgesehene Arbeitnehmer muss mit der Mehrheit der Stimmen der bei der Betriebsversammlung anwesenden Arbeitnehmer gewählt werden; die Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügt nicht (statt vieler: Fitting BetrVG 27. Aufl. § 17 Rn. 29; Richardi/Thüsing BetrVG 12. Aufl. § 17 Rn. 25). Ohne die Beachtung dieser Voraussetzungen liegt keine rechtsgültige Wahl vor.

23

c) Danach wurde der Kläger am 10. Februar 2012 nicht zum Mitglied eines Wahlvorstands gewählt. Es ist bereits zweifelhaft, ob die hierüber durchgeführte Abstimmung, nachdem die Versammlung zuvor offenbar „geschlossen“ worden war, „in einer Betriebsversammlung“ erfolgte. Im Ergebnis kann dies offenbleiben. Die Zahl der bei der Abstimmung anwesenden Arbeitnehmer ist nicht ermittelt worden. Es kann deshalb nicht festgestellt werden, ob tatsächlich eine im Sinne des Gesetzes repräsentative Wahl des Klägers erfolgt ist. Dieser erhielt zwar 33 von etwa 50 abgegebenen Stimmen. Ob aber nicht im Zeitpunkt der Wahl insgesamt mehr als 65 Teilnehmer anwesend waren, so dass der Kläger nicht von deren Mehrheit gewählt worden wäre, lässt sich nicht mehr feststellen. Dies geht zu Lasten des Klägers. Der Arbeitnehmer, der sich auf einen Sonderkündigungsschutz nach § 15 KSchG beruft, hat die dafür erforderlichen Tatsachen darzulegen und ggf. zu beweisen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 955/11 - Rn. 31).

24

3. Der Kläger wurde aufgrund seiner am 10. Februar 2012 auf der Versammlung erklärten Bereitschaft, für das Amt des Wahlvorstands zu „kandidieren“, nicht „Wahlbewerber“ iSv. § 15 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 KSchG. „Wahlbewerber“ wurde er auch nicht aufgrund des Umstands, dass er seit dem 23. Februar 2012 in einem Antrag nach § 17 Abs. 4 BetrVG für eine gerichtliche Bestellung zum Wahlvorstand vorgeschlagen worden war. Dementsprechend kam für ihn weder ab dem 10. noch ab dem 23. Februar 2012 (nachwirkender) Kündigungsschutz aus § 15 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 KSchG in Betracht.

25

a) Im Schrifttum sind die Meinungen zu dieser Problematik geteilt. Einige Stimmen nehmen an, Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands seien - unabhängig vom Weg, auf dem sie in das Amt gelangen sollen - als „Wahlbewerber“ iSd. § 15 Abs. 3 KSchG, § 103 Abs. 1 BetrVG anzusehen(vgl. KR/Etzel 10. Aufl. § 103 BetrVG Rn. 13; Stein AuR 1975, 201, 202). Die Mehrzahl der Stimmen lehnt ein solches Begriffsverständnis ab (vgl. nur APS/Linck 4. Aufl. § 103 BetrVG Rn. 2; Fitting BetrVG 27. Aufl. § 103 Rn. 10; GK/Raab BetrVG 8. Aufl. § 103 Rn. 6; HWGNRH/Huke BetrVG 9. Aufl. § 103 Rn. 13; Kittner/Däubler/Zwanziger/Deinert KSchR 8. Aufl. § 15 Rn. 17; Richardi/Thüsing BetrVG 12. Aufl. § 103 Rn. 8; SES/Eylert KSchG § 15 Rn. 22; WPK/Preis BetrVG 4. Aufl. § 103 Rn. 6; Grau/Schaut BB 2014, 757; Fischermeier ZTR 1998, 433, 434; Nägele/Nestel BB 2002, 354, 356).

26

b) Die letztgenannte Auffassung ist zutreffend. Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands sind keine „Wahlbewerber“.

27

aa) Seinem Wortlaut nach bezieht sich § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG mit dem Ausdruck „Wahlbewerber“ auf Personen, die sich im Rahmen einer Wahl für ein Amt „bewerben“. Mitglieder des Wahlvorstands erlangen ihr Amt dagegen vielfach gerade nicht durch Wahl. Ihre Bestellung durch den Betriebsrat (§ 16 BetrVG), den Gesamt- oder den Konzernbetriebsrat (§ 17 Abs. 1 BetrVG) oder das Gericht (§ 17 Abs. 4 BetrVG) ist weder sprachlich noch inhaltlich vom Begriff „Wahl“ gedeckt. Auch „bewerben“ sich die Kandidaten bei dem jeweiligen Gremium, das zur Bestellung des Wahlvorstands berufen ist, nicht um das Amt. Das zuständige Gremium setzt vielmehr die Personen, die es für geeignet hält, in eigener Verantwortung als Mitglieder des Wahlvorstands ein.

28

bb) Systematische Gesichtspunkte stützen dieses Verständnis.

29

(1) Nach § 15 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 KSchG sind Wahlbewerber „vom Zeitpunkt der Aufstellung des Wahlvorschlags an … bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses“ vor Kündigungen besonders geschützt. Dieser Schutz ist ersichtlich an die Durchführung eines Wahlverfahrens geknüpft; dieses wiederum verlangt für die „Aufstellung“ eines Wahlvorschlags und damit für eine „Bewerbung“ die Einhaltung einer bestimmten Form (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 299/11 - Rn. 13; 7. Juli 2011 - 2 AZR 377/10 - Rn. 24). Mit Blick auf die Wahl des Betriebsrats etwa ist erforderlich, dass ein schriftlicher Wahlvorschlag existiert, der den in § 14 Abs. 4 BetrVG und in der Wahlordnung normierten Voraussetzungen genügt, insbesondere die erforderliche Mindestzahl von Stützunterschriften aufweist(BAG 19. April 2012 - 2 AZR 299/11 - Rn. 12, 13). Durch die in § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG vorausgesetzte Aufstellung eines Wahlvorschlags wird der Begriff des „Wahlbewerbers“ jedenfalls kündigungsschutzrechtlich auf Kandidaten beschränkt, die sich einem formalisierten Wahlverfahren stellen. Auf die Benennung von Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands trifft dies nicht zu. Ein strukturiertes Verfahren, in dessen Rahmen „Wahlvorschläge aufgestellt“ würden, ist selbst für den Weg der Wahl in einer Betriebsversammlung iSv. § 17 Abs. 2 Satz 1 BetrVG nicht vorgesehen(BAG 24. März 1988 - 2 AZR 629/87 - zu II 4 b aa der Gründe). Schon die zweifelsfreie Feststellung des Beginns des Sonderkündigungsschutzes wäre damit nicht möglich.

30

(2) Es kommt hinzu, dass mit einem Verständnis der Kandidatur für den Wahlvorstand als „Wahlbewerbung“ die Möglichkeit einer Erstreckung des Sonderkündigungsschutzes auf alle Belegschaftsmitglieder verbunden wäre. Soll die Wahl des Wahlvorstands in einer Betriebsversammlung nach § 17 Abs. 2 BetrVG erfolgen, könnte jeder Anwesende sich zum Kandidaten erklären oder könnte von anderen Belegschaftsmitgliedern oder der einladenden Gewerkschaft dazu erklärt werden. Soll der Wahlvorstand nach ergebnisloser Betriebsversammlung durch das Gericht bestellt werden, könnten die Antragsteller zahlenmäßig unbegrenzte Bestellungsvorschläge unterbreiten, aus denen das Gericht die zu bestellenden Mitglieder aussuchen möge. Dies vertrüge sich systematisch nicht mit der Regelung in § 15 Abs. 3a KSchG. Danach ist der besondere Schutz für Belegschaftsmitglieder, die zu einer Betriebsversammlung iSv. § 17 Abs. 3 BetrVG einladen oder den Antrag iSv. § 17 Abs. 4 BetrVG stellen, auf die ersten drei in der Einladung bzw. der Antragstellung aufgeführten Arbeitnehmer begrenzt.

31

Für - umgekehrt - eine analoge Anwendung von § 15 Abs. 3a KSchG auf die Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands wiederum fehlt es an der erforderlichen Ähnlichkeit der Sachverhalte. Weder sind die „Aktivitäten“ der Initiatoren bzw. Antragsteller und die der (bloßen) Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands vergleichbar, noch macht eine zahlenmäßige Begrenzung auf die „ersten“ drei Kandidaten Sinn - zumal der Wahlvorstand aus mehr als drei Personen bestehen kann.

32

cc) Auch Sinn und Zweck des Sonderkündigungsschutzes gebieten es nicht, Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands als „Wahlbewerber“ iSv. § 15 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 KSchG, § 103 Abs. 1 BetrVG anzusehen.

33

(1) Die Erstreckung des besonderen Kündigungsschutzes in § 15 Abs. 3 KSchG auf Mitglieder des Wahlvorstands und Wahlbewerber dient der Erleichterung der Wahl der Betriebsverfassungsorgane und der Sicherung der Kontinuität ihrer Arbeit(BT-Drs. VI/1786 S. 59). Das gleiche Ziel verfolgt die entsprechende Regelung in § 103 Abs. 1 BetrVG. Das Zustimmungserfordernis soll verhindern, geschützte Personen faktisch zunächst einmal aus dem Betrieb zu entfernen und durch die Länge eines möglichen Kündigungsschutzverfahrens der Belegschaft zu entfremden (vgl. BT-Drs. VI/1786 S. 53).

34

(2) Diese Zwecke verlangen nicht danach, Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands als „Wahlbewerber“ anzusehen.

35

(a) Zwar sind schon im Vorfeld der Betriebsratswahl spezifische Konflikte zwischen betroffenen Arbeitnehmern und dem Arbeitgeber denkbar. Aus diesem Grund sind sowohl die Mitglieder des tatsächlich gewählten oder bestellten Wahlvorstands, die nunmehr die Wahl des Betriebsrats aktiv zu betreiben haben, als auch die Bewerber um das Betriebsratsamt als solches durch § 15 Abs. 3 KSchG besonders geschützt. Ohne diesen Schutz hat der Gesetzgeber das Ziel einer möglichst reibungslosen und erfolgreichen Wahl des Betriebsrats erkennbar als gefährdet angesehen.

36

(b) Dieses Ziel verlangt aber nicht nach dem gleichen Schutz schon für die Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands. Aus einer solchen Kandidatur erwachsen typischerweise keine Konfliktlagen, die mit denen aus dem späteren Amt als tatsächlich gewählter/bestellter Wahlvorstand oder aus einer Bewerbung um das Amt des Betriebsrats selbst vergleichbar wären. Zum einen dauert die Kandidatur für den Wahlvorstand in der Regel nur eine kurze Zeitspanne - etwa die Zeit zwischen der Einladung zur Betriebsversammlung nach § 17 Abs. 3 BetrVG, soweit die Kandidatur darin überhaupt bekanntgegeben wird, und der Durchführung der Versammlung oder die Zeit zwischen Antragstellung und Entscheidung des Gerichts nach § 17 Abs. 4 BetrVG. Geht es um die Bestellung der Mitglieder des Wahlvorstands durch ein Betriebsratsgremium lässt sich zudem schon von einer „Kandidatur“ kaum sprechen. Zum anderen tritt der Kandidat für das Amt des Wahlvorstands auch im Rahmen des Wegs über § 17 Abs. 2 BetrVG in der Regel nicht werbend in Erscheinung, um gegenüber Konkurrenten mit bestimmten inhaltlichen Vorschlägen zu überzeugen. Anlässe und Angriffsflächen für Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers sind damit nicht zu erwarten. Der Bestand des Arbeitsverhältnisses von Kandidaten für den Wahlvorstand erscheint demnach nicht schon wegen ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Rolle als besonders gefährdet. Sind die Kandidaten zugleich die Initiatoren der Wahl iSv. § 15 Abs. 3a KSchG iVm. § 17 Abs. 3, Abs. 4 BetrVG, sind sie in dieser Rolle durch § 15 Abs. 3a KSchG ohnehin geschützt. Damit ergeben sich aus Sinn und Zweck des Sonderkündigungsschutzes nach § 15 Abs. 3 KSchG keine Gründe, die eine mit dem Wortsinn „Wahlbewerber“ nicht zu vereinbarende und in Widersprüche zur Systematik der Gesamtregelung geratende Auslegung dieses Begriffs dahin rechtfertigen könnten, dass er auch Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands erfasse.

37

(3) Sollte der Arbeitgeber mit der Kündigung eines Arbeitnehmers dennoch das Ziel verfolgen, dessen Wahl oder Bestellung zum Mitglied eines Wahlvorstands zu verhindern, stellte dies eine verbotene Wahlbehinderung dar. Die Kündigung wäre nach § 20 Abs. 1 BetrVG iVm. § 134 BGB nichtig(vgl. auch BAG 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu II 3 a der Gründe). Im Übrigen finden zugunsten der Kandidaten allemal die allgemeinen kündigungsschutzrechtlichen Bestimmungen Anwendung.

38

III. Die fristlose Kündigung vom 15. März 2012 ist gleichwohl unwirksam. Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liegt nicht vor. Der Kläger hat mit seinen Äußerungen in dem durch „Streik.TV“ produzierten Video seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB nicht verletzt. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, er habe in dem Beitrag bewusst geschäftsschädigende Tatsachenbehauptungen aufgestellt, beruht auf einer fehlerhaften Auslegung der fraglichen Äußerungen und schenkt dem Grundrecht des Klägers auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) keine genügende Beachtung. Darauf, ob die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt ist, kommt es nicht an.

39

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 16; 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 15 mwN, BAGE 146, 303).

40

2. Als wichtiger Grund kann neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet sein, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen (BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 19; 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 29, BAGE 137, 54). Zu diesen Nebenpflichten zählt insbesondere die Pflicht der Arbeitsvertragsparteien zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des jeweils anderen Teils (§ 241 Abs. 2 BGB). Danach hat der Arbeitnehmer seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - aaO mwN).

41

3. Eine in diesem Sinne erhebliche Pflichtverletzung liegt regelmäßig vor, wenn der Arbeitnehmer über seinen Arbeitgeber, seine Vorgesetzten oder Kollegen bewusst wahrheitswidrige Tatsachenbehauptungen aufstellt, insbesondere wenn sie den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22). Auch eine bewusste und gewollte Geschäftsschädigung, die geeignet ist, bei Geschäftspartnern des Arbeitgebers Misstrauen in dessen Zuverlässigkeit hervorzurufen, kann einen wichtigen Grund zur Kündigung bilden. Das gilt auch dann, wenn es sich um einen einmaligen Vorgang handelt (BAG 26. September 2013 - 2 AZR 741/12 - Rn. 15; 6. Februar 1997 - 2 AZR 38/96 - zu II 1 e der Gründe).

42

4. Ein Arbeitnehmer kann sich für bewusst falsche Tatsachenbehauptungen nicht auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG berufen. Solche Behauptungen sind vom Schutzbereich des Grundrechts nicht umfasst (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19). Anderes gilt für Äußerungen, die nicht Tatsachenbehauptungen, sondern ein Werturteil enthalten. Sie fallen in den Schutzbereich des Rechts auf Meinungsfreiheit. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 18; 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21). Darauf kann sich auch ein Arbeitnehmer berufen. Mit der Bedeutung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit wäre es unvereinbar, wenn es in der betrieblichen Arbeitswelt nicht oder nur eingeschränkt anwendbar wäre (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I 2 b aa der Gründe mwN). Der Grundrechtsschutz besteht dabei unabhängig davon, welches Medium der Arbeitnehmer für seine Meinungsäußerung nutzt und ob diese rational oder emotional, begründet oder unbegründet ist. Vom Grundrecht der Meinungsfreiheit umfasste Äußerungen verlieren den sich daraus ergebenden Schutz selbst dann nicht, wenn sie scharf oder überzogen geäußert werden (vgl. BVerfG 28. November 2011 - 1 BvR 917/09 - Rn. 18 mwN).

43

5. Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG ist allerdings nicht schrankenlos gewährleistet, sondern gemäß Art. 5 Abs. 2 GG durch die allgemeinen Gesetze und das Recht der persönlichen Ehre beschränkt. Mit diesen muss es in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19; 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 35; 24. Juni 2004 - 2 AZR 63/03 - zu B III 2 a der Gründe). Die Verfassung gibt das Ergebnis einer solchen Abwägung nicht vor. Das gilt insbesondere dann, wenn - wie hier - auch auf Seiten des Arbeitgebers eine grundrechtlich geschützte Position betroffen ist. Durch Art. 12 GG wird die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit des Arbeitgebers geschützt, die durch geschäftsschädigende Äußerungen verletzt sein kann. Auch gehört § 241 Abs. 2 BGB zu den allgemeinen, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit beschränkenden Gesetzen. Zwischen der Meinungsfreiheit und dem beschränkenden Gesetz findet demnach eine Wechselwirkung statt. Die Reichweite der Pflicht zur vertraglichen Rücksichtnahme muss ihrerseits unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts bestimmt, der Meinungsfreiheit muss dabei also die ihr gebührende Beachtung geschenkt werden - und umgekehrt (vgl. BVerfG 8. September 2010 - 1 BvR 1890/08 - Rn. 20; 25. Oktober 2005 - 1 BvR 1696/98 - BVerfGE 114, 339).

44

6. Danach hat der Kläger seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Belange der Beklagten nicht verletzt.

45

a) Sowohl für die Beurteilung, ob es sich bei einer Aussage um eine Tatsachenbehauptung oder um ein Werturteil handelt, als auch für die Bewertung, ob eine vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG umfasste Äußerung die Grenzen der Meinungsfreiheit überschreitet, kommt es entscheidend auf den Sinngehalt der fraglichen Erklärung an(vgl. BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 18; BAG 24. Juni 2004 - 2 AZR 63/03 - zu B III 2 a cc der Gründe). Dessen Ermittlung hat vom Wortlaut der Äußerung auszugehen, darf aber den sprachlichen Kontext, in dem sie steht, sowie die für den Empfänger erkennbaren Begleitumstände, unter denen sie gefallen ist, nicht unberücksichtigt lassen. Die isolierte Betrachtung nur eines Teils der Äußerung wird diesen Anforderungen in der Regel nicht gerecht (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 40; BGH 26. Oktober 1999 - VI ZR 322/98 - zu II 2 der Gründe).

46

b) Um der Meinungsfreiheit gerecht zu werden, dürfen Gerichte einer Äußerung keine Bedeutung beilegen, die sie objektiv nicht hat. Bei Mehrdeutigkeit dürfen Äußerungen wegen eines möglichen Inhalts nicht zu nachteiligen Folgen führen, ohne dass eine Deutung, die zu einem von der Meinungsfreiheit gedeckten Ergebnis führen würde, mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen worden ist (bspw. BVerfG 25. Oktober 2005 - 1 BvR 1696/98 - Rn. 33, BVerfGE 114, 339; 25. März 1992 - 1 BvR 514/90 - zu B I 2 a der Gründe, BVerfGE 86, 1).

47

c) Die Einhaltung dieser Grundsätze kann das Revisionsgericht uneingeschränkt überprüfen (BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 15 mwN, BAGE 138, 312). Ihnen genügt die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Sinnermittlung nicht.

48

aa) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe mit seiner Erklärung, bei der Beklagten seien „keine Fachkräfte vorhanden“, zum Ausdruck gebracht, diese beschäftige keine Arbeitnehmer, die innerhalb ihres erlernten Berufs über die entsprechenden Kenntnisse und Fähigkeiten verfügten. Damit habe er dem Großteil der bei der Beklagten tätigen Arbeitnehmer, die in Wirklichkeit sehr wohl über eine einschlägige Facharbeiterausbildung zB als Schlosser, Elektriker oder im Bereich Verpackungsmittelmechanik verfügten, die Kompetenz abgesprochen, eine ausbildungsadäquate Tätigkeit zu verrichten. Er habe insoweit eine objektiv unwahre Tatsachenbehauptung aufgestellt.

49

bb) Diese Auslegung wird dem Sinn der Äußerung schon deshalb nicht gerecht, weil sie mit der beanstandeten Passage nur einen Teil in den Blick nimmt und sich außerdem allein am allgemeinen Verständnis des Begriffs „Fachkraft“ orientiert. Eine Fachkraft ist danach eine Person, die innerhalb ihres Berufs oder ihres Fachgebiets über die entsprechenden Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt (Duden Deutsches Universalwörterbuch 7. Aufl.; Wahrig Deutsches Wörterbuch 9. Aufl.). Auf diese Weise lässt das Landesarbeitsgericht - wie der Kläger zu Recht rügt - den gedanklichen Zusammenhang, in den die Äußerung gestellt ist, außer Betracht und berücksichtigt nicht hinreichend ihren äußeren Bezugsrahmen.

50

(1) Der Kläger bezieht sich in erster Linie auf „Probleme“ mit Arbeitszeiten, Urlaubszeiten und Pausenzeiten. Er spricht damit Sachverhalte an, die - je nach den konkreten Umständen - einem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 5 BetrVG unterliegen können. Anschließend bemängelt er ein unzureichendes Vertrauen in die Mitarbeiter und den Umstand, dass „viele Sicherheitsvorkehrungen“ an „einzelnen Maschinen“ fehlten. Daran schließt sich der Hinweis, es seien „keine Fachkräfte vorhanden“ unmittelbar an. Noch im selben Satz äußert der Kläger sodann, er möge „fast“ behaupten, dass keine Maschine zu „100 Prozent ausgerüstet“ sei. Diese enge textliche und sachliche Verknüpfung mit den angesprochenen Sicherheitsaspekten legt es unmittelbar nahe anzunehmen, der Kläger habe nicht auf das Fehlen von Fachkräften im Allgemeinen, sondern auf Defizite in Sachen Arbeitssicherheit hinweisen wollen.

51

(2) Für ein solches Verständnis spricht ferner der situative Kontext der Aussage. Das fragliche Video wurde aus Anlass der Ereignisse vom 10. Februar 2012 erstellt. Vor der beanstandeten Äußerung berichtet ein „Hintergrundsprecher“ von der auf einen Mitarbeiterwunsch zurückgehenden Einladung der Gewerkschaft ver.di zu einer Betriebsversammlung bei der Beklagten, in der ein Wahlvorstand zur Durchführung einer Betriebsratswahl habe gewählt werden sollen. Im Anschluss an die Erklärung des Klägers äußert der Hintergrundsprecher weiter: „Die Betriebsversammlung lief alles andere als gut. Zu einer Wahl kam es nicht“. Eingebettet in diesen Sachzusammenhang waren die Äußerungen des Klägers in ihrer Gesamtheit erkennbar darauf angelegt, für die Wahl eines Betriebsrats zu „werben“. An keiner Stelle des Interviews wird deutlich, dass der Kläger der Beklagten hätte absprechen wollen, Mitarbeiter zu beschäftigen, die über eine qualifizierte Berufsausbildung verfügen und in der Lage sind, in ihrem Beruf erworbene Fähigkeiten und Kenntnisse adäquat anzuwenden. Gegenstand seiner Stellungnahme waren vielmehr „Probleme“, derer sich ein Betriebsrat würde annehmen können.

52

Der von der Beklagten als geschäftsschädigend angesehene Eindruck, sie setze bei der Herstellung ihrer Produkte durchweg kein ausgebildetes Fachpersonal ein, konnte bei einem Zuschauer nicht wirklich entstehen. Insbesondere mussten ihre (potentiellen) Kunden oder an einer Beschäftigung bei ihr interessierte Arbeitnehmer aufgrund der Äußerungen des Klägers nicht annehmen, die von der Beklagten hergestellten Waren seien minderwertig oder erfüllten nicht die Qualitätserwartungen. Ein verständiger Betrachter des Videos konnte allenfalls den Eindruck gewinnen, bei der Beklagten sei aus Sicht des Klägers eine gefahrlose Bedienung der Maschinen mangels hierfür spezifisch aus- oder weitergebildeter Kräfte nicht ausnahmslos gewährleistet.

53

Angesichts dessen bleibt für die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung kein Raum. Selbst wenn es sich aber um eine nicht gänzlich auszuschließende Deutungsvariante handeln würde, müsste der hier dargelegten und zumindest ebenso naheliegenden Auslegung zum Schutz der Meinungsfreiheit der Vorrang eingeräumt werden.

54

cc) Ist die Äußerung des Klägers als Hinweis auf das Fehlen von „Fachkräften“ in Bezug auf die Arbeitssicherheit zu verstehen, kann sie - selbst bei isolierter Betrachtung - nicht als Tatsachenbehauptung eingestuft werden. Der Kläger beschreibt nicht das Fehlen einer wirklichen Qualifikation, deren (Nicht-)Vorhandensein ggf. einem Wahrheitsbeweis zugänglich wäre. Er äußert sich vielmehr pauschal über eine seiner Einschätzung nach unzureichend gewährleistete Sicherheit bei der Bedienung der im Betrieb eingesetzten Maschinen. Dafür macht er Defizite sowohl im technischen als auch im personellen Bereich verantwortlich.

55

dd) Selbst wenn die Äußerung des Klägers auch tatsächliche Behauptungen implizieren würde, so hat sie doch zumindest teilweise wertenden Charakter. Eine Trennung von tatsächlichen und wertenden Bestandteilen einer Äußerung wiederum ist nur zulässig, wenn dadurch deren Sinn nicht verfälscht wird. Wo dies der Fall wäre, muss die Erklärung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 18; 19. Dezember 1990 - 1 BvR 389/90 - zu B I der Gründe; jeweils mwN). So liegt es hier. Schon die einleitenden Worte des Klägers: „Wir haben Probleme …“ bringen den Charakter der nachfolgenden Äußerungen als subjektive Wertung klar zum Ausdruck. Dem gesamten Kontext nach ist sein Beitrag davon geprägt, aus Arbeitnehmersicht die Bedeutung der Wahl einer betrieblichen Interessenvertretung hervorzuheben. Die fraglichen Äußerungen unterfallen damit insgesamt - unabhängig von ihrer sachlichen Berechtigung - dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG.

56

d) Die im Rahmen von § 241 Abs. 2 BGB vorzunehmende Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien ergibt, dass die Meinungsfreiheit des Klägers nicht hinter die Belange der Beklagten zurückzutreten hat. Das vermag der Senat selbst zu beurteilen (§ 563 Abs. 3 ZPO). Der für die erforderliche (Grundrechte-)Abwägung maßgebliche Sachverhalt ist durch das Landesarbeitsgericht festgestellt. Weitergehender Sachvortrag steht insoweit nicht zu erwarten.

57

aa) Der Kläger hat keine Behauptungen aufgestellt, die geeignet wären, Repräsentanten der Beklagten oder ihre Mitarbeiter in ihrer Ehre zu verletzen. Dafür fehlt es am erforderlichen Personenbezug.

58

bb) Als Meinungsäußerungen, die dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG unterfallen, werden die von der Beklagten angegriffenen Aussagen nicht vom Tatbestand der Kreditgefährdung(§ 824 BGB) erfasst.

59

cc) Die Äußerungen verletzen die Beklagte auch nicht in ihrem allgemeinen „Persönlichkeitsrecht“ als Unternehmen. Zwar steht das Recht der persönlichen Ehre und auf Achtung ihres öffentlichen Ansehens auch juristischen Personen zu (vgl. BGH 22. September 2009 - VI ZR 19/08 - Rn. 10 mwN). Eine dieses Recht regelmäßig verletzende Schmähkritik (vgl. dazu BVerfG 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - BVerfGE 93, 266; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 36 mwN) liegt hier aber nicht vor. Die beanstandete Aussage ist nicht auf eine Diffamierung der Beklagten angelegt. Sie hat erkennbar einen sachlichen Bezug.

60

dd) Der Kläger hat seine Vertragspflichten nicht aufgrund des Umstands verletzt, dass das Interview nicht nur einem begrenzten Empfängerkreis zugänglich war.

61

(1) Den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zufolge wurde das fragliche Video auf der Seite „Streik.TV“ in das Internet gestellt. Der Zugriff auf die Plattform unterlag keinen personellen Beschränkungen, sondern war jedem Internetnutzer möglich. Der Kläger hat nicht behauptet, ihm sei der Verwendungszweck des Videos unbekannt gewesen. Für die rechtliche Beurteilung kommt es deshalb nicht darauf an, ob er selbst den Beitrag bei „YouTube“ eingestellt hat oder ob dies durch Dritte erfolgt ist. Ebenso wenig ist von Belang, ob er zusätzlich eine gewisse Öffentlichkeit durch dessen Verbreitung über „Facebook“ hergestellt hat (zur Problematik vgl. Bauer/Günther NZA 2013, 67, 68).

62

(2) Dieser Verbreitungsgrad reicht unter den gegebenen Umständen nicht aus, um einen Verstoß gegen § 241 Abs. 2 BGB zu begründen.

63

(a) Allerdings sind Arbeitnehmer grundsätzlich gehalten, innerbetriebliche Kommunikationswege zu nutzen, bevor sie mögliche Missstände im Betrieb nach Außen tragen (vgl. Hinrichs/Hörtz NJW 2013, 648, 651; Wiese NZA 2012, 1, 4; zu den Grenzen der Meinungsfreiheit im Zusammenhang mit Anzeigen gegen den Arbeitgeber vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 37; 7. Dezember 2006 - 2 AZR 400/05 - Rn. 18; vgl. ferner EGMR 21. Juli 2011 - 28274/08 - [Heinisch] Rn. 62 ff.). Der Arbeitnehmer kann Beschwerden direkt beim Arbeitgeber oder beim Betriebsrat erheben (§ 85 BetrVG). Das Recht der freien Meinungsäußerung endet aber nicht an der Betriebsgrenze (ErfK/Schmidt 14. Aufl. Art. 5 GG Rn. 37). Es kann Fälle geben, in denen eine innerbetriebliche Klärung nicht zu erwarten steht oder ein entsprechender Versuch dem Arbeitnehmer nicht zuzumuten ist (BAG 3. Juli 2003 - 2 AZR 235/02 - zu II 3 b dd (2) der Gründe, BAGE 107, 36). Im Übrigen ist die Wahl des Mediums zur Kundgabe einer Meinungsäußerung lediglich einer von mehreren Gesichtspunkten bei Abwägung der gegenläufigen Interessen (so zu Recht Wiese NZA 2012, 1, 8).

64

(b) Die Interessen der Beklagten werden durch die beanstandete Aussage lediglich in geringem Maße tangiert. Ein verständiger Betrachter konnte sie, wie dargelegt, nicht ernsthaft dahin verstehen, der Kläger wolle behaupten, die Beklagte setze bei der Produktion kein Fachpersonal ein. Die geäußerte Kritik am Fehlen von „Fachkräften“ für die sichere Bedienung der Maschinen enthielt zudem keine näheren Angaben. Mit ihr war deshalb keine massive Geschäftsschädigung verbunden. Ebenso wenig gibt es Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Betriebsfriedens. Die beanstandete Aussage steht überdies im thematischen Zusammenhang mit dem Verlauf der Betriebsversammlung vom 10. Februar 2012. Der Video-Beitrag diente der Aufbereitung des gescheiterten Wahlvorgangs. Mit Blick auf die Intention des Klägers, die Bedeutung der Wahl eines Betriebsrats aufzuzeigen, kam es nicht infrage, vorab in Gespräche mit der Beklagten einzutreten.

65

Es kommt hinzu, dass die Äußerungen des Klägers zwar einem unbegrenzten Teilnehmerkreis zugänglich, aber nicht auf eine größtmögliche Verbreitung angelegt waren. Das Video wurde auf einer Internet-Platform eingestellt, die sich gewerkschaftlicher Themen annimmt und bei der zu erwarten stand, dass sie lediglich von einem daran interessierten Publikum aufgerufen würde. Auch die Beklagte ist nach ihrem Vorbringen nur zufällig auf das Interview gestoßen. Unter diesen Umständen hat ihr Interesse, in der Öffentlichkeit nicht mit vermeintlichen Defiziten bei der Einhaltung von Sicherheitsstandards in Verbindung gebracht zu werden, hinter das Recht des Klägers auf freie Meinungsäußerung zurückzutreten.

66

IV. Hinsichtlich der Klage gegen die ordentlichen Kündigungen vom 17. Februar und 15. März 2012 ist der Rechtsstreit nicht entscheidungsreif. In diesem Umfang war die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

67

1. Das Recht der Beklagten, das Arbeitsverhältnis ordentlich zu kündigen, unterlag im jeweiligen Kündigungszeitpunkt keinen Beschränkungen aus § 15 Abs. 3, Abs. 3a KSchG. Der Kläger genoss, wie gezeigt, nach den dortigen Bestimmungen keinen (nachwirkenden) besonderen Kündigungsschutz.

68

2. Der Senat vermag nicht zu beurteilen, ob die Kündigung vom 17. Februar 2012 iSv. § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt ist oder nicht. Das Kündigungsschutzgesetz findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Das Landesarbeitsgericht hat - von seinem rechtlichen Standpunkt aus konsequent - nicht geprüft, ob die Kündigung durch Gründe iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist und hat dazu keine Feststellungen getroffen. Dies wird es nachzuholen haben. Die Beklagte macht geltend, der Kläger sei am 16. Februar 2012 trotz einschlägiger vorheriger Abmahnungen verspätet zur Arbeit erschienen. Darin kann, falls sich der Vorwurf bestätigt, ein Grund für eine ordentliche Kündigung liegen (vgl. BAG 16. September 2004 - 2 AZR 406/03 -; 15. November 2001 - 2 AZR 609/00 - BAGE 99, 340). Sollte es auf das Vorbringen des Klägers ankommen, er habe den Arbeitsplatz witterungsbedingt nicht rechtzeitig erreichen können, wird ihm Gelegenheit zu geben sein, diesen Vortrag zu substantiieren. Bisher ist nicht konkret dargetan, welche Hindernisse vorlagen und weshalb er deshalb seine Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllen konnte (vgl. dazu BAG 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 23; 18. Oktober 1990 - 2 AZR 204/90 -).

69

3. Ist über die vorsorglich erklärte ordentliche Kündigung vom 15. März 2012 zu entscheiden, wird das Landesarbeitsgericht von deren Unwirksamkeit ausgehen können. Der Kläger hat, wie ausgeführt, durch seine Äußerungen in dem bei „Streik.TV“ eingestellten Video seine arbeitsvertraglichen Pflichten nicht verletzt. Damit ist kein Grund ersichtlich, der geeignet wäre, die ordentliche Kündigung iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial zu rechtfertigen.

        

    Kreft    

        

    Niemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Bartz    

        

    Perreng    

                 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 13. November 2012 - 14 Sa 1178/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten - noch - über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte betrieb bis April 2013 Handel mit Kfz-Ersatzteilen. Im Jahr 2012 beschäftigte sie regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. Der 1963 geborene Kläger war bei ihr seit August 1988 tätig, zuletzt als Leiter der Finanzbuchhaltung. Sein Bruttomonatsverdienst betrug rund 3.900,00 Euro.

3

Im Juni 2011 übernahm eine Gesellschafterin der Beklagten Aufgaben im Bereich Buchhaltung. Daraus erwuchsen Unstimmigkeiten zwischen den Parteien. Eine dem Kläger am 3. Januar 2012 erteilte Abmahnung wegen behaupteter Arbeitsverweigerung hielt die Beklagte unter Hinweis auf Beweisschwierigkeiten nicht aufrecht.

4

Mit Schreiben vom 24. Februar 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 30. September 2012. Zur Begründung gab sie an, ihre Gesellschafterin habe zwischenzeitlich die Arbeitsaufgaben des Klägers vollständig übernommen. Dessen Arbeitsplatz sei weggefallen.

5

Der Kläger hat gegen die Kündigung Klage erhoben. Nachdem die Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht erfolglos geblieben war, fertigte sein Prozessbevollmächtigter unter dem 9. Mai 2012 eine Replik auf die Klageerwiderung der Beklagten. Darin heißt es, die Kündigung sei willkürlich erfolgt. Der Beklagten sei es lediglich darum gegangen, den Kläger als „lästigen Mitwisser“ zweifelhafter Geschäfte loszuwerden. Sie habe private Aufwendungen ihres Gesellschafters und seiner Ehefrau sowie des Lebensgefährten einer Gesellschafterin als Betriebsausgaben verbucht. Die Kündigung sei erfolgt, nachdem der Kläger nicht bereit gewesen sei, diese Handlungen zu dulden und/oder mit zu tragen. Der Schriftsatz ging der Beklagten zunächst außergerichtlich als Entwurf zu. In einem Begleitschreiben vom 14. Mai 2012 führte der Prozessbevollmächtigte des Klägers aus, absprachegemäß sollten „nochmal“ die Möglichkeiten einer einvernehmlichen Regelung „erörtert werden“. Falls „in den nächsten Tagen“ keine Rückäußerung erfolge, werde die Replik bei Gericht eingereicht.

6

Der Kläger verfuhr, nachdem eine Antwort der Beklagten ausgeblieben war, wie angekündigt. Mit Schreiben vom 23. Mai 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, „hilfsweise“ ordentlich. Der Kläger hat auch diese Kündigung im Wege einer Klageerweiterung fristgerecht angegriffen.

7

Nach - rechtskräftiger - Abweisung der Klage gegen die Kündigung vom 24. Februar 2012 hat sich der Kläger nur noch gegen die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die fristlose Kündigung gewandt. Er hat die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund iSv. § 626 BGB liege nicht vor. Im Schriftsatz vom 9. Mai 2012 habe er den Sachverhalt lediglich aus seiner Sicht dargelegt. Mit dem Begleitschreiben habe er keinen unzulässigen Druck auf die Beklagte ausgeübt.

8

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 23. Mai 2012 nicht aufgelöst worden ist.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, der Kläger habe mit der unüblichen und nicht abgesprochenen Vorabübersendung seines Schriftsatzes vom 9. Mai 2012 das Ziel verfolgt, sie hinsichtlich der angestrebten gütlichen Einigung „gefügig zu machen“. In der Ankündigung einer Offenbarung angeblicher „Unregelmäßigkeiten“ liege der Versuch einer Erpressung oder Nötigung. Zudem habe der Kläger die Unterlagen, die dem Schriftsatz beigefügt gewesen seien, unbefugt kopiert, um ein Druckmittel gegen sie zu haben. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist sei ihr unzumutbar gewesen.

10

Die Vorinstanzen haben festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 23. Mai 2012 nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden ist. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage auch insoweit abzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 23. Mai 2012 nicht mit sofortiger Wirkung beendet worden ist. Es hat bis zum Termin der ordentlichen Kündigung vom 24. Februar 2012, dh. bis zum 30. September 2012 fortbestanden.

12

I. Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für das Rechtsmittelverfahren ist gegeben.

13

1. Neben der Beschwer stellt das Rechtsschutzinteresse im Allgemeinen keine besonders zu prüfende Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels dar; typischerweise folgt es aus ihr (vgl. BAG 2. März 1982 - 1 AZR 694/79 - zu I 1 der Gründe, BAGE 38, 85; BLAH 70. Aufl. Grundz. § 511 Rn. 14, 16 mwN). Ausnahmsweise kann das Rechtsschutzinteresse fehlen, wenn sich etwa die Einlegung des Rechtsmittels trotz Vorliegens einer Beschwer als unnötig, zweckwidrig oder missbräuchlich erweist (BAG 2. März 1982 - 1 AZR 694/79 - aaO).

14

2. Derartige Umstände sind hier nicht ersichtlich. Zwar hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich für die Zeit bis zum 30. September 2012 abgerechnet und den sich aus den Abrechnungen ergebenden Nettoverdienst an den Kläger ausgekehrt. Damit hat sie aber nicht - auch nicht konkludent - erklärt, sie werde aus der fristlosen Kündigung gegenüber dem Kläger keine Rechte mehr herleiten. In ihrem Verhalten liegt auch kein - konkludenter - Verzicht auf die Revision. Darauf, ob die Beklagte bei einer Klageabweisung die Rückzahlung überschießender Vergütung beanspruchen will und kann, kommt es nicht an.

15

II. In der Sache bleibt die Revision ohne Erfolg. Die Klage gegen die fristlose Kündigung vom 23. Mai 2012 ist begründet. Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liegt nicht vor.

16

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 15; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, BAGE 134, 349).

17

2. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 17; 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 14 mwN). Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen der in Rede stehenden Pflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24). Ein gegenüber der fristlosen Kündigung in diesem Sinne milderes Mittel ist ua. die ordentliche Kündigung (vgl. BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 35, aaO).

18

3. Danach ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Beklagten war es weder aufgrund der Erklärungen im anwaltlichen Schreiben vom 14. Mai 2012 und der Übersendung des Schriftsatzes vom 9. Mai 2012 im Entwurf, noch wegen des Fotokopierens betrieblicher Unterlagen durch den Kläger unzumutbar, das Arbeitsverhältnis bis zum 30. September 2012 - dem Termin der vorausgegangenen ordentlichen Kündigung - fortzusetzen.

