Verwaltungsgericht Hamburg Urteil, 06. März 2018 - 11 K 6685/16

bei uns veröffentlicht am06.03.2018

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Zulassung zum Studium der Medizin im ersten Fachsemester nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2016/2017 innerhalb der festgesetzten Kapazität im Rahmen des Auswahlverfahrens der Hochschulen.

2

Der Kläger bewarb sich bei der Stiftung für Hochschulzulassung (SfH) um einen Studienplatz im Fach Medizin nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2016/2017. Bei seiner Antragstellung wählte er im Rahmen des Auswahlverfahrens der Hochschulen (AdH) sechs Hochschulen aus, wobei er an erster Stelle die Beklagte setzte.

3

Am 12. August 2016 nahm der Kläger am schriftlichen Studierfähigkeitstest der Beklagten (Hamburger Auswahlverfahren für medizinische Studiengänge Naturwissenschaftsteil – sog. HAM-Nat) teil. Im Anschluss erhielt er nach eigenen Angaben eine E-Mail der Beklagten mit folgendem Inhalt:

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„Sehr geehrter Herr ...,
am 12. August 2016 haben 1120 von 1614 eingeladenen Bewerber(innen) am HAM-Nat teilgenommen, um einen Studienplatz der Medizin zu bekommen.

5

Nach Auswertung des HAM-Nat haben wir alle Teilnehmer(innen) aufgrund ihrer HAM-Nat-Testergebnisse und Abiturdurchschnittsnoten in eine Rangreihenfolge gebracht.

6

Ihr persönlicher Rangplatz ergibt sich wie folgt:

7

Abiturpunkte: 1,6 (48 Punkte)
Testergebnis HAM-Nat: 33.925 von 59 Punkten
Gesamtpunkte (HAM-Nat+Abi): 81.92 Punkte
Rangplatz (HAM-Nat+Abi): 174

8

Der HAM-Nat 2016 enthielt 87 Fragen. Sieben Fragen dienten zur Weiterentwicklung des Tests, sie gingen nicht mit in die Wertung ein. Von den verbleibenden 80 Fragen im HAM-Nat wurden von den Medizinstudienbewerbern durchschnittlich 32,2 Fragen (23,8 Punkte) erreicht.

9

In der Medizin werden nach der Verrechnung des HAM-Nat-Ergebnisses mit der Abiturdurchschnittsnote an die sich daraus ergebenden Rangplätze 1-115 direkt 115 Studienplätze vergeben. Die übrigen Studienplätze werden an die Teilnehmer des HAM-Int (aktuell Rangplatz 116-315) vergeben.

10

Wir wünschen Ihnen alles Gute für Ihre Zukunft und viel Erfolg.

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Mit freundlichen Grüßen

12

Prof. Dr. ...
(Arbeitsgruppe Auswahlverfahren)“

13

Sodann nahm der Kläger am 19. August 2016 an den Auswahlgesprächen (sog. HAM-Int) teil. Anschließend erhielt er eine weitere Email der Beklagten folgenden Inhalts:

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„Sehr geehrter Herr ...,
am 19. August haben 191 von 200 eingeladenen Bewerber(innen) um einen Studienplatz der Medizin am HAM-Int teilgenommen.

15

Nach Auswertung der Auswahlgespräche haben wir alle Teilnehmer(innen) aufgrund ihrer Testergebnisse von HAM-Nat, HAM-Int und ihrer Abiturdurchschnittsnote in eine Reihenfolge gebracht und die Rangliste an Hochschulstart für den Versand der Zulassungsbescheide geschickt.

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Ihr persönlicher Rangplatz ergibt sich wie folgt:

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Abiturpunkte: 48
Testergebnis HAM-Nat: 33.9 von 59 Punkten
Testergebnis HAM-Int: 31.4 von 59 Punkten
Gesamtpunktzahl (Abit+HAM-Nat+HAM-Int): 113.4
Rangplatz AdH (Abit+HAM-Nat+HAM-Int): 247

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Im HAM-Int der Humanmedizin wurden durchschnittlich 35 Punkte erzielt, die Spanne reichte von 20 bis 48 Punkte.

19

Die Rangplätze 1 – 115 wurden direkt nach dem HAM-Nat vergeben, die HAM-Int-Teilnehmer liegen auf den Plätzen 116 – 315.

20

Es ist leider schwierig vorauszusagen, bis zu welchem Rangplatz Studienbewerber(innen) zugelassen werden, da dies z.B. davon abhängt, wie viele Zulassungen in den Abiturbesten-, Wartesemester- und Ausländerquoten angenommen werden. Nach einer groben Abschätzung und ohne Gewähr werden in der Medizin von der Rangliste Abi+HAM-Nat+HAM-Int voraussichtlich etwa 190 Zulassungen vergeben.

21

Wir haben die Rangliste an Hochschulstart weitergeleitet, von dort werden die Zulassungsbescheide Anfang September versendet.

22

Wir wünschen Ihnen alles Gute für Ihre Zukunft und viel Erfolg.

23

Mit freundlichen Grüßen

24

Prof. Dr. ...
(Arbeitsgruppe Auswahlverfahren)“

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Der Verfahrensbevollmächtigte des Klägers erhob mit Schreiben vom 7. September 2016 Widerspruch gegen das „Testergebnis“ und bat zum Zwecke der Widerspruchsbegründung um Akteneinsicht.

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Am 23. September 2016 erging durch die Stiftung für Hochschulzulassung der Ablehnungsbescheid im Auswahlverfahren der Hochschulen. Darin heißt es, dem Kläger werde namens und im Auftrag der Hochschulen das Ergebnis für das Auswahlverfahren der Hochschulen mitgeteilt. Er sei von keiner der auf der folgenden Seite genannten Hochschulen im Auswahlverfahren der Hochschulen ausgewählt worden. Auf der nachfolgenden Seite wird in der Auflistung an erster Stelle das Ergebnis der Beklagten und darunter das Verwaltungsgericht Hamburg nebst Adresse aufgeführt. Der Bescheid ist mit folgender Rechtsbehelfsbelehrung versehen:

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„Rechtsbehelfsbelehrung:

28

Sie können gegen diesen Bescheid innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe – schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle – Klage beim jeweils genannten Verwaltungsgericht erheben. Bei schriftlicher Klageerhebung wird die Frist nur gewahrt, wenn die Klageschrift vor Ablauf der Rechtsbehelfsbelehrung bei Gericht eingegangen ist.“

29

Mit Schreiben vom 17. Oktober 2016 an den Verfahrensbevollmächtigten des Klägers erläuterte die Beklagte unter der Überschrift „Stellungnahme zu Herrn Johannes Rainer Humanmedizin WS 2016/2017 1. FS – zum AdH Verfahren“ das durchgeführte AdH-Verfahren und die vom Kläger erzielte Punktzahl. Weiter heißt es in dem Schreiben, dass der Kläger im Hamburger Auswahlverfahren entsprechend der Auswahlsatzung der Universität geprüft und in die Rangliste eingeordnet worden sei. Aufgrund des erreichten Rangplatzes sei er ordnungsgemäß nicht zugelassen worden. Schließlich wird unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 5. Januar 2015 (11 E 4317/14) ausgeführt, dass keine Einsicht in die Aufgabenstellungen und Protokolle gewährt werde, wenn es nicht konkrete Anhaltspunkte für Fehler in den Aufgabenstellungen bzw. Bewertungen gebe.

30

Der Kläger hat am 11. November 2016 Klage erhoben.

31

Zur Begründung führt er aus, ihm stehe ein Anspruch auf Zulassung zum Studium wegen einer fehlerhaften Auswertung bzw. Durchführung des hochschulinternen Auswahlverfahrens zu. Die Klage sei zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben. Zwar sei die im Bescheid vom 23. September 2016 ausgewiesene Monatsfrist abgelaufen. Es gelte vorliegend jedoch die Jahresfrist, weil die Rechtsbehelfsbelehrung fehlerhaft sei. Es fehle der Hinweis auf die Möglichkeit der Erhebung der Klage auf elektronischem Wege. Da am Verwaltungsgericht Hamburg die Möglichkeit der Erhebung der Klage auf elektronischem Wege eröffnet sei, gehöre zu einer rechtmäßigen Rechtsbehelfsbelehrung ein entsprechender Hinweis. Die per Email erfolgte Mitteilung des Ergebnisses von HAM-Nat und HAM-Int stellten eigenständige Verwaltungsakte bzw. einen eigenständigen Verwaltungsakt dar. Dies ergebe sich daraus, dass das Prüfungsergebnis eine verfestigte Rechtsposition begründe, die auch für zukünftige Bewerbungsrunden maßgeblich sei. Die Prüfung sei nicht wiederholbar. Das Schreiben der Beklagten vom 17. Oktober 2016 stelle in der Sache eine Bescheidung des eingelegten Widerspruches dar.

32

Der Kläger beantragt,

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1) den Bescheid der Beklagten vom 23. September 2016 – Registriernummer 03 86 215 20 – aufzuheben und

34

2) den Bescheid über das Ergebnis des mit dem Kläger durchgeführten Auswahlverfahrens zur Zulassung zum Studium der Humanmedizin zum Wintersemester 2016/2017 sowie den Widerspruchsbescheid vom 17. Oktober 2016 aufzuheben und

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3) der Beklagten aufzugeben, den Kläger nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2016/2017 zum Studium im Studiengang Humanmedizin zuzulassen,

36

hilfsweise, die Entscheidung über die Zulassung des Klägers zum Studium der Humanmedizin aufgrund des Auswahlverfahrens nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Gerichts zu überdenken,

37

hilfsweise, die Verfahrensteile „HAM-Nat" und „HAM-Int" des Auswahlverfahrens zur Zulassung zum Studium der Humanmedizin mit dem Kläger zu wiederholen, hilfsweise den Verfahrensteil „HAM-Int“, hilfsweise den Verfahrensteil „HAM-Nat“ zu wiederholen.

38

Die Beklagte beantragt,

39

die Klage abzuweisen.

40

Die Beklagte trägt vor, die Klage gegen den innerkapazitären Ablehnungsbescheid sei ersichtlich unzulässig, weil sie nach Ablauf der Monatsfrist erhoben worden sei. Es stelle keine Unrichtigkeit im Sinne von § 58 Abs. 2 VwGO dar, wenn nicht über die Möglichkeit der Klageerhebung im Wege der elektronischen Kommunikation belehrt werde. Die Rechtsmittelbelehrung sei weder unrichtig noch irreführend. Das Oberverwaltungsgericht Bremen habe in seiner Entscheidung vom 25. August 2015 (2 LB 283/14) zutreffend auf die extrem hohen Hürden einer elektronischen Klageerhebung hingewiesen. Es sei nicht erkennbar, dass durch das Weglassen dieser Ergänzung es dem Betroffenen erschwert worden sein könnte, die Klage rechtzeitig einzulegen. Eine isolierte Klage gegen die Mitteilung des Prüfungsergebnisses sei gemäß § 44a VwGO ebenfalls unzulässig.

41

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zur Frage der Zulässigkeit einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

I.

42

Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet das Gericht im schriftlichen Verfahren (§ 101 Abs. 2 VwGO).

II.

43

Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist bereits unzulässig.

44

1. Das in den Anträgen zu 1) und 3) formulierte Verpflichtungsbegehren, den Kläger unter Aufhebung des Bescheides vom 23. September 2016 zum Studium der Medizin nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2016/2017 zuzulassen bzw. neu zu bescheiden bzw. ihn einzelne Prüfungsteile wiederholen zu lassen, ist unzulässig, weil der streitgegenständliche Bescheid bereits bestandskräftig ist.

45

Die gegen den Ablehnungsbescheid im Auswahlverfahren der Hochschulen vom 23. September 2016 erhobene Klage ist nicht innerhalb der Klagfrist des § 74 Abs. 1 und 2 VwGO erhoben worden. Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die Klage nicht innerhalb der Monatsfrist erhoben wurde. Der Bescheid vom 23. September 2016 wurde – neben der elektronischen Abrufbarkeit über das Benutzerkonto (AntOn) – am gleichen Tage postalisch aufgegeben und gilt somit am dritten Tag nach Aufgabe zur Post – also am 26. September 2016 – als bekanntgegeben, § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG. Die Monatsfrist des § 74 Abs. 1 und 2 VwGO endete somit am Mittwoch, den 26. Oktober 2016. Da die Klage erst am 11. November 2016 erhoben wurde, ist die Monatsfrist nicht gewahrt, was vom Kläger auch nicht in Abrede gestellt wird.

46

Entgegen der Ansicht der Klägerseite galt vorliegend auch die Monatsfrist gemäß § 74 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 58 Abs. 1 VwGO und nicht die Jahresfrist gemäß § 58 Abs. 2 VwGO. Denn die Rechtbehelfsbelehrung im streitgegenständlichen Bescheid vom 23. September 2016 war nicht „unrichtig“ im Sinne von § 58 Abs. 2 VwGO.

47

Gemäß § 58 Abs. 1 VwGO beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Diesen Anforderungen genügt die Rechtsbehelfsbelehrung des streitgegenständlichen Bescheides. Die hier zu beurteilende Rechtsmittelbelehrung enthält den Hinweis, dass gegen den Bescheid innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Klage beim jeweils genannten Verwaltungsgericht zu erheben ist. Die konkrete Benennung des Verwaltungsgerichts in der Rechtsbehelfsbelehrung selbst ist unterblieben, weil der Ablehnungsbescheid im Auswahlverfahren der Hochschulen insgesamt sechs verschiedene Hochschulen mit jeweils unterschiedlichen Gerichtsständen zum Gegenstand hat, so dass das jeweils zuständige Gericht einschließlich der jeweiligen Adresse erst in der nachfolgenden Auflistung aufgeführt wird. Dies ist nicht zu beanstanden und ist – bezogen auf die streitgegenständliche Ablehnung durch die Beklagte – durch Benennung des Verwaltungsgerichts Hamburg in rechtsfehlerfreier Art und Weise erfolgt.

48

Die Rechtsbehelfsbelehrung beschränkt sich allerdings nicht auf die Belehrung der gesetzlichen Vorgaben, sondern geht darüber hinaus. Der weitergehende Zusatz „schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle“ nimmt dabei Bezug auf § 81 Abs. 1 VwGO, in dem diese beiden Varianten der Klageerhebung geregelt sind. Die seit dem 1. Dezember 2014 am Verwaltungsgericht Hamburg durch § 55a VwGO in der zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses gültigen Fassung in Verbindung mit § 1 der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in Hamburg (ERVV) vom 28. Januar 2008 (HmbGVBl S. 51), in der Fassung der Änderung vom 13. November 2014 (HmbGVBl S. 482), für alle Verfahrensbereiche eröffnete Möglichkeit der elektronischen Klageerhebung wird in der Rechtsbehelfsbelehrung nicht erwähnt. Dies macht die Rechtsbehelfsbelehrung aber weder unzutreffend noch irreführend. Im Einzelnen:

49

Nach § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist die Einlegung des Rechtsbehelfs innerhalb eines Jahres nach Zustellung möglich, wenn die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt worden ist. Sofern sich die Belehrung nicht auf die gesetzlich notwendigen Vorgaben beschränkt, sondern – wie vorliegend – weitere Hinweise hinsichtlich der Modalitäten der Klageerhebung erteilt, ist dieses grundsätzlich zulässig; es entspricht aber ständiger Rechtsprechung, dass solche Hinweise nicht unrichtig oder irreführend, d.h. geeignet sein dürfen, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen, der ihn davon abhalten kann, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 3.3.2016, 3 PKH 5/15, juris Rn. 6; Beschl. v. 31.8.2015, 2 B 61/14, juris Rn. 8; Urt. v. 21.3.2002, 4 C 2/01, juris Rn. 12; Urt. v. 13.12.1978, 6 C 77/78, juris Rn. 23). Es kommt dabei nicht darauf an, ob der zu beanstandende Zusatz der Belehrung im konkreten Fall tatsächlich einen Irrtum hervorgerufen und dazu geführt hat, dass das Rechtsmittel nicht oder nicht rechtzeitig eingelegt worden ist. § 58 VwGO macht den Lauf der Fristen in allen Fällen von der Erteilung einer ordnungsgemäßen Belehrung abhängig, ohne Rücksicht darauf, ob den Betroffenen die Möglichkeit und die Voraussetzungen der in Betracht kommenden Rechtsbehelfe tatsächlich unbekannt waren und ob das Fehlen oder die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung kausal für das Unterbleiben oder die Verspätung des Rechtsbehelfs war. Das dient der Rechtsmittelklarheit; indem § 58 VwGO seine Rechtsfolgen allein an die objektiv feststellbare Tatsache des Fehlens oder der Unrichtigkeit der Belehrung knüpft, gibt die Vorschrift sämtlichen Verfahrensbeteiligten gleiche und zudem sichere Kriterien für das Bestimmen der formellen Rechtskraft an die Hand (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.4.2009, 3 C 23/08, juris Rn. 17; Urt. v. 15.12.1988, BVerwG 5 C 9.85, juris Rn. 15; Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO Kommentar, 23. Aufl. 2017, § 58 Rn. 1; Meissner/Schenk in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO Kommentar, Stand Juni 2017, § 58 Rn. 64).

50

In der Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob der Zusatz in einer Rechtsbehelfsbelehrung, der Rechtsbehelf könne schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden, ohne den Hinweis auch auf die Möglichkeit, die Klage mittels elektronischen Dokuments zu erheben, geeignet ist, die Rechtsmitteleinlegung zu erschweren.

51

a) Nach einer Auffassung ist das Fehlen des Hinweises generell geeignet, bei dem Adressaten einen Irrtum über die verschiedenen Möglichkeiten, den Formerfordernissen zu genügen, hervorzurufen. Die Annahme der Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung wird damit begründet, der Hinweis auf die Klageerhebung schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten sei nach dem objektiven Empfängerhorizont geeignet, den Eindruck zu erwecken, dass die Klage trotz bestehender Möglichkeit nicht in elektronischer Form erhoben werden könne. Die Verweisung auf das Erfordernis, den Rechtsbehelf schriftlich einzureichen, erschwere dem Betroffenen die Rechtsverfolgung in einer vom Gesetz nicht gewollten Weise. Es sei durchaus denkbar, dass die Einlegung des Rechtsbehelfs in elektronischer Form – für den Beteiligten persönlich ebenso wie für dessen Bevollmächtigten – eine erhebliche Vereinfachung gegenüber der Einreichung eines Schriftstücks durch Einwurf in den Gerichtsbriefkasten, per Post bzw. Boten oder Fax darstelle (OVG Koblenz, Urt. vom 8.3.2012, 1 A 11258/11; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 2.2.2011, 2 N 10.10; Beschl. v. 3.5.2010, 2 S 106.09; Beschl. v. 22.4.2010, 2 S 12.10; OVG Magdeburg, Urt. v. 24.11.2010, 4 L 115/09; VG Magdeburg, Urt. v. 10.5.2012, 4 A 261/11; VG Neustadt, Urt. v. 10.9.2010, 2 K 156/10.NW; VG Koblenz, Urt. v. 24.8.2010, 2 K 1005/09.KO; VG Potsdam, Urt. v. 18.8.2010, 8 K 2929/09; VG Trier, Urt. v. 22.9.2009, 1 K 365/09.TR; abrufbar jeweils über juris; vgl. auch Schenke in Kopp/Schenke, a.a.O., § 58 Rn. 12; Kastner in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht Handkommentar, 4. Aufl. 2016, § 58 Rn. 15; für die Sozialgerichtsbarkeit: LSG Darmstadt, Urt. v. 13.4.2012, L 5 R 154/11; LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 15.11.2011, L 3 U 88/10; abrufbar unter juris). Auch wird darauf hingewiesen, dass die elektronische Kommunikation längst aus dem Status der „Exotik“ herausgewachsen sei und nach dem Willen des Gesetzgebers einen den seit jeher bekannten Formen der Rechtsbehelfseinlegung gleichgestellten Weg darstelle. Eine entsprechende Erweiterung der Rechtsbehelfsbelehrung um diesen zusätzlichen dritten Weg stelle auch keine Überforderung des betroffenen Bürgers dar. Ihm blieben bei einer derartigen Fassung der Rechtsbehelfsbelehrung daneben die seit alters her bekannten Wege offen, den Rechtsbehelf einzulegen (OVG Koblenz, Urt. v. 8.3.2012, a.a.O.; VG Trier, Urt. v. 22.9.2009, a.a.O.). Zudem richte sich die Rechtsbehelfsbelehrung an alle Verfahrensbeteiligten und es dürfe nicht nur auf diejenigen Verfahrensbeteiligten abgestellt werden, die von der elektronischen Kommunikationsmöglichkeit am wenigsten Gebrauch machen dürften (LSG Darmstadt, Urt. v. 13.4.2012, a.a.O.).

52

b) Nach der Gegenauffassung muss dagegen nicht auf die Möglichkeit der Erhebung einer verwaltungsgerichtlichen Klage mittels elektronischer Datenübermittlung hingewiesen werden, weil diese Form bisher wenig verbreitet sei und besonderen Voraussetzungen und Umständen unterliege. Die elektronische Klageerhebung unterscheide sich von herkömmlichen Formen der Klageerhebung durch Zugangsvoraussetzungen, die gerade nicht jedermann offen stünden. Der elektronische Rechtsverkehr sei daher kein leicht zugänglicher und unkomplizierter Weg zur Klageerhebung. Er bedeute für denjenigen, der sich mit der Anwendung des Verfahrens nicht vertraut gemacht habe, keine erhebliche Vereinfachung gegenüber der Einreichung eines Schriftstücks durch Einwurf in den Gerichtsbriefkasten, per Post oder Fax oder der Erhebung der Klage zur Niederschrift. Insbesondere auch im Verhältnis zur Klageerhebung per Fax, auf die nicht gesondert hingewiesen werden müsse, stelle er keine Vereinfachung des Rechtsschutzzugangs dar. Wegen der besonderen Bedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs sei das Fehlen eines Hinweises auf ihn generell nicht geeignet, die Einlegung des Rechtsmittels zu beeinträchtigen. Ohne weitere Hinweise auf Einzelheiten, insbesondere das Erfordernis einer elektronischen Signatur, könne ein entsprechender Hinweis den Rechtsschutzsuchenden womöglich sogar davon abhalten, rechtzeitig schriftlich oder zur Niederschrift Klage einzureichen. Soweit Verfahrensbeteiligte von dem elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfach zur Vereinfachung von Verfahrensabläufen Gebrauch machen würden, gehe die zitierte Rechtsprechung zu Recht davon aus, dass sie derart in das Verfahren eingebunden und mit diesem vertraut seien, dass sie typischerweise nicht einem Irrtum über die Möglichkeit der elektronischen Klageerhebung unterliegen würden. Bei diesen Anwendern, die bewusst die technischen Voraussetzungen für die Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs bei sich geschaffen hätten, könne vorausgesetzt werden, dass ihnen bekannt sei, dass die in § 70 Abs. 1 Satz 1, § 81 Abs. 1 VwGO vorgesehene Form der schriftlichen Klageerhebung oder der Klageerhebung zur Niederschrift durch die Übermittlung eines elektronischen Dokuments ersetzt werden könne. Der Zweck der Rechtsbehelfsbelehrung, dem Beteiligten den richtigen und regelmäßigen Weg der Klageerhebung zu zeigen, dürfe nicht dadurch verwässert werden, dass die Rechtsbehelfsbelehrung auch alle anderen Möglichkeiten, die das Gesetz zur Fristwahrung genügen lasse, aufzählen müsse. Die Rechtsbehelfsbelehrung werde dadurch nicht übersichtlicher, sondern länger und verwirrend. Von daher müsse auf die Möglichkeit der Klageerhebung in elektronischer Form nicht gesondert hingewiesen werden (vgl. OVG Bremen, Urt. v. 8.8.2012, 2 A 53/12.A; Beschl. v. 25.8.2015, 2 LB 283/14; VGH München, Beschl. v. 18.4.2011, 20 ZB 11.349; VG Hannover, Urt. v. 18.5.2017, 7 A 5352/16; VG Braunschweig, Urt. v. 16.12.2015, 5 A 17/14; VG Magdeburg, Urt. v. 22.7.2014, 7 A 482/12; VG Neustadt, Urt. v. 22.9.2011, 4 K 540/11.NW; VG Frankfurt, Urt. v. 8.7.2011, 11 K 4808/10.F; VG Berlin, Beschl. v. 20.5.2010, 12 L 253/10; abrufbar jeweils unter juris; vgl. auch Meissner/Schenk in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO Kommentar, Stand Juni 2017, § 58 Rn. 44; für die Finanzgerichtsbarkeit: BFH, 10. Senat, Urt. v. 20.11.2013, X R 2/12; 8. Senat, Urt. v. 5.3.2014, VIII R 51/12; 6. Senat, Beschl. v. 28.4.2015, VI R 65/13; 3. Senat, Beschl. v. 2.2.2010, III B 20/09; abrufbar jeweils unter juris; für die Sozialgerichtsbarkeit: BSG, Urt. v. 14.3.2013, B 13 R 19/12 R; LSG Darmstadt, Urt. v. 20.6.2011, L 7 AL 87/10; abrufbar jeweils unter juris).

53

c) Die erkennende Kammer schließt sich der letztgenannten Auffassung an.

54

Das Fehlen eines Hinweises auf die Möglichkeit der Klageerhebung per elektronischen Rechtsverkehrs ist im Hinblick auf dessen Ausgestaltung – im hier maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses – generell nicht geeignet gewesen, das Einlegen des Rechtsbehelfs zu beeinträchtigen. Die Rechtbehelfsbelehrung im streitgegenständlichen Bescheid war daher nicht „unrichtig“ im Sinne von § 58 Abs. 2 VwGO.

55

Ausgehend von der Überlegung, dass die Rechtsbehelfsbelehrung zur Gewährleistung eines möglichst effektiven Rechtsschutzes die Betroffenen davor schützen soll, eines Rechtsbehelfs verlustig zu gehen, ist für die Kammer maßgebend, dass sich die Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs durch besondere Zugangsvoraussetzungen auszeichnet, die sich von den jedermann leicht zugänglichen Möglichkeiten der schriftlichen Klageerhebung oder Klageerhebung zur Niederschrift gravierend unterscheiden. Jedenfalls zur Zeit des Bescheiderlasses am 23. September 2016 waren die rechtlichen und praktischen Bedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs im Geltungsbereich des Verwaltungsgerichts Hamburg noch nicht so ausgestaltet, dass es zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes zwingend erforderlich gewesen wäre, über ihn gesondert zu belehren. Das Fehlen eines Hinweises auf den elektronischen Rechtsverkehr war mithin nicht geeignet, die Einlegung des Rechtsmittels zu beeinträchtigen.

56

Dies ergibt sich vor allem daraus, dass der mit einer rechtswirksamen elektronischen Übermittlung von Schriftsätzen an das Gericht verbundene Aufwand bei Weitem denjenigen überstieg, der mit einer Übermittlung auf herkömmlicher Weise (schriftlich oder zur Niederschrift) einhergeht (vgl. auch BSG, Urt. v. 14.3.2013, a.a.O., juris Rn. 25). Denn die Wirksamkeit der Übermittlung eines elektronischen Dokuments, das einem schriftlich zu unterzeichnenden Schriftstück gleichsteht, setzte voraus, dass das Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen war (vgl. § 55a Abs. 1 Satz 3 und 4 VwGO in der bis zum 28. Juli 2017 gültigen Fassung sowie § 2 Abs. 3 ERVV in der bis zum 31. Dezember 2017 gültigen Fassung), wofür in der Regel eine Signaturkarte eines Zertifizierungsdiensteanbieters (ZDA) und ein Chipkarten-Lesegerät benötigt werden. Der Erhalt einer Signaturkarte, die für die qualifizierte elektronische Signatur nutzbar ist, setzt wiederum zunächst die Durchführung eines zuverlässigen Identifizierungsverfahrens voraus (vgl. hierzu: https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Service-Funktionen/Elektronische Vertrauensdienste/QES/WasbenoetigtmanzurSignatur/ DieSignaturkarte/diesignaturkarte-node.html;jsessionid=BE46FBE757975050CC72744BB1E35 E40). Darüber hinaus war es in einem weiteren Schritt erforderlich, eine spezielle Zugangs- und Übertragungssoftware (Elektronisches Gerichts- und Verwaltungspostfach – EGVP) zu installieren, über die nachfolgend die elektronische Übermittlung von Dokumenten vorgenommen werden konnte. Des Weiteren war es Voraussetzung für die Nutzung dieses Verfahrens, sich zuvor einmalig bei der elektronischen Poststelle anzumelden (vgl. Ziffer 2. der ERV-Bekanntmachungen; abrufbar unter: http://justiz.hamburg.de/erv-bekannt-machungen/). Auch die umfangreichen Anleitungen und Hinweise auf der Internetseite zum elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfach (www.egvp.de) belegen, dass die Erhebung einer Klage mittels elektronischen Dokuments nicht ohne einen gewissen Aufwand an Vorbereitung einfach und schnell durchführbar ist. Allein die auf der Internetseite abrufbare Anwenderdokumentation (https://egvp.justiz.de/pdf/dokumentationen/ Anwenderdokumentation1.pdf), die den Nutzer in die Lage versetzen soll, mit den unterschiedlichen Funktionen des EGVP sinnvoll umzugehen, umfasst 110 Seiten.

57

Auch die Bundesregierung gelangte zu der Einschätzung, dass der einer elektronischen Übermittlung in gerichtlichen Verfahren notwendig vorausgehende Zusatzaufwand von erheblichem Ausmaß dazu geführt habe, dass die Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten in Deutschland auch zehn Jahre nach dessen Einführung „weiter hinter den Erwartungen zurückgeblieben“ sei und „die Kommunikation mit der Justiz noch fast ausschließlich auf Papier“ basiere (vgl. Entwurf der Bundesregierung zu einem Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 6.3.2013, BT-Drs. 17/12634, S. 20).

58

Vor diesem Hintergrund schließt sich die Kammer den nachfolgend zitierten Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts Bremen in seiner Entscheidung vom 8. August 2012 an:

59

„Der elektronische Rechtsverkehr ist kein leicht zugänglicher und unkomplizierter Weg zur Klageerhebung. Er bedeutet für denjenigen, der sich mit der Anwendung des Verfahrens nicht vertraut gemacht hat, keine erhebliche Vereinfachung gegenüber der Einreichung eines Schriftstücks durch Einwurf in den Gerichtsbriefkasten, per Post oder Fax oder der Erhebung der Klage zur Niederschrift. Insbesondere auch im Verhältnis zur Klageerhebung per Fax, auf die nicht gesondert hingewiesen werden muss, stellt er keine Vereinfachung des Rechtsschutzzugangs dar. Wegen der besonderen Bedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs ist das Fehlen eines Hinweises auf ihn generell nicht geeignet, die Einlegung des Rechtsmittels zu beeinträchtigen. Ohne weitere Hinweise auf Einzelheiten, insbesondere das Erfordernis einer elektronischen Signatur, kann ein entsprechender Hinweis den Rechtsschutzsuchenden womöglich sogar davon abhalten, rechtzeitig schriftlich oder zur Niederschrift Klage einzureichen. Soweit Verfahrensbeteiligte von dem elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfach zur Vereinfachung von Verfahrensabläufen Gebrauch machen, geht die zitierte Rechtsprechung zu Recht davon aus, dass sie derart in das Verfahren eingebunden und mit diesem vertraut sind, dass sie typischerweise nicht einem Irrtum über die Möglichkeit der elektronischen Klageerhebung unterliegen. Bei diesen Anwendern, die bewusst die technischen Voraussetzungen für die Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs bei sich geschaffen haben, kann vorausgesetzt werden, dass ihnen bekannt ist, dass die in § 70 Abs. 1 Satz 1, § 81 Abs. 1 VwGO vorgesehene Form der schriftlichen Klageerhebung oder der Klageerhebung zur Niederschrift durch die Übermittlung eines elektronischen Dokuments ersetzt werden kann.“

60

Auch auf Seiten der Gerichte war zum maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses die Fähigkeit zur elektronischen Kommunikation noch längst nicht überall gegeben (vgl. BT-Drs. 17/12634, S. 20). Exemplarisch kann insoweit auf den streitgegenständlichen Ablehnungsbescheid im Auswahlverfahren der Hochschulen verwiesen werden. Von den dort aufgelisteten sechs Studienorten befanden sich drei, die in Verwaltungsgerichtsbezirken lagen, wo der elektronische Rechtsverkehr noch nicht eröffnet war (Würzburg, München und Regensburg; vgl. Schenke, a.a.O, § 55a Rn. 7). Auch hieraus wird deutlich, dass es jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt nicht gerechtfertigt war, bei Betrachtung des gesamten Geltungsbereichs der Verwaltungsgerichtsordnung die Möglichkeit der Einlegung von Rechtsbehelfen in elektronischer Form als „Regelweg“ der Rechtsmitteleinlegung im Sinne der Schutzvorschrift des § 58 Abs. 2 VwGO anzusehen (vgl. auch BSG, Urt. v. 14.3.2013, a.a.O., juris Rn. 27 hinsichtlich des Verbreitungsgrades in der Sozialgerichtsbarkeit).

61

Soweit das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung vertritt, dass eine Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig sei, die dahingeht, dass der Rechtsbehelf schriftlich einzulegen sei, ohne darauf hinzuweisen, dass auch eine Erhebung zur Niederschrift möglich sei (vgl. Urt. v. 25.9.2008, 7 A 4/07, juris Rn. 15; Urt. v. 13.12.1978, 6 C 77/78, juris Rn. 24), beruht diese Rechtsprechung auf einem Schutzgedanken, der auf die vorliegende Konstellation nicht übertragbar ist. Denn Hintergrund dieser Rechtsprechung ist die Erwägung, dass es durchaus denkbar sei, dass sich ein Betroffener nicht gewachsen fühle, einen Rechtsbehelf schriftlich zu erheben und er deshalb von der (weiteren) Verfolgung seiner Interessen absehe. Diese Erwägung erscheint durchaus plausibel, weil beispielsweise Schreibprobleme oder Berührungsängste hinsichtlich der Nutzung von modernen Kommunikationsmitteln (z.B. Computern) Personen von der Wahrnehmung ihrer Rechte abhalten könnten. Umgekehrt erscheint es aber wenig naheliegend, dass eine technikaffine Person von der Erhebung eines Rechtsbehelfs abgehalten werden könnte, nur weil sie nicht auf die Möglichkeit der Klageerhebung per EGVP hingewiesen wird, zumal der Schriftform auch durch fernschriftliche Klageerhebung, beispielsweise mittels Tele- oder Computerfax, genügt werden kann.

62

Die Kammer lässt es – mangels Entscheidungserheblichkeit – dahinstehen, ob sich durch die geänderte Rechtslage seit dem 1. Januar 2018 durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013 (BGBl. I S. 3786) für danach erteilte Rechtsbehelfsbelehrungen etwas anderes ergibt.

63

2. Soweit der Kläger sein im Antrag zu 3) formuliertes Verpflichtungsbegehren unter gleichzeitiger Aufhebung der Emails der Beklagten sowie des „Widerspruchsbescheides“ vom 17. Oktober 2016 (Antrag zu 2]) begehrt, ist die Klage ebenfalls unzulässig, weil es sich hierbei um nicht selbstständige Verfahrenshandlungen im Sinne des § 44a Satz 1 VwGO handelt.

64

Gemäß § 44a Satz 1 VwGO können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Die Vorschrift ist mit der Verabschiedung des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) vom 25. Mai 1976 (BGBl. I S. 1253) als dessen § 97 Nr. 2 erlassen worden. Sie dient dem Ziel der Prozessökonomie und soll verhindern, dass die sachliche Entscheidung durch die Anfechtung von Verfahrenshandlungen verzögert wird. Nur das Ergebnis behördlichen Handelns, nicht aber die Vorbereitung der Sachentscheidung soll Gegenstand der gerichtlichen Kontrolle sein (BT-Drs. 7/910, S. 97 zu § 92 VwVfG-E; vgl. BVerwG, Urt. v. 22.9.2016, 2 C 16/15, juris).

65

a) Unter einer Verfahrenshandlung ist jede behördliche Maßnahme zu verstehen, die im Zusammenhang mit einem schon begonnenen und noch nicht abgeschlossenen Verwaltungsverfahren steht und die der Vorbereitung einer regelnden Sachentscheidung dient. Aus dem Gegensatz des Begriffs der Verfahrenshandlung zu dem in § 44a Satz 1 VwGO gleichfalls verwendeten Begriff der Sachentscheidung folgt, dass sich der Ausschluss selbstständiger Rechtsbehelfe grundsätzlich auf solche behördlichen Maßnahmen beschränkt, die Teil eines konkreten Verwaltungsverfahrens sind, ohne selbst Sachentscheidung zu sein, ohne also ihrerseits in materielle Rechtspositionen einzugreifen (BVerwG, Urt. v. 1.9.2009, 6 C 4/09, juris Rn. 21). Unerheblich für die Einordnung als Verfahrenshandlung ist dabei, welche Rechtsform der vorbereitende Akt hat. Neben Realakten können auch Verwaltungsakte Verfahrenshandlungen im Sinne des § 44a Satz 1 VwGO sein (Geiger, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 44a Rn. 4; Schenke, a.a.O., § 44a Rn. 3).

