Verwaltungsgericht Karlsruhe Urteil, 19. Apr. 2017 - 4 K 3166/15

bei uns veröffentlicht am19.04.2017

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung und Abschiebungsandrohung in die Türkei sowie gegen die Befristung der Ausweisung auf acht Jahre und der Abschiebung auf zwei Jahre.
Er ist am … 1971 in Charleroi, Belgien, geboren, türkischer Staatsangehöriger, und lebte von seiner Geburt an bis 1979/80 gemeinsam mit seinen Eltern und acht Geschwistern in Belgien. Danach kehrte die Familie in die Türkei zurück. Dort besuchte der Kläger das Gymnasium und beendete es mit einem dem Abitur vergleichbaren Abschluss. Am 06.05.1996 heiratete er in Cavusbasi Köyü/Türkei die am … 1977 in Bretten, Deutschland, geborene H. Y., die damals noch türkische Staatsangehörige war. Am 17.08.1996 reiste er mit einem Visum zum Familiennachzug nach Deutschland ein. In der Folgezeit erhielt er zunächst befristete Aufenthaltserlaubnisse, ab dem 16.07.2001 war er im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, die ab Januar 2005 als Niederlassungserlaubnis fortgalt.
Die Ehefrau des Klägers wurde am 06.07.1998 eingebürgert. Aus der Ehe des Klägers mit ihr gingen vier gemeinsame Kinder hervor, zwei Töchter (geboren am … 1997 und am … 2001) und zwei Söhne (geboren am … 1998 und am … 2008), die ebenfalls deutsche Staatsangehörige sind.
Ab dem 10.03.1997 war der Kläger nach Aktenlage bei verschiedenen Firmen beschäftigt. Vom 27.02.2001 bis zum 09.07.2001 bezog er Krankengeld von der AOK. Nach längerer Arbeitslosigkeit war er ab 2003 immer wieder selbständig tätig (Einzelhandel, Gebäudereinigung, Kleintransporte), zeitweise übte er auch unselbständige Tätigkeiten aus bzw. erhielt Leistungen der Arbeitsagentur. Ende Juli 2008 kündigte er seine letzte Stelle bei der Firma „M.“ in Würmersheim. Zum 05.08.2008 meldete er das Wettbüro T. in Karlsruhe an. Dies lief so gut, dass es ihm gelang, über die Mietkosten hinaus seine damaligen Schulden in monatlichen Raten (zwischen 1.000,-- EUR und 2.000,-- EUR) abzutragen und den Lebensunterhalt für seine Familie zu gewährleisten.
Am 18.12.2008 wurde der Kläger wegen des Verdachts der Geiselnahme in Untersuchungshaft genommen. Mit Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 30.06.2009 - 3 KLS 110 Js 41778/08 - wurden er und die Mitangeklagten B. A., Y. K. und E. G. wegen Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie der Mitangeklagte T. K. der Beihilfe zur Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen. Der Kläger wurde zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten, seine Mitangeklagten B. A. zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten, Y. K. von vier Jahren und zehn Monaten, E. G. von drei Jahren und sechs Monaten und T. K. zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde hinsichtlich T. K. zur Bewährung ausgesetzt. Die Angeklagten wurden außerdem verurteilt, an die Nebenklägerin N. G. Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,-- EUR nebst Zinsen zu zahlen, wobei die seitens B. A. und Y. K. bereits erbrachten Beträge in Höhe von 2.500,-- EUR (B. A.) bzw. 3.000,-- EUR (Y. K.) auf den Schmerzensgeldbetrag anzurechnen seien. Das Urteil wurde am 10.12.2009 gegenüber dem Kläger rechtskräftig.
Aufgrund dieses Urteils befand er sich seit dem 18.12.2008 in Untersuchungs- bzw. anschließend in Strafhaft. Mit Beschluss des Landgerichtes Karlsruhe vom 21.12.2011 wurde die weitere Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 30.06.2009 zur Bewährung ausgesetzt. Der Kläger wurde am 22.12.2011 aus der Haft entlassen.
Mit Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 wurde der Kläger aufgrund der bis dahin begangenen Straftaten aus dem Bundesgebiet der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. Die dagegen gerichtete Klage lehnte das Verwaltungsgericht Karlsruhe mit Urteil vom 02.03.2011 - 4 K 3079/10 - ab. Mit Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 23.10.2012 (- 11 S 1470/11 -), rechtskräftig seit dem 15.01.2013, wurden das Urteil des VG Karlsruhe geändert und die Verfügung vom 22.10.2010 aufgehoben.
Von Juli 2012 bis zu seiner erneuten Verhaftung am 04.02.2013 war der Kläger als Fahrer bei einem Zahntechniker tätig, wo er monatlich durchschnittlich ca. 1.000,-- EUR bis 1.200,-- EUR netto verdiente. Seine Ehefrau war nicht berufstätig. Er und seine Familie bezogen daher zusätzlich Leistungen nach SGB II (ALG II). Am 04.02.2013 wurde er wegen Verdachts eines Verstoßes gegen § 29 a Abs. 1 BtMG in Untersuchungshaft genommen.
Mit Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 09.10.2013 (4 KLS 610 Js 40635/12), rechtskräftig seit dem 07.05.2014, wurde er wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und vier Monaten verurteilt. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger kam mit Herr D., den er im Wettbüro 2008 kennenlernte, und Frau G. im Frühjahr 2012 überein, in der Folgezeit auf der Grundlage eines gemeinsamen Tatplanes über einen längeren Zeitraum und in einer noch unbestimmten Anzahl von Fällen, in bewusstem und gewollten Zusammenwirken und mit einer entsprechenden Verteilung von jeweiligen Aufgaben, Marihuana sowie Kokain in größeren Mengen in Holland zu beschaffen, in die Bundesrepublik zu verbringen und zum Teil selbst zu konsumieren und zum Teil gewinnbringend in Karlsruhe und Umgebung zu verkaufen. Seit 2008 erhielt er zu Frau G. ein Liebesverhältnis. Dem gemeinsamen Tatplan entsprechend sollte der Kläger vorwiegend die Kontakte zu den Lieferanten in Holland pflegen, die Rauschgiftbestellungen tätigen und - zusammen mit D. - das Rauschgift an Dritte verkaufen. D. sollte neben der Beteiligung am Verkauf der Betäubungsmittel vordringlich deren Transport von Holland nach Deutschland obliegen. Frau G. sollte umfangreiche Hilfstätigkeiten leisten, insbesondere dem mitverurteilten D. Geld für Mietfahrzeuge überbringen sowie Telefonkarten beschaffen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 09.10.2013 verwiesen.
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Mit Verfügung vom 21.05.2015 wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland aus (1.). Zugleich wurde ihm die Abschiebung in die Türkei angedroht. Er wurde darauf hingewiesen, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden könne, in den er einreisen dürfe, oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei (2.). Für den Fall, dass er vor der beabsichtigten Abschiebung, aber nach Bestandskraft dieser Verfügung, aus der Haft entlassen werden sollte, wurde er aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach seiner Entlassung zu verlassen. Für den Fall, dass er nicht fristgerecht ausreisen werde, wurde ihm die Abschiebung in den genannten Zielstaat angedroht (3.). In Ziffer 4 wurde die Sperrwirkung der Ausweisung auf acht Jahre befristet, beginnend mit der Ausreise. Die Sperrwirkung der durchzuführenden Abschiebung wurde auf zwei Jahre befristet. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Da er keinen Status nach Art. 7 oder Art. 6 ARB 1/80 erlangt habe, sei Rechtsgrundlage dieser Verfügung das Aufenthaltsgesetz in der jeweils gültigen Fassung. Maßgeblich sei hier § 53 Nr. 1 und Nr. 2 AufenthG. Beide Tatbestandalternativen seien erfüllt. Danach habe die Ausweisung zwingend zu erfolgen. Ihm komme die Ausweisungsbeschränkung nach § 56 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zugute, da er seit dem 16.07.2001 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis sei. Weiter komme ihm die Aufenthaltsbeschränkung nach § 56 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zugute, weil er vor seiner Inhaftierung mit seiner Ehefrau und seinen Kindern, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, in familiärer Lebensgemeinschaft gelebt habe. Die Ist-Ausweisung sei deshalb in eine Regel-Ausweisung herabgestuft. Wegen des teilweise erheblichen Eingriffs in sein durch Art. 6 GG und Art. 8 EMRK geschütztes Familien- und Privatleben werde über seine Ausweisung im Ermessenswege entschieden (§ 55 AufenthG). Wegen der Ausweisungsbeschränkung nach § 56 AufenthG dürfe seine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen erfolgen. Seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet sei aus spezialpräventiven Gründen geboten. Dafür müsse der Ausweisungsanlass ein besonderes Gewicht haben. Diese Voraussetzungen lägen in Fällen mittlerer und schwerer Kriminalität regelmäßig vor. Darüber hinaus müssten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft drohen und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgehe. Seine Ausweisung sei aus spezialpräventiven Gründen geboten, um die von ihm ausgehende drohende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu verhindern. Dabei hänge der Wahrscheinlichkeitsmaßstab bezüglich der Wiederholungsgefahr vom Rang des gefährdeten Rechtsguts ab. Eine Wiederholungsgefahr ergebe sich schon bei der Betrachtung der von ihm begangenen Straftat. Ausgehend vom Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 09.10.2013 habe er bereits drei Monate nach seiner Entlassung aus der Strafhaft am 22.12.2011 erneut mit dem Konsum von Kokain begonnen und diesen stetig gesteigert. Im Frühjahr 2011 sei er mit den Mittätern übereingekommen, sich in der Folgezeit in einer noch unbestimmten Anzahl von Fällen in regelmäßigen Abständen über einen längeren Zeitraum Straftaten, wie geschildert, zu begehen. Allein die von ihm an den Tag gelegte Rückfallgeschwindigkeit offenbare eine enorme Gefahr für die Begehung weiterer Straftaten. Ebenfalls beachtlich erscheine der Umstand, dass ihm die Funktion des Organisators zugekommen sei, der Zeitpunkt und Umfang der Betäubungsmittelgeschäfte im Wesentlichen habe bestimmen können. Auf die Ausführungen im Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 09.10.2013 (Seite 17) werde Bezug genommen.
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Anhaltspunkte dafür, dass die Betäubungsmittelabhängigkeit zu einer Depravation, einer Persönlichkeitsveränderung oder einer Einschränkung der körperlichen und psychischen Leistungsfähigkeit geführt habe, seien nicht ersichtlich. Allerdings müsse derzeit zumindest in Zweifel gezogen werden, ob er überhaupt jemals drogenabhängig gewesen sei. Im Rahmen der Vollzugsplankonferenz zur Fortschreitung seines Vollzugsplans in der JVA Offenburg am 18.03.2015 habe er nämlich behauptet, niemals betäubungsmittelabhängig gewesen zu sein. Im September 2014 habe er dem psychologischen Dienst der JVA sogar mitgeteilt, noch nie Drogen genommen zu haben. Deshalb beabsichtigte der Kläger aktuell keine Therapie mehr, weder gemäß § 35 BtMG noch als Bewährungsauflage gemäß § 57 StGB.
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Soweit er mit Kokain gehandelt habe, sei dies in besonderem Maße verwerflich, da es sich hierbei um eine Droge mit einer ähnlichen Gefährlichkeit wie Heroin handele.
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Durch die begangenen Straftaten habe er ein hohes Maß an krimineller Energie offenbart und eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass er nicht bereit sei, sich an die Regeln und Gesetze der Bundesrepublik Deutschland zu halten. Besonders gravierend erscheine diesbezüglich, dass er nach gerade einmal drei Monaten in Freiheit mit den Tatplanungen für die mit Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 09.10.2013 abgeurteilten Betäubungsmittelgeschäfte begonnen habe. Die vorausgegangenen Urteile hätten ihn nicht von der Begehung weiterer Straftaten abhalten können.
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Die Ausweisung sei auch aus generalpräventiven Gründen geboten. Auf die Ausführungen im Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe wird verwiesen (Seite 14 ff.).
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Am 22.06.2015 hat der Kläger Klage erhoben; in der mündlichen Verhandlung hat der Vertreter des Klägers beantragt,
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1. den Bescheid des Beklagten vom 21.05.2015 aufzuheben,
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2. hilfsweise, das beklagte Land zu verpflichten, die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 bezeichneten Wirkungen der Ausweisung ab sofort zu befristen.
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Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor: Die Ausweisungsverfügung sei im Hinblick auf Art. 8 EMRK und Art. 6 Abs. 1 GG unrechtmäßig. Zwar sei berücksichtigt, dass ihm die Ausweisungsbeschränkungen nach § 56 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG a.F. zugutekämen, da er seit dem 16.07.2001 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis sei und ihm auch die Ausweisungsbeschränkung nach § 56 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG a.F. zugutekäme, da er seit der Inhaftierung mit seiner Ehefrau und seinen Kindern, die die deutsche Staatsangehörigkeit besäßen, in familiärer Lebensgemeinschaft gelebt habe. Die Abwägungsentscheidung sei aber fehlerhaft. Außerdem seien im Rahmen des Art. 8 EMRK die Belange der deutschen Ehefrau und Kinder nicht zutreffend berücksichtigt. Die Verfügung sei ermessensfehlerhaft, da insbesondere die mit der Staatsangehörigkeit der Beteiligten, die familiäre Situation, die Dauer seiner Ehe und weitere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben hinweisen würden, der Grund für die Schwierigkeiten, die die Ehefrau in dem Land haben könne, in das der Kläger gegebenenfalls abgeschoben werden könne und insbesondere die diesbezüglichen Belange der Kinder, deren Alter, Interesse und Wohl, in der Abwägungsentscheidung nicht ausreichend Gewicht beigemessen worden seien.
19 
In der mündlichen Verhandlung trug er unter Vorlage der Fortschreibung des Vollzugsplans vom 14.12.2016 vor, dass vollzugsöffnende Maßnahmen beschlossen worden seien und diese unter anderem auf den psychologischen Gesprächen mit Frau O. und deren Feststellungen beruhten. Demnach sei eine umfassende Tataufarbeitung erfolgt und er sei in die Risikogruppe 4 eingestuft worden, wobei prognostisch günstige Faktoren überwiegen würden. Klargestellt werde, dass er keine Drogen mehr einnehme. Mit einer Entlassung aus der Straftat zum zwei Drittel-Zeitpunkt werde gerechnet. Dies spreche für eine günstige Kriminalprognose, sodass eine Wiederholungsgefahr ausgeschlossen werden könne. Seit dem 08.03.2015 befinde er sich im offenen Vollzug in der JVA Kenzingen und arbeite regelmäßig. Die Wochenenden verbringe er gemeinsam mit seiner Familie. Eine Lohnabrechnung liege bereits vor.
20 
Die Befristung der Ausweisung von acht Jahren, für den Fall der Ausweisung, sei zu hoch gemessen. Dies würde bedeuten, dass seine minderjährigen Kinder ihn bis zu ihrer Volljährigkeit nicht mehr sehen könnten. Dies wäre ein erheblicher Eingriff in die Schutzrechte des Art. 6 GG und Art. 8 EMRK. Die Befristung sei allenfalls auf höchstens zwei Jahre ab dem Zeitpunkt der Ausweisung festzulegen.
21 
Das beklagte Land beantragt,
22 
die Klage abzuweisen.
23 
Es ist der Ansicht, die persönlichen Belange des Klägers seien auch im Hinblick auf Art. 6 GG, Art. 8 EMRK ausreichend gewürdigt worden. Die streitgegenständliche Verfügung sei zwar auf das AufenthG a.F. gestützt worden, anwendbar sei aber das zum 01.01.2016 in Kraft getretene neue Ausweisungsrecht (§§ 53 ff. AufenthG). Im Fall des Klägers seien ein besonders schweres Ausweisungsinteresse und ein besonders schweres Bleibeinteresse gegeneinander abzuwägen. Betäubungsmittelstraftaten stellten eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung dar, weshalb der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hier in entschlossenes Durchgreifen billige. Daher könne gerade bei Betäubungsmitteldelikten die Ausweisung einer Person in die Türkei rechtmäßig sein, obwohl ein Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Familienleben vorliege. Der Kläger sei zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und vier Monaten verurteilt worden. Die Höhe der Strafe sei auch Ausdruck der Schwere der begangenen Straftat. Deshalb habe die Verfügung (Seite 11 f.) jene Verurteilung nur zum Ausgangspunkt gemacht und so dann die individuelle Situation des Klägers gewürdigt. Die Kinder des Klägers (Verfügung Seite 2) seien in einem Alter, in dem sie die zeitweise Trennung von ihrem Vater verstehen könnten. Die Beziehung zwischen Eltern und ihren volljährigen Kindern sei weniger schutzwürdig. Besondere Umstände seien nicht erkennbar. Mittlerweile seien nur noch zwei Kinder minderjährig. Mit der Kind-Vater Beziehung habe sich die Verfügung ausreichend befasst (Seite 16, 17). Dazu seien Lösungen aufgezeigt worden, beispielsweise Besuche der Kinder in der Türkei oder die Nutzung moderner Kommunikationsmittel. Ermessensfehler im Rahmen der Abwägung seien nicht ersichtlich. Mittlerweile seien die Kinder noch älter geworden. Die Besuchslisten seien nur ein Indiz für eine bestehende familiäre Bindung, die auch gewürdigt worden sei. Dem Ausweisungsinteresse sei im Hinblick auf die Art und Schwere der vom Kläger begangenen Straftat und auf die konkrete Gefahr der Begehung erneuter schwerer Drogendelikte, das letztlich auf die Bekämpfung der Drogenkriminalität sowie auf den Schutz von Leben und Gesundheit als Grundinteresse der Gesellschaft ziele, zu Recht der Vorrang eingeräumt worden. Die in der Verfügung erfolgte Begründung halte auch vor der nach neuem Recht vorzunehmenden Abwägung Bestand. Die Verfügung sei nach neuem und altem Ausweisungsrecht rechtmäßig.
24 
Für den Fall, dass über den Hilfsantrag zu entscheiden sein sollte, komme eine kürzere als die erfolgte Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auch unter Berücksichtigung von Art. 6, 8 EMRK nicht in Betracht. Zur Befristungsentscheidung würden folgende Ermessenserwägungen nachgeschoben (siehe Schriftsatz vom 23.03.2017): Grund hierfür sei die Tatsache, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Befristung nach § 11 AufenthG a.F. eine gebundene Entscheidung dargestellt habe (BVerwG, Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7/11 -), jedoch nach der Novelle des Gesetzes zum 01.08.2015 nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG über die Länge der Frist nach Ermessen entschieden werde. Diese neue Rechtslage sei zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Befristung nicht absehbar gewesen, sodass das Nachschieben von Ermessenserwägungen geboten sei. Im vorliegenden Fall sei es gerechtfertigt und auch verhältnismäßig, dass die Befristung, wie im Tenor dargestellt, verfügt werde. Der Ausweisungsverfügung vom 21.05.2015 habe eine Verurteilung des Klägers wegen Geiselnahme in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten (LG Karlsruhe, Urteil vom 30.06.2009) und eine Verurteilung wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und vier Monaten (LG Karlsruhe, Beschluss vom 09.10.2013) zugrunde gelegen. Die strafrechtlichen Verurteilungen seien zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen. Auch die erste Verurteilung sowie die Erfahrungen eines sich über mehrere Jahre erstreckenden ersten Ausweisungsverfahrens hätten den Kläger nicht von der Begehung weiterer erheblicher strafrechtlicher Verfolgungen abgehalten. Bereits mit diesem Verhalten habe der Kläger gezeigt, dass eine Wiederholungsgefahr von ihm ausgehe, die die Festsetzung eines mehrjährigen Einreiseverbotes im öffentlichen Interesse erfordere. Nicht verkannt werde, dass der Kläger vor Antritt seiner mehrjährigen Haftstrafe mit seiner deutschen Ehefrau und seinen vier deutschen Kindern in familiärer Lebensgemeinschaft gelebt habe und dass er während seines Strafvollzugers regelmäßig Besuch von seiner Familie erhalten habe, was dafür spreche, dass an der familiären Lebensgemeinschaft trotz der inzwischen zweiten mehrjährigen Haftstrafe festgehalten werden solle. Diesem schwerwiegenden Bleibeinteresse sei jedoch insoweit Rechnung getragen worden, dass das verlängerte Einreiseverbot deutlich verkürzt worden sei. Auch unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK komme eine weitere Verkürzung des Einreiseverbotes nicht in Betracht. Die konkrete Dauer der Frist sei nach dem spezial- und generalpräventiven Ausweisungszweck bemessen worden. Unter Abwägung der persönlichen und privaten Belange des Klägers sowie dem öffentlichen Interesse sei im Ergebnis einer Gesamtwürdigung an der Frist von acht Jahren ab Ausreise festzuhalten.
25 
Dem Gericht liegen die Verwaltungsakten des beklagten Landes (2 Hefte) einschließlich der Verwaltungsgerichtsakten im Verfahren 4 K 3079/10 sowie die in Bezug genommenen Strafrechtsurteile vor. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf deren Inhalt und den der gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
26 
Die zulässige Klage ist unbegründet.
27 
Der Bescheid des Beklagten vom 21.05.2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Die Ausweisung (1.) und die Abschiebungsandrohung (2.) sowie die Befristung der Ausweisung (3.) und der Abschiebung (4.) sind rechtmäßig.
1.
28 
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung und der vom Kläger begehrten kürzeren Befristung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (stRspr, BVerwG, Urteil vom 15.01.2013 – 1 C 10/12 – Rn. 12, juris).
29 
Die Ausweisungsverfügung ist mangels entgegenstehender Übergangsregelung anhand der §§ 53 ff. AufenthG in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386), geändert durch Gesetz vom 11.03.2016 mit Wirkung zum 17.03.2016, zu überprüfen. Die noch nach altem Recht verfügte Ausweisung wird nach Inkrafttreten der §§ 53 bis 55 AufenthG n.F. nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht, also § 53 Abs. 1 AufenthG n.F. (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 – 1 C 3.16 – UA Rz. 21; BayVGH, Beschluss vom 16.03.2016 – 10 ZB 15.2109 – Rn. 14, juris unter Hinweis auf: Welte, InfAuslR 2015, 426; Cziersky/Reis in Hofmann, Kommentar zum Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl. 2016, § 53 Rn. 30; Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Kommentar, 11. Aufl. 2016, Vorb §§ 53-56 Rn. 13 und § 53 Rn. 5 ff.; OVG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 06.02.2017 - 2 L 119/15 - juris Rn. 16 m.w.N.; a.A. Marx, ZAR 2015, 245/246; vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.01.2016 - 11 S 889/15 - juris zu assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen).
30 
Gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG n.F. wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
31 
Das neue Ausweisungsrecht gibt das mit dem Ausländergesetz 1990 eingeführte dreistufige Konzept der Ist-, Regel-und kann-Ausweisung auf. Stattdessen hat sich der Gesetzgeber für ein einheitliches System der rechtlich gebundenen Ausweisung entschieden („wird ausgewiesen“), das vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017– 1 C 3.16 – UA Rn. 21). § 54 AufenthG n.F. benennt konkret die Gründe, wann das Ausweisungsinteresse „besonders schwer“ oder „schwer“ wiegt und knüpft damit an Tatbestände der früheren Ist- und Regelausweisung an. In § 55 AufenthG n.F. werden – spiegelbildlich hierzu – Tatbestände normiert, denen zufolge das Bleibeinteresse „besonders schwer“ oder „schwer“ wiegt, wobei auch die Aufzählung der „schwer“ wiegenden Bleibeinteressen nicht abschließend ist. In § 53 Abs. 2 AufenthG n.F. werden Gesichtspunkte genannt, die bei der Abwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sind, insbesondere die Dauer des Aufenthalts, Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, folgende Ausweisung für Angehörige und Partner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat. Die Ausweisung setzt nunmehr nach § 53 Abs. 1 AufenthG n.F. eine umfassende und Ergebnis offene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Sofern nach dieser Gesamtabwägung das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib in Deutschland überwiegt, wird der Ausländer ausgewiesen, andernfalls kommt eine Aufenthaltsbeendigung nach § 43 Abs. 1 AufenthG n.F. nicht in Betracht (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017– 1 C 3/16 – UA Rn. 22).
32 
Die Tatbestandsmerkmale der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im ausweisungsrechtlichen Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG n.F. sind nach der Begründung des Gesetzgebers im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (vgl.BT-Drs. 18/4097 S. 49). Auch die Gefährdung dieser Schutzgüter bemisst sich nach den im Allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten wird. Mit Blick auf die verwendeten Begriffe sowohl sollte keine Ausweitung des Gefahrenbegriffs gegenüber dem bislang geltenden Recht erfolgen, vielmehr sollten lediglich die bislang verwandten unterschiedlichen Formulierungen aneinander angeglichen werden. Die von § 53 Abs. 1 AufenthG n.F. geforderte Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers in Deutschland erfolgt dabei nach der Intention des Gesetzgebers nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen Ausweisungsentscheidung ist und ist damit gerichtlich voll überprüfbar (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017– 1 C 3/16 – UA Rn. 23).
33 
Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG n.F. erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG n.F. von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder „besonders schwerwiegend“ (Abs. 1) oder als „schwerwiegend“ (Abs. 2). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sind neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG n.F. aufgeführten Interessen aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (vgl. BT Drucksache 18/4097 S.49). Die Katalogisierung schließt demnach die Berücksichtigung weiterer Umstände im Rahmen der nach § 53 Abs. 2 AufenthG n.F. zutreffenden Abwägungsentscheidung nicht aus. Dies folgt bereits aus dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG n.F. ist aber für die schwerwiegenden, aufgrund der Vielgestaltigkeit der Lebenssituationen bewusst nicht abschließend aufgezählten Bleibeinteressen in § 55 Abs. 2 AufenthG n.F. nochmals ausdrücklich normiert. Die nunmehr als schwerwiegend oder besonders schwerwiegend qualifizierten Ausweisungsinteressen im Sinne von § 54 AufenthG n.F. decken sich weitgehend – aber nicht vollständig – mit den früheren Gründen für eine Regel- und Ist-Ausweisung, die schwerwiegenden und besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen greifen Fälle des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 AufenthG n.F. auf (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017– 1 C 3/16 – UA Rn. 24).
34 
Bei der Abwägung sind schließlich gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG n.F. nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht („Boultif/Üner-Kriterien“). Die in § 53 Abs. 2 AufenthG n.F. genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Auslandes wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 – 1 C 3/16 – UA Rn. 25).
35 
Die in § 54 AufenthG n.F. fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 HS 1 AufenthG n.F. und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 HS 2 und Abs. 3 AufenthG n.F. geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 HS 1 AufenthG n.F. ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG n.F. verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG n.F. stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 – 1 C 3/16 – UA Rn. 26).
36 
Beim Kläger liegt ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG n.F. vor (1.1.). Die Voraussetzungen des § 53 Abs. 3 AufenthG n.F. sind nicht erfüllt (1.2.). Im Rahmen des § 53 Abs. 1 AufenthG n.F. ist zu berücksichtigen, dass beim Kläger eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung von Straftaten, bei denen die körperliche Unversehrtheit und das Leben anderer bedroht oder verletzt werden, vorliegt (1.3.). Dem besonders schwer wiegenden öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen besonders schwer wiegende Bleibeinteressen des Klägers gegenüber (1.4.). Das Ausweisungsinteresse überwiegt jedoch die privaten Bleibeinteressen des Klägers (1.5.).
1.1.
37 
Gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG n.F. wiegt das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 besonders schwer, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist. Das Gleiche gilt, wenn er nach Nr. 1 a. wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist; bei serienmäßiger Begehung von Straftaten gegen das Eigentum wiegt das Ausweisungsinteresse auch dann besonders schwer, wenn der Täter keine Gewalt, Drohung oder List angewendet hat.
38 
Der Kläger wurde mit Urteil vom 09.10.2013 wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und vier Monaten verurteilt; damit sind die Anforderungen des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG n.F. erfüllt.
39 
Ob die Heranziehung der Verurteilung des Klägers wegen Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§§ 223 Abs.1, 224 Abs. 1 Nr. 4, 239 a Abs. 2 und 4, 239 b Abs. 1 2. HS, Abs. 2, 25 Abs. 2, 52 StGB) vom 30.06.2009 zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten für die Begründung eines besonders schwer wiegenden Ausweisungsinteresses gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 a AufenthG n.F. verbraucht ist (s. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 14.03.2017 - 11 S 383/17 - juris), weil der Kläger nach Aufhebung der Ausweisungsverfügung vom 22.10.2010 durch Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 23.10.2012 (- 11 S 1470/11 ), rechtskräftig seit dem 15.01.2013, im Besitz seiner unbefristeten Aufenthaltserlaubnis geblieben ist, ist nach Maßgabe des Grundsatzes des Vertrauensschutzes und den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen.
40 
Zwar kann als Ausprägung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes der "Verbrauch" eines Ausweisungsgrundes eintreten, wenn ein Tatbestand geschaffen wird, aufgrund dessen der Ausländer erwarten kann, dass ihm das Verbleiben im Bundesgebiet erlaubt wird. Das kann etwa der Fall sein, wenn die Ausländerbehörde dem Betroffenen in voller Kenntnis vom Vorliegen der Voraussetzungen für eine Ausweisung den weiteren Aufenthalt im Wege der vorbehaltlosen Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis ermöglicht (OVG NW, Beschluss vom 19.01.2017 – 18 A 2540/16 – Rn. 4 ff., juris m.w.N.). Ein derartiger "Verbrauch" eines Ausweisungsgrundes steht indes unter dem Vorbehalt, dass sich die für die behördliche Entscheidung maßgeblichen Umstände nicht ändern; eine solche Veränderung kann den dem Ausländer vermittelten Vertrauensschutz nachträglich wieder entfallen lassen. Dies gilt insbesondere dann, wenn dieser erneut in einschlägiger Weise strafrechtlich in Erscheinung tritt (OVG NW, Beschluss vom 19.01.2017, aaO, Rn. 6).
41 
Von einer solchen erheblichen Veränderung ist hier deshalb auszugehen, weil dem beklagten Land nach Aufhebung der Ausweisungsverfügung vom 22.10.2010 Tatsachen bekannt geworden sind, die die Frage des Bestehens einer Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung weiterer erheblicher Straftaten durch den Kläger und des Erfordernisses einer Ausweisung erneut aufgeworfen haben. Denn das beklagte Land ist bereits mit Schreiben vom 02.04.2013 über das Ermittlungsverfahren wegen eines besonders schweren Falles von § 29 Abs. 1 Ziff. 1 BtMG durch Übersendung der Anklageschrift informiert worden und daraufhin hat es mit Schreiben vom 22.05.2013 um einen Termin zur mündlichen Verhandlung in dem beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg anhängig gewesenen Ausweisungsverfahren gebeten. Das beklagte Land hat auch unverzüglich nach Eintritt der Rechtskraft des Strafurteils vom 09.10.2013 am 07.05.2014 mit Schreiben vom 23.04.2016 die Ausweisung des Klägers geprüft und die JVA Offenburg, in der der Kläger damals in Haft war, dazu um Stellungnahme gebeten. Im Anschluss daran hat das beklagte Land den Kläger mit Schreiben vom 07.08.2014 zur beabsichtigten Ausweisung angehört. Der zeitliche Zusammenhang der ersten Ausweisungsverfügung vom 22.10.2010 mit der Verurteilung am 09.10.2013 sowie die darauf eingeleiteten Schritte des beklagten Landes lassen kein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers zu, auf die Verurteilung vom 2009 werde nach der zweiten Verurteilung wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nicht zurückgegriffen.
1.2.
42 
Nach § 53 Abs. 3 AufenthG n.F. darf ein Ausländer, dem u.a. nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU besitzt, nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.
43 
Diese den Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG n.F. ergänzende Vorschrift legt erhöhte Ausweisungsvoraussetzungen für mehrere rechtlich privilegierte Personengruppen fest, für einen Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießt, der einen von der Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28.07.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBL. 1953 II S. 559) besitzt, für Personen, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder die eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU besitzen. Für alle diese Personengruppen gilt der besondere aus Art. 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG abgeleitete Maßstab, den der Gerichtshof der Europäischen Union auch auf Ausländer erstreckt hat, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht (EuGH, Urteil vom 08.12.2011 - C - 371/08, Ziebell -Slg. 2011, I- 12735 Rn. 79,86). Damit hat der Gesetzgeber den unionsrechtlichen Schutzstandard für daueraufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige für ausreichend befunden und dessen Geltung für alle genannten Personengruppen angeordnet. Dies entbindet freilich nicht davon, in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob für die jeweils betrachtete Personengruppe der so durch den nationalen Gesetzgeber definierte Ausweisungsschutz dem unionsrechtlichen Maßstab tatsächlich genügt. Nur wenn der unionsrechtliche Maßstab strenger ist als derjenige, der durch den Gesetzgeber in § 53 Abs. 3 AufenthG n.F. festgelegt worden ist, bedarf § 53 Abs. 3 AufenthG n.F. nach allgemeinen Grundsätzen einer unionrechtskonformen Auslegung, die angesichts der Weite der Tatbestandsmerkmale und des erkennbaren gesetzgeberischen Willens, europarechtlichen Maßstäben zu genügen, auch möglich ist (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 – 1 C 3/16 – UA Rn. 46 f).
44 
Für die Bestimmung des Bedeutungsinhalts der „zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung“ hat der EuGH (Urteil vom 24.06.2015 - C-373713 -) auf seine Rechtsprechung zu den Begriffen der „öffentlichen Ordnung“ und der“ öffentlichen Sicherheit“ in Art. 27 und 28 der Unionbürgerrichtlinie 2004/83/EG Bezug genommen (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017– 1 C 3/16 – UA Rn. 51 ff. und 60; vgl. auch Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, § 53 Rn. 124 ff.). Eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen ist hiernach unzulässig, wenn eine der Fallgruppen des § 53 Abs. 3 AufenthG erfüllt ist.
45 
Daran fehlt es beim Kläger, ihm steht derzeit keine Rechtsstellung nach den Artikeln 6 und 7 ARB 1/80, Art. 7 ARB (s. auch Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziationsabkommen) zu, weil er eine eventuell erworbene Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 hat er verloren. Insoweit wird auf das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 23.10.2012 - 11 S 1470/11 - UA, 15 f.) verwiesen. Er hat auch kein EU-Daueraufenthaltsrecht.
1.3.
46 
Beim Kläger liegt eine im Rahmen der Abwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG n.F. zu berücksichtigende Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung von Straftaten mit Gewalt gegen die körperliche Unversehrtheit und das Leben (Art. 2 Abs. 2 GG) anderer vor.
47 
Die Prognose für eine Wiederholungsgefahr ist, wie jede sicherheitsrechtliche Gefahrenprognose, nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts eine Korrelation aus Eintrittswahrscheinlichkeit und möglichem Schadensausmaß. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 – 1 C 19/11 – BVerwGE 143, 277 ff. Rn. 1 unter Hinweis auf Urteile vom 06.09.1974 - 1 C 17.73 - BVerwGE 47, 31, 40; vom 17.03.1981 - BVerwG 1 C 74.76 - BVerwGE 62, 36 ff. und vom 03.07.2002 - 6 CN 8.01 - BVerwGE 116, 347 ff.). Auch die den Gerichten der Mitgliedstaaten obliegende und auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Beurteilung, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt (EuGH, Urteil vom 08.12.2011 - C-371/08 – Ziebell, juris Rn. 17), kann im Hinblick auf die erforderliche Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts den Rang des bedrohten Rechtsguts nicht außer Acht lassen, denn dieser bestimmt die mögliche Schadenshöhe. Das bedeutet aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet. Zu § 12 Abs. 3 AufenthG/EWG hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass im Hinblick auf die Bedeutung des Grundsatzes der Freizügigkeit an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit keine zu geringen An-forderungen gestellt werden dürfen (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012, aaO, m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 04.10.2012 – 1 C 13.11 – Rn. 18).
48 
Beim Kläger besteht derzeit aufgrund der vorausgegangenen Verurteilungen eine konkrete Wiederholungsgefahr dahingehend, dass er ähnliche Straftaten wie er sie bereits begangen hat erneut begehen wird. Hinzu kommt, dass der hohe Unrechtsgehalt der begangenen Straftaten sowie die dadurch verletzten Rechtsgüter schwer wiegen. Denn bei Verstößen gegen das BtMG und gerade bei bandenmäßigem Handeltreiben mit Kokain besteht eine hohe Gefahr für die durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützten Rechtsgüter, der körperlichen Unversehrtheit und dem Leben der betroffenen Konsumenten. Bei derart hochrangigen Rechtgütern genügt auch die nur entfernte Möglichkeit einer Wiederholung (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012, aaO). Die der Verurteilung wegen Geiselnahme vom 30.09.2009 zugrundeliegenden Straftaten weisen ein hohes Gewaltpotential sowie eine Gefährdung und Verletzung der durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützten Rechtsgüter auf. Die abgeurteilte Körperverletzung geschah in Anwendung von Gewalt. Ferner setzt die Verurteilung wegen Geiselnahme nach § 239 b Abs. 1 2. HS StGB eine „Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben“, nämlich die Drohung mit dem Tod oder einer schweren Körperverletzung (§ 226 StGB) des Opfers voraus. Auf die Ausführungen im Strafurteil vom 30.06.2009 (UA, Seite 20 ff.) wird Bezug genommen. Danach beschlossen die Mittäter, darunter der Kläger, zur Erpressung eines Geständnisses „die Todesangst“ des Opfers „aufrecht zu erhalten und im weiteren Verlauf auszunutzen“ (UA, Seite 21). Ferner drückte ein Mittäter der Geschädigten ein Kissen „ins Gesicht, die vergeblich versuchte, sich wegzudrehen, und dabei mit dem Kopf gegen die Wand stieß. Sodann setzte er den Lauf der Pistole auf das Kissen und sagte: Nehmen wir das Kissen weg, dann ist es nicht so laut.“. Hierdurch wurde bei der Geschädigten der Eindruck erweckt, sie werde jetzt erschossen (UA, Seite 21). Diese dem Kläger als Mittäter zurechenbare Tatbegehung lässt ein hohes Maß an Rücksichtslosigkeit und Missachtung gegenüber der körperlichen Unversehrtheit und dem Leben des von der Tat betroffenen Opfers erkennen.
49 
Nach der Verurteilung wegen Geiselnahme vom 30.06.2009 bestand beim Kläger eine hohe Rückfallwahrscheinlichkeit. Insoweit verweist das erkennende Gericht auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 (4 K 3079/10).
50 
Die Annahme einer Wiederholungsgefahr hat sich durch die Verurteilung des Landgerichts Karlsruhe vom 09.10.2013 (4 KLS 610 Js 40635/12) wegen banden-mäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen, u.a. mit Kokain, bestätigt und - im Hinblick auf die kurzen Zeitabstände zwischen der ersten Ausweisungsverfügung, der Haftentlassung und erneuter Straffälligkeit - erhärtet. Der Kläger begann ausweislich des Strafurteils vom 09.10.2013 bereits drei Monate nach seiner Strafentlassung (am 22.12.2011) erneut mit dem Konsum von Kokain. Dies beweist eine beachtlich hohe Rückfallgeschwindigkeit. Selbst wenn es zuträfe, dass der Kläger, wie er im Laufe des Verfahrens bekundete, nicht drogenabhängig gewesen wäre, und deshalb der Tatbestand des § 54 Abs. 2 Nr. 4 AufenthG n.F. nicht erfüllt wäre, würde dies an der Annahme der Wiederholungsgefahr nichts ändern. Denn die zeitliche Aufeinanderfolge der ersten Ausweisungsverfügung (vom 22.10.2010) und den danach (im Februar 2012 verabredeten und) begangenen Straftaten, die zur Verurteilung des Klägers vom 09.10.2013 geführt haben, seine wesentliche Rolle bei der Beschaffung und Vertreibung der Betäubungsmittel sowie die dabei gezeigte hohe kriminelle Energie belegen eine hohe Rückfallgefahr. Bereits im Frühjahr 2012 traf er mit zwei Mittätern die Vereinbarung, sich in der Folgezeit in einer noch unbestimmten Anzahl von Fällen in regelmäßigen Abständen über einen längeren Zeitraum Straften der abgeurteilten Art zu unternehmen. Der Zeitablauf - Entlassung aus der Strafhaft am 22.12.2011, Verabredung zum bandenmäßigen unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln im Frühjahr 2012, bei der er die Hauptrolle übernahm, - zeigt, dass er eine hohe Rückfallgeschwindigkeit an den Tag legte und schwere Rechtsverstöße beging, die nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG n.F. ein besonders schweres Ausweisungsinteresses darstellen.
51 
Nachteilig zu bewerten ist auch, dass er sich weder durch die erste Verurteilung durch das Landgericht vom 30.06.2009, noch durch die Haftverbüßung, noch durch die Ausweisungsverfügung vom 22.10.2010 von der Begehung weiterer Straftaten hat abhalten lassen. Aufgrund der Ausweisungsverfügung vom 22.10.2010 hätte ihm klar werden müssen, welche Konsequenzen eine Straffälligkeit für ihn und seine Familie, vor allem für seine damals noch minderjährigen Kinder, hat und damit auch, welche Folgen eine erneute Straffälligkeit für ihn und seine Familie haben kann. Auf den Beschluss des erkennenden Gerichts vom 31.10.2016, mit dem die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt worden ist, wird Bezug genommen.
52 
Die Erklärungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung zum Grund seiner erneuten Straffälligkeit überzeugen nicht. Dass bei seiner Haftentlassung am 22.12.2011 eine hohe Rückfallgefahr bestand, hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung eingeräumt und dazu erklärt, er habe sich - mit seinen Worten - wie ein „Fisch an Land“, also außerhalb des Wassers, gefühlt. Die Kinder hätten nach seiner Entlassung dies und jenes gewünscht und gefordert; er habe ihnen ihre Wünsche erfüllen wollen und sich deshalb strafbar gemacht. Heute sehe er ein, dass dies der falsche weg gewesen sei. Dies habe er auch seinem in der mündlichen Verhandlung anwesend gewesenen 16-jährigen Sohn gesagt. Diese Darstellung des Klägers ist dahin zu verstehen, dass er unvorbereitet auf das Leben und ohne Aufarbeitung der vorausgegangenen Straftaten aus der Haft entlassen worden sei. Dies ist jedoch keine überzeugende Erklärung dafür, dass er sich wenige Monate nach seiner Entlassung über die Rechtsordnung hinweg gesetzt hat und wieder straffällig geworden ist, in der Form bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen. Denn dabei handelt es sich u.a. um einen Verstoß gegen besonders geschützte Rechtsgüter, der körperlichen Unversehrtheit und dem Leben (Art. 2 Abs. 2 GG) der betroffenen Konsumenten. Sofern er straffällig geworden sein soll, um die Wünsche seiner Kinder zu erfüllen, belegt dies, dass er zu diesem Zeitpunkt beachtlich uneinsichtig und labil war und deshalb eine hohe Rückfallgefahr bestand. Die Darstellung des Klägers macht zugleich deutlich, dass er den hohen Unrechtsgehalt der begangenen Straftaten - in der Vergangenheit und bis heute - nicht aufgearbeitet hat, sondern sein strafbares Verhalten mit den Wünschen seiner Kinder zu verbinden und herunterzuspielen versucht. Dass er aus Mitgefühl mit seinen Kindern der Versuchung erlegen sei, durch Straftaten Geld zu beschaffen, um deren Wünsche erfüllen zu können, überzeugt nicht. Die Ausführungen des Klägers belegen eine beachtlich hohe Neigung, sich außerhalb des Rechtsordnung zu bewegen und verfassungsrechtlich durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützte Rechtsgüter anderer seinen Vorstellungen unterzuordnen. Deshalb besteht derzeit eine hohe Rückfallgefahr in Bezug auf Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit und das Leben, trotz mittlerweile in der JVA aufgenommener Aufarbeitung der Straftaten, auf die noch eingegangen wird.
53 
Das kriminalprognostische Gutachten vom 24.09.2011 gelangte zwar damals zu dem für den Kläger positiven Ergebnis, dass trotz mangelnder inneren Auseinandersetzung mit der Tat nicht mehr davon auszugehen sei, dass die durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbestehe. Dass diese Einschätzung fehlerhaft war, belegen die begangenen Straftaten des Klägers und die deswegen erfolgte Verurteilung wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, weshalb das Gutachten vom 24.09.2011 widerlegt ist.
54 
Dass der Kläger seit kurzem im offenen Vollzug ist und eine Arbeitsstelle angenom-men hat sowie das Wochenende bei seiner Familie verbringen darf und dies auch wahrnimmt (siehe Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 19.04.2017 und Fortschreibung des Vollzugsplans vom 17.01.2017), steht der Annahme einer nach wie vor fortbestehenden Wiederholungsgefahr nicht entgegen. Im Schreiben der JVA vom 31.01.2017 ist zwar ausgeführt, dass eine „umfassende Tataufbereitung“ stattgefunden hat, weshalb der Kläger sowohl die Aufarbeitung seiner Tat als auch eine Verbesserung der Fähigkeiten zur Selbstbeobachtung und Selbstkontrolle erreichen konnte, um die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Tat entscheidend zu verringern. Deshalb kann nach Auffassung der Unterzeichnerin des Schreibens der JVA vom 31.01.2017 davon ausgegangen werden, dass der Kläger „wahrscheinlich zum Zweidrittelzeitpunkt entlassen wird.“ An diese Einschätzung ist das erkennende Gericht nicht gebunden.
55 
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (z. B. Urteil vom 15.01.2013 – 1 C 10/12 – Rn. 18, juris m.w.N.) haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen. Dabei sind sie an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte - und wie hier, an Beurteilungen der JVA zur Entlassung zum Zweidrittelzeitpunkt -rechtlich nicht gebunden. Entscheidungen der Strafgerichte nach § 57 StGB sind zwar von tatsächlichem Gewicht und stellen bei der ausländerrechtlichen Prognose ein wesentliches Indiz dar. Von ihnen geht aber keine Bindungswirkung aus. Sie haben auch nicht zur Folge, dass die Wiederholungsgefahr zumindest in der Regel wegfällt. Dies gilt auch dann, wenn die Strafvollstreckungskammer zur Vorbereitung ihrer Entscheidung ein Sachverständigengutachten eingeholt hat. Denn auch dieses orientiert sich inhaltlich an den materiellen strafrechtlichen Vorausset-zungen einer Aussetzungsentscheidung (BVerwG, Urteil vom 15.01.2013, aaO, Rn. 18, juris). Soweit die Prognose der Wiederholungsgefahr Bedeutung im Rahmen einer grundrechtlich erforderlichen Abwägung hat, bedarf es einer substantiierten Begründung, wenn von der strafgerichtlichen Einschätzung abgewichen werden soll (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 – Rn. 21, juris m.w.N.). Danach besteht keine Bindung an die Stellungnahme der JVA vom 31.01.2017, auch nicht an vorausgegangene, durch die erneute Straffälligkeit des Klägers ohnehin überholte Entscheidungen der Strafvollstreckungskammer.
56 
Nach Auffassung der Unterzeichnerin des Schreibens der JVA vom 31.01.2017 hat der Kläger die von ihm begangenen Straftaten „durch regelmäßige psychologische Gespräche“ aufgearbeitet, was positiv im Rahmen der Rückfallgefahr zu bewerten ist. Genaue Angaben zum zeitlichen Umfang der Aufarbeitung sind dem Schreiben vom 31.01.2017 aber nicht zu entnehmen. Der Schlussfolgerung der Unterzeichnerin, dass durch die Einzelgespräche sowohl die Aufarbeitung seiner Tat als auch eine Verbesserung der Fähigkeiten zur Selbstbeobachtung und Selbstkontrolle erreicht werden konnten, um die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Tat „entscheidend zu verringern“ (Seite 3), vermag sich das erkennenden Gericht aber nicht anzuschließen. Denn aufgrund der in der mündlichen Verhandlung deutlich gewordenen Persönlichkeitsstruktur des Klägers liegen Hinweise dafür vor, dass er zwar rational seine strafrechtlichen Verfehlungen bereut, die Einhaltung der Rechtsordnung aber noch nicht als gefestigter Bestandteil seiner Persönlichkeit geworden ist. Dem steht gerade seine nicht plausible Erklärung entgegen, dass er den Handel mit Betäubungsmitteln aufgenommen habe, um den Wünschen seiner Kinder Rechnung tragen zu können. Von einer gefestigten Persönlichkeitsänderung und Einsicht in das begangene Unrecht kann beim Kläger kann deshalb derzeit noch nicht gesprochen werden. Eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit und das Leben anderer ist deshalb nicht ausgeschlossen oder deutlich gemindert.
57 
Der hohe Unrechtsgehalt der begangenen Straftaten sowie die dadurch verletzten Rechtsgüter, die Rückfallgeschwindigkeit und die noch fehlende Einsicht in das begangene Unrecht sowie die noch nicht gefestigte Persönlichkeit des Klägers rechtfertigen nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts derzeit die Annahme, dass eine hohe Rückfallgefahr besteht.
1. 4.
58 
Weiter sind nach § 53 Abs. 2 AufenthG n.F. bei der Abwägung nach den Umständen des Einzelfalls, wie sie § 53 Abs. 1 AufenthG n.F. erfordert, insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat sowie die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner zu berücksichtigen. Für ein Bleibeinteresse (siehe § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG n.F.) des Klägers sprechen folgende Gesichtspunkte: Die erhebliche Dauer des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet; er reiste 1996 mit einem Visum zum Familiennachzug zu seiner hier lebenden Ehefrau, damals noch türkische Staatsangehörige, nach und erhielt zunächst eine befristete Aufenthaltserlaubnis, die jeweils befristet verlängert wurde; seit 2001 ist er im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, die seit 2005 als Niederlassungserlaubnis fortgilt. Damit sind die Anforderungen des § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG n.F. erfüllt, weshalb das Bleibeinteresse besonders schwer wiegt. Ferner ist beachtlich, dass der Kläger in Belgien geboren ist und dort bis zu seinem achten Lebensjahr aufwuchs und deshalb als Kind teilweise europäisch geprägt worden ist.
59 
Des Weiteren sind wirtschaftliche Bindungen zu seinen Gunsten zu beachten, die es in der Vergangenheit gab. Vom 10.03.1997 bis zu seiner Festnahme am 18.12.2008 ging der Kläger einer Beschäftigung nach, teils unselbständig, teils selbständig, mittels der er den Lebensunterhalt seiner Familie sichern konnte. Nach seiner Entlassung aus der Haft am 22.12.2011 war er nach vorübergehender Arbeitslosigkeit von Juli 2012 bis 04.02.2013 als Fahrer tätig. Weil sein Verdienst nicht ausreichte, erhielten er und seine Familie zusätzlich Leistungen nach SGB II (ALG II).
60 
Das Bleibeinteresse des Klägers wiegt auch deshalb besonders schwer nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG n.F., weil seine Ehefrau seit 06.07.1998 und die gemeinsamen Kinder deutsche Staatsangehörige sind, mit denen der Kläger vor seiner zweiten Inhaftierung in familiärer Lebensgemeinschaft lebte (OVG Saarland, Beschluss vom 17.06.2016 – 2 B 124/16 – Rn. 13, juris). Die häufigen Besuche der Ehefrau und Kinder in der JVA sind aufgrund der Besuchslisten der JVA aktenkundig gemacht. Die Rückkehr in die Familie ist nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung und denen seiner ebenfalls anwesend gewesenen Ehefrau vorgesehen. Ferner sind noch zwei Kinder minderjährig, die am 01.05.2001 und am 14.04.2008 geboren sind, also 16 und neun Jahre alt sind.
61 
Art. 6 GG gewährt Ausländern zwar keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt im Bundesgebiet. Das Grundgesetz überantwortet die Entscheidung, in welcher Zahl und unter welchen Voraussetzungen der Zugang zum Bundesgebiet ermöglicht werden soll, weitgehend der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat Ehe und Familie zu schützen und zu fördern hat, dazu, bestehende eheliche und familiäre Bindungen an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfGE 76, 1, 47 f., 49 ff.). Für das Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK gilt im Ergebnis nichts anderes. Auch die Menschenrechtskonvention garantiert nicht das Recht eines Ausländers, in einen bestimmten Staat einzureisen oder sich dort aufzuhalten. Die Vertragsstaaten haben vielmehr das Recht, über Einreise und Aufenthalt fremder Staatsangehöriger unter Beachtung der in der Konvention geschützten Rechte zu entscheiden, wobei Art. 8 EMRK sie verpflichtet, einen angemessenen Ausgleich der berührten Rechte und der öffentlichen Interessen herzustellen (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 10.03.2009 – 11 S 2990/08 – Rn. 29, juris unter Hinweis auf: EGMR, Urteil vom 19.02.1996 - Nr. 53/1995/559/645 - Gül/Schweiz Rn. 38, InfAuslR 1996, 245; Urteil vom 31.01.2006 - Nr. 50435/99 - Rodrigues da Silva und Hoogkamer/Niederlande - Rn. 39, EuGRZ 2006, 562).
62 
Den deutschen Familienangehörigen des Klägers, seiner Ehefrau und den minder-jährigen Kindern, ist eine gemeinsame Ausreise mit dem Kläger in die Türkei auf Dauer nicht zumutbar. Dazu sind die Familienangehörigen des Klägers aufgrund der Ausweisung des Klägers aber auch nicht verpflichtet. Für die deutsche Ehefrau und minderjährigen Kinder ist eine vorübergehende Trennung vom Kläger zumutbar. Die Wirkungen der Trennung können durch Besuche in der Türkei und durch die heutigen Telekommunikationsmittel erleichtert werden. In der mündlichen Verhandlung ist zwar sowohl durch den Kläger als auch seinen 16-jährigen Sohn sowie die anwesende Beraterin des Jugendamtes, die die Familie seit ca. zwei Jahren betreut, deutlich geworden, dass der Kläger in alle Familienangelegenheiten durch regelmäßige Besuche in der JVA eingebunden war und seine Mitverantwortung auf diese Weise wahrgenommen hat. Dies lässt sich mithilfe moderner Kommunikationsmittel wie Skype und WhatsApp aufrechterhalten und so die tatsächliche Trennung teilweise, wenngleich nicht gänzlich, ausgleichen. Gleichwohl führt die Ausweisung nicht zu unzumutbaren Folgen. Die volljährigen Kinder des Klägers können sich ohnehin nicht auf Art. 6 GG berufen.
63 
Zugunsten des Klägers ist auch die von der JVA Offenburg am 17.02.2017 erstellte positive Sozialprognose zu beachten, die, wie bereits ausgeführt, zu einer Vollzugs-lockerung sowie der Aufnahme einer Arbeit und Aufenthalten in der Familie am Wochenende geführt haben.
1.5.
64 
Das besonders schwer wiegende Ausweisungsinteresse überwiegt jedoch das ebenfalls besonders schwer wiegende Bleibeinteresse des Klägers und die Ausweisung ist verhältnismäßig. Die Abwägung der sich gegenüber stehenden Interessen fällt zugunsten des Ausweisungsinteresses aus, weil der Unrechtsgehalt der begangenen Straftaten besonders hoch ist, und die drohenden Rechtsgutverletzungen für Leib und Leben ebenfalls besonders ins Gewicht fallen. Sowohl die Geiselnahme als auch bandenmäßiges unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen, darunter mit Kokain, belegen, dass der Kläger besonders schützenswerte Rechtsgüter wie Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 GG) missachtet hat, um seine Einkommensverhältnisse aufzubessern und, wie er in der mündlichen Verhandlung erklärte, seinen damals noch jüngeren Kinder ihre Wünsche zu erfüllen.
65 
Die Tatausführung beider strafrechtlichen Verfehlungen, der Geiselnahme und des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. mit Kokain, lassen eine hohe kriminelle Energie des Klägers erkennen, die das Strafgericht zum Anlass genommen hat, den Strafrahmen auszuschöpfen und eine hohe Strafe zu verhängen. Dies sowie die beachtliche Rückfallgeschwindigkeit sowie die deshalb derzeit bestehende hohe Wiederholungsgefahr sowie die noch nicht gefestigte Persönlichkeit des Klägers, wie sie in der mündlichen Verhandlung deutlich geworden ist, lassen nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts die Schlussfolgerung zu, dass das Ausweisungsinteresse höher wiegt als das Bleibeinteresse des Klägers.
2.
66 
Die Abschiebungsandrohung ist ebenfalls rechtmäßig. Rechtsgrundlage für die in der Abschiebungsandrohung gesetzte Ausreisefrist ist § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Danach ist die Abschiebung unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Dieser zeitliche Rahmen kann als der gesetzliche Regelfall angesehen werden. Daneben sieht § 59 Abs. 1 AufenthG die Möglichkeit vor, die Frist ausnahmsweise kürzer (Satz 2) oder auch länger (Satz 4) zu bestimmen.
67 
Die sogenannten inlandsbezogenen Abschiebungsverbote, etwa aus Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK wegen „Verwurzelung“, stehen dem Erlass der Abschiebungsandrohung nicht entgegenstehen (§ 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Selbst wenn der Kläger einen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung (Duldung) wegen rechtlicher oder tatsächlicher Unmöglichkeit der Abschiebung i.S.d. § 60a Abs. 2 AufenthG hätte, bliebe die Androhung der Abschiebung rechtmäßig, weil die Duldung die (vollziehbare) Ausreisepflicht unberührt lässt, § 60a Abs. 3 AufenthG.
68 
Soweit der Kläger-Vertreter in der mündlichen Verhandlung eingewendet hat, dass die politische Entwicklung in der Türkei möglicherweise Probleme für den Kläger bereite, macht er zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote geltend, die nicht von der Ausländerbehörde (vgl. § 42 AsylG ) zu prüfen sind. Für die Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zuständig ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (s. §§ 13, 31 Abs. 3 Satz 1, 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) (s. BVerwG, Urteile vom 08.09.2011 - 10 C 14/10 - juris Rn.17, vom 29.06.2010 - 10 C 10/09 - juris Rn. 6 zum AsylVfG).
3.
69 
Hinsichtlich des auf die Aufhebung der Befristung für die Ausweisung gerichteten Hilfsantrags ist die Klage zulässig, aber unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verpflichtung der Behörde zur Neubescheidung und keinen Anspruch auf Verpflichtung zur Festsetzung einer Frist von unter acht bzw. fünf Jahren (§ 113 Abs. 5 S. 1 und 2 VwGO).
70 
Nach § 11 Abs. 1 AufenthG n.F. darf ein Ausländer, der - wie der Kläger - ausgewiesen worden ist, weder erneut in das Bundesgebiet einreisen, noch sich darin aufhalten, noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden (Einreise- und Aufenthaltsverbot).
71 
Nach § 11 Abs. 2 S. 1 AufenthG n.F. beginnt die Frist mit der Ausreise und ist gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung festzusetzen. Über die Länge der Frist wird nach § 11 Abs. 3 AufenthG n.F. nach Ermessen entschieden. Die Frist darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht (Satz 2), und soll zehn Jahre nicht überschreiten (Satz 3).
72 
Nach der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG ist über die Länge der Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach Ermessen zu entscheiden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Diese gesetzgeberische Entscheidung ist mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren (BVerwG, Urteil vom 22. 02.2017 – 1 C 3/16 – juris Rn. 65 und Urteil vom gleichen Tage - 1 C 27.16 - juris Rn. 20 ff.). Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorläuferfassung des § 11 AufenthG a.F., wonach eine gebundene Entscheidung zu treffen war (BVerwG, Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.), erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihm ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 – 1 C 3/16 – juris Rn. 65, 66 und BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 – 1 C 27/16 – juris Rn. 19).
73 
Damit hat der Ausländer einen Anspruch auf eine Befristungsentscheidung zusammen mit der Ausweisungsverfügung ("ob"). Hinsichtlich der Länge der festzusetzen-den Frist ("wie") bestimmt § 11 Abs. 3 AufenthG n.F. in seiner aktuellen Fassung ausdrücklich, dass hierüber im Rahmen der gesetzlichen Vorgabe nach Ermessen zu entscheiden ist, dass die Frist nur unter bestimmten Voraussetzungen fünf Jahre überschreiten darf und zehn Jahre nicht überschreiten soll.
74 
Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG), sowie unions- und konventionsrechtlich den Vorgaben aus Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 12. Dezember 2007 (BGBl. 2008 II S. 1165) und Art. 8 EMRK gemessen und ggf. relativiert werden (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 – 1 C 27/16 – juris Rn. 23 unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange. Da für die gerichtliche Überprüfung der Befristungsentscheidung auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist, trifft die Ausländerbehörde auch während des gerichtlichen Verfahrens - wie nach altem Recht bei der Ermessensausweisung (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 20 m.w.N.) - eine Pflicht zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Befristungsentscheidung und ggf. zur Ergänzung ihrer Ermessenserwägungen (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 – 1 C 27/16 – juris Rn. 23).
75 
Die behördliche Befristungsentscheidung unterliegt auch als Ermessensentscheidung über § 114 Abs. 1 S. 1 VwGO einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle. Bei der Ermessensausübung stellt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für die Behörde eine gesetzliche Ermessensgrenze dar; ein Verstoß dagegen führt zu einer Ermessensüberschreitung (§ 114 Abs. 1 S. 1 VwGO). Nichts anderes gilt in Bezug auf unionsrechtlich zu beachtende Vorgaben. Die Entscheidung des Gesetzgebers, der Ausländerbehörde bei der Bestimmung der Frist einen gewissen Spielraum einzuräumen, führt daher im Ergebnis nicht zu einer Verschlechterung der Rechtsstellung des Betroffenen, da die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens von dem im Einzelfall zulässigen Höchstmaß der Frist nicht zu Lasten des Ausländers abweichen darf. Die Einhaltung dieser Obergrenze unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 27/16 – juris Rn. 24 f).
76 
In Anwendung dieser Grundsätze ist die hier getroffene und nachgeschobene Ermessensentscheidung des beklagten Landes nicht zu beanstanden, auch nicht mit Rücksicht auf § 114 S. 2 VwGO, weil bei Erlass der Ausweisungs- und Befristungsentscheidung keine Ermessensregelung galt, weshalb keine Ermessensentscheidung getroffen wurde, die ergänzungsfähig wäre; vielmehr war eine vollständige Nachholung der Ermessensentscheidung geboten.
77 
Da die Entscheidung über die Länge des Einreise- und Aufenthaltsverbots im Ermessen der Ausländerbehörde liegt, hat der Kläger einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf die von ihm begehrte Verpflichtung des Beklagten zur Festsetzung einer Frist von unter fünf Jahren nur im Falle einer entsprechenden Ermessensverdichtung zu seinen Gunsten. Hierfür ist im vorliegenden Fall nichts ersichtlich. § 11 Abs. 3 S. 2 AufenthG n.F. bestimmt lediglich, unter welchen Voraussetzungen die Frist fünf Jahre überschreiten darf.
78 
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet unter den gegebenen Umständen nicht die Festsetzung einer Frist von unter fünf Jahren. Sie darf aber fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht (§ 11 Abs. 3 S. 2 AufenthG). Der Kläger wurde wegen einer strafgerichtlichen Verurteilung ausgewiesen. Außerdem liegt bei ihm auch eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vor, weshalb auf Fragen der unionskonformen Auslegung (s. Hailbronner, aaO, § 11 Rn. 112 m.w.N.) des § 11 Abs. 3 S. 2 AufenthG n.F. nicht näher eingegangen werden muss.
79 
Zur Auslegung der „Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" hat der EuGH (Urteil vom 24.06.2015 - C-373/13 - juris Rn. 77 ff.; BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 – 1 C 3/16 – Rn. 51, juris), wie bereits zu § 53 Abs. 3 AufenthG n.F. ausgeführt worden ist (s. 1.3.), zunächst Bezug auf seine Rechtsprechung zu den Begriffen der "öffentlichen Sicherheit" und der "öffentlichen Ordnung" in Art. 27 und 28 der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG genommen. Danach umfasst der Begriff "öffentliche Sicherheit" im Sinne von Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats. Der Begriff der "zwingenden Gründe" deutet auf einen besonders hohen Schweregrad der Beeinträchtigung hin. Den Begriff der "öffentlichen Ordnung" hat der EuGH für die Unionsbürgerrichtlinie dahin ausgelegt, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliegen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 – 1 C 3/16 – juris Rn. 51). Darauf ist auch zur Bestimmung der „schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" zurückzugreifen (siehe auch Hailbronner, aaO, § 11, Rn. 113 ff. m.w.N.).
80 
Ein Grundinteresse der Gesellschaft ist bei strafrechtlichen Verurteilungen der vorliegenden Art, Geiselnahme und gewerbsmäßiges Handeln mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen, gegeben, weil die mit Verfassungsrang (Art. 2 Abs. 2 GG) geschützten Rechtsgüter, die körperliche Unversehrtheit und das Leben anderer, verletzt bzw. bedroht wurden. Keiner Entscheidung bedarf hier, ob ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zwangsläufig ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
81 
Die Erwägungen des beklagten Landes im Schriftsatz vom 23.03.2017 lassen keine Ermessensfehler erkennen (§ 114 S. 1 VwGO). Das beklagte Land hat sich bei der Bemessung der Frist an spezial- und generalpräventiven Gründen orientiert und seine Entscheidung auf beide Aspekte gestützt. Die Erklärung des beklagten Landes ist dahin zu verstehen, dass beide Aspekte zusammen („und“) gesehen werden, nicht unabhängig voneinander. Dies ist im Grundsatz nicht zu beanstanden.
82 
Generalpräventive Gründe dürfen jedenfalls außerhalb der Fallgruppen § 53 Abs. 3 AufenthG n.F. bei der Bemessung der Frist miteinbezogen werden, soweit sie generell und bezogen auf den Einzelfall geeignet sind, eine generalpräventive Wirkung zu erzielen (kritisch dazu: Bauer in Bergmann/Dienelt, AufenthG, Kommentar, § 11 Rn. 60). Dies trifft jedenfalls für Delikte zu, bei denen unter Gewaltanwendung und Drohungen die körperliche Unversehrtheit und das Leben der betroffenen Opfer verletzt wurden. Beide Deliktsgruppen rechtfertigen eine Befristung der Wirkungen der Ausweisung über fünf Jahren.
83 
Unter den spezialpräventiven Gesichtspunkten hat das beklagte Land die vom Kläger ausgehende Wiederholungsgefahr zugrunde gelegt und daraus abgeleitet, dass dies die Festsetzung eines mehrjährigen Einreiseverbotes im öffentlichen Interesse erfordert. Auch dies ist rechtsfehlerfrei. Des Weiteren hat das beklagte Land berücksichtigt, dass der Kläger vor Antritt seiner mehrjährigen Haftstrafe mit seiner deutschen Ehefrau und seinen vier deutschen Kindern, darunter mittlerweile zwei Minderjährige, zusammengelebt hat, dass die Familie den Kläger während der Haft häufig besucht hat und dass an der Aufrechterhaltung der familiären Lebensgemeinschaft festgehalten werden soll. Art. 6 GG und Art. 8 EMRK ist damit Rechnung getragen.
84 
Das Abwägungsergebnis ist zwar knapp begründet, es berücksichtigt aber die „persönlichen und privaten Belange“ des Klägers und ist verhältnismäßig. Die Festsetzung von einer Frist von acht Jahren ist geeignet, angemessen und erforderlich, um dem spezialpräventiven Ausweisungszweck beim Kläger Rechnung zu tragen. Maßgebend dafür ist die vom Kläger ausgehende beachtliche Wiederholungsgefahr für Straftaten, wie er sie in der Vergangenheit begangen hat, sowie deren hoher Unrechtsgehalt.
85 
Die (vorübergehende) Trennung für acht Jahre von seiner deutschen Ehefrau und zwei minderjährigen sowie zwei volljährigen Kindern hat das beklagte Land in seine Erwägungen einbezogen. Das Ergebnis der Abwägung verstößt nicht gegen Art. 6 GG und Art. 8 EMRK. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen zu den Bleibeinteressen des Klägers (1.4.) Bezug genommen.
86 
Es sind keine gewichtigen Anhaltspunkte ersichtlich, die das Abwägungsergebnis unverhältnismäßig oder sonst rechtsfehlerhaft erscheinen ließen.
87 
Klarstellend weist das erkennende Gericht auf die Möglichkeit eines späteren Abänderungsantrags nach § 11 Abs. 4 AufenthG n.F. hin, wonach das Einreise- und Aufenthaltsverbot zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist nach Absatz 2 verkürzt werden kann. Der Kläger hat hiernach die Möglichkeit, falls sich künftig die tatsächlichen Verhältnisse zu seinen Gunsten verändern sollten, einen Abänderungsantrag zur Befristung zu stellen.
4.
88 
Die Befristung der Abschiebung auf zwei Jahre begegnet ebenfalls keinen Bedenken. Sie ist im Hinblick auf die begangenen Straftaten des Klägers verhältnismäßig und ermessensfehlerfrei.
89 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
90 
Beschluss
91 
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 8.2 und 8.3 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 auf EUR 7.500,-- festgesetzt.
92 
Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 Satz 1, 3 und 5 GKG verwiesen.

Gründe

 
26 
Die zulässige Klage ist unbegründet.
27 
Der Bescheid des Beklagten vom 21.05.2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Die Ausweisung (1.) und die Abschiebungsandrohung (2.) sowie die Befristung der Ausweisung (3.) und der Abschiebung (4.) sind rechtmäßig.
1.
28 
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung und der vom Kläger begehrten kürzeren Befristung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (stRspr, BVerwG, Urteil vom 15.01.2013 – 1 C 10/12 – Rn. 12, juris).
29 
Die Ausweisungsverfügung ist mangels entgegenstehender Übergangsregelung anhand der §§ 53 ff. AufenthG in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386), geändert durch Gesetz vom 11.03.2016 mit Wirkung zum 17.03.2016, zu überprüfen. Die noch nach altem Recht verfügte Ausweisung wird nach Inkrafttreten der §§ 53 bis 55 AufenthG n.F. nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht, also § 53 Abs. 1 AufenthG n.F. (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 – 1 C 3.16 – UA Rz. 21; BayVGH, Beschluss vom 16.03.2016 – 10 ZB 15.2109 – Rn. 14, juris unter Hinweis auf: Welte, InfAuslR 2015, 426; Cziersky/Reis in Hofmann, Kommentar zum Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl. 2016, § 53 Rn. 30; Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Kommentar, 11. Aufl. 2016, Vorb §§ 53-56 Rn. 13 und § 53 Rn. 5 ff.; OVG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 06.02.2017 - 2 L 119/15 - juris Rn. 16 m.w.N.; a.A. Marx, ZAR 2015, 245/246; vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.01.2016 - 11 S 889/15 - juris zu assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen).
30 
Gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG n.F. wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
31 
Das neue Ausweisungsrecht gibt das mit dem Ausländergesetz 1990 eingeführte dreistufige Konzept der Ist-, Regel-und kann-Ausweisung auf. Stattdessen hat sich der Gesetzgeber für ein einheitliches System der rechtlich gebundenen Ausweisung entschieden („wird ausgewiesen“), das vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017– 1 C 3.16 – UA Rn. 21). § 54 AufenthG n.F. benennt konkret die Gründe, wann das Ausweisungsinteresse „besonders schwer“ oder „schwer“ wiegt und knüpft damit an Tatbestände der früheren Ist- und Regelausweisung an. In § 55 AufenthG n.F. werden – spiegelbildlich hierzu – Tatbestände normiert, denen zufolge das Bleibeinteresse „besonders schwer“ oder „schwer“ wiegt, wobei auch die Aufzählung der „schwer“ wiegenden Bleibeinteressen nicht abschließend ist. In § 53 Abs. 2 AufenthG n.F. werden Gesichtspunkte genannt, die bei der Abwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sind, insbesondere die Dauer des Aufenthalts, Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, folgende Ausweisung für Angehörige und Partner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat. Die Ausweisung setzt nunmehr nach § 53 Abs. 1 AufenthG n.F. eine umfassende und Ergebnis offene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Sofern nach dieser Gesamtabwägung das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib in Deutschland überwiegt, wird der Ausländer ausgewiesen, andernfalls kommt eine Aufenthaltsbeendigung nach § 43 Abs. 1 AufenthG n.F. nicht in Betracht (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017– 1 C 3/16 – UA Rn. 22).
32 
Die Tatbestandsmerkmale der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im ausweisungsrechtlichen Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG n.F. sind nach der Begründung des Gesetzgebers im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (vgl.BT-Drs. 18/4097 S. 49). Auch die Gefährdung dieser Schutzgüter bemisst sich nach den im Allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten wird. Mit Blick auf die verwendeten Begriffe sowohl sollte keine Ausweitung des Gefahrenbegriffs gegenüber dem bislang geltenden Recht erfolgen, vielmehr sollten lediglich die bislang verwandten unterschiedlichen Formulierungen aneinander angeglichen werden. Die von § 53 Abs. 1 AufenthG n.F. geforderte Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers in Deutschland erfolgt dabei nach der Intention des Gesetzgebers nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen Ausweisungsentscheidung ist und ist damit gerichtlich voll überprüfbar (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017– 1 C 3/16 – UA Rn. 23).
33 
Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG n.F. erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG n.F. von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder „besonders schwerwiegend“ (Abs. 1) oder als „schwerwiegend“ (Abs. 2). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sind neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG n.F. aufgeführten Interessen aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (vgl. BT Drucksache 18/4097 S.49). Die Katalogisierung schließt demnach die Berücksichtigung weiterer Umstände im Rahmen der nach § 53 Abs. 2 AufenthG n.F. zutreffenden Abwägungsentscheidung nicht aus. Dies folgt bereits aus dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG n.F. ist aber für die schwerwiegenden, aufgrund der Vielgestaltigkeit der Lebenssituationen bewusst nicht abschließend aufgezählten Bleibeinteressen in § 55 Abs. 2 AufenthG n.F. nochmals ausdrücklich normiert. Die nunmehr als schwerwiegend oder besonders schwerwiegend qualifizierten Ausweisungsinteressen im Sinne von § 54 AufenthG n.F. decken sich weitgehend – aber nicht vollständig – mit den früheren Gründen für eine Regel- und Ist-Ausweisung, die schwerwiegenden und besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen greifen Fälle des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 AufenthG n.F. auf (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017– 1 C 3/16 – UA Rn. 24).
34 
Bei der Abwägung sind schließlich gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG n.F. nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht („Boultif/Üner-Kriterien“). Die in § 53 Abs. 2 AufenthG n.F. genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Auslandes wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 – 1 C 3/16 – UA Rn. 25).
35 
Die in § 54 AufenthG n.F. fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 HS 1 AufenthG n.F. und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 HS 2 und Abs. 3 AufenthG n.F. geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 HS 1 AufenthG n.F. ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG n.F. verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG n.F. stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 – 1 C 3/16 – UA Rn. 26).
36 
Beim Kläger liegt ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG n.F. vor (1.1.). Die Voraussetzungen des § 53 Abs. 3 AufenthG n.F. sind nicht erfüllt (1.2.). Im Rahmen des § 53 Abs. 1 AufenthG n.F. ist zu berücksichtigen, dass beim Kläger eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung von Straftaten, bei denen die körperliche Unversehrtheit und das Leben anderer bedroht oder verletzt werden, vorliegt (1.3.). Dem besonders schwer wiegenden öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen besonders schwer wiegende Bleibeinteressen des Klägers gegenüber (1.4.). Das Ausweisungsinteresse überwiegt jedoch die privaten Bleibeinteressen des Klägers (1.5.).
1.1.
37 
Gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG n.F. wiegt das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 besonders schwer, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist. Das Gleiche gilt, wenn er nach Nr. 1 a. wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist; bei serienmäßiger Begehung von Straftaten gegen das Eigentum wiegt das Ausweisungsinteresse auch dann besonders schwer, wenn der Täter keine Gewalt, Drohung oder List angewendet hat.
38 
Der Kläger wurde mit Urteil vom 09.10.2013 wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und vier Monaten verurteilt; damit sind die Anforderungen des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG n.F. erfüllt.
39 
Ob die Heranziehung der Verurteilung des Klägers wegen Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§§ 223 Abs.1, 224 Abs. 1 Nr. 4, 239 a Abs. 2 und 4, 239 b Abs. 1 2. HS, Abs. 2, 25 Abs. 2, 52 StGB) vom 30.06.2009 zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten für die Begründung eines besonders schwer wiegenden Ausweisungsinteresses gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 a AufenthG n.F. verbraucht ist (s. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 14.03.2017 - 11 S 383/17 - juris), weil der Kläger nach Aufhebung der Ausweisungsverfügung vom 22.10.2010 durch Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 23.10.2012 (- 11 S 1470/11 ), rechtskräftig seit dem 15.01.2013, im Besitz seiner unbefristeten Aufenthaltserlaubnis geblieben ist, ist nach Maßgabe des Grundsatzes des Vertrauensschutzes und den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen.
40 
Zwar kann als Ausprägung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes der "Verbrauch" eines Ausweisungsgrundes eintreten, wenn ein Tatbestand geschaffen wird, aufgrund dessen der Ausländer erwarten kann, dass ihm das Verbleiben im Bundesgebiet erlaubt wird. Das kann etwa der Fall sein, wenn die Ausländerbehörde dem Betroffenen in voller Kenntnis vom Vorliegen der Voraussetzungen für eine Ausweisung den weiteren Aufenthalt im Wege der vorbehaltlosen Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis ermöglicht (OVG NW, Beschluss vom 19.01.2017 – 18 A 2540/16 – Rn. 4 ff., juris m.w.N.). Ein derartiger "Verbrauch" eines Ausweisungsgrundes steht indes unter dem Vorbehalt, dass sich die für die behördliche Entscheidung maßgeblichen Umstände nicht ändern; eine solche Veränderung kann den dem Ausländer vermittelten Vertrauensschutz nachträglich wieder entfallen lassen. Dies gilt insbesondere dann, wenn dieser erneut in einschlägiger Weise strafrechtlich in Erscheinung tritt (OVG NW, Beschluss vom 19.01.2017, aaO, Rn. 6).
41 
Von einer solchen erheblichen Veränderung ist hier deshalb auszugehen, weil dem beklagten Land nach Aufhebung der Ausweisungsverfügung vom 22.10.2010 Tatsachen bekannt geworden sind, die die Frage des Bestehens einer Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung weiterer erheblicher Straftaten durch den Kläger und des Erfordernisses einer Ausweisung erneut aufgeworfen haben. Denn das beklagte Land ist bereits mit Schreiben vom 02.04.2013 über das Ermittlungsverfahren wegen eines besonders schweren Falles von § 29 Abs. 1 Ziff. 1 BtMG durch Übersendung der Anklageschrift informiert worden und daraufhin hat es mit Schreiben vom 22.05.2013 um einen Termin zur mündlichen Verhandlung in dem beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg anhängig gewesenen Ausweisungsverfahren gebeten. Das beklagte Land hat auch unverzüglich nach Eintritt der Rechtskraft des Strafurteils vom 09.10.2013 am 07.05.2014 mit Schreiben vom 23.04.2016 die Ausweisung des Klägers geprüft und die JVA Offenburg, in der der Kläger damals in Haft war, dazu um Stellungnahme gebeten. Im Anschluss daran hat das beklagte Land den Kläger mit Schreiben vom 07.08.2014 zur beabsichtigten Ausweisung angehört. Der zeitliche Zusammenhang der ersten Ausweisungsverfügung vom 22.10.2010 mit der Verurteilung am 09.10.2013 sowie die darauf eingeleiteten Schritte des beklagten Landes lassen kein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers zu, auf die Verurteilung vom 2009 werde nach der zweiten Verurteilung wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nicht zurückgegriffen.
1.2.
42 
Nach § 53 Abs. 3 AufenthG n.F. darf ein Ausländer, dem u.a. nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU besitzt, nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.
43 
Diese den Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG n.F. ergänzende Vorschrift legt erhöhte Ausweisungsvoraussetzungen für mehrere rechtlich privilegierte Personengruppen fest, für einen Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießt, der einen von der Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28.07.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBL. 1953 II S. 559) besitzt, für Personen, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder die eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU besitzen. Für alle diese Personengruppen gilt der besondere aus Art. 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG abgeleitete Maßstab, den der Gerichtshof der Europäischen Union auch auf Ausländer erstreckt hat, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht (EuGH, Urteil vom 08.12.2011 - C - 371/08, Ziebell -Slg. 2011, I- 12735 Rn. 79,86). Damit hat der Gesetzgeber den unionsrechtlichen Schutzstandard für daueraufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige für ausreichend befunden und dessen Geltung für alle genannten Personengruppen angeordnet. Dies entbindet freilich nicht davon, in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob für die jeweils betrachtete Personengruppe der so durch den nationalen Gesetzgeber definierte Ausweisungsschutz dem unionsrechtlichen Maßstab tatsächlich genügt. Nur wenn der unionsrechtliche Maßstab strenger ist als derjenige, der durch den Gesetzgeber in § 53 Abs. 3 AufenthG n.F. festgelegt worden ist, bedarf § 53 Abs. 3 AufenthG n.F. nach allgemeinen Grundsätzen einer unionrechtskonformen Auslegung, die angesichts der Weite der Tatbestandsmerkmale und des erkennbaren gesetzgeberischen Willens, europarechtlichen Maßstäben zu genügen, auch möglich ist (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 – 1 C 3/16 – UA Rn. 46 f).
44 
Für die Bestimmung des Bedeutungsinhalts der „zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung“ hat der EuGH (Urteil vom 24.06.2015 - C-373713 -) auf seine Rechtsprechung zu den Begriffen der „öffentlichen Ordnung“ und der“ öffentlichen Sicherheit“ in Art. 27 und 28 der Unionbürgerrichtlinie 2004/83/EG Bezug genommen (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017– 1 C 3/16 – UA Rn. 51 ff. und 60; vgl. auch Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, § 53 Rn. 124 ff.). Eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen ist hiernach unzulässig, wenn eine der Fallgruppen des § 53 Abs. 3 AufenthG erfüllt ist.
45 
Daran fehlt es beim Kläger, ihm steht derzeit keine Rechtsstellung nach den Artikeln 6 und 7 ARB 1/80, Art. 7 ARB (s. auch Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziationsabkommen) zu, weil er eine eventuell erworbene Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 hat er verloren. Insoweit wird auf das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 23.10.2012 - 11 S 1470/11 - UA, 15 f.) verwiesen. Er hat auch kein EU-Daueraufenthaltsrecht.
1.3.
46 
Beim Kläger liegt eine im Rahmen der Abwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG n.F. zu berücksichtigende Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung von Straftaten mit Gewalt gegen die körperliche Unversehrtheit und das Leben (Art. 2 Abs. 2 GG) anderer vor.
47 
Die Prognose für eine Wiederholungsgefahr ist, wie jede sicherheitsrechtliche Gefahrenprognose, nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts eine Korrelation aus Eintrittswahrscheinlichkeit und möglichem Schadensausmaß. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 – 1 C 19/11 – BVerwGE 143, 277 ff. Rn. 1 unter Hinweis auf Urteile vom 06.09.1974 - 1 C 17.73 - BVerwGE 47, 31, 40; vom 17.03.1981 - BVerwG 1 C 74.76 - BVerwGE 62, 36 ff. und vom 03.07.2002 - 6 CN 8.01 - BVerwGE 116, 347 ff.). Auch die den Gerichten der Mitgliedstaaten obliegende und auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Beurteilung, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt (EuGH, Urteil vom 08.12.2011 - C-371/08 – Ziebell, juris Rn. 17), kann im Hinblick auf die erforderliche Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts den Rang des bedrohten Rechtsguts nicht außer Acht lassen, denn dieser bestimmt die mögliche Schadenshöhe. Das bedeutet aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet. Zu § 12 Abs. 3 AufenthG/EWG hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass im Hinblick auf die Bedeutung des Grundsatzes der Freizügigkeit an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit keine zu geringen An-forderungen gestellt werden dürfen (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012, aaO, m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 04.10.2012 – 1 C 13.11 – Rn. 18).
48 
Beim Kläger besteht derzeit aufgrund der vorausgegangenen Verurteilungen eine konkrete Wiederholungsgefahr dahingehend, dass er ähnliche Straftaten wie er sie bereits begangen hat erneut begehen wird. Hinzu kommt, dass der hohe Unrechtsgehalt der begangenen Straftaten sowie die dadurch verletzten Rechtsgüter schwer wiegen. Denn bei Verstößen gegen das BtMG und gerade bei bandenmäßigem Handeltreiben mit Kokain besteht eine hohe Gefahr für die durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützten Rechtsgüter, der körperlichen Unversehrtheit und dem Leben der betroffenen Konsumenten. Bei derart hochrangigen Rechtgütern genügt auch die nur entfernte Möglichkeit einer Wiederholung (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012, aaO). Die der Verurteilung wegen Geiselnahme vom 30.09.2009 zugrundeliegenden Straftaten weisen ein hohes Gewaltpotential sowie eine Gefährdung und Verletzung der durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützten Rechtsgüter auf. Die abgeurteilte Körperverletzung geschah in Anwendung von Gewalt. Ferner setzt die Verurteilung wegen Geiselnahme nach § 239 b Abs. 1 2. HS StGB eine „Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben“, nämlich die Drohung mit dem Tod oder einer schweren Körperverletzung (§ 226 StGB) des Opfers voraus. Auf die Ausführungen im Strafurteil vom 30.06.2009 (UA, Seite 20 ff.) wird Bezug genommen. Danach beschlossen die Mittäter, darunter der Kläger, zur Erpressung eines Geständnisses „die Todesangst“ des Opfers „aufrecht zu erhalten und im weiteren Verlauf auszunutzen“ (UA, Seite 21). Ferner drückte ein Mittäter der Geschädigten ein Kissen „ins Gesicht, die vergeblich versuchte, sich wegzudrehen, und dabei mit dem Kopf gegen die Wand stieß. Sodann setzte er den Lauf der Pistole auf das Kissen und sagte: Nehmen wir das Kissen weg, dann ist es nicht so laut.“. Hierdurch wurde bei der Geschädigten der Eindruck erweckt, sie werde jetzt erschossen (UA, Seite 21). Diese dem Kläger als Mittäter zurechenbare Tatbegehung lässt ein hohes Maß an Rücksichtslosigkeit und Missachtung gegenüber der körperlichen Unversehrtheit und dem Leben des von der Tat betroffenen Opfers erkennen.
49 
Nach der Verurteilung wegen Geiselnahme vom 30.06.2009 bestand beim Kläger eine hohe Rückfallwahrscheinlichkeit. Insoweit verweist das erkennende Gericht auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 (4 K 3079/10).
50 
Die Annahme einer Wiederholungsgefahr hat sich durch die Verurteilung des Landgerichts Karlsruhe vom 09.10.2013 (4 KLS 610 Js 40635/12) wegen banden-mäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen, u.a. mit Kokain, bestätigt und - im Hinblick auf die kurzen Zeitabstände zwischen der ersten Ausweisungsverfügung, der Haftentlassung und erneuter Straffälligkeit - erhärtet. Der Kläger begann ausweislich des Strafurteils vom 09.10.2013 bereits drei Monate nach seiner Strafentlassung (am 22.12.2011) erneut mit dem Konsum von Kokain. Dies beweist eine beachtlich hohe Rückfallgeschwindigkeit. Selbst wenn es zuträfe, dass der Kläger, wie er im Laufe des Verfahrens bekundete, nicht drogenabhängig gewesen wäre, und deshalb der Tatbestand des § 54 Abs. 2 Nr. 4 AufenthG n.F. nicht erfüllt wäre, würde dies an der Annahme der Wiederholungsgefahr nichts ändern. Denn die zeitliche Aufeinanderfolge der ersten Ausweisungsverfügung (vom 22.10.2010) und den danach (im Februar 2012 verabredeten und) begangenen Straftaten, die zur Verurteilung des Klägers vom 09.10.2013 geführt haben, seine wesentliche Rolle bei der Beschaffung und Vertreibung der Betäubungsmittel sowie die dabei gezeigte hohe kriminelle Energie belegen eine hohe Rückfallgefahr. Bereits im Frühjahr 2012 traf er mit zwei Mittätern die Vereinbarung, sich in der Folgezeit in einer noch unbestimmten Anzahl von Fällen in regelmäßigen Abständen über einen längeren Zeitraum Straften der abgeurteilten Art zu unternehmen. Der Zeitablauf - Entlassung aus der Strafhaft am 22.12.2011, Verabredung zum bandenmäßigen unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln im Frühjahr 2012, bei der er die Hauptrolle übernahm, - zeigt, dass er eine hohe Rückfallgeschwindigkeit an den Tag legte und schwere Rechtsverstöße beging, die nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG n.F. ein besonders schweres Ausweisungsinteresses darstellen.
51 
Nachteilig zu bewerten ist auch, dass er sich weder durch die erste Verurteilung durch das Landgericht vom 30.06.2009, noch durch die Haftverbüßung, noch durch die Ausweisungsverfügung vom 22.10.2010 von der Begehung weiterer Straftaten hat abhalten lassen. Aufgrund der Ausweisungsverfügung vom 22.10.2010 hätte ihm klar werden müssen, welche Konsequenzen eine Straffälligkeit für ihn und seine Familie, vor allem für seine damals noch minderjährigen Kinder, hat und damit auch, welche Folgen eine erneute Straffälligkeit für ihn und seine Familie haben kann. Auf den Beschluss des erkennenden Gerichts vom 31.10.2016, mit dem die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt worden ist, wird Bezug genommen.
52 
Die Erklärungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung zum Grund seiner erneuten Straffälligkeit überzeugen nicht. Dass bei seiner Haftentlassung am 22.12.2011 eine hohe Rückfallgefahr bestand, hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung eingeräumt und dazu erklärt, er habe sich - mit seinen Worten - wie ein „Fisch an Land“, also außerhalb des Wassers, gefühlt. Die Kinder hätten nach seiner Entlassung dies und jenes gewünscht und gefordert; er habe ihnen ihre Wünsche erfüllen wollen und sich deshalb strafbar gemacht. Heute sehe er ein, dass dies der falsche weg gewesen sei. Dies habe er auch seinem in der mündlichen Verhandlung anwesend gewesenen 16-jährigen Sohn gesagt. Diese Darstellung des Klägers ist dahin zu verstehen, dass er unvorbereitet auf das Leben und ohne Aufarbeitung der vorausgegangenen Straftaten aus der Haft entlassen worden sei. Dies ist jedoch keine überzeugende Erklärung dafür, dass er sich wenige Monate nach seiner Entlassung über die Rechtsordnung hinweg gesetzt hat und wieder straffällig geworden ist, in der Form bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen. Denn dabei handelt es sich u.a. um einen Verstoß gegen besonders geschützte Rechtsgüter, der körperlichen Unversehrtheit und dem Leben (Art. 2 Abs. 2 GG) der betroffenen Konsumenten. Sofern er straffällig geworden sein soll, um die Wünsche seiner Kinder zu erfüllen, belegt dies, dass er zu diesem Zeitpunkt beachtlich uneinsichtig und labil war und deshalb eine hohe Rückfallgefahr bestand. Die Darstellung des Klägers macht zugleich deutlich, dass er den hohen Unrechtsgehalt der begangenen Straftaten - in der Vergangenheit und bis heute - nicht aufgearbeitet hat, sondern sein strafbares Verhalten mit den Wünschen seiner Kinder zu verbinden und herunterzuspielen versucht. Dass er aus Mitgefühl mit seinen Kindern der Versuchung erlegen sei, durch Straftaten Geld zu beschaffen, um deren Wünsche erfüllen zu können, überzeugt nicht. Die Ausführungen des Klägers belegen eine beachtlich hohe Neigung, sich außerhalb des Rechtsordnung zu bewegen und verfassungsrechtlich durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützte Rechtsgüter anderer seinen Vorstellungen unterzuordnen. Deshalb besteht derzeit eine hohe Rückfallgefahr in Bezug auf Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit und das Leben, trotz mittlerweile in der JVA aufgenommener Aufarbeitung der Straftaten, auf die noch eingegangen wird.
53 
Das kriminalprognostische Gutachten vom 24.09.2011 gelangte zwar damals zu dem für den Kläger positiven Ergebnis, dass trotz mangelnder inneren Auseinandersetzung mit der Tat nicht mehr davon auszugehen sei, dass die durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbestehe. Dass diese Einschätzung fehlerhaft war, belegen die begangenen Straftaten des Klägers und die deswegen erfolgte Verurteilung wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, weshalb das Gutachten vom 24.09.2011 widerlegt ist.
54 
Dass der Kläger seit kurzem im offenen Vollzug ist und eine Arbeitsstelle angenom-men hat sowie das Wochenende bei seiner Familie verbringen darf und dies auch wahrnimmt (siehe Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 19.04.2017 und Fortschreibung des Vollzugsplans vom 17.01.2017), steht der Annahme einer nach wie vor fortbestehenden Wiederholungsgefahr nicht entgegen. Im Schreiben der JVA vom 31.01.2017 ist zwar ausgeführt, dass eine „umfassende Tataufbereitung“ stattgefunden hat, weshalb der Kläger sowohl die Aufarbeitung seiner Tat als auch eine Verbesserung der Fähigkeiten zur Selbstbeobachtung und Selbstkontrolle erreichen konnte, um die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Tat entscheidend zu verringern. Deshalb kann nach Auffassung der Unterzeichnerin des Schreibens der JVA vom 31.01.2017 davon ausgegangen werden, dass der Kläger „wahrscheinlich zum Zweidrittelzeitpunkt entlassen wird.“ An diese Einschätzung ist das erkennende Gericht nicht gebunden.
55 
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (z. B. Urteil vom 15.01.2013 – 1 C 10/12 – Rn. 18, juris m.w.N.) haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen. Dabei sind sie an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte - und wie hier, an Beurteilungen der JVA zur Entlassung zum Zweidrittelzeitpunkt -rechtlich nicht gebunden. Entscheidungen der Strafgerichte nach § 57 StGB sind zwar von tatsächlichem Gewicht und stellen bei der ausländerrechtlichen Prognose ein wesentliches Indiz dar. Von ihnen geht aber keine Bindungswirkung aus. Sie haben auch nicht zur Folge, dass die Wiederholungsgefahr zumindest in der Regel wegfällt. Dies gilt auch dann, wenn die Strafvollstreckungskammer zur Vorbereitung ihrer Entscheidung ein Sachverständigengutachten eingeholt hat. Denn auch dieses orientiert sich inhaltlich an den materiellen strafrechtlichen Vorausset-zungen einer Aussetzungsentscheidung (BVerwG, Urteil vom 15.01.2013, aaO, Rn. 18, juris). Soweit die Prognose der Wiederholungsgefahr Bedeutung im Rahmen einer grundrechtlich erforderlichen Abwägung hat, bedarf es einer substantiierten Begründung, wenn von der strafgerichtlichen Einschätzung abgewichen werden soll (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 – Rn. 21, juris m.w.N.). Danach besteht keine Bindung an die Stellungnahme der JVA vom 31.01.2017, auch nicht an vorausgegangene, durch die erneute Straffälligkeit des Klägers ohnehin überholte Entscheidungen der Strafvollstreckungskammer.
56 
Nach Auffassung der Unterzeichnerin des Schreibens der JVA vom 31.01.2017 hat der Kläger die von ihm begangenen Straftaten „durch regelmäßige psychologische Gespräche“ aufgearbeitet, was positiv im Rahmen der Rückfallgefahr zu bewerten ist. Genaue Angaben zum zeitlichen Umfang der Aufarbeitung sind dem Schreiben vom 31.01.2017 aber nicht zu entnehmen. Der Schlussfolgerung der Unterzeichnerin, dass durch die Einzelgespräche sowohl die Aufarbeitung seiner Tat als auch eine Verbesserung der Fähigkeiten zur Selbstbeobachtung und Selbstkontrolle erreicht werden konnten, um die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Tat „entscheidend zu verringern“ (Seite 3), vermag sich das erkennenden Gericht aber nicht anzuschließen. Denn aufgrund der in der mündlichen Verhandlung deutlich gewordenen Persönlichkeitsstruktur des Klägers liegen Hinweise dafür vor, dass er zwar rational seine strafrechtlichen Verfehlungen bereut, die Einhaltung der Rechtsordnung aber noch nicht als gefestigter Bestandteil seiner Persönlichkeit geworden ist. Dem steht gerade seine nicht plausible Erklärung entgegen, dass er den Handel mit Betäubungsmitteln aufgenommen habe, um den Wünschen seiner Kinder Rechnung tragen zu können. Von einer gefestigten Persönlichkeitsänderung und Einsicht in das begangene Unrecht kann beim Kläger kann deshalb derzeit noch nicht gesprochen werden. Eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit und das Leben anderer ist deshalb nicht ausgeschlossen oder deutlich gemindert.
57 
Der hohe Unrechtsgehalt der begangenen Straftaten sowie die dadurch verletzten Rechtsgüter, die Rückfallgeschwindigkeit und die noch fehlende Einsicht in das begangene Unrecht sowie die noch nicht gefestigte Persönlichkeit des Klägers rechtfertigen nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts derzeit die Annahme, dass eine hohe Rückfallgefahr besteht.
1. 4.
58 
Weiter sind nach § 53 Abs. 2 AufenthG n.F. bei der Abwägung nach den Umständen des Einzelfalls, wie sie § 53 Abs. 1 AufenthG n.F. erfordert, insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat sowie die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner zu berücksichtigen. Für ein Bleibeinteresse (siehe § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG n.F.) des Klägers sprechen folgende Gesichtspunkte: Die erhebliche Dauer des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet; er reiste 1996 mit einem Visum zum Familiennachzug zu seiner hier lebenden Ehefrau, damals noch türkische Staatsangehörige, nach und erhielt zunächst eine befristete Aufenthaltserlaubnis, die jeweils befristet verlängert wurde; seit 2001 ist er im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, die seit 2005 als Niederlassungserlaubnis fortgilt. Damit sind die Anforderungen des § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG n.F. erfüllt, weshalb das Bleibeinteresse besonders schwer wiegt. Ferner ist beachtlich, dass der Kläger in Belgien geboren ist und dort bis zu seinem achten Lebensjahr aufwuchs und deshalb als Kind teilweise europäisch geprägt worden ist.
59 
Des Weiteren sind wirtschaftliche Bindungen zu seinen Gunsten zu beachten, die es in der Vergangenheit gab. Vom 10.03.1997 bis zu seiner Festnahme am 18.12.2008 ging der Kläger einer Beschäftigung nach, teils unselbständig, teils selbständig, mittels der er den Lebensunterhalt seiner Familie sichern konnte. Nach seiner Entlassung aus der Haft am 22.12.2011 war er nach vorübergehender Arbeitslosigkeit von Juli 2012 bis 04.02.2013 als Fahrer tätig. Weil sein Verdienst nicht ausreichte, erhielten er und seine Familie zusätzlich Leistungen nach SGB II (ALG II).
60 
Das Bleibeinteresse des Klägers wiegt auch deshalb besonders schwer nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG n.F., weil seine Ehefrau seit 06.07.1998 und die gemeinsamen Kinder deutsche Staatsangehörige sind, mit denen der Kläger vor seiner zweiten Inhaftierung in familiärer Lebensgemeinschaft lebte (OVG Saarland, Beschluss vom 17.06.2016 – 2 B 124/16 – Rn. 13, juris). Die häufigen Besuche der Ehefrau und Kinder in der JVA sind aufgrund der Besuchslisten der JVA aktenkundig gemacht. Die Rückkehr in die Familie ist nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung und denen seiner ebenfalls anwesend gewesenen Ehefrau vorgesehen. Ferner sind noch zwei Kinder minderjährig, die am 01.05.2001 und am 14.04.2008 geboren sind, also 16 und neun Jahre alt sind.
61 
Art. 6 GG gewährt Ausländern zwar keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt im Bundesgebiet. Das Grundgesetz überantwortet die Entscheidung, in welcher Zahl und unter welchen Voraussetzungen der Zugang zum Bundesgebiet ermöglicht werden soll, weitgehend der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat Ehe und Familie zu schützen und zu fördern hat, dazu, bestehende eheliche und familiäre Bindungen an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfGE 76, 1, 47 f., 49 ff.). Für das Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK gilt im Ergebnis nichts anderes. Auch die Menschenrechtskonvention garantiert nicht das Recht eines Ausländers, in einen bestimmten Staat einzureisen oder sich dort aufzuhalten. Die Vertragsstaaten haben vielmehr das Recht, über Einreise und Aufenthalt fremder Staatsangehöriger unter Beachtung der in der Konvention geschützten Rechte zu entscheiden, wobei Art. 8 EMRK sie verpflichtet, einen angemessenen Ausgleich der berührten Rechte und der öffentlichen Interessen herzustellen (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 10.03.2009 – 11 S 2990/08 – Rn. 29, juris unter Hinweis auf: EGMR, Urteil vom 19.02.1996 - Nr. 53/1995/559/645 - Gül/Schweiz Rn. 38, InfAuslR 1996, 245; Urteil vom 31.01.2006 - Nr. 50435/99 - Rodrigues da Silva und Hoogkamer/Niederlande - Rn. 39, EuGRZ 2006, 562).
62 
Den deutschen Familienangehörigen des Klägers, seiner Ehefrau und den minder-jährigen Kindern, ist eine gemeinsame Ausreise mit dem Kläger in die Türkei auf Dauer nicht zumutbar. Dazu sind die Familienangehörigen des Klägers aufgrund der Ausweisung des Klägers aber auch nicht verpflichtet. Für die deutsche Ehefrau und minderjährigen Kinder ist eine vorübergehende Trennung vom Kläger zumutbar. Die Wirkungen der Trennung können durch Besuche in der Türkei und durch die heutigen Telekommunikationsmittel erleichtert werden. In der mündlichen Verhandlung ist zwar sowohl durch den Kläger als auch seinen 16-jährigen Sohn sowie die anwesende Beraterin des Jugendamtes, die die Familie seit ca. zwei Jahren betreut, deutlich geworden, dass der Kläger in alle Familienangelegenheiten durch regelmäßige Besuche in der JVA eingebunden war und seine Mitverantwortung auf diese Weise wahrgenommen hat. Dies lässt sich mithilfe moderner Kommunikationsmittel wie Skype und WhatsApp aufrechterhalten und so die tatsächliche Trennung teilweise, wenngleich nicht gänzlich, ausgleichen. Gleichwohl führt die Ausweisung nicht zu unzumutbaren Folgen. Die volljährigen Kinder des Klägers können sich ohnehin nicht auf Art. 6 GG berufen.
63 
Zugunsten des Klägers ist auch die von der JVA Offenburg am 17.02.2017 erstellte positive Sozialprognose zu beachten, die, wie bereits ausgeführt, zu einer Vollzugs-lockerung sowie der Aufnahme einer Arbeit und Aufenthalten in der Familie am Wochenende geführt haben.
1.5.
64 
Das besonders schwer wiegende Ausweisungsinteresse überwiegt jedoch das ebenfalls besonders schwer wiegende Bleibeinteresse des Klägers und die Ausweisung ist verhältnismäßig. Die Abwägung der sich gegenüber stehenden Interessen fällt zugunsten des Ausweisungsinteresses aus, weil der Unrechtsgehalt der begangenen Straftaten besonders hoch ist, und die drohenden Rechtsgutverletzungen für Leib und Leben ebenfalls besonders ins Gewicht fallen. Sowohl die Geiselnahme als auch bandenmäßiges unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen, darunter mit Kokain, belegen, dass der Kläger besonders schützenswerte Rechtsgüter wie Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 GG) missachtet hat, um seine Einkommensverhältnisse aufzubessern und, wie er in der mündlichen Verhandlung erklärte, seinen damals noch jüngeren Kinder ihre Wünsche zu erfüllen.
65 
Die Tatausführung beider strafrechtlichen Verfehlungen, der Geiselnahme und des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. mit Kokain, lassen eine hohe kriminelle Energie des Klägers erkennen, die das Strafgericht zum Anlass genommen hat, den Strafrahmen auszuschöpfen und eine hohe Strafe zu verhängen. Dies sowie die beachtliche Rückfallgeschwindigkeit sowie die deshalb derzeit bestehende hohe Wiederholungsgefahr sowie die noch nicht gefestigte Persönlichkeit des Klägers, wie sie in der mündlichen Verhandlung deutlich geworden ist, lassen nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts die Schlussfolgerung zu, dass das Ausweisungsinteresse höher wiegt als das Bleibeinteresse des Klägers.
2.
66 
Die Abschiebungsandrohung ist ebenfalls rechtmäßig. Rechtsgrundlage für die in der Abschiebungsandrohung gesetzte Ausreisefrist ist § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Danach ist die Abschiebung unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Dieser zeitliche Rahmen kann als der gesetzliche Regelfall angesehen werden. Daneben sieht § 59 Abs. 1 AufenthG die Möglichkeit vor, die Frist ausnahmsweise kürzer (Satz 2) oder auch länger (Satz 4) zu bestimmen.
67 
Die sogenannten inlandsbezogenen Abschiebungsverbote, etwa aus Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK wegen „Verwurzelung“, stehen dem Erlass der Abschiebungsandrohung nicht entgegenstehen (§ 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Selbst wenn der Kläger einen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung (Duldung) wegen rechtlicher oder tatsächlicher Unmöglichkeit der Abschiebung i.S.d. § 60a Abs. 2 AufenthG hätte, bliebe die Androhung der Abschiebung rechtmäßig, weil die Duldung die (vollziehbare) Ausreisepflicht unberührt lässt, § 60a Abs. 3 AufenthG.
68 
Soweit der Kläger-Vertreter in der mündlichen Verhandlung eingewendet hat, dass die politische Entwicklung in der Türkei möglicherweise Probleme für den Kläger bereite, macht er zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote geltend, die nicht von der Ausländerbehörde (vgl. § 42 AsylG ) zu prüfen sind. Für die Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zuständig ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (s. §§ 13, 31 Abs. 3 Satz 1, 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) (s. BVerwG, Urteile vom 08.09.2011 - 10 C 14/10 - juris Rn.17, vom 29.06.2010 - 10 C 10/09 - juris Rn. 6 zum AsylVfG).
3.
69 
Hinsichtlich des auf die Aufhebung der Befristung für die Ausweisung gerichteten Hilfsantrags ist die Klage zulässig, aber unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verpflichtung der Behörde zur Neubescheidung und keinen Anspruch auf Verpflichtung zur Festsetzung einer Frist von unter acht bzw. fünf Jahren (§ 113 Abs. 5 S. 1 und 2 VwGO).
70 
Nach § 11 Abs. 1 AufenthG n.F. darf ein Ausländer, der - wie der Kläger - ausgewiesen worden ist, weder erneut in das Bundesgebiet einreisen, noch sich darin aufhalten, noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden (Einreise- und Aufenthaltsverbot).
71 
Nach § 11 Abs. 2 S. 1 AufenthG n.F. beginnt die Frist mit der Ausreise und ist gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung festzusetzen. Über die Länge der Frist wird nach § 11 Abs. 3 AufenthG n.F. nach Ermessen entschieden. Die Frist darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht (Satz 2), und soll zehn Jahre nicht überschreiten (Satz 3).
72 
Nach der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG ist über die Länge der Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach Ermessen zu entscheiden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Diese gesetzgeberische Entscheidung ist mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren (BVerwG, Urteil vom 22. 02.2017 – 1 C 3/16 – juris Rn. 65 und Urteil vom gleichen Tage - 1 C 27.16 - juris Rn. 20 ff.). Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorläuferfassung des § 11 AufenthG a.F., wonach eine gebundene Entscheidung zu treffen war (BVerwG, Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.), erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihm ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 – 1 C 3/16 – juris Rn. 65, 66 und BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 – 1 C 27/16 – juris Rn. 19).
73 
Damit hat der Ausländer einen Anspruch auf eine Befristungsentscheidung zusammen mit der Ausweisungsverfügung ("ob"). Hinsichtlich der Länge der festzusetzen-den Frist ("wie") bestimmt § 11 Abs. 3 AufenthG n.F. in seiner aktuellen Fassung ausdrücklich, dass hierüber im Rahmen der gesetzlichen Vorgabe nach Ermessen zu entscheiden ist, dass die Frist nur unter bestimmten Voraussetzungen fünf Jahre überschreiten darf und zehn Jahre nicht überschreiten soll.
74 
Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG), sowie unions- und konventionsrechtlich den Vorgaben aus Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 12. Dezember 2007 (BGBl. 2008 II S. 1165) und Art. 8 EMRK gemessen und ggf. relativiert werden (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 – 1 C 27/16 – juris Rn. 23 unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange. Da für die gerichtliche Überprüfung der Befristungsentscheidung auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist, trifft die Ausländerbehörde auch während des gerichtlichen Verfahrens - wie nach altem Recht bei der Ermessensausweisung (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 20 m.w.N.) - eine Pflicht zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Befristungsentscheidung und ggf. zur Ergänzung ihrer Ermessenserwägungen (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 – 1 C 27/16 – juris Rn. 23).
75 
Die behördliche Befristungsentscheidung unterliegt auch als Ermessensentscheidung über § 114 Abs. 1 S. 1 VwGO einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle. Bei der Ermessensausübung stellt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für die Behörde eine gesetzliche Ermessensgrenze dar; ein Verstoß dagegen führt zu einer Ermessensüberschreitung (§ 114 Abs. 1 S. 1 VwGO). Nichts anderes gilt in Bezug auf unionsrechtlich zu beachtende Vorgaben. Die Entscheidung des Gesetzgebers, der Ausländerbehörde bei der Bestimmung der Frist einen gewissen Spielraum einzuräumen, führt daher im Ergebnis nicht zu einer Verschlechterung der Rechtsstellung des Betroffenen, da die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens von dem im Einzelfall zulässigen Höchstmaß der Frist nicht zu Lasten des Ausländers abweichen darf. Die Einhaltung dieser Obergrenze unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 27/16 – juris Rn. 24 f).
76 
In Anwendung dieser Grundsätze ist die hier getroffene und nachgeschobene Ermessensentscheidung des beklagten Landes nicht zu beanstanden, auch nicht mit Rücksicht auf § 114 S. 2 VwGO, weil bei Erlass der Ausweisungs- und Befristungsentscheidung keine Ermessensregelung galt, weshalb keine Ermessensentscheidung getroffen wurde, die ergänzungsfähig wäre; vielmehr war eine vollständige Nachholung der Ermessensentscheidung geboten.
77 
Da die Entscheidung über die Länge des Einreise- und Aufenthaltsverbots im Ermessen der Ausländerbehörde liegt, hat der Kläger einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf die von ihm begehrte Verpflichtung des Beklagten zur Festsetzung einer Frist von unter fünf Jahren nur im Falle einer entsprechenden Ermessensverdichtung zu seinen Gunsten. Hierfür ist im vorliegenden Fall nichts ersichtlich. § 11 Abs. 3 S. 2 AufenthG n.F. bestimmt lediglich, unter welchen Voraussetzungen die Frist fünf Jahre überschreiten darf.
78 
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet unter den gegebenen Umständen nicht die Festsetzung einer Frist von unter fünf Jahren. Sie darf aber fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht (§ 11 Abs. 3 S. 2 AufenthG). Der Kläger wurde wegen einer strafgerichtlichen Verurteilung ausgewiesen. Außerdem liegt bei ihm auch eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vor, weshalb auf Fragen der unionskonformen Auslegung (s. Hailbronner, aaO, § 11 Rn. 112 m.w.N.) des § 11 Abs. 3 S. 2 AufenthG n.F. nicht näher eingegangen werden muss.
79 
Zur Auslegung der „Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" hat der EuGH (Urteil vom 24.06.2015 - C-373/13 - juris Rn. 77 ff.; BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 – 1 C 3/16 – Rn. 51, juris), wie bereits zu § 53 Abs. 3 AufenthG n.F. ausgeführt worden ist (s. 1.3.), zunächst Bezug auf seine Rechtsprechung zu den Begriffen der "öffentlichen Sicherheit" und der "öffentlichen Ordnung" in Art. 27 und 28 der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG genommen. Danach umfasst der Begriff "öffentliche Sicherheit" im Sinne von Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats. Der Begriff der "zwingenden Gründe" deutet auf einen besonders hohen Schweregrad der Beeinträchtigung hin. Den Begriff der "öffentlichen Ordnung" hat der EuGH für die Unionsbürgerrichtlinie dahin ausgelegt, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliegen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 – 1 C 3/16 – juris Rn. 51). Darauf ist auch zur Bestimmung der „schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" zurückzugreifen (siehe auch Hailbronner, aaO, § 11, Rn. 113 ff. m.w.N.).
80 
Ein Grundinteresse der Gesellschaft ist bei strafrechtlichen Verurteilungen der vorliegenden Art, Geiselnahme und gewerbsmäßiges Handeln mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen, gegeben, weil die mit Verfassungsrang (Art. 2 Abs. 2 GG) geschützten Rechtsgüter, die körperliche Unversehrtheit und das Leben anderer, verletzt bzw. bedroht wurden. Keiner Entscheidung bedarf hier, ob ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zwangsläufig ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
81 
Die Erwägungen des beklagten Landes im Schriftsatz vom 23.03.2017 lassen keine Ermessensfehler erkennen (§ 114 S. 1 VwGO). Das beklagte Land hat sich bei der Bemessung der Frist an spezial- und generalpräventiven Gründen orientiert und seine Entscheidung auf beide Aspekte gestützt. Die Erklärung des beklagten Landes ist dahin zu verstehen, dass beide Aspekte zusammen („und“) gesehen werden, nicht unabhängig voneinander. Dies ist im Grundsatz nicht zu beanstanden.
82 
Generalpräventive Gründe dürfen jedenfalls außerhalb der Fallgruppen § 53 Abs. 3 AufenthG n.F. bei der Bemessung der Frist miteinbezogen werden, soweit sie generell und bezogen auf den Einzelfall geeignet sind, eine generalpräventive Wirkung zu erzielen (kritisch dazu: Bauer in Bergmann/Dienelt, AufenthG, Kommentar, § 11 Rn. 60). Dies trifft jedenfalls für Delikte zu, bei denen unter Gewaltanwendung und Drohungen die körperliche Unversehrtheit und das Leben der betroffenen Opfer verletzt wurden. Beide Deliktsgruppen rechtfertigen eine Befristung der Wirkungen der Ausweisung über fünf Jahren.
83 
Unter den spezialpräventiven Gesichtspunkten hat das beklagte Land die vom Kläger ausgehende Wiederholungsgefahr zugrunde gelegt und daraus abgeleitet, dass dies die Festsetzung eines mehrjährigen Einreiseverbotes im öffentlichen Interesse erfordert. Auch dies ist rechtsfehlerfrei. Des Weiteren hat das beklagte Land berücksichtigt, dass der Kläger vor Antritt seiner mehrjährigen Haftstrafe mit seiner deutschen Ehefrau und seinen vier deutschen Kindern, darunter mittlerweile zwei Minderjährige, zusammengelebt hat, dass die Familie den Kläger während der Haft häufig besucht hat und dass an der Aufrechterhaltung der familiären Lebensgemeinschaft festgehalten werden soll. Art. 6 GG und Art. 8 EMRK ist damit Rechnung getragen.
84 
Das Abwägungsergebnis ist zwar knapp begründet, es berücksichtigt aber die „persönlichen und privaten Belange“ des Klägers und ist verhältnismäßig. Die Festsetzung von einer Frist von acht Jahren ist geeignet, angemessen und erforderlich, um dem spezialpräventiven Ausweisungszweck beim Kläger Rechnung zu tragen. Maßgebend dafür ist die vom Kläger ausgehende beachtliche Wiederholungsgefahr für Straftaten, wie er sie in der Vergangenheit begangen hat, sowie deren hoher Unrechtsgehalt.
85 
Die (vorübergehende) Trennung für acht Jahre von seiner deutschen Ehefrau und zwei minderjährigen sowie zwei volljährigen Kindern hat das beklagte Land in seine Erwägungen einbezogen. Das Ergebnis der Abwägung verstößt nicht gegen Art. 6 GG und Art. 8 EMRK. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen zu den Bleibeinteressen des Klägers (1.4.) Bezug genommen.
86 
Es sind keine gewichtigen Anhaltspunkte ersichtlich, die das Abwägungsergebnis unverhältnismäßig oder sonst rechtsfehlerhaft erscheinen ließen.
87 
Klarstellend weist das erkennende Gericht auf die Möglichkeit eines späteren Abänderungsantrags nach § 11 Abs. 4 AufenthG n.F. hin, wonach das Einreise- und Aufenthaltsverbot zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist nach Absatz 2 verkürzt werden kann. Der Kläger hat hiernach die Möglichkeit, falls sich künftig die tatsächlichen Verhältnisse zu seinen Gunsten verändern sollten, einen Abänderungsantrag zur Befristung zu stellen.
4.
88 
Die Befristung der Abschiebung auf zwei Jahre begegnet ebenfalls keinen Bedenken. Sie ist im Hinblick auf die begangenen Straftaten des Klägers verhältnismäßig und ermessensfehlerfrei.
89 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
90 
Beschluss
91 
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 8.2 und 8.3 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 auf EUR 7.500,-- festgesetzt.
92 
Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 Satz 1, 3 und 5 GKG verwiesen.

Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Karlsruhe Urteil, 19. Apr. 2017 - 4 K 3166/15

Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht Karlsruhe Urteil, 19. Apr. 2017 - 4 K 3166/15

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au
Verwaltungsgericht Karlsruhe Urteil, 19. Apr. 2017 - 4 K 3166/15 zitiert 33 §§.

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Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Gesetz


Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 11 Einreise- und Aufenthaltsverbot


(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen n

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 6


(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. (2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinsc

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 68 Beschwerde gegen die Festsetzung des Streitwerts


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Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens übersch

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60a Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung)


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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 8


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Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 55 Bleibeinteresse


(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer 1. eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,2. eine Aufenthaltserlaubnis besitzt

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(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung

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(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, daß die verletzte Person 1. das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert,2. ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nic

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(1) Der Aufenthaltstitel wird für das Bundesgebiet erteilt. Seine Gültigkeit nach den Vorschriften des Schengener Durchführungsübereinkommens für den Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien bleibt unberührt. (2) Das Visum und die Aufenthalt

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(1) Die Integration von rechtmäßig auf Dauer im Bundesgebiet lebenden Ausländern in das wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben in der Bundesrepublik Deutschland wird gefördert und gefordert. (2) Eingliederungsbemühungen von Auslä

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 42 Bindungswirkung ausländerrechtlicher Entscheidungen


Die Ausländerbehörde ist an die Entscheidung des Bundesamtes oder des Verwaltungsgerichts über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes gebunden. Über den späteren Eintritt und Wegfall der Voraussetzungen des

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Verwaltungsgericht Karlsruhe Urteil, 19. Apr. 2017 - 4 K 3166/15 zitiert oder wird zitiert von 13 Urteil(en).

Verwaltungsgericht Karlsruhe Urteil, 19. Apr. 2017 - 4 K 3166/15 zitiert 13 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 16. März 2016 - 10 ZB 15.2109

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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss, 14. März 2017 - 11 S 383/17

bei uns veröffentlicht am 14.03.2017

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Bundesverwaltungsgericht Urteil, 22. Feb. 2017 - 1 C 3/16

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Tatbestand 1 Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus Deutschland. Hilfsweise erstrebt er eine neue Entscheidung des Beklagten über die Befristung des mit der A

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 22. Feb. 2017 - 1 C 27/16

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Tatbestand 1 Der Kläger begehrt die Aufhebung, hilfsweise die Befristung des mit seiner Ausweisung eingetretenen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf unter vier Jahre.

Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 06. Feb. 2017 - 2 L 119/15

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Tenor Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. September 2016 - 19 CS 16.1194 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 13. Jan. 2016 - 11 S 889/15

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Tatbestand 1 Der im Jahr 1964 geborene Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine unbefristete Ausweisung.

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Tatbestand 1 Der Kläger, ein kosovarischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland.

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 08. Sept. 2011 - 10 C 14/10

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Tatbestand 1 Der Kläger erstrebt Abschiebungsschutz wegen ihm in Afghanistan drohender Gefahren. 2

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 29. Juni 2010 - 10 C 10/09

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Tatbestand 1 Der Kläger erstrebt unionsrechtlich begründeten Abschiebungsschutz wegen Gefahren aufgrund eines bewaffneten innerstaatlichen Konflikts, hilfsweise national

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss, 10. März 2009 - 11 S 2990/08

bei uns veröffentlicht am 10.03.2009

Tenor Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 17. Oktober 2008 - 5 K 2459/08 - mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung w

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Tenor

Auf die Berufung des Klägers hin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 - 4 K 3079/10 - geändert.

Der Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 wird aufgehoben.