19

a) Als wichtiger Grund ist neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 29, BAGE 137, 54; 12. März 2009 - 2 ABR 24/08 - Rn. 30). Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Diese Regelung dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks. Der Arbeitnehmer hat seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (vgl. BAG 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - Rn. 19; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 20, BAGE 132, 72).

20

b) Droht der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber mit einem empfindlichen Übel, um die Erfüllung eigener streitiger Forderungen zu erreichen, kann darin - je nach den Umständen des Einzelfalls - ein erheblicher, die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigender Verstoß gegen seine Pflicht zur Wahrung von dessen Interessen liegen (vgl. KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 408). Entsprechendes kann gelten, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nachteilige Folgen mit dem Ziel androht, dieser solle von einer beabsichtigten oder bereits erklärten Kündigung Abstand nehmen (ähnlich BAG 11. März 1999 - 2 AZR 507/98 - zu II 1 b aa der Gründe; 30. März 1984 - 2 AZR 362/82 - zu B I der Gründe; jeweils zur Androhung von Presseveröffentlichungen). Eine auf ein solches Verhalten gestützte Kündigung setzt regelmäßig die Widerrechtlichkeit der Drohung voraus. Unbeachtlich ist demgegenüber, ob das Verhalten den Straftatbestand der Nötigung (§ 240 StGB) erfüllt. Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten kann einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bilden(BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 694/11 - Rn. 21 mwN, BAGE 142, 188).

21

c) Hier hat der Kläger seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme durch die Erklärungen im Schreiben vom 14. Mai 2012 selbst dann nicht verletzt, wenn er sich die Äußerungen seines Prozessbevollmächtigten aufgrund der erteilten Prozessvollmacht (§ 81 ZPO) uneingeschränkt nach § 85 Abs. 1 ZPO zurechnen lassen muss(zur Problematik vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 297/09 - Rn. 13 ff.; 28. März 1963 - 2 AZR 379/62 - BAGE 14, 147; Zöller/Vollkommer ZPO 30. Aufl. § 85 Rn. 7). Das Ansinnen einer gütlichen Einigung hinsichtlich der ordentlichen Kündigung vom 24. Februar 2012 war auch in Anbetracht der Ankündigung, im Falle der Nichtäußerung den im Entwurf beigefügten Schriftsatz vom 9. Mai 2012 bei Gericht einzureichen, nicht widerrechtlich. Darauf, ob sich die Parteien zuvor über das Procedere verständigt hatten, kommt es nicht an.

22

aa) Eine Drohung setzt objektiv die Ankündigung eines zukünftigen Übels voraus, dessen Zufügung in irgendeiner Weise als von der Macht des Ankündigenden abhängig hingestellt wird (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 418/10 - Rn. 14). Sie muss nicht ausdrücklich ausgesprochen werden. Die Drohung kann auch versteckt erfolgen, beispielsweise durch eine Warnung oder einen Hinweis auf nachteilige Folgen (vgl. BAG 9. März 1995 - 2 AZR 644/94 - zu 2 der Gründe; BGH 22. November 1995 - XII ZR 227/94 - zu 2 der Gründe). Als Übel genügt jeder Nachteil. Das In-Aussicht-Stellen eines zukünftigen Übels ist widerrechtlich, wenn entweder das Mittel, dh. das angedrohte Verhalten, oder der Zweck, dh. die erwartete Willenserklärung, oder jedenfalls der Einsatz des fraglichen Mittels zu dem fraglichen Zweck von der Rechtsordnung nicht gedeckt ist (vgl. BAG 22. Oktober 1998 - 8 AZR 457/97 - zu I 4 d bb der Gründe).

23

bb) Die Einführung des Schriftsatzes vom 9. Mai 2012 in den laufenden Kündigungsschutzprozess mag für die Beklagte ein empfindliches Übel gewesen sein. Das Vorgehen des Klägers war aber nicht widerrechtlich. Es war ihm - ebenso wie seine Ankündigung - erlaubt.

24

(1) Parteien dürfen zur Verteidigung ihrer Rechte schon im Hinblick auf den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) alles vortragen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann (BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 37 mwN). Ein Prozessbeteiligter darf auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt vorsichtiger hätte formulieren können. Das gilt jedenfalls so lange, wie er die Grenzen der Wahrheitspflicht achtet (vgl. BAG 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 22; 9. September 2010 - 2 AZR 482/09 - Rn. 12).

25

(a) Dass der Kläger in dem der Beklagten vorab übermittelten Schriftsatz vom 9. Mai 2012 leichtfertig unwahre Tatsachenbehauptungen aufgestellt hätte, ist nicht ersichtlich. Das Landesarbeitsgericht hat sein Vorbringen zur Verbuchung privater Aufwendungen und Erstattungsleistungen einer Versicherung mangels ausreichenden Bestreitens der Beklagten nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden angesehen. Die Würdigung wird von der Beklagten nicht angegriffen. Ein Rechtsfehler ist auch objektiv nicht erkennbar.

26

(b) Der Kläger hat nicht in rechtswidriger Weise gegen seine aus § 241 Abs. 2 BGB resultierende, durch § 17 UWG ergänzte Verpflichtung verstoßen, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse einschließlich der ihm aufgrund seiner Tätigkeit bekannt gewordenen privaten Geheimnisse der Beklagten zu wahren(zur Eignung solcher Verstöße als wichtiger Grund vgl. BAG 18. März 1982 - 2 AZR 940/79 - zu A IV 1 der Gründe). Es kommt nicht darauf an, ob sich die Beklagte hinsichtlich der in Rede stehenden „Betriebsinterna“ überhaupt auf ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse berufen könnte (zur Problematik vgl. Schaub/Linck ArbR-Hdb 15. Aufl. § 53 Rn. 55). Der Kläger war jedenfalls im Rahmen des Kündigungsrechtsstreits zur Offenlegung der betreffenden Tatsachen gegenüber seinem Prozessbevollmächtigten und dem Gericht befugt. Er handelte in Wahrnehmung berechtigter Interessen. Er wollte auf diese Weise unlautere Motive der Beklagten für die angeblich betriebsbedingte Kündigung dartun. Dass er die Informationen an andere Personen oder Stellen weitergegeben hätte, ist nicht dargetan.

27

(2) Der bezweckte Erfolg - eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits - war ebenso wenig widerrechtlich. Das gilt unabhängig davon, ob der Kläger seine Weiterbeschäftigung bei der Beklagten oder die Zahlung einer Abfindung anstrebte. Durch einen Vergleich sollen der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis im Wege des gegenseitigen Nachgebens beseitigt werden (§ 779 Abs. 1 Satz 1 BGB). Sein Abschluss ist in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten - vorbehaltlich eines sittenwidrigen Inhalts der Einigung - grundsätzlich erlaubt (vgl. BAG 20. November 1969 - 2 AZR 51/69 - zu I der Gründe).

28

(3) Das Vorgehen des Klägers stellt sich auch nicht wegen eines zwischen dem Inhalt des eingereichten Schriftsatzes und der angestrebten Einigung hergestellten Zusammenhangs - der Zweck-Mittel-Relation - als widerrechtlich dar.

29

(a) Wer sich bei zweifelhafter Rechtslage seinem Vertragspartner gegenüber auf einen objektiv vertretbaren Rechtsstandpunkt stellt, handelt nicht rechtswidrig, wenn er damit den Gegner zum Einlenken veranlassen will. Das gilt auch dann, wenn für den Fall der Nichteinigung eine bestimmte Verteidigungsstrategie angekündigt wird. Eine solche Offenlegung eines beabsichtigten Prozessverhaltens ist - sowohl im Vorfeld einer Klageerhebung als auch im Laufe eines gerichtlichen Verfahrens - jedenfalls dann rechtlich nicht zu beanstanden, wenn sie weder mutwillig erfolgt, noch zu einer über die Erhebung oder das Bestreiten bestimmter Ansprüche hinausgehenden Belastung des anderen Teils führt (vgl. BGH 19. April 2005 - X ZR 15/04 - zu II 5 a der Gründe). Anders als die Beklagte meint, reicht es für die Widerrechtlichkeit der Verknüpfung von Mittel und Zweck nicht aus, dass eine Partei auf den Abschluss eines Vergleichs keinen Rechtsanspruch hat (so schon RG 11. Dezember 1925 - VI 406/25 - RGZ 112, 226).

30

(b) Die Ankündigung des Klägers, bei einer Nichteinigung einen dem Entwurf der Replik entsprechenden Schriftsatz bei Gericht einzureichen, wäre allenfalls dann widerrechtlich, wenn sein darin ausgedrückter rechtlicher Standpunkt gänzlich unvertretbar wäre. Das ist nicht der Fall. Der Kläger musste nicht von der Wirksamkeit der Kündigung vom 24. Februar 2012 ausgehen. Er durfte sich mit der Behauptung verteidigen, die angestrebte Auflösung des Arbeitsverhältnisses beruhe auf seiner ablehnenden Haltung gegenüber bestimmten buchhalterischen Vorgängen. Seine Anregung, sich vor diesem Hintergrund auf eine einvernehmliche Beilegung des Rechtsstreits zu verständigen, erfolgte im Vertrauen auf eine nicht etwa gänzlich aussichtslose Rechtsposition.

31

d) Die Beklagte war nicht deshalb zur fristlosen Kündigung berechtigt, weil der Kläger Fotokopien von Geschäftsunterlagen hergestellt und diese bei Gericht eingereicht hatte. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, insoweit liege keine Verletzung vertraglicher Pflichten vor. Zumindest sei es der Beklagten nicht unzumutbar gewesen, die Kündigungsfrist einzuhalten. Die Würdigung hält im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

32

aa) Dem Arbeitnehmer ist es aufgrund der dem Arbeitsvertrag immanenten Pflicht zur Rücksichtnahme verwehrt, sich ohne Einverständnis des Arbeitgebers betriebliche Unterlagen oder Daten anzueignen oder diese für betriebsfremde Zwecke zu vervielfältigen. Betreffen die Unterlagen ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis, ist die Herstellung einer verkörperten Wiedergabe gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b) UWG sogar strafbewehrt, wenn dies zu Zwecken des Wettbewerbs, aus Eigennutz, zugunsten eines Dritten oder in der Absicht geschieht, dem Inhaber des Unternehmens Schaden zuzufügen. Verstößt der Arbeitnehmer rechtswidrig und schuldhaft gegen diese Vorgaben, kann darin ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB liegen. Ob eine außerordentliche Kündigung berechtigt ist, hängt insbesondere von der Motivation des Arbeitnehmers und möglichen nachteiligen Folgen für den Arbeitgeber ab (vgl. BAG 18. März 1982 - 2 AZR 940/79 - zu A IV 1 der Gründe).

33

bb) Im Streitfall hat der Kläger ohne Einverständnis der Beklagten Fotokopien verschiedener, den Geschäftsbetrieb der Beklagten betreffender Rechnungen und Schecks hergestellt, ohne dass hierfür ein dienstliches Bedürfnis bestanden hätte. Selbst wenn er die Kopien ausschließlich zu seiner Rechtsverteidigung hat verwenden wollen und verwandt hat, durfte das Landesarbeitsgericht daraus nicht ohne Weiteres auf eine Wahrnehmung berechtigter Interessen schließen. Dem Rechtsschutzinteresse einer Partei, die sich nicht im Besitz prozessrelevanter Urkunden befindet, trägt das Gesetz mit den Regelungen zur Vorlagepflicht in § 142 ZPO und § 424 ZPO Rechnung. Besondere Umstände, aufgrund derer der Kläger hätte annehmen dürfen, ein entsprechendes prozessuales Vorgehen sei von vorneherein aussichtslos, sind nicht festgestellt.

34

cc) Es kann dahinstehen, ob sich der Kläger für die Rechtfertigung seines Verhaltens auf eine Beweisnot berufen könnte (zur Eignung eines solchen Sachverhalts als Rechtfertigungsgrund vgl. Haller BB 1997, 202, 203). Sein Verhalten wiegt den Umständen nach jedenfalls nicht so schwer, dass der Beklagten - auch unter Berücksichtigung ihrer eigenen Interessen - ein Festhalten am Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zumutbar gewesen wäre.

35

(1) Das Berufungsgericht hat bei der Interessenabwägung einen gewissen Beurteilungsspielraum. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz (nur) daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Verfahrensgrundsätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 16).

36

(2) Einen solchen Rechtsfehler zeigt die Beklagte nicht auf.

37

(a) Das Landesarbeitsgericht hat zugunsten des Klägers dessen Dauer der Betriebszugehörigkeit von mehr als zwanzig Jahren berücksichtigt. Von dieser hat es angenommen, sie sei beanstandungsfrei verlaufen. Die Würdigung ist angesichts der „Rücknahme“ einer vorausgehenden Abmahnung des Klägers nachvollziehbar. Sonstige Beanstandungen sind nicht dargetan. Die Berücksichtigung des Lebensalters zugunsten des Klägers hat das Landesarbeitsgericht mit zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Arbeitsvermittlung begründet. Es durfte außerdem bedenken, dass der Kläger die fraglichen Fotokopien nicht zu Wettbewerbszwecken oder zu dem Zweck hergestellt hat, der Beklagten zu schaden. Er hat sie - soweit ersichtlich - nur an seinen Rechtsanwalt und damit an eine ihrerseits zur Verschwiegenheit verpflichtete Person mit dem Ziel weitergegeben, sie bei Gericht einzureichen. Auf diese Weise wollte er sein Vorbringen zur Unsachlichkeit der Kündigung verdeutlichen und ihm stärkeres Gewicht verleihen. Diese Umstände schließen - wie aufgezeigt - die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens zwar nicht aus. Sie lassen es aber in einem milderen Licht erscheinen. Hinzu kommt, dass es sich um eine singuläre Pflichtverletzung handelte, der erkennbar die - irrige - Vorstellung des Klägers zugrunde lag, zur Selbsthilfe berechtigt zu sein.

38

(b) Aufgrund dieser Erwägungen war es ohne Weiteres vertretbar, dem Interesse des Klägers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses - zumindest für die Dauer der Kündigungsfrist - Vorrang vor dem Beendigungsinteresse der Beklagten einzuräumen.

39

III. Das Landesarbeitsgericht hat unausgesprochen angenommen, die ordentliche Kündigung vom 23. Mai 2012 gehe ins Leere, da das Arbeitsverhältnis der Parteien bereits anderweitig zum 30. September 2012 aufgelöst worden sei. Dagegen erhebt die Beklagte keine Einwände. Ein Rechtsfehler ist nicht ersichtlich.

40

IV. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Rinck    

        

    Berger    

        

        

        

    Krichel    

        

    Pitsch    

                 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 9. Februar 2012 - 4 Sa 1112/11 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen sowie einer hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung.

2

Die Klägerin war bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin seit dem 1. Januar 2006, zuletzt am Standort Essen, als außertarifliche Mitarbeiterin zu einem Jahresgehalt von ca. 95.000,00 Euro brutto beschäftigt. Gemäß Ziff. 1 des Arbeitsvertrags war ihr die Tätigkeit einer Referentin in der Organisationseinheit „Gas Strategy / Market Analysis“ übertragen. Nach Ziff. 2 Abs. 5 des Vertrags war sie verpflichtet, „auch außerhalb der betriebsüblichen Arbeitszeit tätig zu werden“.

3

Im Betrieb der Beklagten besteht eine „Betriebsvereinbarung 2009 zur Erfassung und Regelung der Arbeitszeit“ vom 31. März 2009. Dort heißt es:

        

㤠1 Geltungsbereich

        

Diese Betriebsvereinbarung gilt für alle Mitarbeiter (Tarif- und AT-Mitarbeiter) der Gesellschaft am Standort Essen mit Ausnahme der Leitenden Angestellten gemäß § 5 Absatz 3, 4 BetrVG sowie Auszubildenden, Werkstudenten, Praktikanten und Diplomanden.

        

§ 2 Arbeitszeit / Arbeitszeitrahmen / Servicezeit

        

1.    

Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit für Tarifangestellte bestimmt sich nach dem jeweils geltenden Tarifvertrag (z. Zt.: Manteltarifvertrag Tarifgruppe RWE) und beträgt derzeit 38 Stunden für Vollzeitmitarbeiter. …

        

2.    

Die Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit erfolgt in der Regel auf die Wochentage Montag bis Freitag jeweils zwischen 6.00 Uhr und 20.00 Uhr. Die Mitarbeiter können die Lage der Arbeitszeit innerhalb dieses Rahmens unter Berücksichtigung der betrieblichen Erfordernisse und der Servicezeit gemäß nachfolgender Ziffer 3 in Abstimmung mit dem Vorgesetzten frei wählen.

        

…       

        
        

§ 5 Gleitzeit

        

1.    

Für jeden Mitarbeiter wird ein Gleitzeitkonto eingerichtet und geführt. Davon ausgenommen sind nur AT-Mitarbeiter, die gemäß Ziffer II. 2., 3. und 5. der Bonus-Betriebsvereinbarung vom 12. Februar 2008 in Verbindung mit Anlage 2 zur Bonus-Betriebsvereinbarung der Vergütungsgruppe „Commercial“ angehören. Für diese AT-Mitarbeiter wird kein Gleitzeitkonto geführt und kein Arbeitszeitsaldo gebildet; die Arbeitszeiten werden lediglich dokumentiert.

                 

…“    

4

Mit E-Mail vom 8. Oktober 2010 forderte die Beklagte die Klägerin auf, mindestens 7,6 Stunden täglich zu arbeiten. Am 15. Oktober 2010 wiederholte sie diese Aufforderung und bat die Klägerin um Mitteilung, wie sie ein dokumentiertes Arbeitszeitdefizit auszugleichen gedenke. Die Klägerin reagierte darauf nicht. Das Defizit betrug am 8. November 2010 - berechnet auf der Basis einer 38-Stunden-Woche - 686,44 Stunden. Mit Schreiben vom 10. November 2010 verlangte die Beklagte von der Klägerin, eine Wochenarbeitszeit von 38 Stunden einzuhalten. Sie wies zudem darauf hin, dass sie beginnend mit dem Monat November 2010 einen Teil des Gehalts einbehalten werde.

5

Am 7. Januar 2011 erhob die Klägerin Klage auf Feststellung, dass sie vertraglich nicht zur Ableistung einer 38-Stunden-Woche verpflichtet sei, und machte in jenem Verfahren zugleich die seitens der Beklagten einbehaltenen Gehaltsbeträge geltend. Das Verfahren ist durch - klageabweisendes - Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 15. Mai 2013 (- 10 AZR 325/12 -) rechtskräftig abgeschlossen.

6

Am 11. Januar 2011 erhielt die Klägerin mehrere schriftliche Abmahnungen bezogen auf folgende Sachverhalte:

        

-       

unentschuldigtes Fehlen am 12. November 2010,

        

-       

in der 46. KW 2010 nur 21,99 Stunden gearbeitet,

        

-       

in der 47. KW 2010 nur 20,55 Stunden gearbeitet,

        

-       

in der 48. KW 2010 nur 10,70 Stunden gearbeitet,

        

-       

in der 49. KW 2010 nur 8,18 Stunden gearbeitet,

        

-       

in der 50. KW 2010 nur 3,07 Stunden gearbeitet,

        

-       

in der 52. KW 2010 nur 2,20 Stunden gearbeitet,

        

-       

in der 1. KW 2011 nur 3,18 Stunden gearbeitet,

        

-       

unentschuldigtes Fehlen an 13 im Einzelnen aufgeführten Tagen.

7

Am 20. Januar 2011 beantragte die Klägerin Urlaub für die Zeit bis zum 31. Januar 2011 wegen eines Trauerfalls. Dieser wurde ihr gewährt. Einen am 28. Januar 2011 eingereichten Urlaubsantrag für weitere 14 Tage lehnte die Beklagte ab. Die Klägerin erschien am 1. Februar 2011 von 14.52 bis 17.23 Uhr zur Arbeit, obwohl - wie ihr bekannt - bereits für 13.00 Uhr eine Besprechung mit ihrem Vorgesetzten wegen einer Zielvereinbarung anberaumt worden war. Am 2. Februar 2011 nahm sie ihre Arbeit um 13.17 Uhr auf und ging nach 3,63 Stunden. Am 3. Februar 2011 war sie 3,52 Stunden, am 4. Februar 2011 2,9 Stunden und am 7. Februar 2011 3,77 Stunden am Arbeitsplatz anwesend. Am 8. Februar 2011 erschien sie nicht zur Arbeit.

8

Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 16. Februar 2011 außerordentlich fristlos, mit Schreiben vom 22. Februar 2011 „hilfsweise ordentlich fristgerecht zum 30. September 2011“.

9

Mit ihrer rechtzeitig erhobenen Klage hat die Klägerin die Unwirksamkeit der Kündigungen geltend gemacht. Sie hat die Auffassung vertreten, die Beklagte beschäftige die außertariflichen Mitarbeiter nicht nach Maßgabe einer konkreten Wochenarbeitszeit, sondern erwarte von ihnen - im Rahmen einer Vertrauensarbeitszeit ohne Anwesenheitsverpflichtung - lediglich bestimmte Arbeitsergebnisse. Erst recht bestehe keine Verpflichtung, täglich mindestens 7,6 Stunden zu arbeiten. Die im Anstellungsvertrag getroffenen Regelungen seien unklar. Die Beklagte habe auch in der Vergangenheit nicht die Ableistung einer bestimmten Arbeitszeit verlangt.

10

Die Klägerin hat beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 16. Februar 2011 noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2011 aufgelöst worden ist.

11

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, aufzulösen. Sie hat gemeint, die Weiterbeschäftigung der Klägerin sei ihr nicht mehr zumutbar gewesen. Diese sei ihrer sowohl nach dem Arbeitsvertrag als auch nach der Betriebsvereinbarung 2009 bestehenden Verpflichtung, eine wöchentliche Arbeitszeit von 38 Stunden einzuhalten, bewusst nicht nachgekommen.

12

Die Klägerin hat beantragt, den Auflösungsantrag abzuweisen.

13

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die zulässige Revision ist unbegründet.

15

I. Die Revision ist zulässig. Sie ist rechtzeitig eingelegt und ordnungsgemäß begründet worden.

16

1. Nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO gehört zum notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung die Angabe der Revisionsgründe. Bei einer Sachrüge muss die Revisionsbegründung den Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufzeigen, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Daher muss die Revisionsbegründung eine Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils enthalten. Dies erfordert die genaue Darlegung der Gründe, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll (st. Rspr., zB BAG 27. September 2012 - 2 AZR 811/11 - Rn. 12; 16. November 2011 - 4 AZR 234/10 - Rn. 15).

17

2. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung gerecht. Die Klägerin wendet sich gegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts, sie sei vertraglich zur Erbringung ihrer Arbeitsleistung am vereinbarten Dienstort im Umfang von 38 Stunden in der Woche verpflichtet gewesen. Sie legt ausführlich dar, weshalb die im Berufungsurteil vorgenommene Auslegung rechtsfehlerhaft sein soll. Die Sachrüge wäre im Falle ihrer Begründetheit geeignet, die angefochtene Entscheidung insgesamt zu Fall zu bringen. Das reicht als Revisionsangriff aus.

18

II. Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Die außerordentliche Kündigung vom 16. Februar 2011 ist aus einem wichtigen Grund iSv. § 626 BGB gerechtfertigt.

19

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 14; 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 21). Einen in diesem Sinne die fristlose Kündigung „an sich“ rechtfertigenden Grund stellt ua. die beharrliche Weigerung des Arbeitnehmers dar, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen (vgl. BAG 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 22; 5. April 2001 - 2 AZR 580/99 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 97, 276).

20

2. Danach ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, das der Klägerin vorgeworfene Verhalten rechtfertige eine außerordentliche Kündigung, im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

21

a) Die Klägerin war vertraglich zur Erbringung einer Arbeitsleistung im Umfang von 38 Wochenstunden am vereinbarten Dienstort verpflichtet. Dies hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 15. Mai 2013 (- 10 AZR 325/12 -) rechtskräftig festgestellt. Daran ist der Senat gebunden.

22

aa) Die Rechtskraft einer in einem Vorprozess der Parteien ergangenen Entscheidung ist nicht nur bei Identität der Streitgegenstände, sondern auch dann in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten, wenn eine für den nachfolgenden Rechtsstreit entscheidungserhebliche Vorfrage im Vorprozess entschieden worden ist (BGH 16. Januar 2008 - XII ZR 216/05 - Rn. 9; Zöller/Vollkommer ZPO 29. Aufl. vor § 322 Rn. 22 ff.). Handelt es sich bei dem Vorprozess um eine negative Feststellungsklage, kommt einem klageabweisenden Urteil dieselbe Rechtskraftwirkung zu wie einem Urteil, das das Gegenteil dessen, was mit der negativen Feststellungsklage begehrt wird, positiv feststellt (BGH 17. März 1995 - V ZR 178/93 - zu II 1 a der Gründe; 17. Februar 1983 - III ZR 184/81 - zu III 3 c der Gründe).

23

bb) Das Bundesarbeitsgericht hat den Antrag der Klägerin festzustellen, dass sie keine arbeitsvertragliche Verpflichtung zur Ableistung einer 38-Stunden-Woche habe, rechtskräftig abgewiesen (Urteil vom 15. Mai 2013 - 10 AZR 325/12 -). Damit steht mit präjudizieller Wirkung für den vorliegenden Rechtsstreit fest, dass die Klägerin vertraglich zur Einhaltung einer 38-Stunden-Woche (am vereinbarten Dienstort) verpflichtet war. Das gilt umso mehr, als es Ziel und Inhalt der im Vorprozess erhobenen negativen Feststellungsklage war, dem Verlangen der Beklagten auf Ableistung einer entsprechenden Arbeitszeit entgegen zu treten (vgl. dazu BGH 17. Februar 1983 - III ZR 184/81 - zu III 3 c der Gründe).

24

b) Die Klägerin hat ihre arbeitsvertraglichen Pflichten in erheblicher Weise verletzt, indem sie sich beharrlich geweigert hat, ihre Arbeitsleistung in diesem vertraglich geschuldeten zeitlichen Umfang zu erbringen.

25

aa) Die Klägerin hat jegliche Verpflichtung zur Ableistung eines in Zeitabschnitten bemessenen Mindestmaßes an Arbeit in Abrede gestellt. Dieses Verständnis der arbeitsvertraglichen Regelung hat sie zum einen dadurch zum Ausdruck gebracht, dass sie eine entsprechende negative Feststellungsklage erhoben hat. Zum anderen hat sie auch tatsächlich keine entsprechenden Arbeitsleistungen erbracht, obwohl sie dazu ausdrücklich angehalten worden war. So war sie etwa Ende 2010/Anfang 2011 trotz entgegenstehender Weisung der Beklagten, eine Arbeitszeit von 38 Stunden wöchentlich einzuhalten, über mehrere Wochen hinweg lediglich zwischen zwei und 23 Stunden im Betrieb der Beklagten anwesend.

26

bb) Ihrem Verhalten kann nicht entnommen werden, dass sie lediglich von einem ihr vermeintlich zustehenden Recht, die Lage ihrer Arbeitszeit flexibel zu gestalten, hätte Gebrauch machen wollen und dementsprechend zur Nachleistung bereit gewesen wäre (vgl. BAG 15. Mai 2013 - 10 AZR 325/12 - Rn. 40). Dies ergibt sich ohne Weiteres daraus, dass sie ihre Arbeitsleistung sowohl über einen langen Zeitraum hinweg als auch in einem erheblichen Umfang nicht erbracht hat. Angesichts der zeitlichen Ausmaße ist nicht erkennbar, wie eine Nachleistung - unter Beachtung der Vorgaben des ArbZG - möglich gewesen wäre. Die Klägerin hat ihrem mangelnden Willen zur Nachleistung auch dadurch Ausdruck verliehen, dass sie auf die Nachfrage der Beklagten, wie sie die aufgelaufenen Minusstunden auszugleichen gedenke, nicht reagiert hat.

27

cc) Für die kündigungsrechtliche Beurteilung kommt es nicht darauf an, ob die Weisung der Beklagten, die Klägerin möge eine wöchentliche Arbeitszeit von 38 Stunden einhalten, so zu verstehen war, dass diese nicht (mehr) von einer ihr bisher eröffneten Möglichkeit Gebrauch machen dürfe, ihre Arbeitszeit flexibel zu gestalten. Ebenso kann offen bleiben, ob eine solche Weisung individualrechtlich und kollektivrechtlich wirksam gewesen wäre (offengelassen auch in BAG 15. Mai 2013 - 10 AZR 325/12 - Rn. 13). Die Klägerin war unabhängig von der Lage der Arbeitszeit nicht bereit, ihre Arbeitskraft dem Umfang nach in vertragskonformer Weise anzubieten. Bereits darin liegt eine schwerwiegende Verletzung ihrer vertraglichen Pflichten.

28

dd) Die Weigerung war auch beharrlich.

29

(1) Ein Arbeitnehmer verweigert die angewiesene Arbeit beharrlich, wenn er sie bewusst und nachhaltig nicht leisten will (vgl. BAG 23. Mai 2013 - 2 AZR 54/12 - Rn. 39; 24. Februar 2011 - 2 AZR 636/09 - Rn. 15, BAGE 137, 164).

30

(2) Die Klägerin hat willentlich gegen ihre vertragliche Verpflichtung verstoßen. Selbst wenn die Beklagte in der Vergangenheit die Ableistung einer 38-Stunden-Woche nicht eingefordert haben sollte, hat sie jedenfalls ab November 2010 durch entsprechende Weisungen und die in der Folge ausgesprochenen Abmahnungen deutlich zum Ausdruck gebracht, wie sie die vertraglichen Vereinbarungen versteht und was sie von der Klägerin erwartete. Statt ihr Verhalten darauf einzustellen, hat die Klägerin - nachhaltig - darauf bestanden, jeglichen Zeitmaßes enthoben zu sein.

31

(3) Der Umstand, dass zwischen den Parteien - bezogen auf den zeitlichen Umfang der geschuldeten Arbeitsleistung - Streit über die Auslegung des Arbeitsvertrags bestand, steht der Annahme einer erheblichen Pflichtverletzung nicht entgegen.

32

(a) Maßgebend für die Frage, ob das Verhalten des Arbeitnehmers eine beharrliche Arbeitsverweigerung und damit eine erhebliche Vertragspflichtverletzung darstellt, ist die objektive Rechtslage. Der Arbeitnehmer kann sich einem vertragsgemäßen Verlangen des Arbeitgebers nicht dadurch - vorläufig - entziehen, dass er ein gerichtliches Verfahren zur Klärung der umstrittenen Frage einleitet. Andernfalls würde das Weisungsrecht des Arbeitgebers - ggf. über Jahre - in nicht gerechtfertigter Weise eingeschränkt. Verweigert der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung in der Annahme, er handele rechtmäßig, hat grundsätzlich er selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als fehlerhaft erweist.

33

(b) Auf einen unverschuldeten Rechtsirrtum kann sich die Klägerin nicht berufen. Sie musste bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt in Rechnung stellen, dass für sie die betriebsübliche Arbeitszeit - von 38 Stunden wöchentlich - galt (vgl. BAG 15. Mai 2013 - 10 AZR 325/12 - Rn. 16).

34

(aa) An die zu beachtenden Sorgfaltspflichten sind strenge Maßstäbe anzulegen (vgl. BAG 12. November 1992 - 8 AZR 503/91 - zu I 1 der Gründe mwN, BAGE 71, 350). Es reicht nicht aus, dass sich die betreffende Partei ihre eigene Rechtsauffassung nach sorgfältiger Prüfung und sachgemäßer Beratung gebildet hat. Unverschuldet ist ein Rechtsirrtum nur, wenn sie mit einem Unterliegen im Rechtsstreit nicht zu rechnen brauchte (vgl. BGH 6. Dezember 2006 - IV ZR 34/05 - zu II 1 a aa der Gründe; 27. September 1989 - IVa ZR 156/88 -).

35

(bb) Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die Klägerin musste schon mit Blick auf die im Arbeitsvertrag getroffenen Vereinbarungen damit rechnen, dass eine Arbeitsverpflichtung in einem bestimmten zeitlichen Umfang bestand. Sie war nach Ziff. 2 Abs. 5 Satz 1 des Arbeitsvertrags verpflichtet, im Rahmen ihrer Aufgabenstellung auch außerhalb der betriebsüblichen Arbeitszeit tätig zu werden. Dies setzt bei verständiger Würdigung eine Bindung an die betriebsübliche Arbeitszeit voraus (vgl. BAG 15. Mai 2013 - 10 AZR 325/12 - Rn. 20, 22). Die Beklagte hatte der Klägerin überdies spätestens ab Herbst 2010 klar vor Augen geführt, wie sie die vertraglichen Abreden verstehe. Sie konnte sich mit ihrem Verlangen nach Einhaltung einer betriebsüblichen Arbeitszeit von 38 Wochenstunden sowohl auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG 9. Dezember 1987 - 4 AZR 584/87 - BAGE 57, 130) als auch auf eine verbreitete Auffassung in der Literatur stützen (vgl. dazu die Nachweise bei BAG 15. Mai 2013 - 10 AZR 325/12 - Rn. 21). Auch „Vertrauensarbeitszeit“ und getroffene Zielvereinbarungen konnten die Klägerin nicht ernsthaft in der Annahme bestärken, sie sei einer Bindung an ein bestimmtes Zeitmaß enthoben. „Vertrauensarbeitszeit“ bedeutet grundsätzlich nur, dass der Arbeitgeber auf die Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit verzichtet und darauf vertraut, der betreffende Arbeitnehmer werde seine Arbeitsverpflichtung in zeitlicher Hinsicht auch ohne Kontrolle erfüllen (so schon BAG 6. Mai 2003 - 1 ABR 13/02 - zu II 2 d cc (2) der Gründe, BAGE 106, 111; nunmehr auch BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 124/11 - Rn. 34). Dies war für die Klägerin ebenso erkennbar wie der Umstand, dass die Erreichung von Zielen nach dem Arbeitsvertrag lediglich für die Höhe ihrer variablen Vergütung relevant war. Indem sie bei einer derartigen Sach- und Rechtslage sämtliche gegen die Richtigkeit ihrer Rechtsauffassung sprechenden Gesichtspunkte sehenden Auges hintanstellte, handelte sie bewusst auf eigenes Risiko. Es kann deshalb dahinstehen, wie sich ein mangelndes Verschulden der Klägerin auf den Kündigungsgrund ausgewirkt hätte (zur Problematik vgl. BAG 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 20, 22).

36

c) Die vorzunehmende Abwägung der beiderseitigen Interessen geht zu Lasten der Klägerin aus. Das gilt selbst dann, wenn zu ihren Gunsten unterstellt wird, dass die Beklagte aufgrund des vertraglichen Weisungsrechts (§ 106 Satz 1 GewO)nicht berechtigt war, ihr - der Klägerin - bei der Arbeitszeitgestaltung jegliche Flexibilität abzusprechen und die Ableistung von mindestens 7,6 Stunden arbeitstäglich zu verlangen. Zum einen ist nicht ersichtlich, dass das Landesarbeitsgericht hierauf im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung entscheidend abgestellt hätte. Zum anderen stehen sämtliche relevanten Tatsachen fest. Unter dieser Voraussetzung ist es dem Senat möglich, die Interessenabwägung selbst vorzunehmen (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 33, BAGE 134, 349).

37

aa) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 15; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27).

38

bb) Daran gemessen war die Beklagte zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt.

39

(1) Das vertragswidrige Verhalten ist von erheblichem Gewicht. Die Klägerin hat trotz nachdrücklichen Verlangens der Beklagten, die betriebsübliche Arbeitszeit einzuhalten, kontinuierlich Arbeitsleistungen lediglich im Umfang von weit unter 38 Stunden wöchentlich erbracht. Im Kündigungszeitpunkt bestand die berechtigte Besorgnis, dass sie ihr Verhalten auch in der Zukunft fortsetzen und deshalb das Arbeitszeitdefizit, das sich bereits im November 2010 auf nahezu 700 Stunden belief, weiter anwachsen werde. Eine solche Zurückhaltung der Arbeitskraft brauchte die Beklagte nicht weiter hinzunehmen.

40

(2) Der mögliche Rechtsirrtum der Klägerin wirkt sich nicht entscheidend zu ihren Gunsten aus. Zwar kann im Rahmen der Interessenabwägung - abhängig vom Grad des Verschuldens - auch ein vermeidbarer Irrtum des Arbeitnehmers Bedeutung gewinnen (vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 44; 14. Februar 1996 - 2 AZR 274/95 - zu II 4 der Gründe mwN). Die Klägerin trifft jedoch hinsichtlich eines ihr unterlaufenen Rechtsirrtums mit Blick auf die arbeitsvertraglichen Regelungen sowie die wiederholte, nachdrückliche Aufforderung seitens der Beklagten zur Einhaltung der betriebsüblichen Arbeitszeit ein nicht nur geringes Verschulden. Allein der Umstand, dass der von ihr beauftragte Rechtsanwalt sie in ihrem gegenteiligen Standpunkt bestärkt haben mag, ändert daran nichts.

41

(3) Ein milderes Mittel stand der Beklagten nicht zur Verfügung.

42

(a) Die Klägerin war im Kündigungszeitpunkt offensichtlich unter keinen Umständen bereit, eine Verpflichtung zur Einhaltung einer 38-Stunden-Woche anzuerkennen und ihre Arbeitskraft im vertraglich geschuldeten Umfang zur Verfügung zu stellen. Dies belegt der Umstand, dass sie weder auf die Weisung der Beklagten, noch auf die ihr erteilten Abmahnungen reagiert hat - ohne dass es auf deren Berechtigung in jedem Einzelfall ankäme. Die Kündigung erweist sich auch nicht mit Blick auf die Anzahl der Abmahnungen als unverhältnismäßig. Daraus konnte die Klägerin - zumal die Schreiben ihr allesamt am gleichen Tag überreicht wurden - nicht entnehmen, die Beklagte halte die beharrliche Nichteinhaltung der betriebsüblichen Arbeitszeit für nicht so schwerwiegend (zur Abschwächung der Warnfunktion einer Abmahnung vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 955/11 - Rn. 47; 15. November 2001 - 2 AZR 609/00 - zu II 3 b aa der Gründe, BAGE 99, 340).

43

(b) Die Beklagte war auch nicht gehalten, auf den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung zu verzichten und stattdessen weiterhin nur Teile der Arbeitsvergütung einzubehalten. Die Unzumutbarkeit einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst für die Dauer der Kündigungsfrist ergibt sich bereits daraus, dass die Klägerin die vertragsgemäße Erbringung ihrer Hauptleistungspflicht verweigert und es der Beklagten damit unmöglich gemacht hat, mit ihrer Arbeitskraft zu planen. Abgesehen davon hätte der Einbehalt von Entgelt die Nachteile eines stetig anwachsenden Arbeitszeitdefizits allenfalls teilweise ausgeglichen. Darauf, ob und ggf. welche Arbeit aufgrund der Abwesenheit der Klägerin nicht erledigt worden ist, kommt es nicht an.

44

(4) Dem Alter der Klägerin von im Kündigungszeitpunkt 42 Jahren und ihrer Betriebszugehörigkeit von etwa fünf Jahren kommt angesichts der Beharrlichkeit sowie des Umfangs der Pflichtverletzung keine ausschlaggebende Bedeutung zu.

45

3. Die Beklagte hat die Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Sie hat ihre Kündigung damit begründet, die Klägerin sei nachhaltig nicht bereit, ihre Arbeitsleistung in dem vertraglich geschuldeten - nach Zeitabschnitten bemessenen - zeitlichen Umfang zu erbringen. Damit hat sie einen Dauertatbestand geltend gemacht, der sich fortlaufend neu verwirklichte (vgl. BAG 13. Mai 2004 - 2 AZR 36/04 - zu II 1 der Gründe; 18. Oktober 2000 - 2 AZR 627/99 - zu III der Gründe, BAGE 96, 65).

46

4. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung und der Auflösungsantrag fallen dem Senat nicht zur Entscheidung an.

47

III. Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

    Rinck    

        

        

        

    Wolf    

        

    Torsten Falke    

                 

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 18. November 2011 - 3 Sa 157/11 - im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, wie es der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 26. Januar 2011 - 4 Ca 2050/10 - stattgegeben hat.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten - noch - über die Wirksamkeit einer ordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung.

2

Die Klägerin ist ausgebildete kartographische Zeichnerin und Ingenieurin für Kartographie und Geodäsie. Sie war bei der Beklagten - unter Anrechnung von Vorbeschäftigungszeiten - seit dem 1. September 1966 als Gruppenleiterin, Stereoauswerterin und Fachexpertin für photogrammetrische Spezialauswertungen tätig. Geschäftsführer der Beklagten ist seit dem 1. Februar 1999 D (senior).