66

b) Vorliegend stellen die per Email an den Kläger gesendeten Mitteilungen der Beklagten, die diese jeweils nach der Durchführung des HAM-Nat und des HAM-Int versendet hatte, unselbstständige, nicht vollstreckbare Verfahrenshandlungen dar, die allein dazu dienen, die Sachentscheidung vorzubereiten. Sie sind Bestandteile des nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Staatsvertrages über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung vom 8. März 2008 bis 5. Juni 2008 (HmbGVBl. 2009, S. 37, nachfolgend: Staatsvertrag) durchzuführenden Auswahlverfahrens der Hochschulen, welches die Beklagte nach Maßgabe des Art. 3 des Gesetzes zum Staatsvertrag über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung vom 17. Februar 2009 (HmbGVBl. S. 36, nachfolgend: Zustimmungsgesetz), in der Fassung des Gesetzes vom 14. März 2014 (HmbGVBl. S. 99, 101) in Verbindung mit der Satzung der Universität Hamburg über das Auswahlverfahren in den bundesweit zulassungsbeschränkten Studiengängen Humanmedizin, Pharmazie und Zahnmedizin, vorliegend in der Fassung vom 18. April 2016 (Amtliche Bekanntmachung Nr. 25 vom 17. Mai 2016, im Folgenden: Auswahlsatzung) umgesetzt hatte. Das darin geregelte Auswahlverfahren endet gemäß Art. 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Staatsvertrages mit einem Zulassungs- oder Ablehnungsbescheid, der durch die Stiftung für Hochschulzulassung namens und im Auftrag der Beklagten erteilt wird (vgl. § 14 Auswahlsatzung und § 10 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung über die zentrale Vergabe von Studienplätzen vom 25. Mai 2010 [HmbGVBl. S. 390; VergabeVO Stiftung], in der Fassung vom 16. Februar 2015 [HmbGVBl. S. 35]). Allein dieser Bescheid der Stiftung für Hochschulzulassung enthält die maßgebliche rechtliche Regelung, die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden kann.

67

c) Soweit die Klägerseite vorträgt, das Prüfungsergebnis begründe eine verfestigte Rechtsposition, weil die Prüfung nicht wiederholbar und das Ergebnis somit auch für zukünftige Bewerbungsrunden maßgeblich sei, ist dem nicht zu folgen. Ausweislich des § 3 Abs. 1 Satz 2 der Auswahlsatzung werden bei der Auswahl nur Ergebnisse des HAM-Nat und des HAM-Int aus dem aktuellen Bewerbungsjahr berücksichtigt, wobei eine mehrfache Teilnahme an Tests in unterschiedlichen Jahren möglich ist. Das Prüfungsergebnis hat mithin für zukünftige Auswahlverfahren keine Bedeutung und es ist dem Kläger unbenommen, erneut am Auswahlverfahren der Beklagten teilzunehmen.

68

d) Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Schreiben der Beklagten vom 17. Oktober 2016. Entgegen der Ansicht der Klägerseite stellt dieses Schreiben – das die Überschrift „Stellungnahme zu Herrn Johannes Rainer Humanmedizin WS 2016/2017 1. FS – zum AdH Verfahren“ trägt – schon keinen Widerspruchsbescheid dar, zumal gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 des Staatsvertrages ein Widerspruchsverfahren gegen Bescheide der Hochschulen nicht stattfindet. Auch nach dem objektiven Erklärungsgehalt aus Sicht eines verständigen Adressaten stellt sich das Schreiben nicht als Verwaltungsakt dar. Weder ist es in die Form eines Widerspruchsbescheides gegossen – keine entsprechende Überschrift, keine Tenorierung, keine Rechtsbehelfsbelehrung –, noch wird darin der Eindruck erweckt, den klägerischen Widerspruch zurückweisen zu wollen. Es ist lediglich als Informationsschreiben über den Ablauf des konkreten Auswahlverfahrens, die vom Kläger erzielte Punktzahl und seine Einordnung in der Rangliste zu verstehen. Im Übrigen wäre die Klage selbst bei einer unterstellten Verwaltungsaktqualität des Schreibens unzulässig, weil es gleichwohl als Verfahrenshandlung im Sinne von § 44a Satz 1 VwGO anzusehen wäre.

III.

69

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

70

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Hamburg Urteil, 06. März 2018 - 11 K 6685/16

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Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl
Verwaltungsgericht Hamburg Urteil, 06. März 2018 - 11 K 6685/16 zitiert 17 §§.

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

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(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 101


(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden. (2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 58


(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende F

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 74


(1) Die Anfechtungsklage muß innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids erhoben werden. Ist nach § 68 ein Widerspruchsbescheid nicht erforderlich, so muß die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erho

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 70


(1) Der Widerspruch ist innerhalb eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, schriftlich, in elektronischer Form nach § 3a Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes oder zur Niederschrift bei der Behörde zu e

Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG | § 41 Bekanntgabe des Verwaltungsaktes


(1) Ein Verwaltungsakt ist demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, so kann die Bekanntgabe ihm gegenüber vorgenommen werden. (2) Ein schriftlicher Verwaltun

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 44a


Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen können nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Dies gilt nicht, wenn behördliche Verfahrenshandlungen vollstreckt werden können oder ge

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 55a


(1) Vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen, schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen der Beteiligten sowie schriftlich einzureichende Auskünfte, Aussagen, Gutachten, Übersetzungen und Erklärungen Dritter können nach Maßgabe der Absätz

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 81


(1) Die Klage ist bei dem Gericht schriftlich zu erheben. Bei dem Verwaltungsgericht kann sie auch zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden. (2) Der Klage und allen Schriftsätzen sollen vorbehaltlich des § 55a Absatz 5 S

Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV | § 2 Anforderungen an elektronische Dokumente


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(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.

(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 60 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt entsprechend.

Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen können nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Dies gilt nicht, wenn behördliche Verfahrenshandlungen vollstreckt werden können oder gegen einen Nichtbeteiligten ergehen.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(1) Die Anfechtungsklage muß innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids erhoben werden. Ist nach § 68 ein Widerspruchsbescheid nicht erforderlich, so muß die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden.

(2) Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.

(1) Ein Verwaltungsakt ist demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, so kann die Bekanntgabe ihm gegenüber vorgenommen werden.

(2) Ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, gilt am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Ein Verwaltungsakt, der im Inland oder in das Ausland elektronisch übermittelt wird, gilt am dritten Tag nach der Absendung als bekannt gegeben. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.

(2a) Mit Einwilligung des Beteiligten kann ein elektronischer Verwaltungsakt dadurch bekannt gegeben werden, dass er vom Beteiligten oder von seinem Bevollmächtigten über öffentlich zugängliche Netze abgerufen wird. Die Behörde hat zu gewährleisten, dass der Abruf nur nach Authentifizierung der berechtigten Person möglich ist und der elektronische Verwaltungsakt von ihr gespeichert werden kann. Der Verwaltungsakt gilt am Tag nach dem Abruf als bekannt gegeben. Wird der Verwaltungsakt nicht innerhalb von zehn Tagen nach Absendung einer Benachrichtigung über die Bereitstellung abgerufen, wird diese beendet. In diesem Fall ist die Bekanntgabe nicht bewirkt; die Möglichkeit einer erneuten Bereitstellung zum Abruf oder der Bekanntgabe auf andere Weise bleibt unberührt.

(3) Ein Verwaltungsakt darf öffentlich bekannt gegeben werden, wenn dies durch Rechtsvorschrift zugelassen ist. Eine Allgemeinverfügung darf auch dann öffentlich bekannt gegeben werden, wenn eine Bekanntgabe an die Beteiligten untunlich ist.

(4) Die öffentliche Bekanntgabe eines schriftlichen oder elektronischen Verwaltungsaktes wird dadurch bewirkt, dass sein verfügender Teil ortsüblich bekannt gemacht wird. In der ortsüblichen Bekanntmachung ist anzugeben, wo der Verwaltungsakt und seine Begründung eingesehen werden können. Der Verwaltungsakt gilt zwei Wochen nach der ortsüblichen Bekanntmachung als bekannt gegeben. In einer Allgemeinverfügung kann ein hiervon abweichender Tag, jedoch frühestens der auf die Bekanntmachung folgende Tag bestimmt werden.

(5) Vorschriften über die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes mittels Zustellung bleiben unberührt.

(1) Die Anfechtungsklage muß innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids erhoben werden. Ist nach § 68 ein Widerspruchsbescheid nicht erforderlich, so muß die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden.

(2) Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.

(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.

(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 60 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt entsprechend.

(1) Die Klage ist bei dem Gericht schriftlich zu erheben. Bei dem Verwaltungsgericht kann sie auch zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden.

(2) Der Klage und allen Schriftsätzen sollen vorbehaltlich des § 55a Absatz 5 Satz 3 Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

(1) Vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen, schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen der Beteiligten sowie schriftlich einzureichende Auskünfte, Aussagen, Gutachten, Übersetzungen und Erklärungen Dritter können nach Maßgabe der Absätze 2 bis 6 als elektronische Dokumente bei Gericht eingereicht werden.

(2) Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein. Die Bundesregierung bestimmt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates technische Rahmenbedingungen für die Übermittlung und die Eignung zur Bearbeitung durch das Gericht.

(3) Das elektronische Dokument muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Satz 1 gilt nicht für Anlagen, die vorbereitenden Schriftsätzen beigefügt sind.

(4) Sichere Übermittlungswege sind

1.
der Postfach- und Versanddienst eines De-Mail-Kontos, wenn der Absender bei Versand der Nachricht sicher im Sinne des § 4 Absatz 1 Satz 2 des De-Mail-Gesetzes angemeldet ist und er sich die sichere Anmeldung gemäß § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes bestätigen lässt,
2.
der Übermittlungsweg zwischen den besonderen elektronischen Anwaltspostfächern nach den §§ 31a und 31b der Bundesrechtsanwaltsordnung oder einem entsprechenden, auf gesetzlicher Grundlage errichteten elektronischen Postfach und der elektronischen Poststelle des Gerichts,
3.
der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten Postfach einer Behörde oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts und der elektronischen Poststelle des Gerichts,
4.
der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten elektronischen Postfach einer natürlichen oder juristischen Person oder einer sonstigen Vereinigung und der elektronischen Poststelle des Gerichts,
5.
der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens genutzten Postfach- und Versanddienst eines Nutzerkontos im Sinne des § 2 Absatz 5 des Onlinezugangsgesetzes und der elektronischen Poststelle des Gerichts,
6.
sonstige bundeseinheitliche Übermittlungswege, die durch Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates festgelegt werden, bei denen die Authentizität und Integrität der Daten sowie die Barrierefreiheit gewährleistet sind.
Das Nähere zu den Übermittlungswegen gemäß Satz 1 Nummer 3 bis 5 regelt die Rechtsverordnung nach Absatz 2 Satz 2.

(5) Ein elektronisches Dokument ist eingegangen, sobald es auf der für den Empfang bestimmten Einrichtung des Gerichts gespeichert ist. Dem Absender ist eine automatisierte Bestätigung über den Zeitpunkt des Eingangs zu erteilen. Die Vorschriften dieses Gesetzes über die Beifügung von Abschriften für die übrigen Beteiligten finden keine Anwendung.

(6) Ist ein elektronisches Dokument für das Gericht zur Bearbeitung nicht geeignet, ist dies dem Absender unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des Eingangs unverzüglich mitzuteilen. Das Dokument gilt als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreicht und glaubhaft macht, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt.

(7) Soweit eine handschriftliche Unterzeichnung durch den Richter oder den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vorgeschrieben ist, genügt dieser Form die Aufzeichnung als elektronisches Dokument, wenn die verantwortenden Personen am Ende des Dokuments ihren Namen hinzufügen und das Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen. Der in Satz 1 genannten Form genügt auch ein elektronisches Dokument, in welches das handschriftlich unterzeichnete Schriftstück gemäß § 55b Absatz 6 Satz 4 übertragen worden ist.

(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.

(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 60 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt entsprechend.

Gründe

1

Die auf Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO und § 67 Satz 1 LDG NRW) gestützte Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision ist unbegründet.

2

1. Der 1960 geborene Beklagte steht seit 1977 im Polizeidienst des Klägers. Seit 1987 ist er Beamter auf Lebenszeit, seit 1999 im Amt eines Polizeikommissars (BesGr A 9 BBesO). Auf die Disziplinarklage des Klägers hin hat das Verwaltungsgericht den Beklagten aus dem Dienst entfernt. Im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht ist Kriminalhauptkommissar a.D. Peter S. aus Duisburg unter der Bezeichnung "Disziplinarverteidiger" als Prozessbevollmächtigter des Beklagten aufgetreten. Dem hat eine vom Beklagten erteilte Vollmacht zu Grunde gelegen. In dem Text zur Bevollmächtigung heißt es u.a.: "Zustellungsvollmacht liegt hiermit auch vor." Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist Herrn S. ausweislich der Zustellungsurkunde am 5. Februar 2014 im Wege der Ersatzzustellung durch Niederlegung zugestellt worden. Am 4. März 2014 hat Herr S. beim Verwaltungsgericht Berufung eingelegt und diese am 14. März 2014 begründet. Am 1. April 2014 hat sich der jetzige Prozessbevollmächtigte des Beklagten, ein Rechtsanwalt, bestellt. Am 7. April 2014 hat dieser gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil Berufung eingelegt und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der Versäumung der Berufungsfrist und der Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung beantragt. Die Berufung hat er am 28. April 2014 begründet.

3

Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Das Urteil des Verwaltungsgerichts sei dem damaligen Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 5. Februar 2014 wirksam zugestellt worden (§ 181 ZPO, § 56 Abs. 2 VwGO, § 3 Abs. 1 LDG NRW). Dieser sei tauglicher Zustellungsadressat gewesen, weil er jedenfalls nicht vom Verwaltungsgericht als Bevollmächtigter förmlich nach § 67 Abs. 3 Satz 1 VwGO, § 3 Abs. 1 LDG NRW zurückgewiesen worden sei. Mit der Zustellung am 5. Februar 2014 habe die Berufungsfrist (§ 64 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW) zu laufen begonnen. Die Rechtsmittelbelehrung im Urteil des Verwaltungsgerichts sei nicht zu beanstanden, auch wenn darin hinsichtlich der im Berufungsverfahren zugelassenen Bevollmächtigten lediglich auf die Gesetzeslage verwiesen worden sei. Die Belehrung sei weder unrichtig noch unzureichend noch irreführend. Die darin enthaltene Aufzählung der zugelassenen Bevollmächtigten entspreche der Gesetzeslage. Es sei auch nicht fehlerhaft, dass hinsichtlich des vertretungsbefugten Personenkreises nur auf die einschlägige Norm verwiesen worden sei, ohne diese im Einzelnen wiederzugeben. § 58 Abs. 1 VwGO, § 3 Abs. 1 LDG NRW verlangten überhaupt keine Belehrung über den Vertretungszwang. Ein Rückgriff nach § 173 Satz 1 VwGO auf § 232 ZPO, welcher nunmehr in der neuen Fassung auch eine Belehrung über die bei Rechtsmitteln einzuhaltende Form enthalte, sei im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht angezeigt. Die am 4. März 2014 an sich fristgerecht eingelegte Berufung habe mangels Postulationsfähigkeit des früheren Prozessbevollmächtigten des Beklagten nicht zu einer wirksamen Einlegung der Berufung geführt. Die erst am 7. April 2014 durch den aktuellen Prozessbevollmächtigten des Beklagten, einen Rechtsanwalt, eingelegte Berufung sei verfristet. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht zu gewähren. Der Beklagte habe die Frist nicht ohne Verschulden versäumt. Soweit er sich auf eine fehlerhafte Beratung durch den früheren Prozessbevollmächtigten berufe, sei ihm dessen Verschulden zuzurechnen. Zwar habe das Verwaltungsgericht davon abgesehen, den nicht zu dem vertretungsbefugten Personenkreis nach § 67 Abs. 2 VwGO zählenden früheren Prozessbevollmächtigten des Beklagten gemäß § 67 Abs. 3 Satz 1 VwGO zurückzuweisen. Daraus ergebe sich jedoch nichts für die maßgebliche Postulationsfähigkeit im Berufungsverfahren. Abgesehen davon sei die Berufung auch deshalb unzulässig, weil der Beklagte die parallel zur Berufungsfrist laufende Monatsfrist zur Berufungsbegründung ebenfalls nicht eingehalten habe.

4

2. Die vom Beklagten geltend gemachten Verfahrensfehler liegen nicht vor (§ 67 Satz 1, § 3 Abs. 1 LDG NRW i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

5

a) Zu Recht ist das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen, dass innerhalb der Monatsfrist des § 64 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW eine wirksame Berufung weder eingelegt noch begründet worden ist. Mit der Zustellung des verwaltungsgerichtlichen Urteils am 5. Februar 2014 hat die Monatsfrist zu laufen begonnen. Diese Frist endete gemäß § 57 Abs. 1 und 2 VwGO, § 3 Abs. 1 LDG NRW, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 2 und § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 5. März 2014. Innerhalb dieser Frist hat der Beklagte nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts nur durch seinen Bevollmächtigten, Herrn S., am 4. März 2014 Berufung beim Verwaltungsgericht eingelegt. Die Begründung der Berufung erfolgte erst nach Ablauf der Frist am 14. März 2014. Die Einlegung der Berufung durch Herrn S. war mangels Postulationsfähigkeit gemäß § 67 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO, § 3 Abs. 1 LDG NRW nicht wirksam.

6

Es ist auch nicht von der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO, § 3 Abs. 1 LDG NRW auszugehen gewesen. Anders als vom Beklagten angenommen ist die Rechtsmittelbelehrung im verwaltungsgerichtlichen Urteil nicht fehlerhaft.

7

Die hier streitbefangene Passage der Rechtsmittelbelehrung im verwaltungsgerichtlichen Urteil lautet:

"Im Berufungsverfahren muss sich jeder Beteiligte durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Als Bevollmächtigter sind nur die in § 67 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen sowie diesen gleichgestellte Personen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Ein Beteiligter, der nach Maßgabe von § 67 Abs. 4 Satz 3 und 7 VwGO zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren eingeleitet wird."

8

Eine Rechtsmittelbelehrung ist dann im Sinne des § 58 Abs. 2 VwGO fehlerhaft, wenn sie die in § 58 Abs. 1 VwGO zwingend erforderlichen Angaben nicht enthält, diese unrichtig wiedergibt oder wenn sie geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (BVerwG, Urteil vom 21. März 2002 - 4 C 2.01 - Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 83 S. 16 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Rechtsmittelbelehrung im verwaltungsgerichtlichen Urteil ist insbesondere nicht dadurch fehlerhaft, dass sie im Hinblick auf den Vertretungszwang vor dem Oberverwaltungsgericht nicht ausdrücklich die zur Vertretung befugten Personen benennt, sondern insoweit allein auf die gesetzliche Regelung verweist. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass eine Rechtsmittelbelehrung nicht über den gesetzlichen Vertretungszwang belehren muss (BVerwG, Beschlüsse vom 27. August 1997 - 1 B 145.97 - Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 67 S. 5, vom 24. Oktober 2012 - 1 B 23.12 - Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 90 Rn. 5 und vom 7. November 2014 - 2 B 45.14 - Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 91 Rn. 10 jeweils m.w.N.). § 58 Abs. 1 VwGO schreibt insoweit allein eine Belehrung über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei dem der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist vor. Weitere Inhalte der Rechtsbehelfsbelehrung sind nicht vorgeschrieben. Insbesondere ist es nicht notwendig, in der Rechtsmittelbelehrung darüber aufzuklären, welche Personen genau den gesetzlichen Vertretungszwang erfüllen.

9

Ein solches Erfordernis ergibt sich entgegen dem Vorbringen des Beklagten auch nicht aus § 232 ZPO n.F. i.V.m. § 173 Satz 1 VwGO. § 58 Abs. 1 VwGO bildet insoweit eine abschließende Regelung, die einer Ergänzung durch § 232 ZPO nicht zugänglich ist. Gemäß § 232 ZPO in der Fassung des Gesetzes vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I S. 2418) hat jede anfechtbare Entscheidung eine Belehrung über das statthafte Rechtsmittel und - soweit hier von Bedeutung - über die einzuhaltende Form und Frist zu enthalten. In der Auslegung durch die Bundesregierung in der Begründung des dem Gesetz zu Grunde liegenden Gesetzentwurfs umfasst die vorgeschriebene Belehrung über die Form des Rechtsbehelfs auch einen Hinweis auf einen bestehenden Anwaltszwang (BT-Drs. 17/10490 S. 13). Die Regelung ist in Reaktion auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 26. März 2009 - V ZB 174/08 - (BGHZ 180, 199) sowie auf den Beschluss der 81. Justizministerkonferenz vom 23./24. Juni 2010, eine Rechtsbehelfsbelehrung in das zivilgerichtliche und zwangsvollstreckungsrechtliche Verfahren einzuführen, getroffen worden (BT-Drs. 17/1049012 S. 11). Sie betrifft allein das zivilprozessuale Verfahren. Die Justizministerkonferenz führte zur Begründung ihrer Initiative Wertungswidersprüche zu anderen Verfahrensordnungen an, die bereits Regelungen über Rechtsbehelfsbelehrungen enthalten. Die Einführung von § 232 ZPO diente der Umsetzung dieses Beschlusses der Justizministerkonferenz (BT-Drs. 17/10490 S. 11). Mit der Einführung der Rechtsbehelfsbelehrung durch § 232 ZPO wurde ein Defizit der Zivilprozessordnung ausgeglichen. Es wurde keine Regelung über andere Verfahrensordnungen getroffen. § 58 Abs. 1 VwGO wurde nicht angepasst und gilt daher mit unverändertem Inhalt fort. Das folgt schließlich auch daraus, dass § 232 ZPO im Verständnis der amtlichen Begründung allein den Anwaltszwang zum Inhalt der Rechtsmittelbelehrung erhebt. Die Regelung in § 67 Abs. 4 Satz 3 ff. VwGO enthält aber eine wesentlich differenzierte Möglichkeit der Vertretung, die längst nicht auf Rechtsanwälte beschränkt ist.

10

Die Rechtsmittelbelehrung ist auch nicht unrichtig. Sie gibt die Gesetzeslage treffend wieder. Sie wird entgegen dem Vorbringen durch den Beklagten nicht dadurch unrichtig, dass das Oberverwaltungsgericht in seiner eigenen Rechtsmittelbelehrung die zur Vertretung befugten Personen und Organisationen benennt. Denn in beiden Fällen handelt es sich um freiwillige Angaben des Gerichts, die nur nicht falsch und nicht irreführend sein dürfen, was wie gezeigt, hier nicht der Fall ist.

11

Die angegriffene Passage der Rechtsmittelbelehrung ist zudem nicht irreführend. Anders als vom Beklagten dargestellt, ist es nicht irreführend, dass im Hinblick auf den Vertretungszwang die zur Vertretung berechtigten Personen bzw. Berufsgruppen nicht ausdrücklich genannt werden. Durch die gewählte Formulierung wird der Adressat der Rechtsmittelbelehrung nicht davon abgehalten, den richtigen Rechtsbehelf überhaupt, in der richtigen Frist und in der richtigen Form einzulegen. Allein dadurch, dass die angegriffene Rechtsmittelbelehrung darauf hinweist, dass in bestimmten, im Einzelnen benannten gesetzlichen Vorschriften Personen und Organisationen benannt sind, die zur Vertretung berechtigt sind, muss auch dem juristischen Laien klar sein, dass der zur Vertretung berechtigte Personenkreis durch Lektüre dieser Vorschriften ermittelt werden kann. Wegen dieses eindeutigen Verweises auf den Inhalt von Rechtsvorschriften kann er sich auch nicht darauf verlassen, dass in der Rechtsmittelbelehrung sämtliche von ihm zu beachtende Voraussetzungen für die Einlegung des Rechtsmittels genannt werden. Die angegriffene Rechtsmittelbelehrung erweckt wegen dieses Verweises gerade nicht den Eindruck, alle zu erfüllenden Anforderungen vollständig aufgelistet zu haben (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 21. März 2002 - 4 C 2.01 - Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 83 S. 16). Traut der Rechtsmittelführer sich nicht zu, die in der Rechtsmittelbelehrung genannten Vorschriften aufzufinden oder ihren Inhalt hinreichend zu verstehen, ist es ihm zumutbar, diesbezüglich juristischen Rat einzuholen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Oktober 2009 - 9 B 83.09 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 266 Rn. 3 m.w.N.).

12

Auch der letzte Satz der Rechtsmittelbelehrung, in dem darauf hingewiesen wird, dass "dies" auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren eingeleitet wird, gelte, ist nicht irreführend und hindert nicht die rechtzeitige, formgerechte Einlegung der Berufung. Dieser Satz ist allein so zu verstehen, dass der im gesamten Absatz beschriebene Vertretungszwang nicht nur für die Durchführung der Verfahren, sondern schon bei der Einlegung des Rechtsbehelfs, hier also bei der Einlegung der Berufung, gilt. Der Beklagte will diesen Satz gleichwohl so verstanden wissen, dass er sich nur auf den unmittelbar davor stehenden Satz und nicht auf den gesamten Absatz bezieht. In dem unmittelbar davor stehenden Satz wird erläutert, dass ein Beteiligter, der nach Maßgabe von § 67 Abs. 4 S. 3 und 7 VwGO zur Vertretung berechtigt ist, sich selbst vertreten kann. Bezöge sich der letzte Satz der Rechtsmittelbelehrung nur auf diesen Satz, ergäbe er nach den Gesetzen der Denklogik keinen Sinn. Auch der juristische Laie darf der gerichtlichen Rechtsmittelbelehrung aber keine Sinnlosigkeit unterstellen; er hat vielmehr ein Verständnis des Textes zu wählen, das Sinn ergibt. Bei dem vom Beklagten gewählten Verständnis des letzten Satzes der Rechtsmittelbelehrung bestünde außerhalb der Fälle der Selbstvertretung kein Vertretungszwang bei der Einleitung von Verfahren. Wenn dies so wäre, machte es aber keinen Sinn, die Möglichkeit der Selbstvertretung auch auf die Einleitung des Verfahrens zu erstrecken; denn für die Einleitung von Verfahren bestünde ja gerade kein Vertretungszwang.

13

Auch das vom Beklagten unterbreitete Verständnis der Rechtsmittelbelehrung, diese beschreibe einen Vertretungszwang allein für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts, ist nicht nachvollziehbar und zeigt kein irreführendes Element der Rechtsmittelbelehrung auf. In Satz 1 des zitierten Absatzes heißt es ausdrücklich, dass sich "jeder Beteiligte" vertreten lassen muss. Allein Satz 3 dieses Absatzes befasst sich mit Behörden und juristischen Personen des öffentlichen Rechts. Dies ist vom Wortlaut her eindeutig.

14

Es ist auch nicht irreführend, dass der Begriff der Unzulässigkeit in der angegriffenen Passage der Rechtsmittelbelehrung fehlt. Insoweit genügt es, dass das Verwaltungsgericht mit dem Wort "muss" eine eindeutige Verpflichtung, sich vertreten zu lassen, formuliert hat.

15

Ein irreführender Charakter der Rechtsmittelbelehrung lässt sich schließlich nicht damit darlegen, dass der Beklagte durch seinen Prozessbevollmächtigten eine Vielzahl von unzutreffenden Auslegungsmöglichkeiten ihres Wortlauts vorbringt, die - wie aufgezeigt - allesamt nicht tragfähig sind.

16

b) Ein Verfahrensfehler besteht auch nicht darin, dass das Oberverwaltungsgericht dem Beklagten keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 Abs. 1 VwGO, § 3 Abs. 1 LDG NRW) betreffend die Frist zur Einlegung und Begründung der Berufung gewährt hat. Die Rügen des Beklagten beziehen sich im Wesentlichen darauf, dass das Oberverwaltungsgericht zu Unrecht von einer Zurechnung des Verschuldens des früheren Bevollmächtigten des Beklagten ausgegangen sei. Dem Argument des Oberverwaltungsgerichts, aus § 85 Abs. 2 ZPO folge, dass auch das Verschulden des nicht anwaltlichen Vertreters dem Vertretenen zuzurechnen sei, hält der Beklagte allein entgegen, dass dessen Verschulden von dem Fehler des Verwaltungsgerichts, den nicht vertretungsbefugten Prozessbevollmächtigten des Beklagten nicht gemäß § 67 Abs. 3 Satz 1 VwGO, § 3 Abs. 1 LDG NRW zurückgewiesen zu haben, überlagert werde. Insoweit fehlt es schon an hinreichenden Darlegungen, dass das Verwaltungsgericht die fehlende Vertretungsbefugnis des früheren Bevollmächtigten des Beklagten hätte erkennen müssen. Im Übrigen kommt § 67 Abs. 3 Satz 1 VwGO keine Schutzfunktion im Hinblick auf den vertretenen Beteiligten zu. Primär geht es bei dieser Regelung darum, die geschäftsmäßige Prozessvertretung außerhalb der Rechtsanwaltschaft zu begrenzen bzw. auszuschließen (vgl. BT-Drs. 16/3655 S. 34). Konsequenterweise kann sich der so Vertretene nicht auf eine fehlende Zurückweisung im Rechtsmittelverfahren berufen (BT-Drs. 16/3655 S. 89 zu § 79 Abs. 3 ZPO). Systematisch ist der Schutz des Vertretenen vielmehr in § 67 Abs. 3 Satz 3 VwGO angelegt. Nach dieser Vorschrift kann ein an sich Vertretungsberechtigter vom Gericht zurückgewiesen werden, wenn er nicht in der Lage ist, das Sach- und Streitverhältnis sachgerecht darzustellen. Die Fachkompetenz des früheren Prozessbevollmächtigten des Beklagten zieht dieser jedoch nicht in Frage, sondern betont auf S. 12 der Beschwerdebegründung, er habe auf Grund dessen großer Erfahrung als "Disziplinarverteidiger" darauf vertrauen dürfen, durch ihn fachkundig beraten zu werden.

17

Soweit der Beklagte darüber hinaus ein mangelndes Verschulden damit begründet, dass die Rechtsmittelbelehrung falsch gewesen sei, gelten die Ausführungen zu (a) entsprechend. Weitere Darlegungen bezüglich des Verschuldens des Beklagten und der Zurechnung des Verschuldens des früheren Prozessbevollmächtigten des Beklagten enthält die Beschwerde nicht.

18

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 74 Abs. 1 LDG NRW. Einer Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil die Gerichtskosten gesetzlich betragsgenau festgesetzt sind (§ 75 Satz 1 LDG NRW, Nr. 10 und 62 Gebührenverzeichnis zum LDG NRW).

(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.

(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 60 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt entsprechend.

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Tenor

Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 22. September 2011 wird der Bescheid der Beklagten vom 15. November 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Stadtrechtsausschusses der Beklagten vom 12. Mai 2011 aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid der Beklagten, mit dem ihr eine Sondernutzungserlaubnis erteilt und zugleich für die Zeit der dadurch zugelassenen Sondernutzung eine Gebühr festgesetzt worden ist.

2

Die Klägerin, eine Kommanditgesellschaft (KG), an der die Beklagte als Gesellschafterin beteiligt ist, betreibt in Kaiserslautern auf einer von einer privaten Projektentwicklungsgesellschaft unter Inanspruchnahme öffentlicher Mittel entwickelten Konversionsfläche ein Spaß- und Freizeitbad. Unmittelbar vor dem Bad befindet sich nördlich daran anschließend eine im Eigentum der Beklagten stehende Fläche, welche diese unter Inanspruchnahme öffentlicher Fördermittel zu einer Parkplatzfläche ausgebaut hat, die dem öffentlichen Verkehr gewidmet worden ist. Diese etwa 7.300 m² große Fläche stellte die Beklagte der Klägerin mit Vereinbarung vom 17. Dezember 2004 zur betriebsnotwendigen Nutzung als Parkplatzfläche kostenlos zur Verfügung. Gemäß § 8 der Vereinbarung bedarf die Weitergabe des Nutzungsrechtes bzw. die Errichtung von Bauwerken auf der Parkplatzfläche der vorherigen schriftlichen Zustimmung der Beklagten als Grundstückseigentümerin.

3

In der Folgezeit beabsichtigte die Klägerin einen wesentlichen Teil der Wärmelieferung über ein neu zu errichtendes Blockheizkraftwerk sicherzustellen. Mit Bauschein vom 12. September 2006 erteilte die Beklagte der Firma L... A... K... G... & C. ..., die als Bauherrin fungierte, die Genehmigung zur Errichtung zweier Blockheizkraftwerke in Containerbauweise auf dem eigenen Betriebsgrundstück der Klägerin, Flur-Nr. .../... Die Blockheizkraftwerke wurden in der Folgezeit aber auf dem Parkplatzgrundstück aufgestellt. Nach den Angaben der Klägerin erwies sich der genehmigte Standort wegen der Lärmemissionen des Blockheizkraftwerkes als ungeeignet, weshalb ein weniger störender Standort gesucht und auf der Parkplatzfläche gefunden wurde. Mit Antrag vom 15. März 2007 begehrte die Bauherrin für die Standortänderung der Container nachträglich eine Tekturgenehmigung. Diese wurde der Firma L... A... K... G... & C. ... mit Bescheid vom 4. Februar 2009 erteilt.

4

Seit dem Jahre 2007 gab es Gespräche zwischen der Beklagten und dem zuständigen Ministerium des Innern und für Sport wegen der Bedenken hinsichtlich der möglichen Förderungsschädlichkeit des genehmigten Bauvorhabens auf der Parkplatzfläche. Insoweit stand eine mögliche – teilweise - Rückforderung der für den Parkplatzbau gewährten Zuschüsse im Raum. In diesem Zusammenhang wurde im Mai 2008 von der ADD Außenstelle Neustadt/Weinstr. die Frage aufgeworfen, ob insoweit eine Sondernutzungserlaubnis erteilt und eine entsprechende Sondernutzungsgebühr gefordert werde. Letztendlich äußerte das Ministerium die Auffassung, dass die anderweitige Nutzung förderschädlich und bei ihrer Fortsetzung die anteilige Förderung in Höhe von 66.000,00 € für diese Teilfläche zurückzuzahlen sei. Mit Schreiben vom 09. März 2010 forderte die Beklagte die Klägerin zur Räumung der Parkplatzfläche auf. In der Folgezeit wurden die Container mit dem Blockheizkraftwerk bis Ende Mai 2010 von der Parkplatzfläche entfernt.

5

Unter dem 15. November 2010 erteilte die Beklagte der Klägerin eine von dieser nicht beantragte Sondernutzungserlaubnis und setzte zugleich für den Zeitraum vom 01. Oktober 2006 bis zum 31. Mai 2010 eine Sondernutzungsgebühr in Höhe von insgesamt 7.576,80 € fest. Zugrunde gelegt wurde dabei die Grundfläche der Container mit 123 m², eine monatliche Gebühr von 1,40 €/m² sowie ein Zeitraum von 44 Monaten. Die Gebühr orientierte sich an der entsprechenden Satzung der Beklagten und der hierzu gehörenden Gebührentabelle. Die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides lautete wie folgt:

6

„Gegen beiliegende Erlaubnis kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch erhoben werden. Der Widerspruch ist bei der Stadtverwaltung Kaiserslautern, Referat Stadtentwicklung, Rathaus, Willy-Brand-Platz 1, 11. Obergeschoss, Zimmer-Nr. 1123-1124 oder bei der Geschäftsstelle des Stadtrechtsausschusses, Rathaus Nord, Benzinoring 1, 1. Obergeschoss, Zimmer-Nr. B 110, schriftlich oder zur Niederschrift einzulegen.“

7

Der Bescheid wurde am 15. November 2010 zur Post gegeben. In der Folgezeit kam es zu Gesprächen zwischen den Beteiligten, die allerdings ohne Ergebnis blieben.

8

Am 10. Januar 2011 legte die Klägerin schriftlich Widerspruch bei der Beklagten ein und führte aus, der Widerspruch erfolge fristgemäß, weil die Monatsfrist hier nicht einschlägig sei, da die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheids nicht ausreichend sei. Nach der Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs sei der Hinweis in der Rechtsbehelfsbelehrung, dass der Widerspruch schriftlich oder zur Niederschrift zu erheben sei, irreführend und fehlerhaft. Damit laufe die Jahresfrist gemäß § 58 Abs. 2 VwGO. In der Sache sei der Bescheid rechtswidrig.

9

Der Stadtrechtsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 2011 wegen Verfristung als unzulässig zurück und führte zur Begründung aus, eine Belehrung über die Möglichkeit der Einlegung des Widerspruchs in elektronischer Form sei nicht notwendig gewesen, da die Beklagte nach der Verkehrsanschauung keinen Zugang für den Empfang von Dokumenten mit qualifizierter elektronischer Signatur eröffnet habe. Gründe, unter Ermessensgesichtspunkten trotz Verfristung über den Widerspruch in der Sache zu entscheiden, seien nicht ersichtlich. Die Klägerin habe im Übrigen auch keinen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

10

Zur Begründung der hiergegen rechtzeitig erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, die Rechtsbehelfsbelehrung sei fehlerhaft gewesen, weil ein Hinweis auf die elektronische Einlegung des Widerspruches gefehlt habe. Entgegen der Auffassung des Stadtrechtsausschusses sei auch der Zugang für Dokumente mit qualifizierter elektronischer Signatur eröffnet gewesen. Der angefochtene Bescheid sei fehlerhaft. Das Blockheizkraftwerk sei von der Firma L... A... K... G... & C. ... betrieben worden. Der 2006 genehmigte Standort habe sich als ungeeignet erwiesen. Deshalb sei mit Kenntnis und Zustimmung der Beklagten der Standort auf dem Parkplatz gewählt worden. Dort seien die Container erst im April 2007 aufgestellt worden. Erst als das zuständige Ministerium die Förderungsschädlichkeit der Aufstellung der Container auf dem Parkplatz erklärt habe, habe die Beklagte die Nutzung des Parkplatzes als Standort für die Container untersagt. Bei der Festsetzung der Gebühr habe die Beklagte nicht berücksichtigt, dass es sich bei dem Bad um eine öffentliche Einrichtung handele, weshalb eine Sondernutzungsgebühr für die Nutzung der Parkplatzfläche nicht verlangt werden könne. Die entsprechende Gebührensatzung der Beklagten regele zudem nicht ausdrücklich die Aufstellung von Blockheizkraftwerken auf öffentlichen Verkehrsflächen. Daher habe die Beklagte fehlerhafterweise die Ziffer 8.5 der Gebührentabelle zugrunde gelegt. Bei einer Nutzung, wie sie vorgenommen worden sei, müsse berücksichtigt werden, dass die Nutzung im öffentlichen Interesse liege. Dem werde der angefochtene Bescheid nicht gerecht. Zudem sei nur eine kleine Fläche in Anspruch genommen worden.