Das beklagte Land trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der am ...1971 in Charleroi, Belgien, geborene Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung und die Androhung der Abschiebung.
Er ist türkischer Staatsangehöriger und lebte von seiner Geburt bis 1979/80 gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern in Belgien, danach kehrte die Familie in die Türkei zurück. Dort besuchte der Kläger das Gymnasium, das er mit einem dem Abitur vergleichbaren Abschluss beendete. Am 06.05.1996 heiratete er in Cavusbasi Köyü/Türkei die am ... in B..., Deutschland, geborene Hatice Y., welche damals noch türkischer Staatsangehörigkeit war; am 17.08.1996 reiste er mit einem Visum zum Familiennachzug nach Deutschland ein. In der Folge erhielt er zunächst befristete Aufenthaltserlaubnisse, ab dem 16.07.2001 war er im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, welche ab Januar 2005 als Niederlassungserlaubnis fortgalt.
Die Ehefrau des Klägers wurde am 06.07.1998 eingebürgert. Die Eheleute haben vier gemeinsame Kinder, zwei Töchter (geboren am 16.08.1997 und am 01.05.2001) und zwei Söhne (geboren am 17.07.1998 und am 14.04.2008), welche ebenfalls deutsche Staatsangehörige sind.
Ab dem 10.03.1997 war der Kläger zunächst bei verschiedenen Firmen beschäftigt, vom 02.11.1998 bis zum 31.10.2001 bei der Firma F., wobei er vom 27.02.2001 bis zum 09.07.2001 Krankengeld von der AOK bezog. Nach längerer Arbeitslosigkeit war er ab 2003 immer wieder selbstständig tätig - unterbrochen durch mehrmonatige Aushilfstätigkeiten und Zeiten der Arbeitslosigkeit -, zunächst mit einem Einzelhandel mit Lebensmitteln und Obst, welchen er von seiner Ehefrau übernommen hatte (von Juli 2003 bis Juni 2004), später (vom September 2006 bis zum Februar 2007) mit dem Gewerbe „Kleintransporte (Paketdienst)“, sodann mit einer Gebäudereinigung (ab dem 21.11.2007).
Zum 05.06.2008 meldete er das Wettbüro T. in Karlsruhe an. Am 18.12.2008 wurde er wegen des Verdachts der Geiselnahme u.a. in Untersuchungshaft genommen. Mit Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 30.06.2009 - 3 KLs 110 Js 41778/08 - wurden der Kläger und die Mitangeklagten B.A., Y.K. und E.G. der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie der Mitangeklagte T.K. der Beihilfe zur Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen. Der Kläger wurde zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten, seine Mitangeklagten B.A. zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten, Y.K. von vier Jahren und zehn Monaten, E.G. von drei Jahren und sechs Monaten und T.K. zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde hinsichtlich T.K. zur Bewährung ausgesetzt. Die Angeklagten wurden außerdem verurteilt, an die Nebenklägerin N.G. Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,-- EUR nebst Zinsen zu zahlen, wobei die seitens B.A. und Y.K. bereits erbrachten Beträge in Höhe von 2.500,-- EUR (B.A.) bzw. 3.000,-- EUR (Y.K.) auf den Schmerzensgeldbetrag anzurechnen seien. Das Urteil wurde nach Verwerfung der unter anderem vom Kläger eingelegten Revision diesem gegenüber am 10.12.2009 rechtskräftig.
Nach den Feststellungen im Strafurteil vom 30.06.2009 war Y.K. als Geschäftsführer in dem vom Kläger betriebenen Wettbüro beschäftigt und hätte Anfang des Jahres 2009 als Teilhaber einsteigen sollen. B.A. war bei einer Automatenaufstellerfirma tätig und für die Wartung der im Wettbüro aufgestellten Spielautomaten zuständig. Die Mitangeklagten E.G. und T.K., ein Schwager des Y.K., hielten sich häufig als Gäste im Wettbüro auf. Das Opfer der Straftaten, N.G., war auf Empfehlung des B.A. seit September 2008 als Aushilfe angestellt. Nachdem am 29.11.2008 zwischen 2.00 Uhr und 2.30 Uhr in das Wettbüro eingebrochen und aus Spielautomaten und einem offenen Tresor insgesamt Bargeld in Höhe von etwa 2.500,-- EUR entwendet worden war, verdächtigten die Angeklagten die im Wettbüro angestellte N.G. und deren Freund der Beteiligung an dem Einbruch. Anlass war unter anderem, dass ein Augenzeuge etwa zum Zeitpunkt des Einbruchs ein Auto bemerkt hatte, das dem des Freundes von N.G. ähnelte. Außerdem hatte N.G. wenige Stunden nach dem Einbruch per SMS mitgeteilt, sie könne am Morgen nicht zur Arbeit erscheinen, weil ihr Schwiegervater gestorben sei, was aber - wie sich nach und nach herausstellte - tatsächlich nicht stimmte. Um N.G. zu einem Geständnis zu zwingen, brachten die fünf Angeklagten diese am 30.11.2008 gegen 12.30 Uhr dazu, mit ihnen in den Keller des Wettbüros zu gehen. Dort versetzte B.A. der Angestellten N.G. zunächst zwei derart heftige Ohrfeigen, dass sie ein Loch im linken Trommelfell erlitt. Danach hielt B.A. dieser eine von ihm - ohne Wissen der anderen - mitgeführte, nicht ausschließbar ungeladene Schreckschusswaffe, die er zuvor mehrfach durchgeladen hatte, an die Stirn, so dass N.G. befürchtete, erschossen zu werden, und Todesangst verspürte. Unter Ausnutzung der Todesangst von N.G. versuchten die Angeklagten in den nächsten Stunden - allerdings vergeblich -, von dieser ein Geständnis zu erpressen. A.B. drückte ihr ein Kissen auf das Gesicht und tat so, als ob er dieses als Schalldämpfer verwenden würde. Auf Vorschlag des Klägers behauptete er sodann, man habe ein paar Leute zu ihrem Freund geschickt, welche ihn mit einem Baseballschläger "zusammengeschlagen" hätten, woraufhin dieser alles zugegeben hätte. B.A. oder E.G. drohten später damit, N.G. mit einer Handsäge einen Finger abzusägen. Als N.G. darum bat, auf Toilette gehen zu dürfen, wurde ihr dies mit dem Hinweis verweigert, sie solle „in die Hose pissen“. Bei diesen Übergriffen und Bedrohungen leistete T.K. lediglich psychische Beihilfe, während die anderen aktiv beteiligt waren. Nachdem B.A. und E.G. zwischen 14.30 Uhr und 15.00 Uhr den Keller verlassen hatten, wurde N.G. gegen 16.00 Uhr vom Kläger, Y.K. und T.K. freigelassen und von T.K. nach Hause gefahren. N.G. leidet noch heute erheblich unter den psychischen Folgen der Tat. Bezüglich der Strafzumessung wird in dem Urteil des Landgerichts Karlsruhe hinsichtlich des Klägers unter anderem dargelegt: Die Kammer sei der Auffassung, dass die Voraussetzungen der tätigen Reue (§§ 239a Abs. 4, 239b Abs. 2 StGB) vorgelegen hätten, weil die Täter von einer weiteren Befragung der Geschädigten abgesehen hätten. Für die Annahme eines minder schwereren Falls der Geiselnahme (§§ 239a Abs. 2, 239b Abs. 2 StGB) spreche, dass der Kläger bereits im Ermittlungsverfahren ein Geständnis abgelegt und dieses in der Hauptverhandlung aufrechterhalten habe, wobei der Kammer das Geständnis allerdings nur bedingt getragen von Einsicht und Reue erscheine, weil der Kläger immer wieder darauf hingewiesen habe, er hätte nicht gegen die weitere Tatausführung einschreiten können. Für ihn spreche außerdem, dass er bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei, sich schriftlich bei der Geschädigten entschuldigt und einen eher geringen Tatbeitrag geleistet habe. Es sei aber auch zu berücksichtigen, dass er als Inhaber des Wettbüros ein Hauptinteresse daran gehabt habe festzustellen, ob seine Angestellte tatsächlich an dem Einbruch beteiligt gewesen sei, dass tateinheitlich zum Verbrechen der Geiselnahme auch ein Vergehen der gefährlichen Körperverletzung begangen worden, dass er über dreieinhalb Stunden an der Tatbegehung beteiligt gewesen sei und dass die Geschädigte nicht nur eine körperliche Verletzung in Form einer Trommelfellperforation mit erheblichen Höreinschränkungen erlitten habe, sondern noch heute schwer unter den psychischen Folgen der Tat leide. Die nicht vertypten Milderungsgründe reichten daher nicht aus, um das Vorliegen eines minder schweren Falles zu bejahen. Unter weiterer Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger tätige Reue im Sinne von §§ 239b Abs. 2, 239a Abs. 4 StGB geleistet habe, sei allerdings unter Heranziehung dieses Strafmilderungsgrundes das Vorliegen eines minder schweren Falles bejaht worden.
Im Anschluss an die Untersuchungshaft verbüßte der Kläger vom 10.12.2009 bis zu seiner Entlassung am 22.12.2011 Strafhaft, ab dem 08.04.2010 in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bruchsal. Zwei Drittel der Strafe waren am 17.04.2011 vollstreckt, Endstrafentermin wäre der 17.06.2012 gewesen. In dieser Zeit erhielt der Kläger regelmäßig Besuch von seiner Ehefrau und seinen Kindern sowie von anderen Verwandten und Bekannten. Von September 2010 bis Juli 2011 nahm er zweimal wöchentlich an Deutschkursen teil. Er arbeitete in einem Unternehmerbetrieb der JVA. In Vollzugsplänen und Berichten der JVA Bruchsal vom 05.05.2010, 12.05.2010, 08.02.2011, 12.09.2011 und 12.10.2011 wurde unter anderem dargelegt: Disziplinarrechtlich habe gegen den Kläger nicht eingeschritten werden müssen, es sei auch zu keinen Unregelmäßigkeiten bezüglich Drogen oder Alkohol gekommen. Er könne sehr nervenaufreibend sein, weil er täglich mehrere Anliegen habe, die er durchzusetzen versuche. Er werde dabei jedoch nie aggressiv, sondern zeige fehlendes Verständnis, reagiere weinerlich oder unbeirrbar. Im Unternehmerbetrieb gelte er wegen seiner ständigen Anliegen als Sorgenkind, erledige aber seine Arbeit zuverlässig, es sei nicht zu unentschuldigten Ausfallzeiten gekommen. Er habe noch Schulden in Höhe von etwa 45.000,-- EUR. Während in früheren Stellungnahmen der JVA, unter anderem vom 08.02.2011, Zweifel an einer Tataufarbeitung und einer echten Reue des Klägers geäußert wurden, wurde in einem Bericht vom 12.10.2011 ausgeführt, der Kläger habe über seine Straftat intensiv nachgedacht, könne sich zumindest über den Vergleich mit eigenen Bedrängungserfahrungen in das Opfer einfühlen, sei nicht die treibende Kraft gewesen und scheine seine Straftat tatsächlich zu bereuen. Die Landesstiftung Opferschutz habe am 16.07.2011 bestätigt, dass er 1.000,-- EUR Schmerzensgeld in Raten bezahlt habe. Als stabilisierender Faktor werde seine Familie gesehen. Der psychologische Dienst gehe davon aus, dass ein kriminalprognostisches Gutachten zu dem Schluss kommen werde, dass eine weiterhin bestehende Gefahr nicht festgestellt werden könne.
Bereits mit Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 wurde der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Ziff. 1). Außerdem wurde ihm die Abschiebung in die Türkei oder in einen anderen Staat angedroht (Ziff. 2). Für den Fall, dass er vor der beabsichtigten Abschiebung aus der Haft entlassen werde, wurde er aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von einem Monat nach seiner Entlassung zu verlassen; für den Fall, dass er nicht fristgerecht ausreise, wurde ihm die Abschiebung angedroht (Ziff. 3). Zur Begründung wurde dargelegt: Dem Kläger stehe kein erhöhter Ausweisungsschutz aufgrund eines Rechts zum Aufenthalt nach dem Assoziationsratsbeschluss 1/80 zu. Eine nach Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 privilegierte aufenthaltsrechtliche Position habe nicht mehr erworben werden können, weil seine Ehefrau zwei Jahre nach Beginn der ehelichen Lebensgemeinschaft die deutsche Staatsangehörigkeit erworben habe. Ansprüche aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 seien ebenfalls nicht entstanden. Bei der Firma F. habe der Kläger zwar vom 02.11.1998 bis zum 26.02.2001 und vom 09.07.2001 bis zum 31.10.2001 gearbeitet. In der Zwischenzeit, vom 27.02.2001 bis zum 08.07.2001, habe er jedoch Krankengeld von der AOK bezogen. Selbst wenn man davon ausginge, dass er drei Jahre ordnungsgemäß bei einem Arbeitgeber beschäftigt gewesen sei, wäre seine Rechtsstellung nach Art. 6, 2. Spielgelstrich ARB 1/80 wieder erloschen. Denn im Anschluss an die Beschäftigung bei der Firma F. habe er ab November 2001 bis zum 27.07.2003 Leistungen der Agentur für Arbeit bezogen. Seine Ehefrau habe in dieser Zeit ein Gewerbe (Obst- und Gemüsehandel) betrieben. Ab Oktober 2003 habe er dieses übernommen, bis er es im Januar 2004 wieder aufgegeben habe. Nach kurzen Arbeitsverhältnissen, Zeiten der Arbeitslosigkeit sowie Zeiten der Ausübung zweier anderer Gewerbe, sei schließlich zum 05.06.2008 die Anmeldung des Wettbüros erfolgt. Die Aufnahme einer auf Dauer angelegten selbstständigen Tätigkeit führe jedoch zum Erlöschen bereits entstandener Rechte aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80. Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid sei daher das Aufenthaltsgesetz. Der Kläger erfülle den Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 1 AufenthG. Er genieße jedoch wegen der bestehenden Niederlassungserlaubnis und der familiären Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau und seinen Kindern besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 4 AufenthG. Es sei daher zu prüfen, ob ein schwerwiegender Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG vorliege. Das sei der Fall. Die vom Kläger und seinen Mittätern aufgrund von Selbstjustiz begangene Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung wiege ausgesprochen schwer. Der Tathergang verdeutliche, dass der Kläger ein erhebliches Maß an krimineller Energie besitze, welches bei verständiger Würdigung aller für und gegen ihn sprechenden Umstände der Tatbegehung die Grenzen der Bagatellkriminalität bei weitem überschreite. Er sei offenkundig nicht in der Lage oder auch nicht gewillt, sich an die im Bundesgebiet bestehende Rechtsordnung zu halten. Deshalb könne ihm keineswegs eine günstige Sozialprognose gestellt werden. Nach den vorliegenden Berichten der JVA habe eine Tataufarbeitung wegen der fehlenden differenzierten Deutschkenntnisse noch nicht erfolgen können. Bislang sei danach auch nicht erkennbar, dass der Kläger ein Schuldbewusstsein oder eine Empathie für das Opfer entwickelt habe. Die Ausweisung sei daher aus spezialpräventiven Gründen geeignet und erforderlich. Sie werde auch auf generalpräventive Erwägungen gestützt. Es bestehe ein dringendes soziales Bedürfnis, über die strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Gewalttaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Wegen des besonderen Ausweisungsschutzes und mit Blick auf die Familie des Klägers und Art. 8 EMRK liege eine Ausnahme von der Regel des § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG vor, so dass über die Ausweisung nach Ermessen zu entscheiden sei. Sie sei hier gerechtfertigt, insbesondere verhältnismäßig. Der Kläger sei mit einer türkischstämmigen Frau verheiratet, die mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen habe, und Vater von vier deutschen Kindern. Beruflich sei es ihm nicht gelungen, sich im Bundesgebiet zu integrieren. Der Aufbau eines eigenen Betriebes sei immer wieder gescheitert. In dem zuletzt betriebenen Wettbüro habe er mehrere Personen beschäftigt, ohne diese anzumelden. Dies sowie die Tatsache, dass er bereit gewesen sei, eine von ihm verdächtige Person als Geisel zu nehmen, um aus ihr mit brutalsten physischen und psychischen Methoden ein Geständnis zu erpressen, sei ein Beleg für eine Denkweise, welche nicht den Wertvorstellungen der Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland entspreche. Es sei nicht erkennbar, dass der Kläger von seinem Heimatland, das er vor vierzehn Jahren im Alter von 25 verlassen habe, entfremdet sei. In Anbetracht des gravierenden Verstoßes gegen die geltende Rechtsordnung könnten die rechtlichen und tatsächlichen Auswirkungen der Ausweisung, die mit einer Übersiedlung in die Türkei verbunden seien, nicht als unverhältnismäßig angesehen werden. Dies gelte auch unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK. Schließlich könne er gegebenenfalls einen Antrag auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung stellen. Hilfsweise sei festzustellen, dass die Ausweisung des Klägers auch dann - im Ermessenswege nach Art. 14 ARB 1/80 i.V.m. § 55 AufenthG -gerechtfertigt sei, wenn man davon ausgehe, dass ihm eine Rechtsstellung nach Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 zustehe. Für diesen Fall sei die Ausweisung jedoch lediglich auf spezialpräventive Gründe zu stützen. Die Abschiebungsandrohung beruhe auf § 59 Abs. 1 AufenthG.
Am 04.11.2010 erhob der Kläger beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage, zu deren Begründung er im Wesentlichen vortrug: Eine Trennung von seiner Familie wäre unverhältnismäßig. Weder verfügten er und seine Familie über die erforderlichen finanziellen Mittel für regelmäßige Besuche noch hätte er die Möglichkeit, die Kontakte angemessen aufrechtzuerhalten. Zudem sei die Ausweisung weder aus generalpräventiven noch aus spezialpräventiven Gründen angemessen. Er sei das erste Mal straffällig geworden. Aus dieser - einmaligen -Entgleisung, die nicht verharmlost werden solle, könne nicht auf ein grundsätzliches Verhaltensmuster für die Zukunft geschlossen werden. Im Übrigen sei er vom 01.11.1998 bis zum 31.10.2001 durchgehend bei der Firma F. beschäftigt gewesen, weshalb er als Assoziationsberechtigter anzusehen sei.
10 
Das beklagte Land trat der Klage entgegen.
11 
Mit Urteil vom 02.03.2011 - 4 K 3079/10 - wies das Verwaltungsgericht die Klage ab und führte aus: Es bedürfe keiner abschließenden Beurteilung, ob der Kläger eine Rechtsstellung nach Art. 6 ARB 1/80 erworben habe, denn eine solche wäre jedenfalls durch die Aufnahme einer Tätigkeit als Selbstständiger erloschen. Weil er besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 4 AufenthG genieße, könne er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Solche seien hinsichtlich des spezialpräventiven und bezüglich des generalpräventiven Ausweisungszwecks aufgrund der vom Kläger verübten Straftat gegeben. In Fällen mittlerer und schwerer Kriminalität seien die Voraussetzungen für eine spezialpräventive Ausweisung grundsätzlich zu bejahen. Beim Kläger bestehe ein gegenüber dem Durchschnittsbürger sogar beträchtlich erhöhtes Risiko, auch künftig wieder strafrechtlich in Erscheinung zu treten. Dafür sprächen die nicht unerhebliche kriminelle Energie, die er an den Tag gelegt habe, und die konkrete Tatausführung. Diese lasse ein erhebliches Maß an Gewaltanwendung gegenüber Personen erkennen; sie habe zu gravierenden Folgen für das Opfer geführt. Ausweislich eines Berichts der JVA vom 08.02.2011 habe die Freiheitsstrafe nur insoweit die erwünschte Wirkung gezeigt, als der Kläger die negativen Folgen für seine Familie eingesehen habe, mit den Folgen der Tat für das Opfer habe er sich noch nicht erkennbar auseinandergesetzt. Da die Tat zudem eine hohe Bereitschaft für eine im Heimatland des Klägers in bestimmten Bereichen auch heute noch übliche und gesellschaftlich akzeptierte Selbstjustiz belege, könne ihm keine günstige Sozialprognose erteilt werden. Ein Ausnahmefall von der Regelausweisung - und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung - sei hier wegen der tatsächlich gelebten familiären Gemeinschaft des Klägers mit den vier ehelichen Kindern des Klägers zu sehen. Die entsprechenden Ermessenserwägungen seien im Ergebnis rechtsfehlerfrei. Die dem Kläger als Mittäter der begangenen Straftaten zurechenbare Gewaltanwendung wiege derart schwer, dass seine Ausweisung auch mit Blick auf die Schutzwirkungen des Art. 6 GG und des Art. 8 EMRK nicht unverhältnismäßig sei.
12 
Auf den am 14.03.2011 vom Kläger gestellten Antrag hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 17.05.2011 - 11 S 875/11 - die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 zugelassen. Diese hat der Kläger am 26.05.2011 unter Stellung eines Antrags begründet.
13 
Zur Vorbereitung der Entscheidung über die Aussetzung der Reststrafe holte die Vollstreckungskammer des Landgerichts Karlsruhe mit Schreiben vom 03.06.2011 ein kriminalprognostisches Gutachten der Klinik für forensische Psychiatrie und Psychotherapie - Zentrum für Psychiatrie - Wiesloch ein. Das daraufhin erstattete Gutachten von Herrn Dr. Sp..., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, und Herrn S..., Facharzt für Psychiatrie, vom 24.09.2011 kommt zu dem Ergebnis, dass nicht mehr davon ausgegangen werden könne, dass die durch die Tat beim Kläger zutage getretene Gefährlichkeit fortbestünde. Dabei wurde die fehlende Auseinandersetzung mit der Straftat als prognostisch ungünstiger Faktor gewertet. Der Kläger sei bei der Tat aber eher passiv im Hintergrund geblieben. Beim Tatgeschehen komme somit situativen Faktoren (Eingebundenheit in eine Tätergruppe bei Vorhandensein von freundschaftlichen Beziehungen und Loyalitäten, Unterordnung unter dominant auftretende Persönlichkeiten) ein wesentliches Gewicht am Zustandekommen der Tat zu. Der Kläger habe sich im Rahmen der Haft im Wesentlichen angepasst und korrekt verhalten. Dass er dabei seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse jeweils mit einem gewissen Nachdruck vorgetragen habe, lasse sich nicht als prognoserelevanter Faktor verwerten. Es existierten stabile familiäre Anbindungen. Auch die beruflichen Planungen des Klägers erschienen nicht unrealistisch. Die prognostisch günstigen Faktoren überwögen im Vergleich zu dem einzigen ungünstigen Faktor - der fehlenden inneren Auseinandersetzung des Klägers mit der Tat - deutlich. Nach einer Anhörung des Klägers am 16.12.2011 wurde mit Beschluss des Landgerichts Karlsruhe vom 21.12.2011 die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 30.06.2009 zur Bewährung ausgesetzt. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt; der Kläger wurde der Leitung und Aufsicht eines Bewährungshelfers unterstellt. Daraufhin wurde er am 22.12.2011 aus dem Strafvollzug entlassen.
14 
Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger im Wesentlichen vor: Das Verwaltungsgericht sei unzutreffend davon ausgegangen, dass die Rechtstellung aus Art. 6 ARB 1/80 mit Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit erlösche. Die Ausweisung genüge nicht den Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80. Im Übrigen hätte ein Widerspruchsverfahren durchgeführt bzw. über die Ausweisung noch durch eine „unabhängige Stelle“ entschieden werden müssen. Schon aus diesem Grund sei sie aufzuheben. Unabhängig davon sei die Ausweisung hier mit Blick auf die Tatsache, dass die Ehefrau des Klägers und seine Kinder deutsche Staatsangehörige seien, rechtswidrig. Soweit im Urteil dargelegt werde, der Rechtsstellung der Kinder des Klägers könne durch Besuche der Ehefrau mit den Kindern in der Türkei Rechnung getragen werden, werde nicht die dem Kläger gemäß Art. 20 AEUV zukommende europarechtliche Rechtsposition berücksichtigt. Anzugreifen sei auch, dass die erste Instanz eine Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung mangels Befristung verneine. Dies verstoße gegen Art. 8 EMRK. Nach dem kriminalprognostischen Gutachten vom 24.09.2011 bestehe die bei der Tat zutage getretene Gefährlichkeit inzwischen nicht mehr. Die Arbeitssuche des Klägers nach seiner Haftentlassung sei durch seine erheblichen gesundheitlichen Probleme belastet gewesen. Er habe am 20./21.04.2012 in eine Klinik aufgenommen und später erneut - vom 06.06. bis zum 14.06.2012 - stationär behandelt werden müssen. Zum 24.07.2012 habe er dann einen Arbeitsplatz als Fahrer bei einer Firma in Karlsruhe gefunden, wonach er bei einer durchschnittlichen regelmäßigen Arbeitszeit von 25 bis 30 Wochenstunden 1.000,-- EUR brutto monatlich verdiene.
15 
Nachdem das Regierungspräsidiums Karlsruhe in der mündlichen Verhandlung die Sperrwirkungen der Ausweisung vom 22.10.2010 auf zwei Jahre befristet hat, beantragt der Kläger,
16 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 - 4 K 3079/10 - zu ändern und den Bescheid vom 22.10.2010 aufzuheben,
17 
hilfsweise: das beklagte Land zu verpflichten, die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG bezeichneten Wirkungen der Ausweisung auf sofort zu befristen.
18 
Das beklagte Land beantragt,
19 
die Berufung zurückzuweisen.
20 
Es trägt vor: Das Verwaltungsgericht Karlsruhe habe zutreffend die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 22.10.2010 bestätigt und berücksichtigt, dass eine Rechtsstellung aus Art. 6 ARB 1/80 - selbst wenn der Kläger sie erworben hätte - dadurch erloschen wäre, dass er eine Tätigkeit als Selbstständiger aufgenommen habe. Durch die Ausweisung werde kein unverhältnismäßiger Eingriff in das Recht des Klägers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens begründet. Der Kontakt zur Ehefrau und den Kindern des Klägers könne durch Besuche in der Türkei, Briefe, Telefonate und E-Mails aufrechterhalten werden. Da der Kläger die deutsche Sprache nicht richtig beherrsche und sich bei Besuchen in türkischer Sprache unterhalten habe, sei davon auszugehen, dass die Familie ebenfalls mit der Türkei vertraut sei. Ein Leben in der Türkei wäre für den Kläger auch nicht unzumutbar, weil er zuvor ebenfalls dort gelebt habe, dort noch seine Mutter und Geschwister wohnten und er auch die türkische Sprache beherrsche. Zu dem kriminalprognostischen Gutachten vom 24.09.2011 sei auszuführen: In dem Gutachten werde einmal mehr die „weitgehend fehlende innere Auseinandersetzung“ des Klägers mit seiner Tat und den Folgen für das Opfer bestätigt. Die von ihm signalisierte Betroffenheit über das Leid des Opfers wirke auf die Gutachter sogar „affektiv eher flach und vordergründig“. Für die Gutachter sei der Eindruck entstanden, dass der Kläger „insgesamt emotional stärker durch die Folgen der Tat für ihn und seine Familie als durch die Folgen für das Opfer betroffen erschien“. Ein tiefergehendes Mitgefühl für das Opfer sei trotz verbaler Bekundung wenig spürbar gewesen. Diese Einschätzung decke sich mit einem Bericht der JVA Bruchsal vom 08.02.2011, demzufolge „eine wirkliche Tataufarbeitung ... nicht sichtbar“ werde, und dem Eindruck, den der Kläger beim erstinstanzlichen Gericht hinterlassen habe. Das Verwaltungsgericht habe sich immerhin zu der deutlichen Formulierung veranlasst gesehen, „dass er sich mit seiner Gewaltproblematik noch nicht, jedenfalls in nicht ausreichendem Maße, auseinandergesetzt hat und die Tat eine hohe Bereitschaft für eine im Heimatland des Klägers in bestimmten Bereichen auch heute noch übliche und gesellschaftlich akzeptierte Selbstjustiz belegt“. Mit anderen Worten: Wenn sich der Kläger in einer vergleichbaren Situation wiederfinde, in der jemand der Wahrheit auf die Sprünge helfen wolle, sei nach wie vor keine ethische Schranke bei ihm installiert, die ihn davor bewahre mitzumachen. Das Gutachten vom 24.09.2011 werte zwar zugunsten des Klägers, dass den situativen Faktoren ein wesentliches Gewicht am Zustandekommen der Tat zugekommen sei. Es liefere aber nicht den geringsten neuen Anhaltspunkt dafür, dass sich der Kläger das nächste Mal der Gruppendynamik entziehen oder gar widersetzen würde, wenn Gewalt ins Spiel komme. Aus diesen Gründen bestehe keine Veranlassung, von der aufgrund der mündlichen Verhandlung in erster Instanz gewonnenen und vom Verwaltungsgericht zutreffend begründeten Einschätzung Abstand zu nehmen.
21 
Auf einen Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 11.08.2011 - 11 S 2027/11 - die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 angeordnet.
22 
In einem Bericht der Bewährungshelferin vom 24.07.2012 sowie einem ergänzenden Schreiben vom 25.09.2012 wird dargelegt: Insgesamt sei in dem bisherigen Bewährungsverlauf nichts zu beanstanden. Der Kläger habe sich - zunächst vergeblich - intensiv um einen Arbeitsplatz bemüht. Mit Hilfe eines Rechtsanwalts sei es ihm gelungen, seinen Führerschein der Klasse 3 wieder zu erlangen. Insgesamt sei es dem Kläger nach der Haftentlassung nicht gut gegangen, er habe noch sehr unter den Nachwirkungen gelitten und sei durch seinen behandelnden Arzt wegen Depressionen medikamentös behandelt worden. Am 25.05.2012 habe er sich wegen starker Schmerzen ins Krankenhaus begeben müssen. Nach mehreren Untersuchungen seien ihm am 21.06.2012 stationär mehrere Nierensteine entfernt worden. Er habe sich wirklich bemüht, wieder zu der „arbeitenden Bevölkerung“ zu gehören. Seit dem 24.07.2012 sei er als Fahrer beschäftigt; er verdiene monatlich etwa 1.000,-- EUR. Er hätte die Möglichkeit, einen Kiosk in Karlsruhe-Durlach zu übernehmen; seine Ehefrau würde dann mit ihm zusammenarbeiten.
23 
Dem Senat liegen die Akten des Regierungspräsidiums Karlsruhe über das Ausweisungsverfahren (2 Hefte), die ausländerrechtlichen Akten des Landratsamts Karlsruhe bezüglich des Klägers (2 Hefte), seiner Ehefrau (1 Heft) und der ältesten Tochter (1 Heft), die Gefangenenpersonalakten der JVA Bruchsal (1 Heft), die Strafakten betreffend das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 30.06.2009 - 3 KLs 110 Js 41778/08 - (8 Hefte) sowie das Bewährungsheft des Landgerichts Karlsruhe - 15 BWL 213/11 - vor. Diese sind ebenso wie die Akten über das Klageverfahren beim Verwaltungsgerichts Karlsruhe - 4 K 3079/10 -, über das vorliegende Berufungsverfahren - 11 S 1470/11 - und über das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes - 11 S 2027/11 -Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen; hierauf wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
24 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht und ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 6 und Abs. 3 Satz 4 VwGO) Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 hat Erfolg. Die Anfechtungsklage des Klägers gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteile vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - InfAuslR 2008, 156, und vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris) begründet. Die darin unter Ziffer 1 verfügte Ausweisung und die Abschiebungsandrohung unter Ziffern 2 und 3 sind rechtswidrig und verletzen dadurch den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Einer Entscheidung über den vom Kläger im Berufungsverfahren lediglich hilfsweise gestellten Antrag auf Verpflichtung des beklagten Landes zur Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 bezeichneten Wirkungen der Ausweisung "auf sofort" (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O.) bedarf es daher nicht.
I.
25 
Die auf §§ 53 Nr. 1, 56 Abs. 1, 55 AufenthG beruhende (dazu unter 1. und 2.) Ausweisung des Klägers, die hier im Ermessen des beklagten Landes steht (3.), ist mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz rechtswidrig (4.).
26 
1. Maßgebliche Rechtsgrundlage sind die §§ 53 Nr. 1, 56 Abs. 1, 55 AufenthG.
27 
Insbesondere sind nicht etwa allein wegen des Umstands, dass die Ehefrau und die Kinder des Klägers deutsche Staatsangehörige sind, besondere unionsrechtliche Anforderungen zu beachten (vgl. hierzu EuGH, Urteile vom 05.05.2011 - Rs. C-434/09, McCarthy - InfAuslR 2011, 268, und vom 15.11.2011 - Rs. C-256/11, Dereci - InfAuslR 2012, 47; Senatsurteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 - NVwZ-RR 2012, 412).
28 
Eine nur beschränkte Anwendbarkeit der Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG folgt hier auch nicht aus dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: ARB 1/80; vgl. insbesondere Art. 14 ARB 1/80). Eine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80 hat der Kläger nicht erworben, weil seine Ehefrau vor Ablauf von drei Jahren nach Zuzug des Klägers eingebürgert wurde und die türkische Staatsangehörigkeit aufgegeben hat (vgl. dazu Renner, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 4 Rn. 156 m.w.N.). Ob er jemals die Voraussetzungen des - hier allein in Betracht kommenden - 2. Spiegelstrichs des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erfüllt hat, kann offen bleiben. Denn er hat eine eventuelle Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 durch die spätere Aufnahme selbstständiger Tätigkeiten, zuletzt den Betrieb des Wettbüros - aufgrund dessen der Kläger jedenfalls dem Arbeitsmarkt auf unabsehbare Zeit nicht mehr zur Verfügung stand - verloren (streitig, ebenso: Hess. VGH, Urteil vom 09.02.2004 - 12 TG 3548/03 - InfAuslR 2004, 230; Bayer. VGH, Urteil vom 26.03.2007 - 24 BV 03.2091 - juris; vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18.10.2006 - 13 S 192/06 - InfAuslR 2007, 49; a.A. VG Stuttgart, Urteil vom 23.05.2011 - 11 K 2967/10 - juris; vgl. zum Streitstand GK-AufenthG, Stand: September 2012, IX - 1 Art. 6 Rn. 238 f.; Hailbronner, AuslR, Stand: August 2012, D 5.1, Art. 6 ARB 1/80 Rn. 46). Letztlich kommt es aber auf diese Frage hier nicht an. Folge einer assoziationsrechtlichen Rechtsstellung des Klägers wäre ein erhöhter Ausweisungsschutz (vgl. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80; Senatsurteil vom 16.04.2012 - 11 S 4/12 - juris m.w.N.). Wie sich aus dem Folgenden ergibt, erweist sich die Ausweisung auch dann als rechtswidrig und ist daher aufzuheben, wenn ihm dieser nicht zukäme.
29 
2. Allerdings sind die Tatbestandsvoraussetzungen einer "Ist-Ausweisung" nach § 53 Nr. 1 AufenthG gegeben. Danach wird ein Ausländer unter anderem dann ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das ist hier wegen der Verurteilung des Klägers durch das Landgericht Karlsruhe vom 30.06.2009 wegen Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten der Fall.
30 
3. Trotz Erfüllung des an sich zwingenden Ausweisungsgrundes des § 53 Nr. 1 AufenthG steht die Ausweisung des Klägers jedoch im Ermessen und ist deshalb nach § 55 AufenthG zu beurteilen. Der Kläger genießt unstreitig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz (a). Er darf daher gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Solche liegen gemäß § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 AufenthG, also auch hier, vor. Diesbezüglich ist auch nicht vom Vorliegen eines Ausnahmefalls auszugehen (b). Hier ist aber eine Ausnahme von der "Regelrechtsfolge" des § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG geboten, wonach der betreffende Ausländer bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 AufenthG "in der Regel" ausgewiesen wird. Über seine Ausweisung ist daher nach Ermessen zu entscheiden (c).
31 
a) § 56 Abs. 1 AufenthG ist aus zwei Gründen anzuwenden: Zum einen besitzt der Kläger eine Niederlassungserlaubnis und hält sich seit mehr als fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet auf (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG), zum anderen lebt er mit deutschen Familienangehörigen - seiner Ehefrau und seinen Kindern - in familiärer Lebensgemeinschaft (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG).
32 
b) Der danach für eine Ausweisung des Klägers erforderliche schwerwiegende Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG ist gegeben.
33 
Nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5, 5 bis 5b und 7 AufenthG vor. Diese gesetzliche Vermutung beruht darauf, dass bei Verwirklichung der genannten Ausweisungstatbestände regelmäßig das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Ausweisung des Ausländers erfordert und der vom Gesetz bezweckte Schutz des Ausländers dahinter zurückzutreten hat. Die Regelung enthält allerdings keine Automatik, sondern erfordert eine individuelle Prüfung im jeweiligen Einzelfall, ob nicht Besonderheiten vorliegen, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass - hier des § 53 AufenthG - als weniger gewichtig erscheinen lassen. Davon ist auszugehen, wenn im konkreten Fall weder die spezial- noch die generalpräventiven Ausweisungszwecke des betreffenden Ausweisungstatbestands in dem erforderlichen Ausmaß vorliegen (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, m.w.N.; vgl. auch Senatsurteil vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 02.07.2001 - 13 S 2326/99 - InfAuslR 2002, 72).
34 
Im Falle des Klägers ist zwar nicht mit Blick auf den spezialpräventiven Ausweisungszweck (aa), aber vor dem Hintergrund der zulässigen generalpräventiven Erwägungen ein schwerwiegender Ausweisungsgrund (bb) zu bejahen.
35 
aa) Zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kann nicht (mehr) davon ausgegangen werden, dass vom Kläger die Gefahr der Wiederholung erheblicher Straftaten ausgeht. Die Ausweisung kann daher nicht mehr auf spezialpräventive Gründe gestützt werden.
36 
Allerdings ist der Ausweisungsanlass - die vom Kläger begangene Straftat der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - besonders gravierend. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 - juris, vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris, vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3, und vom 03.08.2004 - 1 C 30.02 -InfAuslR 2005, 18), der sich der Senat anschließt (einschränkend noch Senatsurteile vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 - NVwZ-RR 2012, 492, und vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291), gelten bei Straftaten mit einer hervorgehobenen Bedeutung für die im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr eher geringere Anforderungen. In den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 AufenthG besteht auch eine gesetzliche Vermutung des Vorliegens eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes in § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG. Selbst wenn man danach einem differenzierten Wahrscheinlichkeitsmaßstab folgt, bedeutet dies aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O. m.w.N.). Dies gilt nicht nur bei der Prüfung der Wiederholungsgefahr bei Assoziationsberechtigten oder Unionsbürgern, sondern jedenfalls auch bei Ausländern, denen besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 AufenthG zusteht. Auch in diesen Fällen müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit von dem Betreffenden eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht. Lässt sich die Begehung weiterer Straftaten lediglich nicht ausschließen, ist eine dem besonderen Ausweisungsschutz Rechnung tragende erhöhte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung noch nicht gegeben, so dass auch der Ausweisungsgrund nicht schwer wiegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O., sowie - zu den entsprechenden Vorgängerregelungen des § 47 Abs. 1 AuslG 1990 bzw. § 11 Abs. 1 AuslG 1965 - Urteile vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 -InfAuslR 1997, 8, und vom 17.01.1989 - 1 C 46.86 - InfAuslR 1989, 152; Beschluss vom 10.02.1995 - 1 B 221.04 - InfAuslR 1995, 273, m.w.N.).
37 
Der Senat ist aufgrund der vorliegenden Akten und Unterlagen, insbesondere des von der Strafvollstreckungskammer im Verfahren auf Aussetzung der Reststrafe eingeholten, nachvollziehbaren und überzeugenden kriminalprognostischen Gutachtens vom 24.09.2011, sowie aufgrund der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass von diesem keine nennenswerte Gefahr der Wiederholung von entsprechenden Straftaten (mehr) ausgeht.
38 
Zu Lasten des Klägers sind in diesem Zusammenhang allerdings zunächst neben der Schwere des begangenen Delikts die konkreten Tatumstände zu berücksichtigen. Das Regierungspräsidium Karlsruhe hat in dem angefochtenen Bescheid zu Recht darauf hingewiesen, dass der Kläger zwar nicht der Haupttäter war, er jedoch als Inhaber des Wettbüros eine besondere Verantwortung für das Geschehen trug, und dass er über einen Zeitraum von über dreieinhalb Stunden an der Geiselnahme mitgewirkt hat, bei welcher durch eine menschenunwürdige Befragung unter Anwendung und Androhung von Gewalt der Versuch unternommen wurde, von der Angestellten N.G. ein Geständnis für den vermeintlich von dieser bzw. deren Freund begangenen Einbruch zu erhalten. Der Kläger war dabei auch nicht etwa nur passiv beteiligt, sondern unterstützte seine Mittäter aktiv. Bereits am Vorabend der Tat war verabredet worden, N.G. Ohrfeigen zu versetzen. Zwar nahm der Haupttäter B.A. die Schreckschusspistole ohne Wissen der anderen mit. Zum einen schritten sie aber nicht gegen B.A. ein, welcher den Eindruck erweckte, N.G. erschießen zu wollen. Zum anderen nutzten sie die dadurch bei N.G. entstandene Todesangst in der Folge weiter aus bei ihren Bemühungen, ein Geständnis zu erzwingen, und hielten diese aufrecht. Der Kläger hatte außerdem die Kellertür selbst verschlossen und versperrte mit seinen Füßen den Ausgang, so dass das Opfer keine Chance hatte, den Keller zu verlassen. Er beteiligte sich aktiv an Vorhaltungen und an den Forderungen, die Tat einzuräumen, wenngleich weniger intensiv als die Mitangeklagten B.A., Y.K. und E.G. Nachdem N.G. bereits mit der Schreckschusswaffe bedroht worden war und Todesangst litt, schaltete er auf Aufforderung des Haupttäters B.A. das Licht aus, so dass eine noch bedrohlichere Atmosphäre entstand. Später schlug er dem Haupttäter auf Türkisch vor, N.G. mit der Behauptung zusätzlich unter Druck zu setzen, man habe zwischenzeitlich ihren Freund mit einem Baseballschlager "zusammengeschlagen", woraufhin dieser gestanden hätte. Nachdem B.A. den Keller verlassen hatte, befragten der Kläger, Y.K. und T.K. das Opfer N.G. zunächst weiter, bevor sie diese freiließen. Der Kläger nahm damit massive körperliche und psychische Schädigungen der N.G. billigend in Kauf. Wenn auch er und die verbliebenen Mittäter in der Folge von einer weiteren Tatausführung absahen, weshalb das Strafgericht von einer tätigen Reue ausgegangen ist, teilt der Senat die Einschätzung des Regierungspräsidiums, dass die Tat und die Tatumstände für ein erhebliches Maß an krimineller Energie des Klägers sprechen. Es handelt sich um eine besonders gravierende und mit einer erschreckenden Härte und Mitleidlosigkeit begangene Straftat.
39 
Der Kläger hat sich zudem, abgesehen von mehreren Gesprächen mit einem Psychologen in der Justizvollzugsanstalt, nicht mit professioneller Hilfe mit der Tat und den Auswirkungen für das Opfer auseinandergesetzt. An der Tiefe der von ihm in der Vergangenheit in Gesprächen geäußerten Betroffenheit über das Geschehen sind nicht nur in den ersten Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt, sondern auch in dem kriminalprognostischen Gutachten vom 24.09.2011 Zweifel geäußert worden. In dem Gutachten heißt es, es bestehe der Eindruck, dass der Kläger insgesamt emotional stärker durch die Folgen der Tat für ihn und seine Familie als durch die Folgen für das Opfer betroffen sei. Auch habe er seinen eigenen Tatbeitrag im Rahmen der Begutachtung tendenziell eher heruntergespielt. Es hätten sich somit keine Hinweise für eine tiefergehende innere Auseinandersetzung mit der Tat, respektive mit dem eigenen Beitrag zum Tatgeschehen, gefunden. So habe dieser nicht plausibel und nachvollziehbar darlegen können, weshalb er sich in keiner erkennbaren Weise für das Opfer eingesetzt habe, obgleich er das Handeln seiner Mittäter missbilligt haben wolle. Die von ihm angeführte Begründung, dass er Angst davor gehabt hätte, der Mittäter B.A. könnte die Waffe gegen ihn selbst einsetzen, erscheine insgesamt wenig plausibel. Die fehlende Auseinandersetzung mit der Straftat und den in der eigenen Person liegenden diesbezüglich relevanten Einstellungen und Motiven wird von den Gutachtern daher in prognostischer Hinsicht als ungünstiger Faktor gewertet. Tatsächlich hat der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung nicht nachvollziehbar erklären können, wie es so weit hat kommen können, vor allem, warum er nicht irgendwann eingeschritten ist. Offensichtlich kann er sich das bis heute selbst nicht erklären. Den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung ließ sich aber eine - glaubhafte - starke Betroffenheit und Reue entnehmen. Dies wurde unter anderem deutlich, als er erläuterte, dass er sich vorgestellt habe, das Opfer wären seine Ehefrau oder seine Tochter gewesen, und dass ihm klar geworden sei, welche Folgen die Tat für N.G. habe. Abgesehen von dem bereits entrichteten Schmerzensgeld für N.G. würde er gerne alles unternehmen, damit es ihr besser gehe.
40 
Selbst wenn sich danach bis heute letztlich nicht erklären lässt, wie es zu einer solchen Straftat hat kommen können, und eine erschöpfende Auseinandersetzung mit der Tat fehlt, besteht beim Kläger nicht die Gefahr einer Wiederholung erheblicher Straftaten. Dabei ist zunächst zu bedenken, dass die Straftat inzwischen fast vier Jahre zurückliegt. Der Kläger war über drei Jahre lang in Untersuchungs- und Strafhaft, welche ihn erkennbar tief beeindruckt hat. Zuvor hat er sich - abgesehen von einem nicht einschlägigen und nicht mehr zu berücksichtigenden Straßenverkehrsdelikt im Jahr 1998 - über 10 Jahre lang straffrei und bis zur Übernahme des Wettbüros - dessen Beschäftige allerdings nicht alle ordnungsgemäß angemeldet gewesen seien - ohne Beanstandungen in Deutschland aufgehalten. Nach dem Gutachten vom 24.09.2011 finden sich keine Hinweise für Berührungspunkte mit "spezifisch delinquenznahem Milieu" und auch keine Hinweise für eine tiefer in der Persönlichkeit des Klägers verankerte delinquente Neigung, etwa eine dissoziale Akzentuierung in seiner Persönlichkeit. Anhaltspunkte für eine Sucht oder eine Bindung an ein entsprechendes Milieu liegen nicht vor. Vor allem lebte und lebt er in einer stabilen partnerschaftlichen Beziehung. Die Gutachter bescheinigen ihm, dass die von ihm bekundeten Sorgen um die Entwicklung der Familie und der Kinder nachvollziehbar und glaubhaft sind. In der mündlichen Verhandlung wurde deutlich, dass der Kläger tatsächlich einen starken Rückhalt durch seine Familie und weitere Verwandte hat. In Deutschland leben noch zwei seiner Brüder. Mit seiner Frau und seinen Kindern besucht er oft die Familie seiner Ehefrau, das heißt deren Eltern und Geschwister, oder einen seiner beiden Brüder, der ebenfalls in der Nähe wohnt. Seine Ehefrau, er und die Kinder unternehmen am Wochenende gemeinsame Ausflüge. Sie begleiten den Sohn, der Handball in der Verbandsliga spielt, zu dessen Spielen, gehen auf den Jahrmarkt, ins Kino, auf Messen oder zu Verwandtenbesuchen. Der Kläger ist dafür zuständig, seinen Kindern bei Hausaufgaben im Fach Mathematik zu helfen. Er hat glaubhaft erklärt, dass er sich jetzt nur noch um seine Familie kümmern wolle. Zu den früheren Mittätern oder deren Umfeld hat der Kläger keinerlei Kontakt mehr. Die danach bestehenden starken Bindungen des Klägers an seine Familie und sein soziales Umfeld wertet der Senat, ebenso wie die Gutachter, als prognostisch günstige Kriterien. Vor diesem Hintergrund erscheint die Befürchtung des Regierungspräsidiums, der Kläger könnte erneut in eine Situation geraten, in welcher besondere "situative Faktoren" wie die im kriminalprognostischen Gutachten beschriebenen - etwa das Eingebundensein in eine Tätergruppe mit freundschaftlichen Beziehungen und Loyalitäten und die Unterordnung unter eine dominant auftretende Persönlichkeit - zu einer ähnlichen Straftat mit Gewaltanwendung führen könnten, fernliegend.
41 
Soweit in den Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt mehrmals darauf hingewiesen wird, dass der Kläger versuche, eigene Anliegen hartnäckig durchzusetzen, lässt dies keinen negativen Schluss bezüglich der Gefahr der Wiederholung weiterer Straftaten zu. Jedenfalls wurden während seiner Haftzeit gegen ihn keine Disziplinarmaßnehmen verhängt und er arbeitete ohne Beanstandungen in Betrieben der Justizvollzugsanstalt. Zudem nahm er an einem Deutschkurs teil. Auch die Gutachter betonen, dass der Umstand, dass der Kläger seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse jeweils mit einem gewissen Nachdruck vorgetragen haben solle, nicht als prognoserelevanter Faktor verwertet werden könne. Sie kommen daher in ihrer zusammenfassenden Beurteilung zu dem Ergebnis, dass die weitgehend fehlende innere Auseinandersetzung des Klägers mit der Tat der einzige prognostisch ungünstige Faktor sei, welcher zusätzlich dadurch relativiert werde, dass die Tat nicht in hohem Maße in der Persönlichkeitsstruktur des Klägers verankert erscheine, sondern eng mit spezifischen situativen Konstellationen verknüpft gewesen sei. Die prognostisch günstigen Faktoren überwögen im Vergleich deutlich. In der Gesamtwürdigung sei somit trotz der mangelnden inneren Auseinandersetzung mit der Tat nicht mehr davon auszugehen, dass beim Kläger dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbestehe.
42 
Dieser Beurteilung schließt sich der Senat an. Die Einschätzung der Gutachter wurde auch von der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Karlsruhe im Beschluss über die Aussetzung der Reststrafe vom 21.12.2011 geteilt. Selbst wenn man davon ausgeht, dass entsprechenden strafgerichtlichen Entscheidungen wegen der unterschiedlichen Maßstäbe und Prognosezeitpunkte nur eingeschränkte Bedeutung bei der im Ausweisungsverfahren zu treffenden Prognoseentscheidung zukommt (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3; weitergehend allerdings bei Assoziationsberechtigten: Senatsurteil vom 07.03.2012 - 11 S 3269/11 - InfAuslR 2012, 203), so ist die Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe hier jedenfalls als wesentliches Indiz zu berücksichtigen. Die Strafvollstreckungskammer ist nach Einholung des kriminalprognostischen Gutachtens vom 24.09.2011 zum Ergebnis gekommen, dass eine vorzeitige Entlassung aus dem Strafvollzug verantwortet werden könne. Sie hat zur Begründung ebenfalls darauf verwiesen, dass der Kläger bis zu der Geiselnahme strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei und ein sozial voll integriertes Leben geführt habe. Der Anteil des Klägers an der verurteilten Straftat stelle sich, gerade bei den Gewalttätigkeiten, eher als gering dar. Der psychiatrische Sachverständige habe ausgeführt, die Tatsache, dass sich der Kläger mit der Tat allenfalls ansatzweise auseinandergesetzt habe, sei zwar als ungünstig zu beurteilen, im Hinblick auf die spezifische situative Konstellation bei der Tat und die im Übrigen festgestellte Eingebundenheit des Klägers seien aber mit hoher Wahrscheinlichkeit keine entsprechenden Taten zu erwarten. Der Kläger selbst habe in der mündlichen Anhörung auf die Strafvollstreckungskammer einen überaus positiven Eindruck gemacht. Sie sei daher davon überzeugt, dass es ihm mit der Hilfe und der Aufsicht eines Bewährungshelfers gelingen werden, künftig ein straffreies Leben zu führen, zumal er dabei sei, sich in einer anderen Berufssparte zu etablieren.
43 
Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung sind zudem weitere Umstände gegeben, die eine günstige Prognose rechtfertigen. Der Kläger hat sich seit der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer und der Haftentlassung vor fast einem Jahr weiter bewährt. Er hat keine Schulden mehr. Weil er zunächst Probleme hatte, eine bereits bestehende Fahrerlaubnis für LKW mit einem Gesamtgewicht von über 7,5 t ausgestellt zu bekommen, gelang es ihm zwar nicht sofort nach der Haftentlassung, eine Arbeitsstelle zu finden. Seit Juli 2012 ist er aber als Fahrer bei einer Firma in Karlsruhe angestellt. In einem Schreiben der Firma vom 28.09.2012 wird bestätigt, dass dieser gewissenhaft, zuverlässig und pünktlich sei; an einer Weiterbeschäftigung bestehe Interesse. Die Bewährungshelferin des Klägers äußert sich in einem Bericht vom 24.07.2012 insgesamt ebenfalls positiv. Sie bestätigt, dass sich der Kläger intensiv um einen Arbeitsplatz bemüht, diesen wegen der Probleme mit dem Führerschein aber zunächst nicht erhalten habe. Nach der Haftentlassung sei es ihm zunächst gesundheitlich nicht gut gegangen, er sei wegen einer Depression ärztlich behandelt worden und habe im Mai und Juni wegen Nierenschmerzen und Nierensteinen stationär behandelt werden müssen. An dem bisherigen Bewährungsverlauf sei insgesamt nichts zu beanstanden, der Kläger halte vereinbarte Termine regelmäßig ein, spreche bei auftauchenden Problemen auch ohne Termin vor. Zur Zeit genügt der Verdienst des Klägers - seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung nach inzwischen in Höhe von 800,- bis 1.200,-- EUR netto monatlich - zwar noch nicht zum Lebensunterhalt der Familie. Er und seine Ehefrau haben jedoch konkrete Pläne, mit Hilfe einer selbstständigen Tätigkeit wieder ohne staatliche Unterstützungen leben zu können. Der Kläger ist weiter nicht nur in seine eigene "Kernfamilie" eingebunden, sondern hat zudem regelmäßigen Kontakt zu seinen Schwiegereltern, seinem Bruder und anderen Verwandten.
44 
bb) Wenn danach auch davon auszugehen ist, dass mit Blick auf die spezialpräventiven Gesichtspunkte ein atypischer Sachverhalt vorliegt, mithin kein Regelfall des § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG gegeben ist, ist aber das Vorliegen eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes bezüglich der vom beklagten Land angeführten generalpräventiven Gesichtspunkte zu bejahen.
45 
Generalpräventiv motivierte Ausweisungen können - ausnahmsweise - auch bei Ausländern zulässig sein, denen besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 AufenthG zukommt, wenn eine besonders schwerwiegende Straftat vorliegt und deshalb ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über eine strafrechtliche Sanktion hinaus durch eine Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, Urteile 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, und vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 - InfAuslR 1997, 8). Bei der Entscheidung sind alle wesentlichen Umstände des Einzelfalls in die Beurteilung einzubeziehen. Das Gewicht der Straftat ist nicht abstrakt, sondern konkret nach den Umständen der Tatbegehung zu bestimmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 - a.a.O.).
46 
Nach diesen Grundsätzen kann die Ausweisung hier wegen der Art und Schwere der Straftat - der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - und der geschilderten konkreten, sich über mehrere Stunden hinziehenden Tatausführung auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden. Eine abschreckende Wirkung erscheint auch mit Blick darauf wichtig, dass es sich um einen Fall von besonders skrupelloser "Selbstjustiz" gehandelt hat. Schließlich war der Einbruch in das Wettbüro des Klägers vom 29.11.2008 bereits bei der Polizei angezeigt worden. Nach Bekanntwerden der Umstände, die aus Sicht des Klägers und der Mitangeklagten für eine Täterschaft der Angestellten N.G. bzw. ihres Freundes sprachen, hatte Y.K. noch am selben Abend die Polizei auch darüber informiert. Ausweislich der Feststellungen im Strafurteil vom 30.06.2009 hatte der Polizeibeamte, welcher aufgrund der vagen Verdächtigungen keinen Grund gesehen hatte, umgehend einzuschreiten, Y.K ausdrücklich davor gewarnt, eigene Aktionen zu unternehmen. Dies hatte Y.K dem Kläger berichtet. Trotzdem verabredeten Y.K., der Kläger und die weiteren Mittäter, N.G. zur Rede zu stellen, um - gegebenenfalls mit Hilfe von Ohrfeigen - ein Geständnis zu erzwingen, und begingen am nächsten Morgen die Straftat.
47 
c) Ist der die Ausweisung tragende Grund somit hinsichtlich der generalpräventiven Gesichtspunkte schwerwiegend, so ist der Kläger an sich gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG in der Regel auszuweisen, weil er den Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 1 AufenthG verwirklicht hat. Das Regierungspräsidium hat insoweit wegen der bestehenden familiären Lebensgemeinschaft des Klägers mit seiner deutschen Ehefrau und den vier deutschen Kindern allerdings zu Recht einen Ausnahmefall angenommen, der eine Abweichung von dieser Regel gebietet, und nach Ermessen entschieden.
48 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - InfAuslR 2008, 116, m.w.N.) ist von einem die Regel durchbrechenden Ausnahmefall bereits dann auszugehen, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falls erfordern. Es kann offen bleiben, ob dies bereits dann anzunehmen ist, wenn der Schutzbereich der betroffenen Grundrechte bzw. Menschenrechte, hier Art. 6 und Art. 2 GG bzw. Art. 8 EMRK, lediglich berührt ist oder ob bereits in diesem Zusammenhang die Feststellung eines qualifizierten Eingriffs erforderlich ist. Denn jedenfalls würde im Fall des Klägers wegen der bestehenden familiären Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Ehefrau und deutschen Kindern allein durch die Herabstufung von der "Ist-Ausweisung" zu einer "Regelausweisung" durch § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG dem besonderen Schutz der Familie durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK noch nicht hinreichend einzelfallbezogen Rechnung getragen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sind dann wesentlich konkreter und einzelfallbezogener neben allen ehelichen und familiären Umständen auch andere gewichtige persönlichen Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen und eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen (vgl. zu alledem auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - InfAuslR 2007, 443).
49 
4. Das danach dem Regierungspräsidium bei der Entscheidung über die Ausweisung zustehende und nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbare Ermessen ist hier von vornherein "auf Null reduziert", weil die mit einer Ausweisung verbundenen Folgen mit Blick auf die Schutzwirkungen von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK als unverhältnismäßig anzusehen sind.
50 
Bei der Entscheidung, ob eine im Ermessen der Ausländerbehörde stehende Ausweisung tatsächlich verfügt wird, sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die in § 55 Abs. 3 AufenthG aufgeführten, nämlich die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts, die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige oder Lebenspartner des Ausländer, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben, und die in § 60a Abs. 2 und 2b AufenthG genannten Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung. Dabei sind der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Grundrechte des Betroffenen zu beachten, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK, Art. 6 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG). Liegt ein Eingriff in diese Rechte vor, ist ohnehin eine einzelfallbezogene Würdigung und Abwägung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers unter Beachtung der insbesondere vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK entwickelten Kriterien vorzunehmen (BVerwG, Beschluss vom 10.02.2011 - 1 B 22.10 - Buchholz 402.242 § 56 AufenthG Nr. 5, m.w.N.; Urteil vom 22.10.2009 - 1 C 26.08 - InfAuslR 2010, 91). Dabei sind neben allen ehelichen und familiären Umständen auch andere gewichtige persönliche Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK darf eine Behörde in die Ausübung des Rechts aus Art. 8 Abs. 1 EMRK nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Die Frage, ob der durch eine Ausweisung bewirkte Eingriff im konkreten Einzelfall in diesem Sinne „notwendig“, insbesondere verhältnismäßig ist, ist anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist dabei von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen, den so genannten Boultif/Üner-Kriterien (vgl. zu den Kriterien im Einzelnen: EGMR, Urteile vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00, Boultif - InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99, Üner - NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/03, Maslov II - InfAuslR 2008, 333, vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05, Mutlag - InfAuslR 2010, 325, und vom 13.10.2011 - Nr. 41548/06, Trabelsi - juris). Erweisen sich danach die rechtlichen oder tatsächlichen Auswirkungen einer Ausweisung in Ansehung von Art. 6 Abs. 1 GG als unverhältnismäßig bzw. im Sinne des Art. 8 EMRK als "nicht notwendig", ist das Ermessen der Behörde mit der Folge "auf Null reduziert", dass eine Ausweisung des Betreffenden ausscheidet.
51 
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist eine Ausweisung des Klägers hier unzulässig. Der Kläger ist bereits seit 1996 mit seiner Ehefrau verheiratet, welche in Deutschland geboren ist und seit 1998 die deutsche Staatangehörigkeit besitzt. Mir ihr und den vier gemeinsamen, zwischen 4 und 15 Jahre alten Kindern, die ebenfalls Deutsche sind, lebt er in enger familiärer Lebensgemeinschaft. Diesem Umstand kommt eine erhebliche und weitreichende, durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK vermittelte Schutzwirkung zu, welche durch die deutsche Staatsangehörigkeit der Ehefrau und Kinder noch verstärkt wird (vgl. schon BVerwG, Urteile vom 03.05.1973 - I C 33.72 - BVerwGE 42, 133, vom 27.09.1978 - I C 79.76 - BVerwGE 56, 246, vom 17.01.1989 - 1 C 46.86 -InfAuslR 1989, 159; vgl. auch auch BVerfG, Beschluss vom 18.07.1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386; Kammerbeschlüsse vom 15.06.1993 - 2 BvR 900/93 - InfAuslR 1994, 311, und vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320). Dies wird auch nicht etwa durch den Umstand relativiert, dass die Ehefrau früher noch die türkische Staatsangehörigkeit hatte bzw. deren Eltern aus dem Heimatland des Klägers stammen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291, und vom 30.09.2009 - 13 S 440/09 -; HessVGH, Beschluss vom 15.07.2003 - 12 TG 1484/03 - InfAuslR 2003, 388). Insbesondere kann von der Ehefrau und den Kindern nicht verlangt werden, dass sie mit dem Kläger in die Türkei ausreisen.
52 
Die bestehenden tiefen Bindungen des Klägers zu seiner Familie werden belegt durch die vielen Besuche während seiner Haftzeit. Wie ausgeführt, hat der Kläger offensichtlich ein enges und intaktes Verhältnis zu seiner Ehefrau und seinen Kindern. Er übernimmt die Erziehung der Kinder gemeinsam mit seiner Ehefrau. In Anbetracht des jungen Alters der Kinder hätte eine - wenn auch nur vorübergehende - Trennung für diese ein besonderes Gewicht (vgl. zu Kindern in den ersten Lebensjahren BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320, und vom 01.12.2008 - 2 BvR 1830/08 -juris). Deren Belangen könnte daher auch durch eine Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf einen bestimmten - nicht zu langen - Zeitraum nicht hinreichend Rechnung getragen werden.
53 
Auf der anderen Seite ist das öffentliche Interesse einer Ausweisung hier gemindert, weil ungeachtet der Schwere der vom Kläger begangenen Straftat nicht mehr von einer relevanten Wiederholungsgefahr ausgegangen werden kann. Allein die generalpräventiven Erwägungen vermögen den mit einer Ausweisung verbundenen Eingriff in Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht zu rechtfertigen. Wie ausgeführt, ist zwar davon auszugehen, dass eine besonders schwerwiegende Straftat vorliegt und deshalb - grundsätzlich - ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über eine strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, Urteile 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, und vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 -InfAuslR 1997, 8). Dieses vermag aber in Anbetracht der konkreten Umstände des vorliegenden Falles den Eingriff in das Schutzgebot von Art. 6 Abs. 1 GG bzw. das Achtungsgebots des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht zu rechtfertigen. Dabei ist von besonderer Relevanz, dass die Tat annähernd vier Jahre zurückliegt und der Kläger seine Strafe verbüßt hat. Auch sind die bereits im Rahmen der Prüfung der Wiederholungsgefahr angeführten, für den Kläger sprechenden weiteren Umstände zu berücksichtigen, etwa dass er sich bereits seit 1996 rechtmäßig hier aufhält, zuvor - bis auf das Verkehrsdelikt - nie straffällig geworden war, außerdem dass er sich immer bemüht hat, ausreichend für seine Familie und sich zu sorgen und sich auch seit seiner Haftentlassung bewährt hat.
54 
Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass die Ausweisung des Klägers hier im Ergebnis selbst dann als unverhältnismäßig anzusehen ist, wenn man noch vom Bestehen einer geringen, aber die Erheblichkeitsschwelle übersteigenden Wiederholungsgefahr und damit dem Vorliegen spezialpräventiver Ausweisungsgründe ausginge. Denn aus den - zur Unverhältnismäßigkeit einer generalpräventiv motivierten Ausweisung - angeführten Gründen führt die danach erforderliche Abwägung ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die privaten Interessen des Klägers und seiner Familienangehörigen das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung überwiegen.
II.
55 
Unter diesen Umständen ist auch die im Bescheid vom 22.10.2010 verfügten Abschiebungsandrohung rechtswidrig und aufzuheben.
56 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
57 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
58 
Beschluss vom 23. Oktober 2012
59 
Der Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt (§§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG).
60 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
24 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht und ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 6 und Abs. 3 Satz 4 VwGO) Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 hat Erfolg. Die Anfechtungsklage des Klägers gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteile vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - InfAuslR 2008, 156, und vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris) begründet. Die darin unter Ziffer 1 verfügte Ausweisung und die Abschiebungsandrohung unter Ziffern 2 und 3 sind rechtswidrig und verletzen dadurch den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Einer Entscheidung über den vom Kläger im Berufungsverfahren lediglich hilfsweise gestellten Antrag auf Verpflichtung des beklagten Landes zur Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 bezeichneten Wirkungen der Ausweisung "auf sofort" (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O.) bedarf es daher nicht.
I.
25 
Die auf §§ 53 Nr. 1, 56 Abs. 1, 55 AufenthG beruhende (dazu unter 1. und 2.) Ausweisung des Klägers, die hier im Ermessen des beklagten Landes steht (3.), ist mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz rechtswidrig (4.).
26 
1. Maßgebliche Rechtsgrundlage sind die §§ 53 Nr. 1, 56 Abs. 1, 55 AufenthG.
27 
Insbesondere sind nicht etwa allein wegen des Umstands, dass die Ehefrau und die Kinder des Klägers deutsche Staatsangehörige sind, besondere unionsrechtliche Anforderungen zu beachten (vgl. hierzu EuGH, Urteile vom 05.05.2011 - Rs. C-434/09, McCarthy - InfAuslR 2011, 268, und vom 15.11.2011 - Rs. C-256/11, Dereci - InfAuslR 2012, 47; Senatsurteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 - NVwZ-RR 2012, 412).
28 
Eine nur beschränkte Anwendbarkeit der Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG folgt hier auch nicht aus dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: ARB 1/80; vgl. insbesondere Art. 14 ARB 1/80). Eine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80 hat der Kläger nicht erworben, weil seine Ehefrau vor Ablauf von drei Jahren nach Zuzug des Klägers eingebürgert wurde und die türkische Staatsangehörigkeit aufgegeben hat (vgl. dazu Renner, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 4 Rn. 156 m.w.N.). Ob er jemals die Voraussetzungen des - hier allein in Betracht kommenden - 2. Spiegelstrichs des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erfüllt hat, kann offen bleiben. Denn er hat eine eventuelle Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 durch die spätere Aufnahme selbstständiger Tätigkeiten, zuletzt den Betrieb des Wettbüros - aufgrund dessen der Kläger jedenfalls dem Arbeitsmarkt auf unabsehbare Zeit nicht mehr zur Verfügung stand - verloren (streitig, ebenso: Hess. VGH, Urteil vom 09.02.2004 - 12 TG 3548/03 - InfAuslR 2004, 230; Bayer. VGH, Urteil vom 26.03.2007 - 24 BV 03.2091 - juris; vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18.10.2006 - 13 S 192/06 - InfAuslR 2007, 49; a.A. VG Stuttgart, Urteil vom 23.05.2011 - 11 K 2967/10 - juris; vgl. zum Streitstand GK-AufenthG, Stand: September 2012, IX - 1 Art. 6 Rn. 238 f.; Hailbronner, AuslR, Stand: August 2012, D 5.1, Art. 6 ARB 1/80 Rn. 46). Letztlich kommt es aber auf diese Frage hier nicht an. Folge einer assoziationsrechtlichen Rechtsstellung des Klägers wäre ein erhöhter Ausweisungsschutz (vgl. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80; Senatsurteil vom 16.04.2012 - 11 S 4/12 - juris m.w.N.). Wie sich aus dem Folgenden ergibt, erweist sich die Ausweisung auch dann als rechtswidrig und ist daher aufzuheben, wenn ihm dieser nicht zukäme.
29 
2. Allerdings sind die Tatbestandsvoraussetzungen einer "Ist-Ausweisung" nach § 53 Nr. 1 AufenthG gegeben. Danach wird ein Ausländer unter anderem dann ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das ist hier wegen der Verurteilung des Klägers durch das Landgericht Karlsruhe vom 30.06.2009 wegen Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten der Fall.
30 
3. Trotz Erfüllung des an sich zwingenden Ausweisungsgrundes des § 53 Nr. 1 AufenthG steht die Ausweisung des Klägers jedoch im Ermessen und ist deshalb nach § 55 AufenthG zu beurteilen. Der Kläger genießt unstreitig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz (a). Er darf daher gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Solche liegen gemäß § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 AufenthG, also auch hier, vor. Diesbezüglich ist auch nicht vom Vorliegen eines Ausnahmefalls auszugehen (b). Hier ist aber eine Ausnahme von der "Regelrechtsfolge" des § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG geboten, wonach der betreffende Ausländer bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 AufenthG "in der Regel" ausgewiesen wird. Über seine Ausweisung ist daher nach Ermessen zu entscheiden (c).
31 
a) § 56 Abs. 1 AufenthG ist aus zwei Gründen anzuwenden: Zum einen besitzt der Kläger eine Niederlassungserlaubnis und hält sich seit mehr als fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet auf (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG), zum anderen lebt er mit deutschen Familienangehörigen - seiner Ehefrau und seinen Kindern - in familiärer Lebensgemeinschaft (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG).
32 
b) Der danach für eine Ausweisung des Klägers erforderliche schwerwiegende Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG ist gegeben.
33 
Nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5, 5 bis 5b und 7 AufenthG vor. Diese gesetzliche Vermutung beruht darauf, dass bei Verwirklichung der genannten Ausweisungstatbestände regelmäßig das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Ausweisung des Ausländers erfordert und der vom Gesetz bezweckte Schutz des Ausländers dahinter zurückzutreten hat. Die Regelung enthält allerdings keine Automatik, sondern erfordert eine individuelle Prüfung im jeweiligen Einzelfall, ob nicht Besonderheiten vorliegen, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass - hier des § 53 AufenthG - als weniger gewichtig erscheinen lassen. Davon ist auszugehen, wenn im konkreten Fall weder die spezial- noch die generalpräventiven Ausweisungszwecke des betreffenden Ausweisungstatbestands in dem erforderlichen Ausmaß vorliegen (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, m.w.N.; vgl. auch Senatsurteil vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 02.07.2001 - 13 S 2326/99 - InfAuslR 2002, 72).
34 
Im Falle des Klägers ist zwar nicht mit Blick auf den spezialpräventiven Ausweisungszweck (aa), aber vor dem Hintergrund der zulässigen generalpräventiven Erwägungen ein schwerwiegender Ausweisungsgrund (bb) zu bejahen.
35 
aa) Zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kann nicht (mehr) davon ausgegangen werden, dass vom Kläger die Gefahr der Wiederholung erheblicher Straftaten ausgeht. Die Ausweisung kann daher nicht mehr auf spezialpräventive Gründe gestützt werden.
36 
Allerdings ist der Ausweisungsanlass - die vom Kläger begangene Straftat der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - besonders gravierend. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 - juris, vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris, vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3, und vom 03.08.2004 - 1 C 30.02 -InfAuslR 2005, 18), der sich der Senat anschließt (einschränkend noch Senatsurteile vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 - NVwZ-RR 2012, 492, und vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291), gelten bei Straftaten mit einer hervorgehobenen Bedeutung für die im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr eher geringere Anforderungen. In den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 AufenthG besteht auch eine gesetzliche Vermutung des Vorliegens eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes in § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG. Selbst wenn man danach einem differenzierten Wahrscheinlichkeitsmaßstab folgt, bedeutet dies aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O. m.w.N.). Dies gilt nicht nur bei der Prüfung der Wiederholungsgefahr bei Assoziationsberechtigten oder Unionsbürgern, sondern jedenfalls auch bei Ausländern, denen besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 AufenthG zusteht. Auch in diesen Fällen müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit von dem Betreffenden eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht. Lässt sich die Begehung weiterer Straftaten lediglich nicht ausschließen, ist eine dem besonderen Ausweisungsschutz Rechnung tragende erhöhte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung noch nicht gegeben, so dass auch der Ausweisungsgrund nicht schwer wiegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O., sowie - zu den entsprechenden Vorgängerregelungen des § 47 Abs. 1 AuslG 1990 bzw. § 11 Abs. 1 AuslG 1965 - Urteile vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 -InfAuslR 1997, 8, und vom 17.01.1989 - 1 C 46.86 - InfAuslR 1989, 152; Beschluss vom 10.02.1995 - 1 B 221.04 - InfAuslR 1995, 273, m.w.N.).
37 
Der Senat ist aufgrund der vorliegenden Akten und Unterlagen, insbesondere des von der Strafvollstreckungskammer im Verfahren auf Aussetzung der Reststrafe eingeholten, nachvollziehbaren und überzeugenden kriminalprognostischen Gutachtens vom 24.09.2011, sowie aufgrund der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass von diesem keine nennenswerte Gefahr der Wiederholung von entsprechenden Straftaten (mehr) ausgeht.
38 
Zu Lasten des Klägers sind in diesem Zusammenhang allerdings zunächst neben der Schwere des begangenen Delikts die konkreten Tatumstände zu berücksichtigen. Das Regierungspräsidium Karlsruhe hat in dem angefochtenen Bescheid zu Recht darauf hingewiesen, dass der Kläger zwar nicht der Haupttäter war, er jedoch als Inhaber des Wettbüros eine besondere Verantwortung für das Geschehen trug, und dass er über einen Zeitraum von über dreieinhalb Stunden an der Geiselnahme mitgewirkt hat, bei welcher durch eine menschenunwürdige Befragung unter Anwendung und Androhung von Gewalt der Versuch unternommen wurde, von der Angestellten N.G. ein Geständnis für den vermeintlich von dieser bzw. deren Freund begangenen Einbruch zu erhalten. Der Kläger war dabei auch nicht etwa nur passiv beteiligt, sondern unterstützte seine Mittäter aktiv. Bereits am Vorabend der Tat war verabredet worden, N.G. Ohrfeigen zu versetzen. Zwar nahm der Haupttäter B.A. die Schreckschusspistole ohne Wissen der anderen mit. Zum einen schritten sie aber nicht gegen B.A. ein, welcher den Eindruck erweckte, N.G. erschießen zu wollen. Zum anderen nutzten sie die dadurch bei N.G. entstandene Todesangst in der Folge weiter aus bei ihren Bemühungen, ein Geständnis zu erzwingen, und hielten diese aufrecht. Der Kläger hatte außerdem die Kellertür selbst verschlossen und versperrte mit seinen Füßen den Ausgang, so dass das Opfer keine Chance hatte, den Keller zu verlassen. Er beteiligte sich aktiv an Vorhaltungen und an den Forderungen, die Tat einzuräumen, wenngleich weniger intensiv als die Mitangeklagten B.A., Y.K. und E.G. Nachdem N.G. bereits mit der Schreckschusswaffe bedroht worden war und Todesangst litt, schaltete er auf Aufforderung des Haupttäters B.A. das Licht aus, so dass eine noch bedrohlichere Atmosphäre entstand. Später schlug er dem Haupttäter auf Türkisch vor, N.G. mit der Behauptung zusätzlich unter Druck zu setzen, man habe zwischenzeitlich ihren Freund mit einem Baseballschlager "zusammengeschlagen", woraufhin dieser gestanden hätte. Nachdem B.A. den Keller verlassen hatte, befragten der Kläger, Y.K. und T.K. das Opfer N.G. zunächst weiter, bevor sie diese freiließen. Der Kläger nahm damit massive körperliche und psychische Schädigungen der N.G. billigend in Kauf. Wenn auch er und die verbliebenen Mittäter in der Folge von einer weiteren Tatausführung absahen, weshalb das Strafgericht von einer tätigen Reue ausgegangen ist, teilt der Senat die Einschätzung des Regierungspräsidiums, dass die Tat und die Tatumstände für ein erhebliches Maß an krimineller Energie des Klägers sprechen. Es handelt sich um eine besonders gravierende und mit einer erschreckenden Härte und Mitleidlosigkeit begangene Straftat.
39 
Der Kläger hat sich zudem, abgesehen von mehreren Gesprächen mit einem Psychologen in der Justizvollzugsanstalt, nicht mit professioneller Hilfe mit der Tat und den Auswirkungen für das Opfer auseinandergesetzt. An der Tiefe der von ihm in der Vergangenheit in Gesprächen geäußerten Betroffenheit über das Geschehen sind nicht nur in den ersten Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt, sondern auch in dem kriminalprognostischen Gutachten vom 24.09.2011 Zweifel geäußert worden. In dem Gutachten heißt es, es bestehe der Eindruck, dass der Kläger insgesamt emotional stärker durch die Folgen der Tat für ihn und seine Familie als durch die Folgen für das Opfer betroffen sei. Auch habe er seinen eigenen Tatbeitrag im Rahmen der Begutachtung tendenziell eher heruntergespielt. Es hätten sich somit keine Hinweise für eine tiefergehende innere Auseinandersetzung mit der Tat, respektive mit dem eigenen Beitrag zum Tatgeschehen, gefunden. So habe dieser nicht plausibel und nachvollziehbar darlegen können, weshalb er sich in keiner erkennbaren Weise für das Opfer eingesetzt habe, obgleich er das Handeln seiner Mittäter missbilligt haben wolle. Die von ihm angeführte Begründung, dass er Angst davor gehabt hätte, der Mittäter B.A. könnte die Waffe gegen ihn selbst einsetzen, erscheine insgesamt wenig plausibel. Die fehlende Auseinandersetzung mit der Straftat und den in der eigenen Person liegenden diesbezüglich relevanten Einstellungen und Motiven wird von den Gutachtern daher in prognostischer Hinsicht als ungünstiger Faktor gewertet. Tatsächlich hat der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung nicht nachvollziehbar erklären können, wie es so weit hat kommen können, vor allem, warum er nicht irgendwann eingeschritten ist. Offensichtlich kann er sich das bis heute selbst nicht erklären. Den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung ließ sich aber eine - glaubhafte - starke Betroffenheit und Reue entnehmen. Dies wurde unter anderem deutlich, als er erläuterte, dass er sich vorgestellt habe, das Opfer wären seine Ehefrau oder seine Tochter gewesen, und dass ihm klar geworden sei, welche Folgen die Tat für N.G. habe. Abgesehen von dem bereits entrichteten Schmerzensgeld für N.G. würde er gerne alles unternehmen, damit es ihr besser gehe.
40 
Selbst wenn sich danach bis heute letztlich nicht erklären lässt, wie es zu einer solchen Straftat hat kommen können, und eine erschöpfende Auseinandersetzung mit der Tat fehlt, besteht beim Kläger nicht die Gefahr einer Wiederholung erheblicher Straftaten. Dabei ist zunächst zu bedenken, dass die Straftat inzwischen fast vier Jahre zurückliegt. Der Kläger war über drei Jahre lang in Untersuchungs- und Strafhaft, welche ihn erkennbar tief beeindruckt hat. Zuvor hat er sich - abgesehen von einem nicht einschlägigen und nicht mehr zu berücksichtigenden Straßenverkehrsdelikt im Jahr 1998 - über 10 Jahre lang straffrei und bis zur Übernahme des Wettbüros - dessen Beschäftige allerdings nicht alle ordnungsgemäß angemeldet gewesen seien - ohne Beanstandungen in Deutschland aufgehalten. Nach dem Gutachten vom 24.09.2011 finden sich keine Hinweise für Berührungspunkte mit "spezifisch delinquenznahem Milieu" und auch keine Hinweise für eine tiefer in der Persönlichkeit des Klägers verankerte delinquente Neigung, etwa eine dissoziale Akzentuierung in seiner Persönlichkeit. Anhaltspunkte für eine Sucht oder eine Bindung an ein entsprechendes Milieu liegen nicht vor. Vor allem lebte und lebt er in einer stabilen partnerschaftlichen Beziehung. Die Gutachter bescheinigen ihm, dass die von ihm bekundeten Sorgen um die Entwicklung der Familie und der Kinder nachvollziehbar und glaubhaft sind. In der mündlichen Verhandlung wurde deutlich, dass der Kläger tatsächlich einen starken Rückhalt durch seine Familie und weitere Verwandte hat. In Deutschland leben noch zwei seiner Brüder. Mit seiner Frau und seinen Kindern besucht er oft die Familie seiner Ehefrau, das heißt deren Eltern und Geschwister, oder einen seiner beiden Brüder, der ebenfalls in der Nähe wohnt. Seine Ehefrau, er und die Kinder unternehmen am Wochenende gemeinsame Ausflüge. Sie begleiten den Sohn, der Handball in der Verbandsliga spielt, zu dessen Spielen, gehen auf den Jahrmarkt, ins Kino, auf Messen oder zu Verwandtenbesuchen. Der Kläger ist dafür zuständig, seinen Kindern bei Hausaufgaben im Fach Mathematik zu helfen. Er hat glaubhaft erklärt, dass er sich jetzt nur noch um seine Familie kümmern wolle. Zu den früheren Mittätern oder deren Umfeld hat der Kläger keinerlei Kontakt mehr. Die danach bestehenden starken Bindungen des Klägers an seine Familie und sein soziales Umfeld wertet der Senat, ebenso wie die Gutachter, als prognostisch günstige Kriterien. Vor diesem Hintergrund erscheint die Befürchtung des Regierungspräsidiums, der Kläger könnte erneut in eine Situation geraten, in welcher besondere "situative Faktoren" wie die im kriminalprognostischen Gutachten beschriebenen - etwa das Eingebundensein in eine Tätergruppe mit freundschaftlichen Beziehungen und Loyalitäten und die Unterordnung unter eine dominant auftretende Persönlichkeit - zu einer ähnlichen Straftat mit Gewaltanwendung führen könnten, fernliegend.
41 
Soweit in den Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt mehrmals darauf hingewiesen wird, dass der Kläger versuche, eigene Anliegen hartnäckig durchzusetzen, lässt dies keinen negativen Schluss bezüglich der Gefahr der Wiederholung weiterer Straftaten zu. Jedenfalls wurden während seiner Haftzeit gegen ihn keine Disziplinarmaßnehmen verhängt und er arbeitete ohne Beanstandungen in Betrieben der Justizvollzugsanstalt. Zudem nahm er an einem Deutschkurs teil. Auch die Gutachter betonen, dass der Umstand, dass der Kläger seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse jeweils mit einem gewissen Nachdruck vorgetragen haben solle, nicht als prognoserelevanter Faktor verwertet werden könne. Sie kommen daher in ihrer zusammenfassenden Beurteilung zu dem Ergebnis, dass die weitgehend fehlende innere Auseinandersetzung des Klägers mit der Tat der einzige prognostisch ungünstige Faktor sei, welcher zusätzlich dadurch relativiert werde, dass die Tat nicht in hohem Maße in der Persönlichkeitsstruktur des Klägers verankert erscheine, sondern eng mit spezifischen situativen Konstellationen verknüpft gewesen sei. Die prognostisch günstigen Faktoren überwögen im Vergleich deutlich. In der Gesamtwürdigung sei somit trotz der mangelnden inneren Auseinandersetzung mit der Tat nicht mehr davon auszugehen, dass beim Kläger dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbestehe.
42 
Dieser Beurteilung schließt sich der Senat an. Die Einschätzung der Gutachter wurde auch von der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Karlsruhe im Beschluss über die Aussetzung der Reststrafe vom 21.12.2011 geteilt. Selbst wenn man davon ausgeht, dass entsprechenden strafgerichtlichen Entscheidungen wegen der unterschiedlichen Maßstäbe und Prognosezeitpunkte nur eingeschränkte Bedeutung bei der im Ausweisungsverfahren zu treffenden Prognoseentscheidung zukommt (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3; weitergehend allerdings bei Assoziationsberechtigten: Senatsurteil vom 07.03.2012 - 11 S 3269/11 - InfAuslR 2012, 203), so ist die Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe hier jedenfalls als wesentliches Indiz zu berücksichtigen. Die Strafvollstreckungskammer ist nach Einholung des kriminalprognostischen Gutachtens vom 24.09.2011 zum Ergebnis gekommen, dass eine vorzeitige Entlassung aus dem Strafvollzug verantwortet werden könne. Sie hat zur Begründung ebenfalls darauf verwiesen, dass der Kläger bis zu der Geiselnahme strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei und ein sozial voll integriertes Leben geführt habe. Der Anteil des Klägers an der verurteilten Straftat stelle sich, gerade bei den Gewalttätigkeiten, eher als gering dar. Der psychiatrische Sachverständige habe ausgeführt, die Tatsache, dass sich der Kläger mit der Tat allenfalls ansatzweise auseinandergesetzt habe, sei zwar als ungünstig zu beurteilen, im Hinblick auf die spezifische situative Konstellation bei der Tat und die im Übrigen festgestellte Eingebundenheit des Klägers seien aber mit hoher Wahrscheinlichkeit keine entsprechenden Taten zu erwarten. Der Kläger selbst habe in der mündlichen Anhörung auf die Strafvollstreckungskammer einen überaus positiven Eindruck gemacht. Sie sei daher davon überzeugt, dass es ihm mit der Hilfe und der Aufsicht eines Bewährungshelfers gelingen werden, künftig ein straffreies Leben zu führen, zumal er dabei sei, sich in einer anderen Berufssparte zu etablieren.
43 
Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung sind zudem weitere Umstände gegeben, die eine günstige Prognose rechtfertigen. Der Kläger hat sich seit der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer und der Haftentlassung vor fast einem Jahr weiter bewährt. Er hat keine Schulden mehr. Weil er zunächst Probleme hatte, eine bereits bestehende Fahrerlaubnis für LKW mit einem Gesamtgewicht von über 7,5 t ausgestellt zu bekommen, gelang es ihm zwar nicht sofort nach der Haftentlassung, eine Arbeitsstelle zu finden. Seit Juli 2012 ist er aber als Fahrer bei einer Firma in Karlsruhe angestellt. In einem Schreiben der Firma vom 28.09.2012 wird bestätigt, dass dieser gewissenhaft, zuverlässig und pünktlich sei; an einer Weiterbeschäftigung bestehe Interesse. Die Bewährungshelferin des Klägers äußert sich in einem Bericht vom 24.07.2012 insgesamt ebenfalls positiv. Sie bestätigt, dass sich der Kläger intensiv um einen Arbeitsplatz bemüht, diesen wegen der Probleme mit dem Führerschein aber zunächst nicht erhalten habe. Nach der Haftentlassung sei es ihm zunächst gesundheitlich nicht gut gegangen, er sei wegen einer Depression ärztlich behandelt worden und habe im Mai und Juni wegen Nierenschmerzen und Nierensteinen stationär behandelt werden müssen. An dem bisherigen Bewährungsverlauf sei insgesamt nichts zu beanstanden, der Kläger halte vereinbarte Termine regelmäßig ein, spreche bei auftauchenden Problemen auch ohne Termin vor. Zur Zeit genügt der Verdienst des Klägers - seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung nach inzwischen in Höhe von 800,- bis 1.200,-- EUR netto monatlich - zwar noch nicht zum Lebensunterhalt der Familie. Er und seine Ehefrau haben jedoch konkrete Pläne, mit Hilfe einer selbstständigen Tätigkeit wieder ohne staatliche Unterstützungen leben zu können. Der Kläger ist weiter nicht nur in seine eigene "Kernfamilie" eingebunden, sondern hat zudem regelmäßigen Kontakt zu seinen Schwiegereltern, seinem Bruder und anderen Verwandten.
44 
bb) Wenn danach auch davon auszugehen ist, dass mit Blick auf die spezialpräventiven Gesichtspunkte ein atypischer Sachverhalt vorliegt, mithin kein Regelfall des § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG gegeben ist, ist aber das Vorliegen eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes bezüglich der vom beklagten Land angeführten generalpräventiven Gesichtspunkte zu bejahen.
45 
Generalpräventiv motivierte Ausweisungen können - ausnahmsweise - auch bei Ausländern zulässig sein, denen besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 AufenthG zukommt, wenn eine besonders schwerwiegende Straftat vorliegt und deshalb ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über eine strafrechtliche Sanktion hinaus durch eine Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, Urteile 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, und vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 - InfAuslR 1997, 8). Bei der Entscheidung sind alle wesentlichen Umstände des Einzelfalls in die Beurteilung einzubeziehen. Das Gewicht der Straftat ist nicht abstrakt, sondern konkret nach den Umständen der Tatbegehung zu bestimmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 - a.a.O.).
46 
Nach diesen Grundsätzen kann die Ausweisung hier wegen der Art und Schwere der Straftat - der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - und der geschilderten konkreten, sich über mehrere Stunden hinziehenden Tatausführung auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden. Eine abschreckende Wirkung erscheint auch mit Blick darauf wichtig, dass es sich um einen Fall von besonders skrupelloser "Selbstjustiz" gehandelt hat. Schließlich war der Einbruch in das Wettbüro des Klägers vom 29.11.2008 bereits bei der Polizei angezeigt worden. Nach Bekanntwerden der Umstände, die aus Sicht des Klägers und der Mitangeklagten für eine Täterschaft der Angestellten N.G. bzw. ihres Freundes sprachen, hatte Y.K. noch am selben Abend die Polizei auch darüber informiert. Ausweislich der Feststellungen im Strafurteil vom 30.06.2009 hatte der Polizeibeamte, welcher aufgrund der vagen Verdächtigungen keinen Grund gesehen hatte, umgehend einzuschreiten, Y.K ausdrücklich davor gewarnt, eigene Aktionen zu unternehmen. Dies hatte Y.K dem Kläger berichtet. Trotzdem verabredeten Y.K., der Kläger und die weiteren Mittäter, N.G. zur Rede zu stellen, um - gegebenenfalls mit Hilfe von Ohrfeigen - ein Geständnis zu erzwingen, und begingen am nächsten Morgen die Straftat.
47 
c) Ist der die Ausweisung tragende Grund somit hinsichtlich der generalpräventiven Gesichtspunkte schwerwiegend, so ist der Kläger an sich gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG in der Regel auszuweisen, weil er den Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 1 AufenthG verwirklicht hat. Das Regierungspräsidium hat insoweit wegen der bestehenden familiären Lebensgemeinschaft des Klägers mit seiner deutschen Ehefrau und den vier deutschen Kindern allerdings zu Recht einen Ausnahmefall angenommen, der eine Abweichung von dieser Regel gebietet, und nach Ermessen entschieden.
48 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - InfAuslR 2008, 116, m.w.N.) ist von einem die Regel durchbrechenden Ausnahmefall bereits dann auszugehen, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falls erfordern. Es kann offen bleiben, ob dies bereits dann anzunehmen ist, wenn der Schutzbereich der betroffenen Grundrechte bzw. Menschenrechte, hier Art. 6 und Art. 2 GG bzw. Art. 8 EMRK, lediglich berührt ist oder ob bereits in diesem Zusammenhang die Feststellung eines qualifizierten Eingriffs erforderlich ist. Denn jedenfalls würde im Fall des Klägers wegen der bestehenden familiären Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Ehefrau und deutschen Kindern allein durch die Herabstufung von der "Ist-Ausweisung" zu einer "Regelausweisung" durch § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG dem besonderen Schutz der Familie durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK noch nicht hinreichend einzelfallbezogen Rechnung getragen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sind dann wesentlich konkreter und einzelfallbezogener neben allen ehelichen und familiären Umständen auch andere gewichtige persönlichen Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen und eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen (vgl. zu alledem auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - InfAuslR 2007, 443).
49 
4. Das danach dem Regierungspräsidium bei der Entscheidung über die Ausweisung zustehende und nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbare Ermessen ist hier von vornherein "auf Null reduziert", weil die mit einer Ausweisung verbundenen Folgen mit Blick auf die Schutzwirkungen von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK als unverhältnismäßig anzusehen sind.
50 
Bei der Entscheidung, ob eine im Ermessen der Ausländerbehörde stehende Ausweisung tatsächlich verfügt wird, sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die in § 55 Abs. 3 AufenthG aufgeführten, nämlich die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts, die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige oder Lebenspartner des Ausländer, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben, und die in § 60a Abs. 2 und 2b AufenthG genannten Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung. Dabei sind der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Grundrechte des Betroffenen zu beachten, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK, Art. 6 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG). Liegt ein Eingriff in diese Rechte vor, ist ohnehin eine einzelfallbezogene Würdigung und Abwägung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers unter Beachtung der insbesondere vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK entwickelten Kriterien vorzunehmen (BVerwG, Beschluss vom 10.02.2011 - 1 B 22.10 - Buchholz 402.242 § 56 AufenthG Nr. 5, m.w.N.; Urteil vom 22.10.2009 - 1 C 26.08 - InfAuslR 2010, 91). Dabei sind neben allen ehelichen und familiären Umständen auch andere gewichtige persönliche Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK darf eine Behörde in die Ausübung des Rechts aus Art. 8 Abs. 1 EMRK nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Die Frage, ob der durch eine Ausweisung bewirkte Eingriff im konkreten Einzelfall in diesem Sinne „notwendig“, insbesondere verhältnismäßig ist, ist anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist dabei von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen, den so genannten Boultif/Üner-Kriterien (vgl. zu den Kriterien im Einzelnen: EGMR, Urteile vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00, Boultif - InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99, Üner - NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/03, Maslov II - InfAuslR 2008, 333, vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05, Mutlag - InfAuslR 2010, 325, und vom 13.10.2011 - Nr. 41548/06, Trabelsi - juris). Erweisen sich danach die rechtlichen oder tatsächlichen Auswirkungen einer Ausweisung in Ansehung von Art. 6 Abs. 1 GG als unverhältnismäßig bzw. im Sinne des Art. 8 EMRK als "nicht notwendig", ist das Ermessen der Behörde mit der Folge "auf Null reduziert", dass eine Ausweisung des Betreffenden ausscheidet.
51 
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist eine Ausweisung des Klägers hier unzulässig. Der Kläger ist bereits seit 1996 mit seiner Ehefrau verheiratet, welche in Deutschland geboren ist und seit 1998 die deutsche Staatangehörigkeit besitzt. Mir ihr und den vier gemeinsamen, zwischen 4 und 15 Jahre alten Kindern, die ebenfalls Deutsche sind, lebt er in enger familiärer Lebensgemeinschaft. Diesem Umstand kommt eine erhebliche und weitreichende, durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK vermittelte Schutzwirkung zu, welche durch die deutsche Staatsangehörigkeit der Ehefrau und Kinder noch verstärkt wird (vgl. schon BVerwG, Urteile vom 03.05.1973 - I C 33.72 - BVerwGE 42, 133, vom 27.09.1978 - I C 79.76 - BVerwGE 56, 246, vom 17.01.1989 - 1 C 46.86 -InfAuslR 1989, 159; vgl. auch auch BVerfG, Beschluss vom 18.07.1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386; Kammerbeschlüsse vom 15.06.1993 - 2 BvR 900/93 - InfAuslR 1994, 311, und vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320). Dies wird auch nicht etwa durch den Umstand relativiert, dass die Ehefrau früher noch die türkische Staatsangehörigkeit hatte bzw. deren Eltern aus dem Heimatland des Klägers stammen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291, und vom 30.09.2009 - 13 S 440/09 -; HessVGH, Beschluss vom 15.07.2003 - 12 TG 1484/03 - InfAuslR 2003, 388). Insbesondere kann von der Ehefrau und den Kindern nicht verlangt werden, dass sie mit dem Kläger in die Türkei ausreisen.
52 
Die bestehenden tiefen Bindungen des Klägers zu seiner Familie werden belegt durch die vielen Besuche während seiner Haftzeit. Wie ausgeführt, hat der Kläger offensichtlich ein enges und intaktes Verhältnis zu seiner Ehefrau und seinen Kindern. Er übernimmt die Erziehung der Kinder gemeinsam mit seiner Ehefrau. In Anbetracht des jungen Alters der Kinder hätte eine - wenn auch nur vorübergehende - Trennung für diese ein besonderes Gewicht (vgl. zu Kindern in den ersten Lebensjahren BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320, und vom 01.12.2008 - 2 BvR 1830/08 -juris). Deren Belangen könnte daher auch durch eine Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf einen bestimmten - nicht zu langen - Zeitraum nicht hinreichend Rechnung getragen werden.
53 
Auf der anderen Seite ist das öffentliche Interesse einer Ausweisung hier gemindert, weil ungeachtet der Schwere der vom Kläger begangenen Straftat nicht mehr von einer relevanten Wiederholungsgefahr ausgegangen werden kann. Allein die generalpräventiven Erwägungen vermögen den mit einer Ausweisung verbundenen Eingriff in Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht zu rechtfertigen. Wie ausgeführt, ist zwar davon auszugehen, dass eine besonders schwerwiegende Straftat vorliegt und deshalb - grundsätzlich - ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über eine strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, Urteile 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, und vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 -InfAuslR 1997, 8). Dieses vermag aber in Anbetracht der konkreten Umstände des vorliegenden Falles den Eingriff in das Schutzgebot von Art. 6 Abs. 1 GG bzw. das Achtungsgebots des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht zu rechtfertigen. Dabei ist von besonderer Relevanz, dass die Tat annähernd vier Jahre zurückliegt und der Kläger seine Strafe verbüßt hat. Auch sind die bereits im Rahmen der Prüfung der Wiederholungsgefahr angeführten, für den Kläger sprechenden weiteren Umstände zu berücksichtigen, etwa dass er sich bereits seit 1996 rechtmäßig hier aufhält, zuvor - bis auf das Verkehrsdelikt - nie straffällig geworden war, außerdem dass er sich immer bemüht hat, ausreichend für seine Familie und sich zu sorgen und sich auch seit seiner Haftentlassung bewährt hat.
54 
Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass die Ausweisung des Klägers hier im Ergebnis selbst dann als unverhältnismäßig anzusehen ist, wenn man noch vom Bestehen einer geringen, aber die Erheblichkeitsschwelle übersteigenden Wiederholungsgefahr und damit dem Vorliegen spezialpräventiver Ausweisungsgründe ausginge. Denn aus den - zur Unverhältnismäßigkeit einer generalpräventiv motivierten Ausweisung - angeführten Gründen führt die danach erforderliche Abwägung ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die privaten Interessen des Klägers und seiner Familienangehörigen das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung überwiegen.
II.
55 
Unter diesen Umständen ist auch die im Bescheid vom 22.10.2010 verfügten Abschiebungsandrohung rechtswidrig und aufzuheben.
56 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
57 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
58 
Beschluss vom 23. Oktober 2012
59 
Der Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt (§§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG).
60 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Ist jemand wegen einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren verurteilt worden und ergibt sich aus den Urteilsgründen oder steht sonst fest, daß er die Tat auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat, so kann die Vollstreckungsbehörde mit Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszuges die Vollstreckung der Strafe, eines Strafrestes oder der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für längstens zwei Jahre zurückstellen, wenn der Verurteilte sich wegen seiner Abhängigkeit in einer seiner Rehabilitation dienenden Behandlung befindet oder zusagt, sich einer solchen zu unterziehen, und deren Beginn gewährleistet ist. Als Behandlung gilt auch der Aufenthalt in einer staatlich anerkannten Einrichtung, die dazu dient, die Abhängigkeit zu beheben oder einer erneuten Abhängigkeit entgegenzuwirken.

(2) Gegen die Verweigerung der Zustimmung durch das Gericht des ersten Rechtszuges steht der Vollstreckungsbehörde die Beschwerde nach dem Zweiten Abschnitt des Dritten Buches der Strafprozeßordnung zu. Der Verurteilte kann die Verweigerung dieser Zustimmung nur zusammen mit der Ablehnung der Zurückstellung durch die Vollstreckungsbehörde nach den §§ 23 bis 30 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz anfechten. Das Oberlandesgericht entscheidet in diesem Falle auch über die Verweigerung der Zustimmung; es kann die Zustimmung selbst erteilen.

(3) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn

1.
auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren erkannt worden ist oder
2.
auf eine Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren erkannt worden ist und ein zu vollstreckender Rest der Freiheitsstrafe oder der Gesamtfreiheitsstrafe zwei Jahre nicht übersteigt
und im übrigen die Voraussetzungen des Absatzes 1 für den ihrer Bedeutung nach überwiegenden Teil der abgeurteilten Straftaten erfüllt sind.

(4) Der Verurteilte ist verpflichtet, zu Zeitpunkten, die die Vollstreckungsbehörde festsetzt, den Nachweis über die Aufnahme und über die Fortführung der Behandlung zu erbringen; die behandelnden Personen oder Einrichtungen teilen der Vollstreckungsbehörde einen Abbruch der Behandlung mit.

(5) Die Vollstreckungsbehörde widerruft die Zurückstellung der Vollstreckung, wenn die Behandlung nicht begonnen oder nicht fortgeführt wird und nicht zu erwarten ist, daß der Verurteilte eine Behandlung derselben Art alsbald beginnt oder wieder aufnimmt, oder wenn der Verurteilte den nach Absatz 4 geforderten Nachweis nicht erbringt. Von dem Widerruf kann abgesehen werden, wenn der Verurteilte nachträglich nachweist, daß er sich in Behandlung befindet. Ein Widerruf nach Satz 1 steht einer erneuten Zurückstellung der Vollstreckung nicht entgegen.

(6) Die Zurückstellung der Vollstreckung wird auch widerrufen, wenn

1.
bei nachträglicher Bildung einer Gesamtstrafe nicht auch deren Vollstreckung nach Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 3 zurückgestellt wird oder
2.
eine weitere gegen den Verurteilten erkannte Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung zu vollstrecken ist.

(7) Hat die Vollstreckungsbehörde die Zurückstellung widerrufen, so ist sie befugt, zur Vollstreckung der Freiheitsstrafe oder der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt einen Haftbefehl zu erlassen. Gegen den Widerruf kann die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszuges herbeigeführt werden. Der Fortgang der Vollstreckung wird durch die Anrufung des Gerichts nicht gehemmt. § 462 der Strafprozeßordnung gilt entsprechend.

(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn

1.
zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind,
2.
dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, und
3.
die verurteilte Person einwilligt.
Bei der Entscheidung sind insbesondere die Persönlichkeit der verurteilten Person, ihr Vorleben, die Umstände ihrer Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug, ihre Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für sie zu erwarten sind.

(2) Schon nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe, mindestens jedoch von sechs Monaten, kann das Gericht die Vollstreckung des Restes zur Bewährung aussetzen, wenn

1.
die verurteilte Person erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt und diese zwei Jahre nicht übersteigt oder
2.
die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, daß besondere Umstände vorliegen,
und die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind.

(3) Die §§ 56a bis 56e gelten entsprechend; die Bewährungszeit darf, auch wenn sie nachträglich verkürzt wird, die Dauer des Strafrestes nicht unterschreiten. Hat die verurteilte Person mindestens ein Jahr ihrer Strafe verbüßt, bevor deren Rest zur Bewährung ausgesetzt wird, unterstellt sie das Gericht in der Regel für die Dauer oder einen Teil der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin oder eines Bewährungshelfers.

(4) Soweit eine Freiheitsstrafe durch Anrechnung erledigt ist, gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne der Absätze 1 bis 3.

(5) Die §§ 56f und 56g gelten entsprechend. Das Gericht widerruft die Strafaussetzung auch dann, wenn die verurteilte Person in der Zeit zwischen der Verurteilung und der Entscheidung über die Strafaussetzung eine Straftat begangen hat, die von dem Gericht bei der Entscheidung über die Strafaussetzung aus tatsächlichen Gründen nicht berücksichtigt werden konnte und die im Fall ihrer Berücksichtigung zur Versagung der Strafaussetzung geführt hätte; als Verurteilung gilt das Urteil, in dem die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(6) Das Gericht kann davon absehen, die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, wenn die verurteilte Person unzureichende oder falsche Angaben über den Verbleib von Gegenständen macht, die der Einziehung von Taterträgen unterliegen.

(7) Das Gericht kann Fristen von höchstens sechs Monaten festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag der verurteilten Person, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein kosovarischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland.

2

Der 1978 geborene Kläger reiste 1996 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Nach einem erfolglos gebliebenen Asylverfahren heiratete er im Juni 1999 eine deutsche Staatsangehörige. Er erhielt daraufhin Mitte 2000 zunächst eine befristete und im Oktober 2004 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die ab Januar 2005 als Niederlassungserlaubnis fortgalt. Nach Scheidung seiner Ehe im Jahre 2006 und einer nur kurze Zeit dauernden zweiten Ehe mit einer Kosovarin heiratete der Kläger im Januar 2008 im Kosovo in dritter Ehe eine kosovarische Staatsangehörige. Zu einem Nachzug der Ehefrau nach Deutschland kam es nicht.

3

Der Kläger, der seit mehreren Jahren eine feste Arbeitsstelle als Staplerfahrer besaß, wurde im Juni 2008 in Untersuchungshaft genommen und im Februar 2009 vom Landgericht Heidelberg wegen Beihilfe zum schweren Bandendiebstahl in zwölf Fällen und zum versuchten schweren Bandendiebstahl in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Daraufhin wies ihn das Regierungspräsidium Karlsruhe mit Bescheid vom 23. Juni 2009 aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Nr. 1) und drohte ihm die Abschiebung in den Kosovo an (Nr. 2). In der Begründung hieß es, der Kläger genieße zwar besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG und könne deshalb nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Solche Gründe lägen aber hier wegen der schweren, in hoher Zahl und über einen längeren Zeitraum hinweg begangenen Eigentumsdelikte vor. Die Ausweisung sei sowohl aus spezialpräventiven Gründen wegen der von ihm ausgehenden Wiederholungsgefahr als auch aus generalpräventiven Gründen wegen der besonderen Schwere der Straftaten gerechtfertigt. Bei der im Rahmen der Ermessensausübung vorzunehmenden Interessenabwägung überwiege das öffentliche Interesse an der Ausweisung die persönlichen Interessen des Klägers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet, zumal seine Ehefrau im Kosovo lebe.

4

Das Verwaltungsgericht hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Zwar gehe von dem Kläger, der inzwischen nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe unter Aussetzung des Strafrests zur Bewährung aus der Haft entlassen worden sei, keine Wiederholungsgefahr mehr aus. Die Ausweisung sei aber wegen der besonderen Schwere der von ihm begangenen Straftaten, die der organisierten Kriminalität zuzurechnen seien, aus generalpräventiven Gründen gerechtfertigt. Sie sei auch unter Berücksichtigung der persönlichen Situation des Klägers, der erst als Erwachsener nach Deutschland eingereist sei, nicht unverhältnismäßig, zumal der Kläger auch noch starke Kontakte zum Kosovo habe.

5

Auf die Berufung des Klägers hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Urteil vom 18. März 2011 die Ausweisung und die Abschiebungsandrohung für den Fall der Haftentlassung (Nr. 2 Abs. 2 des Bescheides) aufgehoben. Zur Begründung hat er ausgeführt: Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsverhandlung lägen keine schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor, wie sie für eine Ausweisung des Klägers erforderlich seien. Die Ausweisung könne nicht auf spezialpräventive Gründe gestützt werden, weil von dem Kläger derzeit keine Wiederholungsgefahr mehr ausgehe. Die Ausweisung werde vom Beklagten allein tragend zur - generalpräventiven - Abschreckung anderer Ausländer aufrechterhalten. Ein allein auf diesen Gesichtspunkt gestütztes öffentliches Interesse an der Ausweisung stelle bei der Personengruppe der "verwurzelten" Ausländer, zu der der Kläger gehöre, im Lichte von Art. 8 EMRK regelmäßig keinen schwerwiegenden Grund im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG dar. Dies ergebe sich in einer Gesamtschau aus den neueren Rechtsprechungslinien sowohl des Bundesverfassungsgerichts als auch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR - und im Übrigen auch aus der Rechtsauffassung des Gerichtshofs der Europäischen Union - EuGH - in Bezug auf Unionsbürger sowie des Bundesverwaltungsgerichts in Bezug auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige. Dies gelte jedenfalls seit Inkrafttreten des EU-Reformvertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009. Der vom Bundesverfassungsgericht besonders betonte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stehe bei nachhaltig verwurzelten Ausländern, die sich auf den qualifizierten Schutz von Art. 8 EMRK berufen könnten, einer Ausweisung aus generalpräventiven Gründen in der Regel entgegen. Auch die Rechtsprechung des EGMR laufe in rechtstatsächlicher Hinsicht sehr stark auf eine Ausweisung - nur oder nur auch - aus spezialpräventiven Gründen zu. Bei freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen könne der Aufenthalt nach der Rechtsprechung des EuGH und des Bundesverwaltungsgerichts nicht mehr allein aus generalpräventiven Gesichtspunkten beendet werden. Daraus ergebe sich unter Berücksichtigung der ebenfalls aufenthaltsrechtlich besonders geschützten drittstaatsangehörigen Familienmitglieder dieser Personengruppen für rund zwei Drittel aller in Deutschland lebenden Ausländer ein Verbot der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen. Die richterrechtliche Schöpfung der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen habe deshalb auch bezüglich der in Deutschland nachhaltig "verwurzelten" Ausländer ihre Berechtigung grundsätzlich verloren. Bei ihnen könne eine generalpräventiv begründete Ausweisung nur ausnahmsweise im Fall besonders schwerwiegender staats- oder gesellschaftsgefährdender Delikte zulässig sein, wie sie etwa in Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG - Qualifikationsrichtlinie - ("Terrorismusdelikte") oder in Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG - Unionsbürgerrichtlinie - genannt seien. Entsprechend dem Vorbild der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Verschiebung des maßgeblichen Zeitpunkts bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Ausweisungen müsse das grundsätzliche Verbot der generalpräventiven Ausweisung mit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages und der dadurch bedingten Aufwertung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und der Rechtsprechung des EGMR auf nachhaltig "verwurzelte" Ausländer erstreckt werden. Der Kläger gehöre zu dieser Personengruppe: Er lebe seit 14 Jahren im Bundesgebiet, wo seine gesamte berufliche Entwicklung erfolgt sei. Hier lebten enge Familienangehörige und sein Freundeskreis, er verfüge über einen Arbeitsplatz, der ihn ohne ergänzende Sozialleistungen unterhalte, und verbringe sein Privatleben mit seiner deutschen Partnerin. Auf eine gleichzeitige tiefgreifende "Entwurzelung" aus dem Heimatland komme es dabei nicht an.

6

Dagegen richtet sich die vom Verwaltungsgerichtshof zugelassene Revision des Beklagten. Er macht geltend, dass sich weder aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts noch der des EGMR das vom Verwaltungsgerichtshof angenommene grundsätzliche Verbot einer generalpräventiven Ausweisung für "verwurzelte" Ausländer aus Drittstaaten ergebe.

7

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und stellt darüber hinaus die Berechtigung einer allein generalpräventiv motivierten Ausweisung grundsätzlich in Frage. Die behauptete abschreckende Wirkung von Ausweisungen sei nicht durch empirische Studien belegt und könne schon deshalb einen derartigen Grundrechtseingriff nicht rechtfertigen. Zudem setze die richterrechtliche Figur der generalpräventiven Ausweisung eine zur Verhaltenssteuerung geeignete kontinuierliche Ausweisungspraxis voraus. Diese liege angesichts der großen Anzahl unionsrechtlich privilegierter Ausländer, die nur noch aus spezialpräventiven Gründen ausgewiesen werden dürften, in der Realität nicht mehr vor.

8

Der Vertreter des Bundesinteresses hat sich an dem Verfahren beteiligt und unterstützt die Auffassung des Beklagten.

9

Der Kläger hat inzwischen während einer Besuchsreise in den Kosovo im November 2011 in vierter Ehe eine in Deutschland lebende kosovarische Staatsangehörige geheiratet. Anschließend ist ihm von der Deutschen Botschaft in Pristina für die Wiedereinreise ein Visum zum Familiennachzug erteilt worden. Die Beteiligten haben daraufhin in der Revisionsverhandlung den Rechtsstreit hinsichtlich der Abschiebungsandrohung in Nr. 2 Abs. 2 des Bescheides vom 23. Juni 2009 übereinstimmend für erledigt erklärt.

Entscheidungsgründe

10

Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 141, 125 Abs. 1 VwGO einzustellen. Zugleich ist die Unwirksamkeit der vorinstanzlichen Entscheidungen hinsichtlich der Abschiebungsandrohung in Nr. 2 Abs. 2 des angefochtenen Bescheides festzustellen (§ 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO in entsprechender Anwendung).

11

Hinsichtlich der allein noch in Streit befindlichen Ausweisung (Nr. 1 des angefochtenen Bescheides) ist die Revision der Beklagten begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs beruht insoweit auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof hat die Ausweisung als rechtswidrig angesehen, weil er das Vorliegen schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG bei dem Kläger verneint hat. Die hierfür angeführte Begründung ist mit Bundesrecht nicht vereinbar (1.). Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil nicht selbst abschließend entscheiden kann, ob bei dem Kläger schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegen (2.), und sich die Ausweisung auch nicht bereits aus anderen Gründen als rechtswidrig erweist (3.), ist die Sache gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (4.).

12

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts, hier also des Verwaltungsgerichtshofs (Urteil vom 15. November 2007 - BVerwG 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 12). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, etwa Urteil vom 11. Januar 2011 - BVerwG 1 C 1.10 - BVerwGE 138, 371 Rn. 10 m.w.N.). Maßgeblich sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Dezember 2011 (BGBl I S. 2854). Damit sind insbesondere auch die Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258) - im Folgenden: Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 - zu beachten.

13

Der Verwaltungsgerichtshof ist - in Übereinstimmung mit dem Beklagten - zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger mit seiner rechtskräftigen Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten den (Regel-)Ausweisungstatbestand des § 54 Nr. 1 AufenthG verwirklicht hat, dass er aber aufgrund des Besitzes einer Niederlassungserlaubnis und seines mehr als fünfjährigen rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz genießt. Der Kläger kann daher nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG und nur aufgrund einer sämtliche Umstände des Einzelfalles berücksichtigenden Ermessensentscheidung der Beklagten nach § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ausgewiesen werden.

14

1. Die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, dass schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG hier nicht vorlägen, beruht indes auf einer fehlerhaften Auslegung dieser Vorschrift.

15

a) Soweit sich diese Annahme auf die vom Beklagten ursprünglich auch angeführten spezialpräventiven Gründe für die Ausweisung des Klägers, nämlich die von ihm ausgehende Gefahr der erneuten Begehung vergleichbarer Straftaten, bezieht, ist sie revisionsrechtlich allerdings nicht zu beanstanden. Nachdem bereits das Verwaltungsgericht das Vorliegen spezialpräventiver Gründe verneint hatte, ist auch der Verwaltungsgerichtshof aufgrund der ihm vorliegenden Erkenntnismittel zu der Überzeugung gelangt, dass von dem Kläger inzwischen keine gesteigerte Wiederholungsgefahr mehr ausgeht. Mit dem Begriff der gesteigerten Wiederholungsgefahr ist dabei erkennbar die auch von der Rechtsprechung des Senats verlangte ernsthaft drohende Gefahr erneuter schwerer Verfehlungen des Ausländers - im Gegensatz zur lediglich entfernten Möglichkeit solcher Verfehlungen - gemeint (vgl. Urteile vom 13. Januar 2009 - BVerwG 1 C 2.08 - Buchholz 402.242 § 54 AufenthG Nr. 7 Rn. 16 und vom 11. Juni 1996 - BVerwG 1 C 24.94 - BVerwGE 101, 247 <253>). Dies wird durch die Bezugnahme des Verwaltungsgerichtshofs auf die entsprechenden Ausführungen im Urteil des Verwaltungsgerichts deutlich, die auf diese Rechtsprechung zurückgreifen. Auch vom Beklagten werden die Feststellungen zum Fehlen einer Wiederholungsgefahr nicht angegriffen. Vielmehr wird die Ausweisung nunmehr tragend allein auf generalpräventive Gründe gestützt.

16

b) Die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass es für eine allein generalpräventiv begründete Ausweisung an schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung schon deshalb fehle, weil bei "verwurzelten" Ausländern eine so begründete Ausweisung regelmäßig unzulässig sei, hält einer revisionsgerichtlichen Prüfung dagegen nicht stand.

17

aa) Schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung können nicht nur bei Verwirklichung der Ausweisungstatbestände der §§ 53 und 54 Nr. 5, 5a und 7 AufenthG, bei denen die Vermutung des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG eingreift, sondern auch bei Vorliegen sonstiger (Regel- und Ermessens-)Ausweisungsgründe gegeben sein. Erforderlich ist jedoch stets, dass dem Ausweisungsanlass ein besonderes Gewicht zukommt. Dieses kann sich bei Straftaten insbesondere aus deren Art, Schwere und Häufigkeit ergeben (stRspr, zuletzt Urteil vom 13. Januar 2009 a.a.O.). Darüber hinaus ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass strafrechtliche Verurteilungen nicht nur dann einen solchen schwerwiegenden Ausweisungsanlass bilden können, wenn von dem betreffenden Ausländer die Gefahr der erneuten Begehung von Straftaten ausgeht (Spezialprävention), sondern auch dann, wenn durch die Ausweisung andere Ausländer von der Begehung solcher Straftaten abgehalten werden sollen (Generalprävention). Allerdings liegt bei einer allein auf generalpräventive Gründe gestützten Ausweisung im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ein schwerwiegender Ausweisungsanlass nur ausnahmsweise vor, wenn die Straftat besonders schwer wiegt und deshalb ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über eine strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (Urteile vom 11. Juni 1996 a.a.O. <254 ff.> m.w.N. und vom 31. August 2004 - BVerwG 1 C 25.03 - BVerwGE 121, 356 <362>).

18

An dieser Rechtsprechung, die ihrerseits schon sehr hohe Anforderungen an die Annahme schwerwiegender Gründe im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG bei einer allein generalpräventiv motivierten Ausweisung stellt, ist auch weiterhin festzuhalten.

19

bb) Soweit der Klägervertreter die abschreckende Wirkung von Ausweisungen auf andere Ausländer generell in Frage stellt, weil sie nicht durch empirische Studien belegt sei, und meint, aufgrund der großen Anzahl privilegierter Ausländer, die nur noch aus spezialpräventiven Gründen ausgewiesen werden dürften, habe die richterrechtliche Figur der generalpräventiven Ausweisung mangels kontinuierlicher Ausweisungspraxis inzwischen ihre Berechtigung verloren, kann dem nicht gefolgt werden. Denn die grundsätzliche Möglichkeit einer generalpräventiv begründeten Ausweisung von Ausländern, die nicht zu einem unionsrechtlich privilegierten Personenkreis gehören, beruht nicht auf einer rein richterrechtlichen Schöpfung, sondern liegt erkennbar auch der gesetzlichen Regelung sowohl des Ausländergesetzes 1990 als auch des Aufenthaltsgesetzes zugrunde. Dies ergibt sich schon aus der Tatsache, dass der Gesetzgeber bei bestimmten schwerwiegenden Verurteilungen in § 53 AufenthG (im Anschluss an die Vorgängerregelung in § 47 Abs. 1 AuslG 1990) eine zwingende Ausweisung vorgeschrieben hat. Das zeigt, dass er die Ausweisung jedenfalls in diesen Fällen unabhängig vom Vorliegen einer Wiederholungsgefahr und damit auch bei Fehlen spezialpräventiver Gründe - also allein aus generalpräventiven Erwägungen - als zulässig und geboten angesehen hat. Auch dem Umstand, dass der Gesetzgeber des Ausländergesetzes 1990 und des Aufenthaltsgesetzes sich in Kenntnis der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht von der Vorstellung einer generalpräventiv motivierten Ausweisung abgewandt hat, ist zu entnehmen, dass er diese in seinen Willen aufgenommen hat. Das wird durch die Ausführungen zu den Ausweisungsvorschriften (§§ 45 ff. AuslG 1990) im Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 27. Januar 1990 bestätigt (BTDrucks 11/6321 S. 49 ff.). Dort wird eingangs allgemein auf die verhaltenssteuernde - also generalpräventive - Wirkung des Ausweisungsrechts für die Ausländer verwiesen und u.a. von der "Notwendigkeit der Generalprävention" sowohl im Rahmen der Strafzumessung als auch im Rahmen der verwaltungsrechtlichen Beurteilung der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung gesprochen (a.a.O. S. 50). Durch das Aufenthaltsgesetz, das die Ausweisungsvorschriften zwar neu strukturiert, aber die hier entscheidenden Regelungen inhaltlich übernommen hat, hat sich an diesem Befund nichts geändert (BTDrucks 15/420 S. 90 f.). Da der Gesetzgeber selbst grundsätzlich generalpräventive Motive im Ausweisungsrecht anerkennt und gerade bei strafrechtlichen Verurteilungen auch als alleinigen Grund für eine Ausweisung billigt, können die Gerichte und Behörden bei der Anwendung der einschlägigen Vorschriften dies nicht wegen eines fehlenden empirischen Nachweises der Abschreckungswirkung für andere Ausländer oder wegen des zunehmenden Anteils nur spezialpräventiv auszuweisender Ausländer in Frage stellen. Denn insoweit ist die Einschätzung des Gesetzgebers, die im Rahmen des ihm zustehenden weiten gesetzgeberischen Ermessens liegt und nicht erkennbar willkürlich ist, zu respektieren. Im Übrigen sind bei der von dem Klägervertreter aufgeworfenen Frage, ob Ausweisungen angesichts der erhöhten Anforderungen an ihre Zulässigkeit und der dadurch bedingten rückläufigen Ausweisungspraxis überhaupt noch geeignet sind, verhaltenssteuernd auf andere Ausländer zu wirken, nicht nur die rein generalpräventiv begründeten Ausweisungen, sondern auch die spezialpräventiven Ausweisungen oder Aufenthaltsbeendigungen infolge der Begehung von Straftaten in den Blick zu nehmen. Auch diese spezialpräventiven Maßnahmen können nämlich verhaltenssteuernd auf andere Ausländer wirken.

20

cc) Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs ist das Erfordernis schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG auch nicht einschränkend dahin auszulegen, dass es jedenfalls bei nachhaltig "verwurzelten" Ausländern im Falle einer allein auf generalpräventive Gründe gestützten Ausweisung regelmäßig nicht vorliegt. Eine derartige regelhafte Einschränkung, die ihrerseits die Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles - etwa der Schwere der konkreten Straftat oder auch der "Entwurzelung" des Ausländers in seinem Herkunftsstaat - von vornherein ausblendet, stimmt weder mit der bisherigen Rechtsprechung des Senats zu § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG überein, noch ist sie, wie der Verwaltungsgerichtshof meint, im Lichte von Art. 8 EMRK aufgrund einer Gesamtschau der neueren Rechtsprechungslinien des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR - in Verbindung mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union - EuGH - und des Bundesverwaltungsgerichts zu Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen geboten.

21

Das Bundesverfassungsgericht hat auch in seiner neueren Kammerrechtsprechung zur Verhältnismäßigkeit des durch eine Ausweisung bewirkten Eingriffs in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG die Bedeutung generalpräventiver Erwägungen im Ausweisungsrecht (unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386 <397>) anerkannt und betont, dass eine am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte Entscheidung allerdings voraussetzt, dass die Ausländerbehörde die Umstände der Straftat und die persönlichen Verhältnisse des Betroffenen von Amts wegen sorgfältig ermittelt und eingehend würdigt. Insbesondere kann das Gewicht der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Interessen nicht allein anhand der Typisierung der den Ausweisungsanlass bildenden Straftaten in den Ausweisungsvorschriften des Aufenthaltsgesetzes bestimmt werden. Vielmehr sind auch bei strafrechtlichen Verurteilungen nach § 53 AufenthG im Einzelfall die Umstände der begangenen Straftat, wie sie sich aus dem Strafurteil und dem vorangegangenen Strafverfahren ergeben, individuell zu würdigen. Dies gilt naturgemäß erst recht bei unterhalb der Schwelle des § 53 AufenthG liegenden strafrechtlichen Verurteilungen nach § 54 Nr. 1 AufenthG. Darüber hinaus sind in gleicher Weise die gegen die Ausweisung sprechenden privaten Belange des Betroffenen im Einzelnen zu ermitteln und individuell zu würdigen, um sie dann unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes mit den entgegenstehenden öffentlichen Interessen abwägen zu können (BVerfG, Beschlüsse vom 10. Mai 2007 - 2 BvR 304/07 - BVerfGK 11, 153 und vom 10. August 2007 - 2 BvR 535/06 - NVwZ 2007, 1300). Diese vom Bundesverfassungsgericht nunmehr präzisierten Prüfungsanforderungen lassen keinen Schluss auf die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellte Auslegungsregel zu, die sowohl im Hinblick auf die den Ausweisungsanlass bildende Straftat als auch im Hinblick auf die schutzwürdigen Belange des Betroffenen die Berücksichtigung und Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalles ausblendet und durch eine typisierende Betrachtung - wenn auch zugunsten des Ausländers - ersetzt.

22

Die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellte Auslegungsregel kann auch nicht aus der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 8 EMRK hergeleitet werden. Die Entscheidungen des EGMR zum Schutz des Privat- und Familienlebens in Fällen der Ausweisung straffällig gewordener Ausländer enthalten kein ausdrückliches Verbot generalpräventiv begründeter Ausweisungen. Im Gegenteil hat der Gerichtshof in einzelnen Fällen, in denen generalpräventive Gründe für die Ausweisung maßgeblich waren, eine Konventionsverletzung verneint (EGMR, Urteile vom 28. Juni 2007 - Nr. 31753/02 - Kaya/Deutschland - InfAuslR 2007, 325 und vom 6. Dezember 2007 - Nr. 69735/01 - Chair/Deutschland - InfAuslR 2008, 111). Auch die vom EGMR aufgestellten sog. "Boultif/Üner-Kriterien" (vgl. EGMR, Urteil vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99 - Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 57 f.) laufen der Sache nach nicht auf ein de-facto-Verbot solcher Ausweisungen hinaus (a.A. OVG Bremen, zuletzt Urteil vom 10. Mai 2011 - 1 A 306.10 u.a. - InfAuslR 2011, 341 <343>). Sowohl die Art und Schwere der begangenen Straftat als auch die seit der Straftat vergangene Zeit und das Nachtatverhalten des Betroffenen können sinnvoll auch bei einer generalpräventiv begründeten Ausweisung als Gesichtspunkte im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung berücksichtigt werden. Auch das Bundesverfassungsgericht, das die Rechtsprechung des EGMR und die von ihm entwickelten Kriterien ausdrücklich in Bezug genommen hat, hat daraus ersichtlich kein Regelverbot einer generalpräventiven Ausweisung hergeleitet.

23

Soweit der Verwaltungsgerichtshof sich bei seiner Gesamtschau auf die Rechtsprechung des EuGH zur Aufenthaltsbeendigung von Unionsbürgern und deren Familienangehörigen sowie die Rechtsprechung zu assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen berufen hat, derzufolge bei diesem Personenkreis eine generalpräventiv motivierte Aufenthaltsbeendigung ausgeschlossen ist, können daraus keine Schlüsse für die übrigen Drittstaatsangehörigen gezogen werden. Denn bei den genannten Personen handelt es sich um unionsrechtlich privilegierte Gruppen, die sich durch erhöhten Ausweisungsschutz von den übrigen Drittstaatsangehörigen unterscheiden. Entsprechendes gilt im Übrigen auch für die aufenthaltsrechtlich stärker geschützten Inhaber einer Daueraufenthaltserlaubnis-EG (vgl. Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109/EG).

24

2. a) Ist eine einschränkende Auslegung des Begriffs der schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG in Gestalt der vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Regel damit nicht durch höherrangiges Recht geboten, verbleibt es bei der nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats maßgeblichen Auslegung der Bestimmung. Danach sind, wie oben bereits ausgeführt, bei allein generalpräventiv begründeten Ausweisungen an die Annahme schwerwiegender Gründe der öffentliche Sicherheit und Ordnung im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besonders hohe Anforderungen zu stellen. In diesen Fällen ist erforderlich, dass die den Ausweisungsanlass bildende Straftat besonders schwer wiegt und deshalb ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über die strafrechtliche Sanktion hinaus durch die Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Dabei kommt es stets auf die besondere Schwere der Straftat im Einzelfall an. Dies setzt voraus, dass die konkreten Umstände der begangenen Straftat oder Straftaten, wie sie sich aus dem Strafurteil und dem vorangegangenen Strafverfahren ergeben, ermittelt und individuell gewürdigt werden. Die besondere Schwere der Straftat im Hinblick auf die verhaltenssteuernde Wirkung der Ausweisung auf andere Ausländer erfordert, dass von einer derartigen Straftat eine besonders hohe Gefahr für den Staat oder die Gesellschaft ausgeht, wie dies insbesondere bei Drogendelikten oder Straftaten aus dem Bereich der organisierten Kriminalität der Fall sein kann.

25

Sind diese Anforderungen an das Vorliegen eines schwerwiegenden Ausweisungsanlasses im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG für eine generalpräventiv begründete Ausweisung erfüllt, ist darüber hinaus zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit - in der Regel im Rahmen der erforderlichen Ermessensausübung nach § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG - das Gewicht des öffentlichen Interesses an der Ausweisung mit dem Gewicht des schutzwürdigen privaten Interesses des Ausländers an dem Verbleib in Deutschland abzuwägen. Dadurch wird sichergestellt, dass gerade die Belange "verwurzelter" Ausländer je nach ihrem Gewicht im Einzelfall zum Tragen kommen.

26

b) Für den Fall des Klägers bedeutet dies, dass der Senat nicht selbst abschließend darüber entscheiden kann, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für die angefochtene Ausweisung, nämlich schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, vorliegen. Denn der Verwaltungsgerichtshof hat - nach seiner Rechtsauffassung folgerichtig - keine Feststellungen zu den konkreten Umständen der Begehung der Straftaten, insbesondere zur Bedeutung des Tatbeitrages des Klägers, sowie zu weiteren Umständen des Einzelfalles wie etwa zu seinem Verhalten nach der Tat im Ermittlungs- und Strafverfahren getroffen. Ohne eine solche tatrichterliche Feststellung und Würdigung ist eine Entscheidung über das Vorliegen schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aber nicht möglich. Denn die Straftaten des Klägers sind nicht schon von vornherein gänzlich ungeeignet, ein schwerwiegendes öffentliches Interesse an einer Ausweisung in dem oben dargestellten Sinn zu begründen. Schwere Bandendiebstähle nach § 244a StGB sind Delikte, die der Gesetzgeber der organisierten Kriminalität zurechnet. Der qualifizierte Straftatbestand des § 244a StGB ist mit dem Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG) vom 15. Juli 1992 (BGBl I S. 1302) in das Strafgesetzbuch eingefügt und - anders als der einfache Bandendiebstahl - als Verbrechen eingestuft worden. Dabei ging es dem Gesetzgeber u.a. darum, eine höhere individuelle wie allgemeine Abschreckungswirkung zu erzielen (BTDrucks 12/989 S. 25). Die vom Kläger begangenen Straftaten kommen deshalb als Anlass einer allein generalpräventiven Ausweisung grundsätzlich in Betracht. Auch der Umstand, dass der Kläger nur wegen Beihilfe verurteilt worden ist, führt angesichts des nach den Ausführungen im Strafurteil nahe an der Mittäterschaft liegenden Tatbeitrags nicht dazu, dass ohne nähere tatrichterliche Feststellung und Würdigung im Einzelfall bereits von vornherein ein schwerwiegender Ausweisungsanlass verneint werden kann.

27

4. Die Aufhebung der Ausweisung durch den Verwaltungsgerichtshof erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).

28

a) Allerdings müssen bei einer allein auf generalpräventive Erwägungen gestützten Ausweisung eines Ausländers mit besonderem Ausweisungsschutz (§ 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) die Wirkungen der Ausweisung regelmäßig von Amts wegen zugleich mit der Ausweisung befristet werden. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer, der ausgewiesen worden ist, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Ihm darf nach Satz 2 der Vorschrift kein Aufenthaltstitel nach diesem Gesetz erteilt werden. Diese kraft Gesetzes eintretenden Wirkungen werden nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG auf Antrag befristet. Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, schließt diese Regelung es nicht aus, dass die Ausländerbehörde zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung im Einzelfall von Amts wegen verpflichtet ist, die Wirkungen der Ausweisung schon bei Erlass der Ausweisung zu befristen. Ob dies erforderlich ist, hängt von den gesamten Umständen des Einzelfalles, insbesondere dem Ausmaß der von dem Ausländer ausgehenden Gefahr, der Vorhersehbarkeit der zukünftigen Entwicklung dieser Gefahr und den schutzwürdigen Belangen des Ausländers und seiner Angehörigen ab (Urteile vom 15. März 2005 - BVerwG 1 C 2.04 - Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 42, vom 23. Oktober 2007 - BVerwG 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367 Rn. 18 und vom 2. September 2009 - BVerwG 1 C 2.09 - Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 54 Rn. 25 sowie Beschluss vom 20. August 2009 - BVerwG 1 B 13.09 - Buchholz 402.242 § 11 AufenthG Nr. 4 Rn. 8). Dies führt bei einer allein generalpräventiv motivierten Ausweisung eines Ausländers mit besonderem Ausweisungsschutz - außer in den Fällen des Ausschlusses der Befristung nach § 11 Abs. 1 Satz 7 AufenthG - regelmäßig dazu, dass eine Befristung der Wirkungen der Ausweisung von Amts wegen zugleich mit der Ausweisung auszusprechen ist. Ist die Ausweisung zunächst sowohl auf spezialpräventive als auch auf generalpräventive Gründe gestützt und ergibt sich - wie hier - erst im gerichtlichen Verfahren, dass die spezialpräventiven Gründe nicht (mehr) vorliegen und die Ausweisung allein auf generalpräventive Gründe gestützt wird, kann und muss die Ausländerbehörde die Befristung der Wirkungen der Ausweisung nachholen.

29

Wird ein Ausländer infolge einer besonders schweren Straftat nach Maßgabe von § 56 Abs. 1 AufenthG allein zu generalpräventiven Zwecken ausgewiesen und geht somit von ihm selbst in dem für die Ausweisungsentscheidung maßgeblichen Zeitpunkt keine relevante Gefahr der erneuten Straffälligkeit mehr aus, erfordert das bei einem derartigen Eingriff besonders zu beachtende Gebot der Verhältnismäßigkeit grundsätzlich eine Befristung der Wirkungen der Ausweisung. In diesem Fall lässt sich bereits in dem für die Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt beurteilen, wie lange der Betroffene unter Berücksichtigung seiner schützwürdigen privaten Belange vom Bundesgebiet ferngehalten werden muss, damit die notwendige generalpräventive Wirkung erzielt werden kann. Es wäre deshalb unverhältnismäßig, ihn über diesen für seine Lebensplanung wichtigen Umstand im Unklaren zu lassen, ohne dass hierfür ein rechtfertigender sachlicher Grund besteht. Gerade weil der Betroffene bei einer allein generalpräventiv begründeten Ausweisung - anders als bei einer spezialpräventiv begründeten Ausweisung - keinen Einfluss auf das Entfallen des Ausweisungszwecks nehmen kann, wiegt es bei schützenswerten Bindungen an das Bundesgebiet besonders schwer, wenn ihm mit der Ausweisung keine konkrete zeitliche Perspektive für die Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots sowie der Sperre für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aufgezeigt wird. Sollten sich seine persönlichen Bindungen an die Bundesrepublik Deutschland zu einem späteren Zeitpunkt - etwa durch Änderung der familiären Situation - noch verstärken, kann dem durch eine Verkürzung der Befristung Rechnung getragen werden. Sollte der Betroffene nachträglich trotz der positiven Prognose erneut straffällig werden, kann dies bei der erneuten Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Ablauf der Sperrwirkung berücksichtigt werden.

30

b) Das Fehlen einer Befristung der Wirkungen der Ausweisung hat aber nicht zur Folge, dass die - ansonsten rechtmäßige - Ausweisung aufzuheben ist, sondern führt dazu, dass der Ausländer schon mit der Anfechtung der Ausweisung zugleich seinen Anspruch auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG durchsetzen kann. Das materiellrechtliche Erfordernis, dass eine allein generalpräventiv motivierte Ausweisung in den Fällen des § 56 Abs. 1 AufenthG in ihren Wirkungen grundsätzlich zugleich zu befristen ist, ist verfahrensrechtlich dadurch zu verwirklichen, dass der bestehende Anspruch auf Befristung schon im Rechtsstreit um die Ausweisungsverfügung realisiert werden kann. Damit wird dem Anspruch des Betroffenen auf gleichzeitige Entscheidung über die Ausweisung und die Befristung ihrer Wirkungen Rechnung getragen und die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung im Ergebnis gewährleistet. Diese verfahrensrechtliche Ausgestaltung entspricht der gesetzlichen Systematik, die zwei getrennte Verwaltungsakte - nämlich die Ausweisung einerseits und die Befristung ihrer Wirkungen andererseits - vorsieht (vgl. hierzu Beschluss vom 10. Dezember 1993 - BVerwG 1 B 160.93 - Buchholz 402.240 § 47 AuslG 1990 Nr. 2 zur Vorgängerregelung in § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990). Prozessual wird dieses Ergebnis dadurch sichergestellt, dass in der Anfechtung der Ausweisung zugleich - als minus - für den Fall der Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ein (Hilfs-)Antrag auf Verpflichtung der Ausländerbehörde zu einer angemessenen Befristung der Wirkungen der Ausweisung gesehen wird. Der Ausländer darf insoweit nicht auf ein eigenständiges neues Verfahren verwiesen werden. Im Fall der rechtskräftigen Bestätigung der Ausweisung wird vielmehr auf den Hilfsantrag des Betroffenen hin zugleich eine Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung getroffen.

31

c) Erachtet das Gericht die Ausweisung für rechtmäßig, hat es auf den Hilfsantrag des Betroffenen hin zunächst darüber zu befinden, ob ihm bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts ein Anspruch auf die Befristung der Wirkungen der Ausweisung zusteht. Sollte ein Befristungsanspruch bestehen, hat das Gericht sodann über die konkrete Dauer der Befristung zu befinden. Die Bemessung der Dauer steht nämlich seit dem Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht mehr im Ermessen der Ausländerbehörde. Es handelt sich vielmehr um eine gebundene Entscheidung. Dies ergibt sich aus den folgenden Erwägungen:

32

Weder der Wortlaut des nunmehr geltenden § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. noch derjenige seiner Vorgängerreglungen in § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG a.F. oder § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990 verhalten sich ausdrücklich zur Frage, ob die Bemessung der Frist in das Ermessen der Ausländerbehörden gestellt ist. Seit dem Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 ist der Anspruch auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung nicht mehr allein im Regelfall gegeben, wie dies zuvor in § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG a.F. bestimmt gewesen ist. Vielmehr besteht ein solcher Anspruch - vorbehaltlich der Ausnahme nach § 11 Abs. 1 Satz 7 AufenthG - in jedem Fall. Hinsichtlich der Dauer der Frist ist nunmehr geregelt, dass sie unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles festzusetzen ist und fünf Jahre nur überschreiten darf, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (§ 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG n.F.). Die Änderungen des § 11 AufenthG dienen der Umsetzung des Art. 11 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 - Rückführungsrichtlinie. Mit dieser Richtlinie, die auf Art. 63 Abs. 3 Buchst. b EG (jetzt: Art. 79 Abs. 2 Buchst. c AEUV) gestützt ist und also der Bekämpfung der illegalen Einwanderung zu dienen bestimmt ist, soll eine wirksame Rückkehrpolitik als notwendiger Bestandteil einer gut geregelten Migrationspolitik mit klaren, transparenten und fairen Vorschriften unterlegt werden (4. Erwägungsgrund). Im Einklang mit allgemeinen Grundsätzen des EU-Rechts sollen Entscheidungen gemäß dieser Richtlinie auf Grundlage des Einzelfalls und anhand objektiver Kriterien getroffen werden (6. Erwägungsgrund). Um die Interessen der Betroffenen wirksam zu schützen, sollen für Entscheidungen in Bezug auf die Rückkehr eine Reihe gemeinsamer rechtlicher Mindestgarantien gelten (11. Erwägungsgrund). Die Wirkung der einzelstaatlichen Rückführungsmaßnahmen soll einen europäischen Zuschnitt erhalten (14. Erwägungsgrund). Daher garantiert Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie, dass gegen Entscheidungen nach ihrem Art. 12 Abs. 1 - also Rückkehrentscheidungen sowie gegebenenfalls Entscheidungen über ein Einreiseverbot oder eine Abschiebung - ein wirksamer Rechtsbehelf eingelegt werden kann.

33

Neben dieser nunmehr unionsrechtlichen Prägung von § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG, die das Interesse des Einzelnen an der zeitlichen Beschränkung des Einreiseverbots und an einem darauf bezogenen wirksamen Rechtsschutz rechtlich erheblich aufwertet, ist auch die Bedeutung der Befristung für die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK zu berücksichtigen. So zieht der EGMR die Frage der Befristung bei der Prüfung von Ausweisungen am Maßstab des Art. 8 Abs. 2 EMRK als ein wesentliches Kriterium heran (EGMR, Urteile vom 17. April 2003 - Nr. 52853/99 - Yilmaz/Deutschland - NJW 2004, 2147; vom 27. Oktober 2005 - Nr. 32231/02 - Keles/Deutschland - InfAuslR 2006, 3 <4>; vom 22. März 2007 - Nr. 1638/03 - Maslov/Österreich - InfAuslR 2007, 221 <223> und vom 25. März 2010 - Nr. 40601/05 - Mutlag/Deutschland - InfAuslR 2010, 325 <327>). In der Gesamtschau der sich aus den Grundrechten des Grundgesetzes und der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie aus dem Unionsrecht ergebenden Argumente und der erstmals mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 im Grundsatz eingeführten Höchstfrist von fünf Jahren sind die schützenswerten privaten Interessen des Betroffenen an der Befristung nunmehr in einer Weise aufgewertet, dass vor dem Hintergrund des insoweit offenen Wortlauts des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. nicht mehr angenommen werden kann, der Verwaltung sei ein Spielraum zur Rechtskonkretisierung im Einzelfall eingeräumt, der nur auf die Einhaltung äußerer Grenzen gerichtlich überprüfbar wäre. Die Regelung ist in ihrem europäischen Gesamtzusammenhang betrachtet nunmehr so zu verstehen, dass dem Betroffenen ein Recht auf eine vollständige gerichtliche Kontrolle der Dauer der Befristung eingeräumt ist, um sein Recht auf eine verhältnismäßige Aufenthaltsbeendigung zu sichern. An dem bisherigen Verständnis des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG a.F., der nach allgemeiner Meinung die Dauer der Befristung in das Ermessen der Ausländerbehörde stellte (h.M. vgl. etwa Dienelt, in: Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl. 2011 § 11 AufenthG Rn. 44), ist angesichts der neuen Rechtslage seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 am 26. November 2011 nicht mehr festzuhalten.