3

Am 30. Oktober 2000 schlossen die Parteien mit Wirkung zum 31. Oktober 2000 einen Aufhebungsvertrag. Zugleich unterzeichnete die Klägerin einen neuen Anstellungsvertrag, der als Arbeitsbeginn den 1. November 2000 und als Tätigkeit die einer „Fachexpertin für Photogrammetrie“ vorsah. Als Arbeitgeberin war die „Firma D“, eine dem Sohn des Geschäftsführers der Beklagten gehörende Einzelfirma, aufgeführt. Der neue Vertrag wurde auf Geschäftspapier der Beklagten ausgefertigt und von deren Geschäftsführer mit dem Zusatz „i. V.“ unterzeichnet. Laut Nr. 1 des Vertrags „gilt [als Einstellungsdatum] der 01.09.1966“. In der Folgezeit bearbeitete die Klägerin - in Zusammenarbeit mit ihren bisherigen Arbeitskollegen - am selben Arbeitsplatz und mit denselben Arbeitsmitteln wie zuvor Aufträge der Beklagten. Der Geschäftsführer der Beklagten war - anders als sein Sohn - in den Geschäftsräumen präsent und erteilte sowohl der Klägerin als auch den übrigen Mitarbeitern Anweisungen.

4

Am 31. März 2005 wurde das mit der „Firma D“ bestehende Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung aufgehoben. Zuvor hatte die Klägerin einen Arbeitsvertrag mit der g Geodatenservice, Informationssysteme und Neue Medien GmbH (im Folgenden: g GmbH) für eine Beschäftigung beginnend ab dem 1. April 2005 unterzeichnet. Einer der Gesellschafter der g GmbH war der Geschäftsführer der Beklagten; ihr Geschäftsführer war dessen Sohn. Die Tätigkeit der Klägerin und die tatsächlichen Umstände, unter denen sie ihre Arbeitsleistung zu erbringen hatte, blieben weiterhin unverändert. Im Zusammenhang mit der neuerlichen Vertragsänderung war der Klägerin eine Wiederanstellung bei der Beklagten in Aussicht gestellt worden. Im Vorgriff hierauf unterzeichneten die Parteien einen unbefristeten Arbeitsvertrag für die Zeit ab dem 1. August 2005. Im Juli 2005 erklärte der Geschäftsführer der Beklagten demgegenüber, ein Wechsel von Mitarbeitern sei „aktuell ungünstig“.

5

Ihre Vergütung bezog die Klägerin über den Monat August 2005 hinaus von der g GmbH. Diese kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 25. Oktober 2005 ordentlich zum 30. November 2005. Zuvor hatte der Geschäftsführer der Beklagten gegenüber der Klägerin erklärt, die Kündigung sei aus „firmeninternen Gründen“ geboten; er wolle sie als Arbeitskraft jedoch nicht verlieren. Entsprechende Erklärungen hatte er auch mit Blick auf die zwischen der Klägerin und seinem Sohn bzw. der g GmbH geschlossenen Arbeitsverträge und damit einhergehende Aufhebungsverträge abgegeben. Dementsprechend hatten die Parteien schon vor dem 25. Oktober 2005 einen auf den 1. Februar 2006 vordatierten Arbeitsvertrag über eine unbefristete Vollzeitbeschäftigung der Klägerin bei der Beklagten mit Beginn ab März 2006 geschlossen. Außerdem schlossen die Parteien zwei befristete Arbeitsverträge, die eine geringfügige Beschäftigung der Klägerin zum Gegenstand hatten, einmal für die Monate Dezember 2005 und Januar 2006, und das andere Mal für den Monat Februar 2006. Regelungen betreffend die Anerkennung von Vorbeschäftigungszeiten sind in diesen Verträgen - ebenso wenig wie im Arbeitsvertrag mit der g GmbH - nicht enthalten.

6

Gegen die Kündigung vom 25. Oktober 2005 erhob die Klägerin keine Klage. Seit dem 1. Dezember 2005 arbeitete sie als „Fachexpertin für Photogrammetrie“ wieder für die Beklagte. Eine Ausnahme bildeten die Tage vom 1. bis 19. März 2006. In dieser Zeit nahm die Klägerin in Abstimmung mit der Beklagten an einer von der Agentur für Arbeit geförderten Weiterbildungsmaßnahme teil. Der schriftliche Arbeitsvertrag betreffend die Vollzeitbeschäftigung ab März 2006 wurde entsprechend angepasst.

7

Im August 2006 und im Januar 2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis jeweils ordentlich. Die Kündigung vom Januar 2007 verband sie mit dem Angebot einer Weiterbeschäftigung zu geänderten Bedingungen. Nachdem die Klägerin gegen beide Kündigungen erfolgreich Klage erhoben hatte, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis am 28. November 2008 erneut ordentlich. Am 11. März 2010 gab das Landesarbeitsgericht der hiergegen gerichteten Klage wegen Sozialwidrigkeit der Kündigung statt; das vollständig abgefasste - inzwischen rechtskräftige - Urteil wurde der Klägerin am 1. April 2010 zugestellt.

8

Die Klägerin war mittlerweile ein Arbeitsverhältnis mit einem anderen Arbeitgeber eingegangen. Mit Schreiben vom 16. März 2010 forderte die Beklagte sie auf, die Arbeit bei ihr am 22. März 2010 wieder aufzunehmen. Zugleich teilte sie mit, der Arbeitseinsatz werde im vermessungstechnischen Außendienst erfolgen. Am 6. April 2010 verlangte sie von der Klägerin, eine Erklärung gemäß § 12 KSchG abzugeben oder die für das andere Arbeitsverhältnis maßgebende Kündigungsfrist bekannt zu geben. Nachdem die Klägerin diese Schreiben und eine weitere Arbeitsaufforderung vom 12. Mai 2010 unbeantwortet gelassen hatte, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 17. Mai 2010 „fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächst zulässigen Termin“. Zu dieser Zeit waren in ihrem Betrieb neben der Klägerin regelmäßig weitere acht Arbeitnehmer beschäftigt, darunter mindestens drei, deren Arbeitsverhältnis bereits vor dem 1. Januar 2004 begonnen hatte.

9

Die Klägerin hat mit ihrer rechtzeitig erhobenen Klage geltend gemacht, die Kündigungen vom 17. Mai 2010 seien unwirksam. Ein wichtiger Grund liege nicht vor. Die ordentliche Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Ihr stehe als „Alt-Arbeitnehmerin“ der allgemeine Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz zu. Die Arbeitsverhältnisse mit der Beklagten, der Einzelfirma „D“ und der g GmbH stellten eine Einheit dar. Den Arbeitgeberwechseln liege jeweils ein Betriebsübergang iSd. § 613a BGB zugrunde. Daraus folge, dass von einem Arbeitsbeginn bei der Beklagten schon vor dem 1. Januar 2004 auszugehen sei. Die Klägerin hat behauptet, im Betrieb der Beklagten seien im Kündigungszeitpunkt weitere fünf, insgesamt also neun „Alt-Arbeitnehmer“ beschäftigt gewesen. Im Übrigen hat sie gemeint, selbst bei Nichtgeltung des Kündigungsschutzgesetzes sei die ordentliche Kündigung unwirksam; sie sei treuwidrig.

10

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung vom 17. Mai 2010, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung aufgelöst worden ist;

        

2.    

im Falle ihres Obsiegens die Beklagte zu verurteilen, sie bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Fachexpertin für Photogrammetrie weiterzubeschäftigen.

11

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Kündigungen seien wirksam. Die Klägerin habe im Anschluss an die gerichtliche Entscheidung vom 11. März 2010 die ihr zugewiesene Arbeit im vermessungstechnischen Dienst grundlos und beharrlich verweigert. Das stütze zumindest die ordentliche Kündigung, die keiner Überprüfung auf ihre soziale Rechtfertigung unterliege. Bei ihrem Betrieb habe es sich im Kündigungszeitpunkt um einen „Kleinbetrieb“ iSd. § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG gehandelt. Die Voraussetzungen für die Maßgeblichkeit des Schwellenwerts in § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG lägen nicht vor. Die ordentliche Kündigung verstoße nicht gegen Treu und Glauben. Sie beruhe auf sachlichen Erwägungen.

12

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage hinsichtlich der ordentlichen Kündigung abgewiesen. Im Übrigen hat es die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision begehrt die Klägerin, die erstinstanzliche Entscheidung in vollem Umfang wiederherzustellen.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision der Klägerin ist begründet. Es lässt sich noch nicht abschließend beurteilen, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 17. Mai 2010 aufgelöst worden ist. Mit der von ihm gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht nicht annehmen, die Kündigung habe einer sozialen Rechtfertigung gemäß § 1 KSchG nicht bedurft. Es steht noch nicht fest, dass es sich bei dem Betrieb der Beklagten im Kündigungszeitpunkt um einen Kleinbetrieb iSd. § 23 Abs. 1 KSchG gehandelt hat(I). Dies führt im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (II). Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen kann nicht beurteilt werden, ob der Erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes Anwendung findet (1). Dessen Geltung kann nicht dahinstehen (2).

14

I. Streitgegenstand im Revisionsverfahren ist nurmehr die Wirksamkeit der hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung vom 17. Mai 2010. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Kündigung habe einer sozialen Rechtfertigung nicht bedurft, weil die betrieblichen Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes nicht erfüllt seien, ist nicht frei von Rechtsfehlern.

15

1. Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG gilt der Erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes bis auf wenige Regelungen nicht in Betrieben mit in der Regel fünf oder weniger beschäftigten Arbeitnehmern nach der Zählweise des § 23 Abs. 1 Satz 4 KSchG. Dies entspricht der Rechtslage vor dem 1. Januar 2004 (Inkrafttreten des Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003, BGBl. I, S. 3002). Mit Überschreiten des Schwellenwerts findet dagegen grundsätzlich ua. § 1 KSchG Anwendung.

16

2. § 23 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 KSchG schränkt diese Rechtsfolge ein: Nur wenn der Schwellenwert des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG nach wie vor deshalb überschritten ist, weil die erforderliche Anzahl von Arbeitnehmern schon vor dem 1. Januar 2004 beschäftigt war („Alt-Arbeitnehmer”), ist der Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes - für diese - eröffnet. Arbeitnehmer, die ihre Beschäftigung erst nach dem 31. Dezember 2003 aufgenommen haben, können sich dagegen gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 KSchG auf die Bestimmungen des Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes nur und erst dann berufen, wenn im Betrieb in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt sind (BAG 23. Oktober 2008 - 2 AZR 131/07 - Rn. 21 ff.; 21. September 2006 - 2 AZR 840/05 - Rn. 14, 15, BAGE 119, 343).

17

3. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts waren im Betrieb der Beklagten zuletzt insgesamt nicht mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt. Die Klägerin kann sich auf den allgemeinen Kündigungsschutz des Kündigungsschutzgesetzes folglich nur berufen, wenn im Kündigungszeitpunkt im Betrieb der Beklagten - einschließlich ihrer selbst - noch mehr als fünf „Alt-Arbeitnehmer“ iSv. § 23 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 KSchG beschäftigt waren.

18

4. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, diese Voraussetzungen lägen schon deshalb nicht vor, weil das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 1. Dezember 2005 neu begründet worden sei. Die vorausgegangene Kündigung durch die g GmbH gelte, weil die Klägerin gegen sie nicht geklagt habe, gemäß § 7 KSchG als wirksam. Wegen der damit einhergehenden rechtlichen Unterbrechung scheide die Anrechnung von Vorbeschäftigungszeiten aus. Darauf, ob die erfolgten Arbeitgeberwechsel auf einem Betriebsübergang (§ 613a BGB) beruht hätten, komme es nicht an.

19

5. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Regelungen in § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG schließen es bei ununterbrochener Eingliederung des Arbeitnehmers in den Betrieb nicht aus, mehrere aufeinanderfolgende Arbeitsverhältnisse sowohl zum selben als auch zu verschiedenen Arbeitgebern als Einheit anzusehen und für den Beginn des Arbeitsverhältnisses iSd. § 23 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 KSchG auf ein vorangegangenes Vertragsverhältnis abzustellen.

20

a) Mit Blick auf die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG ist von einem „ununterbrochenen“ Arbeitsverhältnis auch dann auszugehen, wenn innerhalb des Sechsmonatszeitraums zwar zwei oder mehr Arbeitsverhältnisse liegen, diese aber ohne zeitliche Unterbrechung unmittelbar aufeinanderfolgen. Selbst in Fällen, in denen es an einer nahtlosen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses fehlt, kann die rechtliche Unterbrechung unschädlich sein, wenn die Dauer der tatsächlichen Unterbrechung verhältnismäßig kurz ist und zwischen den aufeinanderfolgenden Arbeitsverhältnissen ein enger sachlicher Zusammenhang besteht (bspw. BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 476/10 - Rn. 19, 29; grundlegend: 23. September 1976 - 2 AZR 309/75 - zu I 2 der Gründe, BAGE 28, 176).

21

b) Im Schrifttum - soweit es sich mit der Frage befasst - wird angenommen, diese Grundsätze seien auf die Regelung des § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG zu übertragen(vgl. MünchKommBGB/Hergenröder 6. Aufl. § 23 KSchG Rn. 19; KDZ-KSchR/Deinert 8. Aufl. § 23 Rn. 40; Bender/Schmidt NZA 2004, 358, 359; Hanau ZIP 2004, 1169, 1179; Kock MDR 2007, 1109). Dies trifft zu. Der Beginn des aktuellen Arbeitsverhältnisses iSd. § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG liegt in Fällen einer rechtlichen Unterbrechung am Beginn eines vorangehenden Arbeitsverhältnisses, wenn die tatsächliche Beschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb ohne relevante Zäsur geblieben und dort sowohl vor als auch nach der Unterbrechung die erforderliche Anzahl von „Alt-Arbeitnehmern“ beschäftigt ist. Das gilt auch dann, wenn die Unterbrechung mit einem Wechsel des Arbeitgebers einhergeht, sofern die Identität des „virtuellen Altbetriebs“ (BT-Drucks. 15/1204 S. 14) und die Zugehörigkeit des Arbeitnehmers zu diesem Betrieb gewahrt geblieben sind. Dieses Verständnis ist vom Wortlaut der Vorschrift gedeckt und nach Sinn und Zweck des Gesetzes geboten. Das Gesetz will den zum „virtuellen Altbetrieb“ gehörenden Arbeitnehmern den Kündigungsschutz erhalten, solange der Personalbestand des „Altbetriebs“ dafür ausreichend groß bleibt.

22

aa) § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG stellt auf das „Arbeitsverhältnis“ und dessen Beginn ab. Der Wortlaut des Gesetzes lässt es zwanglos zu, bei der Beurteilung, wann das Arbeitsverhältnis, das die Zugehörigkeit zum Betrieb vermittelt, „begonnen hat“, rechtliche Unterbrechungen außer Acht zu lassen und vorangegangene Vertragsbeziehungen mit in den Blick zu nehmen. Selbst das Erfordernis eines „ununterbrochenen“ Arbeitsverhältnisses in § 1 Abs. 1 KSchG steht einer solchen Annahme nicht entgegen(BAG 23. September 1976 - 2 AZR 309/75 - zu I 2 b der Gründe, BAGE 28, 176).

23

bb) Die Regelungen in § 23 Abs. 1 Satz 2, Satz 3 KSchG sollen für die schon am 31. Dezember 2003 im Betrieb beschäftigten „Alt-Arbeitnehmer“ einen ggf. unbefristeten Bestandsschutz gewährleisten. Für sie soll der Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz so lange erhalten bleiben, wie ihre Anzahl nicht auf fünf oder weniger absinkt (BAG 21. September 2006 - 2 AZR 840/05 - Rn. 17 ff., BAGE 119, 343). Der vom Gesetz bezweckte Bestandsschutz wäre deutlich abgeschwächt, wenn rechtliche Unterbrechungen unabhängig von ihrem Anlass und ungeachtet einer durchgehenden Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb geeignet wären, dessen Zugehörigkeit zum „virtuellen Altbetrieb“ aufzuheben. Für einen entsprechenden Willen des Gesetzgebers gibt es keinen Anhaltspunkt. Eine solche Intention folgt insbesondere nicht aus dem beschäftigungsfördernden Zweck der Regelung des § 23 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 KSchG. Mit der Anhebung des Schwellenwerts für die Geltung des Kündigungsschutzgesetzes sollten Arbeitgeber von möglichen Einstellungshemmnissen bis zur Grenze von zehn Arbeitnehmern befreit werden. Der Gesetzgeber ging davon aus, auf diese Weise die Entscheidung zur Schaffung neuer Arbeitsplätze zu erleichtern (vgl. schon BT-Drucks. 15/1204 S. 1, 2, 13). Um eine in diesem Sinne beschäftigungsfördernde Maßnahme handelt es sich aber nicht, wenn ein vor dem 1. Januar 2004 begründetes Arbeitsverhältnis später zwar rechtlich aufgelöst wird, sich ein neues Arbeitsverhältnis derselben Parteien aber ohne (relevante) Unterbrechungszeit anschließt. Dem steht nicht entgegen, dass Ersatzeinstellungen für ausgeschiedene „Alt-Arbeitnehmer“ eine Weitergeltung des Kündigungsschutzgesetzes nach § 23 Abs. 1 Satz 2, Satz 3 KSchG nicht bewirken können(vgl. dazu BAG 5. November 2009 - 2 AZR 383/08 - Rn. 16 mwN; grundlegend: BAG 21. September 2006 - 2 AZR 840/05 - Rn. 18 ff., BAGE 119, 343). Da nur „Alt-Arbeitnehmer“ einen am 31. Dezember 2003 bestehenden Kündigungsschutz behalten sollen, zählen für den Schwellenwert in § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG nur die Arbeitnehmer, die diesen ebenfalls genießen(BAG 21. September 2006 - 2 AZR 840/05 - Rn. 41, aaO). Bei der Neubegründung eines Arbeitsverhältnisses mit einem Arbeitnehmer, der bereits am 31. Dezember 2003 dem Betrieb angehörte und in diesem sowohl vor als auch nach der rechtlichen Unterbrechung kontinuierlich weisungsabhängig tätig war, handelt es sich nicht um eine Ersatzeinstellung. Der Arbeitnehmer gehörte vielmehr durchweg zum Kreis der „Alt-Arbeitnehmer“ des Betriebs.

24

cc) Für einen Rückbezug des Beginns des Arbeitsverhältnisses trotz rechtlicher Unterbrechung sprechen überdies systematische Erwägungen. Der durch § 23 Abs. 1 Satz 2, Satz 3 KSchG gewährleistete Bestandsschutz knüpft wie § 1 Abs. 1 KSchG an das individuelle Arbeitsverhältnis der dem „Altbetrieb“ angehörenden Arbeitnehmer an. Ist der Arbeitgeber durchweg derselbe geblieben, ist ein nachvollziehbarer Grund, weshalb ein Arbeitnehmer zwar die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG durch Zusammenrechnung sich aneinanderreihender Arbeitsverträge soll erfüllen können, bei einem formalen Neubeginn des Arbeitsverhältnisses aber die Zugehörigkeit zum „virtuellen Altbetrieb“ zwingend zu verneinen sein soll, nicht zu erkennen(so auch Bender/Schmidt NZA 2004, 358, 359).

25

dd) Die Berücksichtigung einer Vorbeschäftigung im Rahmen von § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG ist nach Maßgabe der genannten Voraussetzungen auch dann möglich, wenn die rechtliche Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses im Zusammenhang mit einem Arbeitgeberwechsel steht.

26

(1) Im Rahmen von § 1 Abs. 1 KSchG sind auch solche Beschäftigungszeiten zu berücksichtigen, die der Arbeitnehmer vor einem Betriebsübergang nach § 613a BGB beim Betriebsveräußerer zurückgelegt hat. Hat der Veräußerer das Arbeitsverhältnis gekündigt, hat der Arbeitnehmer dagegen nicht geklagt und wurde er gleichwohl vom Erwerber übernommen, hindert dies die Anrechnung der betreffenden Zeiten nicht, wenn sich die Beschäftigung beim Erwerber nahtlos anschließt oder die rechtliche Unterbrechung wegen eines engen sachlichen Zusammenhangs der Arbeitsverhältnisse unbeachtlich ist (BAG 27. Juni 2002 - 2 AZR 270/01 - zu B der Gründe, BAGE 102, 58).

27

(2) Für die Beurteilung, wann ein Arbeitsverhältnis iSd. § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG „begonnen“ hat, kann nichts anderes gelten. Der durch § 23 Abs. 1 Satz 2, Satz 3 KSchG gewährleistete Bestandsschutz ist an „das Arbeitsverhältnis“ als solches und damit an die kontinuierliche Beschäftigung des Arbeitnehmers im „virtuellen Altbetrieb“ geknüpft. Die Person des Vertragsarbeitgebers ist unbeachtlich. In Fällen eines Betriebsübergangs entspricht die Berücksichtigung von Vorbeschäftigungszeiten im Rahmen von § 23 Abs. 1 Satz 2, Satz 3 KSchG überdies dem Schutzzweck von § 613a BGB und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23/EG(ABl. EG L 82 vom 22. März 2001 S. 16). Der Entscheidung des Achten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 15. Februar 2007 (- 8 AZR 397/06 - Rn. 15 ff., BAGE 121, 273) ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen. Danach handelt es sich bei dem durch die Arbeitnehmerzahl gemäß § 23 Abs. 1 KSchG vermittelten Schutz nach dem Ersten Abschnitt des Gesetzes zwar nicht um ein „Recht“ iSd. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB. Die Dauer einer beim Betriebsveräußerer zurückgelegten Beschäftigungszeit zählt aber zu den „Rechten und Pflichten“ iSd. § 613a Abs. 1 BGB, in die der Betriebserwerber eintritt(BAG 15. Februar 2007 - 8 AZR 397/06 - Rn. 18 ff., aaO).

28

(3) Der Rückbezug des Beginns des Arbeitsverhältnisses auf einen vor der rechtlichen Unterbrechung liegenden Zeitpunkt kommt im Fall eines Arbeitgeberwechsels auch dann in Betracht, wenn zwar kein Betriebsübergang vorliegt, der neue und der alte Vertragsarbeitgeber den fraglichen Betrieb aber gemeinsam führen oder zumindest vor der Unterbrechung gemeinsam geführt haben. Zwar ist der Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz nicht unternehmens-, dh. arbeitgeberübergreifend ausgestaltet. Eine Ausnahme hiervon bilden aber Fälle, in denen zwei oder mehrere Unternehmen die gemeinsame Führung eines Betriebs vereinbart haben, so dass der Kern der Arbeitgeberfunktionen im sozialen und personellen Bereich unternehmensübergreifend von derselben institutionellen Leitung ausgeübt wird (BAG 16. Januar 2003 - 2 AZR 609/01 - zu B I 2 a der Gründe). Liegt ein gemeinsamer Betrieb vor, sind die von den beteiligten Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer bei der Ermittlung der nach § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG maßgebenden Arbeitnehmerzahl zusammenzurechnen(vgl. BAG 9. Oktober 1997 - 2 AZR 64/97 - zu II 2 der Gründe, BAGE 86, 374). Dies kann auch im Rahmen von § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG Bedeutung gewinnen. Findet nach dem 31. Dezember 2003 zwar ein Wechsel des Vertragsarbeitgebers statt, bleibt die Beschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb aber unverändert bestehen, weil neuer und alter Arbeitgeber diesen gemeinsam führen, berührt der Arbeitgeberwechsel die Zugehörigkeit des Arbeitnehmers zum „virtuellen Altbetrieb“ nicht. Der am Gemeinschaftsbetrieb beteiligte neue Vertragsarbeitgeber muss sich so behandeln lassen, als habe das Arbeitsverhältnis schon während der Zeit der Vorbeschäftigung mit ihm selbst bestanden.

29

(4) Auch wenn kein Betriebsübergang vorliegt oder Gemeinschaftsbetrieb besteht, kann es dem alten oder neuen Arbeitgeber nach dem Rechtsgedanken des § 162 Abs. 2 BGB verwehrt sein, sich auf eine Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses zu berufen. Das ist etwa anzunehmen, wenn die Unterbrechung mit dem Ziel herbeigeführt wurde, den Bestandsschutz von „Alt-Arbeitnehmern“ nach § 23 Abs. 1 Satz 2, Satz 3 KSchG zu vereiteln(für die Ersatzeinstellung von Arbeitnehmern vgl. BAG 21. September 2006 - 2 AZR 840/05 - Rn. 22, BAGE 119, 343).

30

c) Danach durfte das Landesarbeitsgericht auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen nicht davon ausgehen, die Klägerin sei keine „Alt-Arbeitnehmerin“ im Sinne des Gesetzes. Es hätte prüfen müssen, ob Umstände vorliegen, die trotz der zum 30. November 2005 eingetretenen rechtlichen Unterbrechung dazu führen, dass der Beginn des Arbeitsverhältnisses der Parteien auf einen Zeitpunkt vor dem 1. Januar 2004 zurückzubeziehen ist.

31

aa) Das Landesarbeitsgericht ist von einem Beginn des Arbeitsverhältnisses am 1. Dezember 2005 ausgegangen. Die nach diesem Zeitpunkt aufgrund des Auslaufens von Befristungen eingetretenen rechtlichen Unterbrechungen hat es für unschädlich erachtet. Letzteres ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Modalitäten der Beschäftigung wurden von der Beklagten vorgegeben. Die Arbeitsaufgaben der Klägerin blieben - auch wenn sich ihr zeitlicher Umfang änderte - die einer „Fachexpertin für Photogrammetrie“. Soweit das Arbeitsverhältnis Anfang März 2006 nicht nur rechtlich, sondern für die Dauer von 19 Kalendertagen auch zeitlich unterbrochen wurde, ist dies unschädlich. Die Parteien hatten ursprünglich eine nahtlose Weiterbeschäftigung der Klägerin im Anschluss an die beiden vorangegangenen befristeten Arbeitsverhältnisse vereinbart. Sie sind hiervon lediglich für die Durchführung einer Weiterbildung der Klägerin - einvernehmlich - abgerückt. Auf den unbedingten Willen der Beklagten, die Klägerin im Betrieb zu halten, hatte die Unterbrechung keinen Einfluss. Die Annahme eines engen sachlichen Zusammenhangs zwischen den Vertragsverhältnissen ist unter diesen Umständen gerechtfertigt.

32

bb) Den Feststellungen im Berufungsurteil zufolge haben sich weder die äußeren Bedingungen, unter denen die Klägerin ihre Arbeitsleistung zu erbringen hatte, noch der Inhalt ihrer Tätigkeit durch die verschiedenen seit dem Jahr 2000 erfolgten Arbeitgeberwechsel geändert. Die Klägerin hat durchgängig am selben Ort, unter Nutzung derselben Geräte und in Zusammenarbeit mit denselben Kollegen Aufträge der Beklagten nach Weisung von deren Geschäftsführer erledigt. Damit liegen Umstände vor, die die Annahme rechtfertigen können, die Arbeitgeberwechsel stünden - wie von der Klägerin behauptet - im Zusammenhang mit Betriebsübergängen iSv. § 613a BGB. Sollte die Beklagte sogar Inhaberin der Betriebsmittel geblieben sein, können die vom Landesarbeitsgericht festgestellten Tatsachen auch ergeben, dass sie den Betrieb mit den jeweiligen Vertragsarbeitgebern der Klägerin gemeinsam geführt hat. Eine abschließende Bewertung ist dem Senat nicht möglich. Dazu fehlt es an den erforderlichen Feststellungen.

33

II. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache - einschließlich des Antrags auf vorläufige Weiterbeschäftigung - an das Landesarbeitsgericht. Weder stellt sich die angefochtene Entscheidung aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 561 ZPO), noch kommt eine abschließende Sachentscheidung nach § 563 Abs. 3 ZPO zugunsten der Klägerin in Betracht.

34

1. Die Voraussetzungen für die Geltung des Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes liegen nicht aus anderen Gründen nicht vor. Die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG hatte die Klägerin im Kündigungszeitpunkt erfüllt. Mit der Frage, ob im Betrieb der Beklagten eine für § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG hinreichend große Zahl anderer „Alt-Arbeitnehmer“ beschäftigt war, hat sich das Landesarbeitsgericht - von seinem rechtlichen Standpunkt aus konsequent - nicht befasst und den insoweit umstrittenen Sachverhalt nicht aufgeklärt. Dies wird es ggf. nachzuholen haben. Der Klägerin kann nicht entgegengehalten werden, sie sei ihrer Darlegungslast aus § 23 Abs. 1 KSchG nicht nachgekommen(zu dieser vgl. BAG 23. Oktober 2008 - 2 AZR 131/07 - Rn. 29; 6. Juni 2008 - 2 AZR 264/07 - Rn. 20 ff., BAGE 127, 102).

35

a) Will sich der Arbeitnehmer auf die Maßgeblichkeit des abgesenkten Schwellenwerts des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG berufen, genügt er seiner Darlegungslast regelmäßig zunächst dadurch, dass er schlüssige Anhaltspunkte für die Beschäftigung der erforderlichen Anzahl von „Alt-Arbeitnehmern“ aufzeigt. Auf entsprechenden Vortrag muss sich der Arbeitgeber nach § 138 Abs. 2 ZPO im Einzelnen erklären und ggf. dartun, welche rechtserheblichen Tatsachen der Behauptung des Arbeitnehmers entgegenstehen sollen (vgl. BAG 6. Juni 2008 - 2 AZR 264/07 - BAGE 127, 102). Tut er dies, ist es erneut Sache des Arbeitnehmers darzulegen und ggf. zu beweisen, dass der abgesenkte Wert maßgeblich ist.

36

b) Danach hat die Klägerin ihrer Darlegungslast auf der ersten Stufe genügt. Sie hat neben den drei Personen, deren Arbeitsverhältnis unstreitig bereits vor dem 1. Januar 2004 begonnen hat, fünf weitere Arbeitnehmer namentlich benannt, von denen sie behauptet hat, sie seien bereits am 31. Dezember 2003 bei der Beklagten beschäftigt gewesen. Der Vortrag impliziert die konkludente Behauptung, die fraglichen Arbeitnehmer hätten nach dem Stichtag dem „virtuellen Altbetrieb“ kontinuierlich angehört. Die Beklagte hat dem entgegengehalten, die betreffenden Arbeitnehmer seien bei ihr erst seit dem 1. März oder 1. April 2006 beschäftigt gewesen. Ob sie damit geltend machen will, diese Personen erstmals zu dem fraglichen Zeitpunkt eingestellt zu haben, oder ob sie sich auf eine Wiedereinstellung nach vorhergehender Unterbrechung berufen will, ist nicht klar. Sollte Letzteres zutreffen, sind von der Beklagten - soweit ihr, nicht aber der Klägerin bekannt - die Gründe für die Unterbrechung aufzuzeigen, um der Klägerin ggf. weitere Darlegungen zur Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes nach § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG zu ermöglichen.

37

2. Die Geltung des Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes kann nicht dahinstehen. Dass die Kündigung auch bei - unterstellter - Anwendbarkeit von § 1 KSchG sozial gerechtfertigt wäre, steht nicht fest. Umgekehrt ist die Kündigung wirksam, sollte der allgemeine Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz nicht eingreifen. Weder ist sie in unzulässiger Weise bedingt, noch fehlt es ihr an der erforderlichen Bestimmtheit. Sie verstößt auch nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.

38

a) Der Senat kann nicht selbst beurteilen, ob die Klägerin ihre Arbeitsleistung - so die Beklagte - beharrlich verweigert hat und die ordentliche Kündigung dadurch iSd. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist.

39

aa) Eine beharrliche Arbeitsverweigerung setzt voraus, dass der Arbeitnehmer die ihm übertragene Arbeit bewusst nicht erbringt und weiterhin nicht erbringen will, obwohl er zur Arbeitsleistung verpflichtet ist. Eine Arbeitspflicht besteht grundsätzlich nur im ungekündigten Arbeitsverhältnis. Der Arbeitnehmer verletzt deshalb regelmäßig keine arbeitsvertraglichen Pflichten, wenn er nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zur Rechtskraft einer Entscheidung in einem von ihm angestrengten Kündigungsschutzprozess davon absieht, dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft anzubieten.

40

bb) Überdies gibt § 12 KSchG einem Arbeitnehmer, der im Verlauf eines Kündigungsschutzprozesses ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen ist, die Möglichkeit, binnen einer Woche nach der Rechtskraft des Urteils durch Erklärung gegenüber dem alten Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bei diesem zu verweigern. Vor Ablauf der Wochenfrist des § 12 Satz 1 KSchG ist er zu einer solchen Erklärung nicht verpflichtet. Äußert sich der Arbeitnehmer - wie im Streitfall die Klägerin - binnen der Frist nicht, ist er, auch bei entgegenstehender innerer Willensrichtung, zur Fortsetzung des alten Arbeitsverhältnisses verpflichtet (vgl. APS/Biebl 4. Aufl. § 12 KSchG Rn. 18; ErfK/Kiel 13. Aufl. § 12 KSchG Rn. 12; KR/Rost 10. Aufl. § 12 KSchG Rn. 13).

41

cc) Im Streitfall hatte das Landesarbeitsgericht durch Urteil vom 11. März 2010 die Sozialwidrigkeit der ordentlichen Kündigung vom 28. November 2008 festgestellt. Das vollständig abgefasste Urteil wurde der Klägerin am 1. April 2010 zugestellt. Es ist damit - da Anhaltspunkte für einen Rechtsmittelverzicht nicht vorliegen - frühestens am 3. Mai 2010, einem Montag, formell rechtskräftig geworden. Da die Klägerin bei Zustellung des Urteils bereits in einem Arbeitsverhältnis mit einem anderen Arbeitgeber stand, war sie somit nicht vor Dienstag, dem 11. Mai 2010 gehalten, ihre Arbeit bei der Beklagten wieder aufzunehmen.

42

dd) Ob die Klägerin, weil sie auch anschließend noch der Arbeit ferngeblieben ist, ihre Arbeit verweigert hat, vermag der Senat nicht abschließend zu beurteilen. Zur Hartnäckigkeit im Willen der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht keine Feststellungen getroffen. Zudem muss berücksichtigt werden, dass die Beklagte der Klägerin eine Tätigkeit im vermessungstechnischen Außendienst angetragen hat. Ob dies vertragsgemäß war, ist ebenso wenig festgestellt. Ggf. wird zu prüfen sein, ob die Beklagte die Klägerin vor einer Kündigung hätte abmahnen müssen, um sie zu vertragsgerechtem Verhalten anzuhalten.

43

b) Eine abschließende Entscheidung ist auch zugunsten der Klägerin nicht möglich. Die ordentliche Kündigung vom 17. Mai 2010 hat Bestand, wenn das Kündigungsschutzgesetz nicht anzuwenden ist.

44

aa) Die Kündigung enthält keine Bedingung, die ihrer Wirksamkeit im Wege stünde. Auch eine „hilfsweise“ oder „vorsorglich“ erklärte Kündigung drückt den Willen des Arbeitgebers aus, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Der Zusatz „hilfweise“ oder „vorsorglich“ macht lediglich deutlich, dass der Arbeitgeber sich in erster Linie auf einen anderen Beendigungstatbestand beruft, auf dessen Rechtswirkungen also nicht etwa verzichten will (BAG 12. Oktober 1954 - 2 AZR 36/53 - zu III der Gründe, BAGE 1, 110). Die „hilfsweise“ oder „vorsorglich“ erklärte Kündigung steht unter einer - zulässigen (BAG 3. April 2008 - 2 AZR 500/06 - Rn. 22) - auflösenden Rechtsbedingung iSv. § 158 Abs. 2 BGB. Ihre Wirkung endigt, wenn feststeht, dass das Arbeitsverhältnis bereits zu einem früheren Zeitpunkt aufgelöst worden ist (ähnlich KR/Griebeling 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 169).

45

bb) Die ordentliche Kündigung ist entgegen der Ansicht der Klägerin nicht deshalb unwirksam, weil im Kündigungsschreiben ein konkretes Beendigungsdatum nicht ausdrücklich genannt ist. Einer solchen Angabe bedurfte es nicht.

46

(1) Eine Kündigung muss als empfangsbedürftige Willenserklärung so bestimmt sein, dass der Empfänger Klarheit über die Absichten des Kündigenden erhält. Der Kündigungsadressat muss erkennen können, zu welchem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis aus Sicht des Kündigenden beendet sein soll. Deshalb muss sich aus der Erklärung oder den Umständen zumindest ergeben, ob eine fristgemäße oder eine fristlose Kündigung gewollt ist (BAG 15. Dezember 2005 - 2 AZR 148/05 - Rn. 20, BAGE 116, 336). Ob dies hinreichend deutlich wird, richtet sich nach den Verhältnissen bei Ausspruch der Kündigung (BAG 21. Oktober 1981 - 7 AZR 407/79 - zu I der Gründe).

47

(2) Die an eine ordentliche Kündigung zu stellenden Bestimmtheitsanforderungen verlangen vom Kündigenden nicht, den Kündigungstermin als konkretes kalendarisches Datum in der Kündigungserklärung ausdrücklich anzugeben. Es reicht aus, wenn der gewollte Beendigungstermin für den Kündigungsempfänger zweifelsfrei bestimmbar ist (vgl. APS/Preis 4. Aufl. Grundlagen D Rn. 20; APS/Linck 4. Aufl. § 622 BGB Rn. 66c; HaKo-KSchR/Fiebig/Mestwerdt 4. Aufl. Einl. Rn. 18; MünchKommBGB/Hesse 6. Aufl. § 620 Rn. 78; Palandt/Weidenkopf 72. Aufl. Vorb. § 620 BGB Rn. 32; Staudinger/Oetker (2012) Vorb. zu §§ 620 ff. Rn. 125; Eisemann NZA 2011, 601; Muthers RdA 2012, 172, 176; Fleddermann ArbRAktuell 2011, 347; Raab RdA 2004, 321, 326).

48

(3) Es kann dahinstehen, ob eine Kündigung, die vom Arbeitgeber isoliert als ordentliche Kündigung und als solche „zum nächstzulässigen Termin“ ausgesprochen wird, diesen Bestimmtheitsanforderungen in jedem Fall genügt. Zumindest eine nur „hilfsweise“ für den Fall der Unwirksamkeit einer fristlosen Kündigung ausgesprochene ordentliche Kündigung „zum nächstzulässigen Termin“ entspricht den gesetzlichen Anforderungen.

49

(a) Eine ordentliche Kündigung „zum nächstzulässigen Termin“ ist typischerweise so auszulegen, dass der Kündigende die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu dem Zeitpunkt erreichen will, der sich bei Anwendung der einschlägigen gesetzlichen, tarifvertraglichen und/oder vertraglichen Regelungen als rechtlich frühestmöglicher Beendigungstermin ergibt (BAG 9. September 2010 - 2 AZR 714/08 - Rn. 12, BAGE 135, 278). Der gewollte Beendigungstermin ist damit jedenfalls objektiv eindeutig bestimmbar. Dies ist jedenfalls dann ausreichend, wenn die rechtlich zutreffende Frist für den Kündigungsadressaten leicht feststellbar ist und nicht umfassende tatsächliche Ermittlungen oder die Beantwortung schwieriger Rechtsfragen erfordert.

50

(b) Ob dies auch im anderen Falle ausreichend ist oder dem das berechtigte Interesse des Arbeitnehmers entgegensteht, mit Blick auf die im ungekündigten Arbeitsverhältnis bestehende Verpflichtung zur Arbeitsleistung und zur Unterlassung von Wettbewerb Auskunft darüber zu erhalten, zu welchem konkreten Zeitpunkt der Arbeitgeber subjektiv das Arbeitsverhältnis als beendet ansieht, braucht nicht entschieden zu werden. Es kann deshalb gleichermaßen offenbleiben, ob sich dieses Interesse des Arbeitnehmers auf die Bestimmtheit der Kündigungserklärung auswirkt oder etwa bestimmte Pflichten des Arbeitgebers aus § 241 Abs. 2 BGB begründet. Die Beklagte hat die ordentliche Kündigung nicht isoliert als solche erklärt. Sie hat vielmehr zuvörderst „fristlos“ und nur hilfsweise ordentlich zum „nächst zulässigen Termin“ gekündigt. Die Klägerin als Kündigungsempfängerin war damit nicht im Unklaren darüber, wann das Arbeitsverhältnis nach der Vorstellung der Beklagten tatsächlich beendet sein sollte - nämlich mit Zugang des Schreibens vom 17. Mai 2010. Darauf musste und konnte sie sich in ihrem praktischen Handeln einstellen. Darauf, ob es ihr ohne Schwierigkeiten möglich war, auch den Ablauf der Frist der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung zuverlässig zu ermitteln, kommt es unter diesen Umständen nicht an.