11

Das Verwaltungsgericht Neustadt hat die Klage durch Urteil vom 22. September 2011 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 15. November 2010 sei verfristet gewesen. Er sei nämlich nach Ablauf der Monatsfrist des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO bei der Beklagten eingegangen. Werde der Widerspruch wegen Fristversäumung als unzulässig zurückgewiesen, wie es hier geschehen sei, so sei die hierauf erhobene Klage ebenfalls unzulässig. Im vorliegenden Fall habe die Monatsfrist des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO gegolten, da die Rechtsbehelfsbelehrung in dem Bescheid vom 15. November 2010 nicht fehlerhaft gewesen sei. Zwar hätte die Beklagte seinerzeit den Zugang für die wirksame elektronische Widerspruchseinlegung eröffnet. Sie sei jedoch nicht verpflichtet gewesen, in der Belehrung des Bescheides vom 15. November 2010 auf die Möglichkeit der elektronischen Widerspruchseinlegung hinzuweisen. Die Belehrung, die die einschlägige Vorschrift des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO im Wortlaut wiedergegeben habe, sei damit objektiv zutreffend gewesen. Die Rechtsbehelfsbelehrung stelle keine „Gebrauchsanweisung“ dar, weshalb eine Belehrung über die Form des Widerspruchs nicht zwingend sei. Zwar sei eine Rechtsbehelfsbelehrung nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes auch dann falsch, wenn sie nicht zwingend erforderliche, indessen irreführende Hinweise enthalte. An der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes gemessen sei die hier zu beurteilende Rechtsbehelfsbelehrung indessen nicht fehlerhaft. Ob auch ein Hinweis auf die Möglichkeit der elektronischen Widerspruchseinlegung erforderlich sei, sei in der Rechtsprechung umstritten. Maßgeblich sei aber letztlich die Formulierung des § 70 Abs. 1 VwGO, der die elektronische Widerspruchseinlegung nicht erwähne. Das gelte ungeachtet des Umstandes, dass sowohl die VwGO als auch das Verwaltungsverfahrensgesetz Regelungen über die elektronische Kommunikation enthielten, die danach die Schriftform ersetze. Gleichwohl müsse nicht auf jede Möglichkeit der Widerspruchseinlegung ausdrücklich hingewiesen werden. Die Beschränkung auf den Wortlaut des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO in der Rechtsbehelfsbelehrung sei daher ausreichend gewesen.

12

Zur Begründung der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung wiederholt und vertieft die Klägerin ihr Vorbringen, dass die Rechtsbehelfsbelehrung wegen des Fehlens eines Hinweises auf die elektronische Widerspruchseinlegung fehlerhaft gewesen sei, weil sie insofern irreführend gewesen sei. Die elektronische Kommunikation sei heute Alltag. Dem trage auch der Gesetzgeber durch die verschiedenen Regelungen in den Prozessordnungen und Verwaltungsverfahrensvorschriften seit längerer Zeit Rechnung. Auch die Beklagte selbst habe inzwischen ihre Rechtsbehelfsbelehrungen entsprechend neu formuliert. Das alleinige Abstellen des Verwaltungsgerichtes auf den Wortlaut des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO trage daher der gewandelten Wirklichkeit nicht mehr Rechnung. Angesichts des Umstandes, dass der Gesetzgeber in zahlreichen eigenständigen Vorschriften den Weg zur elektronischen Kommunikation ausdrücklich eröffnet habe und es dem gesetzgeberischen Willen entspreche, dass auch in dieser Form Widerspruch eingelegt oder Klage erhoben werden könne, reiche ein bloßer Hinweis auf die Vorschrift des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO, der die elektronische Form nicht erwähne, nicht aus.

13

Der angefochtene Bescheid sei fehlerhaft, weil nicht sie, sondern die Firma L... A... G... & C.. ... die Betreiberin des Blockheizkraftwerkes gewesen sei. Diese habe ihr die gelieferte Heizwärme in Rechnung gestellt. Im Übrigen bezieht die Klägerin sich auf ihre Ausführungen in der ersten Instanz.

14

Die Klägerin beantragt,

15

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 22. September 2011 den Bescheid der Beklagten vom 15. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Stadtrechtsausschusses der Beklagten vom 12. Mai 2011 aufzuheben.

16

Die Beklagte beantragt,

17

die Berufung zurückzuweisen.

18

Sie trägt vor, die Rechtsbehelfsbelehrung sei ausreichend gewesen. Zudem habe die Klägerin nicht vorgetragen, dass sie vorgehabt hätte, elektronisch Widerspruch einzulegen. Die von der Klägerin zur Begründung ihrer Rechtsauffassung zitierte Rechtsprechung befasse sich zudem überwiegend nicht mit Ausgangsbescheiden wie dem hier streitigen. Außerdem habe gerade die Entwicklung der Rechtsprechung das Verwaltungsgericht zur Änderung seiner ursprünglich zu dieser Problematik vertretenen Rechtsauffassung veranlasst.

19

Bezüglich des Blockheizkraftwerkes und dessen Standort sei Ansprechpartner immer die Klägerin gewesen, weshalb auch an diese der angefochtene Bescheid gerichtet worden sei.

20

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die Verwaltungs- und Widerspruchsakten der Beklagten (2 Hefte). Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

21

Die Berufung ist zulässig.

22

Die Berufung hat auch Erfolg. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage nämlich nicht als unzulässig abweisen dürfen, weil die Rechtsbehelfsbelehrung in dem Bescheid der Beklagten vom 15. November 2010 fehlerhaft war, weshalb die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO galt, innerhalb derer die Klägerin Widerspruch eingelegt hat. Dieser ist damit rechtzeitig eingelegt worden, weshalb die nachfolgende Klage zulässig war. Das Begehren der Klägerin ist auch in der Sache begründet, weil nicht sie Betreiberin des in zwei Containern auf der öffentlichen Parkplatzfläche aufgestellten Blockheizkraftwerkes war, bezüglich dessen durch den genannten Bescheid für einen zu diesem Zeitpunkt bereits zurückliegenden Zeitraum eine Sondernutzungserlaubnis erteilt und zugleich eine Gebühr festgesetzt worden ist. Das Blockheizkraftwerk wurde vielmehr von der Firma L... A... G... & C.. ... betrieben, der auch die Baugenehmigungen vom 12. September 2006 und vom 04. Februar 2009 erteilt wurden, wobei letztere die Aufstellung des Blockheizkraftwerkes auf der Parkplatzfläche zuließ.

23

Bezüglich der Zulässigkeit des Widerspruchs und damit auch der Anfechtungsklage streiten die Beteiligten im vorliegenden Verfahren ausschließlich darüber, ob die dem Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung wegen des Fehlens eines Hinweises auf die Möglichkeit, den Widerspruch im Wege der elektronischen Kommunikation gemäß § 1 Abs. 1 LVwVfG i.V.m. § 3a VwVfG einzulegen, im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes zum Inhalt von Rechtsbehelfsbelehrungen und Rechtsmittelbelehrungen objektiv geeignet war, den Irrtum zu begründen, diese Möglichkeit der Widerspruchseinlegung sei hier nicht gegeben. In diesem Zusammenhang geben die Ausführungen der Beklagten im Berufungsverfahren Anlass darauf hinzuweisen, dass es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes, wie z.B. in dem Urteil vom 30. April 2009 (NJW 2009, 2322 m.w.N.) ausgeführt wird, nicht darauf ankommt, ob die im Einzelfall von dem jeweiligen Kläger beanstandete Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelbelehrung tatsächlich kausal für die Nichteinhaltung der jeweils geltenden Frist war. Hierzu führt das Bundesverwaltungsgericht in der genannten Entscheidung aus:

24

§ 58 VwGO macht den Lauf der Fristen in allen Fällen von der Erteilung einer ordnungsgemäßen Belehrung abhängig, ohne Rücksicht darauf, ob den Betroffenen die Möglichkeit und die Voraussetzungen der in Betracht kommenden Rechtsbehelfs tatsächlich unbekannt waren und ob das Fehlen oder die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung kausal für das Unterbleiben oder die Verspätung des Rechtsbehelfs war. Das dient der Rechtsmittelklarheit; in dem § 58 VwGO seine Rechtsfolgen allein an die objektiv feststellbare Tatsache des Fehlens oder der Unrichtigkeit der Belehrung knüpft, gibt die Vorschrift sämtlichen Verfahrensbeteiligten gleiche und zudem sichere Kriterien für die Bestimmungen der formellen Rechtskraft die Hand.“

25

Somit ist bezüglich der Zulässigkeit des nach Ablauf der Monatsfrist des § 70 Abs. 1 VwGO indessen innerhalb der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwVfG eingegangenen Widerspruchs und ebenso bezüglich der Zulässigkeit der Klage ausschließlich zu prüfen, ob die dem angefochtenen Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung ordnungsgemäß im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes war, obwohl sie keinen Hinweis auf die rechtlich zulässige und tatsächlich mögliche Einlegung des Widerspruches im Wege der elektronischen Kommunikation enthielt, und nicht der Frage nachzugehen, ob dieser Umstand kausal für die Nichteinhaltung der Monatsfrist war. Dass die Rechtsbehelfsbelehrung ordnungsgemäß erfolgte, ist entgegen der – gewandelten – Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtes zu verneinen. Die von dem Verwaltungsgericht in der Auseinandersetzung mit der insoweit unterschiedliche Auffassungen vertretende Rechtsprechung zur Begründung seiner eigenen Rechtsauffassung aufgeführten Argumente rechtfertigen nämlich nicht den Schluss, die die verschiedenen Möglichkeiten der Widerspruchseinlegung nicht vollständig aufzählende Rechtsbehelfsbelehrung sei gleichwohl ordnungsmäßig erfolgt.

26

Auszugehen ist im vorliegenden Fall zunächst davon, dass die Beklagte den Zugang für die Übermittlung elektronischer Dokumente mit qualifizierter elektronischer Signatur gemäß § 3a Abs. 2 VwVfG im Zeitpunkt des Bescheides vom 15. November 2010 eröffnet hatte, was das Verwaltungsgericht in seinem Urteil (UA S. 6 ff.) im Einzelnen ausgeführt hat, worauf zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, da die Beklagte dem im Berufungsverfahren nicht entgegen getreten ist. Damit war zu diesem Zeitpunkt die Widerspruchseinlegung im Wege der elektronischen Kommunikation nach dem Willen des Gesetzgebers, wie er in § 3a VwVfG wie auch z.B. in § 55a VwGO bezüglich der Kommunikation mit den Verwaltungsgerichten zum Ausdruck kommt, nicht nur grundsätzlich zulässig, sondern, nachdem der Zugang hierfür gemäß § 3a Abs. 1 VwVfG eröffnet war, auch tatsächlich möglich. Daher stand der Klägerin zur Widerspruchseinlegung neben der schriftlichen Form – in welcher Gestalt auch immer – und der schriftlichen Form unter Zuhilfenahme eine Amtsperson (zur Niederschrift) als weitere Form die elektronische Kommunikation zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund war eine Rechtsbehelfsbelehrung, die lediglich auf die schriftliche Form oder die Möglichkeit, den Widerspruch zur Niederschrift einer Amtsperson einzulegen, verwies, unvollständig und deshalb irreführend, weil sie geeignet war, den Eindruck zu erwecken, die elektronische Kommunikation hierzu zu nutzen, sei nicht möglich.

27

In diesem Zusammenhang bedürfen die an die amtliche Begründung der Vorgängerregelung des § 55a VwGO, nämlich des früheren § 86a VwGO, anknüpfenden Überlegungen, ob mit der Erwähnung „schriftlich“ in § 70 Abs. 1 VwGO möglicherweise auch die elektronische Kommunikation erfasst sein könnte, keiner Vertiefung. Ob aus dieser amtlichen Begründung (vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, § 55a VwGO, Rn. 3; VG Trier, Urteil vom 22. September 2009 – 1 K 365/09.TR -) möglicherweise geschlossen werden könnte, der Gesetzgeber verstehe die Formulierung „schriftlich“ derart umfassend, dass hierunter auch elektronische Kommunikation einzuordnen wäre, mag zwar von Interesse für akademische Debatten sein, übersteigt aber ersichtlich das Verständnis des Normalbürgers, auf das es in diesem Zusammenhang allein ankommt und von dem nicht erwartet werden kann, dass er unter Auswertung amtlicher Begründungen zu einem Gesetzentwurf eine Subsumtion dahingehend vornimmt, mit der Formulierung „schriftlich“ meine der Gesetzgeber auch die elektronische Kommunikation. Vielmehr ist von dem allgemeinen Sprachverständnis auszugehen, wonach „schriftlich“ die Erstellung eines tatsächlich existierenden schriftlichen Dokumentes – in welcher Form es letztendlich auch immer übermittelt wird – meint. Damit ist festzuhalten, dass nach dem maßgeblichen Empfängerhorizont die hier streitige Rechtsbehelfsbelehrung lediglich auf die eigenständige Erstellung eines schriftlichen Dokumentes bzw. durch einen Bevollmächtigten oder auf die Erstellung eines solchen schriftlichen Dokuments unter Zuhilfenahme einer Amtsperson verweist.

28

Bezüglich der Frage, ob die hier zu beurteilende Rechtsbehelfsbelehrung ordnungsgemäß oder unrichtig im Sinne von § 58 Abs. 2 VwGO war, kommt es, wie bereits das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, nicht darauf an, dass der Hinweis auf die Form der Rechtsbehelfseinlegung und damit auch auf die Möglichkeit, den Rechtsbehelf im Wege der elektronischen Kommunikation einzulegen, nicht zu dem Mindestinhalt einer Rechtsbehelfsbelehrung zählt, wie das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08. Dezember 1961 (NJW 1962, 1220) ausgeführt hat. Darum geht es in diesem Zusammenhang nämlich nicht. Vielmehr ist darüber zu entscheiden, ob der über den Mindestinhalt hinausgehende Hinweis auf die Formerfordernisse so vollständig war, dass er einen Irrtum über die verschiedenen Möglichkeiten, den Formerfordernissen zu genügen, ausschloss. Das ist angesichts des fehlenden Hinweises auf die elektronische Kommunikation zu verneinen (vgl. VG Trier, Urteil vom 22. September 2009 – 1 K 365/09.TR -; OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 03. Mai 2010 – OVG 2 S 106/09 – und vom 02. Februar 2011 – OVG 2 N 10.10 – jeweils in juris; VG Potsdam, Urteil vom 18. August 2010 – 8 K 2929/09 – in juris; VG Neustadt a.d. Weinstraße, Urteile vom 10. Juni 2010 – 2 K 1192/09.NW, vom 10. September 2010 –2 K 156/10.NW – und vom 30. Juni 2011 – 4 K 131/11.NW -; VG Koblenz, Urteil vom 24. August 2010 – 2 K 1005/09.KO – in juris; OVG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 24. November 2010 – 4 L 115/09 – in juris; Niedersächs. Finanzgericht, Urteil vom 24. November 2011 – 10 K 275/11 – in juris). Der gegenteiligen Rechtsauffassung (vgl. BFH, Beschluss vom 02. Februar 2010
III B 20/09 – in juris; Sozialgericht Marburg, Urteil vom 15. Juni 2011
S 12 KA 295/10 – in juris; Hess. Landessozialgericht, Urteil vom 20. Juni 2011
L 7 AL 87/10 – in juris; VG Frankfurt, Urteil vom 08. Juli 2011 – 11 K 4808/10.F – in juris) an der sich das Verwaltungsgericht – teilweise – orientiert hat, folgt der Senat hingegen nicht.

29

Hinsichtlich der Anforderungen, denen eine Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelbelehrung nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes genügen muss, um nicht als unrichtig im Sinne von § 58 Abs. 2 VwGO eingestuft werden zu müssen, kann beispielhaft auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13. Dezember 1978 (BVerwGE 57, 188 ff. m.w.N.) verwiesen werden. In der genannten Entscheidung führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass § 58 Abs. 1 VwGO zwar eine Belehrung über das Formerfordernis nicht ausdrücklich verlange und ein solches Erfordernis auch nicht aus der gesetzlichen Formulierung herausgelesen werden könne. Eine Rechtsbehelfsbelehrung sei jedoch nicht nur dann fehlerhaft, wenn sie die in § 58 Abs. 1 VwGO zwingend geforderten Angaben nicht enthalte, vielmehr treffe das auch dann zu, wenn ihr ein unrichtiger oder irreführender Zusatz beigefügt sei, der geeignet sei, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen und/oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf einzulegen bzw. rechtzeitig einzulegen. Einen derartigen irreführenden, über den Mindestinhalt der Rechtsbehelfsbelehrung hinausgehenden Hinweis hat das Bundesverwaltungsgericht für den Fall angenommen, dass sie die verschiedenen vom Gesetzgeber eröffneten Möglichkeiten, den Rechtsbehelf einzulegen, nicht vollständig aufführt, weil hierdurch der Eindruck erweckt werden kann, nur die in der Rechtsbehelfsbelehrung tatsächlich erwähnte Möglichkeit, der Form zu genügen, sei zulässig. Das waren seinerzeit allein die Vorgehensweisen, den Rechtsbehelf „schriftlich“ oder „zur Niederschrift“ einzulegen. Inzwischen hat der Gesetzgeber aber seit langem sowohl in den verschiedenen Verfahrensgesetzen wie auch in den unterschiedlichen Prozessordnungen die elektronische Kommunikation als weitere Möglichkeit geregelt, mit der den Formerfordernissen bei der Einlegung von Rechtsbehelfen oder Rechtsmitteln genügt werden kann. Auf diese Möglichkeit ist zur Vermeidung von Irrtümern daher dann auch in der Rechtsbehelfsbelehrung oder Rechtsmittelbelehrung hinzuweisen.

30

In diesem Zusammenhang geht es nicht darum, ob die Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelbelehrung eine umfassende Gebrauchsanweisung sein muss, wie das Verwaltungsgericht erörtert. Maßgeblich ist vielmehr allein, ob das Fehlen eines Hinweises auf eine von den drei durch den Gesetzgeber eröffneten Möglichkeiten, formgerecht den Rechtsbehelf einzulegen, den Eindruck erwecken kann, im konkreten Einzelfall bestehe diese Möglichkeit nicht. Davon ist zur Überzeugung des Senates auszugehen, wenn, wie hier, seitens der Beklagten auf deren Homepage einerseits ausdrücklich die „formgebundene elektronische Kommunikation“ erläutert wird, wie das Verwaltungsgericht in seinem Urteil darlegt (UA S. 7), andererseits aber die Rechtsbehelfsbelehrung lediglich die schriftliche Widerspruchseinlegung oder die Einlegung des Widerspruchs zur Niederschrift erwähnt. Daher kommt es nicht darauf an, ob der Betroffene auch auf dem in der Rechtsbehelfsbelehrung erwähnten Weg zu seinem Ziel gelangen kann. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 13. Dezember 1978 a.a.O.) nämlich nicht als ausreichend angesehen.

31

Die Argumente, die gegen die Notwendigkeit auch eines Hinweises auf die elektronische Kommunikation in der Rechtsbehelfsbelehrung vorgetragen werden, überzeugen nicht. Soweit darauf abgestellt wird (vgl. Sozialgericht Marburg, Urteil vom 15. Juli 2011, Hess. Landessozialgericht, Urteil vom 20. Juni 2011 und VG Frankfurt, Urteil vom 08. Juli 2011, jeweils a.a.O.), dass die technischen Voraussetzungen für die elektronische Kommunikation, wie sie in § 3a VwVfG geregelt ist, noch nicht so verbreitet seien und deshalb die schriftliche Rechtsbehelfseinlegung bzw. die Einlegung zur Niederschrift „der regelmäßige Weg“ oder „Regelweg“ darstellten und zusätzliche Hinweise auf die elektronische Kommunikation den betroffenen Bürger nur verwirren würden, ist dem nicht zu folgen. Die elektronische Kommunikation – auch unter den Voraussetzungen des § 3a Abs. 2 VwVfG – ist längst aus dem Status „Exotik“ herausgewachsen und stellt nach dem Willen des Gesetzgebers einen den seit jeher bekannten Formen der Rechtsbehelfseinlegung gleichgestellten Weg dar. Es ist auch nicht nachvollziehbar, inwieweit es zur Verwirrung führen sollte, wenn auf diesen gleichberechtigten, nunmehr von dem Gesetzgeber eröffneten Weg in der Rechtsbehelfsbelehrung hingewiesen wird. Die Erweiterung von ursprünglich bestehenden zwei Wegen, Rechtsbehelfe einzulegen, auf nunmehr einen dritten Weg stellt zweifellos keine Überforderung des betroffenen Bürgers dar. Zudem wird durch einen solchen Hinweis von ihm nicht gefordert, ausschließlich diesen Weg zu beschreiten. Vielmehr bleiben ihm bei einer derartigen Fassung der Rechtsbehelfsbelehrung daneben die dann gleichfalls erwähnten, ihm seit alters her bekannten Wege offen, den Rechtsbehelf einzulegen.

32

Letztendlich stützt sich die Argumentation, der sich das Verwaltungsgericht in dem angegriffenen Urteil angeschlossen hat, alleine darauf, dass der Gesetzgeber in § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO bezüglich des Widerspruchs wie etwa auch in § 81 Abs. 1 VwGO bezüglich der Erhebung der Klage die elektronische Kommunikation als mögliche zulässige Form nicht erwähnt. Unzweifelhaft ist, dass der Gesetzgeber durch die genannten Bestimmungen die rechtlich zulässige Form nicht auf die beiden lediglich im Gesetzestext erwähnten Möglichkeiten „schriftlich“ oder „zur Niederschrift“ hat begrenzen wollen. Die entsprechenden Hinweise auf die Möglichkeit der elektronischen Kommunikation hat der Gesetzgeber in anderen Vorschriften – bezüglich der Kommunikation mit den Gerichten in § 55a VwGO und bezüglich der Kommunikation mit der Verwaltung in § 3a VwVfG – gegeben, weshalb es nicht sachgerecht ist, lediglich § 70 Abs. 1 VwGO bzw. § 81 Abs. 1 VwGO in den Blick zu nehmen ohne zu berücksichtigen, dass an anderer Stelle im Gesetz eigenständige Regelungen bezüglich der elektronischen Kommunikation bestehen (vgl. Niedersächs. Finanzgericht, Urteil vom 24. November 2011 a.a.O.). Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Eröffnung des Weges zur elektronischen Kommunikation erst noch weiterer Schritte wie bezüglich Rheinland-Pfalz in der Landesverordnung über den elektronischen Rechtsverkehr mit den öffentlich-rechtlichen Fachgerichtsbarkeiten vom 09.Januar 2008 (GVBl. 2008, 33) und der jeweils konkreten Eröffnung des Zuganges gemäß § 3a Abs. 1 VwVfG durch die jeweilige Behörde bedurfte. Wenn der Gesetzgeber vor diesem Hintergrund die Möglichkeiten, formgerecht einen Rechtsbehelf einzulegen, in verschiedenen Bestimmungen geregelt hat, kann aus dem Umstand, dass dies nicht alles bereits in einer Vorschrift zusammengefasst ist, nicht geschlossen werden, dass die Erwähnung der lediglich in einer Norm aufgeführten Formen, den Rechtsbehelf zulässig einzulegen, hinreichend wäre, einen Irrtum bei dem Betroffenen über die Möglichkeiten, den Rechtsbehelf einzulegen, auszuschließen. Dass der Betroffene auch mit den Hinweisen, die § 70 Abs. 1 VwGO enthält, seinen Rechtsbehelf formgerecht einlegen kann, insoweit also die Wegweiserfunktion der Rechtsbehelfsbelehrung – jedenfalls teilweise – erfüllt ist, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Entscheidungserheblich ist vielmehr lediglich, ob ihm der Eindruck vermittelt wird, ein anderer Weg, den der Gesetzgeber ihm eröffnet hat, sei hier nicht gangbar. Diesen Eindruck konnte die Rechtsbehelfsbelehrung im vorliegenden Fall erwecken, weshalb sie als unrichtig im Sinne von § 58 Abs. 2 VwGO anzusehen ist und damit die Jahresfrist gemäß der genannten Vorschrift galt, innerhalb derer die Klägerin den Widerspruch eingelegt hat. Dieser Widerspruch ist damit zulässig gewesen. Ebenso hätte das Verwaltungsgericht die Klage nicht als unzulässig abweisen dürfen.

33

Das Begehren der Klägerin ist auch in der Sache begründet. Die ihr durch den angefochtenen Bescheid vom 15. November 2010 erteilte Sondernutzungserlaubnis ist bereits deshalb fehlerhaft, weil die Klägerin einen entsprechenden Antrag überhaupt nicht gestellt hatte. Die durch den genannten Bescheid des Weiteren von ihr verlangte Gebühr für die Sondernutzung kann darüber hinaus von ihr nicht verlangt werden, weil nicht die Klägerin selbst, sondern die Firma L... A... K... G... & C. ... Betreiberin des auf der öffentlichen Parkplatzfläche abgestellten Blockheizkraftwerkes war. Damit hat die letztgenannte Firma und nicht die Klägerin die öffentliche Verkehrsfläche über den Gemeingebrauch hinaus in Anspruch genommen, weshalb eine entsprechende Gebührenforderung allenfalls an diese Firma gerichtet werden könnte.

34

Unzweifelhaft hat die Klägerin keinen Antrag auf die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis gemäß § 41 Abs. 1 LStrG gestellt. Ein entsprechender Antrag ist den von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgängen nicht zu entnehmen. Auch behauptet die Beklagte eine Antragstellung der Klägerin nicht. Ein solcher Antrag wäre, nachdem das Blockheizkraftwert von der Firma L... A... K... G... & C. ... von der Parkplatzfläche entfernt worden war, ohnedies nicht mehr sinnvoll gewesen. Die vorliegenden Verwaltungsvorgänge vermitteln vielmehr den Eindruck, dass eigene Überlegungen der Beklagten dazu geführt haben, die Sondernutzungserlaubnis zu erteilen, nachdem eine solche von der ADD Außenstelle Neustadt a.d.Weinstraße im Zusammenhang mit den Überlegungen ins Spiel gebracht worden war, ob die Aufstellung des Blockheizwerkes auf der mit öffentlichen Mitteln geförderten Parkplatzfläche förderungsschädlich sein könnte. Möglicherweise bestehende Überlegungen der Beklagten, sich auf diesem Wege die Förderung dauerhaft sichern zu können, rechtfertigen jedoch nicht die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis, ohne dass der Betroffene überhaupt einen solchen Antrag gestellt hätte. Wie das Bundesverwaltungsgericht bereits in seinem Urteil vom 21. Oktober 1970 (DÖV 1971, 103) zu der vergleichbaren Vorschrift im Fernstraßengesetz ausgeführt hat, ist die Sondernutzungserlaubnis ein grundsätzlich antragsbedürftiger Verwaltungsakt, der fehlerfrei nur bei Vorliegen eines entsprechenden Antrages erteilt werden kann. An diese Rechtsprechung knüpft die Kommentierung des § 41 LStrG (Bogner/Bitterwolf-de Boer/Probstfeld/Kaminski, Praxis der Kommunalverwaltung L 12 § 41 LStrG Anm. 2.7.2) ausdrücklich an und führt hierzu aus:

35

„Gegen seinen Willen darf dem Bürger, wenn er nicht zu einem Antrag verpflichtet ist, ein mitwirkungsbedürftiger Verwaltungsakt nicht aufgedrängt werden (VG Oldenburg, 14. Dezember 2007 – 7 B 3307/07 -, juris, Beschwerde zurückgewiesen durch OVG Lüneburg, 03. März 2008 – 12 ME 3/08 – juris; VG Berlin, 01. Dezember 2004 – 1 A 235.03 -, juris) eine ohne Antrag erteilte Sondernutzungserlaubnis ist deshalb wegen ihres zugleich belastenden Charakters auch dann zumindest fehlerhaft, wenn der Betroffene vorher einen erlaubnispflichtigen Tatbestand (hier durch Aufstellen durch Automaten) geschaffen hatte (VGH Kassel, 14. Dezember 1972 – V OE 14/72 -, ESVGH 23 S. 74).“

36

Damit erweist sich die in dem angefochtenen Bescheid ausgesprochene Sondernutzungserlaubnis bereits aus diesem Grund als fehlerhaft, ohne dass es in diesem Zusammenhang darauf ankommt, ob die Klägerin überhaupt die Sondernutzung ausgeübt hat.

37

Das Fehlen eines Antrages hindert allerdings nicht die Erhebung einer Gebühr für die ausgeübte Sondernutzung, wie das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 21. Oktober 1970 (a.a.O., vgl. auch die Kommentierung des Landesstraßengesetzes a.a.O.) festgestellt hat. Denn diese Gebühr wird nicht für die Sondernutzungserlaubnis, sondern für die Tatsache der Sondernutzung geschuldet.

38

Zwar stellte die hier in Rede stehende Aufstellung von Containern auf einer öffentlichen Verkehrsfläche eine gebührenpflichtige Sondernutzung dar. Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Verwaltungsvorgängen, dass die Parkplatzfläche dem öffentlichen Verkehr gewidmet worden ist. Gegenteiliges behauptet die Klägerin nicht. Auch kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Aufstellung derartiger Container, wie sie hier von der Firma L... A... K... G... & C. ... aufgestellt worden sind, einen Gebrauch der Straße über den Gemeingebrauch hinaus darstellt, sodass grundsätzlich die Tatbestandsvoraussetzungen des § 41 Abs. 1 Satz 1 LStrG erfüllt sind. In diesem Zusammenhang ist es unbeachtlich, dass in den auf der Parkplatzfläche abgestellten Containern ein Blockheizkraftwerk betrieben worden ist, dessen kostengünstige Wärmelieferung einer Einrichtung zugutekam, deren Trägerin eine Gesellschaft ist, an der auch die Beklagte beteiligt ist und mit der öffentliche Ziele verfolgt werden. Maßgeblich ist allein, ob die Straße über den Gemeingebrauch hinaus genutzt wird. Das ist immer dann der Fall, wenn die öffentliche Verkehrsfläche zu anderen Zwecken als sich darauf fortzubewegen oder ein Fahrzeug, so es denn straßenverkehrsrechtlich zulässig ist, darauf abzustellen, genutzt wird.

39

Gemäß § 47 Abs. 1 LStrG kann für die Sondernutzung eine Gebühr erhoben werden, die sich, da die Beklagte hier Trägerin der Straßenbaulast ist, gemäß § 47 Abs. 3 nach dem Kommunalabgabengesetz i.V.m. der entsprechenden Gebührensatzung richtet. Maßgeblich ist im vorliegenden Fall die Sondernutzungssatzung der Beklagten vom 03. September 2001 (Bl. 31 ff GA). Die gegen diese Satzung von der Klägerin vorgetragenen Bedenken greifen allerdings nicht durch. Insbesondere ist nichts dafür ersichtlich, dass die vorerwähnte Satzung die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (vgl. Urteil vom 09. November 1999, BayVBl. 2000, 626 ff.; vgl. auch die Kommentierung des Landesstraßengesetzes a.a.O., § 47 LStrG, Anm. 4) und die darin dargelegten Grundsätze zur Berücksichtigung von öffentlichen Interessen an der Sondernutzung, worauf sich die Klägerin ausdrücklich stützt, nicht berücksichtigen würde. Die Einwendungen der Klägerin werden durch die Gebührentabelle zur Sondernutzungssatzung widerlegt. Die Beklagte hat darin nämlich zwischen Sondernutzungen mit wirtschaftlichen Interesse einerseits und Sondernutzungen ohne vorwiegendes wirtschaftliches Interesse andererseits ausdrücklich differenziert, was auch in den jeweiligen deutlich unterschiedlichen Gebührensätzen zum Ausdruck kommt. Lediglich beispielhaft soll hier die Gebühr gemäß Ziffer 1.1 für bewegliche Verkaufseinrichtungen herausgegriffen werden, wo die pro Quadratmeter geforderte Gebühr von 1,40 € für jeden Tag gefordert wird, wohingegen bezüglich Sondernutzungen ohne vorwiegendes wirtschaftliches Interesse, worauf sich die Klägerin hier beruft, gemäß Ziffer 8.5 der Gebührentabelle ein derartiger Betrag lediglich für den Monat gefordert wird. Solche Differenzierungen sind ausreichend, das von der Klägerin geltend gemachte öffentliche Interesse an der Sondernutzung hinreichend zu berücksichtigen. Ebenso wenig bestehen Bedenken dagegen, dass die Beklagte die Ziffer 8.5 der Gebührentabelle bei der Berechnung ihrer Gebührenforderung zugrunde gelegt hat. Bei dieser Ziffer handelt es sich ersichtlich um einen Auffangtatbestand. Die Regelung eines derartigen Auffangtatbestandes ist indessen sachgerecht, da nicht für jede irgendwann einmal vorkommende Aufstellung von Containern der unterschiedlichsten Art auf öffentlichen Verkehrsflächen eine gesonderte Ziffer in der Gebührentabelle vorzusehen ist. Die Aufstellung von Blockheizkraftwerken in Containern auf öffentlichen Verkehrsflächen dürfte so ungewöhnlich sein, dass hierfür eine eigene Ziffer in einer Gebührentabelle vorzusehen, von der Beklagten nicht verlangt werden kann.

40

Indes kann für den Fall, dass eine Straße ohne Sondernutzungserlaubnis über den Gemeingebrauch hinaus genutzt wird, eine Gebühr dann jedoch lediglich für die tatsächliche Sondernutzung verlangt werden. Hieran hat sich die Beklagte in ihrem Bescheid vom 15. November 2010 jedoch nicht orientiert. Sie hat offensichtlich allein auf den Zeitpunkt abgestellt, für den eine Baugenehmigung für die Aufstellung von Containern bestand, ohne indessen zu prüfen, ab welchem Zeitpunkt sie überhaupt auf der öffentlichen Verkehrsfläche aufgestellt worden sind. Dies ist nach den Angaben der Klägerin erst im April 2007 geschehen. Den von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgängen sind keinerlei Anhaltspunkte über den genauen Zeitraum der Aufstellung zu entnehmen. Lediglich bezüglich der Beendigung der Aufstellung im Mai 2010 besteht Übereinstimmung zwischen den Beteiligten. Allerdings bedurfte es im vorliegenden Verfahren keiner weiteren Sachaufklärung der tatsächlichen Sondernutzung wie auch der Frage, ob die Beklagte möglicherweise als Mitgesellschafterin der Klägerin durch die insoweit erfolgende Teilnahme an entsprechenden Beschlussfassungen der Gesellschaft im Rahmen der Nutzungsvereinbarung vom 16. Dezember 2004 und insoweit gemäß § 8 der Nutzungsvereinbarung der Aufstellung der Container zugestimmt haben könnte und deswegen eine Gebühr nicht verlangen könnte, weil jedenfalls an die Klägerin eine Gebührenforderung nicht gerichtet werden kann.

41

Das ergibt sich daraus, dass die Klägerin, wie sie bereits in ihrer Klagebegründung vorgetragen hat (S. 2 der Klagebegründung vom 08. Juli 2011) gar nicht Betreiberin des streitigen Blockheizkraftwerkes war. Hierzu hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung auf Fragen des Gerichtes ausgeführt, dass die Firma L... A... K... G... & C. ... die entsprechende Heizwärme aus dem Blockheizkraftwerk geliefert und ihr auch in Rechnung gestellt hat. Hierzu hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung außerdem den Wärmelieferungsvertrag mit der L... A... K... G... & C. ... vom 01. September 2006 vorgelegt, aus dem sich zweifelsfrei ergibt, dass die letztgenannte Firma die Betreiberin des Blockheizkraftwerkes war. In § 1 des Vertrages wird nämlich ausdrücklich ausgeführt, dass die Klägerin den Wärmebedarf bezieht, dass hingegen die Firma L... A... K... G... & C. ... das Blockheizkraftwerk betreibe. Insoweit wird ausdrücklich festgelegt, dass „eine Betreiberpflicht für den Kunden nicht bestehe“. Angesichts dessen kann die geltend gemachte Gebührenforderung nicht an die Klägerin, sondern allenfalls an die Firma L... A... K... G... & C. ... gerichtet werden. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin möglicherweise für die Beklagte insoweit der Ansprechpartner gewesen ist. Sie ist allenfalls als Bevollmächtigte der genannten Firma tätig geworden, die jeweils selbst die entsprechenden Bauanträge gestellt hat und der die Beklagte auch die entsprechenden Baugenehmigungen erteilt hatte. Schon daraus musste der Beklagten klar werden, dass nicht die Klägerin die Betreiberin des Blockheizkraftwerkes sein konnte. Das Urteil des Verwaltungsgerichtes ist daher abzuändern und der angefochtene Bescheid ist somit aufzuheben.

42

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

43

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 10, 711 ZPO.

44

Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Art nicht vorliegen.

45

Beschluss

46

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 7.568,50 € festgesetzt (§§ 52 Abs. 3, 63 Abs. 2 GKG).

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Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen einen Rücknahme-, Rückforderungs- und Ablehnungsbescheid hinsichtlich der Gewährung von Leistungen nach dem Häftlingshilfegesetz (HHG) sowie dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG).

2

Der am … April 1944 in H... geborene Kläger lebte bis zu seiner Ausreise in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (alt) am 22. November 1979 in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR), wo er mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Durch das Kreisgericht W... wurde er im März 1964 wegen Verstoßes gegen das Passgesetz zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten verurteilt; diese verbüßte er vom 25. Dezember 1963 bis 24. März 1966. Wegen Verkehrsgefährdung durch Trunkenheit in Tatmehrheit mit fahrlässiger Körperverletzung wurde er durch das Stadtbezirksgericht B... im Oktober 1976 zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt; diese verbüßte er vom 15. Juni 1976 bis zum 14. Dezember 1976. Durch das Kreisgericht F... wurde er im April 1978 wegen versuchter Republikflucht zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und 10 Monaten verurteilt; diese verbüßte er vom 21. August 1977 bis 28. Juni 1979.