34

Sofern die Ausländerbehörde rechtsfehlerhaft keine Befristung ausgesprochen hat oder die von ihr verfügte Frist zu lang ist, hat das Gericht die Behörde deshalb zu verpflichten, die Wirkungen der Ausweisung auf einen konkreten, von ihm für geboten gehaltenen Zeitraum zu befristen. Damit ist gewährleistet, dass mit der abschließenden gerichtlichen Entscheidung über die Ausweisung auch die Dauer der Sperrwirkung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG feststeht und der Ausländer sich in seiner Lebensplanung darauf einstellen kann.

35

c) Ob die Notwendigkeit einer zugleich mit der Ausweisung zu verfügenden Befristung des Einreiseverbots künftig auch unmittelbar aus Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG hergeleitet werden könnte, bedarf hier keiner Klärung. Insbesondere kann offenbleiben, ob die Ausweisung als solche, gegebenenfalls in Verbindung mit der Abschiebungsandrohung, als Rückkehrentscheidung im Sinne der Richtlinie anzusehen ist (verneinend VGH Mannheim, Urteil vom 10. Februar 2012 - 11 S 1361/11 - juris). Denn selbst wenn dies der Fall wäre, würde die hier streitige, im Juli 2009 verfügte und mit der Klage angegriffene Ausweisung von der Richtlinie, die von den Mitgliedstaaten bis zum 24. Dezember 2010 umzusetzen war, noch nicht erfasst (vgl. zur intertemporalen Anwendung von Richtlinien: EuGH, Urteil vom 4. Oktober 2007 - Rs. C-349/06, Polat - Slg. 2007, I-8167 Rn. 25 ff.). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass Art. 15 Abs. 5 und 6 der Richtlinie für bereits vor deren Umsetzung begonnene und darüber hinaus andauernde Inhaftierungen gelten (vgl. EuGH, Urteil vom 30. November 2009 - Rs. C-357/09 PPU, Kadzoev - Slg. 2009, I-11189 Rn. 38). Denn Regelungen zur Dauer der Abschiebungshaft betreffen zukünftige Auswirkungen eines noch andauernden Sachverhalts und nicht die gerichtliche Kontrolle einer Behördenentscheidung, die vor Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie getroffen worden ist. Im Übrigen dürften sich aus der Richtlinie, sofern sie Ausweisungsentscheidungen erfassen sollte, auch keine weitergehenden Rechtsfolgen hinsichtlich der Befristung des Einreiseverbots ergeben, als sie für die bereits aus Gründen der Verhältnismäßigkeit gebotene Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gelten.

36

5. Erweist sich die Berufungsentscheidung damit nicht bereits aus anderen Gründen als richtig, ist die Sache zur weiteren Aufklärung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen. In dem erneuten Berufungsverfahren wird der Beklagte, sofern er auch angesichts der aktuellen persönlichen Verhältnisse des Klägers an der Ausweisung festhalten will, Gelegenheit haben, seine maßgeblichen Ermessenserwägungen unter Beachtung der hierfür vom Senat aufgestellten formalen Anforderungen (Urteil vom 13. Dezember 2011 - BVerwG 1 C 14.10 - Leitsatz 2, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen) zu ergänzen und die erforderliche Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung nachzuholen. Der Verwaltungsgerichtshof wird seinerseits die erforderlichen Feststellungen zur Schwere der konkreten Straftat des Klägers treffen und die festgestellten Umstände würdigen müssen. Sollte er schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bejahen und auch die - nachzuholende - Ermessensentscheidung des Beklagten einschließlich der Verhältnismäßigkeitsprüfung als rechtsfehlerfrei ansehen, müsste er auch noch über den im Begehren des Klägers als minus enthaltenen Antrag auf Verpflichtung des Beklagten zur Befristung der Wirkungen des Ausweisung oder gegebenenfalls über die Rechtmäßigkeit einer inzwischen von dem Beklagten ausgesprochen Befristung befinden.

37

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Einer gesonderten Kostenentscheidung in Bezug auf den übereinstimmend für erledigt erklärten Teil des Rechtsstreits (Abschiebungsandrohung in Nr. 2 Abs. 2 des Bescheides) bedarf es nicht. Der Abschiebungsandrohung, die allein auf der Ausweisung beruht, kommt im vorliegenden Fall kostenmäßig keine eigenständige Bedeutung zu. Es entspricht daher billigem Ermessen im Sinne von § 161 Abs. 2 VwGO, hier in Anwendung des Rechtsgedankens des § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO von einer gesonderten Kostenregelung hinsichtlich der Abschiebungsandrohung abzusehen.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 8. Dezember 2014 weiter, mit dem die Beklagte ihn aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, seinen Antrag auf Erteilung bzw. Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt, ihm die Wiedereinreise für fünf Jahre untersagt und die Abschiebung aus der Haft nach Afghanistan angeordnet bzw. bei nicht fristgerechter Ausreise nach Haftentlassung angedroht hat.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich weder die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.) noch eine besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeit nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (2.).

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne dieser Bestimmung bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11). Das ist jedoch nicht der Fall.

a) Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisung des Klägers für rechtmäßig erachtet. Es hat auf der Grundlage der §§ 53 ff. AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung bei Vorliegen eines zwingenden Ausweisungsgrundes nach § 53 Nr. 1 AufenthG (durch die rechtskräftige Verurteilung des Klägers vom 24. Februar 2014 zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und neun Monaten) und Fehlen eines besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 Abs. 1 AufenthG nach einer umfangreichen Prüfung die Verhältnismäßigkeit der Ausweisung im Hinblick auf Art. 8 EMRK sowie Art. 2 Abs. 1 und 6 Abs. 1 GG bejaht.

Der (damals) 20jährige Kläger lebe zwar seit seinem 7. Lebensjahr in Deutschland, habe aber nur befristete Aufenthaltserlaubnisse innegehabt und verfüge seit Juni 2012 über keinen Aufenthaltstitel mehr. Nach dem Widerruf des nationalen Abschiebungsverbots habe er zudem, unabhängig von der streitgegenständlichen Ausweisung, keine Aussicht auf ein Aufenthaltsrecht mehr. Zwar lebten seine Mutter, vier ältere Geschwister und weitere Verwandte in Deutschland, jedoch sei er als volljähriger junger Mann nicht mehr auf den Beistand seiner Mutter oder Familie angewiesen.

Eine Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse sei ihm - trotz des langen Aufenthalts und obwohl er deutsch spreche - bislang weder in wirtschaftlicher noch in sozialer Hinsicht gelungen und werde ihm in Zukunft mangels Aufenthaltsrecht auch nicht mehr ermöglicht werden. Gegen eine gelungene soziale Integration des Klägers sprächen die Anzahl an Straftaten, Verurteilungen und Inhaftierungen, gegen eine gelungene wirtschaftliche Integration, dass er bis heute nicht in der Lage sei, seinen Lebensunterhalt selbst durch legale Erwerbstätigkeit sicherzustellen. Er sei seit seinem 14. Lebensjahr vielfach und mit unterschiedlichen Straftatbeständen straffällig geworden und habe bereits fast drei Jahre in Haft verbracht. Zwar sei zu berücksichtigen, dass er den weit überwiegenden Teil seiner Straftaten als Jugendlicher begangen habe, doch dürfe ebenfalls nicht außer Acht gelassen werden, dass er nach seiner ersten Haftentlassung auch als Volljähriger sein Verhalten nicht geändert habe. Laufende Reststrafenvollstreckungsaussetzungen zur Bewährung hätten den Kläger in der Vergangenheit bereits mehrfach nicht von der Begehung weiterer Straftaten abhalten können. Durch die vorausgegangene Strafhaft und die Verurteilungen sei er hinreichend gewarnt gewesen, habe jedoch bislang offenbar noch keine Konsequenzen dahingehend gezogen, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und ein straffreies Leben zu führen. Der Kläger sei zuletzt überwiegend wegen Eigentumsdelikten auffällig geworden und nicht in erster Linie ein Gewaltstraftäter. Indes sei er bereits bei seiner ersten Verurteilung wegen Raub und versuchter räuberischer Erpressung und später unter anderem wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt worden. Somit sei zwar keine Steigerung hinsichtlich der Intensität der Rechtsgutsverletzung zu erkennen, andererseits habe der Kläger in der Vergangenheit ebenfalls mehrfach Gewalt angewendet. Gewaltanwendung präge sein kriminelles Verhalten nicht primär, werde von ihm ersichtlich aber auch nicht völlig ausgeschlossen. Anhaltspunkte für eine bloß vorübergehende Jugenddelinquenz lägen nicht vor. Das Verhalten des Klägers in der Strafhaft sei von Arbeitsunwilligkeit, Überheblichkeit und Beratungsresistenz geprägt gewesen; während der ersten Inhaftierung sei er sieben Mal disziplinarisch belangt worden.

Nach dem Eindruck, den das Gericht in der mündlichen Verhandlung vom Kläger gewonnen habe, habe er immer noch nicht erkannt, dass er aktiv Maßnahmen ergreifen müsse, um sein Leben in den Griff zu bekommen. Die gesamte Entwicklung des Klägers bis zum jetzigen Zeitpunkt lasse keinen positiven Aspekt erkennen, der zu Hoffnung Anlass geben könne. Selbst die im Vergleich zum Lebensalter vergleichsweise langen Inhaftierungen hätten beim ihm offensichtlich keinerlei Einsicht und Verhaltensänderung bewirkt; bloße Beteuerungen oder Absichtserklärungen überzeugten und genügten in Anbetracht des Vorlebens des Klägers nicht.

Eine Rückkehr nach Afghanistan sei zwar mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, diese seien dem Kläger aber zumutbar. Es stehe rechtskräftig fest, dass § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG einer Rückkehr nach Afghanistan nicht entgegenstehe; der Kläger könne in Kabul sein Leben sichern. Im Hinblick auf den Aspekt der Entwurzelung gehe das Gericht davon aus, dass weiterhin Verwandte des Klägers in Afghanistan lebten, auch spreche er zumindest gebrochen Dari.

Zwar bedürfe es wegen der zwingenden Ausweisung keiner Gefahrenprognose, jedoch ergebe beim Kläger eine im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmende individuelle Gefahrenprognose eine relevante Wiederholungsgefahr. Auch nach mittlerweile sechs Monaten in Freiheit habe der Kläger nichts aufzuweisen. In der letzten Verurteilung sei festgestellt worden, dass er sich mittels der Diebstähle eine dauerhafte Einnahmequelle von gewissem Umfang und gewisser Dauer habe eröffnen wollen. Somit stehe zumindest zu befürchten, dass der Kläger sich auf diese Art und Weise wieder eine kriminelle Einnahmequelle erschließen werde. Die Stabilisierung, die das Strafgericht zuletzt erhofft habe, sei nach Auffassung des Gerichts nicht eingetreten.

Die Zustände im Heimatland des Klägers seien im Rahmen der Verhältnismäßigkeit von beachtlichem Gewicht, da es nach Auffassung des Gerichts - unabhängig von der asylrechtlichen Beurteilung - einen Unterschied mache, ob in ein Land wie Afghanistan oder einen anderen, nicht vergleichbaren Drittstaat ausgewiesen werde. Dies falle jedoch nicht ausschlaggebend ins Gewicht, da das Interesse des Klägers am Verbleib trotzdem nicht überwiege.

b) Im Zulassungsverfahren wendet sich der Kläger ausdrücklich nicht gegen die Annahme eines zwingenden Ausweisungsgrundes und des Fehlens eines besonderen Ausweisungsschutzes, sondern bringt vor, das Ausgangsgericht habe in seiner Verhältnismäßigkeitsprüfung entscheidungserhebliche Tatsachen bzw. Rechtssätze - die im Einzelnen aufgeführt werden - außer Acht gelassen.

c) Mit diesem Vorbringen wird aber die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Ausweisung des Klägers sei rechtmäßig, gemessen an den nunmehr maßgeblichen Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386) im Ergebnis nicht ernsthaft in Zweifel gezogen.

Die Beurteilung, ob ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt, richtet sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts. Eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ist daher zu berücksichtigen. Die Änderung der Sach- und Rechtslage ist allerdings grundsätzlich nur in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen relevant (Seibert in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl. 2014, § 124a Rn. 57; vgl. auch BVerwG, B.v. 15.12.2003 - 7 AV 2.03 - NVwZ 2004, 744). Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisung ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (vgl. z. B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 12), also hier der Entscheidung über den Zulassungsantrag; Rechtsänderungen während des Zulassungsverfahrens sind zu beachten.

Der Senat hat daher die streitbefangene Ausweisungsverfügung (und das diese als rechtmäßig bestätigende verwaltungsgerichtliche Urteil) unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens mangels entgegenstehender Übergangsregelung anhand der §§ 53 ff. AufenthG in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386) zu überprüfen. Seit dieser Rechtsänderung differenziert das Aufenthaltsgesetz nicht mehr zwischen der zwingenden Ausweisung, der Ausweisung im Regelfall und der Ermessensausweisung, sondern verlangt für eine Ausweisung eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, die für ein Ermessen der Ausländerbehörde keinen Raum mehr lässt. Die Ausweisungsentscheidung ist durch das Gericht in vollem Umfang nachprüfbar (Welte, InfAuslR 2015, 426; Cziersky/Reis in Hofmann, Kommentar zum Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl. 2016, § 53 Rn. 30; Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Kommentar, 11. Aufl. 2016, Vorb §§ 53-56 Rn. 13 und § 53 Rn. 5 ff.; a.A. Marx, ZAR 2015, 245/246). Eine nach altem Recht verfügte Ausweisung wird nach Inkrafttreten der §§ 53 bis 55 AufenthG in ihrer Neufassung am1. Januar 2016 nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht, also gemäß der zentralen Ausweisungsnorm des § 53 Abs. 1 AufenthG (als Grundtatbestand; vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 18/4097 S. 49 f.) der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

d) Die nach § 53 Abs. 1 AufenthG vorausgesetzte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist beim Kläger zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs in spezialpräventiver Hinsicht (immer noch) gegeben.

Das Verwaltungsgericht, das von einer zwingenden Ausweisung nach § 53 Nr. 1 AufenthG a. F. ausgegangen ist, hat eine vom Kläger ausgehende Gefahr der Begehung weiterer Straftaten nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung angesprochen und bejaht.

Der Senat bejaht auch unter Anwendung des § 53 Abs. 1 AufenthG n. F. eine derartige Wiederholungsgefahr.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. z. B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 33 m. w. N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (st. Rspr.; vgl. z. B. BayVGH, U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 34; BVerwG, U.v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - juris Rn. 18).

Gemessen an diesen Grundsätzen kommt der Senat zum maßgeblichen Zeitpunkt seiner Entscheidung zu der Bewertung, dass nach dem Verhalten des Klägers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass er erneut durch vergleichbare Straftaten die öffentliche Sicherheit beeinträchtigt. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht dargelegt hat, ist der Kläger seit seinem 14. Lebensjahr vielfach und mit unterschiedlichen Straftatbeständen straffällig geworden und hat sein Verhalten auch als Volljähriger nach seiner ersten Haftentlassung im Februar 2013 nicht geändert. Noch in der letzten Verurteilung vom 24. Februar 2014 stellte das Strafgericht fest, schwere schädliche Neigungen bestünden fort, die letzte Strafhaft habe den Kläger offensichtlich nicht im geringsten beeindruckt. Er habe nach seiner ersten Haftentlassung im Februar 2013 keine großen Anstrengungen unternommen, sich zu stabilisieren oder eine Arbeit anzutreten. Auffallend ist die hohe Rückfallgeschwindigkeit und die in den letzten Strafurteilen immer wieder festgestellte Weigerung, (sozialpädagogische) Hilfsmaßnahmen anzunehmen oder an sich selbst zu arbeiten; sein Verhalten sei von einer maßlosen Selbstüberschätzung getragen. Ebenso wie das Verwaltungsgericht kann auch der Senat keine positive Entwicklung nach seiner Entlassung aus der Haft im Februar 2015 erkennen. Zwar sind keine neuerlichen Straftaten mehr bekannt geworden, doch stand der Kläger seither unter dem Druck der am 8. Dezember 2014 ergangenen Ausweisungsverfügung. Außer einigen abgebrochenen Probearbeitsverhältnissen und einer schulischen Maßnahme, um einen Schulabschluss zu erwerben, hat der Kläger nichts zu seinen Gunsten vorzuweisen. Soweit er sich auf eine am 1. Oktober 2015 begonnene psychiatrische Behandlung (fachärztliches Attest vom 29.2.2016) beruft, gibt dies keinen Hinweis auf einen zukünftigen Wegfall der Wiederholungsgefahr; der Schwerpunkt der Behandlung liegt auf einer depressiven Erkrankung aufgrund einer drohenden Rückführung nach Afghanistan.

Soweit sich der Kläger in seinem auf die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit gerichteten Zulassungsvorbringen der Sache nach auch gegen die Annahme einer Wiederholungsgefahr wendet, dringt er damit nicht durch. Auch wenn es zutrifft, dass er „nur“ einmal nach einer Aussetzung der zu verbüßenden Reststrafe zur Bewährung wieder straffällig geworden ist (im Juni und Oktober 2013 nach der vorzeitigen Entlassung im Februar 2013), ändert dies angesichts der hohen Rückfallgeschwindigkeit und des Ablaufs der „kriminellen Karriere“ nichts an dieser Einschätzung. Gleiches gilt für den Vortrag, dass der Kläger nicht „mehrfach“, sondern „nur“ einmal Gewalt angewandt habe, nämlich bei der Tat, die mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung abgeurteilt worden sei. Mehr als eine sprachliche Ungenauigkeit liegt hierin nicht, denn der Kläger wurde außerdem noch unter anderem wegen Raub, versuchter räuberischer Erpressung, Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten („Amoklauf“) und Bedrohung verurteilt, also wegen Straftaten, die mit Anwendung oder Androhung von Gewalt verbunden sind. Bereits das Verwaltungsgericht hat hervorgehoben, dass der Schwerpunkt der zuletzt vom Kläger begangenen Delikte auf Diebstählen lag.

e) Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage nach § 53 Abs. 1 AufenthG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Klägers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausreise überwiegt. Entgegen dem Zulassungsvorbringen ist die streitbefangene Ausweisung des Klägers weder unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG - allerdings nicht abschließend - aufgeführten Umstände noch mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznorm des Art. 6 Abs. 1 GG und des Art. 8 EMRK unverhältnismäßig. Das Verwaltungsgericht hat bei der vom Kläger angegriffenen Entscheidung sämtliche entscheidungsrelevanten Gesichtspunkte berücksichtigt, die auch in diese Interessenabwägung einzustellen sind, und sie im Ergebnis in nicht zu beanstandender Weise gewichtet.

Ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG ist beim Kläger infolge seiner rechtskräftigen Verurteilung vom 24. Februar 2014 zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und neun Monaten nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gegeben. Sein Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG wiegt weder nach § 55 Abs. 1 AufenthG besonders schwer noch nach § 55 Abs. 2 AufenthG schwer, insbesondere weil der Kläger im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Ausweisungsverfügung nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis war.

Das vom Verwaltungsgericht gefundene Ergebnis, die Ausweisung sei verhältnismäßig, begegnet auch unter dem Blickwinkel der Abwägung im Sinne von § 53 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG keinen ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit. Die vom Kläger zur Begründung seines Zulassungsantrags vorgebrachten Argumente greifen nicht durch.

- Der Kläger behauptet, das Verwaltungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass er mit einer Durchsetzung der Ausweisung und Abschiebung die für sein Privatleben konstitutiven Beziehungen unwiederbringlich verliere, da er auch nach Ablauf der Befristung der Wirkungen der Ausweisung kein Recht auf Wiederkehr habe. Er beruft sich hierbei auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Mai 2007 (2 BvR 304/07 - NVwZ 2007, 243, juris-Rn. 35), in dem dieses festgestellt hat, dass die Befristung der Ausweisungswirkungen nur eines von mehreren Kriterien im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung ist, eine Verhältnismäßigkeit der Ausweisung aber nicht allein durch eine Befristung erreicht werden kann, zumal wenn die Befristung mangels eines weiteren Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet ohne praktische Wirkung bleibt. Diese Vorgaben hat das Verwaltungsgericht jedoch beachtet. Es hat keineswegs die Verhältnismäßigkeit der Ausweisung (allein) mit Verweis auf die Befristungsentscheidung bejaht, sondern durchaus darauf abgestellt, dass der Kläger künftig kein Aufenthaltsrecht mehr besitzt und sich auf einen dauerhaften Aufenthalt in Afghanistan einrichten muss (S. 15, 19 u. 25 UA).

- Ins Leere geht das Vorbringen, das Verwaltungsgericht habe auf die Möglichkeit von Betretenserlaubnissen abgestellt, was wegen der restriktiven Praxis der deutschen Auslandsvertretungen unzutreffend sei. Die Möglichkeit von Betretenserlaubnissen (§ 11 Abs. 8 AufenthG) spielt in der Verhältnismäßigkeitsprüfung des Verwaltungsgerichts keine Rolle, lediglich bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Befristungsentscheidung befindet sich ein derartiger Hinweis auf die Rechtslage (S. 26 UA).

- Soweit der Kläger geltend macht, das Verwaltungsgericht habe die Sicherheitslage in Afghanistan nicht ausreichend berücksichtigt, zeigt er damit ebenfalls keine Zweifel an der Richtigkeit der Abwägungsentscheidung auf. Das Verwaltungsgericht ist - unabhängig von der rechtskräftigen Feststellung, dass ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht besteht - auf die Lage in Afghanistan eingegangen (S. 18, 19 u. 22 UA). Der Kläger behauptet demgegenüber lediglich pauschal, als „Auslandsrückkehrer“ in höherem Maße von Kriminalität bedroht zu sein; eine konkrete Bedrohung ergibt sich daraus nicht. Auch sind die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte insoweit gemäß § 42 Satz 1 AsylG an die rechtskräftige negative Feststellung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge gebunden.

- Zwar hat das Verwaltungsgericht - insoweit unrichtig - davon gesprochen, dass laufende Reststrafenvollstreckungsaussetzungen zur Bewährung den Kläger in der Vergangenheit „mehrfach“ nicht von der Begehung weiterer Straftaten abgehalten hätten (S. 15 UA). Diese Formulierung lässt jedoch nicht den Schluss zu, das Abwägungsergebnis sei fehlerhaft. Sie ist Bestandteil einer längeren umfassenden Würdigung der „kriminellen Karriere“ des Klägers, deren Ergebnis sich nicht relevant verändert, wenn darauf abgestellt wird, dass dem Kläger „nur“ einmal eine Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung gewährt wurde.

- Gleiches gilt für den Einwand, das Verwaltungsgericht sei fälschlich davon ausgegangen, der Kläger habe „mehrfach“ Gewalt angewandt. Wie bereits erwähnt, wurde der Kläger auch wegen Delikten verurteilt, die mit der Androhung oder Anwendung von Gewalt verbunden sind, und das Verwaltungsgericht hat durchaus gesehen und berücksichtigt, dass der Kläger zuletzt vor allem wegen Diebstählen verurteilt worden ist.

- Auch die „fehlende Berücksichtigung der Empathiefähigkeit des Klägers“ greift nicht durch. Der Kläger bezieht sich hier auf einen Gesichtspunkt in den Strafzumessungserwägungen im Strafurteil vom 20. Januar 2010, also in seiner ersten Verurteilung; der Kläger hatte einen Mittäter überredet, einen Teil erlangten Beute zurückzugeben. Es ist nicht erkennbar, dass dieser Aspekt an dem Ergebnis der Abwägung etwas ändern könnte. Die Beklagte weist in ihrer Stellungnahme vom 29. Oktober 2015 zu Recht darauf hin, dass derartige Situationen von Mitgefühl mit den Tatopfern bei den späteren Straftaten nicht mehr auftreten.

- Der Kläger bringt ferner vor, das Verwaltungsgericht habe bei seiner Gefahrenprognose Tatsachen berücksichtigt, die es selbst schaffe, indem es bei der Prognose der Wiederholungsgefahr darauf abgestellt habe, dass dem Kläger mangels Aufenthaltsrecht eine Integration nicht mehr möglich sei. Dieser Einwand trifft aber nicht zu. Bei der im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommenen Gefahrenprognose (S. 20 u. 21 UA) spielt ein zukünftiges Aufenthaltsrecht des Klägers keine Rolle; an anderer Stelle (S. 15 UA) weist das Verwaltungsgericht darauf hin, dass ihm in Zukunft mangels Aufenthaltsrecht (aus § 25 Abs. 3 AufenthG) keine Integration mehr ermöglicht werden könne. Ein „Zirkelschluss“ liegt also nicht vor.

- Der Einwand, das Verwaltungsgericht habe die Tatsache, dass es sich bei dem Kläger nicht um einen Gewalttäter oder einen Drogenkriminellen handele, nicht berücksichtigt, ist nicht nachvollziehbar. Das Verwaltungsgericht hat in der vom Kläger ungenau zitierten Textpassage ausdrücklich festgestellt, es habe beachtet, dass der Kläger „kein notorischer Gewaltstraftäter“ sei (S. 22 UA). Unzutreffend ist die Behauptung, das Verwaltungsgericht habe sich lediglich auf die „Drei-Jahres-Grenze“ des § 53 Nr. 1 AufenthG (a. F.) zurückgezogen; es hat vielmehr ausführlich dargestellt, warum das Ausweisungsinteresse hier überwiegt, obwohl der Kläger zuletzt „nur“ wegen Diebstählen verurteilt wurde.

- Schließlich führt der Kläger an, das Verwaltungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass er sich seit seiner Haftentlassung um geordnete Lebensverhältnisse bemühe. Jedoch ergibt sich aus den Ausführungen des Urteils des Verwaltungsgerichts, dass sich dieses durchaus mit dem Verhalten des Klägers seit seiner Haftentlassung im Februar 2015 befasst, allerdings nicht entscheidend zu seinen Gunsten gewertet hat (S. 17 u. S. 20/21 UA). Das Verwaltungsgericht hat in nicht zu beanstandender Weise ausgeführt, dass aus den kurzzeitigen Probearbeitsverhältnissen noch nicht der Schluss gezogen werden könne, der Kläger sei willens, seinen Lebensunterhalt künftig durch eigene Erwerbstätigkeit zu sichern. Auch aus nach der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht entstandenen und innerhalb des Frist des § 124 Abs. 4 Satz 4 VwGO vorgetragenen Umständen, insbesondere der Teilnahme an einer schulischen Maßnahme, um einen Schulabschluss nachzuholen, ergeben sich keine ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit dieser Einschätzung. Auch dass der Kläger sich seit dem 1. Oktober 2015 in psychiatrischer Behandlung befindet, lässt keine grundlegend neue Sicht auf das Ausweisungsinteresse zu. Während der Kläger behauptet, er arbeite damit sein vorangegangenes Verhalten auf, ergibt sich aus dem vorgelegten fachärztlichen Attest vom 29. Februar 2016 die Diagnose einer depressiven Erkrankung, die durch seine derzeitige Lebenssituation, vor allem durch die drohende Abschiebung nach Afghanistan, ausgelöst sei.

2. Die Rechtssache weist auch keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) auf.

Eine Rechtssache weist besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf, wenn die Angriffe des Rechtsmittelführers begründeten Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung geben, die sich nicht ohne Weiteres im Zulassungsverfahren klären lassen, sondern die Durchführung eines Berufungsverfahrens erfordern (Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 124 Rn. 106).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Dass eine Ausweisung einer umfangreichen Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen des Art. 8 EMRK zu unterwerfen ist bzw. - nach der neuen Gesetzesfassung - eine umfassende Abwägung nach § 53 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG zu erfolgen hat, wirft für sich allein keine besonderen Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art auf. Schon nicht schlüssig vorgetragen ist, warum sich solche besonderen Schwierigkeiten aus dem Umstand ergeben sollten, dass die Beklagte davon ausgegangen sei, dass die Verhältnisse in Afghanistan nicht die Verhältnismäßigkeitsprüfung einbezogen werden dürften; wie oben dargelegt, ist das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung auf die Verhältnisse in Afghanistan eingegangen. Ebenso ist die Ableitung besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten aus der behaupteten Abweichung von dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 18. Februar 1991 (Az. 31/1989/191/291 Moustaqim - InfAuslR 1991, 149) nicht nachvollziehbar; insoweit hat bereits das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 1. März 2004 (2 BvR 1570/03 - NVwZ 2004, 852, juris-Rn. 23) darauf hingewiesen, dass diese Entscheidung „durch Entscheidungen aus jüngerer Zeit überholt und als Auslegungshilfe nicht mehr heranzuziehen“ sein dürfte.

Einwände gegen die vom Verwaltungsgericht rechtlich nicht beanstandete Befristung der Wirkungen der Ausweisung des Klägers auf fünf Jahre und die Abweisung der Klage bezüglich der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wurden im Zulassungsverfahren nicht erhoben.

Die Kostenentscheidung folgt nach alledem aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Gründe

I.

1

Der Kläger wendet sich gegen eine von dem Beklagten verfügte Ausweisung und begehrt die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis.

2

Der am (…).1972 in Albanien geborene Kläger reiste am 24.08.1994 in das Bundesgebiet ein. Sein Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter wurde abgelehnt. Am 30.04.1998 heiratete er die deutsche Staatangehörige (C.). Am ...2003 wurde die gemeinsame Tochter (...) geboren. Die Ehefrau des Klägers hat eine weitere 1997 geborene Tochter aus einer früheren Beziehung, die im gemeinsamen Haushalt lebt. Auf Grund der Eheschließung wurde dem Kläger am 09.06.1998 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, die vom Beklagten zuletzt am 02.09.2008 bis zum 02.09.2011 verlängert wurde.

3

Am 23.06.2011 wurde der Kläger festgenommen. Vom 24.06.2011 bis zum 22.11.2011 befand er sich aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Merseburg vom 24.06.2011 wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz in Untersuchungshaft in der JVA Halle. Mit Urteil vom 08.12.2011 verurteilte ihn das Amtsgericht Merseburg wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hob das Landgericht Halle das Urteil auf und verurteilte den Kläger wegen gewerbsmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in fünf Fällen sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren. Das Urteil wurde am 13.09.2012 rechtskräftig, nachdem das Oberlandesgericht Naumburg mit Beschluss vom 12.09.2012 die Revision des Klägers als unbegründet verworfen hatte.

4

Aufgrund dieser Verurteilung befand sich der Kläger seit dem 30.10.2012 in Strafhaft in der JVA Burg. Die vorzeitige Entlassung erfolgte am 23.05.2014, nachdem das Landgericht Stendal mit Beschluss vom 13.05.2014 die Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafe nach Verbüßung von zwei Dritteln gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt hatte.

5

Der Kläger war zuvor wie folgt verurteilt worden:

6

-Mit Urteil des Amtsgerichts Laufen vom 12.01.1998 wegen Erschleichens einer Duldung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 15 DM.

7

-Mit Urteil des Amtsgerichts Rüdesheim vom 08.04.2003 wegen gemeinschaftlichen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 8 Euro.

8

-Mit Urteil des Amtsgerichts Halle-Saalkreis vom 17.05.2006 wegen gemeinschaftlichen Diebstahls in einem besonders schweren Fall zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Bewährungszeit lief am 16.05.2008 ab.

9

Wegen der Verurteilung durch das Amtsgericht Laufen verbüßte der Kläger vom 12.11.1997 bis zum 03.03.1998 eine Ersatzfreiheitsstraße in der JVA Bernau.

10

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 26.06.2013 wies der Beklagte den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland aus. Zugleich lehnte er den Antrag des Klägers vom 20.12.2011 auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab. Die Abschiebung nach Albanien aus der Haft wurde angeordnet. Die Wirkung der Ausweisung wurde auf zwei Jahre befristet und sollte mit der Ausreise oder Abschiebung beginnen. Der hiergegen eingelegte Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt vom 31.03.2014 zurückgewiesen. Die Abschiebung des Klägers nach Albanien war für den 23.05.2014, dem Tag seiner vorzeitigen Entlassung, geplant.

11

Am 06.05.2014 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Halle Klage erhoben und zugleich um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Mit Beschluss vom 21.05.2014 – 1 B 150/14 HAL – hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen den Bescheid des Beklagten vom 26.06.2013 angeordnet.

12

Mit Urteil vom 29.05.2015 – 1 A 151/14 HAL – hat das Verwaltungsgericht den Bescheid des Beklagten vom 26.06.2013 sowie den Widerspruchsbescheid des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt vom 31.03.2014 aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 AufenthG zu erteilen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, die Ausweisung des Klägers sei aus spezialpräventiven Gründen nicht erforderlich, denn es bestehe keine Wiederholungsgefahr. Es liege ein atypischer Sonderfall vor, da der Unrechtsgehalt der Tat gering sei. Der geringe Umfang der festgestellten Verkäufe und die enge Bindung des Handels des Klägers an den Zeugen (T.) als einzigen Kunden seien für einen „Drogendealer“ atypisch und gäben Anlass zu der Annahme, dass nach dessen Verschwinden eine Wiederholung ausgeschlossen sei. Zudem liege beim Kläger keine konsequente Fortführung einer strafrechtlichen Karriere vor, da die Abstände zwischen den einzelnen Verurteilungen jeweils mehrere Jahre betragen hätten. Auch mit Blick auf die Generalprävention liege ein atypischer Fall vor, da die Tat nicht besonders schwer wiege. Die vom Beklagten daher zu treffende Ermessensentscheidung genüge den an sie zu stellenden Anforderungen nicht. Der Beklagte habe zur Begründung der Ausweisung allein auf die Deliktsart und das Strafmaß Bezug genommen, ohne die konkreten Umstände der Tatbegehung und den Umfang der „Geschäftstätigkeit“ in die Wertung mit einzubeziehen. Der Beklagte messe den strafrechtlichen Umständen eine übermäßige Bedeutung zu. Er habe sich in keiner Weise mit dem Verhalten des Klägers in der Haft und nach der Haftentlassung auseinandergesetzt. Er habe auch die Stellungnahmen der JVA und den Beschluss der Strafvollstreckungskammer, insbesondere die positive Sozialprognose, nicht in seine Abwägung eingestellt. Im Hinblick auf die wirtschaftliche Integration des Klägers habe er nicht zu dessen Gunsten berücksichtigt, dass dieser bereits wenige Wochen nach seiner Haftentlassung wieder in einem festen Arbeitsverhältnis beschäftigt gewesen sei. Der Beklagte habe auch die familiäre Beziehung des Klägers zu seiner deutschen Ehefrau und Tochter nicht hinreichend beachtet. Die Ausweisung stelle einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht des Klägers auf Achtung des Privat- und Familienlebens dar. Der Kläger verfüge über intensive persönliche und familiäre Bindungen im Bundesgebiet. Die Ehefrau des Klägers und die Töchter hätten trotz der gravierenden psychischen und materiellen Probleme, in die sie durch die Folgen der Straftat gestürzt worden seien, unbeirrt zu ihm gehalten, was durch zahlreiche Besuche in der Haftanstalt und die vielfachen zusätzlichen Telefongespräche belegt werde. Der Kläger führe nunmehr mit seiner Ehefrau und der gemeinsamen Tochter wieder ein intaktes Familienleben. Ob sich diese Bindungen nach Ablauf der Befristung der Ausweisung von zwei Jahren wieder herstellen ließen, erscheine angesichts der Länge der vorgegebenen Trennungszeit als eher unwahrscheinlich. Der Kläger habe auch einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 AufenthG. Die Voraussetzungen lägen vor. § 11 Abs. 1 AufenthG stehe der Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen, weil die Ausweisung keinen Bestand haben könne. Zwar finde § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG auch im Falle des § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG Anwendung. Bei der nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zu treffenden Ermessensentscheidung komme jedoch der besondere Ausweisungsschutz zum Tragen. Das Interesse des Klägers an der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis überwiege das öffentliche Interesse an der Versagung, weil den ehelichen und familiären Belangen des Klägers ein höheres Gewicht zukomme als den öffentlichen Interessen, da hier weder von einer Wiederholungsgefahr auszugehen sei noch von einer besonderen Schwere der Tat.

II.

13

Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

14

1. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Solche Zweifel liegen nur dann vor, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 16.07.2013 – 1 BvR 3057/11 –, juris RdNr. 36). Dies ist hier nicht der Fall.

15

a) Es liegen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vor, soweit das Verwaltungsgericht angenommen hat, die Ausweisung sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten.

16

Die Beurteilung, ob ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt, richtet sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts. Eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ist daher zu berücksichtigen. Die Änderung der Sach- und Rechtslage ist allerdings grundsätzlich nur in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen relevant (vgl. BayVGH, Beschl. v. 11.10.2016 – 10 ZB 15.1378 –, juris RdNr. 11). Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisung ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.1.2013 – BVerwG 1 C 10.12 –, juris RdNr. 12), also hier der Entscheidung über den Zulassungsantrag; Rechtsänderungen während des Zulassungsverfahrens sind zu beachten. Der Senat hat daher die streitbefangene Ausweisungsverfügung unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens mangels entgegenstehender Übergangsregelung anhand der §§ 53 ff. AufenthG in der ab 01.01.2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27.07.2015 (BGBl. I S. 1386), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 11.03.2016 (BGBl. I S. 394) mit Wirkung vom 17.03.2016, zu überprüfen. Seit dieser Rechtsänderung differenziert das Aufenthaltsgesetz nicht mehr zwischen der zwingenden Ausweisung, der Ausweisung im Regelfall und der Ermessensausweisung, sondern verlangt für eine Ausweisung eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder sonstiger erheblicher Interessen der Bundesrepublik Deutschland und eine Interessenabwägung, die für ein Ermessen der Ausländerbehörde keinen Raum mehr lässt. Die Ausweisungsentscheidung ist durch das Gericht in vollem Umfang nachprüfbar (vgl. Beschl. d. Senats v. 10.10.2016 – 2 O 26/16 –, juris RdNr. 8; VGH BW, Beschl. v. 11.04.2016 – 11 S 393/16 –, juris RdNr. 19; BayVGH, Beschl. v. 11.10.2016 – 10 ZB 15.1378 –, a.a.O. RdNr. 12; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG RdNr. 5 ff.; Cziersky-Reis, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 53 AufenthG RdNr. 30; vgl. auch BT-Drs. 18/4097, S. 49 f.). Eine nach altem Recht verfügte Ausweisung wird nach Inkrafttreten der Neufassung der §§ 53 bis 55 AufenthG am 01.01.2016 nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht, also gemäß der zentralen Ausweisungsnorm des § 53 Abs. 1 AufenthG der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitlich demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt (vgl. BayVGH, Beschl. v. 11.10.2016 – 10 ZB 15.1378 –, a.a.O. RdNr. 12).

17

aa) § 53 Abs. 1 AufenthG setzt voraus, dass der Aufenthalt des Ausländers eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitlich demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland darstellt. Wenn eine solche Gefahr nicht vorliegt, ist eine Ausweisung unzulässig (vgl. BayVGH, Beschl. v. 11.10.2016 – 10 ZB 15.1378 –, a.a.O. RdNr. 13; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 53 AufenthG RdNr. 26.; Bauer/Beichel-Benedetti, NVwZ 2016, 416 <418 f.>; Cziersky-Reis, in: Hofmann, a.a.O., § 53 AufenthG RdNr. 20; vgl. auch BT-Drs. 18/4097, S. 49). Eine Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG aus spezialpräventiven Gründen setzt voraus, dass bei dem Ausländer eine konkrete Wiederholungsgefahr festgestellt wird (vgl. Bauer, in: Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 53 AufenthG RdNr. 33; Cziersky-Reis, in: Hofmann, a.a.O., § 53 AufenthG RdNr. 22). Aus den Wertungen des § 54 Abs. 1 und 2 AufenthG können im Prinzip keine Rückschlüsse für eine Wiederholungsgefahr gezogen werden. Eine Ausnahme gilt für § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Ob und mit welchem Grad eine Wiederholungsgefahr vorliegt, ist nicht (mehr) normativ determiniert (vgl. Bauer, in: Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 53 AufenthG RdNr. 28). Soweit der Senat die Auffassung vertreten hat, die allgemeinen Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 AufenthG seien grundsätzlich erfüllt, wenn ein schwer wiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 AufenthG festgestellt worden sei, und dass eine Prüfung der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder sonstiger erheblicher Interessen der Bundesrepublik Deutschland regelmäßig entfallen könne, wenn ein Ausweisungsinteresse nach § 54 AufenthG gegeben sei (vgl. Beschl. d. Senats v. 10.10.2016 – 2 O 26/16 –, a.a.O. RdNr. 9 unter Bezugnahme auf Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: 94. Aktualisierung Januar 2016, § 53 AufenthG RdNr. 24), hält er hieran nicht mehr fest. Die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte haben bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung vielmehr stets eine eigenständige Prognoseentscheidung zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.12.2012 – BVerwG 1 C 20.11 –, juris RdNr. 23; Urt. v. 15.01.2013 – BVerwG 1 C 10.12 –, a.a.O. RdNr. 18; BayVGH, Beschl. v. 11.10.2016 – 10 ZB 15.1378 –, a.a.O. RdNr. 16). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, Urt. v. 28.06.2016 – 10 B 15.1854 –, juris RdNr. 30; Beschl. v. 11.10.2016 – 10 ZB 15.1378 –, a.a.O. RdNr. 16). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Das bedeutet aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.07.2012 – BVerwG 1 C 19.11 –, juris RdNr. 16; Urt. v. 15.01.2013 – BVerwG 1 C 10.12 –, a.a.O. RdNr. 16). Nicht ausreichend ist es, von der Begehung von Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz in jedem Fall ohne weiteres auf die Gefährdung höchster Gemeinwohlgüter und auf eine kaum widerlegliche Rückfallgefahr zu schließen. Vielmehr ist der konkrete, der Verurteilung zugrunde liegende Sachverhalt ebenso zu berücksichtigen wie das Nachtatverhalten und der Verlauf von Haft und – gegebenenfalls – Therapie. Auch bei Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz darf ein allgemeines Erfahrungswissen nicht zu einer schematischen Gesetzesanwendung führen, die die im Einzelfall für den Ausländer sprechenden Umstände ausblendet (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 –, juris RdNr. 19). Zudem kommt den Strafaussetzungsentscheidungen der Strafvollstreckungskammern eine erhebliche indizielle Bedeutung zu. Zwar geht von den Entscheidungen der Strafgerichte nach § 57 StGB keine Bindungswirkung aus. Sie sind jedoch von tatsächlichem Gewicht und stellen bei der ausländerrechtlichen Prognose ein wesentliches Indiz dar (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.01.2013 – BVerwG 1 C 10.12 –, a.a.O. RdNr. 18). Bei einer Prognose der Wiederholungsgefahr bedarf es einer substantiierten Begründung, wenn von der strafgerichtlichen Einschätzung über die Strafaussetzung zur Bewährung abgewichen werden soll (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 –, a.a.O. RdNr. 21).

18

Gemessen daran wird die Annahme des Verwaltungsgerichts, von dem Kläger gehe keine Wiederholungsgefahr aus, durch die in der Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung des Beklagten vorgebrachten Einwände nicht in Frage gestellt.

19

Zu Unrecht rügt der Beklagte, das Verwaltungsgericht folge, abweichend von den Feststellungen in dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Halle, der Einlassung des Klägers, der seinen Tatbeitrag bestreite und sich selbst als Opfer darstelle, dessen „Gutmütigkeit“ ausgenutzt worden sei, ohne den Vorfall besser aufzuklären und eigene Ermittlungen anzustellen. Diese Rüge geht ins Leere, denn das Verwaltungsgericht ist nicht von einem anderen als dem vom Landgericht festgestellten Sachverhalt ausgegangen. Zwar hat das Verwaltungsgericht von „nicht unerheblichen Zweifeln an der Richtigkeit des Urteils“ gesprochen (UA S. 9). Gleichwohl legt es bei seiner Entscheidung die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts zugrunde.

20

Auch das weitere Vorbringen des Beklagten führt nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, es liege keine Wiederholungsgefahr vor. Der Beklagte trägt insoweit vor, der Kläger sei aus Gewinnstreben und ohne selbst drogenabhängig zu sein am Handel mit den besonders gefährlichen Drogen Kokain und Crystal beteiligt gewesen. Der Kläger sei nicht verzogen, die Konsumenten existierten nach wie vor. Der Handel mit Crystal Meth habe nicht unerhebliche Auswirkungen auf die psychische und physische Unversehrtheit der Opfer. Der Kläger habe nicht davor zurückgeschreckt, aus Gewinnstreben das Leben und die Gesundheit anderer zu verletzen. Das Verwaltungsgericht habe die Umstände, die die Persönlichkeit des Klägers betreffen, unberücksichtigt gelassen. Der Kläger habe keine Bemühungen gezeigt, therapiert zu werden. Er habe weder therapeutische Betreuung noch sonst irgendwelche unterstützenden Maßnahme nachgewiesen. Vielmehr habe er nie Reue gezeigt und seinen Tatbeitrag nie zugegeben. Das Verwaltungsgericht hätte zu Ungunsten des Klägers bewerten müssen, dass sich die Umstände, auf denen die Straftat beruhe, sich nicht geändert hätten. Die Persönlichkeitseigenschaften des Klägers seien unverändert. Auch das Motiv – Gewinnstreben – sei unverändert. Auch die situativen Bedingungen seien unverändert. Der Kläger habe zwar nach der Haftentlassung zu seiner Familie zurückkehren können, jedoch sei die finanzielle Lage noch angespannter als vorher. Der Kläger habe nach der Haft nur einen Teilzeitjob erhalten, so dass die Gründe für die Straftat – Gewinnstreben – nicht entfallen seien, sondern weiterhin jederzeit zu einer Wiederholung führen könnten. Ebenso habe ihn die familiäre Verbundenheit zu seiner Ehefrau und Tochter auch damals nicht von der Straftat abhalten können. Das Verwaltungsgericht habe die Stellungnahmen der JVA sowie die Stellungnahme der Bewährungshelferin in überzogener Weise zugunsten des Klägers gewichtet. Es habe unbeachtet gelassen, dass hierin von "niedriger Kriminalität", "moderater Deliktsschwere" und "geringer krimineller Gewohnheitsbildung" ausgegangen werde. Der Beklagte verweist insoweit auf die Stellungnahmen des Leiters der JVA Burg vom 22.02.2013 (BA A Bl. 462), 02.10.2014 (BA A Bl. 542), 26.08.2014 (BA B Bl. 737) und 04.09.2014 (BA B Bl. 753). Der Kläger neige dazu, Schuldzuweisungen an andere zu tätigen (Externalisierungstendenz), eigene Anteile an Geschehnissen bzw. Erkenntnisse aus Problemsituationen nicht ausreichend zu reflektieren und im Sinne einer Verhaltenssteuerung anzunehmen (mangelndes Problem-und Unrechtsbewusstsein), weise eine mangelnde Orientierung an allgemein geltenden Normen und Regeln auf (verzerrte normative Orientierung) und zeige hinsichtlich der Denk- und Verhaltensmuster offensichtlich Verzerrungen und Abweichungen zur "normalen Variation" menschlichen Verhaltens. Der Kläger weise eine deutliche dissoziale Persönlichkeitsstruktur auf und erfülle möglicherweise sogar die Kriterien für eine dissoziale Persönlichkeitsstörung. Das Verwaltungsgericht habe auch hier unbeachtet gelassen, dass ursächlich für seine bisherigen Straftaten immer finanzielle Gründe gewesen seien und eine strafrechtliche Steigerung der Taten zu verzeichnen sei. Das Verwaltungsgericht habe weiterhin unbeachtet gelassen, dass der Kläger trotz mehrmaliger Aufforderungen keine Erklärung über die Entbindung der Bewährungshelferin von der Schweigepflicht vorgelegt habe, so dass insoweit keine Möglichkeit bestanden habe, Auskünfte zu erlangen. Auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung sei deutlich geworden, dass der Kläger seine Taten weiterhin verharmlose und sich nicht mit ihnen auseinandersetze.

21

Diese Einwände stellen die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, bei dem Kläger bestehe keine Wiederholungsgefahr, im Ergebnis nicht in Frage. Soweit der Beklagte geltend macht, der Kläger habe weder eine therapeutische Betreuung noch sonst irgendwelche unterstützenden Maßnahme nachgewiesen, ist dies nicht verständlich. Der Beklagte geht selbst davon aus, dass der Kläger nicht drogenabhängig ist. Dies stimmt mit dem Abschlussbericht des Sozialarbeiters (K.) vom 19.03.2014 (BA A Bl. 554) überein, in dem bestätigt wird, dass bei dem Kläger keine Abhängigkeit von Betäubungsmitteln vorliege. Vor diesem Hintergrund wird nicht klar, welche therapeutische Betreuung oder sonst unterstützenden Maßnahmen der Beklagte bei dem Kläger vermisst. Nicht schlüssig ist auch der Einwand des Beklagten, das Verwaltungsgericht habe unbeachtet gelassen, dass in den Stellungnahmen der JVA Burg von "niedriger Kriminalität", "moderater Deliktsschwere" und "geringer krimineller Gewohnheitsbildung" ausgegangen werde. Diese Einschätzungen bringen zum Ausdruck, dass der Kläger bislang nicht massiv straffällig geworden ist. Dies wird auch vom Verwaltungsgericht so gesehen, indem es ausführt, der Kläger habe zwar vor der für die Ausweisung entscheidenden Verurteilung bereits mehrere Straftaten begangen, jedoch liege keine konsequente Fortführung einer strafrechtlichen Karriere vor, da die Abstände zwischen den einzelnen Verurteilungen jeweils mehrere Jahre betragen hätten. Diese Überlegung stützt die auch vom Senat geteilte Annahme des Verwaltungsgerichts, bei dem Kläger bestehe keine Wiederholungsgefahr. Andererseits ist die Begründung des Verwaltungsgerichts, wonach bei dem Kläger keine Wiederholungsgefahr vorliege, weil es sich um einen "atypischen Sonderfall" handele, da der Umfang der durch das Urteil festgestellten Verkäufe gering und die Bindung des Handels des Klägers an den Zeugen (T.) als einzigen Kunden eng gewesen sei, für sich allein wenig überzeugend. Zu Recht geht der Beklagte davon aus, dass die von dem Kläger begangenen Straftaten schwer wiegen. Der Kläger wurde zu einer Freiheitsstraße von drei Jahren verurteilt. Dies begründet gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ein besonders schwer wiegendes Ausweisungsinteresse. Zudem gehören Rauschgiftdelikte zu den gefährlichen und schwer zu bekämpfenden Delikten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.07.1979 – 1 BvR 650/77 –, juris RdNr. 34). Die vom Kläger begangenen Drogendelikte – gewerbsmäßiges unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in fünf Fällen sowie unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge – wiegen daher schwer. Auch weist der Beklagte zu Recht darauf hin, dass drei wesentliche Umstände, die zu den Straftaten geführt haben, unverändert fortbestehen, nämlich die Persönlichkeit des Klägers, das Motiv für die Taten (finanzielle Probleme) sowie die Situation, da der Kläger nicht fortgezogen ist, sondern nach wie vor in A-Stadt wohnt, wo er auch die Straftaten begangen hat.

22

Gleichwohl geht der Senat davon aus, dass das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht angenommen hat, dass bei dem Kläger keine Wiederholungsgefahr besteht. Grundlage für diese Einschätzung ist zunächst der Beschluss des Landgerichts Stendal vom 13.05.2014 über die Aussetzung der Vollstreckung des Restes der gegen den Kläger verhängten Strafe zur Bewährung. Zur Begründung führte das Landgericht aus, für das Bestehen der Bewährung spreche, dass sich der Kläger erstmals und darüber hinaus seit fast zwei Jahren in Haft befinde, so dass zu vermuten stehe, dass ihn die spezialpräventive Wirkung des Strafvollzugs auch erreicht habe und der Begehung neuer Straftaten entgegenstehe. Anhaltspunkte, die diese Vermutung entkräfteten, habe die Kammer nicht feststellen können, insbesondere habe sich der Kläger auch nicht als Bewährungsversager oder notorischer Betäubungsmittelstraftäter erwiesen. Für das Bestehen der Bewährung spreche weiterhin, dass der Verurteilte über einen tragfähigen Empfangsraum verfüge, da er nach seiner Entlassung wieder im ehelichen Haushalt Aufnahme finden werde. Das von dem Kläger im Vollzug gezeigte beanstandungsfreie Verhalten, die ebenfalls gezeigten beanstandungsfreien Arbeitsleistungen und seine Eignung für den Wohngruppenvollzug, der höchsten Stufe des in der JVA Burg praktizierten Progressionsmodells, rundeten das Bild eines resozialisierungsfähigen und –willigen Straftäters ab. Diese Einschätzung wird bestätigt durch die Stellungnahmen des Leiters der JVA Burg. In der Stellungnahme vom 22.02.2013 wurde u.a. eingeschätzt, dass der Kläger keine erhebliche kriminelle Energie offenbare, die auf eine reale Wiederholungsgefahr hindeute. Er mache glaubhaft, dass er fortan rechtstreu leben möchte. In der Stellungnahme vom 02.10.2014 wurde ausgeführt, die Besuche seiner Ehefrau und seiner Tochter hätten ohne Beanstandungen stattgefunden. Während der Besuchsdurchführung sei erkennbar, dass der Kläger sich um seine Tochter und seine Ehefrau bemühe. Es sei ein guter Kontakt festgestellt worden. Der Kläger verhalte sich vollzugskonform, sei unauffällig und habe sich in den Gefangenenbestand integriert. Disziplinarmaßnahmen seien bisher nicht zur Anwendung gekommen. In der Stellungnahme vom 26.08.2014 hieß es u.a., der Kläger trete gegenüber Bediensteten höflich, korrekt und stets sachlich in Erscheinung. Erteilten Anordnungen des Vollzugspersonals sei er widerspruchslos nachgekommen. Im Gefangenenbestand sei er akzeptiert worden. Probleme seien nicht zu verzeichnen gewesen. Diese Einschätzung wurde in der Stellungnahme vom 04.09.2014 noch einmal bestätigt, in der auch die Stellungnahme vom 12.03.2014 an die Staatsanwaltschaft wiedergegeben wurde, mit der die Strafaussetzung zur Bewährung befürwortet wurde. Zwar habe der Kläger in den Straftaten eine erhebliche kriminelle Energie gezeigt, auch sei er strafrechtlich vorbelastet. Auf der anderen Seite erweise sich der soziale Empfangsraum des Klägers als insgesamt günstig, er habe erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt, das vollzugliche Verhalten sei beanstandungsfrei und er stehe einer Behandlung seiner Persönlichkeitsdefizite, die zur strafrechtlichen Devianz geführt hätten, nicht ablehnend gegenüber. Die günstigen Einschätzungen des Leiters der JVA Burg sowie des Landgerichts Stendal werden bestätigt durch die Stellungnahme der Bewährungshelferin (...) vom 26.05.2015 (GA Bl. 65), wonach zu dem Kläger regelmäßig Kontakt bestehe und sich der Bewährungsverlauf seit der Haftentlassung im Mai 2014 ohne Beanstandungen gestalte. Die Auflagen und Weisungen aus dem Bewährungsbeschluss würden korrekt erfüllt. Nach seiner Haftentlassung habe der Kläger wieder Wohnsitz bei seiner Familie, der Ehefrau und den beiden Töchtern, in A-Stadt genommen. Er lebe in stabilen und geordneten Verhältnissen und bestreite seinen Lebensunterhalt im Rahmen der Bedarfsgemeinschaft mit seiner Ehefrau und den Kindern durch Arbeitslosengeld II sowie durch die wechselnden Einkünfte aus seinem (saisonalen) Beschäftigungsverhältnis bei der Firma Eisen- und Baustahlsanierung "(…)" H-Stadt. Er habe in der Haft eine positive Entwicklung gezeigt, die er nach ihrer Einschätzung auch nach seiner Haftentlassung fortgesetzt habe. Nach ihrem Kenntnisstand lebe der Kläger straffrei und sei willens und aus ihrer Sicht auch in der Lage, diese positive Entwicklung beizubehalten.

23

Darüber hinaus ist für die Einschätzung des Senats auch die Stellungnahme der Ehefrau des Klägers gegenüber der Staatsanwaltschaft und der Strafvollstreckungskammer vom 13.01.2014 (BA B Bl. 632 – 633) bedeutsam, in der sie erklärte, dass sie dem Kläger zugesichert habe, ihn zu unterstützen, sofern er nicht noch einmal straffällig werde. Ihm sei bewusst, dass sie eine nochmalige Trennung aufgrund von Straftaten und Verurteilungen nicht mehr akzeptieren werde. In der Gesamtschau dieser Stellungnahmen ergibt sich das Bild, dass bei dem Kläger, insbesondere unter dem Eindruck der teilweise verbüßten Freiheitsstrafe von nahezu zwei Jahren und aufgrund der intensiven Bindung an seine Ehefrau und seine Tochter, trotz der weiterhin angespannten finanziellen Lage eine erneute Begehung von Straftaten, insbesondere von Drogendelikten, nicht zu erwarten ist.

24

bb) Es bestehen auch nicht deshalb ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, soweit die Ausweisung aufgehoben worden ist, weil das Verwaltungsgericht – wie der Beklagte meint – ignoriert habe, dass sich die Ausweisung auch auf generalpräventive Gründe stütze.

25

Es ist bereits zweifelhaft, ob eine Ausweisung nach neuem Recht für den Fall, dass es an einer Wiederholungsgefahr – und damit an spezialpräventiven Gründen – fehlt, allein auf den Gesichtspunkt der Generalprävention gestützt werden kann (vgl. Cziersky-Reis, in: Hofmann, a.a.O., § 53 AufenthG RdNr. 24 ff.). Zwar heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, die Ausweisungsentscheidung könne grundsätzlich auch auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden (vgl. BT-Drs. 18/4097, S. 49). Hiernach bleibt aber unklar, ob generalpräventive Aspekte lediglich Teil des im Rahmen der Interessenabwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG zu berücksichtigenden öffentlichen Ausweisungsinteresses sind (vgl. BayVGH, Urt. v. 28.06.2016 – 10 B 15.1854 –, a.a.O. RdNr. 38; unklar OVG BB, Beschl. v. 04.01.2017 – OVG 11 N 58.16 –, juris RdNr. 5), oder ob die Ausweisung auch eigenständig auf generalpräventive Gründe gestützt werden kann (vgl. VG Düsseldorf, Urt. v. 11.11.2016 – 7 K 3435/15 –, juris RdNr. 50 ff.; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 53 AufenthG RdNr. 34).

26

Selbst wenn anzunehmen sein sollte, dass eine Ausweisung auch nach neuem Recht unabhängig vom Vorliegen einer Wiederholungsgefahr und damit bei Fehlen spezialpräventiver Gründe allein auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden kann, ergeben sich aus dem Vorbringen des Beklagten auch insoweit keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils.

27

Unverständlich ist der Vorwurf des Beklagten, das Verwaltungsgericht habe ignoriert, dass sich die Ausweisung auch auf generalpräventive Gründe stütze. Das Gegenteil ist der Fall. Das Verwaltungsgericht hat in den Entscheidungsgründen (UA S. 10 – 11) ausgeführt, auch bei der Ausweisung aus Gründen der Generalprävention sei von einem atypischen Fall auszugehen, da die Tat nicht besonders schwer wiege. Zwar geht der Senat – anders als das Verwaltungsgericht – davon aus, dass die von dem Kläger begangenen Straftaten – wie bereits ausgeführt – schwer wiegen. Gleichwohl ist die Ausweisung des Klägers (allein) aus generalpräventiven Gründen unzulässig.

28

An generalpräventiv begründete Ausweisungen sind im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besonders hohe Anforderungen zu stellen. In diesen Fällen ist erforderlich, dass die den Ausweisungsanlass bildende Straftat besonders schwer wiegt und deshalb ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über die strafrechtliche Sanktion hinaus durch die Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Dabei kommt es stets auf die besondere Schwere der Straftat im Einzelfall an. Dies setzt voraus, dass die konkreten Umstände der begangenen Straftat oder Straftaten, wie sie sich aus dem Strafurteil und dem vorangegangenen Strafverfahren ergeben, ermittelt und individuell gewürdigt werden. Die besondere Schwere der Straftat im Hinblick auf die verhaltenssteuernde Wirkung der Ausweisung auf andere Ausländer erfordert, dass von einer derartigen Straftat eine besonders hohe Gefahr für den Staat oder die Gesellschaft ausgeht, wie dies insbesondere bei Drogendelikten oder Straftaten aus dem Bereich der organisierten Kriminalität der Fall sein kann. Sind diese Anforderungen an eine generalpräventiv begründete Ausweisung erfüllt, ist darüber hinaus zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit das Gewicht des öffentlichen Interesses an der Ausweisung mit dem Gewicht des schutzwürdigen privaten Interesses des Ausländers an dem Verbleib in Deutschland abzuwägen. Dadurch wird sichergestellt, dass gerade die Belange "verwurzelter" Ausländer je nach ihrem Gewicht im Einzelfall zum Tragen kommen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.07.1979 – 1 BvR 650/77 –, a.a.O. RdNr. 34; BVerwG, Urt. v. 14.02.2012 – BVerwG 1 C 7.11 –, juris RdNr. 24 f.; Beschl. d. Senats v. 05.09.2012 – 2 M 92/12 –, juris RdNr. 12). Eine rein generalpräventive Ausweisung kann dabei insbesondere in den Fällen, in denen das Bleibeinteresse des Ausländers gemäß § 55 Abs. 1 AufenthG besonders schwer wiegt, unverhältnismäßig sein (vgl. Bauer, in: Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 53 AufenthG RdNr. 53).

29

Gemessen daran ist die Ausweisung des Klägers (allein) aus generalpräventiven Gründen unzulässig. Zwar wiegt die den Anlass für die Ausweisung bildende Straftat schwer. Gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG u.a. dann besonders schwer, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist. Das ist bei dem Kläger der Fall. Gleichzeitig streitet zu seinen Gunsten ein besonders schwer wiegendes Bleibeinteresse. Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG wiegt gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG u.a. dann besonders schwer, wenn der Ausländer mit einem deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt oder sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen ausübt. Auch diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Im Rahmen der nach § 53 Abs. 1 AufenthG vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt das Interesse des Klägers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet das öffentliche Interesse an der Ausreise, da insbesondere die intensiven Bindungen des Klägers zu seiner Ehefrau und seiner Tochter, die auch in der Zeit seiner Inhaftierung zu ihm gestanden haben, nach Maßgabe von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK außergewöhnlich schutzwürdig sind und von dem Kläger selbst keine Gefahr ausgeht. Angesichts dieser erhöhten Schutzwürdigkeit der privaten Interessen des Klägers hat das öffentliche Interesse, zur Abschreckung anderer Ausländer an dem Kläger ein "Exempel zu statuieren", im vorliegenden Fall zurückzustehen.

30

cc) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen auch nicht deshalb, weil das Verwaltungsgericht einen Ermessensfehler des Beklagten angenommen hat. Diese Rüge des Beklagten ist überholt, da nach neuem Recht bei der Ausweisung – wie bereits ausgeführt – für eine Ermessensentscheidung der Behörde kein Raum mehr ist.

31

b) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen auch nicht vor, soweit das Verwaltungsgericht einen Anspruch des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 AufenthG angenommen hat.

32

Zu Unrecht macht der Beklagte geltend, das Verwaltungsgericht habe ignoriert, dass es sich bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 AufenthG bei Vorliegen eines Ausweisungsinteresses um eine Ermessensentscheidung handele. Hierbei übersieht er, dass das Verwaltungsgericht durchaus davon ausgegangen ist, dass im vorliegenden Fall gemäß § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eine Ermessensentscheidung zu treffen war (UA S. 16). Im Ergebnis zu Recht hat das Verwaltungsgericht erkannt, dass der Kläger einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 AufenthG hat.

33

Nach der Rechtsprechung des Senats sind die familiären Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet und die Wertentscheidung des Art. 6 GG in den Fällen des Familiennachzugs nicht auf der Ebene des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG durch Einordnung als Regel- oder Ausnahmefall, sondern allein im Rahmen der Ermessensausübung nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zu berücksichtigen (vgl. Beschl. v. 05.09.2012 – 2 M 92/12 –, a.a.O. RdNr. 9). Nach dieser Vorschrift kann von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in den Fällen des Familiennachzugs und damit auch im Fall des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 AufenthG abgesehen werden. Ein Ausweisungsinteresse i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG besteht dann, wenn der Ausländer einen der in § 54 Abs. 1 oder 2 AufenthG genannten Tatbestände verwirklicht (vgl. OVG NW, Beschl. v. 16.08.2016 – 18 B 754/16 –, juris RdNr. 11). Bei der nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zu treffenden Ermessensentscheidung kommt dem besonders schwer wiegenden Bleibeinteresse des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG für Ausländer, die mit einem deutschen Familienangehörigen in familiärer Gemeinschaft leben und ihr Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen ausüben, zum Tragen. Es ist im Einzelfall zu prüfen, ob das Ausweisungsinteresse nach dessen Art, Aktualität und Gewicht die Versagung der Familienzusammenführung bzw. der weiteren Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft zu rechtfertigen vermag. Dabei ist das durch das Ausweisungsinteresse hervorgerufene öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsversagung mit dem individuellen, grundrechtlich geschützten Interesse des Ausländers und seiner Familienangehörigen abzuwägen. Die Behörde hat hierbei das besondere Gewicht, das Ehe und Familie verfassungsrechtlich wie auch konventionsrechtlich beizumessen ist, zu beachten, und die Folgen der Versagung des Aufenthalts für den Nachziehenden, insbesondere aber für seine von ihm abhängigen Familienangehörigen in die Ermessensabwägung einzustellen (vgl. OVG BB, Urt. v. 27.08.2009 – OVG 11 B 1.09 –, juris RdNr. 44; Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 27 AufenthG RdNr. 86). Ob diesen die mit der Trennung verbundenen Folgen zuzumuten sind, beurteilt sich nicht allein nach dem Grad der dadurch verursachten Härten, sondern wesentlich auch nach dem Gewicht des öffentlichen Interesses an der Ausreise des Ausländers. Je gewichtiger dieses öffentliche Interesse ist, umso eher dürfen dem Ausländer und seiner Familie auch schwerwiegende Folgen zugemutet werden. Der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG greift in derartigen Fällen dann ein, wenn die Folgen der Beendigung des Aufenthalts im Hinblick auf eheliche und familiäre Belange unverhältnismäßig hart wären (vgl. Beschl. d. Senats v. 04.05.2011 – 2 M 44/11 –‚ juris RdNr. 14).

34

Gemessen hieran ist nur die begehrte Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ermessensfehlerfrei. Der Kläger kann sich gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG auf ein besonders schwer wiegendes Bleibeinteresse berufen, welches – wie bereits ausgeführt – bei der Abwägung mit dem besonders schwer wiegenden Ausweisungsinteresse i.S.d. § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG überwiegt. Grundlage dieser Abwägung ist die Erwägung, dass die intensiven Bindungen des Klägers zu seiner Ehefrau und seiner Tochter nach Maßgabe von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK außergewöhnlich schutzwürdig sind und von ihm selbst keine Gefahr ausgeht. Angesichts dieser besonderen Situation ist es – entgegen der Ansicht des Beklagten – dem Kläger nicht zuzumuten, ihn auf eine "Duldung für den Zeitraum der Angewiesenheit auf Betreuung der Familienmitglieder" oder einen Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen zu verweisen.

35

2. Die Berufung ist auch nicht wegen der geltend gemachten Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) zuzulassen. Nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ist die Berufung zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Der Zulassungsgrund der Divergenz ist nur dann hinreichend dargelegt, wenn die Zulassungsschrift einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung eines anderen der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO aufgeführten Gerichte aufgestellten ebensolchen (abstrakten) Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Die nach Auffassung des Rechtsmittelführers divergierenden Rechtssätze müssen einander gegenübergestellt werden und die entscheidungstragende Abweichung muss darauf bezogen konkret herausgearbeitet werden. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen genügt den Anforderungen an die Darlegung einer Divergenz nicht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.03.2016 – BVerwG 1 B 29.16 –, juris RdNr. 9).

36

Diesen Anforderungen genügt die Zulassungsbegründung nicht. Der Beklagte legt weder dar, von welchem abstrakten Rechtssatz das Verwaltungsgericht tragend ausgegangen, noch, von welchem Rechtssatz, den ein im Instanzenzug übergeordneten Gerichts in Anwendung derselben Vorschrift gebildet hat, es hierbei abgewichen sein soll. Die Zulassungsbegründung benennt bereits nicht die maßgebliche gesetzliche Vorschrift, auf die sich die geltend gemachte Divergenz beziehen soll. Sie zeigt auch nicht auf, inwiefern der vom Verwaltungsgericht vermeintlich zu Grunde gelegte Rechtssatz, "dass es sich bei Ausweisung und Befristung nicht um zwei getrennt zu beurteilende Akte handelt", für die Entscheidung tragend gewesen ist. Vielmehr gibt der Beklagte lediglich Ausführungen des Verwaltungsgerichts wieder, wonach es unwahrscheinlich erscheine, dass sich die Bindungen des Klägers zu seiner Ehefrau und seiner Tochter nach Ablauf von zwei Jahren, d.h. nach Ablauf der Befristung der Ausweisung, wieder herstellen ließen. Hieraus folgert er, das Verwaltungsgericht verkenne, dass die Ausweisung und die Befristung zwei voneinander getrennte Verwaltungsakte seien und eine fehlerhafte Befristung die Ausweisung nicht "unwirksam" mache. Damit ist jedoch keine Differenz i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO dargelegt. Das Verwaltungsgericht hat den Gesichtspunkt der Trennung des Klägers von seiner Ehefrau und seiner Tochter über einen Zeitraum von zwei Jahren lediglich als eines von mehreren Kriterien im Rahmen der einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung einer Ausweisung behandelt. Es hat keineswegs von der Fehlerhaftigkeit der Befristung auf die Fehlerhaftigkeit der Ausweisung geschlossen. Eine Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist hiernach nicht ersichtlich.

37

3. Die Berufung ist auch nicht wegen der behaupteten Verfahrensmängel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) zuzulassen. Nach dieser Vorschrift ist die Berufung zuzulassen, wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

38

a) Soweit der Beklagte rügt, das Verwaltungsgericht habe seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts gemäß § 86 Abs. 1 VwGO verletzt, da es keine Stellungnahme der Bewährungshelferin eingeholt habe, so ist dies nicht nachvollziehbar. Das Verwaltungsgericht hat die Stellungnahme der Bewährungshelferin (...) vom 26.05.2015 bei seiner Entscheidung berücksichtigt.

39

b) Ohne Erfolg rügt der Beklagte ferner ein Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Der Beklagte macht geltend, das Verwaltungsgericht sei davon ausgegangen, dass er sich weder mit dem Verhalten des Klägers während seines Aufenthalts im Gefängnis noch nach der Haftentlassung auseinandergesetzt habe. Ebenso wenig habe er die Feststellungen der JVA bzw. den Beschluss der Strafvollstreckungskammer in seine Abwägung mit eingestellt. Tatsächlich habe er jedoch sowohl in seinem Schreiben vom 15.05.2014 im Verfahren 1 B 150/14 HAL als auch in seinem Schreiben vom 12.09.2014 im Verfahren 1 A 151/14 HAL ausführlich hierzu Stellung genommen. Diese Rüge führt nicht zur Zulassung der Berufung, da die Entscheidung auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel nicht beruhen kann. Soweit das Verwaltungsgericht davon ausgegangen ist, der Beklagte habe sich mit den genannten Umständen nicht auseinandergesetzt, diente dies zur Begründung eines Ermessensfehlers. Nach den nunmehr anwendbaren Vorschriften der §§ 53 ff. AufenthG in der ab dem 01.01.2016 geltenden Fassung ist für ein Ermessen der Behörde indessen – wie bereits ausgeführt – kein Raum mehr.

40

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

41

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG.

42

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.


Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 27. Januar 2015 - 1 K 102/12 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet.
Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit und wurde am ... 1973 in ... (Türkei) geboren. Er ist verheiratet, reiste mit seiner Frau und seinen damals drei Kindern am ... 1997 in die Bundesrepublik ein und beantragte am folgenden Tag Asyl. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 9. Oktober 1997 wurden die Anerkennung als Asylberechtigter abgelehnt und zugleich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 4 AuslG festgestellt. Inzwischen hat der Kläger mit seiner Frau, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis ist, sieben Kinder, von denen sechs die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Vier der Kinder studieren, zwei besuchen das Gymnasium und eines die Grundschule.
Der Kläger war zunächst im Besitz von Aufenthaltsbefugnissen bis Mitte 2005. Ein Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis vom März 2006 nahm der Kläger mit Blick auf den Bezug von öffentlichen Leistungen zurück. Ende März 2009 beantragte er erneut die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. In diesem Zuge erfolgte eine Regelanfrage nach § 73 Abs. 2 und 3 AufenthG, die zu der Mitteilung führte, dass Erkenntnisse vorlägen. Der Verfahrensbevollmächtigte des Klägers erbat am 4. Juni 2009 von der Stadt ... die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG, nachdem das Bundesamt am 13. März 2009 mitgeteilt hatte, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme nach § 73 Abs. 1 bzw. 2 AsylG nicht vorliegen würden. Unter dem 9. Juni 2009 teilte die Stadt ... dem Kläger mit, dass die Ermittlungen des Landeskriminalamts noch nicht abgeschlossen seien. Ausweislich eines in der Akte der Stadt ... befindlichen Vermerks vom 19. November 2009 ging die Stadt sodann davon aus, dass auf eine Rückantwort des Landeskriminalamts und auf die Regelanfrage verzichtet werden könne. Die Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG wurde dem Kläger schließlich am 4. Dezember 2009 erteilt.
Das in der Akte der Stadt befindliche Schreiben des Regierungspräsidiums ... an die Stadt vom 22. September 2009, das per Mail an diese gegangen sein soll, findet sich in der Akte erstmals als Anhang einer Mail des Regierungspräsidiums, datierend vom 22. Mai 2010. In diesem bittet das Regierungspräsidium die Stadt um Durchführung einer Sicherheitsbefragung. Die Stadt teilte dem Regierungspräsidium mit, dass die Aufforderung zur Durchführung einer Sicherheitsbefragung nicht zu den Akten gekommen sei, was eventuell mit einer längeren Krankheitszeit der früheren Sachbearbeiterin zusammenhängen könne. Sie informierte das Regierungspräsidium darin im weiteren über die Erteilung der Niederlassungserlaubnis an den Kläger.
Mit Schreiben vom 11. Juni 2010 informierte die Stadt dem Kläger darüber, dass das Regierungspräsidium sie aufgefordert habe, mit ihm eine Sicherheitsbefragung durchzuführen. Das Regierungspräsidium teilte dem Kläger mit Schreiben vom 23. Juli 2010 mit, dass die Niederlassungserlaubnis in Unkenntnis von Bedenken seitens der Sicherheitsbehörden gegen den weiteren Aufenthalt des Klägers in Deutschland erteilt worden sei. Es prüfe derzeit eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis bzw. eine Ausweisung. Hierzu werde dem Kläger die Möglichkeit eines Sicherheitsgesprächs zur weiteren Aufklärung gegeben. Am 23. Februar 2011 fand eine Sicherheitsbefragung des Klägers statt. Am anschließenden Sicherheitsgespräch nahm der Kläger nicht teil.
Mit hier angegriffener Verfügung vom 10. Januar 2012 wurde der Kläger durch das Regierungspräsidium ausgewiesen und verpflichtet, sich zweimal wöchentlich unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapiers bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden. Sein Aufenthalt wurde auf den Bereich der Stadt ... begrenzt und die sofortige Vollziehung der Verfügung wurde angeordnet.
In der Verfügung wurde im Wesentlichen zunächst in tatsächlicher Hinsicht auf Erkenntnisse über sicherheitsrelevante Aktivitäten des Klägers ab 2001 und bis Dezember 2010 abgestellt und im Übrigen darauf, dass er unverändert Vorstandsmitglied (nunmehr 2. Vorsitzender) der „Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V.“ (YEK-KOM) sei. Die Ausweisung beruhe auf § 55 AufenthG in Verbindung mit § 54 Nr. 5 AufenthG. Besonderer Ausweisungsschutz nach Art. 14 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei bestehe nicht, da der Kläger nur über wenige Monate hinweg abhängig beschäftigt gewesen sei. Seit Januar 2005 stehe er mit seiner Familie im Leistungsbezug nach dem SGB II. Die vorliegenden Erkenntnisse wiesen ausreichend Tatsachen für die gerechtfertigte Annahme nach, dass der Kläger entsprechende Unterstützungshandlungen gegenüber einer Vereinigung, die den Terrorismus unterstütze, vorgenommen habe. Bei der PKK und deren Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL handle sich um Vereinigungen im Sinne dieser Vorschrift. Die vom Kläger genannten Veranstaltungen, an denen dieser teilweise maßgeblich mitgewirkt habe, hätten erkennbar dazu gedient, nicht nur einzelne Meinungen kundzutun, sondern jedenfalls auch diese Vereinigung selbst vorbehaltlos und unter Inkaufnahme des Anscheins der Billigung der inkriminierten Bestrebungen zu fördern. Insoweit sei die Freiheit der Meinungsäußerung beschränkt. Entscheidend sei zudem, dass der Kläger nicht bloß passiver Teilnehmer an denen vom Landesamt für Verfassungsschutz benannten Veranstaltungen der unterstützenden Vereinigung gewesen sei, sondern in hervorgehobener Funktion, beispielsweise als Redner, diese tragend mitgestaltet und er sich auch nicht distanziert habe, wenn durch andere Teilnehmer der PKK bzw. deren Nachfolgeorganisationen gehuldigt worden sei. Er habe damit auch durch den Anschein der Billigung den Terrorismus gefördert. Das Engagement des Klägers als Vorsitzender im kurdischen Kulturverein e.V. ... sei ebenfalls als Unterstützungshandlung zu werten, da dieser nach Erkenntnissen und Einschätzung des Landesamtes für Verfassungsschutz als KONGRA-GEL-nah einzustufen sei. In der Vergangenheit habe der Vereinssitz mehrfach zwischen ... und ... gewechselt, wobei die Vereine auch unter verschiedenen Namen im Vereinsregister eingetragen worden seien. Nach Einschätzung des Landesamtes für Verfassungsschutz könne davon ausgegangen werden, dass es sich bei diesen Vereinen um die Vorgängervereine des heutigen kurdischen Kulturvereins e.V. ... handle. Zum einen bestehe zwischen diesen Vereinen Personengleichheit der Vereinsbesucher und auch von einigen Vorstandsmitgliedern, die im Großraum .../... wohnhaft seien. Zum anderen hätten in allen Vereinen Vereinsfeierlichkeiten anlässlich bestimmter PKK-Gedenktage sowie „Märtyrergedenkveranstaltungen“ und „Volksversammlungen“ stattgefunden. Der Verein sei auch Mitglied in der YEK-KOM, die ein Dachverband von überwiegend KONGRA-GEL-nahen örtlichen Kurdenvereinen sei. Als 2. Vorstandsvorsitzendem seien dem Kläger deren Aktivitäten zuzurechnen. Von einer gegenwärtigen Gefährlichkeit des Klägers sei auszugehen. Die Ausweisung sei danach aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt. Die Ausweisung des Klägers sei auch nicht unverhältnismäßig mit Blick auf Art. 8 EMRK. Hinsichtlich der Integrationsleistung des Klägers sei zu beachten, dass er seinen Lebensunterhalt für sich und seine Familie nicht selbst sichern könne und weitere Verwurzelungserfolge des Klägers nicht ersichtlich seien. Das öffentliche Ausweisungsinteresse überwiege hier sein Bleibeinteresse, dem im Übrigen durch seine Duldung Rechnung getragen werden könne. Es sei ihm daher zuzumuten, seinen weiteren Aufenthalt auf Grundlage der Aussetzung der Abschiebung auszugestalten. Auch sei einzustellen, dass die Ausweisung auf Antrag befristet werde.
Der Umstand, dass die Stadt ... als untere Ausländerbehörde am 4. Dezember 2009 eine Niederlassungserlaubnis erteilt habe, obwohl die Sicherheitsbehörden auch schon zu diesem Zeitpunkt Erkenntnisse über den Kläger gehabt hätten, welche zu Bedenken gegen seinen weiteren Aufenthalt führen könnten, sei hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung unschädlich. Insbesondere handele es sich nicht um ein rechtsmissbräuchliches, widersprüchliches Behördenverhalten. Der Stadt ... sei lediglich ein Wissen dahingehend zurechenbar, dass überhaupt Erkenntnisse seitens der Sicherheitsbehörden vorgelegen hätten. Über deren Inhalt und Gegenstand sowie den Umstand, dass diese geeignet gewesen seien, Bedenken gegen den weiteren Aufenthalt des Klägers zu begründen, habe die Stadt ... keine Kenntnis gehabt. Vor der Mitteilung der Sicherheitsbehörden seien entsprechende Ausweisungsgründe der Ausländerbehörde noch nicht bekannt gewesen und könnten daher auch nicht verbraucht sein. Es genüge nicht, dass die Ausländerbehörde Kenntnis darüber habe, dass die Sicherheitsbehörden entsprechende Erkenntnisse hätten. Entscheidend sei, dass weitere maßgebliche Erkenntnisse auch nach dem 4. Dezember 2009 erlangt worden seien, wie der Bericht des Landesamtes für Verfassungsschutz vom 17. Juli 2011 sie darstelle.
Die angeordnete zweimalige wöchentliche Meldepflicht und die räumliche Beschränkung auf den Stadtbezirk ... beruhten auf §§ 54a Absatz 1 Satz 1 AufenthG. Die Auflagen seien auch verhältnismäßig. Die Anordnung des Sofortvollzuges sei zum Schutz der öffentlichen Sicherheit geboten, dies insbesondere mit Blick auf die notwendige Kontrolle des Verhaltens des Klägers. Dies gelte insbesondere auch mit Blick darauf, dass die tatsächliche Beendigung des Aufenthalt des Klägers nicht möglich sei.
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Mit Schriftsatz vom 16. Januar 2012 erhob der Kläger Klage, mit dem Antrag, die Verfügung vom 10. Januar 2012 aufzuheben.
11 
Das Verwaltungsgericht hörte den Kläger in der mündlichen Verhandlung im Hauptsacheverfahren persönlich zu den ihm vorgeworfenen Aktivitäten und seiner derzeitigen Funktion in der NAV-DEM und deren Zielrichtung an. Er räumte dabei die ihm vorgehaltenen Teilnahmen an den genannten Veranstaltungen in tatsächlicher Hinsicht vollumfänglich ein. Insbesondere treffe es zu, dass er am 8. September 2012 Versammlungsleiter des kurdischen Kulturfestivals 2012 in ... gewesen und dort eine Videobotschaft von Murat Karayilan ausgestrahlt worden sei. Derzeit sei er 2. Vorsitzender der NAV-DEM. Diese sei durch eine Namens- und Satzungsänderung der YEK-KOM im Juni 2014 entstanden. Ein Antrag auf Löschung im Vereinsregister oder ein Auflösungsbeschluss bezüglich des Vereins YEK-KOM sei nicht erfolgt. Neben ihm und dem 1. Vorsitzenden, die bereits bei der YEK-KOM im Vorstand gewesen seien, seien drei neue Mitglieder in den fünfköpfigen Vorstand gewählt worden. Die NAV-DEM halte, wie die YEK-KOM zuvor, jedes Jahr zwei große Veranstaltungen ab. Er gehe auch weiterhin zu genehmigten Veranstaltungen anderer kurdischer Organisationen, auch in seiner Funktion als 2. Vorsitzender der NAV-DEM trete er als Redner auf. Das Verwaltungsgericht hörte des Weiteren Frau ... als Mitarbeiterin des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg informatorisch zu den Aktivitäten des Klägers und den Erkenntnissen des Landesamtes zu den Organisationen YEK-KOM und NAV-DEM an. Sie führte aus, dass sie die in den vorliegenden Berichten des Landesamtes zum Ausdruck gebrachte Einschätzung der eindeutigen Nähe des Vereins YEK-KOM zur KONGRA-GEL, in dem der Verein der PKK bzw. ihre Nachfolgeorganisationen Raum zur Verbreitung ihrer Erklärungen und Äußerungen biete, teile. Dies gelte auch für die NAV-DEM, wie etwa eine Veranstaltung im Dezember 2014 gezeigt habe. Dem Landesamt lägen noch keine konkreten Erkenntnisse vor, dass zwischen YEK-KOM und NAV-DEM insoweit Unterschiede bestünden.
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Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 27. Januar 2015 den Beklagten verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf acht Jahre nach Ausreise des Klägers zu befristen und im Übrigen die Klage abgewiesen.
13 
Es hat im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei nur teilweise begründet, soweit der Beklagte verpflichtet sei, die Wirkungen der Ausweisungsverfügung auf acht Jahre nach Ausreise des Klägers zu befristen. Im Übrigen verletze diese den Kläger nicht in seinen Rechten. Ein erhöhter Ausweisungsschutz nach Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei (ARB 1/80) bestehe nicht, da der Kläger keine assoziationsrechtliche Rechtsposition erworben habe. Dies, da er selbst in der mündlichen Verhandlung angegeben habe, bei seinen Beschäftigungsverhältnissen jeweils kürzer als ein Jahr angestellt gewesen zu sein. Etwaige Rechtspositionen nach Art. 6 Abs. 1 Spiegelstrich 1 ARB 1/80 wären daher durch den jeweils nächstfolgenden Arbeitgeberwechsel erloschen.
14 
Der Kläger sei in den Jahren von 2001 bis 2003 Vorsitzender des kurdischen Kulturvereins e.V. ... gewesen. Zwischen 2004 und Mitte 2014 sei er mit einer kurzen Unterbrechung Anfang des Jahres 2012 durchgehend Mitglied im Vorstand, zeitweise 2. Vorsitzender, der YEK-KOM gewesen. Im Mai 2012 sei er erneut in den Vorstand der YEK-KOM gewählt worden, die inzwischen in die NAV-DEM übergegangen sei.
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Der Kläger erfülle die Tatbestandsvoraussetzung einer Ausweisung nach § 54 Nr. 5 AufenthG. Die PKK und ihre Nachfolgeorganisationen seien nach ständiger Rechtsprechung terroristische Vereinigungen im Sinne dieser Vorschrift. Die PKK werde nach wie vor auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen geführt. Soweit sich der Kläger darauf berufe, die PKK habe nunmehr eine geänderte Ausrichtung mit Blick auf die Verteidigung der kurdischen Bevölkerung und der Jesiden im Nordirak gegen den IS, handele es sich um ein temporäres Phänomen, das nicht mit einem dauerhaften Gewaltverzicht und Friedenskurs gegenüber der Türkei einhergehe. Dies ergebe sich auch aus einem Interview des stellvertretenden PKK-Chefs Cemil Bayik vom 10. Oktober 2014, in dem dieser damit gedroht habe, dass sie den Verteidigungskrieg zum Schutze des Volkes auch wieder aufnehmen könnten. Entsprechende Stellungnahmen gebe es auch vom Oberkommandierenden des bewaffneten Arms der PKK „Volksverteidigungskräfte“, der erklärt habe, dass der Friedensprozess mit der Türkei hinfällig sei und die gemeinsamen Übergriffe des türkischen Staates mit dem islamischen Staat einer Kriegserklärung gleichkämen, wie sich aus der Bundestagsdrucksache 18/3491, Seite 4, entnehmen lasse. Zu berücksichtigen sei auch, dass in der Vergangenheit entsprechende Kursänderungen nicht von Dauer gewesen seien.
16 
Der Kläger unterstütze die PKK bzw. ihre Nachfolgeorganisationen durch seine langjährige Tätigkeit als Vorstandsmitglied der YEK-KOM bzw. nunmehr der NAV-DEM. Er sei nahezu ununterbrochen seit 2004 im Vorstand beider Vereine gewesen, was er in der mündlichen Verhandlung auch ausdrücklich eingeräumt habe. Er habe seine Vorstandstätigkeit aktiv ausgeübt, sei selbst auch als Redner und Versammlungsleiter aufgetreten und habe die Interessen des Dachverbandes gegenüber den Mitgliedsvereinen vertreten. Damit seien dem Kläger die von diesen Organisationen ausgehenden Unterstützungshandlungen zuzurechnen.
17 
YEK-KOM bzw. NAV-DEM unterstützten wiederum die PKK und deren Nachfolgeorganisationen. Die Vereinigungen schafften insbesondere eine Plattform für Botschaften und Propaganda der PKK und gewährleisteten eine ständige Präsenz der PKK im gesellschaftlichen Leben der Kurden im Bundesgebiet. Sie sicherten der PKK auf diesem Wege einen Raum für die Ansprache und die Sicherung von Unterstützung durch im Bundesgebiet lebende Kurden. Diese Einschätzung werde sowohl durch die Selbstdarstellung der YEK-KOM wie auch von der Gestaltung und dem Ablauf ihrer Veranstaltungen sowie der Veranstaltungen ihrer Mitgliedsvereine getragen. Im nach wie vor auf der Internetpräsenz der YEK-KOM abrufbaren Arbeitsprogramm werde auf das Selbstverständnis der in Europa lebenden Kurden als „logistische UnterstützerInnen des nationalen Befreiungskampfes“ verwiesen. Die Pressemitteilung der YEK-KOM zu den gewalttätigen Auseinandersetzungen auf dem kurdischen Kulturfestival im Jahr 2012 greife dies ebenfalls auf und spreche davon, dass die PKK für Millionen Kurdinnen und Kurden eine legitime Vertretung sei und einen „gerechten Kampf gegen Krieg und Unterdrückung“ führe. Deswegen lasse sich die kurdische Bevölkerung nicht verbieten, die Symbole der PKK öffentlich zu zeigen und sich zu ihr zu bekennen. Bei diesem Selbstverständnis der Kurden handle es sich letztlich um das Selbstverständnis der YEK-KOM selbst. Denn zum einen begreife sich diese gerade als Dachorganisation der Kurden in Deutschland und als deren Interessenvertretung. Zum anderen werde auf dieses Selbstverständnis ohne jegliche Distanzierung und im Gesamtkontext der Forderung nach einer Aufhebung des PKK-Verbots Bezug genommen. Die YEK-KOM biete zudem eine Plattform für Äußerungen von Funktionären der PKK. Auf ihren Großveranstaltungen würden regelmäßig Grußbotschaften führender PKK-Funktionäre verlesen und als Videobotschaft gezeigt. Auf dem genannten Kulturfestival 2012, dessen Versammlungsleiter der Kläger gewesen sei, sei eine Videobotschaft des oben genannten Murat Karayilan und im Jahr 2013 eine solche des ebenfalls schon genannten Cemal Bayik gezeigt worden. Gleiches sei auf den jährlichen Newroz-Festivals geschehen. Die Veranstaltungen der Mitgliedsvereine der YEK-KOM, an denen der Kläger in seiner Eigenschaft als Vorstandsmitglied teilgenommen habe, seien jeweils durch die zeitliche Nähe zu für die PKK bedeutsamen Daten (PKK-Gründungsjahrestag; Tag der Festnahme Öcalans) und das regelmäßig stattfindende Märtyrergedenken gekennzeichnet, wie sich aus den Einschätzungen des Landesamtes für Verfassungsschutz vom 14. Januar 2015, 29. Januar 2014, 17. Oktober 2013 und 27. August 2012 ergebe. Das Gedenken an Märtyrer möge Teil der kurdischen Kultur sein, wie der Kläger meine, zugleich komme jedoch zum Ausdruck, dass der Einsatz von Gewalt als politisches Mittel im „Befreiungskampf Kurdistans“ grundsätzlich gebilligt werde. Denn ein Gedenken an Märtyrer schließe eine positive Bewertung der mit den Märtyrertod verbundenen Überzeugung ein. Dies gelte erst recht, weil auf den Veranstaltungen von YEK-KOM und ihren Mitgliedsvereinen soweit ersichtlich keine entsprechende Distanzierung von diesem bewaffneten Kampf erfolgt sei. Es handele sich gerade nicht, wie der Kläger wohl geltend machen wolle, um ein bloßes Gedenken an die verstorbenen des eigenen Volkes, sondern um Verstorbene im „Befreiungskampf“ der kurdischen Bevölkerung und zwar insbesondere derer, die bewaffnete Auseinandersetzungen, beispielsweise als Guerillakämpfer, geführt hätten. Durch die Umbenennung der YEK-KOM in NAV-DEM sowie die damit einhergehenden Satzungsänderungen habe sich die Ausrichtung des Vereins nicht verändert. Bereits aus vereinsrechtlicher Sicht liege keine Neugründung sondern eine bloße Umfirmierung vor. Dies ergebe sich aus dem vom Kläger vorgelegten Protokoll der Delegiertenversammlung vom 22. Juni 2014. In der Pressemitteilung zu Umbenennung vom 18. Juli 2014 spreche die Organisation selbst davon, dass „die Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland YEK-KOM e.V. […] ihre Arbeit fortan unter dem Namen NAV-DEM e.V. fortsetzen [wird]“. Dabei sei nicht in Abrede zu stellen, dass die NAV-DEM auf eine umfassendere Organisation kurdischer Vereine ausgerichtet sein möge und ihre satzungsmäßigen Ziele grundsätzlich legitime politische Anliegen beträfen. § 54 Nr. 5 AufenthG stelle jedoch auf tatsächliche Unterstützungshandlungen ab. Es gebe keine Anhaltspunkte für eine wesentliche Veränderung des Aktivitätsspektrums der NAV-DEM gegenüber der YEK-KOM. Die NAV-DEM führe nach dem übereinstimmenden Bekunden des Klägers und des Landesamtes für Verfassungsschutz die beiden zentralen Großveranstaltungen (Newroz-Feier und kurdisches Kulturfestival) fort. Eine Änderung des Arbeitsprogramms sei bislang nicht erfolgt. Auch eine Distanzierung von den bisherigen Aktivitäten der YEK-KOM bzw. der Aktivitäten der PKK habe es nicht gegeben und gebe es auch jetzt nicht. Im Gegenteil führe die NAV-DEM die politischen Aktivitäten zur Aufhebung des PKK-Verbots fort. So führe eine Presseerklärung vom 24. November 2014 anlässlich des 21. Jahrestages des Verbots der PKK aus, dass das Betätigungsverbot für die PKK dazu geführt habe, dass „jegliches Engagement gegen den Krieg in Kurdistan und für die Rechte des kurdischen Volkes […] Repressionen und Kriminalisierung ausgesetzt [war]“.
18 
Der Kläger könne sich für seine Tätigkeit bei der YEK-KOM bzw. der NAV-DEM nicht auf den Verbrauch der Ausweisungsgründe durch Erteilung der Niederlassungserlaubnis im Jahr 2009 berufen. Aus Gründen des Vertrauensschutzes könne eine Ausweisung in der Regel nicht mehr auf solche Tatbestände gestützt werden, in deren Kenntnis die Ausländerbehörde zuvor vorbehaltlos eine Aufenthaltserlaubnis erteilt habe. Für den Vertrauensschutz des Ausländers sei maßgeblich, wie dieser bei verständiger Würdigung die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis verstehen durfte. Insofern dürfe eine Ausweisung nicht mehr allein auf die Betätigung des Klägers vor der Erteilung der Niederlassungserlaubnis im Jahr 2009 gestützt werden, da er insoweit davon habe ausgehen dürfen, dass diese Betätigung im Verfahren zur Erteilung der Niederlassungserlaubnis überprüft worden sei. Jedenfalls für den Zeitraum ab Erlass der angegriffenen Ausweisungsverfügung bis zum Tag der mündlichen Verhandlung, dem entscheidungserheblichen Zeitpunkt, könne der Kläger jedoch keinen Vertrauensschutz geltend machen. Mit der Anhörung durch die Beklagte am 3. März 2011, spätestens jedoch mit Zustellung der Ausweisungsverfügung am 12. Januar 2012, habe dem Kläger die unterbliebene Prüfung von Ausweisungsgründen nach § 54 Nr. 5 AufenthG durch die Stadt... bewusst sein müssen. Schutzwürdiges Vertrauen auf seine weitere Betätigung für die YEK-KOM ohne entsprechende ausländerrechtliche Konsequenzen habe der Kläger ab diesem Zeitpunkt nicht mehr entwickeln können. Der bis dahin bestehende Vertrauensschutz hindere aber nur die Neubewertung vergangener Ereignisse, nicht jedoch die Bewertung der fortgesetzten Tätigkeit des Klägers. Die erneute Wahl des Klägers in den Vorstand der YEK-KOM im Mai 2012 stelle die entscheidende Zäsur dar. Dieser habe sich in Kenntnis der Tatsachen, auf die der Beklagte seine Ausweisungsverfügung gestützt habe, dazu entschlossen, seine Tätigkeit im Vorstand von YEK-KOM bzw. NAV-DEM fortzusetzen und er habe damit zum Ausdruck gebracht, dass er von einer weiteren Betätigung nicht Abstand nehme.
19 
Als anerkannter Flüchtling und Besitzer einer Niederlassungserlaubnis, der sich länger als fünf Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, dürfe der Kläger nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Solche lägen insbesondere in den Fällen des §§ 54 Nr. 5 AufenthG vor. Ein Ausnahmefall von dieser Regel sei hier nicht gegeben. Der Kläger habe trotz der im Raum stehenden Ausweisung nunmehr erneut über einen Zeitraum von knapp drei Jahren aktiv die Aktivitäten der PKK über seine Vorstandstätigkeit unterstützt. Dabei habe er durch die Übernahme der Versammlungsleitung beim 20. kurdischen Kulturfestival in ... und seine Rednertätigkeit eine besonders exponierte Rolle eingenommen. Es lägen daher die Voraussetzungen für eine Ausweisung des Klägers im Ermessenswege vor. Die Ermessensausübung sei nicht zu beanstanden.
20 
Die Ausweisung sei auch gemessen an Art. 21 und Art. 24 der Qualifikationsrichtlinie rechtmäßig. Auf die Frage, ob die Anforderungen für die Beendigung oder Ablehnung eines Aufenthaltstitels Art. 21 Abs. 1 und 2 der Qualifikationsrichtlinie geringer seien als die aus Art. 24 Abs. 1 komme es nicht an. Denn die Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 3 der Qualifikationsrichtlinie seien erfüllt. Danach dürfe die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings, jedenfalls wenn sie ein unbefristetes Aufenthaltsrechts ersatzlos zum Erlöschen bringe, nur erfolgen, wenn der Betroffene aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen sei. Dabei sei eine individuelle Prüfung des Einzelfalls erforderlich. In Anlehnung an das Refoulement-Verbot des Art. 33 GFK reiche die bloße Unterstützung oder Zugehörigkeit zu einer Organisation im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG noch nicht aus. Vielmehr müsse sich die von der Organisation ausgehende Gefährdung in der Person des Ausländers konkretisieren. Die Gründe müssten so gravierend sein, dass sie es rechtfertigten, dass Refoulement-Verbot des Art. 33 GFK zurücktreten zu lassen. Das setze eine qualifizierte Unterstützung des Terrorismus voraus, insbesondere durch eigene Gewaltbeiträge oder als aktiver Funktionär. Dies setze eine wertende Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalles voraus, unter anderem auch von dem Grad der Gefährlichkeit der jeweiligen Organisation, der etwa durch ihre Struktur, Größe und eine Gewaltbereitschaft bestimmt werde. Eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland sei auch durch Unterstützung einer Organisation gegeben, die im Bundesgebiet selbst keine Terrorakte verübe, denn es sei grundsätzlich nicht ausgeschlossen, dass sie die Gewalt auch als Mittel zur Lösung politischer Konflikte außerhalb ihres eigentlichen militärischen Aktionsgebiets einsetze. Zudem hätten Funktionäre der PKK auch Kurden in Deutschland zum bewaffneten Kampf in Syrien aufgerufen. Die Rückkehr solcher Kämpfer nach Deutschland stelle sich, wie bei Kämpfern anderer Organisation auch, als unkalkulierbares Sicherheitsrisiko dar. Eine Gefährdung der inneren und äußeren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland durch die Aktivitäten der PKK bestehe aber auch dann, wenn die Verübung terroristischer Akte auf dem Bundesgebiet durch die PKK ausgeschlossen wäre und sich alleine auf die Türkei beschränkten. Denn die Türkei und Deutschland seien NATO-Bündnispartner und in ein System kollektiver Verteidigung im Sinne von Art. 24 GG eingebunden. Diese Sicherheitspartnerschaft wäre in Frage gestellt, würde ein Bündnispartner die Unterstützung terroristischer Vereinigungen im Gebiet eines anderen Bündnispartners dulden. Die Duldung solcher Aktivitäten könne zu einer in Stabilisierung der Sicherheitslage im betroffenen Staat führen, die wiederum dessen Handlungs- und Beistandsfunktion gegenüber sein Bündnispartner beeinträchtigen könne.
21 
Der Kläger habe durch seine aktive Funktionärstätigkeit die PKK in diesem Sinne qualifiziert unterstützt. Die aktive Tätigkeit im Vorstand der Vereine sei einer direkten Einbindung in die PKK-Funktionärsebene gleichzusetzen. Ohne die entsprechenden Veranstaltungen der YEK-KOM bzw. NAV-DEM wäre die Organisation und die Sicherung des Zusammenhalts der Anhängerschaft der PKK in Deutschland nicht oder nur unter erheblich erschwerten Bedingungen möglich. Die Aufrechterhaltung eines jahrelangen, bewaffneten Guerillakampfes könne nur aufrechterhalten werden, wenn im Hintergrund der kämpfenden Einheiten ein stabiles und ideologisch gefestigtes Umfeld der Unterstützung, sei es in finanzieller oder politischer Hinsicht, bestehe. Die Bedeutung der YEK-KOM bzw. NAV-DEM für die Aktivitäten der PKK sei als sehr hoch zu bewerten. Besonders deutlich werde dies an den organisierten Veranstaltungen der Vereinigungen. Sie ermöglichten der PKK bzw. ihre Nachfolgeorganisationen, unter dem Schirm der Vereine die jeweilige Parteilinie an eine große Zahl von Personen zu vermitteln und dabei das auf den Großveranstaltungen erzeugte Gemeinschaftsgefühl für ihr Anliegen zu nutzen. Eine stärkere Identifikation und Unterstützung der Anliegen einer verbotenen Organisation als die Präsentation der Videobotschaften ihrer Führer vor einem Massenpublikum sei schwerlich vorstellbar. Dies rechtfertige es, die Vorstandstätigkeit in diesen Vereinen, zumal wenn sie im Fall des Klägers ohne jegliche Distanzierung zu den Aktivitäten der PKK erfolge, einer Funktionärstätigkeit in der PKK gleichzusetzen.
22 
Die Anordnung der Meldepflichten und der Aufenthaltsbeschränkung gemäß § 54 a AufenthG sei ebenfalls rechtmäßig. Der Kläger habe einen Anspruch auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf eine Dauer von acht Jahren.
23 
Das Verwaltungsgericht hat die Berufung zugelassen, da die Frage grundsätzliche Bedeutung habe, ob die Tätigkeit im Vorstand eines nicht verbotenen Vereins, der eine Vereinigung unterstütze, die den Terrorismus unterstützt, die Voraussetzung des Art. 21 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 und Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie erfüllen könne.
24 
Gegen das dem Kläger am 31. März 2015 zugestellte Urteil hat dieser mit Schriftsatz vom 20. April 2015, eingegangen am selben Tag, beim Verwaltungsgericht Berufung eingelegt.
25 
Er führt im Wesentlichen aus: Dem Verwaltungsgericht fehle die Sachkunde für die Feststellung, dass die Umbenennung der YEK-KOM in NAV-DEM nicht zu einer wesentlichen Änderung des Aktivitätenspektrums der NAV-DEM gegenüber der YEK-KOM geführt habe. Zudem könne aufgrund einer veränderten internationalen Entwicklung nicht mehr ohne weiteres mit Blick auf die PKK von einer terroristischen Vereinigung ausgegangen werden. Einheiten der PKK hätten insbesondere ab August 2014 verfolgte Jesiden im Norden des Iraks vor dem IS geschützt, dies, nachdem die Peschmergas den Schutz verweigert hätten. Auch bei der Verteidigung von Kobane habe die PKK eine wichtige militärische Schutzfunktion für die schutzlose Zivilbevölkerung über ihren syrischen Zweig YPG übernommen. Diese sei dabei von der US-Luftwaffe unterstützt worden. Die PKK müsse nach Einschätzung westlicher Beobachter in den politischen Prozess eingebunden werden. Die US-Regierung weise ausdrücklich darauf hin, dass die YPG ungeachtet ihrer engen Verbindung zur PKK nicht als terroristische Organisation angesehen werde. Dies habe zu einer Überprüfung der Position der USA und westlicher Staaten im Hinblick auf ihre Einstellung gegenüber der PKK geführt. Haupthindernis bei den Bemühungen um eine gemeinsame internationale Strategie gegen den IS sei die türkische Regierung, die völlig eigene Interessen verfolge. Jedenfalls bedürfe es einer sorgfältigen Aufklärung der aufgezeigten Entwicklung und der darauf beruhenden Einschätzung. Das von den Verfassungsschutzbehörden unterstellte separatistische Ziel bezogen auf die Türkei sei seit langem überholt. Von der PKK gebilligte und koordinierte militärische Einsätze gegen die Türkei würden seit zwei Jahren nicht mehr geführt. Entgegenstehende Äußerungen hochrangiger Funktionäre der PKK müssten dem nicht zwingend entgegenstehen, sondern könnten auch als Teil der Propaganda zwischen der PKK und dem türkischen Staat bewertet werden. Terroristische Aktionen in europäischen Ländern seien seit 2005 nicht mehr unternommen worden. Die politische und militärische Strategie der PKK habe sich seit dem Aufkommen des IS nahezu ausschließlich auf eine Schutzfunktion zu Gunsten der jesidischen und kurdischen Bevölkerung in Syrien verändert. Es entspreche jedenfalls dem Willen der jetzigen Führung der PKK, den Kampf der Einheiten vollständig auf den Schutz der bedrohten Zivilbevölkerung in den bezeichneten Ländern zu konzentrieren.
26 
Das Verwaltungsgericht stelle auf die Vorstandstätigkeit des Klägers bei der YEK-KOM bzw. der NAV-DEM ab, bezeichne jedoch keine einzige Aktivität des Klägers, die als individuelle Unterstützung der PKK ausgelegt werden könne. Der Unterstützungsbegriff werde unzutreffend ausgelegt, insbesondere soweit auf Aktivitäten „im Interessenbereich der PKK“, namentlich der Forderung nach Aufhebung des PKK-Verbots unter Freilassung Öcalans abgestellt werde. Von derartigen, politisch neutralen Forderungen könne nicht auf Unterstützung einer terroristischen Vereinigung bzw. eines bewaffneten Kampfes der PKK geschlossen werden. Es handele sich nicht um den Aufruf zur Begehung terroristischer Taten. Soweit das Verwaltungsgericht anführe, dass in dem „Denken an Märtyrer“ zugleich zum Ausdruck komme, dass der Einsatz von Gewalt als politisches Mittel im Befreiungskampf Kurdistans grundsätzlich gebilligt werde, habe der Kläger darauf hingewiesen, dass er insgesamt 13 nahestehenden Angehörigen in dem Kurdenkonflikt in der Türkei gedacht habe, die durch das türkische Militär getötet worden seien. Er sei gläubiger Muslim und bekunde so seine Trauer und seinen Respekt vor den Toten. Damit habe sich das Verwaltungsgericht in seiner Bewertung nicht auseinandergesetzt.
27 
Das Bundesverwaltungsgericht verlange für eine Unterstützung des Terrorismus aus rechtsstaatlichen Gründen eine engere Verbindung zu den terroristischen Aktivitäten, da dem Einzelnen anderenfalls ein Verhalten zugerechnet werde, dass weder von seinem Willen noch von der durch ihn unterstützten Vereinigung getragen werde. Lediglich die Befürwortung bestimmter spezifischer Ideologien oder Weltanschauungen, sofern daraus nicht Handlungsanleitungen zur Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung politischer oder religiöser Ziele abgeleitet würden, reichten danach nicht aus. Eine Vereinigung könne nur dann als den Terrorismus unterstützende Vereinigung angesehen werden, wenn sie Dritte mit einer entsprechenden Einstellung für die militante Durchsetzung der Ideologie gewinnen wolle. Das Verwaltungsgericht wende § 54 Nr. 5 AufenthG indessen bereits dann an, wenn z.B. die Aufhebung des Vereinsverbots der PKK oder eine friedliche Lösung des Kurdenkonflikts in der Türkei gefordert werde. Es lasse bereits bloße Sympathiebekundungen für eine Organisation, die durch die Sicherheitsbehörden als terroristische eingestuft werde, für den Unterstützungsbegriff ausreichen, ohne dass zusätzliche Tatsachen festgestellt würden, dass die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung auch auf die Unterstützung des Terrorismus gerichtet seien, etwa dadurch, dass gezielt bei Veranstaltungen Jugendliche für den bewaffneten Kampf in kurdischen Siedlungsgebieten angeworben oder durch konkrete Aktionen Kämpfer der PKK in diesen Gebieten unterstützt würden.
28 
Das Verwaltungsgericht verletze § 54 Nr. 5 AufenthG auch, indem es keinen subjektiven Tatbestand voraussetze. Es stelle auf die Vorstandsfunktionen des Klägers in PKK-nahen Vereinigungen ab, berücksichtige aber nicht, dass dieser an seine 13 verstorbenen Verwandten gedacht habe. Im Übrigen fehlten Feststellungen dazu, dass der Kläger bei seinen Aktivitäten bewusst und gewollt den internationalen Terrorismus unterstütze.
29 
Die Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts zum Unterstützungsbegriff werde zudem verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht gerecht. Schon im objektiven Tatbestand sei darauf zu achten, dass der Unterstützungsbegriff nicht unverhältnismäßig namentlich in das Recht auf freie Meinungsäußerung eingreife. Der Organisationsbezug sei daher nicht schon immer dann zu bejahen, wenn in irgendeiner Form auf den verbotenen Verein und seine Aktivitäten hingewiesen werde, ohne dass nach dem deutlich erkennbaren Sinn der Äußerungen die Tätigkeit des Vereins gefördert werden solle. Aus dem Spannungsverhältnis zwischen Grundrechtsschutz und Gefahrenabwehr folge das Erfordernis einer restriktiven Auslegung des Unterstützungsbegriffs. Unterstützungshandlungen müssten auf die Festigung vorhandener terroristischer Strukturen abzielen und der Ausländer selbst müsse einen den Unterstützungsbegriff gerecht werdenden Beitrag zur Unterstützung der Vereinigung leisten. Das Bundesverfassungsgericht weise ausdrücklich darauf hin, dass dem Einzelnen nicht verboten werde, selbst bestimmte politische Ziele anzustreben und zu vertreten, wohl aber, dies durch Förderung der verbotenen Tätigkeit des Vereins zu tun. Die Abwehr richte sich nicht gegen die Handlung des Einzelnen als solche, sondern gegen die mit ihr verbundene Stärkung der Organisation. Es reiche nicht aus, wenn der Außenstehende gleiche Ansichten wie die verbotene Partei vertrete. Einer Meinungsäußerung sei daher nur dann eine objektive Gefahr immanent, wenn zusätzlich äußere, sich nicht nur aus der Willensrichtung des Äußernden ergebende Umstände hinzuträten, die der Äußerung einen unmittelbaren Förderungseffekt geben. Es bedürfe einer auf die terroristische Tätigkeit der Vereinigung bezogene Zweckgerichtetheit und insoweit gelte auch das Regelbeweismaß für Tatsachenfeststellungen. Engagierte Sympathisanten im Umfeld einer terroristischen Organisation, die wie hier der Kläger nicht strukturell in diese eingebunden seien, erfüllten daher aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht den Begriff der Unterstützung einer Vereinigung, die ihrerseits den Terrorismus unterstütze.
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Es müssten die gleichen Maßstäbe gelten wie für den strafrechtlichen Unterstützungsbegriff. Daran fehle es regelmäßig, wenn die Betätigung sich auf Geldspenden, Verteilung von Zeitungen und Flugblättern, die Teilnahme an friedlichen Demonstrationen, Hungerstreiks oder nicht gewalttätigen Besetzungsaktionen beschränke. Von terroristischem Aktivitäten im Einzelfall sei auszugehen, wenn der Betreffende aufgrund seiner hochrangigen Funktionärstätigkeit für die PKK eine qualifizierte Mitverantwortung für deren kriminelle und terroristische Aktivitäten in Deutschland trage. Dies werde auch durch die Rechtsprechung zur Anwendung von Art. 1 GFK, Art. 12 Abs. 2 lit. b der Richtlinie 2004/83/EG, § 3 Abs. 2 Nr. 2 AsylG bestätigt. Auch dort gehe es um eine Zurechnung nach verwaltungsrechtlichen und nicht strafrechtlichen Grundsätzen, wobei dort der Beweisstandard hinsichtlich der materiellen Zurechnungskriterien gegenüber dem Strafrecht nicht herabgesenkt sei. Hier wie dort gehe es um die Gefährdung wichtiger öffentlicher Schutzgüter durch terroristische Gefahren. Verlangt werde dort ein vorsätzlicher Beitrag mit dem Ziel, die kriminelle Tätigkeit oder die strafbare Absicht der Gruppe zu fördern. Die Beiträge müssten also ausreichend sein, die Fähigkeit der Organisation, terroristische Anschläge zu verüben, zu fördern. Auch der Gerichtshof der Europäischen Union fordere in diesem Zusammenhang eine individuelle Prüfung der genauen tatsächlichen Umstände. Er gehe davon aus, dass bei einer hervorgehobenen Position eine individuelle Verantwortlichkeit vermutet werden könne. Ob diese Vermutung gerechtfertigt sei, erfordere nach seiner Rechtsprechung aber eine Prüfung sämtlicher erheblicher Umstände.
31 
In vorliegendem Fall sei zur Entlastung des Klägers zu berücksichtigen, dass er nicht in eine Organisation eingebunden sei, die sich terroristischer Mittel bediene. Zwar gehe das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass für den präventiven Gefahrenabwehrschutz gegenüber dem strafrechtlichen Maßstab der Begriff der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung erweitert werden dürfe. Aus verfassungsrechtlichen Gründen setze aber eine präventive Gefahrenabwehrmaßnahme voraus, dass durch das individuelle mit der Ausweisung bekämpfte Verhalten des Einzelnen eine konkrete Gefahr für wichtige Gemeinschaftsgüter hervorgerufen werde. Es bedürfe stets einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit, die auf konkret umrissenen Tatsachen beruhe. Dass Sympathiebekundungen für eine terroristische Organisation, selbst Sympathiebekundungen für terroristische Aktivitäten, eine Gefahr begründeten, sei eher fern liegend, sofern keine konkreten Anhaltspunkte dafür geliefert werden könnten, dass durch diese die öffentliche Sicherheit gefährdet werde. Die Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsgrad dürften nicht beliebig abgesenkt werden. Aufgrund des prognostischen Charakters des Gefahrenbegriffs und der Tatsache, dass nahezu jedes Gut mehr oder weniger risikogeneigt sei und mit Blick auf das Recht auf Inanspruchnahme grundrechtlicher Freiheiten müsse der Gesetzgeber in abstrakter Weise einen Ausgleich dieser widerstreitenden Interessen erreichen. Dies könne dazu führen, dass Grundrechtseingriffe einer bestimmten Eingriffsintensität erst von bestimmten Verdachts- oder Gefahrenstufen an vorgesehen werden dürften. Dies gelte auch für § 54 Nr. 5 AufenthG. Es genüge nicht, dass in irgendeiner Form auf die terroristische Organisation und deren Aktivitäten hingewiesen werde, ohne dass nach dem deutlich erkennbaren Sinn der Äußerung deren terroristische geprägten Tätigkeiten im objektiven Sinne gefördert werden sollten. Gemessen hieran habe der Kläger durch seine Vereinsaktivitäten nicht den internationalen Terrorismus unterstützt. Für § 54 Nr. 5 AufenthG seien ein kognitives und ein voluntatives Element erforderlich. Hinsichtlich des voluntativen Elements des subjektiven Unterstützungsbegriffs fehle es indes an der verfassungsrechtlich gebotenen Eindeutigkeit. Nach der Rechtsprechung genüge es, dass der Einzelne in einer inneren Nähe und Verbundenheit zu der Vereinigung selbst stehe, die er durch sein Engagement als ständiger (passiver) Teilnehmer zum Ausdruck bringe und damit deren Stellung in der Gesellschaft, vor allem unter Landsleuten, begünstigend beeinflusse, deren Aktionsmöglichkeiten und eventuell auch ihr Rekrutierungsfeld erweitere und dadurch insgesamt zu einer Stärkung ihres latenten Gefährdungspotenzials beitrage. Dies reiche aus verfassungsrechtlicher Sicht jedoch nicht aus. Auch eine bloße Stärkung eines latenten Gefährdungspotenzials genüge nicht den Anforderungen, die für die Eingriffsverwaltung an das Bestehen einer konkreten Gefahr zu fordern seien. Bei Äußerungen müsse eine vereinsfördernde Zielrichtung eindeutig erkennbar sein. Ob der Betroffene die Grenzen einer erlaubten Tätigkeit überschreite, sei davon abhängig, wie weit der grundrechtlich geschützte Freiheitsbereich reiche. Dies könne ohne voluntative Elemente nicht bestimmt werden. Es sei daher zu verlangen, dass der Einzelne sich mit den Zielvorstellungen und terroristischen Aktivitäten einer Organisation identifiziere. Dementsprechend genüge eine bloße politische Sympathiebekundung des Einzelnen für eine terroristische Organisation nicht. Die Schwelle sei erst überschritten, wenn Sympathie in Form der Verherrlichung des Guerillakampfes bekundet werde. Zwar könne danach auch der Personenkult für Öcalan berücksichtigt werden, weil diesem nach wie vor ein Symbolgehalt für den bewaffneten Kampf der PKK zukomme, es bedürfe aber zusätzlicher tatsächlicher Feststellungen für die Identifikation Einzelner mit dem Terrorismus, in dem Sinne, dass diese mit der Sympathiebekundungen für Personen oder Organisationen zugleich auch deren terroristisch geführten bewaffneten Kampf unterstützen wollten.
32 
Das Verwaltungsgericht habe auch keine schwerwiegenden Gründe im Sinne von Art. 24 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz der Qualifikationsrichtlinie festgestellt. Eine Regelvermutung, wie das nationale Recht, kenne das Unionsrecht nicht. Es sei eine individuelle Prüfung unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles erforderlich. Das Refoulementverbot des Art. 33 Abs. 1 GFK müsse hierbei beachtet werden. Daher sei eine eigene erhebliche Gewalttätigkeit oder Bereitschaft hierzu oder eine strukturelle Einbindung in diese, etwa durch Ausübung einer aktiven Funktionärstätigkeit, erforderlich. Die bloße Mitgliedschaft des Klägers im Vorstand von YEK-KOM bzw. NAV-DEM sowie dessen Redebeiträge, die im Übrigen nicht dahingehend bewertet worden seien, ob der Kläger in diesen zu Gewaltanwendung aufgerufen habe, genügten nicht.
33 
Aus der Teilnahme an rechtmäßigen Versammlungen und an Veranstaltungen, in der sich die kulturelle Identität als Kurde manifestiert habe, folge nicht automatisch, dass der Betroffene selbst terroristische Handlungen unterstützt habe. Solche Veranstaltung seien auch nicht automatisch terroristische Handlungen.
34 
Zudem sei durch das neue Ausweisungsrecht dem bisherigen Automatismus eine klare Absage erteilt worden. Es sei danach eine ergebnisoffene Abwägung auf Tatbestandsseite erforderlich, die gerichtlich voll überprüfbar sei. Hier fehle es schon an einer konkreten Gefahr als Grundlage einer solchen Abwägung. Generalpräventiv motiviert sei die Ausweisung im Rahmen des § 53 Abs. 3 AufenthG, dessen Voraussetzungen auch im Übrigen nicht vorlägen, nicht zulässig. Es fehle an der Unerlässlichkeit der Maßnahme. Auch bei Annahme einer vom Kläger ausgehenden Gefahr gehe die Abwägung zu dessen Gunsten aus, da besonders schwerwiegende Ausweisungsinteressen nicht bestünden und zugleich besonders schwerwiegende und schwerwiegende Bleibeinteressen vorlägen. Der langjährige rechtmäßige Aufenthalt des Klägers in Deutschland und die Interessen seiner Familie, mit der er zusammen lebe, seien umfassend zu berücksichtigen. Eine Nachreisen der Familie in die Türkei sei dieser nicht zuzumuten. Auch sei zu beachten, dass eine Beendigung des Aufenthalts des Klägers aufgrund seines Flüchtlingsstatus nicht zulässig sei.
35 
Das Verhalten des Klägers erfülle auch deshalb nicht die Voraussetzungen der Art. 21 Abs. 2 und 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie, da er selbst weder terroristische Handlungen begangen habe, noch solche geplant, entschieden oder andere dazu angeleitet bzw. finanziert oder er Mittel dazu beschafft habe. Eine dieser abschließend zu verstehenden Handlungen verlange der Gerichtshof der Europäischen in seiner Entscheidung in der Rechtssache „T.“ (Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 -, juris) jedoch. Auch betone dieser, dass eine Teilnahme an erlaubten Veranstaltungen keine solche Handlung sei und sich daraus nicht zwingend die Unterstützung solcher Taten ergebe.
36 
Der Kläger beantragt,
37 
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 27. Januar 2015 - 1 K 102/12 - die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 10. Januar 2012 aufzuheben.
38 
Der Beklagte beantragt,
39 
die Berufung zurückzuweisen.
40 
Er führt im Wesentlichen aus: Die PKK sei auch nach wie vor als terroristische Organisation zu sehen. Sie sei weiterhin in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 sowie im bindenden Anhang zur Verordnung (EG) 2850/2001, zuletzt aktualisiert durch die Durchführungsverordnung (EU) 2015/513 vom 26. März 2015, aufgeführt. Zudem sei auf die Bundestagsdrucksache 18/3702 vom 7. Januar 2015 zu verweisen, in der die Bundesregierung deutlich mache, weshalb sie am Vereinsverbot bezüglich der PKK festhalte und diese als terroristische Organisation einstufe. Diese halte weiter an ihrem Standpunkt fest, nicht zwischen „guten“ und „bösen“ Terroristen zu unterscheiden. Zwar gehe die Bundesregierung nicht von Angriffen der PKK in Deutschland oder gegen deutsche Ziele aus, dennoch stünden Angriffe gegen Ziele des Nato-Partners Türkei unverändert auf dem Plan der PKK. Dies werde weiterhin von der Bundesregierung missbilligt und im Rahmen der Möglichkeiten deutscher Sicherheitsbehörden verhindert. Die Bundesregierung weise zudem darauf hin, dass die PKK Europa als Rückzugsraum für finanzielle und politische Aktivitäten betrachte. Weiterhin sei der Friedenprozess zwischen der Türkei und den Kurden seit Juli 2015 beendet, da die Waffenruhe zerbrochen und es zu neuen Kämpfen und Anschlägen gekommen sei. Am 22. Juli 2015 seien in Ceylanpinar im Südosten der Türkei zwei Polizisten ermordet worden. Die PKK habe sich hierzu bekannt. Am 10. August 2015 seien mehrere Anschläge in Istanbul erfolgt, darunter einer auf eine Polizeiwache, zu denen sich die PKK ebenfalls bekannt habe. Am 11. August 2015 habe es einen weiteren Anschlag in Südost-Anatolien gegeben, bei dem ein türkischer Soldat ums Leben gekommen sei.
41 
YEK-KOM und NAV-DEM unterstützten die PKK und deren Nachfolgeorganisationen insbesondere durch eine Plattform für Botschaften und Propaganda der PKK; sie gewährleisteten eine ständige Präsenz der PKK im gesellschaftlichen Leben der Kurden im Bundesgebiet. Die bloße Umbenennung der YEK-KOM in die NAV-DEM habe das Verwaltungsgericht zutreffend bewertet, dies werde auch durch den Bericht des Landesamtes für Verfassungsschutz vom 24. August 2015 aufgezeigt. Eine Änderung des Arbeitsprogramms sei nicht erfolgt, es gebe auch keine Distanzierung der NAV-DEM von den Aktivitäten der YEK-KOM. Auf beiden Internetpräsenzen werde jeweils das Logo der NAV-DEM abgebildet, es werde das nahezu identische Layout verwendet, wie die Screenshots vom 20. August 2015 zeigten. Die NAV-DEM sei nach eigenen Angaben Mitglied der KON-KURD-Nachfolgeorganisation (europäischer Dachverband PKK-naher Vereine) und der Vorsitzende der NAV-DEM habe im März 2014 erklärt, dass man die deutsche Demokratie nicht akzeptieren könne, wie sich aus dem Verfassungsschutzbericht des Bundes 2014, Seite 131, ergebe. YEK-KOM bzw. NAV-DEM verträten entgegen der Darstellung des Klägers auch nicht lediglich die selben politischen Forderungen wie die PKK. Vielmehr würden die von der PKK gewählten Mittel der Gewalt zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele öffentlich unterstützt, zumindest aber gebilligt. Die im verwaltungsgerichtlichen Urteil erwähnte Pressemitteilung der YEK-KOM zu den gewalttätigen Auseinandersetzungen im Jahre 2012, in der ausgeführt werde, dass sich die kurdische Bevölkerung nicht verbieten lasse, die Symbole der PKK öffentlich zu zeigen und sich zu ihr zu bekennen, zeige das klare Bekenntnis zur PKK. Von der Gewaltanwendung der PKK habe sich die YEK-KOM auch nicht distanziert.
42 
§ 54 Nr. 5 AufenthG sei im Zusammenhang mit der UN-Resolution 1373 vom 28. September 2001 zu sehen, in der die Staaten dazu aufgefordert würden, die Nutzung ihres Staatsgebietes für die Vorbereitung, Durchführung und Finanzierung internationaler terroristischer Akte zu verhindern. Daher setze § 54 Nr. 5 AufenthG nicht voraus, dass von dem betroffenen Ausländer bereits eine konkrete Gefahr ausgehe. Angesichts der außerordentlichen Gefahren des internationalen Terrorismus sei es gesetzgeberischer Wille, dass die Voraussetzungen dieses Ausweisungsgrundes deutlich niedriger anzusetzen sei.
43 
Erforderlich sei eine wertende Gesamtbetrachtung der Aktivitäten und des Verhaltens des Ausländers. Einzelne belegbare Unterstützungshandlungen müssten vorliegen, die nach vernünftiger Wertung den Schluss zuließen, dass der Ausländer in nicht völlig unerheblicher Weise eine terroristische Organisation unterstütze. Zur Sicherung vor unverhältnismäßigen Eingriffen, etwa in die Meinungsfreiheit, müsse die Tätigkeit für den Ausländer erkennbar geeignet sein, sich auf die unterstützte Vereinigung positiv auszuwirken. Lediglich politische, humanitäre oder sonstige Ziele genügten nicht, das sei auch berücksichtigt worden. Die zahlreichen Aktivitäten des Klägers auch in herausgehobener Funktion könnten nicht als bloßes Gedenken an verstorbene Verwandte gewertet werden, da zugleich der Einsatz von Gewalt als politisches Mittel gebilligt worden sei. Der Kläger in seinen herausgehobenen Funktionen habe auch gewusst, dass Märtyrergedenkveranstaltungen für die Sache der PKK instrumentalisiert würden. Zurechenbar seien ihm die Unterstützungshandlungen auch mangels klarer Distanzierung durch ihn oder die Organisationen, für die er tätig gewesen sei und ist.
44 
Die Ausweisungsverfügung sei auch nach neuem Recht rechtmäßig. Die Voraussetzungen des Art. 24 der Qualifikationsrichtlinie lägen vor, nachdem sogar jene des Art. 21 der Qualifikationsrichtlinie vom Verwaltungsgericht zu Recht bejaht worden seien. Der Kläger irre, wenn er meine, der Gerichtshof der Europäischen Union habe in seiner Entscheidung in der Rechtssache „T.“ zwingend eine Unterstützung in Form von eigenen terroristischen Tätigkeiten oder eine herausgehobene Stellung in der terroristischen Vereinigung selbst zur Voraussetzung gemacht. Stets sei der Einzelfall zu untersuchen und es gebe danach auch andere Formen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.
45 
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger den Beweisantrag gestellt: „Es soll eine Auskunft zu den Tatsachen, dass die NAV-DEM insbesondere das Ziel verfolgt, die Interessen aller Kurden aus den Staaten Syrien, Irak und Türkei und die Integration der in Deutschland lebenden Kurden zu fördern sowie die Öffentlichkeit auf die Situation der bedrohten kurdischen Minderheiten im Irak und in Syrien hinzuweisen und für die Leistung humanitärer Hilfe für diese Personengruppe zu werden, eingeholt werden durch eine Auskunft durch den Sachverständigen A. I., Steindamm 39, 20099 Hamburg“. Diesen hat der Senat abgelehnt.
46 
Dem Senat liegen die verfahrensbezogenen Akten der Behörde vor. Es hat im weiteren die sich aus Blatt 165 der Gerichtsakten ergebenden weiteren Erkenntnismittel erhoben, die den Parteien zuvor zugänglich gemacht wurden. Wegen des weiteren Vortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 13. Januar 2016 verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
47 
Die nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht und ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 6 und Abs. 3 Satz 4 VwGO) Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 27. Januar 2015 ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da die Ausweisungsverfügung den Kläger nicht in eigenen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 VwGO) (I.). Nicht streitgegenständlich ist die vom Verwaltungsgericht getroffene Befristungsentscheidung, gegen die sich der Kläger mit seinem Berufungsantrag nicht wendet (II.).
I.
48 
Die Ausweisungsverfügung ist auf § 53 Abs. 1 AufenthG i. V. m. § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in der seit 1. Januar 2016 geltenden Fassung (Art. 9 des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung, BGBl. I, S. 1386 <1399>) zu stützen; maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der der mündlichen Verhandlung des Senats (BVerwG, Urteil vom 04. Oktober 2012 - 1 C 13.11 -, Rn. 16, BVerwGE 144, 230, Rn. 16 und vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 -, BVerwGE 143, 277, Rn. 12).
49 
Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer ausgewiesen, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Dieser Grundtatbestand des neuen Ausweisungsrechts umreißt die Ausweisungszwecke auf tatbestandlicher Ebene, die in § 54 AufenthG in vertypter und zugleich gewichteter Form als Ausweisungsinteressen ausdifferenziert werden. Nicht mehr entscheidungserheblich ist danach, ob der Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren seine Ermessenserwägungen in hinreichender Form nachgebessert hat (vgl. hierzu: BVerwG, Urteil vom 13.12.2011 - 1 C 20.11 -, juris). Denn ein Ermessen ist der Ausländerbehörde aufgrund des gesetzlichen Systemwechsels, hin zu einer gebundenen Entscheidung auf Tatbestandsseite, nicht mehr eingeräumt (Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 53 AufenthG, Ausweisung, Überblick, Stand: 18.01.2016, Rn. 1; terminologisch unzutreffend daher: Marx, Aufenthalts- Asyl- und Flüchtlingsrecht, 5. Aufl. 2015, § 7, Rn. 163).
50 
Hier erfüllt das Verhalten des Klägers das danach besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (1.). § 53 Abs. 3 AufenthG modifiziert den Ausweisungsmaßstab im Sinne erhöhter Anforderungen an das Gewicht der drohenden Rechtsgutsverletzung, sofern die in dieser Vorschrift aufgeführten Personengruppen betroffen sind. Der Kläger unterfällt als anerkannter Flüchtling dieser Regelung (2.). Dem Ausweisungsinteresse gegenüberzustellen ist das Bleibeinteresse des Ausländers nach § 55 AufenthG, das der Gesetzgeber ebenfalls vertypt und zugleich gewichtet, aber nicht abschließend aufgeführt hat (3.). § 53 Abs. 1 AufenthG verlangt davon ausgehend ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, im konkreten Fall in Form des Interesses an der Beendigung des weiteren rechtmäßigen Aufenthalts, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende umfassende und abschließende Abwägung des Ausweisungsinteresses mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände einzubeziehen sind (4.). Aus all dem folgt auch, dass die Ausweisung vorliegend nicht gegen die assoziationsrechtlichen Stand-Still-Klauseln verstößt (5.).
51 
1. Im Fall des Klägers liegt ein besonders schwer wiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, der bestimmt, dass ein solches im Sinne von § 53 Absatz 1 AufenthG besonders schwer wiegt, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wovon - unter anderem dann - auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.
52 
Der Kläger unterstützt seit längerem und auch aktuell die PKK, eine terroristische bzw. den Terrorismus unterstützende Vereinigung (a.), und dies überwiegend in herausgehobener Funktion (b.).
53 
a.) Das Aufenthaltsgesetz selbst enthält keine eigene Definition des Terrorismus. Da die - insoweit - tatbestandlich deckungsgleichen Vorgängervorschriften des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG47 Abs. 2 Nr. 4 AuslG i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG; § 54 Nr. 5 AufenthG a. F.) auf die UN-Sicherheitsratsresolution 1373 (2001) vom 28. September 2001 zurückgehen (Art. 11 Nr. 3 des Gesetzes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz) vom 09.01.2002, BGBl I, Nr. 3, S. 361; Kießling, Die Abwehr terroristischer und extremistischer Gefahren durch Ausweisung, 1. Aufl., 2012, S. 187) und diese das Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl 2003 II, S. 1923) in Bezug nimmt, wird in der Rechtsprechung zunächst auf die Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 lit. b des Internationalen Übereinkommens abgestellt (BVerwG, Urteile vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 -, BVerwGE 147, 261 und vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 -, BVerwGE 123, 114; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 -, juris). Danach ist eine terroristische Straftat als eine Handlung definiert,
54 
„die den Tod oder eine schwere Körperverletzung einer Zivilperson oder einer anderen Person, die bei einem bewaffneten Konflikt nicht aktiv an den Feindseligkeiten teilnimmt, herbeiführen soll, wenn diese Handlung aufgrund ihres Wesens oder der Umstände darauf abzielt, die Bevölkerung einzuschüchtern oder eine Regierung oder internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen“.
55 
Im Weiteren wird auf den Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (2001/931/GASP) Bezug genommen (ABl. L 344 vom 28.12.2001, S. 93, juris), der in seinem Artikel 1 Abs. 3 terroristische Handlungen wie folgt definiert:
56 
„Im Sinne dieses Gemeinsamen Standpunkts bezeichnet der Ausdruck "terroristische Handlung" eine der nachstehend aufgeführten vorsätzlichen Handlungen, die durch ihre Art oder durch ihren Kontext ein Land oder eine internationale Organisation ernsthaft schädigen kann und im innerstaatlichen Recht als Straftat definiert ist, wenn sie mit dem Ziel begangen wird,
57 
i) die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern oder
58 
ii) eine Regierung oder eine internationale Organisation unberechtigterweise zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen oder
59 
iii) die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören:
60 
a) Anschläge auf das Leben einer Person, die zum Tode führen können;
61 
b) Anschläge auf die körperliche Unversehrtheit einer Person;
62 
c) Entführung oder Geiselnahme;
63 
d) weit reichende Zerstörungen an einer Regierungseinrichtung oder einer öffentlichen Einrichtung, einem Verkehrssystem, einer Infrastruktur, einschließlich eines Informatiksystems, einer festen Plattform, die sich auf dem Festlandsockel befindet, einem allgemein zugänglichen Ort oder einem Privateigentum, die Menschenleben gefährden oder zu erheblichen wirtschaftlichen Verlusten führen können;
64 
e) Kapern von Luft- und Wasserfahrzeugen oder von anderen öffentlichen Verkehrsmitteln oder Güterverkehrsmitteln;
65 
f) Herstellung, Besitz, Erwerb, Beförderung oder Bereitstellung oder Verwendung von Schusswaffen, Sprengstoffen, Kernwaffen, biologischen und chemischen Waffen sowie die Forschung und Entwicklung in Bezug auf biologische und chemische Waffen;
66 
g) Freisetzung gefährlicher Stoffe oder Herbeiführen eines Brandes, einer Explosion oder einer Überschwemmung, wenn dadurch das Leben von Menschen in Gefahr gebracht wird;
67 
h) Manipulation oder Störung der Versorgung mit Wasser, Strom oder anderen lebenswichtigen natürlichen Ressourcen, wenn dadurch das Leben von Menschen in Gefahr gebracht wird;
68 
i) Drohung mit der Begehung einer der unter den Buchstaben a) bis h) genannten Straftaten;
69 
j) Anführen einer terroristischen Vereinigung;
70 
k) Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung einschließlich durch Bereitstellung von Informationen oder materiellen Mitteln oder durch jegliche Art der Finanzierung ihrer Aktivitäten in dem Wissen, dass diese Beteiligung zu den kriminellen Aktivitäten der Gruppe beiträgt.
71 
Im Sinne dieses Absatzes bezeichnet der Ausdruck "terroristische Vereinigung" einen auf längere Dauer angelegten organisierten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, die in Verabredung handeln, um terroristische Handlungen zu begehen. Der Ausdruck "organisierter Zusammenschluss" bezeichnet einen Zusammenschluss, der nicht zufällig zur unmittelbaren Begehung einer terroristischen Handlung gebildet wird und der nicht notwendigerweise förmlich festgelegte Rollen für seine Mitglieder, eine kontinuierliche Mitgliedschaft oder eine ausgeprägte Struktur hat.“
72 
Bei der hiernach erforderlichen wertenden Gesamtschau sind insbesondere die Ausübung von Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung als auch der Einsatz gemeingefährlicher Waffen zur Durchsetzung politischer Ziele für terroristische Handlungen kennzeichnend, daneben aber auch Tötungen von abtrünnigen Mitgliedern der eigenen Organisation oder von Sicherheitskräften, sofern die Merkmale eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne des Art. 8 Abs. 2 lit. d und f des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 nicht erfüllt sind (OVG NRW, Urteil vom 02.07.2013 - 8 A 5118/05.A -, juris, unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 09.11.2010 - C-57/09, C-101/09 -, NVwZ 2011, 285; BVerwG, Urteile vom 07.07.2011 - 10 C 26.10 -, juris und vom 04.09.2012 - 10 C 13.11 -, BVerwGE 144, 230; jew. zum Ausschluss der Asylberechtigung wegen Unterstützung terroristischer Aktivitäten der PKK) bzw. eine Rechtfertigung über Art. 43 i. V. m. Art. 1 Abs. 4 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler Konflikte vom 08. Juni 1977 (BGBl. 1990 II, S. 1551) nicht in Betracht kommt (so: BGH, Beschluss vom 06.05.2014 - 3 StR 265/13 -, NStZ-RR 2014, 274, verneinend zur PKK), Der Senat ist sich danach bewusst, dass für die Definition des Terrorismus nicht schlicht auf die Anwendung von Gewalt abgestellt werden kann und auch Konstellationen denkbar sind, bei denen sich eine Gewaltanwendung als legitimes Mittel zur Wiederherstellung eines völkerrechtsgemäßen Zustands darstellt.
73 
Davon ausgehend gibt der vorliegende Fall dem Senat keinen Anlass, seine bisherige Bewertung zu revidieren, dass es sich bei der PKK um eine terroristische bzw. eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung handelt (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 -, juris; Urteil vom 16.05.2012 - 11 S 2328/11 -, juris; vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, NVwZ-RR 2012, 412).
74 
Die PKK ist auch weiterhin auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt (vgl. Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 02.05.2002 betreffend die Aktualisierung des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GSAP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus - 2002/340/GSAP -, ABl. EG L 116 vom 03.05.2002, S. 75, zuletzt aktualisiert mit Beschluss 2015/2430 des Rates vom 21.12.2015, ABl. L 337 vom 22.12.2012, S. 18 und die Durchführungsverordnung 2015/2425 des Rates vom 21.12.2015, ABl. L 334 vom 22.12.2015, S. 1), was nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union die Feststellung erlaubt, dass die Vereinigung terroristischer Art ist (Urteil vom 09.11.2010 - C-57/09, C-101/09 -, NVwZ 2011, 285). Folgt man der Auffassung der Generalanwältin Sharpston, die in der Aufnahme einer Organisation in die Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 „auf den ersten Blick“ einen „deutlichen Anhaltspunkt dafür“ sieht, „dass die Organisation entweder eine terroristische Organisation ist oder (gestützt auf Beweise, die ihrerseits rechtlich angegriffen werden können) im Verdacht steht, eine solche Organisation zu sein“ (EuGH, Schlussanträge vom 11.09.2014, C- 373/13 -, juris, Rn. 95), führt dies in Bezug auf die PKK zu keiner anderen Bewertung. Der Senat geht unbeschadet der Listung der PKK davon aus, dass von dieser keine Bindungswirkung ausgeht und daher eine eigenständige gerichtliche Prüfung der vorliegenden Erkenntnismittel nicht entbehrlich ist (so auch: BayVGH, Beschluss vom 08.05.2009 - 19 CS 09.268 -, juris; a. A.: Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 54 AufenthG, zu Abs. 1 Nr. 2, Stand: 16.01.2016, Rn. 83), gleichwohl handelt es sich um ein gewichtiges Indiz, zumal gegen eine Listung effektiver gerichtlicher Rechtsschutz gewährt wird (Bauer, in: Sinn/Zöller, Neujustierung des Strafrechts durch Terrorismus und Organisierte Kriminalität, 2013, 103 <111>, unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 09.11.2012 - C-539/10 P, 550/10 P -, juris).
75 
Der Senat legt in tatsächlicher Hinsicht zunächst die im bisherigen Verfahren vom Beklagten und dem Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen zu den Aktivitäten der PKK zu Grunde, die der Kläger auch nicht in Frage stellt (Ziffer 2.1.1. der Ausweisungsverfügung, Blatt 25 bis 27 der Akte des Verwaltungsgerichts; Ziffer 1. a) des Urteils des Verwaltungsgerichts, Seite 8, unten, letzter Absatz bis Seite 10, Blatt 8 bis 10 der Gerichtsakte).
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Hiervon ausgehend ist zunächst festzustellen, dass die PKK, wie in den in Bezug genommenen Entscheidungen des Senats und in dem angegriffenen Urteil des Verwaltungsgerichts schon ausgeführt, zu keinem Zeitpunkt ernst- und dauerhaft von terroristischen Aktionen Abstand genommen hat, da von ihr ausgerufene Waffenruhen stets wieder beendet wurden. Selbst während solcher Waffenruhen kam es weiterhin zu terroristischen Aktivitäten. Die Global Terrorism Database der University of Maryland (start.umd.edu unter dem Stichwort PKK) listet in ihrer aktuell bis Ende 2014 reichenden Datensammlung zahlreiche terroristische Aktivitäten in der Türkei auf, die der PKK bzw. deren militärischen Arm, der HPG, zugerechnet werden. In zwei - im Übrigen gravierenden - Fällen aus dem Jahr 2014 hat diese sogar ausdrücklich die Verantwortung für Anschläge übernommen, und zwar für einen Angriff am 26. September 2014 auf Verkehrspolizisten zwischen Diyarbakir und Bitlis, bei der drei Polizisten getötet und zwei verwundet wurden und einen weiteren „Granatenangriff“ auf eine Fabrikanlage am 24. Oktober 2014 in Kagizman, in der Provinz Kars, bei der drei der Angreifer getötet wurden. Wie sich der aktuellen Tagespresse und den weiteren Erkenntnismitteln des Gerichts entnehmen lässt, hat die PKK zuletzt Ende Juli 2015 die zuvor etwa zwei Jahre währende (relative) Waffenruhe ausdrücklich aufgekündigt. Es kam in der Folge, als Reaktion auf einen Anschlag in der türkischen Stadt Suruc, zur Ermordung zweier türkischer Polizisten in Ceylanpinar, zu der sich die PKK bekannt hat, und in der Folge zudem zu Auseinandersetzungen von pro-türkischen und pro-kurdischen Gruppen auch in Deutschland (Deutscher Bundestag, „Konflikt zwischen der Türkei und PKK“, Parlamentsnachrichten vom 22.10.2015; tagessschau.de, „PKK bekennt sich zu Anschlag auf Polizisten“, 22.07.2015, 15:29 Uhr; Deutschlandfunk.de, „PKK fühlt sich nicht mehr an erklärten Gewaltverzicht gebunden“, 05.11.2015; Wladimir van Wilgenburg, jamestown.org, TerrorismMonitor, Vol. XIII, Issue 19, 17.09.2015, „Turkey`s New Syria Policy: Preventing Islamic State an Kurdish Expansion“, S. 6 f.). Die Australian National Security weist in einer aktuellen Stellungnahme zur PKK darauf hin, dass diese zwar im Zuge der Waffenruhe mit dem türkischen Staat ihre terroristischen Aktivitäten heruntergefahren habe, gleichwohl aber seit dem 20. August 2012 über 50 Menschen durch Attacken der PKK ums Leben gekommen und über 300 gekidnappte Kinder zwischen Dezember 2013 und Mai 2014 zu verzeichnen gewesen seien (nationalsecurity.gov.au/listedterrororganisations/pages/kurdistanworkersparty). Entführungen von Kindern zur Erpressung von Geldzahlungen werden auch durch eine weitere seriöse Quelle bestätigt: M. M. berichtet in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 31. Oktober 2015 in einem ausführlichen Hintergrundbericht („Die heimlichen Herrscher von Diyarbakir“, S. 7) von einer größer werdenden Abhängigkeit gewählter Politiker der HDP von der PKK in den kurdischen Gebieten der Türkei mit nach Auskunft von kurdischen Menschenrechtlern, wie etwa S. B., fatalen Folgen für jene Kurden, die bei der PKK nicht wohlgelitten seien: „Die PKK sieht sich keinen moralischen oder rechtlichen Werten unterworfen“, so B.. Wer ins Fadenkreuz der PKK gerate, könne auf niemanden hoffen. Die PKK treibe ihre eigenen Steuern ein und entführe Kinder von Leuten, die nicht zahlten. Er, B., sei überrascht, dass man im Ausland so wenig darüber wisse. Und weiter: In Diyarbakir sei es leichter, Erdogan oder den türkischen Staat anzugreifen als die PKK. „Der Preis für Kritik an der PKK kann der Tod sein, das Verbrennen von Autos, Häusern, Büros. Ich habe viele Drohungen bekommen.“, so B..
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Angesichts dieser Erkenntnislage kann keine Rede davon sein, die PKK hätte sich zu einer den Menschenrechten und der Demokratie verpflichteten Organisation gewandelt. Die Erschießung von Verkehrspolizisten, der Angriff auf eine Fabrikanlage mit Granaten sowie die Entführung von Kindern zur Finanzierung der eigenen Aktivitäten lassen sich nach Auffassung des Senats nicht als Kampfhandlungen in einem innerstaatlichen Konflikt oder gar als ein völkerrechtlich gerechtfertigtes Handeln in einem solchen bewerten (vgl. hierzu: BGH, Beschluss vom 06.05.2014 - 3 StR 265/13 -, NStZ-RR 2014, 274).
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Der Senat sieht sich hier auch in Übereinstimmung mit den aktuellen Bewertungen der PKK und deren Teilorganisationen durch den Bundesgerichtshof, (Beschluss vom 03.09.2015 - AK 27/15 -, BeckRS 2015, 16318; vom 19.03.2015 - AK 2/15 -, juris; vom 06.05.2014 - 3 StR 265/13 -, NStZ-RR 2014, 274, auch zur Zurechnung von Taten der TAK zur PKK; vom 16.02.2012 - AK 1/12 und AK 2/12 -, juris, zur KCK und der HPG; Urteil vom 28.10.2010 - 3 StR 179/10 -, NJW 2011, 542; vgl. auch Haverkamp, ZStW 2011, 92 <96>, Fn. 25, die bezüglich der PKK von einer Allianz von Terrorismus mit organisierter Kriminalität ausgeht).
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Soweit der Kläger daher auf veränderte politische Umstände und dabei insbesondere darauf abstellen will, dass die PKK sich nunmehr dem Kampf gegen den IS, dem Schutz der Zivilbevölkerung im Norden Syriens verpflichtet fühle, den bewaffneten Kampf gegen die Türkei aufgegeben habe und entgegenstehende Äußerungen hochrangiger Funktionäre der PKK als Teil der Propaganda zwischen der PKK und dem türkischen Staat zu bewerten seien, ist dies auch durch das aktuelle Vorgehen der PKK eindrucksvoll widerlegt. Selbst wenn man mit dem Kläger einmal unterstellt, die PKK sei mit der YPG gleichzusetzen und in Syrien dem Schutz der Kurden und Jesiden verpflichtet, ändert dies nichts an den in der Türkei verübten terroristischen Taten.
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b.) Davon ausgehend stellen sich die vom Kläger unbestritten entfalteten Aktivitäten ab Dezember 2010 als Unterstützungshandlungen zu Gunsten der PKK dar, die ihm als Ausweisungsinteresse auch vorgehalten werden dürfen.
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Im konkreten Fall können allerdings nur noch diejenigen Aktivitäten des Klägers ein solches begründen, die dieser nach erfolgter Mitteilung im Juli 2010 an ihn, dass wegen seiner Aktivitäten die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis bzw. seine Ausweisung geprüft werde, entfaltet hat. Davor liegende sind aus Gründen des Vertrauensschutzes verbraucht. Denn ein Ausweisungsinteresse ist, wie auch bislang schon ein Ausweisungsgrund, verbraucht, wenn ein Aufenthaltstitel in Kenntnis bzw. in der Sphäre des Staates zuzurechnender Unkenntnis desselben erteilt bzw. verlängert wurde (Discher, in: GK-AufenthG, Juni 2009, Vor §§ 53. ff. AufenthG, Rn. 382 ff., m. w. N.). So liegt der Fall hier. Darauf, ob solche Aktivitäten der den Titel erteilenden Ausländerbehörde tatsächlich selbst bekannt waren, kommt es mit Blick auf den damit bezweckten Vertrauensschutz, der sich aus der Perspektive des betroffenen Ausländers bestimmt, nicht entscheidend an. Vielmehr genügt es, wenn solche Aktivitäten der Ausländerbehörde hätten bekannt sein können, was hier der Fall ist, nachdem diese selbst eine Sicherheitsüberprüfung mit Blick auf vorliegende Erkenntnisse eingeleitet und sodann die Niederlassungserlaubnis erteilt hat, ohne das Ergebnis der Überprüfung abzuwarten. Dass dies unter der - irrigen - Annahme erfolgte, eine Überprüfung sei vorliegend rechtlich nicht erforderlich, ändert hieran nichts.
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Diese Aktivitäten des Klägers sind auch überwiegend als Unterstützungshandlungen im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu werten, insoweit gelten die Maßstäbe des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung vom 30. Juli 2004 (BGBl I, S. 1950) - AufenthG a. F. und die hierzu in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze - weiterhin. Als tatbestandserhebliches Unterstützen ist hiernach jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirkt. Dazu zählt zum Beispiel auch jedes Tätigwerden eines Nichtmitglieds, das die innere Organisation und den Zusammenhalt der Vereinigung fördert, ihren Fortbestand oder die Verwirklichung ihrer auf die Unterstützung terroristischer Bestrebungen gerichteten Ziele fördert und damit ihre potenzielle Gefährlichkeit festigt und ihr Gefährdungspotenzial stärkt. Auf einen beweis- und messbaren Nutzen für die Verwirklichung der missbilligten Ziele kommt es ebenso wenig an wie auf eine subjektive Vorwerfbarkeit. Allerdings kann nicht jede Handlung, die sich zufällig als für die betreffende Vereinigung bzw. den Terrorismus objektiv vorteilhaft erweist, als tatbestandsmäßiges Unterstützen verstanden werden. Vielmehr muss die eine Unterstützung der Vereinigung bezweckende Zielrichtung des Handelns für den Ausländer regelmäßig erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein, nicht vorausgesetzt wird, dass diese ihm auch bekannt ist und er sich dessen bewusst sein muss. Auch fehlt es an einem Unterstützen, wenn jemand allein einzelne politische, humanitäre oder sonstige Ziele der Organisation, nicht aber auch die Unterstützung des internationalen Terrorismus befürwortet - und sich hiervon gegebenenfalls deutlich distanziert - und lediglich dies durch seine Teilnahme an erlaubten Veranstaltungen in Wahrnehmung seines Grundrechts auf freie Meinungsäußerung nach außen vertritt. Dienen solche Veranstaltungen allerdings erkennbar dazu, nicht nur einzelne Meinungen kundzutun, wie sie auch die Vereinigung vertritt, sondern soll durch die - auch massenhafte - Teilnahme jedenfalls auch diese Vereinigung selbst vorbehaltlos und unter Inkaufnahme des Anscheins der Billigung ihrer terroristischen Bestrebungen (beispielsweise wegen des angekündigten Auftretens von Funktionären einer verbotenen Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt) gefördert werden, dann liegt ein im Hinblick auf den Normzweck potenziell gefährliches Unterstützen im Sinne von § 54 Nr. 5 AufenthG a. F. bzw. § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG n. F. vor, der die Freiheit der Meinungsäußerung insoweit verhältnismäßig beschränkt. Eine Unterstützung kann ferner dann in Betracht kommen, wenn durch zahlreiche Beteiligungen an Demonstrationen und Veranstaltungen im Umfeld einer Vereinigung - wie der verbotenen PKK - bei einer wertenden Gesamtschau feststeht, dass der Ausländer auch als Nichtmitglied in einer inneren Nähe und Verbundenheit zu der Vereinigung selbst steht, die er durch sein Engagement als ständiger (passiver) Teilnehmer zum Ausdruck bringt, und damit deren Stellung in der Gesellschaft (vor allem unter Landsleuten) begünstigend beeinflusst, ihre Aktionsmöglichkeiten und eventuell auch ihr Rekrutierungsfeld erweitert und dadurch insgesamt zu einer Stärkung ihres latenten Gefahrenpotenzials beiträgt. Dabei muss allerdings die terroristische oder den Terrorismus unterstützende Tätigkeit der Vereinigung im In- oder Ausland zum jeweiligen Zeitpunkt feststehen und das Verhalten des Einzelnen auch unter Berücksichtigung etwaiger glaubhafter Distanzierungen von der Unterstützung des Terrorismus (oder das Fehlen jeglicher Distanzierung) gewürdigt werden. Eine darüber hinausgehende konkrete oder persönliche Gefährdung der inneren oder äußeren Sicherheit ist dagegen nicht erforderlich. Ebenso wenig ist ein "aktives Tätigwerden" erforderlich (BVerwG, Urteil vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 -, InfAuslR 2005, 374, zur früheren Regelung des § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG; vgl. auch Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 -, juris, m. w. N.; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 08.12.2010 - 11 S 2366/10 -, InfAuslR 2011, 105; Urteil vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 - juris, vom 21.04.2010 - 11 S 200/10 -, DVBl 2010, 797; vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, juris; vom 14.05.2014 - 11 S 2224/13 -, juris; BayVGH, Urteil vom 29.11.2010 - 11 K 1763/10 -, juris).
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Soweit der Kläger die dargestellten rechtlichen Maßstäbe in grundsätzlicher Art angreift, überzeugt dies den Senat nicht.
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Der Senat folgt nicht seiner Auffassung, Verfassungs- bzw. Unionsrecht verlangten, dass das individuelle mit der Ausweisung bekämpfte Verhalten des Einzelnen eine konkrete mit der jeweiligen Einzelhandlung verbundene Gefahr für wichtige Gemeinschaftsgüter hervorrufe. Ein verfassungs- oder unionsrechtlicher Rechtssatz, der dazu zwingen würde, nur konkrete terroristische Gefahren mit der Ausweisung zu bekämpfen, ist nicht ersichtlich. Die dahingehende Argumentation des Klägers bleibt daher auch gänzlich unspezifisch. Es ist nichts Grundsätzliches dagegen einzuwenden, wenn der Gesetzgeber mit Blick auf die spezifischen Gefahren terroristischer Aktivitäten unter Berücksichtigung der Bedeutung der davon betroffenen hochrangigen Rechtsgüter (Leib, Leben, Freiheit der Bevölkerung, hohe Sachwerte sowie die innere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik) und des zumeist konspirativen (Beweisnot), ideologisch motivierten Vorgehens solcher Vereinigungen (Gruppendynamik), aus denen sich gravierende Nachweisschwierigkeiten und deren erschwerte Bekämpfbarkeit ergeben, mit einer Absenkung des Gefahrenmaßstabs reagiert. Dies entspricht anerkannten Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts.
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Soweit der Kläger meint, es sei stets ein Vollbeweis zu führen, gilt nichts anderes. Der gesetzlich normierte abgesenkte Beweismaßstab der Regelung ist dem Grunde nach, insbesondere mit Blick auf die bereichstypische Beweisnot und die Hochwertigkeit der zu schützenden Rechtsgüter, rechtlich unbedenklich, weil sachangemessen. Die Grenzen sind gegebenenfalls von der Rechtsprechung anhand konkreter Fälle zu präzisieren, was auch geschieht (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 -, NVwZ 2012, 701; vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 -, NVwZ 2005, 1091; VGH Bad.-Württ, Urteil vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 -, juris; BayVGH, Beschluss vom 09.11.2005 - 24 CS 05.2621 -, NVwZ 2006, 1306; siehe auch: Berlit, NVwZ 2013, 327, m. w. N; Kirsch, NVwZ 2012, 677; Eckertz-Höfer, in: Barwig u. a., Perspektivwechsel im Ausländerrecht?, 2007, 105 <114>; Marx, ZAR 2004, 275). Auch ist sich der Senat durchaus der Problematik von Beweisketten bewusst, bei denen “sich die Beweiskraft […] umso mehr verringert, je länger die Kette ist, und umso schneller vermindert, je geringer die jeweilige Beweiskraft der je einzelnen Indizien ist“ (so schon: Bender/Röder/Nack, Tatsachenfeststellungen vor Gericht, Band I, 1. Aufl., 1981, S. 181 f.). Daraus erwächst in vorliegendem Fall allerdings schon deshalb kein entscheidungserhebliches Problem, weil weder die dem Kläger vorgehaltenen Aktivitäten in tatsächlicher Hinsicht im Streit stehen, noch die der Vereinigungen, in denen er tätig war und ist und letztlich auch nicht die der PKK, sondern jeweils nur deren Bewertung.
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Zudem ist inzwischen geklärt, dass eine gleichlaufende Auslegung von straf- und ausweisungsrechtlichem Unterstützungsbegriff nicht geboten ist (BVerwG, Urteil vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 -, NVwZ 2012, 701). Die nicht deckungsgleichen Ziele des Strafrechts einerseits und des Rechts der Gefahrenabwehr andererseits schließen die Möglichkeit einer effektiven Abwehr terroristischer Gefahren einzig über das Strafecht oder auf der Grundlage der dieses Rechtsgebiet prägenden Begrenzungen aus. Strafe im verfassungsrechtlichen Sinne, verstanden als auch „sozialethisches Unwerturteil“ (so: BVerfG, Beschluss vom 09.07.1997 - 2 BvR 1371/96 -, BVerfGE 96, 245) dient als reaktive Maßnahme vornehmlich dem Schuldausgleich, die Prävention ist nur ein Teilaspekt der Strafzumessung und diese ist wiederum begrenzt durch die individuelle Schuld des Täters (§ 46 Abs. 1 Satz 1 StGB). Damit ist sie im Kern auf die Aufarbeitung schon geschehener oder versuchter Taten (§ 22 StGB) begrenzt. Ihre daher nur punktuell zulässige Erstreckung auf Vorfeldaktivitäten steht, wie die §§ 89a, 129a, 129b StGB und die dazu ergangene Rechtsprechung deutlich machen, in einem verfassungsrechtlichen Spannungsverhältnis, das es ausschließt, eine hinreichend effektive, insbesondere aktive und rechtzeitige Abwehr künftiger Gefahren nach Opportunitätsgesichtspunkten über Strafvorschriften oder unter Bindung an deren Begrenzungen zu gewährleisten.
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Wenn der Kläger sich schließlich darauf beruft, stets nur an erlaubten (präziser: nicht verbotenen) Veranstaltungen teilgenommen zu haben bzw. teilzunehmen und stets nur für nicht verbotene Vereine tätig zu sein, greift dies aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen nicht durch: Aus rechtlichen nicht, da § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG im Gegensatz zu Nr. 3 der Vorschrift gerade nicht auf ein Verbot abstellt und ein solches deren Mitglieder vermehrt zu konspirativem Verhalten veranlassen kann, ohne dass damit für die Gefahrenabwehr viel gewonnen wäre. Es kann daher aus Gründen der Gefahrenabwehr opportun sein, von einem solchen abzusehen. Aus tatsächlichen nicht, da es fern liegt, annehmen zu wollen, dem Kläger sei das auch terroristische Verhalten der PKK in der Türkei entgangen und er sei sich im Unklaren über die Bedeutung seines eigenen Tuns, zumal er sich augenscheinlich fast ausschließlich mit der Kurdenthematik zu beschäftigen scheint und er die vom Gericht mitgeteilten Erkenntnisse zur PKK sowie der YEK-KOM bzw. NAV-DEM noch nicht einmal ansatzweise in Abrede gestellt hat (dazu sogleich unten).
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Nach den dargelegten Maßstäben stehen zur Überzeugung des Senats hier eine Vielzahl von Tatsachen fest, die die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Kläger die PKK und damit den Terrorismus unterstützt, so die Mitgliedschaft und die Übernahme von Vorstandsfunktionen in PKK-nahen Vereinen, weitere herausgehobene Tätigkeiten als Redner und Organisator von PKK-nahen Veranstaltungen und die über Jahre hinweg fortgesetzte Teilnahme an den unterschiedlichsten Aktionen und Veranstaltungen solcher Vereinigungen.
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Im Einzelnen sind dem Kläger zunächst die sich aus der Ausweisungsverfügung ergebenden Aktivitäten bis zur Erteilung der Niederlassungserlaubnis an ihn vorgehalten worden, auf die hier verwiesen wird (Ziffer 1.2. der Ausweisungsverfügung, Seite 3 bis 9; Blatt 16, unten, bis einschl. Blatt 23, erster Absatz oben, der Akte des Verwaltungsgerichts) und die von diesem ebenso wenig in Abrede gestellt werden, wie die weiteren, die der Kläger nach Mitteilung des Beklagten an ihn im Juli 2010, dass eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis bzw. eine Ausweisung mit Blick auf seine Aktivitäten zu Gunsten der PKK geprüft werde, entfaltet hat:
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- Am 5. Dezember 2010 nahm er an einer PKK-Gründungsfeier in Lampertheim in der Siedlerhalle teil. Dort waren eine KCK-Fahne und ein Öcalan-Porträt angebracht. Ein in Guerillauniform auftretender Redner lobte die eigene Partei als wichtige und modern ausgerichtete Organisation, die den kurdischen Freiheitskampf auf die internationale Bühne gebracht habe. Dies habe man dem großen Führer Apo und den Parteimärtyrern zu verdanken. Man dürfe auch die Kämpfer an der Front nicht vergessen, die man von hier aus grüße. Ein weiterer Redner referierte über die Geschichte der PKK.
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- Am 20. Februar 2011 nahm der Kläger an einer Mitgliederversammlung der kurdischen Gemeinschaft Heilbronn e.V. (KG HN) teil. Nach einer Schweigeminute für die Märtyrer Kurdistans und der ganzen Welt referierte er über die unzureichende Vorstandstätigkeit des Vereins und forderte dazu auf, verstärkt Mitglieder zu werben. Er wisse, dass im Raum Heilbronn 500 bis 600 kurdische Familien lebten, die meisten von ihnen hätten aber nur deswegen keinen Kontakt zum Verein, weil sie Angst vor den deutschen Behörden hätten. Es bestünde kein Grund zur Furcht, da alles angemeldet und der Verein absolut legal sei. Der Kläger bat die Anwesenden, auf die Kurden zuzugehen, mit ihnen zu reden und ihnen die Angst zu nehmen.
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Nach Durchführung der Sicherheitsbefragung am 23. Februar 2011:
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- Am 5. August 2011 war der Kläger in der Yeni Özgür Politika (YÖP) abgebildet, dies anlässlich einer Kampagne zur Anerkennung der kurdischen Identität, organisiert von der YEK-KOM. Laut der Berichterstattung hat er im Heilbronner Verein über die Ziele der Kampagne informiert.
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- Laut Mitteilung des Polizeipräsidiums Mannheim vom 30. Januar 2012 war der Kläger am 4. November 2011 Teilnehmer und Redner bei einem Aufzug mit Kundgebung in Mannheim zum Thema „türkische Regierung verwendet Napalmgas und chemische Waffen gegen die türkische Bevölkerung/Schluss mit der Isolationshaft von Öcalan/Schluss mit den Verhaftungswellen in der Türkei gegen die kurdischen Politiker“. Der Redebeitrag des Klägers habe den Eindruck hoher Emotionalität vermittelt.
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- Am 2. Dezember 2011 nahm er an einer Gedenkfeier zum 33. Partei-gründungs-Jahrestag, dem 27. November 1978, in Heilbronn teil. Auch dort hingen Bilder von Öcalan und Parteifahnen, auch der ERNK, der früheren Propagandaorganisation der PKK. Nach einer Gedenkminute für die kurdischen Märtyrer und der Begrüßung schilderte ein Redner die Parteigründung durch Öcalan und dessen Genossen. Die Erfolgsgeschichte der Partei dauere bis heute an, leider aber auch ihre Schwierigkeiten, bedauerlicherweise auch in Europa. Es sei erforderlich, die Partei zu unterstützen. Es wurden mehrfach Parolen wie „Es lebe Öcalan“ und „Unsere Märtyrer sind nicht gestorben“ skandiert. Auch dort waren fast ausschließlich PKK-Unterstützer zugegen.
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- Am 13. Dezember 2011 wurde der Kläger erneut in der YÖP anlässlich eines Vereinskongresses in Stuttgart erwähnt. Er forderte dort die hier lebenden Kurden auf, stärker für ihre Identität einzutreten.
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Nach Verfügung der Ausweisung am 10. Januar 2012:
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- In der YÖP vom 14. Februar 2012 wurde er als Teilnehmer des 3. Kongresses der kurdischen Gemeinschaft Heilbronn e.V. abgebildet. Er führte dort in seiner Rede aus, dass die Kurden in der Türkei und in Europa unter Beschuss stünden, da ihnen die Existenz ihrer eigenen Kultur abgesprochen werde.
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- Aus dem Bericht des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden Württemberg vom 19. Dezember 2012 ergibt sich, dass der Kläger zwar das Amt des 2. Vorsitzenden der YEK-KOM seit Ende 2011 nicht mehr ausübt, er jedoch bereits im Mai 2012 erneut in den Vorstand der YEK-KOM gewählt wurde.
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- In dieser Funktion ist er ausweislich des weiteren Berichts des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg vom 17. Oktober 2013 beispielsweise als Versammlungsleiter des 20. kurdischen Kulturfestivals am 8. September 2012 in Mannheim in Erscheinung getreten. Bei dieser Veranstaltung kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen Polizeibeamte.
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- Er ergriff am 16. Januar 2013 in Mannheim im Rahmen einer Solidaritätsdemonstration für die drei in Paris ermordeten PKK-Aktivistinnen das Wort und verurteilte das Attentat scharf. Er vertrat die Meinung, dass die Morde nicht nur in den Personen der Aktivistinnen angesiedelt seien, sondern auch auf politische Überlegungen zurückzuführen seien, die einen Fortbestand der kriegerischen Auseinandersetzungen der Heimat zum Ziel hätten. Die Geheimdienste stünden hinter diesem Anschlag. Der französische Staat könne diesen problemlos aufklären, wenn er dies nur wolle. Folglich müssten die Kurden einen legitimen demokratischen Druck auf den französischen Staat ausüben. Der Kläger rief zu Sitzstreiks in allen Städten mit französischen Botschaften und ähnlichen Einrichtungen auf, bis eine Aufklärung des Attentats erfolgt sei.
102 
- Am 21. Mai 2013 war der Kläger im Namen der YEK-KOM bei den Vorstandswahlen der kurdischen Gemeinschaft Heilbronn e.V. anwesend.
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- Am 8. September 2013 fungierte der Kläger als Versammlungsleiter bei einer Mitgliederversammlung mit Vorstandswahl des PKK-nahen mesopotamischen Anadolu Kulturvereins e.V. (MAK). Zur PKK-Nähe des MAK Lahr sei auf den Bericht des Landesamtes vom 9. März 2010 an das Innenministerium zu verweisen.
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- Am 29. April 2014 war der Kläger in der YÖP als Teilnehmer des Gründungskongresses des kurdischen-demokratischen Gesellschaftszentrums am 27. April 2014 in den Räumlichkeiten des PKK-nahen kurdischen Kulturvereins e.V. in ... abgebildet.
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- Am 10. Oktober 2015 hielt der Kläger anlässlich einer Protestaktion in Frankfurt im Namen der NAV-DEM eine Rede.
106 
Nach „Auflösung“ der YEK-KOM am 22. Juni 2014 ließ sich der Kläger am selben Tag in gleicher Sitzung, zusammen mit einem weiteren Vorstandsmitglied der YEK-KOM, in den fünfköpfigen Vorstand der NAV-DEM wählen. Diese Vorstandstätigkeit übt er bis heute aus, und er ist in dieser Funktion seitdem auch als Redner und Versammlungsleiter auf zahlreichen Veranstaltungen aufgetreten, die erkennbar der Propaganda für die PKK dienten. Der Kläger engagiert sich damit seit langem ohne Zäsur in herausgehobener Position unterstützend für die PKK.
107 
Daran, dass die YEK-KOM die PKK unterstützt hat, bestehen weiterhin keine vernünftigen Zweifel. Hierzu hat der Senat schon in seinem Urteil vom 7. Dezember 2011 - 11 S 897/11 -, juris Rn. 47, das vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 -, InfAuslR 2013, 418, bestätigt wurde, ausgeführt:
108 
„Für eine PKK-Nähe des Vereins spricht schon der Umstand, dass dieser Mitglied bei der YEK-KOM, der „Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V.“ war. Dies lässt sich dem vom Kläger im Asylverfahren vorgelegten Protokoll über die Mitgliederversammlung vom 25.01.1997 entnehmen, in welcher die Vereinsmitglieder - nach Darstellung der Arbeit und der Bedeutung der YEK-KOM - für eine Mitgliedschaft des Vereins in dieser Dachorganisation gestimmt haben. Die YEK-KOM, deren Sitz in Düsseldorf ist und der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK durch eine Vielzahl von Aktionen. Dies wird in der überzeugenden „Einschätzung“ des Landesamts für Verfassungsschutz vom 17.06.2010 im Einzelnen ausführlich dargelegt. Die YEK-KOM sei ihrerseits Mitglied der „Konföderation der Kurdischen Vereine in Europa“ (KON-KURD). Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen bzw. ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie „Freiheit für Öcalan“ und „Frieden für Kurdistan“. In einer zusammenfassenden Bewertung heißt es, im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die „logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans“ verankert. Die von der YEK-KOM sowohl in ihren Publikationen als auch bei ihren Veranstaltungen und Aktionen aufgegriffenen Themen lägen im Interessenbereich der PKK. Zu nennen seien insbesondere die Aufhebung des PKK-Verbots und die Freilassung Abdullah Öcalans. Der Verein biete der PKK bzw. ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Zusammenfassend lasse sich daher sagen, dass eine eindeutige Nähe des Vereins YEK-KOM zur PKK bzw. zu ihren Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL vorliege.“
109 
Für die NAV-DEM gilt insoweit nicht anderes. Soweit der Kläger unter Verweis auf schriftliche Erklärungen der NAV-DEM meint, dass diese eine andere Ausrichtung als die YEK-KOM habe, nämlich den Kampf gegen den IS, die Förderung der Integration der in Deutschland lebenden Kurden und die Gleichstellung und die Gleichberechtigung der Frauen, überzeugt dies den Senat nicht. Das Verwaltungsgericht hat schon zu Recht auf die fehlende tatsächliche Veränderung der Aktivitäten des Vereins abgestellt, der zudem nicht neu gegründet, sondern nur umbenannt wurde. Es verweist zutreffend auf die Pressemitteilung des Vereins vom 18. Juli 2014, aus der sich ergibt, dass die NAV-DEM selbst nach eigenem Verständnis die Arbeit der YEK-KOM fortführt. Die vom Senat eingesehene Internetpräsenz (navdem.com) bestätigt dies, die Überschrift der Pressemitteilung vom 18. Juli 2014 lautet:
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„YEK-COM heißt jetzt NAV-DEM“
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Die weiteren dort aufgeführten Pressemitteilungen verdeutlichen im Übrigen die Fortführung der Veranstaltungen und Kundgebungen mit gleichem Ablauf und gleichen Themen wie zuvor schon unter dem Namen YEK-KOM:
112 
- Eintrag vom 7. September 2014, Interview mit Yüksel Koc „Das Verbot kriminalisiert die Kurden“, anlässlich einer Festnahme eines Mannes durch die Generalbundesanwaltschaft, der Geld für die PKK gesammelt haben soll, was, nach Koc, eine Kriminalisierung politischer Arbeit bedeute, da dieser selbst keine Gewalt ausgeübt habe.
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- Eintrag zur Kundgebung am 13. September 2014 in Düsseldorf unter dem Motto „Freiheit für Öcalan - Status für die Kurden“.
114 
- Eintrag vom 6. März 2015: Aufruf zur Newroz-Demonstration am 21. März 2015 in Bonn.
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Der Beklagte hat zudem unwidersprochen und zutreffend darauf hingewiesen, dass NAV-DEM und YEK-KOM identische Logos auf ihren Internetpräsenzen verwenden und der Vorsitzende der NAV-DEM im März 2014 erklärt habe, man könne die deutsche Demokratie nicht akzeptieren. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz geht in seiner Broschüre zur „Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)“ vom Juli 2015, dort S. 18, davon aus, dass die NAV-DEM in Nachfolge der YEK-KOM wie diese auch als Dachverband von örtlichen Vereinen diene, in denen die PKK Informationen steuere und Vorgaben umsetze und dass sich die NAV-DEM durch eine aktive Öffentlichkeits- und Kampagnenarbeit sowie den Aufbau von Kontakten zu politischen Entscheidungsträgern bemühe, weitere Unterstützung für deren Anliegen zu erhalten. Diese Einschätzung teilt der Senat aufgrund der dargestellten tatsächlichen Umstände und sieht sich dabei auch die Aktivitäten des Klägers selbst bestätigt.
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Soweit der Kläger meint, dass es dem Verwaltungsgericht an ausreichender Sachkunde gefehlt habe, um eine Änderung des Aufgabenspektrums zu verneinen, erschöpft sich dies in einer schlichten Behauptung, die auf nichts gestützt wird. Sämtliche vom Verwaltungsgericht und dem Beklagten ausführlich dargelegten tatsächlichen Aktivitäten der YEK-KOM und nachfolgend der NAV-DEM sowie der Redner und Teilnehmer an deren Veranstaltungen lässt der Kläger gänzlich unkommentiert, obwohl es ihm als 2. Vorstandsmitglied der NAV-DEM ein Leichtes sein müsste, Tatsächliches zum Verein vorzubringen, das die Wertungen des Verwaltungsgerichts und des Beklagten diesbezüglich erschüttern würde. Es spricht hier daher auch nach Überzeugung des Senats nichts dafür, dass sich an der Ausrichtung oder dem Aktivitätenspektrum etwas geändert haben könnte, zumal es seitens des Vereins zu keinem Zeitpunkt zu eine Distanzierung von der PKK oder auch nur der YEK-KOM gekommen ist.
117 
Dem Beweisantrag des Klägers war vor diesem Hintergrund nicht nachzugehen, zumal etwaige weitere Vereinsziele, die unter Beweis gestellt worden sind, die dargelegten Aktivitäten und Zielrichtungen nicht neutralisieren. Überdies konnte der Kläger nicht dartun, weshalb der von ihm benannte Sachverständige hinreichende Sachkunde haben könnte. Dies hätte ihm oblegen, weil der auf die Bestrebungen und Ziele der NAV-DEM gerichtete Beweisantrag die Benennung eines Sachverständigen erforderte, der über eine spezielle Sachkunde, nämlich über interne Kenntnisse über die NAV-DEM, verfügt, die nicht von jedem Sachverständigen gleichermaßen reproduzierbar ist (vgl. Krehl, in: Karlsruher Kommentar StPO, 7. Aufl., 2013, § 244 StPO, Rn. 80).
118 
Bereits aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied sind dem Kläger sämtliche Aktionen der YEK-KOM und der NAV-DEM zuzurechnen (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, juris, Rn. 50, m. w. N.). Soweit der Kläger dies bezweifelt, ist dies nicht nachvollziehbar, da er selbst darauf hinweist, dass die von ihm insoweit in Bezug genommene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union darauf abstellt, dass bei einer hervorgehobenen Position eine individuelle Verantwortlichkeit unter Prüfung sämtlicher erheblicher Umstände vermutet werden könne. Unbeschadet dessen bestehen für den Senat aber auch keine vernünftigen Zweifel daran, dass die vom Kläger entfalteten Aktivitäten von diesem in dem Bewusstsein und mit dem Willen erfolgt sind und erfolgen, die PKK aktiv und vorbehaltlos zu unterstützen. Das wird deutlich, wenn man das Verhalten des Klägers seit 2004 und auch nach Juli 2010 in der gebotenen Gesamtschau in den Blick nimmt, wie es der Beklagte - vom Kläger unwidersprochen - geschildert hat. Der Aspekt des Vertrauensschutzes gebietet es nicht, bei der Würdigung des Verhaltens des Klägers dessen früheres Verhaltes insgesamt auszublenden. Ein schützenswertes Vertrauen besteht nur insoweit, als die zuvor entfalteten Aktivitäten für sich genommen keine Ausweisung mehr rechtfertigen können. Bei der notwendigen Bewertung neuer, nachfolgender Aktivitäten kann weiterhin auf das gesamte Verhalten des Ausländers zurückgegriffen werden (Discher, a.a.O., Rn. 391; BVerfG, Beschluss vom 19.08.1983 - 2 BvR 1284/83 -, NVwZ 1983, 667; OVG Bln.-Bbg., Beschluss vom 24.10.2013 - OVG 3 N 169.12 -, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.05.2012 - 11 S 2328/11 -, juris).
119 
Nach wie vor engagiert sich der Kläger unbeschadet des Ausweisungsverfahrens im Rahmen des Vereins als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter und Redner an Veranstaltungen, die angesichts deren Ablaufs, der dort gehaltenen Reden und der klaren Ausrichtung auf den Führerkult um Öcalan und gefallene Märtyrer auch für den Senat keinen Zweifel aufkommen lassen, dass der Kläger sich, wie auch die NAV-DEM, den Zielen der PKK verpflichtet fühlt, diese mit ihrem Tun unterstützen will und dabei deren Mittel umfassend zumindest billigt, insbesondere auch deren spezifisch als terroristisch zu qualifizierendes Handeln. Seine Teilnahme an Veranstaltungen, wie der am 5. Dezember 2010 an einer PKK-Gründungsfeier in Lampertheim, bei der eine KCK-Fahne und ein Öcalan-Porträt angebracht waren und in der ein in Guerillauniform auftretender Redner die eigene Partei als wichtige und modern ausgerichtete Organisation lobte, die den kurdischen Freiheitskampf auf die internationale Bühne gebracht habe und in der ausgeführt wurde, dass man dies dem großen Führer „Apo“ (gemeint ist Öcalan) und den Parteimärtyrern zu verdanken habe und man die Kämpfer an der Front nicht vergessen dürfe, die man von hier aus grüße, verdeutlichen dies in aller Klarheit. Für seine Teilnahme an einer Gedenkfeier zum 33. Parteigründungs-Jahrestag in Heilbronn am 2. Dezember 2011, bei der zur Unterstützung der PKK aufgefordert und Parolen wie „Es lebe Öcalan“ und „Unsere Märtyrer sind nicht gestorben“ skandiert wurden, gilt nichts anderes. Soweit man aus den weiteren dargestellten Aktivitäten des Klägers ableiten wollte, dass dieser sich nach Erlass der Ausweisungsverfügung gemäßigter verhält, ist dies nach Überzeugung des Senats mit Blick auf das laufende Verfahren taktisch motiviert und lässt nicht den Schluss zu, dass der Kläger, der weiterhin eine führende Rolle in der NAV-DEM spielt, von seinem bisherigen Verhalten glaubhaft Abstand nimmt (§ 54 Abs. 1 Nr. 2 2. Halbsatz AufenthG). Sein beredtes Schweigen zu sämtlichen vom Beklagten zusammengetragenen Tatsachen macht dies deutlich.
120 
Das gegenteilige Bild, das der Kläger von seiner Motivation und Haltung zeichnet, ohne hierfür nachvollziehbare Fakten zu benennen, steht daher in offenem Widerspruch zu seinem tatsächlichen Verhalten. Im Übrigen erschöpft sich sein Vortrag hierzu in dem Versuch einer Umdeutung seines Verhaltens, die schon im Ansatz nicht überzeugt. Es ist das eine, um Verstorbene zu trauern oder ihrer zu gedenken, aber etwas gänzlich anderes, Veranstaltungen als Redner oder in Vereinsfunktion zu gestalten oder vorbehaltlos an solchen teilzunehmen, die etwa von in Guerillauniform auftretenden Rednern geprägt werden und in denen der Kampf der PKK in der Türkei glorifiziert wird. Erkennbar geht es auf den vom Kläger mitgestalteten und besuchten Veranstaltungen nicht einfach um die legitime Kundgabe von Meinungen, sondern immer auch um die gezielte moralische, finanzielle und personelle Unterstützung des für legitim gehaltenen und auch terroristische Mittel einsetzenden Kampfes der PKK. Dass damit die PKK auch in der Wahl ihrer Mittel vorbehaltlos unterstützt wird, kann dem Kläger nicht entgangen sein, nachdem dort Auftritte in Guerillauniform stattfinden, den „Märtyrern“ gedacht wird und den Kämpfern an der Front Grußbotschaften gesandt werden. Es greift daher auch viel zu kurz, wenn der Kläger meint, dass es hier um einen ungerechtfertigten Eingriff in sein Recht auf freie Meinungsäußerung gehe. Soweit er daher darauf abstellen will, dass der Sinn von Äußerungen einen deutlich erkennbaren Bezug zur Förderung der PKK aufweisen müsse, mag man dem zustimmen, ein solcher Bezug wird hier aber entgegen der Auffassung des Klägers auch in seinem Handeln deutlich.
121 
Liegt ein Unterstützen im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG - wie hier - vor, ist von einer Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung bzw. der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen, es sei denn der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand, wie die gesetzliche Legaldefinition deutlich macht („…Hiervon ist auszugehen…“). Insoweit hebt sich die Regelung von den übrigen Ausweisungsinteressen ab, bei denen die Gefahr in jedem Einzelfall aus dem - dem jeweiligen Ausweisungsinteresse zugrunde liegenden - Verhalten des Ausländers konkret abzuleiten ist und unterscheidet sich auch von der Vorgängervorschrift des § 54 Nr. 5 AufenthG a. F. Die gesetzliche Legaldefinition bzw. widerlegbare Vermutung (so: Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 54 AufenthG, zu Abs. 1 Nr. 2, Stand: 16.01.2016, Rn. 45 ff.) der Gefahr begegnet nach Auffassung des Senats in diesem Kontext keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die schon dargestellten spezifischen Gefahren des Terrorismus, zu deren Bekämpfung sich die internationale Staatengemeinschaft und dabei auch die Bundesrepublik in Bezug auf internationale, grenzüberschreitende Gefahren, völkerrechtlich verpflichtet hat (UN-Sicherheits-resolution 1373 (2001) vom 28.09.2001; Kießling, Die Abwehr terroristischer und extremistischer Gefahren durch Ausweisung, 2012, S. 188 f.), rechtfertigen diese gesetzliche Festlegung, auch soweit davon terroristische Vereinigungen erfasst werden, die in der Bundesrepublik selbst keine terroristischen Gewalttaten verüben. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass terroristische Vereinigungen nur allzu schnell ihren Kampf über Ländergrenzen hinweg führen. Ob und gegebenenfalls in welcher Weise von dieser gesetzlichen Festlegung einer Gefahr in besonderen Fallkonstellationen abgewichen werden kann oder ob insoweit allein auf den Gesichtspunkt des erkennbaren und glaubhaften Abstandnehmens abzustellen ist, bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung, da das konsequent fortgesetzte Handeln des Klägers die gesetzliche Festlegung bestätigt.
122 
2. Die Ausweisungsverfügung genügt davon ausgehend auch § 53 Abs. 3 AufenthG, der bestimmt, dass ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießt, der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II, S. 559) besitzt, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU besitzt, nur ausgewiesen werden darf, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.
123 
Mit dieser Vorschrift will der Gesetzgeber nach der Gesetzesbegründung unionsrechtlichen Vorgaben für besonders privilegierte Personengruppen Rechnung tragen (BT-Drs. 18/4097, S. 50). Soweit die Vorgaben in ihrer Reichweite vor dem Hintergrund der jeweils betroffenen Personengruppe autonom unionsrechtlich und insbesondere bereichsspezifisch eigenständig auszulegen sind, wovon nach dieser Gesetzesbegründung auszugehen ist (Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 53 AufenthG, Abs. 3, Stand: 18.01.2016, Rn. 27, geht von der Notwendigkeit einer ergänzenden Heranziehung zu den angehobenen gesetzlichen Voraussetzungen einer Ausweisung aus), kann daher aus der Formulierung des Ausweisungsmaßstabs in § 53 Abs. 3 AufenthG nicht abgeleitet werden, dass der Gesetzgeber, losgelöst von den jeweiligen unionsrechtlichen Maßstäben, einen eigenen nationalen und völlig identischen Maßstab festlegen wollte, der für sämtliche der Norm unterfallenden Personengruppen Geltung beansprucht. Daher soll auch nationalrechtlich kein höheres Schutzniveau versprochen werden, als dieses unionsrechtlich geboten ist. Das wäre mit Blick auf die verschiedenen Geltungsgründe und die Heterogenität der erfassten Personengruppen sowie der sich daraus ergebenden unterschiedlichen Schutzrichtungen und -niveaus auch nicht begründbar, zumal ein einheitlicher unionsrechtlicher Ausweisungsmaßstab gerade nicht existiert (VGH Bad.-Württ., Vorlagebeschluss vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 -, juris, Rn. 154, m. w. N.; Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 11.09.2014 - C-373/13 -, juris, Rn. 88, m. w. N; a. A.: Welte, InfAuslR 2015, 426, der auf den unionsrechtlichen Maßstab des § 6 FreizügG/EU verweist). Festzuhalten ist allerdings, dass sämtlichen unionsrechtlich fundierten Ausweisungsmaßstäben gemeinsam ist, dass stets nur auf das persönliche Verhalten des Betroffenen und damit nur auf spezialpräventive Gründe abgestellt werden darf, aus denen sich eine gegenwärtige Gefahr ergeben muss (EuGH, Urteil vom 19.01.1999 - C-348/96 -, InfAuslR 1999, 165 und vom 08.12.2011 - C-371/08 -, InfAuslR 2012, 43; Neidhardt, a. a. O., Rn. 7 f.). Dem entsprechend kann eine an § 53 Abs. 3 AufenthG zu messende Ausweisung nur dann rechtmäßig sein, wenn sie ausschließlich spezialpräventiv motiviert ist.
124 
Davon ausgehend folgt für den Kläger ein besonderer unionsrechtlich fundierter Ausweisungsmaßstab zunächst nicht aus dem Assoziationsrecht. Das Verwaltungsgericht hat insoweit zu Recht darauf abgestellt, dass der Kläger weder Arbeitnehmer im Sinne des Art. 6 ARB 1/80 noch Familienangehöriger eines solchen Arbeitnehmers nach Art. 7 ARB 1/80 ist, nachdem er in der Vergangenheit nur sporadisch und jeweils nur in kurzen Zeiträumen abhängig beschäftigt gewesen war. Für seine Ehefrau gilt nichts anderes, so dass diese ihm ein solches Recht auch nicht vermitteln kann. Das wird vom Kläger auch nicht in Frage gestellt.
125 
Erhöhter Schutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG kommt dem Kläger aber als anerkannter Flüchtling zu. Für diese aufgrund ihres Verfolgungsschicksals gerade in Bezug auf aufenthaltsbeendende Maßnahmen besonders vulnerable Personengruppe sind Inhalt und Reichweite des Ausweisungsmaßstabs aus der einschlägigen Regelungen der Richtlinie 2004/83, neu gefasst durch Richtlinie 2011/95/EU (ABl. L 337 S. 9, nachfolgend: Qualifikationsrichtlinie), abzuleiten.
126 
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat auf das Vorabentscheidungsersuchen des Senats hin (Beschluss vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 -, juris), betreffend die Unterstützung der PKK durch einen anerkannten Flüchtling, die entscheidungserheblichen Rechtsfragen mit Urteil vom 24. Juni 2015 (- C-373/13 -, juris) geklärt. Der Gerichtshof hat, davon ausgehend, dass Art. 21 der Qualifikationsrichtlinie engere Voraussetzungen statuiert als Art. 24 der Qualifikationsrichtlinie (a.a.O., Rn. 44, 71: Art. 21 als „ultima ratio“; so auch schon der Senat in seinem Vorlagebeschluss, a.a.O., Rn. 154; a. A.: BVerwG, Beschluss vom 08.10.2012 - 1 B 18.12 -, juris), klargestellt, dass die Qualifikationsrichtlinie dahin auszulegen ist, dass ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel entweder nach Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie widerrufen werden kann, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen, oder nach Art. 21 Abs. 3 der Qualifikationsrichtlinie, wenn Gründe für die Anwendung der in Art. 21 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie vorgesehenen Ausnahmen vom Grundsatz der Nichtzurückweisung vorliegen (a.a.O., Rn. 55).
127 
Da die Ausweisung des Klägers verfügt wurde, um dessen Niederlassungserlaubnis zum Erlöschen zu bringen und eine tatsächliche Aufenthaltsbeendigung mit Blick auf seinen Flüchtlingsstatus nicht beabsichtigt ist, ist vorliegend auch nur Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie maßstäblich. Dies zugrunde gelegt ist die Ausweisung als Widerruf im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie zu qualifizieren und am Maßstab dieser Vorschrift zu messen, die insoweit den Ausweisungsmaßstab des § 53 Abs. 3 AufenthG ausfüllt und konkretisiert. Es müssen daher „zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung“ im Sinne des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie vorliegen, um die Ausweisung zu rechtfertigen.
128 
Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang im Anschluss an die Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston (Schlussanträge vom 11.09.2014 - C-373/13 -, juris, Rn. 68) zunächst betont, dass für die dargelegte Auslegung des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie spreche, dass den Mitgliedstaaten mit dieser Regelung die Möglichkeit gegeben werden sollte, unter spezifischen Voraussetzungen die Freizügigkeit von Drittstaatsangehörigen im Schengen-Raum zu beschränken, um den Terrorismus zu bekämpfen und Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung einzudämmen (a. a. O, Rn. 52). Er definiert im weiteren (a.a.O., Rn. 78 ff.) unter Bezugnahme auf die Richtlinie 2004/38 „zwingende Gründe“ als Beeinträchtigungen, die einen besonders hohen Schweregrad aufweisen müssten und fasst unter die „öffentliche Sicherheit“ sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats und somit auch die Beeinträchtigung des Funktionierens der Einrichtungen des Staates und seiner wichtigen öffentlichen Dienste sowie das Überleben der Bevölkerung ebenso wie die Gefahr einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker oder eine Beeinträchtigung der militärischen Interessen (unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 23.11.2010 - C-145/09 -, InfAuslR 2011, 45). Der Begriff der „öffentlichen Ordnung“ sei dahin auszulegen dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstelle, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliege, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Mit Blick auf die die Richtlinie 2004/83 und deren 28. Erwägungsgrund gelte der Begriff der „öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ auch für Fälle, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehöre, die den internationalen Terrorismus unterstütze, oder er eine derartige Vereinigung unterstütze. Der Gerichtshof verweist darauf, dass die PKK in der Liste im Anhang dieses Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344, S. 93) aufgeführt sei und nach alledem die Unterstützung, die ein Flüchtling einer Organisation zuteil werden lasse, welche Handlungen begehe, die in den Anwendungsbereich des Gemeinsamen Standpunkts fallen, grundsätzlich einen Umstand darstelle, der belegen könne, dass die Voraussetzungen für die Anwendung der Ausnahmeregelung von Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie erfüllt seien. Die Aufnahme einer Organisation in die Liste sei daher ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie entweder eine terroristische Organisation sei oder in diesem Verdacht stehe. Ein solcher Umstand sei daher von der zuständigen Behörde notwendig zu berücksichtigen, wenn sie in einem ersten Schritt zu prüfen habe, ob die fragliche Organisation terroristische Handlungen begangen habe. Es sei somit von Fall zu Fall zu prüfen, ob die Handlungen der fraglichen Organisation die öffentliche Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie bedrohen könnten. Der Gerichtshof habe schon entschieden, dass terroristische Handlungen, die durch ihre Gewalt gegenüber Zivilbevölkerungen gekennzeichnet seien, auch wenn mit ihnen vorgeblich politische Ziele verfolgt würden, als schwere nichtpolitische Straftaten im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden müssten (unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 09.11.2010 - C-57/09 und C-101/09 -, NVwZ 2011, 285).
129 
In einem zweiten Schritt müssten die genauen tatsächlichen Umstände einer Würdigung unterzogen werden, um zu ermitteln, ob die Unterstützung der fraglichen Organisation durch eine Mitwirkung beim Sammeln von Geldern und eine regelmäßige Teilnahme an Veranstaltungen dieser Organisation in den Anwendungsbereich von Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie falle. Allein der Umstand, dass die betreffende Person diese Organisation unterstützt habe, könne nicht die automatische Aufhebung ihres Aufenthaltstitels gemäß dieser Vorschrift zur Folge haben. Denn zwischen dem Gemeinsamen Standpunkt 2001/931 und der Richtlinie 2004/83 bestehe hinsichtlich der verfolgten Ziele kein unmittelbarer Zusammenhang, und es sei nicht gerechtfertigt, dass die zuständige Stelle, wenn sie in Betracht ziehe, einem Flüchtling seinen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie zu entziehen, sich nur auf dessen Unterstützung einer Organisation stütze, die in einer Liste aufgeführt sei, die außerhalb des Rahmens erlassen wurde, den die Richtlinie in Übereinstimmung mit der Genfer Konvention geschaffen habe. Es bedürfe daher einer individuellen Würdigung der genauen tatsächlichen Umstände insbesondere dazu, welche Rolle der Betroffene im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt habe, ob dieser etwa selbst terroristische Handlungen begangen habe, ob und in welchem Maße er an der Planung, an Entscheidungen oder an der Anleitung anderer Personen zum Zweck der Begehung solcher Handlungen beteiligt gewesen sei und ob und in welchem Umfang er solche Handlungen finanziert oder anderen Personen die Mittel zu ihrer Begehung verschafft habe. Soweit dieser an legalen Versammlungen und an Veranstaltungen wie dem kurdischen Neujahrsfest teilgenommen und sich am Sammeln von Spenden für diese Organisation beteiligt habe, bedeute dies nicht notwendig, dass der Betroffene die Auffassung vertreten habe, terroristische Handlungen seien legitim. Erst recht seien derartige Handlungen als solche keine terroristischen Handlungen. In diesem Zusammenhang müsse auch der Schweregrad der Gefahr beurteilt werden, die von den Handlungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehe. Es sei insbesondere zu prüfen, ob dem Betroffenen eine individuelle Verantwortung bei der Durchführung von Aktionen der PKK zugerechnet werden könne. In Anbetracht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, den die zu ergreifende Maßnahme zu wahren habe, sei zu untersuchen, ob die Gefahr, die die betreffende Person gegebenenfalls in der Vergangenheit für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung der Bundesrepublik Deutschland dargestellt habe, noch immer bestehe. Mit Blick auf das Erfordernis zwingender Gründe müsse etwa, soweit ein Betroffener zu einer Geldstrafe und nicht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden sei, in Anbetracht dieses Umstands und gegebenenfalls der Art der von ihm begangenen Handlungen geprüft werden, ob eine Aufhebung des Aufenthaltstitels zu rechtfertigen sei.
130 
Dies zugrunde gelegt, genügt die Ausweisungsverfügung den Maßstäben des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie in Verbindung mit § 53 Abs. 3 AufenthG. Die Konkretisierung der Maßstäbe hat durch das erkennende nationale Gericht anhand des jeweiligen Falles und den diesen prägenden tatsächlichen Umstände entsprechend deren Gewicht zu erfolgen. Soweit der Gerichtshof in beispielhafter Form einzelne dem im Vorlageverfahren betroffenen Ausländer vorgehaltene Handlungen herausgreift und diese in eher abstrakter Form bewertet und gewichtet, ist dies dem abstrahierenden Charakter der Vorlagefragen in einem Vorabentscheidungsersuchen geschuldet und entbindet den Senat als Tatsachengericht nicht von seiner Verpflichtung, solche Umstände im konkreten Fall umfassend zu bewerten. Nichts anderes gilt, soweit Reichweite und Grenzen der dem Kläger zustehenden weiteren Rechte nach Kapitel VII der Qualifikationsrichtlinie durch die Ausweisung in Rede stehen.
131 
Danach bestehen für den Senat auch vor dem Maßstab des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie keine durchgreifenden Bedenken hinsichtlich der Einstufung der PKK als eine den Terrorismus jedenfalls unterstützende Vereinigung, deren Unterstützung durch die YEK-KOM bzw. NAV-DEM „zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung“ begründet. Daran anschließend sind die vom Kläger geleisteten Unterstützungshandlungen aufgrund dessen, dass diese von ihm in herausgehobener Funktion für YEK-KOM und NAV-DEM, auf zahlreichen Veranstaltungen seit über zwölf Jahren, unter Beteiligung von offen für die PKK werbenden und deren Kurs vorbehaltlos befürwortenden Akteuren (Auftreten in Guerillauniform, Märtyrergedenken, Grußbotschaften an die Kämpfer an der Front usw.) geleistet wurden und weiter geleistet werden, nicht anders zu bewerten, zumal der Kläger nach Überzeugung des Senats in vollem Bewusstsein um deren Bedeutung für den ideologischen Zusammenhalt der PKK und in dem Willen, diese vorbehaltlos auch in Bezug auf deren terroristische Aktivitäten zu unterstützen, gehandelt hat und weiterhin handelt. Diese Bewertung des eine Gefahr für die nationale Sicherheit und öffentliche Ordnung begründenden Verhaltens des Klägers ist vor diesem Hintergrund auch nicht deshalb zu relativieren, weil die NAV-DEM nicht verboten ist und der Kläger sich im Rahmen von ebenfalls nicht verbotenen Veranstaltungen betätigt hat. Weder entfällt deswegen das Gewicht seiner Unterstützungshandlungen für die PKK noch ergibt sich daraus, dass sich der Kläger über sein Tun im Unklaren gewesen wäre. Dass es gerade aus Gründen einer effektiven Gefahrenabwehr geboten sein kann, von einem Vereinsverbot abzusehen, wurde schon dargelegt. Da nach den Feststellungen des Senats das Verhalten des Klägers gefahrbegründend ist und er die tatbestandlichen Festlegungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bestätigt, kann der Senat offen lassen, ob jedenfalls im Kontext des § 53 Abs. 3 AufenthG i. V. m. Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie hier ausnahmsweise und ungeachtet der Fallkonstellation des endgültigen und glaubhaften Abstandnehmens gewissermaßen als „Zwischenstufe“ eine konkrete Widerlegungsmöglichkeit der gesetzlichen Gefahrenannahme zugelassen werden muss.
132 
Soweit der Gerichtshof der Europäischen Union in seiner in Bezug genommen Entscheidung im weiteren auf das Fortbestehen des Flüchtlingsstatus hinweist, wenn ein Mitgliedstaat das Aufenthaltsrecht aufgrund des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie widerruft (a.a.O., Rn. 94 f.; so auch schon der Senat in seinem Urteil vom 14.05.2014 - 11 S 2224/13 -, juris, Rn. 128 ff. m. w. N.) und er daraus ableitet, dass dieser sich bei deshalb weiterhin gestattetem Aufenthalt auch ungeschmälert (a.a.O., Rn. 96) auf die sozialen Vergünstigungen nach Kapitel VII der Qualifikationsrichtlinie berufen kann, steht dies in vorliegendem Fall der Ausweisung nicht entgegen.
133 
Kapitel VII der Richtlinie gewährleistet jedem Flüchtling Schutz vor Zurückweisung, das Recht auf Information, Wahrung des Familienverbands, Ausstellung von Reisedokumenten, Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung, zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie Zugang zu Integrationsmaßnahmen. Einschränkungen dieser Rechte sind bei einem anerkannten Flüchtling nur nach Maßgabe dieses Kapitels der Qualifikationsrichtlinie zulässig (a.a.O., Rn. 97).
134 
Die die Ausweisung tragenden „zwingenden Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung“ stellen, soweit sie diese Rechte nach Kapitel VII berühren, zulässige Beschränkungen im Sinne der Richtlinie dar.
135 
Wird mit der Ausweisung das Erlöschen der Niederlassungserlaubnis (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) bezweckt und ist zugleich eine tatsächliche Aufenthaltsbeendigung nicht beabsichtigt, wovon hier mit Blick auf den Flüchtlingsstatus des Klägers auszugehen ist, werden der Schutz vor Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie, das Informationsrecht aus Art. 22 der Qualifikationsrichtlinie sowie der Anspruch auf Wahrung des Familienverbandes nach Art. 23 der Qualifikationsrichtlinie schon nicht tangiert. Dafür, dass vorliegend das Recht auf Bildung nach Art. 27der Qualifikationsrichtlinie, der Zugang zu Wohnraum nach Art. 32 der Qualifikationsrichtlinie oder zu Integrationsmaßnahmen nach Art. 34 der Qualifikationsrichtlinie betroffen sein könnte, ist gleichfalls nichts ersichtlich.
136 
Soweit durch den Duldungsstatus des Klägers dessen Recht auf Aufnahme einer (selbstständigen oder unselbstständigen) Erwerbstätigkeit nach Art. 26 der Qualifikationsrichtlinie zunächst kraft Gesetzes mit einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt belegt ist, ist dieser für sich genommen unbedenklich, zumal sich aus § 4 Abs. 3 Satz 3 AufenthG ergibt, dass dieser nicht gilt, wenn dem Ausländer auf Grund einer zwischenstaatlichen Vereinbarung, eines Gesetzes oder einer Rechtsverordnung die Erwerbstätigkeit gestattet ist, ohne dass er hierzu durch einen Aufenthaltstitel berechtigt sein muss. So liegt der Fall hier, da diese Vorschrift mit Blick auf den vorrangigen Art. 26 der Qualifikationsrichtlinie auszulegen ist. Unbeschadet dessen ist für den Senat im konkreten Fall aber auch nicht ersichtlich, dass der Kläger durch Einschränkungen seiner rechtlichen Möglichkeiten, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, in tatsächlicher Hinsicht unzumutbar belastet wäre, nachdem er trotz seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland nur für jeweils kurze und länger zurückliegende Zeiträume überhaupt einer solchen nachgegangen ist.
137 
Aufgrund der Ausweisung greifen im konkreten Fall jedoch die angeordneten Maßnahmen nach § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG (Meldepflichten, Aufenthaltsbeschränkung auf den Stadtbezirk...). Diese dienen unmittelbar der Abwehr bzw. Eindämmung der von Kläger ausgehenden Gefahren und schränken insoweit das Recht des Betroffenen auf ein Reisedokument nach Art. 25 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie sowie das Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Bundesrepublik nach Art. 33 der Qualifikationsrichtlinie in sachangemessener Weise ein. Art. 25 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie verpflichtet zur Erteilung eines Reisedokumentes auch für Reisen ins Ausland, es sei denn, Gründe der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung stehen dem entgegen. Art. 33 der Qualifikationsrichtlinie verlangt von den Mitgliedstaaten, dass Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, Bewegungsfreiheit in ihrem Hoheitsgebiet zu gestatten „unter den gleichen Bedingungen und Einschränkungen wie für andere Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten“. Nachdem im persönlichen Verhalten des Klägers „zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung“ im Sinne des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie gegeben sind, liegt ein Versagungsgrund im Sinne des Art. 25 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie vor, da die Einschränkung seiner Reisemöglichkeiten gerade dazu dient, sein die PKK unterstützendes Verhalten zumindest deutlich zu erschweren. Daraus rechtfertigt sich auch die Einschränkung seiner Freizügigkeit innerhalb des Bundesgebietes nach Art. 33 der Qualifikationsrichtlinie. Das hat der Senat schon unter Zugrundelegung der Vergleichsgruppe von Drittstaatsangehörigen, die sich nach nationalem Recht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, festgestellt (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 14.05.2014 - 11 S 2224/13 -, juris, Rn. 128 ff., m. w. N.).
138 
Da der Gerichtshof eine Ausweisung unter Berücksichtigung des Maßstabs des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie auch dann für zulässig erachtet, wenn dadurch der Aufenthalt zwar rein tatsächlich nicht beendet werden soll, es aber dennoch notwendig erscheint, zumindest die Freizügigkeit von Drittstaatsangehörigen zu beschränken, um den Terrorismus zu bekämpfen und Gefahren für die öffentlichen Sicherheit und Ordnung einzudämmen (a.a.O., Rn. 52), ist es nach Auffassung des Senats aus systematischen Gründen und zur Effektivierung des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie angezeigt, dessen Wertungen auch insoweit zu berücksichtigen, als Reichweite und Grenzen der weiteren in Kapitel VII aufgeführten Rechte in entscheidungserheblicher Weise in Rede stehen. Denn eine Ausweisung, deren Folge sich im Erlöschen des Titels erschöpfen würde, ohne daran anknüpfend verhaltenssteuernde Wirkungen zu entfalten, die geeignet und erforderlich sind, die Gefahr wirksam einzudämmen, wäre letztlich wegen Zweckverfehlung unverhältnismäßig. Dies würde Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie, in Fällen wie dem vorliegenden, die praktische Wirksamkeit nehmen und damit dessen Bedeutung, wie er auch in den Erwägungsgründen 31 und 37 der Richtlinie zum Ausdruck kommt, verfehlen.
139 
Nach all ist es für den Senat auch folgerichtig, auf den Fall des Klägers nicht Art. 29 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie, sondern dessen Absatz 2 entsprechend anzuwenden, nachdem die Mitgliedstaaten abweichend von Absatz 1 die Sozialhilfe für Personen, denen (nur) der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, auf Kernleistungen beschränken kann. Dies gilt hier umso mehr, als es der Kläger im Gegensatz zu subsidiär Schutzberechtigten selbst in der Hand hat, durch eine Abkehr von seinen den Terrorismus unterstützenden Handlungen die Ursachen für diese Einschränkungen zu beseitigen und es gerade in der Logik des Duldungsstatus liegt, den Kläger zu einer dahingehenden Verhaltensänderung zu bewegen. Soweit sich demnach ergeben sollte, dass der Kläger aufgrund seines Duldungsstatus und mangels anderweitiger Regelungen, die ihm, etwa als Familienangehöriger aus abgeleitetem Recht, einen vollen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen nach dem SGB II verschaffen könnten, auf die Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes beschränkt ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG), steht dies nicht in Widerspruch zu Art. 29 der Qualifikationsrichtlinie. Für Leistungsbeschränkungen in Bezug auf die medizinische Versorgung (§ 4 AsylbLG) im Sinne des Art. 30 der Qualifikationsrichtlinie gilt nichts anderes.
140 
3. Dem dargestellten und nach gesetzlicher Wertung besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse steht ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber, da dieser eine Niederlassungserlaubnis besessen hat, die gerade durch die Ausweisungsverfügung betroffen ist, er mit deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und er sein Personensorgerecht für minderjährige ledige Deutsche ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG). Insoweit geht der Senat aufgrund der nicht weiter spezifizierten Angabe des Klägers, wonach sechs seiner sieben Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, davon aus, dass jedenfalls auch die noch in seinem Haushalt lebenden minderjährigen Kinder diese besitzen. § 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG tritt vorliegend hinter die insoweit speziellere Vorschrift des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG zurück (Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 55 AufenthG, zu Abs. 2 Nr. 5, Stand: 18.01.2016, Rn. 3: Auffangnorm).
141 
4. § 53 Abs. 1 AufenthG verlangt davon ausgehend ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende Abwägung des Interesses an der Ausreise mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände in wertender Gesamtbetrachtung einzubeziehen sind. Diese sind, nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat sowie die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner, wobei die in Absatz 2 aufgezählten Umstände weder abschließend zu verstehen sind, noch nur zu Gunsten des Ausländers ausfallen müssen. Zudem sind stets die grund- und konventionsrechtliche Stellung des Ausländers und seiner Familie und die sich daraus ergebenden Gewichtungen in den Blick zu nehmen. Umstände im Sinne des § 53 Abs. 2 AufenthG prägen den Einzelfall insoweit, als sie über die den vertypten Interessen zugrunde liegenden Wertungen hinausgehen oder diesen entgegenstehen. Insbesondere in an dieser Stelle der Frage nachzugehen, ob und in welchem Maße die konkreten Umstände des Einzelfalles von vertypten gesetzlichen Wertungen abweichen (Bsp.: § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG: Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren; § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG: 30-jähriger rechtmäßiger Aufenthalt). Sind im konkreten Fall keine Gründe - etwa auch solche rechtlicher Art - ersichtlich, die den gesetzlichen Wertungen der §§ 54, 55 AufenthG entgegenstehen, wird regelmäßig kein Anlass bestehen, diese Wertungen einzelfallbezogen zu korrigieren.
142 
Eine schematische und alleine den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkreten Gewicht, zuwiderlaufen würde, verbietet sich ebenso (BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -, NVwZ 2007, 946) wie eine „mathematische“ Abwägung im Sinne eines bloßen Abzählens von Umständen, die das Ausweisungsinteresse einerseits und das Bleibeinteresse andererseits begründen.
143 
Davon ausgehend erweist sich die Ausweisung des Klägers als verhältnismäßig, da hier das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers unter Berücksichtigung sämtlicher den Fall prägenden Umstände überwiegt.
144 
Vorliegend ist zunächst die dem Flüchtlingsstatus des Klägers geschuldete Besonderheit in Rechnung zu stellen, nach der im konkreten Fall eine tatsächliche Beendigung des Aufenthalts des Klägers wegen dessen Flüchtlingsstatus nicht beabsichtigt ist, obgleich gewichtige Gründe für eine Ausweisung bestehen. Daher ist Bezugspunkt für die Verhältnismäßigkeitsfrage auch nur die Ausweisung in der hier erfolgten Form mit ihrer Folge einer ggf. auch langfristigen Duldung des Klägers im Bundesgebiet und seiner Überwachung nach § 56 AufenthG sowie der schon dargestellten Einschränkungen der verschiedenen Folgerechte.
145 
Dem Ausweisungsinteresse, wie es sich im konkreten Fall darstellt, steht ein nach der gesetzlichen Wertungen des § 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG ebenfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse gegenüber. Hinzu treten auf Seiten des Klägers dessen Anspruch auf Achtung seiner familiären Bindungen nach Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 6 GG. Im weiteren ist sein mit über 17 Jahren über den in § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG verlangten mindestens fünfjährigen rechtmäßigen Inlandsaufenthalt hinausgehender rechtmäßiger Aufenthalt zu berücksichtigen. Das Gewicht dieser Umstände ist, soweit es nicht schon über § 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG erfasst wird, aus § 53 Abs. 2 AufenthG (über fünfjähriger rechtmäßiger Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet) und den grund- und konventionsrechtlichen Wertungen mit Blick auf die Folgen der Ausweisung auf diese Umstände zu ermitteln.
146 
Wegen der familiären Bindungen des Klägers im Bundesgebiet folgt aus Art. 6 GG zwar unmittelbar kein Aufenthaltsrecht, dieses Grundrecht gebietet aber die Berücksichtigung der in Art. 6 GG enthaltenen wertentscheidenden Grundsatznorm, nach der der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat (vgl. hierzu ausf.: Hoppe/Samel in: Rensen/Brink (Hrsg.) Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 2009, S. 137 ff.). Diese verpflichtet dazu, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, d. h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12.05.1987 - 2 BvR 1226/83, 101/84 313/84 -, NJW 1988, 626 und vom 18.04.1989 - 2 BvR 1169/84 -, NJW 1989, 2195; Beschluss vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, 682). Daraus kann sich die Unverhältnismäßigkeit einer Ausweisung ergeben, wenn ein gemeinsames Familienleben in Deutschland durch diese unmöglich gemacht würde und es den Familienmitgliedern nicht zumutbar wäre, die Familiengemeinschaft im Ausland herzustellen (BVerfG, Beschluss vom 18.04.1989 - 2 BvR 1169/84 -, NJW 1989, 2195). Für das Recht auf Achtung des Familienlebens aus Art. 8 Abs. 1 EMRK ergibt sich nichts anderes (zu den Kriterien vgl. insbesondere EGMR, Urteil vom 18.10.2006 - 46410/99 <Üner> -, NVwZ 2007, 1279; Urteil vom 02.08.2001 - 54273/00 -, InfAuslR 2001, 476 -; ausführlich Mayer, VerwArch 2010, 482 <530 ff.>, m. w. N.).
147 
Soweit sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG bei langjährigem rechtmäßigen Inlandsaufenthalt aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ergibt, dass die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, die Integration in die deutsche Gesellschaft, auch soweit sie keinen familiären Bezug hat, und das Fehlen tatsächlicher Bindungen an den Staat seiner Staatsangehörigkeit bei einer Ausweisung angemessen zu gewichten sind (BVerfG, Beschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007, 1300), ist ein Gleichlauf zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte festzustellen, der unter dem Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK das Netz an persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen fasst, die für das Privatleben eines jeden Menschen schlechthin konstitutiv sind (EGMR, Urteil vom 09.10.2003 - 48321/99 -, EuGRZ 2006, 560). Diesen Beziehungen kommt bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zu (so BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -, NVwZ 2007, 946; Thym, EuGRZ 2006, 541 <544>; Hoppe, ZAR 2006, 125 <130>; Hofmann, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Art. 8 EMRK, Stand: 01.11.2015, Rn. 20 ff., m. w. N.; Beichel-Benedetti, in: Huber, AufenthG, 1. Aufl., 2010, Vorb §§ 53-56 AufenthG, Rn. 14 ff.). Daraus folgt auch für Ausweisungen von Ausländern, die über keine schützenswerten familiären Bindungen im Sinne von Art. 8 Abs. 1 EMRK bzw. Art. 6 GG verfügen, eine Verpflichtung zur einzelfallbezogenen Abwägung unter angemessener Berücksichtigung dieser das Recht auf Privatleben konstituierenden Bindungen. Fehlen Bindungen an den Herkunftsstaat kann sich daraus eine Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung - selbst bei langjährigen Freiheitsstrafen und zahlreichen Verurteilungen - ergeben (vgl. die Nachweise bei Mayer, a. a. O.).
148 
So liegt der Fall hier jedoch nicht. Denn die Ausweisung des Klägers führt nicht zur Beendigung seines tatsächlichen Aufenthalts in Deutschland. Vorliegend sind die tatsächlichen Bindungen des Klägers durch die Ausweisung allerdings dadurch betroffen, dass ihn die Überwachungsmaßnahmen nach § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG in seiner Bewegungsfreiheit beschränken. Soweit ihm diese seine Möglichkeiten zur Fortführung gerade der streitgegenständlichen Aktivitäten erschweren, ist dadurch, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ein rechtlich anerkennenswertes Interesse des Klägers schon nicht berührt. Die Einschränkungen seiner Rechte aus Art. 29 und 30 der Qualifikationsrichtlinie (Sozialhilfe und medizinische Versorgung) sind objektiv betrachtet geeignet und erforderlich, um den Kläger zu einer Verhaltensänderung zu bewegen. Die für ihn eintretenden Einschränkungen seiner Bewegungsmöglichkeiten sind aus den schon dargelegten Gründen erforderlich und auch zumutbar. Die für seine Familienmitglieder mit den Einschränkungen der Bewegungsmöglichkeiten des Klägers und seiner genannten Rechte verbundenen Folgen sind allenfalls mittelbarer Art und als solche auch verhältnismäßig, zumal sie - als mildere Mittel zur tatsächlichen Beendigung des Aufenthalts - einzig dem Umstand geschuldet sind, dass der Beklagte gerade auf den Flüchtlingsstatus des Klägers Rücksicht nimmt, obwohl dieser Gründe setzt, die gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen zum Schutz hochrangiger Rechtsgüter erforderlich machen (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 -, juris, Rn. 24). Darüber hinaus sind weitere schützens- und nennenswerte Bindungen des Klägers in die hiesige Gesellschaft, die durch die Ausweisung in unzumutbarer Weise beschränkt würden, trotz des langjährigen rechtmäßigen Aufenthalts weder vorgetragen worden noch ersichtlich. Der Kläger spricht kaum Deutsch, er war nur sporadisch und für kürzere Zeiträume überhaupt erwerbstätig und ist seit längerem von Sozialleistungen abhängig. Diese Umstände relativieren das Gewicht seines langjährigen rechtmäßigen Aufenthalts jedenfalls im Rahmen der Abwägung entscheidend. Schließlich ist noch zu berücksichtigen, dass es der Kläger in der Hand hat, durch eine glaubhafte Abkehr von seinem bisherigen Verhalten eine Aufhebung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu erreichen. Aus all dem ergibt sich bei wertender Betrachtung der widerstreitenden Interessen im konkreten Fall ein Überwiegen des Ausweisungsinteresses.
149 
5. Soweit sich, ungeachtet der Rechtsstellung des Klägers, aus den Stand-Still-Klauseln des Art. 7 ARB 2/76, des Art. 13 ARB 1/80 bzw. des Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen EWG/Türkei (ZP) ein Verbot ergibt, ohne zwingende Gründe neue Beschränkungen für sich ordnungsgemäß (vgl. EuGH, Urteil vom 07.11.2013 - C-225/12 -, InfAuslR 2014, 1) im Inland aufhaltende türkische Staatsangehörige einzuführen, die deren Möglichkeiten zur Aufnahme einer (abhängigen oder selbstständigen) Beschäftigung im Verhältnis zur Rechtslage bei Inkrafttreten dieser Regelungen stärker begrenzen würden (vgl. etwa: EuGH, Urteile vom 10.07.2014 - C-138/13 -, NVwZ 2014, 1081 und vom 17.09.2009 - C-242/06 -, InfAuslR 2009, 413), führt dies nicht dazu, dass die §§ 53 ff. AufenthG in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung außer Anwendung zu bleiben hätten.
150 
Mit der Neukonzeption des Ausweisungsrechts im Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl. I, S. 1386) will der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung der Entwicklung Rechnung tragen, „wonach das bisherige dreistufige Ausweisungsrecht durch die höchstrichterliche Rechtsprechung ohnehin mehr und mehr zu einer Ermessensausweisung mit umfassender Abwägung aller Umstände des Einzelfalls zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit modifiziert worden ist.“ (BT-Drs. 18/4097). Die Änderungen des Ausweisungsrechts dienen danach der Anpassung an die Entwicklung dieser Rechtsprechung und sie sollen Rechtsunsicherheiten im Ausweisungsrecht beseitigen und die Arbeit der Ausländerbehörden erleichtern. Aus dem mit der Neuregelung einhergehenden Systemwechsel, weg von einer Ausweisung im Ermessenswege, hin zu einer zwar gebundenen, dafür aber anhand des Maßstabes der Verhältnismäßigkeit zu messenden, folgt daher bei der gebotenen Gesamtbetrachtung keine neue Beschränkung in Sinne der Stand-Still-Klauseln.
151 
Im Vergleich zu den Ausweisungsregelungen der Ausländergesetze seit 1965 und dem Aufenthaltsgesetz a. F. lässt sich feststellen, dass das neue Ausweisungsrecht sich weitgehend von einer in Bezug auf die Interessen des Ausländers auf bloßen Verwaltungsvorgaben beruhenden Ermessensentscheidung des Ausländergesetzes 1965 (vgl. Kanein, Ausländerrecht, 4. Aufl., 1988, § 10 AuslG) ebenso gelöst hat, wie von schematisierenden und insoweit bindenden gesetzlichen Vorgaben des Ausländergesetzes 1990 und des Aufenthaltsgesetzes a. F., die einer umfassenden Abwägung der konkreten Umstände des Einzelfalls entsprechend deren Gewicht entgegenstehen konnten. Schematisierungen dieser Art und Wirkung waren auch der Anlass für die Gerichte, das bisherige Recht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit, teilweise entgegen seinem Wortlaut, auszulegen und anzuwenden (vgl. Mayer, VerwArch 2010, 482 <483 ff.>, m . w. N.; Beichel-Benedetti, in: Huber, AufenthG, 1. Aufl. 2010, Vorb §§ 53-56 AufenthG, Rn. 19 ff.). Während eine Ausweisung im Ermessenswege gerichtlich bislang nur eingeschränkt überprüfbar war (§ 114 Satz 1 VwGO), stellt das neue Recht eine vollumfassende gerichtliche Überprüfung sicher. Das durch die neuen Regelungen aufgestellte Prüfprogramm garantiert, wie die bisherigen Ausführungen deutlich machen, eine umfassende Berücksichtigung der den Fall prägenden Umstände. Der Verlust der Ermessensebene wird durch die nunmehr umfassende gerichtliche Kontrollpflicht in Bezug auf die Frage der Verhältnismäßigkeit aufgewogen (so auch: Neidhardt, a. a. O., Rn. 31; a. A.: Cziersky-Reis, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl., 2016, § 53 AufenthG, Rn. 42, der davon ausgeht, dass eine Ausweisung nach Ermessen immer günstiger für den Betroffenen sei als eine gebundene nach § 53 Abs. 1 AufenthG n. F.). Es wäre daher verfehlt, für die Frage einer neuen Beschränkung isoliert darauf abzustellen, dass es sich nunmehr bei der Ausweisungsentscheidung um eine gebundene handelt. Weder Unions- noch Assoziationsrecht gebieten eine Ermessensentscheidung, sondern (nur) eine offene Güter- und Interessenabwägung (vgl. BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 -, InfAuslR 2010, 3; vgl. zum Erfordernis einer wertenden Gesamtbetrachtung: BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, InfAuslR 2012, 397; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -, NVwZ-RR 2012, 492).
152 
Soweit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr, wie ebenfalls schon dargelegt, die Gefahr gesetzlich aus der Erfüllung des Tatbestandes ableitet, führt auch dies jedenfalls im konkreten Fall zu keiner Verschlechterung der Rechtsstellung des Klägers, nachdem dessen tatsächliches Verhalten die gesetzliche Festlegung gerade bestätigt.
153 
Dass mit § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG im Falle einer Ausweisung die kraft Gesetzes geltenden Überwachungsmaßnahmen - in Abweichung zur früheren Rechtslage - nicht mehr die sofortige Vollziehbarkeit der Ausweisung voraussetzen, stellt gleichfalls keine neue Beschränkung in diesem Sinne dar. Die Stillhalteverpflichtung bedeutet nicht, dass jede Facette des Verwaltungsverfahrens und des Prozessrechts einer Änderung entzogen wäre. Die Mitgliedstaaten verfügen aufgrund ihrer Verfahrensautonomie über einen Gestaltungsspielraum, der allerdings durch den Grundsatz der Effektivität und der Äquivalenz begrenzt wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, InfAuslR 2012, 397; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -, NVwZ-RR 2012, 492). Lässt eine Änderung des Verfahrens - wie hier - die Effektivität des Rechtsschutzes mit Blick auf die dem türkischen Staatsangehörigen eingeräumten Rechte unverändert, so liegt keine „neue Beschränkung“ vor. Es kann nicht ernsthaft in Frage stehen, dass insoweit effektiver gerichtlicher Rechtsschutz über eine einstweilige gerichtliche Regelung nach § 123 VwGO erreicht werden kann. Vorliegend kommt es hierauf auch nicht an, da der Beklagte solche Maßnahmen modifizierend und durch Verwaltungsakt erlassen hat und insoweit Rechtsschutz nach §§ 80 ff. VwGO gegeben ist.
154 
Selbst wenn man den Rechtsfolgenwechsel - weg von der Einräumung von Ermessen, hin zu einer gebundenen Entscheidung - bzw. die weiteren dargestellten Änderungen des Ausweisungsrechts grundsätzlich als Maßnahmen ansehen wollte, die bezweckten oder bewirkten, dass die Ausübung der Freizügigkeitsrechte durch einen türkischen Staatsangehörigen oder einen Familienangehörigen in einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen als denjenigen unterworfen wird, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Bestimmungen in dem Mitgliedstaat gelten, wären diese Maßnahmen hier rechtlich zulässig. Denn die Einführung dieser - unterstellt - strengeren Voraussetzungen wäre durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union gerechtfertigt, gerade weil der vorgenommene Systemwechsel dazu dient, das ursprüngliche, durch die Anforderungen der Rechtsprechung erheblich - teils gegen den Wortlaut - modifizierte Ausweisungsrecht wieder handhabbar und in sich schlüssig und nachvollziehbar zu machen. Die nunmehr gesetzliche Festlegung der Gefahr nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist mit Blick auf die vom Terrorismus ausgehenden Gefahren sicherlich gerechtfertigt, zumal sich aus praktischer Sicht kaum Fallkonstellationen denken lassen, bei denen eine solche Gefahr zu verneinen sein könnte, obwohl ein Unterstützen einer terroristischen Vereinigung tatbestandlich vorliegt und eine glaubhafte Abwendung hiervon - die das Gesetz ausdrücklich zulässt - nicht erfolgt ist.
II.
155 
Nicht verfahrensgegenständlich ist die vom Verwaltungsgericht getroffene Befristungsentscheidung, nachdem der Kläger mit seinem Berufungsantrag, der gemäß § 124a Abs. 3 VwGO nicht nur begründende sondern auch begrenzende Wirkung hat, alleine die Aufhebung der Ausweisungsverfügung des Beklagten beantragt und er auch in seiner Berufungsbegründung auf die Befristungsfrage nicht abgestellt hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.03.2011 - 2 B 37.10 -, juris).
156 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
157 
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsache (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
158 
Beschluss vom 13. Januar 2016
159 
Der Streitwert wird gem. § 63 Abs. 2, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 und § 39 Abs. 1 GKG auf 10.000,- EUR festgesetzt.
160 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