51

cc) Die ordentliche Kündigung vom 17. Mai 2010 verstößt nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Beklagte habe den Umständen nach im Kündigungszeitpunkt zumindest subjektiv davon ausgehen dürfen, die Klägerin habe an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bei ihr kein wirkliches Interesse mehr, und hat mit dieser Begründung eine Unwirksamkeit der Kündigung gemäß § 242 BGB verneint. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Eine Verpflichtung der Beklagten, die Klägerin zuvor abzumahnen, bestand außerhalb einer Geltung des Kündigungsschutzgesetzes nicht.

52

III. Sollte das Landesarbeitsgericht erneut zu dem Ergebnis gelangen, das Arbeitsverhältnis sei durch die ordentliche Kündigung aufgelöst worden, wird es zu ermitteln haben, welche Kündigungsfrist einzuhalten war. Seine bisherige Auffassung, objektiv maßgebend sei eine Frist von zwei Monaten, berücksichtigt nicht das Vorbringen der Klägerin zum Vorliegen von Betriebsübergängen iSd. § 613a Abs. 1 BGB. Daraus kann sich - je nach den Umständen - das Erfordernis ergeben, Beschäftigungszeiten aus einem vorangegangenen Arbeitsverhältnis anzurechnen (vgl. dazu BAG 23. Oktober 2008 - 2 AZR 131/07 - Rn. 48; 18. September 2003 - 2 AZR 330/02 - zu B I der Gründe).

        

    Kreft    

        

    Rinck    

        

    Berger    

        

        

        

    Beckerle    

        

    Torsten Falke    

                 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 20. Januar 2009 - 5 Sa 270/08 - aufgehoben, soweit es die ordentliche Kündigung für wirksam erachtet hat.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten - noch - über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

2

Der 1963 geborene, verheiratete und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger trat im November 1995 in die Dienste der Rechtsvorgängerin der Beklagten, die ein Einzelhandelsunternehmen betreibt.

3

Der Kläger war zunächst als Helfer in der „Waschstraße“ tätig. Nach deren Stilllegung wurde er ab Oktober 2003 in dem zugehörigen Warenhaus als „Ladenhilfe“ weiterbeschäftigt. Dort setzt die Beklagte regelmäßig weit mehr als zehn Arbeitnehmer ein.

4

Zu den Arbeitsaufgaben einer „Ladenhilfe“ gehört es, sämtliche im Einkaufsmarkt anfallenden Auffüll- und Verräumarbeiten auszuführen. Die Beklagte, die eine Spezialisierung ihrer Mitarbeiter anstrebt und diese möglichst bestimmten Bereichen zuordnet, setzte den Kläger zunächst im Getränkebereich der Abteilung „Allgemeine Lebensmittel“ ein. Nachdem der Kläger den Wunsch nach einem Arbeitsplatzwechsel geäußert hatte, wies sie ihm ab März 2007 Arbeiten in der Frischwarenabteilung zu. Während seiner dortigen Tätigkeit war der Kläger mehrmals wegen Krankheit arbeitsunfähig. Im Anschluss an eine Arbeitsunfähigkeit im Januar 2008 stellte sie ihm eine „Rückumsetzung“ in den Getränkebereich in Aussicht. Nach einer weiteren Erkrankung wies sie ihn am 25. Februar 2008 mündlich an, wieder in der Getränkeabteilung zu arbeiten. Der Kläger weigerte sich, der Anordnung Folge zu leisten. Er berief sich auf seinen - muslimischen - Glauben, der ihm den Umgang mit Alkohol und damit auch das Ein- und Ausräumen alkoholischer Produkte verbiete. Diesen Standpunkt behielt er auch nach schriftlicher Aufforderung zur Arbeitsaufnahme im Getränkebereich bei. Die Beklagte stellte ihn daraufhin für den 25. Februar 2008 von der Arbeitsleistung frei. Kurz darauf legte der Kläger eine ärztliche Bescheinigung über eine voraussichtlich bis 4. März 2008 bestehende Arbeitsunfähigkeit vor.

5

Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 1. März 2008 fristlos und mit einem weiteren Schreiben vom 5. März 2008 vorsorglich fristgemäß zum 30. August 2008.

6

Der Kläger hat Kündigungsschutzklage erhoben und geltend gemacht, die Kündigungen seien unwirksam. Er sei nicht verpflichtet gewesen, der Weisung vom 25. Februar 2008 Folge zu leisten. Die Beklagte habe ihm die Arbeiten schon nicht ohne Zustimmung des Betriebsrats zuweisen dürfen. Die Umsetzung stelle zudem eine Sanktion für seine wiederholt aufgetretenen Erkrankungen dar. Unabhängig davon sei die Arbeit im Getränkebereich mit seinen Glaubensüberzeugungen nicht vereinbar. Darauf habe die Beklagte Rücksicht nehmen müssen. Ihm als gläubigem Moslem seien jegliche Handlungen verboten, die der gewerblichen Verbreitung von Alkoholika dienten. Das Alkoholverbot beziehe sich auch auf das Ein- und Ausräumen von Alkoholika und sei für jeden Moslem verbindlich. Zumindest erkenne er die religiösen Vorgaben für sich als verbindlich an. Er habe bei Begründung des Arbeitsverhältnisses nicht damit rechnen müssen, beim Verkauf alkoholhaltiger Getränke mitwirken zu sollen. Mit solchen Produkten sei er erstmals im Jahr 2006 nach einer Reduzierung des Personalbestands in der Getränkeabteilung in Berührung gekommen. Von da an habe er bei seiner Arbeit ein schlechtes Gewissen gehabt. Der Konflikt sei für ihn schließlich unerträglich geworden. Er habe sich entschieden, künftig strikt seinen Glaubensüberzeugungen zu folgen. Die Beklagte könne ihm andere Arbeiten etwa in den Bereichen Drogerie, Obst und Gemüse, Haushaltswaren oder Backwaren zuweisen. Er sei auch bereit, Einkaufswagen zu schieben. Ihm sei der Kontakt mit Produkten, die in irgendeiner Weise Alkohol enthielten, nicht gänzlich verboten, sondern nur insoweit, als dem Alkohol Rauschmittelqualität zukomme.

7

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigungen vom 1. März 2008 und 5. März 2008 nicht beendet worden ist.

8

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe seine Arbeitsleistung in vorwerfbarer Weise beharrlich verweigert. Die an ihn ergangene Weisung, in der Getränkeabteilung zu arbeiten, sei rechtmäßig. Auf die Glaubensüberzeugungen des Klägers habe sie insoweit Rücksicht genommen, als sie ihn weder mit dem Ausschank noch mit der Verköstigung alkoholischer Getränke betraut habe. Da der Kläger bislang die nunmehr verweigerten Tätigkeiten verrichtet habe, könne er sich nicht auf eine Änderung seiner Gewissenslage berufen. Angesichts seiner in der Frischwarenabteilung angefallenen hohen Arbeitsunfähigkeitszeiten habe ihre Weisung auch dem Schutz seiner Gesundheit gedient. Alkoholhaltige Produkte fänden sich im Übrigen im gesamten Warensortiment. Sie verkaufe beispielsweise mit Alkohol gefüllte Pralinen und führe im Bereich der Molkereiprodukte oftmals eine Käseverkostung mit Weinprobe durch. Ihr könne nicht zugemutet werden, den Kläger ständig in einer neuen Abteilung einzuarbeiten. Ein Einsatz in der Drogerieabteilung und im „Nonfood“-Bereich scheide aus. Dort kämen nur Fachkräfte mit Spezialwissen zum Einsatz.

9

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung vom 1. März 2008 nicht beendet worden ist. Die weitergehende Berufung hat es zurückgewiesen. Mit der vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Feststellungsantrag hinsichtlich der ordentlichen Kündigung weiter.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Senat kann mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen nicht abschließend entscheiden, ob die ordentliche Kündigung vom 5. März 2008 sozial gerechtfertigt ist.

11

I. Die von Amts wegen zu beachtenden Prozessfortsetzungsvoraussetzungen liegen vor. Anders als die Beklagte gemeint hat, sind die gesetzlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung iSv. § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO erfüllt. Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage mit der Begründung abgewiesen, das Arbeitsverhältnis sei bereits durch die außerordentliche Kündigung aufgelöst worden. Die Berufungsbegründung des Klägers hat sich mit sämtlichen dafür tragenden Erwägungen des erstinstanzlichen Urteils hinreichend auseinandergesetzt. Eines näheren Eingehens auf die ordentliche Kündigung bedurfte es unter diesen Umständen nicht (vgl. BAG 5. Oktober 1995 - 2 AZR 909/94 - zu II 1 der Gründe, BAGE 81, 111).

12

II. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kann nicht beurteilt werden, ob die Kündigung vom 5. März 2008 iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt ist. Der Kläger hat nachvollziehbar dargelegt, dass er sich an das islamische Alkoholverbot gebunden fühle, aus dem er ableite, auch das Einräumen alkoholischer Getränke unterlassen zu müssen. Seine hierauf gestützte Weigerung, im Getränkebereich im Kontakt mit alkoholischen Getränken zu arbeiten, berechtigte die Beklagte nur dann zur Kündigung, wenn keine andere, den Glaubenskonflikt vermeidende und ihr den Umständen nach zumutbare Möglichkeit einer Beschäftigung bestanden hat. Dazu, ob eine solche Alternative gegeben war, hat das Landesarbeitsgericht keine ausreichenden Feststellungen getroffen.

13

1. Die Kündigung vom 5. März 2008 ist nicht iSv. § 1 Abs. 2 KSchG durch Gründe im Verhalten des Klägers bedingt.

14

a) Allerdings stellt die beharrliche Weigerung des Arbeitnehmers, eine vertraglich geschuldete, rechtmäßig und damit wirksam zugewiesene Arbeit zu leisten, eine erhebliche Pflichtverletzung dar und ist in der Regel geeignet, jedenfalls die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses sozial zu rechtfertigen (BAG 13. März 2008 - 2 AZR 88/07 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 87 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 73; 5. April 2001 - 2 AZR 580/99 - zu II 2 a der Gründe mwN, BAGE 97, 276).

15

Im Streitfall hat die Beklagte den Kläger am 25. Februar 2008 angewiesen, wieder im Getränkebereich zu arbeiten. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, der Kläger habe sich dieser Anordnung „beharrlich“ widersetzt, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Ein Arbeitnehmer verweigert die ihm übertragene Arbeit beharrlich, wenn er sie bewusst und nachhaltig nicht leisten will. Das war hier der Fall. Der Kläger hat sowohl auf die mündliche als auch auf die nachfolgende schriftliche Anordnung der Beklagten deutlich zu erkennen gegeben, Arbeiten im Getränkebereich jedenfalls dann nicht auszuführen, wenn von ihm auch der Umgang mit alkoholhaltigen Getränken verlangt werde. Seine Weigerung war endgültig.

16

b) Die Beklagte hat dem Kläger jedoch die Arbeiten im Getränkebereich, weil und soweit sie ihn in Glaubenskonflikte brachten, nicht wirksam nach § 106 Satz 1 GewO zugewiesen. Der Kläger hat deshalb mit seiner Weigerung, sie durchzuführen, seine Vertragspflichten nicht verletzt.

17

aa) Aufgrund seines Weisungsrechts (§ 106 GewO)kann der Arbeitgeber eine im Arbeitsvertrag nur abstrakt umschriebene Leistungspflicht des Arbeitsnehmers nach Zeit, Ort und Art der Leistung einseitig näher bestimmen, soweit diese nicht durch Gesetz oder Vertrag festgelegt ist. Der Regelung des § 106 Satz 1 GewO kommt insoweit klarstellende Bedeutung zu (BAG 13. Oktober 2009 - 9 AZR 722/08 - Rn. 18, AP AGG § 7 Nr. 1 = EzA AGG § 10 Nr. 2). Das Weisungsrecht darf dabei nur nach billigem Ermessen ausgeübt werden. Das verlangt, dass der Arbeitgeber bei seiner Entscheidung die wesentlichen Umstände des Einzelfalls abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt hat. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber seine Entscheidung trifft (vgl. BAG 15. September 2009 - 9 AZR 643/08 - Rn. 26 und 29, AP TVG § 1 Altersteilzeit Nr. 44 = EzA TVG § 4 Altersteilzeit Nr. 31). Ob die Entscheidung billigem Ermessen entspricht, unterliegt nach § 106 Satz 1 GewO iVm. § 315 Abs. 3 BGB der gerichtlichen Kontrolle(BAG 19. Januar 2011 - 10 AZR 738/09 - Rn. 18, EzA-SD 2011 Nr. 9, 8; 25. Oktober 1989 - 2 AZR 633/88 - Rn. 41, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 36 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 30).

18

bb) Danach war die Weisung der Beklagten vom 25. Februar 2008 nicht schon deshalb unbeachtlich, weil sie nach § 99 BetrVG der Zustimmung des Betriebsrats bedurft hätte. Eine Versetzung iSv. § 99 Abs. 1, § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG lag nicht vor. Dem Kläger wurde mit der Übertragung von Aufgaben im Getränkebereich kein anderer „Arbeitsbereich“ im Sinne dieser Regelung zugewiesen. Der Gegenstand und das Gesamtbild der Tätigkeit einer mit einfachen Ein- und Ausräumarbeiten in der Frischwarenabteilung beschäftigten Ladenhilfe wird nicht dadurch verändert, dass die Arbeiten nunmehr in der Getränkeabteilung zu verrichten sind. Dafür, dass der Getränkebereich intern einem eigenen „Arbeitsregime“ unterläge, fehlt es an Anhaltspunkten (vgl. dazu BAG 17. Juni 2008 - 1 ABR 38/07 - Rn. 21 ff. mwN, AP BetrVG 1972 § 99 Versetzung Nr. 47 = EzA BetrVG 2001 § 95 Nr. 8).

19

cc) Die Weisung war ebenso wenig deshalb unwirksam, weil sich die Beklagte wegen der Erkrankungen des Klägers entschlossen hatte, diesen wieder im Getränkebereich einzusetzen. Ein Verstoß gegen das gesetzliche Maßregelungsverbot (§ 612a BGB)ist insoweit nicht ersichtlich. Die Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers sind während seiner Tätigkeit in der Frischwarenabteilung angestiegen, ohne dass freilich feststünde, sie seien durch diese Tätigkeit verursacht worden. Bei den übrigen Mitarbeitern des Bereichs sind nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts weitaus geringere Fehlzeiten angefallen. Unter diesen Umständen ist nicht zu erkennen, dass die angestrebte Änderung des Einsatzbereichs von sachfremden Motiven getragen gewesen wäre. Näher liegt die Annahme, die Beklagte habe eine immerhin mögliche, mit den Arbeitsumständen in der Frischwarenabteilung zusammenhängende Krankheitsursache sowohl im betrieblichen als auch im Interesse der Gesundheit des Klägers ausschließen wollen. Darauf hat das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen.

20

dd) Die angeordnete Tätigkeit im Getränkebereich bewegte sich im arbeitsvertraglich vereinbarten Leistungsspektrum. Die Parteien haben bei Schließung der Waschstraße im Jahr 2003 einen neuen Arbeitsvertrag geschlossen. Danach wurde der Kläger als „Ladenhilfe“ weiterbeschäftigt und war dementsprechend grundsätzlich verpflichtet, sämtliche im Warenhaus anfallenden Hilfsarbeiten auszuführen. Das schließt die ihm zugewiesenen Arbeiten ein. Mit der im Jahr 2006 auf seinen Wunsch erfolgten Umsetzung in die Frischwarenabteilung hat sich die Beklagte ihres Rechts, ihm Arbeiten im Getränkebereich zuzuweisen, nicht begeben. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass sie zumindest darauf verzichtet hätte, ihn mit dem Ein- und Ausräumen alkoholhaltiger Getränke zu beauftragen.

21

ee) Die Beklagte hat aber bei der Ausübung ihres Weisungsrechts auf die Glaubensüberzeugungen des Klägers nicht hinreichend Bedacht genommen. Ihre Weisung, im Getränkebereich zu arbeiten, entsprach damit nicht billigem Ermessen.

22

(1) Der Arbeitgeber muss einen ihm offenbarten und beachtlichen Glaubens- oder Gewissenskonflikt des Arbeitnehmers bei der Ausübung seines Weisungsrechts berücksichtigen. Dies setzt voraus, dass der Arbeitnehmer darlegt, ihm sei wegen einer aus einer spezifischen Sachlage folgenden Gewissensnot heraus nicht zuzumuten, die an sich vertraglich geschuldete Leistung zu erbringen. Lässt sich aus den festgestellten Tatsachen im konkreten Fall ein die verweigerte Arbeit betreffender Glaubens- oder Gewissenskonflikt ableiten, so unterliegt die Relevanz und Gewichtigkeit der Gewissensbildung keiner gerichtlichen Kontrolle (vgl. BAG 22. Mai 2003 - 2 AZR 426/02 - zu B II 5 b dd der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Wartezeit Nr. 18 = EzA BGB 2002 § 242 Kündigung Nr. 2; 24. Mai 1989 - 2 AZR 285/88 - zu B I 1 b der Gründe, BAGE 62, 59).

23

(a) Das gebietet die verfassungskonforme Auslegung und Anwendung von § 106 Satz 1 GewO. Das bei der Ausübung des Leistungsbestimmungsrechts zu wahrende billige Ermessen wird inhaltlich durch die Grundrechte des Arbeitnehmers mitbestimmt. Kollidieren diese mit dem Recht des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer im Rahmen der gleichfalls grundrechtlich geschützten unternehmerischen Betätigungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG) eine von der vertraglichen Vereinbarung gedeckte Tätigkeit zuzuweisen, sind die gegensätzlichen Rechtspositionen grundrechtskonform auszugleichen. Dabei sind die kollidierenden Grundrechte in ihrer Wechselwirkung zu sehen und so zu begrenzen, dass sie im Sinne einer praktischen Konkordanz für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden. Insoweit gilt seit seinem Inkrafttreten für § 106 GewO nichts anderes als zuvor für § 315 Abs. 1 BGB(BAG 13. August 2010 - 1 AZR 173/09 - AP GG Art. 9 Nr. 141 = EzA GG Art. 9 Nr. 100; 10. Oktober 2002 - 2 AZR 472/01 - zu B II 3 c der Gründe mwN, BAGE 103, 111; AnwK-ArbR/Boecken 2. Aufl. § 106 GewO Rn. 92; ErfK/Preis 11. Aufl. § 106 GewO Rn. 6). Auf das unverzichtbare Schutzminimum der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 GG ist Bedacht zu nehmen. Es ist die Intensität des umstrittenen Eingriffs ebenso zu berücksichtigen wie der Umstand, dass die Vertragspartner mit dem Abschluss des Vertrags in eine Begrenzung grundrechtlicher Freiheiten eingewilligt haben (vgl. BAG 10. Oktober 2002 - 2 AZR 472/01 - zu B II 3 c der Gründe mwN, aaO; ErfK/Schmidt 11. Aufl. Art. 4 GG Rn. 25).

24

(b) Ob und inwieweit der Arbeitgeber bei der Ausübung seines Weisungsrechts auf die Glaubensüberzeugungen des Arbeitnehmers Rücksicht nehmen muss, ist damit eine Frage des Einzelfalls.

25

(aa) Wenn die Weisung mit fundamentalen, unüberwindbaren Glaubensüberzeugungen des Arbeitnehmers kollidiert, wird es häufig nicht billigem Ermessen entsprechen, wenn der Arbeitgeber an ihr festhält und deren Befolgung verlangt. Das wird in der Regel auch bei einem erst im Anschluss an eine arbeitgeberseitige Weisung offenbarten Konflikt gelten. Zwar ist eine Weisung so lange, wie der Arbeitnehmer einen Glaubenskonflikt noch nicht offenbart hat, für den Arbeitnehmer verbindlich. Offenbart aber der Arbeitnehmer nach erteilter Weisung einen solchen ernsten Konflikt, kann sich für den Arbeitgeber aus § 241 Abs. 2 BGB die Verpflichtung ergeben, von seinem Direktionsrecht unter Berücksichtigung der entgegenstehenden Belange des Arbeitnehmers erneut Gebrauch zu machen(vgl. BAG 19. Mai 2010 - 5 AZR 162/09 - Rn. 27, EzA BGB 2002 § 615 Nr. 33).

26

(bb) Auch die Glaubensfreiheit ist freilich nicht ohne jede Schranke garantiert. Beschränkt wird sie durch kollidierende Grundrechte oder Verfassungsaufträge (BVerfG 21. Juli 2009 - 1 BvR 1358/09 - Rn. 14, NJW 2009, 3151). Etwas anderes kann deshalb gelten, wenn auf Seiten des Arbeitgebers nicht nur sein vertraglich begründetes und aktuell ausgeübtes Weisungsrecht als solches steht, sondern seine Weisung weitergehend durch Art. 12 Abs. 1 GG oder durch andere grundrechtlich relevante Rechtsgüter geschützt ist, die ein - ggf. nur kurzfristiges - Hintanstellen der Glaubensüberzeugungen geboten erscheinen lassen. Auch wird der Arbeitgeber, gestützt auf Art. 12 Abs. 1 GG, uU erwarten und verlangen können, dass der Arbeitnehmer eine gewisse - knappe - Ankündigungsfrist einhält, um ihm eine möglichst reibungslose organisatorische Umstellung zu ermöglichen und Folgeschäden zu vermeiden.

27

(cc) Die Frage, ob der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Arbeitsleistung trotz eines ernsten, unüberwindbaren Glaubens- oder Gewissenskonflikts verbindlich zuweisen darf, hängt dagegen nicht ohne Weiteres von der Vorhersehbarkeit des Konflikts ab.

28

Das ist insbesondere dann nicht der Fall, wenn der Arbeitnehmer zwar erkennen konnte, er verpflichte sich zu Arbeiten, die bestimmten Glaubensinhalten derjenigen Religion, welcher er angehört, widersprechen, er persönlich aber diese Glaubensinhalte bei Vertragsschluss noch nicht als für sich verbindlich angesehen hatte. Der Umstand, dass die Möglichkeit eines Glaubenskonflikts in diesem Sinne für den Arbeitnehmer vorhersehbar war, nimmt dessen späterer Erklärung, er berufe sich nunmehr auf seine (geänderte) Glaubensüberzeugung, nichts von ihrer rechtlichen Beachtlichkeit; der aktuelle Glaubenskonflikt des Arbeitnehmers ist nicht deshalb weniger bedeutsam iSv. Art. 4 Abs. 1 GG. Eine den Konflikt gleichwohl ignorierende Arbeitsanweisung des Arbeitgebers braucht der Arbeitnehmer unter diesen Voraussetzungen in der Regel nicht zu befolgen.

29

Eine andere Beurteilung kann geboten sein, wenn der Arbeitnehmer bei Vertragsschluss bereits positiv wusste, dass er die vertraglich eingegangenen Verpflichtungen um seiner Glaubensüberzeugungen willen sämtlich und von Beginn an nicht würde erfüllen können. Zum einen kann dies zu Zweifeln an der Ernsthaftigkeit seiner Überzeugungen führen. Zum anderen wird es einem Arbeitnehmer, der sich im Wissen um einen unvermeidlich auftretenden Glaubenskonflikt zur Erbringung der diesen auslösenden Arbeiten verpflichtet hat, nach § 242 BGB regelmäßig verwehrt sein, sich gegenüber einer entsprechenden Arbeitsanweisung auf seinen Glauben zu berufen. Die Aufforderung zur Leistung vertragsgemäßer Arbeiten entspricht dann trotz des offenbarten Glaubenskonflikts billigem Ermessen. Mit der Weigerung, ihr nachzukommen, verletzt der Arbeitnehmer seine vertraglichen Pflichten.

30

(2) Die Neuregelung des Leistungsstörungsrechts verlangt nicht nach einem anderen rechtssystematischen Ausgangspunkt für die rechtliche Prüfung. Diese ist weiterhin im Rahmen von § 106 GewO und nicht von § 275 Abs. 3 BGB vorzunehmen.

31

Zum einen kommt es auf ein religiös begründetes Leistungsverweigerungsrecht nur an, wenn das Leistungs-/Erfüllungsverlangen des Arbeitgebers billigem Ermessen iSv. § 106 Satz 1 BGB entspricht(ähnlich Kamanabrou GS Zachert, S. 400 f.; zum Meinungsstand auch: ErfK/Preis 11. Aufl. § 611 BGB Rn. 687; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 141, 468; Schaub/Linck ArbR-Hdb. 11. Aufl. § 45 Rn. 30; Staudinger/Löwisch/Caspers (2009) § 275 BGB Rn. 104 f.; Henssler RdA 2002, 129, 131; Richardi NZA 2002, 1004, 1007; Greiner Ideelle Unzumutbarkeit S. 135 ff.). Zum anderen ergeben sich die Voraussetzungen, unter denen ein Glaubens- und Gewissenkonflikt für eine nach dem Arbeitsvertrag geschuldete Leistung Bedeutung gewinnen kann, in jedem Fall aus den Vorgaben höherrangigen Rechts. Die Prüfung von § 106 GewO ist deshalb vorrangig.

32

(3) Gemessen an diesen Abwägungsgesichtspunkten entsprach die Arbeitsanweisung der Beklagten nicht billigem Ermessen gem. § 106 Satz 1 GewO. Der vom Kläger aufgezeigte Glaubenskonflikt fällt in den Schutzbereich des Art. 4 GG. Der Konflikt bestand nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ernsthaft. Der Kläger wusste weder bei dem ursprünglichen Vertragsschluss noch bei der späteren Vertragsänderung, dass er unweigerlich auftreten würde.

33

(a) Die Glaubensfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 1 GG gewährleistet dem Einzelnen einen Rechtsraum, in dem er sich die Lebensform zu geben vermag, die seiner Überzeugung entspricht(BVerfG 8. November 1969 - 1 BvR 59/56 - zu II 1 der Gründe, BVerfGE 12, 1). Zu ihr gehört nicht nur die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, sondern auch das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln (BVerfG 19. Oktober 1971 - 1 BvR 387/65 - zu B II 1 der Gründe mwN, BVerfGE 32, 98).

34

(aa) Das Grundrecht ist offen für die Entfaltung verschiedener Religionen und Bekenntnisse. Unbeachtlich ist die zahlenmäßige Stärke oder Relevanz einer bestimmten Glaubenshaltung. Unter den Schutzbereich des Art. 4 GG fallen auch Verhaltensweisen, die nicht allgemein von den Gläubigen geteilt werden(BVerfG 19. Oktober 1971 - 1 BvR 387/65 - zu B II 1 der Gründe mwN, BVerfGE 32, 98). Glaubensfreiheit ist mehr als religiöse Toleranz. Für eine zulässige Berufung auf Art. 4 GG kommt es nur darauf an, dass das Verhalten wirklich von einer religiösen Überzeugung getragen und nicht anders motiviert ist. Andernfalls würde den Gerichten eine Bewertung von Glaubenshaltungen oder die Prüfung von theologischen Lehren aufgebürdet, die sie weder leisten können noch leisten dürfen (BAG 10. Oktober 2002 - 2 AZR 472/01 - zu B II 3 c aa der Gründe, BAGE 103, 111).

35

(bb) Als Gewissensentscheidung ist jede ernste sittliche, dh. an den Kategorien „gut“ und „böse“ orientierte Entscheidung anzusehen, die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfährt, so dass er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte. Die Gewissensfreiheit überschneidet sich mit der Glaubensfreiheit insoweit, als sie auch das religiös fundierte Gewissen schützt (vgl. BVerfG 11. April 1972 - 2 BvR 75/71 - zu B II 1 der Gründe, BVerfGE 33, 23; BVerwG 25. August 1993 - 6 C 8/91 - BVerwGE 94, 82).

36

(cc) Beruft sich der Arbeitnehmer gegenüber einer nach dem Arbeitsvertrag geschuldeten Arbeitsleistung darauf, die Erfüllung der Arbeitspflicht bringe ihn aus religiösen Gründen in Gewissensnot, trifft ihn die Darlegungslast für einen konkreten und ernsthaften Glaubenskonflikt. Die nicht ernsthafte, möglicherweise nur vorgeschobene Berufung auf bestimmte Glaubensinhalte und -gebote kann keine Beachtung finden. Auch wenn Glaubensüberzeugungen keiner Nachprüfung anhand von Kriterien wie „irrig“, „beachtlich“ oder „unbeachtlich“ unterliegen, muss doch erkennbar sein, dass der Arbeitnehmer den von ihm ins Feld geführten Ge- oder Verboten seines Glaubens absolute Verbindlichkeit beimisst (zur Gewissensentscheidung vgl. BAG 24. Mai 1989 - 2 AZR 285/88 - zu B I 2 b bb der Gründe, BAGE 62, 59; siehe auch BVerwG 25. August 1993 - 6 C 8/91 - BVerwGE 94, 82 sowie die sich auf diese Entscheidung beziehende Gesetzesbegründung zu § 20 Abs. 1 Nr. 4 AGG [BR-Drucks. 329/06 S. 48]). Dazu müssen die betreffenden Verbote in Fällen der vorliegenden Art die Arbeitsverweigerung gewissermaßen „decken“. Ihre konkrete Reichweite, was die vertraglichen Pflichten betrifft, deren Erfüllung sie entgegenstehen soll, muss sich aus den Darlegungen des Arbeitnehmers unzweifelhaft ergeben. Nur so kann der Arbeitgeber erkennen, welchen Gebrauch er von seinem Direktionsrecht noch machen kann.

37

(b) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, es entspreche der ernsthaften religiösen Überzeugung des Klägers, dass er sich als gläubiger Moslem jeglicher Mitwirkung am Alkoholverkauf zu enthalten habe, lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Der Kläger hat aufgezeigt, dass er sich durch verbindliche Ge- oder Verbote seines Glaubens daran gehindert sieht, der Weisung vom 25. Februar 2008 nachzukommen, soweit sie ihn dazu verpflichtet, durch das Umräumen und Bereitstellen alkoholischer Getränke an deren Verkauf mitzuwirken. Ob dieses Verständnis der islamischen Schriften der herrschenden Glaubenslehre entspricht, mag bezweifelt werden, ist jedoch nach dem verfassungsrechtlich gebotenen, subjektiven Gewissensbegriff nicht entscheidend. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die Haltung des Klägers, sein Glaube erlaube es ihm sehr wohl, mit Produkten umzugehen, die Alkohol in „chemisch veränderter Form“ enthielten, angesichts seines ansonsten strengen Verständnisses des Alkoholverbots in sich logisch und konsequent ist. Die innere Differenzierung erscheint zumindest möglich und stellt damit die Ernstlichkeit des Glaubenskonflikts nicht in Frage. Entsprechendes gilt für den Umstand, dass der Kläger zeitweise - möglicherweise ohne ausdrückliche Beanstandung - bereit war, Regale mit alkoholischen Getränken aufzufüllen. Der Kläger hat sich darauf berufen, er habe diesen Einsatz zunehmend als gewissensbelastend empfunden und sich zwischenzeitlich dazu entschlossen, strikt nach den Vorgaben seines Glaubens zu leben. Als ein äußeres Zeichen hierfür kann seine im Jahr 2007 geäußerte Bitte gelten, ihm andere Arbeit zu übertragen, auch wenn er seinen Glaubenskonflikt seinerzeit gegenüber der Beklagten nicht ausdrücklich offenbart haben sollte.

38

(c) Der Kläger konnte zwar, nachdem er von der Beklagten im Oktober 2003 als „Ladenhilfe“ übernommen wurde, nicht ausschließen, bei seiner Tätigkeit mit Alkoholika in Berührung zu kommen. Abgesehen davon, dass er ursprünglich als Helfer in der Waschstraße eingestellt worden war und der Grund für die Vertragsänderung in den betrieblichen Verhältnissen der Beklagten lag, haben sich seine jetzigen religiösen Überzeugungen aber offenbar erst im Verlauf des Arbeitsverhältnisses mit längerem Abstand zum Zeitpunkt der vertraglichen Vereinbarung entwickelt und musste er überdies nicht zwingend damit rechnen, dass er als Ladenhilfe in den Verkauf alkoholischer Getränke eingebunden würde.

39

Die Arbeitsanweisung der Beklagten vom 25. Februar 2008 widersprach damit billigem Ermessen und war unverbindlich. Der Kläger hat mit seiner Weigerung, ihr Folge zu leisten, seine vertraglichen Pflichten nicht verletzt.

40

2. Ob die Kündigung vom 5. März 2008 iSv. § 1 Abs. 2 KSchG durch Gründe in der Person des Klägers bedingt ist, vermag der Senat nicht abschließend zu beurteilen.

41

a) Ergibt die Abwägung im Rahmen des § 106 Satz 1 GewO, dass eine Arbeitsanweisung des Arbeitgebers nicht der Billigkeit entspricht, braucht der Arbeitnehmer ihr nicht nachzukommen. Allerdings schränkt die religiös begründete Begrenzung des Weisungsrechts des Arbeitgebers den auf wirksam ausgeübter Vertragsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) beruhenden Inhalt des Arbeitsvertrags als solchen nicht ein. Der vertraglich vereinbarte Tätigkeitsumfang reduziert sich wegen des Glaubenskonflikts nicht etwa von vornherein auf den konfliktfreien Bereich. Vielmehr ist der Arbeitnehmer aus persönlichen Gründen außerstande, einen Teil der vertraglich (weiterhin) versprochenen Leistungen zu erbringen. Aufgrund dieses Umstands kann eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch einen in seiner Person liegenden Grund nach § 1 Abs. 2 KSchG gerechtfertigt sein(BAG 22. Mai 2003 - 2 AZR 426/02 - zu II 5 b dd der Gründe mwN, AP KSchG 1969 § 1 Wartezeit Nr. 18 = EzA BGB 2002 § 242 Kündigung Nr. 2).

42

b) Ist der Arbeitnehmer aufgrund eines offenbarten beachtlichen Glaubenskonflikts teilweise außerstande, seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen, berechtigt dies den Arbeitgeber gleichwohl nicht zur Kündigung, wenn er den Arbeitnehmer im Betrieb oder Unternehmen entweder innerhalb des vertraglich vereinbarten Leistungsspektrums oder aber zu geänderten Vertragsbedingungen unter Vermeidung des Konflikts sinnvoll weiterbeschäftigen kann (vgl. dazu BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 1020/08 - Rn. 15, AP KSchG 1969 § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 31 = EzA KSchG § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 25; 10. Oktober 2002 - 2 AZR 472/01 - zu B II 2 a der Gründe, BAGE 103, 111).

43

c) Ob bei der Beklagten eine solche alternative Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger bestand, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt. Festgestellt hat es lediglich, dass eine Beschäftigung des Klägers in der Drogerieabteilung und der „Nonfood“-Abteilung ausgeschlossen gewesen sei, weil ihm die dafür notwendigen Fachkenntnisse gefehlt hätten. Offen ist, ob die Beklagte den Kläger in anderen Bereichen des Warenhauses, etwa im Bereich „Backwaren“ oder „Obst und Gemüse“ hätte einsetzen können. Darauf hat sich der Kläger ausdrücklich berufen. Auch hat er seine Bereitschaft zum Ausdruck gebracht, in der Getränkeabteilung zu arbeiten, wenn er von der Verpflichtung ausgenommen werde, alkoholische Getränke zu beräumen. Aus dem Umstand, dass das Landesarbeitsgericht angenommen hat, der Beklagten sei es bis zum Ablauf der Kündigungsfrist durchaus möglich und zumutbar gewesen, den Kläger außerhalb des Getränkebereichs einzusetzen, kann nicht ohne Weiteres geschlossen werden, diese Möglichkeit habe auch noch nach Fristablauf bestanden.

44

d) Einer möglichen Wirksamkeit der Kündigung unter personenbedingten Gesichtspunkten steht nicht entgegen, dass sich die Beklagte gegenüber dem Betriebsrat nicht ausdrücklich auf solche Aspekte berufen hat. Nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Das umfasst zwar auch die Mitteilung darüber, ob eine außerordentliche oder ordentliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses angestrebt wird (Fitting 25. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 25 mwN). Nicht erforderlich ist aber, dass der Arbeitgeber die kündigungsrelevanten Tatsachen einem der Kündigungsgründe des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG zuordnet. Tut er dies dennoch, bindet ihn dies im späteren Kündigungsschutzprozess grundsätzlich nicht. Er kann sich im Rahmen des dem Betriebsrat unterbreiteten tatsächlichen Kündigungssachverhalts auch auf andere rechtliche Gesichtspunkte berufen, sofern die mitgeteilten Tatsachen diese neuen Aspekte tragen.

45

e) Ebenso wenig steht der möglichen Wirksamkeit einer personenbedingten Kündigung ein Diskriminierungsverbot entgegen. Eine unmittelbare Benachteiligung des Klägers wegen seiner Religion iSv. § 7 Abs. 1 iVm. §§ 1, 3 Abs. 1 AGG scheidet aus. Die Kündigung ist nicht deshalb erfolgt, weil der Kläger Moslem ist, sondern weil er sich außerstande sieht, bestimmte vertraglich eingegangene Verpflichtungen zu erfüllen. Auch eine mittelbare Diskriminierung liegt nicht vor. Unabhängig davon, ob mit einer solchen Kündigung eine besondere Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 2 AGG einhergehen kann, ist es jedenfalls durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und als Mittel zu dessen Erreichung angemessen und erforderlich, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit einem Arbeitnehmer beendet, der wegen seiner Glaubensüberzeugungen subjektiv nicht in der Lage ist, die vertraglich übernommenen Aufgaben zu verrichten, und anderweitig nicht eingesetzt werden kann.

46

3. Dies führt zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Die Beurteilung, ob eine den Glaubenskonflikt vermeidende Beschäftigungsalternative bestand, ist zunächst und im Wesentlichen Tatfrage. Dazu wird das Landesarbeitsgericht die nötigen Feststellungen zu treffen haben.

47

a) Dabei ist zu beachten, dass im Kündigungsschutzprozess der Arbeitgeber die Voraussetzungen des Kündigungsgrundes darlegen und ggf. beweisen muss. Das betrifft auch das Fehlen einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit iSv. § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG. Beruft sich ein Arbeitnehmer darauf, dass es ihm aus Glaubensgründen nicht möglich sei, die vertraglich geschuldete Tätigkeit auszuführen, hat er auf Nachfrage des Arbeitgebers aufzuzeigen, worin die religiösen Bedenken bestehen und welche vom Arbeitsvertrag umfassten Tätigkeiten ihm seine religiöse Überzeugung verbietet, um verbleibende Einsatzmöglichkeiten prüfen zu können. Im Streitfall gilt dies in besonderem Maße für den Umgang mit Produkten, die Alkohol enthalten und außerhalb der Getränkeabteilung vertrieben werden. Dieser materiell-rechtlichen Obliegenheit des Arbeitnehmers folgt die Darlegungslast im Prozess. Es ist Sache des sich auf einen Glaubenskonflikt berufenden Arbeitnehmers, zumindest in Grundzügen aufzuzeigen, wie er sich eine mit seinen Glaubensüberzeugungen in Einklang stehende Beschäftigung im Rahmen der vom Arbeitgeber vorgegebenen Betriebsorganisation vorstellt. Nur dann kann zuverlässig beurteilt werden, ob es dem Arbeitgeber möglich und zumutbar war, dem Arbeitnehmer andere Arbeit zu übertragen.

48

b) Auch die Frage, welche Anstrengungen dem Arbeitgeber mit Blick auf eine anderweitige Beschäftigung des von einem Glaubenskonflikt betroffenen Arbeitnehmer zumutbar sind, unterliegt der Einzelfallbeurteilung. Regelmäßig zumutbar ist dem Arbeitgeber die Zuweisung einer anderen Tätigkeit, wenn dem keine betrieblichen Gründe, zu denen sowohl wirtschaftliche als auch organisatorische Gründe zählen können, entgegenstehen. Betriebliche Gründe stehen der Übertragung einer anderen Tätigkeit in der Regel nicht entgegen, wenn ein Arbeitsplatz frei ist und Bedarf an der fraglichen Tätigkeit besteht. Kann die Zuweisung einer anderen Tätigkeit nur durch einen Aufgabentausch mit anderen Arbeitnehmern erfolgen, kann einer solchen Maßnahme die dem Arbeitgeber gegenüber allen Arbeitnehmern obliegende Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB entgegenstehen. Allgemein gilt, dass die Verpflichtung zur Berücksichtigung einer konfliktvermeidenden Beschäftigungsalternative vom Arbeitgeber nicht verlangt, die Belange des Arbeitnehmers unter Hintanstellung eigener schutzwürdiger Interessen oder der anderer Arbeitnehmer durchzusetzen (vgl. auch BAG 19. Mai 2010 - 5 AZR 162/09 - Rn. 27 ff., EzA BGB 2002 § 615 Nr. 33). Bei der Frage, welche Anstrengungen dem Arbeitgeber im Hinblick auf eine Umsetzung zuzumuten sind, kann auch die Möglichkeit, den Konflikt vorherzusehen, Berücksichtigung finden. So wird der Arbeitgeber im Fall eines vorhersehbaren Konflikts nur naheliegende, ohne erhebliche Schwierigkeiten durchsetzbare Möglichkeiten einer Umsetzung ergreifen müssen.