3

Nach seiner Einreise in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (alt) stellte der Kläger bei der Bezirksregierung Rheinhessen – Pfalz am 29. November 1979, eingegangen am 04. Dezember 1979, einen Antrag auf Ausstellung einer Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG. Der Antrag enthielt unter III. Ziffer 2 folgende Frage: „Können Sie Personen namhaft machen, die bezeugen können, dass sie weder im Gewahrsamsgebiet dem dort herrschenden politischen System erheblich Vorschub geleistet, noch dass sie durch Ihr Verhalten gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit verstoßen haben?“. Diese ließ er unbeantwortet. Am 31. Januar 1980 bzw. am 23. April 1980 stellte er einen Antrag auf Gewährung von Eingliederungshilfe und Ausgleichsleistung nach §§ 9 ff. HHG. Sämtliche Anträge enthielten folgende Erklärung: „Ich versichere, dass die vorstehenden Angaben vollständig sind und in allen Teilen der Wahrheit entsprechen. Mir ist bekannt, dass ich infolge unrichtiger oder unvollständiger Angaben Leistungen, die ich auf Grund der beantragten Bescheinigung empfangen habe, unbeschadet einer etwaigen strafrechtlichen Verfolgung, zurückzuerstatten habe.“

4

Am 26. Februar 1980 erklärte die Generalstaatsanwaltschaft Z…, nachdem der Kläger am 04. Dezember 1979 die Überprüfung der in der ehemaligen DDR gegen ihn ergangenen Urteile beantragt hatte, die Vollstreckung der Strafen resultierend aus den Urteilen des Kreisgerichts W... (Vergehen nach Passgesetz) sowie des Kreisgerichts F... (Republikflucht) gemäß § 2 und § 15 des Gesetzes über die innerdeutsche Rechts- und Amtshilfe in Strafsachen vom 02. Mai 1953 (BGBl. I 161) für unzulässig.

5

Im Rahmen der Bearbeitung der Anträge des Klägers lag der Bezirksregierung Rheinhessen–Pfalz neben der Akte der Generalstaatsanwaltschaft die Notaufnahmeakte des Leiters des Bundesnotaufnahmeverfahrens G... vor. Dieser war zu entnehmen, dass der Kläger in seinem Antrag vom 28. November 1979 auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet gemäß § 1 des Notaufnahmegesetzes erklärt hatte, lediglich als Reiseleiter von 1970 bis 1972, im Rahmen einer Vernehmung im Jahre 1973 und während der Untersuchungshaft 1977 mit Organen der Staatssicherheit in Berührung gekommen zu sein. Für die Haftzeiten vom 25. Dezember 1963 bis zum 24. März 1966 und vom 21. August 1977 bis zum 28. Juni 1979 wurde dem Kläger mit Bescheid der Bezirksregierung Rheinhessen–Pfalz vom 28. April 1980 eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG ausgestellt (Az:...) und eine Eingliederungshilfe in Höhe von 12.030,00 DM (entspricht 6.150,84 €) gewährt.

6

Auf seinen Antrag vom 21. Juli 1993 hin bewilligte ihm die Bezirksregierung Rheinhessen–Pfalz mit Bescheid vom 16. September 1993 im Hinblick auf die bescheinigten Haftzeiten eine Kapitalentschädigung gemäß § 17 Abs. 1 i. V. m. § 25 Abs. 2 StrRehaG in Höhe von 3.270,00 DM (entspricht 1.671,92 €).

7

Am 25. September 2007 beantragte der Kläger bei der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion in Trier die Gewährung einer Nachzahlung in Form der erhöhten Kapitalentschädigung gemäß § 17 Abs. 5 i. V. m. § 25 Abs. 2 StrRehaG sowie die Gewährung einer monatlichen Opferpension gemäß § 17 a StrRehaG. Mit Schreiben vom 26. September 2007 wurde er darauf hingewiesen, dass im Rahmen der Klärung des Punktes „Ausschließungsgründe nach dem StrRehaG und HHG“ grundsätzlich eine Anfrage bei der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) erforderlich sei. Der Kläger erklärte am 01. Oktober 2007 sein Einverständnis.

8

Aus den von der BStU am 15. Mai 2008 übersandten Unterlagen ergibt sich, dass der Kläger am 07. Juni 1967 eine Verpflichtungserklärung zur inoffiziellen Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) unterzeichnet hat; ab 14. April 1969 war er als Inoffizieller Mitarbeiter für Sicherheit (IMS) tätig; in dem Zeitraum vom 28. März 1974 bis zum 02. August 1978 kam er als „Inoffizieller Mitarbeiter, der unmittelbar an der Bearbeitung und Entlarvung im Verdacht der Feindtätigkeit stehender Personen (IMV) mitarbeitet“, für die Hauptabteilung VII/7 (HA VII/7) des MfS zum Einsatz. Der Kläger hat zahlreiche entsprechende Berichte in schriftlicher und mündlicher Form erstattet. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf den Akteninhalt Bezug genommen (Unterlagen der BStU, Blatt 22 bis 24 der Verwaltungsakte Band 2, Blatt 15 bis 66 der Verwaltungsakte Band 4).

9

Dem Kläger wurde Gelegenheit gegeben, zu den von der BStU vorgelegten Unterlagen Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom 18. Juni 2009 teilte er lediglich mit, dass er Kontakt mit dem Innenministerium Rheinland-Pfalz aufgenommen habe und vorab keine Auskünfte zu einer „IM-Tätigkeit“ geben werde.

10

Mit Bescheid vom 10. September 2009, zugestellt am 15. September 2009, hob der Beklagte die Bescheide der Bezirksregierung Rheinhessen–Pfalz vom 28. April 1980 und 16. September 1993 auf und forderte die Rückgabe der Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG (Az:...) und die Rückzahlung der ausgezahlte Beträge in Höhe von 7.822,76 € (Ziff. 1 bis 4 der angefochtenen Verfügung). Der Antrag des Klägers vom 25. September 2007 wurde abgelehnt (Ziff. 5 bis 6 der angefochtenen Verfügung). Zur Begründung wurde ausgeführt, aufgrund der Tätigkeit des Klägers für den Staatssicherheitsdienst lägen Ausschließungsgründe nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 HHG vor, weshalb die ergangenen Bescheide rechtswidrig seien. Durch seine inoffizielle Tätigkeit für das MfS habe er dem herrschenden politischen System in der ehemaligen DDR erheblich Vorschub geleistet. Er habe bewusst und über Jahre hinweg Handlungen vorgenommen, die dazu bestimmt und geeignet waren, in nicht unerheblicher Weise den Herrschaftsanspruch der ehemaligen SED zu festigen, auszudehnen oder entsprechenden Widerstand zu unterdrücken.

11

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 14. Oktober 2009 Widerspruch. Er habe zu keiner Zeit gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen; er habe keine Stellung innegehabt, die er zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht habe. Die Tätigkeit als IM sei in Abstimmung mit den Behörden der Bundesrepublik Deutschland erfolgt. Sie sei Voraussetzung für die anschließend erfolgte Übersiedlung gewesen. Entsprechende Fakten seien in Gießen geklärt und entsprechend gewürdigt worden. Die in Gießen erklärte Schweigeverpflichtung könne er nun nicht mehr einhalten. Durch die Weiterleitung von Informationen an eine Kontaktadresse in West-Berlin und an die ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Ost-Berlin habe er auch mehreren DDR-Bürgern geholfen, ihr Ausreisebegehren der Bundesrepublik Deutschland offen zu legen. Durch die Verurteilungen habe er dauernde Gesundheitsschäden erlitten und sei daher zeitlebens erwerbsunfähig.

12

Durch Rückfrage beim Bundesverwaltungsamt, Außenstelle Gießen, hat der Beklagte ermittelt, dass es sich bei den in der Notaufnahmeakte fehlenden Seiten 12 bis 13 und 17 bis 18 um den Schwerbehindertenausweis des Klägers und um die Identitätsbescheinigung aus der ehemaligen DDR handle.

13

Mit Widerspruchsbescheid vom 07. Januar 2010, zugestellt per Zustellungsurkunde am 14. Januar 2010, wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung wurde auf den Ausgangsbescheid verwiesen und ergänzend ausgeführt, dass keine Anhaltspunkte erkennbar seien, wonach die Tätigkeit für das MfS unfreiwillig erfolgt sei. Der Vortrag des Klägers, er habe DDR-Bürgern hierdurch geholfen, sei unsubstantiiert und lasse die Vorwerfbarkeit nicht entfallen. Außerdem könne die Hilfestellung gegenüber DDR-Bürgern nicht Rechtfertigung für eine jahrelange MfS-Tätigkeit sein. Sein Vorbringen, wonach er der Tätigkeit wegen der in Aussicht gestellten Übersiedlung nachgegangen sei, zeige gerade, dass er die Spitzeldienste freiwillig und zur eigenen Vorteilsnahme aufgenommen habe. Aus der Notaufnahmeakte ergebe sich nichts anderes. Die Ausführungen des Klägers seien als Schutzbehauptung zurückzuweisen. Mangels Schutzwürdigkeit könne sich der Kläger auch nicht mit Erfolg auf § 48 Abs. 2 VwVfG berufen. Er habe die Häftlingshilfebescheinigung durch unrichtige und unvollständige Angaben erwirkt. Zu keinem Zeitpunkt habe er seine Mitarbeit als IM erwähnt. Außergewöhnliche Gründe, die eine Ausnahme von der Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit zu seinen Gunsten rechtfertigten, seien nicht ersichtlich.

14

Die Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheides ist wie folgt gefasst:

15

Gegen diesen Widerspruchsbescheid, kann innerhalb eines Monat nach Zustellung dieses Widerspruchsbescheides Klage beim Verwaltungsgericht in 67433 Neustadt an der Weinstraße, Robert-Stolz-Str. 20, E-Mail-Adresse: [email protected] schriftlich, in elektronischer Form oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden. (…) Die elektronische Form wird durch eine qualifizierte signierte Datei gewahrt, die den Maßgaben der Landesverordnung über den elektronischen Rechtsverkehr vom 09.01.2008 (GVBl. 2008, S. 33) in der jeweils geltenden Fassung entspricht und als Anhang einer elektronischen Nachricht (E-Mail) zu übermitteln ist.

16

Der Kläger hat am 18. Februar 2010 Klage erhoben, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Er trägt vor, es sei nur nach Aktenlage entschieden worden. Das Innenministerium in Mainz habe ihn an den Bundesnachrichtendienst in München verwiesen; dort hülle man sich in Schweigen.

17

Der Kläger beantragt sinngemäß,

18

den Bescheid des Beklagten vom 10. September 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. Januar 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die beantragte Nachzahlung in Form der erhöhten Kapitalentschädigung gemäß § 17 Abs. 5 i. V. m. § 25 Abs. 2 StrRehaG sowie eine monatlichen Opferpension gemäß § 17 a StrRehaG zu gewähren.

19

Der Beklagte beantragt,

20

die Klage abzuweisen.

21

Er trägt vor, die Klage sei verfristet. Dem gerichtlichen Hinweis, die Rechtsbehelfsbelehrung sei wegen der ausschließlichen Erwähnung der E-Mail als Kommunikationsweg im Rahmen des Hinweises auf die Möglichkeit der Übermittlung einer Klage im elektronischen Rechtsverkehr unter Umständen unrichtig, hält er entgegen, dass die Belehrung über die Möglichkeit der Klageerhebung auf elektronischem Wege den Anforderungen des § 58 Abs. 1 VwGO genüge. Eine weitergehende Forderung nach konkreten Hinweisen bezüglich der Form der elektronischen Klageerhebung sei aus der Vorschrift nicht herzuleiten. Im Übrigen bezieht sich der Beklagte auf den Ausgangs- und Widerspruchsbescheid.

22

Das Gericht hat die Beteiligten mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass im Fall ihres Ausbleibens auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann. Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten, die Notaufnahmeakten (Reg.Nr. ...) sowie die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

23

Die Kammer durfte trotz der Abwesenheit des Klägers in der mündlichen Verhandlung über die Klage entscheiden, da er mit der Ladung zum Termin auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).

24

Die Klage ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.

25

Die Klage ist zulässig, insbesondere nicht verfristet. Sie konnte nämlich innerhalb der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO erhoben werden, weil die Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheids unrichtig ist; die Monatsfrist des § 74 Abs. 1 VwGO greift nicht ein.

26

Zwar folgt die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung vorliegend nicht aus der Formulierung „gegen diesen Widerspruchsbescheid“. Allerdings ist gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO Gegenstand der Anfechtungsklage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat. Dennoch ist die Rechtsbehelfsbelehrung insoweit nicht irreführend. Denn bei der hier gegebenen Identität der Ausgangs- und Widerspruchsbehörde lässt die Rechtsbehelfsbelehrung dahin, dass gegen den Widerspruchsbescheid Klage beim Verwaltungsgericht erhoben werden kann, keinen Zweifel darüber aufkommen, dass mit einer derartigen Klage nicht der Widerspruchsbescheid isoliert, sondern auch der Erstbescheid angegriffen wird (vgl. hierzu BVerwG, Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 54).

27

Jedoch ist eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht nur dann unrichtig im Sinne von § 58 Abs. 2 VwGO, wenn eine ihrer in § 58 Abs. 1 VwGO zwingend geforderten Angaben nicht zutreffend formuliert ist, sondern auch, wenn ein zusätzlich aufgenommener Hinweis einen unzutreffenden oder irreführenden Inhalt hat, der nach seiner Art generell, also losgelöst vom Verständnis, das er beim Betroffenen gefunden hat, geeignet ist, die Einlegung des Rechtsbehelfs zu erschweren (vgl. BVerwGE 134, 41 [Rn. 16 ff.] m. w. N.). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gehört die Belehrung über die Form, in der ein Rechtsbehelf einzulegen ist, nicht zu den von § 58 Abs. 1 VwGO zwingend geforderten Angaben (vgl. Meissner in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand 2009, § 58 Rn. 32 m. w. N.). Wird in einer Rechtsbehelfsbelehrung eines Widerspruchsbescheides aber auch über die Form einer bei einem Verwaltungsgericht des Landes Rheinland-Pfalz zu erhebenden Klage belehrt, muss auf die Möglichkeit der Klageerhebung in elektronischer Form, die durch § 55 a Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 1 der Landesverordnung über den elektronischen Rechtsverkehr mit den öffentlich-rechtlichen Fachgerichtsbarkeiten vom 09. Januar 2008 (GVBl 2008, 33) und Nr. 2 bis 5 der Anlage hierzu eröffnet worden ist, hingewiesen werden (vgl. Kintz, NVwZ 2004, 1431). Diesem Erfordernis hat der Beklagte zwar genügt. Der am Ende der Rechtsbehelfsbelehrung angefügte Hinweis, dass die Klage als Anhang einer elektronischen Nachricht (E-Mail) zu übermitteln ist, ist indessen unvollständig und damit irreführend im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, weil unerwähnt bleibt, dass die Landesverordnung für die Übermittlung von Dokumenten außer der elektronischen Nachricht zwei weitere Wege eröffnet hat, nämlich OSCI (Online Service Computer Interface, z.B. EGVP) und Web-Upload. Im vorliegenden Falle wurde mit der Zustellung des Widerspruchsbescheides deshalb nicht die Monatsfrist des § 74 Abs. 1 VwGO, sondern die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO in Gang gesetzt, die unzweifelhaft eingehalten ist.

28

In der Sache hat die Klage indes keinen Erfolg. Der Bescheid vom 10. September 2009, mit dem der Beklagte die Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG, den Bescheid über die Bewilligung der Eingliederungshilfe nach dem HHG sowie den Bescheid über die Bewilligung einer Kapitalentschädigung nach dem StrRehaG mit Wirkung auch für die Vergangenheit aufgehoben und die gewährten Leistungen zurückgefordert hat, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

29

Rechtsgrundlage für die Rücknahme der genannten Verwaltungsakte ist § 48 VwVfG. Danach kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein begünstigender Verwaltungsakt darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 der Vorschrift zurückgenommen werden.

30

Die Rücknahme der genannten Verwaltungsakte erfolgte zu Recht. Diese sind rechtswidrig. Denn der Kläger hatte weder einen Anspruch auf Ausstellung der Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG noch auf die Leistungen nach dem HHG und dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz, da in seinem Fall der Ausschlussgrund des § 2 Abs. 1 Nr. 1 HHG vorliegt. Dieser steht sowohl der Gewährung der Eingliederungshilfe nach § 9 a und b HHG als auch der Erteilung der Häftlingshilfebescheinigung, aufgrund derer die Kapitalentschädigung nach § 17 i.V.m. § 25 Abs. 2 StrRehaG bewilligt wurde, entgegen.

31

Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 HHG werden Leistungen nach diesem Gesetz nicht an Personen gewährt, die in den in § 1 Abs. 1 Nr. 1 genannten Gewahrsamsgebieten dem dort herrschenden politischem System erheblich Vorschub geleistet haben. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zwar nicht schon bei einem lediglich beiläufigen, gelegentlichen Verhalten der Fall (vgl. BVerwG, Buchholz, 412.6 § 2 HHG Nr. 2; BVerwG, DÖV 1991, 508; vgl. auch OVG Berlin, Urteil vom 15. Januar 1992, - 7 B 10.90 -, juris; VG Neustadt/Wstr., Urteil vom 22. Mai 2003 - 2 K 3084/02.NW). Den Ausschlussgrund erfüllt derjenige, der freiwillig ein Amt oder einen sonstigen Tätigkeitsbereich übernommen hat, deren wahrzunehmende Funktionen dazu bestimmt und geeignet waren, in nicht unerheblicher Weise den Herrschaftsanspruch der früheren SED und das von ihr getragene System zu festigen, auszudehnen oder den Widerstand gegen dieses System zu unterdrücken, sofern er die ihm übertragenen Aufgaben wahrgenommen, ihm gegebene Weisungen befolgt und damit dem System und seinen Zielen in der Tat nachhaltig gedient hat. Der Beklagte ist zu Recht davon ausgegangen, dass das Verhalten des Klägers diese Voraussetzungen erfüllt.

32

Aus den Unterlagen des BStU geht hervor, dass sich der Kläger im Juni 1967 zur inoffiziellen Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) unter dem Decknamen „E...“ verpflichtete. Ab April 1969 war er als Inoffizieller Mitarbeiter für Sicherheit (IMS) tätig; im März 1974 wurde der Kläger zum IMV für die Hauptabteilung VII/7 des MfS („Inoffizieller Mitarbeiter, der unmittelbar an der Bearbeitung und Entlarvung in Verdacht der Feindtätigkeit stehender Personen mitarbeitet“). Die Hauptabteilung VII war seit 1959 zuständig für die Sicherung und Kontrolle des Ministeriums des Innern und dessen nachgeordneter Einrichtungen, wie Deutsche Volkspolizei, Zivilverteidigung und Strafvollzug. Das letzte Treffen fand am 09. August 1977 statt; im August 1978 stellte der Kläger einen Antrag auf Entbindung von der inoffiziellen Zusammenarbeit mit dem MfS. Die vorhandenen Unterlagen enthalten nach Angabe des BStU ca. 89 Treffberichte der Führungsoffiziere, 26 Tonbandabschriften, 8 Berichte der Führungsoffiziere nach mündlichen Informationen des Klägers, 33 handgeschriebene und vom Kläger mit dem Decknamen unterschriebene IM-Berichte. Die von ihm gefertigten Berichte umfassen insgesamt 855 Seiten über Personenaufklärung; die Personal- und Arbeitsakte umfasst 244 Seiten. Ihr Inhalt wird vom BStU dahin zusammengefasst, dass der Kläger auftragsgemäß insbesondere über mindestens 63 Personen, die von ihm im Zusammenhang mit dem Verdacht der Republikflucht, politischen Äußerungen in der Öffentlichkeit oder sonstigen besonderen Vorkommnissen genannt wurden, berichtet habe. Die Tätigkeit des Klägers sei vom MfS mehrfach positiv beurteilt worden. Die Unterlagen enthielten Vermerke des MfS über Geldzahlungen (Prämien) in Höhe von 935 Mark, die Erstattung von Auslagen für Speisen und Zigaretten in Höhe von 263,40 Mark. Unter anderem bestätigte der Kläger auf einer Quittung vom 14. Dezember 1973 den Empfang von 150 Mark; auf dieser Quittung ist von einem Führungsoffizier vermerkt: „Für gute Auftragserfüllung zur (nicht lesbar) welche mit Inhaftierung abgeschlossen werden konnte erhielt der IMV den Betrag von 150,00 Mark“. Im Einschätzungsbericht vom 19. Januar 1977 wird ausgeführt, dass die Motive des Klägers bei der Zusammenarbeit in Abenteuerlust sowie in der Erlangung persönlicher Vorteile lagen. Die in dem zusammenfassenden Bericht des BStU genannten Komplexe sind jeweils beispielhaft durch die Unterlagen des MfS dokumentiert.

33

Die Tätigkeit für das MfS über einen Zeitraum von 11 Jahren ist angesichts der Anzahl und Qualität der Berichte, die auch in mehrfachen positiven Beurteilungen durch das MfS zum Ausdruck kommt, sowie unter Berücksichtigung der Größe des zu überwachenden Personenkreises geeignet und dazu bestimmt gewesen, die politischen Ziele des SED-Regimes nachhaltig zu festigen.

34

Ob es aufgrund der Tätigkeit des Klägers in mehr als einem Fall unmittelbar zu Verhaftungen überwachter Personen oder sonstigen schweren Nachteilen gekommen ist, kann dahingestellt bleiben. Denn der Feststellung einer Kausalität zwischen der Spitzeltätigkeit eines Stasi-Informanten und dem eingetretenen Schaden für den Betroffenen bedarf es im konkreten Fall nicht. Es reicht aus, dass die vom Spitzel gelieferten Informationen generell geeignet waren, das frühere SED-Regime zu festigen (vgl. OVG Berlin, a. a. O.). Dies war bei der Berichterstattung durch den Kläger der Fall, weil die Lieferung von Informationen über die politische Gesinnung, über Westkontakte und Ausreisepläne eine Überwachungssituation schafft, die ein Gewaltregime stärkt.

35

Rechtlich nicht von entscheidender Bedeutung ist auch, dass der Kläger ein Entgelt für seine Spitzeltätigkeit erhalten hat. Für die Frage des "erheblich Vorschubleistens" kommt es auf einen finanziellen Vorteil des Spitzels nicht an (OVG Berlin, a. a. O.).

36

Von einer besonderen Zwangslage, die es dem Kläger unmöglich gemacht hätte, die Spitzeltätigkeit abzulehnen oder zu beenden, kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Die Freiwilligkeit ist zu verneinen, wenn die Spitzeltätigkeit unter Zwang aufgenommen und fortgeführt worden ist. Von einem die Freiwilligkeit ausschließenden Druck kann aber nur dann ausgegangen werden, wenn er für den Betroffenen unerträglich war, d.h. wenn von ihm auch unter Berücksichtigung des durch die Spitzeltätigkeit mutmaßlich angerichteten Schadens nicht erwartet oder verlangt werden konnte, sich der angetragenen Mitarbeit zu widersetzen oder zu entziehen (vgl. BVerwG, LKV 2007, 30). Der Kläger hat gegenüber der Staatssicherheit mehrfach betont, dass er aus Abenteuerlust und zur Erlangung persönlicher Vorteile handle. Selbst wenn man seinen unsubstantiierten und sehr vagen Vortrag, wonach er auch für den Bundesnachrichtendienst (BND) tätig war, als wahr unterstellt, rechtfertigt diese Tätigkeit nicht die Annahme, dass er sich in einer Zwangslage befunden habe. Nach seinen eigenen Angaben war Hauptziel dieser Tätigkeit, sein eigenes Ausreisebegehren voranzubringen. Danach handelte er nicht unter unerträglichem Druck. Ihm konnte zugemutet werden, sich dem Ansinnen des MfS, als Informant tätig zu werden, zu widersetzen und seinen Ausreisewunsch ohne eine nachhaltige Festigung der Ziele des SED-Regimes und eine Schädigung Dritter verfolgen. Sein Vortrag, er habe durch seine Tätigkeit für den BND auch mehreren DDR-Bürgern geholfen, ihre Ausreisebegehren der Bundesrepublik Deutschland mitzuteilen, ist unsubstantiiert. Darüber hinaus ist dieser Vortrag nicht geeignet, das Vorliegen einer Zwangslage aufzuzeigen.

37

Die Bewilligung der Eingliederungshilfe nach § 9 a, § 9 b HHG und die Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG, die Voraussetzung für die Entschädigung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz ist, sind daher rechtswidrig.

38

Als begünstigende Verwaltungsakte dürfen sie allerdings nur unter den Einschränkungen des § 48 Abs. 2 bis 4 VwVfG zurückgenommen werden. Danach darf eine Rücknahme nicht erfolgen, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen auch unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Auf Vertrauensschutz kann sich der Begünstigte aber dann nicht berufen, wenn er den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG). Das ist hier der Fall.

39

Der Kläger hat gegenüber der zuständigen Behörde weder mündlich noch in seinem schriftlichen Antrag auf Ausstellung der Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG Angaben über seine Tätigkeit für das MfS gemacht, obgleich ihm bewusst gewesen sein musste, dass dieser Gesichtspunkt von der Fragestellung umfasst und von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung über seinen Antrag war. Dies ergibt sich vor allem daraus, dass er im Antrag auf Erteilung des Aufnahmescheins im Notaufnahmelager G….. angegeben hat, lediglich als Reiseleiter von 1970 bis 1972, im Rahmen einer Vernehmung im Jahre 1973 und während der Untersuchungshaft 1977 mit Organen der Staatssicherheit in Berührung gekommen zu sein. Angaben über seine jahrelange Tätigkeit als IM hat er verschwiegen. Zwar hat er diese unrichtigen Angaben nicht gegenüber dem Beklagten, sondern gegenüber dem Leiter des Notaufnahmelagers Gießen gemacht. Dieser Umstand ist aber unerheblich (vgl. hierzu VG Hannover, Urteil vom 25. März 2009 - 5 A 4768/05 -, juris). Aus den Antragsvordrucken war für den Kläger klar ersichtlich, dass mögliche Kontakte mit dem MfS entscheidungserheblich waren. Unter I. Ziff. 10 des Antrags auf Ausstellung einer Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG wird ausdrücklich eine Verknüpfung zum Notaufnahmeantrag hergestellt. Die Frage unter III. Ziff. 2 nach Zeugen dafür, dass er dem herrschenden politischen System nicht erheblich Vorschub geleistet habe, ließ er unbeantwortet. In der Gesamtschau hätte es sich dem Kläger aufdrängen müssen, dass er seine jahrelange Tätigkeit als IM offen legen musste. Darüber hinaus ist es aufgrund seiner Biographie und der Umstände seines Falles fernliegend anzunehmen, dass er darüber im Unklaren war, dass die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung über die Gewährung von Leistungen nach dem Häftlingshilfegesetz und dem Strafrechtlichen Rehabilitationsgesetz von zutreffenden Angaben zu einer Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR abhängig war. Das Verschweigen dieser Tätigkeit stellt zumindest ein grob fahrlässiges Verhalten dar, durch das der Erlass des rechtswidrigen Häftlingshilfebescheides vom 28. April 1980 erwirkt wurde. Denn bei einer zutreffenden Beantwortung der Fragen wäre die Bescheinigung nicht ausgestellt worden. Mit seiner Unterschriftsleistung hat der Kläger versichert, dass alle seine Angaben richtig und vollständig seien und ihm bekannt sei, dass bewusst unrichtige Angaben zur Rückerstattung erhaltener finanzieller Leistungen führen. Daraus folgt ohne weiteres, dass dem Kläger seine Mitwirkungspflicht sowie die Bedeutung und Tragweite seiner Erklärungen bei der Beantragung der Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG bekannt sein mussten.

40

Auch unter Ermessensgesichtspunkten ist die Rücknahme der Bescheide nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat das ihm zustehende Ermessen erkannt und dieses ohne Rechtsverstoß ausgeübt. Nach § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG wird in den Fällen des Satzes 3 der Verwaltungsakt regelmäßig mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen (intendiertes Ermessen). Außergewöhnliche berücksichtigungsfähige Umstände, die gegen die Rücknahme sprechen, liegen nicht vor. In welchen zeitlichen Grenzen ein fehlerhafter Verwaltungsakt noch zurückgenommen werden darf, hängt entscheidend von den Umständen des Einzelfalls ab. Eine absolute zeitliche Grenze lässt sich nicht ziehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. August 1986 - 3 B 55/85 -, juris). Von entscheidender Bedeutung ist im vorliegenden Fall, dass die Rechtswidrigkeit der Bescheide in den Verantwortungsbereich des Klägers fällt, weil dieser unvollständige Angaben gemacht hat und für ihn auch ersichtlich war, dass der Beklagte auf die Richtigkeit und Vollständigkeit seiner Angaben vertraut hat. Dem Kläger musste bewusst sein, dass der Beklagte durch besondere Umstände und möglicherweise zufallsbedingt auch nach längerem Zeitablauf Kenntnis von seiner Spitzeltätigkeit erlangen könnte. Zudem hat er im Rahmen der Antragstellung versichert, dass seine Angaben vollständig sind und in allen Teilen der Wahrheit entsprechen. Das rechtfertigt die Rücknahme der Bescheide auch nach längerer Zeit.

41

Der Beklagte hat auch die Frist des § 48 Abs. 4 VwVfG zur Rücknahme der Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG und der Bewilligung der Eingliederungshilfe nach § 9 a und § 9 b HHG eingehalten. Danach muss die Rücknahme innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen erfolgen, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen (Entscheidungsfrist). Erforderlich ist zusätzlich, dass die Behörde auch die fehlerhafte Rechtsanwendung auf ihr bekanntgewordene Tatsachen erkennt, d.h. sich der Rechtswidrigkeit des betroffenen Verwaltungsaktes und der Notwendigkeit, wegen dieser Rechtswidrigkeit über eine eventuelle Rücknahme zu entscheiden, bewusst wird oder ist (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Auflage, Stand 2008, § 48 Rn. 154 m. w. N.). Kenntnis der die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen erhielt der Beklagte durch die Übersendung der den Kläger betreffenden Unterlagen des BStU am 15. Mai 2008. Erst nach Überprüfung dieser Unterlagen und der im Rahmen der Anhörung mit Schreiben vom 18. Juni 2009 vorgebrachten Einwendungen des Klägers hatte der Beklagte die notwendige Kenntnis von allen für eine Rücknahme erheblichen Umständen. Demgemäß erfolgte die Rücknahme mit Bescheid vom 10. September 2009 innerhalb der Jahresfrist.

42

Gleiches gilt für die Aufhebung der Bewilligung nach dem StrRehaG, die ebenfalls gemäß § 48 VwVfG zu Recht erfolgte. Mit der gerichtlichen Bestätigung der Rücknahme der Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG ist auch die Voraussetzung für die Bewilligung der Kapitalentschädigung gemäß § 17 i. V. m. § 25 Abs. 2 StrRehaG weggefallen, ohne dass es insoweit auf das Vorliegen von Ausschlussgründen nach § 16 Abs. 2 StrRehaG ankommt. § 25 Abs. 2 StrRehaG stellt eine eigenständige Anspruchsgrundlage dar, welche lediglich das Vorliegen einer Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG voraussetzt (vgl. BVerwG, NJ 2003, 215).

43

Die Rückforderung der Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG findet ihre Rechtsgrundlage in § 52 VwVfG und ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Zwar setzt § 52 Satz 1 VwVfG die Unanfechtbarkeit der Rücknahme oder des Widerrufs des zugrunde liegenden Verwaltungsakts voraus. Jedoch ist eine Rückforderung zugleich mit dem die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes aufhebenden Verwaltungsakt möglich, wenn sie unter die aufschiebende Bedingung des Eintritts der Unanfechtbarkeit gestellt wird. Dies ist hier anzunehmen (vgl. Kopp/Ramsauer, a. a. O., § 52 Rn. 6).

44

Auch die in dem angefochtenen Bescheid vom 10. September 2009 ausgesprochene Rückforderung der zu Unrecht gewährten Leistungen ist zu Recht erfolgt; sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 49 a Abs. 1 VwVfG. Die Bewilligungen nach dem HHG und dem StrRehaG sind gegenüber dem Kläger aufgehoben, so dass kein Rechtsgrund (mehr) für die von dem Beklagten erbrachten Leistungen besteht. Mithin sind diese zu erstatten.

45

Der Kläger hat aus den vorgenannten Gründen auch keinen Anspruch auf die Gewährung der Kapitalentschädigung nach § 17 a i.V.m. § 25 Abs. 2 StrRehaG. Die vorausgesetzte Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG ist mit der gerichtlichen Bestätigung der Rücknahme weggefallen.

46

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden gemäß § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

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Tenor

Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids der Wehrbereichsverwaltung Süd vom 8. April 2009 und Aufhebung des Widerspruchsbescheids dieser Behörde vom 4. August 2009 verpflichtet, dem Kläger auf seinen Antrag vom 2. April 2009 zu seinen Aufwendungen für die Medikamente „Sortis 20 mg“ und „Beloc-Zok mite“ eine weitere Beihilfe in Höhe von 86,64 € zu gewähren.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein pensionierter Berufssoldat, begehrt von der Beklagten Beihilfe zu Aufwendungen für Medikamente.

2

Am 2. April 2009 beantragte er bei der Wehrbereichsverwaltung Süd, ihm Beihilfe unter anderem zu Aufwendungen in Höhe von 160,80 € für das Medikament „Sortis 20 mg“ und 22,72 € für „Beloc-Zok mite“ zu gewähren. Hierzu legte er ein schriftliches Rezept des Arztes Prof. Dr. med. B... vom 11. März 2009 mit Apothekenstempel vom 12. März 2009 vor.

3

Mit Bescheid vom 8. April 2009 setzte die Beihilfestelle der Wehrbereichsverwaltung Süd eine auszuzahlende Beihilfe in Höhe von insgesamt 55,70 € fest, davon entfielen 31,32 € auf die beiden genannten Medikamente. Im Einzelnen erkannte sie die Aufwendungen für Sortis in Höhe von 36,03 € abzüglich eines Eigenanteils von 5,- € als beihilfefähig an, die Aufwendungen für Beloc-Zok mite in Höhe von 18,72 € abzüglich 5,- € Eigenanteil. Auf die beihilfefähigen Aufwendungen wandte sie einen Bemessungssatz von 70 % an. Mit Hinweis Nr. 368 Buchst. D) erläuterte sie, dass Aufwendungen für ärztlich verordnete Arzneimittel, für die ein Festbetrag nach § 35 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – SGB V – festgesetzt wurde, nur bis zur Höhe des Festbetrags beihilfefähig seien.

4

Am 24. April 2009 legte der Kläger gegen den Bescheid Widerspruch ein. Die Beihilfe sei ihm unangekündigt und unberechtigt gekürzt worden. Er sei seit dem Jahr 2002 nach einer Bypassoperation chronisch erkrankt und auf die für ihn lebensnotwendigen und ärztlich verordneten Medikamente angewiesen.

5

Den Widerspruch wies die Wehrbereichsverwaltung Süd mit Widerspruchsbescheid vom 4. August 2009 zurück. Der Widerspruch sei zulässig, aber nicht begründet. Nach § 22 Abs. 3 BundesbeihilfeverordnungBBhV – bestimme das Bundesministerium des Innern in Verwaltungsvorschriften als Obergrenzen für die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für Arzneimittel Festbeträge im Sinne von § 35 SGB V. Für Sortis liege der Festbetrag bei 36,03 €, für Beloc-Zok mite bei 18,72 €. Diese Festbetragsregelungen beruhten auf § 35 SGB V, wonach der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V bestimme, für welche Gruppen von Arzneimitteln Festbeträge festgesetzt werden könnten. Die Umsetzung der Festbetragsregelungen sei durch Erlass des Bundesministeriums der Verteidigung ab dem 1. Januar 2009 erfolgt. Über diese Änderung habe der Kläger nicht informiert werden müssen. Der Beamte dürfe nicht ohne weiteres auf den unveränderten Fortbestand ihm günstiger Regelungen vertrauen. Insbesondere im Beihilferecht sei mit Änderungen zu rechnen. Hinzu komme, dass der Kläger von der bislang nicht erfolgten Umsetzung der Festbetragsregelungen profitiert habe. Auch medizinische Gründe führten nicht zur vollständigen Anerkennung der beantragten Aufwendungen. In der Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheids ist ausgeführt, dass schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Klage erhoben werden könne.

6

Der Kläger hat am 9. September 2009 Klage erhoben und vertieft sein bisheriges Vorbringen, auf die beiden Medikamente angewiesen zu sein.

7

Er beantragt sinngemäß,

8

die Beklagte unter Abänderung des Bescheids der Wehrbereichsverwaltung Süd vom 8. April 2009 und Aufhebung des Widerspruchsbescheids dieser Behörde vom 4. August 2009 zu verpflichten, ihm Beihilfe zu den Aufwendungen für die ärztlich verordneten Präparate „Sortis 20 mg“ und „Beloc-Zok mite“ zu gewähren.

9

Die Beklagte beantragt,

10

die Klage abzuweisen.

11

Sie verweist auf den Widerspruchsbescheid. Darüber hinaus vertritt sie die Ansicht, dass die angewandte Festbetragsregelung auch unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Mai 2009 – 2 C 28.08 – nicht zu beanstanden sei. Entscheidendes Argument des Bundesverwaltungsgerichts sei gewesen, dass die Festbetragsregelung zum damaligen Zeitpunkt nur in einem Hinweis des Bundesministeriums des Innern zu den Beihilfevorschriften enthalten gewesen sei, nicht aber in den Beihilfevorschriften selbst. Nunmehr sei die Festbetragsregelung in § 22 Abs. 3 BBhV als Ermächtigung enthalten. Von dieser Ermächtigung habe das Bundesministerium des Innern Gebrauch gemacht und unter Nr. 22.3.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift vom 14. Februar 2009 zur BBhVBBhV-VwV – bestimmt, dass die Festbetragsregelungen der Spitzenverbände der Krankenkassen anzuwenden seien.

12

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die beigezogene Verwaltungsakte Bezug genommen. Ihr Inhalt ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

13

Die Klage, über die das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VerwaltungsgerichtsordnungVwGO – ohne mündliche Verhandlung entscheiden durfte, hat Erfolg.