 
47 
Die nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht und ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 6 und Abs. 3 Satz 4 VwGO) Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 27. Januar 2015 ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da die Ausweisungsverfügung den Kläger nicht in eigenen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 VwGO) (I.). Nicht streitgegenständlich ist die vom Verwaltungsgericht getroffene Befristungsentscheidung, gegen die sich der Kläger mit seinem Berufungsantrag nicht wendet (II.).
I.
48 
Die Ausweisungsverfügung ist auf § 53 Abs. 1 AufenthG i. V. m. § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in der seit 1. Januar 2016 geltenden Fassung (Art. 9 des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung, BGBl. I, S. 1386 <1399>) zu stützen; maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der der mündlichen Verhandlung des Senats (BVerwG, Urteil vom 04. Oktober 2012 - 1 C 13.11 -, Rn. 16, BVerwGE 144, 230, Rn. 16 und vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 -, BVerwGE 143, 277, Rn. 12).
49 
Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer ausgewiesen, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Dieser Grundtatbestand des neuen Ausweisungsrechts umreißt die Ausweisungszwecke auf tatbestandlicher Ebene, die in § 54 AufenthG in vertypter und zugleich gewichteter Form als Ausweisungsinteressen ausdifferenziert werden. Nicht mehr entscheidungserheblich ist danach, ob der Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren seine Ermessenserwägungen in hinreichender Form nachgebessert hat (vgl. hierzu: BVerwG, Urteil vom 13.12.2011 - 1 C 20.11 -, juris). Denn ein Ermessen ist der Ausländerbehörde aufgrund des gesetzlichen Systemwechsels, hin zu einer gebundenen Entscheidung auf Tatbestandsseite, nicht mehr eingeräumt (Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 53 AufenthG, Ausweisung, Überblick, Stand: 18.01.2016, Rn. 1; terminologisch unzutreffend daher: Marx, Aufenthalts- Asyl- und Flüchtlingsrecht, 5. Aufl. 2015, § 7, Rn. 163).
50 
Hier erfüllt das Verhalten des Klägers das danach besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (1.). § 53 Abs. 3 AufenthG modifiziert den Ausweisungsmaßstab im Sinne erhöhter Anforderungen an das Gewicht der drohenden Rechtsgutsverletzung, sofern die in dieser Vorschrift aufgeführten Personengruppen betroffen sind. Der Kläger unterfällt als anerkannter Flüchtling dieser Regelung (2.). Dem Ausweisungsinteresse gegenüberzustellen ist das Bleibeinteresse des Ausländers nach § 55 AufenthG, das der Gesetzgeber ebenfalls vertypt und zugleich gewichtet, aber nicht abschließend aufgeführt hat (3.). § 53 Abs. 1 AufenthG verlangt davon ausgehend ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, im konkreten Fall in Form des Interesses an der Beendigung des weiteren rechtmäßigen Aufenthalts, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende umfassende und abschließende Abwägung des Ausweisungsinteresses mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände einzubeziehen sind (4.). Aus all dem folgt auch, dass die Ausweisung vorliegend nicht gegen die assoziationsrechtlichen Stand-Still-Klauseln verstößt (5.).
51 
1. Im Fall des Klägers liegt ein besonders schwer wiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, der bestimmt, dass ein solches im Sinne von § 53 Absatz 1 AufenthG besonders schwer wiegt, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wovon - unter anderem dann - auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.
52 
Der Kläger unterstützt seit längerem und auch aktuell die PKK, eine terroristische bzw. den Terrorismus unterstützende Vereinigung (a.), und dies überwiegend in herausgehobener Funktion (b.).
53 
a.) Das Aufenthaltsgesetz selbst enthält keine eigene Definition des Terrorismus. Da die - insoweit - tatbestandlich deckungsgleichen Vorgängervorschriften des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG47 Abs. 2 Nr. 4 AuslG i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG; § 54 Nr. 5 AufenthG a. F.) auf die UN-Sicherheitsratsresolution 1373 (2001) vom 28. September 2001 zurückgehen (Art. 11 Nr. 3 des Gesetzes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz) vom 09.01.2002, BGBl I, Nr. 3, S. 361; Kießling, Die Abwehr terroristischer und extremistischer Gefahren durch Ausweisung, 1. Aufl., 2012, S. 187) und diese das Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl 2003 II, S. 1923) in Bezug nimmt, wird in der Rechtsprechung zunächst auf die Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 lit. b des Internationalen Übereinkommens abgestellt (BVerwG, Urteile vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 -, BVerwGE 147, 261 und vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 -, BVerwGE 123, 114; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 -, juris). Danach ist eine terroristische Straftat als eine Handlung definiert,
54 
„die den Tod oder eine schwere Körperverletzung einer Zivilperson oder einer anderen Person, die bei einem bewaffneten Konflikt nicht aktiv an den Feindseligkeiten teilnimmt, herbeiführen soll, wenn diese Handlung aufgrund ihres Wesens oder der Umstände darauf abzielt, die Bevölkerung einzuschüchtern oder eine Regierung oder internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen“.
55 
Im Weiteren wird auf den Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (2001/931/GASP) Bezug genommen (ABl. L 344 vom 28.12.2001, S. 93, juris), der in seinem Artikel 1 Abs. 3 terroristische Handlungen wie folgt definiert:
56 
„Im Sinne dieses Gemeinsamen Standpunkts bezeichnet der Ausdruck "terroristische Handlung" eine der nachstehend aufgeführten vorsätzlichen Handlungen, die durch ihre Art oder durch ihren Kontext ein Land oder eine internationale Organisation ernsthaft schädigen kann und im innerstaatlichen Recht als Straftat definiert ist, wenn sie mit dem Ziel begangen wird,
57 
i) die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern oder
58 
ii) eine Regierung oder eine internationale Organisation unberechtigterweise zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen oder
59 
iii) die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören:
60 
a) Anschläge auf das Leben einer Person, die zum Tode führen können;
61 
b) Anschläge auf die körperliche Unversehrtheit einer Person;
62 
c) Entführung oder Geiselnahme;
63 
d) weit reichende Zerstörungen an einer Regierungseinrichtung oder einer öffentlichen Einrichtung, einem Verkehrssystem, einer Infrastruktur, einschließlich eines Informatiksystems, einer festen Plattform, die sich auf dem Festlandsockel befindet, einem allgemein zugänglichen Ort oder einem Privateigentum, die Menschenleben gefährden oder zu erheblichen wirtschaftlichen Verlusten führen können;
64 
e) Kapern von Luft- und Wasserfahrzeugen oder von anderen öffentlichen Verkehrsmitteln oder Güterverkehrsmitteln;
65 
f) Herstellung, Besitz, Erwerb, Beförderung oder Bereitstellung oder Verwendung von Schusswaffen, Sprengstoffen, Kernwaffen, biologischen und chemischen Waffen sowie die Forschung und Entwicklung in Bezug auf biologische und chemische Waffen;
66 
g) Freisetzung gefährlicher Stoffe oder Herbeiführen eines Brandes, einer Explosion oder einer Überschwemmung, wenn dadurch das Leben von Menschen in Gefahr gebracht wird;
67 
h) Manipulation oder Störung der Versorgung mit Wasser, Strom oder anderen lebenswichtigen natürlichen Ressourcen, wenn dadurch das Leben von Menschen in Gefahr gebracht wird;
68 
i) Drohung mit der Begehung einer der unter den Buchstaben a) bis h) genannten Straftaten;
69 
j) Anführen einer terroristischen Vereinigung;
70 
k) Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung einschließlich durch Bereitstellung von Informationen oder materiellen Mitteln oder durch jegliche Art der Finanzierung ihrer Aktivitäten in dem Wissen, dass diese Beteiligung zu den kriminellen Aktivitäten der Gruppe beiträgt.
71 
Im Sinne dieses Absatzes bezeichnet der Ausdruck "terroristische Vereinigung" einen auf längere Dauer angelegten organisierten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, die in Verabredung handeln, um terroristische Handlungen zu begehen. Der Ausdruck "organisierter Zusammenschluss" bezeichnet einen Zusammenschluss, der nicht zufällig zur unmittelbaren Begehung einer terroristischen Handlung gebildet wird und der nicht notwendigerweise förmlich festgelegte Rollen für seine Mitglieder, eine kontinuierliche Mitgliedschaft oder eine ausgeprägte Struktur hat.“
72 
Bei der hiernach erforderlichen wertenden Gesamtschau sind insbesondere die Ausübung von Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung als auch der Einsatz gemeingefährlicher Waffen zur Durchsetzung politischer Ziele für terroristische Handlungen kennzeichnend, daneben aber auch Tötungen von abtrünnigen Mitgliedern der eigenen Organisation oder von Sicherheitskräften, sofern die Merkmale eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne des Art. 8 Abs. 2 lit. d und f des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 nicht erfüllt sind (OVG NRW, Urteil vom 02.07.2013 - 8 A 5118/05.A -, juris, unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 09.11.2010 - C-57/09, C-101/09 -, NVwZ 2011, 285; BVerwG, Urteile vom 07.07.2011 - 10 C 26.10 -, juris und vom 04.09.2012 - 10 C 13.11 -, BVerwGE 144, 230; jew. zum Ausschluss der Asylberechtigung wegen Unterstützung terroristischer Aktivitäten der PKK) bzw. eine Rechtfertigung über Art. 43 i. V. m. Art. 1 Abs. 4 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler Konflikte vom 08. Juni 1977 (BGBl. 1990 II, S. 1551) nicht in Betracht kommt (so: BGH, Beschluss vom 06.05.2014 - 3 StR 265/13 -, NStZ-RR 2014, 274, verneinend zur PKK), Der Senat ist sich danach bewusst, dass für die Definition des Terrorismus nicht schlicht auf die Anwendung von Gewalt abgestellt werden kann und auch Konstellationen denkbar sind, bei denen sich eine Gewaltanwendung als legitimes Mittel zur Wiederherstellung eines völkerrechtsgemäßen Zustands darstellt.
73 
Davon ausgehend gibt der vorliegende Fall dem Senat keinen Anlass, seine bisherige Bewertung zu revidieren, dass es sich bei der PKK um eine terroristische bzw. eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung handelt (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 -, juris; Urteil vom 16.05.2012 - 11 S 2328/11 -, juris; vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, NVwZ-RR 2012, 412).
74 
Die PKK ist auch weiterhin auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt (vgl. Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 02.05.2002 betreffend die Aktualisierung des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GSAP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus - 2002/340/GSAP -, ABl. EG L 116 vom 03.05.2002, S. 75, zuletzt aktualisiert mit Beschluss 2015/2430 des Rates vom 21.12.2015, ABl. L 337 vom 22.12.2012, S. 18 und die Durchführungsverordnung 2015/2425 des Rates vom 21.12.2015, ABl. L 334 vom 22.12.2015, S. 1), was nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union die Feststellung erlaubt, dass die Vereinigung terroristischer Art ist (Urteil vom 09.11.2010 - C-57/09, C-101/09 -, NVwZ 2011, 285). Folgt man der Auffassung der Generalanwältin Sharpston, die in der Aufnahme einer Organisation in die Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 „auf den ersten Blick“ einen „deutlichen Anhaltspunkt dafür“ sieht, „dass die Organisation entweder eine terroristische Organisation ist oder (gestützt auf Beweise, die ihrerseits rechtlich angegriffen werden können) im Verdacht steht, eine solche Organisation zu sein“ (EuGH, Schlussanträge vom 11.09.2014, C- 373/13 -, juris, Rn. 95), führt dies in Bezug auf die PKK zu keiner anderen Bewertung. Der Senat geht unbeschadet der Listung der PKK davon aus, dass von dieser keine Bindungswirkung ausgeht und daher eine eigenständige gerichtliche Prüfung der vorliegenden Erkenntnismittel nicht entbehrlich ist (so auch: BayVGH, Beschluss vom 08.05.2009 - 19 CS 09.268 -, juris; a. A.: Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 54 AufenthG, zu Abs. 1 Nr. 2, Stand: 16.01.2016, Rn. 83), gleichwohl handelt es sich um ein gewichtiges Indiz, zumal gegen eine Listung effektiver gerichtlicher Rechtsschutz gewährt wird (Bauer, in: Sinn/Zöller, Neujustierung des Strafrechts durch Terrorismus und Organisierte Kriminalität, 2013, 103 <111>, unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 09.11.2012 - C-539/10 P, 550/10 P -, juris).
75 
Der Senat legt in tatsächlicher Hinsicht zunächst die im bisherigen Verfahren vom Beklagten und dem Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen zu den Aktivitäten der PKK zu Grunde, die der Kläger auch nicht in Frage stellt (Ziffer 2.1.1. der Ausweisungsverfügung, Blatt 25 bis 27 der Akte des Verwaltungsgerichts; Ziffer 1. a) des Urteils des Verwaltungsgerichts, Seite 8, unten, letzter Absatz bis Seite 10, Blatt 8 bis 10 der Gerichtsakte).
76 
Hiervon ausgehend ist zunächst festzustellen, dass die PKK, wie in den in Bezug genommenen Entscheidungen des Senats und in dem angegriffenen Urteil des Verwaltungsgerichts schon ausgeführt, zu keinem Zeitpunkt ernst- und dauerhaft von terroristischen Aktionen Abstand genommen hat, da von ihr ausgerufene Waffenruhen stets wieder beendet wurden. Selbst während solcher Waffenruhen kam es weiterhin zu terroristischen Aktivitäten. Die Global Terrorism Database der University of Maryland (start.umd.edu unter dem Stichwort PKK) listet in ihrer aktuell bis Ende 2014 reichenden Datensammlung zahlreiche terroristische Aktivitäten in der Türkei auf, die der PKK bzw. deren militärischen Arm, der HPG, zugerechnet werden. In zwei - im Übrigen gravierenden - Fällen aus dem Jahr 2014 hat diese sogar ausdrücklich die Verantwortung für Anschläge übernommen, und zwar für einen Angriff am 26. September 2014 auf Verkehrspolizisten zwischen Diyarbakir und Bitlis, bei der drei Polizisten getötet und zwei verwundet wurden und einen weiteren „Granatenangriff“ auf eine Fabrikanlage am 24. Oktober 2014 in Kagizman, in der Provinz Kars, bei der drei der Angreifer getötet wurden. Wie sich der aktuellen Tagespresse und den weiteren Erkenntnismitteln des Gerichts entnehmen lässt, hat die PKK zuletzt Ende Juli 2015 die zuvor etwa zwei Jahre währende (relative) Waffenruhe ausdrücklich aufgekündigt. Es kam in der Folge, als Reaktion auf einen Anschlag in der türkischen Stadt Suruc, zur Ermordung zweier türkischer Polizisten in Ceylanpinar, zu der sich die PKK bekannt hat, und in der Folge zudem zu Auseinandersetzungen von pro-türkischen und pro-kurdischen Gruppen auch in Deutschland (Deutscher Bundestag, „Konflikt zwischen der Türkei und PKK“, Parlamentsnachrichten vom 22.10.2015; tagessschau.de, „PKK bekennt sich zu Anschlag auf Polizisten“, 22.07.2015, 15:29 Uhr; Deutschlandfunk.de, „PKK fühlt sich nicht mehr an erklärten Gewaltverzicht gebunden“, 05.11.2015; Wladimir van Wilgenburg, jamestown.org, TerrorismMonitor, Vol. XIII, Issue 19, 17.09.2015, „Turkey`s New Syria Policy: Preventing Islamic State an Kurdish Expansion“, S. 6 f.). Die Australian National Security weist in einer aktuellen Stellungnahme zur PKK darauf hin, dass diese zwar im Zuge der Waffenruhe mit dem türkischen Staat ihre terroristischen Aktivitäten heruntergefahren habe, gleichwohl aber seit dem 20. August 2012 über 50 Menschen durch Attacken der PKK ums Leben gekommen und über 300 gekidnappte Kinder zwischen Dezember 2013 und Mai 2014 zu verzeichnen gewesen seien (nationalsecurity.gov.au/listedterrororganisations/pages/kurdistanworkersparty). Entführungen von Kindern zur Erpressung von Geldzahlungen werden auch durch eine weitere seriöse Quelle bestätigt: M. M. berichtet in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 31. Oktober 2015 in einem ausführlichen Hintergrundbericht („Die heimlichen Herrscher von Diyarbakir“, S. 7) von einer größer werdenden Abhängigkeit gewählter Politiker der HDP von der PKK in den kurdischen Gebieten der Türkei mit nach Auskunft von kurdischen Menschenrechtlern, wie etwa S. B., fatalen Folgen für jene Kurden, die bei der PKK nicht wohlgelitten seien: „Die PKK sieht sich keinen moralischen oder rechtlichen Werten unterworfen“, so B.. Wer ins Fadenkreuz der PKK gerate, könne auf niemanden hoffen. Die PKK treibe ihre eigenen Steuern ein und entführe Kinder von Leuten, die nicht zahlten. Er, B., sei überrascht, dass man im Ausland so wenig darüber wisse. Und weiter: In Diyarbakir sei es leichter, Erdogan oder den türkischen Staat anzugreifen als die PKK. „Der Preis für Kritik an der PKK kann der Tod sein, das Verbrennen von Autos, Häusern, Büros. Ich habe viele Drohungen bekommen.“, so B..
77 
Angesichts dieser Erkenntnislage kann keine Rede davon sein, die PKK hätte sich zu einer den Menschenrechten und der Demokratie verpflichteten Organisation gewandelt. Die Erschießung von Verkehrspolizisten, der Angriff auf eine Fabrikanlage mit Granaten sowie die Entführung von Kindern zur Finanzierung der eigenen Aktivitäten lassen sich nach Auffassung des Senats nicht als Kampfhandlungen in einem innerstaatlichen Konflikt oder gar als ein völkerrechtlich gerechtfertigtes Handeln in einem solchen bewerten (vgl. hierzu: BGH, Beschluss vom 06.05.2014 - 3 StR 265/13 -, NStZ-RR 2014, 274).
78 
Der Senat sieht sich hier auch in Übereinstimmung mit den aktuellen Bewertungen der PKK und deren Teilorganisationen durch den Bundesgerichtshof, (Beschluss vom 03.09.2015 - AK 27/15 -, BeckRS 2015, 16318; vom 19.03.2015 - AK 2/15 -, juris; vom 06.05.2014 - 3 StR 265/13 -, NStZ-RR 2014, 274, auch zur Zurechnung von Taten der TAK zur PKK; vom 16.02.2012 - AK 1/12 und AK 2/12 -, juris, zur KCK und der HPG; Urteil vom 28.10.2010 - 3 StR 179/10 -, NJW 2011, 542; vgl. auch Haverkamp, ZStW 2011, 92 <96>, Fn. 25, die bezüglich der PKK von einer Allianz von Terrorismus mit organisierter Kriminalität ausgeht).
79 
Soweit der Kläger daher auf veränderte politische Umstände und dabei insbesondere darauf abstellen will, dass die PKK sich nunmehr dem Kampf gegen den IS, dem Schutz der Zivilbevölkerung im Norden Syriens verpflichtet fühle, den bewaffneten Kampf gegen die Türkei aufgegeben habe und entgegenstehende Äußerungen hochrangiger Funktionäre der PKK als Teil der Propaganda zwischen der PKK und dem türkischen Staat zu bewerten seien, ist dies auch durch das aktuelle Vorgehen der PKK eindrucksvoll widerlegt. Selbst wenn man mit dem Kläger einmal unterstellt, die PKK sei mit der YPG gleichzusetzen und in Syrien dem Schutz der Kurden und Jesiden verpflichtet, ändert dies nichts an den in der Türkei verübten terroristischen Taten.
80 
b.) Davon ausgehend stellen sich die vom Kläger unbestritten entfalteten Aktivitäten ab Dezember 2010 als Unterstützungshandlungen zu Gunsten der PKK dar, die ihm als Ausweisungsinteresse auch vorgehalten werden dürfen.
81 
Im konkreten Fall können allerdings nur noch diejenigen Aktivitäten des Klägers ein solches begründen, die dieser nach erfolgter Mitteilung im Juli 2010 an ihn, dass wegen seiner Aktivitäten die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis bzw. seine Ausweisung geprüft werde, entfaltet hat. Davor liegende sind aus Gründen des Vertrauensschutzes verbraucht. Denn ein Ausweisungsinteresse ist, wie auch bislang schon ein Ausweisungsgrund, verbraucht, wenn ein Aufenthaltstitel in Kenntnis bzw. in der Sphäre des Staates zuzurechnender Unkenntnis desselben erteilt bzw. verlängert wurde (Discher, in: GK-AufenthG, Juni 2009, Vor §§ 53. ff. AufenthG, Rn. 382 ff., m. w. N.). So liegt der Fall hier. Darauf, ob solche Aktivitäten der den Titel erteilenden Ausländerbehörde tatsächlich selbst bekannt waren, kommt es mit Blick auf den damit bezweckten Vertrauensschutz, der sich aus der Perspektive des betroffenen Ausländers bestimmt, nicht entscheidend an. Vielmehr genügt es, wenn solche Aktivitäten der Ausländerbehörde hätten bekannt sein können, was hier der Fall ist, nachdem diese selbst eine Sicherheitsüberprüfung mit Blick auf vorliegende Erkenntnisse eingeleitet und sodann die Niederlassungserlaubnis erteilt hat, ohne das Ergebnis der Überprüfung abzuwarten. Dass dies unter der - irrigen - Annahme erfolgte, eine Überprüfung sei vorliegend rechtlich nicht erforderlich, ändert hieran nichts.
82 
Diese Aktivitäten des Klägers sind auch überwiegend als Unterstützungshandlungen im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu werten, insoweit gelten die Maßstäbe des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung vom 30. Juli 2004 (BGBl I, S. 1950) - AufenthG a. F. und die hierzu in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze - weiterhin. Als tatbestandserhebliches Unterstützen ist hiernach jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirkt. Dazu zählt zum Beispiel auch jedes Tätigwerden eines Nichtmitglieds, das die innere Organisation und den Zusammenhalt der Vereinigung fördert, ihren Fortbestand oder die Verwirklichung ihrer auf die Unterstützung terroristischer Bestrebungen gerichteten Ziele fördert und damit ihre potenzielle Gefährlichkeit festigt und ihr Gefährdungspotenzial stärkt. Auf einen beweis- und messbaren Nutzen für die Verwirklichung der missbilligten Ziele kommt es ebenso wenig an wie auf eine subjektive Vorwerfbarkeit. Allerdings kann nicht jede Handlung, die sich zufällig als für die betreffende Vereinigung bzw. den Terrorismus objektiv vorteilhaft erweist, als tatbestandsmäßiges Unterstützen verstanden werden. Vielmehr muss die eine Unterstützung der Vereinigung bezweckende Zielrichtung des Handelns für den Ausländer regelmäßig erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein, nicht vorausgesetzt wird, dass diese ihm auch bekannt ist und er sich dessen bewusst sein muss. Auch fehlt es an einem Unterstützen, wenn jemand allein einzelne politische, humanitäre oder sonstige Ziele der Organisation, nicht aber auch die Unterstützung des internationalen Terrorismus befürwortet - und sich hiervon gegebenenfalls deutlich distanziert - und lediglich dies durch seine Teilnahme an erlaubten Veranstaltungen in Wahrnehmung seines Grundrechts auf freie Meinungsäußerung nach außen vertritt. Dienen solche Veranstaltungen allerdings erkennbar dazu, nicht nur einzelne Meinungen kundzutun, wie sie auch die Vereinigung vertritt, sondern soll durch die - auch massenhafte - Teilnahme jedenfalls auch diese Vereinigung selbst vorbehaltlos und unter Inkaufnahme des Anscheins der Billigung ihrer terroristischen Bestrebungen (beispielsweise wegen des angekündigten Auftretens von Funktionären einer verbotenen Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt) gefördert werden, dann liegt ein im Hinblick auf den Normzweck potenziell gefährliches Unterstützen im Sinne von § 54 Nr. 5 AufenthG a. F. bzw. § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG n. F. vor, der die Freiheit der Meinungsäußerung insoweit verhältnismäßig beschränkt. Eine Unterstützung kann ferner dann in Betracht kommen, wenn durch zahlreiche Beteiligungen an Demonstrationen und Veranstaltungen im Umfeld einer Vereinigung - wie der verbotenen PKK - bei einer wertenden Gesamtschau feststeht, dass der Ausländer auch als Nichtmitglied in einer inneren Nähe und Verbundenheit zu der Vereinigung selbst steht, die er durch sein Engagement als ständiger (passiver) Teilnehmer zum Ausdruck bringt, und damit deren Stellung in der Gesellschaft (vor allem unter Landsleuten) begünstigend beeinflusst, ihre Aktionsmöglichkeiten und eventuell auch ihr Rekrutierungsfeld erweitert und dadurch insgesamt zu einer Stärkung ihres latenten Gefahrenpotenzials beiträgt. Dabei muss allerdings die terroristische oder den Terrorismus unterstützende Tätigkeit der Vereinigung im In- oder Ausland zum jeweiligen Zeitpunkt feststehen und das Verhalten des Einzelnen auch unter Berücksichtigung etwaiger glaubhafter Distanzierungen von der Unterstützung des Terrorismus (oder das Fehlen jeglicher Distanzierung) gewürdigt werden. Eine darüber hinausgehende konkrete oder persönliche Gefährdung der inneren oder äußeren Sicherheit ist dagegen nicht erforderlich. Ebenso wenig ist ein "aktives Tätigwerden" erforderlich (BVerwG, Urteil vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 -, InfAuslR 2005, 374, zur früheren Regelung des § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG; vgl. auch Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 -, juris, m. w. N.; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 08.12.2010 - 11 S 2366/10 -, InfAuslR 2011, 105; Urteil vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 - juris, vom 21.04.2010 - 11 S 200/10 -, DVBl 2010, 797; vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, juris; vom 14.05.2014 - 11 S 2224/13 -, juris; BayVGH, Urteil vom 29.11.2010 - 11 K 1763/10 -, juris).
83 
Soweit der Kläger die dargestellten rechtlichen Maßstäbe in grundsätzlicher Art angreift, überzeugt dies den Senat nicht.
84 
Der Senat folgt nicht seiner Auffassung, Verfassungs- bzw. Unionsrecht verlangten, dass das individuelle mit der Ausweisung bekämpfte Verhalten des Einzelnen eine konkrete mit der jeweiligen Einzelhandlung verbundene Gefahr für wichtige Gemeinschaftsgüter hervorrufe. Ein verfassungs- oder unionsrechtlicher Rechtssatz, der dazu zwingen würde, nur konkrete terroristische Gefahren mit der Ausweisung zu bekämpfen, ist nicht ersichtlich. Die dahingehende Argumentation des Klägers bleibt daher auch gänzlich unspezifisch. Es ist nichts Grundsätzliches dagegen einzuwenden, wenn der Gesetzgeber mit Blick auf die spezifischen Gefahren terroristischer Aktivitäten unter Berücksichtigung der Bedeutung der davon betroffenen hochrangigen Rechtsgüter (Leib, Leben, Freiheit der Bevölkerung, hohe Sachwerte sowie die innere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik) und des zumeist konspirativen (Beweisnot), ideologisch motivierten Vorgehens solcher Vereinigungen (Gruppendynamik), aus denen sich gravierende Nachweisschwierigkeiten und deren erschwerte Bekämpfbarkeit ergeben, mit einer Absenkung des Gefahrenmaßstabs reagiert. Dies entspricht anerkannten Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts.
85 
Soweit der Kläger meint, es sei stets ein Vollbeweis zu führen, gilt nichts anderes. Der gesetzlich normierte abgesenkte Beweismaßstab der Regelung ist dem Grunde nach, insbesondere mit Blick auf die bereichstypische Beweisnot und die Hochwertigkeit der zu schützenden Rechtsgüter, rechtlich unbedenklich, weil sachangemessen. Die Grenzen sind gegebenenfalls von der Rechtsprechung anhand konkreter Fälle zu präzisieren, was auch geschieht (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 -, NVwZ 2012, 701; vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 -, NVwZ 2005, 1091; VGH Bad.-Württ, Urteil vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 -, juris; BayVGH, Beschluss vom 09.11.2005 - 24 CS 05.2621 -, NVwZ 2006, 1306; siehe auch: Berlit, NVwZ 2013, 327, m. w. N; Kirsch, NVwZ 2012, 677; Eckertz-Höfer, in: Barwig u. a., Perspektivwechsel im Ausländerrecht?, 2007, 105 <114>; Marx, ZAR 2004, 275). Auch ist sich der Senat durchaus der Problematik von Beweisketten bewusst, bei denen “sich die Beweiskraft […] umso mehr verringert, je länger die Kette ist, und umso schneller vermindert, je geringer die jeweilige Beweiskraft der je einzelnen Indizien ist“ (so schon: Bender/Röder/Nack, Tatsachenfeststellungen vor Gericht, Band I, 1. Aufl., 1981, S. 181 f.). Daraus erwächst in vorliegendem Fall allerdings schon deshalb kein entscheidungserhebliches Problem, weil weder die dem Kläger vorgehaltenen Aktivitäten in tatsächlicher Hinsicht im Streit stehen, noch die der Vereinigungen, in denen er tätig war und ist und letztlich auch nicht die der PKK, sondern jeweils nur deren Bewertung.
86 
Zudem ist inzwischen geklärt, dass eine gleichlaufende Auslegung von straf- und ausweisungsrechtlichem Unterstützungsbegriff nicht geboten ist (BVerwG, Urteil vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 -, NVwZ 2012, 701). Die nicht deckungsgleichen Ziele des Strafrechts einerseits und des Rechts der Gefahrenabwehr andererseits schließen die Möglichkeit einer effektiven Abwehr terroristischer Gefahren einzig über das Strafecht oder auf der Grundlage der dieses Rechtsgebiet prägenden Begrenzungen aus. Strafe im verfassungsrechtlichen Sinne, verstanden als auch „sozialethisches Unwerturteil“ (so: BVerfG, Beschluss vom 09.07.1997 - 2 BvR 1371/96 -, BVerfGE 96, 245) dient als reaktive Maßnahme vornehmlich dem Schuldausgleich, die Prävention ist nur ein Teilaspekt der Strafzumessung und diese ist wiederum begrenzt durch die individuelle Schuld des Täters (§ 46 Abs. 1 Satz 1 StGB). Damit ist sie im Kern auf die Aufarbeitung schon geschehener oder versuchter Taten (§ 22 StGB) begrenzt. Ihre daher nur punktuell zulässige Erstreckung auf Vorfeldaktivitäten steht, wie die §§ 89a, 129a, 129b StGB und die dazu ergangene Rechtsprechung deutlich machen, in einem verfassungsrechtlichen Spannungsverhältnis, das es ausschließt, eine hinreichend effektive, insbesondere aktive und rechtzeitige Abwehr künftiger Gefahren nach Opportunitätsgesichtspunkten über Strafvorschriften oder unter Bindung an deren Begrenzungen zu gewährleisten.
87 
Wenn der Kläger sich schließlich darauf beruft, stets nur an erlaubten (präziser: nicht verbotenen) Veranstaltungen teilgenommen zu haben bzw. teilzunehmen und stets nur für nicht verbotene Vereine tätig zu sein, greift dies aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen nicht durch: Aus rechtlichen nicht, da § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG im Gegensatz zu Nr. 3 der Vorschrift gerade nicht auf ein Verbot abstellt und ein solches deren Mitglieder vermehrt zu konspirativem Verhalten veranlassen kann, ohne dass damit für die Gefahrenabwehr viel gewonnen wäre. Es kann daher aus Gründen der Gefahrenabwehr opportun sein, von einem solchen abzusehen. Aus tatsächlichen nicht, da es fern liegt, annehmen zu wollen, dem Kläger sei das auch terroristische Verhalten der PKK in der Türkei entgangen und er sei sich im Unklaren über die Bedeutung seines eigenen Tuns, zumal er sich augenscheinlich fast ausschließlich mit der Kurdenthematik zu beschäftigen scheint und er die vom Gericht mitgeteilten Erkenntnisse zur PKK sowie der YEK-KOM bzw. NAV-DEM noch nicht einmal ansatzweise in Abrede gestellt hat (dazu sogleich unten).
88 
Nach den dargelegten Maßstäben stehen zur Überzeugung des Senats hier eine Vielzahl von Tatsachen fest, die die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Kläger die PKK und damit den Terrorismus unterstützt, so die Mitgliedschaft und die Übernahme von Vorstandsfunktionen in PKK-nahen Vereinen, weitere herausgehobene Tätigkeiten als Redner und Organisator von PKK-nahen Veranstaltungen und die über Jahre hinweg fortgesetzte Teilnahme an den unterschiedlichsten Aktionen und Veranstaltungen solcher Vereinigungen.
89 
Im Einzelnen sind dem Kläger zunächst die sich aus der Ausweisungsverfügung ergebenden Aktivitäten bis zur Erteilung der Niederlassungserlaubnis an ihn vorgehalten worden, auf die hier verwiesen wird (Ziffer 1.2. der Ausweisungsverfügung, Seite 3 bis 9; Blatt 16, unten, bis einschl. Blatt 23, erster Absatz oben, der Akte des Verwaltungsgerichts) und die von diesem ebenso wenig in Abrede gestellt werden, wie die weiteren, die der Kläger nach Mitteilung des Beklagten an ihn im Juli 2010, dass eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis bzw. eine Ausweisung mit Blick auf seine Aktivitäten zu Gunsten der PKK geprüft werde, entfaltet hat:
90 
- Am 5. Dezember 2010 nahm er an einer PKK-Gründungsfeier in Lampertheim in der Siedlerhalle teil. Dort waren eine KCK-Fahne und ein Öcalan-Porträt angebracht. Ein in Guerillauniform auftretender Redner lobte die eigene Partei als wichtige und modern ausgerichtete Organisation, die den kurdischen Freiheitskampf auf die internationale Bühne gebracht habe. Dies habe man dem großen Führer Apo und den Parteimärtyrern zu verdanken. Man dürfe auch die Kämpfer an der Front nicht vergessen, die man von hier aus grüße. Ein weiterer Redner referierte über die Geschichte der PKK.
91 
- Am 20. Februar 2011 nahm der Kläger an einer Mitgliederversammlung der kurdischen Gemeinschaft Heilbronn e.V. (KG HN) teil. Nach einer Schweigeminute für die Märtyrer Kurdistans und der ganzen Welt referierte er über die unzureichende Vorstandstätigkeit des Vereins und forderte dazu auf, verstärkt Mitglieder zu werben. Er wisse, dass im Raum Heilbronn 500 bis 600 kurdische Familien lebten, die meisten von ihnen hätten aber nur deswegen keinen Kontakt zum Verein, weil sie Angst vor den deutschen Behörden hätten. Es bestünde kein Grund zur Furcht, da alles angemeldet und der Verein absolut legal sei. Der Kläger bat die Anwesenden, auf die Kurden zuzugehen, mit ihnen zu reden und ihnen die Angst zu nehmen.
92 
Nach Durchführung der Sicherheitsbefragung am 23. Februar 2011:
93 
- Am 5. August 2011 war der Kläger in der Yeni Özgür Politika (YÖP) abgebildet, dies anlässlich einer Kampagne zur Anerkennung der kurdischen Identität, organisiert von der YEK-KOM. Laut der Berichterstattung hat er im Heilbronner Verein über die Ziele der Kampagne informiert.
94 
- Laut Mitteilung des Polizeipräsidiums Mannheim vom 30. Januar 2012 war der Kläger am 4. November 2011 Teilnehmer und Redner bei einem Aufzug mit Kundgebung in Mannheim zum Thema „türkische Regierung verwendet Napalmgas und chemische Waffen gegen die türkische Bevölkerung/Schluss mit der Isolationshaft von Öcalan/Schluss mit den Verhaftungswellen in der Türkei gegen die kurdischen Politiker“. Der Redebeitrag des Klägers habe den Eindruck hoher Emotionalität vermittelt.
95 
- Am 2. Dezember 2011 nahm er an einer Gedenkfeier zum 33. Partei-gründungs-Jahrestag, dem 27. November 1978, in Heilbronn teil. Auch dort hingen Bilder von Öcalan und Parteifahnen, auch der ERNK, der früheren Propagandaorganisation der PKK. Nach einer Gedenkminute für die kurdischen Märtyrer und der Begrüßung schilderte ein Redner die Parteigründung durch Öcalan und dessen Genossen. Die Erfolgsgeschichte der Partei dauere bis heute an, leider aber auch ihre Schwierigkeiten, bedauerlicherweise auch in Europa. Es sei erforderlich, die Partei zu unterstützen. Es wurden mehrfach Parolen wie „Es lebe Öcalan“ und „Unsere Märtyrer sind nicht gestorben“ skandiert. Auch dort waren fast ausschließlich PKK-Unterstützer zugegen.
96 
- Am 13. Dezember 2011 wurde der Kläger erneut in der YÖP anlässlich eines Vereinskongresses in Stuttgart erwähnt. Er forderte dort die hier lebenden Kurden auf, stärker für ihre Identität einzutreten.
97 
Nach Verfügung der Ausweisung am 10. Januar 2012:
98 
- In der YÖP vom 14. Februar 2012 wurde er als Teilnehmer des 3. Kongresses der kurdischen Gemeinschaft Heilbronn e.V. abgebildet. Er führte dort in seiner Rede aus, dass die Kurden in der Türkei und in Europa unter Beschuss stünden, da ihnen die Existenz ihrer eigenen Kultur abgesprochen werde.
99 
- Aus dem Bericht des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden Württemberg vom 19. Dezember 2012 ergibt sich, dass der Kläger zwar das Amt des 2. Vorsitzenden der YEK-KOM seit Ende 2011 nicht mehr ausübt, er jedoch bereits im Mai 2012 erneut in den Vorstand der YEK-KOM gewählt wurde.
100 
- In dieser Funktion ist er ausweislich des weiteren Berichts des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg vom 17. Oktober 2013 beispielsweise als Versammlungsleiter des 20. kurdischen Kulturfestivals am 8. September 2012 in Mannheim in Erscheinung getreten. Bei dieser Veranstaltung kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen Polizeibeamte.
101 
- Er ergriff am 16. Januar 2013 in Mannheim im Rahmen einer Solidaritätsdemonstration für die drei in Paris ermordeten PKK-Aktivistinnen das Wort und verurteilte das Attentat scharf. Er vertrat die Meinung, dass die Morde nicht nur in den Personen der Aktivistinnen angesiedelt seien, sondern auch auf politische Überlegungen zurückzuführen seien, die einen Fortbestand der kriegerischen Auseinandersetzungen der Heimat zum Ziel hätten. Die Geheimdienste stünden hinter diesem Anschlag. Der französische Staat könne diesen problemlos aufklären, wenn er dies nur wolle. Folglich müssten die Kurden einen legitimen demokratischen Druck auf den französischen Staat ausüben. Der Kläger rief zu Sitzstreiks in allen Städten mit französischen Botschaften und ähnlichen Einrichtungen auf, bis eine Aufklärung des Attentats erfolgt sei.
102 
- Am 21. Mai 2013 war der Kläger im Namen der YEK-KOM bei den Vorstandswahlen der kurdischen Gemeinschaft Heilbronn e.V. anwesend.
103 
- Am 8. September 2013 fungierte der Kläger als Versammlungsleiter bei einer Mitgliederversammlung mit Vorstandswahl des PKK-nahen mesopotamischen Anadolu Kulturvereins e.V. (MAK). Zur PKK-Nähe des MAK Lahr sei auf den Bericht des Landesamtes vom 9. März 2010 an das Innenministerium zu verweisen.
104 
- Am 29. April 2014 war der Kläger in der YÖP als Teilnehmer des Gründungskongresses des kurdischen-demokratischen Gesellschaftszentrums am 27. April 2014 in den Räumlichkeiten des PKK-nahen kurdischen Kulturvereins e.V. in ... abgebildet.
105 
- Am 10. Oktober 2015 hielt der Kläger anlässlich einer Protestaktion in Frankfurt im Namen der NAV-DEM eine Rede.
106 
Nach „Auflösung“ der YEK-KOM am 22. Juni 2014 ließ sich der Kläger am selben Tag in gleicher Sitzung, zusammen mit einem weiteren Vorstandsmitglied der YEK-KOM, in den fünfköpfigen Vorstand der NAV-DEM wählen. Diese Vorstandstätigkeit übt er bis heute aus, und er ist in dieser Funktion seitdem auch als Redner und Versammlungsleiter auf zahlreichen Veranstaltungen aufgetreten, die erkennbar der Propaganda für die PKK dienten. Der Kläger engagiert sich damit seit langem ohne Zäsur in herausgehobener Position unterstützend für die PKK.
107 
Daran, dass die YEK-KOM die PKK unterstützt hat, bestehen weiterhin keine vernünftigen Zweifel. Hierzu hat der Senat schon in seinem Urteil vom 7. Dezember 2011 - 11 S 897/11 -, juris Rn. 47, das vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 -, InfAuslR 2013, 418, bestätigt wurde, ausgeführt:
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„Für eine PKK-Nähe des Vereins spricht schon der Umstand, dass dieser Mitglied bei der YEK-KOM, der „Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V.“ war. Dies lässt sich dem vom Kläger im Asylverfahren vorgelegten Protokoll über die Mitgliederversammlung vom 25.01.1997 entnehmen, in welcher die Vereinsmitglieder - nach Darstellung der Arbeit und der Bedeutung der YEK-KOM - für eine Mitgliedschaft des Vereins in dieser Dachorganisation gestimmt haben. Die YEK-KOM, deren Sitz in Düsseldorf ist und der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK durch eine Vielzahl von Aktionen. Dies wird in der überzeugenden „Einschätzung“ des Landesamts für Verfassungsschutz vom 17.06.2010 im Einzelnen ausführlich dargelegt. Die YEK-KOM sei ihrerseits Mitglied der „Konföderation der Kurdischen Vereine in Europa“ (KON-KURD). Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen bzw. ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie „Freiheit für Öcalan“ und „Frieden für Kurdistan“. In einer zusammenfassenden Bewertung heißt es, im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die „logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans“ verankert. Die von der YEK-KOM sowohl in ihren Publikationen als auch bei ihren Veranstaltungen und Aktionen aufgegriffenen Themen lägen im Interessenbereich der PKK. Zu nennen seien insbesondere die Aufhebung des PKK-Verbots und die Freilassung Abdullah Öcalans. Der Verein biete der PKK bzw. ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Zusammenfassend lasse sich daher sagen, dass eine eindeutige Nähe des Vereins YEK-KOM zur PKK bzw. zu ihren Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL vorliege.“
109 
Für die NAV-DEM gilt insoweit nicht anderes. Soweit der Kläger unter Verweis auf schriftliche Erklärungen der NAV-DEM meint, dass diese eine andere Ausrichtung als die YEK-KOM habe, nämlich den Kampf gegen den IS, die Förderung der Integration der in Deutschland lebenden Kurden und die Gleichstellung und die Gleichberechtigung der Frauen, überzeugt dies den Senat nicht. Das Verwaltungsgericht hat schon zu Recht auf die fehlende tatsächliche Veränderung der Aktivitäten des Vereins abgestellt, der zudem nicht neu gegründet, sondern nur umbenannt wurde. Es verweist zutreffend auf die Pressemitteilung des Vereins vom 18. Juli 2014, aus der sich ergibt, dass die NAV-DEM selbst nach eigenem Verständnis die Arbeit der YEK-KOM fortführt. Die vom Senat eingesehene Internetpräsenz (navdem.com) bestätigt dies, die Überschrift der Pressemitteilung vom 18. Juli 2014 lautet:
110 
„YEK-COM heißt jetzt NAV-DEM“
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Die weiteren dort aufgeführten Pressemitteilungen verdeutlichen im Übrigen die Fortführung der Veranstaltungen und Kundgebungen mit gleichem Ablauf und gleichen Themen wie zuvor schon unter dem Namen YEK-KOM:
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- Eintrag vom 7. September 2014, Interview mit Yüksel Koc „Das Verbot kriminalisiert die Kurden“, anlässlich einer Festnahme eines Mannes durch die Generalbundesanwaltschaft, der Geld für die PKK gesammelt haben soll, was, nach Koc, eine Kriminalisierung politischer Arbeit bedeute, da dieser selbst keine Gewalt ausgeübt habe.
113 
- Eintrag zur Kundgebung am 13. September 2014 in Düsseldorf unter dem Motto „Freiheit für Öcalan - Status für die Kurden“.
114 
- Eintrag vom 6. März 2015: Aufruf zur Newroz-Demonstration am 21. März 2015 in Bonn.
115 
Der Beklagte hat zudem unwidersprochen und zutreffend darauf hingewiesen, dass NAV-DEM und YEK-KOM identische Logos auf ihren Internetpräsenzen verwenden und der Vorsitzende der NAV-DEM im März 2014 erklärt habe, man könne die deutsche Demokratie nicht akzeptieren. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz geht in seiner Broschüre zur „Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)“ vom Juli 2015, dort S. 18, davon aus, dass die NAV-DEM in Nachfolge der YEK-KOM wie diese auch als Dachverband von örtlichen Vereinen diene, in denen die PKK Informationen steuere und Vorgaben umsetze und dass sich die NAV-DEM durch eine aktive Öffentlichkeits- und Kampagnenarbeit sowie den Aufbau von Kontakten zu politischen Entscheidungsträgern bemühe, weitere Unterstützung für deren Anliegen zu erhalten. Diese Einschätzung teilt der Senat aufgrund der dargestellten tatsächlichen Umstände und sieht sich dabei auch die Aktivitäten des Klägers selbst bestätigt.
116 
Soweit der Kläger meint, dass es dem Verwaltungsgericht an ausreichender Sachkunde gefehlt habe, um eine Änderung des Aufgabenspektrums zu verneinen, erschöpft sich dies in einer schlichten Behauptung, die auf nichts gestützt wird. Sämtliche vom Verwaltungsgericht und dem Beklagten ausführlich dargelegten tatsächlichen Aktivitäten der YEK-KOM und nachfolgend der NAV-DEM sowie der Redner und Teilnehmer an deren Veranstaltungen lässt der Kläger gänzlich unkommentiert, obwohl es ihm als 2. Vorstandsmitglied der NAV-DEM ein Leichtes sein müsste, Tatsächliches zum Verein vorzubringen, das die Wertungen des Verwaltungsgerichts und des Beklagten diesbezüglich erschüttern würde. Es spricht hier daher auch nach Überzeugung des Senats nichts dafür, dass sich an der Ausrichtung oder dem Aktivitätenspektrum etwas geändert haben könnte, zumal es seitens des Vereins zu keinem Zeitpunkt zu eine Distanzierung von der PKK oder auch nur der YEK-KOM gekommen ist.
117 
Dem Beweisantrag des Klägers war vor diesem Hintergrund nicht nachzugehen, zumal etwaige weitere Vereinsziele, die unter Beweis gestellt worden sind, die dargelegten Aktivitäten und Zielrichtungen nicht neutralisieren. Überdies konnte der Kläger nicht dartun, weshalb der von ihm benannte Sachverständige hinreichende Sachkunde haben könnte. Dies hätte ihm oblegen, weil der auf die Bestrebungen und Ziele der NAV-DEM gerichtete Beweisantrag die Benennung eines Sachverständigen erforderte, der über eine spezielle Sachkunde, nämlich über interne Kenntnisse über die NAV-DEM, verfügt, die nicht von jedem Sachverständigen gleichermaßen reproduzierbar ist (vgl. Krehl, in: Karlsruher Kommentar StPO, 7. Aufl., 2013, § 244 StPO, Rn. 80).
118 
Bereits aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied sind dem Kläger sämtliche Aktionen der YEK-KOM und der NAV-DEM zuzurechnen (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, juris, Rn. 50, m. w. N.). Soweit der Kläger dies bezweifelt, ist dies nicht nachvollziehbar, da er selbst darauf hinweist, dass die von ihm insoweit in Bezug genommene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union darauf abstellt, dass bei einer hervorgehobenen Position eine individuelle Verantwortlichkeit unter Prüfung sämtlicher erheblicher Umstände vermutet werden könne. Unbeschadet dessen bestehen für den Senat aber auch keine vernünftigen Zweifel daran, dass die vom Kläger entfalteten Aktivitäten von diesem in dem Bewusstsein und mit dem Willen erfolgt sind und erfolgen, die PKK aktiv und vorbehaltlos zu unterstützen. Das wird deutlich, wenn man das Verhalten des Klägers seit 2004 und auch nach Juli 2010 in der gebotenen Gesamtschau in den Blick nimmt, wie es der Beklagte - vom Kläger unwidersprochen - geschildert hat. Der Aspekt des Vertrauensschutzes gebietet es nicht, bei der Würdigung des Verhaltens des Klägers dessen früheres Verhaltes insgesamt auszublenden. Ein schützenswertes Vertrauen besteht nur insoweit, als die zuvor entfalteten Aktivitäten für sich genommen keine Ausweisung mehr rechtfertigen können. Bei der notwendigen Bewertung neuer, nachfolgender Aktivitäten kann weiterhin auf das gesamte Verhalten des Ausländers zurückgegriffen werden (Discher, a.a.O., Rn. 391; BVerfG, Beschluss vom 19.08.1983 - 2 BvR 1284/83 -, NVwZ 1983, 667; OVG Bln.-Bbg., Beschluss vom 24.10.2013 - OVG 3 N 169.12 -, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.05.2012 - 11 S 2328/11 -, juris).
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Nach wie vor engagiert sich der Kläger unbeschadet des Ausweisungsverfahrens im Rahmen des Vereins als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter und Redner an Veranstaltungen, die angesichts deren Ablaufs, der dort gehaltenen Reden und der klaren Ausrichtung auf den Führerkult um Öcalan und gefallene Märtyrer auch für den Senat keinen Zweifel aufkommen lassen, dass der Kläger sich, wie auch die NAV-DEM, den Zielen der PKK verpflichtet fühlt, diese mit ihrem Tun unterstützen will und dabei deren Mittel umfassend zumindest billigt, insbesondere auch deren spezifisch als terroristisch zu qualifizierendes Handeln. Seine Teilnahme an Veranstaltungen, wie der am 5. Dezember 2010 an einer PKK-Gründungsfeier in Lampertheim, bei der eine KCK-Fahne und ein Öcalan-Porträt angebracht waren und in der ein in Guerillauniform auftretender Redner die eigene Partei als wichtige und modern ausgerichtete Organisation lobte, die den kurdischen Freiheitskampf auf die internationale Bühne gebracht habe und in der ausgeführt wurde, dass man dies dem großen Führer „Apo“ (gemeint ist Öcalan) und den Parteimärtyrern zu verdanken habe und man die Kämpfer an der Front nicht vergessen dürfe, die man von hier aus grüße, verdeutlichen dies in aller Klarheit. Für seine Teilnahme an einer Gedenkfeier zum 33. Parteigründungs-Jahrestag in Heilbronn am 2. Dezember 2011, bei der zur Unterstützung der PKK aufgefordert und Parolen wie „Es lebe Öcalan“ und „Unsere Märtyrer sind nicht gestorben“ skandiert wurden, gilt nichts anderes. Soweit man aus den weiteren dargestellten Aktivitäten des Klägers ableiten wollte, dass dieser sich nach Erlass der Ausweisungsverfügung gemäßigter verhält, ist dies nach Überzeugung des Senats mit Blick auf das laufende Verfahren taktisch motiviert und lässt nicht den Schluss zu, dass der Kläger, der weiterhin eine führende Rolle in der NAV-DEM spielt, von seinem bisherigen Verhalten glaubhaft Abstand nimmt (§ 54 Abs. 1 Nr. 2 2. Halbsatz AufenthG). Sein beredtes Schweigen zu sämtlichen vom Beklagten zusammengetragenen Tatsachen macht dies deutlich.
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Das gegenteilige Bild, das der Kläger von seiner Motivation und Haltung zeichnet, ohne hierfür nachvollziehbare Fakten zu benennen, steht daher in offenem Widerspruch zu seinem tatsächlichen Verhalten. Im Übrigen erschöpft sich sein Vortrag hierzu in dem Versuch einer Umdeutung seines Verhaltens, die schon im Ansatz nicht überzeugt. Es ist das eine, um Verstorbene zu trauern oder ihrer zu gedenken, aber etwas gänzlich anderes, Veranstaltungen als Redner oder in Vereinsfunktion zu gestalten oder vorbehaltlos an solchen teilzunehmen, die etwa von in Guerillauniform auftretenden Rednern geprägt werden und in denen der Kampf der PKK in der Türkei glorifiziert wird. Erkennbar geht es auf den vom Kläger mitgestalteten und besuchten Veranstaltungen nicht einfach um die legitime Kundgabe von Meinungen, sondern immer auch um die gezielte moralische, finanzielle und personelle Unterstützung des für legitim gehaltenen und auch terroristische Mittel einsetzenden Kampfes der PKK. Dass damit die PKK auch in der Wahl ihrer Mittel vorbehaltlos unterstützt wird, kann dem Kläger nicht entgangen sein, nachdem dort Auftritte in Guerillauniform stattfinden, den „Märtyrern“ gedacht wird und den Kämpfern an der Front Grußbotschaften gesandt werden. Es greift daher auch viel zu kurz, wenn der Kläger meint, dass es hier um einen ungerechtfertigten Eingriff in sein Recht auf freie Meinungsäußerung gehe. Soweit er daher darauf abstellen will, dass der Sinn von Äußerungen einen deutlich erkennbaren Bezug zur Förderung der PKK aufweisen müsse, mag man dem zustimmen, ein solcher Bezug wird hier aber entgegen der Auffassung des Klägers auch in seinem Handeln deutlich.
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Liegt ein Unterstützen im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG - wie hier - vor, ist von einer Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung bzw. der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen, es sei denn der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand, wie die gesetzliche Legaldefinition deutlich macht („…Hiervon ist auszugehen…“). Insoweit hebt sich die Regelung von den übrigen Ausweisungsinteressen ab, bei denen die Gefahr in jedem Einzelfall aus dem - dem jeweiligen Ausweisungsinteresse zugrunde liegenden - Verhalten des Ausländers konkret abzuleiten ist und unterscheidet sich auch von der Vorgängervorschrift des § 54 Nr. 5 AufenthG a. F. Die gesetzliche Legaldefinition bzw. widerlegbare Vermutung (so: Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 54 AufenthG, zu Abs. 1 Nr. 2, Stand: 16.01.2016, Rn. 45 ff.) der Gefahr begegnet nach Auffassung des Senats in diesem Kontext keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die schon dargestellten spezifischen Gefahren des Terrorismus, zu deren Bekämpfung sich die internationale Staatengemeinschaft und dabei auch die Bundesrepublik in Bezug auf internationale, grenzüberschreitende Gefahren, völkerrechtlich verpflichtet hat (UN-Sicherheits-resolution 1373 (2001) vom 28.09.2001; Kießling, Die Abwehr terroristischer und extremistischer Gefahren durch Ausweisung, 2012, S. 188 f.), rechtfertigen diese gesetzliche Festlegung, auch soweit davon terroristische Vereinigungen erfasst werden, die in der Bundesrepublik selbst keine terroristischen Gewalttaten verüben. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass terroristische Vereinigungen nur allzu schnell ihren Kampf über Ländergrenzen hinweg führen. Ob und gegebenenfalls in welcher Weise von dieser gesetzlichen Festlegung einer Gefahr in besonderen Fallkonstellationen abgewichen werden kann oder ob insoweit allein auf den Gesichtspunkt des erkennbaren und glaubhaften Abstandnehmens abzustellen ist, bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung, da das konsequent fortgesetzte Handeln des Klägers die gesetzliche Festlegung bestätigt.
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2. Die Ausweisungsverfügung genügt davon ausgehend auch § 53 Abs. 3 AufenthG, der bestimmt, dass ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießt, der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II, S. 559) besitzt, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU besitzt, nur ausgewiesen werden darf, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.
123 
Mit dieser Vorschrift will der Gesetzgeber nach der Gesetzesbegründung unionsrechtlichen Vorgaben für besonders privilegierte Personengruppen Rechnung tragen (BT-Drs. 18/4097, S. 50). Soweit die Vorgaben in ihrer Reichweite vor dem Hintergrund der jeweils betroffenen Personengruppe autonom unionsrechtlich und insbesondere bereichsspezifisch eigenständig auszulegen sind, wovon nach dieser Gesetzesbegründung auszugehen ist (Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 53 AufenthG, Abs. 3, Stand: 18.01.2016, Rn. 27, geht von der Notwendigkeit einer ergänzenden Heranziehung zu den angehobenen gesetzlichen Voraussetzungen einer Ausweisung aus), kann daher aus der Formulierung des Ausweisungsmaßstabs in § 53 Abs. 3 AufenthG nicht abgeleitet werden, dass der Gesetzgeber, losgelöst von den jeweiligen unionsrechtlichen Maßstäben, einen eigenen nationalen und völlig identischen Maßstab festlegen wollte, der für sämtliche der Norm unterfallenden Personengruppen Geltung beansprucht. Daher soll auch nationalrechtlich kein höheres Schutzniveau versprochen werden, als dieses unionsrechtlich geboten ist. Das wäre mit Blick auf die verschiedenen Geltungsgründe und die Heterogenität der erfassten Personengruppen sowie der sich daraus ergebenden unterschiedlichen Schutzrichtungen und -niveaus auch nicht begründbar, zumal ein einheitlicher unionsrechtlicher Ausweisungsmaßstab gerade nicht existiert (VGH Bad.-Württ., Vorlagebeschluss vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 -, juris, Rn. 154, m. w. N.; Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 11.09.2014 - C-373/13 -, juris, Rn. 88, m. w. N; a. A.: Welte, InfAuslR 2015, 426, der auf den unionsrechtlichen Maßstab des § 6 FreizügG/EU verweist). Festzuhalten ist allerdings, dass sämtlichen unionsrechtlich fundierten Ausweisungsmaßstäben gemeinsam ist, dass stets nur auf das persönliche Verhalten des Betroffenen und damit nur auf spezialpräventive Gründe abgestellt werden darf, aus denen sich eine gegenwärtige Gefahr ergeben muss (EuGH, Urteil vom 19.01.1999 - C-348/96 -, InfAuslR 1999, 165 und vom 08.12.2011 - C-371/08 -, InfAuslR 2012, 43; Neidhardt, a. a. O., Rn. 7 f.). Dem entsprechend kann eine an § 53 Abs. 3 AufenthG zu messende Ausweisung nur dann rechtmäßig sein, wenn sie ausschließlich spezialpräventiv motiviert ist.
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Davon ausgehend folgt für den Kläger ein besonderer unionsrechtlich fundierter Ausweisungsmaßstab zunächst nicht aus dem Assoziationsrecht. Das Verwaltungsgericht hat insoweit zu Recht darauf abgestellt, dass der Kläger weder Arbeitnehmer im Sinne des Art. 6 ARB 1/80 noch Familienangehöriger eines solchen Arbeitnehmers nach Art. 7 ARB 1/80 ist, nachdem er in der Vergangenheit nur sporadisch und jeweils nur in kurzen Zeiträumen abhängig beschäftigt gewesen war. Für seine Ehefrau gilt nichts anderes, so dass diese ihm ein solches Recht auch nicht vermitteln kann. Das wird vom Kläger auch nicht in Frage gestellt.
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Erhöhter Schutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG kommt dem Kläger aber als anerkannter Flüchtling zu. Für diese aufgrund ihres Verfolgungsschicksals gerade in Bezug auf aufenthaltsbeendende Maßnahmen besonders vulnerable Personengruppe sind Inhalt und Reichweite des Ausweisungsmaßstabs aus der einschlägigen Regelungen der Richtlinie 2004/83, neu gefasst durch Richtlinie 2011/95/EU (ABl. L 337 S. 9, nachfolgend: Qualifikationsrichtlinie), abzuleiten.
126 
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat auf das Vorabentscheidungsersuchen des Senats hin (Beschluss vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 -, juris), betreffend die Unterstützung der PKK durch einen anerkannten Flüchtling, die entscheidungserheblichen Rechtsfragen mit Urteil vom 24. Juni 2015 (- C-373/13 -, juris) geklärt. Der Gerichtshof hat, davon ausgehend, dass Art. 21 der Qualifikationsrichtlinie engere Voraussetzungen statuiert als Art. 24 der Qualifikationsrichtlinie (a.a.O., Rn. 44, 71: Art. 21 als „ultima ratio“; so auch schon der Senat in seinem Vorlagebeschluss, a.a.O., Rn. 154; a. A.: BVerwG, Beschluss vom 08.10.2012 - 1 B 18.12 -, juris), klargestellt, dass die Qualifikationsrichtlinie dahin auszulegen ist, dass ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel entweder nach Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie widerrufen werden kann, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen, oder nach Art. 21 Abs. 3 der Qualifikationsrichtlinie, wenn Gründe für die Anwendung der in Art. 21 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie vorgesehenen Ausnahmen vom Grundsatz der Nichtzurückweisung vorliegen (a.a.O., Rn. 55).
127 
Da die Ausweisung des Klägers verfügt wurde, um dessen Niederlassungserlaubnis zum Erlöschen zu bringen und eine tatsächliche Aufenthaltsbeendigung mit Blick auf seinen Flüchtlingsstatus nicht beabsichtigt ist, ist vorliegend auch nur Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie maßstäblich. Dies zugrunde gelegt ist die Ausweisung als Widerruf im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie zu qualifizieren und am Maßstab dieser Vorschrift zu messen, die insoweit den Ausweisungsmaßstab des § 53 Abs. 3 AufenthG ausfüllt und konkretisiert. Es müssen daher „zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung“ im Sinne des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie vorliegen, um die Ausweisung zu rechtfertigen.
128 
Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang im Anschluss an die Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston (Schlussanträge vom 11.09.2014 - C-373/13 -, juris, Rn. 68) zunächst betont, dass für die dargelegte Auslegung des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie spreche, dass den Mitgliedstaaten mit dieser Regelung die Möglichkeit gegeben werden sollte, unter spezifischen Voraussetzungen die Freizügigkeit von Drittstaatsangehörigen im Schengen-Raum zu beschränken, um den Terrorismus zu bekämpfen und Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung einzudämmen (a. a. O, Rn. 52). Er definiert im weiteren (a.a.O., Rn. 78 ff.) unter Bezugnahme auf die Richtlinie 2004/38 „zwingende Gründe“ als Beeinträchtigungen, die einen besonders hohen Schweregrad aufweisen müssten und fasst unter die „öffentliche Sicherheit“ sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats und somit auch die Beeinträchtigung des Funktionierens der Einrichtungen des Staates und seiner wichtigen öffentlichen Dienste sowie das Überleben der Bevölkerung ebenso wie die Gefahr einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker oder eine Beeinträchtigung der militärischen Interessen (unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 23.11.2010 - C-145/09 -, InfAuslR 2011, 45). Der Begriff der „öffentlichen Ordnung“ sei dahin auszulegen dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstelle, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliege, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Mit Blick auf die die Richtlinie 2004/83 und deren 28. Erwägungsgrund gelte der Begriff der „öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ auch für Fälle, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehöre, die den internationalen Terrorismus unterstütze, oder er eine derartige Vereinigung unterstütze. Der Gerichtshof verweist darauf, dass die PKK in der Liste im Anhang dieses Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344, S. 93) aufgeführt sei und nach alledem die Unterstützung, die ein Flüchtling einer Organisation zuteil werden lasse, welche Handlungen begehe, die in den Anwendungsbereich des Gemeinsamen Standpunkts fallen, grundsätzlich einen Umstand darstelle, der belegen könne, dass die Voraussetzungen für die Anwendung der Ausnahmeregelung von Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie erfüllt seien. Die Aufnahme einer Organisation in die Liste sei daher ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie entweder eine terroristische Organisation sei oder in diesem Verdacht stehe. Ein solcher Umstand sei daher von der zuständigen Behörde notwendig zu berücksichtigen, wenn sie in einem ersten Schritt zu prüfen habe, ob die fragliche Organisation terroristische Handlungen begangen habe. Es sei somit von Fall zu Fall zu prüfen, ob die Handlungen der fraglichen Organisation die öffentliche Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie bedrohen könnten. Der Gerichtshof habe schon entschieden, dass terroristische Handlungen, die durch ihre Gewalt gegenüber Zivilbevölkerungen gekennzeichnet seien, auch wenn mit ihnen vorgeblich politische Ziele verfolgt würden, als schwere nichtpolitische Straftaten im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden müssten (unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 09.11.2010 - C-57/09 und C-101/09 -, NVwZ 2011, 285).
129 
In einem zweiten Schritt müssten die genauen tatsächlichen Umstände einer Würdigung unterzogen werden, um zu ermitteln, ob die Unterstützung der fraglichen Organisation durch eine Mitwirkung beim Sammeln von Geldern und eine regelmäßige Teilnahme an Veranstaltungen dieser Organisation in den Anwendungsbereich von Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie falle. Allein der Umstand, dass die betreffende Person diese Organisation unterstützt habe, könne nicht die automatische Aufhebung ihres Aufenthaltstitels gemäß dieser Vorschrift zur Folge haben. Denn zwischen dem Gemeinsamen Standpunkt 2001/931 und der Richtlinie 2004/83 bestehe hinsichtlich der verfolgten Ziele kein unmittelbarer Zusammenhang, und es sei nicht gerechtfertigt, dass die zuständige Stelle, wenn sie in Betracht ziehe, einem Flüchtling seinen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie zu entziehen, sich nur auf dessen Unterstützung einer Organisation stütze, die in einer Liste aufgeführt sei, die außerhalb des Rahmens erlassen wurde, den die Richtlinie in Übereinstimmung mit der Genfer Konvention geschaffen habe. Es bedürfe daher einer individuellen Würdigung der genauen tatsächlichen Umstände insbesondere dazu, welche Rolle der Betroffene im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt habe, ob dieser etwa selbst terroristische Handlungen begangen habe, ob und in welchem Maße er an der Planung, an Entscheidungen oder an der Anleitung anderer Personen zum Zweck der Begehung solcher Handlungen beteiligt gewesen sei und ob und in welchem Umfang er solche Handlungen finanziert oder anderen Personen die Mittel zu ihrer Begehung verschafft habe. Soweit dieser an legalen Versammlungen und an Veranstaltungen wie dem kurdischen Neujahrsfest teilgenommen und sich am Sammeln von Spenden für diese Organisation beteiligt habe, bedeute dies nicht notwendig, dass der Betroffene die Auffassung vertreten habe, terroristische Handlungen seien legitim. Erst recht seien derartige Handlungen als solche keine terroristischen Handlungen. In diesem Zusammenhang müsse auch der Schweregrad der Gefahr beurteilt werden, die von den Handlungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehe. Es sei insbesondere zu prüfen, ob dem Betroffenen eine individuelle Verantwortung bei der Durchführung von Aktionen der PKK zugerechnet werden könne. In Anbetracht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, den die zu ergreifende Maßnahme zu wahren habe, sei zu untersuchen, ob die Gefahr, die die betreffende Person gegebenenfalls in der Vergangenheit für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung der Bundesrepublik Deutschland dargestellt habe, noch immer bestehe. Mit Blick auf das Erfordernis zwingender Gründe müsse etwa, soweit ein Betroffener zu einer Geldstrafe und nicht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden sei, in Anbetracht dieses Umstands und gegebenenfalls der Art der von ihm begangenen Handlungen geprüft werden, ob eine Aufhebung des Aufenthaltstitels zu rechtfertigen sei.
130 
Dies zugrunde gelegt, genügt die Ausweisungsverfügung den Maßstäben des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie in Verbindung mit § 53 Abs. 3 AufenthG. Die Konkretisierung der Maßstäbe hat durch das erkennende nationale Gericht anhand des jeweiligen Falles und den diesen prägenden tatsächlichen Umstände entsprechend deren Gewicht zu erfolgen. Soweit der Gerichtshof in beispielhafter Form einzelne dem im Vorlageverfahren betroffenen Ausländer vorgehaltene Handlungen herausgreift und diese in eher abstrakter Form bewertet und gewichtet, ist dies dem abstrahierenden Charakter der Vorlagefragen in einem Vorabentscheidungsersuchen geschuldet und entbindet den Senat als Tatsachengericht nicht von seiner Verpflichtung, solche Umstände im konkreten Fall umfassend zu bewerten. Nichts anderes gilt, soweit Reichweite und Grenzen der dem Kläger zustehenden weiteren Rechte nach Kapitel VII der Qualifikationsrichtlinie durch die Ausweisung in Rede stehen.
131 
Danach bestehen für den Senat auch vor dem Maßstab des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie keine durchgreifenden Bedenken hinsichtlich der Einstufung der PKK als eine den Terrorismus jedenfalls unterstützende Vereinigung, deren Unterstützung durch die YEK-KOM bzw. NAV-DEM „zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung“ begründet. Daran anschließend sind die vom Kläger geleisteten Unterstützungshandlungen aufgrund dessen, dass diese von ihm in herausgehobener Funktion für YEK-KOM und NAV-DEM, auf zahlreichen Veranstaltungen seit über zwölf Jahren, unter Beteiligung von offen für die PKK werbenden und deren Kurs vorbehaltlos befürwortenden Akteuren (Auftreten in Guerillauniform, Märtyrergedenken, Grußbotschaften an die Kämpfer an der Front usw.) geleistet wurden und weiter geleistet werden, nicht anders zu bewerten, zumal der Kläger nach Überzeugung des Senats in vollem Bewusstsein um deren Bedeutung für den ideologischen Zusammenhalt der PKK und in dem Willen, diese vorbehaltlos auch in Bezug auf deren terroristische Aktivitäten zu unterstützen, gehandelt hat und weiterhin handelt. Diese Bewertung des eine Gefahr für die nationale Sicherheit und öffentliche Ordnung begründenden Verhaltens des Klägers ist vor diesem Hintergrund auch nicht deshalb zu relativieren, weil die NAV-DEM nicht verboten ist und der Kläger sich im Rahmen von ebenfalls nicht verbotenen Veranstaltungen betätigt hat. Weder entfällt deswegen das Gewicht seiner Unterstützungshandlungen für die PKK noch ergibt sich daraus, dass sich der Kläger über sein Tun im Unklaren gewesen wäre. Dass es gerade aus Gründen einer effektiven Gefahrenabwehr geboten sein kann, von einem Vereinsverbot abzusehen, wurde schon dargelegt. Da nach den Feststellungen des Senats das Verhalten des Klägers gefahrbegründend ist und er die tatbestandlichen Festlegungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bestätigt, kann der Senat offen lassen, ob jedenfalls im Kontext des § 53 Abs. 3 AufenthG i. V. m. Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie hier ausnahmsweise und ungeachtet der Fallkonstellation des endgültigen und glaubhaften Abstandnehmens gewissermaßen als „Zwischenstufe“ eine konkrete Widerlegungsmöglichkeit der gesetzlichen Gefahrenannahme zugelassen werden muss.
132 
Soweit der Gerichtshof der Europäischen Union in seiner in Bezug genommen Entscheidung im weiteren auf das Fortbestehen des Flüchtlingsstatus hinweist, wenn ein Mitgliedstaat das Aufenthaltsrecht aufgrund des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie widerruft (a.a.O., Rn. 94 f.; so auch schon der Senat in seinem Urteil vom 14.05.2014 - 11 S 2224/13 -, juris, Rn. 128 ff. m. w. N.) und er daraus ableitet, dass dieser sich bei deshalb weiterhin gestattetem Aufenthalt auch ungeschmälert (a.a.O., Rn. 96) auf die sozialen Vergünstigungen nach Kapitel VII der Qualifikationsrichtlinie berufen kann, steht dies in vorliegendem Fall der Ausweisung nicht entgegen.
133 
Kapitel VII der Richtlinie gewährleistet jedem Flüchtling Schutz vor Zurückweisung, das Recht auf Information, Wahrung des Familienverbands, Ausstellung von Reisedokumenten, Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung, zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie Zugang zu Integrationsmaßnahmen. Einschränkungen dieser Rechte sind bei einem anerkannten Flüchtling nur nach Maßgabe dieses Kapitels der Qualifikationsrichtlinie zulässig (a.a.O., Rn. 97).
134 
Die die Ausweisung tragenden „zwingenden Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung“ stellen, soweit sie diese Rechte nach Kapitel VII berühren, zulässige Beschränkungen im Sinne der Richtlinie dar.
135 
Wird mit der Ausweisung das Erlöschen der Niederlassungserlaubnis (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) bezweckt und ist zugleich eine tatsächliche Aufenthaltsbeendigung nicht beabsichtigt, wovon hier mit Blick auf den Flüchtlingsstatus des Klägers auszugehen ist, werden der Schutz vor Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie, das Informationsrecht aus Art. 22 der Qualifikationsrichtlinie sowie der Anspruch auf Wahrung des Familienverbandes nach Art. 23 der Qualifikationsrichtlinie schon nicht tangiert. Dafür, dass vorliegend das Recht auf Bildung nach Art. 27der Qualifikationsrichtlinie, der Zugang zu Wohnraum nach Art. 32 der Qualifikationsrichtlinie oder zu Integrationsmaßnahmen nach Art. 34 der Qualifikationsrichtlinie betroffen sein könnte, ist gleichfalls nichts ersichtlich.
136 
Soweit durch den Duldungsstatus des Klägers dessen Recht auf Aufnahme einer (selbstständigen oder unselbstständigen) Erwerbstätigkeit nach Art. 26 der Qualifikationsrichtlinie zunächst kraft Gesetzes mit einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt belegt ist, ist dieser für sich genommen unbedenklich, zumal sich aus § 4 Abs. 3 Satz 3 AufenthG ergibt, dass dieser nicht gilt, wenn dem Ausländer auf Grund einer zwischenstaatlichen Vereinbarung, eines Gesetzes oder einer Rechtsverordnung die Erwerbstätigkeit gestattet ist, ohne dass er hierzu durch einen Aufenthaltstitel berechtigt sein muss. So liegt der Fall hier, da diese Vorschrift mit Blick auf den vorrangigen Art. 26 der Qualifikationsrichtlinie auszulegen ist. Unbeschadet dessen ist für den Senat im konkreten Fall aber auch nicht ersichtlich, dass der Kläger durch Einschränkungen seiner rechtlichen Möglichkeiten, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, in tatsächlicher Hinsicht unzumutbar belastet wäre, nachdem er trotz seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland nur für jeweils kurze und länger zurückliegende Zeiträume überhaupt einer solchen nachgegangen ist.
137 
Aufgrund der Ausweisung greifen im konkreten Fall jedoch die angeordneten Maßnahmen nach § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG (Meldepflichten, Aufenthaltsbeschränkung auf den Stadtbezirk...). Diese dienen unmittelbar der Abwehr bzw. Eindämmung der von Kläger ausgehenden Gefahren und schränken insoweit das Recht des Betroffenen auf ein Reisedokument nach Art. 25 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie sowie das Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Bundesrepublik nach Art. 33 der Qualifikationsrichtlinie in sachangemessener Weise ein. Art. 25 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie verpflichtet zur Erteilung eines Reisedokumentes auch für Reisen ins Ausland, es sei denn, Gründe der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung stehen dem entgegen. Art. 33 der Qualifikationsrichtlinie verlangt von den Mitgliedstaaten, dass Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, Bewegungsfreiheit in ihrem Hoheitsgebiet zu gestatten „unter den gleichen Bedingungen und Einschränkungen wie für andere Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten“. Nachdem im persönlichen Verhalten des Klägers „zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung“ im Sinne des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie gegeben sind, liegt ein Versagungsgrund im Sinne des Art. 25 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie vor, da die Einschränkung seiner Reisemöglichkeiten gerade dazu dient, sein die PKK unterstützendes Verhalten zumindest deutlich zu erschweren. Daraus rechtfertigt sich auch die Einschränkung seiner Freizügigkeit innerhalb des Bundesgebietes nach Art. 33 der Qualifikationsrichtlinie. Das hat der Senat schon unter Zugrundelegung der Vergleichsgruppe von Drittstaatsangehörigen, die sich nach nationalem Recht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, festgestellt (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 14.05.2014 - 11 S 2224/13 -, juris, Rn. 128 ff., m. w. N.).
138 
Da der Gerichtshof eine Ausweisung unter Berücksichtigung des Maßstabs des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie auch dann für zulässig erachtet, wenn dadurch der Aufenthalt zwar rein tatsächlich nicht beendet werden soll, es aber dennoch notwendig erscheint, zumindest die Freizügigkeit von Drittstaatsangehörigen zu beschränken, um den Terrorismus zu bekämpfen und Gefahren für die öffentlichen Sicherheit und Ordnung einzudämmen (a.a.O., Rn. 52), ist es nach Auffassung des Senats aus systematischen Gründen und zur Effektivierung des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie angezeigt, dessen Wertungen auch insoweit zu berücksichtigen, als Reichweite und Grenzen der weiteren in Kapitel VII aufgeführten Rechte in entscheidungserheblicher Weise in Rede stehen. Denn eine Ausweisung, deren Folge sich im Erlöschen des Titels erschöpfen würde, ohne daran anknüpfend verhaltenssteuernde Wirkungen zu entfalten, die geeignet und erforderlich sind, die Gefahr wirksam einzudämmen, wäre letztlich wegen Zweckverfehlung unverhältnismäßig. Dies würde Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie, in Fällen wie dem vorliegenden, die praktische Wirksamkeit nehmen und damit dessen Bedeutung, wie er auch in den Erwägungsgründen 31 und 37 der Richtlinie zum Ausdruck kommt, verfehlen.
139 
Nach all ist es für den Senat auch folgerichtig, auf den Fall des Klägers nicht Art. 29 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie, sondern dessen Absatz 2 entsprechend anzuwenden, nachdem die Mitgliedstaaten abweichend von Absatz 1 die Sozialhilfe für Personen, denen (nur) der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, auf Kernleistungen beschränken kann. Dies gilt hier umso mehr, als es der Kläger im Gegensatz zu subsidiär Schutzberechtigten selbst in der Hand hat, durch eine Abkehr von seinen den Terrorismus unterstützenden Handlungen die Ursachen für diese Einschränkungen zu beseitigen und es gerade in der Logik des Duldungsstatus liegt, den Kläger zu einer dahingehenden Verhaltensänderung zu bewegen. Soweit sich demnach ergeben sollte, dass der Kläger aufgrund seines Duldungsstatus und mangels anderweitiger Regelungen, die ihm, etwa als Familienangehöriger aus abgeleitetem Recht, einen vollen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen nach dem SGB II verschaffen könnten, auf die Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes beschränkt ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG), steht dies nicht in Widerspruch zu Art. 29 der Qualifikationsrichtlinie. Für Leistungsbeschränkungen in Bezug auf die medizinische Versorgung (§ 4 AsylbLG) im Sinne des Art. 30 der Qualifikationsrichtlinie gilt nichts anderes.
140 
3. Dem dargestellten und nach gesetzlicher Wertung besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse steht ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber, da dieser eine Niederlassungserlaubnis besessen hat, die gerade durch die Ausweisungsverfügung betroffen ist, er mit deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und er sein Personensorgerecht für minderjährige ledige Deutsche ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG). Insoweit geht der Senat aufgrund der nicht weiter spezifizierten Angabe des Klägers, wonach sechs seiner sieben Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, davon aus, dass jedenfalls auch die noch in seinem Haushalt lebenden minderjährigen Kinder diese besitzen. § 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG tritt vorliegend hinter die insoweit speziellere Vorschrift des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG zurück (Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 55 AufenthG, zu Abs. 2 Nr. 5, Stand: 18.01.2016, Rn. 3: Auffangnorm).
141 
4. § 53 Abs. 1 AufenthG verlangt davon ausgehend ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende Abwägung des Interesses an der Ausreise mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände in wertender Gesamtbetrachtung einzubeziehen sind. Diese sind, nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat sowie die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner, wobei die in Absatz 2 aufgezählten Umstände weder abschließend zu verstehen sind, noch nur zu Gunsten des Ausländers ausfallen müssen. Zudem sind stets die grund- und konventionsrechtliche Stellung des Ausländers und seiner Familie und die sich daraus ergebenden Gewichtungen in den Blick zu nehmen. Umstände im Sinne des § 53 Abs. 2 AufenthG prägen den Einzelfall insoweit, als sie über die den vertypten Interessen zugrunde liegenden Wertungen hinausgehen oder diesen entgegenstehen. Insbesondere in an dieser Stelle der Frage nachzugehen, ob und in welchem Maße die konkreten Umstände des Einzelfalles von vertypten gesetzlichen Wertungen abweichen (Bsp.: § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG: Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren; § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG: 30-jähriger rechtmäßiger Aufenthalt). Sind im konkreten Fall keine Gründe - etwa auch solche rechtlicher Art - ersichtlich, die den gesetzlichen Wertungen der §§ 54, 55 AufenthG entgegenstehen, wird regelmäßig kein Anlass bestehen, diese Wertungen einzelfallbezogen zu korrigieren.
142 
Eine schematische und alleine den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkreten Gewicht, zuwiderlaufen würde, verbietet sich ebenso (BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -, NVwZ 2007, 946) wie eine „mathematische“ Abwägung im Sinne eines bloßen Abzählens von Umständen, die das Ausweisungsinteresse einerseits und das Bleibeinteresse andererseits begründen.
143 
Davon ausgehend erweist sich die Ausweisung des Klägers als verhältnismäßig, da hier das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers unter Berücksichtigung sämtlicher den Fall prägenden Umstände überwiegt.
144 
Vorliegend ist zunächst die dem Flüchtlingsstatus des Klägers geschuldete Besonderheit in Rechnung zu stellen, nach der im konkreten Fall eine tatsächliche Beendigung des Aufenthalts des Klägers wegen dessen Flüchtlingsstatus nicht beabsichtigt ist, obgleich gewichtige Gründe für eine Ausweisung bestehen. Daher ist Bezugspunkt für die Verhältnismäßigkeitsfrage auch nur die Ausweisung in der hier erfolgten Form mit ihrer Folge einer ggf. auch langfristigen Duldung des Klägers im Bundesgebiet und seiner Überwachung nach § 56 AufenthG sowie der schon dargestellten Einschränkungen der verschiedenen Folgerechte.
145 
Dem Ausweisungsinteresse, wie es sich im konkreten Fall darstellt, steht ein nach der gesetzlichen Wertungen des § 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG ebenfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse gegenüber. Hinzu treten auf Seiten des Klägers dessen Anspruch auf Achtung seiner familiären Bindungen nach Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 6 GG. Im weiteren ist sein mit über 17 Jahren über den in § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG verlangten mindestens fünfjährigen rechtmäßigen Inlandsaufenthalt hinausgehender rechtmäßiger Aufenthalt zu berücksichtigen. Das Gewicht dieser Umstände ist, soweit es nicht schon über § 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG erfasst wird, aus § 53 Abs. 2 AufenthG (über fünfjähriger rechtmäßiger Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet) und den grund- und konventionsrechtlichen Wertungen mit Blick auf die Folgen der Ausweisung auf diese Umstände zu ermitteln.
146 
Wegen der familiären Bindungen des Klägers im Bundesgebiet folgt aus Art. 6 GG zwar unmittelbar kein Aufenthaltsrecht, dieses Grundrecht gebietet aber die Berücksichtigung der in Art. 6 GG enthaltenen wertentscheidenden Grundsatznorm, nach der der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat (vgl. hierzu ausf.: Hoppe/Samel in: Rensen/Brink (Hrsg.) Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 2009, S. 137 ff.). Diese verpflichtet dazu, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, d. h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12.05.1987 - 2 BvR 1226/83, 101/84 313/84 -, NJW 1988, 626 und vom 18.04.1989 - 2 BvR 1169/84 -, NJW 1989, 2195; Beschluss vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, 682). Daraus kann sich die Unverhältnismäßigkeit einer Ausweisung ergeben, wenn ein gemeinsames Familienleben in Deutschland durch diese unmöglich gemacht würde und es den Familienmitgliedern nicht zumutbar wäre, die Familiengemeinschaft im Ausland herzustellen (BVerfG, Beschluss vom 18.04.1989 - 2 BvR 1169/84 -, NJW 1989, 2195). Für das Recht auf Achtung des Familienlebens aus Art. 8 Abs. 1 EMRK ergibt sich nichts anderes (zu den Kriterien vgl. insbesondere EGMR, Urteil vom 18.10.2006 - 46410/99 <Üner> -, NVwZ 2007, 1279; Urteil vom 02.08.2001 - 54273/00 -, InfAuslR 2001, 476 -; ausführlich Mayer, VerwArch 2010, 482 <530 ff.>, m. w. N.).
147 
Soweit sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG bei langjährigem rechtmäßigen Inlandsaufenthalt aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ergibt, dass die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, die Integration in die deutsche Gesellschaft, auch soweit sie keinen familiären Bezug hat, und das Fehlen tatsächlicher Bindungen an den Staat seiner Staatsangehörigkeit bei einer Ausweisung angemessen zu gewichten sind (BVerfG, Beschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007, 1300), ist ein Gleichlauf zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte festzustellen, der unter dem Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK das Netz an persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen fasst, die für das Privatleben eines jeden Menschen schlechthin konstitutiv sind (EGMR, Urteil vom 09.10.2003 - 48321/99 -, EuGRZ 2006, 560). Diesen Beziehungen kommt bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zu (so BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -, NVwZ 2007, 946; Thym, EuGRZ 2006, 541 <544>; Hoppe, ZAR 2006, 125 <130>; Hofmann, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Art. 8 EMRK, Stand: 01.11.2015, Rn. 20 ff., m. w. N.; Beichel-Benedetti, in: Huber, AufenthG, 1. Aufl., 2010, Vorb §§ 53-56 AufenthG, Rn. 14 ff.). Daraus folgt auch für Ausweisungen von Ausländern, die über keine schützenswerten familiären Bindungen im Sinne von Art. 8 Abs. 1 EMRK bzw. Art. 6 GG verfügen, eine Verpflichtung zur einzelfallbezogenen Abwägung unter angemessener Berücksichtigung dieser das Recht auf Privatleben konstituierenden Bindungen. Fehlen Bindungen an den Herkunftsstaat kann sich daraus eine Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung - selbst bei langjährigen Freiheitsstrafen und zahlreichen Verurteilungen - ergeben (vgl. die Nachweise bei Mayer, a. a. O.).
148 
So liegt der Fall hier jedoch nicht. Denn die Ausweisung des Klägers führt nicht zur Beendigung seines tatsächlichen Aufenthalts in Deutschland. Vorliegend sind die tatsächlichen Bindungen des Klägers durch die Ausweisung allerdings dadurch betroffen, dass ihn die Überwachungsmaßnahmen nach § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG in seiner Bewegungsfreiheit beschränken. Soweit ihm diese seine Möglichkeiten zur Fortführung gerade der streitgegenständlichen Aktivitäten erschweren, ist dadurch, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ein rechtlich anerkennenswertes Interesse des Klägers schon nicht berührt. Die Einschränkungen seiner Rechte aus Art. 29 und 30 der Qualifikationsrichtlinie (Sozialhilfe und medizinische Versorgung) sind objektiv betrachtet geeignet und erforderlich, um den Kläger zu einer Verhaltensänderung zu bewegen. Die für ihn eintretenden Einschränkungen seiner Bewegungsmöglichkeiten sind aus den schon dargelegten Gründen erforderlich und auch zumutbar. Die für seine Familienmitglieder mit den Einschränkungen der Bewegungsmöglichkeiten des Klägers und seiner genannten Rechte verbundenen Folgen sind allenfalls mittelbarer Art und als solche auch verhältnismäßig, zumal sie - als mildere Mittel zur tatsächlichen Beendigung des Aufenthalts - einzig dem Umstand geschuldet sind, dass der Beklagte gerade auf den Flüchtlingsstatus des Klägers Rücksicht nimmt, obwohl dieser Gründe setzt, die gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen zum Schutz hochrangiger Rechtsgüter erforderlich machen (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 -, juris, Rn. 24). Darüber hinaus sind weitere schützens- und nennenswerte Bindungen des Klägers in die hiesige Gesellschaft, die durch die Ausweisung in unzumutbarer Weise beschränkt würden, trotz des langjährigen rechtmäßigen Aufenthalts weder vorgetragen worden noch ersichtlich. Der Kläger spricht kaum Deutsch, er war nur sporadisch und für kürzere Zeiträume überhaupt erwerbstätig und ist seit längerem von Sozialleistungen abhängig. Diese Umstände relativieren das Gewicht seines langjährigen rechtmäßigen Aufenthalts jedenfalls im Rahmen der Abwägung entscheidend. Schließlich ist noch zu berücksichtigen, dass es der Kläger in der Hand hat, durch eine glaubhafte Abkehr von seinem bisherigen Verhalten eine Aufhebung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu erreichen. Aus all dem ergibt sich bei wertender Betrachtung der widerstreitenden Interessen im konkreten Fall ein Überwiegen des Ausweisungsinteresses.
149 
5. Soweit sich, ungeachtet der Rechtsstellung des Klägers, aus den Stand-Still-Klauseln des Art. 7 ARB 2/76, des Art. 13 ARB 1/80 bzw. des Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen EWG/Türkei (ZP) ein Verbot ergibt, ohne zwingende Gründe neue Beschränkungen für sich ordnungsgemäß (vgl. EuGH, Urteil vom 07.11.2013 - C-225/12 -, InfAuslR 2014, 1) im Inland aufhaltende türkische Staatsangehörige einzuführen, die deren Möglichkeiten zur Aufnahme einer (abhängigen oder selbstständigen) Beschäftigung im Verhältnis zur Rechtslage bei Inkrafttreten dieser Regelungen stärker begrenzen würden (vgl. etwa: EuGH, Urteile vom 10.07.2014 - C-138/13 -, NVwZ 2014, 1081 und vom 17.09.2009 - C-242/06 -, InfAuslR 2009, 413), führt dies nicht dazu, dass die §§ 53 ff. AufenthG in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung außer Anwendung zu bleiben hätten.
150 
Mit der Neukonzeption des Ausweisungsrechts im Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl. I, S. 1386) will der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung der Entwicklung Rechnung tragen, „wonach das bisherige dreistufige Ausweisungsrecht durch die höchstrichterliche Rechtsprechung ohnehin mehr und mehr zu einer Ermessensausweisung mit umfassender Abwägung aller Umstände des Einzelfalls zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit modifiziert worden ist.“ (BT-Drs. 18/4097). Die Änderungen des Ausweisungsrechts dienen danach der Anpassung an die Entwicklung dieser Rechtsprechung und sie sollen Rechtsunsicherheiten im Ausweisungsrecht beseitigen und die Arbeit der Ausländerbehörden erleichtern. Aus dem mit der Neuregelung einhergehenden Systemwechsel, weg von einer Ausweisung im Ermessenswege, hin zu einer zwar gebundenen, dafür aber anhand des Maßstabes der Verhältnismäßigkeit zu messenden, folgt daher bei der gebotenen Gesamtbetrachtung keine neue Beschränkung in Sinne der Stand-Still-Klauseln.
151 
Im Vergleich zu den Ausweisungsregelungen der Ausländergesetze seit 1965 und dem Aufenthaltsgesetz a. F. lässt sich feststellen, dass das neue Ausweisungsrecht sich weitgehend von einer in Bezug auf die Interessen des Ausländers auf bloßen Verwaltungsvorgaben beruhenden Ermessensentscheidung des Ausländergesetzes 1965 (vgl. Kanein, Ausländerrecht, 4. Aufl., 1988, § 10 AuslG) ebenso gelöst hat, wie von schematisierenden und insoweit bindenden gesetzlichen Vorgaben des Ausländergesetzes 1990 und des Aufenthaltsgesetzes a. F., die einer umfassenden Abwägung der konkreten Umstände des Einzelfalls entsprechend deren Gewicht entgegenstehen konnten. Schematisierungen dieser Art und Wirkung waren auch der Anlass für die Gerichte, das bisherige Recht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit, teilweise entgegen seinem Wortlaut, auszulegen und anzuwenden (vgl. Mayer, VerwArch 2010, 482 <483 ff.>, m . w. N.; Beichel-Benedetti, in: Huber, AufenthG, 1. Aufl. 2010, Vorb §§ 53-56 AufenthG, Rn. 19 ff.). Während eine Ausweisung im Ermessenswege gerichtlich bislang nur eingeschränkt überprüfbar war (§ 114 Satz 1 VwGO), stellt das neue Recht eine vollumfassende gerichtliche Überprüfung sicher. Das durch die neuen Regelungen aufgestellte Prüfprogramm garantiert, wie die bisherigen Ausführungen deutlich machen, eine umfassende Berücksichtigung der den Fall prägenden Umstände. Der Verlust der Ermessensebene wird durch die nunmehr umfassende gerichtliche Kontrollpflicht in Bezug auf die Frage der Verhältnismäßigkeit aufgewogen (so auch: Neidhardt, a. a. O., Rn. 31; a. A.: Cziersky-Reis, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl., 2016, § 53 AufenthG, Rn. 42, der davon ausgeht, dass eine Ausweisung nach Ermessen immer günstiger für den Betroffenen sei als eine gebundene nach § 53 Abs. 1 AufenthG n. F.). Es wäre daher verfehlt, für die Frage einer neuen Beschränkung isoliert darauf abzustellen, dass es sich nunmehr bei der Ausweisungsentscheidung um eine gebundene handelt. Weder Unions- noch Assoziationsrecht gebieten eine Ermessensentscheidung, sondern (nur) eine offene Güter- und Interessenabwägung (vgl. BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 -, InfAuslR 2010, 3; vgl. zum Erfordernis einer wertenden Gesamtbetrachtung: BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, InfAuslR 2012, 397; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -, NVwZ-RR 2012, 492).
152 
Soweit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr, wie ebenfalls schon dargelegt, die Gefahr gesetzlich aus der Erfüllung des Tatbestandes ableitet, führt auch dies jedenfalls im konkreten Fall zu keiner Verschlechterung der Rechtsstellung des Klägers, nachdem dessen tatsächliches Verhalten die gesetzliche Festlegung gerade bestätigt.
153 
Dass mit § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG im Falle einer Ausweisung die kraft Gesetzes geltenden Überwachungsmaßnahmen - in Abweichung zur früheren Rechtslage - nicht mehr die sofortige Vollziehbarkeit der Ausweisung voraussetzen, stellt gleichfalls keine neue Beschränkung in diesem Sinne dar. Die Stillhalteverpflichtung bedeutet nicht, dass jede Facette des Verwaltungsverfahrens und des Prozessrechts einer Änderung entzogen wäre. Die Mitgliedstaaten verfügen aufgrund ihrer Verfahrensautonomie über einen Gestaltungsspielraum, der allerdings durch den Grundsatz der Effektivität und der Äquivalenz begrenzt wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, InfAuslR 2012, 397; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -, NVwZ-RR 2012, 492). Lässt eine Änderung des Verfahrens - wie hier - die Effektivität des Rechtsschutzes mit Blick auf die dem türkischen Staatsangehörigen eingeräumten Rechte unverändert, so liegt keine „neue Beschränkung“ vor. Es kann nicht ernsthaft in Frage stehen, dass insoweit effektiver gerichtlicher Rechtsschutz über eine einstweilige gerichtliche Regelung nach § 123 VwGO erreicht werden kann. Vorliegend kommt es hierauf auch nicht an, da der Beklagte solche Maßnahmen modifizierend und durch Verwaltungsakt erlassen hat und insoweit Rechtsschutz nach §§ 80 ff. VwGO gegeben ist.
154 
Selbst wenn man den Rechtsfolgenwechsel - weg von der Einräumung von Ermessen, hin zu einer gebundenen Entscheidung - bzw. die weiteren dargestellten Änderungen des Ausweisungsrechts grundsätzlich als Maßnahmen ansehen wollte, die bezweckten oder bewirkten, dass die Ausübung der Freizügigkeitsrechte durch einen türkischen Staatsangehörigen oder einen Familienangehörigen in einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen als denjenigen unterworfen wird, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Bestimmungen in dem Mitgliedstaat gelten, wären diese Maßnahmen hier rechtlich zulässig. Denn die Einführung dieser - unterstellt - strengeren Voraussetzungen wäre durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union gerechtfertigt, gerade weil der vorgenommene Systemwechsel dazu dient, das ursprüngliche, durch die Anforderungen der Rechtsprechung erheblich - teils gegen den Wortlaut - modifizierte Ausweisungsrecht wieder handhabbar und in sich schlüssig und nachvollziehbar zu machen. Die nunmehr gesetzliche Festlegung der Gefahr nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist mit Blick auf die vom Terrorismus ausgehenden Gefahren sicherlich gerechtfertigt, zumal sich aus praktischer Sicht kaum Fallkonstellationen denken lassen, bei denen eine solche Gefahr zu verneinen sein könnte, obwohl ein Unterstützen einer terroristischen Vereinigung tatbestandlich vorliegt und eine glaubhafte Abwendung hiervon - die das Gesetz ausdrücklich zulässt - nicht erfolgt ist.
II.
155 
Nicht verfahrensgegenständlich ist die vom Verwaltungsgericht getroffene Befristungsentscheidung, nachdem der Kläger mit seinem Berufungsantrag, der gemäß § 124a Abs. 3 VwGO nicht nur begründende sondern auch begrenzende Wirkung hat, alleine die Aufhebung der Ausweisungsverfügung des Beklagten beantragt und er auch in seiner Berufungsbegründung auf die Befristungsfrage nicht abgestellt hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.03.2011 - 2 B 37.10 -, juris).
156 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
157 
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsache (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
158 
Beschluss vom 13. Januar 2016
159 
Der Streitwert wird gem. § 63 Abs. 2, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 und § 39 Abs. 1 GKG auf 10.000,- EUR festgesetzt.
160 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Die Integration von rechtmäßig auf Dauer im Bundesgebiet lebenden Ausländern in das wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben in der Bundesrepublik Deutschland wird gefördert und gefordert.

(2) Eingliederungsbemühungen von Ausländern werden durch ein Grundangebot zur Integration (Integrationskurs) unterstützt. Ziel des Integrationskurses ist, den Ausländern die Sprache, die Rechtsordnung, die Kultur und die Geschichte in Deutschland erfolgreich zu vermitteln. Ausländer sollen dadurch mit den Lebensverhältnissen im Bundesgebiet so weit vertraut werden, dass sie ohne die Hilfe oder Vermittlung Dritter in allen Angelegenheiten des täglichen Lebens selbständig handeln können.

(3) Der Integrationskurs umfasst einen Basis- und einen Aufbausprachkurs von jeweils gleicher Dauer zur Erlangung ausreichender Sprachkenntnisse sowie einen Orientierungskurs zur Vermittlung von Kenntnissen der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte in Deutschland. Der Integrationskurs wird vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge koordiniert und durchgeführt, das sich hierzu privater oder öffentlicher Träger bedienen kann. Für die Teilnahme am Integrationskurs sollen Kosten in angemessenem Umfang unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit erhoben werden. Zur Zahlung ist auch derjenige verpflichtet, der dem Ausländer zur Gewährung des Lebensunterhalts verpflichtet ist.

(4) Die Bundesregierung wird ermächtigt, nähere Einzelheiten des Integrationskurses, insbesondere die Grundstruktur, die Dauer, die Lerninhalte und die Durchführung der Kurse, die Vorgaben bezüglich der Auswahl und Zulassung der Kursträger sowie die Voraussetzungen und die Rahmenbedingungen für die ordnungsgemäße und erfolgreiche Teilnahme und ihre Bescheinigung einschließlich der Kostentragung, sowie die Datenverarbeitung nach § 88a Absatz 1 und 1a durch eine Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates zu regeln. Hiervon ausgenommen sind die Prüfungs- und Nachweismodalitäten der Abschlusstests zu den Integrationskursen, die das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates regelt.

(5) (weggefallen)

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus Deutschland. Hilfsweise erstrebt er eine neue Entscheidung des Beklagten über die Befristung des mit der Ausweisung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots.

2

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volkszugehörigkeit. Er wurde 1973 in der Türkei geboren, ist verheiratet und hat sieben Kinder. Er reiste 1997 nach Deutschland ein und beantragte hier Asyl, da er in der Türkei wegen seines Engagements in prokurdischen Vereinen und Parteien sowie verwandtschaftlichen Beziehungen zu Guerillakämpfern der sog. Arbeiterpartei Kurdistans - PKK - an Leib und Leben bedroht sei. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) vom 9. Oktober 1997 wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach dem damaligen § 51 Abs. 1 AuslG 1990 zuerkannt und zu seinen Gunsten ein Abschiebungsverbot wegen drohender Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK (damals § 53 Abs. 4 AuslG 1990) festgestellt. Der Kläger ist lediglich sporadisch und für kurze Zeiträume einer Erwerbstätigkeit nachgegangen, gleiches gilt für seine Ehefrau. Er bezieht mit seiner Familie Leistungen nach dem SGB II.

3

Vom 1. April 1998 bis zum 1. Dezember 2009 war der Kläger im Besitz jeweils befristeter Aufenthaltstitel. Am 13. März 2009 teilte das Bundesamt der Ausländerbehörde mit, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 73 Abs. 1 oder 2 AsylVfG nicht vorlägen. Im März 2009 stellte der Kläger bei der Ausländerbehörde der Stadt M. einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Auf Anfrage teilte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg der Ausländerbehörde im Mai 2009 mit, dass hinsichtlich der Person des Klägers "Erkenntnisse" vorlägen, über die das Innenministerium Baden-Württemberg gesondert informiert worden sei. Dessen ungeachtet wurde dem Kläger am 4. Dezember 2009 ohne weitere Mitteilung zum Stand der Sicherheitsüberprüfung eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG erteilt.

4

Das Regierungspräsidium K. teilte dem Kläger mit Schreiben vom 23. Juli 2010 mit, dass die Niederlassungserlaubnis in Unkenntnis der Sicherheitsbedenken erteilt worden sei und derzeit deren Rücknahme und eine Ausweisung geprüft werde. Hierzu werde dem Kläger die Möglichkeit eines Sicherheitsgesprächs zur weiteren Aufklärung gegeben. Dieses fand im Februar 2011 statt; allerdings verweigerte der Kläger mit Ausnahme eines durch ihn ausgefüllten Fragebogens die weitere Mitwirkung.

5

Mit Verfügung vom 10. Januar 2012 wies das Regierungspräsidium K. den Kläger aus (Ziffer 1) und stützte sich dabei auf § 54 Nr. 5, § 56 Abs. 1, § 55 AufenthG a.F. Zudem wurde der Kläger verpflichtet, sich zweimal wöchentlich unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapiers bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, und sein Aufenthalt wurde auf den Bereich der Stadt M. begrenzt (Ziffer 2).

6

Die Ausweisung sei gerechtfertigt, weil Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Kläger Vereinigungen unterstütze, die ihrerseits den Terrorismus unterstützten. So habe der Kläger nach den vorliegenden Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in den Jahren 2001 bis 2010 regelmäßig an näher bezeichneten Veranstaltungen und Demonstrationen der PKK-Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL teilgenommen und sei teilweise auch selbst als Redner bei derartigen Veranstaltungen aufgetreten. Von 2001 bis 2003/2004 sei er Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Kurdischer Kulturverein e.V." in L. gewesen. Außerdem sei er seit langem Vorstandsmitglied und nunmehr sogar zweiter Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM). Die Ausweisung sei trotz des dem Kläger als anerkanntem Flüchtling zustehenden besonderen Ausweisungsschutzes aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt und auch mit Blick auf die Bleibeinteressen des Klägers verhältnismäßig. Sie führe zudem nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung, vielmehr bleibe seine Abschiebung ausgesetzt, da ihr Abschiebungsverbote aufgrund der Rechtsstellung des Klägers als Flüchtling sowie nach § 60 Abs. 5 AufenthG entgegenstünden. Die angeordnete zweimalige wöchentliche Meldepflicht und die räumliche Beschränkung auf den Stadtbezirk M. beruhten auf § 54a AufenthG (a.F.) und seien mit Blick auf die gebotene Überwachung des Klägers und zur Eindämmung seiner gefahrbegründenden Aktivitäten erforderlich und angemessen.

7

Das Verwaltungsgericht hat die gegen die Verfügung gerichtete Klage mit Urteil vom 27. Januar 2015 abgewiesen, zugleich aber den Beklagten verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf acht Jahre nach Ausreise des Klägers zu befristen. Mit Urteil vom 13. Januar 2016 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung zurückgewiesen. Dabei hat er die angefochtene Ausweisungsverfügung an der seit dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung des AufenthG gemessen. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof insbesondere ausgeführt: Im Fall des Klägers liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, weil der Kläger in überwiegend herausgehobener Funktion die PKK und damit eine terroristische oder den Terrorismus unterstützende Vereinigung unterstützt habe. Dabei seien allerdings nur Aktivitäten nach Juli 2010 heranzuziehen, also nach der an den Kläger gerichteten Mitteilung, wegen seiner Aktivitäten werde die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft. Als tatbestandserhebliches Unterstützen sei hiernach jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirke. Nach diesem Maßstab seien die im Urteil im Einzelnen näher bezeichneten und durch den Kläger in der Sache eingeräumten Betätigungen als Teilnehmer, Mitglied, Redner und Versammlungsleiter bei diversen die PKK unterstützenden Veranstaltungen sowie als Vorstandsmitglied der die PKK unterstützenden YEK-KOM und deren Nachfolgeorganisation NAV-DEM als Unterstützungshandlung zu werten. Angesichts des Ablaufs der Veranstaltungen, der dort gehaltenen Reden und der klaren Ausrichtung auf den Führerkult um den PKK-Führer Öcalan sowie gefallene Märtyrer bestünden für das Berufungsgericht keine Zweifel daran, dass sich der Kläger den Zielen der PKK verpflichtet fühle und sie mit seinem Tun unterstützen wolle.

8

Die Ausweisungsverfügung werde auch dem erhöhten Ausweisungsschutz gerecht, der dem Kläger als anerkanntem Flüchtling nach § 53 Abs. 3 AufenthG zustehe. Denn es lägen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU vor, wonach ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel widerrufen werden könne.

9

Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse stehe ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber. Denn er habe eine Niederlassungserlaubnis besessen, die gerade durch die Ausweisungsverfügung betroffen sei. Er lebe mit deutschen Familienangehörigen (sechs seiner Kinder) in familiärer Lebensgemeinschaft und übe sein Personensorgerecht für seine minderjährigen Kinder aus. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung überwiege jedoch das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers.

10

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Revision und rügt in mehrfacher Hinsicht eine Verletzung von Bundesrecht. Zunächst habe das Berufungsgericht den Begriff des "Unterstützens" in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG fehlerhaft ausgelegt und angewandt. Der von ihm in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht angewandte Unterstützungsbegriff sei rechtsstaatlich nicht hinreichend konkret. Jedenfalls auf der Grundlage des neuen, seit Jahresanfang 2016 geltenden Ausweisungsrechts, das nach "schwerwiegenden" und "besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen" differenziere, sei dieser Unterstützungsbegriff nicht mehr als Abgrenzungskriterium geeignet. Notwendig sei ein gefahrenabwehrrechtlich ausgerichteter Unterstützungsbegriff, der sich etwa in Anlehnung an strafrechtliche Zurechnungskriterien wie Anstiftung oder Beihilfe oder die im Strafrecht für Organisationsdelikte entwickelten Zurechnungskriterien gewinnen lassen könne.

11

Fehlerhaft sei zudem die Auslegung und Anwendung von § 53 Abs. 3 AufenthG im Hinblick auf die sich aus Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie ergebenden Voraussetzungen. Denn das Berufungsgericht habe weder festgestellt, dass der Kläger unmittelbar der PKK angehöre, noch dass sich die YEK-KOM oder die NAV-DEM selbst terroristischer Methoden bedienten. Weiterhin verkenne das Berufungsgericht die durch den Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) aufgestellten Anforderungen an die festzustellenden Unterstützungshandlungen. Danach sei insbesondere zu prüfen, ob der Betroffene selbst terroristische Handlungen begangen habe, ob und in welchem Maße er an der Planung, an Entscheidungen oder an der Anleitung anderer Personen zum Zwecke der Begehung solcher Handlungen beteiligt war und ob und in welchem Umfang er solche Handlungen finanziert oder anderen Personen die Mittel für ihre Begehung verschafft habe. Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts habe der EuGH damit nicht lediglich beispielhaft die in den maßgeblichen Vorlagefragen des Ausgangsverfahrens vorgehaltenen Handlungen herausgegriffen, sondern in einem abschließenden Sinne bestimmte Kriterien vorgegeben.

12

Weiter setze der Gefahrenbegriff des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine "konkrete Gefahr" voraus. Weder der Wortlaut noch die der Vorschrift zugrunde liegende Entstehungsgeschichte rechtfertigten eine Absenkung dieser Gefahrenschwelle. Das Berufungsgericht hätte daher prüfen müssen, ob der Kläger die für die objektive Unterstützung zu Grunde gelegten Tatsachen und Umstände gekannt und eine zweckgerichtete Unterstützung auch gewollt habe.

13

Schließlich habe das Berufungsgericht verkannt, dass dem Kläger nach dem Urteil des EuGH vom 24. Juni 2015 selbst dann, wenn ihm der Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie entzogen werden dürfe, für die Zeit der Fortdauer seines Flüchtlingsstatus die Rechte nach Kapitel VII dieser Richtlinie erhalten bleiben. Deshalb beantragte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hilfsweise, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass ihm auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie.

14

Der Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und tritt der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bei.

15

Während des Revisionsverfahrens hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 20. Oktober 2016 die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes für den Kläger widerrufen und entschieden, ihm weder die Flüchtlingseigenschaft noch den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Gegen den Bescheid hat der Kläger Klage erhoben.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist im Wesentlichen unbegründet. Das Berufungsgericht hat die Ausweisung des Klägers und die ihm auferlegte Meldepflicht und Aufenthaltsbeschränkung im Ergebnis zu Recht als rechtmäßig eingestuft. Allerdings war auf der Grundlage der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG der Beklagte zu einer nunmehr gebotenen Ermessensentscheidung über die festzusetzende Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG zu verpflichten.

17

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren des Klägers auf Aufhebung der Ausweisung (Ziffer 1 des Bescheids) sowie der Meldeauflagen und Aufenthaltsbeschränkung (Ziffer 2 des Bescheids). Aber auch der Streit über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs - im Berufungsverfahren und anschließend im Revisionsverfahren angefallen. Denn das Befristungsbegehren ist als Minus notwendiger Bestandteil des Begehrens auf Aufhebung einer Ausweisung und kann daher von den Parteien nicht gesondert aus dem Verfahren ausgegliedert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 28 ff.). Hiervon sind im Übrigen vorliegend auch die Parteien übereinstimmend ausgegangen.

18

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der Meldepflicht und der Aufenthaltsbeschränkung sowie der vom Kläger hilfsweise begehrten Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 8 m.w.N.). Der Entscheidung sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162) zugrunde zu legen, zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155).

19

A. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG, weil der Kläger anerkannter Flüchtling ist.

20

1. Nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht ergibt sich der Grundtatbestand der Ausweisung aus § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

21

Das neue Ausweisungsrecht gibt das mit dem Ausländergesetz 1990 eingeführte dreistufige Konzept der Ist-, Regel- und Kann-Ausweisung auf. Stattdessen hat sich der Gesetzgeber für ein einheitliches System der rechtlich gebundenen Ausweisung entschieden ("wird ausgewiesen"), das vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. § 54 AufenthG benennt konkret die Gründe, wann das Ausweisungsinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt und knüpft damit an Tatbestände der früheren Ist- und Regelausweisung an. In § 55 AufenthG werden - spiegelbildlich hierzu - Tatbestände normiert, denen zufolge das Bleibeinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt, wobei auch die Aufzählung der "schwer" wiegenden Bleibeinteressen nicht abschließend ist. In § 53 Abs. 2 AufenthG werden Gesichtspunkte genannt, die bei der Abwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sind, insbesondere die Dauer des Aufenthalts, Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, Folgen der Ausweisung für Angehörige und Partner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat.

22

Die Rechtsprechung des Senats, die ihrerseits Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aufgreift (vgl. Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <301 ff.> und vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 14 ff.), hat bei der Entwicklung des neuen Ausweisungsrechts eine entscheidende Rolle gespielt (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 25. Februar 2015, BT-Drs. 18/4097 S. 49). Dabei griff der Gesetzgeber Vorschläge zur Neuregelung des Ausweisungsrechts auf, die Vertreter der Rechtsprechung unterbreitet haben (vgl. Dörig, NVwZ 2010, 921 <922>; Bergmann, ZAR 2013, 318 <322> sowie Gesetzesvorschlag Bergmann/Dörig vom Januar 2014, veröffentlicht in: Barwig u.a., Steht das europäische Migrationsrecht unter Druck?, 2014, S. 111 f.). Die Ausweisung setzt nunmehr nach § 53 Abs. 1 AufenthG eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Sofern nach dieser Gesamtabwägung das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib in Deutschland überwiegt, wird der Ausländer ausgewiesen, andernfalls kommt eine Aufenthaltsbeendigung nach § 53 Abs. 1 AufenthG nicht in Betracht.

23

Die Tatbestandsmerkmale der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" im ausweisungsrechtlichen Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG sind nach der Begründung des Gesetzgebers im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Auch die Gefährdung dieser Schutzgüter bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten wird. Mit Blick auf die verwendeten Begriffe sollte keine Ausweitung des Gefahrenbegriffs gegenüber dem bislang geltenden Recht erfolgen, vielmehr sollten lediglich die bislang verwandten unterschiedlichen Formulierungen aneinander angeglichen werden. Die von § 53 Abs. 1 AufenthG geforderte Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers in Deutschland erfolgt dabei nach der Intention des Gesetzgebers nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar.

24

Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" (Absatz 1) oder als "schwerwiegend" (Absatz 2). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sind neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Interessen aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Die Katalogisierung schließt demnach die Berücksichtigung weiterer Umstände im Rahmen der nach § 53 Abs. 2 AufenthG zu treffenden Abwägungsentscheidung nicht aus. Dies folgt bereits aus dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG, ist aber für die schwerwiegenden, aufgrund der Vielgestaltigkeit der Lebenssituationen bewusst nicht abschließend aufgezählten Bleibeinteressen in § 55 Abs. 2 AufenthG nochmals ausdrücklich normiert. Die nunmehr als schwerwiegend oder besonders schwerwiegend qualifizierten Ausweisungsinteressen im Sinne von § 54 AufenthG decken sich weitgehend - aber nicht vollständig - mit den früheren Gründen für eine Regel- und Ist-Ausweisung, die schwerwiegenden und besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen greifen Fälle des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 AufenthG a.F. auf.

25

Bei der Abwägung sind schließlich gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht ("Boultif/Üner-Kriterien"). Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen.

26

Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht.

27

2. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG festgestellt. Ein solches liegt dann vor, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wobei hiervon u.a. dann auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Ausländer einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er (jedenfalls) eine solche Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, er nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.

28

a) Der Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist dem Wortlaut nach weitgehend an den früheren Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung angelehnt, auf den die Ausweisungsverfügung auch ursprünglich gestützt war. Das Berufungsgericht hat für die Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu Recht dieselben rechtlichen Maßstäbe herangezogen, die der Senat zur Auslegung des früheren Regelausweisungstatbestandes nach § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung entwickelt hat.

29

In der Rechtsprechung des Senats war die Auslegung des Regelausweisungstatbestands des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung weitgehend geklärt. So ist anerkannt, dass eine Vereinigung den Terrorismus unterstützt, wenn sie sich selbst terroristisch betätigt oder wenn sie die Begehung terroristischer Taten durch Dritte veranlasst, fördert oder befürwortet. Die Schwelle der Strafbarkeit muss dabei nicht überschritten sein, da die Vorschrift der präventiven Gefahrenabwehr dient und auch die Vorfeldunterstützung durch sogenannte Sympathiewerbung erfasst. Der Tatbestand des Unterstützens des Terrorismus durch eine Vereinigung setzt allerdings voraus, dass die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung (auch) auf die Unterstützung des Terrorismus gerichtet sind; ein bloßes Ausnutzen der Strukturen einer Vereinigung durch Dritte in Einzelfällen reicht hierfür nicht aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 20 ff. und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 13 ff.).

30

Für den im Gesetz verwandten Begriff des Terrorismus sind Versuche, auf völkerrechtlicher Ebene eine allgemein anerkannte vertragliche Definition zu entwickeln, nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen. Jedoch können wesentliche Kriterien aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft im Beschluss des Rates Nr. 2002/475/JI vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (ABl. L 164 S. 3) sowie dem gemeinsamen Standpunkt des Rates 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001 (ABl. L 344 S. 93) gewonnen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die Aufnahme einer Organisation in die vom Rat der Europäischen Union angenommene Liste terroristischer Organisationen im Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93 - vgl. auch ABl. L 116 vom 3. Mai 2002, S. 75) ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass die Organisation terroristischer Art ist oder im Verdacht steht, eine solche zu sein (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 [ECLI:EU:C:2015:413], H.T./Land Baden-Württemberg - Rn. 83). Hier sind von den Tatsachengerichten ergänzende Feststellungen zu treffen. Dabei ist trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs anerkannt, dass als terroristisch jedenfalls der Einsatz gemeingefährlicher Waffen und Angriffe auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen sind (Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>, vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 19 und Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 10 C 48.07 - BVerwGE 132, 79 <87> m.w.N.).

31

Weiterhin ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass die individuelle Unterstützung einer terroristischen Vereinigung oder einer Vereinigung, die eine terroristische Vereinigung unterstützt, im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. alle Verhaltensweisen erfasst, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeit der Vereinigung auswirken. Darunter kann die Mitgliedschaft in der terroristischen oder in der unterstützenden Vereinigung ebenso zu verstehen sein wie eine Tätigkeit für eine solche Vereinigung ohne gleichzeitige Mitgliedschaft. Auch die bloße Teilnahme an Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen kann eine Unterstützung in diesem Sinne darstellen, wenn sie geeignet ist, eine positive Außenwirkung im Hinblick auf die durch § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. missbilligten Ziele zu entfalten. Auf einen nachweisbaren oder messbaren Nutzen für diese Ziele kommt es nicht an, ebenso wenig auf die subjektive Vorwerfbarkeit der Unterstützungshandlungen. Im Hinblick auf den Schutz der Meinungsfreiheit und das Gebot der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Betätigungsfreiheit des Einzelnen erfüllen allerdings solche Handlungen den Tatbestand der individuellen Unterstützung nicht, die erkennbar nur auf einzelne, mit terroristischen Zielen und Mitteln nicht im Zusammenhang stehende - etwa humanitäre oder politische - Ziele der Vereinigung gerichtet sind. Für den Ausländer muss schließlich die eine Unterstützung der Vereinigung, ihrer Bestrebungen oder ihrer Tätigkeit bezweckende Zielrichtung seines Handelns erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auf eine darüber hinaus gehende innere Einstellung des Ausländers kommt es hingegen nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 15 und 18 m.w.N.).

32

Diese vom Senat zur Auslegung von § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. entwickelten Grundsätze lassen sich entgegen dem Vorbringen der Revision auch auf den Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung nach dem neu gefassten § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG übertragen. Ein Vergleich der Textfassungen ergibt, dass der Gesetzgeber die früheren Regelausweisungstatbestände nach § 54 Nr. 5, 5a und 5b AufenthG a.F. in der neuen Vorschrift des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zusammengefasst hat, wobei unter den vorliegenden Umständen die Fälle staatsgefährdender Gewalttaten nach § 89a StGB außer Betracht bleiben können. Gegenüber dem früheren Recht ist der Hinweis entfallen, dass eine Ausweisung auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen nur gestützt werden kann, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Eine Änderung der materiellen Rechtslage ist damit aber nicht verbunden, da auch nach neuem Recht eine fortbestehende Gefahr erforderlich ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ("gefährdet") und ist implizit auch dem neuen Zusatz in § 54 Abs. 1 Nr. 2 letzter Halbsatz AufenthG zu entnehmen, wonach von einer Gefährdung nicht auszugehen ist, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt.

33

Den Gesetzgebungsmaterialien ist nichts dafür zu entnehmen, dass sich der Gesetzgeber hinsichtlich des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung für eine Abkehr von dem bisherigen Verständnis des Ausweisungstatbestandes hat entscheiden wollen. Zwar hat er in Satz 2 einen Halbsatz neu eingefügt, wonach ein Unterstützen nicht vorliegt, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt. Das stellt jedoch keine inhaltliche Änderung des Unterstützerbegriffs dar, sondern normiert lediglich ein in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits entwickeltes Kriterium zur individuellen Zurechnung eines Unterstützerverhaltens. Denn der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die objektive Tatsache der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in der Vergangenheit dem Ausländer dann nicht mehr zugerechnet werden kann, wenn er sich glaubhaft hiervon distanziert (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <131>, vom 30. April 2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 35 und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 17). Die nunmehr normierten Tatbestandsmerkmale lassen keine Abkehr von der Senatsrechtsprechung erkennen, denn ein "erkennbares Abstandnehmen" vom sicherheitsgefährdenden Handeln entspricht dem Distanzieren im Sinne der Senatsrechtsprechung. Allerdings findet sich in der Begründung zu dieser Neuregelung die Aussage, die Möglichkeit der "Exkulpation" zeige, dass der Betroffene Kenntnis davon gehabt haben müsse, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstütze, der "undolose Unterstützer" daher nicht unter die Regelung falle (BT-Drs. 18/4097 S. 51). Aus diesem Satz in der Gesetzesbegründung könnte man ableiten, der Gesetzgeber habe eine Regelung treffen wollen, nach der für die subjektive Seite des Unterstützens mehr erforderlich ist (Vorsatz) als nach dem bisherigen Verständnis (Erkennbarkeit). Wäre dies tatsächlich so Gesetz geworden, hätte dies eine nicht unerhebliche Einschränkung der Rechtsprechung zur subjektiven Zurechnung bedeutet, nach der es ausreicht, dass der Ausländer erkennen konnte, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstützt. Die Begründung hat jedoch im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden, denn nach diesem wird Vorsatz im Hinblick auf die terroristische Betätigung der unterstützten Vereinigung nicht verlangt. Es reicht somit auch für die Erfüllung des subjektiven Unterstützertatbestands weiterhin die Erkennbarkeit einer terroristischen Betätigung der Vereinigung aus. Vorsatz bleibt hingegen weiter erforderlich für das eigene Handeln des Ausländers, das von dem Ziel geleitet sein muss, die Vereinigung zu unterstützen. Für diese Auslegung spricht auch, dass der Gesetzgeber der Vorfeldunterstützung des Terrorismus durch die Gesetzesänderung erhöhte Bedeutung beimessen wollte, indem er den bisher als Tatbestand für eine Regelausweisung normierten Ausweisungsgrund zu einem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 AufenthG heraufstufte, was im bisherigen Recht dem Tatbestand einer zwingenden Ausweisung entsprochen hätte. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass das stärkere Gewicht, das der Gesetzgeber diesem Ausweisungsinteresse beimessen wollte (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 23), mit einer engeren Interpretation seiner Tatbestandsmerkmale einhergehen sollte.

34

Eine vom früheren Begriffsverständnis abweichende Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass dieser bisher eigenständige Tatbestand nunmehr in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG funktional mit einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verknüpft wird ("hiervon ist auszugehen, wenn"). Vielmehr ergibt eine systematische Auslegung der Vorschrift, dass der Inhalt des Ausweisungstatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung unverändert geblieben ist, während der Begriff der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland eine Erweiterung erfahren hat. Denn der Gesetzgeber hat mit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr kraft Gesetzes definiert, wann von einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen ist, nämlich (jedenfalls) dann, wenn eine der dort genannten Tatbestandsalternativen erfüllt ist. Die Auslegung des Begriffs der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland richtet sich daher (auch) nach diesen Tatbestandsalternativen, nicht umgekehrt. Anderes lässt sich hinsichtlich des Gefahrenmaßstabs auch nicht der Regelung des § 53 Abs. 1 AufenthG entnehmen. Denn anders als bei den übrigen Ausweisungsinteressen hat der Gesetzgeber in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG das Erfordernis einer Gefahr (nochmals) ausdrücklich aufgeführt, was unter systematischen Gesichtspunkten für eine gewisse Eigenständigkeit des Gefahrentatbestandes gegenüber § 53 Abs. 1 AufenthG fruchtbar gemacht werden kann. Es gilt damit nunmehr, dass das Gesetz bereits die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Bundesgebiet als eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ansieht, unabhängig davon ob die terroristische Vereinigung Gewaltakte auch auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland oder gegen deutsche Einrichtungen im Ausland begeht. Weiterhin gilt jedenfalls für die Fälle des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ein abgesenkter Gefahrenmaßstab, der auch Vorfeldmaßnahmen erfasst und keine von der Person des Unterstützers ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefahr erfordert. Die Rechtsprechung des Senats zur Unterstützung des Terrorismus durch Handlungen in dessen Vorfeld hat dem Rechnung zu tragen und dabei auch die Bedeutung zu berücksichtigen, die der Unionsgesetzgeber dieser Vorfeldunterstützung durch den Erwägungsgrund 37 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 S. 9) - EU-Anerkennungsrichtlinie - beimisst.

35

Ein Anlass für eine verfassungsrechtliche Neubewertung des Gefahrenmaßstabs besteht entgegen dem umfangreichen Revisionsvorbringen nicht. In der Rechtsprechung des Senats ist seit dem Urteil zum Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus - Terrorismusbekämpfungsgesetz - vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361, 3142) anerkannt, dass der Unterstützungsbegriff weit auszulegen und anzuwenden ist, um damit der auch völkerrechtlich begründeten Zielsetzung des Gesetzes gerecht zu werden, dem Terrorismus schon im Vorfeld die logistische Basis zu entziehen (BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <127 ff.>). Maßgeblich ist, inwieweit das festgestellte Verhalten des Einzelnen zu den latenten Gefahren der Vorfeldunterstützung des Terrorismus nicht nur ganz unwesentlich oder geringfügig beiträgt und deshalb selbst potenziell gefährlich erscheint. Wegen der tatbestandlichen Weite des Unterstützungsbegriffs ist allerdings bei der Anwendung der Vorschrift darauf zu achten, dass nicht unverhältnismäßig namentlich in das auch Ausländern zustehende Recht auf freie Meinungsäußerung jenseits der zumindest mittelbaren Billigung terroristischer Bestrebungen eingegriffen wird. Einen bislang nicht berücksichtigten verfassungsrechtlichen Rechtssatz, der den so umschriebenen Ausgleich zwischen dem legitimen und schon wegen seiner völkerrechtlichen Vorgaben besonders gewichtigen gesetzgeberischen Ziel der Terrorismusbekämpfung und den geschützten Grundrechtspositionen eines Ausländers infrage stellen würde, zeigt die Revision nicht auf. Insbesondere sprechen der Charakter der Ausweisung als Maßnahme der Gefahrenabwehr sowie die spezifische Zielsetzung der Terrorismusbekämpfung gegen eine Übertragung strafrechtlicher Rechtsprechungsgrundsätze, wie sie etwa für die Abgrenzung strafbarer und straffreier Meinungsäußerungen gelten. Der Senat hält auch unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an seiner bisherigen Rechtsprechung fest.

36

b) Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG angenommen. Dies gilt sowohl für die Qualifizierung der PKK als terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung (aa) als auch - jedenfalls im Ergebnis - für die Qualifizierung der Handlungen des Klägers als relevante Unterstützungshandlungen (bb). Ebenso wenig zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen hat (cc).

37

(aa) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Qualifizierung der PKK als eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Das Gericht legt seiner Entscheidung die in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze für die Definition einer terroristischen Vereinigung zugrunde (UA Bl. 27 f.) und geht damit von einem zutreffenden Maßstab aus. Für die Bewertung der PKK als eine solche Vereinigung hat das Gericht zunächst darauf abgestellt, dass sie auch noch aktuell auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist, ohne diesem Umstand eine über einen deutlichen Anhaltspunkt hinausgehende Bedeutung beizumessen (UA Bl. 31). Hieran anknüpfend hat das Berufungsgericht sodann auf der Grundlage der ihm vorliegenden Erkenntnismittel festgestellt, dass die PKK zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele in der Türkei weiterhin Gewalttaten gegen staatliche Einrichtungen und Amtsträger sowie die Zivilbevölkerung verübt und im Übrigen etwa zur Finanzierung ihrer Aktivitäten oder zur Bekämpfung von Kritikern auch nicht vor Verbrechen gegenüber ihren eigenen Anhängern und auch darüber hinaus gegenüber der kurdischstämmigen Bevölkerung insgesamt zurückschreckt. Insbesondere sei die zwischen dem türkischen Staat und der PKK ausgehandelte (relative) Waffenruhe seitens der PKK zuletzt Ende Juli 2015 ausdrücklich aufgekündigt worden (UA Bl. 32 f.). Diese tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts sind von der Revision nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen worden und daher für den Senat bindend. Sie erlauben dem Senat zudem eine eigene rechtliche Bewertung des Inhalts, dass die PKK eine terroristische Vereinigung darstellt und nicht lediglich eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung.

38

(bb) Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist auch die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, dass der Kläger die PKK in rechtserheblicher Weise individuell unterstützt hat. Allerdings ist das Gericht unter Verstoß gegen Bundesrecht davon ausgegangen, dass zu Lasten des Klägers nur solche Unterstützungshandlungen berücksichtigt werden dürfen, die in zeitlicher Hinsicht nach der Mitteilung des Regierungspräsidiums vom Juli 2010 lagen, wonach eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft würden.

39

Das Berufungsgericht ist insoweit rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass ein Ausweisungsinteresse bereits dann aus Gründen des Vertrauensschutzes verbraucht ist und nicht mehr zur Begründung einer Ausweisung herangezogen werden kann, wenn ein Aufenthaltstitel in Kenntnis oder dem Staat zuzurechnender Unkenntnis erteilt oder verlängert wurde (UA S. 34 f.). Zwar ist in der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich anerkannt ist, dass Ausweisungsgründe in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und so lange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind und die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <313> und vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <121 f.>). Aus der Ableitung dieser Kriterien aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt jedoch, dass die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Aus der Rechtsprechung des Senats ergibt sich zudem, dass ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers schützenswert sein muss. Hieran fehlt es, wenn die Ausländerbehörde - wie vorliegend - dem Kläger auf dessen Anfrage zum Stand des Verfahrens auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis lediglich mitteilt, dass gegenwärtig noch eine Sicherheitsüberprüfung stattfinde, und dann zu einem späteren Zeitpunkt ohne jegliche Erläuterung zum Ausgang der Sicherheitsüberprüfung die begehrte Niederlassungserlaubnis erteilt. Auf dieser Grundlage kann der Betroffene nämlich weder wissen, welchen konkreten Umständen die Ausländerbehörde im Rahmen ihrer Sicherheitsüberprüfung nachgegangen ist, noch zu welchen konkreten Erkenntnissen sie hierbei nach Abschluss der Überprüfung gelangt ist. Daher kann der Betroffene aus der Erteilung der Niederlassungserlaubnis billigerweise auch nicht schließen, dass die Ausländerbehörde bei ihrer Sicherheitsüberprüfung alle als potentielle Versagungsgründe in Betracht kommenden Umstände tatsächlich ermittelt und sodann als für die Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis unbeachtlich eingestuft hat.

40

Das angefochtene Urteil beruht jedoch nicht auf diesem Rechtsverstoß, weil das Berufungsgericht auch ohne Berücksichtigung der vor dem für maßgeblich erachteten Zeitpunkt liegenden Umstände von rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen des Klägers ausgegangen ist und die diesbezüglichen Feststellungen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sind. Im Übrigen wäre der Kläger durch die Nichtberücksichtigung weiterer, ihn belastender Umstände auch nicht beschwert. Im Einzelnen hat das Berufungsgericht für die Bestimmung der rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen zutreffend auf die in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäbe zu § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung abgestellt (UA Bl. 35 ff.). Keine abweichende Beurteilung ergibt sich aus dem Einwand des Klägers, die PKK nicht unmittelbar unterstützt zu haben, sondern sich in legalen Vereinigungen betätigt zu haben, die ihrerseits die PKK im Wissen um deren Charakter gewollt und gezielt unterstützen. Denn es stellt keine verminderte Gefahr der Vorfeldunterstützung des Terrorismus dar, wenn die Unterstützung terroristischer Vereinigungen nicht durch isolierte Einzelhandlungen, sondern in Vereinigung mit anderen erfolgt. Hierin liegt auch kein Fehlen der Unmittelbarkeit der Unterstützungshandlungen.

41

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht sodann nach Auswertung der ihm vorliegenden umfangreichen Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden festgestellt, dass der Kläger über mehrere Jahre in teils hervorgehobener Funktion als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter oder Redner regelmäßig an Veranstaltungen teilgenommen und mitgewirkt hat, bei denen offene Propaganda für die PKK betrieben worden ist (UA Bl. 39 - 42). Unter Einbeziehung der Aktivitäten des Klägers in der Zeit seit 2001, wie sie in der Ausweisungsverfügung (S. 3 - 9, 16 - 23) aufgelistet, vom Kläger nicht in Abrede gestellt und vom Berufungsgericht in Bezug genommen worden sind (UA S. 39 f.), stellt sich das Unterstützungshandeln des Klägers wie folgt dar: Der Kläger war von 2001 bis 2003/2004 Vorsitzender des "Kurdischen Kulturverein e.V." in L., der der KONGRA-GEL nahestand. Im Oktober 2004 wurde er in das 15-köpfige Führungskomitee der "Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland" (YEK-KOM) gewählt und gehörte diesem bis zur Auflösung der YEK-KOM im Jahr 2014 an, zeitweilig (bis 2011) war er der 2. Vorsitzende der Vereinigung. Er hat sich im Juni 2014 in den fünfköpfigen Vorstand der die PKK unterstützenden NAV-DEM wählen lassen und diese Vorstandstätigkeit bis zum Tage der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausgeübt (UA Bl. 43 - 45).

42

Der Kläger beteiligte sich seit Mitte 2003 regelmäßig an Kundgebungen und Demonstrationen in unterschiedlichen deutschen Städten (u.a. Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg, Frankfurt, Gelsenkirchen, Düsseldorf, Stuttgart) und in Straßburg/Frankreich, die sich unter anderem für eine Freilassung des inhaftierten PKK-Führers Öcalan aussprachen, des Gründungsjahrestags der PKK und/oder der "Märtyrer des kurdischen Freiheitskampfes" gedachten und Parolen auf die PKK ausriefen. Der Kläger hielt auf einigen dieser Veranstaltungen eine Rede, im Februar 2007 hob er dabei die Bedeutung der Gefallenen für die kurdische Sache hervor, im Januar 2009 sprach er zur aktuellen Lage der Kurden in ihrer Heimat, im März 2010 kritisierte er die Exekutivmaßnahmen der belgischen Polizei gegenüber dem kurdischen TV-Sender ROJ-TV, im November 2011 sprach er auf einer Kundgebung, die zum Thema u.a. die Verwendung von Napalmgas und chemischer Waffen gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei hatte, im Januar 2013 verurteilte er auf einer Kundgebung die Ermordung von drei PKK-Aktivisten in Paris, im Oktober 2015 hielt er anlässlich einer Protestaktion der NAV-DEM in Frankfurt eine Rede.

43

Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger nicht nur seine individuellen Unterstützungshandlungen, sondern sämtliche Aktionen der YEK-KOM und der NAV-DEM aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied persönlich zuzurechnen sind. Die YEK-KOM, der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK nach den gerichtlichen Feststellungen durch eine Vielzahl von Aktionen. Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen oder ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie "Freiheit für Öcalan" und "Frieden für Kurdistan". Im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die "logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans" verankert. Der Verein biete der PKK oder ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Für die NAV-DEM gilt nach den getroffenen Feststellungen nichts anderes. Der Verein sei keine Neugründung, sondern eine Umbenennung des Vereins YEK-KOM. Im Übrigen werde deutlich, dass die NAV-DEM ihre Veranstaltungen und Kundgebungen mit gleichem Ablauf und gleichen Themen durchführe wie zuvor schon unter dem Namen YEK-KOM. Diese zutreffende Würdigung bedeutet auch nicht, dass jeder Einsatz für die Interessen und Belange kurdischer Volkszugehöriger (oder eine Kritik an der Kurdenpolitik der Türkischen Republik) als eine Unterstützung der PKK und damit des Terrorismus einzuordnen wäre.

44

(cc) Soweit schließlich nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausscheidet, wenn der Ausländer ernsthaft und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt, hat das Berufungsgericht ebenfalls in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der Kläger ausweislich seines auch während des Ausweisungsverfahrens fortgesetzten Engagements als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter und Redner auch künftig an seiner Unterstützung der PKK festhalten wird. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Unterstützerverhalten des Klägers sind detailreich und stellen - entgegen der Auffassung der Revision - keine zu schmale Tatsachengrundlage für die getroffenen Feststellungen dar. Damit erfüllt der Kläger die gesetzlichen Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, und es liegt ein Ausweisungsinteresse vor, das besonders schwer wiegt.

45

3. Die angefochtene Verfügung des Beklagten erfüllt auch die besonderen Voraussetzungen, die nach § 53 Abs. 3 AufenthG an die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings zu stellen sind. Ein solcher darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

46

a) Diese den Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG ergänzende Vorschrift legt erhöhte Ausweisungsvoraussetzungen für mehrere rechtlich privilegierte Personengruppen fest, nämlich für Ausländer, die als Asylberechtigte anerkannt sind, die im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießen, die einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention besitzen, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder die eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU besitzen. Für all diese Personengruppen gilt der besondere aus Art. 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG abgeleitete Maßstab, den der Gerichtshof der Europäischen Union auch auf Ausländer erstreckt hat, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - C-371/08 [ECLI:EU:C:2011:809], Ziebell - Slg. 2011, I-12735 Rn. 79, 86). Der Senat folgt nicht der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, wonach die Voraussetzungen des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 53 Abs. 3 AufenthG von vornherein "bereichsspezifisch" gemäß dem durch das Unionsrecht für den jeweiligen Personenkreis bestimmten Ausweisungsschutz auszulegen sind. Vielmehr hat der Gesetzgeber den unionsrechtlichen Schutzstandard für daueraufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige für ausreichend befunden und dessen Geltung für alle genannten Personengruppen angeordnet. Dies entbindet freilich nicht davon, in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob für die jeweils betrachtete Personengruppe der so durch den nationalen Gesetzgeber definierte Ausweisungsschutz dem unionsrechtlichen Maßstab tatsächlich genügt. Nur wenn der unionsrechtliche Maßstab strenger ist als derjenige, der durch den Gesetzgeber in § 53 Abs. 3 AufenthG festgelegt worden ist, bedarf § 53 Abs. 3 AufenthG nach allgemeinen Grundsätzen einer unionsrechtskonformen Auslegung, die angesichts der Weite der Tatbestandsmerkmale und des erkennbaren gesetzgeberischen Willens, europarechtlichen Maßstäben zu genügen, auch möglich ist (so auch Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 54).

47

Im vorliegenden Fall ist § 53 Abs. 3 AufenthG unionsrechtskonform nach den Vorgaben der EU-Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU auszulegen. Die Richtlinie formuliert keine Vorgaben für eine Ausweisung im Sinne des deutschen Rechts, wohl aber für eine Zurückweisung in den Herkunftsstaat (Art. 21 Abs. 2 und 3) und für den Entzug des Aufenthaltstitels (Art. 24 Abs. 1).

48

b) Nach Art. 21 Abs. 3 der EU-Anerkennungsrichtlinie darf ein Mitgliedstaat den einem Flüchtling erteilten Aufenthaltstitel widerrufen, wenn die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 2 vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 2012 - 1 C 8.11 - BVerwGE 143, 138 Rn. 21). Fällt ein Flüchtling nicht in den Anwendungsbereich von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie, kann auch Abs. 3 dieser Vorschrift nicht zu Anwendung kommen (EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 - Rn. 44). Eine Zurückweisung ist nach Art. 21 Abs. 2 Buchst. a zulässig, wenn es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass der Flüchtling eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält. Es kann offenbleiben, ob vom Kläger eine Gefahr im Sinne dieser Vorschrift ausgeht, denn die Zurückweisung ist nur unter der weiteren Voraussetzung rechtmäßig, dass sie dem Mitgliedstaat nicht aufgrund seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen untersagt ist (Art. 21 Abs. 2). Dazu zählen die Verpflichtungen aus Art. 3 EMRK (vgl. Begründung der Kommission im Richtlinienvorschlag vom 12. September 2001 KOM (2001) 510 endg. S. 33 zu Art. 19). Dem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK kommt absoluter Charakter zu; es kann mithin - anders als das Refoulement-Verbot nach Art. 33 Abs. 1 GFK - nicht unter den Voraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 Richtlinie 2011/95/EU i.V.m. Art. 35 Abs. 2 GFK durchbrochen werden (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 5. April 2016 - C-404/15 und C-659/15 PPU [ECLI:EU:C:2016:198], Aranyosi und Căldăraru - Rn. 85 - 87; EGMR, Urteil vom 17. Dezember 1996 - Nr. 71/1995/577/663, Ahmed/Österreich - NVwZ 1997, 1100 Rn. 39 - 41). Für den Kläger besteht ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK. Denn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat im Anerkennungsbescheid vom 9. Oktober 1997 nicht nur die Flüchtlingseigenschaft des Klägers nach dem seinerzeit maßgeblichen § 51 Abs. 1 AuslG 1990, sondern auch ein Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990 hinsichtlich der Türkei festgestellt und dieses damit begründet, dass dem Kläger in der Türkei unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Diese Feststellung des Bundesamts begründet hier ein - absolutes - nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Insoweit kommt der Feststellung des Bundesamts im vorliegenden Verfahren über § 42 AsylG auch Bindungswirkung zu. Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU begrenzt damit den behördlichen Handlungsspielraum für eine Abschiebung in einen Verfolgerstaat oder einen Staat, in dem Gefahren nach Art. 3 EMRK drohen. Die Vorschrift setzt jedoch keine Maßstäbe für eine lediglich "inlandsbezogene" Ausweisung, die - wie hier - insbesondere den Verlust des Aufenthaltstitels zur Folge hat.

49

c) Unionsrechtliche Maßstäbe für eine zum Verlust des Aufenthaltstitels eines Flüchtlings führende inlandsbezogene Ausweisung lassen sich aus Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie gewinnen. Die Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten, einem Flüchtling so bald wie möglich nach der Anerkennung einen Aufenthaltstitel auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.

50

(aa) Der Inhalt dieser Norm wurde vom Gerichtshof der Europäischen Union in einem auf ein Vorlageersuchen des Berufungsgerichts ergangenen Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) näher bestimmt. Die Entscheidung bezieht sich zwar auf Art. 24 Abs. 1 der EG-Anerkennungsrichtlinie 2004/83/EG, ihre Aussagen sind aber uneingeschränkt auf die in der Sache unveränderte Vorschrift des Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU übertragbar. Danach kann einem Flüchtling nach Art. 24 Abs. 1 nicht nur die Erteilung eines Aufenthaltstitels versagt werden, sondern der erteilte Aufenthaltstitel auch nachträglich widerrufen werden, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen (a.a.O. Rn. 55). Soweit in der Neufassung der Vorschrift nunmehr von zwingenden Gründen der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung die Rede ist, ist damit keine inhaltliche Änderung verbunden. Diese Wirkung einer Entziehung des Aufenthaltstitels kommt der hier verfügten Ausweisung zu, die wegen des entgegenstehenden Abschiebungsverbots nach Art. 3 EMRK nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung führt. Entgegen einer am Wortlaut orientierten Auslegung von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie hat der darin verwendete Begriff der "zwingenden Gründe" nach dem EuGH-Urteil eine weitere Bedeutung als der Begriff der "stichhaltigen Gründe" in Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie. Das bedeutet, dass bestimmte Umstände, die nicht den Schweregrad aufweisen, um eine Zurückweisung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie verfügen zu können, den Mitgliedstaat gleichwohl dazu berechtigen können, auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie dem betroffenen Flüchtling seinen Aufenthaltstitel zu entziehen (a.a.O. Rn. 75).

51

Bei der Bestimmung des Bedeutungsgehalts der "zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" hat der EuGH zunächst Bezug auf seine Rechtsprechung zu den Begriffen der "öffentlichen Sicherheit" und der "öffentlichen Ordnung" in Art. 27 und 28 der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG genommen (a.a.O. Rn. 77 ff.). Danach umfasst der Begriff "öffentliche Sicherheit" im Sinne von Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats. Die öffentliche Sicherheit kann danach berührt sein, wenn das Funktionieren staatlicher Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste beeinträchtigt wird oder eine Gefahr für das Überleben der Bevölkerung oder einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker besteht oder militärische Interessen beeinträchtigt werden. Dabei deutet der Begriff der "zwingenden Gründe" auf einen besonders hohen Schweregrad der Beeinträchtigung hin (a.a.O. Rn. 78). Den Begriff der "öffentlichen Ordnung" hat der EuGH für die Unionsbürgerrichtlinie dahin ausgelegt, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliegen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (a.a.O. Rn. 79). Zugleich betont er, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, nach ihren nationalen Bedürfnissen, die je nach Mitgliedstaat und Zeitpunkt unterschiedlich sein können, zu bestimmen, was die öffentliche Ordnung und Sicherheit erfordern (a.a.O. Rn. 77).

52

Für den Fall der Unterstützung des Terrorismus hat der EuGH zudem auf den 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83/EG, heute 37. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95/EU hingewiesen, wonach der Begriff der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" auch für die Fälle gilt, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt. Dabei muss das nationale Gericht in einem ersten Schritt prüfen, ob die Handlungen der fraglichen Organisation die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedrohen. Wird eine vom Flüchtling unterstützte Vereinigung in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93) geführt, ist dies ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie entweder eine terroristische Organisation ist oder im Verdacht steht, eine solche Organisation zu sein (a.a.O. Rn. 83). Allein der Umstand, dass ein Flüchtling eine solche Organisation unterstützt hat, darf jedoch nicht automatisch zur Aufhebung seines Aufenthaltstitels führen. Vielmehr ist in einem zweiten Schritt einzelfallbezogen die Rolle zu prüfen, die der Betreffende im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt hat (a.a.O. Rn. 90), und auch der Schweregrad der Gefahr zu beurteilen, die von seinen Handlungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (a.a.O. Rn. 92).

53

(bb) Das Berufungsgericht hat die vom Kläger geleisteten und ihm zuzurechnenden Unterstützungshandlungen an dem vom EuGH präzisierten Maßstab für die Auslegung des Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie gemessen und ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass sich hieraus zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ergeben, die einen Entzug des Aufenthaltstitels gegenüber dem Kläger rechtfertigen. Das Gericht hat bereits im Rahmen seiner Prüfung des besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausführlich begründet, warum die PKK eine terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung darstellt (UA S. 27 - 34). Dabei hat es gewürdigt, dass die PKK auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist und auch weiterhin terroristische Aktivitäten entfaltet. In einem zweiten Schritt hat es näher dargelegt, warum die in Deutschland agierenden Vereinigungen YEK-KOM und NAV-DEM, für die der Kläger seit mehr als zwölf Jahren in hervorgehobenen Funktionen wirkte, und der Kläger auch individuell durch Anmeldung und Leitung von Versammlungen sowie Redebeiträge und weitere Aktivitäten die PKK unterstützt haben und weiter unterstützen (UA S. 55, 34 - 48). Die Bewertung des Berufungsgerichts, dass der Kläger damit die Voraussetzungen für den Entzug seines Aufenthaltstitels nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie erfüllt, steht mit der Rechtsprechung des EuGH in Einklang. Zwar hat er selbst keine terroristischen Handlungen begangen, auch nicht andere Personen hierzu angeleitet oder sich an der Planung oder Finanzierung terroristischer Aktionen beteiligt, wie das der EuGH als mögliches Unterstützerhandeln erwähnt (a.a.O. Rn. 90). Diese Aufzählung des Gerichtshofs ist jedoch nur beispielhaft, macht zugleich aber deutlich, dass der Betreffende eine gewichtige Rolle im Rahmen seiner Unterstützung der terroristischen Organisation gespielt haben muss.

54

Bei der Frage, was als gewichtig anzusehen ist, ist der 37. Erwägungsgrund der Richtlinie zu berücksichtigen, wonach auch die Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, und die Unterstützung einer derartigen Vereinigung als Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung anzusehen sind. Die abschließende Bewertung, ob die Unterstützungshandlung hinreichend gewichtig ist, um "zwingende Gründe" darzustellen, überlässt der Gerichtshof dem verantwortlichen nationalen Gericht und erkennt auch einen Einschätzungsspielraum der Mitgliedstaaten an, nach ihren nationalen Bedürfnissen zu bestimmen, was die nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung erfordern. Diese abschließende Bewertung hat das Berufungsgericht dahin getroffen, dass die Unterstützungshandlungen des Klägers dem von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie geforderten Gewicht entsprechen. Es hat dies auf der Grundlage der Gewichtungsvorgabe des nationalen Gesetzgebers in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nachvollziehbar mit dem mehr als zwölfjährigem Unterstützerhandeln des Klägers in hervorgehobener Position innerhalb zweier Vereinigungen begründet, in dessen Rahmen er an zahlreichen Veranstaltungen mitwirkte, an denen sich Akteure beteiligten, die offen für die PKK warben und deren Kurs vorbehaltlos befürworteten (Auftreten in Guerillauniform, Märtyrergedenken, Grußbotschaften an die Kämpfer an der Front usw.). Für das Gewicht seines Unterstützerhandelns durfte das Gericht auch berücksichtigen, dass der Kläger nach den tatrichterlichen Feststellungen in vollem Bewusstsein um dessen Bedeutung für den ideologischen Zusammenhalt der PKK und in dem Willen gehandelt hat, diese vorbehaltlos auch in Bezug auf deren terroristische Aktivitäten zu unterstützen (UA S. 55).

55

(cc) Der EuGH hat in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13 Rn. 95 ff.) aber hervorgehoben, dass ein Flüchtling, dessen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie aufgehoben wird, seinen Flüchtlingsstatus behält, sofern und solange ihm nicht dieser Status entzogen worden ist. Daher ist er auch nach dem Verlust seines Aufenthaltstitels weiterhin Flüchtling und hat in dieser Eigenschaft weiterhin Anspruch auf die Vergünstigungen, die das Kapitel VII der Richtlinie jedem Flüchtling gewährleistet, so insbesondere auf Schutz vor Zurückweisung, auf Wahrung des Familienverbands, auf Ausstellung von Reisedokumenten, auf Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung, zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie auf Zugang zu Integrationsmaßnahmen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift. Diese Rechte dürfen, auch soweit sie nach nationalem Recht an den Besitz eines Aufenthaltstitels anknüpfen, von den zuständigen Behörden daher nicht mit der Begründung versagt werden, dass der Aufenthalt des Flüchtlings infolge der Ausweisung rechtswidrig geworden ist. Allerdings darf die Ausstellung eines Reiseausweises nach Art. 25 EU-Anerkennungsrichtlinie versagt werden, wenn - etwa zur Begegnung der Gefahr terroristischen Unterstützungshandelns - zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung entgegenstehen. Ebenso dürfen nach Art. 33 der Richtlinie aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen verfügt werden, wenn diese aus Gründen der öffentlichen Sicherheit auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern zulässig sind.

56

Eventuelle Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der dem Flüchtling auch nach Entzug des Aufenthaltstitels weiter zustehenden Rechte nach Kapitel VII der EU-Anerkennungsrichtlinie infolge unzureichender Umsetzung der Richtlinie in den einschlägigen nationalen Fachgesetzen berühren nicht die Rechtmäßigkeit der verfügten Ausweisung. An die Beachtung der einen Flüchtling unmittelbar begünstigenden Vorschriften in Kapitel VII der Richtlinie und die hierzu ergangene Rechtsprechung des EuGH sind seit Ablauf der Umsetzungsfrist alle nationalen Behörden gebunden. Der Flüchtling hat seine Rechte gegenüber den jeweils zuständigen Behörden und erforderlichenfalls Gerichten geltend zu machen. Auch die Generalanwältin hat es insoweit als die Pflicht der nationalen Gerichte angesehen, für die volle Wirksamkeit der Bestimmungen der Richtlinie Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede entgegenstehende Vorschrift des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 11. September 2014 - C-373/13 - Rn. 114 letzter Absatz).

57

4. Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen gewichtige Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1, § 55 AufenthG gegenüber. Diese hat das Berufungsgericht zutreffend bestimmt (UA S. 59 f.). Es hat berücksichtigt, dass der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besessen hat, die durch die Ausweisungsverfügung betroffen ist, er mit deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und er sein Personensorgerecht für minderjährige ledige Deutsche ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG).

58

5. Das Berufungsgericht hat das öffentliche Ausweisungsinteresse gegen die Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG unter Berücksichtigung der den Einzelfall prägenden Umstände abgewogen und ist unter Beachtung des hierfür zentralen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass das Ausweisungsinteresse überwiegt (UA S. 60 - 64). Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Gericht hat berücksichtigt, dass der Kläger besonderen Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie genießt, hier allerdings auf absehbare Zeit keine Aufenthaltsbeendigung beabsichtigt ist, da ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht. Es hat seinen langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und seine familiären Bindungen im Sinne von Art. 6 GG, Art. 8 EMRK gewürdigt, diesen durch die Verfügung allerdings insoweit nicht als beeinträchtigt angesehen, als keine Aufenthaltsbeendigung erfolgt. Es hat bei seiner Abwägung berücksichtigt, dass der Kläger in seinen geschützten Bindungen dadurch betroffen ist, dass sein Aufenthalt auf das Gebiet der Stadt M. beschränkt und er Meldeauflagen unterworfen ist. Weitere schützenswerte Bindungen hat das Gericht nicht anerkannt und dies nachvollziehbar damit begründet, dass der Kläger ungeachtet seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland kaum deutsch spricht, nur sporadisch und für kürzere Zeiträume erwerbstätig war und seit längerem von Sozialleistungen abhängig ist. Schließlich hat das Berufungsgericht in die Abwägung eingestellt, dass es der Kläger in der Hand hat, durch eine glaubhafte Abkehr von seinem bisherigen Verhalten eine Aufhebung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu erreichen.

59

6. Ohne Rechtsverstoß wertet das Berufungsurteil die in Ziffer 2 der angefochtenen Verfügung angeordnete Aufenthaltsbeschränkung und die verfügten Meldeauflagen als rechtmäßig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliegt ein Ausländer, gegen den - wie hier - eine Ausweisungsverfügung aufgrund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG besteht, der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Gestützt auf diese Ermächtigung hat der Beklagte bestimmt, dass sich der Kläger zweimal wöchentlich zu melden hat. Ferner hat er den Aufenthalt des Klägers auf den Bereich der Stadt M. beschränkt, wie das § 56 Abs. 2 AufenthG vorsieht, wenn die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft. Diese aufenthaltsbeschränkenden Maßnahmen durften gegenüber dem Kläger trotz dessen Rechtsstellung als Flüchtling ergehen. Dadurch wird sein Recht auf Freizügigkeit gemäß Art. 33 EU-Anerkennungsrichtlinie nicht verletzt. Denn derartige Maßnahmen dürfen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, wie sie hier wegen des Erfordernisses der Abwehr von terrorismusfördernden Aktivitäten vorliegen, auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern verfügt werden (§ 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG).

60

7. Zutreffend ist das Berufungsgericht auch zu dem Ergebnis gekommen, dass die für die Ausweisung des Klägers anwendbaren Regelungen des Ausweisungsrechts nicht gegen assoziationsrechtliche Verschlechterungsverbote aus Art. 13 ARB 1/80, Art. 7 ARB 2/76 und Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen (BGBl. 1972 II S. 385) verstoßen. Dabei kann offenbleiben, ob hier überhaupt eines der Verschlechterungsverbote Anwendung findet. Denn der zum 1. Januar 2016 eingeführte Übergang von einer Ermessensentscheidung zu einer gebundenen Entscheidung stellt keine Verschlechterung der Rechtsstellung des betroffenen Ausländers dar (a). Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung bewirkte zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für betroffene Ausländer, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt (b).

61

a) Die zum 1. Januar 2016 eingeführte Neuregelung des Ausweisungsrechts, die die bisherige Ermessensausweisung durch eine am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte gebundene Ausweisung abgelöst hat, hat die Rechtsstellung der Ausländer in der hier gebotenen und auch unionsrechtlich statthaften Gesamtschau nicht verschlechtert, sondern jedenfalls teilweise verbessert. Denn bisher sah das Gesetz Tatbestände einer zwingenden Ausweisung (Ist-Ausweisung), regelmäßig erfolgenden Ausweisung (Soll-Ausweisung) und Ausweisung nach Ermessen (Kann-Ausweisung) vor. Die zwingende Ausweisung und die regelmäßig erfolgende Ausweisung widersprachen für den Personenkreis der unionsrechtlich privilegierten Ausländer der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach eine Ausweisung ausschließlich auf ein persönliches Verhalten des Ausländers gestützt werden darf, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 [ECLI:EU:C:2004:262], Orfanopoulos und Oliveri - Slg. 2004, I-5257 Rn. 66 f.). Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass eine Regelung gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, wonach eine Ausweisung automatisch aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung verfügt wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird (a.a.O. Rn. 70). Aber auch die nationale Bestimmung über die Regelausweisung hat für den Gerichtshof den Anschein erweckt, dass trotz der Berücksichtigung individueller Umstände ein gewisser Automatismus oder jedenfalls eine Vermutung besteht, dass der betreffende Staatsangehörige auszuweisen ist (a.a.O. Rn. 92).

62

Daraus hat das Bundesverwaltungsgericht die Schlussfolgerung gezogen, dass die gesetzliche Regelung zur zwingenden Ausweisung und Regelausweisung auf unionsrechtlich privilegierte Ausländer nicht mehr angewendet werden darf (BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <302> betreffend Unionsbürger und - 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <321> betreffend Assoziationsberechtigte nach ARB 1/80). Der Gesetzgeber hat daraus durch das zum 1. Januar 2016 in Kraft getretene neue Ausweisungsrecht die Konsequenzen gezogen. Insofern stellt die neue Rechtslage eine Verbesserung gegenüber der bisherigen dar. Eine Ausweisung nach neuem Recht hat eine einzelfallbezogene umfassende Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen und orientiert sich dabei strikt am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 53 Abs. 1 und 2 AufenthG). Damit setzt der Gesetzgeber Vorgaben um, die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 - Rn. 99) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR , Urteil vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 57 - 60) ergeben.

63

Es stellt keine Verschlechterung der Rechtslage für unionsrechtlich privilegierte Ausländer dar, dass ihre Ausweisung nach früherer Rechtslage im Wege einer Ermessensentscheidung erfolgte, nach neuem Recht hingegen im Wege einer rechtlich gebundenen Ausweisung, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Damit entfällt zwar die Möglichkeit, aus Gründen der Zweckmäßigkeit von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen. Auf ein solches Absehen von einer rechts- und ermessensfehlerfrei möglichen Ausweisung hatte der Ausländer aber zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch, auch die gerichtliche Kontrolle war insoweit durch § 114 VwGO eingeschränkt; durch die gesetzliche Neuregelung wird also keine individuelle Rechtsposition beeinträchtigt. Im Übrigen ist für die Beachtung des Verschlechterungsverbots auf die tatsächliche Praxis und nicht allein auf die abstrakte Rechtslage abzustellen. Die Rechtspraxis wurde maßgeblich durch die Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz des Bundesministeriums des Innern vom 26. Oktober 2009 gesteuert. Danach lag die Ausweisungsentscheidung im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde, bei der Ermessensausübung waren das schutzwürdige Interesse des Ausländers am weiteren Verbleib in Deutschland und das öffentliche Interesse an der Ausweisung gegeneinander abzuwägen (Ziffer 55.1.3). Das weist auf eine Rechtspraxis hin, die der heute normierten gebundenen Ausweisung entspricht, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Insofern hat sich die Rechtsstellung des Ausländers nicht verschlechtert.

64

b) Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung hat zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für die betroffenen Ausländer bewirkt, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Die seinerzeitige Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung (§ 54 Nr. 5 AufenthG a.F.) führte zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gegenüber der früheren Rechtslage, die allein den Tatbestand der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland kannte. Durch die Rechtsänderung wurde nun auch die Vorfeldunterstützung des Terrorismus erfasst. Diese ist jedoch mit Blick auf das Verschlechterungsverbot aus Art. 13 ARB 1/80 aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 14 ARB 1/80, jedenfalls aber durch ein zwingendes Allgemeininteresse, namentlich die völkerrechtlich gebotene Terrorismusbekämpfung auch bereits im Vorfeld unmittelbarer terroristischer Handlungen, gerechtfertigt.

65

8. Nach der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG ist über die Länge der Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach Ermessen zu entscheiden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Diese gesetzgeberische Entscheidung ist mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom gleichen Tage - 1 C 27.16 - Rn. 20 ff.). Das Urteil des Senats zur Vorläuferfassung des § 11 AufenthG a.F., wonach eine gebundene Entscheidung zu treffen war (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.), erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihm ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen. Eine solche Ermessensentscheidung hat der Beklagte hier noch nicht getroffen. Vielmehr hat bisher das Verwaltungsgericht das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach der seinerzeit geltenden Rechtslage im Wege einer gebundenen Entscheidung auf acht Jahre festgesetzt.

66

Der Beklagte hat die nach neuem Recht nunmehr gebotene Ermessensentscheidung nachzuholen. Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange.

67

B. Der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellte (weitere) Hilfsantrag, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass dem Kläger auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie, ist unzulässig. Er stellt eine unzulässige Klageerweiterung im Revisionsverfahren dar (§ 142 Abs. 1 VwGO). Im Übrigen bedarf es einer solchen behördlichen Feststellung auch nicht. Aus dem für alle nationalen Behörden verbindlichen EuGH-Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) ergibt sich bis zu einer dem Gesetzgeber vorbehaltenen Anpassung der einschlägigen Fachgesetze hinreichend deutlich, dass dem Kläger - solange er die Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der EU-Anerkennungsrichtlinie genießt - auch die mit dieser Rechtsstellung einhergehenden Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie zustehen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift (vgl. dazu auch die vorstehenden Ausführungen in Rn. 55 f. dieses Urteils).

68

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat gewichtet den gegen die Ausweisung, die Meldeauflage, die Aufenthaltsbeschränkung und die Abschiebungsandrohung gerichteten Anfechtungsantrag mit 4/5 und den auf Befristung zielenden Verpflichtungsantrag mit 1/5 (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 46).

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus Deutschland. Hilfsweise erstrebt er eine neue Entscheidung des Beklagten über die Befristung des mit der Ausweisung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots.

2

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volkszugehörigkeit. Er wurde 1973 in der Türkei geboren, ist verheiratet und hat sieben Kinder. Er reiste 1997 nach Deutschland ein und beantragte hier Asyl, da er in der Türkei wegen seines Engagements in prokurdischen Vereinen und Parteien sowie verwandtschaftlichen Beziehungen zu Guerillakämpfern der sog. Arbeiterpartei Kurdistans - PKK - an Leib und Leben bedroht sei. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) vom 9. Oktober 1997 wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach dem damaligen § 51 Abs. 1 AuslG 1990 zuerkannt und zu seinen Gunsten ein Abschiebungsverbot wegen drohender Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK (damals § 53 Abs. 4 AuslG 1990) festgestellt. Der Kläger ist lediglich sporadisch und für kurze Zeiträume einer Erwerbstätigkeit nachgegangen, gleiches gilt für seine Ehefrau. Er bezieht mit seiner Familie Leistungen nach dem SGB II.

3

Vom 1. April 1998 bis zum 1. Dezember 2009 war der Kläger im Besitz jeweils befristeter Aufenthaltstitel. Am 13. März 2009 teilte das Bundesamt der Ausländerbehörde mit, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 73 Abs. 1 oder 2 AsylVfG nicht vorlägen. Im März 2009 stellte der Kläger bei der Ausländerbehörde der Stadt M. einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Auf Anfrage teilte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg der Ausländerbehörde im Mai 2009 mit, dass hinsichtlich der Person des Klägers "Erkenntnisse" vorlägen, über die das Innenministerium Baden-Württemberg gesondert informiert worden sei. Dessen ungeachtet wurde dem Kläger am 4. Dezember 2009 ohne weitere Mitteilung zum Stand der Sicherheitsüberprüfung eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG erteilt.

4

Das Regierungspräsidium K. teilte dem Kläger mit Schreiben vom 23. Juli 2010 mit, dass die Niederlassungserlaubnis in Unkenntnis der Sicherheitsbedenken erteilt worden sei und derzeit deren Rücknahme und eine Ausweisung geprüft werde. Hierzu werde dem Kläger die Möglichkeit eines Sicherheitsgesprächs zur weiteren Aufklärung gegeben. Dieses fand im Februar 2011 statt; allerdings verweigerte der Kläger mit Ausnahme eines durch ihn ausgefüllten Fragebogens die weitere Mitwirkung.

5

Mit Verfügung vom 10. Januar 2012 wies das Regierungspräsidium K. den Kläger aus (Ziffer 1) und stützte sich dabei auf § 54 Nr. 5, § 56 Abs. 1, § 55 AufenthG a.F. Zudem wurde der Kläger verpflichtet, sich zweimal wöchentlich unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapiers bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, und sein Aufenthalt wurde auf den Bereich der Stadt M. begrenzt (Ziffer 2).

6

Die Ausweisung sei gerechtfertigt, weil Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Kläger Vereinigungen unterstütze, die ihrerseits den Terrorismus unterstützten. So habe der Kläger nach den vorliegenden Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in den Jahren 2001 bis 2010 regelmäßig an näher bezeichneten Veranstaltungen und Demonstrationen der PKK-Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL teilgenommen und sei teilweise auch selbst als Redner bei derartigen Veranstaltungen aufgetreten. Von 2001 bis 2003/2004 sei er Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Kurdischer Kulturverein e.V." in L. gewesen. Außerdem sei er seit langem Vorstandsmitglied und nunmehr sogar zweiter Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM). Die Ausweisung sei trotz des dem Kläger als anerkanntem Flüchtling zustehenden besonderen Ausweisungsschutzes aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt und auch mit Blick auf die Bleibeinteressen des Klägers verhältnismäßig. Sie führe zudem nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung, vielmehr bleibe seine Abschiebung ausgesetzt, da ihr Abschiebungsverbote aufgrund der Rechtsstellung des Klägers als Flüchtling sowie nach § 60 Abs. 5 AufenthG entgegenstünden. Die angeordnete zweimalige wöchentliche Meldepflicht und die räumliche Beschränkung auf den Stadtbezirk M. beruhten auf § 54a AufenthG (a.F.) und seien mit Blick auf die gebotene Überwachung des Klägers und zur Eindämmung seiner gefahrbegründenden Aktivitäten erforderlich und angemessen.

7

Das Verwaltungsgericht hat die gegen die Verfügung gerichtete Klage mit Urteil vom 27. Januar 2015 abgewiesen, zugleich aber den Beklagten verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf acht Jahre nach Ausreise des Klägers zu befristen. Mit Urteil vom 13. Januar 2016 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung zurückgewiesen. Dabei hat er die angefochtene Ausweisungsverfügung an der seit dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung des AufenthG gemessen. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof insbesondere ausgeführt: Im Fall des Klägers liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, weil der Kläger in überwiegend herausgehobener Funktion die PKK und damit eine terroristische oder den Terrorismus unterstützende Vereinigung unterstützt habe. Dabei seien allerdings nur Aktivitäten nach Juli 2010 heranzuziehen, also nach der an den Kläger gerichteten Mitteilung, wegen seiner Aktivitäten werde die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft. Als tatbestandserhebliches Unterstützen sei hiernach jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirke. Nach diesem Maßstab seien die im Urteil im Einzelnen näher bezeichneten und durch den Kläger in der Sache eingeräumten Betätigungen als Teilnehmer, Mitglied, Redner und Versammlungsleiter bei diversen die PKK unterstützenden Veranstaltungen sowie als Vorstandsmitglied der die PKK unterstützenden YEK-KOM und deren Nachfolgeorganisation NAV-DEM als Unterstützungshandlung zu werten. Angesichts des Ablaufs der Veranstaltungen, der dort gehaltenen Reden und der klaren Ausrichtung auf den Führerkult um den PKK-Führer Öcalan sowie gefallene Märtyrer bestünden für das Berufungsgericht keine Zweifel daran, dass sich der Kläger den Zielen der PKK verpflichtet fühle und sie mit seinem Tun unterstützen wolle.

8

Die Ausweisungsverfügung werde auch dem erhöhten Ausweisungsschutz gerecht, der dem Kläger als anerkanntem Flüchtling nach § 53 Abs. 3 AufenthG zustehe. Denn es lägen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU vor, wonach ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel widerrufen werden könne.

9

Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse stehe ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber. Denn er habe eine Niederlassungserlaubnis besessen, die gerade durch die Ausweisungsverfügung betroffen sei. Er lebe mit deutschen Familienangehörigen (sechs seiner Kinder) in familiärer Lebensgemeinschaft und übe sein Personensorgerecht für seine minderjährigen Kinder aus. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung überwiege jedoch das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers.