49

c) Als alternative Beschäftigungsmöglichkeit ist auch die vom Kläger zuletzt ausgeübte Tätigkeit in der Frischwarenabteilung in Betracht zu ziehen. Ob der Arbeitsplatz im Kündigungszeitpunkt frei war, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt. Ebenso wenig hat es geklärt, welche konkreten Belastungen mit den Erkrankungen des Klägers einhergingen. Es lässt sich deshalb nicht beurteilen, ob das betriebliche Interesse der Beklagten, den Kläger nicht mehr in diesem Bereich einzusetzen, höher zu bewerten ist als dessen Interesse an einer Weiterbeschäftigung.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

        

    Kreft    

        

        

    Hans Frey    

                 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 28. Mai 2014 - 10 Sa 770/13 - im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, wie es der Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 19. Juni 2013 - 19 Ca 13099/12 - stattgegeben hat.

2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München wird insgesamt zurückgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der Kläger wurde 1961 geboren, ist verheiratet und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Er war seit 1989 - zunächst als Systemanalytiker und zuletzt als IT-Spezialist - bei der Beklagten beschäftigt. Die vereinbarte Wochenarbeitszeit belief sich auf 35 Stunden. Sein Arbeitsverhältnis war nach § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 des Manteltarifvertrags für die Arbeitnehmer der bayerischen Metall- und Elektroindustrie (MTV) vom 23. Juni 2008 verhaltensbedingt nur noch aus wichtigem Grund kündbar.

3

Zwischen den Parteien kam es mehrfach zu Unstimmigkeiten über die dem Kläger zugeteilten Aufgaben und sein berufliches Fortkommen. Mit E-Mail vom 30. März 2009 forderte dieser die Beklagte auf, ihn vertragsgemäß zu beschäftigen und sein „Aschenputtel-Dasein“ zu beenden. Die Beklagte übe „Psychoterror“ aus. Sie versuche, ihn zu zermürben und zu demütigen, was bei ihm zu einer seelischen Erkrankung geführt habe. Gleichzeitig kündigte er an, ggf. von einem Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 BGB Gebrauch machen zu wollen. Nach mehreren Gesprächen wurde ihm für die Zeit ab Oktober 2009 einvernehmlich die Tätigkeit eines IT-Chefarchitekten und die Leitung eines Projekts übertragen.

4

Das dem Kläger anvertraute Projekt endete spätestens im September 2011. Im Mai 2011 wurde ihm die Aufgabe eines sog. Blueprint-Vorfilterers und im Februar 2012 diejenige eines „TRM-Koordinators“ jeweils mit seinem Einverständnis übertragen. Nachdem die Einarbeitung abgeschlossen war, lasteten diese Tätigkeiten ihn für drei bis vier Stunden pro Woche aus. Das ihm im Juni 2012 unterbreitete Angebot, zusätzlich im Projekt „SharePoint“ tätig zu werden, lehnte er ab.

5

Mit E-Mail vom 10. September 2012 richtete der Kläger eine Petition an die Personalleitung der Beklagten. In der beigefügten PowerPoint-Präsentation führte er aus, dass seit 1996 eine „massive Entwicklungsblockade“ gegen ihn verhängt worden sei. Trotz seiner „ständig sehr guten Ergebnisse“ und der „mustergültigen Einhaltung aller geltenden Regeln“ sei er nicht befördert worden. Dieses „unternehmensbedingte, großangelegte Mobbing“ habe bei ihm zu „totaler Frustration“ geführt. Seine Arbeitsmoral liege „brach“, die „innere Kündigung (sei) perfekt“. Die Beklagte habe ihn „krank gemacht“, für eine „neue Aufgabe oder Funktion habe (er) keine Kraft mehr“. Er sei „körperlich erschöpft, sowie seelisch und geistig ausgebrannt“. Die Beklagte habe sein „Potenzial definitiv und unwiederbringlich kaputt gemacht“. Man befinde sich in einem Dilemma wie in einer „schlechten Ehe“ und solle sich „lieber heute als morgen voneinander trennen“. Die von ihm „bevorzugte Lösung“ sei deshalb eine „bezahlte Freistellung mit garantiertem Bestandsschutz bis zum Eintritt in die gesetzliche Rente bzw. die Freizeitphase der Altersteilzeit“. In einer weiteren E-Mail vom 20. September 2012 teilte der Kläger der Beklagten mit, ihm sei es nicht mehr möglich und zumutbar, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Ab dem 1. Oktober 2012 werde er von einem Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 und Abs. 3 BGB Gebrauch machen.

6

Die Beklagte wies die Vorwürfe mit Schreiben vom 28. September 2012 zurück und ließ den Kläger wissen, dass sie es als schwerwiegende Verletzung seiner Hauptleistungspflicht betrachten und ggf. arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zu einer Kündigung ziehen werde, wenn er der Arbeit fernbleiben sollte. Zugleich lud sie ihn für den 1. Oktober 2012 zu einem Personalgespräch ein. Der Kläger erwiderte mit E-Mail vom gleichen Tag, er sei „sprachlos“ aufgrund der „inhaltslosen Aussagen“ und „billigen Drohungen“. Die Beklagte habe „die Zusammenarbeit unmöglich gemacht“ und „ihre Glaubwürdigkeit und ihre Integrität restlos und unwiederbringlich kompromittiert“.

7

Der Kläger erschien - wie angekündigt - ab dem 1. Oktober 2012 nicht mehr zur Arbeit. In der Folge entspann sich zwischen den Parteien ein nicht geringer Schrift- und E-Mail-Wechsel, in dessen Zuge die Beklagte den Kläger zweimal wegen Arbeitsverweigerung abmahnte und ihn noch weitere drei Mal vergeblich zu einem Personalgespräch einlud. Im fünften Anlauf kam für den 15. Oktober 2012 ein solches Gespräch zustande, in dem die Parteien keine Einigung erzielen konnten. Mit Schreiben vom 17. Oktober 2012 erteilte die Beklagte dem Kläger eine „letztmalige Abmahnung“. Nachdem auch diese fruchtlos geblieben war, kündigte sie dessen Arbeitsverhältnis - nach Anhörung des Betriebsrats - mit Schreiben vom 26. Oktober 2012 außerordentlich fristlos, hilfsweise außerordentlich mit Auslauffrist zum 31. Mai 2013.

8

Hiergegen hat der Kläger sich rechtzeitig mit der vorliegenden Klage gewandt. Er hat gemeint, er habe seine Arbeitspflicht nicht verletzt, weil er wirksam ein Leistungsverweigerungsrecht geltend gemacht habe. Angesichts der gegen ihn verhängten „Entwicklungsblockade“ und des fortwährenden „Mobbing“ sei es ihm unzumutbar, weiterhin seine Arbeitsleistung zu erbringen. Die Kündigung stelle sich als Maßregelung dar.

9

Der Kläger hat - soweit noch von Interesse - beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 26. Oktober 2012 noch durch die außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist vom 26. Oktober 2012 aufgelöst worden ist.

10

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, der Kläger habe seine Arbeitspflicht beharrlich verletzt. Er sei nicht berechtigt gewesen, die Leistung zu verweigern. Die von ihm - ohnehin unsubstantiiert - erhobenen Vorwürfe seien unzutreffend. Der Kläger habe sich auch nicht in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befunden. Vielmehr sei er sich des mit seinem Vorgehen verbundenen Risikos bewusst gewesen.

11

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte das Ziel, das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist zulässig und begründet.

13

A. Der Senat kann über die Revision entscheiden. Es kommt nicht darauf an, ob der Rechtsstreit deshalb nach § 244 Abs. 1 ZPO unterbrochen gewesen ist, weil der ursprüngliche Prozessbevollmächtigte des Klägers im Laufe des Revisionsverfahrens die Zulassung zur Anwaltschaft und damit gemäß § 11 Abs. 4 ArbGG die Fähigkeit verloren hat, die Vertretung seiner Partei fortzuführen(gegen eine Unterbrechung bei Bestellung eines Abwicklers BFH 10. Februar 1982 - I R 225/78 - BFHE 135, 445; für eine Unterbrechung trotz Bestellung eines Abwicklers OLG Köln 3. Juni 1993 - 12 W 19/93 - zu I der Gründe; Stein/Jonas/Roth ZPO 22. Aufl. § 244 Rn. 9). Eine mögliche Unterbrechung ist jedenfalls dadurch beendet worden, dass der Abwickler der Kanzlei des früheren Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 30. April 2015 seine Bestellung gegenüber dem Bundesarbeitsgericht angezeigt hat und die Anzeige der Beklagten zugestellt worden ist (§ 244 Abs. 1, § 250 ZPO). Bei einem amtlich bestellten Abwickler handelt es sich um einen „bestellten neuen Anwalt“ iSv. § 244 Abs. 1 ZPO(BAG 13. Mai 1997 - 3 AZR 66/96 - zu A der Gründe).

14

B. Die Revision ist zulässig. Entgegen der Ansicht des Klägers ist sie ordnungsgemäß begründet worden.

15

I. Nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO gehört zum notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung die Angabe der Revisionsgründe. Bei einer Sachrüge muss der vermeintliche Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufgezeigt werden, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Dazu muss die Revisionsbegründung eine Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils enthalten. Das erfordert die genaue Darlegung der Gesichtspunkte, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll (vgl. BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 16).

16

II. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung gerecht. Die Beklagte wendet sich gegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts, unter Abwägung der beiderseitigen Interessen sei es ihr zumutbar, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Sie legt dar, welche von ihm festgestellten Umstände es außer Acht gelassen habe und wie daraus ein anderes Ergebnis folge. Diese Sachrüge wäre im Fall ihrer Begründetheit geeignet, das Berufungsurteil - soweit es durch die Beklagte angefochten wird - zu Fall zu bringen. Das reicht als Revisionsangriff aus. Darauf, ob die Beklagte die von ihr zudem erhobenen Verfahrensrügen ausreichend begründet hat, kommt es für die Zulässigkeit der Revision deshalb nicht an.

17

C. Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage zu Unrecht stattgegeben. Sie ist unbegründet. Die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 26. Oktober 2012 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit ihrem Zugang aufgelöst. Sie ist wirksam.

18

I. Es besteht ein wichtiger Grund iSv. § 626 BGB iVm. § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 MTV.

19

1. Nach § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 MTV können die Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmern, die - wie der Kläger - das 50. Lebensjahr vollendet und dem Betrieb oder Unternehmen mindestens 15 Jahre angehört haben, verhaltensbedingt nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Mit dem Begriff des „wichtigen Grundes“ knüpft der MTV an die gesetzliche Regelung des § 626 Abs. 1 BGB an(für insoweit vergleichbare Tarifverträge BAG 28. Oktober 2010 - 2 AZR 688/09 - Rn. 31; 12. Januar 2006 - 2 AZR 242/05 - Rn. 24).

20

2. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der - ggf. fiktiven - Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 19, BAGE 149, 355; 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 19). Bei der Interessenabwägung ist die ordentliche Unkündbarkeit seines Arbeitsverhältnisses - hier: nach § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 MTV - nicht gesondert zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 48 mwN, BAGE 137, 54).

21

3. Der Kläger hat einen „an sich“ wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB herbeigeführt, indem er die von ihm geschuldete Arbeitsleistung beharrlich verweigerte.

22

a) Die beharrliche Weigerung eines Arbeitnehmers, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, ist „an sich“ geeignet, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Ein Arbeitnehmer verweigert die ihm angewiesene Arbeit beharrlich, wenn er sie bewusst und nachdrücklich nicht leisten will. Ob er zur Arbeitsleistung verpflichtet war, entscheidet sich nach der objektiven Rechtslage. Verweigert der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung in der Annahme, er handele rechtmäßig, hat grundsätzlich er selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als unzutreffend erweist (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 29, 32).

23

b) Der kündigende Arbeitgeber ist darlegungs- und beweispflichtig für alle Umstände, die einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB begründen sollen. Ihn trifft die Darlegungs- und Beweislast auch für diejenigen Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen. Allerdings hat hierzu der Arbeitnehmer seinerseits nach § 138 Abs. 2 ZPO substantiiert vorzutragen; er muss darlegen, warum sein Fehlen als „entschuldigt“ anzusehen sei. Nur die im Rahmen der insofern abgestuften Darlegungs- und Beweislast vom Arbeitnehmer behaupteten Tatsachen hat der Arbeitgeber zu widerlegen (vgl. BAG 17. Juni 2003 - 2 AZR 123/02 - zu II 2 b aa der Gründe; 21. Mai 1992 - 2 AZR 10/92 - zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 70, 262).

24

c) Der Kläger verweigerte seit dem 1. Oktober 2012 die von ihm geschuldete Arbeitsleistung. Er war grundsätzlich verpflichtet, die ihm mit seinem Einverständnis übertragenen Tätigkeiten eines „Blueprint-Vorfilterers“ und eines „TRM-Koordinators“ auszuführen.

25

d) Der Kläger war nicht berechtigt, die Arbeitsleistung zu verweigern, weil es ihm gemäß § 275 Abs. 3 BGB unzumutbar gewesen wäre, sie zu erbringen.

26

aa) Nach § 275 Abs. 3 BGB kann der Schuldner die Leistung verweigern, wenn er sie persönlich zu erbringen hat und sie ihm unter Abwägung des ihr entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers nicht zugemutet werden kann. Die Vorschrift betrifft das Spannungsverhältnis von Vertragstreue und Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung (BAG 13. August 2010 - 1 AZR 173/09 - Rn. 12, BAGE 135, 203). Sie löst es (nur) dann zugunsten des Schuldners auf, wenn für diesen die Leistungserbringung in hohem Maße belastend ist (MüKoBGB/Ernst 6. Aufl. § 275 Rn. 116), weil ein Fall besonderer Leistungserschwerung vorliegt (Alpmann in jurisPK-BGB 7. Aufl. § 275 Rn. 70). Dem Schuldner kann die Erfüllung der von ihm persönlich zu erbringenden Leistung unzumutbar sein, wenn er dadurch Gefahr läuft, in bedeutsamen Rechtsgütern verletzt zu werden (vgl. Staudinger/Caspers (2014) § 275 Rn. 112: Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit). Im Falle einer zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung des Arbeitnehmers selbst - nicht eines seiner nahen Angehörigen - ist umstritten, ob die Leistungsbefreiung automatisch gemäß § 275 Abs. 1 BGB eintritt oder der Betreffende erst von einem Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB Gebrauch machen muss(zum Streitstand siehe Alpmann in jurisPK-BGB 7. Aufl. § 275 Rn. 71; MüKoBGB/Ernst 6. Aufl. § 275 Rn. 118).

27

bb) Dem Kläger war es nicht unzumutbar, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.

28

(1) Er beruft sich nicht etwa darauf, dass er bereits arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Eine entsprechende ärztliche Bescheinigung gemäß § 5 EFZG hat er nicht vorgelegt. Es ist auch nicht ersichtlich, dass eine Arbeitsunfähigkeit zumindest zu erwarten gewesen wäre, wenn er seine Tätigkeit fortgesetzt hätte. Zwar hat der Kläger behauptet, an einer psychischen Erkrankung zu leiden. Jedoch hat er diese nur schlagwortartig umschrieben. Es fehlt an Vortrag zu den Symptomen und dazu, wie sich die Krankheit - die ihm offenbar seit Jahren bekannt ist - in der jüngeren Vergangenheit entwickelt hat, welche konkreten Auswirkungen die Situation am Arbeitsplatz hatte und warum es ihm deshalb nicht mehr zugemutet werden konnte, die Arbeitsleistung fortzusetzen.

29

(2) Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass es dem Kläger nicht aufgrund von - drohenden - Persönlichkeitsrechtsverletzungen unzumutbar gewesen sei, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen (zur eingeschränkten Überprüfbarkeit der tatrichterlichen Würdigung vgl. BAG 28. Oktober 2010 - 8 AZR 546/09 - Rn. 20; 24. April 2008 - 8 AZR 347/07 - Rn. 36).

30

(a) Nicht jedes den Arbeitnehmer belastende Verhalten des Arbeitgebers oder eines seiner Repräsentanten (§ 278 BGB) stellt einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers oder eine Verletzung vertraglicher Pflichten zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) dar. Persönlichkeitsrechte werden nicht allein dadurch verletzt, dass im Arbeitsleben übliche Konflikte auftreten, die sich durchaus über einen längeren Zeitraum erstrecken können. Sozial- und rechtsadäquates Verhalten muss aufgrund der gebotenen objektiven Betrachtungsweise - dh. ohne Rücksicht auf das subjektive Empfinden des betroffenen Arbeitnehmers - von der rechtlichen Bewertung ausgenommen werden. Mangels entsprechender Systematik und Zielrichtung werden keine Rechte des Arbeitnehmers beeinträchtigt, wenn er von verschiedenen Vorgesetzten, die nicht zusammenwirken und die zeitlich aufeinanderfolgen, in seiner Arbeitsleistung kritisiert oder schlecht beurteilt wird. Dies gilt insbesondere dann, wenn seine Arbeitsleistung nicht nur beanstandet oder ignoriert, sondern auch positiv gewürdigt wird. Ebenso müssen Verhaltensweisen von Arbeitgebern oder Vorgesetzten unberücksichtigt bleiben, die lediglich eine Reaktion auf Provokationen durch den vermeintlich „gemobbten“ Arbeitnehmer darstellen. Insoweit fehlt es an der eindeutigen Täter-Opfer-Konstellation (BAG 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - Rn. 86, BAGE 122, 304).

31

(b) Zur Begründung des Vorwurfs, er sei systematisch in seiner beruflichen Entwicklung „blockiert“ worden, beruft der Kläger sich darauf, dass ihm Zwischenzeugnisse mit unrichtigem Inhalt erteilt, ein Telearbeitsplatz verweigert, Leistungspunkte gestrichen, keine herausfordernden Aufgaben übertragen und eine Fortbildung und Beförderung verwehrt worden seien. Weitere Verhaltensweisen der Beklagten hat er nicht konkret dargetan; es ersetzt keinen substantiierten Sachvortrag, Vorschriften zu benennen, gegen die sie verstoßen haben soll.

32

(c) Mit dem Landesarbeitsgericht lassen die vom Kläger geschilderten Verhaltensweisen weder einzeln für sich noch in ihrer Gesamtschau den Schluss auf eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts zu. Zwischen den Parteien bestanden lediglich Konflikte wie sie im Arbeitsleben üblich sind. Sie ergaben sich aus unterschiedlichen Auffassungen über die Qualität der Arbeitsleistung und -ergebnisse des Klägers. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte oder einer ihrer Repräsentanten (§ 278 BGB) auch nur in einem Einzelfall die Ebene der Sachlichkeit verlassen hätte. Im Übrigen würde selbst dies nicht ausreichen, um eine Rechtsverletzung anzunehmen (vgl. BAG 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - Rn. 76, BAGE 122, 304).

33

(aa) Der Kläger mag es als erniedrigend empfunden haben, dass ehemalige Kollegen zu seinen Vorgesetzten wurden. In diesem Empfinden mag er dadurch bestärkt worden sein, dass seine Arbeitsleistung schlechter beurteilt wurde, als er es für gerechtfertigt hielt. Er hatte jedoch keinen Rechtsanspruch darauf, gleichfalls befördert zu werden (vgl. zur „Fürsorgepflicht“ des Arbeitgebers BAG 23. September 1992 - 5 AZR 526/91 - zu II 6 der Gründe). Die Beklagte hat substantiiert dargetan, dass sie ihn nicht als „Führungskraft“ sehe, weil er aus ihrer Sicht nicht über ausreichende Gestaltungsfähigkeiten bei komplexen, noch unklaren Sachverhalten und nicht über das erforderliche Team- und Kommunikationsverhalten verfüge.

34

(bb) Es ist nicht ersichtlich, dass gegen den Kläger eine „Entwicklungsblockade“ verhängt worden wäre. Ihm sind Angebote zur Fort- und Weiterbildung unterbreitet worden. Diese hat er entweder nicht angenommen oder er hat die begonnenen Schulungen - etwa das sog. Gallup-Stärkentraining - vorzeitig abgebrochen. Wenn Probleme in seinem Arbeitsumfeld aufgetreten sind, hat die Beklagte versucht, Tätigkeiten in anderen Bereichen für ihn zu finden und ihm einen „unbelasteten Neustart“ zu ermöglichen. Nach seinen eigenen Angaben ist er nicht nur kritisiert, sondern verschiedentlich für seine Arbeitsleistung und seine Arbeitsergebnisse auch gelobt worden. Zu keiner Zeit wurde ihm eine Aufgabe entzogen. Die Notwendigkeit, ihm neue Tätigkeiten zuzuweisen, ergab sich vielmehr dadurch, dass die ihm übertragenen Projekte abgeschlossen waren. Dass der Kläger mit den ihm zuletzt übertragenen Tätigkeiten eines „Blueprint-Vorfilterers“ und eines „TRM-Koordinators“ nicht ausgelastet war, lässt nicht den Schluss zu, die Beklagte habe ihn auf das „Abstellgleis“ geschoben. Ihm ist zusätzlich ein Einsatz im Projekt „SharePoint“ angeboten worden. Diesen hat er - mit der Begründung, dass er sich dafür zunächst hätte fortbilden müssen - abgelehnt. Er hat auch im Prozess keine Angaben dazu gemacht, welche möglichen Aufgaben, die den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen entsprochen und nicht eine Beförderung bedeutet hätten, die Beklagte ihm „vorenthalten“ habe.

35

(cc) Es kommt hinzu, dass die Auseinandersetzungen um den Telearbeitsplatz und die Streichung von Leistungspunkten bei Beginn der Arbeitsverweigerung bereits im Sinne des Klägers „ausgestanden“ waren. Ihm war ein Telearbeitsplatz eingerichtet worden. Sein Vorgesetzter hatte ihm lediglich nahegelegt, in seinem - des Klägers - eigenen Interesse gleichwohl ausreichend im Unternehmen „präsent“ zu sein. Die nach den bei der Beklagten üblichen Gepflogenheiten anlässlich eines Aufgabenwechsels „gehaltsneutral“ gestrichenen Leistungspunkte waren ihm auf seinen „Protest“ hin wieder gutgeschrieben worden. Das hatte für ihn eine Gehaltserhöhung zur Folge, obwohl er sich in der neuen Tätigkeit noch nicht in der dazu erforderlichen Weise „bewährt“ haben konnte.

36

e) Die Arbeitsverweigerung durch den Kläger war nicht in Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts gemäß § 273 Abs. 1 BGB gerechtfertigt.

37

aa) Nach dieser Vorschrift darf der Schuldner, der aus dem gleichen Rechtsverhältnis, auf dem seine Verpflichtung beruht, einen fälligen Anspruch gegen den Gläubiger hat - sofern sich aus dem Schuldverhältnis nichts anderes ergibt -, die geschuldete Leistung verweigern, bis die ihm gebührende Leistung bewirkt wird. Dem Arbeitnehmer kann ein Recht zustehen, die Arbeitsleistung zurückzuhalten, wenn der Arbeitgeber seine aus dem Arbeitsverhältnis folgenden Haupt- oder Nebenpflichten schuldhaft nicht erfüllt. So liegt es beispielsweise, wenn der Arbeitgeber oder einer seiner Repräsentanten (§ 278 BGB) die Gesundheit des Arbeitnehmers oder dessen Persönlichkeitsrecht in erheblicher Weise verletzt und mit weiteren Verletzungen zu rechnen ist. Die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts steht unter dem Gebot von Treu und Glauben nach § 242 BGB und unterliegt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dementsprechend muss der Arbeitnehmer unter Angabe des Grundes dem Arbeitgeber klar und eindeutig mitteilen, er werde dieses Recht mit Blick auf eine ganz bestimmte, konkrete Gegenforderung wahrnehmen. Nur so wird dem Arbeitgeber die Möglichkeit eröffnet, den möglichen Anspruch des Arbeitnehmers zu prüfen und ggf. zu erfüllen. Wenn der Arbeitnehmer berechtigterweise von einem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch macht, liegt keine Arbeitsverweigerung vor (vgl. BAG 13. März 2008 - 2 AZR 88/07 - Rn. 39 ff. mwN).

38

bb) Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger kein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB geltend gemacht. Obwohl ihm ausweislich vorheriger Mitteilungen - etwa in der E-Mail vom 30. März 2009 - der Unterschied zwischen beiden Normen bestens bekannt war, hat er die Beklagte mit E-Mail vom 20. September 2012 (lediglich) wissen lassen, dass ihm die weitere Arbeitsleistung unzumutbar sei und er ab dem 1. Oktober 2012 von seinem Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 und Abs. 3 BGB Gebrauch machen werde. Noch in der Klageschrift hat er sich ausschließlich auf § 275 BGB bezogen. Dementsprechend hat er von der Beklagten nicht etwa verlangt, bestimmte Ansprüche zu erfüllen, Maßnahmen zu ergreifen oder Zustände zu beenden. Mithilfe der Weigerung, seine Arbeitsleistung zu erbringen, wollte er weder eine vertragsgemäße Beschäftigung noch die Unterlassung von weiterem „Mobbing“ erreichen. Vielmehr hat er lediglich „vorgeschlagen“, ihn unter Fortzahlung der Vergütung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze von der Arbeitsleistung freizustellen. Darin erblickte er nicht mehr als die Festschreibung dessen, was nach § 275 Abs. 3 iVm. § 326 Abs. 2 BGB ohnehin - unveränderlich - gelte.

39

cc) Gemäß den Ausführungen zu § 275 Abs. 3 BGB bestanden im Übrigen keine Gegenansprüche, auf die der Kläger ein Recht, seine Arbeitsleistung zurückzuhalten, erfolgreich hätte stützen können. Zwar hatte er einen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung im Umfang von 35 Wochenstunden. Auch wurde dieser von der Beklagten bei weitem nicht vollständig erfüllt, weil der Kläger nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts mit den ihm zuletzt übertragenen Tätigkeiten eines „Blueprint-Vorfilterers“ und eines „TRM-Koordinators“ nur im Umfang von drei bis vier Stunden pro Woche ausgelastet war. Die „Unterbeschäftigung“ beruhte jedoch darauf, dass der Kläger die ihm ergänzend angetragene Tätigkeit im Projekt „SharePoint“ nicht hatte übernehmen wollen. Unter diesen Umständen wäre es rechtsmissbräuchlich iSv. § 242 BGB, die Arbeitsleistung mit dem Ziel zurückzuhalten, weitere Aufgaben zugewiesen zu bekommen.

40

f) Der Kläger hat seine geschuldete Arbeitsleistung bewusst und nachhaltig verweigert.

41

aa) Obgleich die Beklagte ihn mit Schreiben vom 28. September 2012 darauf hingewiesen hatte, dass sie dies als schwerwiegenden Verstoß gegen seine Hauptleistungspflicht betrachten und ggf. arbeitsrechtliche Konsequenzen ziehen werde, blieb er ab dem 1. Oktober 2012 der Arbeit fern und nahm sie trotz dreier Abmahnungen und mehrerer Aufforderungen der Beklagten bis zum Kündigungszeitpunkt - über mehr als dreieinhalb Wochen - nicht wieder auf.

42

bb) Der Kläger befand sich nicht in einem entschuldbaren Rechtsirrtum.

43

(1) Der Geltungsanspruch des Rechts bewirkt, dass der Schuldner das Risiko eines Rechtsirrtums grundsätzlich selbst trägt und es nicht dem Gläubiger überbürden kann (BAG 19. August 2015 - 5 AZR 975/13 - Rn. 31). Ein unverschuldeter Rechtsirrtum liegt nur vor, wenn der Schuldner seinen Irrtum auch unter Anwendung der zu beachtenden Sorgfalt nicht erkennen konnte. Dabei sind strenge Maßstäbe anzulegen. Es reicht nicht aus, dass er sich für seine eigene Rechtsauffassung auf eine eigene Prüfung und fachkundige Beratung stützen kann. Ein Unterliegen in einem möglichen Rechtsstreit muss zwar nicht undenkbar sein (vgl. BAG 12. November 1992 - 8 AZR 503/91 - zu I 1 der Gründe, BAGE 71, 350). Gleichwohl liegt ein entschuldbarer Rechtsirrtum nur dann vor, wenn der Schuldner damit nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht zu rechnen brauchte; ein normales Prozessrisiko entlastet ihn nicht (vgl. BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 34; BGH 6. Dezember 2006 - IV ZR 34/05 - zu II 1 a aa der Gründe; 27. September 1989 - IVa ZR 156/88 -).

44

(2) Der Kläger hat sich nicht fachkundig beraten lassen, bevor er die Arbeitsleistung verweigert hat. Nach seinem eigenen Vorbringen war er sich des Risikos, dass ein Leistungsverweigerungsrecht von den Gerichten verneint werden könnte, vollauf bewusst. Unter diesen Umständen kann von einem entschuldbaren, unvermeidbaren Rechtsirrtum keine Rede sein.

45

4. Bei der abschließenden Interessenabwägung überwiegt - entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts - das Interesse der Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dessen Fortsetzung war ihr selbst für den Lauf der - fiktiven - ordentlichen Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Schluss eines Kalendermonats (§ 8 Ziff. 2 Abs. 2 Satz 1 MTV) nicht zuzumuten.

46

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der - fiktiven - Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zuzumuten war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel - etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung - gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (vgl. BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 21; 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 47, BAGE 149, 355).

47

b) Dem Berufungsgericht kommt bei dieser Prüfung und Interessenabwägung - obwohl es sich um Rechtsanwendung handelt - ein gewisser Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz aber daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 24; 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 42). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist dann möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - aaO; 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 16).

48

c) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Beklagten sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zuzumuten gewesen, hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

49

aa) Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung ist insoweit nicht zu beanstanden, wie es zugunsten des Klägers die lange Dauer des Arbeitsverhältnisses, dessen von erheblichen Pflichtverletzungen freien Verlauf, seine Unterhaltspflichten und den Umstand berücksichtigt hat, dass die Beklagte nicht nach weiteren Möglichkeiten gesucht hat, ihn vertragsgemäß in Vollzeit zu beschäftigen. Dass der Kläger einen Einsatz im Projekt „SharePoint“ abgelehnt hatte, führte zwar dazu, dass er seine Arbeitsleistung nicht mit dem Ziel zurückhalten durfte, man möge ihm weitere Aufgaben übertragen. Dies entband die Beklagte jedoch nicht davon, „von sich aus“ andere bzw. zusätzliche Tätigkeiten für ihn zu suchen.

50

bb) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht auf der anderen Seite die Schwere der Pflichtverletzung und den Grad des ihn treffenden Verschuldens zulasten des Klägers berücksichtigt.

51

(1) Die Pflichtverletzung des Klägers war schwerwiegend. Er hat gegen seine Hauptleistungspflicht verstoßen und es der Beklagten unmöglich gemacht, mit der von ihm geschuldeten Arbeitsleistung zu planen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob und ggf. welche Arbeiten aufgrund seiner Abwesenheit nicht erledigt wurden (vgl. dazu BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 43). Ebenso wenig ist es von Belang, dass er mit den Tätigkeiten als „Blueprint-Vorfilterer“ und „TRM-Koordinator“ lediglich für drei bis vier Wochenstunden ausgelastet war. Wollte man dies anders sehen, müssten geringfügig Beschäftigte selbst dann nicht mit einer Kündigung rechnen, wenn sie die Arbeitsleistung noch so beharrlich verweigern sollten.

52

(2) Den Kläger traf ein erhebliches Verschulden. Er war sich des mit seinem Vorgehen verbundenen Risikos nach eigenem Bekunden hinlänglich bewusst. Die Möglichkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung hatte er ausdrücklich ins Kalkül gezogen.

53

cc) Das Landesarbeitsgericht durfte angesichts aller Umstände nicht annehmen, die Interessen des Klägers überwögen, weil der Beklagten eine mildere Reaktionsmöglichkeit zur Verfügung gestanden habe.

54

(1) Es hat gemeint, die Beklagte habe dem Kläger spätestens in dem Personalgespräch am 15. Oktober 2012 eine Verbesserung der von ihm als unerträglich empfundenen Arbeitssituation in Aussicht stellen und ihm so „den Weg zurück (…) ebnen“ müssen. Es könne „nicht von vornherein ausgeschlossen“ werden, „dass (er) ein solches Angebot wahrgenommen hätte“. Es sei ihm „gerade um eine angemessene Beschäftigung“ gegangen. Der Beklagten sei es deshalb zumutbar gewesen, dem Kläger zunächst „ein Entgegenkommen bei der Übernahme weiterer Aufgaben zu zeigen“.

55

(2) Die Annahme, darin habe ein milderes Mittel bestanden, das geeignet gewesen wäre, die Arbeitsverweigerung zu beenden, ist rechtsfehlerhaft. Sie steht im Widerspruch zu der Intention des Klägers, wie sie aus dessen vorangegangenen Bekundungen und - diese bestätigend - seinem Prozessvortrag deutlich geworden ist.

56

(a) Ausweislich seiner E-Mails vom 10., 20. und 28. September 2012 hielt der Kläger es für unzumutbar iSv. § 275 Abs. 3 BGB, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. In Festschreibung dessen, was gemäß § 326 Abs. 2 BGB ohnehin gelte, „bevorzuge“ er eine bezahlte Freistellung bis zum Eintritt in die Regelaltersrente. Er war danach unter keinen Umständen (mehr) bereit, den bestehenden Arbeitsvertrag zu erfüllen. Die Beklagte musste mit Blick auf diese Äußerungen annehmen, dass sie ihn nicht dazu hätte bewegen können, seine ablehnende Haltung aufzugeben, indem sie ihm die Übernahme weiterer, den Vereinbarungen der Parteien entsprechender Aufgaben anböte. Eine „angemessene Beschäftigung“ wäre vielmehr in den Augen des Klägers - so musste es sich ihr darstellen - allenfalls eine solche gewesen, die eine Beförderung in den Bereich der „AT-Angestellten“ bzw. der „Führungskräfte“ bedeutet hätte. Und selbst das musste zweifelhaft erscheinen, nachdem er mit der E-Mail vom 28. September 2012 mitgeteilt hatte, die „innere Kündigung“ sei „perfekt“, für eine „neue Aufgabe oder Funktion habe (er) keine Kraft mehr“, die Beklagte habe „die Zusammenarbeit unmöglich gemacht“ und „ihre Glaubwürdigkeit und ihre Integrität restlos und unwiederbringlich kompromittiert“.

57

(b) Dass er schlechterdings nicht (mehr) bereit war, den bestehenden Arbeitsvertrag zu erfüllen, hat der Kläger durch seinen prozessualen Vortrag untermauert. So hat er im Schriftsatz vom 28. Mai 2013 ausgeführt, es sei „offensichtlich“, dass die „Vertrauensbasis nicht wiederhergestellt“ werden könne und die Prognose für eine erfolgreiche Zusammenarbeit „negativ“ sei. In seinem Schriftsatz vom 10. Juni 2013 hat er die einzigen Wege beschrieben, die er als gangbar ansehe, um den Konflikt der Parteien zu lösen: entweder eine bezahlte Freistellung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze oder die Zahlung einer Abfindung iHv. 1.502.550,00 Euro zzgl. einer Betriebsrente iHv. 600,00 Euro pro Monate. Als „worst case“ komme auch eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses in Betracht, allerdings nur bei Gewährung einer Gehaltserhöhung, Zusage von Altersteilzeit und Androhung eines Ordnungsgelds für die Beklagte.

58

d) Gab es demnach kein milderes Mittel, um den Kläger dazu zu bewegen, künftig seinen Arbeitsvertrag zu erfüllen, überwog das Interesse der Beklagten daran, das Arbeitsverhältnis sofort zu beenden. Da der Kläger bei vollem Risikobewusstsein seine Hauptleistungspflicht nachhaltig verletzt und deren weitere Erfüllung abgelehnt hatte, ohne dass die Aussicht bestanden hätte, ihn „zur Umkehr“ bewegen zu können, hat er der Beklagten selbst die befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar gemacht. Nicht anders läge es, wenn er sie - im Sinne des von ihm beschriebenen „worst-case“-Szenarios - dazu hätte „nötigen“ wollen, ihn zu befördern, ihm Altersteilzeit zu bewilligen und ihm eine Betriebsrente in der geforderten Höhe zu zahlen.

59

5. Die Beklagte hat die Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Sie hat die Kündigung damit begründet, der Kläger weigere sich beharrlich, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Damit hat sie einen Dauertatbestand geltend gemacht, der sich fortlaufend neu verwirklichte (vgl. BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 45; 13. Mai 2004 - 2 AZR 36/04 - zu II 1 der Gründe).

60

II. Die Kündigung ist nicht deshalb nach § 134 BGB nichtig, weil sie gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB verstieße. So läge es nur, wenn tragender Beweggrund, dh. wesentliches Motiv für sie eine zulässige Rechtsausübung gewesen wäre (vgl. BAG 20. Dezember 2012 - 2 AZR 867/11 - Rn. 45; 19. April 2012 - 2 AZR 233/11 - Rn. 47). Das wiederum setzte voraus, dass das geltend gemachte Recht tatsächlich existierte (ErfK/Preis 15. Aufl. § 612a BGB Rn. 5; KR/Treber 10. Aufl. § 612a BGB Rn. 6). Dem Kläger stand aber weder ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB noch ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB zu. Er hat kein Recht in zulässiger Weise ausgeübt, sondern beharrlich die von ihm geschuldete Arbeitsleistung verweigert.

61

III. Die Kündigung ist nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß angehört worden. Hierüber besteht zwischen den Parteien kein Streit.

62

D. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Niemann    

        

        

        

    Krichel    

        

    Jan Eulen    

                 

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 12. Juni 2013 - 7 Sa 1878/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung.

2

Der Kläger ist bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin seit 1996 als Kfz-Mechaniker tätig. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer.

3

Am 27. Juli 2012 betrat der Kläger die Sozialräume der Beklagten, um sich umzuziehen. Er traf dort auf die ihm bislang unbekannte Mitarbeiterin eines externen Reinigungsunternehmens. Bei seinem Eintreffen lehnte diese - Frau M. - in der Tür zwischen Wasch- und Umkleideraum und unterhielt sich mit zwei Kollegen des Klägers, die sich im Waschraum befanden. Dorthin begab sich auch der Kläger. Nachdem die beiden Kollegen die Räumlichkeiten verlassen hatten, führten der Kläger - während er sich Hände und Gesicht wusch - und Frau M. ein Gespräch. In dessen Verlauf stellte diese sich zunächst vor das Waschbecken und anschließend neben den Kläger. Der Kläger sagte zu ihr, sie habe einen schönen Busen und berührte sie an einer Brust. Frau M. erklärte, dass sie dies nicht wünsche. Der Kläger ließ sofort von ihr ab. Er zog sich um und verließ den Sozialraum. Frau M. arbeitete weiter. Sie schilderte den Vorfall später ihrem Arbeitgeber, der seinerseits an die Beklagte herantrat.

4

Am 31. Juli 2012 bat die Beklagte den Kläger zu einem Gespräch. Er gestand den Vorfall ein und erklärte, er habe sich eine Sekunde lang vergessen. „Die Sache“ tue ihm furchtbar leid. Er schäme sich, so etwas werde sich nicht wiederholen.

5

Mit Schreiben vom 31. Juli 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich mit sofortiger Wirkung.

6

In der Folge richtete der Kläger ein Entschuldigungsschreiben an Frau M. Er führte mit ihr unter Zahlung eines Schmerzensgelds einen Täter-Opfer-Ausgleich herbei. Frau M. nahm seine Entschuldigung an und versicherte, die Angelegenheit sei damit für sie erledigt. Sie habe kein Interesse mehr an einer Strafverfolgung. Das gegen den Kläger eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

7

Der Kläger hat fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben. Er hat vorgetragen, er habe - subjektiv unstreitig - den Eindruck gehabt, Frau M. habe mit ihm geflirtet. Dann sei es zu einem plötzlichen „Blackout“ gekommen und er habe sich zu dem im Rückblick unverständlichen Übergriff hinreißen lassen. So unentschuldbar sein Fehlverhalten sei, so rechtfertige es doch keine außerordentliche Kündigung. Es habe sich um einen einmaligen „Ausrutscher“ gehandelt. Eine Abmahnung sei als Reaktion der Beklagten ausreichend gewesen.

8

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 31. Juli 2012 nicht aufgelöst worden ist.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe durch seine Bemerkung und die anschließende Berührung zwei eigenständige sexuelle Belästigungen begangen. Aufgrund der Schwere der Pflichtverletzungen sei die fristlose Kündigung gerechtfertigt. Sie - die Beklagte - sei verpflichtet, sowohl ihr eigenes als auch das weibliche Personal des externen Unternehmens vor weiteren sexuellen Belästigungen durch den Kläger zu schützen. Dessen Entschuldigungen seien lediglich unter dem Druck der ausgesprochenen Kündigung erfolgt.