14

Sie ist als Verpflichtungsklage zulässig und insbesondere fristgerecht erhoben worden. Dabei kann dahingestellt bleiben, wann der Widerspruchsbescheid dem Kläger zugestellt worden ist; dies lässt sich der beigezogenen Verwaltungsakte und dem Beteiligtenvorbringen nicht entnehmen. Jedenfalls ist die Klage innerhalb der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO bei Gericht eingegangen. Die Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheids ist unrichtig. Sie belehrt zwar über die Form der Klageerhebung, aber unvollständig, nämlich nicht über die bei dem angerufenen Gericht bestehende Möglichkeit einer Klageerhebung im elektronischen Rechtsverkehr (Landesverordnung über den elektronischen Rechtsverkehr mit den öffentlich-rechtlichen Fachgerichtsbarkeiten vom 9. Januar 2008; vgl. zum Ganzen: OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 22. April 2010 – 2 S 12.10 – juris Rn. 3; VG Neustadt an der Weinstraße, Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 K 1192/09.NW – UA S. 6).

15

Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf die von ihm begehrte Beihilfe. Der ablehnende Bescheid der Beklagten und ihr Widerspruchsbescheid sind rechtswidrig und verletzen den Kläger dadurch in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

16

Der Kläger kann als pensionierter Berufssoldat nach § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Soldatengesetz – SG – i. V. m. § 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Bundesbeamtengesetz – BBG – Beihilfe erhalten, wobei sich die Einzelheiten nach der BundesbeihilfeverordnungBBhV – richten. Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 BBhV besteht auf Beihilfe ein Rechtsanspruch. Beihilfeberechtigt sind unter anderem Versorgungsempfänger (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 BBhV). Beihilfefähig sind grundsätzlich nur notwendige und wirtschaftlich angemessene Aufwendungen (§ 6 Abs. 1 Satz 1 BBhV). Dabei können auch Aufwendungen zu Arzneimitteln beihilfefähig sein. Das ist nach § 22 Abs. 1 Satz 1 BBhV unter anderem dann der Fall, wenn sie nach Art und Umfang von einem Arzt schriftlich verordnet sind. So liegt es hier.

17

Der Kläger ist als Versorgungsempfänger nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 BBhV beihilfeberechtigt. Die verschreibungspflichtigen Medikamente Beloc-Zok mite und Sortis sind dem Kläger nach Art und Umfang mit Rezept des Herrn Prof. Dr. med. B... vom 11. März 2009 schriftlich ärztlich verordnet (Bl. 8 VA). Notwendigkeit und wirtschaftliche Angemessenheit der dem Kläger entstandenen Aufwendungen stehen zwischen den Beteiligten nicht in Streit; auch das Gericht sieht keinen Anlass, daran zu zweifeln.

18

Die hiernach gegebene Beihilfefähigkeit ist nicht auf die von der Beklagten angewendeten Festbeträge beschränkt. Zwar sieht § 22 Abs. 3 BBhV die Möglichkeit einer solchen Begrenzung vor, diese Einschränkung der Beihilfefähigkeit ist aber nicht in rechtswirksamer Art und Weise erfolgt.

19

Da es sich bei der Begrenzung der Beihilfefähigkeit auf Festbeträge um eine Einschränkung des Grundsatzes handelt, dass Beihilfe gewährt wird, soweit die Aufwendungen notwendig und angemessen sind (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 1 BBhV), bedarf ein Ausschluss oder eine Begrenzung in materieller Hinsicht einer inneren, den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz standhaltenden Rechtfertigung und in formeller Hinsicht einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage (BVerwG, NVwZ-RR 2009, 730 [Rn. 14]). An einer solchen Rechtsgrundlage fehlt es hier. Insbesondere tragen § 22 Abs. 3 BBhV und Nr. 22.3 BBhV-VwV die Begrenzung der Beihilfefähigkeit auf die Festbetragshöhe nicht.

20

§ 22 Abs. 3 Satz 1 BBhV bewirkt selbst keine Begrenzung der Beihilfefähigkeit; die Vorschrift ermächtigt hierzu lediglich das Bundesministerium des Innern. Demnach bestimmt das Ministerium in Verwaltungsvorschriften als Obergrenzen für die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für Arzneimittel Festbeträge im Sinne von § 35 SGB V und Höchstbeträge im Sinne von § 31 Abs. 2a i. V. m. § 35b Abs. 1 SGB V.

21

Dessen Verwaltungsvorschrift trägt die von der Beklagten vorgenommene Leistungseinschränkung allerdings ebenfalls nicht. Sie ist als Verwaltungsvorschrift bereits nach ihrer Rechtsform nicht geeignet, Beihilfeleistungen zu begrenzen.

22

Untergesetzliche Vorschriften, wie Verwaltungsvorschriften, können nur norminterpretierend die Beihilfevorschriften konkretisieren und Zweifelsfälle im Sinne einer einfachen und gleichartigen Handhabung klären oder die Ausübung etwa vorhandener Ermessens- oder Beurteilungsspielräume lenken; sie können aber nicht selbständig neue Leistungsausschlüsse oder Leistungseinschränkungen schaffen. Sie sind nur Interpretationshilfen für die nachgeordneten Stellen und besitzen keine Verbindlichkeit für die Gerichte (BVerwG, a. a. O., [Rn. 19]).

23

Dementsprechend sieht § 80 Abs. 4 BBG vor, dass die Einzelheiten der Beihilfegewährung, insbesondere der Höchstbeträge und des völligen oder teilweisen Ausschlusses von Arzneimitteln in Anlehnung an das SGB V, durch Rechtsverordnung zu regeln sind; dem wird eine Verwaltungsvorschrift nicht gerecht.

24

Die Höhe der dem Kläger zu gewährenden weiteren Beihilfe beträgt 86,64 €. Dieser Betrag ergibt sich, wenn der Bemessungssatz des § 46 Abs. 2 Nr. 2 BBhV von 70 % auf die Aufwendungen für die beiden Medikamente (183,52 €) abzüglich des jeweiligen Eigenanteils von 5,- € für Beloc-Zok mite sowie 10,- € für Sortis angewendet und die bereits gewährte Beihilfe (31,32 €) von dem Betrag abgezogen wird.

25

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

26

Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, § 711 Zivilprozessordnung.

27

Beschluss

28

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 86,64 € festgesetzt (§ 52 Abs. 1, § 63 Abs. 2 GKG).

29

Die Festsetzung des Streitwerts kann nach Maßgabe des § 68 Abs. 1 GKG mit der Beschwerde angefochten werden.

(1) Der Widerspruch ist innerhalb eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, schriftlich, in elektronischer Form nach § 3a Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes oder zur Niederschrift bei der Behörde zu erheben, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Die Frist wird auch durch Einlegung bei der Behörde, die den Widerspruchsbescheid zu erlassen hat, gewahrt.

(2) §§ 58 und 60 Abs. 1 bis 4 gelten entsprechend.

(1) Die Klage ist bei dem Gericht schriftlich zu erheben. Bei dem Verwaltungsgericht kann sie auch zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden.

(2) Der Klage und allen Schriftsätzen sollen vorbehaltlich des § 55a Absatz 5 Satz 3 Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

Tatbestand

1

Die allein erziehungsberechtigte Klägerin begehrt die vollständige Übernahme der Schülerbeförderungskosten für ihre minderjährigen Töchter J. und A.-S. im Schuljahr 2011/2012.

2

Die Klägerin und ihre Töchter wohnen in A-Stadt (A-Straße). J. besuchte im fraglichen Schuljahr die Klasse 10 der …schule Magdeburg, A. die Klasse 6 derselben Schule. Die Klägerin beantragte unter dem 5.9.2011 (Eingangsstempel des Beklagten: 5.12.2011) für beide Schülerinnen gesondert die Erstattung der Fahrkosten für das Schuljahr 2011/2012 auf der Grundlage des § 71 des Schulgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt.

3

Mit Bescheiden vom 7.12.2011, die den handschriftlichen Postausgangsvermerk „PA 8.12.11“ beziehungsweise „8.12.11“ tragen, gab der Beklagte dem jeweiligen Antrag teilweise statt. Die Rechtsbehelfsbelehrung beider Bescheide lautet: „Gegen diesen Bescheid kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Klage beim Verwaltungsgericht Magdeburg, Breiter Weg 203-206,39104 Magdeburg erhoben werden.“

4

Am 7.12.2012 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, dass ihre Klage fristgerecht erhoben ist, weil die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO gegolten habe, die sie gewahrt habe. Die Monatsfrist des § 74 VwGO habe nicht gegolten, weil in der Rechtsbehelfsbelehrung der beiden streitgegenständlichen Bescheide nicht über die Möglichkeit, die Klage in elektronischer Form erheben zu können, belehrt worden sei, weshalb die Belehrung unrichtig erteilt sei. Insoweit wird auf die diesbezügliche Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt verwiesen.

5

Die Klägerin beantragt,

6

den Beklagten zu verpflichten, für die Kinder der Klägerin, J. und A.-S. A., über die bereits festgesetzte Fahrkostenerstattung des Schuljahres 2011/2012 von 475,50 € jeweils einen weiteren Betrag in Höhe von 197,70 € festzusetzen und die Bescheide des Beklagten vom 7. Dezember 2011 aufzuheben, soweit sie dem entgegenstehen.

7

Der Beklagte beantragt,

8

die Klage abzuweisen.

9

Er ist der Auffassung, dass die Klage unzulässig ist, da sie nicht innerhalb der Monatsfrist nach Zugang der Bewilligungsbescheide erhoben wurde. Die Jahresfrist nach § 58 Abs. 2 VwGO sei hier nicht maßgeblich. Die Rechtsmittelbelehrung in den streitbefangenen Bescheiden sei auch ohne den Hinweis auf die Möglichkeit der elektronischen Erhebung der Klage vollständig und zulässig gewesen. Bei der Klägerin handele es sich um eine Privatperson, die als solche gar nicht die Möglichkeit der elektronischen Klageerhebung besitze. Insofern könne dem mangelnden Hinweis auf die Möglichkeit, die Klage in elektronischer Form zu erheben, keine Bedeutung beigemessen werden.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Die Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

11

Die Klage ist unzulässig. Sie hält die einmonatige Klagefrist (§ 74 VwGO) nicht ein. Somit steht der verfolgten Aufhebung der beiden streitgegenständlichen Bescheide des Beklagten vom 7.12.2011 im klageweise begehrten Umfang die Bestandskraft der Bescheide entgegen.

12

Mit der Zustellung der Bescheide, die den Postausgangsvermerk 8.12.2011 tragen und gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 VwZG i. V. m. § 1 Abs. 1 VwZG-LSA am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als zugestellt gelten, wurde die einmonatige Klagefrist in Lauf gesetzt, die im Zeitpunkt der Klageerhebung bereits abgelaufen war. Die den streitgegenständlichen Bescheiden beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung genügt den gesetzlichen Anforderungen. Eine unterbliebene oder unrichtige Belehrung im Sinne von § 58 Abs. 2 VwGO lag nicht vor, so dass die Jahresfrist für die Einlegung des Rechtsbehelfs nicht ausgelöst wurde.

13

Nach § 58 Abs. 1 VwGO beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO innerhalb eines Jahres seit Zustellung möglich.

14

Entgegen der Auffassung der Klägerin war die den streitgegenständlichen Bescheiden beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung nicht deshalb unrichtig, weil sie keinen Hinweis auf die Möglichkeit einer Klageerhebung bei dem erkennenden Gericht in elektronischer Form enthielt, die gemäß § 55a VwGO in Verbindung mit der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften des Landes Sachsen-Anhalt vom 1. Oktober 2007 (GVBl. LSA 2007, 330) besteht.

15

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gehört die Belehrung über die Form, in der ein Rechtsbehelf einzulegen ist, nicht zu den von § 58 Abs. 1 VwGO zwingend geforderten Angaben (BVerwG, Beschluss vom 27.02.1981 – 6 B 19/81 -, in: ). Allerdings müssen Angaben, die gleichwohl gemacht werden, richtig sein. Sie dürfen keinen unrichtigen oder irreführenden Zusatz enthalten, der generell geeignet ist die Einlegung des Rechtsbehelfs zu erschweren (BVerwG, Beschluss vom 27.08.1997 – 1 B 145/97 – in: ). Es kommt nicht darauf an, ob der zu beanstandende Zusatz der Belehrung im konkreten Fall tatsächlich einen Irrtum hervorgerufen und dazu geführt hat, dass das Rechtsmittel nicht (rechtzeitig) eingelegt worden ist. Es genügt, dass die irreführende Belehrung objektiv geeignet ist, die Rechtsmitteleinlegung zu erschweren. Das ist der Fall, wenn sie den Adressaten davon abhalten kann, das Rechtsmittel überhaupt, rechtzeitig oder formgerecht einzulegen (BVerwG, Beschluss vom 27.08.1997 – 1 B 145/97 – a. a. O.).

16

Hier geht es nicht um einen unrichtigen oder irreführenden Zusatz. Ob das Fehlen eines Hinweises auf die Möglichkeit, eine Klage gemäß § 55a VwGO in elektronischer Form zu erheben, einem entsprechenden Zusatz gleichgestellt werden kann und daher eine Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig macht, ist fraglich und wird in der Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt.

17

Das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt hat mit Urteil vom 24.11.2010 – 4 L 115/09 – in: die Auffassung vertreten, irreführend sei der in der den dortigen Klägern erteilten Rechtsbehelfsbelehrung enthaltene Hinweis, dass die Klage schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden könne, denn er sei bei einem objektiven Empfänger geeignet, den Eindruck zu erwecken, dass eine elektronische Klageerhebung nicht möglich ist. Mit Urteil vom 20.2.2013 – 3 L 339/11 – in: wurde dieser Rechtsprechung fortgeführt.

18

Demgegenüber vertritt das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen im Urteil vom 8.8.2012 – 2 A 53/12. A – in: die Ansicht, eine Rechtsbehelfsbelehrung, die nicht auf die Möglichkeit hinweist, den Rechtsbehelf mittels elektronischen Dokuments einzulegen, sei weder unrichtig noch irreführend. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, der elektronische Rechtsverkehr sei kein leicht zugänglicher und unkomplizierter Weg zur Klageerhebung. Er bedeute für denjenigen, der sich mit der Anwendung des Verfahrens nicht vertraut gemacht habe, keine erhebliche Vereinfachung gegenüber der Einreichung eines Schriftstücks durch Einwurf in den Gerichtsbriefkasten, per Post oder Fax oder der Erhebung der Klage zur Niederschrift. Insbesondere auch im Verhältnis zur Klageerhebung per Fax, auf die nicht gesondert hingewiesen werden müsse, stelle er keine Vereinfachung des Rechtsschutzzugangs dar. Wegen der besonderen Bedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs sei das Fehlen eines Hinweises auf ihn generell nicht geeignet, die Einlegung des Rechtsmittels zu beeinträchtigen. Ohne weitere Hinweise auf Einzelheiten, insbesondere das Erfordernis einer elektronischen Signatur, könne ein entsprechender Hinweis den Rechtsschutzsuchenden womöglich sogar davon abhalten, rechtzeitig schriftlich oder zur Niederschrift Klage einzureichen. Soweit Verfahrensbeteiligte von dem elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfach zur Vereinfachung von Verfahrensabläufen Gebrauch machen würden, gehe die zitierte Rechtsprechung zu Recht davon aus, dass sie derart in das Verfahren eingebunden und mit diesem vertraut seien, dass sie typischerweise nicht einem Irrtum über die Möglichkeit der elektronischen Klageerhebung unterliegen würden. Bei diesen Anwendern, die bewusst die technischen Voraussetzungen für die Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs bei sich geschaffen haben, könne vorausgesetzt werden, dass ihnen bekannt sei, dass die in § 70 Abs. 1 Satz 1, § 81 Abs. 1 VwGO vorgesehene Form der schriftlichen Klageerhebung oder der Klageerhebung zur Niederschrift durch die Übermittlung eines elektronischen Dokuments ersetzt werden könne.

19

In entsprechender Weise hat das Bundessozialgericht im Urteil vom 14.3.2013 – B 13 R 19/12 R - in: für den Fall der Belehrung über die Möglichkeit der Einlegung der Berufung im sozialgerichtlichen Verfahren entschieden. Danach ist eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht deshalb unrichtig, weil sie nicht auf die Möglichkeit hinweist, den Rechtsbehelf in elektronischer Form einzulegen. Die nach dem Gesetz gebotene Belehrung auch über den wesentlichen Inhalt der bei Einlegung des Rechtsbehelfs zu beachtenden Formvorschriften erfordere es derzeit nicht, dass auch auf die für das betreffende Gericht durch Rechtsverordnung bereits zugelassene Möglichkeit der Übermittlung verfahrensbestimmender Schriftsätze in der Form eines elektronischen Dokuments hingewiesen werde. Eine Rechtsmittelbelehrung, die sich hinsichtlich der formalen Anforderungen auf die "klassischen" und allgemein gebräuchlichen Möglichkeiten einer schriftlichen oder mündlichen (zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle) Einlegung der Berufung beschränke, zeige den Beteiligten die regelmäßig allen Bürgern - auch soweit sie nicht über informationstechnische Spezialkenntnisse und eine spezifische technische Ausstattung verfügen - offenstehenden Wege für die Einlegung des Rechtsmittels klar und deutlich auf. Eine solche Rechtsmittelbelehrung trage auch in keiner Weise zu einer formwidrigen oder verspäteten Einlegung des Rechtsbehelfs bei. Sie enthalte keine Inhalte, die - bei abstrakter Betrachtungsweise - geeignet sein könnten, den Informationswert der richtigen Angaben zu mindern oder die Beteiligten von Erkundigungen über möglicherweise im Einzelfall bestehende weitere Möglichkeiten abzuhalten. Sie mache insbesondere keine Angaben, die von Rechtsuchenden dahingehend verstanden werden könnten, dass eine Berufungseinlegung auf elektronischem Weg ausgeschlossen sei. Die Möglichkeit, Schriftsätze in gerichtlichen Verfahren als elektronisches Dokument dem Gericht elektronisch zu übermitteln, habe allein durch ihre rechtliche Zulassung noch keine solche praktische Bedeutung erlangt, dass es geboten wäre, die Beteiligten zum Schutz vor Rechtsnachteilen durch Unwissenheit auch auf diese Form notwendig hinzuweisen.

20

Dieser vom Bundessozialgericht und vom Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen in den oben genannten Entscheidungen vertretenen Auffassung schließt sich das erkennende Gericht an. Die durch § 55a VwGO begründete Möglichkeit des elektronischen Rechtsverkehrs ist nicht jedermann ohne weiteres eröffnet. Die elektronische Klageerhebung unterscheidet sich von herkömmlichen Formen der Klageerhebung durch die besondere Zugangsvoraussetzung, die gerade nicht jedermann offensteht. Die dadurch eröffnete beschleunigte Übermittlung einer fristgebundenen Eingabe bei Gericht steht nur einem Anwenderkreis offen, der in das Verfahren eingebunden ist und typischerweise nicht einem Irrtum über die Möglichkeit der elektronischen Klageerhebung unterliegen kann. Das Fehlen eines Hinweises auf die Möglichkeit der elektronischen Klageerhebung ist – ungeachtet dessen, dass es sich schon nicht um einen Zusatz handelt - deshalb nicht irreführend und auch nicht geeignet, den Eindruck zu erwecken, dass die Klage nicht in elektronischer Form erhoben werden kann.

21

Daher war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

22

Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung basiert auf § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. den §§ 708, 711 ZPO.

23

Die Berufung war gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zuzulassen, da das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (Urteil vom 24.11.2010 – 4 L 115/09 – sowie Urteil vom 20.2.2013 – 3 L 339/11 –) abweicht und auf dieser Abweichung beruht.

24

Die Streitwertfestsetzung wird auf § 52 Abs. 3 GKG gestützt. Ergänzend wird auf den Beschluss über die vorläufige Festsetzung des Streitwertes vom 4.3.2013 Bezug genommen.




Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen einen Sondernutzungsgebührenbescheid der Beklagten.

2

Die Klägerin, eine Kommanditgesellschaft (KG), betreibt im so genannten PRE-Park in Kaiserslautern auf einer von einer privaten Projektentwicklungsgesellschaft unter Inanspruchnahme öffentlicher Mittel entwickelten Konversionsfläche ein Spaß- und Freizeitbad. An der KG ist die Beklagte als Kommanditistin beteiligt. Unmittelbar vor dem Bad befindet sich nördlich eine im Eigentum der Beklagten stehende Fläche, welche diese unter Inanspruchnahme öffentlicher Fördermittel zu einer Parkplatzfläche ausgebaut hat. Diese etwa 7.300 m² große Fläche stellte die Beklagte der Klägerin mit Vereinbarung vom 17. Dezember 2004 zur betriebsnotwendigen Nutzung als Parkplatzfläche kostenlos zur Verfügung. Gemäß § 8 dieser Vereinbarung bedarf die Nutzerin der vorherigen schriftlichen Zustimmung der Grundstückseigentümerin u.a. zur ganzen oder teilweisen Weitergabe des Nutzungsrechts bzw. Errichtung von Bauwerken jeglicher Art auf der Nutzungsfläche.

3

In der Folgezeit beabsichtigte die Klägerin einen wesentlichen Teil der Wärmelieferung über ein neu zu errichtendes Blockheizkraftwerk sicherzustellen. Mit Bauschein vom 12. September 2006 erteilte die Beklagte der Firma L, die als Bauherrin fungierte, die Genehmigung zur Errichtung zweier Blockheizkraftwerke in Containerbauweise auf dem eigenen Betriebsgrundstück der Klägerin, FlurNr. ……. Die Blockheizkraftwerke wurden in der Folgezeit aber auf dem Parkplatzgrundstück aufgestellt. Mit Antrag vom 15. März 2007 begehrte die Bauherrin für die Stellungsänderung der Container vom eigenen Betriebsgrundstück der Klägerin, FlurNr. ………, auf eine 123 qm große und ca. 13 Parkplätze umfassende Teilfläche des Parkplatzgrundstückes, FlurNr. ……, nachträglich eine Tekturgenehmigung. Diese Tektur wurde mit Bescheid vom 4. Februar 2009 genehmigt.

4

Bereits im Jahr 2007 wurden von der Beklagten wegen einer möglichen Förderungsschädlichkeit dieses Bauvorhabens auf der Parkplatzfläche Gespräche mit dem zuständigen Ministerium des Innern und für Sport aufgenommen. Das Ministerium äußerte letztendlich die Auffassung, dass die anderweitige Nutzung förderschädlich und bei Fortsetzung die anteilige Förderung in Höhe von 66.000,00 € für diese Teilfläche zurückzuzahlen sei. In der Folgezeit wurde der Rückbau der Anlage bis zum 31. Mai 2010 vorgenommen.

5

Im Nachgang hierzu erteilte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 15. November 2010 eine Sondernutzungserlaubnis für die Nutzung dieser Teilfläche des Parkplatzes in der Vergangenheit und setzte für den Zeitraum vom 1. Oktober 2006 bis 31. Mai 2010 Sondernutzungsgebühren in Höhe von insgesamt 7.568,50 € fest. Die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheids lautete wie folgt:

6

„Gegen beiliegende Erlaubnis kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch erhoben werden. Der Widerspruch ist bei der Stadtverwaltung Kaiserslautern, Referat Stadtentwicklung, Rathaus, Willy-Brandt-Platz 1, 11. Obergeschoss, Zimmer Nr. 1123-1124 oder bei der Geschäftsstelle des Stadtrechtsausschusses, Rathaus Nord Benzinoring 1, 1. Obergeschoss, Zimmer Nr. B 110, schriftlich oder zur Niederschrift einzulegen.“

7

Gegen den am 15. November 2010 zur Post gegebenen Bescheid legte die Klägerin am 10. Januar 2011 schriftlich Widerspruch bei der Beklagten ein und führte aus, falls in formeller Hinsicht die Frist des Widerspruchs beanstandet werden sollte, werde darauf hingewiesen, dass die Monatsfrist nicht einschlägig sei, weil die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheids nicht ausreichend sei. Nach Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs sei der Hinweis in der Rechtsbehelfsbelehrung, dass der Widerspruch schriftlich oder zur Niederschrift zu erheben sei, irreführend und fehlerhaft. Damit laufe die Jahresfrist gemäß § 58 Abs. 2 VwGO. In der Sache sei der Bescheid rechtswidrig.

8

Der Stadtrechtsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 2011 wegen Verfristung als unzulässig zurück und führte zur Begründung aus, eine Belehrung über die Möglichkeit der Einlegung des Widerspruchs in elektronischer Form sei nicht notwendig gewesen, da die Beklagte nach der Verkehrsanschauung keinen Zugang für den Empfang von Dokumenten mit qualifizierter elektronischer Signatur eröffnet habe. Gründe, unter Ermessensgesichtspunkten trotz Verfristung über den Widerspruch in der Sache zu entscheiden, seien nicht ersichtlich. Die Klägerin habe im Übrigen auch keinen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

9

Dagegen hat die Klägerin am 09. Juni 2011 Klage erhoben. Sie wiederholt weitgehend ihr Vorbringen aus dem Widerspruchverfahren und führt ergänzend aus, dass die Beklagte einen Zugang für Schreiben in elektronischer Form durch Hinweis auf ihrer Homepage eröffnet habe.

10

Die Klägerin beantragt,

11

den Bescheid vom 15. November 2010 über die Sondernutzungserlaubnis und die Festsetzung der Gebühren in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2011 aufzuheben.

12

Die Beklagte beantragt,

13

die Klage abzuweisen.

14

Sie bezieht sich auf den ergangenen Widerspruchsbescheid.

15

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

16

Die gemäß § 42 Abs. 1 VwGO statthafte Anfechtungsklage, die sich gegen die in dem Bescheid vom 15. November 2010 enthaltene Gebührenfestsetzung richtet, ist unzulässig. Denn die Klägerin hat das gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - erforderliche Vorverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt.

17

Gemäß § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Widerspruch innerhalb eines Monats schriftlich oder zur Niederschrift bei der Behörde zu erheben, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Wird diese Frist versäumt, wird der Verwaltungsakt bestandskräftig. Die Wahrung der Widerspruchsfrist ist Zulässigkeitsvoraussetzung für den Widerspruch und auch für die Klage. Wird der Widerspruch wegen Fristversäumung als unzulässig zurückgewiesen, ist die hierauf erhobene Klage ebenfalls unzulässig (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 17. Auflage 2011, vor § 68 Rn. 7 und § 70 Rn. 6 m.w.N.).

18

Die Klägerin hat den Widerspruch nicht innerhalb der Monatsfrist des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO eingelegt (1.). Die Rechtsbehelfsbelehrung in dem Bescheid vom 15. November 2010 war nicht fehlerhaft. Zwar hatte die Beklagte den Zugang für die wirksame elektronische Widerspruchseinlegung eröffnet (2.). Jedoch war die Beklagte rechtlich nicht verpflichtet, in der Belehrung des Bescheids vom 15. November 2010 auf die Möglichkeit der elektronischen Widerspruchseinlegung hinzuweisen, da die Belehrung die einschlägige Vorschrift des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO im Wortlaut wiedergegeben hat und damit objektiv zutreffend war (3.)

19

1. Die Klägerin hat die Monatsfrist für die Einlegung des Widerspruchs versäumt. Der am 15. November 2010 per einfachem Brief zur Post gegebene Bescheid galt gemäß §§ 1 Abs. 1 Landesverwaltungsverfahrensgesetz - LVwVfG -, 41 Abs. 2 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG - als am 18. November 2010 gegenüber der Klägerin bekannt gegeben, so dass die nach § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Zivilprozessordnung - ZPO - oder nach §§ 79, 31 VwVfG, §§ 187 ff. Bürgerliches Gesetzbuch - BGB - zu berechnende Monatsfrist am Montag, dem 20. Dezember 2010, ablief. Der Widerspruch ging bei der Beklagten jedoch erst am 10. Januar 2011 und damit verspätet ein.

20

2. Entgegen der Auffassung der Klägerin war die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheids vom 15. November 2010 nicht fehlerhaft mit der Folge, dass der Widerspruch innerhalb eines Jahres hätte erhoben werden können. Gemäß § 58 Abs. 1 VwGO beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO innerhalb eines Jahres seit Zustellung möglich.

21

Hier hat die Beklagte in dem Bescheid vom 15. November 2010 die Vorschrift des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO beachtet, denn sie hat in der dem Bescheid beigefügten schriftlichen Rechtsbehelfsbelehrung den Wortlaut der maßgeblichen Norm wiedergegeben, indem sie die Klägerin auf die Möglichkeit eines Widerspruchs „schriftlich oder zur Niederschrift“ binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheids hingewiesen hat. Diese Rechtsbehelfsbelehrung ist objektiv zutreffend und daher rechtlich nicht zu beanstanden.

22

Zwar hatte die Beklagte gemäß § 1 LVwVfG, §§ 79, 3a VwVfG den Zugang für die elektronische Widerspruchseinlegung in ihrem Zuständigkeitsbereich eröffnet mit der Folge, dass Widerspruchsführer ihren Widerspruch gegen einen Verwaltungsakt jederzeit elektronisch einreichen konnten. Nach § 3a Abs. 1 VwVfG ist dafür zum einen notwendig, dass der Empfänger einen Zugang für die Übermittlung elektronischer Dokumente eröffnet hat. Von einer Zugangseröffnung kann bei Behörden im Allgemeinen davon ausgegangen werden, wenn sie auf ihren Briefköpfen und/oder auf ihrer Homepage eine E-Mail-Adresse angegeben haben, die nach der Verkehrsanschauung nicht allein reinen Informationszwecken dient (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Auflage 2008, § 3a Rn. 14). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt, da die Beklagte auf ihrer Homepage unter http://www.kaiserslautern.de/service/impressum/elektronsche_kommunikation/index. html?lang=de als Adresse für eine rechtsverbindliche elektronische Kommunikation die E-Mail-Adresse [email protected] angibt.

23

Liegt eine Zugangseröffnung nach § 3a Abs. 1 VwVfG vor, muss, um den elektronischen Widerspruch wirksam einlegen zu können, die Behörde darüber hinaus gemäß § 3a Abs. 2 VwVfG den Zugang auch für den Empfang von Dokumenten mit qualifizierter elektronischer Signatur eröffnet haben. Auch diese Voraussetzung ist hier gegeben, da die Beklagte auf ihrer Homepage ausführt:

24

„3. Formgebundene elektronische Kommunikation

25

Eine rechtsverbindliche formgebundene elektronische Kommunikation ist erforderlich, wenn für Dokumente, die Sie der Stadtverwaltung Kaiserslautern übermitteln wollen, gesetzlich die Schriftform angeordnet ist. Das ist in der Regel der Fall, wenn für bestimmte Unterlagen eine eigenhändige Unterschrift vorgeschrieben ist, z.B. bei der Erhebung eines Widerspruchs. Die eigenhändige Unterschrift kann, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, bei einer elektronischen Übermittlung eines Dokuments durch eine qualifizierte elektronische Signatur nach dem Signaturgesetz ersetzt werden.

26

Für den Versand von E-Mails und Anlagen, die mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sind, steht Ihnen wie bei der formfreien elektronischen (siehe Ziffer 2) die folgende E-Mail-Adresse zur Verfügung:

27

[email protected]

28

In der Belehrung des Bescheids vom 15. November 2010 hat die Beklagte, obwohl sie den Zugang für die elektronische Widerspruchseinlegung in ihrem Zuständigkeitsbereich eröffnet hat, lediglich darauf hingewiesen, dass der Widerspruch „schriftlich oder zur Niederschrift“ einzulegen sei. Soweit der Stadtrechtsausschuss der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 2011 ausgeführt hat, die Beklagte habe nach der Verkehrsanschauung keinen Zugang für den Empfang von Dokumenten mit qualifizierter elektronischer Signatur eröffnet, ist dies unzutreffend. Es hätte der Beklagten daher frei gestanden, in Übereinstimmung mit Nr. 2.2. des an alle Behörden des Landes und der kommunalen Gebietskörperschaften sowie alle sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts gerichteten Rundschreibens der Staatskanzlei und der Ministerien vom 23. Juni 2008 (s. Justizblatt 2008, 131 ff.) in der Rechtsbehelfsbelehrung auf die Möglichkeit der elektronischen Widerspruchseinlegung ausdrücklich hinzuweisen. Eine gesetzliche Verpflichtung dazu bestand nach Auffassung der Kammer jedoch nicht.

29

3. § 58 VwGO dient dem Schutz der durch eine behördliche oder gerichtliche Entscheidung Betroffenen. Niemand soll durch Rechtsunkenntnis eines Rechtsbehelfs verlustig gehen. Deshalb knüpft die Vorschrift den Lauf von Rechtsbehelfsfristen an eine bestimmt geartete Belehrung. Diese ist allerdings nicht etwa als „Gebrauchsanweisung“ zu verstehen, die allen tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten Rechnung trägt, dem Betroffenen alle Einzelheiten seines Verhaltens vorschreibt und ihm damit auch jede eigene Verantwortung abnimmt (BVerwG, Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 2). Da die Eigenverantwortlichkeit des Betroffenen u.a. auch die erforderliche Form des Rechtsbehelfs umfasst (vgl. BVerwG, Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 2), gehört die Belehrung über die Form, in der ein Rechtsbehelf einzulegen ist, nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der die Kammer folgt, nicht zu den von § 58 Abs. 1 VwGO zwingend geforderten Angaben (s. z.B. BVerwG, NJW 1991, 508 und NJW 1976, 1332).

30

Das Bundesverwaltungsgericht betont jedoch stets, dass eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht nur dann fehlerhaft ist, wenn sie die in § 58 Abs. 1 VwGO zwingend geforderten Angaben nicht enthält, sondern auch dann, wenn ihr ein unrichtiger oder irreführender Zusatz beigefügt ist, der objektiv geeignet ist, beim Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und die Rechtsmitteleinlegung zu erschweren (s. z. B. BVerwG, Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 77, DVBl 2002, 1553, NJW 2009, 2322). § 58 VwGO macht den Lauf der Fristen in allen Fällen von der Erteilung einer ordnungsgemäßen Belehrung abhängig, ohne Rücksicht darauf, ob den Betroffenen die Möglichkeit und die Voraussetzungen der in Betracht kommenden Rechtsbehelfe tatsächlich unbekannt waren und ob das Fehlen oder die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung kausal für das Unterbleiben oder die Verspätung des Rechtsbehelfs war. Das dient der Rechtsmittelklarheit; indem § 58 VwGO seine Rechtsfolgen allein an die objektiv feststellbare Tatsache des Fehlens oder der Unrichtigkeit der Belehrung knüpft, gibt die Vorschrift sämtlichen Verfahrensbeteiligten gleiche und zudem sichere Kriterien für das Bestimmen der formellen Rechtskraft an die Hand. Ein unrichtiger oder irreführender Zusatz ist objektiv geeignet, die Rechtsmitteleinlegung zu erschweren, wenn sie den Adressaten davon abhalten kann, das Rechtsmittel überhaupt, rechtzeitig oder formgerecht einzulegen (BVerwG, NVwZ 1997, 1211).

31

Letzteres hat das Bundesverwaltungsgericht in der Konstellation angenommen, dass nur darüber belehrt worden war, der Widerspruch könne „schriftlich“ eingelegt werden (NJW 1979, 1670). Zur Begründung führt das Bundesverwaltungsgericht aus, diese Formulierung widerspreche dem Gesetz. Es sei durchaus denkbar, dass sich ein Widerspruchsführer dem Erfordernis, den Widerspruch schriftlich einzureichen, nicht gewachsen fühle, er auch die mit der Hilfe durch Rechtskundige verbundenen Umständlichkeiten und Kosten scheue und deshalb von der Einlegung des Widerspruchs absehe. Eine Erschwernis für den Betroffenen hat das OVG Nordrhein-Westfalen (DÖV 1979, 104) auch darin gesehen, dass in der Rechtsbehelfsbelehrung eines Verwaltungsakts nur darauf hingewiesen worden war, dass Widerspruch auch bei der Widerspruchsbehörde eingelegt werden könne. Das OVG Nordrhein-Westfalen begründete seine Auffassung damit, es sei vorstellbar, dass ein Betroffener, für den die Widerspruchsbehörde nicht ebenso gut erreichbar sei wie die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen habe, sich allein wegen der räumlichen Entfernung zum Sitz der in der Belehrung angegebenen Widerspruchsbehörde von der Einlegung eines Widerspruchs abhalten lasse. Fehlerhaft war nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (DÖV 1981, 635) auch die Formulierung in der Rechtsbehelfsbelehrung eines Bescheids, der Widerspruch könne „schriftlich bzw. zur Niederschrift“ eingelegt werden. Diese Angabe, so das Bundesverwaltungsgericht, weiche von der Regelung des gesetzlichen Formerfordernisses in § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO ab. Für die Auslegung von Willenserklärungen der Verwaltung sei gemäß der auch im öffentlichen Recht geltenden Regel des § 133 BGB der erklärte Wille maßgebend, wie ihn bei objektiver Würdigung der Empfänger habe verstehen können. Etwaige Unklarheiten gingen zu Lasten der Verwaltung. Bei objektiver Würdigung der beanstandeten Formulierung der Rechtsbehelfsbelehrung könne es aber nicht zweifelhaft sein, dass die Bedeutung des Begriffs "beziehungsweise" nicht mit der des Wortes "oder" übereinstimme. Dieser unrichtige Zusatz sei jedoch nicht geeignet, den Entschluss des Adressaten zur Einlegung eines Rechtsbehelfs zu erschweren. Es könne nicht angenommen werden, dass sich ein Betroffener durch diese Formulierung von der Einlegung eines an sich in Aussicht genommenen Rechtsbehelfs abhalten lasse. Denn auch der rechtsunkundige Adressat einer derartigen Rechtsbehelfsbelehrung werde erkennen, dass es sich bei dem Formerfordernis "zur Niederschrift bei der Behörde" um eine selbständige Form für die Einlegung des Rechtsbehelfs handele.