10

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Revision und rügt in mehrfacher Hinsicht eine Verletzung von Bundesrecht. Zunächst habe das Berufungsgericht den Begriff des "Unterstützens" in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG fehlerhaft ausgelegt und angewandt. Der von ihm in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht angewandte Unterstützungsbegriff sei rechtsstaatlich nicht hinreichend konkret. Jedenfalls auf der Grundlage des neuen, seit Jahresanfang 2016 geltenden Ausweisungsrechts, das nach "schwerwiegenden" und "besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen" differenziere, sei dieser Unterstützungsbegriff nicht mehr als Abgrenzungskriterium geeignet. Notwendig sei ein gefahrenabwehrrechtlich ausgerichteter Unterstützungsbegriff, der sich etwa in Anlehnung an strafrechtliche Zurechnungskriterien wie Anstiftung oder Beihilfe oder die im Strafrecht für Organisationsdelikte entwickelten Zurechnungskriterien gewinnen lassen könne.

11

Fehlerhaft sei zudem die Auslegung und Anwendung von § 53 Abs. 3 AufenthG im Hinblick auf die sich aus Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie ergebenden Voraussetzungen. Denn das Berufungsgericht habe weder festgestellt, dass der Kläger unmittelbar der PKK angehöre, noch dass sich die YEK-KOM oder die NAV-DEM selbst terroristischer Methoden bedienten. Weiterhin verkenne das Berufungsgericht die durch den Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) aufgestellten Anforderungen an die festzustellenden Unterstützungshandlungen. Danach sei insbesondere zu prüfen, ob der Betroffene selbst terroristische Handlungen begangen habe, ob und in welchem Maße er an der Planung, an Entscheidungen oder an der Anleitung anderer Personen zum Zwecke der Begehung solcher Handlungen beteiligt war und ob und in welchem Umfang er solche Handlungen finanziert oder anderen Personen die Mittel für ihre Begehung verschafft habe. Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts habe der EuGH damit nicht lediglich beispielhaft die in den maßgeblichen Vorlagefragen des Ausgangsverfahrens vorgehaltenen Handlungen herausgegriffen, sondern in einem abschließenden Sinne bestimmte Kriterien vorgegeben.

12

Weiter setze der Gefahrenbegriff des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine "konkrete Gefahr" voraus. Weder der Wortlaut noch die der Vorschrift zugrunde liegende Entstehungsgeschichte rechtfertigten eine Absenkung dieser Gefahrenschwelle. Das Berufungsgericht hätte daher prüfen müssen, ob der Kläger die für die objektive Unterstützung zu Grunde gelegten Tatsachen und Umstände gekannt und eine zweckgerichtete Unterstützung auch gewollt habe.

13

Schließlich habe das Berufungsgericht verkannt, dass dem Kläger nach dem Urteil des EuGH vom 24. Juni 2015 selbst dann, wenn ihm der Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie entzogen werden dürfe, für die Zeit der Fortdauer seines Flüchtlingsstatus die Rechte nach Kapitel VII dieser Richtlinie erhalten bleiben. Deshalb beantragte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hilfsweise, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass ihm auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie.

14

Der Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und tritt der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bei.

15

Während des Revisionsverfahrens hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 20. Oktober 2016 die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes für den Kläger widerrufen und entschieden, ihm weder die Flüchtlingseigenschaft noch den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Gegen den Bescheid hat der Kläger Klage erhoben.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist im Wesentlichen unbegründet. Das Berufungsgericht hat die Ausweisung des Klägers und die ihm auferlegte Meldepflicht und Aufenthaltsbeschränkung im Ergebnis zu Recht als rechtmäßig eingestuft. Allerdings war auf der Grundlage der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG der Beklagte zu einer nunmehr gebotenen Ermessensentscheidung über die festzusetzende Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG zu verpflichten.

17

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren des Klägers auf Aufhebung der Ausweisung (Ziffer 1 des Bescheids) sowie der Meldeauflagen und Aufenthaltsbeschränkung (Ziffer 2 des Bescheids). Aber auch der Streit über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs - im Berufungsverfahren und anschließend im Revisionsverfahren angefallen. Denn das Befristungsbegehren ist als Minus notwendiger Bestandteil des Begehrens auf Aufhebung einer Ausweisung und kann daher von den Parteien nicht gesondert aus dem Verfahren ausgegliedert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 28 ff.). Hiervon sind im Übrigen vorliegend auch die Parteien übereinstimmend ausgegangen.

18

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der Meldepflicht und der Aufenthaltsbeschränkung sowie der vom Kläger hilfsweise begehrten Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 8 m.w.N.). Der Entscheidung sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162) zugrunde zu legen, zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155).

19

A. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG, weil der Kläger anerkannter Flüchtling ist.

20

1. Nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht ergibt sich der Grundtatbestand der Ausweisung aus § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

21

Das neue Ausweisungsrecht gibt das mit dem Ausländergesetz 1990 eingeführte dreistufige Konzept der Ist-, Regel- und Kann-Ausweisung auf. Stattdessen hat sich der Gesetzgeber für ein einheitliches System der rechtlich gebundenen Ausweisung entschieden ("wird ausgewiesen"), das vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. § 54 AufenthG benennt konkret die Gründe, wann das Ausweisungsinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt und knüpft damit an Tatbestände der früheren Ist- und Regelausweisung an. In § 55 AufenthG werden - spiegelbildlich hierzu - Tatbestände normiert, denen zufolge das Bleibeinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt, wobei auch die Aufzählung der "schwer" wiegenden Bleibeinteressen nicht abschließend ist. In § 53 Abs. 2 AufenthG werden Gesichtspunkte genannt, die bei der Abwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sind, insbesondere die Dauer des Aufenthalts, Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, Folgen der Ausweisung für Angehörige und Partner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat.

22

Die Rechtsprechung des Senats, die ihrerseits Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aufgreift (vgl. Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <301 ff.> und vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 14 ff.), hat bei der Entwicklung des neuen Ausweisungsrechts eine entscheidende Rolle gespielt (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 25. Februar 2015, BT-Drs. 18/4097 S. 49). Dabei griff der Gesetzgeber Vorschläge zur Neuregelung des Ausweisungsrechts auf, die Vertreter der Rechtsprechung unterbreitet haben (vgl. Dörig, NVwZ 2010, 921 <922>; Bergmann, ZAR 2013, 318 <322> sowie Gesetzesvorschlag Bergmann/Dörig vom Januar 2014, veröffentlicht in: Barwig u.a., Steht das europäische Migrationsrecht unter Druck?, 2014, S. 111 f.). Die Ausweisung setzt nunmehr nach § 53 Abs. 1 AufenthG eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Sofern nach dieser Gesamtabwägung das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib in Deutschland überwiegt, wird der Ausländer ausgewiesen, andernfalls kommt eine Aufenthaltsbeendigung nach § 53 Abs. 1 AufenthG nicht in Betracht.

23

Die Tatbestandsmerkmale der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" im ausweisungsrechtlichen Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG sind nach der Begründung des Gesetzgebers im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Auch die Gefährdung dieser Schutzgüter bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten wird. Mit Blick auf die verwendeten Begriffe sollte keine Ausweitung des Gefahrenbegriffs gegenüber dem bislang geltenden Recht erfolgen, vielmehr sollten lediglich die bislang verwandten unterschiedlichen Formulierungen aneinander angeglichen werden. Die von § 53 Abs. 1 AufenthG geforderte Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers in Deutschland erfolgt dabei nach der Intention des Gesetzgebers nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar.

24

Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" (Absatz 1) oder als "schwerwiegend" (Absatz 2). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sind neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Interessen aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Die Katalogisierung schließt demnach die Berücksichtigung weiterer Umstände im Rahmen der nach § 53 Abs. 2 AufenthG zu treffenden Abwägungsentscheidung nicht aus. Dies folgt bereits aus dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG, ist aber für die schwerwiegenden, aufgrund der Vielgestaltigkeit der Lebenssituationen bewusst nicht abschließend aufgezählten Bleibeinteressen in § 55 Abs. 2 AufenthG nochmals ausdrücklich normiert. Die nunmehr als schwerwiegend oder besonders schwerwiegend qualifizierten Ausweisungsinteressen im Sinne von § 54 AufenthG decken sich weitgehend - aber nicht vollständig - mit den früheren Gründen für eine Regel- und Ist-Ausweisung, die schwerwiegenden und besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen greifen Fälle des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 AufenthG a.F. auf.

25

Bei der Abwägung sind schließlich gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht ("Boultif/Üner-Kriterien"). Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen.

26

Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht.

27

2. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG festgestellt. Ein solches liegt dann vor, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wobei hiervon u.a. dann auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Ausländer einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er (jedenfalls) eine solche Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, er nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.

28

a) Der Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist dem Wortlaut nach weitgehend an den früheren Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung angelehnt, auf den die Ausweisungsverfügung auch ursprünglich gestützt war. Das Berufungsgericht hat für die Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu Recht dieselben rechtlichen Maßstäbe herangezogen, die der Senat zur Auslegung des früheren Regelausweisungstatbestandes nach § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung entwickelt hat.

29

In der Rechtsprechung des Senats war die Auslegung des Regelausweisungstatbestands des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung weitgehend geklärt. So ist anerkannt, dass eine Vereinigung den Terrorismus unterstützt, wenn sie sich selbst terroristisch betätigt oder wenn sie die Begehung terroristischer Taten durch Dritte veranlasst, fördert oder befürwortet. Die Schwelle der Strafbarkeit muss dabei nicht überschritten sein, da die Vorschrift der präventiven Gefahrenabwehr dient und auch die Vorfeldunterstützung durch sogenannte Sympathiewerbung erfasst. Der Tatbestand des Unterstützens des Terrorismus durch eine Vereinigung setzt allerdings voraus, dass die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung (auch) auf die Unterstützung des Terrorismus gerichtet sind; ein bloßes Ausnutzen der Strukturen einer Vereinigung durch Dritte in Einzelfällen reicht hierfür nicht aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 20 ff. und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 13 ff.).

30

Für den im Gesetz verwandten Begriff des Terrorismus sind Versuche, auf völkerrechtlicher Ebene eine allgemein anerkannte vertragliche Definition zu entwickeln, nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen. Jedoch können wesentliche Kriterien aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft im Beschluss des Rates Nr. 2002/475/JI vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (ABl. L 164 S. 3) sowie dem gemeinsamen Standpunkt des Rates 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001 (ABl. L 344 S. 93) gewonnen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die Aufnahme einer Organisation in die vom Rat der Europäischen Union angenommene Liste terroristischer Organisationen im Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93 - vgl. auch ABl. L 116 vom 3. Mai 2002, S. 75) ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass die Organisation terroristischer Art ist oder im Verdacht steht, eine solche zu sein (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 [ECLI:EU:C:2015:413], H.T./Land Baden-Württemberg - Rn. 83). Hier sind von den Tatsachengerichten ergänzende Feststellungen zu treffen. Dabei ist trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs anerkannt, dass als terroristisch jedenfalls der Einsatz gemeingefährlicher Waffen und Angriffe auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen sind (Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>, vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 19 und Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 10 C 48.07 - BVerwGE 132, 79 <87> m.w.N.).

31

Weiterhin ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass die individuelle Unterstützung einer terroristischen Vereinigung oder einer Vereinigung, die eine terroristische Vereinigung unterstützt, im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. alle Verhaltensweisen erfasst, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeit der Vereinigung auswirken. Darunter kann die Mitgliedschaft in der terroristischen oder in der unterstützenden Vereinigung ebenso zu verstehen sein wie eine Tätigkeit für eine solche Vereinigung ohne gleichzeitige Mitgliedschaft. Auch die bloße Teilnahme an Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen kann eine Unterstützung in diesem Sinne darstellen, wenn sie geeignet ist, eine positive Außenwirkung im Hinblick auf die durch § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. missbilligten Ziele zu entfalten. Auf einen nachweisbaren oder messbaren Nutzen für diese Ziele kommt es nicht an, ebenso wenig auf die subjektive Vorwerfbarkeit der Unterstützungshandlungen. Im Hinblick auf den Schutz der Meinungsfreiheit und das Gebot der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Betätigungsfreiheit des Einzelnen erfüllen allerdings solche Handlungen den Tatbestand der individuellen Unterstützung nicht, die erkennbar nur auf einzelne, mit terroristischen Zielen und Mitteln nicht im Zusammenhang stehende - etwa humanitäre oder politische - Ziele der Vereinigung gerichtet sind. Für den Ausländer muss schließlich die eine Unterstützung der Vereinigung, ihrer Bestrebungen oder ihrer Tätigkeit bezweckende Zielrichtung seines Handelns erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auf eine darüber hinaus gehende innere Einstellung des Ausländers kommt es hingegen nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 15 und 18 m.w.N.).

32

Diese vom Senat zur Auslegung von § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. entwickelten Grundsätze lassen sich entgegen dem Vorbringen der Revision auch auf den Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung nach dem neu gefassten § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG übertragen. Ein Vergleich der Textfassungen ergibt, dass der Gesetzgeber die früheren Regelausweisungstatbestände nach § 54 Nr. 5, 5a und 5b AufenthG a.F. in der neuen Vorschrift des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zusammengefasst hat, wobei unter den vorliegenden Umständen die Fälle staatsgefährdender Gewalttaten nach § 89a StGB außer Betracht bleiben können. Gegenüber dem früheren Recht ist der Hinweis entfallen, dass eine Ausweisung auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen nur gestützt werden kann, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Eine Änderung der materiellen Rechtslage ist damit aber nicht verbunden, da auch nach neuem Recht eine fortbestehende Gefahr erforderlich ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ("gefährdet") und ist implizit auch dem neuen Zusatz in § 54 Abs. 1 Nr. 2 letzter Halbsatz AufenthG zu entnehmen, wonach von einer Gefährdung nicht auszugehen ist, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt.

33

Den Gesetzgebungsmaterialien ist nichts dafür zu entnehmen, dass sich der Gesetzgeber hinsichtlich des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung für eine Abkehr von dem bisherigen Verständnis des Ausweisungstatbestandes hat entscheiden wollen. Zwar hat er in Satz 2 einen Halbsatz neu eingefügt, wonach ein Unterstützen nicht vorliegt, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt. Das stellt jedoch keine inhaltliche Änderung des Unterstützerbegriffs dar, sondern normiert lediglich ein in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits entwickeltes Kriterium zur individuellen Zurechnung eines Unterstützerverhaltens. Denn der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die objektive Tatsache der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in der Vergangenheit dem Ausländer dann nicht mehr zugerechnet werden kann, wenn er sich glaubhaft hiervon distanziert (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <131>, vom 30. April 2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 35 und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 17). Die nunmehr normierten Tatbestandsmerkmale lassen keine Abkehr von der Senatsrechtsprechung erkennen, denn ein "erkennbares Abstandnehmen" vom sicherheitsgefährdenden Handeln entspricht dem Distanzieren im Sinne der Senatsrechtsprechung. Allerdings findet sich in der Begründung zu dieser Neuregelung die Aussage, die Möglichkeit der "Exkulpation" zeige, dass der Betroffene Kenntnis davon gehabt haben müsse, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstütze, der "undolose Unterstützer" daher nicht unter die Regelung falle (BT-Drs. 18/4097 S. 51). Aus diesem Satz in der Gesetzesbegründung könnte man ableiten, der Gesetzgeber habe eine Regelung treffen wollen, nach der für die subjektive Seite des Unterstützens mehr erforderlich ist (Vorsatz) als nach dem bisherigen Verständnis (Erkennbarkeit). Wäre dies tatsächlich so Gesetz geworden, hätte dies eine nicht unerhebliche Einschränkung der Rechtsprechung zur subjektiven Zurechnung bedeutet, nach der es ausreicht, dass der Ausländer erkennen konnte, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstützt. Die Begründung hat jedoch im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden, denn nach diesem wird Vorsatz im Hinblick auf die terroristische Betätigung der unterstützten Vereinigung nicht verlangt. Es reicht somit auch für die Erfüllung des subjektiven Unterstützertatbestands weiterhin die Erkennbarkeit einer terroristischen Betätigung der Vereinigung aus. Vorsatz bleibt hingegen weiter erforderlich für das eigene Handeln des Ausländers, das von dem Ziel geleitet sein muss, die Vereinigung zu unterstützen. Für diese Auslegung spricht auch, dass der Gesetzgeber der Vorfeldunterstützung des Terrorismus durch die Gesetzesänderung erhöhte Bedeutung beimessen wollte, indem er den bisher als Tatbestand für eine Regelausweisung normierten Ausweisungsgrund zu einem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 AufenthG heraufstufte, was im bisherigen Recht dem Tatbestand einer zwingenden Ausweisung entsprochen hätte. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass das stärkere Gewicht, das der Gesetzgeber diesem Ausweisungsinteresse beimessen wollte (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 23), mit einer engeren Interpretation seiner Tatbestandsmerkmale einhergehen sollte.

34

Eine vom früheren Begriffsverständnis abweichende Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass dieser bisher eigenständige Tatbestand nunmehr in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG funktional mit einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verknüpft wird ("hiervon ist auszugehen, wenn"). Vielmehr ergibt eine systematische Auslegung der Vorschrift, dass der Inhalt des Ausweisungstatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung unverändert geblieben ist, während der Begriff der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland eine Erweiterung erfahren hat. Denn der Gesetzgeber hat mit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr kraft Gesetzes definiert, wann von einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen ist, nämlich (jedenfalls) dann, wenn eine der dort genannten Tatbestandsalternativen erfüllt ist. Die Auslegung des Begriffs der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland richtet sich daher (auch) nach diesen Tatbestandsalternativen, nicht umgekehrt. Anderes lässt sich hinsichtlich des Gefahrenmaßstabs auch nicht der Regelung des § 53 Abs. 1 AufenthG entnehmen. Denn anders als bei den übrigen Ausweisungsinteressen hat der Gesetzgeber in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG das Erfordernis einer Gefahr (nochmals) ausdrücklich aufgeführt, was unter systematischen Gesichtspunkten für eine gewisse Eigenständigkeit des Gefahrentatbestandes gegenüber § 53 Abs. 1 AufenthG fruchtbar gemacht werden kann. Es gilt damit nunmehr, dass das Gesetz bereits die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Bundesgebiet als eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ansieht, unabhängig davon ob die terroristische Vereinigung Gewaltakte auch auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland oder gegen deutsche Einrichtungen im Ausland begeht. Weiterhin gilt jedenfalls für die Fälle des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ein abgesenkter Gefahrenmaßstab, der auch Vorfeldmaßnahmen erfasst und keine von der Person des Unterstützers ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefahr erfordert. Die Rechtsprechung des Senats zur Unterstützung des Terrorismus durch Handlungen in dessen Vorfeld hat dem Rechnung zu tragen und dabei auch die Bedeutung zu berücksichtigen, die der Unionsgesetzgeber dieser Vorfeldunterstützung durch den Erwägungsgrund 37 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 S. 9) - EU-Anerkennungsrichtlinie - beimisst.

35

Ein Anlass für eine verfassungsrechtliche Neubewertung des Gefahrenmaßstabs besteht entgegen dem umfangreichen Revisionsvorbringen nicht. In der Rechtsprechung des Senats ist seit dem Urteil zum Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus - Terrorismusbekämpfungsgesetz - vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361, 3142) anerkannt, dass der Unterstützungsbegriff weit auszulegen und anzuwenden ist, um damit der auch völkerrechtlich begründeten Zielsetzung des Gesetzes gerecht zu werden, dem Terrorismus schon im Vorfeld die logistische Basis zu entziehen (BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <127 ff.>). Maßgeblich ist, inwieweit das festgestellte Verhalten des Einzelnen zu den latenten Gefahren der Vorfeldunterstützung des Terrorismus nicht nur ganz unwesentlich oder geringfügig beiträgt und deshalb selbst potenziell gefährlich erscheint. Wegen der tatbestandlichen Weite des Unterstützungsbegriffs ist allerdings bei der Anwendung der Vorschrift darauf zu achten, dass nicht unverhältnismäßig namentlich in das auch Ausländern zustehende Recht auf freie Meinungsäußerung jenseits der zumindest mittelbaren Billigung terroristischer Bestrebungen eingegriffen wird. Einen bislang nicht berücksichtigten verfassungsrechtlichen Rechtssatz, der den so umschriebenen Ausgleich zwischen dem legitimen und schon wegen seiner völkerrechtlichen Vorgaben besonders gewichtigen gesetzgeberischen Ziel der Terrorismusbekämpfung und den geschützten Grundrechtspositionen eines Ausländers infrage stellen würde, zeigt die Revision nicht auf. Insbesondere sprechen der Charakter der Ausweisung als Maßnahme der Gefahrenabwehr sowie die spezifische Zielsetzung der Terrorismusbekämpfung gegen eine Übertragung strafrechtlicher Rechtsprechungsgrundsätze, wie sie etwa für die Abgrenzung strafbarer und straffreier Meinungsäußerungen gelten. Der Senat hält auch unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an seiner bisherigen Rechtsprechung fest.

36

b) Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG angenommen. Dies gilt sowohl für die Qualifizierung der PKK als terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung (aa) als auch - jedenfalls im Ergebnis - für die Qualifizierung der Handlungen des Klägers als relevante Unterstützungshandlungen (bb). Ebenso wenig zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen hat (cc).

37

(aa) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Qualifizierung der PKK als eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Das Gericht legt seiner Entscheidung die in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze für die Definition einer terroristischen Vereinigung zugrunde (UA Bl. 27 f.) und geht damit von einem zutreffenden Maßstab aus. Für die Bewertung der PKK als eine solche Vereinigung hat das Gericht zunächst darauf abgestellt, dass sie auch noch aktuell auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist, ohne diesem Umstand eine über einen deutlichen Anhaltspunkt hinausgehende Bedeutung beizumessen (UA Bl. 31). Hieran anknüpfend hat das Berufungsgericht sodann auf der Grundlage der ihm vorliegenden Erkenntnismittel festgestellt, dass die PKK zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele in der Türkei weiterhin Gewalttaten gegen staatliche Einrichtungen und Amtsträger sowie die Zivilbevölkerung verübt und im Übrigen etwa zur Finanzierung ihrer Aktivitäten oder zur Bekämpfung von Kritikern auch nicht vor Verbrechen gegenüber ihren eigenen Anhängern und auch darüber hinaus gegenüber der kurdischstämmigen Bevölkerung insgesamt zurückschreckt. Insbesondere sei die zwischen dem türkischen Staat und der PKK ausgehandelte (relative) Waffenruhe seitens der PKK zuletzt Ende Juli 2015 ausdrücklich aufgekündigt worden (UA Bl. 32 f.). Diese tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts sind von der Revision nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen worden und daher für den Senat bindend. Sie erlauben dem Senat zudem eine eigene rechtliche Bewertung des Inhalts, dass die PKK eine terroristische Vereinigung darstellt und nicht lediglich eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung.

38

(bb) Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist auch die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, dass der Kläger die PKK in rechtserheblicher Weise individuell unterstützt hat. Allerdings ist das Gericht unter Verstoß gegen Bundesrecht davon ausgegangen, dass zu Lasten des Klägers nur solche Unterstützungshandlungen berücksichtigt werden dürfen, die in zeitlicher Hinsicht nach der Mitteilung des Regierungspräsidiums vom Juli 2010 lagen, wonach eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft würden.

39

Das Berufungsgericht ist insoweit rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass ein Ausweisungsinteresse bereits dann aus Gründen des Vertrauensschutzes verbraucht ist und nicht mehr zur Begründung einer Ausweisung herangezogen werden kann, wenn ein Aufenthaltstitel in Kenntnis oder dem Staat zuzurechnender Unkenntnis erteilt oder verlängert wurde (UA S. 34 f.). Zwar ist in der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich anerkannt ist, dass Ausweisungsgründe in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und so lange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind und die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <313> und vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <121 f.>). Aus der Ableitung dieser Kriterien aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt jedoch, dass die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Aus der Rechtsprechung des Senats ergibt sich zudem, dass ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers schützenswert sein muss. Hieran fehlt es, wenn die Ausländerbehörde - wie vorliegend - dem Kläger auf dessen Anfrage zum Stand des Verfahrens auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis lediglich mitteilt, dass gegenwärtig noch eine Sicherheitsüberprüfung stattfinde, und dann zu einem späteren Zeitpunkt ohne jegliche Erläuterung zum Ausgang der Sicherheitsüberprüfung die begehrte Niederlassungserlaubnis erteilt. Auf dieser Grundlage kann der Betroffene nämlich weder wissen, welchen konkreten Umständen die Ausländerbehörde im Rahmen ihrer Sicherheitsüberprüfung nachgegangen ist, noch zu welchen konkreten Erkenntnissen sie hierbei nach Abschluss der Überprüfung gelangt ist. Daher kann der Betroffene aus der Erteilung der Niederlassungserlaubnis billigerweise auch nicht schließen, dass die Ausländerbehörde bei ihrer Sicherheitsüberprüfung alle als potentielle Versagungsgründe in Betracht kommenden Umstände tatsächlich ermittelt und sodann als für die Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis unbeachtlich eingestuft hat.

40

Das angefochtene Urteil beruht jedoch nicht auf diesem Rechtsverstoß, weil das Berufungsgericht auch ohne Berücksichtigung der vor dem für maßgeblich erachteten Zeitpunkt liegenden Umstände von rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen des Klägers ausgegangen ist und die diesbezüglichen Feststellungen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sind. Im Übrigen wäre der Kläger durch die Nichtberücksichtigung weiterer, ihn belastender Umstände auch nicht beschwert. Im Einzelnen hat das Berufungsgericht für die Bestimmung der rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen zutreffend auf die in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäbe zu § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung abgestellt (UA Bl. 35 ff.). Keine abweichende Beurteilung ergibt sich aus dem Einwand des Klägers, die PKK nicht unmittelbar unterstützt zu haben, sondern sich in legalen Vereinigungen betätigt zu haben, die ihrerseits die PKK im Wissen um deren Charakter gewollt und gezielt unterstützen. Denn es stellt keine verminderte Gefahr der Vorfeldunterstützung des Terrorismus dar, wenn die Unterstützung terroristischer Vereinigungen nicht durch isolierte Einzelhandlungen, sondern in Vereinigung mit anderen erfolgt. Hierin liegt auch kein Fehlen der Unmittelbarkeit der Unterstützungshandlungen.

41

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht sodann nach Auswertung der ihm vorliegenden umfangreichen Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden festgestellt, dass der Kläger über mehrere Jahre in teils hervorgehobener Funktion als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter oder Redner regelmäßig an Veranstaltungen teilgenommen und mitgewirkt hat, bei denen offene Propaganda für die PKK betrieben worden ist (UA Bl. 39 - 42). Unter Einbeziehung der Aktivitäten des Klägers in der Zeit seit 2001, wie sie in der Ausweisungsverfügung (S. 3 - 9, 16 - 23) aufgelistet, vom Kläger nicht in Abrede gestellt und vom Berufungsgericht in Bezug genommen worden sind (UA S. 39 f.), stellt sich das Unterstützungshandeln des Klägers wie folgt dar: Der Kläger war von 2001 bis 2003/2004 Vorsitzender des "Kurdischen Kulturverein e.V." in L., der der KONGRA-GEL nahestand. Im Oktober 2004 wurde er in das 15-köpfige Führungskomitee der "Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland" (YEK-KOM) gewählt und gehörte diesem bis zur Auflösung der YEK-KOM im Jahr 2014 an, zeitweilig (bis 2011) war er der 2. Vorsitzende der Vereinigung. Er hat sich im Juni 2014 in den fünfköpfigen Vorstand der die PKK unterstützenden NAV-DEM wählen lassen und diese Vorstandstätigkeit bis zum Tage der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausgeübt (UA Bl. 43 - 45).

42

Der Kläger beteiligte sich seit Mitte 2003 regelmäßig an Kundgebungen und Demonstrationen in unterschiedlichen deutschen Städten (u.a. Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg, Frankfurt, Gelsenkirchen, Düsseldorf, Stuttgart) und in Straßburg/Frankreich, die sich unter anderem für eine Freilassung des inhaftierten PKK-Führers Öcalan aussprachen, des Gründungsjahrestags der PKK und/oder der "Märtyrer des kurdischen Freiheitskampfes" gedachten und Parolen auf die PKK ausriefen. Der Kläger hielt auf einigen dieser Veranstaltungen eine Rede, im Februar 2007 hob er dabei die Bedeutung der Gefallenen für die kurdische Sache hervor, im Januar 2009 sprach er zur aktuellen Lage der Kurden in ihrer Heimat, im März 2010 kritisierte er die Exekutivmaßnahmen der belgischen Polizei gegenüber dem kurdischen TV-Sender ROJ-TV, im November 2011 sprach er auf einer Kundgebung, die zum Thema u.a. die Verwendung von Napalmgas und chemischer Waffen gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei hatte, im Januar 2013 verurteilte er auf einer Kundgebung die Ermordung von drei PKK-Aktivisten in Paris, im Oktober 2015 hielt er anlässlich einer Protestaktion der NAV-DEM in Frankfurt eine Rede.

43

Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger nicht nur seine individuellen Unterstützungshandlungen, sondern sämtliche Aktionen der YEK-KOM und der NAV-DEM aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied persönlich zuzurechnen sind. Die YEK-KOM, der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK nach den gerichtlichen Feststellungen durch eine Vielzahl von Aktionen. Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen oder ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie "Freiheit für Öcalan" und "Frieden für Kurdistan". Im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die "logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans" verankert. Der Verein biete der PKK oder ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Für die NAV-DEM gilt nach den getroffenen Feststellungen nichts anderes. Der Verein sei keine Neugründung, sondern eine Umbenennung des Vereins YEK-KOM. Im Übrigen werde deutlich, dass die NAV-DEM ihre Veranstaltungen und Kundgebungen mit gleichem Ablauf und gleichen Themen durchführe wie zuvor schon unter dem Namen YEK-KOM. Diese zutreffende Würdigung bedeutet auch nicht, dass jeder Einsatz für die Interessen und Belange kurdischer Volkszugehöriger (oder eine Kritik an der Kurdenpolitik der Türkischen Republik) als eine Unterstützung der PKK und damit des Terrorismus einzuordnen wäre.

44

(cc) Soweit schließlich nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausscheidet, wenn der Ausländer ernsthaft und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt, hat das Berufungsgericht ebenfalls in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der Kläger ausweislich seines auch während des Ausweisungsverfahrens fortgesetzten Engagements als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter und Redner auch künftig an seiner Unterstützung der PKK festhalten wird. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Unterstützerverhalten des Klägers sind detailreich und stellen - entgegen der Auffassung der Revision - keine zu schmale Tatsachengrundlage für die getroffenen Feststellungen dar. Damit erfüllt der Kläger die gesetzlichen Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, und es liegt ein Ausweisungsinteresse vor, das besonders schwer wiegt.

45

3. Die angefochtene Verfügung des Beklagten erfüllt auch die besonderen Voraussetzungen, die nach § 53 Abs. 3 AufenthG an die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings zu stellen sind. Ein solcher darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

46

a) Diese den Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG ergänzende Vorschrift legt erhöhte Ausweisungsvoraussetzungen für mehrere rechtlich privilegierte Personengruppen fest, nämlich für Ausländer, die als Asylberechtigte anerkannt sind, die im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießen, die einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention besitzen, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder die eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU besitzen. Für all diese Personengruppen gilt der besondere aus Art. 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG abgeleitete Maßstab, den der Gerichtshof der Europäischen Union auch auf Ausländer erstreckt hat, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - C-371/08 [ECLI:EU:C:2011:809], Ziebell - Slg. 2011, I-12735 Rn. 79, 86). Der Senat folgt nicht der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, wonach die Voraussetzungen des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 53 Abs. 3 AufenthG von vornherein "bereichsspezifisch" gemäß dem durch das Unionsrecht für den jeweiligen Personenkreis bestimmten Ausweisungsschutz auszulegen sind. Vielmehr hat der Gesetzgeber den unionsrechtlichen Schutzstandard für daueraufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige für ausreichend befunden und dessen Geltung für alle genannten Personengruppen angeordnet. Dies entbindet freilich nicht davon, in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob für die jeweils betrachtete Personengruppe der so durch den nationalen Gesetzgeber definierte Ausweisungsschutz dem unionsrechtlichen Maßstab tatsächlich genügt. Nur wenn der unionsrechtliche Maßstab strenger ist als derjenige, der durch den Gesetzgeber in § 53 Abs. 3 AufenthG festgelegt worden ist, bedarf § 53 Abs. 3 AufenthG nach allgemeinen Grundsätzen einer unionsrechtskonformen Auslegung, die angesichts der Weite der Tatbestandsmerkmale und des erkennbaren gesetzgeberischen Willens, europarechtlichen Maßstäben zu genügen, auch möglich ist (so auch Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 54).

47

Im vorliegenden Fall ist § 53 Abs. 3 AufenthG unionsrechtskonform nach den Vorgaben der EU-Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU auszulegen. Die Richtlinie formuliert keine Vorgaben für eine Ausweisung im Sinne des deutschen Rechts, wohl aber für eine Zurückweisung in den Herkunftsstaat (Art. 21 Abs. 2 und 3) und für den Entzug des Aufenthaltstitels (Art. 24 Abs. 1).

48

b) Nach Art. 21 Abs. 3 der EU-Anerkennungsrichtlinie darf ein Mitgliedstaat den einem Flüchtling erteilten Aufenthaltstitel widerrufen, wenn die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 2 vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 2012 - 1 C 8.11 - BVerwGE 143, 138 Rn. 21). Fällt ein Flüchtling nicht in den Anwendungsbereich von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie, kann auch Abs. 3 dieser Vorschrift nicht zu Anwendung kommen (EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 - Rn. 44). Eine Zurückweisung ist nach Art. 21 Abs. 2 Buchst. a zulässig, wenn es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass der Flüchtling eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält. Es kann offenbleiben, ob vom Kläger eine Gefahr im Sinne dieser Vorschrift ausgeht, denn die Zurückweisung ist nur unter der weiteren Voraussetzung rechtmäßig, dass sie dem Mitgliedstaat nicht aufgrund seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen untersagt ist (Art. 21 Abs. 2). Dazu zählen die Verpflichtungen aus Art. 3 EMRK (vgl. Begründung der Kommission im Richtlinienvorschlag vom 12. September 2001 KOM (2001) 510 endg. S. 33 zu Art. 19). Dem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK kommt absoluter Charakter zu; es kann mithin - anders als das Refoulement-Verbot nach Art. 33 Abs. 1 GFK - nicht unter den Voraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 Richtlinie 2011/95/EU i.V.m. Art. 35 Abs. 2 GFK durchbrochen werden (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 5. April 2016 - C-404/15 und C-659/15 PPU [ECLI:EU:C:2016:198], Aranyosi und Căldăraru - Rn. 85 - 87; EGMR, Urteil vom 17. Dezember 1996 - Nr. 71/1995/577/663, Ahmed/Österreich - NVwZ 1997, 1100 Rn. 39 - 41). Für den Kläger besteht ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK. Denn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat im Anerkennungsbescheid vom 9. Oktober 1997 nicht nur die Flüchtlingseigenschaft des Klägers nach dem seinerzeit maßgeblichen § 51 Abs. 1 AuslG 1990, sondern auch ein Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990 hinsichtlich der Türkei festgestellt und dieses damit begründet, dass dem Kläger in der Türkei unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Diese Feststellung des Bundesamts begründet hier ein - absolutes - nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Insoweit kommt der Feststellung des Bundesamts im vorliegenden Verfahren über § 42 AsylG auch Bindungswirkung zu. Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU begrenzt damit den behördlichen Handlungsspielraum für eine Abschiebung in einen Verfolgerstaat oder einen Staat, in dem Gefahren nach Art. 3 EMRK drohen. Die Vorschrift setzt jedoch keine Maßstäbe für eine lediglich "inlandsbezogene" Ausweisung, die - wie hier - insbesondere den Verlust des Aufenthaltstitels zur Folge hat.

49

c) Unionsrechtliche Maßstäbe für eine zum Verlust des Aufenthaltstitels eines Flüchtlings führende inlandsbezogene Ausweisung lassen sich aus Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie gewinnen. Die Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten, einem Flüchtling so bald wie möglich nach der Anerkennung einen Aufenthaltstitel auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.

50

(aa) Der Inhalt dieser Norm wurde vom Gerichtshof der Europäischen Union in einem auf ein Vorlageersuchen des Berufungsgerichts ergangenen Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) näher bestimmt. Die Entscheidung bezieht sich zwar auf Art. 24 Abs. 1 der EG-Anerkennungsrichtlinie 2004/83/EG, ihre Aussagen sind aber uneingeschränkt auf die in der Sache unveränderte Vorschrift des Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU übertragbar. Danach kann einem Flüchtling nach Art. 24 Abs. 1 nicht nur die Erteilung eines Aufenthaltstitels versagt werden, sondern der erteilte Aufenthaltstitel auch nachträglich widerrufen werden, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen (a.a.O. Rn. 55). Soweit in der Neufassung der Vorschrift nunmehr von zwingenden Gründen der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung die Rede ist, ist damit keine inhaltliche Änderung verbunden. Diese Wirkung einer Entziehung des Aufenthaltstitels kommt der hier verfügten Ausweisung zu, die wegen des entgegenstehenden Abschiebungsverbots nach Art. 3 EMRK nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung führt. Entgegen einer am Wortlaut orientierten Auslegung von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie hat der darin verwendete Begriff der "zwingenden Gründe" nach dem EuGH-Urteil eine weitere Bedeutung als der Begriff der "stichhaltigen Gründe" in Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie. Das bedeutet, dass bestimmte Umstände, die nicht den Schweregrad aufweisen, um eine Zurückweisung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie verfügen zu können, den Mitgliedstaat gleichwohl dazu berechtigen können, auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie dem betroffenen Flüchtling seinen Aufenthaltstitel zu entziehen (a.a.O. Rn. 75).

51

Bei der Bestimmung des Bedeutungsgehalts der "zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" hat der EuGH zunächst Bezug auf seine Rechtsprechung zu den Begriffen der "öffentlichen Sicherheit" und der "öffentlichen Ordnung" in Art. 27 und 28 der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG genommen (a.a.O. Rn. 77 ff.). Danach umfasst der Begriff "öffentliche Sicherheit" im Sinne von Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats. Die öffentliche Sicherheit kann danach berührt sein, wenn das Funktionieren staatlicher Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste beeinträchtigt wird oder eine Gefahr für das Überleben der Bevölkerung oder einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker besteht oder militärische Interessen beeinträchtigt werden. Dabei deutet der Begriff der "zwingenden Gründe" auf einen besonders hohen Schweregrad der Beeinträchtigung hin (a.a.O. Rn. 78). Den Begriff der "öffentlichen Ordnung" hat der EuGH für die Unionsbürgerrichtlinie dahin ausgelegt, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliegen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (a.a.O. Rn. 79). Zugleich betont er, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, nach ihren nationalen Bedürfnissen, die je nach Mitgliedstaat und Zeitpunkt unterschiedlich sein können, zu bestimmen, was die öffentliche Ordnung und Sicherheit erfordern (a.a.O. Rn. 77).

52

Für den Fall der Unterstützung des Terrorismus hat der EuGH zudem auf den 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83/EG, heute 37. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95/EU hingewiesen, wonach der Begriff der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" auch für die Fälle gilt, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt. Dabei muss das nationale Gericht in einem ersten Schritt prüfen, ob die Handlungen der fraglichen Organisation die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedrohen. Wird eine vom Flüchtling unterstützte Vereinigung in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93) geführt, ist dies ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie entweder eine terroristische Organisation ist oder im Verdacht steht, eine solche Organisation zu sein (a.a.O. Rn. 83). Allein der Umstand, dass ein Flüchtling eine solche Organisation unterstützt hat, darf jedoch nicht automatisch zur Aufhebung seines Aufenthaltstitels führen. Vielmehr ist in einem zweiten Schritt einzelfallbezogen die Rolle zu prüfen, die der Betreffende im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt hat (a.a.O. Rn. 90), und auch der Schweregrad der Gefahr zu beurteilen, die von seinen Handlungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (a.a.O. Rn. 92).

53

(bb) Das Berufungsgericht hat die vom Kläger geleisteten und ihm zuzurechnenden Unterstützungshandlungen an dem vom EuGH präzisierten Maßstab für die Auslegung des Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie gemessen und ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass sich hieraus zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ergeben, die einen Entzug des Aufenthaltstitels gegenüber dem Kläger rechtfertigen. Das Gericht hat bereits im Rahmen seiner Prüfung des besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausführlich begründet, warum die PKK eine terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung darstellt (UA S. 27 - 34). Dabei hat es gewürdigt, dass die PKK auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist und auch weiterhin terroristische Aktivitäten entfaltet. In einem zweiten Schritt hat es näher dargelegt, warum die in Deutschland agierenden Vereinigungen YEK-KOM und NAV-DEM, für die der Kläger seit mehr als zwölf Jahren in hervorgehobenen Funktionen wirkte, und der Kläger auch individuell durch Anmeldung und Leitung von Versammlungen sowie Redebeiträge und weitere Aktivitäten die PKK unterstützt haben und weiter unterstützen (UA S. 55, 34 - 48). Die Bewertung des Berufungsgerichts, dass der Kläger damit die Voraussetzungen für den Entzug seines Aufenthaltstitels nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie erfüllt, steht mit der Rechtsprechung des EuGH in Einklang. Zwar hat er selbst keine terroristischen Handlungen begangen, auch nicht andere Personen hierzu angeleitet oder sich an der Planung oder Finanzierung terroristischer Aktionen beteiligt, wie das der EuGH als mögliches Unterstützerhandeln erwähnt (a.a.O. Rn. 90). Diese Aufzählung des Gerichtshofs ist jedoch nur beispielhaft, macht zugleich aber deutlich, dass der Betreffende eine gewichtige Rolle im Rahmen seiner Unterstützung der terroristischen Organisation gespielt haben muss.

54

Bei der Frage, was als gewichtig anzusehen ist, ist der 37. Erwägungsgrund der Richtlinie zu berücksichtigen, wonach auch die Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, und die Unterstützung einer derartigen Vereinigung als Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung anzusehen sind. Die abschließende Bewertung, ob die Unterstützungshandlung hinreichend gewichtig ist, um "zwingende Gründe" darzustellen, überlässt der Gerichtshof dem verantwortlichen nationalen Gericht und erkennt auch einen Einschätzungsspielraum der Mitgliedstaaten an, nach ihren nationalen Bedürfnissen zu bestimmen, was die nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung erfordern. Diese abschließende Bewertung hat das Berufungsgericht dahin getroffen, dass die Unterstützungshandlungen des Klägers dem von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie geforderten Gewicht entsprechen. Es hat dies auf der Grundlage der Gewichtungsvorgabe des nationalen Gesetzgebers in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nachvollziehbar mit dem mehr als zwölfjährigem Unterstützerhandeln des Klägers in hervorgehobener Position innerhalb zweier Vereinigungen begründet, in dessen Rahmen er an zahlreichen Veranstaltungen mitwirkte, an denen sich Akteure beteiligten, die offen für die PKK warben und deren Kurs vorbehaltlos befürworteten (Auftreten in Guerillauniform, Märtyrergedenken, Grußbotschaften an die Kämpfer an der Front usw.). Für das Gewicht seines Unterstützerhandelns durfte das Gericht auch berücksichtigen, dass der Kläger nach den tatrichterlichen Feststellungen in vollem Bewusstsein um dessen Bedeutung für den ideologischen Zusammenhalt der PKK und in dem Willen gehandelt hat, diese vorbehaltlos auch in Bezug auf deren terroristische Aktivitäten zu unterstützen (UA S. 55).

55

(cc) Der EuGH hat in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13 Rn. 95 ff.) aber hervorgehoben, dass ein Flüchtling, dessen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie aufgehoben wird, seinen Flüchtlingsstatus behält, sofern und solange ihm nicht dieser Status entzogen worden ist. Daher ist er auch nach dem Verlust seines Aufenthaltstitels weiterhin Flüchtling und hat in dieser Eigenschaft weiterhin Anspruch auf die Vergünstigungen, die das Kapitel VII der Richtlinie jedem Flüchtling gewährleistet, so insbesondere auf Schutz vor Zurückweisung, auf Wahrung des Familienverbands, auf Ausstellung von Reisedokumenten, auf Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung, zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie auf Zugang zu Integrationsmaßnahmen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift. Diese Rechte dürfen, auch soweit sie nach nationalem Recht an den Besitz eines Aufenthaltstitels anknüpfen, von den zuständigen Behörden daher nicht mit der Begründung versagt werden, dass der Aufenthalt des Flüchtlings infolge der Ausweisung rechtswidrig geworden ist. Allerdings darf die Ausstellung eines Reiseausweises nach Art. 25 EU-Anerkennungsrichtlinie versagt werden, wenn - etwa zur Begegnung der Gefahr terroristischen Unterstützungshandelns - zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung entgegenstehen. Ebenso dürfen nach Art. 33 der Richtlinie aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen verfügt werden, wenn diese aus Gründen der öffentlichen Sicherheit auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern zulässig sind.

56

Eventuelle Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der dem Flüchtling auch nach Entzug des Aufenthaltstitels weiter zustehenden Rechte nach Kapitel VII der EU-Anerkennungsrichtlinie infolge unzureichender Umsetzung der Richtlinie in den einschlägigen nationalen Fachgesetzen berühren nicht die Rechtmäßigkeit der verfügten Ausweisung. An die Beachtung der einen Flüchtling unmittelbar begünstigenden Vorschriften in Kapitel VII der Richtlinie und die hierzu ergangene Rechtsprechung des EuGH sind seit Ablauf der Umsetzungsfrist alle nationalen Behörden gebunden. Der Flüchtling hat seine Rechte gegenüber den jeweils zuständigen Behörden und erforderlichenfalls Gerichten geltend zu machen. Auch die Generalanwältin hat es insoweit als die Pflicht der nationalen Gerichte angesehen, für die volle Wirksamkeit der Bestimmungen der Richtlinie Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede entgegenstehende Vorschrift des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 11. September 2014 - C-373/13 - Rn. 114 letzter Absatz).

57

4. Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen gewichtige Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1, § 55 AufenthG gegenüber. Diese hat das Berufungsgericht zutreffend bestimmt (UA S. 59 f.). Es hat berücksichtigt, dass der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besessen hat, die durch die Ausweisungsverfügung betroffen ist, er mit deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und er sein Personensorgerecht für minderjährige ledige Deutsche ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG).

58

5. Das Berufungsgericht hat das öffentliche Ausweisungsinteresse gegen die Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG unter Berücksichtigung der den Einzelfall prägenden Umstände abgewogen und ist unter Beachtung des hierfür zentralen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass das Ausweisungsinteresse überwiegt (UA S. 60 - 64). Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Gericht hat berücksichtigt, dass der Kläger besonderen Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie genießt, hier allerdings auf absehbare Zeit keine Aufenthaltsbeendigung beabsichtigt ist, da ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht. Es hat seinen langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und seine familiären Bindungen im Sinne von Art. 6 GG, Art. 8 EMRK gewürdigt, diesen durch die Verfügung allerdings insoweit nicht als beeinträchtigt angesehen, als keine Aufenthaltsbeendigung erfolgt. Es hat bei seiner Abwägung berücksichtigt, dass der Kläger in seinen geschützten Bindungen dadurch betroffen ist, dass sein Aufenthalt auf das Gebiet der Stadt M. beschränkt und er Meldeauflagen unterworfen ist. Weitere schützenswerte Bindungen hat das Gericht nicht anerkannt und dies nachvollziehbar damit begründet, dass der Kläger ungeachtet seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland kaum deutsch spricht, nur sporadisch und für kürzere Zeiträume erwerbstätig war und seit längerem von Sozialleistungen abhängig ist. Schließlich hat das Berufungsgericht in die Abwägung eingestellt, dass es der Kläger in der Hand hat, durch eine glaubhafte Abkehr von seinem bisherigen Verhalten eine Aufhebung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu erreichen.

59

6. Ohne Rechtsverstoß wertet das Berufungsurteil die in Ziffer 2 der angefochtenen Verfügung angeordnete Aufenthaltsbeschränkung und die verfügten Meldeauflagen als rechtmäßig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliegt ein Ausländer, gegen den - wie hier - eine Ausweisungsverfügung aufgrund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG besteht, der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Gestützt auf diese Ermächtigung hat der Beklagte bestimmt, dass sich der Kläger zweimal wöchentlich zu melden hat. Ferner hat er den Aufenthalt des Klägers auf den Bereich der Stadt M. beschränkt, wie das § 56 Abs. 2 AufenthG vorsieht, wenn die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft. Diese aufenthaltsbeschränkenden Maßnahmen durften gegenüber dem Kläger trotz dessen Rechtsstellung als Flüchtling ergehen. Dadurch wird sein Recht auf Freizügigkeit gemäß Art. 33 EU-Anerkennungsrichtlinie nicht verletzt. Denn derartige Maßnahmen dürfen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, wie sie hier wegen des Erfordernisses der Abwehr von terrorismusfördernden Aktivitäten vorliegen, auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern verfügt werden (§ 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG).

60

7. Zutreffend ist das Berufungsgericht auch zu dem Ergebnis gekommen, dass die für die Ausweisung des Klägers anwendbaren Regelungen des Ausweisungsrechts nicht gegen assoziationsrechtliche Verschlechterungsverbote aus Art. 13 ARB 1/80, Art. 7 ARB 2/76 und Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen (BGBl. 1972 II S. 385) verstoßen. Dabei kann offenbleiben, ob hier überhaupt eines der Verschlechterungsverbote Anwendung findet. Denn der zum 1. Januar 2016 eingeführte Übergang von einer Ermessensentscheidung zu einer gebundenen Entscheidung stellt keine Verschlechterung der Rechtsstellung des betroffenen Ausländers dar (a). Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung bewirkte zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für betroffene Ausländer, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt (b).

61

a) Die zum 1. Januar 2016 eingeführte Neuregelung des Ausweisungsrechts, die die bisherige Ermessensausweisung durch eine am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte gebundene Ausweisung abgelöst hat, hat die Rechtsstellung der Ausländer in der hier gebotenen und auch unionsrechtlich statthaften Gesamtschau nicht verschlechtert, sondern jedenfalls teilweise verbessert. Denn bisher sah das Gesetz Tatbestände einer zwingenden Ausweisung (Ist-Ausweisung), regelmäßig erfolgenden Ausweisung (Soll-Ausweisung) und Ausweisung nach Ermessen (Kann-Ausweisung) vor. Die zwingende Ausweisung und die regelmäßig erfolgende Ausweisung widersprachen für den Personenkreis der unionsrechtlich privilegierten Ausländer der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach eine Ausweisung ausschließlich auf ein persönliches Verhalten des Ausländers gestützt werden darf, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 [ECLI:EU:C:2004:262], Orfanopoulos und Oliveri - Slg. 2004, I-5257 Rn. 66 f.). Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass eine Regelung gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, wonach eine Ausweisung automatisch aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung verfügt wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird (a.a.O. Rn. 70). Aber auch die nationale Bestimmung über die Regelausweisung hat für den Gerichtshof den Anschein erweckt, dass trotz der Berücksichtigung individueller Umstände ein gewisser Automatismus oder jedenfalls eine Vermutung besteht, dass der betreffende Staatsangehörige auszuweisen ist (a.a.O. Rn. 92).

62

Daraus hat das Bundesverwaltungsgericht die Schlussfolgerung gezogen, dass die gesetzliche Regelung zur zwingenden Ausweisung und Regelausweisung auf unionsrechtlich privilegierte Ausländer nicht mehr angewendet werden darf (BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <302> betreffend Unionsbürger und - 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <321> betreffend Assoziationsberechtigte nach ARB 1/80). Der Gesetzgeber hat daraus durch das zum 1. Januar 2016 in Kraft getretene neue Ausweisungsrecht die Konsequenzen gezogen. Insofern stellt die neue Rechtslage eine Verbesserung gegenüber der bisherigen dar. Eine Ausweisung nach neuem Recht hat eine einzelfallbezogene umfassende Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen und orientiert sich dabei strikt am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 53 Abs. 1 und 2 AufenthG). Damit setzt der Gesetzgeber Vorgaben um, die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 - Rn. 99) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR , Urteil vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 57 - 60) ergeben.

63

Es stellt keine Verschlechterung der Rechtslage für unionsrechtlich privilegierte Ausländer dar, dass ihre Ausweisung nach früherer Rechtslage im Wege einer Ermessensentscheidung erfolgte, nach neuem Recht hingegen im Wege einer rechtlich gebundenen Ausweisung, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Damit entfällt zwar die Möglichkeit, aus Gründen der Zweckmäßigkeit von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen. Auf ein solches Absehen von einer rechts- und ermessensfehlerfrei möglichen Ausweisung hatte der Ausländer aber zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch, auch die gerichtliche Kontrolle war insoweit durch § 114 VwGO eingeschränkt; durch die gesetzliche Neuregelung wird also keine individuelle Rechtsposition beeinträchtigt. Im Übrigen ist für die Beachtung des Verschlechterungsverbots auf die tatsächliche Praxis und nicht allein auf die abstrakte Rechtslage abzustellen. Die Rechtspraxis wurde maßgeblich durch die Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz des Bundesministeriums des Innern vom 26. Oktober 2009 gesteuert. Danach lag die Ausweisungsentscheidung im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde, bei der Ermessensausübung waren das schutzwürdige Interesse des Ausländers am weiteren Verbleib in Deutschland und das öffentliche Interesse an der Ausweisung gegeneinander abzuwägen (Ziffer 55.1.3). Das weist auf eine Rechtspraxis hin, die der heute normierten gebundenen Ausweisung entspricht, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Insofern hat sich die Rechtsstellung des Ausländers nicht verschlechtert.

64

b) Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung hat zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für die betroffenen Ausländer bewirkt, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Die seinerzeitige Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung (§ 54 Nr. 5 AufenthG a.F.) führte zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gegenüber der früheren Rechtslage, die allein den Tatbestand der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland kannte. Durch die Rechtsänderung wurde nun auch die Vorfeldunterstützung des Terrorismus erfasst. Diese ist jedoch mit Blick auf das Verschlechterungsverbot aus Art. 13 ARB 1/80 aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 14 ARB 1/80, jedenfalls aber durch ein zwingendes Allgemeininteresse, namentlich die völkerrechtlich gebotene Terrorismusbekämpfung auch bereits im Vorfeld unmittelbarer terroristischer Handlungen, gerechtfertigt.

65

8. Nach der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG ist über die Länge der Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach Ermessen zu entscheiden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Diese gesetzgeberische Entscheidung ist mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom gleichen Tage - 1 C 27.16 - Rn. 20 ff.). Das Urteil des Senats zur Vorläuferfassung des § 11 AufenthG a.F., wonach eine gebundene Entscheidung zu treffen war (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.), erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihm ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen. Eine solche Ermessensentscheidung hat der Beklagte hier noch nicht getroffen. Vielmehr hat bisher das Verwaltungsgericht das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach der seinerzeit geltenden Rechtslage im Wege einer gebundenen Entscheidung auf acht Jahre festgesetzt.

66

Der Beklagte hat die nach neuem Recht nunmehr gebotene Ermessensentscheidung nachzuholen. Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange.

67

B. Der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellte (weitere) Hilfsantrag, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass dem Kläger auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie, ist unzulässig. Er stellt eine unzulässige Klageerweiterung im Revisionsverfahren dar (§ 142 Abs. 1 VwGO). Im Übrigen bedarf es einer solchen behördlichen Feststellung auch nicht. Aus dem für alle nationalen Behörden verbindlichen EuGH-Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) ergibt sich bis zu einer dem Gesetzgeber vorbehaltenen Anpassung der einschlägigen Fachgesetze hinreichend deutlich, dass dem Kläger - solange er die Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der EU-Anerkennungsrichtlinie genießt - auch die mit dieser Rechtsstellung einhergehenden Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie zustehen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift (vgl. dazu auch die vorstehenden Ausführungen in Rn. 55 f. dieses Urteils).

68

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat gewichtet den gegen die Ausweisung, die Meldeauflage, die Aufenthaltsbeschränkung und die Abschiebungsandrohung gerichteten Anfechtungsantrag mit 4/5 und den auf Befristung zielenden Verpflichtungsantrag mit 1/5 (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 46).

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus Deutschland. Hilfsweise erstrebt er eine neue Entscheidung des Beklagten über die Befristung des mit der Ausweisung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots.

2

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volkszugehörigkeit. Er wurde 1973 in der Türkei geboren, ist verheiratet und hat sieben Kinder. Er reiste 1997 nach Deutschland ein und beantragte hier Asyl, da er in der Türkei wegen seines Engagements in prokurdischen Vereinen und Parteien sowie verwandtschaftlichen Beziehungen zu Guerillakämpfern der sog. Arbeiterpartei Kurdistans - PKK - an Leib und Leben bedroht sei. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) vom 9. Oktober 1997 wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach dem damaligen § 51 Abs. 1 AuslG 1990 zuerkannt und zu seinen Gunsten ein Abschiebungsverbot wegen drohender Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK (damals § 53 Abs. 4 AuslG 1990) festgestellt. Der Kläger ist lediglich sporadisch und für kurze Zeiträume einer Erwerbstätigkeit nachgegangen, gleiches gilt für seine Ehefrau. Er bezieht mit seiner Familie Leistungen nach dem SGB II.

3

Vom 1. April 1998 bis zum 1. Dezember 2009 war der Kläger im Besitz jeweils befristeter Aufenthaltstitel. Am 13. März 2009 teilte das Bundesamt der Ausländerbehörde mit, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 73 Abs. 1 oder 2 AsylVfG nicht vorlägen. Im März 2009 stellte der Kläger bei der Ausländerbehörde der Stadt M. einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Auf Anfrage teilte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg der Ausländerbehörde im Mai 2009 mit, dass hinsichtlich der Person des Klägers "Erkenntnisse" vorlägen, über die das Innenministerium Baden-Württemberg gesondert informiert worden sei. Dessen ungeachtet wurde dem Kläger am 4. Dezember 2009 ohne weitere Mitteilung zum Stand der Sicherheitsüberprüfung eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG erteilt.

4

Das Regierungspräsidium K. teilte dem Kläger mit Schreiben vom 23. Juli 2010 mit, dass die Niederlassungserlaubnis in Unkenntnis der Sicherheitsbedenken erteilt worden sei und derzeit deren Rücknahme und eine Ausweisung geprüft werde. Hierzu werde dem Kläger die Möglichkeit eines Sicherheitsgesprächs zur weiteren Aufklärung gegeben. Dieses fand im Februar 2011 statt; allerdings verweigerte der Kläger mit Ausnahme eines durch ihn ausgefüllten Fragebogens die weitere Mitwirkung.

5

Mit Verfügung vom 10. Januar 2012 wies das Regierungspräsidium K. den Kläger aus (Ziffer 1) und stützte sich dabei auf § 54 Nr. 5, § 56 Abs. 1, § 55 AufenthG a.F. Zudem wurde der Kläger verpflichtet, sich zweimal wöchentlich unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapiers bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, und sein Aufenthalt wurde auf den Bereich der Stadt M. begrenzt (Ziffer 2).

6

Die Ausweisung sei gerechtfertigt, weil Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Kläger Vereinigungen unterstütze, die ihrerseits den Terrorismus unterstützten. So habe der Kläger nach den vorliegenden Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in den Jahren 2001 bis 2010 regelmäßig an näher bezeichneten Veranstaltungen und Demonstrationen der PKK-Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL teilgenommen und sei teilweise auch selbst als Redner bei derartigen Veranstaltungen aufgetreten. Von 2001 bis 2003/2004 sei er Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Kurdischer Kulturverein e.V." in L. gewesen. Außerdem sei er seit langem Vorstandsmitglied und nunmehr sogar zweiter Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM). Die Ausweisung sei trotz des dem Kläger als anerkanntem Flüchtling zustehenden besonderen Ausweisungsschutzes aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt und auch mit Blick auf die Bleibeinteressen des Klägers verhältnismäßig. Sie führe zudem nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung, vielmehr bleibe seine Abschiebung ausgesetzt, da ihr Abschiebungsverbote aufgrund der Rechtsstellung des Klägers als Flüchtling sowie nach § 60 Abs. 5 AufenthG entgegenstünden. Die angeordnete zweimalige wöchentliche Meldepflicht und die räumliche Beschränkung auf den Stadtbezirk M. beruhten auf § 54a AufenthG (a.F.) und seien mit Blick auf die gebotene Überwachung des Klägers und zur Eindämmung seiner gefahrbegründenden Aktivitäten erforderlich und angemessen.

7

Das Verwaltungsgericht hat die gegen die Verfügung gerichtete Klage mit Urteil vom 27. Januar 2015 abgewiesen, zugleich aber den Beklagten verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf acht Jahre nach Ausreise des Klägers zu befristen. Mit Urteil vom 13. Januar 2016 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung zurückgewiesen. Dabei hat er die angefochtene Ausweisungsverfügung an der seit dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung des AufenthG gemessen. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof insbesondere ausgeführt: Im Fall des Klägers liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, weil der Kläger in überwiegend herausgehobener Funktion die PKK und damit eine terroristische oder den Terrorismus unterstützende Vereinigung unterstützt habe. Dabei seien allerdings nur Aktivitäten nach Juli 2010 heranzuziehen, also nach der an den Kläger gerichteten Mitteilung, wegen seiner Aktivitäten werde die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft. Als tatbestandserhebliches Unterstützen sei hiernach jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirke. Nach diesem Maßstab seien die im Urteil im Einzelnen näher bezeichneten und durch den Kläger in der Sache eingeräumten Betätigungen als Teilnehmer, Mitglied, Redner und Versammlungsleiter bei diversen die PKK unterstützenden Veranstaltungen sowie als Vorstandsmitglied der die PKK unterstützenden YEK-KOM und deren Nachfolgeorganisation NAV-DEM als Unterstützungshandlung zu werten. Angesichts des Ablaufs der Veranstaltungen, der dort gehaltenen Reden und der klaren Ausrichtung auf den Führerkult um den PKK-Führer Öcalan sowie gefallene Märtyrer bestünden für das Berufungsgericht keine Zweifel daran, dass sich der Kläger den Zielen der PKK verpflichtet fühle und sie mit seinem Tun unterstützen wolle.

8

Die Ausweisungsverfügung werde auch dem erhöhten Ausweisungsschutz gerecht, der dem Kläger als anerkanntem Flüchtling nach § 53 Abs. 3 AufenthG zustehe. Denn es lägen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU vor, wonach ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel widerrufen werden könne.

9

Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse stehe ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber. Denn er habe eine Niederlassungserlaubnis besessen, die gerade durch die Ausweisungsverfügung betroffen sei. Er lebe mit deutschen Familienangehörigen (sechs seiner Kinder) in familiärer Lebensgemeinschaft und übe sein Personensorgerecht für seine minderjährigen Kinder aus. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung überwiege jedoch das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers.

10

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Revision und rügt in mehrfacher Hinsicht eine Verletzung von Bundesrecht. Zunächst habe das Berufungsgericht den Begriff des "Unterstützens" in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG fehlerhaft ausgelegt und angewandt. Der von ihm in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht angewandte Unterstützungsbegriff sei rechtsstaatlich nicht hinreichend konkret. Jedenfalls auf der Grundlage des neuen, seit Jahresanfang 2016 geltenden Ausweisungsrechts, das nach "schwerwiegenden" und "besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen" differenziere, sei dieser Unterstützungsbegriff nicht mehr als Abgrenzungskriterium geeignet. Notwendig sei ein gefahrenabwehrrechtlich ausgerichteter Unterstützungsbegriff, der sich etwa in Anlehnung an strafrechtliche Zurechnungskriterien wie Anstiftung oder Beihilfe oder die im Strafrecht für Organisationsdelikte entwickelten Zurechnungskriterien gewinnen lassen könne.

11

Fehlerhaft sei zudem die Auslegung und Anwendung von § 53 Abs. 3 AufenthG im Hinblick auf die sich aus Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie ergebenden Voraussetzungen. Denn das Berufungsgericht habe weder festgestellt, dass der Kläger unmittelbar der PKK angehöre, noch dass sich die YEK-KOM oder die NAV-DEM selbst terroristischer Methoden bedienten. Weiterhin verkenne das Berufungsgericht die durch den Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) aufgestellten Anforderungen an die festzustellenden Unterstützungshandlungen. Danach sei insbesondere zu prüfen, ob der Betroffene selbst terroristische Handlungen begangen habe, ob und in welchem Maße er an der Planung, an Entscheidungen oder an der Anleitung anderer Personen zum Zwecke der Begehung solcher Handlungen beteiligt war und ob und in welchem Umfang er solche Handlungen finanziert oder anderen Personen die Mittel für ihre Begehung verschafft habe. Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts habe der EuGH damit nicht lediglich beispielhaft die in den maßgeblichen Vorlagefragen des Ausgangsverfahrens vorgehaltenen Handlungen herausgegriffen, sondern in einem abschließenden Sinne bestimmte Kriterien vorgegeben.

12

Weiter setze der Gefahrenbegriff des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine "konkrete Gefahr" voraus. Weder der Wortlaut noch die der Vorschrift zugrunde liegende Entstehungsgeschichte rechtfertigten eine Absenkung dieser Gefahrenschwelle. Das Berufungsgericht hätte daher prüfen müssen, ob der Kläger die für die objektive Unterstützung zu Grunde gelegten Tatsachen und Umstände gekannt und eine zweckgerichtete Unterstützung auch gewollt habe.

13

Schließlich habe das Berufungsgericht verkannt, dass dem Kläger nach dem Urteil des EuGH vom 24. Juni 2015 selbst dann, wenn ihm der Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie entzogen werden dürfe, für die Zeit der Fortdauer seines Flüchtlingsstatus die Rechte nach Kapitel VII dieser Richtlinie erhalten bleiben. Deshalb beantragte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hilfsweise, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass ihm auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie.

14

Der Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und tritt der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bei.

15

Während des Revisionsverfahrens hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 20. Oktober 2016 die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes für den Kläger widerrufen und entschieden, ihm weder die Flüchtlingseigenschaft noch den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Gegen den Bescheid hat der Kläger Klage erhoben.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist im Wesentlichen unbegründet. Das Berufungsgericht hat die Ausweisung des Klägers und die ihm auferlegte Meldepflicht und Aufenthaltsbeschränkung im Ergebnis zu Recht als rechtmäßig eingestuft. Allerdings war auf der Grundlage der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG der Beklagte zu einer nunmehr gebotenen Ermessensentscheidung über die festzusetzende Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG zu verpflichten.

17

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren des Klägers auf Aufhebung der Ausweisung (Ziffer 1 des Bescheids) sowie der Meldeauflagen und Aufenthaltsbeschränkung (Ziffer 2 des Bescheids). Aber auch der Streit über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs - im Berufungsverfahren und anschließend im Revisionsverfahren angefallen. Denn das Befristungsbegehren ist als Minus notwendiger Bestandteil des Begehrens auf Aufhebung einer Ausweisung und kann daher von den Parteien nicht gesondert aus dem Verfahren ausgegliedert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 28 ff.). Hiervon sind im Übrigen vorliegend auch die Parteien übereinstimmend ausgegangen.

18

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der Meldepflicht und der Aufenthaltsbeschränkung sowie der vom Kläger hilfsweise begehrten Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 8 m.w.N.). Der Entscheidung sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162) zugrunde zu legen, zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155).

19

A. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG, weil der Kläger anerkannter Flüchtling ist.

20

1. Nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht ergibt sich der Grundtatbestand der Ausweisung aus § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

21

Das neue Ausweisungsrecht gibt das mit dem Ausländergesetz 1990 eingeführte dreistufige Konzept der Ist-, Regel- und Kann-Ausweisung auf. Stattdessen hat sich der Gesetzgeber für ein einheitliches System der rechtlich gebundenen Ausweisung entschieden ("wird ausgewiesen"), das vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. § 54 AufenthG benennt konkret die Gründe, wann das Ausweisungsinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt und knüpft damit an Tatbestände der früheren Ist- und Regelausweisung an. In § 55 AufenthG werden - spiegelbildlich hierzu - Tatbestände normiert, denen zufolge das Bleibeinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt, wobei auch die Aufzählung der "schwer" wiegenden Bleibeinteressen nicht abschließend ist. In § 53 Abs. 2 AufenthG werden Gesichtspunkte genannt, die bei der Abwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sind, insbesondere die Dauer des Aufenthalts, Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, Folgen der Ausweisung für Angehörige und Partner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat.

22

Die Rechtsprechung des Senats, die ihrerseits Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aufgreift (vgl. Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <301 ff.> und vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 14 ff.), hat bei der Entwicklung des neuen Ausweisungsrechts eine entscheidende Rolle gespielt (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 25. Februar 2015, BT-Drs. 18/4097 S. 49). Dabei griff der Gesetzgeber Vorschläge zur Neuregelung des Ausweisungsrechts auf, die Vertreter der Rechtsprechung unterbreitet haben (vgl. Dörig, NVwZ 2010, 921 <922>; Bergmann, ZAR 2013, 318 <322> sowie Gesetzesvorschlag Bergmann/Dörig vom Januar 2014, veröffentlicht in: Barwig u.a., Steht das europäische Migrationsrecht unter Druck?, 2014, S. 111 f.). Die Ausweisung setzt nunmehr nach § 53 Abs. 1 AufenthG eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Sofern nach dieser Gesamtabwägung das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib in Deutschland überwiegt, wird der Ausländer ausgewiesen, andernfalls kommt eine Aufenthaltsbeendigung nach § 53 Abs. 1 AufenthG nicht in Betracht.

23

Die Tatbestandsmerkmale der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" im ausweisungsrechtlichen Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG sind nach der Begründung des Gesetzgebers im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Auch die Gefährdung dieser Schutzgüter bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten wird. Mit Blick auf die verwendeten Begriffe sollte keine Ausweitung des Gefahrenbegriffs gegenüber dem bislang geltenden Recht erfolgen, vielmehr sollten lediglich die bislang verwandten unterschiedlichen Formulierungen aneinander angeglichen werden. Die von § 53 Abs. 1 AufenthG geforderte Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers in Deutschland erfolgt dabei nach der Intention des Gesetzgebers nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar.

24

Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" (Absatz 1) oder als "schwerwiegend" (Absatz 2). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sind neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Interessen aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Die Katalogisierung schließt demnach die Berücksichtigung weiterer Umstände im Rahmen der nach § 53 Abs. 2 AufenthG zu treffenden Abwägungsentscheidung nicht aus. Dies folgt bereits aus dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG, ist aber für die schwerwiegenden, aufgrund der Vielgestaltigkeit der Lebenssituationen bewusst nicht abschließend aufgezählten Bleibeinteressen in § 55 Abs. 2 AufenthG nochmals ausdrücklich normiert. Die nunmehr als schwerwiegend oder besonders schwerwiegend qualifizierten Ausweisungsinteressen im Sinne von § 54 AufenthG decken sich weitgehend - aber nicht vollständig - mit den früheren Gründen für eine Regel- und Ist-Ausweisung, die schwerwiegenden und besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen greifen Fälle des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 AufenthG a.F. auf.

25

Bei der Abwägung sind schließlich gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht ("Boultif/Üner-Kriterien"). Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen.

26

Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht.

27

2. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG festgestellt. Ein solches liegt dann vor, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wobei hiervon u.a. dann auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Ausländer einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er (jedenfalls) eine solche Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, er nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.

28

a) Der Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist dem Wortlaut nach weitgehend an den früheren Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung angelehnt, auf den die Ausweisungsverfügung auch ursprünglich gestützt war. Das Berufungsgericht hat für die Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu Recht dieselben rechtlichen Maßstäbe herangezogen, die der Senat zur Auslegung des früheren Regelausweisungstatbestandes nach § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung entwickelt hat.

29

In der Rechtsprechung des Senats war die Auslegung des Regelausweisungstatbestands des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung weitgehend geklärt. So ist anerkannt, dass eine Vereinigung den Terrorismus unterstützt, wenn sie sich selbst terroristisch betätigt oder wenn sie die Begehung terroristischer Taten durch Dritte veranlasst, fördert oder befürwortet. Die Schwelle der Strafbarkeit muss dabei nicht überschritten sein, da die Vorschrift der präventiven Gefahrenabwehr dient und auch die Vorfeldunterstützung durch sogenannte Sympathiewerbung erfasst. Der Tatbestand des Unterstützens des Terrorismus durch eine Vereinigung setzt allerdings voraus, dass die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung (auch) auf die Unterstützung des Terrorismus gerichtet sind; ein bloßes Ausnutzen der Strukturen einer Vereinigung durch Dritte in Einzelfällen reicht hierfür nicht aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 20 ff. und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 13 ff.).

30

Für den im Gesetz verwandten Begriff des Terrorismus sind Versuche, auf völkerrechtlicher Ebene eine allgemein anerkannte vertragliche Definition zu entwickeln, nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen. Jedoch können wesentliche Kriterien aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft im Beschluss des Rates Nr. 2002/475/JI vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (ABl. L 164 S. 3) sowie dem gemeinsamen Standpunkt des Rates 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001 (ABl. L 344 S. 93) gewonnen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die Aufnahme einer Organisation in die vom Rat der Europäischen Union angenommene Liste terroristischer Organisationen im Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93 - vgl. auch ABl. L 116 vom 3. Mai 2002, S. 75) ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass die Organisation terroristischer Art ist oder im Verdacht steht, eine solche zu sein (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 [ECLI:EU:C:2015:413], H.T./Land Baden-Württemberg - Rn. 83). Hier sind von den Tatsachengerichten ergänzende Feststellungen zu treffen. Dabei ist trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs anerkannt, dass als terroristisch jedenfalls der Einsatz gemeingefährlicher Waffen und Angriffe auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen sind (Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>, vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 19 und Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 10 C 48.07 - BVerwGE 132, 79 <87> m.w.N.).

31

Weiterhin ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass die individuelle Unterstützung einer terroristischen Vereinigung oder einer Vereinigung, die eine terroristische Vereinigung unterstützt, im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. alle Verhaltensweisen erfasst, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeit der Vereinigung auswirken. Darunter kann die Mitgliedschaft in der terroristischen oder in der unterstützenden Vereinigung ebenso zu verstehen sein wie eine Tätigkeit für eine solche Vereinigung ohne gleichzeitige Mitgliedschaft. Auch die bloße Teilnahme an Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen kann eine Unterstützung in diesem Sinne darstellen, wenn sie geeignet ist, eine positive Außenwirkung im Hinblick auf die durch § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. missbilligten Ziele zu entfalten. Auf einen nachweisbaren oder messbaren Nutzen für diese Ziele kommt es nicht an, ebenso wenig auf die subjektive Vorwerfbarkeit der Unterstützungshandlungen. Im Hinblick auf den Schutz der Meinungsfreiheit und das Gebot der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Betätigungsfreiheit des Einzelnen erfüllen allerdings solche Handlungen den Tatbestand der individuellen Unterstützung nicht, die erkennbar nur auf einzelne, mit terroristischen Zielen und Mitteln nicht im Zusammenhang stehende - etwa humanitäre oder politische - Ziele der Vereinigung gerichtet sind. Für den Ausländer muss schließlich die eine Unterstützung der Vereinigung, ihrer Bestrebungen oder ihrer Tätigkeit bezweckende Zielrichtung seines Handelns erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auf eine darüber hinaus gehende innere Einstellung des Ausländers kommt es hingegen nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 15 und 18 m.w.N.).

32

Diese vom Senat zur Auslegung von § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. entwickelten Grundsätze lassen sich entgegen dem Vorbringen der Revision auch auf den Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung nach dem neu gefassten § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG übertragen. Ein Vergleich der Textfassungen ergibt, dass der Gesetzgeber die früheren Regelausweisungstatbestände nach § 54 Nr. 5, 5a und 5b AufenthG a.F. in der neuen Vorschrift des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zusammengefasst hat, wobei unter den vorliegenden Umständen die Fälle staatsgefährdender Gewalttaten nach § 89a StGB außer Betracht bleiben können. Gegenüber dem früheren Recht ist der Hinweis entfallen, dass eine Ausweisung auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen nur gestützt werden kann, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Eine Änderung der materiellen Rechtslage ist damit aber nicht verbunden, da auch nach neuem Recht eine fortbestehende Gefahr erforderlich ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ("gefährdet") und ist implizit auch dem neuen Zusatz in § 54 Abs. 1 Nr. 2 letzter Halbsatz AufenthG zu entnehmen, wonach von einer Gefährdung nicht auszugehen ist, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt.

33

Den Gesetzgebungsmaterialien ist nichts dafür zu entnehmen, dass sich der Gesetzgeber hinsichtlich des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung für eine Abkehr von dem bisherigen Verständnis des Ausweisungstatbestandes hat entscheiden wollen. Zwar hat er in Satz 2 einen Halbsatz neu eingefügt, wonach ein Unterstützen nicht vorliegt, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt. Das stellt jedoch keine inhaltliche Änderung des Unterstützerbegriffs dar, sondern normiert lediglich ein in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits entwickeltes Kriterium zur individuellen Zurechnung eines Unterstützerverhaltens. Denn der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die objektive Tatsache der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in der Vergangenheit dem Ausländer dann nicht mehr zugerechnet werden kann, wenn er sich glaubhaft hiervon distanziert (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <131>, vom 30. April 2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 35 und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 17). Die nunmehr normierten Tatbestandsmerkmale lassen keine Abkehr von der Senatsrechtsprechung erkennen, denn ein "erkennbares Abstandnehmen" vom sicherheitsgefährdenden Handeln entspricht dem Distanzieren im Sinne der Senatsrechtsprechung. Allerdings findet sich in der Begründung zu dieser Neuregelung die Aussage, die Möglichkeit der "Exkulpation" zeige, dass der Betroffene Kenntnis davon gehabt haben müsse, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstütze, der "undolose Unterstützer" daher nicht unter die Regelung falle (BT-Drs. 18/4097 S. 51). Aus diesem Satz in der Gesetzesbegründung könnte man ableiten, der Gesetzgeber habe eine Regelung treffen wollen, nach der für die subjektive Seite des Unterstützens mehr erforderlich ist (Vorsatz) als nach dem bisherigen Verständnis (Erkennbarkeit). Wäre dies tatsächlich so Gesetz geworden, hätte dies eine nicht unerhebliche Einschränkung der Rechtsprechung zur subjektiven Zurechnung bedeutet, nach der es ausreicht, dass der Ausländer erkennen konnte, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstützt. Die Begründung hat jedoch im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden, denn nach diesem wird Vorsatz im Hinblick auf die terroristische Betätigung der unterstützten Vereinigung nicht verlangt. Es reicht somit auch für die Erfüllung des subjektiven Unterstützertatbestands weiterhin die Erkennbarkeit einer terroristischen Betätigung der Vereinigung aus. Vorsatz bleibt hingegen weiter erforderlich für das eigene Handeln des Ausländers, das von dem Ziel geleitet sein muss, die Vereinigung zu unterstützen. Für diese Auslegung spricht auch, dass der Gesetzgeber der Vorfeldunterstützung des Terrorismus durch die Gesetzesänderung erhöhte Bedeutung beimessen wollte, indem er den bisher als Tatbestand für eine Regelausweisung normierten Ausweisungsgrund zu einem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 AufenthG heraufstufte, was im bisherigen Recht dem Tatbestand einer zwingenden Ausweisung entsprochen hätte. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass das stärkere Gewicht, das der Gesetzgeber diesem Ausweisungsinteresse beimessen wollte (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 23), mit einer engeren Interpretation seiner Tatbestandsmerkmale einhergehen sollte.

34

Eine vom früheren Begriffsverständnis abweichende Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass dieser bisher eigenständige Tatbestand nunmehr in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG funktional mit einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verknüpft wird ("hiervon ist auszugehen, wenn"). Vielmehr ergibt eine systematische Auslegung der Vorschrift, dass der Inhalt des Ausweisungstatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung unverändert geblieben ist, während der Begriff der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland eine Erweiterung erfahren hat. Denn der Gesetzgeber hat mit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr kraft Gesetzes definiert, wann von einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen ist, nämlich (jedenfalls) dann, wenn eine der dort genannten Tatbestandsalternativen erfüllt ist. Die Auslegung des Begriffs der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland richtet sich daher (auch) nach diesen Tatbestandsalternativen, nicht umgekehrt. Anderes lässt sich hinsichtlich des Gefahrenmaßstabs auch nicht der Regelung des § 53 Abs. 1 AufenthG entnehmen. Denn anders als bei den übrigen Ausweisungsinteressen hat der Gesetzgeber in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG das Erfordernis einer Gefahr (nochmals) ausdrücklich aufgeführt, was unter systematischen Gesichtspunkten für eine gewisse Eigenständigkeit des Gefahrentatbestandes gegenüber § 53 Abs. 1 AufenthG fruchtbar gemacht werden kann. Es gilt damit nunmehr, dass das Gesetz bereits die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Bundesgebiet als eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ansieht, unabhängig davon ob die terroristische Vereinigung Gewaltakte auch auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland oder gegen deutsche Einrichtungen im Ausland begeht. Weiterhin gilt jedenfalls für die Fälle des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ein abgesenkter Gefahrenmaßstab, der auch Vorfeldmaßnahmen erfasst und keine von der Person des Unterstützers ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefahr erfordert. Die Rechtsprechung des Senats zur Unterstützung des Terrorismus durch Handlungen in dessen Vorfeld hat dem Rechnung zu tragen und dabei auch die Bedeutung zu berücksichtigen, die der Unionsgesetzgeber dieser Vorfeldunterstützung durch den Erwägungsgrund 37 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 S. 9) - EU-Anerkennungsrichtlinie - beimisst.

35

Ein Anlass für eine verfassungsrechtliche Neubewertung des Gefahrenmaßstabs besteht entgegen dem umfangreichen Revisionsvorbringen nicht. In der Rechtsprechung des Senats ist seit dem Urteil zum Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus - Terrorismusbekämpfungsgesetz - vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361, 3142) anerkannt, dass der Unterstützungsbegriff weit auszulegen und anzuwenden ist, um damit der auch völkerrechtlich begründeten Zielsetzung des Gesetzes gerecht zu werden, dem Terrorismus schon im Vorfeld die logistische Basis zu entziehen (BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <127 ff.>). Maßgeblich ist, inwieweit das festgestellte Verhalten des Einzelnen zu den latenten Gefahren der Vorfeldunterstützung des Terrorismus nicht nur ganz unwesentlich oder geringfügig beiträgt und deshalb selbst potenziell gefährlich erscheint. Wegen der tatbestandlichen Weite des Unterstützungsbegriffs ist allerdings bei der Anwendung der Vorschrift darauf zu achten, dass nicht unverhältnismäßig namentlich in das auch Ausländern zustehende Recht auf freie Meinungsäußerung jenseits der zumindest mittelbaren Billigung terroristischer Bestrebungen eingegriffen wird. Einen bislang nicht berücksichtigten verfassungsrechtlichen Rechtssatz, der den so umschriebenen Ausgleich zwischen dem legitimen und schon wegen seiner völkerrechtlichen Vorgaben besonders gewichtigen gesetzgeberischen Ziel der Terrorismusbekämpfung und den geschützten Grundrechtspositionen eines Ausländers infrage stellen würde, zeigt die Revision nicht auf. Insbesondere sprechen der Charakter der Ausweisung als Maßnahme der Gefahrenabwehr sowie die spezifische Zielsetzung der Terrorismusbekämpfung gegen eine Übertragung strafrechtlicher Rechtsprechungsgrundsätze, wie sie etwa für die Abgrenzung strafbarer und straffreier Meinungsäußerungen gelten. Der Senat hält auch unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an seiner bisherigen Rechtsprechung fest.

36

b) Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG angenommen. Dies gilt sowohl für die Qualifizierung der PKK als terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung (aa) als auch - jedenfalls im Ergebnis - für die Qualifizierung der Handlungen des Klägers als relevante Unterstützungshandlungen (bb). Ebenso wenig zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen hat (cc).

37

(aa) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Qualifizierung der PKK als eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Das Gericht legt seiner Entscheidung die in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze für die Definition einer terroristischen Vereinigung zugrunde (UA Bl. 27 f.) und geht damit von einem zutreffenden Maßstab aus. Für die Bewertung der PKK als eine solche Vereinigung hat das Gericht zunächst darauf abgestellt, dass sie auch noch aktuell auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist, ohne diesem Umstand eine über einen deutlichen Anhaltspunkt hinausgehende Bedeutung beizumessen (UA Bl. 31). Hieran anknüpfend hat das Berufungsgericht sodann auf der Grundlage der ihm vorliegenden Erkenntnismittel festgestellt, dass die PKK zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele in der Türkei weiterhin Gewalttaten gegen staatliche Einrichtungen und Amtsträger sowie die Zivilbevölkerung verübt und im Übrigen etwa zur Finanzierung ihrer Aktivitäten oder zur Bekämpfung von Kritikern auch nicht vor Verbrechen gegenüber ihren eigenen Anhängern und auch darüber hinaus gegenüber der kurdischstämmigen Bevölkerung insgesamt zurückschreckt. Insbesondere sei die zwischen dem türkischen Staat und der PKK ausgehandelte (relative) Waffenruhe seitens der PKK zuletzt Ende Juli 2015 ausdrücklich aufgekündigt worden (UA Bl. 32 f.). Diese tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts sind von der Revision nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen worden und daher für den Senat bindend. Sie erlauben dem Senat zudem eine eigene rechtliche Bewertung des Inhalts, dass die PKK eine terroristische Vereinigung darstellt und nicht lediglich eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung.

38

(bb) Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist auch die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, dass der Kläger die PKK in rechtserheblicher Weise individuell unterstützt hat. Allerdings ist das Gericht unter Verstoß gegen Bundesrecht davon ausgegangen, dass zu Lasten des Klägers nur solche Unterstützungshandlungen berücksichtigt werden dürfen, die in zeitlicher Hinsicht nach der Mitteilung des Regierungspräsidiums vom Juli 2010 lagen, wonach eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft würden.

39

Das Berufungsgericht ist insoweit rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass ein Ausweisungsinteresse bereits dann aus Gründen des Vertrauensschutzes verbraucht ist und nicht mehr zur Begründung einer Ausweisung herangezogen werden kann, wenn ein Aufenthaltstitel in Kenntnis oder dem Staat zuzurechnender Unkenntnis erteilt oder verlängert wurde (UA S. 34 f.). Zwar ist in der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich anerkannt ist, dass Ausweisungsgründe in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und so lange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind und die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <313> und vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <121 f.>). Aus der Ableitung dieser Kriterien aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt jedoch, dass die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Aus der Rechtsprechung des Senats ergibt sich zudem, dass ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers schützenswert sein muss. Hieran fehlt es, wenn die Ausländerbehörde - wie vorliegend - dem Kläger auf dessen Anfrage zum Stand des Verfahrens auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis lediglich mitteilt, dass gegenwärtig noch eine Sicherheitsüberprüfung stattfinde, und dann zu einem späteren Zeitpunkt ohne jegliche Erläuterung zum Ausgang der Sicherheitsüberprüfung die begehrte Niederlassungserlaubnis erteilt. Auf dieser Grundlage kann der Betroffene nämlich weder wissen, welchen konkreten Umständen die Ausländerbehörde im Rahmen ihrer Sicherheitsüberprüfung nachgegangen ist, noch zu welchen konkreten Erkenntnissen sie hierbei nach Abschluss der Überprüfung gelangt ist. Daher kann der Betroffene aus der Erteilung der Niederlassungserlaubnis billigerweise auch nicht schließen, dass die Ausländerbehörde bei ihrer Sicherheitsüberprüfung alle als potentielle Versagungsgründe in Betracht kommenden Umstände tatsächlich ermittelt und sodann als für die Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis unbeachtlich eingestuft hat.

40

Das angefochtene Urteil beruht jedoch nicht auf diesem Rechtsverstoß, weil das Berufungsgericht auch ohne Berücksichtigung der vor dem für maßgeblich erachteten Zeitpunkt liegenden Umstände von rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen des Klägers ausgegangen ist und die diesbezüglichen Feststellungen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sind. Im Übrigen wäre der Kläger durch die Nichtberücksichtigung weiterer, ihn belastender Umstände auch nicht beschwert. Im Einzelnen hat das Berufungsgericht für die Bestimmung der rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen zutreffend auf die in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäbe zu § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung abgestellt (UA Bl. 35 ff.). Keine abweichende Beurteilung ergibt sich aus dem Einwand des Klägers, die PKK nicht unmittelbar unterstützt zu haben, sondern sich in legalen Vereinigungen betätigt zu haben, die ihrerseits die PKK im Wissen um deren Charakter gewollt und gezielt unterstützen. Denn es stellt keine verminderte Gefahr der Vorfeldunterstützung des Terrorismus dar, wenn die Unterstützung terroristischer Vereinigungen nicht durch isolierte Einzelhandlungen, sondern in Vereinigung mit anderen erfolgt. Hierin liegt auch kein Fehlen der Unmittelbarkeit der Unterstützungshandlungen.

41

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht sodann nach Auswertung der ihm vorliegenden umfangreichen Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden festgestellt, dass der Kläger über mehrere Jahre in teils hervorgehobener Funktion als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter oder Redner regelmäßig an Veranstaltungen teilgenommen und mitgewirkt hat, bei denen offene Propaganda für die PKK betrieben worden ist (UA Bl. 39 - 42). Unter Einbeziehung der Aktivitäten des Klägers in der Zeit seit 2001, wie sie in der Ausweisungsverfügung (S. 3 - 9, 16 - 23) aufgelistet, vom Kläger nicht in Abrede gestellt und vom Berufungsgericht in Bezug genommen worden sind (UA S. 39 f.), stellt sich das Unterstützungshandeln des Klägers wie folgt dar: Der Kläger war von 2001 bis 2003/2004 Vorsitzender des "Kurdischen Kulturverein e.V." in L., der der KONGRA-GEL nahestand. Im Oktober 2004 wurde er in das 15-köpfige Führungskomitee der "Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland" (YEK-KOM) gewählt und gehörte diesem bis zur Auflösung der YEK-KOM im Jahr 2014 an, zeitweilig (bis 2011) war er der 2. Vorsitzende der Vereinigung. Er hat sich im Juni 2014 in den fünfköpfigen Vorstand der die PKK unterstützenden NAV-DEM wählen lassen und diese Vorstandstätigkeit bis zum Tage der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausgeübt (UA Bl. 43 - 45).

42

Der Kläger beteiligte sich seit Mitte 2003 regelmäßig an Kundgebungen und Demonstrationen in unterschiedlichen deutschen Städten (u.a. Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg, Frankfurt, Gelsenkirchen, Düsseldorf, Stuttgart) und in Straßburg/Frankreich, die sich unter anderem für eine Freilassung des inhaftierten PKK-Führers Öcalan aussprachen, des Gründungsjahrestags der PKK und/oder der "Märtyrer des kurdischen Freiheitskampfes" gedachten und Parolen auf die PKK ausriefen. Der Kläger hielt auf einigen dieser Veranstaltungen eine Rede, im Februar 2007 hob er dabei die Bedeutung der Gefallenen für die kurdische Sache hervor, im Januar 2009 sprach er zur aktuellen Lage der Kurden in ihrer Heimat, im März 2010 kritisierte er die Exekutivmaßnahmen der belgischen Polizei gegenüber dem kurdischen TV-Sender ROJ-TV, im November 2011 sprach er auf einer Kundgebung, die zum Thema u.a. die Verwendung von Napalmgas und chemischer Waffen gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei hatte, im Januar 2013 verurteilte er auf einer Kundgebung die Ermordung von drei PKK-Aktivisten in Paris, im Oktober 2015 hielt er anlässlich einer Protestaktion der NAV-DEM in Frankfurt eine Rede.

43

Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger nicht nur seine individuellen Unterstützungshandlungen, sondern sämtliche Aktionen der YEK-KOM und der NAV-DEM aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied persönlich zuzurechnen sind. Die YEK-KOM, der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK nach den gerichtlichen Feststellungen durch eine Vielzahl von Aktionen. Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen oder ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie "Freiheit für Öcalan" und "Frieden für Kurdistan". Im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die "logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans" verankert. Der Verein biete der PKK oder ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Für die NAV-DEM gilt nach den getroffenen Feststellungen nichts anderes. Der Verein sei keine Neugründung, sondern eine Umbenennung des Vereins YEK-KOM. Im Übrigen werde deutlich, dass die NAV-DEM ihre Veranstaltungen und Kundgebungen mit gleichem Ablauf und gleichen Themen durchführe wie zuvor schon unter dem Namen YEK-KOM. Diese zutreffende Würdigung bedeutet auch nicht, dass jeder Einsatz für die Interessen und Belange kurdischer Volkszugehöriger (oder eine Kritik an der Kurdenpolitik der Türkischen Republik) als eine Unterstützung der PKK und damit des Terrorismus einzuordnen wäre.

44

(cc) Soweit schließlich nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausscheidet, wenn der Ausländer ernsthaft und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt, hat das Berufungsgericht ebenfalls in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der Kläger ausweislich seines auch während des Ausweisungsverfahrens fortgesetzten Engagements als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter und Redner auch künftig an seiner Unterstützung der PKK festhalten wird. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Unterstützerverhalten des Klägers sind detailreich und stellen - entgegen der Auffassung der Revision - keine zu schmale Tatsachengrundlage für die getroffenen Feststellungen dar. Damit erfüllt der Kläger die gesetzlichen Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, und es liegt ein Ausweisungsinteresse vor, das besonders schwer wiegt.

45

3. Die angefochtene Verfügung des Beklagten erfüllt auch die besonderen Voraussetzungen, die nach § 53 Abs. 3 AufenthG an die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings zu stellen sind. Ein solcher darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

46

a) Diese den Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG ergänzende Vorschrift legt erhöhte Ausweisungsvoraussetzungen für mehrere rechtlich privilegierte Personengruppen fest, nämlich für Ausländer, die als Asylberechtigte anerkannt sind, die im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießen, die einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention besitzen, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder die eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU besitzen. Für all diese Personengruppen gilt der besondere aus Art. 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG abgeleitete Maßstab, den der Gerichtshof der Europäischen Union auch auf Ausländer erstreckt hat, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - C-371/08 [ECLI:EU:C:2011:809], Ziebell - Slg. 2011, I-12735 Rn. 79, 86). Der Senat folgt nicht der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, wonach die Voraussetzungen des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 53 Abs. 3 AufenthG von vornherein "bereichsspezifisch" gemäß dem durch das Unionsrecht für den jeweiligen Personenkreis bestimmten Ausweisungsschutz auszulegen sind. Vielmehr hat der Gesetzgeber den unionsrechtlichen Schutzstandard für daueraufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige für ausreichend befunden und dessen Geltung für alle genannten Personengruppen angeordnet. Dies entbindet freilich nicht davon, in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob für die jeweils betrachtete Personengruppe der so durch den nationalen Gesetzgeber definierte Ausweisungsschutz dem unionsrechtlichen Maßstab tatsächlich genügt. Nur wenn der unionsrechtliche Maßstab strenger ist als derjenige, der durch den Gesetzgeber in § 53 Abs. 3 AufenthG festgelegt worden ist, bedarf § 53 Abs. 3 AufenthG nach allgemeinen Grundsätzen einer unionsrechtskonformen Auslegung, die angesichts der Weite der Tatbestandsmerkmale und des erkennbaren gesetzgeberischen Willens, europarechtlichen Maßstäben zu genügen, auch möglich ist (so auch Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 54).

47

Im vorliegenden Fall ist § 53 Abs. 3 AufenthG unionsrechtskonform nach den Vorgaben der EU-Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU auszulegen. Die Richtlinie formuliert keine Vorgaben für eine Ausweisung im Sinne des deutschen Rechts, wohl aber für eine Zurückweisung in den Herkunftsstaat (Art. 21 Abs. 2 und 3) und für den Entzug des Aufenthaltstitels (Art. 24 Abs. 1).

48

b) Nach Art. 21 Abs. 3 der EU-Anerkennungsrichtlinie darf ein Mitgliedstaat den einem Flüchtling erteilten Aufenthaltstitel widerrufen, wenn die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 2 vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 2012 - 1 C 8.11 - BVerwGE 143, 138 Rn. 21). Fällt ein Flüchtling nicht in den Anwendungsbereich von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie, kann auch Abs. 3 dieser Vorschrift nicht zu Anwendung kommen (EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 - Rn. 44). Eine Zurückweisung ist nach Art. 21 Abs. 2 Buchst. a zulässig, wenn es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass der Flüchtling eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält. Es kann offenbleiben, ob vom Kläger eine Gefahr im Sinne dieser Vorschrift ausgeht, denn die Zurückweisung ist nur unter der weiteren Voraussetzung rechtmäßig, dass sie dem Mitgliedstaat nicht aufgrund seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen untersagt ist (Art. 21 Abs. 2). Dazu zählen die Verpflichtungen aus Art. 3 EMRK (vgl. Begründung der Kommission im Richtlinienvorschlag vom 12. September 2001 KOM (2001) 510 endg. S. 33 zu Art. 19). Dem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK kommt absoluter Charakter zu; es kann mithin - anders als das Refoulement-Verbot nach Art. 33 Abs. 1 GFK - nicht unter den Voraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 Richtlinie 2011/95/EU i.V.m. Art. 35 Abs. 2 GFK durchbrochen werden (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 5. April 2016 - C-404/15 und C-659/15 PPU [ECLI:EU:C:2016:198], Aranyosi und Căldăraru - Rn. 85 - 87; EGMR, Urteil vom 17. Dezember 1996 - Nr. 71/1995/577/663, Ahmed/Österreich - NVwZ 1997, 1100 Rn. 39 - 41). Für den Kläger besteht ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK. Denn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat im Anerkennungsbescheid vom 9. Oktober 1997 nicht nur die Flüchtlingseigenschaft des Klägers nach dem seinerzeit maßgeblichen § 51 Abs. 1 AuslG 1990, sondern auch ein Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990 hinsichtlich der Türkei festgestellt und dieses damit begründet, dass dem Kläger in der Türkei unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Diese Feststellung des Bundesamts begründet hier ein - absolutes - nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Insoweit kommt der Feststellung des Bundesamts im vorliegenden Verfahren über § 42 AsylG auch Bindungswirkung zu. Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU begrenzt damit den behördlichen Handlungsspielraum für eine Abschiebung in einen Verfolgerstaat oder einen Staat, in dem Gefahren nach Art. 3 EMRK drohen. Die Vorschrift setzt jedoch keine Maßstäbe für eine lediglich "inlandsbezogene" Ausweisung, die - wie hier - insbesondere den Verlust des Aufenthaltstitels zur Folge hat.

49

c) Unionsrechtliche Maßstäbe für eine zum Verlust des Aufenthaltstitels eines Flüchtlings führende inlandsbezogene Ausweisung lassen sich aus Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie gewinnen. Die Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten, einem Flüchtling so bald wie möglich nach der Anerkennung einen Aufenthaltstitel auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.

50

(aa) Der Inhalt dieser Norm wurde vom Gerichtshof der Europäischen Union in einem auf ein Vorlageersuchen des Berufungsgerichts ergangenen Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) näher bestimmt. Die Entscheidung bezieht sich zwar auf Art. 24 Abs. 1 der EG-Anerkennungsrichtlinie 2004/83/EG, ihre Aussagen sind aber uneingeschränkt auf die in der Sache unveränderte Vorschrift des Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU übertragbar. Danach kann einem Flüchtling nach Art. 24 Abs. 1 nicht nur die Erteilung eines Aufenthaltstitels versagt werden, sondern der erteilte Aufenthaltstitel auch nachträglich widerrufen werden, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen (a.a.O. Rn. 55). Soweit in der Neufassung der Vorschrift nunmehr von zwingenden Gründen der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung die Rede ist, ist damit keine inhaltliche Änderung verbunden. Diese Wirkung einer Entziehung des Aufenthaltstitels kommt der hier verfügten Ausweisung zu, die wegen des entgegenstehenden Abschiebungsverbots nach Art. 3 EMRK nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung führt. Entgegen einer am Wortlaut orientierten Auslegung von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie hat der darin verwendete Begriff der "zwingenden Gründe" nach dem EuGH-Urteil eine weitere Bedeutung als der Begriff der "stichhaltigen Gründe" in Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie. Das bedeutet, dass bestimmte Umstände, die nicht den Schweregrad aufweisen, um eine Zurückweisung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie verfügen zu können, den Mitgliedstaat gleichwohl dazu berechtigen können, auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie dem betroffenen Flüchtling seinen Aufenthaltstitel zu entziehen (a.a.O. Rn. 75).

51

Bei der Bestimmung des Bedeutungsgehalts der "zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" hat der EuGH zunächst Bezug auf seine Rechtsprechung zu den Begriffen der "öffentlichen Sicherheit" und der "öffentlichen Ordnung" in Art. 27 und 28 der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG genommen (a.a.O. Rn. 77 ff.). Danach umfasst der Begriff "öffentliche Sicherheit" im Sinne von Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats. Die öffentliche Sicherheit kann danach berührt sein, wenn das Funktionieren staatlicher Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste beeinträchtigt wird oder eine Gefahr für das Überleben der Bevölkerung oder einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker besteht oder militärische Interessen beeinträchtigt werden. Dabei deutet der Begriff der "zwingenden Gründe" auf einen besonders hohen Schweregrad der Beeinträchtigung hin (a.a.O. Rn. 78). Den Begriff der "öffentlichen Ordnung" hat der EuGH für die Unionsbürgerrichtlinie dahin ausgelegt, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliegen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (a.a.O. Rn. 79). Zugleich betont er, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, nach ihren nationalen Bedürfnissen, die je nach Mitgliedstaat und Zeitpunkt unterschiedlich sein können, zu bestimmen, was die öffentliche Ordnung und Sicherheit erfordern (a.a.O. Rn. 77).

52

Für den Fall der Unterstützung des Terrorismus hat der EuGH zudem auf den 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83/EG, heute 37. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95/EU hingewiesen, wonach der Begriff der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" auch für die Fälle gilt, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt. Dabei muss das nationale Gericht in einem ersten Schritt prüfen, ob die Handlungen der fraglichen Organisation die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedrohen. Wird eine vom Flüchtling unterstützte Vereinigung in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93) geführt, ist dies ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie entweder eine terroristische Organisation ist oder im Verdacht steht, eine solche Organisation zu sein (a.a.O. Rn. 83). Allein der Umstand, dass ein Flüchtling eine solche Organisation unterstützt hat, darf jedoch nicht automatisch zur Aufhebung seines Aufenthaltstitels führen. Vielmehr ist in einem zweiten Schritt einzelfallbezogen die Rolle zu prüfen, die der Betreffende im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt hat (a.a.O. Rn. 90), und auch der Schweregrad der Gefahr zu beurteilen, die von seinen Handlungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (a.a.O. Rn. 92).

53

(bb) Das Berufungsgericht hat die vom Kläger geleisteten und ihm zuzurechnenden Unterstützungshandlungen an dem vom EuGH präzisierten Maßstab für die Auslegung des Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie gemessen und ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass sich hieraus zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ergeben, die einen Entzug des Aufenthaltstitels gegenüber dem Kläger rechtfertigen. Das Gericht hat bereits im Rahmen seiner Prüfung des besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausführlich begründet, warum die PKK eine terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung darstellt (UA S. 27 - 34). Dabei hat es gewürdigt, dass die PKK auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist und auch weiterhin terroristische Aktivitäten entfaltet. In einem zweiten Schritt hat es näher dargelegt, warum die in Deutschland agierenden Vereinigungen YEK-KOM und NAV-DEM, für die der Kläger seit mehr als zwölf Jahren in hervorgehobenen Funktionen wirkte, und der Kläger auch individuell durch Anmeldung und Leitung von Versammlungen sowie Redebeiträge und weitere Aktivitäten die PKK unterstützt haben und weiter unterstützen (UA S. 55, 34 - 48). Die Bewertung des Berufungsgerichts, dass der Kläger damit die Voraussetzungen für den Entzug seines Aufenthaltstitels nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie erfüllt, steht mit der Rechtsprechung des EuGH in Einklang. Zwar hat er selbst keine terroristischen Handlungen begangen, auch nicht andere Personen hierzu angeleitet oder sich an der Planung oder Finanzierung terroristischer Aktionen beteiligt, wie das der EuGH als mögliches Unterstützerhandeln erwähnt (a.a.O. Rn. 90). Diese Aufzählung des Gerichtshofs ist jedoch nur beispielhaft, macht zugleich aber deutlich, dass der Betreffende eine gewichtige Rolle im Rahmen seiner Unterstützung der terroristischen Organisation gespielt haben muss.

54

Bei der Frage, was als gewichtig anzusehen ist, ist der 37. Erwägungsgrund der Richtlinie zu berücksichtigen, wonach auch die Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, und die Unterstützung einer derartigen Vereinigung als Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung anzusehen sind. Die abschließende Bewertung, ob die Unterstützungshandlung hinreichend gewichtig ist, um "zwingende Gründe" darzustellen, überlässt der Gerichtshof dem verantwortlichen nationalen Gericht und erkennt auch einen Einschätzungsspielraum der Mitgliedstaaten an, nach ihren nationalen Bedürfnissen zu bestimmen, was die nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung erfordern. Diese abschließende Bewertung hat das Berufungsgericht dahin getroffen, dass die Unterstützungshandlungen des Klägers dem von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie geforderten Gewicht entsprechen. Es hat dies auf der Grundlage der Gewichtungsvorgabe des nationalen Gesetzgebers in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nachvollziehbar mit dem mehr als zwölfjährigem Unterstützerhandeln des Klägers in hervorgehobener Position innerhalb zweier Vereinigungen begründet, in dessen Rahmen er an zahlreichen Veranstaltungen mitwirkte, an denen sich Akteure beteiligten, die offen für die PKK warben und deren Kurs vorbehaltlos befürworteten (Auftreten in Guerillauniform, Märtyrergedenken, Grußbotschaften an die Kämpfer an der Front usw.). Für das Gewicht seines Unterstützerhandelns durfte das Gericht auch berücksichtigen, dass der Kläger nach den tatrichterlichen Feststellungen in vollem Bewusstsein um dessen Bedeutung für den ideologischen Zusammenhalt der PKK und in dem Willen gehandelt hat, diese vorbehaltlos auch in Bezug auf deren terroristische Aktivitäten zu unterstützen (UA S. 55).

55

(cc) Der EuGH hat in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13 Rn. 95 ff.) aber hervorgehoben, dass ein Flüchtling, dessen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie aufgehoben wird, seinen Flüchtlingsstatus behält, sofern und solange ihm nicht dieser Status entzogen worden ist. Daher ist er auch nach dem Verlust seines Aufenthaltstitels weiterhin Flüchtling und hat in dieser Eigenschaft weiterhin Anspruch auf die Vergünstigungen, die das Kapitel VII der Richtlinie jedem Flüchtling gewährleistet, so insbesondere auf Schutz vor Zurückweisung, auf Wahrung des Familienverbands, auf Ausstellung von Reisedokumenten, auf Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung, zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie auf Zugang zu Integrationsmaßnahmen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift. Diese Rechte dürfen, auch soweit sie nach nationalem Recht an den Besitz eines Aufenthaltstitels anknüpfen, von den zuständigen Behörden daher nicht mit der Begründung versagt werden, dass der Aufenthalt des Flüchtlings infolge der Ausweisung rechtswidrig geworden ist. Allerdings darf die Ausstellung eines Reiseausweises nach Art. 25 EU-Anerkennungsrichtlinie versagt werden, wenn - etwa zur Begegnung der Gefahr terroristischen Unterstützungshandelns - zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung entgegenstehen. Ebenso dürfen nach Art. 33 der Richtlinie aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen verfügt werden, wenn diese aus Gründen der öffentlichen Sicherheit auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern zulässig sind.

56

Eventuelle Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der dem Flüchtling auch nach Entzug des Aufenthaltstitels weiter zustehenden Rechte nach Kapitel VII der EU-Anerkennungsrichtlinie infolge unzureichender Umsetzung der Richtlinie in den einschlägigen nationalen Fachgesetzen berühren nicht die Rechtmäßigkeit der verfügten Ausweisung. An die Beachtung der einen Flüchtling unmittelbar begünstigenden Vorschriften in Kapitel VII der Richtlinie und die hierzu ergangene Rechtsprechung des EuGH sind seit Ablauf der Umsetzungsfrist alle nationalen Behörden gebunden. Der Flüchtling hat seine Rechte gegenüber den jeweils zuständigen Behörden und erforderlichenfalls Gerichten geltend zu machen. Auch die Generalanwältin hat es insoweit als die Pflicht der nationalen Gerichte angesehen, für die volle Wirksamkeit der Bestimmungen der Richtlinie Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede entgegenstehende Vorschrift des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 11. September 2014 - C-373/13 - Rn. 114 letzter Absatz).

57

4. Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen gewichtige Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1, § 55 AufenthG gegenüber. Diese hat das Berufungsgericht zutreffend bestimmt (UA S. 59 f.). Es hat berücksichtigt, dass der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besessen hat, die durch die Ausweisungsverfügung betroffen ist, er mit deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und er sein Personensorgerecht für minderjährige ledige Deutsche ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG).

58

5. Das Berufungsgericht hat das öffentliche Ausweisungsinteresse gegen die Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG unter Berücksichtigung der den Einzelfall prägenden Umstände abgewogen und ist unter Beachtung des hierfür zentralen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass das Ausweisungsinteresse überwiegt (UA S. 60 - 64). Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Gericht hat berücksichtigt, dass der Kläger besonderen Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie genießt, hier allerdings auf absehbare Zeit keine Aufenthaltsbeendigung beabsichtigt ist, da ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht. Es hat seinen langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und seine familiären Bindungen im Sinne von Art. 6 GG, Art. 8 EMRK gewürdigt, diesen durch die Verfügung allerdings insoweit nicht als beeinträchtigt angesehen, als keine Aufenthaltsbeendigung erfolgt. Es hat bei seiner Abwägung berücksichtigt, dass der Kläger in seinen geschützten Bindungen dadurch betroffen ist, dass sein Aufenthalt auf das Gebiet der Stadt M. beschränkt und er Meldeauflagen unterworfen ist. Weitere schützenswerte Bindungen hat das Gericht nicht anerkannt und dies nachvollziehbar damit begründet, dass der Kläger ungeachtet seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland kaum deutsch spricht, nur sporadisch und für kürzere Zeiträume erwerbstätig war und seit längerem von Sozialleistungen abhängig ist. Schließlich hat das Berufungsgericht in die Abwägung eingestellt, dass es der Kläger in der Hand hat, durch eine glaubhafte Abkehr von seinem bisherigen Verhalten eine Aufhebung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu erreichen.

59

6. Ohne Rechtsverstoß wertet das Berufungsurteil die in Ziffer 2 der angefochtenen Verfügung angeordnete Aufenthaltsbeschränkung und die verfügten Meldeauflagen als rechtmäßig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliegt ein Ausländer, gegen den - wie hier - eine Ausweisungsverfügung aufgrund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG besteht, der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Gestützt auf diese Ermächtigung hat der Beklagte bestimmt, dass sich der Kläger zweimal wöchentlich zu melden hat. Ferner hat er den Aufenthalt des Klägers auf den Bereich der Stadt M. beschränkt, wie das § 56 Abs. 2 AufenthG vorsieht, wenn die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft. Diese aufenthaltsbeschränkenden Maßnahmen durften gegenüber dem Kläger trotz dessen Rechtsstellung als Flüchtling ergehen. Dadurch wird sein Recht auf Freizügigkeit gemäß Art. 33 EU-Anerkennungsrichtlinie nicht verletzt. Denn derartige Maßnahmen dürfen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, wie sie hier wegen des Erfordernisses der Abwehr von terrorismusfördernden Aktivitäten vorliegen, auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern verfügt werden (§ 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG).

60

7. Zutreffend ist das Berufungsgericht auch zu dem Ergebnis gekommen, dass die für die Ausweisung des Klägers anwendbaren Regelungen des Ausweisungsrechts nicht gegen assoziationsrechtliche Verschlechterungsverbote aus Art. 13 ARB 1/80, Art. 7 ARB 2/76 und Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen (BGBl. 1972 II S. 385) verstoßen. Dabei kann offenbleiben, ob hier überhaupt eines der Verschlechterungsverbote Anwendung findet. Denn der zum 1. Januar 2016 eingeführte Übergang von einer Ermessensentscheidung zu einer gebundenen Entscheidung stellt keine Verschlechterung der Rechtsstellung des betroffenen Ausländers dar (a). Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung bewirkte zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für betroffene Ausländer, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt (b).

61

a) Die zum 1. Januar 2016 eingeführte Neuregelung des Ausweisungsrechts, die die bisherige Ermessensausweisung durch eine am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte gebundene Ausweisung abgelöst hat, hat die Rechtsstellung der Ausländer in der hier gebotenen und auch unionsrechtlich statthaften Gesamtschau nicht verschlechtert, sondern jedenfalls teilweise verbessert. Denn bisher sah das Gesetz Tatbestände einer zwingenden Ausweisung (Ist-Ausweisung), regelmäßig erfolgenden Ausweisung (Soll-Ausweisung) und Ausweisung nach Ermessen (Kann-Ausweisung) vor. Die zwingende Ausweisung und die regelmäßig erfolgende Ausweisung widersprachen für den Personenkreis der unionsrechtlich privilegierten Ausländer der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach eine Ausweisung ausschließlich auf ein persönliches Verhalten des Ausländers gestützt werden darf, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 [ECLI:EU:C:2004:262], Orfanopoulos und Oliveri - Slg. 2004, I-5257 Rn. 66 f.). Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass eine Regelung gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, wonach eine Ausweisung automatisch aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung verfügt wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird (a.a.O. Rn. 70). Aber auch die nationale Bestimmung über die Regelausweisung hat für den Gerichtshof den Anschein erweckt, dass trotz der Berücksichtigung individueller Umstände ein gewisser Automatismus oder jedenfalls eine Vermutung besteht, dass der betreffende Staatsangehörige auszuweisen ist (a.a.O. Rn. 92).

62

Daraus hat das Bundesverwaltungsgericht die Schlussfolgerung gezogen, dass die gesetzliche Regelung zur zwingenden Ausweisung und Regelausweisung auf unionsrechtlich privilegierte Ausländer nicht mehr angewendet werden darf (BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <302> betreffend Unionsbürger und - 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <321> betreffend Assoziationsberechtigte nach ARB 1/80). Der Gesetzgeber hat daraus durch das zum 1. Januar 2016 in Kraft getretene neue Ausweisungsrecht die Konsequenzen gezogen. Insofern stellt die neue Rechtslage eine Verbesserung gegenüber der bisherigen dar. Eine Ausweisung nach neuem Recht hat eine einzelfallbezogene umfassende Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen und orientiert sich dabei strikt am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 53 Abs. 1 und 2 AufenthG). Damit setzt der Gesetzgeber Vorgaben um, die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 - Rn. 99) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR , Urteil vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 57 - 60) ergeben.

63

Es stellt keine Verschlechterung der Rechtslage für unionsrechtlich privilegierte Ausländer dar, dass ihre Ausweisung nach früherer Rechtslage im Wege einer Ermessensentscheidung erfolgte, nach neuem Recht hingegen im Wege einer rechtlich gebundenen Ausweisung, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Damit entfällt zwar die Möglichkeit, aus Gründen der Zweckmäßigkeit von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen. Auf ein solches Absehen von einer rechts- und ermessensfehlerfrei möglichen Ausweisung hatte der Ausländer aber zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch, auch die gerichtliche Kontrolle war insoweit durch § 114 VwGO eingeschränkt; durch die gesetzliche Neuregelung wird also keine individuelle Rechtsposition beeinträchtigt. Im Übrigen ist für die Beachtung des Verschlechterungsverbots auf die tatsächliche Praxis und nicht allein auf die abstrakte Rechtslage abzustellen. Die Rechtspraxis wurde maßgeblich durch die Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz des Bundesministeriums des Innern vom 26. Oktober 2009 gesteuert. Danach lag die Ausweisungsentscheidung im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde, bei der Ermessensausübung waren das schutzwürdige Interesse des Ausländers am weiteren Verbleib in Deutschland und das öffentliche Interesse an der Ausweisung gegeneinander abzuwägen (Ziffer 55.1.3). Das weist auf eine Rechtspraxis hin, die der heute normierten gebundenen Ausweisung entspricht, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Insofern hat sich die Rechtsstellung des Ausländers nicht verschlechtert.

64

b) Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung hat zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für die betroffenen Ausländer bewirkt, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Die seinerzeitige Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung (§ 54 Nr. 5 AufenthG a.F.) führte zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gegenüber der früheren Rechtslage, die allein den Tatbestand der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland kannte. Durch die Rechtsänderung wurde nun auch die Vorfeldunterstützung des Terrorismus erfasst. Diese ist jedoch mit Blick auf das Verschlechterungsverbot aus Art. 13 ARB 1/80 aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 14 ARB 1/80, jedenfalls aber durch ein zwingendes Allgemeininteresse, namentlich die völkerrechtlich gebotene Terrorismusbekämpfung auch bereits im Vorfeld unmittelbarer terroristischer Handlungen, gerechtfertigt.

65

8. Nach der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG ist über die Länge der Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach Ermessen zu entscheiden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Diese gesetzgeberische Entscheidung ist mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom gleichen Tage - 1 C 27.16 - Rn. 20 ff.). Das Urteil des Senats zur Vorläuferfassung des § 11 AufenthG a.F., wonach eine gebundene Entscheidung zu treffen war (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.), erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihm ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen. Eine solche Ermessensentscheidung hat der Beklagte hier noch nicht getroffen. Vielmehr hat bisher das Verwaltungsgericht das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach der seinerzeit geltenden Rechtslage im Wege einer gebundenen Entscheidung auf acht Jahre festgesetzt.

66

Der Beklagte hat die nach neuem Recht nunmehr gebotene Ermessensentscheidung nachzuholen. Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange.

67

B. Der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellte (weitere) Hilfsantrag, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass dem Kläger auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie, ist unzulässig. Er stellt eine unzulässige Klageerweiterung im Revisionsverfahren dar (§ 142 Abs. 1 VwGO). Im Übrigen bedarf es einer solchen behördlichen Feststellung auch nicht. Aus dem für alle nationalen Behörden verbindlichen EuGH-Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) ergibt sich bis zu einer dem Gesetzgeber vorbehaltenen Anpassung der einschlägigen Fachgesetze hinreichend deutlich, dass dem Kläger - solange er die Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der EU-Anerkennungsrichtlinie genießt - auch die mit dieser Rechtsstellung einhergehenden Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie zustehen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift (vgl. dazu auch die vorstehenden Ausführungen in Rn. 55 f. dieses Urteils).

68

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat gewichtet den gegen die Ausweisung, die Meldeauflage, die Aufenthaltsbeschränkung und die Abschiebungsandrohung gerichteten Anfechtungsantrag mit 4/5 und den auf Befristung zielenden Verpflichtungsantrag mit 1/5 (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 46).

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus Deutschland. Hilfsweise erstrebt er eine neue Entscheidung des Beklagten über die Befristung des mit der Ausweisung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots.

2

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volkszugehörigkeit. Er wurde 1973 in der Türkei geboren, ist verheiratet und hat sieben Kinder. Er reiste 1997 nach Deutschland ein und beantragte hier Asyl, da er in der Türkei wegen seines Engagements in prokurdischen Vereinen und Parteien sowie verwandtschaftlichen Beziehungen zu Guerillakämpfern der sog. Arbeiterpartei Kurdistans - PKK - an Leib und Leben bedroht sei. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) vom 9. Oktober 1997 wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach dem damaligen § 51 Abs. 1 AuslG 1990 zuerkannt und zu seinen Gunsten ein Abschiebungsverbot wegen drohender Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK (damals § 53 Abs. 4 AuslG 1990) festgestellt. Der Kläger ist lediglich sporadisch und für kurze Zeiträume einer Erwerbstätigkeit nachgegangen, gleiches gilt für seine Ehefrau. Er bezieht mit seiner Familie Leistungen nach dem SGB II.

3

Vom 1. April 1998 bis zum 1. Dezember 2009 war der Kläger im Besitz jeweils befristeter Aufenthaltstitel. Am 13. März 2009 teilte das Bundesamt der Ausländerbehörde mit, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 73 Abs. 1 oder 2 AsylVfG nicht vorlägen. Im März 2009 stellte der Kläger bei der Ausländerbehörde der Stadt M. einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Auf Anfrage teilte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg der Ausländerbehörde im Mai 2009 mit, dass hinsichtlich der Person des Klägers "Erkenntnisse" vorlägen, über die das Innenministerium Baden-Württemberg gesondert informiert worden sei. Dessen ungeachtet wurde dem Kläger am 4. Dezember 2009 ohne weitere Mitteilung zum Stand der Sicherheitsüberprüfung eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG erteilt.

4

Das Regierungspräsidium K. teilte dem Kläger mit Schreiben vom 23. Juli 2010 mit, dass die Niederlassungserlaubnis in Unkenntnis der Sicherheitsbedenken erteilt worden sei und derzeit deren Rücknahme und eine Ausweisung geprüft werde. Hierzu werde dem Kläger die Möglichkeit eines Sicherheitsgesprächs zur weiteren Aufklärung gegeben. Dieses fand im Februar 2011 statt; allerdings verweigerte der Kläger mit Ausnahme eines durch ihn ausgefüllten Fragebogens die weitere Mitwirkung.

5

Mit Verfügung vom 10. Januar 2012 wies das Regierungspräsidium K. den Kläger aus (Ziffer 1) und stützte sich dabei auf § 54 Nr. 5, § 56 Abs. 1, § 55 AufenthG a.F. Zudem wurde der Kläger verpflichtet, sich zweimal wöchentlich unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapiers bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, und sein Aufenthalt wurde auf den Bereich der Stadt M. begrenzt (Ziffer 2).

6

Die Ausweisung sei gerechtfertigt, weil Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Kläger Vereinigungen unterstütze, die ihrerseits den Terrorismus unterstützten. So habe der Kläger nach den vorliegenden Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in den Jahren 2001 bis 2010 regelmäßig an näher bezeichneten Veranstaltungen und Demonstrationen der PKK-Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL teilgenommen und sei teilweise auch selbst als Redner bei derartigen Veranstaltungen aufgetreten. Von 2001 bis 2003/2004 sei er Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Kurdischer Kulturverein e.V." in L. gewesen. Außerdem sei er seit langem Vorstandsmitglied und nunmehr sogar zweiter Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM). Die Ausweisung sei trotz des dem Kläger als anerkanntem Flüchtling zustehenden besonderen Ausweisungsschutzes aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt und auch mit Blick auf die Bleibeinteressen des Klägers verhältnismäßig. Sie führe zudem nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung, vielmehr bleibe seine Abschiebung ausgesetzt, da ihr Abschiebungsverbote aufgrund der Rechtsstellung des Klägers als Flüchtling sowie nach § 60 Abs. 5 AufenthG entgegenstünden. Die angeordnete zweimalige wöchentliche Meldepflicht und die räumliche Beschränkung auf den Stadtbezirk M. beruhten auf § 54a AufenthG (a.F.) und seien mit Blick auf die gebotene Überwachung des Klägers und zur Eindämmung seiner gefahrbegründenden Aktivitäten erforderlich und angemessen.

7

Das Verwaltungsgericht hat die gegen die Verfügung gerichtete Klage mit Urteil vom 27. Januar 2015 abgewiesen, zugleich aber den Beklagten verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf acht Jahre nach Ausreise des Klägers zu befristen. Mit Urteil vom 13. Januar 2016 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung zurückgewiesen. Dabei hat er die angefochtene Ausweisungsverfügung an der seit dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung des AufenthG gemessen. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof insbesondere ausgeführt: Im Fall des Klägers liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, weil der Kläger in überwiegend herausgehobener Funktion die PKK und damit eine terroristische oder den Terrorismus unterstützende Vereinigung unterstützt habe. Dabei seien allerdings nur Aktivitäten nach Juli 2010 heranzuziehen, also nach der an den Kläger gerichteten Mitteilung, wegen seiner Aktivitäten werde die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft. Als tatbestandserhebliches Unterstützen sei hiernach jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirke. Nach diesem Maßstab seien die im Urteil im Einzelnen näher bezeichneten und durch den Kläger in der Sache eingeräumten Betätigungen als Teilnehmer, Mitglied, Redner und Versammlungsleiter bei diversen die PKK unterstützenden Veranstaltungen sowie als Vorstandsmitglied der die PKK unterstützenden YEK-KOM und deren Nachfolgeorganisation NAV-DEM als Unterstützungshandlung zu werten. Angesichts des Ablaufs der Veranstaltungen, der dort gehaltenen Reden und der klaren Ausrichtung auf den Führerkult um den PKK-Führer Öcalan sowie gefallene Märtyrer bestünden für das Berufungsgericht keine Zweifel daran, dass sich der Kläger den Zielen der PKK verpflichtet fühle und sie mit seinem Tun unterstützen wolle.

8

Die Ausweisungsverfügung werde auch dem erhöhten Ausweisungsschutz gerecht, der dem Kläger als anerkanntem Flüchtling nach § 53 Abs. 3 AufenthG zustehe. Denn es lägen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU vor, wonach ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel widerrufen werden könne.

9

Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse stehe ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber. Denn er habe eine Niederlassungserlaubnis besessen, die gerade durch die Ausweisungsverfügung betroffen sei. Er lebe mit deutschen Familienangehörigen (sechs seiner Kinder) in familiärer Lebensgemeinschaft und übe sein Personensorgerecht für seine minderjährigen Kinder aus. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung überwiege jedoch das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers.

10

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Revision und rügt in mehrfacher Hinsicht eine Verletzung von Bundesrecht. Zunächst habe das Berufungsgericht den Begriff des "Unterstützens" in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG fehlerhaft ausgelegt und angewandt. Der von ihm in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht angewandte Unterstützungsbegriff sei rechtsstaatlich nicht hinreichend konkret. Jedenfalls auf der Grundlage des neuen, seit Jahresanfang 2016 geltenden Ausweisungsrechts, das nach "schwerwiegenden" und "besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen" differenziere, sei dieser Unterstützungsbegriff nicht mehr als Abgrenzungskriterium geeignet. Notwendig sei ein gefahrenabwehrrechtlich ausgerichteter Unterstützungsbegriff, der sich etwa in Anlehnung an strafrechtliche Zurechnungskriterien wie Anstiftung oder Beihilfe oder die im Strafrecht für Organisationsdelikte entwickelten Zurechnungskriterien gewinnen lassen könne.

11

Fehlerhaft sei zudem die Auslegung und Anwendung von § 53 Abs. 3 AufenthG im Hinblick auf die sich aus Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie ergebenden Voraussetzungen. Denn das Berufungsgericht habe weder festgestellt, dass der Kläger unmittelbar der PKK angehöre, noch dass sich die YEK-KOM oder die NAV-DEM selbst terroristischer Methoden bedienten. Weiterhin verkenne das Berufungsgericht die durch den Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) aufgestellten Anforderungen an die festzustellenden Unterstützungshandlungen. Danach sei insbesondere zu prüfen, ob der Betroffene selbst terroristische Handlungen begangen habe, ob und in welchem Maße er an der Planung, an Entscheidungen oder an der Anleitung anderer Personen zum Zwecke der Begehung solcher Handlungen beteiligt war und ob und in welchem Umfang er solche Handlungen finanziert oder anderen Personen die Mittel für ihre Begehung verschafft habe. Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts habe der EuGH damit nicht lediglich beispielhaft die in den maßgeblichen Vorlagefragen des Ausgangsverfahrens vorgehaltenen Handlungen herausgegriffen, sondern in einem abschließenden Sinne bestimmte Kriterien vorgegeben.

12

Weiter setze der Gefahrenbegriff des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine "konkrete Gefahr" voraus. Weder der Wortlaut noch die der Vorschrift zugrunde liegende Entstehungsgeschichte rechtfertigten eine Absenkung dieser Gefahrenschwelle. Das Berufungsgericht hätte daher prüfen müssen, ob der Kläger die für die objektive Unterstützung zu Grunde gelegten Tatsachen und Umstände gekannt und eine zweckgerichtete Unterstützung auch gewollt habe.

13

Schließlich habe das Berufungsgericht verkannt, dass dem Kläger nach dem Urteil des EuGH vom 24. Juni 2015 selbst dann, wenn ihm der Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie entzogen werden dürfe, für die Zeit der Fortdauer seines Flüchtlingsstatus die Rechte nach Kapitel VII dieser Richtlinie erhalten bleiben. Deshalb beantragte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hilfsweise, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass ihm auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie.

14

Der Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und tritt der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bei.

15

Während des Revisionsverfahrens hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 20. Oktober 2016 die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes für den Kläger widerrufen und entschieden, ihm weder die Flüchtlingseigenschaft noch den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Gegen den Bescheid hat der Kläger Klage erhoben.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist im Wesentlichen unbegründet. Das Berufungsgericht hat die Ausweisung des Klägers und die ihm auferlegte Meldepflicht und Aufenthaltsbeschränkung im Ergebnis zu Recht als rechtmäßig eingestuft. Allerdings war auf der Grundlage der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG der Beklagte zu einer nunmehr gebotenen Ermessensentscheidung über die festzusetzende Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG zu verpflichten.

17

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren des Klägers auf Aufhebung der Ausweisung (Ziffer 1 des Bescheids) sowie der Meldeauflagen und Aufenthaltsbeschränkung (Ziffer 2 des Bescheids). Aber auch der Streit über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs - im Berufungsverfahren und anschließend im Revisionsverfahren angefallen. Denn das Befristungsbegehren ist als Minus notwendiger Bestandteil des Begehrens auf Aufhebung einer Ausweisung und kann daher von den Parteien nicht gesondert aus dem Verfahren ausgegliedert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 28 ff.). Hiervon sind im Übrigen vorliegend auch die Parteien übereinstimmend ausgegangen.

18

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der Meldepflicht und der Aufenthaltsbeschränkung sowie der vom Kläger hilfsweise begehrten Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 8 m.w.N.). Der Entscheidung sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162) zugrunde zu legen, zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155).

19

A. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG, weil der Kläger anerkannter Flüchtling ist.

20

1. Nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht ergibt sich der Grundtatbestand der Ausweisung aus § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

21

Das neue Ausweisungsrecht gibt das mit dem Ausländergesetz 1990 eingeführte dreistufige Konzept der Ist-, Regel- und Kann-Ausweisung auf. Stattdessen hat sich der Gesetzgeber für ein einheitliches System der rechtlich gebundenen Ausweisung entschieden ("wird ausgewiesen"), das vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. § 54 AufenthG benennt konkret die Gründe, wann das Ausweisungsinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt und knüpft damit an Tatbestände der früheren Ist- und Regelausweisung an. In § 55 AufenthG werden - spiegelbildlich hierzu - Tatbestände normiert, denen zufolge das Bleibeinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt, wobei auch die Aufzählung der "schwer" wiegenden Bleibeinteressen nicht abschließend ist. In § 53 Abs. 2 AufenthG werden Gesichtspunkte genannt, die bei der Abwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sind, insbesondere die Dauer des Aufenthalts, Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, Folgen der Ausweisung für Angehörige und Partner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat.

22

Die Rechtsprechung des Senats, die ihrerseits Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aufgreift (vgl. Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <301 ff.> und vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 14 ff.), hat bei der Entwicklung des neuen Ausweisungsrechts eine entscheidende Rolle gespielt (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 25. Februar 2015, BT-Drs. 18/4097 S. 49). Dabei griff der Gesetzgeber Vorschläge zur Neuregelung des Ausweisungsrechts auf, die Vertreter der Rechtsprechung unterbreitet haben (vgl. Dörig, NVwZ 2010, 921 <922>; Bergmann, ZAR 2013, 318 <322> sowie Gesetzesvorschlag Bergmann/Dörig vom Januar 2014, veröffentlicht in: Barwig u.a., Steht das europäische Migrationsrecht unter Druck?, 2014, S. 111 f.). Die Ausweisung setzt nunmehr nach § 53 Abs. 1 AufenthG eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Sofern nach dieser Gesamtabwägung das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib in Deutschland überwiegt, wird der Ausländer ausgewiesen, andernfalls kommt eine Aufenthaltsbeendigung nach § 53 Abs. 1 AufenthG nicht in Betracht.