10

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision ist unbegründet.

12

A. Die außerordentliche Kündigung vom 31. Juli 2012 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

13

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 10. April 2014 - 2 AZR 684/13 - Rn. 39; 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 15, BAGE 146, 203).

14

II. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht einen „an sich“ wichtigen Grund angenommen. Der Kläger hat seine arbeitsvertraglichen Pflichten in erheblicher Weise verletzt. Er hat Frau M. sexuell belästigt.

15

1. Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG stellt nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Ob die sexuelle Belästigung im Einzelfall zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist abhängig von den konkreten Umständen, ua. von ihrem Umfang und ihrer Intensität (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 16 mwN).

16

2. Der Kläger hat Frau M. sowohl verbal als auch körperlich sexuell belästigt.

17

a) Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch sexuell bestimmte körperliche Berührungen und Bemerkungen sexuellen Inhalts gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein etwa von Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Im Unterschied zu § 3 Abs. 3 AGG können auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen(BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 18 mwN).

18

b) Bei der Aussage, Frau M. habe einen schönen Busen, handelte es sich nicht um ein sozialadäquates Kompliment, sondern um eine unangemessene Bemerkung sexuellen Inhalts. Die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts tragen indes - entgegen der Ansicht der Revision - nicht die Annahme, der Kläger habe zum Ausdruck bringen wollen, Frau M. stelle in anzüglicher Weise ihre Reize zur Schau oder solle dies für ihn tun (zu einem solchen Fall vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 21). In der anschließenden Berührung lag ein sexuell bestimmter Eingriff in die körperliche Intimsphäre von Frau M. Sowohl die Bemerkung als auch die folgende Berührung waren objektiv unerwünscht. Dies war für den Kläger erkennbar (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 22). Unmaßgeblich ist, wie er selbst sein Verhalten zunächst eingeschätzt und empfunden haben mag und verstanden wissen wollte (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 24). Mit seinen erkennbar unerwünschten Handlungen hat der Kläger iSv. § 3 Abs. 4 AGG die Würde von Frau M. verletzt und sie zum Sexualobjekt erniedrigt.

19

III. Obschon der Kläger Frau M. sexuell belästigt hat, ist es der Beklagten zuzumuten, ihn weiter zu beschäftigen. Nach den Umständen des Streitfalls hätte eine Abmahnung als Reaktion von ihrer Seite ausgereicht.

20

1. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen.

21

a) Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Im Vergleich zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung kommen als mildere Mittel insbesondere eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung in Betracht. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 47; 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 15 mwN).

22

b) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist(BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 47; 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 16).

23

c) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird zudem durch § 12 Abs. 3 AGG konkretisiert. Danach hat der Arbeitgeber bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG, zu denen auch sexuelle Belästigungen iSv. § 3 Abs. 4 AGG gehören, die geeigneten, erforderlichen und angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen - wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung - zu ergreifen. Welche Maßnahmen er als verhältnismäßig ansehen darf, hängt von den konkreten Umständen ab. § 12 Abs. 3 AGG schränkt das Auswahlermessen allerdings insoweit ein, als der Arbeitgeber die Benachteiligung zu „unterbinden“ hat. Geeignet iSd. Verhältnismäßigkeit sind daher nur solche Maßnahmen, von denen der Arbeitgeber annehmen darf, dass sie die Benachteiligung für die Zukunft abstellen, dh. eine Wiederholung ausschließen (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 28 mwN).

24

d) Dem Berufungsgericht kommt bei der Prüfung und Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz lediglich daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 42 mwN).

25

2. Das Landesarbeitsgericht hat die Abwägung fehlerfrei vorgenommen. Es hat die Kündigung als unverhältnismäßig angesehen. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, den Kläger vorrangig abzumahnen. Diese Würdigung liegt innerhalb des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums. Es liegen keine Umstände vor, die zu der Annahme berechtigten, selbst nach einer Abmahnung sei von einer Wiederholungsgefahr auszugehen. Die in Rede stehende Pflichtverletzung des Klägers wiegt auch nicht so schwer, dass eine Abmahnung aus diesem Grund entbehrlich gewesen wäre.

26

a) Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass eine Abmahnung nicht deshalb verzichtbar war, weil bereits ex ante erkennbar gewesen wäre, dass eine Verhaltensänderung auch nach Abmahnung in Zukunft nicht zu erwarten stand.

27

aa) Es ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger nicht unfähig sei, sein Verhalten zu ändern. Mit dem Hinweis auf einen unerklärlichen „Blackout“ wollte er ausdrücken, dass es sich bei seiner Handlungsweise um ein ihm wesensfremdes, einmaliges „Augenblicksversagen“ gehandelt habe. Es spricht nichts dafür, dass der Kläger sich noch einmal irrtümlich einbilden könnte, „angeflirtet“ zu werden, und auf eine solche Annahme erneut in vergleichbarer Weise reagieren müsste. Ersichtlich war er imstande, seine Fehleinschätzung sofort zu erkennen und entsprechend dieser Einsicht zu handeln, nämlich augenblicklich von Frau M. abzulassen.

28

bb) Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Kläger auch nicht unwillig sei, sein Verhalten zu ändern.

29

(1) Entgegen der Ansicht der Revision hat das Landesarbeitsgericht durchaus erkannt, dass es sich um eine mehraktige sexuelle Belästigung von sich steigernder Intensität gehandelt hat. Es ist allerdings angesichts des unstreitigen Geschehensablaufs von einer natürlichen Handlungseinheit ausgegangen und hat dem Kläger zugutegehalten, dass er sich über die Unerwünschtheit seines Verhaltens geirrt und dieses nach Erkennen seiner Fehleinschätzung sofort beendet habe. Daraus hat es den Schluss gezogen, der Kläger werde in dieser Weise künftig nicht mehr vorgehen und genauer zwischen eigenen Beobachtungen und subjektiven Schlussfolgerungen unterscheiden (vgl. dazu BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 43). Dies ist ohne Einschränkung vertretbar. Der Kläger hat nicht etwa notorisch Grenzen überschritten. Sein Verhalten ist nicht zu vergleichen mit dem des Klägers in der von der Beklagten herangezogenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 9. Juni 2011 (- 2 AZR 323/10 -). Dieser war bereits einschlägig abgemahnt und hatte einer Mitarbeiterin gleichwohl über mehrere Tage in immer neuen Varianten bei unterschiedlichsten Gelegenheiten trotz von ihm erkannter ablehnender Haltung zugesetzt und damit für diese ein Arbeitsumfeld geschaffen, in dem sie jederzeit mit weiteren entwürdigenden Anzüglichkeiten rechnen musste.

30

(2) Das Landesarbeitsgericht hat sich aufgrund der gesamten Umstände des Streitfalls die Überzeugung iSv. § 286 Abs. 1 ZPO gebildet, bereits durch eine Abmahnung werde eine Wiederholung iSv. § 12 Abs. 3 AGG „ausgeschlossen“. Es hat diese Überzeugung darauf gestützt, dass es sich um den ersten Vorfall nach langjähriger, beanstandungsfreier Beschäftigung gehandelt und der Kläger in dem Gespräch am 31. Juli 2012 sein Fehlverhalten ohne Zögern eingeräumt habe, obwohl er es aufgrund der „Vier-Augen-Situation“ im Waschraum möglicherweise erfolgreich hätte abstreiten können. Aus seiner Erklärung im Personalgespräch mit der Beklagten, der Vorfall tue ihm furchtbar leid und er schäme sich dafür, hat es den Schluss gezogen, dass der Kläger über sein Verhalten ehrlich erschrocken gewesen sei. In diese Richtung wiesen auch das Entschuldigungsschreiben und die Herbeiführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs unter Zahlung eines Schmerzensgelds.

31

(3) Die Revision setzt dieser vertretbaren Würdigung nur ihre eigene Bewertung entgegen. Rechtsfehler zeigt sie nicht auf. Ein solcher liegt nicht darin, dass das Landesarbeitsgericht entschuldigendes Verhalten berücksichtigt hat, das der Kläger erst auf Vorhalt der Beklagten und unter dem Eindruck einer - drohenden - Kündigung und eines - drohenden - Strafverfahrens gezeigt hat. Zwar wirkt sich „Nachtatverhalten“ vor Zugang der Kündigung unter diesen Umständen nur schwach entlastend aus (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 39). Jedoch kann es zumindest dann die Annahme fehlender Wiederholungsgefahr stützen, wenn es sich um die Fortsetzung einer zuvor gezeigten Einsicht handelt (zur Berücksichtigung nachträglich eingetretener Umstände vgl. allgemein BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 53, BAGE 134, 349). Das Landesarbeitsgericht durfte aufgrund seines Verhaltens nach der Zurückweisung durch Frau M. davon ausgehen, dass der Kläger noch vor dem Gespräch mit der Beklagten sein Fehlverhalten und dessen Schwere erkannt und - auch ausweislich seiner späteren Bemühungen - seine „Lektion“ schon von sich aus so weit gelernt hatte, dass eine Abmahnung ihr Übriges zum Ausschluss einer Wiederholungsgefahr getan hätte.

32

b) Das Landesarbeitsgericht hat nicht ausdrücklich geprüft, ob es einer Abmahnung deshalb nicht bedurfte, weil es sich um eine solch schwere Pflichtverletzung handelte, dass selbst deren erstmalige Hinnahme der Beklagten nach objektiven Maßstäben unzumutbar war. In der Sache hat es diese Prüfung bei der abschließenden Interessenabwägung vorgenommen. Eine eigene Beurteilung durch das Revisionsgericht ist insoweit möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und - wie hier - alle relevanten Tatsachen feststehen (BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 31 mwN).

33

aa) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angeführt, dass es sich um eine einmalige Entgleisung gehandelt und der Kläger keinen Belästigungswillen gehabt habe. Er habe sich über die Unerwünschtheit seines Verhaltens geirrt (vgl. dazu BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 38).

34

bb) Entgegen der Annahme der Revision hat das Landesarbeitsgericht den Irrtum des Klägers nicht für unverschuldet erachtet oder gar Frau M. für diesen verantwortlich gemacht. Es hat weder den Gesprächsinhalt als verfänglich eingestuft, noch Frau M. die räumliche Annäherung vorgeworfen. Es ist nicht davon ausgegangen, dass sie ihrerseits die Privatsphäre des Klägers tangiert oder ein „Umschlagen“ der Situation provoziert habe. Das Landesarbeitsgericht durfte indes auch eine vermeidbare Fehleinschätzung zugunsten des Klägers berücksichtigen (vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 44; 14. Februar 1996 - 2 AZR 274/95 - zu II 4 der Gründe).

35

c) Da eine Abmahnung schon aus diesem Grunde nicht entbehrlich war, kommt es nicht mehr darauf an, dass das Landesarbeitsgericht auch die weitere Interessenabwägung angesichts des Irrtums über die Unerwünschtheit seines Verhaltens, der langen, beanstandungsfreien Beschäftigungszeit, des Einräumens der Pflichtverletzung trotz des Fehlens von Zeugen, der Entschuldigung und der Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs unter Zahlung eines Schmerzensgelds rechtsfehlerfrei zugunsten des Klägers vorgenommen hat. Das Beendigungsinteresse der Beklagten überwiegt nicht etwa aufgrund einer Drucksituation (vgl. dazu ErfK/Müller-Glöge 14. Aufl. § 626 BGB Rn. 185; ErfK/Oetker 14. Aufl. § 1 KSchG Rn. 142 ff.; Deinert RdA 2007, 275, 278). Es ist nicht ersichtlich, dass der Arbeitgeber von Frau M. als Auftragnehmer der Beklagten von dieser eine bestimmte Reaktion gegenüber dem Kläger gefordert hätte.

36

B. Eine Umdeutung (§ 140 BGB) in eine ordentliche Kündigung kommt nicht in Betracht. Eine solche wäre durch das Verhalten des Klägers nicht iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen (vgl. BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 38).

37

C. Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Niemann    

        

        

        

    Krichel    

        

    Grimberg    

                 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 8. Mai 2013 - 5 Sa 513/12 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten noch über die Wirksamkeit zweier außerordentlicher fristloser Kündigungen.

2

Der 1952 geborene Kläger war seit 1986 als angestellter Lehrer für türkischen muttersprachlichen Unterricht bei dem beklagten Land beschäftigt. Er wurde an mehreren Schulen eingesetzt. Auf sein Arbeitsverhältnis fand der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) Anwendung.

3

Am Nachmittag des 16. September 2009 erteilte der Kläger Unterricht an einer Gesamtschule. Auf Bitten der betreffenden Mädchen gestattete er die Teilnahme der damals elf Jahre alten Schülerin B, weil diese anschließend gemeinsam mit der von ihm unterrichteten Schülerin I den Heimweg antreten wollte. Da eine Internetrecherche durchgeführt wurde, fand der zweistündige Unterricht im Informatikraum statt. Die Computerarbeitsplätze, an denen die insgesamt fünf Schülerinnen Platz genommen hatten, befanden sich nebeneinander vor einer Wand. Zwei weitere Schüler - darunter der Schüler K - saßen nebeneinander an Computern vor der gegenüber liegenden Wand. Jungen und Mädchen kehrten sich die Rücken zu.

4

Das beklagte Land wirft dem Kläger vor, er sei während des Unterrichts zu der Schülerin B gegangen, habe ihr ohne Anlass über das Haar gestrichen und gesagt, dass sie ein schönes Mädchen sei. Des Weiteren soll er ihr an die Brust gefasst, über die Lippen geleckt und einen Kuss auf den Mund gegeben haben. Die Schülerin soll daraufhin weinend den Unterrichtsraum verlassen haben.

5

Am 17. September 2009 schilderte die Mutter der Schülerin dem Klassenlehrer und dem Schulleiter den Vorfall. Später an diesem Tag bekundete der Schüler K gegenüber dem Klassenlehrer, dass er die Vorkommnisse beobachtet habe.

6

Das beklagte Land gab dem Kläger mit einem den angeblichen Vorfall schildernden Schreiben vom 21. September 2009 Gelegenheit zur Stellungnahme. Unter Beifügung dieses Schreibens hörte es den Personalrat zu seiner Absicht an, das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos zu kündigen. Die Personalratssitzung fand am 23. September 2009 statt. An der Vorberatung nahm die zuständige Dezernentin teil. Der Personalrat erklärte unter dem 24. September 2009, dass er die beabsichtigte Maßnahme zur Kenntnis nehme. Die Stellungnahme des Klägers ging am 25. September 2009 ein.

7

Mit Schreiben vom 28. September 2009 kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich mit sofortiger Wirkung.

8

Der Kläger wurde mit Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 21. September 2010 wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Seine Berufung wurde durch Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 22. März 2011 verworfen, seine Revision vom Oberlandesgericht Hamm am 21. Juli 2011 zurückgewiesen.

9

Nach Anhörung des Personalrats kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 2. Februar 2012 vorsorglich erneut außerordentlich mit sofortiger Wirkung.

10

Der Kläger hat beide Kündigungen fristgerecht angegriffen. Er hat die Auffassung vertreten, die Kündigung vom 28. September 2009 sei unwirksam, weil im Kündigungszeitpunkt erhebliche Zweifel an seiner Täterschaft bestanden hätten. Er habe der betreffenden Schülerin lediglich tröstend über den Kopf gestrichen, weil er sie - wie vor dem Unterricht besprochen - nach einer Stunde nach Hause geschickt habe. Wären der Informatikraum in Augenschein genommen und die von ihm benannten Schülerinnen und Schüler vernommen worden, hätte sich ergeben, dass diese die behauptete Belästigung nicht bemerkt hätten, obwohl sie sie - wäre sie tatsächlich vorgekommen - zwingend hätten bemerken müssen. Im Übrigen stelle das ihm angelastete Verhalten bloß einen übergriffigen Berührungsversuch dar. Neben einer Abmahnung sei als milderes Mittel ein Einsatz an anderen Schulen in Betracht gekommen. Die zu einer Verdachtskündigung erfolgte Anhörung des Personalrats habe nicht vor Eingang seiner - des Klägers - Stellungnahme eingeleitet werden dürfen. Dem Personalrat seien weder seine genauen Sozialdaten noch die ordentliche Unkündbarkeit mitgeteilt worden oder bekannt gewesen. Die Kündigung vom 2. Februar 2012 sei ebenfalls unwirksam.

11

Der Kläger hat - soweit noch von Interesse - beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des beklagten Landes vom 28. September 2009 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des beklagten Landes vom 2. Februar 2012 nicht aufgelöst worden ist.

12

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat gemeint, bereits die Kündigung vom 28. September 2009 sei wirksam. Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liege vor. Der Kläger habe eine Schülerin unter Missbrauch seiner Stellung als Lehrer unsittlich berührt. Damit habe er jedes Vertrauensverhältnis irreparabel zerstört. Eine Abmahnung sei entbehrlich gewesen, weil es sich - auch für den Kläger erkennbar - um eine besonders schwere Pflichtverletzung gehandelt habe. Die Dezernentin habe vor der Personalratssitzung darauf hingewiesen, dass der Kläger aufgrund der langen Dauer des Beschäftigungsverhältnisses ordentlich unkündbar sei. Auf seine genauen Sozialdaten sei es weder ihm - dem beklagten Land - noch dem Personalrat angekommen.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, nachdem der Kläger den Vortrag des beklagten Landes zu dem Geschehen am 16. September 2009 - nur - für die erste Instanz unstreitig gestellt hatte.

14

Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Hierzu hat es die Feststellungen des Landgerichts im Wege des Urkundenbeweises verwertet, nachdem der Kläger den Vorwurf zwar wieder streitig gestellt, sich im ersten Termin zur Berufungsverhandlung aber mit einer Verwertung des Strafurteils mit der Maßgabe einverstanden erklärt hatte, „dass aktenkundig gemacht wird, dass [er] weiterhin die Aussage der [Zeugin] B in diesem Urteil, wie sie dort zugrunde gelegt worden [ist], nicht für richtig erachtet und der Auffassung ist, dass die Zeugin dort gelogen hat“. Auf der Grundlage eines anschließend verkündeten Beschlusses hat das Landesarbeitsgericht in einem zweiten Termin Beweis - einzig - durch Vernehmung des damaligen Personalratsvorsitzenden erhoben.

15

Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Feststellungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist unbegründet.

17

A. Die Klage gegen die Kündigung vom 28. September 2009 ist unbegründet. Die Kündigung hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit ihrem Zugang aufgelöst. Ein wichtiger Grund besteht (I.). Der Personalrat ist ordnungsgemäß angehört worden (II.).

18

I. Es liegt ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung vor.

19

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist (BAG 10. April 2014 - 2 AZR 684/13 - Rn. 39; 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 15, BAGE 146, 303).

20

2. Das dem Kläger vorgeworfene, vom Landesarbeitsgericht für erwiesen erachtete Verhalten stellt einen sexuellen Missbrauch eines Kindes im dienstlichen Bereich dar und ist „an sich“ als wichtiger Grund für eine außerordentliche fristlose Tatkündigung geeignet (vgl. BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 18, BAGE 143, 244; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 16).

21

3. Der Behandlung als Tatkündigung steht nicht entgegen, dass das beklagte Land eine Verdachtskündigung erklärt haben könnte. Das gälte selbst dann, wenn der Personalrat lediglich zu einer solchen angehört worden wäre (vgl. BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 ff., BAGE 131, 155).

22

4. Der Vortrag des beklagten Landes ist nicht nach § 288 Abs. 1 ZPO als unstreitig zugrunde zu legen. Der Kläger hat in erster Instanz kein Geständnis erklärt (zu den Anforderungen vgl. BVerfG 6. Februar 2001 - 1 BvR 1030/00 - zu II 2 b der Gründe; BGH 7. Juli 1994 - IX ZR 115/93 - zu I 2 a der Gründe).

23

5. Es kann dahinstehen, ob der Vortrag des Klägers im Berufungsverfahren nach Maßgabe des § 67 ArbGG als verspätet hätte zurückgewiesen werden müssen. Das Revisionsgericht könnte eine fehlerhafte Zulassung des Vorbringens nicht rückgängig machen (vgl. BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 845/11 - Rn. 37; 19. Februar 2008 - 9 AZN 1085/07 - Rn. 11).

24

6. Das Landesarbeitsgericht hat sich in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise die volle Überzeugung iSv. § 286 Abs. 1 ZPO von der Wahrheit des Kündigungsvorwurfs gebildet. Der Kläger zeigt weder hinsichtlich des Beweisverfahrens noch bezüglich der Beweiswürdigung Rechtsfehler auf. Solche sind auch sonst nicht ersichtlich.

25

a) Die Schülerinnen B und I und der Schüler K mussten nicht vernommen werden. Das Landesarbeitsgericht durfte sich seine Überzeugung anhand der Feststellungen des Landgerichts bilden, die dieses auf die Aussagen der drei „Belastungszeugen“ im Strafverfahren gestützt hat.

26

aa) Ein Zivilgericht darf sich, um sich eine eigene Überzeugung davon zu bilden, ob sich ein bestimmtes Geschehen zugetragen hat, auf ein dazu ergangenes Strafurteil stützen. Zwar sind die in einem strafrichterlichen Urteil enthaltenen Feststellungen für die zu derselben Frage erkennenden Zivilgerichte grundsätzlich nicht bindend. Sie können aber im Rahmen der freien Beweiswürdigung des Zivilrichters iSv. § 286 Abs. 1 ZPO Berücksichtigung finden. Das Strafurteil ist, wenn eine Partei sich zu Beweiszwecken darauf beruft, im Wege des Urkundenbeweises gemäß §§ 415, 417 ZPO zu verwerten(OLG Hamm 7. September 2012 - 9 W 4/12 - zu II der Gründe; OLG Zweibrücken 1. Juli 2010 - 4 U 7/10 - zu II 2 der Gründe). Entgegen der Auffassung des Klägers erschöpft sich die Möglichkeit, die Akten eines anderen Rechtsstreits als Beweisurkunde heranzuziehen, nicht in der Verwertung von schriftlichen Aussagen und Protokollen über die Aussagen von Zeugen (vgl. dazu BAG 12. Juli 2007 - 2 AZR 666/05 - Rn. 20; BGH 13. Juni 1995 - VI ZR 233/94 - zu II 2 a der Gründe).

27

(1) Mit der Verwertung von Feststellungen eines Strafurteils im Wege des Urkundenbeweises wird schon deshalb keine „Erkenntnisquelle dritten Rangs“ zur Entscheidungsgrundlage erhoben (vgl. BGH 2. März 1973 - V ZR 57/71 - zu 1 a der Gründe), weil die Strafprozessordnung ein Wortlautprotokoll grundsätzlich nicht vorsieht. Soweit in Verfahren vor dem Strafrichter oder dem Schöffengericht nach § 273 Abs. 2 StPO das wesentliche Vernehmungsergebnis zu protokollieren und damit ein knappes Inhaltsprotokoll zu fertigen ist, erstreckt sich die Beweiskraft des Protokolls gemäß § 274 StPO nicht auf den Inhalt der protokollierten Aussage. Vielmehr sind grundsätzlich die Urteilsgründe maßgeblich (vgl. Meyer-Goßner in Meyer-Goßner/Schmitt StPO 57. Aufl. § 273 Rn. 13 ff. und § 274 Rn. 10). Eine vollständige Niederschreibung von Aussagen erfolgt lediglich unter den engen Voraussetzungen des § 273 Abs. 3 StPO.

28

(2) Es kommt hinzu, dass der Zivilrichter die vom Strafgericht getroffenen Feststellungen nicht unbesehen übernehmen darf. Er hat die in der Beweisurkunde dargelegten Feststellungen einer eigenen kritischen Überprüfung zu unterziehen (BGH 2. März 1973 - V ZR 57/71 - zu 1 a der Gründe) und den Beweiswert der früheren, lediglich urkundlich in den Worten des Strafrichters belegten Aussage sorgfältig zu prüfen (BGH 13. Juni 1995 - VI ZR 233/94 - zu II 2 a der Gründe).

29

(3) Außerdem darf die Vernehmung von Zeugen nicht unter Hinweis auf die strafgerichtlichen Feststellungen abgelehnt werden (BGH 14. Februar 1967  - VI ZR 139/65 -; OLG Köln 11. Januar 1991 - 19 U 105/90 -). Eine Verwertung der früheren, im Strafurteil wiedergegebenen Aussagen im Wege des Urkundenbeweises anstelle der beantragten Anhörung ist unzulässig, wenn eine Partei zum Zwecke des unmittelbaren Beweises die Vernehmung des Zeugen verlangt (BAG 12. Juli 2007 - 2 AZR 666/05 - Rn. 20; BGH 13. Juni 1995 - VI ZR 233/94 - zu II 2 a der Gründe).

30

(4) Schließlich muss sich das Zivilgericht grundsätzlich einen persönlichen Eindruck von einem Zeugen verschaffen, wenn es auf dessen (Un-)Glaubwürdigkeit abstellen möchte. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die für die Würdigung maßgeblichen Umstände in den Akten festgehalten worden sind und die Parteien Gelegenheit hatten, sich dazu zu erklären (BGH 13. Juni 1995 - VI ZR 233/94 - zu II 2 b der Gründe).

31

bb) Diesen Anforderungen werden das Beweisverfahren und die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts gerecht. Die hiergegen erhobenen Rügen des Klägers sind, soweit zulässig, unbegründet.

32

(1) Aus den Gründen des angefochtenen Urteils ergibt sich, dass das Landesarbeitsgericht das rechtskräftige Strafurteil des Landgerichts im Wege des Urkundenbeweises (§§ 415 ff. ZPO) herangezogen und verwertet hat.

33

(2) Der Kläger hat nicht auf einer Vernehmung der drei „Belastungszeugen“ durch das Landesarbeitsgericht bestanden. Seine Erklärung im ersten Termin zur Berufungsverhandlung war dahin zu verstehen, dass er sich mit einer Verwertung des Strafurteils hinsichtlich der Aussagen aller im Strafverfahren vernommenen Zeugen einverstanden erkläre. Jedenfalls konnte ihm angesichts des auf eine Vernehmung des damaligen Personalratsvorsitzenden beschränkten Beweisbeschlusses des Landesarbeitsgerichts nicht entgangen sein, dass dieses zu dem Kündigungsvorwurf keine Zeugen zu vernehmen gedachte. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger die Vernehmung bestimmter Personen verlangt und Widerspruch oder doch Bedenken gegen die offenbar beabsichtigte umfassende Verwertung des Strafurteils geäußert hätte. Bei dieser Sachlage ist die Rüge, das Landesarbeitsgericht habe gegen Verfahrensrecht verstoßen, indem es von einer eigenen Vernehmung der fraglichen Zeugen abgesehen habe, nicht ausreichend begründet iSv. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO (vgl. BAG 12. Juli 2007 - 2 AZR 666/05 - Rn. 21).

34

(3) Aufgrund der Darlegungen des Landgerichts in seinen Urteilsgründen durfte das Landesarbeitsgericht davon ausgehen, dass dort die Ergebnisse der Hauptverhandlung richtig festgehalten worden sind. Der Kläger hat auch nicht geltend gemacht, dass das Strafurteil insoweit Fehler enthalte, als es das Geschehen in der Hauptverhandlung unzutreffend wiedergebe.

35

(4) Die Rüge des Klägers, das Landesarbeitsgericht habe die vom Landgericht getroffenen Feststellungen ungeprüft übernommen, ist nicht berechtigt. Das angefochtene Urteil enthält eine ins Einzelne gehende eigene Sachverhaltswürdigung.

36

(5) Die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand.

37

(a) Eine vom Berufungsgericht nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorgenommene Beweiswürdigung unterliegt nur einer eingeschränkten Kontrolle. Es ist lediglich zu prüfen, ob das Berufungsgericht die Voraussetzungen und Grenzen des § 286 ZPO beachtet hat. Seine Würdigung muss in sich widerspruchsfrei, ohne Verletzung von Denkgesetzen sowie allgemeinen Erfahrungssätzen erfolgt und rechtlich möglich sein (BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 1005/12 - Rn. 21; 21. Juni 2012 - 2 AZR 694/11 - Rn. 28, BAGE 142, 188).

38

(b) Dem wird die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts gerecht. Es hat in sich schlüssig und widerspruchsfrei dargelegt, warum es für erwiesen hält, dass der Kläger die Schülerin B in der ihm vorgeworfenen Weise unsittlich berührt hat. Hierzu hat es den gesamten Prozessstoff verwertet und insbesondere aufgezeigt, warum es deren Aussagen im Strafverfahren folgt.

39

(aa) Das Landesarbeitsgericht hat die dortigen Bekundungen der Schülerin sorgfältig nachvollzogen und berücksichtigt, aus welchen Gründen diese bewusst oder unbewusst eine falsche Aussage gemacht haben könnte. Es hat die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben unter Orientierung an den Kriterien für die Erstellung von Glaubhaftigkeitsgutachten (vgl. BGH 30. Juli 1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) umfassend analysiert. Rechtsfehlerfrei hat es aus ihnen den Schluss gezogen, dass die belastenden Angaben auf ein tatsächlich erlebtes Geschehen zurückgehen. Soweit es auf das Aussageverhalten der Schülerin in der Strafverhandlung abgestellt hat, sind die maßgeblichen Tatsachen in den Akten festgehalten und hatte der Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme. Seinem Einwand, die Zeugin könne dadurch zu einer Falschbelastung motiviert worden sein, dass er sie - absprachegemäß - bereits nach einer Unterrichtsstunde nach Hause geschickt habe, ist das Landesarbeitsgericht zu Recht nicht gefolgt. Es hat zutreffend darauf hingewiesen, dass eine derartige Abrede keinen Sinn gemacht hätte. Die Zeugin und ihre vom Kläger - für eine Doppelstunde - unterrichtete Freundin I wollten gerade gemeinsam den Heimweg antreten. Die Freundin habe zudem bekundet, dass die Zeugin ihr vor Verlassen des Informatikraums fast unter Tränen mitgeteilt habe, der Kläger habe sie geküsst.

40

(bb) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, dass die Bekundungen der beiden Zeuginnen durch die Äußerungen des Schülers K gegenüber dem Klassenlehrer gestützt würden. Dies durfte es auch ohne einen persönlichen Eindruck von dem Schüler tun. Dessen Glaubwürdigkeit spielte keine Rolle. Das Landesarbeitsgericht hat seine Äußerungen, die er als Zeuge in der Strafverhandlung als gelogen bezeichnet hat, für glaubhaft erachtet, weil er sie bereits spontan im Informatikraum gegenüber Mitschülern und noch am Abend des 16. September 2009 gegenüber seiner Mutter gemacht habe.

41

(cc) Schließlich hat das Landesarbeitsgericht eine „Verschwörung“ gegen den Kläger als fernliegend verworfen. Dazu hat es ohne Rechtsfehler darauf abgestellt, dass weder ein autonomes Motiv für eine Absprache der Schülerin B und des Schülers K ersichtlich sei, noch der Kläger nachvollziehbar dargetan habe, Klassenlehrer und Schulleiter hätten ihn schon vor Bekanntwerden des Kündigungsvorwurfs „loswerden“ wollen und könnten zu diesem Zwecke die beiden Schüler in der geschehenen Weise als „Werkzeuge“ eingesetzt haben.

42

b) Das Landesarbeitsgericht musste dem Antrag des Klägers auf Vernehmung weiterer Schülerinnen und Schüler nicht nachgehen.

43

aa) Ein Beweisantrag kann abgelehnt werden, wenn die zu beweisende Tatsache als wahr unterstellt und die Entscheidung in der Sache von ihrer Wahrheit oder Unwahrheit nicht berührt wird (BGH 21. November 2007 - IV ZR 129/05 - Rn. 2). Unter Beweis gestellte Indiztatsachen können als wahr unterstellt werden, wenn das Gericht deren Beweiskraft verneint (OLG Zweibrücken 1. Juli 2010 - 4 U 7/10 - zu II 3 b der Gründe). Vor der Erhebung eines Gegenbeweises muss der Tatrichter deshalb prüfen, ob die dafür angeführten Indizien - ihre Richtigkeit unterstellt - in ihrer Gesamtschau, ggf. im Zusammenhang mit dem übrigen Prozessstoff, seine Überzeugung von der Wahrheit der Haupttatsache erschüttern würden. Diese Prüfung unterliegt lediglich eingeschränkter Nachprüfung durch das Revisionsgericht (vgl. BGH 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10 - Rn. 45 f., BGHZ 193, 159).

44

bb) Das Landesarbeitsgericht hat seinen tatrichterlichen Beurteilungsspielraum nicht überschritten, wenn es sich in seiner Überzeugungsbildung nicht dadurch gehindert sah, dass weitere Personen den Vorfall nicht wahrgenommen haben. Es hat ohne Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze auf die vom Kläger selbst skizzierte Sitzverteilung der Schülerinnen und Schüler im Informatikraum (teils nebeneinander, teils sich die Rücken zuwendend) und auf den Umstand abgestellt, dass diese vor ihren Bildschirmen saßen und im Internet recherchierten. Für die von § 286 ZPO geforderte Überzeugung des Tatrichters bedarf es keiner absoluten oder unumstößlichen Sicherheit im Sinne des wissenschaftlichen Nachweises, sondern nur eines für das praktische Leben brauchbaren Grades von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen(st. Rspr., vgl. BGH 16. April 2013 - VI ZR 44/12 - Rn. 8).

45

c) Da die Sitzverteilung unstreitig war, war es auch nicht erforderlich, Augenschein (§§ 371 ff. ZPO) einzunehmen.

46

7. Das Landesarbeitsgericht hat auf der Grundlage des für erwiesen erachteten Sachverhalts rechtsfehlerfrei angenommen, dass eine Abmahnung im Streitfall entbehrlich war und die weitere Interessenabwägung zulasten des Klägers ausgeht.

47

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber alle milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Im Vergleich zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung kommen als mildere Mittel insbesondere eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung in Betracht. Einer Abmahnung bedarf es auch in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 15 f.; 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 18).

48

b) Das Landesarbeitsgericht hat ohne Verletzung seines Beurteilungsspielraums angenommen, dass es einer Abmahnung im Streitfall nicht bedurfte. Das Fehlverhalten des Klägers wiegt so schwer, dass eine Hinnahme durch das beklagte Land offensichtlich - auch für den Kläger erkennbar - ausgeschlossen war.

49

aa) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend darauf abgestellt, dass es sich um einen mehraktigen, die Strafbarkeitsschwelle des § 184g Nr. 1 StGB überschreitenden(vgl. dazu BGH 23. Juli 2013 - 1 StR 204/13 - Rn. 8) sexuellen Übergriff auf eine zumindest vorübergehend der Obhut des Klägers unterstellte Schülerin gehandelt habe. Zugleich sei ein nachhaltiger Eingriff in die sexuelle Entwicklung eines elfjährigen Kindes erfolgt. Darin liege augenscheinlich ein Verstoß gegen den Erziehungsauftrag der Schulen und gegen die Pflicht zur unbedingten Wahrung der Würde und der körperlichen und seelischen Integrität der Schüler (vgl. auch Art. 7 Abs. 1 Verf. NW; § 2 Abs. 2 SchulG NW sowie LAG Berlin-Brandenburg 20. Juli 2011 - 26 Sa 1269/10 - zu II 1 a bb (1) der Gründe; Bayr. VGH 12. März 2013 - 16a D 11.624 - zu III und IV 2 a der Gründe).

50

bb) Die Revision setzt diesen Erwägungen lediglich ihre eigene - nicht nachvollziehbare - Wertung entgegen. Es handelte sich nicht um einen „allenfalls grenzwertigen, übergriffigen Berührungsversuch“, sondern um eine vollendete Straftat gemäß § 176 StGB. Der Kläger konnte nicht annehmen, dass sein offensichtlich schweres Fehlverhalten den Bestand des Arbeitsverhältnisses nicht unmittelbar gefährde. Auf die Steuerbarkeit seines Handelns und eine Wiederholungsgefahr kommt es nicht an. Durch das von ihm an den Tag gelegte Verhalten war die für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauensgrundlage auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht wieder herstellbar.

51

c) Bei der Interessenabwägung im Übrigen überwiegt das Interesse des beklagten Landes an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dessen Fortsetzung war ihm selbst für den Lauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres (§ 34 Abs. 1 Satz 2 TV-L)nicht zuzumuten. Dies hat das Landesarbeitsgericht im Rahmen des ihm zukommenden Beurteilungsspielraums rechtsfehlerfrei angenommen.

52

aa) Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung jedenfalls bis zum Ablauf der - fiktiven - Kündigungsfrist zumutbar ist, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind allerdings regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß des durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 15; 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 22).

53

bb) Bei seiner Gesamtwürdigung hat das Landesarbeitsgericht zugunsten des Klägers dessen lange beanstandungsfreie Beschäftigungszeit, den Verlust seiner sozialen Stellung sowie den Umstand berücksichtigt, dass es ihm auf dem eingeschränkten Arbeitsmarkt für Lehrer kaum gelingen dürfte, eine neue Beschäftigung zu finden. Wenn es aufgrund der Schwere der Pflichtverletzung gleichwohl angenommen hat, das beklagte Land habe das Arbeitsverhältnis selbst bis zum Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist nicht fortsetzen müssen, lässt dies Rechtsfehler nicht erkennen.

54

(1) Das Landesarbeitsgericht hat dem Kläger zu Recht keinen ungesteuerten Handlungsimpuls zugutegehalten. Die vom Kläger in diesem Zusammenhang erhobene Verfahrensrüge gemäß § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO ist unzulässig. Der Kläger hätte seinen Vortrag auf einen Hinweis nach § 139 ZPO hin substantiieren wollen, führt aber nicht aus, aufgrund welcher besonderen Umstände das Landesarbeitsgericht einen solchen Hinweis hätte erteilen müssen. Zudem ist die Entscheidungserheblichkeit des vermissten Hinweises nicht dargetan. Nach der Revisionsbegründung bezog sich der Einwand ausschließlich auf das einzig zugestandene Berühren des Haars, nicht hingegen auf den vom Landesarbeitsgericht festgestellten mehraktigen Missbrauchsvorgang.

55

(2) Ein ausschließlicher Einsatz des Klägers an anderen Schulen scheidet als milderes Mittel aus. Abgesehen davon, dass das vom Kläger gezeigte Verhalten gegenüber anderen Schülerinnen ebenfalls möglich ist, gilt das zur Abmahnung Gesagte. Die für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauensgrundlage ist auch durch eine „Umsetzung“ nicht wieder herstellbar.

56

II. Die Kündigung vom 28. September 2009 ist nicht mangels Anhörung des Personalrats nach § 74 Abs. 3 LPVG NW unwirksam.

57

1. Gemäß § 74 Abs. 2 Satz 1 LPVG NW ist der Personalrat bei außerordentlichen Kündigungen anzuhören. Hierbei sind nach § 74 Abs. 2 Satz 2 LPVG NW die Gründe, auf die sich die beabsichtigte Kündigung stützen soll, vollständig anzugeben. Es gelten die gleichen Anforderungen wie an eine Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG(vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 46). Nach dem Grundsatz der subjektiven Determinierung ist der Personalrat ordnungsgemäß angehört, wenn ihm der Arbeitgeber die aus seiner Sicht tragenden Umstände unterbreitet hat. Nach Sinn und Zweck der Anhörung darf der Arbeitgeber dem Personalrat allerdings solche persönlichen Umstände des Arbeitnehmers nicht vorenthalten, die er - der Arbeitgeber - zwar nicht berücksichtigt hat, die sich jedoch im Rahmen der Interessenabwägung entscheidend zugunsten des Arbeitnehmers auswirken könnten (vgl. BAG 26. September 2002 - 2 AZR 424/01 - zu B II 3 a der Gründe; 21. Juni 2001 - 2 AZR 30/00 - zu B II 3 a der Gründe).

58

2. Danach war die Anhörung des Personalrats vor Ausspruch der Kündigung vom 28. September 2009 ordnungsgemäß.

59

a) Da die Kündigung als Tatkündigung zu behandeln ist, hätte das beklagte Land die Anhörung des Klägers gänzlich unerwähnt lassen können (vgl. BAG 3. März 2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 42). Dessen Stellungnahme musste weder abgewartet noch nachgereicht werden.

60

b) Soweit der Kläger nähere Angaben zur Interessenabwägung vermisst, ist dies ohne rechtlichen Belang. Die Anhörung zu der Absicht, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, impliziert die von dem beklagten Land zu seinen - des Klägers - Lasten getroffene Abwägung. Eine nähere Begründung war vor dem Hintergrund des Grundsatzes der subjektiven Determinierung nicht erforderlich. Die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers gegenüber der Arbeitnehmervertretung reicht nicht so weit wie seine Darlegungslast im Prozess (vgl. BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 27, BAGE 146, 303).