32

Gemessen an diesen Vergleichsfällen war die Rechtsbehelfsbelehrung in dem Bescheid der Beklagten vom 15. November 2010 nicht fehlerhaft. Denn der mangelnde Hinweis auf die Möglichkeit, den Widerspruch auch elektronisch einlegen zu können, erschwerte der Klägerin die Rechtsverfolgung nicht in einer vom Gesetz nicht gewollten Weise.

33

Zwar wird in Rechtsprechung und Literatur zur verwaltungsgerichtlichen Klageerhebung in den Bundesländern, in denen - wie in Rheinland-Pfalz - der elektronische Rechtsverkehr nach § 55 a VwGO eröffnet ist, die Ansicht vertreten, dass der in Übereinstimmung mit § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwGO stehende Hinweis, die Klage sei schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben, nach dem objektiven Empfängerhorizont geeignet sei, den Eindruck zu erwecken, dass die Klage nicht in elektronischer Form erhoben werden könne (s. OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 03. Mai 2010 - 2 S 106.09 - und vom 02. Februar 2011 - OVG 2 N 10.10 -, jeweils juris; VG Trier, Urteil vom 22. September 2009 - 1 K 365/09.TR -, ESOVG und juris; VG Potsdam, Urteil vom 18. August 2010 - 8 K 2929/09 - juris; VG Neustadt, Urteil vom 10. September 2010 - 2 K 156/10.NW - juris; Starke, LKV 2010, 358; ferner verlangen Kopp/Schenke, VwGO, a.a.O., § 58 Rn. 10 und Kintz, NVwZ 2004, 1429 einen entsprechenden Hinweis auf die Möglichkeit elektronischer Widerspruchseinlegung auch in der Rechtbehelfsbelehrung eines Ausgangsbescheids; vgl. für den Sozialprozess ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. November 2010 - L 5 AS 1773/10 B PKH -, juris). Denn die Verweisung auf das Erfordernis, die Begründung schriftlich einzureichen, erschwere dem Betroffenen die Rechtsverfolgung. Es sei durchaus denkbar, dass die Einreichung der Klage in elektronischer Form eine erhebliche Vereinfachung gegenüber der Einreichung eines Schriftstücks durch Einwurf in den Gerichtsbriefkasten, per Post bzw. Boten oder Fax darstelle.

34

Nach der Gegenmeinung muss dagegen nicht auf die Möglichkeit der Erhebung einer verwaltungsgerichtlichen Klage mittels elektronischer Datenübermittlung hingewiesen werden, weil diese Form bisher wenig verbreitet sei und besonderen Voraussetzungen und Umständen unterliege. Die elektronische Klageerhebung unterscheide sich von herkömmlichen Formen der Klageerhebung durch die eine Zugangsvoraussetzung, die gerade nicht jedermann offenstehe. Die dadurch eröffnete beschleunigte Übermittlung einer fristgebundenen Eingabe bei Gericht stehe nur einem Anwenderkreis offen, der in das Verfahren eingebunden sei und typischerweise nicht einem Irrtum über die Möglichkeit der elektronischen Klageerhebung unterliegen könne. Der Zweck der Rechtsbehelfsbelehrung, dem Beteiligten den richtigen und regelmäßigen Weg der Klageerhebung zu zeigen, dürfe nicht dadurch verwässert werden, dass die Rechtsbehelfsbelehrung auch alle anderen Möglichkeiten, die das Gesetz zur Fristwahrung genügen lasse, aufzählen müsse. Die Rechtsbehelfsbelehrung werde dadurch nicht übersichtlicher, sondern länger und verwirrend. Von daher müsse auf die Möglichkeit der Klageerhebung in elektronischer Form nicht gesondert hingewiesen werden (vgl. VG Frankfurt, Urteil vom 08. Juli 2011 - 11 K 4808/10.F -, juris; VG Berlin, Beschluss vom 20. Mai 2010 - 12 L 253/10 -, juris; für den Sozialprozess LSG Hessen, Urteil vom 20. Juni 2011 - L 7 AL 87/10 -, juris und SG Marburg, Urteil vom 15. Juni 2011 - S 12 KA 295/10 -, juris).

35

Die erkennende Kammer folgt im Ergebnis der zuletzt genannten Meinung, wählt aber einen etwas anderen Ansatz. Da das Bundesverwaltungsgericht darauf abstellt, ob die Formulierung in der Rechtsbehelfsbelehrung die Rechtsverfolgung des Betroffenen in einer vom Gesetz nicht gewollten Weise erschwert und deshalb irreführend ist, orientiert sich die Kammer ausschließlich am Wortlaut des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Diese Vorschrift enthält die maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben über Form und Frist des Widerspruchs. Die genannte Norm sieht - ebenso wie bei der Klageerhebung nach § 81 Abs. 1 VwGO - zwei gleichberechtigte Formen für die wirksame Einlegung des Widerspruchs vor, nämlich die schriftliche Widerspruchseinlegung oder den Widerspruch zur Niederschrift bei der Behörde. Eine Rechtsbehelfsbelehrung, die - wie hier - den Inhalt dieser maßgeblichen Vorschrift zutreffend wiedergibt, widerspricht nicht dem Gesetz und ist daher nicht unrichtig im Sinne von § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO (Bay. VGH, Beschluss vom 18. April 2011 – 20 ZB 11.349 -, juris; vgl. auch BFH, Beschluss vom 2. Februar 2010 - III B 20/09 – juris).

36

Zwar kann die verwaltungsgerichtliche Klage aufgrund der Regelung des § 55 a VwGO und der Landesverordnung über den elektronischen Rechtsverkehr mit den öffentlichen Fachgerichtsbarkeiten unter näher bezeichneten Anforderungen seit vielen Jahren auch elektronisch erhoben werden. Für das Widerspruchsverfahren gilt nichts anderes, denn über die Vorschriften der §§ 1 LVwVfG, 79 VwVfG findet die Bestimmung des § 3 a VwVfG Anwendung. Nach dessen Abs. 2 Sätze 1 und 2 kann eine durch Rechtsvorschrift angeordnete Schriftform, soweit nicht durch Rechtsvorschrift etwas anderes bestimmt ist, durch die elektronische Form ersetzt werden. In diesem Fall ist das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz zu versehen. § 3 a Abs. 2 Satz 1 VwVfG spricht ausdrücklich davon, dass die durch Rechtsvorschrift angeordnete Schriftform - hier § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO - durch die elektronische Formersetzt wird. Eine ähnliche Formulierung findet sich in § 126 Abs. 3 und 4 BGB. Nach § 126 Abs. 3 BGB kann die schriftliche Form durch die elektronische Form ersetzt werden, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt. § 126 Abs. 4 BGB bestimmt, dass die schriftliche Form durch die notarielle Beurkundung ersetzt wird.

37

Es spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle, ob die elektronische Form ein Unterfall der Schriftform ist (bejahend Skrobotz, jurisPR-ITR 24/2009 Anm. 5 und Braun, jurisPR-ITR 15/2011 Anm. 5; eher ablehnend VG Trier, Urteil vom 22. September 2009 - 1 K 365/09.TR -, juris unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien, in denen das elektronische Dokument als „Alternative zur Schriftform“, „modifizierte Schriftform“ sowie „neue prozessuale Form“ charakterisiert und als gleichberechtigt neben der - herkömmlichen papiergebundenen - Schriftform bezeichnet wird [s. BT-Drucksache 14/4987, Seiten 13 und 23]). Maßgeblich ist allein, dass die in § 70 Abs. 1 VwGO angeordnete Schriftform des Widerspruchs gemäß § 3 a Abs. 2 VwVfG durch die elektronische Formersetzt werden kann, d.h. unter näher genannten Voraussetzungen dem Schriftformerfordernis genügt. Es ist in der Rechtsprechung seit Jahren allgemein anerkannt, dass die Schriftform auch durch eine Widerspruchseinlegung oder Klageerhebung per Telefax (BVerfG, NJW 1987, 2098), Computerfax (GmSOBG, NJW 2000, 2340) oder Funkfax (BVerwG, NJW 2006, 1989) gewahrt wird. Ein gesonderter Verweis auf diese Formen der wirksamen Rechtsbehelfseinlegung wird von der Rechtsprechung in den Rechtsbehelfsbelehrungen aber gerade nicht verlangt. Ebenso unterliegt es keinem Zweifel, dass eine Rechtsbehelfsbelehrung einen Hinweis auf die Möglichkeit der Widerspruchseinlegung oder Klageerhebung durch notarielle Urkunde, die dem gesetzlichen Formerfordernis nach § 70 Abs. 1 VwGO bzw. § 81 Abs. 1 VwGO genügt, nicht erfordert. Warum etwas anderes für den bloß zusätzlichen Übermittlungsweg eines Rechtsbehelfs per elektronischer Form gelten soll, obwohl damit die Schriftform - ebenso wie bisher schon durch die notarielle Beurkundung (vgl. § 126 Abs. 4 BGB) - ersetzt wird, erschließt sich der Kammer nicht. Dafür spricht für die elektronische Klageerhebung im Übrigen auch die Vorschrift des § 81 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Danach sollen der Klage und allen Schriftsätzen vorbehaltlich des § 55a Abs. 2 Satz 2 Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden. Diese Bestimmung, die mit In-Kraft-Treten des Justizkommunikationsgesetzes am 01. April 2005 geändert worden ist, unterstreicht, dass der Gesetzgeber bei der Änderung des § 81 Abs. 2 VwGO keine Veranlassung gesehen hat, den Absatz 1 Satz 1 um die Passage „oder elektronisch“ zu ergänzen, da er das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehene elektronische Dokument einem schriftlich zu unterzeichnenden Dokument gleichgestellt hat (s. § 55 a Abs. 1 Satz 3 VwGO).

38

Die von der Beklagten erteilte Rechtsbehelfsbelehrung gibt somit in zulässiger Weise den Wortlaut des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO wieder, weil nach dem oben Gesagten ein mit einer qualifizierten Signatur versehener elektronischer Widerspruch aufgrund des § 3 a Abs. 2 Satz 1 VwVfG den schriftlichen Widerspruch ersetzt und damit wie ein solcher zu behandeln ist. Eine Rechtsbehelfsbelehrung, die den Wortlaut der hier maßgeblichen Vorschrift enthält, ist aber objektiv zutreffend und damit ausreichend (s. auch Bay. VGH, Beschluss vom 18. April 2011 - 20 ZB 11.349 -, juris; vgl. auch BFH, Beschluss vom 2. Februar 2010 - III B 20/09 - juris). Belehrt ein Bescheid über die einschlägige gesetzliche Vorschrift, so wird die Rechtsverfolgung des Betroffenen nicht in einer vom Gesetz nicht gewollten Weise erschwert; sie ist daher auch nicht irreführend. Die reine Wortlautwiedergabe kann per se keine irreführende Auskunft enthalten, solange die entsprechende Norm nicht offensichtlich rechtswidrig ist. Es wird durch diese Variante der Rechtsbehelfsbelehrung auch nicht der Eindruck vermittelt, dass die elektronische Rechtsbehelfsbelehrung unzulässig sei. Es ist zwar zutreffend, dass für die Auslegung der Rechtsbehelfsbelehrung der objektive Empfängerhorizont nach § 157 BGB maßgeblich ist und nicht das wirklich Gemeinte nach § 133 BGB. Allerdings kann die Wortlautwiederholung des Gesetzes nach dem objektiven Empfängerhorizont nicht mehr aussagen als die zitierte Norm selbst.

39

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 155 Abs. 1 S. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 167 Abs. 2 iVm 708 Nr. 11, 711.

40

Die Berufung war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§ 124 a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3, VwGO). Denn bei der Frage, ob eine Rechtsbehelfsbelehrung in einem Ausgangsbescheid einer Behörde, die den Zugang für die wirksame Einlegung eines elektronischen Widerspruchs eröffnet hat, fehlerhaft ist, wenn die Behörde in der Belehrung ausdrücklich über die Form belehrt hat, ohne auf die Möglichkeit der elektronischen Widerspruchseinlegung hinzuweisen, handelt es sich um eine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage, deren Klärung im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts geboten erscheint.

41

Beschluss

42

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.568,50 € festgesetzt (§§ 52, 63 Abs. 2 GKG).

Tatbestand

1

I. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) schätzte den gesondert festzustellenden Gewinn des Gewerbetriebs "P" des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) für die Streitjahre 2006 und 2007. Diese Schätzungsbescheide ergingen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Nachdem der Kläger im Dezember 2010 seine Gewinnermittlungen für alle Streitjahre eingereicht hatte, hob das FA mit Bescheiden vom 30. März 2011 die Vorbehalte der Nachprüfung für die Streitjahre 2006 und 2007 auf. Am gleichen Tag erließ das FA einen Feststellungsbescheid für das Streitjahr 2008. Alle drei Bescheide waren mit Rechtsbehelfsbelehrungen versehen, die hinsichtlich der Form der Einspruchseinlegung den Wortlaut des § 357 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) wiederholten. Daneben enthielten diese Bescheide die E-Mail-Adresse des FA. Infolge der bereits am 14. Januar 2011 ergangenen Aufforderung, Nachweise hinsichtlich der Gewinnermittlungen zu übersenden, bat der Kläger am 20. Mai 2011, die Schätzungen zurückzunehmen. Er habe krankheitsbedingt erst verspätet antworten können. Auf einen Hinweis des FA auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand reagierte der Kläger nicht. Das Schreiben des Klägers vom 20. Mai 2011 wertete das FA als Einspruch gegen die Bescheide vom 30. März 2011, die es durch Entscheidung vom 26. Juli 2011 als unzulässig verwarf.

2

Die hiergegen erhobene Klage hatte Erfolg. Das Niedersächsische Finanzgericht (FG) hob mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 292 veröffentlichten Urteil die Einspruchsentscheidung auf. Der Einspruch sei fristgerecht eingegangen, da aufgrund des fehlenden Hinweises in den Rechtsbehelfsbelehrungen auf die Möglichkeit der Einlegung eines Einspruchs per E-Mail die Jahresfrist aus § 356 Abs. 2 AO zum Tragen komme.

3

Das FA begründet seine Revision damit, dass die Einlegung eines Einspruchs per E-Mail ein Unterfall der schriftlichen Einspruchseinlegung sei und eine Erweiterung der Rechtsbehelfsbelehrung zur Unübersichtlichkeit führe. Die Nichterwähnung der E-Mail führe nicht zu einer Erschwerung oder gar Gefährdung der Rechtsverfolgung und Fristwahrung in einer vom Gesetz nicht gewollten Weise.

4

Das FA beantragt sinngemäß,
das Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

5

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

6

II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

7

Zu Unrecht ist das FG davon ausgegangen, dass die Rechtsbehelfsbelehrungen der Bescheide vom 30. März 2011 unvollständig seien, da ein Hinweis auf die Möglichkeit der Einlegung eines Einspruchs per E-Mail fehle. Das zutreffend als Einspruch zu wertende Schreiben des Klägers (unten 1.) hat die einmonatige Einspruchsfrist nicht gewahrt, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war nicht zu gewähren (unten 2.). Die Jahresfrist des § 356 Abs. 2 AO ist nicht anwendbar, da die Rechtsbehelfsbelehrungen richtig und vollständig sind (unten 3.).

8

1. Zutreffend haben FA und FG das Schreiben des Klägers vom 20. Mai 2011 als Einspruch gewertet. Auch außerprozessuale Verfahrenserklärungen --wie dieses Schreiben-- sind in entsprechender Anwendung des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auszulegen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29. Juli 1986 IX R 123/82, BFH/NV 1987, 359). Im vorliegenden Fall liegt in der Bitte des Klägers, die Schätzungen zurückzunehmen, ein Begehren i.S. des § 350 AO, das als Einspruch anzusehen ist.

9

Der Einspruch ist schriftlich und damit jedenfalls formgerecht i.S. des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO eingelegt worden.

10

2. Das FA ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Einspruch nicht innerhalb der Monatsfrist gemäß § 355 Abs. 1 Satz 1 AO eingelegt wurde. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 AO war --auch von Amts wegen-- nicht zu gewähren, da der Kläger Tatsachen zur Begründung eines solchen Antrags trotz eines Hinweises des FA nicht dargelegt hat. Die bloße Erwähnung einer Krankheit im Einspruchsschreiben zwingt das FA nicht zu einer Prüfung der Wiedereinsetzung von Amts wegen. Da Krankheit nur ausnahmsweise eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründen kann (vgl. statt vieler: Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 110 AO Rz 147; Klein/ Rätke, AO, 11. Aufl., § 110 Rz 9, jeweils m.w.N.), hätte der Kläger weitere Tatsachen darlegen und --spätestens im Klageverfahren (vgl. Klein/Rätke, a.a.O., § 110 Rz 46; Pahlke/ Koenig/Pahlke, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 110 Rz 89, jeweils m.w.N.)-- gemäß § 110 Abs. 2 Satz 2 AO auch glaubhaft machen müssen. Für Amtsermittlungen ist in einem solchen Verfahren grundsätzlich kein Raum (BFH-Beschluss vom 23. Januar 2008 I B 101/07, BFH/NV 2008, 1290).

11

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 AO wäre auch dann nicht zu gewähren, wenn man den Vortrag der Klägerseite so verstünde, dass dem Kläger die Möglichkeit der Einlegung eines Einspruchs per E-Mail nicht bekannt gewesen sei und er sich deshalb im Rechtsirrtum befunden habe. Es fehlt insoweit bereits an der Darlegung entsprechender Tatsachen innerhalb der in § 110 Abs. 2 Satz 1 AO festgesetzten Monatsfrist. Ein Nachschieben von Wiedereinsetzungsgründen nach Ablauf dieser Antragsfrist ist unzulässig (BFH-Beschluss vom 26. Februar 2004 VI B 101/01, nicht veröffentlicht).

12

3. Die Einspruchsfrist ist nicht gemäß § 356 Abs. 2 Satz 1 AO auf ein Jahr seit Bekanntgabe der Bescheide verlängert worden, da die Rechtsbehelfsbelehrungen der Bescheide vom 30. März 2011 vollständig und richtig erteilt worden sind. Hinsichtlich der Anforderungen an die Form der Einspruchseinlegung reicht es insoweit aus, dass die Rechtsbehelfsbelehrungen den Wortlaut des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO wiedergeben.

13

a) Die Rechtsbehelfsbelehrung muss dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes --GG--; Art. 19 Abs. 4 GG) Rechnung tragen, soll aber auch so einfach und klar wie möglich sein (Senatsurteil vom 7. März 2006 X R 18/05, BFHE 212, 407, BStBl II 2006, 455).

14

Unrichtig ist eine Belehrung daher erst dann, wenn sie in wesentlichen Aussagen unzutreffend oder derart unvollständig oder missverständlich gefasst ist, dass hierdurch --bei objektiver Betrachtung-- die Möglichkeit zur Fristwahrung gefährdet erscheint (Senatsurteil vom 29. Juli 1998 X R 3/96, BFHE 186, 324, BStBl II 1998, 742; auch BFH-Beschluss vom 9. November 2009 IV B 54/09, BFH/NV 2010, 448, jeweils m.w.N.).

15

b) Der BFH hat bereits mehrfach entschieden, dass die Rechtsbehelfsbelehrung auch dann noch vollständig und richtig ist, wenn sie hinsichtlich der Form der Einlegung des Rechtsbehelfs nur den Wortlaut des Gesetzes --im Fall der Einlegung des Einspruchs also den des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO-- wiederholt, und zwar auch in Bezug auf die Einlegung des Rechtsbehelfs per E-Mail. So stellte der III. Senat bereits in seiner Entscheidung vom 2. Februar 2010 III B 20/09 (BFH/NV 2010, 830) klar, dass die Rechtsbehelfsbelehrung richtig und vollständig sei, wenn sie den Wortlaut des § 357 Abs. 1 AO wiedergebe. Auf die Möglichkeit der Einspruchseinlegung in elektronischer Form brauche die Behörde auch dann nicht hinzuweisen, wenn in der Erwähnung der Internetseite in der Fußzeile des Bescheides die konkludente Eröffnung eines "Zugangs" i.S. von § 87a Abs. 1 Satz 1 AO zu sehen sein sollte. Diese Rechtsprechung hat der III. Senat in seiner Entscheidung vom 12. Oktober 2012 III B 66/12 (BFH/NV 2013, 177) bestätigt.

16

In seinem Beschluss vom 12. Dezember 2012 I B 127/12 (BFHE 239, 25, BStBl II 2013, 272) hat sich der I. Senat des BFH dieser Rechtsprechung angeschlossen. Nach dem maßgebenden objektiven Verständnishorizont sei bei Wiederholung des Wortlautes des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO kein unrichtiger bzw. missverständlicher Hinweis zu den Formerfordernissen erteilt worden. Das FA sei weder gehalten, einen ergänzenden Hinweis auf § 87a AO (elektronische Form als Alternative zur Schriftlichkeit im Sinne der hergebrachten Schriftform) zu geben, ebenso wie es umgekehrt nicht gehalten sei, angesichts der ergänzenden Regelung des § 87a AO einen Hinweis, der sich auf § 357 Abs. 1 Satz 1 AO beschränke, zu unterlassen. Eine Belehrung entsprechend dem Gesetzeswortlaut des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO sei nicht geeignet, bei einem "objektiven" Empfänger die Fehlvorstellung hervorzurufen, die Einlegung eines Einspruchs in elektronischer Form werde den geltenden Formvorschriften nicht gerecht. Der Hinweis auf die "Schriftlichkeit" entsprechend § 357 Abs. 1 Satz 1 AO wirke weder irreführend noch rechtsschutzbeeinträchtigend. Der Betroffene werde in die Lage versetzt, sich im Rahmen seiner verfahrensrechtlichen Mitverantwortung darüber kundig zu machen, ob das herkömmliche Verständnis dessen, was unter "schriftlich" aufzufassen sei, angesichts der technischen Weiterentwicklungen zu modifizieren sei.

17

c) Der Senat schließt sich der Rechtsprechung des I. und III. Senats an und knüpft hierbei an seine Entscheidung in BFHE 212, 407, BStBl II 2006, 455 an, die es ausreichen lässt, dass die Rechtsbehelfsbelehrung hinsichtlich der Berechnung der Einspruchsfrist den Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen wiedergibt.

18

aa) Nach § 356 Abs. 1 AO beginnt die Frist für die Einlegung des Einspruchs nur, wenn der Beteiligte über den Einspruch und die Finanzbehörde, bei der er einzulegen ist, deren Sitz und die einzuhaltende Frist in der für den Verwaltungsakt verwendeten Form (schriftlich oder elektronisch) belehrt worden ist. Über die Form des Einspruchs selbst ist hiernach nicht (zwingend) zu belehren.

19

Allerdings muss eine Rechtsbehelfsbelehrung auch Angaben, die nicht zwingend vorgeschrieben sind, richtig, vollständig und unmissverständlich darstellen (vgl. BFH-Urteil vom 21. Juni 2007 III R 70/06, BFH/NV 2007, 2064, unter II.2.a, m.w.N.). Ob dies der Fall ist, richtet sich nach den Maßstäben, die der Senat in seiner Entscheidung in BFHE 212, 407, BStBl II 2006, 455 aufgestellt hat (s.o. unter 3.a).

20

bb) Der Senat hat gerade mit Rücksicht auf die im Interesse des Steuerpflichtigen liegende Klarheit der Rechtsbehelfsbelehrung in dieser Entscheidung zu einem Fall, in dem die Frage des Fristbeginns in Rede stand, ausgeführt (unter II.2.c d), es sei ausreichend, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung den Gesetzeswortlaut der einschlägigen Bestimmung wiedergebe und verständlich über die allgemeinen Merkmale des Fristbeginns unterrichte. Letzteres setze nach allgemeiner Meinung nicht voraus, dass in der Rechtsbehelfsbelehrung den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung zu tragen wäre. Vielmehr genüge eine abstrakte Belehrung anhand des Gesetzestextes über die vorgeschriebene Anfechtungsfrist. Die konkrete Berechnung sei den Beteiligten überlassen. Auf sämtliche Modalitäten könne kaum hingewiesen werden.

21

cc) Es besteht keine Veranlassung, bei Angaben in der Rechtsbehelfsbelehrung, die nicht Pflichtangaben nach § 356 Abs. 1 AO sind, höhere Anforderungen an die Detailliertheit der Rechtsbehelfsbelehrung zu stellen als bei solchen Angaben, die notwendiges Element der Rechtsbehelfsbelehrung sind.

22

Die Frist ist eine solche Pflichtangabe. Wenn es aber selbst zu der --im Einzelfall sehr komplizierten-- Berechnung der Frist ausreicht, den Wortlaut der einschlägigen Bestimmung wiederzugeben, so muss dies erst recht gelten, wenn Angaben zur Form gemacht werden, die schon dem Grunde nach nicht zwingender Bestandteil der Rechtsbehelfsbelehrung sind.

23

Das bedeutet für die Form der Einspruchseinlegung, dass es genügt, den Wortlaut der insoweit maßgeblichen Vorschrift, nämlich des § 357 Abs. 1 AO, wiederzugeben. Dies ist in den Bescheiden vom 30. März 2011 unstreitig geschehen.

Tatbestand

1

I. In der Sache ist streitig, ob der Kläger und Revisionskläger (Kläger) Aufwendungen in Höhe von … € als Sonderbetriebsausgaben steuerlich geltend machen kann; verfahrensrechtlich ist streitig, ob das Finanzgericht (FG) die Klage zu Recht als verfristet beurteilt hat.

2

Nach einer Außenprüfung erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) geänderte Einkommensteuerbescheide für 2006 und 2007 und hob den zuvor ergangenen Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2007 auf. Zudem änderte das FA den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Grundlagen für die Einkommensbesteuerung 2007 für das von dem Kläger und seinem Neffen als Gesellschaft bürgerlichen Rechts betriebene …büro und versagte dabei den Abzug der zuvor berücksichtigten Sonderbetriebsausgaben von … €, die nach der Feststellungserklärung in Höhe von … € auf den Kläger entfallen sollten.

3

Gegen diese Bescheide, sämtlich vom 17. Juli 2009, legte der Kläger mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten, der A Steuerberatungsgesellschaft mbH in B (A), Einspruch ein und beantragte zugleich u.a. Vollziehungsaussetzung der Einkommensteuer für 2006 und 2007. Zur Begründung kündigte die A eine Stellungnahme der bereits in die Außenprüfung eingeschalteten Rechtsanwältin C an, die sich sodann in einem Schriftsatz vom 21. August 2009 auf den "namens und in Vollmacht des Mandanten" durch den Steuerberater D in A eingelegten Einspruch --insbesondere gegen die Einkommensteuerbescheide 2006 und 2007-- bezog und diesen begründete.

4

Im Laufe des Einspruchsverfahrens nahm das FA die Vollziehungsaussetzung vor und schrieb an die A, während diese wiederum ihren Antrag im Einspruchsverfahren auf den Solidaritätszuschlag für 2007 erweiterte.

5

Die Einsprüche gegen die Einkommensteuerbescheide für 2006 und 2007 sowie gegen den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2007, jeweils vom 17. Juli 2009, wies das FA durch zusammengefasste Einspruchsentscheidung vom 1. März 2010 als unbegründet zurück. Die Einspruchsentscheidung wurde der A bekannt gegeben.

6

Mit Schriftsatz der Rechtsanwältin C vom 7. Februar 2011 erhob diese namens des Klägers Klage wegen des Bescheids über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Grundlagen für die Einkommensbesteuerung 2007 vom 10. Juli 2009 sowie die Bescheide über Einkommensteuer für 2006 und 2007.

7

Noch im Klageschriftsatz stellte die Prozessbevollmächtigte die Anträge, den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2007 vom 17. Juli 2009 unter "Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 03.01.2011" und die Einkommensteuerbescheide für 2006 und 2007, jeweils vom 17. Juli 2009, aufzuheben. Hingegen bezog sich das FA in seiner ersten Erwiderung nur auf die gesonderte und einheitliche Feststellung von Grundlagen für die Einkommensbesteuerung 2007.

8

Die auf eine Anfrage des FG hin erfolgte Mitteilung, dass die Klage "bezüglich der Folgebescheide" nicht aufrechterhalten bleibe, führte sodann zur Einstellung des Verfahrens wegen Einkommensteuer 2006 und 2007, die jedoch durch Gerichtsbeschluss vom 15. November 2011 antragsgemäß wieder aufgehoben wurde.

9

Mit Beschluss vom 17. November 2011 lehnte das FG den Antrag des Klägers auf Prozesskostenhilfe (PKH) ab. In den Gründen führte es aus, dass die Klage keine Erfolgsaussicht habe, soweit sie sich gegen die Einkommensteuerbescheide für 2006 und 2007 und den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2007 richte. Diese Klage sei bereits unzulässig, da das diesbezügliche Rechtsbehelfsverfahren durch die Einspruchsentscheidung vom 1. März 2010 abgeschlossen worden und demzufolge die Klagefrist gemäß § 47 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bereits vor Klageerhebung am 7. Februar 2011 abgelaufen gewesen sei.

10

Aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. Januar 2012 wies das FG die Klage ab, hinsichtlich des Bescheids über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Grundlagen für die Einkommensbesteuerung 2007 als unbegründet, im Übrigen als unzulässig.

11

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat die Revision nur zugelassen, soweit das Urteil die Einkommensteuer 2006 und 2007 und die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2007 betrifft.

12

Zur Begründung seiner Revision trägt der Kläger vor, das FG habe verfahrensfehlerhaft ein Prozessurteil erlassen. Die Klagefrist nach § 47 Abs. 1 FGO sei nicht durch die Einspruchsentscheidung des FA in Gang gesetzt worden. Sei ein Bevollmächtigter insbesondere auch zur Entgegennahme von Verwaltungsakten ermächtigt, so sei die Finanzbehörde verpflichtet, ihm Bescheide bekanntzugeben. Der durch § 122 Abs. 1 Satz 3 der Abgabenordnung (AO) eröffnete Ermessensspielraum bei der Bekanntgabe sei dann auf Null reduziert. Werde ein Verwaltungsakt dieser Verpflichtung zuwider dem Steuerpflichtigen selbst bekannt gegeben, beginne der Lauf der Rechtsbehelfsfrist erst mit tatsächlichem Zugang des Verwaltungsakts beim Bevollmächtigten. Diese Grundsätze hätten entsprechend zu gelten, wenn im Rahmen des Einspruchsverfahrens neben dem bisher Bevollmächtigten ein weiterer zur Vertretung in Steuersachen Befugter auftrete und sich aus den gegenüber der Behörde abgegebenen Erklärungen eindeutig ergebe, dass dieser der einzige Ansprechpartner für das Finanzamt sein solle. So habe es im Streitfall gelegen, weil die Prozessvertreterin der ersten Instanz, die Rechtsanwältin C, bereits im Rahmen der Schlussbesprechung der Betriebsprüfung im Mai 2009 dem FA ihre Bevollmächtigung mitgeteilt und im Folgenden die Einsprüche gegen sämtliche erstinstanzlich streitgegenständlichen Bescheide begründet habe. Ihre vorgelegte schriftliche Vollmacht habe auch eine Empfangsbevollmächtigung umfasst. Damit habe sich klar und unmissverständlich ergeben, dass sie hinsichtlich der Einspruchsverfahren alleinige Ansprechpartnerin sein sollte. Die Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung an die A habe somit die Klagefrist nicht wirksam in Gang gesetzt.

13

Auch wenn die Klagefrist durch die Einspruchsentscheidung vom 1. März 2010 zu laufen begonnen hätte, wäre sie im Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht abgelaufen gewesen, da hier die auf ein Jahr verlängerte Frist nach § 55 Abs. 2 FGO wegen unrichtiger Rechtsbehelfsbelehrung gelte. Der Kläger hätte die Klage gegen die Einspruchsentscheidung auch elektronisch erheben können (§ 52a FGO), die hierzu erforderliche Rechtsverordnung bestehe in Hamburg seit 2002. Diese Möglichkeit der Klageerhebung sei nicht Gegenstand der Rechtsbehelfsbelehrung gewesen.

14

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil des FG hinsichtlich der Streitgegenstände Einkommensteuer 2006 und 2007 sowie gesonderter Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2007 aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

15

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

16

II. Die Revision ist unbegründet und daher nach § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen. Im Ergebnis zu Recht hat das FG die Klage wegen Einkommensteuer 2006 und 2007 sowie gesonderter Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags auf den 31. Dezember 2007 abgewiesen.

17

1. Die einmonatige Klagefrist begann mit der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung vom 1. März 2010 (§ 47 Abs. 1 Satz 1 FGO) zu laufen.

18

a) Die Bekanntgabe an die bevollmächtigte A war wirksam (§ 122 Abs. 1 Satz 3 AO), da die A im Einspruchsverfahren für den Kläger aufgetreten ist. Die weitere Bevollmächtigte im Einspruchsverfahren und Prozessbevollmächtigte im Klageverfahren, die Rechtsanwältin C, hat die Bevollmächtigung der A nochmals bestätigt.

19

b) Die Bekanntgabe war auch nicht etwa wegen Auswahl der falschen Empfangsbevollmächtigten unwirksam.

20

aa) Nach dem tatsächlichen Verfahrensverlauf war es entgegen der Revisionsbegründung aus der insoweit maßgeblichen Sicht des FA keineswegs klar, dass die ebenfalls bevollmächtigte Rechtsanwältin C alleinige Ansprechpartnerin im Einspruchsverfahren sein sollte. Denn der Einspruch war von der A eingelegt worden, die zudem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt und im Verfahren noch einen weiteren Schriftsatz an das FA gesandt hatte. Zwar hatte die A auf die zum Zeitpunkt der Einlegung des Einspruchs noch ausstehende Begründung durch die Rechtsanwältin C verwiesen. Diese äußerte sich dann aber nach dem Inhalt ihres Begründungsschreibens auch für die A ("Zur Begründung der eingelegten Einsprüche führen wir nunmehr wie folgt aus:"). Unter diesen Umständen lässt die Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung an die A keinen Ermessensfehler erkennen. Um eine Bekanntgabe an die Bevollmächtigte C zu bewirken und sicherzustellen, hätte es der Klägerseite oblegen, zuvor dem FA gegenüber diese eindeutig als gewünschte Bekanntgabeadressatin zu benennen. Eine derartige Benennung ist vom FG jedoch nicht festgestellt worden, aus den Akten nicht zu ersehen und im Verfahren vor dem FG auch nicht vorgetragen worden.

21

bb) Hätte die Prozessbevollmächtigte in erster Instanz die Fehlerhaftigkeit der Bekanntgabe geltend machen und diesbezügliche Tatsachen vortragen wollen, hätte sie dazu jedenfalls Anlass und Gelegenheit gehabt, nachdem das FG die Erfolgsaussicht der Klage wegen der hier streitgegenständlichen Bescheide schon im Beschluss vom 17. November 2011 zur beantragten PKH wegen Versäumung der Klagefrist verneint hat. Soweit die Revisionsbegründung insoweit neue, erstinstanzlich nicht vorgetragene Tatsachen enthält, können diese im Revisionsverfahren nicht mehr berücksichtigt werden (vgl. BFH-Urteile vom 17. April 1969 V R 123/68, BFHE 95, 558, BStBl II 1969, 505; vom 24. April 1991 XI R 9/87, BFHE 164, 279, BStBl II 1991, 723; BFH-Beschluss vom 22. Februar 2005 X B 177/03, BFH/NV 2005, 909).

22

2. Zutreffend hat das FG erkannt, dass die einmonatige Klagefrist gemäß § 47 FGO vor der Erhebung der Klage am 7. Februar 2011 abgelaufen war.

23

a) Ausweislich der Rechtsbehelfsakten des FA ist die Einspruchsentscheidung am 1. März 2010 mit einfachem Brief zur Post aufgegeben worden und galt damit am Donnerstag, den 4. März 2010, als bekannt gegeben (§ 122 Abs. 2 Nr. 1 AO), sodass die Frist am 5. März 2010 zu laufen begann und mit Ablauf des 6. April 2010, dem Dienstag nach Ostern, endete (§ 54 Abs. 1 und 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 und 2 der Zivilprozessordnung). Die Klage ist somit um zehn Monate verspätet erhoben worden.

24

b) Der Fristanlauf war nicht nach § 55 Abs. 1 FGO gehemmt, denn dem Kläger ist eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung erteilt worden. Es liegt kein Fall einer unterbliebenen oder unrichtig erteilten Rechtsbehelfsbelehrung vor, die nach § 55 Abs. 2 FGO die Verlängerung der Klagefrist auf ein Jahr zur Folge hätte.

25

Die Rechtsmittelbelehrung zur Einspruchsentscheidung ist nicht wegen fehlenden Hinweises auf die Möglichkeit der Klageerhebung auf elektronischem Wege rechtsfehlerhaft. Nach der Rechtsprechung des BFH ist eine Rechtsbehelfsbelehrung, die die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestangaben des § 356 Abs. 1 AO enthält, nicht "unrichtig" i.S. des § 356 Abs. 2 Satz 1 AO, wenn sie ergänzend den Wortlaut des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO wiedergibt, der für den im Streitfall maßgeblichen Verfahrenszeitraum (2010) bestimmte, dass der Einspruch schriftlich einzureichen oder zur Niederschrift zu erklären sei. Ein Verweis auf § 87a AO (elektronische Kommunikation) war insoweit nicht geboten (BFH-Urteil vom 20. November 2013 X R 2/12, BFHE 243, 158; BFH-Beschlüsse vom 12. Dezember 2012 I B 127/12, BFHE 239, 25, BStBl II 2013, 272; vom 12. Oktober 2012 III B 66/12, BFH/NV 2013, 177; s. auch FG Düsseldorf, Urteil vom 20. November 2012  10 K 766/12 E, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2013, 190; FG Münster, Beschluss vom 6. Juli 2012  11 V 1706/12 E, EFG 2012, 1811; ebenso zur Rechtsmittelbelehrung nach § 66 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes Urteil des Bundessozialgerichts vom 14. März 2013  B 13 R 19/12 R, Kranken- und Pflegeversicherung 2013, 120, sowie zur Rechtsbehelfsbelehrung nach der Verwaltungsgerichtsordnung Oberverwaltungsgericht --OVG-- der Freien Hansestadt Bremen, Urteil vom 8. August 2012  2 A 53/12. A, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - Rechtsprechungs-Report --NVwZ-RR-- 2012, 950; a.A. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21. Februar 2013 L 3 R 879/10, juris; OVG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 24. November 2010  4 L 115/09, juris; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 8. März 2012, NVwZ-RR 2012, 457).