23

Die Tatbestandsmerkmale der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" im ausweisungsrechtlichen Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG sind nach der Begründung des Gesetzgebers im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Auch die Gefährdung dieser Schutzgüter bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten wird. Mit Blick auf die verwendeten Begriffe sollte keine Ausweitung des Gefahrenbegriffs gegenüber dem bislang geltenden Recht erfolgen, vielmehr sollten lediglich die bislang verwandten unterschiedlichen Formulierungen aneinander angeglichen werden. Die von § 53 Abs. 1 AufenthG geforderte Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers in Deutschland erfolgt dabei nach der Intention des Gesetzgebers nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar.

24

Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" (Absatz 1) oder als "schwerwiegend" (Absatz 2). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sind neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Interessen aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Die Katalogisierung schließt demnach die Berücksichtigung weiterer Umstände im Rahmen der nach § 53 Abs. 2 AufenthG zu treffenden Abwägungsentscheidung nicht aus. Dies folgt bereits aus dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG, ist aber für die schwerwiegenden, aufgrund der Vielgestaltigkeit der Lebenssituationen bewusst nicht abschließend aufgezählten Bleibeinteressen in § 55 Abs. 2 AufenthG nochmals ausdrücklich normiert. Die nunmehr als schwerwiegend oder besonders schwerwiegend qualifizierten Ausweisungsinteressen im Sinne von § 54 AufenthG decken sich weitgehend - aber nicht vollständig - mit den früheren Gründen für eine Regel- und Ist-Ausweisung, die schwerwiegenden und besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen greifen Fälle des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 AufenthG a.F. auf.

25

Bei der Abwägung sind schließlich gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht ("Boultif/Üner-Kriterien"). Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen.

26

Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht.

27

2. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG festgestellt. Ein solches liegt dann vor, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wobei hiervon u.a. dann auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Ausländer einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er (jedenfalls) eine solche Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, er nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.

28

a) Der Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist dem Wortlaut nach weitgehend an den früheren Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung angelehnt, auf den die Ausweisungsverfügung auch ursprünglich gestützt war. Das Berufungsgericht hat für die Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu Recht dieselben rechtlichen Maßstäbe herangezogen, die der Senat zur Auslegung des früheren Regelausweisungstatbestandes nach § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung entwickelt hat.

29

In der Rechtsprechung des Senats war die Auslegung des Regelausweisungstatbestands des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung weitgehend geklärt. So ist anerkannt, dass eine Vereinigung den Terrorismus unterstützt, wenn sie sich selbst terroristisch betätigt oder wenn sie die Begehung terroristischer Taten durch Dritte veranlasst, fördert oder befürwortet. Die Schwelle der Strafbarkeit muss dabei nicht überschritten sein, da die Vorschrift der präventiven Gefahrenabwehr dient und auch die Vorfeldunterstützung durch sogenannte Sympathiewerbung erfasst. Der Tatbestand des Unterstützens des Terrorismus durch eine Vereinigung setzt allerdings voraus, dass die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung (auch) auf die Unterstützung des Terrorismus gerichtet sind; ein bloßes Ausnutzen der Strukturen einer Vereinigung durch Dritte in Einzelfällen reicht hierfür nicht aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 20 ff. und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 13 ff.).

30

Für den im Gesetz verwandten Begriff des Terrorismus sind Versuche, auf völkerrechtlicher Ebene eine allgemein anerkannte vertragliche Definition zu entwickeln, nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen. Jedoch können wesentliche Kriterien aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft im Beschluss des Rates Nr. 2002/475/JI vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (ABl. L 164 S. 3) sowie dem gemeinsamen Standpunkt des Rates 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001 (ABl. L 344 S. 93) gewonnen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die Aufnahme einer Organisation in die vom Rat der Europäischen Union angenommene Liste terroristischer Organisationen im Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93 - vgl. auch ABl. L 116 vom 3. Mai 2002, S. 75) ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass die Organisation terroristischer Art ist oder im Verdacht steht, eine solche zu sein (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 [ECLI:EU:C:2015:413], H.T./Land Baden-Württemberg - Rn. 83). Hier sind von den Tatsachengerichten ergänzende Feststellungen zu treffen. Dabei ist trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs anerkannt, dass als terroristisch jedenfalls der Einsatz gemeingefährlicher Waffen und Angriffe auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen sind (Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>, vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 19 und Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 10 C 48.07 - BVerwGE 132, 79 <87> m.w.N.).

31

Weiterhin ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass die individuelle Unterstützung einer terroristischen Vereinigung oder einer Vereinigung, die eine terroristische Vereinigung unterstützt, im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. alle Verhaltensweisen erfasst, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeit der Vereinigung auswirken. Darunter kann die Mitgliedschaft in der terroristischen oder in der unterstützenden Vereinigung ebenso zu verstehen sein wie eine Tätigkeit für eine solche Vereinigung ohne gleichzeitige Mitgliedschaft. Auch die bloße Teilnahme an Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen kann eine Unterstützung in diesem Sinne darstellen, wenn sie geeignet ist, eine positive Außenwirkung im Hinblick auf die durch § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. missbilligten Ziele zu entfalten. Auf einen nachweisbaren oder messbaren Nutzen für diese Ziele kommt es nicht an, ebenso wenig auf die subjektive Vorwerfbarkeit der Unterstützungshandlungen. Im Hinblick auf den Schutz der Meinungsfreiheit und das Gebot der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Betätigungsfreiheit des Einzelnen erfüllen allerdings solche Handlungen den Tatbestand der individuellen Unterstützung nicht, die erkennbar nur auf einzelne, mit terroristischen Zielen und Mitteln nicht im Zusammenhang stehende - etwa humanitäre oder politische - Ziele der Vereinigung gerichtet sind. Für den Ausländer muss schließlich die eine Unterstützung der Vereinigung, ihrer Bestrebungen oder ihrer Tätigkeit bezweckende Zielrichtung seines Handelns erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auf eine darüber hinaus gehende innere Einstellung des Ausländers kommt es hingegen nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 15 und 18 m.w.N.).

32

Diese vom Senat zur Auslegung von § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. entwickelten Grundsätze lassen sich entgegen dem Vorbringen der Revision auch auf den Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung nach dem neu gefassten § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG übertragen. Ein Vergleich der Textfassungen ergibt, dass der Gesetzgeber die früheren Regelausweisungstatbestände nach § 54 Nr. 5, 5a und 5b AufenthG a.F. in der neuen Vorschrift des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zusammengefasst hat, wobei unter den vorliegenden Umständen die Fälle staatsgefährdender Gewalttaten nach § 89a StGB außer Betracht bleiben können. Gegenüber dem früheren Recht ist der Hinweis entfallen, dass eine Ausweisung auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen nur gestützt werden kann, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Eine Änderung der materiellen Rechtslage ist damit aber nicht verbunden, da auch nach neuem Recht eine fortbestehende Gefahr erforderlich ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ("gefährdet") und ist implizit auch dem neuen Zusatz in § 54 Abs. 1 Nr. 2 letzter Halbsatz AufenthG zu entnehmen, wonach von einer Gefährdung nicht auszugehen ist, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt.

33

Den Gesetzgebungsmaterialien ist nichts dafür zu entnehmen, dass sich der Gesetzgeber hinsichtlich des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung für eine Abkehr von dem bisherigen Verständnis des Ausweisungstatbestandes hat entscheiden wollen. Zwar hat er in Satz 2 einen Halbsatz neu eingefügt, wonach ein Unterstützen nicht vorliegt, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt. Das stellt jedoch keine inhaltliche Änderung des Unterstützerbegriffs dar, sondern normiert lediglich ein in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits entwickeltes Kriterium zur individuellen Zurechnung eines Unterstützerverhaltens. Denn der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die objektive Tatsache der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in der Vergangenheit dem Ausländer dann nicht mehr zugerechnet werden kann, wenn er sich glaubhaft hiervon distanziert (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <131>, vom 30. April 2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 35 und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 17). Die nunmehr normierten Tatbestandsmerkmale lassen keine Abkehr von der Senatsrechtsprechung erkennen, denn ein "erkennbares Abstandnehmen" vom sicherheitsgefährdenden Handeln entspricht dem Distanzieren im Sinne der Senatsrechtsprechung. Allerdings findet sich in der Begründung zu dieser Neuregelung die Aussage, die Möglichkeit der "Exkulpation" zeige, dass der Betroffene Kenntnis davon gehabt haben müsse, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstütze, der "undolose Unterstützer" daher nicht unter die Regelung falle (BT-Drs. 18/4097 S. 51). Aus diesem Satz in der Gesetzesbegründung könnte man ableiten, der Gesetzgeber habe eine Regelung treffen wollen, nach der für die subjektive Seite des Unterstützens mehr erforderlich ist (Vorsatz) als nach dem bisherigen Verständnis (Erkennbarkeit). Wäre dies tatsächlich so Gesetz geworden, hätte dies eine nicht unerhebliche Einschränkung der Rechtsprechung zur subjektiven Zurechnung bedeutet, nach der es ausreicht, dass der Ausländer erkennen konnte, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstützt. Die Begründung hat jedoch im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden, denn nach diesem wird Vorsatz im Hinblick auf die terroristische Betätigung der unterstützten Vereinigung nicht verlangt. Es reicht somit auch für die Erfüllung des subjektiven Unterstützertatbestands weiterhin die Erkennbarkeit einer terroristischen Betätigung der Vereinigung aus. Vorsatz bleibt hingegen weiter erforderlich für das eigene Handeln des Ausländers, das von dem Ziel geleitet sein muss, die Vereinigung zu unterstützen. Für diese Auslegung spricht auch, dass der Gesetzgeber der Vorfeldunterstützung des Terrorismus durch die Gesetzesänderung erhöhte Bedeutung beimessen wollte, indem er den bisher als Tatbestand für eine Regelausweisung normierten Ausweisungsgrund zu einem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 AufenthG heraufstufte, was im bisherigen Recht dem Tatbestand einer zwingenden Ausweisung entsprochen hätte. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass das stärkere Gewicht, das der Gesetzgeber diesem Ausweisungsinteresse beimessen wollte (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 23), mit einer engeren Interpretation seiner Tatbestandsmerkmale einhergehen sollte.

34

Eine vom früheren Begriffsverständnis abweichende Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass dieser bisher eigenständige Tatbestand nunmehr in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG funktional mit einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verknüpft wird ("hiervon ist auszugehen, wenn"). Vielmehr ergibt eine systematische Auslegung der Vorschrift, dass der Inhalt des Ausweisungstatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung unverändert geblieben ist, während der Begriff der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland eine Erweiterung erfahren hat. Denn der Gesetzgeber hat mit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr kraft Gesetzes definiert, wann von einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen ist, nämlich (jedenfalls) dann, wenn eine der dort genannten Tatbestandsalternativen erfüllt ist. Die Auslegung des Begriffs der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland richtet sich daher (auch) nach diesen Tatbestandsalternativen, nicht umgekehrt. Anderes lässt sich hinsichtlich des Gefahrenmaßstabs auch nicht der Regelung des § 53 Abs. 1 AufenthG entnehmen. Denn anders als bei den übrigen Ausweisungsinteressen hat der Gesetzgeber in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG das Erfordernis einer Gefahr (nochmals) ausdrücklich aufgeführt, was unter systematischen Gesichtspunkten für eine gewisse Eigenständigkeit des Gefahrentatbestandes gegenüber § 53 Abs. 1 AufenthG fruchtbar gemacht werden kann. Es gilt damit nunmehr, dass das Gesetz bereits die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Bundesgebiet als eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ansieht, unabhängig davon ob die terroristische Vereinigung Gewaltakte auch auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland oder gegen deutsche Einrichtungen im Ausland begeht. Weiterhin gilt jedenfalls für die Fälle des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ein abgesenkter Gefahrenmaßstab, der auch Vorfeldmaßnahmen erfasst und keine von der Person des Unterstützers ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefahr erfordert. Die Rechtsprechung des Senats zur Unterstützung des Terrorismus durch Handlungen in dessen Vorfeld hat dem Rechnung zu tragen und dabei auch die Bedeutung zu berücksichtigen, die der Unionsgesetzgeber dieser Vorfeldunterstützung durch den Erwägungsgrund 37 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 S. 9) - EU-Anerkennungsrichtlinie - beimisst.

35

Ein Anlass für eine verfassungsrechtliche Neubewertung des Gefahrenmaßstabs besteht entgegen dem umfangreichen Revisionsvorbringen nicht. In der Rechtsprechung des Senats ist seit dem Urteil zum Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus - Terrorismusbekämpfungsgesetz - vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361, 3142) anerkannt, dass der Unterstützungsbegriff weit auszulegen und anzuwenden ist, um damit der auch völkerrechtlich begründeten Zielsetzung des Gesetzes gerecht zu werden, dem Terrorismus schon im Vorfeld die logistische Basis zu entziehen (BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <127 ff.>). Maßgeblich ist, inwieweit das festgestellte Verhalten des Einzelnen zu den latenten Gefahren der Vorfeldunterstützung des Terrorismus nicht nur ganz unwesentlich oder geringfügig beiträgt und deshalb selbst potenziell gefährlich erscheint. Wegen der tatbestandlichen Weite des Unterstützungsbegriffs ist allerdings bei der Anwendung der Vorschrift darauf zu achten, dass nicht unverhältnismäßig namentlich in das auch Ausländern zustehende Recht auf freie Meinungsäußerung jenseits der zumindest mittelbaren Billigung terroristischer Bestrebungen eingegriffen wird. Einen bislang nicht berücksichtigten verfassungsrechtlichen Rechtssatz, der den so umschriebenen Ausgleich zwischen dem legitimen und schon wegen seiner völkerrechtlichen Vorgaben besonders gewichtigen gesetzgeberischen Ziel der Terrorismusbekämpfung und den geschützten Grundrechtspositionen eines Ausländers infrage stellen würde, zeigt die Revision nicht auf. Insbesondere sprechen der Charakter der Ausweisung als Maßnahme der Gefahrenabwehr sowie die spezifische Zielsetzung der Terrorismusbekämpfung gegen eine Übertragung strafrechtlicher Rechtsprechungsgrundsätze, wie sie etwa für die Abgrenzung strafbarer und straffreier Meinungsäußerungen gelten. Der Senat hält auch unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an seiner bisherigen Rechtsprechung fest.

36

b) Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG angenommen. Dies gilt sowohl für die Qualifizierung der PKK als terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung (aa) als auch - jedenfalls im Ergebnis - für die Qualifizierung der Handlungen des Klägers als relevante Unterstützungshandlungen (bb). Ebenso wenig zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen hat (cc).

37

(aa) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Qualifizierung der PKK als eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Das Gericht legt seiner Entscheidung die in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze für die Definition einer terroristischen Vereinigung zugrunde (UA Bl. 27 f.) und geht damit von einem zutreffenden Maßstab aus. Für die Bewertung der PKK als eine solche Vereinigung hat das Gericht zunächst darauf abgestellt, dass sie auch noch aktuell auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist, ohne diesem Umstand eine über einen deutlichen Anhaltspunkt hinausgehende Bedeutung beizumessen (UA Bl. 31). Hieran anknüpfend hat das Berufungsgericht sodann auf der Grundlage der ihm vorliegenden Erkenntnismittel festgestellt, dass die PKK zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele in der Türkei weiterhin Gewalttaten gegen staatliche Einrichtungen und Amtsträger sowie die Zivilbevölkerung verübt und im Übrigen etwa zur Finanzierung ihrer Aktivitäten oder zur Bekämpfung von Kritikern auch nicht vor Verbrechen gegenüber ihren eigenen Anhängern und auch darüber hinaus gegenüber der kurdischstämmigen Bevölkerung insgesamt zurückschreckt. Insbesondere sei die zwischen dem türkischen Staat und der PKK ausgehandelte (relative) Waffenruhe seitens der PKK zuletzt Ende Juli 2015 ausdrücklich aufgekündigt worden (UA Bl. 32 f.). Diese tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts sind von der Revision nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen worden und daher für den Senat bindend. Sie erlauben dem Senat zudem eine eigene rechtliche Bewertung des Inhalts, dass die PKK eine terroristische Vereinigung darstellt und nicht lediglich eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung.

38

(bb) Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist auch die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, dass der Kläger die PKK in rechtserheblicher Weise individuell unterstützt hat. Allerdings ist das Gericht unter Verstoß gegen Bundesrecht davon ausgegangen, dass zu Lasten des Klägers nur solche Unterstützungshandlungen berücksichtigt werden dürfen, die in zeitlicher Hinsicht nach der Mitteilung des Regierungspräsidiums vom Juli 2010 lagen, wonach eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft würden.

39

Das Berufungsgericht ist insoweit rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass ein Ausweisungsinteresse bereits dann aus Gründen des Vertrauensschutzes verbraucht ist und nicht mehr zur Begründung einer Ausweisung herangezogen werden kann, wenn ein Aufenthaltstitel in Kenntnis oder dem Staat zuzurechnender Unkenntnis erteilt oder verlängert wurde (UA S. 34 f.). Zwar ist in der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich anerkannt ist, dass Ausweisungsgründe in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und so lange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind und die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <313> und vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <121 f.>). Aus der Ableitung dieser Kriterien aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt jedoch, dass die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Aus der Rechtsprechung des Senats ergibt sich zudem, dass ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers schützenswert sein muss. Hieran fehlt es, wenn die Ausländerbehörde - wie vorliegend - dem Kläger auf dessen Anfrage zum Stand des Verfahrens auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis lediglich mitteilt, dass gegenwärtig noch eine Sicherheitsüberprüfung stattfinde, und dann zu einem späteren Zeitpunkt ohne jegliche Erläuterung zum Ausgang der Sicherheitsüberprüfung die begehrte Niederlassungserlaubnis erteilt. Auf dieser Grundlage kann der Betroffene nämlich weder wissen, welchen konkreten Umständen die Ausländerbehörde im Rahmen ihrer Sicherheitsüberprüfung nachgegangen ist, noch zu welchen konkreten Erkenntnissen sie hierbei nach Abschluss der Überprüfung gelangt ist. Daher kann der Betroffene aus der Erteilung der Niederlassungserlaubnis billigerweise auch nicht schließen, dass die Ausländerbehörde bei ihrer Sicherheitsüberprüfung alle als potentielle Versagungsgründe in Betracht kommenden Umstände tatsächlich ermittelt und sodann als für die Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis unbeachtlich eingestuft hat.

40

Das angefochtene Urteil beruht jedoch nicht auf diesem Rechtsverstoß, weil das Berufungsgericht auch ohne Berücksichtigung der vor dem für maßgeblich erachteten Zeitpunkt liegenden Umstände von rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen des Klägers ausgegangen ist und die diesbezüglichen Feststellungen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sind. Im Übrigen wäre der Kläger durch die Nichtberücksichtigung weiterer, ihn belastender Umstände auch nicht beschwert. Im Einzelnen hat das Berufungsgericht für die Bestimmung der rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen zutreffend auf die in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäbe zu § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung abgestellt (UA Bl. 35 ff.). Keine abweichende Beurteilung ergibt sich aus dem Einwand des Klägers, die PKK nicht unmittelbar unterstützt zu haben, sondern sich in legalen Vereinigungen betätigt zu haben, die ihrerseits die PKK im Wissen um deren Charakter gewollt und gezielt unterstützen. Denn es stellt keine verminderte Gefahr der Vorfeldunterstützung des Terrorismus dar, wenn die Unterstützung terroristischer Vereinigungen nicht durch isolierte Einzelhandlungen, sondern in Vereinigung mit anderen erfolgt. Hierin liegt auch kein Fehlen der Unmittelbarkeit der Unterstützungshandlungen.

41

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht sodann nach Auswertung der ihm vorliegenden umfangreichen Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden festgestellt, dass der Kläger über mehrere Jahre in teils hervorgehobener Funktion als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter oder Redner regelmäßig an Veranstaltungen teilgenommen und mitgewirkt hat, bei denen offene Propaganda für die PKK betrieben worden ist (UA Bl. 39 - 42). Unter Einbeziehung der Aktivitäten des Klägers in der Zeit seit 2001, wie sie in der Ausweisungsverfügung (S. 3 - 9, 16 - 23) aufgelistet, vom Kläger nicht in Abrede gestellt und vom Berufungsgericht in Bezug genommen worden sind (UA S. 39 f.), stellt sich das Unterstützungshandeln des Klägers wie folgt dar: Der Kläger war von 2001 bis 2003/2004 Vorsitzender des "Kurdischen Kulturverein e.V." in L., der der KONGRA-GEL nahestand. Im Oktober 2004 wurde er in das 15-köpfige Führungskomitee der "Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland" (YEK-KOM) gewählt und gehörte diesem bis zur Auflösung der YEK-KOM im Jahr 2014 an, zeitweilig (bis 2011) war er der 2. Vorsitzende der Vereinigung. Er hat sich im Juni 2014 in den fünfköpfigen Vorstand der die PKK unterstützenden NAV-DEM wählen lassen und diese Vorstandstätigkeit bis zum Tage der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausgeübt (UA Bl. 43 - 45).

42

Der Kläger beteiligte sich seit Mitte 2003 regelmäßig an Kundgebungen und Demonstrationen in unterschiedlichen deutschen Städten (u.a. Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg, Frankfurt, Gelsenkirchen, Düsseldorf, Stuttgart) und in Straßburg/Frankreich, die sich unter anderem für eine Freilassung des inhaftierten PKK-Führers Öcalan aussprachen, des Gründungsjahrestags der PKK und/oder der "Märtyrer des kurdischen Freiheitskampfes" gedachten und Parolen auf die PKK ausriefen. Der Kläger hielt auf einigen dieser Veranstaltungen eine Rede, im Februar 2007 hob er dabei die Bedeutung der Gefallenen für die kurdische Sache hervor, im Januar 2009 sprach er zur aktuellen Lage der Kurden in ihrer Heimat, im März 2010 kritisierte er die Exekutivmaßnahmen der belgischen Polizei gegenüber dem kurdischen TV-Sender ROJ-TV, im November 2011 sprach er auf einer Kundgebung, die zum Thema u.a. die Verwendung von Napalmgas und chemischer Waffen gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei hatte, im Januar 2013 verurteilte er auf einer Kundgebung die Ermordung von drei PKK-Aktivisten in Paris, im Oktober 2015 hielt er anlässlich einer Protestaktion der NAV-DEM in Frankfurt eine Rede.

43

Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger nicht nur seine individuellen Unterstützungshandlungen, sondern sämtliche Aktionen der YEK-KOM und der NAV-DEM aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied persönlich zuzurechnen sind. Die YEK-KOM, der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK nach den gerichtlichen Feststellungen durch eine Vielzahl von Aktionen. Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen oder ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie "Freiheit für Öcalan" und "Frieden für Kurdistan". Im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die "logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans" verankert. Der Verein biete der PKK oder ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Für die NAV-DEM gilt nach den getroffenen Feststellungen nichts anderes. Der Verein sei keine Neugründung, sondern eine Umbenennung des Vereins YEK-KOM. Im Übrigen werde deutlich, dass die NAV-DEM ihre Veranstaltungen und Kundgebungen mit gleichem Ablauf und gleichen Themen durchführe wie zuvor schon unter dem Namen YEK-KOM. Diese zutreffende Würdigung bedeutet auch nicht, dass jeder Einsatz für die Interessen und Belange kurdischer Volkszugehöriger (oder eine Kritik an der Kurdenpolitik der Türkischen Republik) als eine Unterstützung der PKK und damit des Terrorismus einzuordnen wäre.

44

(cc) Soweit schließlich nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausscheidet, wenn der Ausländer ernsthaft und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt, hat das Berufungsgericht ebenfalls in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der Kläger ausweislich seines auch während des Ausweisungsverfahrens fortgesetzten Engagements als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter und Redner auch künftig an seiner Unterstützung der PKK festhalten wird. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Unterstützerverhalten des Klägers sind detailreich und stellen - entgegen der Auffassung der Revision - keine zu schmale Tatsachengrundlage für die getroffenen Feststellungen dar. Damit erfüllt der Kläger die gesetzlichen Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, und es liegt ein Ausweisungsinteresse vor, das besonders schwer wiegt.

45

3. Die angefochtene Verfügung des Beklagten erfüllt auch die besonderen Voraussetzungen, die nach § 53 Abs. 3 AufenthG an die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings zu stellen sind. Ein solcher darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

46

a) Diese den Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG ergänzende Vorschrift legt erhöhte Ausweisungsvoraussetzungen für mehrere rechtlich privilegierte Personengruppen fest, nämlich für Ausländer, die als Asylberechtigte anerkannt sind, die im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießen, die einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention besitzen, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder die eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU besitzen. Für all diese Personengruppen gilt der besondere aus Art. 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG abgeleitete Maßstab, den der Gerichtshof der Europäischen Union auch auf Ausländer erstreckt hat, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - C-371/08 [ECLI:EU:C:2011:809], Ziebell - Slg. 2011, I-12735 Rn. 79, 86). Der Senat folgt nicht der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, wonach die Voraussetzungen des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 53 Abs. 3 AufenthG von vornherein "bereichsspezifisch" gemäß dem durch das Unionsrecht für den jeweiligen Personenkreis bestimmten Ausweisungsschutz auszulegen sind. Vielmehr hat der Gesetzgeber den unionsrechtlichen Schutzstandard für daueraufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige für ausreichend befunden und dessen Geltung für alle genannten Personengruppen angeordnet. Dies entbindet freilich nicht davon, in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob für die jeweils betrachtete Personengruppe der so durch den nationalen Gesetzgeber definierte Ausweisungsschutz dem unionsrechtlichen Maßstab tatsächlich genügt. Nur wenn der unionsrechtliche Maßstab strenger ist als derjenige, der durch den Gesetzgeber in § 53 Abs. 3 AufenthG festgelegt worden ist, bedarf § 53 Abs. 3 AufenthG nach allgemeinen Grundsätzen einer unionsrechtskonformen Auslegung, die angesichts der Weite der Tatbestandsmerkmale und des erkennbaren gesetzgeberischen Willens, europarechtlichen Maßstäben zu genügen, auch möglich ist (so auch Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 54).

47

Im vorliegenden Fall ist § 53 Abs. 3 AufenthG unionsrechtskonform nach den Vorgaben der EU-Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU auszulegen. Die Richtlinie formuliert keine Vorgaben für eine Ausweisung im Sinne des deutschen Rechts, wohl aber für eine Zurückweisung in den Herkunftsstaat (Art. 21 Abs. 2 und 3) und für den Entzug des Aufenthaltstitels (Art. 24 Abs. 1).

48

b) Nach Art. 21 Abs. 3 der EU-Anerkennungsrichtlinie darf ein Mitgliedstaat den einem Flüchtling erteilten Aufenthaltstitel widerrufen, wenn die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 2 vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 2012 - 1 C 8.11 - BVerwGE 143, 138 Rn. 21). Fällt ein Flüchtling nicht in den Anwendungsbereich von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie, kann auch Abs. 3 dieser Vorschrift nicht zu Anwendung kommen (EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 - Rn. 44). Eine Zurückweisung ist nach Art. 21 Abs. 2 Buchst. a zulässig, wenn es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass der Flüchtling eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält. Es kann offenbleiben, ob vom Kläger eine Gefahr im Sinne dieser Vorschrift ausgeht, denn die Zurückweisung ist nur unter der weiteren Voraussetzung rechtmäßig, dass sie dem Mitgliedstaat nicht aufgrund seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen untersagt ist (Art. 21 Abs. 2). Dazu zählen die Verpflichtungen aus Art. 3 EMRK (vgl. Begründung der Kommission im Richtlinienvorschlag vom 12. September 2001 KOM (2001) 510 endg. S. 33 zu Art. 19). Dem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK kommt absoluter Charakter zu; es kann mithin - anders als das Refoulement-Verbot nach Art. 33 Abs. 1 GFK - nicht unter den Voraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 Richtlinie 2011/95/EU i.V.m. Art. 35 Abs. 2 GFK durchbrochen werden (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 5. April 2016 - C-404/15 und C-659/15 PPU [ECLI:EU:C:2016:198], Aranyosi und Căldăraru - Rn. 85 - 87; EGMR, Urteil vom 17. Dezember 1996 - Nr. 71/1995/577/663, Ahmed/Österreich - NVwZ 1997, 1100 Rn. 39 - 41). Für den Kläger besteht ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK. Denn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat im Anerkennungsbescheid vom 9. Oktober 1997 nicht nur die Flüchtlingseigenschaft des Klägers nach dem seinerzeit maßgeblichen § 51 Abs. 1 AuslG 1990, sondern auch ein Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990 hinsichtlich der Türkei festgestellt und dieses damit begründet, dass dem Kläger in der Türkei unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Diese Feststellung des Bundesamts begründet hier ein - absolutes - nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Insoweit kommt der Feststellung des Bundesamts im vorliegenden Verfahren über § 42 AsylG auch Bindungswirkung zu. Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU begrenzt damit den behördlichen Handlungsspielraum für eine Abschiebung in einen Verfolgerstaat oder einen Staat, in dem Gefahren nach Art. 3 EMRK drohen. Die Vorschrift setzt jedoch keine Maßstäbe für eine lediglich "inlandsbezogene" Ausweisung, die - wie hier - insbesondere den Verlust des Aufenthaltstitels zur Folge hat.

49

c) Unionsrechtliche Maßstäbe für eine zum Verlust des Aufenthaltstitels eines Flüchtlings führende inlandsbezogene Ausweisung lassen sich aus Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie gewinnen. Die Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten, einem Flüchtling so bald wie möglich nach der Anerkennung einen Aufenthaltstitel auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.

50

(aa) Der Inhalt dieser Norm wurde vom Gerichtshof der Europäischen Union in einem auf ein Vorlageersuchen des Berufungsgerichts ergangenen Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) näher bestimmt. Die Entscheidung bezieht sich zwar auf Art. 24 Abs. 1 der EG-Anerkennungsrichtlinie 2004/83/EG, ihre Aussagen sind aber uneingeschränkt auf die in der Sache unveränderte Vorschrift des Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU übertragbar. Danach kann einem Flüchtling nach Art. 24 Abs. 1 nicht nur die Erteilung eines Aufenthaltstitels versagt werden, sondern der erteilte Aufenthaltstitel auch nachträglich widerrufen werden, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen (a.a.O. Rn. 55). Soweit in der Neufassung der Vorschrift nunmehr von zwingenden Gründen der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung die Rede ist, ist damit keine inhaltliche Änderung verbunden. Diese Wirkung einer Entziehung des Aufenthaltstitels kommt der hier verfügten Ausweisung zu, die wegen des entgegenstehenden Abschiebungsverbots nach Art. 3 EMRK nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung führt. Entgegen einer am Wortlaut orientierten Auslegung von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie hat der darin verwendete Begriff der "zwingenden Gründe" nach dem EuGH-Urteil eine weitere Bedeutung als der Begriff der "stichhaltigen Gründe" in Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie. Das bedeutet, dass bestimmte Umstände, die nicht den Schweregrad aufweisen, um eine Zurückweisung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie verfügen zu können, den Mitgliedstaat gleichwohl dazu berechtigen können, auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie dem betroffenen Flüchtling seinen Aufenthaltstitel zu entziehen (a.a.O. Rn. 75).

51

Bei der Bestimmung des Bedeutungsgehalts der "zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" hat der EuGH zunächst Bezug auf seine Rechtsprechung zu den Begriffen der "öffentlichen Sicherheit" und der "öffentlichen Ordnung" in Art. 27 und 28 der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG genommen (a.a.O. Rn. 77 ff.). Danach umfasst der Begriff "öffentliche Sicherheit" im Sinne von Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats. Die öffentliche Sicherheit kann danach berührt sein, wenn das Funktionieren staatlicher Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste beeinträchtigt wird oder eine Gefahr für das Überleben der Bevölkerung oder einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker besteht oder militärische Interessen beeinträchtigt werden. Dabei deutet der Begriff der "zwingenden Gründe" auf einen besonders hohen Schweregrad der Beeinträchtigung hin (a.a.O. Rn. 78). Den Begriff der "öffentlichen Ordnung" hat der EuGH für die Unionsbürgerrichtlinie dahin ausgelegt, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliegen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (a.a.O. Rn. 79). Zugleich betont er, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, nach ihren nationalen Bedürfnissen, die je nach Mitgliedstaat und Zeitpunkt unterschiedlich sein können, zu bestimmen, was die öffentliche Ordnung und Sicherheit erfordern (a.a.O. Rn. 77).

52

Für den Fall der Unterstützung des Terrorismus hat der EuGH zudem auf den 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83/EG, heute 37. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95/EU hingewiesen, wonach der Begriff der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" auch für die Fälle gilt, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt. Dabei muss das nationale Gericht in einem ersten Schritt prüfen, ob die Handlungen der fraglichen Organisation die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedrohen. Wird eine vom Flüchtling unterstützte Vereinigung in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93) geführt, ist dies ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie entweder eine terroristische Organisation ist oder im Verdacht steht, eine solche Organisation zu sein (a.a.O. Rn. 83). Allein der Umstand, dass ein Flüchtling eine solche Organisation unterstützt hat, darf jedoch nicht automatisch zur Aufhebung seines Aufenthaltstitels führen. Vielmehr ist in einem zweiten Schritt einzelfallbezogen die Rolle zu prüfen, die der Betreffende im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt hat (a.a.O. Rn. 90), und auch der Schweregrad der Gefahr zu beurteilen, die von seinen Handlungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (a.a.O. Rn. 92).

53

(bb) Das Berufungsgericht hat die vom Kläger geleisteten und ihm zuzurechnenden Unterstützungshandlungen an dem vom EuGH präzisierten Maßstab für die Auslegung des Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie gemessen und ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass sich hieraus zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ergeben, die einen Entzug des Aufenthaltstitels gegenüber dem Kläger rechtfertigen. Das Gericht hat bereits im Rahmen seiner Prüfung des besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausführlich begründet, warum die PKK eine terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung darstellt (UA S. 27 - 34). Dabei hat es gewürdigt, dass die PKK auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist und auch weiterhin terroristische Aktivitäten entfaltet. In einem zweiten Schritt hat es näher dargelegt, warum die in Deutschland agierenden Vereinigungen YEK-KOM und NAV-DEM, für die der Kläger seit mehr als zwölf Jahren in hervorgehobenen Funktionen wirkte, und der Kläger auch individuell durch Anmeldung und Leitung von Versammlungen sowie Redebeiträge und weitere Aktivitäten die PKK unterstützt haben und weiter unterstützen (UA S. 55, 34 - 48). Die Bewertung des Berufungsgerichts, dass der Kläger damit die Voraussetzungen für den Entzug seines Aufenthaltstitels nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie erfüllt, steht mit der Rechtsprechung des EuGH in Einklang. Zwar hat er selbst keine terroristischen Handlungen begangen, auch nicht andere Personen hierzu angeleitet oder sich an der Planung oder Finanzierung terroristischer Aktionen beteiligt, wie das der EuGH als mögliches Unterstützerhandeln erwähnt (a.a.O. Rn. 90). Diese Aufzählung des Gerichtshofs ist jedoch nur beispielhaft, macht zugleich aber deutlich, dass der Betreffende eine gewichtige Rolle im Rahmen seiner Unterstützung der terroristischen Organisation gespielt haben muss.

54

Bei der Frage, was als gewichtig anzusehen ist, ist der 37. Erwägungsgrund der Richtlinie zu berücksichtigen, wonach auch die Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, und die Unterstützung einer derartigen Vereinigung als Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung anzusehen sind. Die abschließende Bewertung, ob die Unterstützungshandlung hinreichend gewichtig ist, um "zwingende Gründe" darzustellen, überlässt der Gerichtshof dem verantwortlichen nationalen Gericht und erkennt auch einen Einschätzungsspielraum der Mitgliedstaaten an, nach ihren nationalen Bedürfnissen zu bestimmen, was die nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung erfordern. Diese abschließende Bewertung hat das Berufungsgericht dahin getroffen, dass die Unterstützungshandlungen des Klägers dem von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie geforderten Gewicht entsprechen. Es hat dies auf der Grundlage der Gewichtungsvorgabe des nationalen Gesetzgebers in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nachvollziehbar mit dem mehr als zwölfjährigem Unterstützerhandeln des Klägers in hervorgehobener Position innerhalb zweier Vereinigungen begründet, in dessen Rahmen er an zahlreichen Veranstaltungen mitwirkte, an denen sich Akteure beteiligten, die offen für die PKK warben und deren Kurs vorbehaltlos befürworteten (Auftreten in Guerillauniform, Märtyrergedenken, Grußbotschaften an die Kämpfer an der Front usw.). Für das Gewicht seines Unterstützerhandelns durfte das Gericht auch berücksichtigen, dass der Kläger nach den tatrichterlichen Feststellungen in vollem Bewusstsein um dessen Bedeutung für den ideologischen Zusammenhalt der PKK und in dem Willen gehandelt hat, diese vorbehaltlos auch in Bezug auf deren terroristische Aktivitäten zu unterstützen (UA S. 55).

55

(cc) Der EuGH hat in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13 Rn. 95 ff.) aber hervorgehoben, dass ein Flüchtling, dessen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie aufgehoben wird, seinen Flüchtlingsstatus behält, sofern und solange ihm nicht dieser Status entzogen worden ist. Daher ist er auch nach dem Verlust seines Aufenthaltstitels weiterhin Flüchtling und hat in dieser Eigenschaft weiterhin Anspruch auf die Vergünstigungen, die das Kapitel VII der Richtlinie jedem Flüchtling gewährleistet, so insbesondere auf Schutz vor Zurückweisung, auf Wahrung des Familienverbands, auf Ausstellung von Reisedokumenten, auf Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung, zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie auf Zugang zu Integrationsmaßnahmen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift. Diese Rechte dürfen, auch soweit sie nach nationalem Recht an den Besitz eines Aufenthaltstitels anknüpfen, von den zuständigen Behörden daher nicht mit der Begründung versagt werden, dass der Aufenthalt des Flüchtlings infolge der Ausweisung rechtswidrig geworden ist. Allerdings darf die Ausstellung eines Reiseausweises nach Art. 25 EU-Anerkennungsrichtlinie versagt werden, wenn - etwa zur Begegnung der Gefahr terroristischen Unterstützungshandelns - zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung entgegenstehen. Ebenso dürfen nach Art. 33 der Richtlinie aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen verfügt werden, wenn diese aus Gründen der öffentlichen Sicherheit auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern zulässig sind.

56

Eventuelle Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der dem Flüchtling auch nach Entzug des Aufenthaltstitels weiter zustehenden Rechte nach Kapitel VII der EU-Anerkennungsrichtlinie infolge unzureichender Umsetzung der Richtlinie in den einschlägigen nationalen Fachgesetzen berühren nicht die Rechtmäßigkeit der verfügten Ausweisung. An die Beachtung der einen Flüchtling unmittelbar begünstigenden Vorschriften in Kapitel VII der Richtlinie und die hierzu ergangene Rechtsprechung des EuGH sind seit Ablauf der Umsetzungsfrist alle nationalen Behörden gebunden. Der Flüchtling hat seine Rechte gegenüber den jeweils zuständigen Behörden und erforderlichenfalls Gerichten geltend zu machen. Auch die Generalanwältin hat es insoweit als die Pflicht der nationalen Gerichte angesehen, für die volle Wirksamkeit der Bestimmungen der Richtlinie Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede entgegenstehende Vorschrift des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 11. September 2014 - C-373/13 - Rn. 114 letzter Absatz).

57

4. Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen gewichtige Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1, § 55 AufenthG gegenüber. Diese hat das Berufungsgericht zutreffend bestimmt (UA S. 59 f.). Es hat berücksichtigt, dass der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besessen hat, die durch die Ausweisungsverfügung betroffen ist, er mit deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und er sein Personensorgerecht für minderjährige ledige Deutsche ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG).

58

5. Das Berufungsgericht hat das öffentliche Ausweisungsinteresse gegen die Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG unter Berücksichtigung der den Einzelfall prägenden Umstände abgewogen und ist unter Beachtung des hierfür zentralen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass das Ausweisungsinteresse überwiegt (UA S. 60 - 64). Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Gericht hat berücksichtigt, dass der Kläger besonderen Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie genießt, hier allerdings auf absehbare Zeit keine Aufenthaltsbeendigung beabsichtigt ist, da ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht. Es hat seinen langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und seine familiären Bindungen im Sinne von Art. 6 GG, Art. 8 EMRK gewürdigt, diesen durch die Verfügung allerdings insoweit nicht als beeinträchtigt angesehen, als keine Aufenthaltsbeendigung erfolgt. Es hat bei seiner Abwägung berücksichtigt, dass der Kläger in seinen geschützten Bindungen dadurch betroffen ist, dass sein Aufenthalt auf das Gebiet der Stadt M. beschränkt und er Meldeauflagen unterworfen ist. Weitere schützenswerte Bindungen hat das Gericht nicht anerkannt und dies nachvollziehbar damit begründet, dass der Kläger ungeachtet seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland kaum deutsch spricht, nur sporadisch und für kürzere Zeiträume erwerbstätig war und seit längerem von Sozialleistungen abhängig ist. Schließlich hat das Berufungsgericht in die Abwägung eingestellt, dass es der Kläger in der Hand hat, durch eine glaubhafte Abkehr von seinem bisherigen Verhalten eine Aufhebung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu erreichen.

59

6. Ohne Rechtsverstoß wertet das Berufungsurteil die in Ziffer 2 der angefochtenen Verfügung angeordnete Aufenthaltsbeschränkung und die verfügten Meldeauflagen als rechtmäßig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliegt ein Ausländer, gegen den - wie hier - eine Ausweisungsverfügung aufgrund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG besteht, der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Gestützt auf diese Ermächtigung hat der Beklagte bestimmt, dass sich der Kläger zweimal wöchentlich zu melden hat. Ferner hat er den Aufenthalt des Klägers auf den Bereich der Stadt M. beschränkt, wie das § 56 Abs. 2 AufenthG vorsieht, wenn die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft. Diese aufenthaltsbeschränkenden Maßnahmen durften gegenüber dem Kläger trotz dessen Rechtsstellung als Flüchtling ergehen. Dadurch wird sein Recht auf Freizügigkeit gemäß Art. 33 EU-Anerkennungsrichtlinie nicht verletzt. Denn derartige Maßnahmen dürfen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, wie sie hier wegen des Erfordernisses der Abwehr von terrorismusfördernden Aktivitäten vorliegen, auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern verfügt werden (§ 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG).

60

7. Zutreffend ist das Berufungsgericht auch zu dem Ergebnis gekommen, dass die für die Ausweisung des Klägers anwendbaren Regelungen des Ausweisungsrechts nicht gegen assoziationsrechtliche Verschlechterungsverbote aus Art. 13 ARB 1/80, Art. 7 ARB 2/76 und Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen (BGBl. 1972 II S. 385) verstoßen. Dabei kann offenbleiben, ob hier überhaupt eines der Verschlechterungsverbote Anwendung findet. Denn der zum 1. Januar 2016 eingeführte Übergang von einer Ermessensentscheidung zu einer gebundenen Entscheidung stellt keine Verschlechterung der Rechtsstellung des betroffenen Ausländers dar (a). Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung bewirkte zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für betroffene Ausländer, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt (b).

61

a) Die zum 1. Januar 2016 eingeführte Neuregelung des Ausweisungsrechts, die die bisherige Ermessensausweisung durch eine am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte gebundene Ausweisung abgelöst hat, hat die Rechtsstellung der Ausländer in der hier gebotenen und auch unionsrechtlich statthaften Gesamtschau nicht verschlechtert, sondern jedenfalls teilweise verbessert. Denn bisher sah das Gesetz Tatbestände einer zwingenden Ausweisung (Ist-Ausweisung), regelmäßig erfolgenden Ausweisung (Soll-Ausweisung) und Ausweisung nach Ermessen (Kann-Ausweisung) vor. Die zwingende Ausweisung und die regelmäßig erfolgende Ausweisung widersprachen für den Personenkreis der unionsrechtlich privilegierten Ausländer der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach eine Ausweisung ausschließlich auf ein persönliches Verhalten des Ausländers gestützt werden darf, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 [ECLI:EU:C:2004:262], Orfanopoulos und Oliveri - Slg. 2004, I-5257 Rn. 66 f.). Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass eine Regelung gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, wonach eine Ausweisung automatisch aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung verfügt wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird (a.a.O. Rn. 70). Aber auch die nationale Bestimmung über die Regelausweisung hat für den Gerichtshof den Anschein erweckt, dass trotz der Berücksichtigung individueller Umstände ein gewisser Automatismus oder jedenfalls eine Vermutung besteht, dass der betreffende Staatsangehörige auszuweisen ist (a.a.O. Rn. 92).

62

Daraus hat das Bundesverwaltungsgericht die Schlussfolgerung gezogen, dass die gesetzliche Regelung zur zwingenden Ausweisung und Regelausweisung auf unionsrechtlich privilegierte Ausländer nicht mehr angewendet werden darf (BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <302> betreffend Unionsbürger und - 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <321> betreffend Assoziationsberechtigte nach ARB 1/80). Der Gesetzgeber hat daraus durch das zum 1. Januar 2016 in Kraft getretene neue Ausweisungsrecht die Konsequenzen gezogen. Insofern stellt die neue Rechtslage eine Verbesserung gegenüber der bisherigen dar. Eine Ausweisung nach neuem Recht hat eine einzelfallbezogene umfassende Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen und orientiert sich dabei strikt am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 53 Abs. 1 und 2 AufenthG). Damit setzt der Gesetzgeber Vorgaben um, die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 - Rn. 99) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR , Urteil vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 57 - 60) ergeben.

63

Es stellt keine Verschlechterung der Rechtslage für unionsrechtlich privilegierte Ausländer dar, dass ihre Ausweisung nach früherer Rechtslage im Wege einer Ermessensentscheidung erfolgte, nach neuem Recht hingegen im Wege einer rechtlich gebundenen Ausweisung, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Damit entfällt zwar die Möglichkeit, aus Gründen der Zweckmäßigkeit von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen. Auf ein solches Absehen von einer rechts- und ermessensfehlerfrei möglichen Ausweisung hatte der Ausländer aber zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch, auch die gerichtliche Kontrolle war insoweit durch § 114 VwGO eingeschränkt; durch die gesetzliche Neuregelung wird also keine individuelle Rechtsposition beeinträchtigt. Im Übrigen ist für die Beachtung des Verschlechterungsverbots auf die tatsächliche Praxis und nicht allein auf die abstrakte Rechtslage abzustellen. Die Rechtspraxis wurde maßgeblich durch die Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz des Bundesministeriums des Innern vom 26. Oktober 2009 gesteuert. Danach lag die Ausweisungsentscheidung im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde, bei der Ermessensausübung waren das schutzwürdige Interesse des Ausländers am weiteren Verbleib in Deutschland und das öffentliche Interesse an der Ausweisung gegeneinander abzuwägen (Ziffer 55.1.3). Das weist auf eine Rechtspraxis hin, die der heute normierten gebundenen Ausweisung entspricht, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Insofern hat sich die Rechtsstellung des Ausländers nicht verschlechtert.

64

b) Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung hat zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für die betroffenen Ausländer bewirkt, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Die seinerzeitige Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung (§ 54 Nr. 5 AufenthG a.F.) führte zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gegenüber der früheren Rechtslage, die allein den Tatbestand der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland kannte. Durch die Rechtsänderung wurde nun auch die Vorfeldunterstützung des Terrorismus erfasst. Diese ist jedoch mit Blick auf das Verschlechterungsverbot aus Art. 13 ARB 1/80 aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 14 ARB 1/80, jedenfalls aber durch ein zwingendes Allgemeininteresse, namentlich die völkerrechtlich gebotene Terrorismusbekämpfung auch bereits im Vorfeld unmittelbarer terroristischer Handlungen, gerechtfertigt.

65

8. Nach der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG ist über die Länge der Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach Ermessen zu entscheiden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Diese gesetzgeberische Entscheidung ist mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom gleichen Tage - 1 C 27.16 - Rn. 20 ff.). Das Urteil des Senats zur Vorläuferfassung des § 11 AufenthG a.F., wonach eine gebundene Entscheidung zu treffen war (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.), erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihm ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen. Eine solche Ermessensentscheidung hat der Beklagte hier noch nicht getroffen. Vielmehr hat bisher das Verwaltungsgericht das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach der seinerzeit geltenden Rechtslage im Wege einer gebundenen Entscheidung auf acht Jahre festgesetzt.

66

Der Beklagte hat die nach neuem Recht nunmehr gebotene Ermessensentscheidung nachzuholen. Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange.

67

B. Der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellte (weitere) Hilfsantrag, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass dem Kläger auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie, ist unzulässig. Er stellt eine unzulässige Klageerweiterung im Revisionsverfahren dar (§ 142 Abs. 1 VwGO). Im Übrigen bedarf es einer solchen behördlichen Feststellung auch nicht. Aus dem für alle nationalen Behörden verbindlichen EuGH-Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) ergibt sich bis zu einer dem Gesetzgeber vorbehaltenen Anpassung der einschlägigen Fachgesetze hinreichend deutlich, dass dem Kläger - solange er die Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der EU-Anerkennungsrichtlinie genießt - auch die mit dieser Rechtsstellung einhergehenden Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie zustehen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift (vgl. dazu auch die vorstehenden Ausführungen in Rn. 55 f. dieses Urteils).

68

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat gewichtet den gegen die Ausweisung, die Meldeauflage, die Aufenthaltsbeschränkung und die Abschiebungsandrohung gerichteten Anfechtungsantrag mit 4/5 und den auf Befristung zielenden Verpflichtungsantrag mit 1/5 (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 46).

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus Deutschland. Hilfsweise erstrebt er eine neue Entscheidung des Beklagten über die Befristung des mit der Ausweisung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots.

2

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volkszugehörigkeit. Er wurde 1973 in der Türkei geboren, ist verheiratet und hat sieben Kinder. Er reiste 1997 nach Deutschland ein und beantragte hier Asyl, da er in der Türkei wegen seines Engagements in prokurdischen Vereinen und Parteien sowie verwandtschaftlichen Beziehungen zu Guerillakämpfern der sog. Arbeiterpartei Kurdistans - PKK - an Leib und Leben bedroht sei. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) vom 9. Oktober 1997 wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach dem damaligen § 51 Abs. 1 AuslG 1990 zuerkannt und zu seinen Gunsten ein Abschiebungsverbot wegen drohender Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK (damals § 53 Abs. 4 AuslG 1990) festgestellt. Der Kläger ist lediglich sporadisch und für kurze Zeiträume einer Erwerbstätigkeit nachgegangen, gleiches gilt für seine Ehefrau. Er bezieht mit seiner Familie Leistungen nach dem SGB II.

3

Vom 1. April 1998 bis zum 1. Dezember 2009 war der Kläger im Besitz jeweils befristeter Aufenthaltstitel. Am 13. März 2009 teilte das Bundesamt der Ausländerbehörde mit, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 73 Abs. 1 oder 2 AsylVfG nicht vorlägen. Im März 2009 stellte der Kläger bei der Ausländerbehörde der Stadt M. einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Auf Anfrage teilte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg der Ausländerbehörde im Mai 2009 mit, dass hinsichtlich der Person des Klägers "Erkenntnisse" vorlägen, über die das Innenministerium Baden-Württemberg gesondert informiert worden sei. Dessen ungeachtet wurde dem Kläger am 4. Dezember 2009 ohne weitere Mitteilung zum Stand der Sicherheitsüberprüfung eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG erteilt.

4

Das Regierungspräsidium K. teilte dem Kläger mit Schreiben vom 23. Juli 2010 mit, dass die Niederlassungserlaubnis in Unkenntnis der Sicherheitsbedenken erteilt worden sei und derzeit deren Rücknahme und eine Ausweisung geprüft werde. Hierzu werde dem Kläger die Möglichkeit eines Sicherheitsgesprächs zur weiteren Aufklärung gegeben. Dieses fand im Februar 2011 statt; allerdings verweigerte der Kläger mit Ausnahme eines durch ihn ausgefüllten Fragebogens die weitere Mitwirkung.

5

Mit Verfügung vom 10. Januar 2012 wies das Regierungspräsidium K. den Kläger aus (Ziffer 1) und stützte sich dabei auf § 54 Nr. 5, § 56 Abs. 1, § 55 AufenthG a.F. Zudem wurde der Kläger verpflichtet, sich zweimal wöchentlich unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapiers bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, und sein Aufenthalt wurde auf den Bereich der Stadt M. begrenzt (Ziffer 2).

6

Die Ausweisung sei gerechtfertigt, weil Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Kläger Vereinigungen unterstütze, die ihrerseits den Terrorismus unterstützten. So habe der Kläger nach den vorliegenden Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in den Jahren 2001 bis 2010 regelmäßig an näher bezeichneten Veranstaltungen und Demonstrationen der PKK-Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL teilgenommen und sei teilweise auch selbst als Redner bei derartigen Veranstaltungen aufgetreten. Von 2001 bis 2003/2004 sei er Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Kurdischer Kulturverein e.V." in L. gewesen. Außerdem sei er seit langem Vorstandsmitglied und nunmehr sogar zweiter Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM). Die Ausweisung sei trotz des dem Kläger als anerkanntem Flüchtling zustehenden besonderen Ausweisungsschutzes aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt und auch mit Blick auf die Bleibeinteressen des Klägers verhältnismäßig. Sie führe zudem nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung, vielmehr bleibe seine Abschiebung ausgesetzt, da ihr Abschiebungsverbote aufgrund der Rechtsstellung des Klägers als Flüchtling sowie nach § 60 Abs. 5 AufenthG entgegenstünden. Die angeordnete zweimalige wöchentliche Meldepflicht und die räumliche Beschränkung auf den Stadtbezirk M. beruhten auf § 54a AufenthG (a.F.) und seien mit Blick auf die gebotene Überwachung des Klägers und zur Eindämmung seiner gefahrbegründenden Aktivitäten erforderlich und angemessen.

7

Das Verwaltungsgericht hat die gegen die Verfügung gerichtete Klage mit Urteil vom 27. Januar 2015 abgewiesen, zugleich aber den Beklagten verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf acht Jahre nach Ausreise des Klägers zu befristen. Mit Urteil vom 13. Januar 2016 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung zurückgewiesen. Dabei hat er die angefochtene Ausweisungsverfügung an der seit dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung des AufenthG gemessen. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof insbesondere ausgeführt: Im Fall des Klägers liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, weil der Kläger in überwiegend herausgehobener Funktion die PKK und damit eine terroristische oder den Terrorismus unterstützende Vereinigung unterstützt habe. Dabei seien allerdings nur Aktivitäten nach Juli 2010 heranzuziehen, also nach der an den Kläger gerichteten Mitteilung, wegen seiner Aktivitäten werde die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft. Als tatbestandserhebliches Unterstützen sei hiernach jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirke. Nach diesem Maßstab seien die im Urteil im Einzelnen näher bezeichneten und durch den Kläger in der Sache eingeräumten Betätigungen als Teilnehmer, Mitglied, Redner und Versammlungsleiter bei diversen die PKK unterstützenden Veranstaltungen sowie als Vorstandsmitglied der die PKK unterstützenden YEK-KOM und deren Nachfolgeorganisation NAV-DEM als Unterstützungshandlung zu werten. Angesichts des Ablaufs der Veranstaltungen, der dort gehaltenen Reden und der klaren Ausrichtung auf den Führerkult um den PKK-Führer Öcalan sowie gefallene Märtyrer bestünden für das Berufungsgericht keine Zweifel daran, dass sich der Kläger den Zielen der PKK verpflichtet fühle und sie mit seinem Tun unterstützen wolle.

8

Die Ausweisungsverfügung werde auch dem erhöhten Ausweisungsschutz gerecht, der dem Kläger als anerkanntem Flüchtling nach § 53 Abs. 3 AufenthG zustehe. Denn es lägen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU vor, wonach ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel widerrufen werden könne.

9

Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse stehe ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber. Denn er habe eine Niederlassungserlaubnis besessen, die gerade durch die Ausweisungsverfügung betroffen sei. Er lebe mit deutschen Familienangehörigen (sechs seiner Kinder) in familiärer Lebensgemeinschaft und übe sein Personensorgerecht für seine minderjährigen Kinder aus. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung überwiege jedoch das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers.

10

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Revision und rügt in mehrfacher Hinsicht eine Verletzung von Bundesrecht. Zunächst habe das Berufungsgericht den Begriff des "Unterstützens" in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG fehlerhaft ausgelegt und angewandt. Der von ihm in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht angewandte Unterstützungsbegriff sei rechtsstaatlich nicht hinreichend konkret. Jedenfalls auf der Grundlage des neuen, seit Jahresanfang 2016 geltenden Ausweisungsrechts, das nach "schwerwiegenden" und "besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen" differenziere, sei dieser Unterstützungsbegriff nicht mehr als Abgrenzungskriterium geeignet. Notwendig sei ein gefahrenabwehrrechtlich ausgerichteter Unterstützungsbegriff, der sich etwa in Anlehnung an strafrechtliche Zurechnungskriterien wie Anstiftung oder Beihilfe oder die im Strafrecht für Organisationsdelikte entwickelten Zurechnungskriterien gewinnen lassen könne.

11

Fehlerhaft sei zudem die Auslegung und Anwendung von § 53 Abs. 3 AufenthG im Hinblick auf die sich aus Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie ergebenden Voraussetzungen. Denn das Berufungsgericht habe weder festgestellt, dass der Kläger unmittelbar der PKK angehöre, noch dass sich die YEK-KOM oder die NAV-DEM selbst terroristischer Methoden bedienten. Weiterhin verkenne das Berufungsgericht die durch den Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) aufgestellten Anforderungen an die festzustellenden Unterstützungshandlungen. Danach sei insbesondere zu prüfen, ob der Betroffene selbst terroristische Handlungen begangen habe, ob und in welchem Maße er an der Planung, an Entscheidungen oder an der Anleitung anderer Personen zum Zwecke der Begehung solcher Handlungen beteiligt war und ob und in welchem Umfang er solche Handlungen finanziert oder anderen Personen die Mittel für ihre Begehung verschafft habe. Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts habe der EuGH damit nicht lediglich beispielhaft die in den maßgeblichen Vorlagefragen des Ausgangsverfahrens vorgehaltenen Handlungen herausgegriffen, sondern in einem abschließenden Sinne bestimmte Kriterien vorgegeben.

12

Weiter setze der Gefahrenbegriff des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine "konkrete Gefahr" voraus. Weder der Wortlaut noch die der Vorschrift zugrunde liegende Entstehungsgeschichte rechtfertigten eine Absenkung dieser Gefahrenschwelle. Das Berufungsgericht hätte daher prüfen müssen, ob der Kläger die für die objektive Unterstützung zu Grunde gelegten Tatsachen und Umstände gekannt und eine zweckgerichtete Unterstützung auch gewollt habe.

13

Schließlich habe das Berufungsgericht verkannt, dass dem Kläger nach dem Urteil des EuGH vom 24. Juni 2015 selbst dann, wenn ihm der Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie entzogen werden dürfe, für die Zeit der Fortdauer seines Flüchtlingsstatus die Rechte nach Kapitel VII dieser Richtlinie erhalten bleiben. Deshalb beantragte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hilfsweise, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass ihm auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie.

14

Der Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und tritt der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bei.

15

Während des Revisionsverfahrens hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 20. Oktober 2016 die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes für den Kläger widerrufen und entschieden, ihm weder die Flüchtlingseigenschaft noch den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Gegen den Bescheid hat der Kläger Klage erhoben.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist im Wesentlichen unbegründet. Das Berufungsgericht hat die Ausweisung des Klägers und die ihm auferlegte Meldepflicht und Aufenthaltsbeschränkung im Ergebnis zu Recht als rechtmäßig eingestuft. Allerdings war auf der Grundlage der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG der Beklagte zu einer nunmehr gebotenen Ermessensentscheidung über die festzusetzende Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG zu verpflichten.

17

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren des Klägers auf Aufhebung der Ausweisung (Ziffer 1 des Bescheids) sowie der Meldeauflagen und Aufenthaltsbeschränkung (Ziffer 2 des Bescheids). Aber auch der Streit über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs - im Berufungsverfahren und anschließend im Revisionsverfahren angefallen. Denn das Befristungsbegehren ist als Minus notwendiger Bestandteil des Begehrens auf Aufhebung einer Ausweisung und kann daher von den Parteien nicht gesondert aus dem Verfahren ausgegliedert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 28 ff.). Hiervon sind im Übrigen vorliegend auch die Parteien übereinstimmend ausgegangen.

18

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der Meldepflicht und der Aufenthaltsbeschränkung sowie der vom Kläger hilfsweise begehrten Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 8 m.w.N.). Der Entscheidung sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162) zugrunde zu legen, zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155).

19

A. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG, weil der Kläger anerkannter Flüchtling ist.

20

1. Nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht ergibt sich der Grundtatbestand der Ausweisung aus § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

21

Das neue Ausweisungsrecht gibt das mit dem Ausländergesetz 1990 eingeführte dreistufige Konzept der Ist-, Regel- und Kann-Ausweisung auf. Stattdessen hat sich der Gesetzgeber für ein einheitliches System der rechtlich gebundenen Ausweisung entschieden ("wird ausgewiesen"), das vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. § 54 AufenthG benennt konkret die Gründe, wann das Ausweisungsinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt und knüpft damit an Tatbestände der früheren Ist- und Regelausweisung an. In § 55 AufenthG werden - spiegelbildlich hierzu - Tatbestände normiert, denen zufolge das Bleibeinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt, wobei auch die Aufzählung der "schwer" wiegenden Bleibeinteressen nicht abschließend ist. In § 53 Abs. 2 AufenthG werden Gesichtspunkte genannt, die bei der Abwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sind, insbesondere die Dauer des Aufenthalts, Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, Folgen der Ausweisung für Angehörige und Partner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat.

22

Die Rechtsprechung des Senats, die ihrerseits Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aufgreift (vgl. Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <301 ff.> und vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 14 ff.), hat bei der Entwicklung des neuen Ausweisungsrechts eine entscheidende Rolle gespielt (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 25. Februar 2015, BT-Drs. 18/4097 S. 49). Dabei griff der Gesetzgeber Vorschläge zur Neuregelung des Ausweisungsrechts auf, die Vertreter der Rechtsprechung unterbreitet haben (vgl. Dörig, NVwZ 2010, 921 <922>; Bergmann, ZAR 2013, 318 <322> sowie Gesetzesvorschlag Bergmann/Dörig vom Januar 2014, veröffentlicht in: Barwig u.a., Steht das europäische Migrationsrecht unter Druck?, 2014, S. 111 f.). Die Ausweisung setzt nunmehr nach § 53 Abs. 1 AufenthG eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Sofern nach dieser Gesamtabwägung das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib in Deutschland überwiegt, wird der Ausländer ausgewiesen, andernfalls kommt eine Aufenthaltsbeendigung nach § 53 Abs. 1 AufenthG nicht in Betracht.

23

Die Tatbestandsmerkmale der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" im ausweisungsrechtlichen Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG sind nach der Begründung des Gesetzgebers im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Auch die Gefährdung dieser Schutzgüter bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten wird. Mit Blick auf die verwendeten Begriffe sollte keine Ausweitung des Gefahrenbegriffs gegenüber dem bislang geltenden Recht erfolgen, vielmehr sollten lediglich die bislang verwandten unterschiedlichen Formulierungen aneinander angeglichen werden. Die von § 53 Abs. 1 AufenthG geforderte Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers in Deutschland erfolgt dabei nach der Intention des Gesetzgebers nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar.

24

Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" (Absatz 1) oder als "schwerwiegend" (Absatz 2). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sind neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Interessen aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Die Katalogisierung schließt demnach die Berücksichtigung weiterer Umstände im Rahmen der nach § 53 Abs. 2 AufenthG zu treffenden Abwägungsentscheidung nicht aus. Dies folgt bereits aus dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG, ist aber für die schwerwiegenden, aufgrund der Vielgestaltigkeit der Lebenssituationen bewusst nicht abschließend aufgezählten Bleibeinteressen in § 55 Abs. 2 AufenthG nochmals ausdrücklich normiert. Die nunmehr als schwerwiegend oder besonders schwerwiegend qualifizierten Ausweisungsinteressen im Sinne von § 54 AufenthG decken sich weitgehend - aber nicht vollständig - mit den früheren Gründen für eine Regel- und Ist-Ausweisung, die schwerwiegenden und besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen greifen Fälle des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 AufenthG a.F. auf.

25

Bei der Abwägung sind schließlich gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht ("Boultif/Üner-Kriterien"). Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen.

26

Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht.

27

2. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG festgestellt. Ein solches liegt dann vor, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wobei hiervon u.a. dann auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Ausländer einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er (jedenfalls) eine solche Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, er nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.

28

a) Der Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist dem Wortlaut nach weitgehend an den früheren Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung angelehnt, auf den die Ausweisungsverfügung auch ursprünglich gestützt war. Das Berufungsgericht hat für die Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu Recht dieselben rechtlichen Maßstäbe herangezogen, die der Senat zur Auslegung des früheren Regelausweisungstatbestandes nach § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung entwickelt hat.

29

In der Rechtsprechung des Senats war die Auslegung des Regelausweisungstatbestands des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung weitgehend geklärt. So ist anerkannt, dass eine Vereinigung den Terrorismus unterstützt, wenn sie sich selbst terroristisch betätigt oder wenn sie die Begehung terroristischer Taten durch Dritte veranlasst, fördert oder befürwortet. Die Schwelle der Strafbarkeit muss dabei nicht überschritten sein, da die Vorschrift der präventiven Gefahrenabwehr dient und auch die Vorfeldunterstützung durch sogenannte Sympathiewerbung erfasst. Der Tatbestand des Unterstützens des Terrorismus durch eine Vereinigung setzt allerdings voraus, dass die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung (auch) auf die Unterstützung des Terrorismus gerichtet sind; ein bloßes Ausnutzen der Strukturen einer Vereinigung durch Dritte in Einzelfällen reicht hierfür nicht aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 20 ff. und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 13 ff.).

30

Für den im Gesetz verwandten Begriff des Terrorismus sind Versuche, auf völkerrechtlicher Ebene eine allgemein anerkannte vertragliche Definition zu entwickeln, nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen. Jedoch können wesentliche Kriterien aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft im Beschluss des Rates Nr. 2002/475/JI vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (ABl. L 164 S. 3) sowie dem gemeinsamen Standpunkt des Rates 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001 (ABl. L 344 S. 93) gewonnen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die Aufnahme einer Organisation in die vom Rat der Europäischen Union angenommene Liste terroristischer Organisationen im Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93 - vgl. auch ABl. L 116 vom 3. Mai 2002, S. 75) ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass die Organisation terroristischer Art ist oder im Verdacht steht, eine solche zu sein (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 [ECLI:EU:C:2015:413], H.T./Land Baden-Württemberg - Rn. 83). Hier sind von den Tatsachengerichten ergänzende Feststellungen zu treffen. Dabei ist trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs anerkannt, dass als terroristisch jedenfalls der Einsatz gemeingefährlicher Waffen und Angriffe auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen sind (Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>, vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 19 und Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 10 C 48.07 - BVerwGE 132, 79 <87> m.w.N.).

31

Weiterhin ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass die individuelle Unterstützung einer terroristischen Vereinigung oder einer Vereinigung, die eine terroristische Vereinigung unterstützt, im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. alle Verhaltensweisen erfasst, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeit der Vereinigung auswirken. Darunter kann die Mitgliedschaft in der terroristischen oder in der unterstützenden Vereinigung ebenso zu verstehen sein wie eine Tätigkeit für eine solche Vereinigung ohne gleichzeitige Mitgliedschaft. Auch die bloße Teilnahme an Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen kann eine Unterstützung in diesem Sinne darstellen, wenn sie geeignet ist, eine positive Außenwirkung im Hinblick auf die durch § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. missbilligten Ziele zu entfalten. Auf einen nachweisbaren oder messbaren Nutzen für diese Ziele kommt es nicht an, ebenso wenig auf die subjektive Vorwerfbarkeit der Unterstützungshandlungen. Im Hinblick auf den Schutz der Meinungsfreiheit und das Gebot der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Betätigungsfreiheit des Einzelnen erfüllen allerdings solche Handlungen den Tatbestand der individuellen Unterstützung nicht, die erkennbar nur auf einzelne, mit terroristischen Zielen und Mitteln nicht im Zusammenhang stehende - etwa humanitäre oder politische - Ziele der Vereinigung gerichtet sind. Für den Ausländer muss schließlich die eine Unterstützung der Vereinigung, ihrer Bestrebungen oder ihrer Tätigkeit bezweckende Zielrichtung seines Handelns erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auf eine darüber hinaus gehende innere Einstellung des Ausländers kommt es hingegen nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 15 und 18 m.w.N.).

32

Diese vom Senat zur Auslegung von § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. entwickelten Grundsätze lassen sich entgegen dem Vorbringen der Revision auch auf den Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung nach dem neu gefassten § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG übertragen. Ein Vergleich der Textfassungen ergibt, dass der Gesetzgeber die früheren Regelausweisungstatbestände nach § 54 Nr. 5, 5a und 5b AufenthG a.F. in der neuen Vorschrift des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zusammengefasst hat, wobei unter den vorliegenden Umständen die Fälle staatsgefährdender Gewalttaten nach § 89a StGB außer Betracht bleiben können. Gegenüber dem früheren Recht ist der Hinweis entfallen, dass eine Ausweisung auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen nur gestützt werden kann, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Eine Änderung der materiellen Rechtslage ist damit aber nicht verbunden, da auch nach neuem Recht eine fortbestehende Gefahr erforderlich ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ("gefährdet") und ist implizit auch dem neuen Zusatz in § 54 Abs. 1 Nr. 2 letzter Halbsatz AufenthG zu entnehmen, wonach von einer Gefährdung nicht auszugehen ist, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt.

33

Den Gesetzgebungsmaterialien ist nichts dafür zu entnehmen, dass sich der Gesetzgeber hinsichtlich des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung für eine Abkehr von dem bisherigen Verständnis des Ausweisungstatbestandes hat entscheiden wollen. Zwar hat er in Satz 2 einen Halbsatz neu eingefügt, wonach ein Unterstützen nicht vorliegt, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt. Das stellt jedoch keine inhaltliche Änderung des Unterstützerbegriffs dar, sondern normiert lediglich ein in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits entwickeltes Kriterium zur individuellen Zurechnung eines Unterstützerverhaltens. Denn der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die objektive Tatsache der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in der Vergangenheit dem Ausländer dann nicht mehr zugerechnet werden kann, wenn er sich glaubhaft hiervon distanziert (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <131>, vom 30. April 2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 35 und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 17). Die nunmehr normierten Tatbestandsmerkmale lassen keine Abkehr von der Senatsrechtsprechung erkennen, denn ein "erkennbares Abstandnehmen" vom sicherheitsgefährdenden Handeln entspricht dem Distanzieren im Sinne der Senatsrechtsprechung. Allerdings findet sich in der Begründung zu dieser Neuregelung die Aussage, die Möglichkeit der "Exkulpation" zeige, dass der Betroffene Kenntnis davon gehabt haben müsse, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstütze, der "undolose Unterstützer" daher nicht unter die Regelung falle (BT-Drs. 18/4097 S. 51). Aus diesem Satz in der Gesetzesbegründung könnte man ableiten, der Gesetzgeber habe eine Regelung treffen wollen, nach der für die subjektive Seite des Unterstützens mehr erforderlich ist (Vorsatz) als nach dem bisherigen Verständnis (Erkennbarkeit). Wäre dies tatsächlich so Gesetz geworden, hätte dies eine nicht unerhebliche Einschränkung der Rechtsprechung zur subjektiven Zurechnung bedeutet, nach der es ausreicht, dass der Ausländer erkennen konnte, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstützt. Die Begründung hat jedoch im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden, denn nach diesem wird Vorsatz im Hinblick auf die terroristische Betätigung der unterstützten Vereinigung nicht verlangt. Es reicht somit auch für die Erfüllung des subjektiven Unterstützertatbestands weiterhin die Erkennbarkeit einer terroristischen Betätigung der Vereinigung aus. Vorsatz bleibt hingegen weiter erforderlich für das eigene Handeln des Ausländers, das von dem Ziel geleitet sein muss, die Vereinigung zu unterstützen. Für diese Auslegung spricht auch, dass der Gesetzgeber der Vorfeldunterstützung des Terrorismus durch die Gesetzesänderung erhöhte Bedeutung beimessen wollte, indem er den bisher als Tatbestand für eine Regelausweisung normierten Ausweisungsgrund zu einem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 AufenthG heraufstufte, was im bisherigen Recht dem Tatbestand einer zwingenden Ausweisung entsprochen hätte. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass das stärkere Gewicht, das der Gesetzgeber diesem Ausweisungsinteresse beimessen wollte (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 23), mit einer engeren Interpretation seiner Tatbestandsmerkmale einhergehen sollte.

34

Eine vom früheren Begriffsverständnis abweichende Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass dieser bisher eigenständige Tatbestand nunmehr in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG funktional mit einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verknüpft wird ("hiervon ist auszugehen, wenn"). Vielmehr ergibt eine systematische Auslegung der Vorschrift, dass der Inhalt des Ausweisungstatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung unverändert geblieben ist, während der Begriff der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland eine Erweiterung erfahren hat. Denn der Gesetzgeber hat mit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr kraft Gesetzes definiert, wann von einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen ist, nämlich (jedenfalls) dann, wenn eine der dort genannten Tatbestandsalternativen erfüllt ist. Die Auslegung des Begriffs der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland richtet sich daher (auch) nach diesen Tatbestandsalternativen, nicht umgekehrt. Anderes lässt sich hinsichtlich des Gefahrenmaßstabs auch nicht der Regelung des § 53 Abs. 1 AufenthG entnehmen. Denn anders als bei den übrigen Ausweisungsinteressen hat der Gesetzgeber in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG das Erfordernis einer Gefahr (nochmals) ausdrücklich aufgeführt, was unter systematischen Gesichtspunkten für eine gewisse Eigenständigkeit des Gefahrentatbestandes gegenüber § 53 Abs. 1 AufenthG fruchtbar gemacht werden kann. Es gilt damit nunmehr, dass das Gesetz bereits die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Bundesgebiet als eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ansieht, unabhängig davon ob die terroristische Vereinigung Gewaltakte auch auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland oder gegen deutsche Einrichtungen im Ausland begeht. Weiterhin gilt jedenfalls für die Fälle des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ein abgesenkter Gefahrenmaßstab, der auch Vorfeldmaßnahmen erfasst und keine von der Person des Unterstützers ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefahr erfordert. Die Rechtsprechung des Senats zur Unterstützung des Terrorismus durch Handlungen in dessen Vorfeld hat dem Rechnung zu tragen und dabei auch die Bedeutung zu berücksichtigen, die der Unionsgesetzgeber dieser Vorfeldunterstützung durch den Erwägungsgrund 37 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 S. 9) - EU-Anerkennungsrichtlinie - beimisst.

35

Ein Anlass für eine verfassungsrechtliche Neubewertung des Gefahrenmaßstabs besteht entgegen dem umfangreichen Revisionsvorbringen nicht. In der Rechtsprechung des Senats ist seit dem Urteil zum Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus - Terrorismusbekämpfungsgesetz - vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361, 3142) anerkannt, dass der Unterstützungsbegriff weit auszulegen und anzuwenden ist, um damit der auch völkerrechtlich begründeten Zielsetzung des Gesetzes gerecht zu werden, dem Terrorismus schon im Vorfeld die logistische Basis zu entziehen (BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <127 ff.>). Maßgeblich ist, inwieweit das festgestellte Verhalten des Einzelnen zu den latenten Gefahren der Vorfeldunterstützung des Terrorismus nicht nur ganz unwesentlich oder geringfügig beiträgt und deshalb selbst potenziell gefährlich erscheint. Wegen der tatbestandlichen Weite des Unterstützungsbegriffs ist allerdings bei der Anwendung der Vorschrift darauf zu achten, dass nicht unverhältnismäßig namentlich in das auch Ausländern zustehende Recht auf freie Meinungsäußerung jenseits der zumindest mittelbaren Billigung terroristischer Bestrebungen eingegriffen wird. Einen bislang nicht berücksichtigten verfassungsrechtlichen Rechtssatz, der den so umschriebenen Ausgleich zwischen dem legitimen und schon wegen seiner völkerrechtlichen Vorgaben besonders gewichtigen gesetzgeberischen Ziel der Terrorismusbekämpfung und den geschützten Grundrechtspositionen eines Ausländers infrage stellen würde, zeigt die Revision nicht auf. Insbesondere sprechen der Charakter der Ausweisung als Maßnahme der Gefahrenabwehr sowie die spezifische Zielsetzung der Terrorismusbekämpfung gegen eine Übertragung strafrechtlicher Rechtsprechungsgrundsätze, wie sie etwa für die Abgrenzung strafbarer und straffreier Meinungsäußerungen gelten. Der Senat hält auch unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an seiner bisherigen Rechtsprechung fest.

36

b) Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG angenommen. Dies gilt sowohl für die Qualifizierung der PKK als terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung (aa) als auch - jedenfalls im Ergebnis - für die Qualifizierung der Handlungen des Klägers als relevante Unterstützungshandlungen (bb). Ebenso wenig zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen hat (cc).

37

(aa) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Qualifizierung der PKK als eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Das Gericht legt seiner Entscheidung die in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze für die Definition einer terroristischen Vereinigung zugrunde (UA Bl. 27 f.) und geht damit von einem zutreffenden Maßstab aus. Für die Bewertung der PKK als eine solche Vereinigung hat das Gericht zunächst darauf abgestellt, dass sie auch noch aktuell auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist, ohne diesem Umstand eine über einen deutlichen Anhaltspunkt hinausgehende Bedeutung beizumessen (UA Bl. 31). Hieran anknüpfend hat das Berufungsgericht sodann auf der Grundlage der ihm vorliegenden Erkenntnismittel festgestellt, dass die PKK zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele in der Türkei weiterhin Gewalttaten gegen staatliche Einrichtungen und Amtsträger sowie die Zivilbevölkerung verübt und im Übrigen etwa zur Finanzierung ihrer Aktivitäten oder zur Bekämpfung von Kritikern auch nicht vor Verbrechen gegenüber ihren eigenen Anhängern und auch darüber hinaus gegenüber der kurdischstämmigen Bevölkerung insgesamt zurückschreckt. Insbesondere sei die zwischen dem türkischen Staat und der PKK ausgehandelte (relative) Waffenruhe seitens der PKK zuletzt Ende Juli 2015 ausdrücklich aufgekündigt worden (UA Bl. 32 f.). Diese tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts sind von der Revision nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen worden und daher für den Senat bindend. Sie erlauben dem Senat zudem eine eigene rechtliche Bewertung des Inhalts, dass die PKK eine terroristische Vereinigung darstellt und nicht lediglich eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung.

38

(bb) Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist auch die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, dass der Kläger die PKK in rechtserheblicher Weise individuell unterstützt hat. Allerdings ist das Gericht unter Verstoß gegen Bundesrecht davon ausgegangen, dass zu Lasten des Klägers nur solche Unterstützungshandlungen berücksichtigt werden dürfen, die in zeitlicher Hinsicht nach der Mitteilung des Regierungspräsidiums vom Juli 2010 lagen, wonach eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft würden.

39

Das Berufungsgericht ist insoweit rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass ein Ausweisungsinteresse bereits dann aus Gründen des Vertrauensschutzes verbraucht ist und nicht mehr zur Begründung einer Ausweisung herangezogen werden kann, wenn ein Aufenthaltstitel in Kenntnis oder dem Staat zuzurechnender Unkenntnis erteilt oder verlängert wurde (UA S. 34 f.). Zwar ist in der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich anerkannt ist, dass Ausweisungsgründe in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und so lange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind und die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <313> und vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <121 f.>). Aus der Ableitung dieser Kriterien aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt jedoch, dass die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Aus der Rechtsprechung des Senats ergibt sich zudem, dass ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers schützenswert sein muss. Hieran fehlt es, wenn die Ausländerbehörde - wie vorliegend - dem Kläger auf dessen Anfrage zum Stand des Verfahrens auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis lediglich mitteilt, dass gegenwärtig noch eine Sicherheitsüberprüfung stattfinde, und dann zu einem späteren Zeitpunkt ohne jegliche Erläuterung zum Ausgang der Sicherheitsüberprüfung die begehrte Niederlassungserlaubnis erteilt. Auf dieser Grundlage kann der Betroffene nämlich weder wissen, welchen konkreten Umständen die Ausländerbehörde im Rahmen ihrer Sicherheitsüberprüfung nachgegangen ist, noch zu welchen konkreten Erkenntnissen sie hierbei nach Abschluss der Überprüfung gelangt ist. Daher kann der Betroffene aus der Erteilung der Niederlassungserlaubnis billigerweise auch nicht schließen, dass die Ausländerbehörde bei ihrer Sicherheitsüberprüfung alle als potentielle Versagungsgründe in Betracht kommenden Umstände tatsächlich ermittelt und sodann als für die Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis unbeachtlich eingestuft hat.

40

Das angefochtene Urteil beruht jedoch nicht auf diesem Rechtsverstoß, weil das Berufungsgericht auch ohne Berücksichtigung der vor dem für maßgeblich erachteten Zeitpunkt liegenden Umstände von rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen des Klägers ausgegangen ist und die diesbezüglichen Feststellungen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sind. Im Übrigen wäre der Kläger durch die Nichtberücksichtigung weiterer, ihn belastender Umstände auch nicht beschwert. Im Einzelnen hat das Berufungsgericht für die Bestimmung der rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen zutreffend auf die in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäbe zu § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung abgestellt (UA Bl. 35 ff.). Keine abweichende Beurteilung ergibt sich aus dem Einwand des Klägers, die PKK nicht unmittelbar unterstützt zu haben, sondern sich in legalen Vereinigungen betätigt zu haben, die ihrerseits die PKK im Wissen um deren Charakter gewollt und gezielt unterstützen. Denn es stellt keine verminderte Gefahr der Vorfeldunterstützung des Terrorismus dar, wenn die Unterstützung terroristischer Vereinigungen nicht durch isolierte Einzelhandlungen, sondern in Vereinigung mit anderen erfolgt. Hierin liegt auch kein Fehlen der Unmittelbarkeit der Unterstützungshandlungen.

41

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht sodann nach Auswertung der ihm vorliegenden umfangreichen Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden festgestellt, dass der Kläger über mehrere Jahre in teils hervorgehobener Funktion als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter oder Redner regelmäßig an Veranstaltungen teilgenommen und mitgewirkt hat, bei denen offene Propaganda für die PKK betrieben worden ist (UA Bl. 39 - 42). Unter Einbeziehung der Aktivitäten des Klägers in der Zeit seit 2001, wie sie in der Ausweisungsverfügung (S. 3 - 9, 16 - 23) aufgelistet, vom Kläger nicht in Abrede gestellt und vom Berufungsgericht in Bezug genommen worden sind (UA S. 39 f.), stellt sich das Unterstützungshandeln des Klägers wie folgt dar: Der Kläger war von 2001 bis 2003/2004 Vorsitzender des "Kurdischen Kulturverein e.V." in L., der der KONGRA-GEL nahestand. Im Oktober 2004 wurde er in das 15-köpfige Führungskomitee der "Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland" (YEK-KOM) gewählt und gehörte diesem bis zur Auflösung der YEK-KOM im Jahr 2014 an, zeitweilig (bis 2011) war er der 2. Vorsitzende der Vereinigung. Er hat sich im Juni 2014 in den fünfköpfigen Vorstand der die PKK unterstützenden NAV-DEM wählen lassen und diese Vorstandstätigkeit bis zum Tage der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausgeübt (UA Bl. 43 - 45).

42

Der Kläger beteiligte sich seit Mitte 2003 regelmäßig an Kundgebungen und Demonstrationen in unterschiedlichen deutschen Städten (u.a. Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg, Frankfurt, Gelsenkirchen, Düsseldorf, Stuttgart) und in Straßburg/Frankreich, die sich unter anderem für eine Freilassung des inhaftierten PKK-Führers Öcalan aussprachen, des Gründungsjahrestags der PKK und/oder der "Märtyrer des kurdischen Freiheitskampfes" gedachten und Parolen auf die PKK ausriefen. Der Kläger hielt auf einigen dieser Veranstaltungen eine Rede, im Februar 2007 hob er dabei die Bedeutung der Gefallenen für die kurdische Sache hervor, im Januar 2009 sprach er zur aktuellen Lage der Kurden in ihrer Heimat, im März 2010 kritisierte er die Exekutivmaßnahmen der belgischen Polizei gegenüber dem kurdischen TV-Sender ROJ-TV, im November 2011 sprach er auf einer Kundgebung, die zum Thema u.a. die Verwendung von Napalmgas und chemischer Waffen gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei hatte, im Januar 2013 verurteilte er auf einer Kundgebung die Ermordung von drei PKK-Aktivisten in Paris, im Oktober 2015 hielt er anlässlich einer Protestaktion der NAV-DEM in Frankfurt eine Rede.

43

Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger nicht nur seine individuellen Unterstützungshandlungen, sondern sämtliche Aktionen der YEK-KOM und der NAV-DEM aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied persönlich zuzurechnen sind. Die YEK-KOM, der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK nach den gerichtlichen Feststellungen durch eine Vielzahl von Aktionen. Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen oder ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie "Freiheit für Öcalan" und "Frieden für Kurdistan". Im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die "logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans" verankert. Der Verein biete der PKK oder ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Für die NAV-DEM gilt nach den getroffenen Feststellungen nichts anderes. Der Verein sei keine Neugründung, sondern eine Umbenennung des Vereins YEK-KOM. Im Übrigen werde deutlich, dass die NAV-DEM ihre Veranstaltungen und Kundgebungen mit gleichem Ablauf und gleichen Themen durchführe wie zuvor schon unter dem Namen YEK-KOM. Diese zutreffende Würdigung bedeutet auch nicht, dass jeder Einsatz für die Interessen und Belange kurdischer Volkszugehöriger (oder eine Kritik an der Kurdenpolitik der Türkischen Republik) als eine Unterstützung der PKK und damit des Terrorismus einzuordnen wäre.

44

(cc) Soweit schließlich nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausscheidet, wenn der Ausländer ernsthaft und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt, hat das Berufungsgericht ebenfalls in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der Kläger ausweislich seines auch während des Ausweisungsverfahrens fortgesetzten Engagements als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter und Redner auch künftig an seiner Unterstützung der PKK festhalten wird. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Unterstützerverhalten des Klägers sind detailreich und stellen - entgegen der Auffassung der Revision - keine zu schmale Tatsachengrundlage für die getroffenen Feststellungen dar. Damit erfüllt der Kläger die gesetzlichen Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, und es liegt ein Ausweisungsinteresse vor, das besonders schwer wiegt.

45

3. Die angefochtene Verfügung des Beklagten erfüllt auch die besonderen Voraussetzungen, die nach § 53 Abs. 3 AufenthG an die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings zu stellen sind. Ein solcher darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

46

a) Diese den Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG ergänzende Vorschrift legt erhöhte Ausweisungsvoraussetzungen für mehrere rechtlich privilegierte Personengruppen fest, nämlich für Ausländer, die als Asylberechtigte anerkannt sind, die im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießen, die einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention besitzen, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder die eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU besitzen. Für all diese Personengruppen gilt der besondere aus Art. 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG abgeleitete Maßstab, den der Gerichtshof der Europäischen Union auch auf Ausländer erstreckt hat, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - C-371/08 [ECLI:EU:C:2011:809], Ziebell - Slg. 2011, I-12735 Rn. 79, 86). Der Senat folgt nicht der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, wonach die Voraussetzungen des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 53 Abs. 3 AufenthG von vornherein "bereichsspezifisch" gemäß dem durch das Unionsrecht für den jeweiligen Personenkreis bestimmten Ausweisungsschutz auszulegen sind. Vielmehr hat der Gesetzgeber den unionsrechtlichen Schutzstandard für daueraufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige für ausreichend befunden und dessen Geltung für alle genannten Personengruppen angeordnet. Dies entbindet freilich nicht davon, in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob für die jeweils betrachtete Personengruppe der so durch den nationalen Gesetzgeber definierte Ausweisungsschutz dem unionsrechtlichen Maßstab tatsächlich genügt. Nur wenn der unionsrechtliche Maßstab strenger ist als derjenige, der durch den Gesetzgeber in § 53 Abs. 3 AufenthG festgelegt worden ist, bedarf § 53 Abs. 3 AufenthG nach allgemeinen Grundsätzen einer unionsrechtskonformen Auslegung, die angesichts der Weite der Tatbestandsmerkmale und des erkennbaren gesetzgeberischen Willens, europarechtlichen Maßstäben zu genügen, auch möglich ist (so auch Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 54).

47

Im vorliegenden Fall ist § 53 Abs. 3 AufenthG unionsrechtskonform nach den Vorgaben der EU-Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU auszulegen. Die Richtlinie formuliert keine Vorgaben für eine Ausweisung im Sinne des deutschen Rechts, wohl aber für eine Zurückweisung in den Herkunftsstaat (Art. 21 Abs. 2 und 3) und für den Entzug des Aufenthaltstitels (Art. 24 Abs. 1).

48

b) Nach Art. 21 Abs. 3 der EU-Anerkennungsrichtlinie darf ein Mitgliedstaat den einem Flüchtling erteilten Aufenthaltstitel widerrufen, wenn die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 2 vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 2012 - 1 C 8.11 - BVerwGE 143, 138 Rn. 21). Fällt ein Flüchtling nicht in den Anwendungsbereich von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie, kann auch Abs. 3 dieser Vorschrift nicht zu Anwendung kommen (EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 - Rn. 44). Eine Zurückweisung ist nach Art. 21 Abs. 2 Buchst. a zulässig, wenn es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass der Flüchtling eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält. Es kann offenbleiben, ob vom Kläger eine Gefahr im Sinne dieser Vorschrift ausgeht, denn die Zurückweisung ist nur unter der weiteren Voraussetzung rechtmäßig, dass sie dem Mitgliedstaat nicht aufgrund seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen untersagt ist (Art. 21 Abs. 2). Dazu zählen die Verpflichtungen aus Art. 3 EMRK (vgl. Begründung der Kommission im Richtlinienvorschlag vom 12. September 2001 KOM (2001) 510 endg. S. 33 zu Art. 19). Dem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK kommt absoluter Charakter zu; es kann mithin - anders als das Refoulement-Verbot nach Art. 33 Abs. 1 GFK - nicht unter den Voraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 Richtlinie 2011/95/EU i.V.m. Art. 35 Abs. 2 GFK durchbrochen werden (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 5. April 2016 - C-404/15 und C-659/15 PPU [ECLI:EU:C:2016:198], Aranyosi und Căldăraru - Rn. 85 - 87; EGMR, Urteil vom 17. Dezember 1996 - Nr. 71/1995/577/663, Ahmed/Österreich - NVwZ 1997, 1100 Rn. 39 - 41). Für den Kläger besteht ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK. Denn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat im Anerkennungsbescheid vom 9. Oktober 1997 nicht nur die Flüchtlingseigenschaft des Klägers nach dem seinerzeit maßgeblichen § 51 Abs. 1 AuslG 1990, sondern auch ein Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990 hinsichtlich der Türkei festgestellt und dieses damit begründet, dass dem Kläger in der Türkei unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Diese Feststellung des Bundesamts begründet hier ein - absolutes - nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Insoweit kommt der Feststellung des Bundesamts im vorliegenden Verfahren über § 42 AsylG auch Bindungswirkung zu. Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU begrenzt damit den behördlichen Handlungsspielraum für eine Abschiebung in einen Verfolgerstaat oder einen Staat, in dem Gefahren nach Art. 3 EMRK drohen. Die Vorschrift setzt jedoch keine Maßstäbe für eine lediglich "inlandsbezogene" Ausweisung, die - wie hier - insbesondere den Verlust des Aufenthaltstitels zur Folge hat.

49

c) Unionsrechtliche Maßstäbe für eine zum Verlust des Aufenthaltstitels eines Flüchtlings führende inlandsbezogene Ausweisung lassen sich aus Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie gewinnen. Die Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten, einem Flüchtling so bald wie möglich nach der Anerkennung einen Aufenthaltstitel auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.

50

(aa) Der Inhalt dieser Norm wurde vom Gerichtshof der Europäischen Union in einem auf ein Vorlageersuchen des Berufungsgerichts ergangenen Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) näher bestimmt. Die Entscheidung bezieht sich zwar auf Art. 24 Abs. 1 der EG-Anerkennungsrichtlinie 2004/83/EG, ihre Aussagen sind aber uneingeschränkt auf die in der Sache unveränderte Vorschrift des Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU übertragbar. Danach kann einem Flüchtling nach Art. 24 Abs. 1 nicht nur die Erteilung eines Aufenthaltstitels versagt werden, sondern der erteilte Aufenthaltstitel auch nachträglich widerrufen werden, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen (a.a.O. Rn. 55). Soweit in der Neufassung der Vorschrift nunmehr von zwingenden Gründen der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung die Rede ist, ist damit keine inhaltliche Änderung verbunden. Diese Wirkung einer Entziehung des Aufenthaltstitels kommt der hier verfügten Ausweisung zu, die wegen des entgegenstehenden Abschiebungsverbots nach Art. 3 EMRK nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung führt. Entgegen einer am Wortlaut orientierten Auslegung von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie hat der darin verwendete Begriff der "zwingenden Gründe" nach dem EuGH-Urteil eine weitere Bedeutung als der Begriff der "stichhaltigen Gründe" in Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie. Das bedeutet, dass bestimmte Umstände, die nicht den Schweregrad aufweisen, um eine Zurückweisung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie verfügen zu können, den Mitgliedstaat gleichwohl dazu berechtigen können, auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie dem betroffenen Flüchtling seinen Aufenthaltstitel zu entziehen (a.a.O. Rn. 75).

51

Bei der Bestimmung des Bedeutungsgehalts der "zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" hat der EuGH zunächst Bezug auf seine Rechtsprechung zu den Begriffen der "öffentlichen Sicherheit" und der "öffentlichen Ordnung" in Art. 27 und 28 der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG genommen (a.a.O. Rn. 77 ff.). Danach umfasst der Begriff "öffentliche Sicherheit" im Sinne von Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats. Die öffentliche Sicherheit kann danach berührt sein, wenn das Funktionieren staatlicher Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste beeinträchtigt wird oder eine Gefahr für das Überleben der Bevölkerung oder einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker besteht oder militärische Interessen beeinträchtigt werden. Dabei deutet der Begriff der "zwingenden Gründe" auf einen besonders hohen Schweregrad der Beeinträchtigung hin (a.a.O. Rn. 78). Den Begriff der "öffentlichen Ordnung" hat der EuGH für die Unionsbürgerrichtlinie dahin ausgelegt, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliegen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (a.a.O. Rn. 79). Zugleich betont er, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, nach ihren nationalen Bedürfnissen, die je nach Mitgliedstaat und Zeitpunkt unterschiedlich sein können, zu bestimmen, was die öffentliche Ordnung und Sicherheit erfordern (a.a.O. Rn. 77).

52

Für den Fall der Unterstützung des Terrorismus hat der EuGH zudem auf den 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83/EG, heute 37. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95/EU hingewiesen, wonach der Begriff der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" auch für die Fälle gilt, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt. Dabei muss das nationale Gericht in einem ersten Schritt prüfen, ob die Handlungen der fraglichen Organisation die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedrohen. Wird eine vom Flüchtling unterstützte Vereinigung in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93) geführt, ist dies ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie entweder eine terroristische Organisation ist oder im Verdacht steht, eine solche Organisation zu sein (a.a.O. Rn. 83). Allein der Umstand, dass ein Flüchtling eine solche Organisation unterstützt hat, darf jedoch nicht automatisch zur Aufhebung seines Aufenthaltstitels führen. Vielmehr ist in einem zweiten Schritt einzelfallbezogen die Rolle zu prüfen, die der Betreffende im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt hat (a.a.O. Rn. 90), und auch der Schweregrad der Gefahr zu beurteilen, die von seinen Handlungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (a.a.O. Rn. 92).

53

(bb) Das Berufungsgericht hat die vom Kläger geleisteten und ihm zuzurechnenden Unterstützungshandlungen an dem vom EuGH präzisierten Maßstab für die Auslegung des Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie gemessen und ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass sich hieraus zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ergeben, die einen Entzug des Aufenthaltstitels gegenüber dem Kläger rechtfertigen. Das Gericht hat bereits im Rahmen seiner Prüfung des besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausführlich begründet, warum die PKK eine terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung darstellt (UA S. 27 - 34). Dabei hat es gewürdigt, dass die PKK auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist und auch weiterhin terroristische Aktivitäten entfaltet. In einem zweiten Schritt hat es näher dargelegt, warum die in Deutschland agierenden Vereinigungen YEK-KOM und NAV-DEM, für die der Kläger seit mehr als zwölf Jahren in hervorgehobenen Funktionen wirkte, und der Kläger auch individuell durch Anmeldung und Leitung von Versammlungen sowie Redebeiträge und weitere Aktivitäten die PKK unterstützt haben und weiter unterstützen (UA S. 55, 34 - 48). Die Bewertung des Berufungsgerichts, dass der Kläger damit die Voraussetzungen für den Entzug seines Aufenthaltstitels nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie erfüllt, steht mit der Rechtsprechung des EuGH in Einklang. Zwar hat er selbst keine terroristischen Handlungen begangen, auch nicht andere Personen hierzu angeleitet oder sich an der Planung oder Finanzierung terroristischer Aktionen beteiligt, wie das der EuGH als mögliches Unterstützerhandeln erwähnt (a.a.O. Rn. 90). Diese Aufzählung des Gerichtshofs ist jedoch nur beispielhaft, macht zugleich aber deutlich, dass der Betreffende eine gewichtige Rolle im Rahmen seiner Unterstützung der terroristischen Organisation gespielt haben muss.

54

Bei der Frage, was als gewichtig anzusehen ist, ist der 37. Erwägungsgrund der Richtlinie zu berücksichtigen, wonach auch die Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, und die Unterstützung einer derartigen Vereinigung als Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung anzusehen sind. Die abschließende Bewertung, ob die Unterstützungshandlung hinreichend gewichtig ist, um "zwingende Gründe" darzustellen, überlässt der Gerichtshof dem verantwortlichen nationalen Gericht und erkennt auch einen Einschätzungsspielraum der Mitgliedstaaten an, nach ihren nationalen Bedürfnissen zu bestimmen, was die nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung erfordern. Diese abschließende Bewertung hat das Berufungsgericht dahin getroffen, dass die Unterstützungshandlungen des Klägers dem von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie geforderten Gewicht entsprechen. Es hat dies auf der Grundlage der Gewichtungsvorgabe des nationalen Gesetzgebers in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nachvollziehbar mit dem mehr als zwölfjährigem Unterstützerhandeln des Klägers in hervorgehobener Position innerhalb zweier Vereinigungen begründet, in dessen Rahmen er an zahlreichen Veranstaltungen mitwirkte, an denen sich Akteure beteiligten, die offen für die PKK warben und deren Kurs vorbehaltlos befürworteten (Auftreten in Guerillauniform, Märtyrergedenken, Grußbotschaften an die Kämpfer an der Front usw.). Für das Gewicht seines Unterstützerhandelns durfte das Gericht auch berücksichtigen, dass der Kläger nach den tatrichterlichen Feststellungen in vollem Bewusstsein um dessen Bedeutung für den ideologischen Zusammenhalt der PKK und in dem Willen gehandelt hat, diese vorbehaltlos auch in Bezug auf deren terroristische Aktivitäten zu unterstützen (UA S. 55).

55

(cc) Der EuGH hat in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13 Rn. 95 ff.) aber hervorgehoben, dass ein Flüchtling, dessen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie aufgehoben wird, seinen Flüchtlingsstatus behält, sofern und solange ihm nicht dieser Status entzogen worden ist. Daher ist er auch nach dem Verlust seines Aufenthaltstitels weiterhin Flüchtling und hat in dieser Eigenschaft weiterhin Anspruch auf die Vergünstigungen, die das Kapitel VII der Richtlinie jedem Flüchtling gewährleistet, so insbesondere auf Schutz vor Zurückweisung, auf Wahrung des Familienverbands, auf Ausstellung von Reisedokumenten, auf Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung, zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie auf Zugang zu Integrationsmaßnahmen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift. Diese Rechte dürfen, auch soweit sie nach nationalem Recht an den Besitz eines Aufenthaltstitels anknüpfen, von den zuständigen Behörden daher nicht mit der Begründung versagt werden, dass der Aufenthalt des Flüchtlings infolge der Ausweisung rechtswidrig geworden ist. Allerdings darf die Ausstellung eines Reiseausweises nach Art. 25 EU-Anerkennungsrichtlinie versagt werden, wenn - etwa zur Begegnung der Gefahr terroristischen Unterstützungshandelns - zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung entgegenstehen. Ebenso dürfen nach Art. 33 der Richtlinie aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen verfügt werden, wenn diese aus Gründen der öffentlichen Sicherheit auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern zulässig sind.

56

Eventuelle Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der dem Flüchtling auch nach Entzug des Aufenthaltstitels weiter zustehenden Rechte nach Kapitel VII der EU-Anerkennungsrichtlinie infolge unzureichender Umsetzung der Richtlinie in den einschlägigen nationalen Fachgesetzen berühren nicht die Rechtmäßigkeit der verfügten Ausweisung. An die Beachtung der einen Flüchtling unmittelbar begünstigenden Vorschriften in Kapitel VII der Richtlinie und die hierzu ergangene Rechtsprechung des EuGH sind seit Ablauf der Umsetzungsfrist alle nationalen Behörden gebunden. Der Flüchtling hat seine Rechte gegenüber den jeweils zuständigen Behörden und erforderlichenfalls Gerichten geltend zu machen. Auch die Generalanwältin hat es insoweit als die Pflicht der nationalen Gerichte angesehen, für die volle Wirksamkeit der Bestimmungen der Richtlinie Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede entgegenstehende Vorschrift des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 11. September 2014 - C-373/13 - Rn. 114 letzter Absatz).

57

4. Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen gewichtige Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1, § 55 AufenthG gegenüber. Diese hat das Berufungsgericht zutreffend bestimmt (UA S. 59 f.). Es hat berücksichtigt, dass der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besessen hat, die durch die Ausweisungsverfügung betroffen ist, er mit deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und er sein Personensorgerecht für minderjährige ledige Deutsche ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG).

58

5. Das Berufungsgericht hat das öffentliche Ausweisungsinteresse gegen die Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG unter Berücksichtigung der den Einzelfall prägenden Umstände abgewogen und ist unter Beachtung des hierfür zentralen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass das Ausweisungsinteresse überwiegt (UA S. 60 - 64). Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Gericht hat berücksichtigt, dass der Kläger besonderen Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie genießt, hier allerdings auf absehbare Zeit keine Aufenthaltsbeendigung beabsichtigt ist, da ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht. Es hat seinen langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und seine familiären Bindungen im Sinne von Art. 6 GG, Art. 8 EMRK gewürdigt, diesen durch die Verfügung allerdings insoweit nicht als beeinträchtigt angesehen, als keine Aufenthaltsbeendigung erfolgt. Es hat bei seiner Abwägung berücksichtigt, dass der Kläger in seinen geschützten Bindungen dadurch betroffen ist, dass sein Aufenthalt auf das Gebiet der Stadt M. beschränkt und er Meldeauflagen unterworfen ist. Weitere schützenswerte Bindungen hat das Gericht nicht anerkannt und dies nachvollziehbar damit begründet, dass der Kläger ungeachtet seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland kaum deutsch spricht, nur sporadisch und für kürzere Zeiträume erwerbstätig war und seit längerem von Sozialleistungen abhängig ist. Schließlich hat das Berufungsgericht in die Abwägung eingestellt, dass es der Kläger in der Hand hat, durch eine glaubhafte Abkehr von seinem bisherigen Verhalten eine Aufhebung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu erreichen.

59

6. Ohne Rechtsverstoß wertet das Berufungsurteil die in Ziffer 2 der angefochtenen Verfügung angeordnete Aufenthaltsbeschränkung und die verfügten Meldeauflagen als rechtmäßig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliegt ein Ausländer, gegen den - wie hier - eine Ausweisungsverfügung aufgrund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG besteht, der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Gestützt auf diese Ermächtigung hat der Beklagte bestimmt, dass sich der Kläger zweimal wöchentlich zu melden hat. Ferner hat er den Aufenthalt des Klägers auf den Bereich der Stadt M. beschränkt, wie das § 56 Abs. 2 AufenthG vorsieht, wenn die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft. Diese aufenthaltsbeschränkenden Maßnahmen durften gegenüber dem Kläger trotz dessen Rechtsstellung als Flüchtling ergehen. Dadurch wird sein Recht auf Freizügigkeit gemäß Art. 33 EU-Anerkennungsrichtlinie nicht verletzt. Denn derartige Maßnahmen dürfen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, wie sie hier wegen des Erfordernisses der Abwehr von terrorismusfördernden Aktivitäten vorliegen, auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern verfügt werden (§ 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG).

60

7. Zutreffend ist das Berufungsgericht auch zu dem Ergebnis gekommen, dass die für die Ausweisung des Klägers anwendbaren Regelungen des Ausweisungsrechts nicht gegen assoziationsrechtliche Verschlechterungsverbote aus Art. 13 ARB 1/80, Art. 7 ARB 2/76 und Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen (BGBl. 1972 II S. 385) verstoßen. Dabei kann offenbleiben, ob hier überhaupt eines der Verschlechterungsverbote Anwendung findet. Denn der zum 1. Januar 2016 eingeführte Übergang von einer Ermessensentscheidung zu einer gebundenen Entscheidung stellt keine Verschlechterung der Rechtsstellung des betroffenen Ausländers dar (a). Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung bewirkte zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für betroffene Ausländer, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt (b).

61

a) Die zum 1. Januar 2016 eingeführte Neuregelung des Ausweisungsrechts, die die bisherige Ermessensausweisung durch eine am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte gebundene Ausweisung abgelöst hat, hat die Rechtsstellung der Ausländer in der hier gebotenen und auch unionsrechtlich statthaften Gesamtschau nicht verschlechtert, sondern jedenfalls teilweise verbessert. Denn bisher sah das Gesetz Tatbestände einer zwingenden Ausweisung (Ist-Ausweisung), regelmäßig erfolgenden Ausweisung (Soll-Ausweisung) und Ausweisung nach Ermessen (Kann-Ausweisung) vor. Die zwingende Ausweisung und die regelmäßig erfolgende Ausweisung widersprachen für den Personenkreis der unionsrechtlich privilegierten Ausländer der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach eine Ausweisung ausschließlich auf ein persönliches Verhalten des Ausländers gestützt werden darf, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 [ECLI:EU:C:2004:262], Orfanopoulos und Oliveri - Slg. 2004, I-5257 Rn. 66 f.). Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass eine Regelung gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, wonach eine Ausweisung automatisch aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung verfügt wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird (a.a.O. Rn. 70). Aber auch die nationale Bestimmung über die Regelausweisung hat für den Gerichtshof den Anschein erweckt, dass trotz der Berücksichtigung individueller Umstände ein gewisser Automatismus oder jedenfalls eine Vermutung besteht, dass der betreffende Staatsangehörige auszuweisen ist (a.a.O. Rn. 92).

62

Daraus hat das Bundesverwaltungsgericht die Schlussfolgerung gezogen, dass die gesetzliche Regelung zur zwingenden Ausweisung und Regelausweisung auf unionsrechtlich privilegierte Ausländer nicht mehr angewendet werden darf (BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <302> betreffend Unionsbürger und - 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <321> betreffend Assoziationsberechtigte nach ARB 1/80). Der Gesetzgeber hat daraus durch das zum 1. Januar 2016 in Kraft getretene neue Ausweisungsrecht die Konsequenzen gezogen. Insofern stellt die neue Rechtslage eine Verbesserung gegenüber der bisherigen dar. Eine Ausweisung nach neuem Recht hat eine einzelfallbezogene umfassende Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen und orientiert sich dabei strikt am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 53 Abs. 1 und 2 AufenthG). Damit setzt der Gesetzgeber Vorgaben um, die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 - Rn. 99) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR , Urteil vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 57 - 60) ergeben.

63

Es stellt keine Verschlechterung der Rechtslage für unionsrechtlich privilegierte Ausländer dar, dass ihre Ausweisung nach früherer Rechtslage im Wege einer Ermessensentscheidung erfolgte, nach neuem Recht hingegen im Wege einer rechtlich gebundenen Ausweisung, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Damit entfällt zwar die Möglichkeit, aus Gründen der Zweckmäßigkeit von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen. Auf ein solches Absehen von einer rechts- und ermessensfehlerfrei möglichen Ausweisung hatte der Ausländer aber zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch, auch die gerichtliche Kontrolle war insoweit durch § 114 VwGO eingeschränkt; durch die gesetzliche Neuregelung wird also keine individuelle Rechtsposition beeinträchtigt. Im Übrigen ist für die Beachtung des Verschlechterungsverbots auf die tatsächliche Praxis und nicht allein auf die abstrakte Rechtslage abzustellen. Die Rechtspraxis wurde maßgeblich durch die Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz des Bundesministeriums des Innern vom 26. Oktober 2009 gesteuert. Danach lag die Ausweisungsentscheidung im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde, bei der Ermessensausübung waren das schutzwürdige Interesse des Ausländers am weiteren Verbleib in Deutschland und das öffentliche Interesse an der Ausweisung gegeneinander abzuwägen (Ziffer 55.1.3). Das weist auf eine Rechtspraxis hin, die der heute normierten gebundenen Ausweisung entspricht, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Insofern hat sich die Rechtsstellung des Ausländers nicht verschlechtert.

64

b) Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung hat zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für die betroffenen Ausländer bewirkt, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Die seinerzeitige Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung (§ 54 Nr. 5 AufenthG a.F.) führte zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gegenüber der früheren Rechtslage, die allein den Tatbestand der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland kannte. Durch die Rechtsänderung wurde nun auch die Vorfeldunterstützung des Terrorismus erfasst. Diese ist jedoch mit Blick auf das Verschlechterungsverbot aus Art. 13 ARB 1/80 aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 14 ARB 1/80, jedenfalls aber durch ein zwingendes Allgemeininteresse, namentlich die völkerrechtlich gebotene Terrorismusbekämpfung auch bereits im Vorfeld unmittelbarer terroristischer Handlungen, gerechtfertigt.

65

8. Nach der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG ist über die Länge der Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach Ermessen zu entscheiden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Diese gesetzgeberische Entscheidung ist mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom gleichen Tage - 1 C 27.16 - Rn. 20 ff.). Das Urteil des Senats zur Vorläuferfassung des § 11 AufenthG a.F., wonach eine gebundene Entscheidung zu treffen war (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.), erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihm ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen. Eine solche Ermessensentscheidung hat der Beklagte hier noch nicht getroffen. Vielmehr hat bisher das Verwaltungsgericht das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach der seinerzeit geltenden Rechtslage im Wege einer gebundenen Entscheidung auf acht Jahre festgesetzt.

66

Der Beklagte hat die nach neuem Recht nunmehr gebotene Ermessensentscheidung nachzuholen. Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange.

67

B. Der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellte (weitere) Hilfsantrag, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass dem Kläger auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie, ist unzulässig. Er stellt eine unzulässige Klageerweiterung im Revisionsverfahren dar (§ 142 Abs. 1 VwGO). Im Übrigen bedarf es einer solchen behördlichen Feststellung auch nicht. Aus dem für alle nationalen Behörden verbindlichen EuGH-Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) ergibt sich bis zu einer dem Gesetzgeber vorbehaltenen Anpassung der einschlägigen Fachgesetze hinreichend deutlich, dass dem Kläger - solange er die Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der EU-Anerkennungsrichtlinie genießt - auch die mit dieser Rechtsstellung einhergehenden Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie zustehen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift (vgl. dazu auch die vorstehenden Ausführungen in Rn. 55 f. dieses Urteils).

68

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat gewichtet den gegen die Ausweisung, die Meldeauflage, die Aufenthaltsbeschränkung und die Abschiebungsandrohung gerichteten Anfechtungsantrag mit 4/5 und den auf Befristung zielenden Verpflichtungsantrag mit 1/5 (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 46).

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 18. Januar 2017 - 7 K 3259/16 - geändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Klägers gegen den Bescheid des Landratsamts Alb-Donau-Kreis vom 10. August 2016 wird hinsichtlich der Ablehnung der Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis (Nr. 1 des Bescheids) wiederhergestellt und hinsichtlich der Fristsetzung einer Ausreisefrist mit Abschiebungsandrohung (Nr. 2 und Nr. 3 des Bescheids) angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert für das Verfahren in beiden Rechtszügen wird unter Änderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts von Amts wegen auf jeweils 7.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht es abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 16. August 2016 gegen die Versagung der Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis und die Abschiebungsandrohung aus dem Bescheid des Landratsamts Alb-Donau-Kreis vom 10. August 2016 anzuordnen. Mit den im Beschwerdeverfahren dargelegten Gründen, auf deren Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, zieht er die inhaltliche Richtigkeit des Beschlusses des Verwaltungsgerichts erfolgreich in Zweifel. Die deshalb erforderliche umfassende Prüfung seines Rechtsschutzbegehrens führt auf dessen Begründetheit.
1. a) Das Verwaltungsgericht hat u.a. entschieden, dass der Antragsteller keinen Anspruch aus § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG hinsichtlich seiner beiden Töchter A. und E. ableiten könne. Es sei keine familiäre Lebensgemeinschaft zu erkennen. Der Kontakt mit den beiden Kindern sei unregelmäßig und dies teilweise über längere Zeiträume. Auch wenn nunmehr nach Angaben des Antragstellers vermehrt direkt vereinbarte Umgangskontakte stattfänden, gebe es keine Hinweise darauf, dass das Wohl seiner Töchter die dauernde Anwesenheit des Antragstellers in unmittelbarer Nähe erfordere.
b) Hiergegen wendet der Antragsteller mit der Beschwerde ein, dass die Umgangssituation nicht zum aktuellen Zeitpunkt, sondern bezogen auf die Vergangenheit bezogen betrachtet worden sei. Im zweiten Halbjahr 2016 hätten neun begleitete Umgangskontakte stattgefunden, 2017 sei der erste für den 1. März geplant. Die Mutter sei an einem regelmäßigen Umgangskontakt interessiert, die Kinder genössen den Umgang mit dem Antragsteller. Darüber hinaus habe der Antragsteller zwischenzeitlich mit Frau D. ein gemeinsames Kind, das in Deutschland lebe.
c) Mit diesem Vortrag zieht der Antragsteller die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts erfolgreich in Zweifel. Denn es trifft zu, dass das Verwaltungsgericht die Umgangskontakte im zweiten Halbjahr 2016 nicht hinreichend in den Blick genommen hat. Vor dem Hintergrund des Vortrags des Antragstellers im Schriftsatz vom 17. Oktober 2016, wonach „seit dem Jahr 2016 wieder regelmäßige Umgangskontakte“ stattfänden, wäre das Verwaltungsgericht, das erst drei Monate nach diesem Vortrag zu der angegriffenen Entscheidung kam, mit Blick auf die Pflicht zur Amtsermittlung (§ 86 Abs. 1 VwGO) gehalten gewesen, jedenfalls dem Antragsteller aufzugeben, detaillierter zum Umfang der Kontakte vorzutragen.
2. Ergibt die auf dargelegte Gründe beschränkte Prüfung des Beschwerdegerichts (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO) - wie hier - , dass die tragende Begründung des Verwaltungsgerichts die Ablehnung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht rechtfertigt, hat es umfassend zu prüfen, ob vorläufiger Rechtsschutz nach allgemeinen Maßstäben zu gewähren ist (VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 11.04.2016 - 11 S 393/16 -, InfAuslR 2016, 281 und vom 14.03.2013 - 8 S 2504/12 -, VBlBW 2013, 384 m.w.N.).
Der zulässige Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat hier Erfolg, weil die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache derzeit jedenfalls offen sind und die Interessen des Antragstellers am Verbleib im Bundesgebiet bis zum Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens die öffentlichen Interessen am Vollzug deutlich überwiegen.
Die vom Senat zu treffende umfassende Interessenabwägung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten des Widerspruchs des Antragstellers fällt zu dessen Gunsten aus. Die Erfolgsaussichten sind derzeit offen (a). Ausgehend davon kommt dem Suspensivinteresse des Antragstellers hier der Vorrang zu (b).
a) aa) Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zu prüfen, ob überwiegende öffentliche Belange dafür streiten, den Rechtsschutzanspruch des Betroffenen einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Der Rechtsschutzanspruch des Betroffenen ist dabei umso stärker und darf umso weniger zurückstehen, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahme der Verwaltung Unabänderliches bewirkt. Das gilt im Grundsatz unabhängig davon, ob der Sofortvollzug eines Verwaltungsakts einer gesetzlichen (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1-3 VwGO) oder einer behördlichen Anordnung (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) entspringt (BVerfG, Beschluss vom 21.03.1985 - 2 BvR 1642/83 -, BVerfGE 69, 220 < 228 f.>; BVerfG, Kammerbeschluss vom 11.05.2007 - 2 BvR 2483/06 -, BVerfGK 11, 179). So bedürfen gerade Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung von Ausländern eine besondere Rechtfertigung, die eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls unter Bezug auf den Zeitraum zwischen beabsichtigtem Vollzug und Rechtskraft der Entscheidung im Hauptsacheverfahren erfordert (BVerfG, Kammerbeschluss vom 24.08. 2011 - 1 BvR 1611/11 -, NVwZ 2012, 104 <105>).
10 
bb) Die Erfolgsaussichten des Widerspruchs des Antragstellers sind derzeit jedenfalls deswegen offen, weil die Ablehnung seines Antrags bislang rechtlich zweifelhaft erscheint und es durchaus möglich ist, dass die Widerspruchsbehörde die erforderliche - und bislang nicht getroffene - Ermessensentscheidung zu Gunsten des Antragstellers treffen wird.
11 
Es ist durchaus wahrscheinlich, dass der Antragsteller den Tatbestand des § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG in Bezug auf die Töchter A. und E. erfüllt. Nach dieser Norm kann dem nicht personensorgeberechtigten Elternteil eines minderjährigen Deutschen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die familiäre Lebensgemeinschaft schon im Bundesgebiet gelebt wird.
12 
(1) Bei der Auslegung des tatbestandlichen Begriffs der familiären Lebensgemeinschaft ist zuvörderst die wertentscheidende Grundsatznorm des Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 GG zu berücksichtigen. Sie verpflichtet die Ausländerbehörde bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12.05.1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. -, BVerfGE 76, 1 <49 ff.> und vom 18.04.1989 - 2 BvR 1169/84 -, BVerfGE 80, 81 <93>). Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse 30.01.2002 - 2 BvR 231/00 -, InfAuslR 2002, 171 <173>; und vom 22.12.2003 - 2 BvR 2108/00 -, BVerfGK 2, 190 <194>), auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 31.08.1999 - 2 BvR 1523/99 -, InfAuslR 2000, 67 <68>, vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, 682 <683> und vom 09.01.2009 - 2 BvR 1064/08 -, NVwZ 2009, 387).
13 
Bei der Bewertung der familiären Beziehungen kommt es in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob eine Hausgemeinschaft vorliegt und ob die von einem Familienmitglied tatsächlich erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden könnte (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 18.04.1989 - 2 BvR 1169/84 -, BVerfGE 80, 81 <95>; und vom 09.01.2009 - 2 BvR 1064/08 -, NVwZ 2009, 387 <388>). Die Entwicklung eines Kindes wird nicht nur durch quantifizierbare Betreuungsbeiträge der Eltern, sondern auch durch die geistige und emotionale Auseinandersetzung geprägt, was im Rahmen ausländerrechtlicher Entscheidungen zu berücksichtigen ist (BVerfG, Kammerbeschluss vom 08.12.2005 - 2 BvR 1001/04 -, BVerfGK 7, 49 <56> m.w.N.). Die familiäre (Lebens-)Gemeinschaft zwischen einem Elternteil und seinem minderjährigen Kind ist getragen von tatsächlicher Anteilnahme am Leben und Aufwachsen des Kindes. Im Falle eines regelmäßigen Umgangs des ausländischen Elternteils, der dem auch sonst Üblichen entspricht, wird in der Regel von einer familiären Gemeinschaft auszugehen sein (BVerfG, Kammerbeschluss vom 08.12.2005 - 2 BvR 1001/04 -, BVerfGK 7, 49 <58>, vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 01.12.2008 - 2 BvR 1830/08 -, BVerfGK 14, 458). Bei Umgangskontakten unterscheidet sich die Eltern-Kind-Beziehung typischerweise deutlich von dem Verhältnis des Kindes zur täglichen Betreuungsperson. Dass der Umgangsberechtigte nur ausschnittsweise am Leben des Kindes Anteil nehmen kann und keine alltäglichen Erziehungsentscheidungen trifft, steht der Annahme einer familiären Lebensgemeinschaft nicht entgegen. Es ist insbesondere im Einzelfall zu würdigen, in welcher Form die Elternverantwortung ausgeübt wird und welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für die gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte (BVerfG, Kammerbeschluss vom 01.12.2008 - 2 BvR 1830/08 -, BVerfGK 14, 458 <464 f.>).Bei der Bewertung des „sonst Üblichen“ ist auch in den Blick zu nehmen, ob das Verhältnis der Eltern der Kinder einem intensiveren Umgang - noch - im Wege steht und ob - bei objektiv allgemeiner Betrachtung geringem Kontaktumfang zwischen Elternteil und Kind - eine für das Kind günstige Entwicklung der Ausgestaltung des Umgangs eingesetzt hat. Gerade in Fällen, in denen es bislang lediglich zu einem begleiteten Umgang kommt, sind die Hintergründe der Entscheidung der Eltern - oder des Familiengerichts - für diese Umgangsform in den Blick zu nehmen. Auch ein regelmäßiger begleiteter Umgang führt dabei grundsätzlich auf eine familiäre Lebensgemeinschaft im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG.
14 
(2) Gemessen an diesen Maßstäben ist jedenfalls offen, ob eine familiäre Lebensgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und seinen Töchtern A. und E. besteht. Nach Aktenlage spricht sogar eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die erforderliche familiäre Lebensgemeinschaft besteht.
15 
Gerade der Stellungnahme des Kreisjugendamtes vom 3. März 2017 deutet auf das Vorliegen einer - hinreichend ausgeprägten - Lebensgemeinschaft im Sinne des Aufenthaltsgesetzes hin. Aus dieser Stellungnahme lässt sich erkennen, dass es zwischen den Eltern von A. und E. offenkundig erhebliche Differenzen gibt und beide Eltern nicht nur unwesentlich dazu beitragen, dass die Terminierung begleiteter Umgangskontakte Schwierigkeiten bereitet. Überdies lässt sich dem Aktenvermerk über die Vorsprache der Kindesmutter entnehmen, dass der Antragsteller auch unbegleiteten Kontakt zu seinen Töchtern hat - er wohnt nur wenig entfernt von ihnen - und dass sie der Auffassung ist, dass er sich um seine Kinder bemühe. Für das Vorliegen ernsthafter Bemühungen um das Finden einer gemeinsamen Lösung zwischen den Eltern für die Regelung eines regelmäßigen Umgangs spricht derzeit auch, dass es bislang noch keiner familiengerichtlichen Entscheidung bedurfte und die Eltern trotz der erheblichen Probleme zwischen ihnen weiter um Lösungen bemüht scheinen. Jedenfalls verliert eine Bewertung, wonach es keine Hinweise darauf gebe, dass das Wohl der Töchter die dauernde Anwesenheit im Bundesgebiet erforderte, die erforderliche Sicht des Kindes (BVerfG, Kammerbeschluss vom 01.12.2008 - 2 BvR 1830/08 -, BVerfGK 14, 458) aus dem Blick. Deshalb kommt es auf die vom Verwaltungsgericht herangezogenen Besuchsmöglichkeiten, bei denen zu prüfen wäre, ob diese mit einer Erwerbstätigkeit noch zu vereinbaren und überdies zu finanzieren wären, hier nicht an.
16 
Im Rahmen des Hauptsacherechtsbehelfs besteht jedenfalls weiterer Aufklärungsbedarf. Es spricht einiges dafür, dass eine persönliche Anhörung des Antragstellers und der Töchter A. und E. sowie eine umfassende Stellungnahme des Jugendamtes unabdingbare Entscheidungsvoraussetzung sein dürften. Dabei wird auch mit Blick auf die vom Verwaltungsgericht zutreffend herausgestellten langen Zeiten des fehlenden oder geringen Kontakts des Antragstellers zu seinen Kindern aufzuklären sein, ob diese einen Rückschluss auf die Ernsthaftigkeit seiner jetzigen Bemühungen um Umgang zulassen oder nicht.
17 
(3) Sollte der Antragsteller im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG zusammen mit seinen Töchtern A. und E. in einer familiären Lebensgemeinschaft leben, käme es zunächst nicht mehr zwingend auf das Vorliegen der Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG an. Darüber hinaus liegt es auf der Hand, dass die Wertungen aus Art. 6 Abs. 1 GG die vom Verwaltungsgericht angenommene fehlende Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG verdrängte und zum Vorliegen eines Ausnahmefalls führte. Darüber hinaus ist in den Blick zu nehmen, dass der Senat nach Aktenlage abweichend vom Verwaltungsgericht keine „zahlreichen Straftaten“ zu erkennen vermag, die im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG relevant sein könnten. Denn jedenfalls mit der - soweit aus den Akten ersichtlich vorbehaltlosen - Verlängerung seines Aufenthaltstitels am 16. Februar 2014 sind die Verurteilungen aus den Jahren 2006 bis 2012 als Ausweisungsinteressen verbraucht (vgl. Samel, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl. 2016, § 5 AufenthG Rn. 55 ff.).
18 
(4) Da der Antragsgegner bislang davon ausging, dass der Tatbestand des § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG nicht erfüllt ist, fehlt die Ausübung des hier - wahrscheinlich - eröffneten Ermessens. Angesichts der Vielschichtigkeit der Familienverhältnisse des Antragstellers ist für den Fall, dass der Antragsteller regelmäßigen Umgangskontakt zu seinen Kindern oder jedenfalls zu einigen von ihnen pflegt, eine positive Ermessensausübung im Lichte von Art. 6 Abs. 2 GG mindestens naheliegend.
19 
b) Ausgehend von den dargestellten (jedenfalls) offenen Erfolgsaussichten des Widerspruchs überwiegt das Suspensivinteresse des Antragstellers das öffentliche Vollzugsinteresse deutlich. Sollte die Ausreisepflicht des Antragstellers vollzogen werden, hätte dies unmittelbare und erhebliche Folgen für ihn und seine Töchter, wobei zu berücksichtigen ist, dass A. und E. mit fünf und vier Jahren noch zu jung sind, um auch nur eine vorübergehende Abwesenheit des Antragstellers begreifen zu können. Dem gegenüber muss das Vollzugsinteresse zurücktreten. Sollte sich in der Hauptsache erweisen, dass der Antragsteller mit seinen Kindern nicht - auch nicht mit der jüngst geborenen Tochter - in familiärer Lebensgemeinschaft lebt, wären die negativen Folgen der hier stattgebenden Entscheidung - nämlich ein längerer Aufenthalt des Antragsteller ohne Anspruch auf Verlängerung seines Aufenthaltstitels - erkennbar geringer als für den Fall, dass seine Kinder keinen Kontakt zum Vater haben können, obwohl diesem ein Aufenthaltsrecht zukommt.
20 
c) Auf die weiter geltend gemachten, behaupteten Erteilungs- oder Verlängerungsansprüche des Antragstellers kommt es nach alledem nicht mehr an. Ebenso wenig ist die Beziehung des Klägers zu seiner Tochter C. entscheidungserheblich. Diese ist im Widerspruchsverfahren allerdings ebenso in den Blick zu nehmen.
21 
d) Angesichts der offenen Erfolgsaussichten bezüglich des Anspruchs auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis sind auch die Erfolgsaussichten bezogen auf die erlassene Abschiebungsandrohung offen. Insoweit ordnet der Senat die aufschiebende Wirkung an.
22 
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung und-änderung findet ihre Grundlage in § 63 Abs. 2 und 3, § 47 sowie § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 1 GKG. Der Senat legt in ständiger Rechtsprechung bei familienbezogenen Aufenthaltstiteln regelmäßig einen Streitwert von 7.500 EUR zugrunde, weil diese gemäß § 27 Abs. 5 AufenthG zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigen. Eine Reduzierung des Streitwerts für das Eilverfahren ist aufgrund der mit dem Vollzug der Ausreisepflicht verbundenen Folgen für den Antragsteller - sowohl was dem Kontakt zu seinen Kindern angeht als auch was die möglichen Folgen für seine Beschäftigung betrifft - und mit Blick darauf, dass er bereits über ein gesichertes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verfügt hat, hier nicht angezeigt (vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 01.07.2016 - 11 S 46/16 -, InfAuslR 2016, 412 und vom 09.11.2012 - 11 S 2015/12 -, juris). Soweit es im Senatsbeschluss vom 28. Oktober 2016 (11 S 1460/16 -, juris Rn. 26) heißt, dass der Betrag „für das Eilverfahren regelmäßig zu halbieren“ sei, bezieht sich dies allein auf die Fälle, in denen der Antragsteller oder die Antragstellerin noch über kein gesichertes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verfügt haben.
23 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers hin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 - 4 K 3079/10 - geändert.

Der Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 wird aufgehoben.