61

c) Da es dem beklagten Land aufgrund der Schwere des Kündigungsvorwurfs auf die exakten Sozialdaten ersichtlich nicht ankam, genügte es, dass der Personalrat nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts um die lange Beschäftigungsdauer des Klägers wusste („schon ewig dabei“) und deshalb auch unter diesem Aspekt die Kündigungsabsicht ausreichend beurteilen konnte (vgl. BAG 6. Oktober 2005 - 2 AZR 280/04 - zu B II 2 a der Gründe; 21. Juni 2001 - 2 AZR 30/00 - zu B II 3 a der Gründe).

62

d) Die Anhörung ist nicht deshalb fehlerhaft, weil das beklagte Land möglicherweise nicht darauf hingewiesen hat, dass das Arbeitsverhältnis nicht mehr ordentlich gekündigt werden konnte. Unabhängig von der Frage der materiell-rechtlichen Relevanz dieses Umstands (vgl. BAG 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 34 ff., BAGE 118, 104) und abgesehen davon, dass dem Personalrat ohnehin lediglich die Tatsachen zur Kenntnis gebracht werden müssen, die den Schluss auf die Unkündbarkeit ermöglichen (vgl. BAG 23. Februar 2012 - 2 AZR 773/10 - Rn. 31), ist das Unterbleiben dieses Hinweises deshalb unschädlich, weil der damalige Vorsitzende in seiner Vernehmung bekundet hat, dass „zumindest ihm persönlich“ der besondere Kündigungsschutz des langjährig beschäftigten Klägers bewusst gewesen sei. Dieses Wissen seines Vorsitzenden muss der Personalrat sich zurechnen lassen (vgl. BAG 23. Oktober 2008 - 2 AZR 163/07 - Rn. 22 für die Tatsachenkenntnis).

63

B. Der gegen die Kündigung vom 2. Februar 2012 gerichtete Klageantrag ist nicht zur Entscheidung angefallen. Es handelt sich um einen unechten Hilfsantrag.

64

C. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Niemann    

        

        

        

    Frey    

        

    Torsten Falke    

                 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 22. Februar 2011 - 3 Sa 474/09 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit dreier fristloser, hilfsweise fristgerechter Kündigungen.

2

Der Kläger war bei der Beklagten seit 2005 als Chefarzt der Abteilung Allgemein- und Viszeralchirurgie beschäftigt.

3

In § 4 Abs. 1 des Dienstvertrags vom 18. April 2005 heißt es:

        

„Dem Arzt obliegt die Führung und fachliche Leitung seiner Abteilung und die fachliche Aufsicht über die Operationsabteilung. Er ist für die medizinische Versorgung der Patienten, den geordneten Dienstbetrieb und die allgemeine Hygiene verantwortlich …“

4

Gem. § 20 Abs. 3 des Vertrags kann dieser „nach Ablauf der Probezeit … fristlos gemäß § 626 BGB aus wichtigem Grund gekündigt werden“.

5

Wenn der Kläger Operationen durchführte, nahm er den schnurlosen Handapparat seines Diensttelefons und sein privates Mobiltelefon mit in den Operationssaal und legte dort beide Geräte auf den Ablagetisch. Das private Mobiltelefon war in der internen Telefonliste des Krankenhauses verzeichnet und dort mit einer Kurzwahlnummer hinterlegt.

6

Mit Schreiben vom 26. September 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger „aus wichtigem Grunde fristlos, hilfsweise zum nächstzulässigen ordentlichen Kündigungstermin“. Sie warf dem Kläger vor, er habe im Operationssaal häufiger Telefonanrufe angenommen oder während laufender Operationen von einem Mitglied des Operationsteams annehmen lassen. Mit Schreiben vom 14. und vom 22. Oktober 2008 kündigte die Beklagte erneut fristlos, hilfsweise fristgemäß.

7

Der Kläger hat gegen die Kündigungen rechtzeitig Klage erhoben. Er hat behauptet, im Krankenhaus der Beklagten sei die Nutzung von privaten Mobiltelefonen auch im Operationssaal allgemein üblich gewesen. Fast alle Anrufe während einer Operation seien als hausinterne auf dem Diensttelefon eingegangen und die übrigen nur deshalb auf seinem privaten Mobiltelefon, weil dieses in der internen Telefonliste des Krankenhauses aufgeführt sei. Die während einer Operation geführten Telefonate hätten sich erst in den Monaten Juli bis September 2008 gehäuft, weil seine Sekretärin erkrankt gewesen sei und ihm nur zu sehr eingeschränkten Zeiten eine Ersatzkraft zur Verfügung gestanden habe. Er habe für niedergelassene Ärzte jederzeit erreichbar sein müssen. Diesen habe er neben der Telefonnummer seines Sekretariats auch die seines privaten Mobiltelefons überlassen. Zu keiner Zeit sei ein Patient von ihm unsteril berührt worden. Zu einer zeitlichen Verzögerung von Operationen sei es nicht gekommen. Bei laufender Operation habe ihm ein anderes Mitglied des Operationsteams das Telefon an das Ohr gehalten. Im Übrigen führe selbst eine Verlängerung der Operation um wenige Minuten nicht zu einer Erhöhung der Komplikationsrate.

8

Der Kläger hat - soweit für die Revision noch von Belang - beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigungen vom 26. September, 14. Oktober und 22. Oktober 2008 weder fristlos noch zum jeweils nächst zulässigen Termin aufgelöst worden ist.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, schon die Kündigung vom 26. September 2008 sei als fristlose wirksam. Sie hat behauptet, der Kläger habe in zahlreichen Fällen Operationen zum Führen privater Telefonate unterbrochen. Insbesondere in den Monaten Juli, August und September 2008 habe er täglich mindestens ein Telefonat von bis zu fünf Minuten Länge geführt. Teilweise habe er den Operationssaal für die Dauer von deutlich mehr als fünf Minuten verlassen und dabei den noch nicht operierten Patienten zurückgelassen. Jede Verlängerung der Narkose bedeute für den Patienten eine erhebliche Belastung, die mit schwerwiegenden gesundheitlichen Risiken einhergehe.

10

Die Kündigung vom 14. Oktober 2008 beruhe darauf, dass der Kläger die Patienten auch in seiner Sprechstunde wegen privater Telefonate habe warten lassen. Im Jahr 2008 hätten zudem ca. 20 bis 25 Operationsberichte gefehlt. Ferner habe der Kläger bei der Landesärztekammer eine Weiterbildungsermächtigung unter Angabe falscher Daten beantragt. Die Kündigung vom 22. Oktober 2008 habe sie ausgesprochen, weil der Kläger die vorhergehende mangels Vorlage einer Vollmachtsurkunde zurückgewiesen habe.

11

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist unbegründet.

13

A. Das Arbeitsverhältnis ist nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 26. September 2008 aufgelöst worden.

14

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 13, DB 2012, 2404; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 14, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36).

15

1. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 14, DB 2012, 2404; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 26, AP BGB § 626 Rn. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36). Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27, aaO). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27, aaO; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33). Im Vergleich zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung kommen als mildere Mittel insbesondere eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung in Betracht. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349).

16

2. Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 186/11 - Rn. 22, NJW 2013, 104; 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 35, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 37). Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist(vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 186/11 - Rn. 22, aaO; 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 35, aaO).

17

II. Danach ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, das dem Kläger vorgeworfene Verhalten rechtfertige keine außerordentliche Kündigung, im Ergebnis nicht zu beanstanden.

18

1. Der Kläger hat allerdings seine Vertragspflichten in erheblicher Weise verletzt, indem er sein privates Mobiltelefon im Operationssaal auch zu privat veranlassten Telefonaten genutzt hat. Dies gilt auch angesichts des Umstands, dass die Beklagte Telefonate im Operationssaal keineswegs gänzlich und kategorisch untersagt hatte.

19

a) Nach § 4 Abs. 1 des Dienstvertrags obliegt dem Kläger die Führung und fachliche Leitung seiner Abteilung und die fachliche Aufsicht über die Operationsabteilung. Er ist für die medizinische Versorgung der Patienten, den geordneten Dienstbetrieb und die allgemeine Hygiene verantwortlich. Sowohl im Hinblick auf seine leitende Position als auch auf die gesteigerte Verantwortung für Leben und Gesundheit der Patienten während einer Operation trifft ihn danach die Verpflichtung, bei Ausführung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit Störungen, die die Konzentration aller Mitglieder des Operationsteams beeinträchtigen könnten und nicht durch Notfälle bedingt oder aus medizinischen Gründen erforderlich sind, zu vermeiden.

20

b) Diese Vertragspflicht hat der Kläger verletzt.

21

aa) Das Landesarbeitsgericht hat nach der Vernehmung von Zeugen für wahr erachtet, dass Mitglieder des Operationsteams auf Geheiß des Klägers während laufender Operationen Anrufe auch auf seinem privaten Mobiltelefon entgegengenommen und an ihn weitergeleitet haben. Der Kläger habe auf diesem etwa zwei bis drei Telefonate pro Vormittag für eine Dauer von teils wenigen Sekunden bis zu teils zwei Minuten geführt, teilweise bei offenem Operationsfeld. Insgesamt ein- oder zweimal sei seine Ehefrau am Apparat gewesen; den Umständen sei zu entnehmen gewesen, dass diese Telefonate rein privaten Charakter gehabt hätten.

22

bb) Die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts lässt keine Rechtsfehler erkennen. Sie hat den gesamten Inhalt der Verhandlung gewürdigt, ist in sich widerspruchsfrei sowie frei von Verstößen gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze.

23

(1) Das Gericht hätte entgegen der Auffassung des Klägers nicht deshalb Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen haben müssen, weil diese über Wartezeiten vor und Telefonate während laufender Operationen berichtet haben, ohne zu erwähnen, dass dies auch bei anderen Operateuren vorgekommen sei. Die Zeugen wurden zum Verhalten des Klägers und nicht zu den Üblichkeiten im Krankenhaus befragt.

24

(2) Das Ergebnis der Beweiswürdigung widerspricht - anders als der Kläger meint - nicht deshalb der Lebenserfahrung, weil dieser gar nicht befugt gewesen sei, die Entgegennahme privater Telefonate durch Mitglieder des Operationsteams anzuordnen. Es gibt keinen Erfahrungssatz dahin, dass ein Arbeitnehmer nur Aufgaben übernimmt, zu deren Übertragung der Anweisende berechtigt ist. Es erscheint keineswegs ausgeschlossen, dass sich Mitarbeiter eines Krankenhauses Anweisungen des Chefarztes aufgrund seiner hierarchischen Stellung weitgehend beugen.

25

(3) Das Landesarbeitsgericht hat keine wesentlichen Inhalte der Zeugenaussagen unberücksichtigt gelassen.

26

(a) Zwar hat die Beweisaufnahme ergeben, dass auch andere Operateure am Operationstisch telefonierten. Nach Aussage des betreffenden Zeugen erfolgte dies jedoch auf dem dienstlichen Handapparat. Das Landesarbeitsgericht musste hieraus nicht den Schluss ziehen, das Führen privat veranlasster Telefonate während laufender Operationen sei üblich.

27

(b) Der Umstand, dass ein Zeuge nach eigener Aussage ebenfalls sein privates Mobiltelefon in den Operationssaal mitgenommen hat, vermag den Kläger nicht zu entlasten. Der Aussage sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass die Beklagte dieses Verhalten geduldet hat.

28

cc) Das Vorbringen des Klägers, er habe während der Zeit der Krankheit seiner Sekretärin dienstliche Telefonate vermehrt selbst annehmen müssen, ist ohne Belang. Das Führen privat veranlasster Telefonate während laufender Operationen wird dadurch nicht gerechtfertigt.

29

dd) Soweit der Kläger geltend macht, die Nutzung von Mobiltelefonen bei Operationen sei gang und gäbe und habe sich im Sinne der Patientenversorgung sogar als vorteilhaft erwiesen, ist nicht ersichtlich, weshalb dies - die Richtigkeit des Vorliegens unterstellt - auch für private Telefonate gelten sollte.

30

2. Gleichwohl ist es der Beklagten zuzumuten, den Kläger weiterzubeschäftigen. Angesichts der Umstände des Streitfalls hätte eine Abmahnung als Reaktion von ihrer Seite ausgereicht. Das vermag der Senat selbst zu entscheiden.

31

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu. Eine eigene Beurteilung der Fallumstände und Abwägung der Interessen durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 16, DB 2012, 2404; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 29, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36). Ein solcher Fall liegt hier vor.

32

b) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, zwar habe es einer Abmahnung des Klägers nicht bedurft, im Rahmen der abschließenden Interessenabwägung überwiege jedoch das Interesse des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses jedenfalls bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist. Dem folgt der Senat nur im Ergebnis. Die Begründung des Landesarbeitsgerichts ist rechtsfehlerhaft. Sie berücksichtigt nicht ausreichend die Umstände des Streitfalls. Angesichts ihrer ist eine Abmahnung als Reaktion der Beklagten ausreichend.

33

aa) Bei der Beklagten besteht nicht etwa ein generelles Verbot, während einer Operation zu telefonieren. Vielmehr ist zwischen den Parteien unstreitig, dass dienstliche Telefonate während laufender Operationen von der Beklagten zumindest geduldet wurden. Dementsprechend hat sie die Mitnahme des Diensttelefons in den Operationssaal und dessen Benutzung durch den Kläger nicht beanstandet. Die Beklagte hat auch nicht behauptet, sie habe Vorgaben für das Telefonieren während einer Operation dahingehend gemacht, dass dies nur in Not- oder Ausnahmefällen gestattet sei. Sie hat damit jedenfalls für Fälle dienstlich veranlasster Telefonate billigend in Kauf genommen, dass die Konzentration der Mitglieder eines Operationsteams durch Telefonate beeinträchtigt würde, auch ohne dass ein Not- oder Ausnahmefall vorläge. Der Kläger durfte zwar nicht annehmen, die Beklagte dulde in gleicher Weise auch das Führen privater Telefonate während laufender Operationen. Sein vertragswidriges Verhalten erscheint unter diesen Umständen aber in einem deutlich milderen Licht. Mit privaten Telefonaten ist keine andere Beeinträchtigung der ärztlichen Konzentration und Gefahr für die Sterilität der Umgebung verbunden als mit dienstlich veranlassten. Sie erhöhen die fraglichen Risiken nur in quantitativer, nicht in qualitativer Hinsicht. Zahlenmäßig wiederum waren die privat veranlassten Gespräche eher unbedeutend. So hat das Landesarbeitsgericht zwar für wahr erachtet, dass pro Vormittag im Operationssaal zwei bis drei Anrufe in einer Länge von teils wenigen Sekunden bis zu teils zwei Minuten auf dem privaten Mobiltelefon des Klägers zusätzlich zu denen auf dem Arzttelefon eingingen. Es steht aber nicht einmal fest, dass es sich dabei ausnahmslos - und nicht nur in den wenigen ausdrücklich erwähnten Einzelfällen - um private Anrufe handelte. Da die Rufnummer des Mobiltelefons in der internen Telefonliste des Krankenhauses verzeichnet war, kann dies auch nicht ohne Weiteres vermutet werden. Zudem ist nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts weder die seitens der Beklagten vorgetragene - längere - Dauer der Telefonate von bis zu fünf Minuten noch ihre Behauptung erwiesen, der Kläger habe Operationen wegen privat - und gerade nicht dienstlich - veranlasster Telefongespräche unterbrochen.

34

bb) Unter diesen Umständen war vor Ausspruch einer auf die erhobenen Vorwürfe gestützten Kündigung eine Abmahnung des Klägers nicht entbehrlich. Weder gibt es Anhaltspunkte für die Annahme, eine Abmahnung hätte eine Änderung im Verhalten des Klägers in der Zukunft nicht bewirken können, noch wiegt dessen Pflichtverletzung - nicht nur dienstlich veranlasste, sondern auch einige private Telefongespräche aus dem Operationssaal geführt zu haben - so schwer, dass selbst ihre einmalige Hinnahme der Beklagten objektiv unzumutbar wäre. Etwas anderes folgt - entgegen der Auffassung der Revision - auch nicht daraus, dass der Kläger nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme am 29. Mai 2008 verspätet zur Operation erschienen ist. Dies blieb ein vereinzelter Vorfall.

35

cc) Der Umstand, dass das Landesarbeitsgericht auf die mit dem Beweisbeschluss vom 2. Februar 2010 vorgesehene Einholung eines Sachverständigengutachtens zu Verhaltensanforderungen des medizinischen Personals bei Operationen, zum Einfluss des Bereithaltens von Mobiltelefonen auf medizinisch-technische Geräte und zu den Gefahren einer Insterilität des Telefons verzichtet hat, begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

36

(1) Das Landesarbeitsgericht war nicht deshalb zur Beweiserhebung verpflichtet, weil es den entsprechenden Beweisbeschluss erlassen hat. Ein förmlicher Beweisbeschluss ist eine bloß prozessleitende Anordnung. Er ist für das Gericht nicht bindend (Zöller/Greger ZPO 29. Aufl. § 359 Rn. 1; Musielak/Stadler ZPO 9. Aufl. § 360 Rn. 2). Es kann vielmehr ganz oder teilweise von der Erledigung des Beschlusses absehen. Dessen formeller Aufhebung bedarf es dazu nicht. Es genügt, dass dies - wie hier geschehen - im Urteil begründet wird (Zöller/Greger ZPO 29. Aufl. § 360 Rn. 1; Musielak/Stadler aaO).

37

(2) Die Rüge der Beklagten, das Landesarbeitsgericht habe jedenfalls aus materiellrechtlichen Gründen nicht von einer Einholung des Gutachtens absehen dürfen, ist bereits unzulässig. Sie genügt nicht den Anforderungen des § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO. Es fehlt an der Darlegung, welches Ergebnis das Gutachten voraussichtlich erbracht hätte und weshalb dieses Ergebnis zu einer anderen Entscheidung des Berufungsgerichts hätte führen können. Die Rüge ist überdies unbegründet. Auf die zunächst als erheblich angesehenen Beweisfragen kommt es für die Entscheidung nicht an. Die Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung hängt nicht davon ab, ob und ggf. welche medizinisch relevanten Risiken mit der Benutzung von (Mobil-)Telefonen im Operationssaal und während laufender Operationen objektiv verbunden sind. Die Gerichte für Arbeitssachen haben im vorliegenden Zusammenhang nicht über die Einhaltung der Regeln der ärztlichen Kunst und der Hygiene im Hause der Beklagten zu urteilen. Zu entscheiden ist darüber, ob es der Beklagten unzumutbar ist, mit dem Kläger weiterhin zusammenzuarbeiten, weil dieser nicht nur dienstlich veranlasste Telefonate aus dem Operationssaal mit Arzt- und Mobiltelefon führte - was sie wusste und duldete -, sondern auch einige Privatgespräche. Dafür sind die im ursprünglichen Beweisbeschluss formulierten Fragen ohne Bedeutung.

38

B. Die Kündigung vom 26. September 2008 hat auch als ordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Dafür kommt es nicht darauf an, ob die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung im Streitfall nicht ohnehin vertraglich ausgeschlossen war. Die Kündigung ist nicht iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Klägers bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, den Kläger weiterzubeschäftigen und auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

39

C. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist ebenso wenig durch die Kündigungen vom 14. und 22. Oktober 2008 beendet worden. Die Vorinstanzen haben angenommen, das ihrer Begründung dienende Vorbringen der Beklagten sei unsubstantiiert und stütze den Kündigungsvorwurf nicht. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Verfahrensrügen hat die Beklagte in diesem Zusammenhang nicht erhoben.

40

D. Die Kosten ihres erfolglos gebliebenen Rechtsmittels hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Beklagte zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Rinck    

        

        

        

    F. Löllgen    

        

    Bartz    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.

(2) Hat der Betriebsrat gegen eine ordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen. Äußert er sich innerhalb dieser Frist nicht, gilt seine Zustimmung zur Kündigung als erteilt. Hat der Betriebsrat gegen eine außerordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen, schriftlich mitzuteilen. Der Betriebsrat soll, soweit dies erforderlich erscheint, vor seiner Stellungnahme den betroffenen Arbeitnehmer hören. § 99 Abs. 1 Satz 3 gilt entsprechend.

(3) Der Betriebsrat kann innerhalb der Frist des Absatzes 2 Satz 1 der ordentlichen Kündigung widersprechen, wenn

1.
der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat,
2.
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 verstößt,
3.
der zu kündigende Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann,
4.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich ist oder
5.
eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Vertragsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat.

(4) Kündigt der Arbeitgeber, obwohl der Betriebsrat nach Absatz 3 der Kündigung widersprochen hat, so hat er dem Arbeitnehmer mit der Kündigung eine Abschrift der Stellungnahme des Betriebsrats zuzuleiten.

(5) Hat der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen, und hat der Arbeitnehmer nach dem Kündigungsschutzgesetz Klage auf Feststellung erhoben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, so muss der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers diesen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen. Auf Antrag des Arbeitgebers kann das Gericht ihn durch einstweilige Verfügung von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung nach Satz 1 entbinden, wenn

1.
die Klage des Arbeitnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint oder
2.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen würde oder
3.
der Widerspruch des Betriebsrats offensichtlich unbegründet war.

(6) Arbeitgeber und Betriebsrat können vereinbaren, dass Kündigungen der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen und dass bei Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung der Nichterteilung der Zustimmung die Einigungsstelle entscheidet.

(7) Die Vorschriften über die Beteiligung des Betriebsrats nach dem Kündigungsschutzgesetz bleiben unberührt.

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 25. März 2011 - 18 Sa 77/10 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung.

2

Die Beklagte ist ein Unternehmen der Automobilzulieferer-Industrie. Die Klägerin war seit 1978 in ihrem Betrieb in A als Sekretärin beschäftigt.

3

Am 10. Juli 2009 schloss die Beklagte mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich. Danach sollten wegen der Teilstilllegung und Verlagerung einzelner Bereiche von insgesamt 1.820 Arbeitsplätzen 70 im gewerblichen, 30 im Angestelltenbereich sowie im Bereich Engineering weitere 28 Arbeitsplätze entfallen. Die gewerblichen Arbeitsplätze sollten sogleich abgebaut werden. Hierfür wurde eine von Arbeitgeber und Betriebsrat unterschriebene Liste mit den Namen von 70 zu kündigenden Arbeitnehmern mit dem Interessenausgleich fest verbunden. Nach Ziffern 2 und 4 des Interessenausgleichs sollte die Kündigung der übrigen Arbeitnehmer im dritten Quartal 2009 erfolgen. Die insoweit einschlägige Namensliste, auf der sich auch der Name der Klägerin befindet, wurde mit Datum vom 20. August 2009 erstellt und von Arbeitgeber und Betriebsrat unterschrieben.

4

Ziffer 3 des Interessenausgleichs lautet:

        

„Arbeitgeber und Betriebsrat haben sich bei der Sozialauswahl, bei der sie die gesetzlichen Kriterien gem. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG zugrunde gelegt haben auf ein Punkteschema und auf die Bildung von Altersgruppen zur Aufrechterhaltung einer ausgewogenen Personalstruktur geeinigt.

        
        

Altersgruppen

        
                 

bis 35 Jahre

        
                 

36 bis 45 Jahre

        
                 

46 bis 62 Jahre

        
        

…       

        
        

Die Sozialauswahl der zu kündigenden Beschäftigten erfolgt nach folgendem Punkteschema:

        
        

Lebensalter:

für jedes vollendete Lebensaltersjahr je

1 Punkt

        

Betriebszugehörigkeit:

für jedes volle Jahr der Betriebszugehörigkeit bis 10 Jahre

1 Punkt

                 

ab dem 11. Jahr

2 Punkte

        

Unterhaltspflicht:

Ehegatte

4 Punkte

                 

und pro Kind lt. Steuerkarte

4 Punkte

        

Schwerbehinderung:

ab einem Grad der Behinderung von mind. 50 % und Gleichgestellte, § 2 Abs. 3 SGB IX i.V.m. § 68 Abs. 2 SGB IX

4 Punkte

                 

je weitere 10 % Grad der Behinderung über 50 %

1 Punkt

5

Die Klägerin wurde der Gruppe der „Sekretärinnen in der Entwicklung“ zugeordnet. Zu dieser Vergleichsgruppe gehörten folgende Mitarbeiterinnen:

        

Name, Vorname

Gebdat.

Eintrittsdatum

GB    

Kinder

Steuerklasse (D)

Sonst. Unter-haltspflichten

Punktzahl 2

Altersklasse

Bemerkungen

        

K       

… 1983

31.08.2005

0       

0       

…       

0       

29    

AK (0-35)

§ 1 Abs. 3 S. 2 KSchG

        

W       

… 1982

30.08.2001

0       

0       

…       

0       

35    

AK (0-35)

Elternzeit

        

G       

… 1976

09.08.1993

0       

0       

…       

0       

54    

AK (0-35)

Elternzeit

        

Ko    

… 1965

01.01.1988

0       

0       

…       

0       

76    

AK (36-45)

        
        

Kl    

… 1965

09.04.1985

0       

2       

…       

0       

90    

AK (36-45)

        
        

S       

… 1957

01.10.1978

0       

0       

…       

0       

102     

AK (46-52)

        
        

Gr    

… 1956

26.01.1976

50    

0       

…       

0       

112     

AK (46-52)

        
6

Nach der unternehmerischen Planung sollten in dieser Gruppe zwei Vollzeitstellen abgebaut werden. Die Arbeitnehmerinnen W und G befanden sich in Elternzeit und wurden deshalb aus der Gruppe der zu kündigenden Arbeitnehmer ausgenommen. Ferner nahm die Beklagte Frau K aufgrund ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten aus der Sozialauswahl heraus. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts bedurfte es zur Kommunikation mit der spanischen Vorgesetzten verhandlungssicherer Englischkenntnisse, über welche diese Mitarbeiterin verfügte.

7

Mit Schreiben vom 27. August 2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin nach Anhörung des Betriebsrats ordentlich zum 31. März 2010.

8

Mit ihrer rechtzeitig erhobenen Klage hat sich die Klägerin gegen die Kündigung gewandt. Sie hat geltend gemacht, die Betriebsratsanhörung sei nicht ordnungsgemäß erfolgt. Auch sei der Beschäftigungsbedarf nicht entfallen. Zudem sei die Sozialauswahl nicht korrekt durchgeführt worden. Die Beklagte beschäftige auch in Bereichen außerhalb der Entwicklung Sekretärinnen, die in ihre Vergleichsgruppe hätten einbezogen werden müssen. Die Altersgruppenbildung sei mit Unionsrecht nicht vereinbar. Sie sei zudem grob fehlerhaft, da die Beklagte gleich große Alterskorridore hätte bilden müssen und die Arbeitnehmerin K aus der Sozialauswahl nicht hätte herausnehmen dürfen. Sie selbst sei im Vergleich mit dieser als deutlich schutzwürdiger anzusehen.

9

Die Klägerin hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 27. August 2009 zum 31. März 2010 nicht beendet wird.

10

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat sich auf die Vermutungswirkung der Namensliste berufen. Die Betriebsparteien seien bei Abschluss des Interessenausgleichs vom Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses für zwei Sekretärinnen im Bereich „Entwicklung“ ausgegangen. Die Sozialauswahl sei ordnungsgemäß erfolgt. Die Sekretärinnen außerhalb des Bereichs „Entwicklung“ seien mit der Klägerin nicht vergleichbar. Sie seien sämtlich in eine andere Vergütungsgruppe eingestuft und müssten entsprechend ihrer Tätigkeit verhandlungssicheres Englisch beherrschen. Die Altersgruppenbildung sei zulässig. Ohne sie hätte sich die Altersstruktur im Betrieb deutlich verschlechtert. Das hätte die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens, die Vorbereitung des „Generationenwechsels“, den Wissens- und Qualitätstransfer und die Beibehaltung der sozialen Strukturen gefährdet. Die Bänder der Altersgruppen orientierten sich an den Erfolgsaussichten der betroffenen Mitarbeiter auf dem Arbeitsmarkt.

11

Die Sozialauswahl habe sie im Verhältnis der Anzahl der Beschäftigten der jeweiligen Altersgruppen zur Gesamtzahl der einzubeziehenden Beschäftigten der Vergleichsgruppe vorgenommen. Altersgruppe 1 habe einen Anteil von etwa 43 vH, die Altersgruppen 2 und 3 von jeweils etwa 28,5 vH gehabt. Die beiden zu kündigenden Arbeitnehmerinnen seien grundsätzlich die eine der Gruppe 1, die andere der Gruppe 2 zu entnehmen gewesen. Da in Gruppe 1 aufgrund der besonderen Umstände keine zu kündigende Arbeitnehmerin verblieben sei, sei aus den Gruppen 2 und 3 die jeweils weniger schutzwürdige Arbeitnehmerin und damit auch die Klägerin betroffen gewesen.

12

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision der Klägerin ist begründet. Das angegriffene Urteil war aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen durfte das Landesarbeitsgericht die Kündigung nicht als wirksam ansehen. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden. Der relevante Sachverhalt ist noch nicht hinreichend festgestellt (§ 563 Abs. 3 ZPO) und die Sache ist auch nicht aus anderen Gründen entscheidungsreif.

14

I. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass das Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse im Streitfall gem. § 1 Abs. 5 KSchG vermutet wird und die soziale Rechtfertigung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden kann. Die Kündigung ist aufgrund einer Betriebsänderung erfolgt und die Klägerin ist in einem zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat vereinbarten Interessenausgleich namentlich bezeichnet.

15

1. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG sind erfüllt.

16

a) Die Kündigung ist aufgrund einer Betriebsänderung erfolgt.

17

aa) Nach § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG gelten als Betriebsänderung iSd. § 111 Satz 1 BetrVG die Einschränkung und Stilllegung des ganzen Betriebs oder wesentlicher Betriebsteile. Auch ein bloßer Personalabbau ohne Verringerung der sächlichen Betriebsmittel kann eine Betriebseinschränkung sein, wenn eine größere Anzahl von Arbeitnehmern betroffen ist. Richtschnur dafür, wann erhebliche Teile der Belegschaft betroffen sind, sind die Zahlen und Prozentangaben in § 17 Abs. 1 KSchG. Für Großbetriebe wird diese Staffel eingeschränkt. Dort ist eine Betriebseinschränkung iSd. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG erst bei einem Personalabbau von 5 vH der Gesamtbelegschaft gegeben(BAG 22. Januar 2004 - 2 AZR 111/02 - zu C III 1 a der Gründe, AP BetrVG 1972 § 112 Namensliste Nr. 1 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 11; 7. August 1990 - 1 AZR 445/89 - AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 34 = EzA BetrVG 1972 § 111 Nr. 27). Maßgebend ist die Gesamtzahl der Arbeitnehmer, die voraussichtlich betroffen sein wird. Dies gilt auch, wenn die Personalabbaumaßnahme in mehreren „Wellen“ erfolgt. Liegt zwischen diesen ein Zeitraum von nur wenigen Wochen oder Monaten, ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass die Entlassungen auf einer einheitlichen unternehmerischen Planung beruhen (BAG 28. März 2006 - 1 ABR 5/05 - zu B II 1 a bb der Gründe, BAGE 117, 296; 22. Januar 2004 - 2 AZR 111/02 - aaO).

18

bb) Danach ist im Streitfall die Gesamtzahl von 128 Kündigungen maßgebend. Der Interessenausgleich vom 10. Juli 2009 sah von Beginn an zwei Phasen des Personalabbaus vor, so dass eine einheitliche unternehmerische Planung vorliegt. Die Zahl von 128 entspricht bei im Betrieb insgesamt beschäftigter 1.820 Arbeitnehmer einem Anteil von etwa 7 vH der Belegschaft. Der Personalabbau, auf dem die Kündigung beruht, erfüllt damit die Voraussetzungen einer Betriebsänderung iSv. § 111 Satz 1 BetrVG, ohne dass es noch auf zusätzlich beschlossene Einzelmaßnahmen ankäme.

19

b) Die Klägerin ist in der dem Interessenausgleich beigefügten Liste der zu kündigenden Arbeitnehmer vom 20. August 2009 namentlich genannt. Die Liste genügt dem Schriftformerfordernis der §§ 125, 126 BGB.

20

aa) Die Wirkungen des § 1 Abs. 5 Satz 1 und Satz 2 KSchG treten nicht nur ein, wenn die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, unmittelbar im Text des Interessenausgleichs zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet sind, sondern auch, wenn Interessenausgleich und Namensliste zwar zwei textlich separate Schriftstücke, aber gleichwohl eine einheitliche Urkunde bilden, die insgesamt dem Schriftformerfordernis der §§ 125, 126 BGB genügt(vgl. BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 551/08 - Rn. 17, AP KSchG 1969 § 1 Namensliste Nr. 20 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 21; 6. Juli 2006 - 2 AZR 520/05 - AP KSchG 1969 § 1 Nr. 80 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 68). Wird die Namensliste getrennt von dem Interessenausgleich erstellt, reicht es dafür aus, dass im Interessenausgleich auf die zu erstellende Namensliste verwiesen wird, die erstellte Namensliste - ebenso wie zuvor der Interessenausgleich - von den Betriebsparteien unterschrieben worden ist und die Liste ihrerseits eindeutig auf den Interessenausgleich Bezug nimmt (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 551/08 - aaO). Ferner wahrt sogar eine nicht unterschriebene Namensliste als Anlage die Schriftform, wenn die Unterschrift unter dem Interessenausgleich sie als dessen Teil noch deckt. Das ist der Fall, wenn der Interessenausgleich selbst unterschrieben ist, in ihm auf die Anlage ausdrücklich Bezug genommen wird und Interessenausgleich und Anlage schon bei dessen Unterzeichnung mit einer Heftmaschine körperlich derart miteinander verbunden waren, dass eine Lösung nur durch Gewaltanwendung (Lösen der Heftklammer) möglich war (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 551/08 - aaO; 6. Juli 2006 - 2 AZR 520/05 - Rn. 33, 37, aaO; 6. Dezember 2001 - 2 AZR 422/00 - EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 9). Es ist nicht erforderlich, dass Interessenausgleich und Namensliste zeitgleich unterzeichnet werden. Der Interessenausgleich kann, um die Wirkungen des § 1 Abs. 5 KSchG auszulösen, vielmehr noch nach seinem Abschluss zeitnah um eine Namensliste ergänzt werden(BAG 26. März 2009 - 2 AZR 296/07 - Rn. 24, BAGE 130, 182; 22. Januar 2004 - 2 AZR 111/02 - AP BetrVG 1972 § 112 Namensliste Nr. 1 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 11).

21

bb) Diesen Anforderungen werden Interessenausgleich und Namensliste im Streitfall gerecht. Der Interessenausgleich vom 10. Juli 2009 enthält in Ziffern 2 und 4 einen Verweis auf eine noch zu vereinbarende und zu unterzeichnende Namensliste. Die von den Betriebsparteien gesondert erstellte und am 20. August 2009 unterzeichnete (zweite) Namensliste ist mit „Namensliste Interessenausgleich Phase 2“ gekennzeichnet. Das genügt im Streitfall den Anforderungen an einen Rückbezug. Durch diese Kennzeichnung ist unmissverständlich auf den Interessenausgleich vom 10. Juli 2009 mit seinen zwei Entlassungswellen Bezug genommen worden. Die Ergänzung des Interessenausgleichs um eine weitere Namensliste etwa sechs Wochen nach Unterzeichnung des Interessenausgleichs ist noch als zeitnah anzusehen (vgl. BAG 26. März 2009 - 2 AZR 296/07 - Rn. 23, BAGE 130, 182).

22

c) Dem Eintritt der Vermutungswirkung steht nicht entgegen, dass die Namen der insgesamt zu kündigenden Arbeitnehmer nicht auf einer einzigen, einheitlichen Liste aufgeführt waren. Jedenfalls dann, wenn die Betriebsänderung in mehreren „Wellen“ erfolgt und die Betriebsparteien für jeden Abschnitt eine abschließende Einigung über sämtliche in diesem zu kündigenden Arbeitnehmer herbeigeführt haben, stellen auch „Teilnamenslisten“ eine ausreichende Basis für die Wirkungen des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG dar(BAG 22. Januar 2004 - 2 AZR 111/02 - zu C III 5 der Gründe, AP BetrVG 1972 § 112 Namensliste Nr. 1 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 11).

23

2. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht ausgeführt, dass es der Klägerin nicht gelungen sei, die Vermutung für den Wegfall der zwei Arbeitsplätze im Sekretariatsbereich zu widerlegen. Hiergegen wendet sich die Revision nicht.

24

II. Nach den bisherigen Feststellungen ist nicht auszuschließen, dass die Auswahl der Klägerin sozial grob fehlerhaft ist. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, die Sozialauswahl sei unter Berücksichtigung der von den Betriebsparteien vereinbarten Altersgruppen vorzunehmen gewesen. Es hat die an die Zulässigkeit einer Altersgruppenbildung nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG zu stellenden Anforderungen verkannt.

25

1. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist eine Altersgruppenbildung nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG nicht bereits deshalb unzulässig, weil dabei das Lebensalter als Auswahlkriterium berücksichtigt wird. Dies ist unabhängig von einer Altersgruppenbildung durch § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG vorgegeben. Die in § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG eröffnete Möglichkeit, die Auswahl zum Zweck der Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur innerhalb von Altersgruppen vorzunehmen, verstößt auch nicht gegen das unionsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung und dessen Ausgestaltung durch die Richtlinie 2000/78/EG vom 27. November 2000 (BAG 28. Juni 2012 - 6 AZR 682/10 - Rn. 28 ff.; 15. Dezember 2011 - 2 AZR 42/10 - EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 84).

26

2. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG gestattet in Abweichung von § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG die Vornahme der Sozialauswahl im Rahmen von Altersgruppen, wenn dies zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebs im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Das setzt voraus, dass die im konkreten Fall vorgenommene Altersgruppenbildung zur Sicherung der bestehenden Personalstruktur tatsächlich geeignet ist (BAG 22. März 2012 - 2 AZR 167/11 - Rn. 29; 15. Dezember 2011 - 2 AZR 42/10 - EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 84). Daran fehlt es im Streitfall.

27

a) Ob die Beklagte im Hinblick auf das berechtigte betriebliche Interesse ihrer Darlegungslast genügt hat, ist nicht unzweifelhaft, kann aber dahinstehen.

28

aa) Der Arbeitgeber muss, wenn er sich auf § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG berufen will, zu den Auswirkungen und möglichen Nachteilen von Kündigungen gem. § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG auf die Altersstruktur der Belegschaft und damit verbundenen möglichen Nachteilen für den Betrieb konkret vortragen(BAG 15. Dezember 2011 - 2 AZR 42/10 - Rn. 65, EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 84; 18. März 2010 - 2 AZR 468/08 - Rn. 23, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 184 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 83). Jedenfalls dann, wenn die Anzahl der Entlassungen innerhalb einer Gruppe vergleichbarer Arbeitnehmer im Verhältnis zur Anzahl aller Arbeitnehmer des Betriebs die Schwellenwerte des § 17 KSchG erreicht, kommen ihm dabei Erleichterungen zugute; in diesem Fall ist ein berechtigtes betriebliches Interesse an der Beibehaltung der Altersstruktur - widerlegbar - indiziert (BAG 15. Dezember 2011 - 2 AZR 42/10 - aaO; 6. November 2008 - 2 AZR 523/07 - Rn. 54, BAGE 128, 238).

29

bb) Im Streitfall ist der Schwellenwert gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KSchG bezogen auf die insgesamt zu entlassenden Arbeitnehmer zwar überschritten. Die Gesamtbelegschaft von 1.820 Mitarbeitern wurde um 128 Mitarbeiter reduziert. Bezogen auf die Anzahl von zwei Arbeitnehmern, die in der Vergleichsgruppe der Klägerin zu entlassen waren, war der Schwellenwert des § 17 KSchG mit Blick auf die Anzahl aller Arbeitnehmer im Betrieb hingegen bei weitem nicht erreicht. Ob die Erleichterung bei der Darlegung des berechtigten betrieblichen Interesses auch in einem solchen Fall gerechtfertigt ist, ist vom Bundesarbeitsgericht bislang nicht entschieden worden (offengelassen in BAG 22. März 2012 - 2 AZR 167/11 -). Sie kann auch im Streitfall dahinstehen.

30

b) Die Altersgruppenbildung war hier zur Erhaltung der Altersstruktur in jedem Fall ungeeignet. Eine Abweichung von den Grundsätzen des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG war deshalb nicht gerechtfertigt.