26

Der Senat folgt der zitierten Rechtsprechung des BFH und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe im BFH-Urteil in BFHE 243, 158 Bezug. Die Rechtsausführungen in jener Entscheidung gelten entsprechend für § 55 Abs. 1 FGO (Belehrung über die Rechtsmittelfrist) und § 52a FGO (Übermittlung elektronischer Dokumente), wenn es --wie im Streitfall-- um die für die Klageerhebung maßgebliche Rechtsbehelfsbelehrung in einer Einspruchsentscheidung geht.

27

Ob sich insoweit aufgrund der mit Wirkung ab 1. August 2013 durch das Gesetz zur Förderung der elektronischen Verwaltung sowie zur Änderung weiterer Vorschriften vom 25. Juli 2013 (BGBl I 2013, 2749) eingeführten Neufassung des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO für danach erteilte Rechtsbehelfsbelehrungen etwas anderes ergibt, ist im Streitfall nicht entscheidungserheblich.

28

3. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist hinsichtlich der versäumten Klagefrist nicht möglich.

29

a) Ein im Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten im erstinstanzlichen Verfahren vom 24. Juni 2011 ausdrücklich --wenn auch nur vorsorglich-- gestellter Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezog sich nicht auf die Klagefrist, sondern auf einen Einstellungsbeschluss wegen Einkommensteuer 2006 und 2007. Dieser Wiedereinsetzungsantrag hat sich ungeachtet seiner unklaren prozessualen Zielrichtung schon dadurch erledigt, dass das FG den Einstellungsbeschluss durch einen weiteren Beschluss vom 15. November 2011  2 K 74/11 wieder aufgehoben hat.

30

b) Im selben Schriftsatz hat die Prozessbevollmächtigte außerdem geäußert, dass auch und "nur dann" über die Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu entscheiden wäre, sollte das Gericht "tatsächlich ... eine Berücksichtigung der Sonderbetriebsausgaben für das Jahr 2007 ablehnen und für das Jahr 2006 annehmen wollen ...". Sofern in dieser Äußerung überhaupt ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erkennen sein sollte, wäre dieser, sofern er sich auf die versäumte Klagefrist beziehen sollte, nicht wirksam gestellt. Denn Prozesshandlungen können nicht von einer Bedingung abhängig gemacht werden (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., vor § 33 Rz 14, m.w.N.). Sollte der Prozessbevollmächtigten hingegen ein Wiedereinsetzungsantrag in Bezug auf eine gesonderte und einheitliche Feststellung von Grundlagen für die Einkommensbesteuerung 2006 (für die GbR) vorgeschwebt haben, wäre dieser für das erstinstanzliche Verfahren von vornherein unbeachtlich gewesen, da eine solche Feststellung nicht zu dessen Streitgegenständen gehörte.

31

c) Selbst wenn man einen sachlich ausreichenden Antrag unterstellt, war der Schriftsatz vom 24. Juni 2011, der sich offenkundig auf Äußerungen der Berichterstatterin des FG im Erörterungstermin vom 13. Mai 2011 bezog, jedenfalls nicht geeignet, die zweiwöchige Antragsfrist nach § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO zu wahren. Zudem hat die Prozessbevollmächtigte weder innerhalb der Antragsfrist noch danach tatsächliche Gründe vorgetragen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigten. Derartige Tatsachen sind im Streitfall auch sonst nicht offenkundig, aktenkundig oder gerichtsbekannt, sodass eine antragslose Wiedereinsetzung durch das FG ebenfalls nicht in Betracht kam (vgl. Senatsbeschluss vom 6. April 1995 VIII B 61/94, BFH/NV 1996, 137).

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 16. April 2013  8 K 2388/12 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob der Einspruch gegen einen Einkommensteuerbescheid fristgerecht eingelegt wurde.

2

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war im Streitjahr (2010) selbständig tätig. Mit ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte sie Prozesskosten als außergewöhnliche Belastungen in Höhe von insgesamt … € (Vergleich: … €, Gerichtskosten: 328 €, Darlehenszinsen … €) geltend.

3

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) setzte die Einkommensteuer für 2010 mit Einkommensteuerbescheid vom 6. März 2012 fest und wies in den Erläuterungen des Bescheids darauf hin, dass als außergewöhnliche Belastungen lediglich die Kosten des Zivilprozesses in Höhe von 328 € zu berücksichtigen seien.

4

Gegen diesen Bescheid erhob die Prozessbevollmächtigte per Telefax vom 30. März 2012 Einspruch. Ausweislich der auf dem Telefax abgedruckten Sendezeile ist das Telefax am 17. April 2012 um 07:11 Uhr an die Telefax-Nummer des FA gesendet worden. Der Eingangsstempel des FA weist ebenfalls den 17. April 2012 als Eingangsdatum aus.

5

Nachdem eine Mitarbeiterin der Prozessbevollmächtigten telefonisch von der Bearbeiterin des Rechtsbehelfs am 10. Oktober 2012 darauf hingewiesen worden war, dass im Rahmen der abschließenden Bearbeitung die Verspätung des Einspruchs festgestellt worden sei, verwarf das FA den Einspruch als unzulässig.

6

Mit der dagegen erhobenen Klage machte die Klägerin weiterhin die Berücksichtigung ihrer Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen geltend.

7

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen, weil die Einspruchsfrist versäumt worden sei.

8

Mit der Revision macht die Klägerin weiterhin geltend, die Einspruchsfrist sei nicht abgelaufen, denn diese betrage wegen unvollständiger und damit unrichtiger Rechtsbehelfsbelehrung ein Jahr. Die Rechtsbehelfsbelehrung sei unvollständig, weil sie nicht darauf hingewiesen habe, dass der Einspruch auch per E-Mail eingelegt werden könnte.

9

Sie beantragt,
den Einkommensteuerbescheid für 2010 vom 6. März 2012 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 10./11. Oktober 2012 dahingehend abzuändern, dass weitere … € als außergewöhnliche Belastungen steuermindernd berücksichtigt werden und die Einkommensteuer auf 0 € herabgesetzt wird.

10

Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

II. Der Senat entscheidet gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Beschluss. Er hält die Revision einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind vorher darüber unterrichtet worden; sie hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

12

Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Der streitige Einkommensteuerbescheid ist wegen Versäumung der Einspruchsfrist bestandskräftig geworden.

13

1. Die Einspruchsfrist beträgt nach § 355 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) in der im Streitfall anwendbaren Fassung (AO vor der Änderung durch das Gesetz zur Förderung der elektronischen Verwaltung sowie zur Änderung weiterer Vorschriften vom 25. Juli 2013, BGBl I 2013, 2749) einen Monat. Im Streitfall verlängert sich die Einspruchsfrist nicht nach § 356 Abs. 2 Satz 1 AO auf ein Jahr seit Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheids vom 6. März 2012. Denn die Belehrung über den Einspruch und die Finanzbehörde, bei der er einzulegen ist, war i.S. des § 356 Abs. 2 Satz 1 AO weder unterblieben noch unrichtig erteilt.

14

a) Die Frist für die Einlegung des Einspruchs beginnt nach § 356 Abs. 1 AO nur, wenn der Beteiligte über den Einspruch und die Finanzbehörde, bei der er einzulegen ist, deren Sitz und die einzuhaltende Frist in der für den Verwaltungsakt verwendeten Form belehrt worden ist. Nach § 356 Abs. 2 Satz 1 AO ist die Einlegung des Einspruchs binnen eines Jahres seit Bekanntgabe des Verwaltungsakts zulässig, wenn die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt worden ist. Die Rechtsbehelfsbelehrung ist in diesem Sinne allerdings dann nicht unrichtig erteilt, wenn sie in Bezug auf das Formerfordernis für die Einlegung des Einspruchs den Wortlaut des Gesetzes wiedergibt.

15

b) Nachdem der X. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) schon früher entschieden hatte, dass eine Rechtsmittelbelehrung so einfach und klar wie möglich gehalten werden solle, um im Interesse rechtsunkundiger Beteiligter eine inhaltliche Überfrachtung zu vermeiden, und es deshalb ausreiche, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung den Gesetzeswortlaut der einschlägigen Bestimmung wiedergebe und verständlich über die allgemeinen Merkmale des Fristbeginns unterrichte (BFH-Urteil vom 7. März 2006 X R 18/05, BFHE 212, 407, BStBl II 2006, 455), haben sich dieser Rechtsprechung verschiedene Senate des BFH angeschlossen. Danach ist eine Rechtsbehelfsbelehrung erst dann unrichtig, wenn sie in wesentlichen Aussagen unzutreffend oder derart unvollständig oder missverständlich abgefasst ist, dass durch sie die Möglichkeit zur Fristwahrung gefährdet erscheint (BFH-Beschlüsse vom 9. November 2009 IV B 54/09, BFH/NV 2010, 448; vom 2. Februar 2010 III B 20/09, BFH/NV 2010, 830; vom 12. Oktober 2012 III B 66/12, BFH/NV 2013, 177; vom 12. Dezember 2012 I B 127/12, BFHE 239, 25, BStBl II 2013, 272). Auf dieser Grundlage hat der X. Senat des BFH seine Rechtsprechung sodann dahingehend fortgeführt, dass es ausreiche, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung hinsichtlich des Formerfordernisses für die Einlegung eines Einspruchs den Wortlaut des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO wiedergebe (BFH-Urteil vom 20. November 2013 X R 2/12, BFHE 243, 158, BStBl II 2014, 236). Denn an die Angaben in der Rechtsbehelfsbelehrung, die nicht Pflichtangaben nach § 356 Abs. 1 AO seien, seien keine höheren Anforderungen an die Detailliertheit der Rechtsbehelfsbelehrung zu stellen als bei solchen Angaben, die notwendiges Element der Rechtsbehelfsbelehrung seien. Wenn es schon bei der im Einzelfall mitunter sehr komplizierten Berechnung der Frist ausreiche, den Wortlaut der einschlägigen Bestimmung wiederzugeben, müsse dies erst recht gelten, wenn Angaben zur Form gemacht werden, die schon dem Grunde nach nicht zwingender Bestandteil der Rechtsbehelfsbelehrung seien.

16

2. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Im Streitfall gibt die Rechtsbehelfsbelehrung den Gesetzeswortlaut wieder und unterrichtet auch im Übrigen verständlich über den Fristbeginn.

17

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 13. April 2012 aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 11. November 2010 wird verworfen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten für das Berufungs- und Revisionsverfahren zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung und dabei zunächst um die Frage, ob die nach Ablauf eines Monats erhobene Berufung der Beklagten die Frist gewahrt hat, weil die Rechtsmittelbelehrung des SG-Urteils keinen Hinweis auf die Möglichkeit der Einlegung in elektronischer Form enthielt.

2

Das SG hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 1.6.2009 bis zum 31.5.2012 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren; im Übrigen hat es die auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 11.11.2010). Die Rechtsmittelbelehrung des der Beklagten am 24.11.2010 zugestellten SG-Urteils enthält den Hinweis, dass die Berufung innerhalb eines Monats beim Hessischen LSG, dessen Anschrift und Fax-Nummer angegeben waren, "schriftlich oder zur Niederschrift der Urkundsbeamtin/des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle" einzulegen sei. Diese Frist sei aber auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist beim SG Kassel schriftlich oder zur Niederschrift der Urkundsbeamtin/des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt werde.

3

Die Beklagte hat mit einem am 28.3.2011 beim LSG eingegangenen Schreiben vom 18.2.2011 Berufung eingelegt und geltend gemacht, beim Kläger lägen weder die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung noch eine quantitativ ausreichende Minderung des Leistungsvermögens vor. Ihr Rechtsmittel sei auch zulässig; weil die Rechtsmittelbelehrung des SG-Urteils keinen Hinweis auf die Möglichkeit der Berufungseinlegung über das elektronische Postfach des LSG enthalte, sei sie unvollständig, sodass ihr nach § 66 Abs 2 SGG eine Jahresfrist zur Verfügung stehe. Die Beklagte hat insoweit auf ein Schreiben des Vorsitzenden des 5. Senats des BSG vom 7.2.2011 zu einem anderen Verfahren (B 5 R 18/11 B) verwiesen; im Hinblick darauf hat sie beantragt, "die Berufung zuzulassen und die Klage in vollem Umfang abzuweisen".

4

Das LSG hat die erstinstanzliche Entscheidung abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen (Urteil vom 13.4.2012). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Berufung sei fristgerecht eingelegt, weil die Rechtsmittelbelehrung des SG-Urteils unvollständig und somit unrichtig gewesen und daher die Jahresfrist maßgeblich sei. Nach der Rechtsprechung des BSG gehöre zu den wesentlichen Einzelheiten einer vollständigen Rechtsmittelbelehrung auch die Belehrung über die für das Rechtsmittel vorgeschriebene Form. Das umfasse auch die gemäß § 65a Abs 1 S 1 SGG iVm § 1 und Anl 1 Nr 77 der Verordnung des Hessischen Ministers der Justiz über den elektronischen Rechtsverkehr bei hessischen Gerichten und Staatsanwaltschaften(vom 26.10.2007, GVBl 699 ) ab 17.12.2007 beim Hessischen LSG für alle Verfahren zugelassene Möglichkeit der Übermittlung elektronischer Dokumente. Dies sei kein Unterfall der Schriftform und auch keine bloße "Auch-Möglichkeit", sondern eröffne einen weiteren "Regelweg" für die Berufungseinlegung, den eine vollständige Rechtsmittelbelehrung aufzeigen müsse. Es bestehe auch nicht die Gefahr, dass ein Hinweis auf die Möglichkeit der Berufungseinlegung in elektronischer Form die Rechtsmittelbelehrung unübersichtlich mache oder überfrachte. In der Sache hat das LSG die Berufung der Beklagten für begründet erachtet.

5

Der Kläger rügt mit seiner vom LSG zugelassenen Revision, das Berufungsgericht habe das Rechtsmittel der Beklagten zu Unrecht als fristgerecht angesehen und deshalb verfahrensfehlerhaft in der Sache entschieden. Bei der vom Gesetz eröffneten Möglichkeit, Schriftsätze auch auf elektronischem Weg an das Gericht zu übermitteln, handele es sich lediglich um eine besondere Übertragungsweise und damit um die Regelung einer Unterform der Schriftform. Eine gesonderte Belehrung hierüber sei daher nicht erforderlich. Er nimmt insoweit Bezug auf eine Entscheidung des 7. Senats des Hessischen LSG (vom 20.6.2011 - L 7 AL 87/10 - Juris), der die Notwendigkeit einer Belehrung auch über die elektronische Form mit zutreffenden Gründen verneint habe.

6

Der Kläger beantragt,

        

das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 13. April 2012 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 11. November 2010 zurückzuweisen.

7

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

9

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2, § 153 Abs 1, § 165 S 1 SGG) einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Klägers ist begründet. Das LSG hat verfahrensfehlerhaft eine Entscheidung in der Sache selbst getroffen. Es fehlt eine von Amts wegen zu beachtende Sachurteilsvoraussetzung, denn die Berufung der Beklagten ist verfristet und deshalb unzulässig (vgl BSG SozR 4-2400 § 24 Nr 5 RdNr 14 f; BSG SozR 3-7610 § 823 Nr 5 S 8).

11

Das LSG hat die von der Beklagten vier Monate nach Zustellung des SG-Urteils eingelegte Berufung zu Unrecht als fristgemäß angesehen. Maßgeblich ist die Monatsfrist nach § 151 Abs 1 SGG, während die Jahresfrist des § 66 Abs 2 S 1 SGG hier nicht anwendbar ist. Eine Rechtsmittelbelehrung, die - wie jene des SG-Urteils - keinen Hinweis auf die an dem Rechtsmittelgericht (oder dem Ausgangsgericht) bereits eröffnete Möglichkeit der elektronischen Kommunikation enthält, ist nach derzeitiger Sach- und Rechtslage nicht "unrichtig" iS dieser Vorschrift (dazu unter 1.). Da der Beklagten auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann (dazu unter 2.), ist ihre Berufung unter Aufhebung des LSG-Urteils als unzulässig zu verwerfen (§ 170 Abs 2 S 1 iVm § 158 S 1 SGG).

12

1. Die Rechtsmittelbelehrung eines SG-Urteils ist nach derzeitiger Sach- und Rechtslage nicht "unrichtig" iS von § 66 Abs 2 S 1 SGG, wenn sie die Möglichkeit der Berufungseinlegung durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments nicht erwähnt, obwohl für das betreffende LSG(oder das ebenfalls in der Rechtsmittelbelehrung benannte SG, vgl § 151 Abs 2 S 1 SGG) nach § 65a Abs 1 SGG iVm einer Verordnung der dort näher bezeichneten zuständigen Stelle die Übermittlung elektronischer Dokumente zugelassen ist.

13

Letzteres ist hier der Fall: Nach den insoweit maßgeblichen Feststellungen des LSG (§§ 162, 202 S 1 SGG iVm § 560 ZPO) hat das Land Hessen von der in § 65a Abs 1 S 1 SGG eröffneten Befugnis Gebrauch gemacht und gemäß § 1 iVm Anl 1 Nr 77 der Verordnung des Hessischen Ministers der Justiz über den elektronischen Rechtsverkehr bei hessischen Gerichten und Staatsanwaltschaften(vom 26.10.2007, GVBl 699 ) ab 17.12.2007 die Einreichung elektronischer Dokumente in allen beim Hessischen LSG geführten Verfahren zugelassen (dasselbe gilt gemäß Anl 1 Nr 81 ElRVerkV Hessen auch für das SG Kassel).

14

a) Gemäß § 66 Abs 1 SGG(hier anzuwenden in der ab 1.4.2005 geltenden Fassung von Art 4 Nr 4 des Gesetzes über die Verwendung elektronischer Kommunikationsformen in der Justiz vom 22.3.2005, BGBl I 837) beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf nur dann zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Ist die Belehrung unterblieben oder, was hier allein in Frage kommt, "unrichtig" erteilt, so ist nach § 66 Abs 2 S 1 SGG - von hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen - die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung der angegriffenen Entscheidung zulässig.

15

b) Unrichtig iS des § 66 Abs 2 S 1 SGG ist jede Rechtsbehelfsbelehrung, die nicht zumindest diejenigen Merkmale zutreffend wiedergibt, die § 66 Abs 1 SGG als Bestandteile der Belehrung ausdrücklich nennt: (1) den statthaften Rechtsbehelf als solchen (also seine Bezeichnung der Art nach), (2) die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, (3) deren bzw dessen Sitz und (4) die einzuhaltende Frist(BSGE 69, 9, 11 = SozR 3-1500 § 66 Nr 1 S 3).

16

Über den Wortlaut der Vorschrift hinaus ist nach ihrem Sinn und Zweck, den Beteiligten ohne Gesetzeslektüre die ersten Schritte zur (fristgerechten) Wahrung ihrer Rechte zu ermöglichen (BSGE 79, 293, 294 = SozR 3-1500 § 66 Nr 6 S 24), aber auch (5) eine Belehrung über den wesentlichen Inhalt der bei Einlegung des Rechtsbehelfs zu beachtenden Formvorschriften erforderlich (stRspr, vgl BSGE 1, 194, 195; BSGE 1, 254, 255; BSGE 7, 1, 2; BSGE 11, 213, 215; BSG vom 26.1.1993 - 1 RK 33/92 - Juris RdNr 6; BSG SozR 3-1500 § 66 Nr 8 S 35 f). Dem entspricht im Ergebnis weitgehend die neuere Rspr des BVerwG und des BFH, nach der eine Rechtsbehelfsbelehrung auch dann unrichtig ist, wenn sie geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (BVerwG Urteil vom 21.3.2002 - 4 C 2/01 - Buchholz 310 § 58 VwGO Nr 83 = Juris RdNr 12; BFH Beschluss vom 12.12.2012 - I B 127/12 - BFH/NV 2013, 434 RdNr 15, jeweils mwN; anders möglicherweise noch der 3. Senat des BFH: Beschluss vom 12.10.2012 - III B 66/12 - BFH/NV 2013, 177 RdNr 22). Die Notwendigkeit einer Belehrung auch über die Form des Rechtsbehelfs hat der Gesetzgeber zudem in § 36 SGB X, § 6 Wehrdisziplinarordnung und § 50 Abs 2 OWiG sowie in § 9 Abs 5 S 3 ArbGG, § 39 S 1 FamFG, § 48 Abs 2 S 2 des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren in Landwirtschaftssachen, § 35a S 1 StPO und - künftig - in § 232 S 1 ZPO(in der ab 1.1.2014 geltenden Fassung des Gesetzes zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess und zur Änderung anderer Vorschriften vom 5.12.2012, BGBl I 2418) zum Ausdruck gebracht (vgl auch § 195 Abs 2 Nr 3 BEG für Bescheide der Entschädigungsbehörde sowie § 360 Abs 1 Nr 2 BGB für die Widerrufsbelehrung bei Verbraucherverträgen). Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass für die Beteiligten des sozialgerichtlichen Verfahrens ein geringeres Schutzniveau maßgeblich sein soll, als es in den soeben genannten Vorschriften vorgegeben ist.

17

c) Die hiernach notwendige Belehrung auch über den wesentlichen Inhalt der bei Einlegung des Rechtsbehelfs zu beachtenden Formvorschriften erfordert es derzeit jedoch nicht, dass auch auf die für das betreffende Gericht durch Rechtsverordnung bereits zugelassene Möglichkeit der Übermittlung verfahrensbestimmender Schriftsätze in der Form eines elektronischen Dokuments hingewiesen wird.

18

aa) Dies folgt allerdings nicht daraus, dass die "elektronische Form" (genauer: die elektronische Übermittlung von Erklärungen an das Gericht in Gestalt eines elektronischen Dokuments) lediglich einen Unterfall bzw eine Sonderform der Schriftform darstellte, wie dies zum Teil vertreten wird (vgl Ellenberger in Palandt, BGB, 72. Aufl 2013, § 126a RdNr 1; Skrobotz, jurisPR-ITR 24/2009 Anm 5; Braun, jurisPR-ITR 15/2011 Anm 5; zur Rechtslage vor Erlass des JKomG ausführlich Skrobotz, Das elektronische Verwaltungsverfahren, Diss Regensburg 2004, S 148 ff, 180 f, 198, 210 ff). Es handelt sich vielmehr bei der elektronischen Form iS des § 65a SGG um eine eigenständige Form, die der Gesetzgeber "als zusätzliche Option neben der bisherigen schriftlichen Form" eingeführt hat(Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein JKomG, BT-Drucks 15/4067 S 27 f - unter VI.). Dies sollte den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit eröffnen, "elektronische Kommunikationsformen gleichberechtigt neben der - herkömmlich papiergebundenen - Schriftform oder der mündlichen Form" rechtswirksam zu verwenden (aaO S 24 - unter II.). Die hierdurch geschaffene Trias gleichrangiger prozessualer Formen - schriftlich, in elektronischer Form oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle - kommt auch im Wortlaut des § 158 S 1 SGG zum Ausdruck. Das schließt es aus, die (prozessuale) elektronische Form lediglich als Unterfall der Schriftform anzusehen und deshalb eine Belehrung über die Schriftform so zu behandeln, als umfasse sie zugleich eine Belehrung hinsichtlich der Übermittlung in elektronischer Form (als elektronisches Dokument) erstellter Erklärungen.

19

bb) Dennoch ist es - jedenfalls nach derzeitiger Sach- und Rechtslage - nach § 66 Abs 1 SGG nicht geboten, in Rechtsbehelfsbelehrungen hinsichtlich der Form der Einlegung des Rechtsbehelfs dann, wenn für das betreffende Gericht die elektronische Form durch Rechtsverordnung zugelassen ist, stets auch auf die Möglichkeit der Verwendung dieser Form und ihre Voraussetzungen hinzuweisen. Entgegen der Rechtsmeinung des LSG führt allein die Einordnung der elektronischen Form als gleichrangige prozessuale Form nicht automatisch dazu, dass diese schon deshalb und schon jetzt als "Regelweg" iS von § 66 Abs 1 SGG anzusehen ist. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

20

(1) Auch nach der Änderung bzw Ergänzung der sozialgerichtlichen Verfahrensordnung durch das JKomG findet in den spezifischen Vorschriften des SGG, die nähere Vorgaben zur Art und Weise der Einlegung von Rechtsbehelfen oder Rechtsmitteln machen, die elektronische Form keine Erwähnung. Das gilt für die Klageerhebung (§ 90 SGG: "schriftlich oder zur Niederschrift") ebenso wie für die Einlegung der Berufung (§ 151 Abs 1 und 2 SGG: "schriftlich oder zur Niederschrift"), der Berufungs-Nichtzulassungsbeschwerde (§ 145 Abs 1 S 2 SGG: "schriftlich oder zur Niederschrift"), der Revision (§ 164 Abs 1 S 1 SGG: "schriftlich"), der Revisions-Nichtzulassungsbeschwerde (§ 160a Abs 1 S 3 SGG: "Beschwerdeschrift"), der sonstigen Beschwerden (§ 173 S 1 und 2 SGG: "schriftlich oder zur Niederschrift"), der Erinnerung gegen Entscheidungen des ersuchten oder beauftragten Richters oder des Urkundsbeamten (§ 178 S 2 iVm § 173 SGG: "schriftlich oder zur Niederschrift") sowie der Anhörungsrüge (§ 178a Abs 2 S 4 SGG: "schriftlich oder zur Niederschrift"), in gleicher Weise aber auch für Anträge auf Tatbestandsberichtigung (§ 138 SGG), Urteilsergänzung (§ 140 SGG) oder auf Erlass von Anordnungen im einstweiligen Rechtsschutz (§ 86b SGG). Lediglich am Rande ist in § 160a Abs 1 S 3 bzw in § 164 Abs 1 S 3 SGG bestimmt, dass die Soll-Vorschrift zur Beifügung einer Ausfertigung oder beglaubigten Abschrift des angefochtenen Urteils nicht gilt, "soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden".

21

Diese allenfalls beiläufige Einbeziehung der elektronischen Form in die Grundnormen des SGG zur Art und Weise der Einlegung von Rechtsbehelfen belegt, dass der Gesetzgeber diese Form zwar grundsätzlich auch hierfür erlauben wollte. Er hat aber offenkundig noch keine Veranlassung gesehen, sie neben der Schriftform und der mündlichen Form (zur Niederschrift) als gleich gewichtige Form und weiteren Regelweg zu normieren. Wäre dies der Fall gewesen, hätte es das aus dem Rechtsstaatsprinzip herzuleitende Postulat der Rechtsmittelklarheit erfordert, die elektronische Form auch in die einzelnen Bestimmungen über die formalen Anforderungen an die Einlegung der jeweiligen Rechtsbehelfe aufzunehmen, um den Rechtsuchenden den Weg zur gerichtlichen Überprüfung einer Entscheidung mit der gebotenen Klarheit vorzuzeichnen (vgl BVerfG BVerfGE 107, 395, 416 f = SozR 4-1100 Art 103 Nr 1 RdNr 57; s auch BVerfG vom 22.5.2012 - 2 BvR 2207/10 - Juris RdNr 3: " Der Gesetzgeber muss für die Rechtsmittel, die er bereitstellt, die Voraussetzungen ihrer Zulässigkeit in einer dem Grundsatz der Rechtsmittelklarheit entsprechenden Weise bestimmen."). Dies ist jedoch nicht geschehen. Die Vorschrift des § 65a SGG zur elektronischen Form befasst sich nicht einmal ausdrücklich mit der Einlegung von Rechtsbehelfen oder Rechtsmitteln.

22

Nichts anderes ergibt sich aus der Regelung in § 158 S 1 SGG. Zwar sind hier die drei prozessualen Formen ausdrücklich nebeneinandergestellt ("nicht schriftlich oder nicht in elektronischer Form oder nicht zur Niederschrift"). Die genannte Vorschrift wendet sich jedoch von vornherein nicht an die Rechtsuchenden, sondern enthält Vorgaben für das Gericht. Zudem ist sie im Vergleich zu entsprechenden Bestimmungen anderer Prozessordnungen über die Behandlung unzulässiger Rechtsmittel (zB § 125 Abs 2 S 1 VwGO, § 522 Abs 1 ZPO; s auch § 169 SGG für die Revision)hinsichtlich der "gesetzlichen Form" wesentlich detaillierter (und insoweit singulär); nur aus diesem Grund bedurfte sie bei Einführung der elektronischen Form einer redaktionellen Anpassung, weil sie ansonsten unvollständig geworden wäre (vgl BT-Drucks 15/4067 S 42 - zu Art 4, zu Nr 16 <§ 158>). Eine weitergehende Regelungsabsicht, namentlich die Etablierung der elektronischen Form als gleich gewichtiger Regelform, hat der Gesetzgeber damit jedoch nicht verfolgt.

23

(2) Das Erfordernis einer Belehrung auch über die Form des Rechtsbehelfs ist, wie bereits ausgeführt (s oben unter b), aus einer am Sinn und Zweck der Vorschrift orientierten erweiternden Auslegung des § 66 Abs 1 SGG herzuleiten. In Umsetzung des verfassungsrechtlichen Gebots zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 S 1 GG; s hierzu zB BVerfGE 40, 272, 275) soll die Regelung in § 66 SGG verhüten helfen, dass jemand aus Unkenntnis den Rechtsweg nicht ausschöpft. Ziel einer jeden Rechtsbehelfsbelehrung muss es demnach sein, den Empfänger über den wesentlichen Inhalt der zu beachtenden Vorschriften zu unterrichten und es ihm so zu ermöglichen, ohne Gesetzeslektüre die ersten Schritte zur ordnungsgemäßen Einlegung des Rechtsbehelfs einzuleiten (BSGE 79, 293, 294 = SozR 3-1500 § 66 Nr 6 S 24). Ausgerichtet auf dieses Ziel genügt es, über den wesentlichen Inhalt der bei Einlegung des Rechtsbehelfs zu beachtenden Formvorschriften zu informieren (BSG vom 26.1.1993 - 1 RK 33/92 - Juris RdNr 6). Infolgedessen muss eine "richtige" Belehrung nicht stets allen tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten Rechnung tragen; es reicht aus, wenn sie die Beteiligten in die richtige Richtung lenkt (BSG SozR 4-1500 § 66 Nr 1 RdNr 6 am Ende).

24

Das ist bei einer Rechtsmittelbelehrung, die sich hinsichtlich der formalen Anforderungen auf die "klassischen" und allgemein gebräuchlichen Möglichkeiten einer schriftlichen oder mündlichen (zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle) Einlegung der Berufung beschränkt, jedenfalls derzeit noch ersichtlich der Fall. Sie zeigt den Beteiligten die regelmäßig allen Bürgern - auch soweit sie nicht über informationstechnische Spezialkenntnisse und eine spezifische technische Ausstattung verfügen - offenstehenden Wege für die Einlegung des Rechtsmittels klar und deutlich auf (vgl BSGE 42, 140, 144 = SozR 1500 § 84 Nr 1 S 4). Die hier in Rede stehende Rechtsmittelbelehrung trägt auch in keiner Weise zu einer formwidrigen oder verspäteten Einlegung des Rechtsbehelfs bei (vgl BSG SozR 4-1500 § 66 Nr 1 RdNr 6). Sie enthält keine Inhalte, die - bei abstrakter Betrachtungsweise - geeignet sein könnten, den Informationswert der richtigen Angaben zu mindern oder, was hier von besonderer Bedeutung ist, die Beteiligten von Erkundigungen über möglicherweise im Einzelfall bestehende weitere Möglichkeiten abzuhalten. Sie macht insbesondere keine Angaben, die von Rechtsuchenden dahingehend verstanden werden könnten, dass eine Berufungseinlegung auf elektronischem Weg ausgeschlossen sei.

25

(3) Die Möglichkeit, Schriftsätze in gerichtlichen Verfahren als elektronisches Dokument dem Gericht elektronisch zu übermitteln, hat allein durch ihre rechtliche Zulassung in § 65a SGG iVm einer ausfüllenden Rechtsverordnung noch keine solche praktische Bedeutung erlangt, dass es geboten wäre, die Beteiligten zum Schutz vor Rechtsnachteilen durch Unwissenheit(vgl BSGE 42, 140, 144 = SozR 1500 § 84 Nr 1 S 4) auch auf diese Form notwendig hinzuweisen. Dies ergibt sich vor allem daraus, dass der mit einer rechtswirksamen elektronischen Übermittlung von Schriftsätzen an das Gericht gemäß § 65a SGG verbundene Aufwand bei Weitem denjenigen übersteigt, der mit einer Übermittlung auf herkömmliche Weise (schriftlich oder zur Niederschrift) einhergeht. Auch wenn die erforderlichen IT-Geräte und ein ausreichend leistungsfähiger Zugang zum Internet mittlerweile in breiten Bevölkerungskreisen zur Verfügung stehen (zur Berücksichtigung eines Internet-Anschlusses für die Nachrichtenübermittlung bei der Bemessung des Regelbedarfs nach dem SGB II vgl BSG Urteil vom 12.7.2012 - B 14 AS 153/11 R - RdNr 74, zur Veröffentlichung in SozR 4-4200 § 20 Nr 17 vorgesehen),wird zusätzlich nach § 2 iVm Anl 2 Nr 1 ElRVerkV Hessen eine spezielle Zugangs- und Übertragungssoftware (Elektronisches Gerichts- und Verwaltungspostfach - EGVP) benötigt. Diese wird zwar von der Justizverwaltung kostenfrei zur Verfügung gestellt, doch muss der Nutzer ihre fehlerfreie Installation, Konfiguration und Bedienung selbst bewerkstelligen. Außerdem ist zur Anbringung der für die Rechtsmitteleinlegung vorgeschriebenen qualifizierten elektronischen Signatur (§ 65a Abs 1 S 3 SGG iVm § 2 und Anl 2 Nr 2 ElRVerkV Hessen) nicht nur ein Kartenlesegerät, sondern auch eine gültige Signaturkarte erforderlich, die - kostenpflichtig - in einem zeitintensiven Identifizierungsverfahren bei einem zugelassenen Anbieter erworben werden muss.

26

Dieser einer elektronischen Übermittlung in gerichtlichen Verfahren notwendig vorausgehende Zusatzaufwand von erheblichem Ausmaß - insbesondere hinsichtlich der qualifizierten elektronischen Signatur - hat nach Einschätzung der Bundesregierung dazu geführt, dass die Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten auch zehn Jahre nach dessen Einführung "weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist" (Entwurf der Bundesregierung zu einem Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 6.3.2013, BT-Drucks 17/12634 S 1 - unter A. ), sodass auch heute noch die Kommunikation mit der Justiz "fast ausschließlich auf Papier" basiert (aaO). Vor diesem Hintergrund kann jedenfalls Ende 2010 und auch derzeit noch nicht davon ausgegangen werden, dass zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes zwingend eine Belehrung auch über die Möglichkeiten einer elektronischen Kommunikation mit den Gerichten erforderlich ist. Dies gilt umso mehr, als Bürger oder Behörden in der Zugangs- und Übertragungssoftware EGVP ohnehin ein Verzeichnis derjenigen Gerichte vorfinden, mit denen die elektronische Kommunikation möglich ist.

27

(4) Aber auch auf Seiten der Gerichte ist die Fähigkeit zur elektronischen Kommunikation noch längst nicht überall gegeben (vgl BT-Drucks 17/12634 aaO). Zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der Zustellung des SG-Urteils im November 2010 war im Bereich der Sozialgerichtsbarkeit lediglich in fünf von sechzehn Ländern (in Berlin, Brandenburg, Bremen, Hessen und Rheinland-Pfalz) sowie beim BSG die Übermittlung elektronischer Dokumente zugelassen. Daran hat sich bis heute nichts Grundlegendes geändert. Seither ist die elektronische Form zusätzlich nur für die Sozialgerichte in Sachsen (zeitlich gestaffelt ab 1.4.2011, 1.7. bzw 1.10.2012, s § 1 iVm Anl Nr 4, 5, 24, 35 der VO vom 6.7.2010, GVBl Sachsen 190) sowie in Nordrhein-Westfalen (ab 1.1.2013, s § 1 iVm Anl der VO vom 7.11.2012, GVBl Nordrhein-Westfalen 551) zugelassen worden. Mithin kann auch jetzt noch in lediglich sieben von sechzehn Ländern die elektronische Form im Sozialgerichtsprozess genutzt werden, wobei so bevölkerungsreiche Länder wie Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen diese Form noch nicht eröffnet haben. Dies belegt, dass es jedenfalls derzeit nicht gerechtfertigt ist, bei Betrachtung des gesamten Geltungsbereichs des SGG die Möglichkeit der Einlegung von Rechtsbehelfen in elektronischer Form als "Regelweg" der Rechtsmitteleinlegung iS der Schutzvorschrift des § 66 Abs 2 SGG anzusehen. Ob dies anders zu beurteilen ist, sobald alle Gerichte durch Bundesgesetz verpflichtet sind, ab einem bestimmten Zeitpunkt die elektronische Kommunikation zu ermöglichen, ist hier nicht zu entscheiden, zumal die entsprechenden Regelungen gemäß dem Entwurf eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten (BT-Drucks 17/12634, s dort Art 4 Nr 1, Art 24 und 25) noch nicht verabschiedet sind.