31

aa) Eine Altersgruppenbildung ist zur Erhaltung der Altersstruktur der Belegschaft nur geeignet, wenn sie dazu führt, dass die bestehende Struktur bewahrt bleibt. Dafür muss die bisherige Verteilung der Beschäftigten auf die Altersgruppen ihre prozentuale Entsprechung in der Anzahl der in der jeweiligen Altersgruppe zu Kündigenden finden. Dadurch wird die Erhaltung der bisherigen Struktur der Gesamtbelegschaft - in etwa - erreicht. Sind mehrere Gruppen vergleichbarer Arbeitnehmer von den Entlassungen betroffen, muss deshalb eine proportionale Berücksichtigung aller Altersgruppen auch innerhalb der jeweiligen Vergleichsgruppen möglich sein. Die betriebsweite Sicherung der Altersstruktur muss die Folge der proportionalen Beteiligung sämtlicher Altersgruppen auch innerhalb der einzelnen Vergleichsgruppen sein. Es ist das Kennzeichen der Sozialauswahl, dass sie innerhalb von Vergleichsgruppen zu erfolgen hat (BAG 22. März 2012 - 2 AZR 167/11 - Rn. 33).

32

bb) Diesen Mindestanforderungen an eine Sozialauswahl im Rahmen von Altersgruppen genügt die von der Beklagten getroffene Auswahl der Klägerin nicht. In der Vergleichsgruppe, der die Klägerin angehört, war eine proportionale Beteiligung aller Altersgruppen bereits deshalb nicht möglich, weil bei drei Altersgruppen nur zwei Arbeitnehmer zur Kündigung anstanden. Danach konnten allenfalls zwei Altersgruppen überhaupt an den Entlassungen beteiligt werden. Dies musste notwendig zu einer Verschiebung der Altersstruktur führen. Dementsprechend haben die ausgesprochenen Kündigungen in der Vergleichsgruppe der Klägerin zu einem Absinken des Altersdurchschnitts um 3,3 Jahre geführt.

33

III. Liegen danach die Voraussetzungen für eine Abweichung von den Grundsätzen der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG durch die Bildung von Altersgruppen nicht vor, hatte die Sozialauswahl ohne Rücksicht auf Altersgruppen zu erfolgen. Eine Prüfung, ob sie auch dann nicht grob fehlerhaft ist, hat das Landesarbeitsgericht nicht vorgenommen. Der Senat vermag dies aufgrund der bisherigen Feststellungen nicht selbst zu beurteilen. Diese lassen keine abschließende Entscheidung darüber zu, ob die Herausnahme der Mitarbeiterin K grob fehlerhaft war.

34

1. Die Sozialauswahl ist grob fehlerhaft, wenn eine evidente, ins Auge springende erhebliche Abweichung von den Grundsätzen des § 1 Abs. 3 KSchG vorliegt und der Interessenausgleich jede soziale Ausgewogenheit vermissen lässt(BAG 12. März 2009 - 2 AZR 418/07 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 97 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 17; 3. April 2008 - 2 AZR 879/06 - Rn. 16, AP KSchG 1969 § 1 Namensliste Nr. 17 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 15). Dabei muss sich die getroffene Auswahl gerade mit Blick auf den klagenden Arbeitnehmer im Ergebnis als grob fehlerhaft erweisen. Nicht entscheidend ist, dass das gewählte Auswahlverfahren als solches Anlass zu Beanstandungen gibt (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 420/09 - Rn. 19, AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 98 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 22; 18. Oktober 2006 - 2 AZR 473/05 - Rn. 23, BAGE 120, 18).

35

2. Bei der erneut anzustellenden Prüfung, ob die Sozialauswahl grob fehlerhaft war, wird das Landesarbeitsgericht deshalb die folgenden Grundsätze zu beachten haben.

36

a) Nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG sind in die Sozialauswahl vergleichbare Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Aus dem Umstand, dass das Gesetz dafür ein betriebliches Interesse nicht ausreichen lässt, sondern fordert, dieses müsse „berechtigt“ sein, folgt, dass ein betriebliches Interesse auch „unberechtigt” sein kann. Nach dem Gesetz sind danach dem betrieblichen Interesse entgegengesetzte Interessen denkbar, die einer Herausnahme von sog. Leistungsträgern aus der Sozialauswahl entgegenstehen können. Bei den gegenläufigen Interessen kann es sich angesichts des Umstands, dass § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG eine Ausnahme vom Gebot der Sozialauswahl statuiert, nur um die Belange des sozial schwächeren Arbeitnehmers handeln. Diese sind im Rahmen des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG demnach gegen das betriebliche Interesse an einer Herausnahme von Leistungsträgern abzuwägen. Je schutzbedürftiger dabei der sozial schwächere Arbeitnehmer ist, umso gewichtiger müssen die Gründe für die Ausklammerung des Leistungsträgers sein (BAG 31. Mai 2007 - 2 AZR 306/06 - BAGE 123, 20). Diese Abwägung hat im konkreten Vergleich zu erfolgen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 420/09 - Rn. 29, AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 98 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 22).

37

b) Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht die Möglichkeit störungsfreier Kommunikation mit der spanischen Vorgesetzten der Sekretärinnen im Bereich „Entwicklung“ als betrieblichen Belang angesehen hat. Ob dieser im Sinne von § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG auch „berechtigt“ ist, hängt vom Ergebnis der Abwägung gegen die sozialen Interessen der Klägerin im konkreten Vergleich mit Frau K als derjenigen Arbeitnehmerin ab, die die Beklagte wegen ihrer Englischkenntnisse aus der Sozialauswahl herausgenommen hat.

38

aa) Der Unterschied der sozialen Schutzbedürftigkeit von Frau K und der Klägerin ist erheblich. Die Klägerin war zum Zeitpunkt der Kündigung 52 Jahre alt und ca. 31 Jahre im Betrieb beschäftigt. Frau K war mit 26 Jahren nur halb so alt und gehörte dem Betrieb erst rund vier Jahre zu. Dementsprechend kam die Klägerin unter Anwendung der Regelungen des Interessenausgleichs auf 102, Frau K lediglich auf 29 „soziale“ Punkte.

39

bb) Angesichts dieses erheblichen Unterschieds bedarf es gewichtiger betrieblicher Interessen, um eine Herausnahme von Frau K aus der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG zu rechtfertigen. Die Feststellung des Landesarbeitsgerichts, es bedürfe zur notwendigen Kommunikation mit der spanischen Vorgesetzten „verhandlungssicherer“ Englischkenntnisse, bietet keine hinlängliche Grundlage für die Beurteilung, ob es sich hierbei um einen betrieblichen Belang von ausreichendem Gewicht handelt. Zweifel hieran könnten deshalb bestehen, weil die Sekretärinnen der Vergleichsgruppe, der die Klägerin angehört, nach eigenem Vortrag der Beklagten die englische Sprache generell nicht verhandlungssicher beherrschen müssen und daher niedriger eingruppiert sind als die übrigen Sekretärinnen im Betrieb. Das Landesarbeitsgericht wird deshalb festzustellen haben, wie sich die Zusammenarbeit mit der Vorgesetzten im Einzelnen gestaltet hat, insbesondere in welchem zeitlichen und inhaltlichen Umfang eine Kommunikation erfolgt ist. Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommen, dass im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs zur Kommunikation mit der spanischen Vorgesetzten „verhandlungssichere“ Englischkenntnisse in nennenswertem Umfang jedenfalls bei einer der mehreren zu ihren Untergebenen zählenden Sekretärinnen erforderlich waren, wird es weiter zu prüfen haben, ob allein Frau K oder auch andere, nicht gekündigte Arbeitnehmerinnen der Abteilung über diese Kenntnisse verfügten. Im ersten Fall käme dem betrieblichen Belang ein größeres Gewicht zu als im zweiten.

40

IV. Der Rechtsstreit ist nicht aus anderen Gründen zur Endentscheidung reif. Die Kündigung ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht wegen fehlerhafter Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam.

41

1. Eine Kündigung ist gem. § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG nicht nur unwirksam, wenn der Arbeitgeber gekündigt hat, ohne den Betriebsrat überhaupt zu beteiligen, sondern auch dann, wenn er ihn nicht richtig beteiligt hat, er insbesondere seiner Unterrichtungspflicht nach § 102 Abs. 1 BetrVG nicht ausreichend nachgekommen ist(BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 45, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 22. April 2010 - 2 AZR 991/08 - Rn. 13, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 163 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 26). An die Mitteilungspflicht sind nicht dieselben Anforderungen zu stellen, wie an die Darlegung des Arbeitgebers im Prozess. Es gilt der Grundsatz der „subjektiven Determinierung“. Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß angehört, wenn ihm der Arbeitgeber die die Kündigung aus seiner Sicht tragenden Umstände unterbreitet hat (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - aaO; 22. April 2010 - 2 AZR 991/08 - aaO). Erst eine bewusst unrichtige oder unvollständige und damit irreführende Darstellung führt zu einer fehlerhaften Anhörung (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - aaO; 5. November 2009 - 2 AZR 676/08 - Rn. 40, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 183 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 20). Zu einer vollständigen und wahrheitsgemäßen Information gehört auch die Unterrichtung über dem Arbeitgeber bekannte und für eine Stellungnahme des Betriebsrats möglicherweise bedeutsame Tatsachen, die den Arbeitnehmer entlasten und deshalb gegen den Ausspruch einer Kündigung sprechen können (BAG 6. Februar 1997 - 2 AZR 265/96 - Rn. 19, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 85 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 96).

42

2. Danach ist die Betriebsratsanhörung ordnungsgemäß erfolgt.

43

a) Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die Kündigungsgründe seien im Anhörungsschreiben zwar nur grob dargestellt. Darüber hinaus sei aber auf die Darlegung der Gründe in den einzelnen Verhandlungsterminen zum Interessenausgleich, welche die Beklagte im Einzelnen vorgetragen habe, Bezug genommen worden. Das pauschale Bestreiten der Klägerin sei angesichts dessen unzureichend.

44

b) Dies hält der rechtlichen Überprüfung stand. Der Betriebsrat war nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts sowohl über die Person der Klägerin und den Zeitpunkt der Kündigung als auch über die für die Beklagte maßgebenden Kündigungsgründe hinreichend informiert. Die Beklagte hat schon erstinstanzlich ausführlich zum Inhalt der Gespräche zwischen ihr und dem Betriebsrat vorgetragen, die sich auch auf das betriebliche Interesse an der Weiterbeschäftigung von Frau K erstreckt hätten. Die Klägerin hat diesen Vortrag bis zum Schluss der Berufungsinstanz nicht substantiiert bestritten.

45

Soweit die Klägerin in der Revision vorbringt, es sei nicht ersichtlich, in welcher Form die Beklagte dem Betriebsrat ihre abschließende Interessenabwägung dargelegt habe, ist dies ohne rechtlichen Belang. Die von der Beklagten erläuterte Herausnahme von Frau K aus der Sozialauswahl impliziert im Ergebnis eine entsprechende Interessenabwägung. Eine nähere Begründung war vor dem Hintergrund des Grundsatzes der subjektiven Determination nicht erforderlich.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Rinck    

        

        

        

    A. Claes    

        

    Sieg    

                 

(1) Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.

(2) Hat der Betriebsrat gegen eine ordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen. Äußert er sich innerhalb dieser Frist nicht, gilt seine Zustimmung zur Kündigung als erteilt. Hat der Betriebsrat gegen eine außerordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen, schriftlich mitzuteilen. Der Betriebsrat soll, soweit dies erforderlich erscheint, vor seiner Stellungnahme den betroffenen Arbeitnehmer hören. § 99 Abs. 1 Satz 3 gilt entsprechend.

(3) Der Betriebsrat kann innerhalb der Frist des Absatzes 2 Satz 1 der ordentlichen Kündigung widersprechen, wenn

1.
der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat,
2.
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 verstößt,
3.
der zu kündigende Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann,
4.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich ist oder
5.
eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Vertragsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat.

(4) Kündigt der Arbeitgeber, obwohl der Betriebsrat nach Absatz 3 der Kündigung widersprochen hat, so hat er dem Arbeitnehmer mit der Kündigung eine Abschrift der Stellungnahme des Betriebsrats zuzuleiten.

(5) Hat der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen, und hat der Arbeitnehmer nach dem Kündigungsschutzgesetz Klage auf Feststellung erhoben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, so muss der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers diesen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen. Auf Antrag des Arbeitgebers kann das Gericht ihn durch einstweilige Verfügung von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung nach Satz 1 entbinden, wenn

1.
die Klage des Arbeitnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint oder
2.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen würde oder
3.
der Widerspruch des Betriebsrats offensichtlich unbegründet war.

(6) Arbeitgeber und Betriebsrat können vereinbaren, dass Kündigungen der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen und dass bei Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung der Nichterteilung der Zustimmung die Einigungsstelle entscheidet.

(7) Die Vorschriften über die Beteiligung des Betriebsrats nach dem Kündigungsschutzgesetz bleiben unberührt.

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.

(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 30. Mai 2013 - 8 Sa 109/12 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über den Umfang der Arbeitszeit der Klägerin, die Verpflichtung der Beklagten, eine der Klägerin erteilte Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen, und die Wirksamkeit einer Änderungskündigung.

2

Die Beklagte, ein Unternehmen der Wohnungswirtschaft mit ca. 45 Mitarbeitern, beschäftigt die Klägerin seit 2005 als Assistenzkraft gegen ein durchschnittliches Bruttomonatsgehalt iHv. zuletzt 2.654,00 Euro. Nach der Geburt ihrer Tochter befand sich die Klägerin in Elternzeit.

3

Am 21. September 2011 richtete die Klägerin eine E-Mail an die Chefsekretärin T des Geschäftsführers der Beklagten B. Der Text der Nachricht lautet auszugsweise wie folgt:

        

„…    

        

nach reiflicher Überlegung sind wir nun zu dem Entschluss gekommen, dass ich 5 x 6 Stunden, also von 8:00 bis 14:00 Uhr arbeiten möchte. Eine Pause würde ich dann nicht machen (braucht man ja nicht, wenn man nur 6 Stunden arbeitet).

        

Bezüglich der Elternzeitverlängerung habe ich momentan vor, am 11. Juni 2012 wiederzukommen.

        

Ich hoffe, dass das auch Bs Vorstellungen entspricht und warte auf seine/Ihre Rückmeldung.“

4

Unter dem 3. Februar 2012 übersandte die Klägerin der Beklagten ein für den Antrag auf einen Platz in einer Kindertagesstätte bestimmtes Formular („Arbeitszeitbescheinigung zur Vorlage beim Arbeitgeber der Eltern zwecks Betreuung von Kindern in einer Kindertagesstätte/Tagespflegestelle“) mit der Bitte um Unterschrift. In den fünf Feldern, die unter der Überschrift „Die tägliche Arbeitszeit … beträgt“ neben den jeweiligen Wochentagen angeordnet sind, war für Montag bis Freitag jeweils die Arbeitszeit „8 Uhr - 14 Uhr“ eingetragen. In einem Gespräch mit der Klägerin lehnte der Geschäftsführer der Beklagten B den Teilzeitwunsch ab. Am 13. März 2012 unterzeichnete er das von der Klägerin eingereichte Formular, nachdem er jeweils die Uhrzeit 14:00 Uhr durchgestrichen und handschriftlich durch die Uhrzeit 17:00 Uhr (montags bis donnerstags) bzw. 15:00 Uhr (freitags) ersetzt hatte, und übersandte dieses an die Klägerin.

5

Am 11. Juni 2012 kehrte die Klägerin aus der Elternzeit zurück. Mit Schreiben vom selben Tage forderte die Beklagte die Klägerin auf, ab Montag, den 18. Juni 2012, in Vollzeit tätig zu werden. Zur Begründung verwies die Beklagte auf das persönliche Gespräch im März 2012, in dessen Verlauf der Klägerin mitgeteilt worden sei, es müsse bei der 40-Stundenwoche verbleiben. Am 18. Juni 2012 verließ die Klägerin ihren Arbeitsplatz um 14:00 Uhr.

6

Mit Schreiben vom 19. Juni 2012, das der Klägerin um 13:20 Uhr desselben Tages zuging, forderte die Beklagte die Klägerin auf, an diesem Tag Mehrarbeit zu leisten. Das Schreiben lautet auszugsweise wie folgt:

        

„…    

        

unabhängig von der Frage der Länge der Arbeitszeit besteht heute mehr Arbeitsbedarf.

        

Im Hinblick … weise ich Sie deshalb an, folgende Arbeiten (ggf. im Rahmen der Mehrarbeit) heute zu erledigen:

        

…       

        

Sollten Sie für diese Arbeiten eine Mehrarbeit leisten müssen, so wäre diese bis um 16:00 Uhr zu erbringen, danach dürfen Sie … nach Hause.“

7

Nachdem sie erfolglos versucht hatte sicherzustellen, dass ihre Tochter von Dritten aus der Kindertagesstätte abgeholt werde, teilte die Klägerin dem Geschäftsführer B mit, sie könne die angeordnete Mehrarbeit nicht leisten, und verließ um 14:00 Uhr ihren Arbeitsplatz. Unter dem 19. Juni 2012 mahnte die Beklagte die Klägerin ab. In dem Schreiben heißt es ua. wie folgt:

        

„Am 18.06.2012 endete Ihre Arbeitszeit nach Arbeitsbeginn um 08:00 Uhr um 17:00 Uhr. Ohne Zustimmung der Geschäftsführung beendeten Sie einseitig um 14:00 Uhr Ihre Arbeit und verließen unentschuldigt das Unternehmen vor Ende der angewiesenen Arbeitszeit.

        

Ihr Verhalten stellt eine Verletzung Ihrer arbeitsvertraglichen Verpflichtung dar. Wir fordern Sie auf, sich zukünftig vertragsgetreu zu verhalten. Bei wiederholten arbeitsrechtlichen Verstößen müssen Sie mit Konsequenzen bis hin zur Kündigung rechnen.“

8

Mit Schreiben vom 28. Juni 2012 erklärte die Beklagte die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. September 2012 und bot der Klägerin gleichzeitig an, das Arbeitsverhältnis ab dem 1. Oktober 2012 in Vollzeit fortzusetzen. Die Klägerin nahm das Änderungsangebot unter dem Vorbehalt an, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial gerechtfertigt sei.

9

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihre wöchentliche Arbeitszeit betrage seit dem 11. Juni 2012 30 Stunden. Die Beklagte habe ihren Teilzeitantrag vom 21. September 2011, der ihr nach den Grundsätzen der Duldungs- und Anscheinsvollmacht zugegangen sei, nicht spätestens einen Monat vor dem gewünschten Beginn der Arbeitszeitverringerung schriftlich abgelehnt. Da ihre Arbeitszeit täglich um 14:00 Uhr ende, habe sie weder am 18. noch am 19. Juni 2012 ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt. Die Änderungskündigung sei sozial ungerechtfertigt.

10

Die Klägerin hat zuletzt - soweit für die Revision von Bedeutung - beantragt

        

1.    

festzustellen, dass ihre Arbeitszeit sich gemäß § 8 Abs. 2 TzBfG auf 30 Stunden pro Woche verringert hat und die geschuldete Arbeit an fünf Arbeitstagen jeweils sechs Stunden in der Zeit von 8:00 Uhr bis 14:00 Uhr zu leisten ist,

        

2.    

hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, der Verringerung der Arbeitszeit der Klägerin auf 30 Stunden pro Woche bei einer Verteilung dieser Arbeitszeit auf montags bis freitags von 8:00 Uhr bis 14:00 Uhr zuzustimmen,

        

3.    

die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung mit Datum vom 19. Juni 2012 aus ihrer Personalakte zu entfernen, und

        

4.    

festzustellen, dass eine Änderung der Arbeitsbedingungen durch die ordentliche Änderungskündigung vom 28. Juni 2012 zum 30. September 2012 sozial ungerechtfertigt ist.

11

Die Beklagte, die die Abweisung der Klage beantragt hat, ist der Ansicht gewesen, die Voraussetzungen einer Fiktion nach § 8 Abs. 5 Satz 2 und Satz 3 TzBfG lägen nicht vor. Die E-Mail der Klägerin vom 21. September 2011 enthalte ein an sie gerichtetes Angebot, in Gespräche bezüglich der Arbeitszeit zu treten, nicht aber einen auf die Begründung eines Teilzeitarbeitsverhältnisses gerichteten Antrag. Frau T als Adressatin der E-Mail sei keine taugliche Empfangsvertreterin. Ihr Geschäftsführer B habe den vermeintlichen Teilzeitantrag abgelehnt, als er Eintragungen auf dem von der Klägerin eingereichten Formular vorgenommen habe. Sie habe die Klägerin zu Recht abgemahnt, da die Klägerin ihren Arbeitsplatz am 19. Juni 2012 um 14:00 Uhr trotz einer entgegenstehenden Weisung verlassen habe. Das Abmahnungsschreiben enthalte ein unbeachtliches „Datumsversehen“. Die Änderungskündigung sei aus dringenden betrieblichen Gründen sozial gerechtfertigt. Im Bereich der Assistenz lasse ihr betriebliches Organisationskonzept die Beschäftigung von Teilzeitkräften nicht zu. Es sei ihr Bestreben, sich durch ständige Präsenz als kompetenter Ansprechpartner während der Kernarbeitszeit von der Konkurrenz auf dem Markt der Wohnungswirtschaft abzusetzen. Die Arbeit der Assistenzkräfte, die jeweils einem Verwalter zugeordnet seien, sei von den aktuellen Anforderungen der Kunden und der Bewohner der Mietobjekte abhängig und deshalb weitgehend nicht planbar. Es sei ihr nicht möglich, eine geeignete Ersatzkraft einzustellen. Die bei Teilung der Stelle erforderliche Übergabe binde die beteiligten Arbeitnehmer täglich eine halbe Stunde.

12

Das Arbeitsgericht hat der Klage - soweit für die Revision von Bedeutung - stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageziel, die Abweisung der Klage, weiter.

Entscheidungsgründe

13

Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen das - soweit für die Revision von Bedeutung - klagestattgebende Urteil des Arbeitsgerichts im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen.

14

I. Die Klage ist zulässig. Dies gilt auch für den Feststellungsantrag zu 1. Die Klägerin hat ein rechtliches Interesse iSd. § 256 Abs. 1 ZPO daran, dass durch richterliche Entscheidung festgestellt wird, ob sich die Arbeitszeit in dem von ihr gewünschten Umfang gemäß § 8 Abs. 5 Satz 2 TzBfG verringert hat(vgl. HaKo-TzBfG/Boecken 3. Aufl. § 8 Rn. 154).

15

II. Die Klage ist in den Hauptanträgen begründet.

16

1. Die regelmäßige Arbeitszeit der Klägerin beträgt 30 Wochenstunden, die sie an fünf Arbeitstagen in der Zeit von 8:00 Uhr bis 14:00 Uhr zu leisten hat. Der Arbeitsvertrag der Parteien wurde mit Wirkung zum 11. Juni 2012 entsprechend geändert. Die Beklagte hat den Teilzeitantrag der Klägerin vom 21. September 2011 nicht binnen der in § 8 Abs. 5 Satz 1 TzBfG genannten Monatsfrist schriftlich abgelehnt mit der Folge, dass ihre Zustimmung zu dem Teilzeitbegehren gemäß § 8 Abs. 5 Satz 2 und Satz 3 TzBfG fingiert wird.

17

a) Die allgemeinen Voraussetzungen, an die § 8 TzBfG einen Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit knüpft, lagen zum Zeitpunkt, zu dem die Klägerin ihr Teilzeitverlagen äußerte, vor. Das Arbeitsverhältnis der Parteien bestand länger als sechs Monate (§ 8 Abs. 1 TzBfG). Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als 15 Arbeitnehmer (§ 8 Abs. 7 TzBfG).

18

b) Das Landesarbeitsgericht hat die von der Klägerin am 21. September 2011 gesendete E-Mail ausgelegt und die Erklärung als Angebot, die regelmäßige Arbeitszeit auf 30 Wochenstunden zu reduzieren bei einer Verteilung auf fünf Arbeitstage in der Zeit von 8:00 Uhr bis 14:00 Uhr, verstanden. Die nur beschränkt revisible Auslegung dieser atypischen Erklärung lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Das Berufungsgericht hat die Auslegungsvorschriften der §§ 133, 157 BGB nicht verletzt. Es hat auch nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen oder Umstände, die für die Auslegung von Bedeutung sein können, außer Acht gelassen (vgl. BAG 18. August 2009 - 9 AZR 517/08 - Rn. 21).

19

aa) Das Verringerungsverlangen eines Arbeitnehmers nach § 8 Abs. 1 TzBfG ist eine auf die Änderung des Arbeitsvertrags gerichtete Willenserklärung iSd. Rechtsgeschäftslehre des BGB. Das Änderungsangebot (§ 145 BGB), das dem Arbeitgeber spätestens drei Monate vor Beginn der begehrten Arbeitszeitreduzierung zugehen muss (§ 8 Abs. 2 Satz 1 TzBfG), muss nach allgemeinem Vertragsrecht regelmäßig so konkret sein, dass der Adressat des Angebots dieses mit einem einfachen „Ja“ annehmen kann. Der Inhalt eines zwischen den Parteien zustande kommenden Änderungsvertrags muss feststehen (vgl. BAG 16. Oktober 2007 - 9 AZR 239/07 - Rn. 20 mwN, BAGE 124, 219). Nicht erforderlich ist, dass der Arbeitnehmer sein Änderungsangebot ausdrücklich als Teilzeitantrag bezeichnet.

20

bb) Die Einleitung der von der Klägerin verfassten E-Mail („nach reiflicher Überlegung sind wir nun zu dem Entschluss gekommen“) spricht dafür, dass die Klägerin eine rechtserhebliche Erklärung abgeben wollte und sie nicht - wie die Revision meint - beabsichtigte, Gespräche über den Abschluss einer Teilzeitvereinbarung anzustoßen. Für die Beklagte war hinreichend erkennbar, dass die Klägerin ihre Willensbildung bezüglich einer Teilzeitbeschäftigung abgeschlossen hatte und die E-Mail schrieb, um ihren Willen, das Arbeitsverhältnis ab dem 11. Juni 2012 als Teilzeitarbeitsverhältnis fortzuführen, kundzutun. Der Annahme, es liege eine Willenserklärung vor, steht nicht entgegen, dass die Klägerin am Ende der Nachricht der Hoffnung Ausdruck gibt, dass ihre Vorstellungen denen des Geschäftsführers der Beklagten B entsprechen. Es handelt sich dabei um einen allgemeinen Ausdruck der Höflichkeit, der nicht den Schluss zulässt, die vorstehenden Ausführungen seien unverbindlich.

21

cc) Das form- und fristgerechte Angebot der Klägerin ist hinreichend bestimmt. Es nennt neben dem Beginn der Teilzeittätigkeit den verbleibenden Umfang der Arbeitszeit und deren gewünschte Verteilung. Der Antrag der Klägerin, der keiner besonderen Form bedurfte, ging der Beklagten mehr als drei Monate vor dem gewünschten Beginn der Teilzeit zu. Nach dem Vortrag der Beklagten, auf den das Landesarbeitsgericht im Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen hat, übersandte die Klägerin der Beklagten am 3. Februar 2012 das für die Beantragung eines Platzes in einer Kindertagesstätte bestimmte Formular, „obwohl der Geschäftsführer vorher die sachlich begründete Zurückweisung diesbezüglich erklärt“ hatte. Dies belegt, dass der Geschäftsführer der Beklagten B spätestens zu diesem Zeitpunkt und damit mehr als drei Monate vor dem Beginn der beabsichtigten Teilzeit Kenntnis von dem Teilzeitverlangen der Klägerin hatte.

22

c) Die Beklagte lehnte den Teilzeitantrag nicht spätestens einen Monat vor dem gewünschten Beginn der Teilzeitbeschäftigung ab, sodass sich die Arbeitszeit in dem von der Klägerin gewünschten Umfang verringerte (§ 8 Abs. 5 Satz 2 TzBfG) und die von ihr begehrte Verteilung der Arbeitszeit als festgelegt gilt (§ 8 Abs. 5 Satz 3 TzBfG). Infolge der Fiktion muss sich die Beklagte so behandeln lassen, als hätte sie der angetragenen Vertragsänderung zugestimmt (vgl. BAG 15. November 2011 - 9 AZR 729/07 - Rn. 30 mwN).

23

aa) Die Ablehnung des Teilzeitwunschs, die der Geschäftsführer der Beklagten B zu einem vom Landesarbeitsgericht nicht näher festgestellten Zeitpunkt der Klägerin gegenüber mündlich zum Ausdruck brachte, ist wegen Formmangels nichtig (§ 125 Satz 1 BGB). Sie entspricht nicht der vom Gesetz in § 8 Abs. 5 Satz 1 TzBfG angeordneten Schriftform(§ 126 Abs. 1 BGB).

24

bb) Das Landesarbeitsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen, den Eintragungen, die der Geschäftsführer der Beklagten B auf der Arbeitszeitbescheinigung unter dem 13. März 2012 vornahm, sei nicht die Bedeutung beizumessen, er lehne das Teilzeitverlangen der Klägerin ab.

25

(1) Die Ablehnung des Arbeitgebers, dem Teilzeitverlangen des Arbeitnehmers zuzustimmen, ist eine empfangsbedürftige, an den Arbeitnehmer gerichtete Willenserklärung (vgl. HaKo-TzBfG/Boecken 3. Aufl. § 8 Rn. 121; MüKoBGB/Müller-Glöge 6. Aufl. § 8 TzBfG Rn. 22; aA Hanau NZA 2001, 1168, 1171). Ob der Arbeitgeber eine solche Erklärung abgegeben hat, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Will der Arbeitgeber den Eintritt der Zustimmungsfiktion des § 8 Abs. 5 Satz 2 und Satz 3 TzBfG verhindern, erfordert das Gebot der Rechtsklarheit und Transparenz, dass er den Teilzeitwunsch des Arbeitnehmers hinreichend deutlich ablehnt. Denn der Arbeitnehmer muss Gewissheit haben, ob der Arbeitsvertrag seinem Angebot entsprechend geändert wurde (vgl. BAG 15. November 2011 - 9 AZR 729/07 - Rn. 30).

26

(2) Die Eintragungen auf dem Formular sind nicht darauf gerichtet, den Teilzeitantrag der Klägerin zurückzuweisen. Sie haben keinen Bezug zum Teilzeitwunsch. Dies ergibt sich bereits daraus, dass mit der Arbeitszeitbescheinigung nicht die zukünftige, sondern die zum Zeitpunkt der Einreichung geltende Arbeitszeit abgefragt wurde. Der Formulartext („Die tägliche Arbeitszeit … beträgt“) ist im Präsens abgefasst, also in der Zeitform, mit der ein Geschehen als gegenwärtig charakterisiert wird. Am 13. März 2012 erklärte der Geschäftsführer der Beklagten B wahrheitsgemäß, die Klägerin befinde sich in einem Vollzeitarbeitsverhältnis. Es handelt sich um eine reine Wissenserklärung, die als solche nicht dahin gehend ausgelegt werden kann, sie diene dem Zweck, den Antrag der Klägerin auf Vertragsänderung abzulehnen. Auf diesen Gesichtspunkt hat bereits das Arbeitsgericht zutreffend hingewiesen.

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(3) Aus Sicht der Beklagten gab es am 13. März 2012 keinen Grund, den Teilzeitantrag der Klägerin zurückzuweisen. Noch in der Berufungsinstanz ist die Beklagte davon ausgegangen, es sei bereits „vorher die sachlich begründete Zurückweisung … erklärt“ worden. Aus diesem Grund spricht alles für die Annahme, dass die Beklagte in dem irrigen Glauben, den Antrag der Klägerin bereits rechtswirksam abgelehnt zu haben, keine erneute Willenserklärung abgeben wollte, es zum maßgeblichen Zeitpunkt mithin auch an dem erforderlichen inneren Tatbestand einer Willenserklärung fehlte.

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cc) Die Ablehnung, die die Beklagte in ihrem Schreiben vom 11. Juni 2012 erklärte, erfolgte verspätet. Zum Zeitpunkt, zu dem der Klägerin das Schreiben zuging, war die Monatsfrist des § 8 Abs. 5 Satz 1 TzBfG bereits abgelaufen.

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2. Der hilfsweise gestellte Leistungsantrag zu 2. fällt nicht zur Entscheidung an.

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3. Die Beklagte ist verpflichtet, die der Klägerin erteilte Abmahnung vom 19. Juni 2012 aus der Personalakte zu entfernen.

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a) Arbeitnehmer können in entsprechender Anwendung von §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangen. Der Anspruch besteht, wenn die Abmahnung inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Er besteht auch dann, wenn selbst bei einer zu Recht erteilten Abmahnung kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers mehr an deren Verbleib in der Personalakte besteht (vgl. BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 782/11 - Rn. 13 mwN, BAGE 142, 331).

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b) Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor.

33

aa) Dem Wortlaut der Abmahnung zufolge hält die Beklagte der Klägerin vor, ihre Arbeitsstelle am 18. Juni 2012 pflichtwidrig vor 17:00 Uhr verlassen zu haben. Dieser Vorwurf beruht auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens der Klägerin. Denn die Klägerin war nicht verpflichtet, an diesem Tag in der Zeit von 14:00 bis 17:00 Uhr zu arbeiten. Infolge der mit Wirkung zum 11. Juni 2012 eingetretenen Vertragsänderung endete die Arbeitszeit der Klägerin um 14:00 Uhr. Weder nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts noch nach dem Vortrag der Beklagten war die Klägerin zuvor angewiesen worden, am 18. Juni 2012 Überstunden zu leisten.

34

bb) Hat die Beklagte nicht das Verhalten der Klägerin am 18. Juni 2012, sondern am Folgetag abmahnen wollen, erweist sich die Abmahnung als inhaltlich unrichtig. Zum einen nimmt das Abmahnungsschreiben auf ein unzutreffendes Datum Bezug. Zum anderen endete die Arbeitszeit der Klägerin am 19. Juni 2012 nicht um 17:00 Uhr. Zugunsten der Beklagten unterstellt, sie habe an diesem Tag rechtswirksam Überstunden angeordnet, endete die Arbeitspflicht der Klägerin bereits um 16:00 Uhr. Die schriftliche Anweisung der Beklagten vom 19. Juni 2012 weist als Arbeitsende nicht 17:00 Uhr, sondern 16:00 Uhr aus.

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4. Die der Klägerin mit der Kündigung vom 28. Juni 2012 angetragene Änderung der Arbeitsbedingungen ist sozial ungerechtfertigt (§ 2 Satz 1, § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG).

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a) Eine betriebsbedingte Änderungskündigung iSv. § 2 KSchG ist sozial nur gerechtfertigt, wenn die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 KSchG vorliegen. Dabei ist die soziale Rechtfertigung einer Änderung der bestehenden Vertragsbedingungen zu überprüfen. Das Änderungsangebot des Arbeitgebers ist daran zu messen, ob es durch dringende betriebliche Erfordernisse iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bedingt ist und sich darauf beschränkt, solche Änderungen vorzusehen, die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muss. Dieser Maßstab gilt unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer das Änderungsangebot abgelehnt oder - wie im Streitfall die Klägerin - unter Vorbehalt angenommen hat (BAG 20. Juni 2013 - 2 AZR 396/12 - Rn. 16).

37

b) Beabsichtigt der Arbeitgeber mit dem Ausspruch einer Änderungskündigung, den Rechtszustand herbeizuführen, der vor der Reduzierung der Arbeitszeit nach § 8 Abs. 5 Satz 2 und Satz 3 TzBfG bestand, sind die Wertungen des TzBfG zu beachten.

38

aa) Ziel des Gesetzes ist es, Teilzeitstellen zu schaffen und auf diese Weise Beschäftigten die Möglichkeit zu geben, Beruf und Familie besser miteinander zu vereinbaren (vgl. BT-Drs. 14/4374 S. 11). Zu diesem Zweck gewährt das TzBfG Beschäftigten unter den in § 8 im Einzelnen genannten Voraussetzungen einen Rechtsanspruch auf Reduzierung ihrer Arbeitszeit und auf die Neuverteilung der reduzierten Arbeitszeit entsprechend ihren Wünschen. Der Arbeitgeber ist nur dann berechtigt, einen Teilzeitantrag des Beschäftigten abzulehnen, wenn betriebliche Gründe der gewünschten Teilzeitbeschäftigung entgegenstehen (§ 8 Abs. 4 Satz 1 TzBfG). Lehnt der Arbeitgeber das Änderungsangebot des Beschäftigten ab, kann dieser Klage vor den Gerichten für Arbeitssachen erheben. In dem Klageverfahren prüft das Gericht, ob betriebliche Gründe iSd. § 8 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 TzBfG vorliegen. Hat der Arbeitgeber die Zustimmung zu Unrecht nicht erklärt, gilt diese mit Rechtskraft des klagestattgebenden Urteils als erteilt (§ 894 Satz 1 ZPO). Wäre es dem Arbeitgeber im Nachhinein möglich, den Teilzeitarbeitsvertrag durch den Ausspruch einer Änderungskündigung unter Berufung auf die vom Gericht bereits geprüften Gründe einseitig erneut zu ändern, bestände die Gefahr, dass das Ziel des TzBfG, Teilzeitarbeit zu fördern, verfehlt wird. Die Rechtsposition, die der Arbeitnehmer durch die gerichtliche Entscheidung erlangt hat, würde entwertet, wenn der Arbeitgeber denselben betrieblichen Gründen, die er dem Teilzeitverlangen des Arbeitnehmers zu Unrecht entgegengehalten hat, nachträglich Geltung verschaffen könnte. Beschäftigte, die sich entschließen, ihre vertraglich festgelegte Arbeitszeit unter Inkaufnahme einer abgesenkten Vergütung zu reduzieren, sind im Regelfall aus persönlichen Gründen darauf angewiesen, ihr Teilzeitverlangen zeitnah durchzusetzen. Durch einen nachfolgenden Kündigungsschutzprozess würde die Realisierung des Teilzeitanspruchs - nach Ablauf der Kündigungsfrist - jedenfalls in den Fällen erneut verzögert, in denen der Beschäftigte die Kündigung unter dem Vorbehalt, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial gerechtfertigt ist, annimmt. Aus diesem Grunde kann der Arbeitgeber die mit der Kündigung bezweckte Änderung der Arbeitsbedingungen im Kündigungsschutzprozess grundsätzlich nur mit solchen Tatsachen rechtfertigen, die er nicht bereits dem Teilzeitverlangen des Arbeitnehmers hätte entgegenhalten können.

39

bb) Kommt der Änderungsvertrag, der die Verringerung und Neuverteilung der festgelegten Arbeitszeit vorsieht, nicht nach § 894 ZPO zustande, sondern im Wege der Fiktion nach § 8 Abs. 5 Satz 2 und Satz 3 TzBfG, gilt nichts anderes. Das TzBfG regelt in § 8 Abs. 2 bis Abs. 5 ein spezielles Verfahren, das ua. Erörterungspflichten sowie detaillierte Frist- und Formvorschriften vorsieht. So hat der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer die von ihm gewünschte Verringerung der Arbeitszeit mit dem Ziel zu erörtern, zu einer Vereinbarung zu gelangen (§ 8 Abs. 3 Satz 1 TzBfG), und Einvernehmen über die Verteilung der reduzierten Arbeitszeit zu erzielen (§ 8 Abs. 3 Satz 2 TzBfG). Will der Arbeitgeber den Teilzeitantrag unter Berufung auf betriebliche Gründe ablehnen, hat er dies sowohl hinsichtlich der Verringerung der Arbeitszeit als auch hinsichtlich der Verteilung der reduzierten Arbeitszeit spätestens einen Monat vor dem gewünschten Beginn der Teilzeit dem Arbeitnehmer gegenüber schriftlich zu erklären (§ 8 Abs. 5 Satz 1 TzBfG). Ein Arbeitgeber, der diese Obliegenheiten missachtet, darf nicht besserstehen, als ein Arbeitgeber, der seine Belange wahrnimmt, dessen Zustimmung zum Änderungsvertrag aber durch die gerichtliche Entscheidung nach § 894 Satz 1 ZPO als abgegeben gilt.

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c) Die Beklagte begründet die Kündigung ausschließlich mit dem Hinweis, sie wolle ihr bisheriges Organisationskonzept, das die Beschäftigung von Teilzeitkräften nicht zulasse, beibehalten. Dieses Organisationskonzept hatte die Beklagte bereits vor Ablauf der Zurückweisungsfrist des § 8 Abs. 5 Satz 1 TzBfG dem Teilzeitverlangen der Klägerin - erfolglos - entgegenzuhalten versucht. Tatsachen, die erst nach Fristablauf bzw. dem Eintritt der Fiktion entstanden sind oder von denen sie erst später Kenntnis erlangte, hat die Beklagte nicht vorgetragen; im Übrigen sind sie nicht ersichtlich.

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III. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

        

    Brühler    

        

    Krasshöfer    

        

    Suckow     

        

        

        

    Vogg    

        

    Wullhorst     

                 

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.

(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.

(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.

(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.