28

(5) Zu berücksichtigen ist auch, dass die Anforderungen des § 66 Abs 1 SGG an Rechtsbehelfsbelehrungen nicht nur für solche in gerichtlichen Entscheidungen, sondern ebenso für Rechtsbehelfsbelehrungen in (Widerspruchs-)Bescheiden maßgeblich sind. Während von einem SG erwartet werden kann, dass es den landesrechtlichen Bestimmungen zur Eröffnung der elektronischen Form in diesem Gerichtszweig zeitnah Rechnung trägt, ist dies bei Sozialversicherungsträgern mit Sitz außerhalb des betreffenden Landes faktisch sehr viel schwieriger zu gewährleisten. Auch solche - insbesondere bundesweit zuständige - Träger haben aber vielfach Belehrungen zur Einlegung von Rechtsbehelfen bei Gerichten anderer Länder als demjenigen ihres Sitzes zu erteilen (vgl die Regelung zur örtlichen Zuständigkeit in § 57 Abs 1 und 2 SGG). Deshalb würde es zu einer Häufung unrichtiger Rechtsbehelfsbelehrungen und damit zu einer Bindung der Beteiligten an entsprechende Bescheide (§ 77 SGG)erst nach Ablauf der Jahresfrist des § 66 Abs 2 SGG führen, sähe man zwingend eine Belehrung über die elektronische Form als weiteren Regelweg auch für den Fall vor, dass diese noch vor einer bundesweit einheitlichen Einführung im Rahmen der "Öffnungsklausel" des § 65a Abs 1 SGG bereits lokal zugelassen wurde. Dass der Gesetzgeber des § 65a SGG diese Auswirkungen gewollt oder in Kauf genommen hätte, ist nicht ersichtlich.

29

(6) Soweit sich die oberstgerichtliche Rechtsprechung bislang damit befasst hat, sieht auch sie keine Notwendigkeit, in Rechtsbehelfsbelehrungen über die Möglichkeit einer Einlegung in elektronischer Form zu belehren. So hat der 11. Senat des BSG in einem Fall, in dem die Rechtsmittelbelehrung des LSG-Urteils keinen Hinweis auf die Möglichkeit der Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde in elektronischer Form enthielt, trotz Rüge einer deswegen fehlerhaften Belehrung die Monatsfrist - wenn auch ohne nähere Begründung - für maßgeblich gehalten (BSG Beschluss vom 9.2.2010 - B 11 AL 194/09 B - Juris RdNr 2; s auch RdNr 5). Der 3. Senat des BFH hat entschieden, dass die Familienkassen in ihren Bescheiden auch dann nicht auf die Möglichkeit der Einspruchseinlegung in elektronischer Form hinweisen müssen, wenn sie durch Angabe einer E-Mail-Adresse konkludent einen Zugang iS von § 87a Abs 1 S 1 AO eröffnet haben(Beschluss vom 2.2.2010, BFH/NV 2010, 830 RdNr 5; Beschluss vom 12.10.2012, BFH/NV 2013, 177 RdNr 22). In diesem Sinne hat auch der 1. Senat des BFH im Rahmen eines Streits über die Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheids nach summarischer Prüfung erkannt, dass eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht unrichtig iS von § 356 Abs 2 AO ist, wenn sie zwar auf die Notwendigkeit der Einspruchseinlegung in Schriftform oder zur Niederschrift, nicht aber zugleich auf die Möglichkeit der elektronischen Kommunikation(§ 87a AO) hinweist (Beschluss vom 12.12.2012, BFH/NV 2013, 434 RdNr 16 ff).

30

2. Die nach alledem für die Einlegung der Berufung maßgebliche Monatsfrist des § 151 Abs 1 SGG hat die Beklagte mit ihrem (in Papierform vorgelegten) Schriftsatz vom 18.2.2011, der am 28.3.2011 beim LSG einging, nicht gewahrt.

31

Eine Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist kommt nicht in Betracht. Selbst wenn der Antrag der Beklagten in der Berufungsschrift vom 18.2.2011, "die Berufung zuzulassen", sinngemäß als Antrag auf Wiedereinsetzung auszulegen wäre, bedürfte es keiner Zurückverweisung an das Berufungsgericht zur Nachholung dieser grundsätzlich ihm obliegenden Entscheidung (§ 67 Abs 4 SGG). Denn aus Rechtsgründen scheidet eine positive Bescheidung des Wiedereinsetzungsgesuchs hier von vornherein aus (vgl BVerwG Buchholz 310 § 60 VwGO Nr 145 - Juris RdNr 9; s auch BSGE 71, 17, 19 f = SozR 3-4100 § 103 Nr 8 S 39 zu einem Fall der Gewährung von Wiedereinsetzung durch das Revisionsgericht).

32

Die Beklagte hat sich zur Rechtfertigung ihrer Vorgehensweise auf ein Schreiben des Vorsitzenden des 5. Senats des BSG vom 7.2.2011 in einem anderen Verfahren berufen; hiernach stehe, wenn in der Rechtsmittelbelehrung eines LSG-Urteils ein Hinweis auf die Möglichkeit elektronischer Rechtsmitteleinlegung beim BSG fehle, zur Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde die Jahresfrist des § 66 Abs 2 S 1 SGG zur Verfügung. Selbst wenn aufgrund dieses Schreibens bei der Beklagten ein Irrtum über die maßgebliche Frist entstanden sein sollte und fehlendes Verschulden iS von § 67 Abs 1 SGG ausnahmsweise bejaht werden könnte(vgl BVerwG Beschluss vom 29.6.2010 - 3 B 71/09 - Juris RdNr 6), hat dies jedenfalls für das vorliegende Verfahren keine Bedeutung. Denn die Beklagte kann das genannte Schreiben vom 7.2.2011 frühestens am selben Tag erhalten haben. Zu diesem Zeitpunkt war aber im hier zu entscheidenden Fall die Berufungsfrist längst abgelaufen.

33

3. Der erkennende Senat kann abschließend durch Urteil entscheiden, ohne zuvor gemäß § 41 Abs 2 SGG beim 5. Senat anzufragen. Eine abweichende "Entscheidung" des 5. Senats iS der genannten Vorschrift ist bislang nicht ergangen; Schreiben an Verfahrensbeteiligte zählen hierzu nicht.

34

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.

(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 60 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt entsprechend.

(1) Vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen, schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen der Beteiligten sowie schriftlich einzureichende Auskünfte, Aussagen, Gutachten, Übersetzungen und Erklärungen Dritter können nach Maßgabe der Absätze 2 bis 6 als elektronische Dokumente bei Gericht eingereicht werden.

(2) Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein. Die Bundesregierung bestimmt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates technische Rahmenbedingungen für die Übermittlung und die Eignung zur Bearbeitung durch das Gericht.

(3) Das elektronische Dokument muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Satz 1 gilt nicht für Anlagen, die vorbereitenden Schriftsätzen beigefügt sind.

(4) Sichere Übermittlungswege sind

1.
der Postfach- und Versanddienst eines De-Mail-Kontos, wenn der Absender bei Versand der Nachricht sicher im Sinne des § 4 Absatz 1 Satz 2 des De-Mail-Gesetzes angemeldet ist und er sich die sichere Anmeldung gemäß § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes bestätigen lässt,
2.
der Übermittlungsweg zwischen den besonderen elektronischen Anwaltspostfächern nach den §§ 31a und 31b der Bundesrechtsanwaltsordnung oder einem entsprechenden, auf gesetzlicher Grundlage errichteten elektronischen Postfach und der elektronischen Poststelle des Gerichts,
3.
der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten Postfach einer Behörde oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts und der elektronischen Poststelle des Gerichts,
4.
der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten elektronischen Postfach einer natürlichen oder juristischen Person oder einer sonstigen Vereinigung und der elektronischen Poststelle des Gerichts,
5.
der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens genutzten Postfach- und Versanddienst eines Nutzerkontos im Sinne des § 2 Absatz 5 des Onlinezugangsgesetzes und der elektronischen Poststelle des Gerichts,
6.
sonstige bundeseinheitliche Übermittlungswege, die durch Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates festgelegt werden, bei denen die Authentizität und Integrität der Daten sowie die Barrierefreiheit gewährleistet sind.
Das Nähere zu den Übermittlungswegen gemäß Satz 1 Nummer 3 bis 5 regelt die Rechtsverordnung nach Absatz 2 Satz 2.

(5) Ein elektronisches Dokument ist eingegangen, sobald es auf der für den Empfang bestimmten Einrichtung des Gerichts gespeichert ist. Dem Absender ist eine automatisierte Bestätigung über den Zeitpunkt des Eingangs zu erteilen. Die Vorschriften dieses Gesetzes über die Beifügung von Abschriften für die übrigen Beteiligten finden keine Anwendung.

(6) Ist ein elektronisches Dokument für das Gericht zur Bearbeitung nicht geeignet, ist dies dem Absender unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des Eingangs unverzüglich mitzuteilen. Das Dokument gilt als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreicht und glaubhaft macht, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt.

(7) Soweit eine handschriftliche Unterzeichnung durch den Richter oder den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vorgeschrieben ist, genügt dieser Form die Aufzeichnung als elektronisches Dokument, wenn die verantwortenden Personen am Ende des Dokuments ihren Namen hinzufügen und das Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen. Der in Satz 1 genannten Form genügt auch ein elektronisches Dokument, in welches das handschriftlich unterzeichnete Schriftstück gemäß § 55b Absatz 6 Satz 4 übertragen worden ist.

(1) Das elektronische Dokument ist im Dateiformat PDF zu übermitteln. Wenn bildliche Darstellungen im Dateiformat PDF nicht verlustfrei wiedergegeben werden können, darf das elektronische Dokument zusätzlich im Dateiformat TIFF übermittelt werden. Die Dateiformate PDF und TIFF müssen den nach § 5 Absatz 1 Nummer 1 bekanntgemachten Versionen entsprechen.

(2) Das elektronische Dokument soll den nach § 5 Absatz 1 Nummer 1 und 6 bekanntgemachten technischen Standards entsprechen.

(3) Dem elektronischen Dokument soll ein strukturierter maschinenlesbarer Datensatz im Dateiformat XML beigefügt werden, der den nach § 5 Absatz 1 Nummer 2 bekanntgemachten Definitions- oder Schemadateien entspricht und mindestens enthält:

1.
die Bezeichnung des Gerichts;
2.
sofern bekannt, das Aktenzeichen des Verfahrens;
3.
die Bezeichnung der Parteien oder Verfahrensbeteiligten;
4.
die Angabe des Verfahrensgegenstandes;
5.
sofern bekannt, das Aktenzeichen eines denselben Verfahrensgegenstand betreffenden Verfahrens und die Bezeichnung der die Akten führenden Stelle.

(1) Der Widerspruch ist innerhalb eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, schriftlich, in elektronischer Form nach § 3a Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes oder zur Niederschrift bei der Behörde zu erheben, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Die Frist wird auch durch Einlegung bei der Behörde, die den Widerspruchsbescheid zu erlassen hat, gewahrt.

(2) §§ 58 und 60 Abs. 1 bis 4 gelten entsprechend.

(1) Die Klage ist bei dem Gericht schriftlich zu erheben. Bei dem Verwaltungsgericht kann sie auch zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden.

(2) Der Klage und allen Schriftsätzen sollen vorbehaltlich des § 55a Absatz 5 Satz 3 Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.

(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 60 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt entsprechend.

Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen können nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Dies gilt nicht, wenn behördliche Verfahrenshandlungen vollstreckt werden können oder gegen einen Nichtbeteiligten ergehen.

(1) Gewählt wird, wenn kein Mitglied des Ausschusses widerspricht, durch Zuruf oder Zeichen, sonst durch Stimmzettel. Auf Verlangen eines Mitglieds ist geheim zu wählen.

(2) Gewählt ist, wer von den abgegebenen Stimmen die meisten erhalten hat. Bei Stimmengleichheit entscheidet das vom Leiter der Wahl zu ziehende Los.

(3) Sind mehrere gleichartige Wahlstellen zu besetzen, so ist nach dem Höchstzahlverfahren d'Hondt zu wählen, außer wenn einstimmig etwas anderes beschlossen worden ist. Über die Zuteilung der letzten Wahlstelle entscheidet bei gleicher Höchstzahl das vom Leiter der Wahl zu ziehende Los.

Tatbestand

1

Der Kläger ist als Beamter bei der Beklagten beschäftigt und wurde zuletzt zum 1. Januar 1998 zum Postamtsrat (Besoldungsgruppe A 12 BBesO) befördert. Mit Schreiben vom 20. Dezember 2011 legte er Widerspruch ein gegen seine Nichtberücksichtigung im Rahmen der Beförderungsaktionen nach Besoldungsgruppe A 13 g. D. BBesO in den Jahren 2007 bis 2011. Diese Beförderungsrunden hatte die Beklagte ohne Ausschreibungen und konkrete Bewerbungen der Beamten durchgeführt. Der Widerspruch richtete sich auch gegen die Ernennungen der ihm unbekannten Konkurrenten. Zugleich machte er einen Schadensersatzanspruch wegen Nichtbeförderung sowie einen Anspruch auf Akteneinsicht in die Verwaltungsvorgänge betreffend die Beförderungen nach Besoldungsgruppe A 13 BBesO der Jahre 2007 bis 2011 geltend.

2

Am 14. Mai 2012 hat der Kläger Untätigkeitsklage beim Verwaltungsgericht Koblenz erhoben. Diese hat u.a. den Anspruch auf Gewährung von Akteneinsicht zum Gegenstand gehabt. Die zuvor gegenüber der Beklagten geltend gemachten Ansprüche auf Schadensersatz sowie die Anfechtung der Ernennungen der Konkurrenten sind nicht Gegenstand des Verfahrens geworden. Bezüglich der Anfechtung der Ernennungen hat die Beklagte noch keinen Widerspruchsbescheid erlassen. Hinsichtlich der Schadensersatzansprüche hat der Kläger am 3. März 2015 Klage beim Verwaltungsgericht Köln erhoben (15 K 1326/15). Nach Klageabweisung ist das Verfahren gegenwärtig beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen anhängig.

3

Das Verwaltungsgericht Koblenz hat den Rechtsstreit im hiesigen Verfahren an das Verwaltungsgericht Köln verwiesen. Dieses hat das Verfahren nach teilweiser Hauptsacheerledigung zum Teil eingestellt und die Klage im Übrigen - betreffend den allein noch anhängigen Anspruch auf Gewährung von Akteneinsicht - abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Das Oberverwaltungsgericht hat zur Begründung ausgeführt, dass die Klage unzulässig sei. Dies ergebe sich bereits aus einem Verstoß gegen § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Bezeichnung des Streitgegenstandes durch den Kläger sei zu unbestimmt, weil nicht klar sei, welche Verwaltungsvorgänge konkret gemeint seien. Die Klage sei im Übrigen auch wegen eines Verstoßes gegen § 44a Satz 1 VwGO unzulässig. Bei der begehrten Akteneinsicht handele es sich um eine Verfahrenshandlung im Sinne dieser Vorschrift.

4

Mit der Revision beantragt der Kläger,

die Urteile des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 1. Juni 2015 und des Verwaltungsgerichts Köln vom 7. November 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Akteneinsicht zu gewähren in die Verwaltungsvorgänge betreffend die Beförderungen nach Besoldungsgruppe A 13 BBesO der Jahre 2007 bis 2011, namentlich in die Dokumentation der wesentlichen Auswahlerwägungen, die den Auswahlentscheidungen zu Grunde liegen.

5

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

6

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich nicht am Verfahren.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision ist zurückzuweisen. Sie ist zulässig, aber unbegründet (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das angegriffene Urteil des Oberverwaltungsgerichts beruht nicht auf der Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO).

8

Das Urteil beruht zunächst nicht auf einem Verfahrensfehler (1.). Zu Recht ist das Oberverwaltungsgericht im Übrigen davon ausgegangen, dass die Klage unzulässig ist (2.).

9

1. Der Kläger macht zwei Verfahrensfehler geltend, die beide im Zusammenhang mit der Annahme des Oberverwaltungsgerichts stehen, die Bezeichnung des Streitgegenstandes durch den Kläger sei zu unbestimmt. Zum einen rügt er eine nach seiner Auffassung erforderliche, aber unterbliebene Ergänzungsaufforderung im Sinne des § 82 Abs. 2 Satz 1 VwGO, zum anderen führt er aus, dass diesbezüglich eine Überraschungsentscheidung und damit ein Verstoß gegen den Grundsatz rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) vorliege.

10

Das Urteil beruht nicht auf den geltend gemachten Verfahrensfehlern, weil das Oberverwaltungsgericht zugleich selbstständig tragend zutreffend darauf abgestellt hat, dass die Klage auch wegen eines Verstoßes gegen § 44a Satz 1 VwGO unzulässig ist. Das Erfordernis des Beruhens gilt auch für den absoluten Revisionsgrund des Gehörsverstoßes (§ 138 Nr. 3 VwGO). Denn die in § 138 VwGO enthaltene Fiktion, wonach ein Urteil im Falle des Vorliegens eines der enumerativ aufgeführten absoluten Revisionsgründe stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen ist, gilt nur, soweit die Begründung des Gerichts von dem Revisionsgrund, hier dem Gehörsverstoß, betroffen ist. Beruht das angegriffene Urteil wie hier auf mehreren selbstständig tragenden Begründungen, kann die Beruhensfiktion daher nur greifen, wenn sämtliche Begründungen von dem Gehörsverstoß betroffen sind (BVerwG, Beschlüsse vom 1. Februar 1994 - 1 B 211.93 - GewArch 1995, 114 und vom 11. April 2003 - 7 B 141.02 - NJW 2003, 2255; Kraft, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 138 Rn. 37; Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 138 Rn. 8). Dies ist hier nicht der Fall. Der vom Kläger geltend gemachte Gehörsverstoß bezieht sich allein auf die vom Oberverwaltungsgericht angenommene Unbestimmtheit des in der Klageschrift benannten Streitgegenstandes. Er weist keinen Bezug zu der zutreffenden Annahme auf, es handele sich bei der begehrten Akteneinsicht um eine Verfahrenshandlung im Sinne des § 44a Satz 1 VwGO.

11

2. Die Klage ist unzulässig.

12

a) Mit der Annahme, die Klage sei wegen Verstoßes gegen § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO unzulässig, weil der benannte Streitgegenstand zu unbestimmt sei, geht das Oberverwaltungsgericht allerdings von einem zu engen Verständnis der von dieser Norm verwendeten Begrifflichkeiten aus. Gemäß dieser Vorschrift muss die Klage den Kläger, den Beklagten und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen. Der Begriff des Klagebegehrens ist mit dem Gesetz zur Neuregelung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vom 17. Dezember 1990 (Viertes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung - 4. VwGOÄndG - BGBl. I S. 2809) in die Vorschrift eingefügt worden. Mit der Verwendung des Begriffs des Klagebegehrens hat der Gesetzgeber den zuvor verwendeten Begriff des Streitgegenstandes ersetzt, um die Vorschrift von den Meinungsstreitigkeiten über den Streitgegenstandsbegriff freizuhalten (BR-Drs. 135/90 S. 76). Der Gegenstand des Klagebegehrens ist schon dann hinreichend bezeichnet, wenn der Sachverhalt, über den das Gericht entscheiden soll, angegeben wird. Die Herausarbeitung eines bestimmten Antrags, den die Klage gemäß § 82 Abs. 1 Satz 2 VwGO nur enthalten "soll" und der für die Bestimmung des Streitgegenstandes erforderlich ist, kann im weiteren gerichtlichen Verfahren erfolgen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Mai 2013 - 9 B 46.12 - juris Rn. 4 f.; Aulehner, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 82 Rn. 19 f.).

13

Das Oberverwaltungsgericht ist bei der Anwendung des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO von dem Begriff des Streitgegenstandes und nicht von demjenigen des Klagebegehrens ausgegangen. Zur Bezeichnung des Klagebegehrens in diesem Sinne ist es aber ausreichend, wenn sich der Kläger auf "die Verwaltungsvorgänge betreffend die Beförderungen nach Besoldungsgruppe A 13 der Jahre 2007 bis 2011" bezieht. Damit ist das Klagebegehren hinreichend bestimmt. Wie sich aus dem klägerischen Vortrag in der Klagebegründung ergibt, geht es ihm gerade darum, dass er sich über die Beförderungsvorgänge der genannten Jahrgänge und der angegebenen Besoldungsgruppe unzureichend informiert sieht. In diesem Zusammenhang muss daher die von ihm durchgeführte Bezeichnung des Klagebegehrens genügen.

14

Auf diesem unzutreffenden Begriffsverständnis beruht das angegriffene Urteil jedoch nicht, weil es zugleich selbstständig tragend und zu Recht darauf abstellt, dass die Klage wegen eines Verstoßes gegen § 44a Satz 1 VwGO unzulässig ist.

15

b) Die Klage ist unzulässig, weil es sich bei der begehrten Akteneinsicht um eine nicht selbstständig anfechtbare Verfahrenshandlung im Sinne des § 44a Satz 1 VwGO handelt.

16

Gemäß § 44a Satz 1 VwGO können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden.

17

Die Vorschrift ist mit der Verabschiedung des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) vom 25. Mai 1976 (BGBl. I S. 1253) als dessen § 97 Nr. 2 erlassen worden. Sie dient dem Ziel der Prozessökonomie und soll verhindern, dass die sachliche Entscheidung durch die Anfechtung von Verfahrenshandlungen verzögert wird. Nur das Ergebnis behördlichen Handelns, nicht aber die Vorbereitung der Sachentscheidung soll Gegenstand der gerichtlichen Kontrolle sein (BT-Drs. 7/910 S. 97 zu § 92 VwVfG-E).

18

Bei der Verweigerung von Akteneinsicht durch die Beklagte handelt es sich um eine Verfahrenshandlung im Sinne des § 44a Satz 1 VwGO (aa). Die Voraussetzungen für die Annahme einer Ausnahme von dieser Regelung sind nicht gegeben (bb).

19

aa) Unter einer Verfahrenshandlung ist jede behördliche Maßnahme zu verstehen, die im Zusammenhang mit einem schon begonnenen und noch nicht abgeschlossenen Verwaltungsverfahren steht und die der Vorbereitung einer regelnden Sachentscheidung dient. Aus dem Gegensatz des Begriffs der Verfahrenshandlung zu dem in § 44a Satz 1 VwGO gleichfalls verwendeten Begriff der Sachentscheidung folgt, dass sich der Ausschluss selbstständiger Rechtsbehelfe grundsätzlich auf solche behördlichen Maßnahmen beschränkt, die Teil eines konkreten Verwaltungsverfahrens sind, ohne selbst Sachentscheidung zu sein, ohne also ihrerseits in materielle Rechtspositionen einzugreifen (BVerwG, Urteil vom 1. September 2009 - 6 C 4.09 - BVerwGE 134, 368 Rn. 21). Unerheblich für die Einordnung als Verfahrenshandlung ist dabei, welche Rechtsform der vorbereitende Akt hat. Neben Realakten können auch Verwaltungsakte Verfahrenshandlungen im Sinne des § 44a Satz 1 VwGO sein (Geiger, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 44a Rn. 4; W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 44a Rn. 3). Ebenso ist davon auszugehen, dass eine Verfahrenshandlung nicht nur eine anfechtbare Handlung, die in Rechte des Beteiligten eingreift, ist, sondern dass auch sogenannte Negativakte, also die behördliche Verweigerung der erstrebten Verfahrenshandlung (hier: Gewährung von Akteneinsicht), von der Norm erfasst werden (BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2002 - 9 A 20.01 - BVerwGE 115, 373 <377>; Beschluss vom 6. April 2006 - 2 VR 2.05 - Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 33 Rn. 10).

20

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Kläger beruft sich allein auf Ansprüche auf Akteneinsicht, welche aus § 29 VwVfG bzw. unmittelbar aus den Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Art. 33 Abs. 2 GG für das beamtenrechtliche Auswahlverfahren folgen. Diese Ansprüche stehen in unmittelbarem Zusammenhang zu den behördlich und gerichtlich noch anhängigen Verfahren, welche die Anfechtung erfolgter Ernennungen von Konkurrenten des Klägers sowie Schadensersatzansprüche des Klägers wegen Nichtbeförderung betreffen. Allein um seine Rechte in diesen Verfahren effektiv verfolgen zu können, begehrt der Kläger Akteneinsicht.

21

Dem Akteneinsichtsanspruch nach § 29 VwVfG kommt schon seiner Natur nach allein eine Funktion zu, die gegenüber der Sachentscheidung - hier die Aufhebung der Ernennung der Konkurrenten und die Gewährung von Schadensersatz - nur vorbereitenden Charakter hat. Nach dem Wortlaut der Norm erfasst diese nur die das Verfahren betreffenden Akten. Sie setzt somit ein führendes, auf den Erlass der Sachentscheidung gerichtetes Verfahren voraus; der Anspruch aus § 29 VwVfG besteht nur von der Einleitung dieses Verfahrens (§ 22 VwVfG) bis zu dessen Abschluss gemäß § 9 VwVfG (BVerwG, Urteil vom 1. Juli 1983 - 2 C 42.82 - BVerwGE 67, 300 <303 f.>).

22

Entsprechendes gilt für den vom Kläger unmittelbar auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Art. 33 Abs. 2 GG gestützten Anspruch auf Akteneinsicht. Dieser kann bestehen, wenn ansonsten die Vereitelung von Rechten des Beamten im Auswahlverfahren droht. Da das Auswahlverfahren ein Verwaltungsverfahren im Sinne des § 9 VwVfG ist, ist bereits fraglich, ob für den unmittelbar aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Art. 33 Abs. 2 GG hergeleiteten Anspruch auf Akteneinsicht überhaupt ein Anwendungsbereich neben § 29 VwVfG besteht. Jedenfalls wäre auch dieser Akteneinsichtsanspruch einem führenden Sachentscheidungsverfahren, gerichtet auf die Ernennung eines Beamten, zu dienen bestimmt.

23

bb) Es besteht kein Anlass, eine Ausnahme von der Grundregel des § 44a Satz 1 VwGO anzunehmen.

24

Die Voraussetzungen für die gesetzlichen Ausnahmetatbestände in § 44a Satz 2 VwGO sind nicht erfüllt. Weder handelt es sich bei der Verweigerung von Akteneinsicht um eine vollstreckbare Entscheidung, noch ist der Kläger Nichtbeteiligter im Sinne dieser Norm.

25

Auch vor dem Hintergrund der Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Art. 33 Abs. 2 GG besteht kein Anlass, im Einzelfall von der Anwendung des § 44a Satz 1 VwGO abzusehen. Dies kann dann geboten sein, wenn die vorbereitende Handlung bzw. ihre Unterlassung einen rechtlichen Nachteil zur Folge hat, der sich in einem die abschließende Entscheidung betreffenden Verfahren nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr vollständig beheben lässt (BVerfG, Beschlüsse vom 28. Mai 1952 - 1 BvR 213/51 - BVerfGE 1, 322 <324 f.>, vom 23. Juni 1981 - 2 BvR 1107/77 u.a. - BVerfGE 58, 1 <23> und vom 27. Oktober 1999 - 1 BvR 385/90 - BVerfGE 101, 106 <120>).

26

Ein solcher - auch nur teilweiser - Rechtsverlust steht hier nicht zu befürchten.

27

(1) Speziell mit Blick auf das beamtenrechtliche Auswahlverfahren geht das Bundesverfassungsgericht zwar davon aus, dass der aus Art. 33 Abs. 2 GG herzuleitende Bewerbungsverfahrensanspruch des Beförderungsbewerbers eine Ausgestaltung schon des Verwaltungsverfahrens verlangt, die Rechtsschutz nicht vereitelt oder unzumutbar erschwert. Deswegen ist dem unterlegenen Bewerber rechtzeitig vor der Ernennung des Mitbewerbers Mitteilung vom Ausgang des Auswahlverfahrens zu machen, vor der Aushändigung der Urkunde hat der Dienstherr einen ausreichenden Zeitraum abzuwarten, um Eilrechtsschutz zu ermöglichen, und die wesentlichen Auswahlerwägungen, von denen sich der unterlegene Bewerber gegebenenfalls durch Akteneinsicht Kenntnis verschaffen kann, sind schriftlich niederzulegen (BVerfG, Beschlüsse vom 9. Juli 2007 - 2 BvR 206/07 - BVerfGK 11, 398 <402 ff.> und vom 5. September 2007 - 2 BvR 1855/07 - BVerfGK 12, 106 <110>). Daraus folgt allerdings nicht, dass dem unterlegenen Bewerber grundsätzlich Akteneinsicht unabhängig von gegen die Sachentscheidung gerichteten Rechtsbehelfen zu gewähren ist. Denn die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bezieht sich allein auf das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren. In diesem befindet sich der unterlegene Bewerber wegen der Verpflichtung zur Glaubhaftmachung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund (§ 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO) in einer schwächeren Situation; er ist zur Glaubhaftmachung auf die Kenntnis der allein in den Akten befindlichen Auswahlerwägungen angewiesen. Im Übrigen geht es im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren darum, die Ernennung des Konkurrenten, die nachträglich wegen des Grundsatzes der Ämterstabilität jedenfalls nicht ohne Weiteres angefochten werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. November 2010 - 2 C 16.09 - BVerwGE 138, 102 Rn. 31 ff.), zunächst zu verhindern. Hier greift der eine Ausnahme von § 44a Satz 1 VwGO rechtfertigende Gedanke, dass rechtliche Nachteile entstehen könnten, die nachträglich nicht mehr zu beheben wären. Dem unterlegenen Bewerber ist es in dieser Situation nicht zuzumuten, ein gerichtliches Eilverfahren gewissermaßen "ins Blaue hinein" zu führen.

28

Anderes gilt bei den vom Kläger verfolgten Ansprüchen auf Anfechtung der bereits erfolgten Ernennungen, welche noch im Verwaltungsverfahren anhängig sind, und auf Schadensersatz wegen Nichtbeförderung, welcher bereits rechtshängig ist. Diesbezüglich geht es nicht darum, vollendete Tatsachen mit Nachteilen für die Durchsetzung eigener Rechte des Klägers zu vermeiden. Es ist dem Kläger vielmehr zuzumuten, im Rahmen der entsprechenden Verfahren auf die Gewährung von Akteneinsicht zu drängen. Diese ist gegebenenfalls über das Verwaltungsgericht durchsetzbar (§ 99 Satz 1, § 100 Abs. 1 VwGO). Im Nachgang der erfolgten Akteneinsicht hätte der Kläger Gelegenheit, seine Klage weiter zu begründen und den Streitgegenstand näher zu konkretisieren. Führt die Akteneinsicht zu der Einsicht, dass die Auswahlentscheidung rechtmäßig war, so könnten in diesem Fall der Hauptsacheerledigung dem Dienstherrn die Kosten gemäß § 155 Abs. 4 VwGO auferlegt werden (BVerwG, Urteil vom 23. November 1995 - 2 A 1.94 - Schütz, BeamtR, Kommentar, ES/B III 8 Nr. 10 = juris Rn. 22). Sollte es im Rahmen des Rechtsschutzes gegen die Sachentscheidung nicht zur Vorlage der erforderlichen Akten kommen, obläge es dem Verwaltungsgericht mit Wirkung für die materielle Beweislast hieraus Schlüsse zu ziehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2012 - 2 A 7.09 - BVerwGE 141, 361 Rn. 44 ff.). Eine Rechtsvereitelung könnte jedenfalls nicht deswegen eintreten, weil der Anspruch auf Akteneinsicht nicht unabhängig von Rechtsbehelfen gegen die Sachentscheidung geltend zu machen wäre.

29

(2) Auch die vom Kläger angeführte "Rechtswegewahlfreiheit" zwingt nicht zur isolierten gerichtlichen Durchsetzung von Akteneinsichtsrechten. Gemäß Art. 34 Satz 3 GG darf für Schadensersatzansprüche aus Amtspflichtverletzung der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden. Diese grundgesetzliche Vorgabe wird durch § 40 Abs. 2 Satz 1 VwGO derart umgesetzt, dass entgegen der Grundregel in Absatz 1 dieser Vorschrift für Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten, die nicht auf einem öffentlich-rechtlichen Vertrag beruhen, der ordentliche Rechtsweg gegeben ist. Das führt dazu, dass der übergangene Bewerber in einem beamtenrechtlichen Konkurrentenstreitverfahren etwaige Schadensersatzansprüche wegen Nichtbeförderung einerseits gestützt auf seine aus Art. 33 Abs. 2 GG folgenden Rechte vor den Verwaltungsgerichten und andererseits gestützt auf eine Amtspflichtverletzung nach Art. 34 Satz 1 GG, § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB vor den Zivilgerichten geltend machen kann (BVerwG, Urteil vom 25. Februar 2010 - 2 C 22.09 - BVerwGE 136, 140 Rn. 13). Die Grundregel des § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG, wonach das Gericht des zulässigen Rechtsweges den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten entscheidet, gilt für Amtshaftungsansprüche nicht, was Satz 2 dieser Regelung klarstellt. Das führt dazu, dass zwar das Zivilgericht in Anwendung von § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG auch über den aus Art. 33 Abs. 2 GG abzuleitenden beamtenrechtlichen Schadensersatzanspruch zu entscheiden hätte, der unterlegene Bewerber aber auch befugt wäre, diesen Anspruch vor den Verwaltungsgerichten geltend zu machen (vgl. Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 17 GVG, Rn. 57; Zimmermann, in: Münchener Kommentar ZPO Bd. 3, 4. Aufl. 2013, § 17 GVG Rn. 11). Das Verwaltungsgericht hätte den Schadensersatzanspruch jedenfalls nur unter dem Aspekt der beamtenrechtlichen Ansprüche zu prüfen (BVerwG, Beschluss vom 19. November 1997 - 2 B 178.96 - juris Rn. 2).

30

Der seiner Natur nach öffentlich-rechtliche Anspruch auf Akteneinsicht in § 29 VwVfG - wie auch ein etwaiger, unmittelbar aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Art. 33 Abs. 2 GG folgender Anspruch auf Akteneinsicht - ist in Anwendung von § 40 Abs. 1 VwGO vor den Verwaltungsgerichten geltend zu machen. Diese sind aber durch die Regelung des § 44a Satz 1 VwGO an einer isolierten Prüfung gehindert. Somit können die genannten Ansprüche auf Akteneinsicht verwaltungsgerichtlich nur durchgesetzt werden, wenn ein Hauptsacheverfahren betreffend die Sachentscheidung (hier: Schadensersatz) vor dem Verwaltungsgericht anhängig gemacht wird.

31

Amtshaftungsansprüche sind demgegenüber aufgrund der Vorschrift des Art. 34 Satz 3 GG von vorneherein auf eine Durchsetzung in der ordentlichen Gerichtsbarkeit und - vorbehaltlich einer anderen gesetzlichen Regelung - damit auf die Mittel angewiesen, die die Zivilprozessordnung zur Verfügung stellt. Auch diese sieht die Möglichkeit der Herbeiziehung von Akten vor, jedoch nach den Regelungen der Zivilprozessordnung. Dort gilt zwar der Beibringungsgrundsatz, wonach der Kläger den Prozessstoff und die Beweismittel im Grundsatz selbst beschaffen muss. Allerdings treffen auch im Zivilprozess die Parteien Mitwirkungs- und Wahrheitspflichten (§ 138 Abs. 1 ZPO). Das Gericht unterliegt zudem der Aufklärungspflicht im Rahmen des § 139 ZPO. In diesem Zusammenhang darf das Gericht von Amts wegen u.a. die Vorlage von Urkunden oder Akten anordnen (§§ 142 und 143 ZPO) sowie amtliche Auskünfte einholen (§ 273 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Im Übrigen kennt auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Amtshaftungsprozessen betreffend beamtenrechtliche Beförderungsverfahren Regelungen zu Beweiserleichterungen im Falle der Nichterweislichkeit der Kausalität zwischen der Amtspflichtverletzung und der Schädigung (BGH, Urteil vom 6. April 1995 - III ZR 183/94 - BGHZ 129, 226 <232 f.>).

32

Der Kläger hat somit eine Wahlfreiheit, ob er einen Amtshaftungsanspruch vor den Zivilgerichten oder einen beamtenrechtlichen Anspruch vor den Verwaltungsgerichten geltend macht. Beide Gerichtsbarkeiten sind dabei zur Anwendung des jeweiligen für sie geltenden Prozessrechts verpflichtet (BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2008 - 2 A 4.06 - NJW 2008, 1398 Rn. 13). Eine verfassungsrechtlich verankerte Wahlfreiheit zwischen den beiden Rechtswegen unter Mitnahme maximaler Vorteile des jeweils anderen Prozessrechts kennt die Rechtsordnung nicht.

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(3) Geht man zugunsten des Klägers davon aus, dass neben einer drohenden Rechtsschutzvereitelung auch allgemeine Zumutbarkeitserwägungen zu einem Ausschluss der Anwendung des § 44a Satz 1 VwGO führen können, so liegen diese Voraussetzungen jedenfalls nicht vor. Der Kläger wird nicht in unzumutbarer Weise belastet. Namentlich die von ihm angeführte Exposition im Kollegenkreis, die aus einer gegen die Ernennung des Konkurrenten gerichteten Klage folgt, ist von ihm hinzunehmen. Die Klageerhebung ist das von der Rechtsordnung vorgesehene Mittel, gegen die Ernennung des Konkurrenten vorzugehen, soweit der Grundsatz der Ämterstabilität überhaupt eine solche Anfechtung zulässt (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. November 2010 - 2 C 16.09 - BVerwGE 138, 102 Rn 29 ff.). In den übrigen, wohl häufigeren Fällen, in denen eine nachträgliche Anfechtung der Ernennung ohnehin ausgeschlossen ist, bleibt dem unterlegenen Bewerber nur die Klage gegen den Dienstherrn auf Gewährung von Schadensersatz. Diese ist schon nicht geeignet, eine unangemessene Exposition im Kollegenkreis zu verursachen, weil die Rechtspositionen der Konkurrenten hiervon nicht betroffen werden.

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Da die Klage auf Akteneinsicht bereits nach § 44a Satz 1 VwGO unzulässig ist, kann offen bleiben, ob sie unter dem Gesichtspunkt des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses auch deshalb unzulässig geworden ist, weil der Kläger - noch vor dem Berufungsurteil - (vor dem Verwaltungsgericht Köln) Klage auf Schadensersatz erhoben hat und in diesem Verfahren nach §§ 99 und 100 VwGO Einsicht in die maßgeblichen Akten der Beklagten genommen werden kann (vgl. oben Rn. 28).

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen können nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Dies gilt nicht, wenn behördliche Verfahrenshandlungen vollstreckt werden können oder gegen einen Nichtbeteiligten ergehen.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.