Das beklagte Land trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der am ...1971 in Charleroi, Belgien, geborene Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung und die Androhung der Abschiebung.
Er ist türkischer Staatsangehöriger und lebte von seiner Geburt bis 1979/80 gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern in Belgien, danach kehrte die Familie in die Türkei zurück. Dort besuchte der Kläger das Gymnasium, das er mit einem dem Abitur vergleichbaren Abschluss beendete. Am 06.05.1996 heiratete er in Cavusbasi Köyü/Türkei die am ... in B..., Deutschland, geborene Hatice Y., welche damals noch türkischer Staatsangehörigkeit war; am 17.08.1996 reiste er mit einem Visum zum Familiennachzug nach Deutschland ein. In der Folge erhielt er zunächst befristete Aufenthaltserlaubnisse, ab dem 16.07.2001 war er im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, welche ab Januar 2005 als Niederlassungserlaubnis fortgalt.
Die Ehefrau des Klägers wurde am 06.07.1998 eingebürgert. Die Eheleute haben vier gemeinsame Kinder, zwei Töchter (geboren am 16.08.1997 und am 01.05.2001) und zwei Söhne (geboren am 17.07.1998 und am 14.04.2008), welche ebenfalls deutsche Staatsangehörige sind.
Ab dem 10.03.1997 war der Kläger zunächst bei verschiedenen Firmen beschäftigt, vom 02.11.1998 bis zum 31.10.2001 bei der Firma F., wobei er vom 27.02.2001 bis zum 09.07.2001 Krankengeld von der AOK bezog. Nach längerer Arbeitslosigkeit war er ab 2003 immer wieder selbstständig tätig - unterbrochen durch mehrmonatige Aushilfstätigkeiten und Zeiten der Arbeitslosigkeit -, zunächst mit einem Einzelhandel mit Lebensmitteln und Obst, welchen er von seiner Ehefrau übernommen hatte (von Juli 2003 bis Juni 2004), später (vom September 2006 bis zum Februar 2007) mit dem Gewerbe „Kleintransporte (Paketdienst)“, sodann mit einer Gebäudereinigung (ab dem 21.11.2007).
Zum 05.06.2008 meldete er das Wettbüro T. in Karlsruhe an. Am 18.12.2008 wurde er wegen des Verdachts der Geiselnahme u.a. in Untersuchungshaft genommen. Mit Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 30.06.2009 - 3 KLs 110 Js 41778/08 - wurden der Kläger und die Mitangeklagten B.A., Y.K. und E.G. der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie der Mitangeklagte T.K. der Beihilfe zur Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen. Der Kläger wurde zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten, seine Mitangeklagten B.A. zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten, Y.K. von vier Jahren und zehn Monaten, E.G. von drei Jahren und sechs Monaten und T.K. zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde hinsichtlich T.K. zur Bewährung ausgesetzt. Die Angeklagten wurden außerdem verurteilt, an die Nebenklägerin N.G. Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,-- EUR nebst Zinsen zu zahlen, wobei die seitens B.A. und Y.K. bereits erbrachten Beträge in Höhe von 2.500,-- EUR (B.A.) bzw. 3.000,-- EUR (Y.K.) auf den Schmerzensgeldbetrag anzurechnen seien. Das Urteil wurde nach Verwerfung der unter anderem vom Kläger eingelegten Revision diesem gegenüber am 10.12.2009 rechtskräftig.
Nach den Feststellungen im Strafurteil vom 30.06.2009 war Y.K. als Geschäftsführer in dem vom Kläger betriebenen Wettbüro beschäftigt und hätte Anfang des Jahres 2009 als Teilhaber einsteigen sollen. B.A. war bei einer Automatenaufstellerfirma tätig und für die Wartung der im Wettbüro aufgestellten Spielautomaten zuständig. Die Mitangeklagten E.G. und T.K., ein Schwager des Y.K., hielten sich häufig als Gäste im Wettbüro auf. Das Opfer der Straftaten, N.G., war auf Empfehlung des B.A. seit September 2008 als Aushilfe angestellt. Nachdem am 29.11.2008 zwischen 2.00 Uhr und 2.30 Uhr in das Wettbüro eingebrochen und aus Spielautomaten und einem offenen Tresor insgesamt Bargeld in Höhe von etwa 2.500,-- EUR entwendet worden war, verdächtigten die Angeklagten die im Wettbüro angestellte N.G. und deren Freund der Beteiligung an dem Einbruch. Anlass war unter anderem, dass ein Augenzeuge etwa zum Zeitpunkt des Einbruchs ein Auto bemerkt hatte, das dem des Freundes von N.G. ähnelte. Außerdem hatte N.G. wenige Stunden nach dem Einbruch per SMS mitgeteilt, sie könne am Morgen nicht zur Arbeit erscheinen, weil ihr Schwiegervater gestorben sei, was aber - wie sich nach und nach herausstellte - tatsächlich nicht stimmte. Um N.G. zu einem Geständnis zu zwingen, brachten die fünf Angeklagten diese am 30.11.2008 gegen 12.30 Uhr dazu, mit ihnen in den Keller des Wettbüros zu gehen. Dort versetzte B.A. der Angestellten N.G. zunächst zwei derart heftige Ohrfeigen, dass sie ein Loch im linken Trommelfell erlitt. Danach hielt B.A. dieser eine von ihm - ohne Wissen der anderen - mitgeführte, nicht ausschließbar ungeladene Schreckschusswaffe, die er zuvor mehrfach durchgeladen hatte, an die Stirn, so dass N.G. befürchtete, erschossen zu werden, und Todesangst verspürte. Unter Ausnutzung der Todesangst von N.G. versuchten die Angeklagten in den nächsten Stunden - allerdings vergeblich -, von dieser ein Geständnis zu erpressen. A.B. drückte ihr ein Kissen auf das Gesicht und tat so, als ob er dieses als Schalldämpfer verwenden würde. Auf Vorschlag des Klägers behauptete er sodann, man habe ein paar Leute zu ihrem Freund geschickt, welche ihn mit einem Baseballschläger "zusammengeschlagen" hätten, woraufhin dieser alles zugegeben hätte. B.A. oder E.G. drohten später damit, N.G. mit einer Handsäge einen Finger abzusägen. Als N.G. darum bat, auf Toilette gehen zu dürfen, wurde ihr dies mit dem Hinweis verweigert, sie solle „in die Hose pissen“. Bei diesen Übergriffen und Bedrohungen leistete T.K. lediglich psychische Beihilfe, während die anderen aktiv beteiligt waren. Nachdem B.A. und E.G. zwischen 14.30 Uhr und 15.00 Uhr den Keller verlassen hatten, wurde N.G. gegen 16.00 Uhr vom Kläger, Y.K. und T.K. freigelassen und von T.K. nach Hause gefahren. N.G. leidet noch heute erheblich unter den psychischen Folgen der Tat. Bezüglich der Strafzumessung wird in dem Urteil des Landgerichts Karlsruhe hinsichtlich des Klägers unter anderem dargelegt: Die Kammer sei der Auffassung, dass die Voraussetzungen der tätigen Reue (§§ 239a Abs. 4, 239b Abs. 2 StGB) vorgelegen hätten, weil die Täter von einer weiteren Befragung der Geschädigten abgesehen hätten. Für die Annahme eines minder schwereren Falls der Geiselnahme (§§ 239a Abs. 2, 239b Abs. 2 StGB) spreche, dass der Kläger bereits im Ermittlungsverfahren ein Geständnis abgelegt und dieses in der Hauptverhandlung aufrechterhalten habe, wobei der Kammer das Geständnis allerdings nur bedingt getragen von Einsicht und Reue erscheine, weil der Kläger immer wieder darauf hingewiesen habe, er hätte nicht gegen die weitere Tatausführung einschreiten können. Für ihn spreche außerdem, dass er bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei, sich schriftlich bei der Geschädigten entschuldigt und einen eher geringen Tatbeitrag geleistet habe. Es sei aber auch zu berücksichtigen, dass er als Inhaber des Wettbüros ein Hauptinteresse daran gehabt habe festzustellen, ob seine Angestellte tatsächlich an dem Einbruch beteiligt gewesen sei, dass tateinheitlich zum Verbrechen der Geiselnahme auch ein Vergehen der gefährlichen Körperverletzung begangen worden, dass er über dreieinhalb Stunden an der Tatbegehung beteiligt gewesen sei und dass die Geschädigte nicht nur eine körperliche Verletzung in Form einer Trommelfellperforation mit erheblichen Höreinschränkungen erlitten habe, sondern noch heute schwer unter den psychischen Folgen der Tat leide. Die nicht vertypten Milderungsgründe reichten daher nicht aus, um das Vorliegen eines minder schweren Falles zu bejahen. Unter weiterer Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger tätige Reue im Sinne von §§ 239b Abs. 2, 239a Abs. 4 StGB geleistet habe, sei allerdings unter Heranziehung dieses Strafmilderungsgrundes das Vorliegen eines minder schweren Falles bejaht worden.
Im Anschluss an die Untersuchungshaft verbüßte der Kläger vom 10.12.2009 bis zu seiner Entlassung am 22.12.2011 Strafhaft, ab dem 08.04.2010 in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bruchsal. Zwei Drittel der Strafe waren am 17.04.2011 vollstreckt, Endstrafentermin wäre der 17.06.2012 gewesen. In dieser Zeit erhielt der Kläger regelmäßig Besuch von seiner Ehefrau und seinen Kindern sowie von anderen Verwandten und Bekannten. Von September 2010 bis Juli 2011 nahm er zweimal wöchentlich an Deutschkursen teil. Er arbeitete in einem Unternehmerbetrieb der JVA. In Vollzugsplänen und Berichten der JVA Bruchsal vom 05.05.2010, 12.05.2010, 08.02.2011, 12.09.2011 und 12.10.2011 wurde unter anderem dargelegt: Disziplinarrechtlich habe gegen den Kläger nicht eingeschritten werden müssen, es sei auch zu keinen Unregelmäßigkeiten bezüglich Drogen oder Alkohol gekommen. Er könne sehr nervenaufreibend sein, weil er täglich mehrere Anliegen habe, die er durchzusetzen versuche. Er werde dabei jedoch nie aggressiv, sondern zeige fehlendes Verständnis, reagiere weinerlich oder unbeirrbar. Im Unternehmerbetrieb gelte er wegen seiner ständigen Anliegen als Sorgenkind, erledige aber seine Arbeit zuverlässig, es sei nicht zu unentschuldigten Ausfallzeiten gekommen. Er habe noch Schulden in Höhe von etwa 45.000,-- EUR. Während in früheren Stellungnahmen der JVA, unter anderem vom 08.02.2011, Zweifel an einer Tataufarbeitung und einer echten Reue des Klägers geäußert wurden, wurde in einem Bericht vom 12.10.2011 ausgeführt, der Kläger habe über seine Straftat intensiv nachgedacht, könne sich zumindest über den Vergleich mit eigenen Bedrängungserfahrungen in das Opfer einfühlen, sei nicht die treibende Kraft gewesen und scheine seine Straftat tatsächlich zu bereuen. Die Landesstiftung Opferschutz habe am 16.07.2011 bestätigt, dass er 1.000,-- EUR Schmerzensgeld in Raten bezahlt habe. Als stabilisierender Faktor werde seine Familie gesehen. Der psychologische Dienst gehe davon aus, dass ein kriminalprognostisches Gutachten zu dem Schluss kommen werde, dass eine weiterhin bestehende Gefahr nicht festgestellt werden könne.
Bereits mit Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 wurde der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Ziff. 1). Außerdem wurde ihm die Abschiebung in die Türkei oder in einen anderen Staat angedroht (Ziff. 2). Für den Fall, dass er vor der beabsichtigten Abschiebung aus der Haft entlassen werde, wurde er aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von einem Monat nach seiner Entlassung zu verlassen; für den Fall, dass er nicht fristgerecht ausreise, wurde ihm die Abschiebung angedroht (Ziff. 3). Zur Begründung wurde dargelegt: Dem Kläger stehe kein erhöhter Ausweisungsschutz aufgrund eines Rechts zum Aufenthalt nach dem Assoziationsratsbeschluss 1/80 zu. Eine nach Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 privilegierte aufenthaltsrechtliche Position habe nicht mehr erworben werden können, weil seine Ehefrau zwei Jahre nach Beginn der ehelichen Lebensgemeinschaft die deutsche Staatsangehörigkeit erworben habe. Ansprüche aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 seien ebenfalls nicht entstanden. Bei der Firma F. habe der Kläger zwar vom 02.11.1998 bis zum 26.02.2001 und vom 09.07.2001 bis zum 31.10.2001 gearbeitet. In der Zwischenzeit, vom 27.02.2001 bis zum 08.07.2001, habe er jedoch Krankengeld von der AOK bezogen. Selbst wenn man davon ausginge, dass er drei Jahre ordnungsgemäß bei einem Arbeitgeber beschäftigt gewesen sei, wäre seine Rechtsstellung nach Art. 6, 2. Spielgelstrich ARB 1/80 wieder erloschen. Denn im Anschluss an die Beschäftigung bei der Firma F. habe er ab November 2001 bis zum 27.07.2003 Leistungen der Agentur für Arbeit bezogen. Seine Ehefrau habe in dieser Zeit ein Gewerbe (Obst- und Gemüsehandel) betrieben. Ab Oktober 2003 habe er dieses übernommen, bis er es im Januar 2004 wieder aufgegeben habe. Nach kurzen Arbeitsverhältnissen, Zeiten der Arbeitslosigkeit sowie Zeiten der Ausübung zweier anderer Gewerbe, sei schließlich zum 05.06.2008 die Anmeldung des Wettbüros erfolgt. Die Aufnahme einer auf Dauer angelegten selbstständigen Tätigkeit führe jedoch zum Erlöschen bereits entstandener Rechte aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80. Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid sei daher das Aufenthaltsgesetz. Der Kläger erfülle den Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 1 AufenthG. Er genieße jedoch wegen der bestehenden Niederlassungserlaubnis und der familiären Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau und seinen Kindern besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 4 AufenthG. Es sei daher zu prüfen, ob ein schwerwiegender Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG vorliege. Das sei der Fall. Die vom Kläger und seinen Mittätern aufgrund von Selbstjustiz begangene Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung wiege ausgesprochen schwer. Der Tathergang verdeutliche, dass der Kläger ein erhebliches Maß an krimineller Energie besitze, welches bei verständiger Würdigung aller für und gegen ihn sprechenden Umstände der Tatbegehung die Grenzen der Bagatellkriminalität bei weitem überschreite. Er sei offenkundig nicht in der Lage oder auch nicht gewillt, sich an die im Bundesgebiet bestehende Rechtsordnung zu halten. Deshalb könne ihm keineswegs eine günstige Sozialprognose gestellt werden. Nach den vorliegenden Berichten der JVA habe eine Tataufarbeitung wegen der fehlenden differenzierten Deutschkenntnisse noch nicht erfolgen können. Bislang sei danach auch nicht erkennbar, dass der Kläger ein Schuldbewusstsein oder eine Empathie für das Opfer entwickelt habe. Die Ausweisung sei daher aus spezialpräventiven Gründen geeignet und erforderlich. Sie werde auch auf generalpräventive Erwägungen gestützt. Es bestehe ein dringendes soziales Bedürfnis, über die strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Gewalttaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Wegen des besonderen Ausweisungsschutzes und mit Blick auf die Familie des Klägers und Art. 8 EMRK liege eine Ausnahme von der Regel des § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG vor, so dass über die Ausweisung nach Ermessen zu entscheiden sei. Sie sei hier gerechtfertigt, insbesondere verhältnismäßig. Der Kläger sei mit einer türkischstämmigen Frau verheiratet, die mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen habe, und Vater von vier deutschen Kindern. Beruflich sei es ihm nicht gelungen, sich im Bundesgebiet zu integrieren. Der Aufbau eines eigenen Betriebes sei immer wieder gescheitert. In dem zuletzt betriebenen Wettbüro habe er mehrere Personen beschäftigt, ohne diese anzumelden. Dies sowie die Tatsache, dass er bereit gewesen sei, eine von ihm verdächtige Person als Geisel zu nehmen, um aus ihr mit brutalsten physischen und psychischen Methoden ein Geständnis zu erpressen, sei ein Beleg für eine Denkweise, welche nicht den Wertvorstellungen der Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland entspreche. Es sei nicht erkennbar, dass der Kläger von seinem Heimatland, das er vor vierzehn Jahren im Alter von 25 verlassen habe, entfremdet sei. In Anbetracht des gravierenden Verstoßes gegen die geltende Rechtsordnung könnten die rechtlichen und tatsächlichen Auswirkungen der Ausweisung, die mit einer Übersiedlung in die Türkei verbunden seien, nicht als unverhältnismäßig angesehen werden. Dies gelte auch unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK. Schließlich könne er gegebenenfalls einen Antrag auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung stellen. Hilfsweise sei festzustellen, dass die Ausweisung des Klägers auch dann - im Ermessenswege nach Art. 14 ARB 1/80 i.V.m. § 55 AufenthG -gerechtfertigt sei, wenn man davon ausgehe, dass ihm eine Rechtsstellung nach Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 zustehe. Für diesen Fall sei die Ausweisung jedoch lediglich auf spezialpräventive Gründe zu stützen. Die Abschiebungsandrohung beruhe auf § 59 Abs. 1 AufenthG.
Am 04.11.2010 erhob der Kläger beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage, zu deren Begründung er im Wesentlichen vortrug: Eine Trennung von seiner Familie wäre unverhältnismäßig. Weder verfügten er und seine Familie über die erforderlichen finanziellen Mittel für regelmäßige Besuche noch hätte er die Möglichkeit, die Kontakte angemessen aufrechtzuerhalten. Zudem sei die Ausweisung weder aus generalpräventiven noch aus spezialpräventiven Gründen angemessen. Er sei das erste Mal straffällig geworden. Aus dieser - einmaligen -Entgleisung, die nicht verharmlost werden solle, könne nicht auf ein grundsätzliches Verhaltensmuster für die Zukunft geschlossen werden. Im Übrigen sei er vom 01.11.1998 bis zum 31.10.2001 durchgehend bei der Firma F. beschäftigt gewesen, weshalb er als Assoziationsberechtigter anzusehen sei.
10 
Das beklagte Land trat der Klage entgegen.
11 
Mit Urteil vom 02.03.2011 - 4 K 3079/10 - wies das Verwaltungsgericht die Klage ab und führte aus: Es bedürfe keiner abschließenden Beurteilung, ob der Kläger eine Rechtsstellung nach Art. 6 ARB 1/80 erworben habe, denn eine solche wäre jedenfalls durch die Aufnahme einer Tätigkeit als Selbstständiger erloschen. Weil er besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 4 AufenthG genieße, könne er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Solche seien hinsichtlich des spezialpräventiven und bezüglich des generalpräventiven Ausweisungszwecks aufgrund der vom Kläger verübten Straftat gegeben. In Fällen mittlerer und schwerer Kriminalität seien die Voraussetzungen für eine spezialpräventive Ausweisung grundsätzlich zu bejahen. Beim Kläger bestehe ein gegenüber dem Durchschnittsbürger sogar beträchtlich erhöhtes Risiko, auch künftig wieder strafrechtlich in Erscheinung zu treten. Dafür sprächen die nicht unerhebliche kriminelle Energie, die er an den Tag gelegt habe, und die konkrete Tatausführung. Diese lasse ein erhebliches Maß an Gewaltanwendung gegenüber Personen erkennen; sie habe zu gravierenden Folgen für das Opfer geführt. Ausweislich eines Berichts der JVA vom 08.02.2011 habe die Freiheitsstrafe nur insoweit die erwünschte Wirkung gezeigt, als der Kläger die negativen Folgen für seine Familie eingesehen habe, mit den Folgen der Tat für das Opfer habe er sich noch nicht erkennbar auseinandergesetzt. Da die Tat zudem eine hohe Bereitschaft für eine im Heimatland des Klägers in bestimmten Bereichen auch heute noch übliche und gesellschaftlich akzeptierte Selbstjustiz belege, könne ihm keine günstige Sozialprognose erteilt werden. Ein Ausnahmefall von der Regelausweisung - und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung - sei hier wegen der tatsächlich gelebten familiären Gemeinschaft des Klägers mit den vier ehelichen Kindern des Klägers zu sehen. Die entsprechenden Ermessenserwägungen seien im Ergebnis rechtsfehlerfrei. Die dem Kläger als Mittäter der begangenen Straftaten zurechenbare Gewaltanwendung wiege derart schwer, dass seine Ausweisung auch mit Blick auf die Schutzwirkungen des Art. 6 GG und des Art. 8 EMRK nicht unverhältnismäßig sei.
12 
Auf den am 14.03.2011 vom Kläger gestellten Antrag hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 17.05.2011 - 11 S 875/11 - die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 zugelassen. Diese hat der Kläger am 26.05.2011 unter Stellung eines Antrags begründet.
13 
Zur Vorbereitung der Entscheidung über die Aussetzung der Reststrafe holte die Vollstreckungskammer des Landgerichts Karlsruhe mit Schreiben vom 03.06.2011 ein kriminalprognostisches Gutachten der Klinik für forensische Psychiatrie und Psychotherapie - Zentrum für Psychiatrie - Wiesloch ein. Das daraufhin erstattete Gutachten von Herrn Dr. Sp..., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, und Herrn S..., Facharzt für Psychiatrie, vom 24.09.2011 kommt zu dem Ergebnis, dass nicht mehr davon ausgegangen werden könne, dass die durch die Tat beim Kläger zutage getretene Gefährlichkeit fortbestünde. Dabei wurde die fehlende Auseinandersetzung mit der Straftat als prognostisch ungünstiger Faktor gewertet. Der Kläger sei bei der Tat aber eher passiv im Hintergrund geblieben. Beim Tatgeschehen komme somit situativen Faktoren (Eingebundenheit in eine Tätergruppe bei Vorhandensein von freundschaftlichen Beziehungen und Loyalitäten, Unterordnung unter dominant auftretende Persönlichkeiten) ein wesentliches Gewicht am Zustandekommen der Tat zu. Der Kläger habe sich im Rahmen der Haft im Wesentlichen angepasst und korrekt verhalten. Dass er dabei seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse jeweils mit einem gewissen Nachdruck vorgetragen habe, lasse sich nicht als prognoserelevanter Faktor verwerten. Es existierten stabile familiäre Anbindungen. Auch die beruflichen Planungen des Klägers erschienen nicht unrealistisch. Die prognostisch günstigen Faktoren überwögen im Vergleich zu dem einzigen ungünstigen Faktor - der fehlenden inneren Auseinandersetzung des Klägers mit der Tat - deutlich. Nach einer Anhörung des Klägers am 16.12.2011 wurde mit Beschluss des Landgerichts Karlsruhe vom 21.12.2011 die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 30.06.2009 zur Bewährung ausgesetzt. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt; der Kläger wurde der Leitung und Aufsicht eines Bewährungshelfers unterstellt. Daraufhin wurde er am 22.12.2011 aus dem Strafvollzug entlassen.
14 
Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger im Wesentlichen vor: Das Verwaltungsgericht sei unzutreffend davon ausgegangen, dass die Rechtstellung aus Art. 6 ARB 1/80 mit Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit erlösche. Die Ausweisung genüge nicht den Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80. Im Übrigen hätte ein Widerspruchsverfahren durchgeführt bzw. über die Ausweisung noch durch eine „unabhängige Stelle“ entschieden werden müssen. Schon aus diesem Grund sei sie aufzuheben. Unabhängig davon sei die Ausweisung hier mit Blick auf die Tatsache, dass die Ehefrau des Klägers und seine Kinder deutsche Staatsangehörige seien, rechtswidrig. Soweit im Urteil dargelegt werde, der Rechtsstellung der Kinder des Klägers könne durch Besuche der Ehefrau mit den Kindern in der Türkei Rechnung getragen werden, werde nicht die dem Kläger gemäß Art. 20 AEUV zukommende europarechtliche Rechtsposition berücksichtigt. Anzugreifen sei auch, dass die erste Instanz eine Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung mangels Befristung verneine. Dies verstoße gegen Art. 8 EMRK. Nach dem kriminalprognostischen Gutachten vom 24.09.2011 bestehe die bei der Tat zutage getretene Gefährlichkeit inzwischen nicht mehr. Die Arbeitssuche des Klägers nach seiner Haftentlassung sei durch seine erheblichen gesundheitlichen Probleme belastet gewesen. Er habe am 20./21.04.2012 in eine Klinik aufgenommen und später erneut - vom 06.06. bis zum 14.06.2012 - stationär behandelt werden müssen. Zum 24.07.2012 habe er dann einen Arbeitsplatz als Fahrer bei einer Firma in Karlsruhe gefunden, wonach er bei einer durchschnittlichen regelmäßigen Arbeitszeit von 25 bis 30 Wochenstunden 1.000,-- EUR brutto monatlich verdiene.
15 
Nachdem das Regierungspräsidiums Karlsruhe in der mündlichen Verhandlung die Sperrwirkungen der Ausweisung vom 22.10.2010 auf zwei Jahre befristet hat, beantragt der Kläger,
16 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 - 4 K 3079/10 - zu ändern und den Bescheid vom 22.10.2010 aufzuheben,
17 
hilfsweise: das beklagte Land zu verpflichten, die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG bezeichneten Wirkungen der Ausweisung auf sofort zu befristen.
18 
Das beklagte Land beantragt,
19 
die Berufung zurückzuweisen.
20 
Es trägt vor: Das Verwaltungsgericht Karlsruhe habe zutreffend die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 22.10.2010 bestätigt und berücksichtigt, dass eine Rechtsstellung aus Art. 6 ARB 1/80 - selbst wenn der Kläger sie erworben hätte - dadurch erloschen wäre, dass er eine Tätigkeit als Selbstständiger aufgenommen habe. Durch die Ausweisung werde kein unverhältnismäßiger Eingriff in das Recht des Klägers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens begründet. Der Kontakt zur Ehefrau und den Kindern des Klägers könne durch Besuche in der Türkei, Briefe, Telefonate und E-Mails aufrechterhalten werden. Da der Kläger die deutsche Sprache nicht richtig beherrsche und sich bei Besuchen in türkischer Sprache unterhalten habe, sei davon auszugehen, dass die Familie ebenfalls mit der Türkei vertraut sei. Ein Leben in der Türkei wäre für den Kläger auch nicht unzumutbar, weil er zuvor ebenfalls dort gelebt habe, dort noch seine Mutter und Geschwister wohnten und er auch die türkische Sprache beherrsche. Zu dem kriminalprognostischen Gutachten vom 24.09.2011 sei auszuführen: In dem Gutachten werde einmal mehr die „weitgehend fehlende innere Auseinandersetzung“ des Klägers mit seiner Tat und den Folgen für das Opfer bestätigt. Die von ihm signalisierte Betroffenheit über das Leid des Opfers wirke auf die Gutachter sogar „affektiv eher flach und vordergründig“. Für die Gutachter sei der Eindruck entstanden, dass der Kläger „insgesamt emotional stärker durch die Folgen der Tat für ihn und seine Familie als durch die Folgen für das Opfer betroffen erschien“. Ein tiefergehendes Mitgefühl für das Opfer sei trotz verbaler Bekundung wenig spürbar gewesen. Diese Einschätzung decke sich mit einem Bericht der JVA Bruchsal vom 08.02.2011, demzufolge „eine wirkliche Tataufarbeitung ... nicht sichtbar“ werde, und dem Eindruck, den der Kläger beim erstinstanzlichen Gericht hinterlassen habe. Das Verwaltungsgericht habe sich immerhin zu der deutlichen Formulierung veranlasst gesehen, „dass er sich mit seiner Gewaltproblematik noch nicht, jedenfalls in nicht ausreichendem Maße, auseinandergesetzt hat und die Tat eine hohe Bereitschaft für eine im Heimatland des Klägers in bestimmten Bereichen auch heute noch übliche und gesellschaftlich akzeptierte Selbstjustiz belegt“. Mit anderen Worten: Wenn sich der Kläger in einer vergleichbaren Situation wiederfinde, in der jemand der Wahrheit auf die Sprünge helfen wolle, sei nach wie vor keine ethische Schranke bei ihm installiert, die ihn davor bewahre mitzumachen. Das Gutachten vom 24.09.2011 werte zwar zugunsten des Klägers, dass den situativen Faktoren ein wesentliches Gewicht am Zustandekommen der Tat zugekommen sei. Es liefere aber nicht den geringsten neuen Anhaltspunkt dafür, dass sich der Kläger das nächste Mal der Gruppendynamik entziehen oder gar widersetzen würde, wenn Gewalt ins Spiel komme. Aus diesen Gründen bestehe keine Veranlassung, von der aufgrund der mündlichen Verhandlung in erster Instanz gewonnenen und vom Verwaltungsgericht zutreffend begründeten Einschätzung Abstand zu nehmen.
21 
Auf einen Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 11.08.2011 - 11 S 2027/11 - die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 angeordnet.
22 
In einem Bericht der Bewährungshelferin vom 24.07.2012 sowie einem ergänzenden Schreiben vom 25.09.2012 wird dargelegt: Insgesamt sei in dem bisherigen Bewährungsverlauf nichts zu beanstanden. Der Kläger habe sich - zunächst vergeblich - intensiv um einen Arbeitsplatz bemüht. Mit Hilfe eines Rechtsanwalts sei es ihm gelungen, seinen Führerschein der Klasse 3 wieder zu erlangen. Insgesamt sei es dem Kläger nach der Haftentlassung nicht gut gegangen, er habe noch sehr unter den Nachwirkungen gelitten und sei durch seinen behandelnden Arzt wegen Depressionen medikamentös behandelt worden. Am 25.05.2012 habe er sich wegen starker Schmerzen ins Krankenhaus begeben müssen. Nach mehreren Untersuchungen seien ihm am 21.06.2012 stationär mehrere Nierensteine entfernt worden. Er habe sich wirklich bemüht, wieder zu der „arbeitenden Bevölkerung“ zu gehören. Seit dem 24.07.2012 sei er als Fahrer beschäftigt; er verdiene monatlich etwa 1.000,-- EUR. Er hätte die Möglichkeit, einen Kiosk in Karlsruhe-Durlach zu übernehmen; seine Ehefrau würde dann mit ihm zusammenarbeiten.
23 
Dem Senat liegen die Akten des Regierungspräsidiums Karlsruhe über das Ausweisungsverfahren (2 Hefte), die ausländerrechtlichen Akten des Landratsamts Karlsruhe bezüglich des Klägers (2 Hefte), seiner Ehefrau (1 Heft) und der ältesten Tochter (1 Heft), die Gefangenenpersonalakten der JVA Bruchsal (1 Heft), die Strafakten betreffend das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 30.06.2009 - 3 KLs 110 Js 41778/08 - (8 Hefte) sowie das Bewährungsheft des Landgerichts Karlsruhe - 15 BWL 213/11 - vor. Diese sind ebenso wie die Akten über das Klageverfahren beim Verwaltungsgerichts Karlsruhe - 4 K 3079/10 -, über das vorliegende Berufungsverfahren - 11 S 1470/11 - und über das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes - 11 S 2027/11 -Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen; hierauf wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
24 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht und ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 6 und Abs. 3 Satz 4 VwGO) Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 hat Erfolg. Die Anfechtungsklage des Klägers gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteile vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - InfAuslR 2008, 156, und vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris) begründet. Die darin unter Ziffer 1 verfügte Ausweisung und die Abschiebungsandrohung unter Ziffern 2 und 3 sind rechtswidrig und verletzen dadurch den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Einer Entscheidung über den vom Kläger im Berufungsverfahren lediglich hilfsweise gestellten Antrag auf Verpflichtung des beklagten Landes zur Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 bezeichneten Wirkungen der Ausweisung "auf sofort" (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O.) bedarf es daher nicht.
I.
25 
Die auf §§ 53 Nr. 1, 56 Abs. 1, 55 AufenthG beruhende (dazu unter 1. und 2.) Ausweisung des Klägers, die hier im Ermessen des beklagten Landes steht (3.), ist mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz rechtswidrig (4.).
26 
1. Maßgebliche Rechtsgrundlage sind die §§ 53 Nr. 1, 56 Abs. 1, 55 AufenthG.
27 
Insbesondere sind nicht etwa allein wegen des Umstands, dass die Ehefrau und die Kinder des Klägers deutsche Staatsangehörige sind, besondere unionsrechtliche Anforderungen zu beachten (vgl. hierzu EuGH, Urteile vom 05.05.2011 - Rs. C-434/09, McCarthy - InfAuslR 2011, 268, und vom 15.11.2011 - Rs. C-256/11, Dereci - InfAuslR 2012, 47; Senatsurteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 - NVwZ-RR 2012, 412).
28 
Eine nur beschränkte Anwendbarkeit der Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG folgt hier auch nicht aus dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: ARB 1/80; vgl. insbesondere Art. 14 ARB 1/80). Eine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80 hat der Kläger nicht erworben, weil seine Ehefrau vor Ablauf von drei Jahren nach Zuzug des Klägers eingebürgert wurde und die türkische Staatsangehörigkeit aufgegeben hat (vgl. dazu Renner, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 4 Rn. 156 m.w.N.). Ob er jemals die Voraussetzungen des - hier allein in Betracht kommenden - 2. Spiegelstrichs des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erfüllt hat, kann offen bleiben. Denn er hat eine eventuelle Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 durch die spätere Aufnahme selbstständiger Tätigkeiten, zuletzt den Betrieb des Wettbüros - aufgrund dessen der Kläger jedenfalls dem Arbeitsmarkt auf unabsehbare Zeit nicht mehr zur Verfügung stand - verloren (streitig, ebenso: Hess. VGH, Urteil vom 09.02.2004 - 12 TG 3548/03 - InfAuslR 2004, 230; Bayer. VGH, Urteil vom 26.03.2007 - 24 BV 03.2091 - juris; vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18.10.2006 - 13 S 192/06 - InfAuslR 2007, 49; a.A. VG Stuttgart, Urteil vom 23.05.2011 - 11 K 2967/10 - juris; vgl. zum Streitstand GK-AufenthG, Stand: September 2012, IX - 1 Art. 6 Rn. 238 f.; Hailbronner, AuslR, Stand: August 2012, D 5.1, Art. 6 ARB 1/80 Rn. 46). Letztlich kommt es aber auf diese Frage hier nicht an. Folge einer assoziationsrechtlichen Rechtsstellung des Klägers wäre ein erhöhter Ausweisungsschutz (vgl. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80; Senatsurteil vom 16.04.2012 - 11 S 4/12 - juris m.w.N.). Wie sich aus dem Folgenden ergibt, erweist sich die Ausweisung auch dann als rechtswidrig und ist daher aufzuheben, wenn ihm dieser nicht zukäme.
29 
2. Allerdings sind die Tatbestandsvoraussetzungen einer "Ist-Ausweisung" nach § 53 Nr. 1 AufenthG gegeben. Danach wird ein Ausländer unter anderem dann ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das ist hier wegen der Verurteilung des Klägers durch das Landgericht Karlsruhe vom 30.06.2009 wegen Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten der Fall.
30 
3. Trotz Erfüllung des an sich zwingenden Ausweisungsgrundes des § 53 Nr. 1 AufenthG steht die Ausweisung des Klägers jedoch im Ermessen und ist deshalb nach § 55 AufenthG zu beurteilen. Der Kläger genießt unstreitig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz (a). Er darf daher gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Solche liegen gemäß § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 AufenthG, also auch hier, vor. Diesbezüglich ist auch nicht vom Vorliegen eines Ausnahmefalls auszugehen (b). Hier ist aber eine Ausnahme von der "Regelrechtsfolge" des § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG geboten, wonach der betreffende Ausländer bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 AufenthG "in der Regel" ausgewiesen wird. Über seine Ausweisung ist daher nach Ermessen zu entscheiden (c).
31 
a) § 56 Abs. 1 AufenthG ist aus zwei Gründen anzuwenden: Zum einen besitzt der Kläger eine Niederlassungserlaubnis und hält sich seit mehr als fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet auf (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG), zum anderen lebt er mit deutschen Familienangehörigen - seiner Ehefrau und seinen Kindern - in familiärer Lebensgemeinschaft (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG).
32 
b) Der danach für eine Ausweisung des Klägers erforderliche schwerwiegende Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG ist gegeben.
33 
Nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5, 5 bis 5b und 7 AufenthG vor. Diese gesetzliche Vermutung beruht darauf, dass bei Verwirklichung der genannten Ausweisungstatbestände regelmäßig das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Ausweisung des Ausländers erfordert und der vom Gesetz bezweckte Schutz des Ausländers dahinter zurückzutreten hat. Die Regelung enthält allerdings keine Automatik, sondern erfordert eine individuelle Prüfung im jeweiligen Einzelfall, ob nicht Besonderheiten vorliegen, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass - hier des § 53 AufenthG - als weniger gewichtig erscheinen lassen. Davon ist auszugehen, wenn im konkreten Fall weder die spezial- noch die generalpräventiven Ausweisungszwecke des betreffenden Ausweisungstatbestands in dem erforderlichen Ausmaß vorliegen (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, m.w.N.; vgl. auch Senatsurteil vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 02.07.2001 - 13 S 2326/99 - InfAuslR 2002, 72).
34 
Im Falle des Klägers ist zwar nicht mit Blick auf den spezialpräventiven Ausweisungszweck (aa), aber vor dem Hintergrund der zulässigen generalpräventiven Erwägungen ein schwerwiegender Ausweisungsgrund (bb) zu bejahen.
35 
aa) Zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kann nicht (mehr) davon ausgegangen werden, dass vom Kläger die Gefahr der Wiederholung erheblicher Straftaten ausgeht. Die Ausweisung kann daher nicht mehr auf spezialpräventive Gründe gestützt werden.
36 
Allerdings ist der Ausweisungsanlass - die vom Kläger begangene Straftat der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - besonders gravierend. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 - juris, vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris, vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3, und vom 03.08.2004 - 1 C 30.02 -InfAuslR 2005, 18), der sich der Senat anschließt (einschränkend noch Senatsurteile vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 - NVwZ-RR 2012, 492, und vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291), gelten bei Straftaten mit einer hervorgehobenen Bedeutung für die im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr eher geringere Anforderungen. In den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 AufenthG besteht auch eine gesetzliche Vermutung des Vorliegens eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes in § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG. Selbst wenn man danach einem differenzierten Wahrscheinlichkeitsmaßstab folgt, bedeutet dies aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O. m.w.N.). Dies gilt nicht nur bei der Prüfung der Wiederholungsgefahr bei Assoziationsberechtigten oder Unionsbürgern, sondern jedenfalls auch bei Ausländern, denen besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 AufenthG zusteht. Auch in diesen Fällen müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit von dem Betreffenden eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht. Lässt sich die Begehung weiterer Straftaten lediglich nicht ausschließen, ist eine dem besonderen Ausweisungsschutz Rechnung tragende erhöhte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung noch nicht gegeben, so dass auch der Ausweisungsgrund nicht schwer wiegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O., sowie - zu den entsprechenden Vorgängerregelungen des § 47 Abs. 1 AuslG 1990 bzw. § 11 Abs. 1 AuslG 1965 - Urteile vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 -InfAuslR 1997, 8, und vom 17.01.1989 - 1 C 46.86 - InfAuslR 1989, 152; Beschluss vom 10.02.1995 - 1 B 221.04 - InfAuslR 1995, 273, m.w.N.).
37 
Der Senat ist aufgrund der vorliegenden Akten und Unterlagen, insbesondere des von der Strafvollstreckungskammer im Verfahren auf Aussetzung der Reststrafe eingeholten, nachvollziehbaren und überzeugenden kriminalprognostischen Gutachtens vom 24.09.2011, sowie aufgrund der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass von diesem keine nennenswerte Gefahr der Wiederholung von entsprechenden Straftaten (mehr) ausgeht.
38 
Zu Lasten des Klägers sind in diesem Zusammenhang allerdings zunächst neben der Schwere des begangenen Delikts die konkreten Tatumstände zu berücksichtigen. Das Regierungspräsidium Karlsruhe hat in dem angefochtenen Bescheid zu Recht darauf hingewiesen, dass der Kläger zwar nicht der Haupttäter war, er jedoch als Inhaber des Wettbüros eine besondere Verantwortung für das Geschehen trug, und dass er über einen Zeitraum von über dreieinhalb Stunden an der Geiselnahme mitgewirkt hat, bei welcher durch eine menschenunwürdige Befragung unter Anwendung und Androhung von Gewalt der Versuch unternommen wurde, von der Angestellten N.G. ein Geständnis für den vermeintlich von dieser bzw. deren Freund begangenen Einbruch zu erhalten. Der Kläger war dabei auch nicht etwa nur passiv beteiligt, sondern unterstützte seine Mittäter aktiv. Bereits am Vorabend der Tat war verabredet worden, N.G. Ohrfeigen zu versetzen. Zwar nahm der Haupttäter B.A. die Schreckschusspistole ohne Wissen der anderen mit. Zum einen schritten sie aber nicht gegen B.A. ein, welcher den Eindruck erweckte, N.G. erschießen zu wollen. Zum anderen nutzten sie die dadurch bei N.G. entstandene Todesangst in der Folge weiter aus bei ihren Bemühungen, ein Geständnis zu erzwingen, und hielten diese aufrecht. Der Kläger hatte außerdem die Kellertür selbst verschlossen und versperrte mit seinen Füßen den Ausgang, so dass das Opfer keine Chance hatte, den Keller zu verlassen. Er beteiligte sich aktiv an Vorhaltungen und an den Forderungen, die Tat einzuräumen, wenngleich weniger intensiv als die Mitangeklagten B.A., Y.K. und E.G. Nachdem N.G. bereits mit der Schreckschusswaffe bedroht worden war und Todesangst litt, schaltete er auf Aufforderung des Haupttäters B.A. das Licht aus, so dass eine noch bedrohlichere Atmosphäre entstand. Später schlug er dem Haupttäter auf Türkisch vor, N.G. mit der Behauptung zusätzlich unter Druck zu setzen, man habe zwischenzeitlich ihren Freund mit einem Baseballschlager "zusammengeschlagen", woraufhin dieser gestanden hätte. Nachdem B.A. den Keller verlassen hatte, befragten der Kläger, Y.K. und T.K. das Opfer N.G. zunächst weiter, bevor sie diese freiließen. Der Kläger nahm damit massive körperliche und psychische Schädigungen der N.G. billigend in Kauf. Wenn auch er und die verbliebenen Mittäter in der Folge von einer weiteren Tatausführung absahen, weshalb das Strafgericht von einer tätigen Reue ausgegangen ist, teilt der Senat die Einschätzung des Regierungspräsidiums, dass die Tat und die Tatumstände für ein erhebliches Maß an krimineller Energie des Klägers sprechen. Es handelt sich um eine besonders gravierende und mit einer erschreckenden Härte und Mitleidlosigkeit begangene Straftat.
39 
Der Kläger hat sich zudem, abgesehen von mehreren Gesprächen mit einem Psychologen in der Justizvollzugsanstalt, nicht mit professioneller Hilfe mit der Tat und den Auswirkungen für das Opfer auseinandergesetzt. An der Tiefe der von ihm in der Vergangenheit in Gesprächen geäußerten Betroffenheit über das Geschehen sind nicht nur in den ersten Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt, sondern auch in dem kriminalprognostischen Gutachten vom 24.09.2011 Zweifel geäußert worden. In dem Gutachten heißt es, es bestehe der Eindruck, dass der Kläger insgesamt emotional stärker durch die Folgen der Tat für ihn und seine Familie als durch die Folgen für das Opfer betroffen sei. Auch habe er seinen eigenen Tatbeitrag im Rahmen der Begutachtung tendenziell eher heruntergespielt. Es hätten sich somit keine Hinweise für eine tiefergehende innere Auseinandersetzung mit der Tat, respektive mit dem eigenen Beitrag zum Tatgeschehen, gefunden. So habe dieser nicht plausibel und nachvollziehbar darlegen können, weshalb er sich in keiner erkennbaren Weise für das Opfer eingesetzt habe, obgleich er das Handeln seiner Mittäter missbilligt haben wolle. Die von ihm angeführte Begründung, dass er Angst davor gehabt hätte, der Mittäter B.A. könnte die Waffe gegen ihn selbst einsetzen, erscheine insgesamt wenig plausibel. Die fehlende Auseinandersetzung mit der Straftat und den in der eigenen Person liegenden diesbezüglich relevanten Einstellungen und Motiven wird von den Gutachtern daher in prognostischer Hinsicht als ungünstiger Faktor gewertet. Tatsächlich hat der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung nicht nachvollziehbar erklären können, wie es so weit hat kommen können, vor allem, warum er nicht irgendwann eingeschritten ist. Offensichtlich kann er sich das bis heute selbst nicht erklären. Den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung ließ sich aber eine - glaubhafte - starke Betroffenheit und Reue entnehmen. Dies wurde unter anderem deutlich, als er erläuterte, dass er sich vorgestellt habe, das Opfer wären seine Ehefrau oder seine Tochter gewesen, und dass ihm klar geworden sei, welche Folgen die Tat für N.G. habe. Abgesehen von dem bereits entrichteten Schmerzensgeld für N.G. würde er gerne alles unternehmen, damit es ihr besser gehe.
40 
Selbst wenn sich danach bis heute letztlich nicht erklären lässt, wie es zu einer solchen Straftat hat kommen können, und eine erschöpfende Auseinandersetzung mit der Tat fehlt, besteht beim Kläger nicht die Gefahr einer Wiederholung erheblicher Straftaten. Dabei ist zunächst zu bedenken, dass die Straftat inzwischen fast vier Jahre zurückliegt. Der Kläger war über drei Jahre lang in Untersuchungs- und Strafhaft, welche ihn erkennbar tief beeindruckt hat. Zuvor hat er sich - abgesehen von einem nicht einschlägigen und nicht mehr zu berücksichtigenden Straßenverkehrsdelikt im Jahr 1998 - über 10 Jahre lang straffrei und bis zur Übernahme des Wettbüros - dessen Beschäftige allerdings nicht alle ordnungsgemäß angemeldet gewesen seien - ohne Beanstandungen in Deutschland aufgehalten. Nach dem Gutachten vom 24.09.2011 finden sich keine Hinweise für Berührungspunkte mit "spezifisch delinquenznahem Milieu" und auch keine Hinweise für eine tiefer in der Persönlichkeit des Klägers verankerte delinquente Neigung, etwa eine dissoziale Akzentuierung in seiner Persönlichkeit. Anhaltspunkte für eine Sucht oder eine Bindung an ein entsprechendes Milieu liegen nicht vor. Vor allem lebte und lebt er in einer stabilen partnerschaftlichen Beziehung. Die Gutachter bescheinigen ihm, dass die von ihm bekundeten Sorgen um die Entwicklung der Familie und der Kinder nachvollziehbar und glaubhaft sind. In der mündlichen Verhandlung wurde deutlich, dass der Kläger tatsächlich einen starken Rückhalt durch seine Familie und weitere Verwandte hat. In Deutschland leben noch zwei seiner Brüder. Mit seiner Frau und seinen Kindern besucht er oft die Familie seiner Ehefrau, das heißt deren Eltern und Geschwister, oder einen seiner beiden Brüder, der ebenfalls in der Nähe wohnt. Seine Ehefrau, er und die Kinder unternehmen am Wochenende gemeinsame Ausflüge. Sie begleiten den Sohn, der Handball in der Verbandsliga spielt, zu dessen Spielen, gehen auf den Jahrmarkt, ins Kino, auf Messen oder zu Verwandtenbesuchen. Der Kläger ist dafür zuständig, seinen Kindern bei Hausaufgaben im Fach Mathematik zu helfen. Er hat glaubhaft erklärt, dass er sich jetzt nur noch um seine Familie kümmern wolle. Zu den früheren Mittätern oder deren Umfeld hat der Kläger keinerlei Kontakt mehr. Die danach bestehenden starken Bindungen des Klägers an seine Familie und sein soziales Umfeld wertet der Senat, ebenso wie die Gutachter, als prognostisch günstige Kriterien. Vor diesem Hintergrund erscheint die Befürchtung des Regierungspräsidiums, der Kläger könnte erneut in eine Situation geraten, in welcher besondere "situative Faktoren" wie die im kriminalprognostischen Gutachten beschriebenen - etwa das Eingebundensein in eine Tätergruppe mit freundschaftlichen Beziehungen und Loyalitäten und die Unterordnung unter eine dominant auftretende Persönlichkeit - zu einer ähnlichen Straftat mit Gewaltanwendung führen könnten, fernliegend.
41 
Soweit in den Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt mehrmals darauf hingewiesen wird, dass der Kläger versuche, eigene Anliegen hartnäckig durchzusetzen, lässt dies keinen negativen Schluss bezüglich der Gefahr der Wiederholung weiterer Straftaten zu. Jedenfalls wurden während seiner Haftzeit gegen ihn keine Disziplinarmaßnehmen verhängt und er arbeitete ohne Beanstandungen in Betrieben der Justizvollzugsanstalt. Zudem nahm er an einem Deutschkurs teil. Auch die Gutachter betonen, dass der Umstand, dass der Kläger seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse jeweils mit einem gewissen Nachdruck vorgetragen haben solle, nicht als prognoserelevanter Faktor verwertet werden könne. Sie kommen daher in ihrer zusammenfassenden Beurteilung zu dem Ergebnis, dass die weitgehend fehlende innere Auseinandersetzung des Klägers mit der Tat der einzige prognostisch ungünstige Faktor sei, welcher zusätzlich dadurch relativiert werde, dass die Tat nicht in hohem Maße in der Persönlichkeitsstruktur des Klägers verankert erscheine, sondern eng mit spezifischen situativen Konstellationen verknüpft gewesen sei. Die prognostisch günstigen Faktoren überwögen im Vergleich deutlich. In der Gesamtwürdigung sei somit trotz der mangelnden inneren Auseinandersetzung mit der Tat nicht mehr davon auszugehen, dass beim Kläger dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbestehe.
42 
Dieser Beurteilung schließt sich der Senat an. Die Einschätzung der Gutachter wurde auch von der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Karlsruhe im Beschluss über die Aussetzung der Reststrafe vom 21.12.2011 geteilt. Selbst wenn man davon ausgeht, dass entsprechenden strafgerichtlichen Entscheidungen wegen der unterschiedlichen Maßstäbe und Prognosezeitpunkte nur eingeschränkte Bedeutung bei der im Ausweisungsverfahren zu treffenden Prognoseentscheidung zukommt (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3; weitergehend allerdings bei Assoziationsberechtigten: Senatsurteil vom 07.03.2012 - 11 S 3269/11 - InfAuslR 2012, 203), so ist die Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe hier jedenfalls als wesentliches Indiz zu berücksichtigen. Die Strafvollstreckungskammer ist nach Einholung des kriminalprognostischen Gutachtens vom 24.09.2011 zum Ergebnis gekommen, dass eine vorzeitige Entlassung aus dem Strafvollzug verantwortet werden könne. Sie hat zur Begründung ebenfalls darauf verwiesen, dass der Kläger bis zu der Geiselnahme strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei und ein sozial voll integriertes Leben geführt habe. Der Anteil des Klägers an der verurteilten Straftat stelle sich, gerade bei den Gewalttätigkeiten, eher als gering dar. Der psychiatrische Sachverständige habe ausgeführt, die Tatsache, dass sich der Kläger mit der Tat allenfalls ansatzweise auseinandergesetzt habe, sei zwar als ungünstig zu beurteilen, im Hinblick auf die spezifische situative Konstellation bei der Tat und die im Übrigen festgestellte Eingebundenheit des Klägers seien aber mit hoher Wahrscheinlichkeit keine entsprechenden Taten zu erwarten. Der Kläger selbst habe in der mündlichen Anhörung auf die Strafvollstreckungskammer einen überaus positiven Eindruck gemacht. Sie sei daher davon überzeugt, dass es ihm mit der Hilfe und der Aufsicht eines Bewährungshelfers gelingen werden, künftig ein straffreies Leben zu führen, zumal er dabei sei, sich in einer anderen Berufssparte zu etablieren.
43 
Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung sind zudem weitere Umstände gegeben, die eine günstige Prognose rechtfertigen. Der Kläger hat sich seit der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer und der Haftentlassung vor fast einem Jahr weiter bewährt. Er hat keine Schulden mehr. Weil er zunächst Probleme hatte, eine bereits bestehende Fahrerlaubnis für LKW mit einem Gesamtgewicht von über 7,5 t ausgestellt zu bekommen, gelang es ihm zwar nicht sofort nach der Haftentlassung, eine Arbeitsstelle zu finden. Seit Juli 2012 ist er aber als Fahrer bei einer Firma in Karlsruhe angestellt. In einem Schreiben der Firma vom 28.09.2012 wird bestätigt, dass dieser gewissenhaft, zuverlässig und pünktlich sei; an einer Weiterbeschäftigung bestehe Interesse. Die Bewährungshelferin des Klägers äußert sich in einem Bericht vom 24.07.2012 insgesamt ebenfalls positiv. Sie bestätigt, dass sich der Kläger intensiv um einen Arbeitsplatz bemüht, diesen wegen der Probleme mit dem Führerschein aber zunächst nicht erhalten habe. Nach der Haftentlassung sei es ihm zunächst gesundheitlich nicht gut gegangen, er sei wegen einer Depression ärztlich behandelt worden und habe im Mai und Juni wegen Nierenschmerzen und Nierensteinen stationär behandelt werden müssen. An dem bisherigen Bewährungsverlauf sei insgesamt nichts zu beanstanden, der Kläger halte vereinbarte Termine regelmäßig ein, spreche bei auftauchenden Problemen auch ohne Termin vor. Zur Zeit genügt der Verdienst des Klägers - seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung nach inzwischen in Höhe von 800,- bis 1.200,-- EUR netto monatlich - zwar noch nicht zum Lebensunterhalt der Familie. Er und seine Ehefrau haben jedoch konkrete Pläne, mit Hilfe einer selbstständigen Tätigkeit wieder ohne staatliche Unterstützungen leben zu können. Der Kläger ist weiter nicht nur in seine eigene "Kernfamilie" eingebunden, sondern hat zudem regelmäßigen Kontakt zu seinen Schwiegereltern, seinem Bruder und anderen Verwandten.
44 
bb) Wenn danach auch davon auszugehen ist, dass mit Blick auf die spezialpräventiven Gesichtspunkte ein atypischer Sachverhalt vorliegt, mithin kein Regelfall des § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG gegeben ist, ist aber das Vorliegen eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes bezüglich der vom beklagten Land angeführten generalpräventiven Gesichtspunkte zu bejahen.
45 
Generalpräventiv motivierte Ausweisungen können - ausnahmsweise - auch bei Ausländern zulässig sein, denen besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 AufenthG zukommt, wenn eine besonders schwerwiegende Straftat vorliegt und deshalb ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über eine strafrechtliche Sanktion hinaus durch eine Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, Urteile 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, und vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 - InfAuslR 1997, 8). Bei der Entscheidung sind alle wesentlichen Umstände des Einzelfalls in die Beurteilung einzubeziehen. Das Gewicht der Straftat ist nicht abstrakt, sondern konkret nach den Umständen der Tatbegehung zu bestimmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 - a.a.O.).
46 
Nach diesen Grundsätzen kann die Ausweisung hier wegen der Art und Schwere der Straftat - der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - und der geschilderten konkreten, sich über mehrere Stunden hinziehenden Tatausführung auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden. Eine abschreckende Wirkung erscheint auch mit Blick darauf wichtig, dass es sich um einen Fall von besonders skrupelloser "Selbstjustiz" gehandelt hat. Schließlich war der Einbruch in das Wettbüro des Klägers vom 29.11.2008 bereits bei der Polizei angezeigt worden. Nach Bekanntwerden der Umstände, die aus Sicht des Klägers und der Mitangeklagten für eine Täterschaft der Angestellten N.G. bzw. ihres Freundes sprachen, hatte Y.K. noch am selben Abend die Polizei auch darüber informiert. Ausweislich der Feststellungen im Strafurteil vom 30.06.2009 hatte der Polizeibeamte, welcher aufgrund der vagen Verdächtigungen keinen Grund gesehen hatte, umgehend einzuschreiten, Y.K ausdrücklich davor gewarnt, eigene Aktionen zu unternehmen. Dies hatte Y.K dem Kläger berichtet. Trotzdem verabredeten Y.K., der Kläger und die weiteren Mittäter, N.G. zur Rede zu stellen, um - gegebenenfalls mit Hilfe von Ohrfeigen - ein Geständnis zu erzwingen, und begingen am nächsten Morgen die Straftat.
47 
c) Ist der die Ausweisung tragende Grund somit hinsichtlich der generalpräventiven Gesichtspunkte schwerwiegend, so ist der Kläger an sich gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG in der Regel auszuweisen, weil er den Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 1 AufenthG verwirklicht hat. Das Regierungspräsidium hat insoweit wegen der bestehenden familiären Lebensgemeinschaft des Klägers mit seiner deutschen Ehefrau und den vier deutschen Kindern allerdings zu Recht einen Ausnahmefall angenommen, der eine Abweichung von dieser Regel gebietet, und nach Ermessen entschieden.
48 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - InfAuslR 2008, 116, m.w.N.) ist von einem die Regel durchbrechenden Ausnahmefall bereits dann auszugehen, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falls erfordern. Es kann offen bleiben, ob dies bereits dann anzunehmen ist, wenn der Schutzbereich der betroffenen Grundrechte bzw. Menschenrechte, hier Art. 6 und Art. 2 GG bzw. Art. 8 EMRK, lediglich berührt ist oder ob bereits in diesem Zusammenhang die Feststellung eines qualifizierten Eingriffs erforderlich ist. Denn jedenfalls würde im Fall des Klägers wegen der bestehenden familiären Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Ehefrau und deutschen Kindern allein durch die Herabstufung von der "Ist-Ausweisung" zu einer "Regelausweisung" durch § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG dem besonderen Schutz der Familie durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK noch nicht hinreichend einzelfallbezogen Rechnung getragen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sind dann wesentlich konkreter und einzelfallbezogener neben allen ehelichen und familiären Umständen auch andere gewichtige persönlichen Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen und eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen (vgl. zu alledem auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - InfAuslR 2007, 443).
49 
4. Das danach dem Regierungspräsidium bei der Entscheidung über die Ausweisung zustehende und nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbare Ermessen ist hier von vornherein "auf Null reduziert", weil die mit einer Ausweisung verbundenen Folgen mit Blick auf die Schutzwirkungen von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK als unverhältnismäßig anzusehen sind.
50 
Bei der Entscheidung, ob eine im Ermessen der Ausländerbehörde stehende Ausweisung tatsächlich verfügt wird, sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die in § 55 Abs. 3 AufenthG aufgeführten, nämlich die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts, die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige oder Lebenspartner des Ausländer, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben, und die in § 60a Abs. 2 und 2b AufenthG genannten Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung. Dabei sind der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Grundrechte des Betroffenen zu beachten, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK, Art. 6 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG). Liegt ein Eingriff in diese Rechte vor, ist ohnehin eine einzelfallbezogene Würdigung und Abwägung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers unter Beachtung der insbesondere vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK entwickelten Kriterien vorzunehmen (BVerwG, Beschluss vom 10.02.2011 - 1 B 22.10 - Buchholz 402.242 § 56 AufenthG Nr. 5, m.w.N.; Urteil vom 22.10.2009 - 1 C 26.08 - InfAuslR 2010, 91). Dabei sind neben allen ehelichen und familiären Umständen auch andere gewichtige persönliche Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK darf eine Behörde in die Ausübung des Rechts aus Art. 8 Abs. 1 EMRK nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Die Frage, ob der durch eine Ausweisung bewirkte Eingriff im konkreten Einzelfall in diesem Sinne „notwendig“, insbesondere verhältnismäßig ist, ist anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist dabei von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen, den so genannten Boultif/Üner-Kriterien (vgl. zu den Kriterien im Einzelnen: EGMR, Urteile vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00, Boultif - InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99, Üner - NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/03, Maslov II - InfAuslR 2008, 333, vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05, Mutlag - InfAuslR 2010, 325, und vom 13.10.2011 - Nr. 41548/06, Trabelsi - juris). Erweisen sich danach die rechtlichen oder tatsächlichen Auswirkungen einer Ausweisung in Ansehung von Art. 6 Abs. 1 GG als unverhältnismäßig bzw. im Sinne des Art. 8 EMRK als "nicht notwendig", ist das Ermessen der Behörde mit der Folge "auf Null reduziert", dass eine Ausweisung des Betreffenden ausscheidet.
51 
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist eine Ausweisung des Klägers hier unzulässig. Der Kläger ist bereits seit 1996 mit seiner Ehefrau verheiratet, welche in Deutschland geboren ist und seit 1998 die deutsche Staatangehörigkeit besitzt. Mir ihr und den vier gemeinsamen, zwischen 4 und 15 Jahre alten Kindern, die ebenfalls Deutsche sind, lebt er in enger familiärer Lebensgemeinschaft. Diesem Umstand kommt eine erhebliche und weitreichende, durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK vermittelte Schutzwirkung zu, welche durch die deutsche Staatsangehörigkeit der Ehefrau und Kinder noch verstärkt wird (vgl. schon BVerwG, Urteile vom 03.05.1973 - I C 33.72 - BVerwGE 42, 133, vom 27.09.1978 - I C 79.76 - BVerwGE 56, 246, vom 17.01.1989 - 1 C 46.86 -InfAuslR 1989, 159; vgl. auch auch BVerfG, Beschluss vom 18.07.1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386; Kammerbeschlüsse vom 15.06.1993 - 2 BvR 900/93 - InfAuslR 1994, 311, und vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320). Dies wird auch nicht etwa durch den Umstand relativiert, dass die Ehefrau früher noch die türkische Staatsangehörigkeit hatte bzw. deren Eltern aus dem Heimatland des Klägers stammen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291, und vom 30.09.2009 - 13 S 440/09 -; HessVGH, Beschluss vom 15.07.2003 - 12 TG 1484/03 - InfAuslR 2003, 388). Insbesondere kann von der Ehefrau und den Kindern nicht verlangt werden, dass sie mit dem Kläger in die Türkei ausreisen.
52 
Die bestehenden tiefen Bindungen des Klägers zu seiner Familie werden belegt durch die vielen Besuche während seiner Haftzeit. Wie ausgeführt, hat der Kläger offensichtlich ein enges und intaktes Verhältnis zu seiner Ehefrau und seinen Kindern. Er übernimmt die Erziehung der Kinder gemeinsam mit seiner Ehefrau. In Anbetracht des jungen Alters der Kinder hätte eine - wenn auch nur vorübergehende - Trennung für diese ein besonderes Gewicht (vgl. zu Kindern in den ersten Lebensjahren BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320, und vom 01.12.2008 - 2 BvR 1830/08 -juris). Deren Belangen könnte daher auch durch eine Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf einen bestimmten - nicht zu langen - Zeitraum nicht hinreichend Rechnung getragen werden.
53 
Auf der anderen Seite ist das öffentliche Interesse einer Ausweisung hier gemindert, weil ungeachtet der Schwere der vom Kläger begangenen Straftat nicht mehr von einer relevanten Wiederholungsgefahr ausgegangen werden kann. Allein die generalpräventiven Erwägungen vermögen den mit einer Ausweisung verbundenen Eingriff in Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht zu rechtfertigen. Wie ausgeführt, ist zwar davon auszugehen, dass eine besonders schwerwiegende Straftat vorliegt und deshalb - grundsätzlich - ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über eine strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, Urteile 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, und vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 -InfAuslR 1997, 8). Dieses vermag aber in Anbetracht der konkreten Umstände des vorliegenden Falles den Eingriff in das Schutzgebot von Art. 6 Abs. 1 GG bzw. das Achtungsgebots des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht zu rechtfertigen. Dabei ist von besonderer Relevanz, dass die Tat annähernd vier Jahre zurückliegt und der Kläger seine Strafe verbüßt hat. Auch sind die bereits im Rahmen der Prüfung der Wiederholungsgefahr angeführten, für den Kläger sprechenden weiteren Umstände zu berücksichtigen, etwa dass er sich bereits seit 1996 rechtmäßig hier aufhält, zuvor - bis auf das Verkehrsdelikt - nie straffällig geworden war, außerdem dass er sich immer bemüht hat, ausreichend für seine Familie und sich zu sorgen und sich auch seit seiner Haftentlassung bewährt hat.
54 
Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass die Ausweisung des Klägers hier im Ergebnis selbst dann als unverhältnismäßig anzusehen ist, wenn man noch vom Bestehen einer geringen, aber die Erheblichkeitsschwelle übersteigenden Wiederholungsgefahr und damit dem Vorliegen spezialpräventiver Ausweisungsgründe ausginge. Denn aus den - zur Unverhältnismäßigkeit einer generalpräventiv motivierten Ausweisung - angeführten Gründen führt die danach erforderliche Abwägung ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die privaten Interessen des Klägers und seiner Familienangehörigen das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung überwiegen.
II.
55 
Unter diesen Umständen ist auch die im Bescheid vom 22.10.2010 verfügten Abschiebungsandrohung rechtswidrig und aufzuheben.
56 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
57 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
58 
Beschluss vom 23. Oktober 2012
59 
Der Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt (§§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG).
60 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
24 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht und ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 6 und Abs. 3 Satz 4 VwGO) Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 hat Erfolg. Die Anfechtungsklage des Klägers gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteile vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - InfAuslR 2008, 156, und vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris) begründet. Die darin unter Ziffer 1 verfügte Ausweisung und die Abschiebungsandrohung unter Ziffern 2 und 3 sind rechtswidrig und verletzen dadurch den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Einer Entscheidung über den vom Kläger im Berufungsverfahren lediglich hilfsweise gestellten Antrag auf Verpflichtung des beklagten Landes zur Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 bezeichneten Wirkungen der Ausweisung "auf sofort" (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O.) bedarf es daher nicht.
I.
25 
Die auf §§ 53 Nr. 1, 56 Abs. 1, 55 AufenthG beruhende (dazu unter 1. und 2.) Ausweisung des Klägers, die hier im Ermessen des beklagten Landes steht (3.), ist mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz rechtswidrig (4.).
26 
1. Maßgebliche Rechtsgrundlage sind die §§ 53 Nr. 1, 56 Abs. 1, 55 AufenthG.
27 
Insbesondere sind nicht etwa allein wegen des Umstands, dass die Ehefrau und die Kinder des Klägers deutsche Staatsangehörige sind, besondere unionsrechtliche Anforderungen zu beachten (vgl. hierzu EuGH, Urteile vom 05.05.2011 - Rs. C-434/09, McCarthy - InfAuslR 2011, 268, und vom 15.11.2011 - Rs. C-256/11, Dereci - InfAuslR 2012, 47; Senatsurteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 - NVwZ-RR 2012, 412).
28 
Eine nur beschränkte Anwendbarkeit der Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG folgt hier auch nicht aus dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: ARB 1/80; vgl. insbesondere Art. 14 ARB 1/80). Eine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80 hat der Kläger nicht erworben, weil seine Ehefrau vor Ablauf von drei Jahren nach Zuzug des Klägers eingebürgert wurde und die türkische Staatsangehörigkeit aufgegeben hat (vgl. dazu Renner, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 4 Rn. 156 m.w.N.). Ob er jemals die Voraussetzungen des - hier allein in Betracht kommenden - 2. Spiegelstrichs des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erfüllt hat, kann offen bleiben. Denn er hat eine eventuelle Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 durch die spätere Aufnahme selbstständiger Tätigkeiten, zuletzt den Betrieb des Wettbüros - aufgrund dessen der Kläger jedenfalls dem Arbeitsmarkt auf unabsehbare Zeit nicht mehr zur Verfügung stand - verloren (streitig, ebenso: Hess. VGH, Urteil vom 09.02.2004 - 12 TG 3548/03 - InfAuslR 2004, 230; Bayer. VGH, Urteil vom 26.03.2007 - 24 BV 03.2091 - juris; vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18.10.2006 - 13 S 192/06 - InfAuslR 2007, 49; a.A. VG Stuttgart, Urteil vom 23.05.2011 - 11 K 2967/10 - juris; vgl. zum Streitstand GK-AufenthG, Stand: September 2012, IX - 1 Art. 6 Rn. 238 f.; Hailbronner, AuslR, Stand: August 2012, D 5.1, Art. 6 ARB 1/80 Rn. 46). Letztlich kommt es aber auf diese Frage hier nicht an. Folge einer assoziationsrechtlichen Rechtsstellung des Klägers wäre ein erhöhter Ausweisungsschutz (vgl. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80; Senatsurteil vom 16.04.2012 - 11 S 4/12 - juris m.w.N.). Wie sich aus dem Folgenden ergibt, erweist sich die Ausweisung auch dann als rechtswidrig und ist daher aufzuheben, wenn ihm dieser nicht zukäme.
29 
2. Allerdings sind die Tatbestandsvoraussetzungen einer "Ist-Ausweisung" nach § 53 Nr. 1 AufenthG gegeben. Danach wird ein Ausländer unter anderem dann ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das ist hier wegen der Verurteilung des Klägers durch das Landgericht Karlsruhe vom 30.06.2009 wegen Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten der Fall.
30 
3. Trotz Erfüllung des an sich zwingenden Ausweisungsgrundes des § 53 Nr. 1 AufenthG steht die Ausweisung des Klägers jedoch im Ermessen und ist deshalb nach § 55 AufenthG zu beurteilen. Der Kläger genießt unstreitig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz (a). Er darf daher gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Solche liegen gemäß § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 AufenthG, also auch hier, vor. Diesbezüglich ist auch nicht vom Vorliegen eines Ausnahmefalls auszugehen (b). Hier ist aber eine Ausnahme von der "Regelrechtsfolge" des § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG geboten, wonach der betreffende Ausländer bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 AufenthG "in der Regel" ausgewiesen wird. Über seine Ausweisung ist daher nach Ermessen zu entscheiden (c).
31 
a) § 56 Abs. 1 AufenthG ist aus zwei Gründen anzuwenden: Zum einen besitzt der Kläger eine Niederlassungserlaubnis und hält sich seit mehr als fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet auf (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG), zum anderen lebt er mit deutschen Familienangehörigen - seiner Ehefrau und seinen Kindern - in familiärer Lebensgemeinschaft (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG).
32 
b) Der danach für eine Ausweisung des Klägers erforderliche schwerwiegende Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG ist gegeben.
33 
Nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5, 5 bis 5b und 7 AufenthG vor. Diese gesetzliche Vermutung beruht darauf, dass bei Verwirklichung der genannten Ausweisungstatbestände regelmäßig das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Ausweisung des Ausländers erfordert und der vom Gesetz bezweckte Schutz des Ausländers dahinter zurückzutreten hat. Die Regelung enthält allerdings keine Automatik, sondern erfordert eine individuelle Prüfung im jeweiligen Einzelfall, ob nicht Besonderheiten vorliegen, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass - hier des § 53 AufenthG - als weniger gewichtig erscheinen lassen. Davon ist auszugehen, wenn im konkreten Fall weder die spezial- noch die generalpräventiven Ausweisungszwecke des betreffenden Ausweisungstatbestands in dem erforderlichen Ausmaß vorliegen (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, m.w.N.; vgl. auch Senatsurteil vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 02.07.2001 - 13 S 2326/99 - InfAuslR 2002, 72).
34 
Im Falle des Klägers ist zwar nicht mit Blick auf den spezialpräventiven Ausweisungszweck (aa), aber vor dem Hintergrund der zulässigen generalpräventiven Erwägungen ein schwerwiegender Ausweisungsgrund (bb) zu bejahen.
35 
aa) Zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kann nicht (mehr) davon ausgegangen werden, dass vom Kläger die Gefahr der Wiederholung erheblicher Straftaten ausgeht. Die Ausweisung kann daher nicht mehr auf spezialpräventive Gründe gestützt werden.
36 
Allerdings ist der Ausweisungsanlass - die vom Kläger begangene Straftat der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - besonders gravierend. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 - juris, vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris, vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3, und vom 03.08.2004 - 1 C 30.02 -InfAuslR 2005, 18), der sich der Senat anschließt (einschränkend noch Senatsurteile vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 - NVwZ-RR 2012, 492, und vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291), gelten bei Straftaten mit einer hervorgehobenen Bedeutung für die im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr eher geringere Anforderungen. In den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 AufenthG besteht auch eine gesetzliche Vermutung des Vorliegens eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes in § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG. Selbst wenn man danach einem differenzierten Wahrscheinlichkeitsmaßstab folgt, bedeutet dies aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O. m.w.N.). Dies gilt nicht nur bei der Prüfung der Wiederholungsgefahr bei Assoziationsberechtigten oder Unionsbürgern, sondern jedenfalls auch bei Ausländern, denen besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 AufenthG zusteht. Auch in diesen Fällen müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit von dem Betreffenden eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht. Lässt sich die Begehung weiterer Straftaten lediglich nicht ausschließen, ist eine dem besonderen Ausweisungsschutz Rechnung tragende erhöhte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung noch nicht gegeben, so dass auch der Ausweisungsgrund nicht schwer wiegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O., sowie - zu den entsprechenden Vorgängerregelungen des § 47 Abs. 1 AuslG 1990 bzw. § 11 Abs. 1 AuslG 1965 - Urteile vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 -InfAuslR 1997, 8, und vom 17.01.1989 - 1 C 46.86 - InfAuslR 1989, 152; Beschluss vom 10.02.1995 - 1 B 221.04 - InfAuslR 1995, 273, m.w.N.).
37 
Der Senat ist aufgrund der vorliegenden Akten und Unterlagen, insbesondere des von der Strafvollstreckungskammer im Verfahren auf Aussetzung der Reststrafe eingeholten, nachvollziehbaren und überzeugenden kriminalprognostischen Gutachtens vom 24.09.2011, sowie aufgrund der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass von diesem keine nennenswerte Gefahr der Wiederholung von entsprechenden Straftaten (mehr) ausgeht.
38 
Zu Lasten des Klägers sind in diesem Zusammenhang allerdings zunächst neben der Schwere des begangenen Delikts die konkreten Tatumstände zu berücksichtigen. Das Regierungspräsidium Karlsruhe hat in dem angefochtenen Bescheid zu Recht darauf hingewiesen, dass der Kläger zwar nicht der Haupttäter war, er jedoch als Inhaber des Wettbüros eine besondere Verantwortung für das Geschehen trug, und dass er über einen Zeitraum von über dreieinhalb Stunden an der Geiselnahme mitgewirkt hat, bei welcher durch eine menschenunwürdige Befragung unter Anwendung und Androhung von Gewalt der Versuch unternommen wurde, von der Angestellten N.G. ein Geständnis für den vermeintlich von dieser bzw. deren Freund begangenen Einbruch zu erhalten. Der Kläger war dabei auch nicht etwa nur passiv beteiligt, sondern unterstützte seine Mittäter aktiv. Bereits am Vorabend der Tat war verabredet worden, N.G. Ohrfeigen zu versetzen. Zwar nahm der Haupttäter B.A. die Schreckschusspistole ohne Wissen der anderen mit. Zum einen schritten sie aber nicht gegen B.A. ein, welcher den Eindruck erweckte, N.G. erschießen zu wollen. Zum anderen nutzten sie die dadurch bei N.G. entstandene Todesangst in der Folge weiter aus bei ihren Bemühungen, ein Geständnis zu erzwingen, und hielten diese aufrecht. Der Kläger hatte außerdem die Kellertür selbst verschlossen und versperrte mit seinen Füßen den Ausgang, so dass das Opfer keine Chance hatte, den Keller zu verlassen. Er beteiligte sich aktiv an Vorhaltungen und an den Forderungen, die Tat einzuräumen, wenngleich weniger intensiv als die Mitangeklagten B.A., Y.K. und E.G. Nachdem N.G. bereits mit der Schreckschusswaffe bedroht worden war und Todesangst litt, schaltete er auf Aufforderung des Haupttäters B.A. das Licht aus, so dass eine noch bedrohlichere Atmosphäre entstand. Später schlug er dem Haupttäter auf Türkisch vor, N.G. mit der Behauptung zusätzlich unter Druck zu setzen, man habe zwischenzeitlich ihren Freund mit einem Baseballschlager "zusammengeschlagen", woraufhin dieser gestanden hätte. Nachdem B.A. den Keller verlassen hatte, befragten der Kläger, Y.K. und T.K. das Opfer N.G. zunächst weiter, bevor sie diese freiließen. Der Kläger nahm damit massive körperliche und psychische Schädigungen der N.G. billigend in Kauf. Wenn auch er und die verbliebenen Mittäter in der Folge von einer weiteren Tatausführung absahen, weshalb das Strafgericht von einer tätigen Reue ausgegangen ist, teilt der Senat die Einschätzung des Regierungspräsidiums, dass die Tat und die Tatumstände für ein erhebliches Maß an krimineller Energie des Klägers sprechen. Es handelt sich um eine besonders gravierende und mit einer erschreckenden Härte und Mitleidlosigkeit begangene Straftat.
39 
Der Kläger hat sich zudem, abgesehen von mehreren Gesprächen mit einem Psychologen in der Justizvollzugsanstalt, nicht mit professioneller Hilfe mit der Tat und den Auswirkungen für das Opfer auseinandergesetzt. An der Tiefe der von ihm in der Vergangenheit in Gesprächen geäußerten Betroffenheit über das Geschehen sind nicht nur in den ersten Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt, sondern auch in dem kriminalprognostischen Gutachten vom 24.09.2011 Zweifel geäußert worden. In dem Gutachten heißt es, es bestehe der Eindruck, dass der Kläger insgesamt emotional stärker durch die Folgen der Tat für ihn und seine Familie als durch die Folgen für das Opfer betroffen sei. Auch habe er seinen eigenen Tatbeitrag im Rahmen der Begutachtung tendenziell eher heruntergespielt. Es hätten sich somit keine Hinweise für eine tiefergehende innere Auseinandersetzung mit der Tat, respektive mit dem eigenen Beitrag zum Tatgeschehen, gefunden. So habe dieser nicht plausibel und nachvollziehbar darlegen können, weshalb er sich in keiner erkennbaren Weise für das Opfer eingesetzt habe, obgleich er das Handeln seiner Mittäter missbilligt haben wolle. Die von ihm angeführte Begründung, dass er Angst davor gehabt hätte, der Mittäter B.A. könnte die Waffe gegen ihn selbst einsetzen, erscheine insgesamt wenig plausibel. Die fehlende Auseinandersetzung mit der Straftat und den in der eigenen Person liegenden diesbezüglich relevanten Einstellungen und Motiven wird von den Gutachtern daher in prognostischer Hinsicht als ungünstiger Faktor gewertet. Tatsächlich hat der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung nicht nachvollziehbar erklären können, wie es so weit hat kommen können, vor allem, warum er nicht irgendwann eingeschritten ist. Offensichtlich kann er sich das bis heute selbst nicht erklären. Den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung ließ sich aber eine - glaubhafte - starke Betroffenheit und Reue entnehmen. Dies wurde unter anderem deutlich, als er erläuterte, dass er sich vorgestellt habe, das Opfer wären seine Ehefrau oder seine Tochter gewesen, und dass ihm klar geworden sei, welche Folgen die Tat für N.G. habe. Abgesehen von dem bereits entrichteten Schmerzensgeld für N.G. würde er gerne alles unternehmen, damit es ihr besser gehe.
40 
Selbst wenn sich danach bis heute letztlich nicht erklären lässt, wie es zu einer solchen Straftat hat kommen können, und eine erschöpfende Auseinandersetzung mit der Tat fehlt, besteht beim Kläger nicht die Gefahr einer Wiederholung erheblicher Straftaten. Dabei ist zunächst zu bedenken, dass die Straftat inzwischen fast vier Jahre zurückliegt. Der Kläger war über drei Jahre lang in Untersuchungs- und Strafhaft, welche ihn erkennbar tief beeindruckt hat. Zuvor hat er sich - abgesehen von einem nicht einschlägigen und nicht mehr zu berücksichtigenden Straßenverkehrsdelikt im Jahr 1998 - über 10 Jahre lang straffrei und bis zur Übernahme des Wettbüros - dessen Beschäftige allerdings nicht alle ordnungsgemäß angemeldet gewesen seien - ohne Beanstandungen in Deutschland aufgehalten. Nach dem Gutachten vom 24.09.2011 finden sich keine Hinweise für Berührungspunkte mit "spezifisch delinquenznahem Milieu" und auch keine Hinweise für eine tiefer in der Persönlichkeit des Klägers verankerte delinquente Neigung, etwa eine dissoziale Akzentuierung in seiner Persönlichkeit. Anhaltspunkte für eine Sucht oder eine Bindung an ein entsprechendes Milieu liegen nicht vor. Vor allem lebte und lebt er in einer stabilen partnerschaftlichen Beziehung. Die Gutachter bescheinigen ihm, dass die von ihm bekundeten Sorgen um die Entwicklung der Familie und der Kinder nachvollziehbar und glaubhaft sind. In der mündlichen Verhandlung wurde deutlich, dass der Kläger tatsächlich einen starken Rückhalt durch seine Familie und weitere Verwandte hat. In Deutschland leben noch zwei seiner Brüder. Mit seiner Frau und seinen Kindern besucht er oft die Familie seiner Ehefrau, das heißt deren Eltern und Geschwister, oder einen seiner beiden Brüder, der ebenfalls in der Nähe wohnt. Seine Ehefrau, er und die Kinder unternehmen am Wochenende gemeinsame Ausflüge. Sie begleiten den Sohn, der Handball in der Verbandsliga spielt, zu dessen Spielen, gehen auf den Jahrmarkt, ins Kino, auf Messen oder zu Verwandtenbesuchen. Der Kläger ist dafür zuständig, seinen Kindern bei Hausaufgaben im Fach Mathematik zu helfen. Er hat glaubhaft erklärt, dass er sich jetzt nur noch um seine Familie kümmern wolle. Zu den früheren Mittätern oder deren Umfeld hat der Kläger keinerlei Kontakt mehr. Die danach bestehenden starken Bindungen des Klägers an seine Familie und sein soziales Umfeld wertet der Senat, ebenso wie die Gutachter, als prognostisch günstige Kriterien. Vor diesem Hintergrund erscheint die Befürchtung des Regierungspräsidiums, der Kläger könnte erneut in eine Situation geraten, in welcher besondere "situative Faktoren" wie die im kriminalprognostischen Gutachten beschriebenen - etwa das Eingebundensein in eine Tätergruppe mit freundschaftlichen Beziehungen und Loyalitäten und die Unterordnung unter eine dominant auftretende Persönlichkeit - zu einer ähnlichen Straftat mit Gewaltanwendung führen könnten, fernliegend.
41 
Soweit in den Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt mehrmals darauf hingewiesen wird, dass der Kläger versuche, eigene Anliegen hartnäckig durchzusetzen, lässt dies keinen negativen Schluss bezüglich der Gefahr der Wiederholung weiterer Straftaten zu. Jedenfalls wurden während seiner Haftzeit gegen ihn keine Disziplinarmaßnehmen verhängt und er arbeitete ohne Beanstandungen in Betrieben der Justizvollzugsanstalt. Zudem nahm er an einem Deutschkurs teil. Auch die Gutachter betonen, dass der Umstand, dass der Kläger seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse jeweils mit einem gewissen Nachdruck vorgetragen haben solle, nicht als prognoserelevanter Faktor verwertet werden könne. Sie kommen daher in ihrer zusammenfassenden Beurteilung zu dem Ergebnis, dass die weitgehend fehlende innere Auseinandersetzung des Klägers mit der Tat der einzige prognostisch ungünstige Faktor sei, welcher zusätzlich dadurch relativiert werde, dass die Tat nicht in hohem Maße in der Persönlichkeitsstruktur des Klägers verankert erscheine, sondern eng mit spezifischen situativen Konstellationen verknüpft gewesen sei. Die prognostisch günstigen Faktoren überwögen im Vergleich deutlich. In der Gesamtwürdigung sei somit trotz der mangelnden inneren Auseinandersetzung mit der Tat nicht mehr davon auszugehen, dass beim Kläger dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbestehe.
42 
Dieser Beurteilung schließt sich der Senat an. Die Einschätzung der Gutachter wurde auch von der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Karlsruhe im Beschluss über die Aussetzung der Reststrafe vom 21.12.2011 geteilt. Selbst wenn man davon ausgeht, dass entsprechenden strafgerichtlichen Entscheidungen wegen der unterschiedlichen Maßstäbe und Prognosezeitpunkte nur eingeschränkte Bedeutung bei der im Ausweisungsverfahren zu treffenden Prognoseentscheidung zukommt (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3; weitergehend allerdings bei Assoziationsberechtigten: Senatsurteil vom 07.03.2012 - 11 S 3269/11 - InfAuslR 2012, 203), so ist die Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe hier jedenfalls als wesentliches Indiz zu berücksichtigen. Die Strafvollstreckungskammer ist nach Einholung des kriminalprognostischen Gutachtens vom 24.09.2011 zum Ergebnis gekommen, dass eine vorzeitige Entlassung aus dem Strafvollzug verantwortet werden könne. Sie hat zur Begründung ebenfalls darauf verwiesen, dass der Kläger bis zu der Geiselnahme strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei und ein sozial voll integriertes Leben geführt habe. Der Anteil des Klägers an der verurteilten Straftat stelle sich, gerade bei den Gewalttätigkeiten, eher als gering dar. Der psychiatrische Sachverständige habe ausgeführt, die Tatsache, dass sich der Kläger mit der Tat allenfalls ansatzweise auseinandergesetzt habe, sei zwar als ungünstig zu beurteilen, im Hinblick auf die spezifische situative Konstellation bei der Tat und die im Übrigen festgestellte Eingebundenheit des Klägers seien aber mit hoher Wahrscheinlichkeit keine entsprechenden Taten zu erwarten. Der Kläger selbst habe in der mündlichen Anhörung auf die Strafvollstreckungskammer einen überaus positiven Eindruck gemacht. Sie sei daher davon überzeugt, dass es ihm mit der Hilfe und der Aufsicht eines Bewährungshelfers gelingen werden, künftig ein straffreies Leben zu führen, zumal er dabei sei, sich in einer anderen Berufssparte zu etablieren.
43 
Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung sind zudem weitere Umstände gegeben, die eine günstige Prognose rechtfertigen. Der Kläger hat sich seit der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer und der Haftentlassung vor fast einem Jahr weiter bewährt. Er hat keine Schulden mehr. Weil er zunächst Probleme hatte, eine bereits bestehende Fahrerlaubnis für LKW mit einem Gesamtgewicht von über 7,5 t ausgestellt zu bekommen, gelang es ihm zwar nicht sofort nach der Haftentlassung, eine Arbeitsstelle zu finden. Seit Juli 2012 ist er aber als Fahrer bei einer Firma in Karlsruhe angestellt. In einem Schreiben der Firma vom 28.09.2012 wird bestätigt, dass dieser gewissenhaft, zuverlässig und pünktlich sei; an einer Weiterbeschäftigung bestehe Interesse. Die Bewährungshelferin des Klägers äußert sich in einem Bericht vom 24.07.2012 insgesamt ebenfalls positiv. Sie bestätigt, dass sich der Kläger intensiv um einen Arbeitsplatz bemüht, diesen wegen der Probleme mit dem Führerschein aber zunächst nicht erhalten habe. Nach der Haftentlassung sei es ihm zunächst gesundheitlich nicht gut gegangen, er sei wegen einer Depression ärztlich behandelt worden und habe im Mai und Juni wegen Nierenschmerzen und Nierensteinen stationär behandelt werden müssen. An dem bisherigen Bewährungsverlauf sei insgesamt nichts zu beanstanden, der Kläger halte vereinbarte Termine regelmäßig ein, spreche bei auftauchenden Problemen auch ohne Termin vor. Zur Zeit genügt der Verdienst des Klägers - seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung nach inzwischen in Höhe von 800,- bis 1.200,-- EUR netto monatlich - zwar noch nicht zum Lebensunterhalt der Familie. Er und seine Ehefrau haben jedoch konkrete Pläne, mit Hilfe einer selbstständigen Tätigkeit wieder ohne staatliche Unterstützungen leben zu können. Der Kläger ist weiter nicht nur in seine eigene "Kernfamilie" eingebunden, sondern hat zudem regelmäßigen Kontakt zu seinen Schwiegereltern, seinem Bruder und anderen Verwandten.
44 
bb) Wenn danach auch davon auszugehen ist, dass mit Blick auf die spezialpräventiven Gesichtspunkte ein atypischer Sachverhalt vorliegt, mithin kein Regelfall des § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG gegeben ist, ist aber das Vorliegen eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes bezüglich der vom beklagten Land angeführten generalpräventiven Gesichtspunkte zu bejahen.
45 
Generalpräventiv motivierte Ausweisungen können - ausnahmsweise - auch bei Ausländern zulässig sein, denen besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 AufenthG zukommt, wenn eine besonders schwerwiegende Straftat vorliegt und deshalb ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über eine strafrechtliche Sanktion hinaus durch eine Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, Urteile 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, und vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 - InfAuslR 1997, 8). Bei der Entscheidung sind alle wesentlichen Umstände des Einzelfalls in die Beurteilung einzubeziehen. Das Gewicht der Straftat ist nicht abstrakt, sondern konkret nach den Umständen der Tatbegehung zu bestimmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 - a.a.O.).
46 
Nach diesen Grundsätzen kann die Ausweisung hier wegen der Art und Schwere der Straftat - der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - und der geschilderten konkreten, sich über mehrere Stunden hinziehenden Tatausführung auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden. Eine abschreckende Wirkung erscheint auch mit Blick darauf wichtig, dass es sich um einen Fall von besonders skrupelloser "Selbstjustiz" gehandelt hat. Schließlich war der Einbruch in das Wettbüro des Klägers vom 29.11.2008 bereits bei der Polizei angezeigt worden. Nach Bekanntwerden der Umstände, die aus Sicht des Klägers und der Mitangeklagten für eine Täterschaft der Angestellten N.G. bzw. ihres Freundes sprachen, hatte Y.K. noch am selben Abend die Polizei auch darüber informiert. Ausweislich der Feststellungen im Strafurteil vom 30.06.2009 hatte der Polizeibeamte, welcher aufgrund der vagen Verdächtigungen keinen Grund gesehen hatte, umgehend einzuschreiten, Y.K ausdrücklich davor gewarnt, eigene Aktionen zu unternehmen. Dies hatte Y.K dem Kläger berichtet. Trotzdem verabredeten Y.K., der Kläger und die weiteren Mittäter, N.G. zur Rede zu stellen, um - gegebenenfalls mit Hilfe von Ohrfeigen - ein Geständnis zu erzwingen, und begingen am nächsten Morgen die Straftat.
47 
c) Ist der die Ausweisung tragende Grund somit hinsichtlich der generalpräventiven Gesichtspunkte schwerwiegend, so ist der Kläger an sich gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG in der Regel auszuweisen, weil er den Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 1 AufenthG verwirklicht hat. Das Regierungspräsidium hat insoweit wegen der bestehenden familiären Lebensgemeinschaft des Klägers mit seiner deutschen Ehefrau und den vier deutschen Kindern allerdings zu Recht einen Ausnahmefall angenommen, der eine Abweichung von dieser Regel gebietet, und nach Ermessen entschieden.
48 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - InfAuslR 2008, 116, m.w.N.) ist von einem die Regel durchbrechenden Ausnahmefall bereits dann auszugehen, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falls erfordern. Es kann offen bleiben, ob dies bereits dann anzunehmen ist, wenn der Schutzbereich der betroffenen Grundrechte bzw. Menschenrechte, hier Art. 6 und Art. 2 GG bzw. Art. 8 EMRK, lediglich berührt ist oder ob bereits in diesem Zusammenhang die Feststellung eines qualifizierten Eingriffs erforderlich ist. Denn jedenfalls würde im Fall des Klägers wegen der bestehenden familiären Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Ehefrau und deutschen Kindern allein durch die Herabstufung von der "Ist-Ausweisung" zu einer "Regelausweisung" durch § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG dem besonderen Schutz der Familie durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK noch nicht hinreichend einzelfallbezogen Rechnung getragen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sind dann wesentlich konkreter und einzelfallbezogener neben allen ehelichen und familiären Umständen auch andere gewichtige persönlichen Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen und eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen (vgl. zu alledem auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - InfAuslR 2007, 443).
49 
4. Das danach dem Regierungspräsidium bei der Entscheidung über die Ausweisung zustehende und nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbare Ermessen ist hier von vornherein "auf Null reduziert", weil die mit einer Ausweisung verbundenen Folgen mit Blick auf die Schutzwirkungen von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK als unverhältnismäßig anzusehen sind.
50 
Bei der Entscheidung, ob eine im Ermessen der Ausländerbehörde stehende Ausweisung tatsächlich verfügt wird, sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die in § 55 Abs. 3 AufenthG aufgeführten, nämlich die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts, die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige oder Lebenspartner des Ausländer, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben, und die in § 60a Abs. 2 und 2b AufenthG genannten Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung. Dabei sind der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Grundrechte des Betroffenen zu beachten, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK, Art. 6 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG). Liegt ein Eingriff in diese Rechte vor, ist ohnehin eine einzelfallbezogene Würdigung und Abwägung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers unter Beachtung der insbesondere vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK entwickelten Kriterien vorzunehmen (BVerwG, Beschluss vom 10.02.2011 - 1 B 22.10 - Buchholz 402.242 § 56 AufenthG Nr. 5, m.w.N.; Urteil vom 22.10.2009 - 1 C 26.08 - InfAuslR 2010, 91). Dabei sind neben allen ehelichen und familiären Umständen auch andere gewichtige persönliche Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK darf eine Behörde in die Ausübung des Rechts aus Art. 8 Abs. 1 EMRK nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Die Frage, ob der durch eine Ausweisung bewirkte Eingriff im konkreten Einzelfall in diesem Sinne „notwendig“, insbesondere verhältnismäßig ist, ist anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist dabei von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen, den so genannten Boultif/Üner-Kriterien (vgl. zu den Kriterien im Einzelnen: EGMR, Urteile vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00, Boultif - InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99, Üner - NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/03, Maslov II - InfAuslR 2008, 333, vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05, Mutlag - InfAuslR 2010, 325, und vom 13.10.2011 - Nr. 41548/06, Trabelsi - juris). Erweisen sich danach die rechtlichen oder tatsächlichen Auswirkungen einer Ausweisung in Ansehung von Art. 6 Abs. 1 GG als unverhältnismäßig bzw. im Sinne des Art. 8 EMRK als "nicht notwendig", ist das Ermessen der Behörde mit der Folge "auf Null reduziert", dass eine Ausweisung des Betreffenden ausscheidet.
51 
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist eine Ausweisung des Klägers hier unzulässig. Der Kläger ist bereits seit 1996 mit seiner Ehefrau verheiratet, welche in Deutschland geboren ist und seit 1998 die deutsche Staatangehörigkeit besitzt. Mir ihr und den vier gemeinsamen, zwischen 4 und 15 Jahre alten Kindern, die ebenfalls Deutsche sind, lebt er in enger familiärer Lebensgemeinschaft. Diesem Umstand kommt eine erhebliche und weitreichende, durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK vermittelte Schutzwirkung zu, welche durch die deutsche Staatsangehörigkeit der Ehefrau und Kinder noch verstärkt wird (vgl. schon BVerwG, Urteile vom 03.05.1973 - I C 33.72 - BVerwGE 42, 133, vom 27.09.1978 - I C 79.76 - BVerwGE 56, 246, vom 17.01.1989 - 1 C 46.86 -InfAuslR 1989, 159; vgl. auch auch BVerfG, Beschluss vom 18.07.1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386; Kammerbeschlüsse vom 15.06.1993 - 2 BvR 900/93 - InfAuslR 1994, 311, und vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320). Dies wird auch nicht etwa durch den Umstand relativiert, dass die Ehefrau früher noch die türkische Staatsangehörigkeit hatte bzw. deren Eltern aus dem Heimatland des Klägers stammen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291, und vom 30.09.2009 - 13 S 440/09 -; HessVGH, Beschluss vom 15.07.2003 - 12 TG 1484/03 - InfAuslR 2003, 388). Insbesondere kann von der Ehefrau und den Kindern nicht verlangt werden, dass sie mit dem Kläger in die Türkei ausreisen.
52 
Die bestehenden tiefen Bindungen des Klägers zu seiner Familie werden belegt durch die vielen Besuche während seiner Haftzeit. Wie ausgeführt, hat der Kläger offensichtlich ein enges und intaktes Verhältnis zu seiner Ehefrau und seinen Kindern. Er übernimmt die Erziehung der Kinder gemeinsam mit seiner Ehefrau. In Anbetracht des jungen Alters der Kinder hätte eine - wenn auch nur vorübergehende - Trennung für diese ein besonderes Gewicht (vgl. zu Kindern in den ersten Lebensjahren BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320, und vom 01.12.2008 - 2 BvR 1830/08 -juris). Deren Belangen könnte daher auch durch eine Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf einen bestimmten - nicht zu langen - Zeitraum nicht hinreichend Rechnung getragen werden.
53 
Auf der anderen Seite ist das öffentliche Interesse einer Ausweisung hier gemindert, weil ungeachtet der Schwere der vom Kläger begangenen Straftat nicht mehr von einer relevanten Wiederholungsgefahr ausgegangen werden kann. Allein die generalpräventiven Erwägungen vermögen den mit einer Ausweisung verbundenen Eingriff in Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht zu rechtfertigen. Wie ausgeführt, ist zwar davon auszugehen, dass eine besonders schwerwiegende Straftat vorliegt und deshalb - grundsätzlich - ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über eine strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, Urteile 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, und vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 -InfAuslR 1997, 8). Dieses vermag aber in Anbetracht der konkreten Umstände des vorliegenden Falles den Eingriff in das Schutzgebot von Art. 6 Abs. 1 GG bzw. das Achtungsgebots des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht zu rechtfertigen. Dabei ist von besonderer Relevanz, dass die Tat annähernd vier Jahre zurückliegt und der Kläger seine Strafe verbüßt hat. Auch sind die bereits im Rahmen der Prüfung der Wiederholungsgefahr angeführten, für den Kläger sprechenden weiteren Umstände zu berücksichtigen, etwa dass er sich bereits seit 1996 rechtmäßig hier aufhält, zuvor - bis auf das Verkehrsdelikt - nie straffällig geworden war, außerdem dass er sich immer bemüht hat, ausreichend für seine Familie und sich zu sorgen und sich auch seit seiner Haftentlassung bewährt hat.
54 
Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass die Ausweisung des Klägers hier im Ergebnis selbst dann als unverhältnismäßig anzusehen ist, wenn man noch vom Bestehen einer geringen, aber die Erheblichkeitsschwelle übersteigenden Wiederholungsgefahr und damit dem Vorliegen spezialpräventiver Ausweisungsgründe ausginge. Denn aus den - zur Unverhältnismäßigkeit einer generalpräventiv motivierten Ausweisung - angeführten Gründen führt die danach erforderliche Abwägung ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die privaten Interessen des Klägers und seiner Familienangehörigen das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung überwiegen.
II.
55 
Unter diesen Umständen ist auch die im Bescheid vom 22.10.2010 verfügten Abschiebungsandrohung rechtswidrig und aufzuheben.
56 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
57 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
58 
Beschluss vom 23. Oktober 2012
59 
Der Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt (§§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG).
60 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus Deutschland. Hilfsweise erstrebt er eine neue Entscheidung des Beklagten über die Befristung des mit der Ausweisung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots.

2

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volkszugehörigkeit. Er wurde 1973 in der Türkei geboren, ist verheiratet und hat sieben Kinder. Er reiste 1997 nach Deutschland ein und beantragte hier Asyl, da er in der Türkei wegen seines Engagements in prokurdischen Vereinen und Parteien sowie verwandtschaftlichen Beziehungen zu Guerillakämpfern der sog. Arbeiterpartei Kurdistans - PKK - an Leib und Leben bedroht sei. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) vom 9. Oktober 1997 wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach dem damaligen § 51 Abs. 1 AuslG 1990 zuerkannt und zu seinen Gunsten ein Abschiebungsverbot wegen drohender Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK (damals § 53 Abs. 4 AuslG 1990) festgestellt. Der Kläger ist lediglich sporadisch und für kurze Zeiträume einer Erwerbstätigkeit nachgegangen, gleiches gilt für seine Ehefrau. Er bezieht mit seiner Familie Leistungen nach dem SGB II.

3

Vom 1. April 1998 bis zum 1. Dezember 2009 war der Kläger im Besitz jeweils befristeter Aufenthaltstitel. Am 13. März 2009 teilte das Bundesamt der Ausländerbehörde mit, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 73 Abs. 1 oder 2 AsylVfG nicht vorlägen. Im März 2009 stellte der Kläger bei der Ausländerbehörde der Stadt M. einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Auf Anfrage teilte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg der Ausländerbehörde im Mai 2009 mit, dass hinsichtlich der Person des Klägers "Erkenntnisse" vorlägen, über die das Innenministerium Baden-Württemberg gesondert informiert worden sei. Dessen ungeachtet wurde dem Kläger am 4. Dezember 2009 ohne weitere Mitteilung zum Stand der Sicherheitsüberprüfung eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG erteilt.

4

Das Regierungspräsidium K. teilte dem Kläger mit Schreiben vom 23. Juli 2010 mit, dass die Niederlassungserlaubnis in Unkenntnis der Sicherheitsbedenken erteilt worden sei und derzeit deren Rücknahme und eine Ausweisung geprüft werde. Hierzu werde dem Kläger die Möglichkeit eines Sicherheitsgesprächs zur weiteren Aufklärung gegeben. Dieses fand im Februar 2011 statt; allerdings verweigerte der Kläger mit Ausnahme eines durch ihn ausgefüllten Fragebogens die weitere Mitwirkung.

5

Mit Verfügung vom 10. Januar 2012 wies das Regierungspräsidium K. den Kläger aus (Ziffer 1) und stützte sich dabei auf § 54 Nr. 5, § 56 Abs. 1, § 55 AufenthG a.F. Zudem wurde der Kläger verpflichtet, sich zweimal wöchentlich unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapiers bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, und sein Aufenthalt wurde auf den Bereich der Stadt M. begrenzt (Ziffer 2).

6

Die Ausweisung sei gerechtfertigt, weil Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Kläger Vereinigungen unterstütze, die ihrerseits den Terrorismus unterstützten. So habe der Kläger nach den vorliegenden Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in den Jahren 2001 bis 2010 regelmäßig an näher bezeichneten Veranstaltungen und Demonstrationen der PKK-Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL teilgenommen und sei teilweise auch selbst als Redner bei derartigen Veranstaltungen aufgetreten. Von 2001 bis 2003/2004 sei er Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Kurdischer Kulturverein e.V." in L. gewesen. Außerdem sei er seit langem Vorstandsmitglied und nunmehr sogar zweiter Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM). Die Ausweisung sei trotz des dem Kläger als anerkanntem Flüchtling zustehenden besonderen Ausweisungsschutzes aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt und auch mit Blick auf die Bleibeinteressen des Klägers verhältnismäßig. Sie führe zudem nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung, vielmehr bleibe seine Abschiebung ausgesetzt, da ihr Abschiebungsverbote aufgrund der Rechtsstellung des Klägers als Flüchtling sowie nach § 60 Abs. 5 AufenthG entgegenstünden. Die angeordnete zweimalige wöchentliche Meldepflicht und die räumliche Beschränkung auf den Stadtbezirk M. beruhten auf § 54a AufenthG (a.F.) und seien mit Blick auf die gebotene Überwachung des Klägers und zur Eindämmung seiner gefahrbegründenden Aktivitäten erforderlich und angemessen.

7

Das Verwaltungsgericht hat die gegen die Verfügung gerichtete Klage mit Urteil vom 27. Januar 2015 abgewiesen, zugleich aber den Beklagten verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf acht Jahre nach Ausreise des Klägers zu befristen. Mit Urteil vom 13. Januar 2016 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung zurückgewiesen. Dabei hat er die angefochtene Ausweisungsverfügung an der seit dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung des AufenthG gemessen. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof insbesondere ausgeführt: Im Fall des Klägers liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, weil der Kläger in überwiegend herausgehobener Funktion die PKK und damit eine terroristische oder den Terrorismus unterstützende Vereinigung unterstützt habe. Dabei seien allerdings nur Aktivitäten nach Juli 2010 heranzuziehen, also nach der an den Kläger gerichteten Mitteilung, wegen seiner Aktivitäten werde die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft. Als tatbestandserhebliches Unterstützen sei hiernach jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirke. Nach diesem Maßstab seien die im Urteil im Einzelnen näher bezeichneten und durch den Kläger in der Sache eingeräumten Betätigungen als Teilnehmer, Mitglied, Redner und Versammlungsleiter bei diversen die PKK unterstützenden Veranstaltungen sowie als Vorstandsmitglied der die PKK unterstützenden YEK-KOM und deren Nachfolgeorganisation NAV-DEM als Unterstützungshandlung zu werten. Angesichts des Ablaufs der Veranstaltungen, der dort gehaltenen Reden und der klaren Ausrichtung auf den Führerkult um den PKK-Führer Öcalan sowie gefallene Märtyrer bestünden für das Berufungsgericht keine Zweifel daran, dass sich der Kläger den Zielen der PKK verpflichtet fühle und sie mit seinem Tun unterstützen wolle.

8

Die Ausweisungsverfügung werde auch dem erhöhten Ausweisungsschutz gerecht, der dem Kläger als anerkanntem Flüchtling nach § 53 Abs. 3 AufenthG zustehe. Denn es lägen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU vor, wonach ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel widerrufen werden könne.

9

Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse stehe ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber. Denn er habe eine Niederlassungserlaubnis besessen, die gerade durch die Ausweisungsverfügung betroffen sei. Er lebe mit deutschen Familienangehörigen (sechs seiner Kinder) in familiärer Lebensgemeinschaft und übe sein Personensorgerecht für seine minderjährigen Kinder aus. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung überwiege jedoch das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers.

10

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Revision und rügt in mehrfacher Hinsicht eine Verletzung von Bundesrecht. Zunächst habe das Berufungsgericht den Begriff des "Unterstützens" in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG fehlerhaft ausgelegt und angewandt. Der von ihm in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht angewandte Unterstützungsbegriff sei rechtsstaatlich nicht hinreichend konkret. Jedenfalls auf der Grundlage des neuen, seit Jahresanfang 2016 geltenden Ausweisungsrechts, das nach "schwerwiegenden" und "besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen" differenziere, sei dieser Unterstützungsbegriff nicht mehr als Abgrenzungskriterium geeignet. Notwendig sei ein gefahrenabwehrrechtlich ausgerichteter Unterstützungsbegriff, der sich etwa in Anlehnung an strafrechtliche Zurechnungskriterien wie Anstiftung oder Beihilfe oder die im Strafrecht für Organisationsdelikte entwickelten Zurechnungskriterien gewinnen lassen könne.

11

Fehlerhaft sei zudem die Auslegung und Anwendung von § 53 Abs. 3 AufenthG im Hinblick auf die sich aus Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie ergebenden Voraussetzungen. Denn das Berufungsgericht habe weder festgestellt, dass der Kläger unmittelbar der PKK angehöre, noch dass sich die YEK-KOM oder die NAV-DEM selbst terroristischer Methoden bedienten. Weiterhin verkenne das Berufungsgericht die durch den Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) aufgestellten Anforderungen an die festzustellenden Unterstützungshandlungen. Danach sei insbesondere zu prüfen, ob der Betroffene selbst terroristische Handlungen begangen habe, ob und in welchem Maße er an der Planung, an Entscheidungen oder an der Anleitung anderer Personen zum Zwecke der Begehung solcher Handlungen beteiligt war und ob und in welchem Umfang er solche Handlungen finanziert oder anderen Personen die Mittel für ihre Begehung verschafft habe. Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts habe der EuGH damit nicht lediglich beispielhaft die in den maßgeblichen Vorlagefragen des Ausgangsverfahrens vorgehaltenen Handlungen herausgegriffen, sondern in einem abschließenden Sinne bestimmte Kriterien vorgegeben.

12

Weiter setze der Gefahrenbegriff des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine "konkrete Gefahr" voraus. Weder der Wortlaut noch die der Vorschrift zugrunde liegende Entstehungsgeschichte rechtfertigten eine Absenkung dieser Gefahrenschwelle. Das Berufungsgericht hätte daher prüfen müssen, ob der Kläger die für die objektive Unterstützung zu Grunde gelegten Tatsachen und Umstände gekannt und eine zweckgerichtete Unterstützung auch gewollt habe.

13

Schließlich habe das Berufungsgericht verkannt, dass dem Kläger nach dem Urteil des EuGH vom 24. Juni 2015 selbst dann, wenn ihm der Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie entzogen werden dürfe, für die Zeit der Fortdauer seines Flüchtlingsstatus die Rechte nach Kapitel VII dieser Richtlinie erhalten bleiben. Deshalb beantragte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hilfsweise, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass ihm auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie.

14

Der Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und tritt der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bei.

15

Während des Revisionsverfahrens hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 20. Oktober 2016 die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes für den Kläger widerrufen und entschieden, ihm weder die Flüchtlingseigenschaft noch den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Gegen den Bescheid hat der Kläger Klage erhoben.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist im Wesentlichen unbegründet. Das Berufungsgericht hat die Ausweisung des Klägers und die ihm auferlegte Meldepflicht und Aufenthaltsbeschränkung im Ergebnis zu Recht als rechtmäßig eingestuft. Allerdings war auf der Grundlage der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG der Beklagte zu einer nunmehr gebotenen Ermessensentscheidung über die festzusetzende Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG zu verpflichten.

17

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren des Klägers auf Aufhebung der Ausweisung (Ziffer 1 des Bescheids) sowie der Meldeauflagen und Aufenthaltsbeschränkung (Ziffer 2 des Bescheids). Aber auch der Streit über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs - im Berufungsverfahren und anschließend im Revisionsverfahren angefallen. Denn das Befristungsbegehren ist als Minus notwendiger Bestandteil des Begehrens auf Aufhebung einer Ausweisung und kann daher von den Parteien nicht gesondert aus dem Verfahren ausgegliedert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 28 ff.). Hiervon sind im Übrigen vorliegend auch die Parteien übereinstimmend ausgegangen.

18

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der Meldepflicht und der Aufenthaltsbeschränkung sowie der vom Kläger hilfsweise begehrten Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 8 m.w.N.). Der Entscheidung sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162) zugrunde zu legen, zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155).

19

A. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG, weil der Kläger anerkannter Flüchtling ist.

20

1. Nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht ergibt sich der Grundtatbestand der Ausweisung aus § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

21

Das neue Ausweisungsrecht gibt das mit dem Ausländergesetz 1990 eingeführte dreistufige Konzept der Ist-, Regel- und Kann-Ausweisung auf. Stattdessen hat sich der Gesetzgeber für ein einheitliches System der rechtlich gebundenen Ausweisung entschieden ("wird ausgewiesen"), das vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. § 54 AufenthG benennt konkret die Gründe, wann das Ausweisungsinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt und knüpft damit an Tatbestände der früheren Ist- und Regelausweisung an. In § 55 AufenthG werden - spiegelbildlich hierzu - Tatbestände normiert, denen zufolge das Bleibeinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt, wobei auch die Aufzählung der "schwer" wiegenden Bleibeinteressen nicht abschließend ist. In § 53 Abs. 2 AufenthG werden Gesichtspunkte genannt, die bei der Abwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sind, insbesondere die Dauer des Aufenthalts, Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, Folgen der Ausweisung für Angehörige und Partner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat.

22

Die Rechtsprechung des Senats, die ihrerseits Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aufgreift (vgl. Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <301 ff.> und vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 14 ff.), hat bei der Entwicklung des neuen Ausweisungsrechts eine entscheidende Rolle gespielt (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 25. Februar 2015, BT-Drs. 18/4097 S. 49). Dabei griff der Gesetzgeber Vorschläge zur Neuregelung des Ausweisungsrechts auf, die Vertreter der Rechtsprechung unterbreitet haben (vgl. Dörig, NVwZ 2010, 921 <922>; Bergmann, ZAR 2013, 318 <322> sowie Gesetzesvorschlag Bergmann/Dörig vom Januar 2014, veröffentlicht in: Barwig u.a., Steht das europäische Migrationsrecht unter Druck?, 2014, S. 111 f.). Die Ausweisung setzt nunmehr nach § 53 Abs. 1 AufenthG eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Sofern nach dieser Gesamtabwägung das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib in Deutschland überwiegt, wird der Ausländer ausgewiesen, andernfalls kommt eine Aufenthaltsbeendigung nach § 53 Abs. 1 AufenthG nicht in Betracht.

23

Die Tatbestandsmerkmale der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" im ausweisungsrechtlichen Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG sind nach der Begründung des Gesetzgebers im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Auch die Gefährdung dieser Schutzgüter bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten wird. Mit Blick auf die verwendeten Begriffe sollte keine Ausweitung des Gefahrenbegriffs gegenüber dem bislang geltenden Recht erfolgen, vielmehr sollten lediglich die bislang verwandten unterschiedlichen Formulierungen aneinander angeglichen werden. Die von § 53 Abs. 1 AufenthG geforderte Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers in Deutschland erfolgt dabei nach der Intention des Gesetzgebers nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar.

24

Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" (Absatz 1) oder als "schwerwiegend" (Absatz 2). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sind neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Interessen aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Die Katalogisierung schließt demnach die Berücksichtigung weiterer Umstände im Rahmen der nach § 53 Abs. 2 AufenthG zu treffenden Abwägungsentscheidung nicht aus. Dies folgt bereits aus dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG, ist aber für die schwerwiegenden, aufgrund der Vielgestaltigkeit der Lebenssituationen bewusst nicht abschließend aufgezählten Bleibeinteressen in § 55 Abs. 2 AufenthG nochmals ausdrücklich normiert. Die nunmehr als schwerwiegend oder besonders schwerwiegend qualifizierten Ausweisungsinteressen im Sinne von § 54 AufenthG decken sich weitgehend - aber nicht vollständig - mit den früheren Gründen für eine Regel- und Ist-Ausweisung, die schwerwiegenden und besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen greifen Fälle des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 AufenthG a.F. auf.

25

Bei der Abwägung sind schließlich gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht ("Boultif/Üner-Kriterien"). Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen.

26

Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht.

27

2. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG festgestellt. Ein solches liegt dann vor, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wobei hiervon u.a. dann auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Ausländer einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er (jedenfalls) eine solche Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, er nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.

28

a) Der Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist dem Wortlaut nach weitgehend an den früheren Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung angelehnt, auf den die Ausweisungsverfügung auch ursprünglich gestützt war. Das Berufungsgericht hat für die Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu Recht dieselben rechtlichen Maßstäbe herangezogen, die der Senat zur Auslegung des früheren Regelausweisungstatbestandes nach § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung entwickelt hat.

29

In der Rechtsprechung des Senats war die Auslegung des Regelausweisungstatbestands des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung weitgehend geklärt. So ist anerkannt, dass eine Vereinigung den Terrorismus unterstützt, wenn sie sich selbst terroristisch betätigt oder wenn sie die Begehung terroristischer Taten durch Dritte veranlasst, fördert oder befürwortet. Die Schwelle der Strafbarkeit muss dabei nicht überschritten sein, da die Vorschrift der präventiven Gefahrenabwehr dient und auch die Vorfeldunterstützung durch sogenannte Sympathiewerbung erfasst. Der Tatbestand des Unterstützens des Terrorismus durch eine Vereinigung setzt allerdings voraus, dass die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung (auch) auf die Unterstützung des Terrorismus gerichtet sind; ein bloßes Ausnutzen der Strukturen einer Vereinigung durch Dritte in Einzelfällen reicht hierfür nicht aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 20 ff. und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 13 ff.).

30

Für den im Gesetz verwandten Begriff des Terrorismus sind Versuche, auf völkerrechtlicher Ebene eine allgemein anerkannte vertragliche Definition zu entwickeln, nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen. Jedoch können wesentliche Kriterien aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft im Beschluss des Rates Nr. 2002/475/JI vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (ABl. L 164 S. 3) sowie dem gemeinsamen Standpunkt des Rates 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001 (ABl. L 344 S. 93) gewonnen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die Aufnahme einer Organisation in die vom Rat der Europäischen Union angenommene Liste terroristischer Organisationen im Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93 - vgl. auch ABl. L 116 vom 3. Mai 2002, S. 75) ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass die Organisation terroristischer Art ist oder im Verdacht steht, eine solche zu sein (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 [ECLI:EU:C:2015:413], H.T./Land Baden-Württemberg - Rn. 83). Hier sind von den Tatsachengerichten ergänzende Feststellungen zu treffen. Dabei ist trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs anerkannt, dass als terroristisch jedenfalls der Einsatz gemeingefährlicher Waffen und Angriffe auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen sind (Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>, vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 19 und Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 10 C 48.07 - BVerwGE 132, 79 <87> m.w.N.).

31

Weiterhin ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass die individuelle Unterstützung einer terroristischen Vereinigung oder einer Vereinigung, die eine terroristische Vereinigung unterstützt, im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. alle Verhaltensweisen erfasst, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeit der Vereinigung auswirken. Darunter kann die Mitgliedschaft in der terroristischen oder in der unterstützenden Vereinigung ebenso zu verstehen sein wie eine Tätigkeit für eine solche Vereinigung ohne gleichzeitige Mitgliedschaft. Auch die bloße Teilnahme an Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen kann eine Unterstützung in diesem Sinne darstellen, wenn sie geeignet ist, eine positive Außenwirkung im Hinblick auf die durch § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. missbilligten Ziele zu entfalten. Auf einen nachweisbaren oder messbaren Nutzen für diese Ziele kommt es nicht an, ebenso wenig auf die subjektive Vorwerfbarkeit der Unterstützungshandlungen. Im Hinblick auf den Schutz der Meinungsfreiheit und das Gebot der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Betätigungsfreiheit des Einzelnen erfüllen allerdings solche Handlungen den Tatbestand der individuellen Unterstützung nicht, die erkennbar nur auf einzelne, mit terroristischen Zielen und Mitteln nicht im Zusammenhang stehende - etwa humanitäre oder politische - Ziele der Vereinigung gerichtet sind. Für den Ausländer muss schließlich die eine Unterstützung der Vereinigung, ihrer Bestrebungen oder ihrer Tätigkeit bezweckende Zielrichtung seines Handelns erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auf eine darüber hinaus gehende innere Einstellung des Ausländers kommt es hingegen nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 15 und 18 m.w.N.).

32

Diese vom Senat zur Auslegung von § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. entwickelten Grundsätze lassen sich entgegen dem Vorbringen der Revision auch auf den Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung nach dem neu gefassten § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG übertragen. Ein Vergleich der Textfassungen ergibt, dass der Gesetzgeber die früheren Regelausweisungstatbestände nach § 54 Nr. 5, 5a und 5b AufenthG a.F. in der neuen Vorschrift des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zusammengefasst hat, wobei unter den vorliegenden Umständen die Fälle staatsgefährdender Gewalttaten nach § 89a StGB außer Betracht bleiben können. Gegenüber dem früheren Recht ist der Hinweis entfallen, dass eine Ausweisung auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen nur gestützt werden kann, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Eine Änderung der materiellen Rechtslage ist damit aber nicht verbunden, da auch nach neuem Recht eine fortbestehende Gefahr erforderlich ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ("gefährdet") und ist implizit auch dem neuen Zusatz in § 54 Abs. 1 Nr. 2 letzter Halbsatz AufenthG zu entnehmen, wonach von einer Gefährdung nicht auszugehen ist, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt.

33

Den Gesetzgebungsmaterialien ist nichts dafür zu entnehmen, dass sich der Gesetzgeber hinsichtlich des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung für eine Abkehr von dem bisherigen Verständnis des Ausweisungstatbestandes hat entscheiden wollen. Zwar hat er in Satz 2 einen Halbsatz neu eingefügt, wonach ein Unterstützen nicht vorliegt, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt. Das stellt jedoch keine inhaltliche Änderung des Unterstützerbegriffs dar, sondern normiert lediglich ein in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits entwickeltes Kriterium zur individuellen Zurechnung eines Unterstützerverhaltens. Denn der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die objektive Tatsache der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in der Vergangenheit dem Ausländer dann nicht mehr zugerechnet werden kann, wenn er sich glaubhaft hiervon distanziert (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <131>, vom 30. April 2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 35 und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 17). Die nunmehr normierten Tatbestandsmerkmale lassen keine Abkehr von der Senatsrechtsprechung erkennen, denn ein "erkennbares Abstandnehmen" vom sicherheitsgefährdenden Handeln entspricht dem Distanzieren im Sinne der Senatsrechtsprechung. Allerdings findet sich in der Begründung zu dieser Neuregelung die Aussage, die Möglichkeit der "Exkulpation" zeige, dass der Betroffene Kenntnis davon gehabt haben müsse, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstütze, der "undolose Unterstützer" daher nicht unter die Regelung falle (BT-Drs. 18/4097 S. 51). Aus diesem Satz in der Gesetzesbegründung könnte man ableiten, der Gesetzgeber habe eine Regelung treffen wollen, nach der für die subjektive Seite des Unterstützens mehr erforderlich ist (Vorsatz) als nach dem bisherigen Verständnis (Erkennbarkeit). Wäre dies tatsächlich so Gesetz geworden, hätte dies eine nicht unerhebliche Einschränkung der Rechtsprechung zur subjektiven Zurechnung bedeutet, nach der es ausreicht, dass der Ausländer erkennen konnte, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstützt. Die Begründung hat jedoch im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden, denn nach diesem wird Vorsatz im Hinblick auf die terroristische Betätigung der unterstützten Vereinigung nicht verlangt. Es reicht somit auch für die Erfüllung des subjektiven Unterstützertatbestands weiterhin die Erkennbarkeit einer terroristischen Betätigung der Vereinigung aus. Vorsatz bleibt hingegen weiter erforderlich für das eigene Handeln des Ausländers, das von dem Ziel geleitet sein muss, die Vereinigung zu unterstützen. Für diese Auslegung spricht auch, dass der Gesetzgeber der Vorfeldunterstützung des Terrorismus durch die Gesetzesänderung erhöhte Bedeutung beimessen wollte, indem er den bisher als Tatbestand für eine Regelausweisung normierten Ausweisungsgrund zu einem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 AufenthG heraufstufte, was im bisherigen Recht dem Tatbestand einer zwingenden Ausweisung entsprochen hätte. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass das stärkere Gewicht, das der Gesetzgeber diesem Ausweisungsinteresse beimessen wollte (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 23), mit einer engeren Interpretation seiner Tatbestandsmerkmale einhergehen sollte.

34

Eine vom früheren Begriffsverständnis abweichende Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass dieser bisher eigenständige Tatbestand nunmehr in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG funktional mit einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verknüpft wird ("hiervon ist auszugehen, wenn"). Vielmehr ergibt eine systematische Auslegung der Vorschrift, dass der Inhalt des Ausweisungstatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung unverändert geblieben ist, während der Begriff der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland eine Erweiterung erfahren hat. Denn der Gesetzgeber hat mit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr kraft Gesetzes definiert, wann von einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen ist, nämlich (jedenfalls) dann, wenn eine der dort genannten Tatbestandsalternativen erfüllt ist. Die Auslegung des Begriffs der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland richtet sich daher (auch) nach diesen Tatbestandsalternativen, nicht umgekehrt. Anderes lässt sich hinsichtlich des Gefahrenmaßstabs auch nicht der Regelung des § 53 Abs. 1 AufenthG entnehmen. Denn anders als bei den übrigen Ausweisungsinteressen hat der Gesetzgeber in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG das Erfordernis einer Gefahr (nochmals) ausdrücklich aufgeführt, was unter systematischen Gesichtspunkten für eine gewisse Eigenständigkeit des Gefahrentatbestandes gegenüber § 53 Abs. 1 AufenthG fruchtbar gemacht werden kann. Es gilt damit nunmehr, dass das Gesetz bereits die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Bundesgebiet als eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ansieht, unabhängig davon ob die terroristische Vereinigung Gewaltakte auch auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland oder gegen deutsche Einrichtungen im Ausland begeht. Weiterhin gilt jedenfalls für die Fälle des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ein abgesenkter Gefahrenmaßstab, der auch Vorfeldmaßnahmen erfasst und keine von der Person des Unterstützers ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefahr erfordert. Die Rechtsprechung des Senats zur Unterstützung des Terrorismus durch Handlungen in dessen Vorfeld hat dem Rechnung zu tragen und dabei auch die Bedeutung zu berücksichtigen, die der Unionsgesetzgeber dieser Vorfeldunterstützung durch den Erwägungsgrund 37 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 S. 9) - EU-Anerkennungsrichtlinie - beimisst.

35

Ein Anlass für eine verfassungsrechtliche Neubewertung des Gefahrenmaßstabs besteht entgegen dem umfangreichen Revisionsvorbringen nicht. In der Rechtsprechung des Senats ist seit dem Urteil zum Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus - Terrorismusbekämpfungsgesetz - vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361, 3142) anerkannt, dass der Unterstützungsbegriff weit auszulegen und anzuwenden ist, um damit der auch völkerrechtlich begründeten Zielsetzung des Gesetzes gerecht zu werden, dem Terrorismus schon im Vorfeld die logistische Basis zu entziehen (BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <127 ff.>). Maßgeblich ist, inwieweit das festgestellte Verhalten des Einzelnen zu den latenten Gefahren der Vorfeldunterstützung des Terrorismus nicht nur ganz unwesentlich oder geringfügig beiträgt und deshalb selbst potenziell gefährlich erscheint. Wegen der tatbestandlichen Weite des Unterstützungsbegriffs ist allerdings bei der Anwendung der Vorschrift darauf zu achten, dass nicht unverhältnismäßig namentlich in das auch Ausländern zustehende Recht auf freie Meinungsäußerung jenseits der zumindest mittelbaren Billigung terroristischer Bestrebungen eingegriffen wird. Einen bislang nicht berücksichtigten verfassungsrechtlichen Rechtssatz, der den so umschriebenen Ausgleich zwischen dem legitimen und schon wegen seiner völkerrechtlichen Vorgaben besonders gewichtigen gesetzgeberischen Ziel der Terrorismusbekämpfung und den geschützten Grundrechtspositionen eines Ausländers infrage stellen würde, zeigt die Revision nicht auf. Insbesondere sprechen der Charakter der Ausweisung als Maßnahme der Gefahrenabwehr sowie die spezifische Zielsetzung der Terrorismusbekämpfung gegen eine Übertragung strafrechtlicher Rechtsprechungsgrundsätze, wie sie etwa für die Abgrenzung strafbarer und straffreier Meinungsäußerungen gelten. Der Senat hält auch unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an seiner bisherigen Rechtsprechung fest.

36

b) Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG angenommen. Dies gilt sowohl für die Qualifizierung der PKK als terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung (aa) als auch - jedenfalls im Ergebnis - für die Qualifizierung der Handlungen des Klägers als relevante Unterstützungshandlungen (bb). Ebenso wenig zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen hat (cc).

37

(aa) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Qualifizierung der PKK als eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Das Gericht legt seiner Entscheidung die in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze für die Definition einer terroristischen Vereinigung zugrunde (UA Bl. 27 f.) und geht damit von einem zutreffenden Maßstab aus. Für die Bewertung der PKK als eine solche Vereinigung hat das Gericht zunächst darauf abgestellt, dass sie auch noch aktuell auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist, ohne diesem Umstand eine über einen deutlichen Anhaltspunkt hinausgehende Bedeutung beizumessen (UA Bl. 31). Hieran anknüpfend hat das Berufungsgericht sodann auf der Grundlage der ihm vorliegenden Erkenntnismittel festgestellt, dass die PKK zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele in der Türkei weiterhin Gewalttaten gegen staatliche Einrichtungen und Amtsträger sowie die Zivilbevölkerung verübt und im Übrigen etwa zur Finanzierung ihrer Aktivitäten oder zur Bekämpfung von Kritikern auch nicht vor Verbrechen gegenüber ihren eigenen Anhängern und auch darüber hinaus gegenüber der kurdischstämmigen Bevölkerung insgesamt zurückschreckt. Insbesondere sei die zwischen dem türkischen Staat und der PKK ausgehandelte (relative) Waffenruhe seitens der PKK zuletzt Ende Juli 2015 ausdrücklich aufgekündigt worden (UA Bl. 32 f.). Diese tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts sind von der Revision nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen worden und daher für den Senat bindend. Sie erlauben dem Senat zudem eine eigene rechtliche Bewertung des Inhalts, dass die PKK eine terroristische Vereinigung darstellt und nicht lediglich eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung.

38

(bb) Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist auch die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, dass der Kläger die PKK in rechtserheblicher Weise individuell unterstützt hat. Allerdings ist das Gericht unter Verstoß gegen Bundesrecht davon ausgegangen, dass zu Lasten des Klägers nur solche Unterstützungshandlungen berücksichtigt werden dürfen, die in zeitlicher Hinsicht nach der Mitteilung des Regierungspräsidiums vom Juli 2010 lagen, wonach eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft würden.

39

Das Berufungsgericht ist insoweit rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass ein Ausweisungsinteresse bereits dann aus Gründen des Vertrauensschutzes verbraucht ist und nicht mehr zur Begründung einer Ausweisung herangezogen werden kann, wenn ein Aufenthaltstitel in Kenntnis oder dem Staat zuzurechnender Unkenntnis erteilt oder verlängert wurde (UA S. 34 f.). Zwar ist in der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich anerkannt ist, dass Ausweisungsgründe in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und so lange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind und die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <313> und vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <121 f.>). Aus der Ableitung dieser Kriterien aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt jedoch, dass die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Aus der Rechtsprechung des Senats ergibt sich zudem, dass ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers schützenswert sein muss. Hieran fehlt es, wenn die Ausländerbehörde - wie vorliegend - dem Kläger auf dessen Anfrage zum Stand des Verfahrens auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis lediglich mitteilt, dass gegenwärtig noch eine Sicherheitsüberprüfung stattfinde, und dann zu einem späteren Zeitpunkt ohne jegliche Erläuterung zum Ausgang der Sicherheitsüberprüfung die begehrte Niederlassungserlaubnis erteilt. Auf dieser Grundlage kann der Betroffene nämlich weder wissen, welchen konkreten Umständen die Ausländerbehörde im Rahmen ihrer Sicherheitsüberprüfung nachgegangen ist, noch zu welchen konkreten Erkenntnissen sie hierbei nach Abschluss der Überprüfung gelangt ist. Daher kann der Betroffene aus der Erteilung der Niederlassungserlaubnis billigerweise auch nicht schließen, dass die Ausländerbehörde bei ihrer Sicherheitsüberprüfung alle als potentielle Versagungsgründe in Betracht kommenden Umstände tatsächlich ermittelt und sodann als für die Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis unbeachtlich eingestuft hat.

40

Das angefochtene Urteil beruht jedoch nicht auf diesem Rechtsverstoß, weil das Berufungsgericht auch ohne Berücksichtigung der vor dem für maßgeblich erachteten Zeitpunkt liegenden Umstände von rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen des Klägers ausgegangen ist und die diesbezüglichen Feststellungen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sind. Im Übrigen wäre der Kläger durch die Nichtberücksichtigung weiterer, ihn belastender Umstände auch nicht beschwert. Im Einzelnen hat das Berufungsgericht für die Bestimmung der rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen zutreffend auf die in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäbe zu § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung abgestellt (UA Bl. 35 ff.). Keine abweichende Beurteilung ergibt sich aus dem Einwand des Klägers, die PKK nicht unmittelbar unterstützt zu haben, sondern sich in legalen Vereinigungen betätigt zu haben, die ihrerseits die PKK im Wissen um deren Charakter gewollt und gezielt unterstützen. Denn es stellt keine verminderte Gefahr der Vorfeldunterstützung des Terrorismus dar, wenn die Unterstützung terroristischer Vereinigungen nicht durch isolierte Einzelhandlungen, sondern in Vereinigung mit anderen erfolgt. Hierin liegt auch kein Fehlen der Unmittelbarkeit der Unterstützungshandlungen.

41

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht sodann nach Auswertung der ihm vorliegenden umfangreichen Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden festgestellt, dass der Kläger über mehrere Jahre in teils hervorgehobener Funktion als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter oder Redner regelmäßig an Veranstaltungen teilgenommen und mitgewirkt hat, bei denen offene Propaganda für die PKK betrieben worden ist (UA Bl. 39 - 42). Unter Einbeziehung der Aktivitäten des Klägers in der Zeit seit 2001, wie sie in der Ausweisungsverfügung (S. 3 - 9, 16 - 23) aufgelistet, vom Kläger nicht in Abrede gestellt und vom Berufungsgericht in Bezug genommen worden sind (UA S. 39 f.), stellt sich das Unterstützungshandeln des Klägers wie folgt dar: Der Kläger war von 2001 bis 2003/2004 Vorsitzender des "Kurdischen Kulturverein e.V." in L., der der KONGRA-GEL nahestand. Im Oktober 2004 wurde er in das 15-köpfige Führungskomitee der "Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland" (YEK-KOM) gewählt und gehörte diesem bis zur Auflösung der YEK-KOM im Jahr 2014 an, zeitweilig (bis 2011) war er der 2. Vorsitzende der Vereinigung. Er hat sich im Juni 2014 in den fünfköpfigen Vorstand der die PKK unterstützenden NAV-DEM wählen lassen und diese Vorstandstätigkeit bis zum Tage der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausgeübt (UA Bl. 43 - 45).

42

Der Kläger beteiligte sich seit Mitte 2003 regelmäßig an Kundgebungen und Demonstrationen in unterschiedlichen deutschen Städten (u.a. Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg, Frankfurt, Gelsenkirchen, Düsseldorf, Stuttgart) und in Straßburg/Frankreich, die sich unter anderem für eine Freilassung des inhaftierten PKK-Führers Öcalan aussprachen, des Gründungsjahrestags der PKK und/oder der "Märtyrer des kurdischen Freiheitskampfes" gedachten und Parolen auf die PKK ausriefen. Der Kläger hielt auf einigen dieser Veranstaltungen eine Rede, im Februar 2007 hob er dabei die Bedeutung der Gefallenen für die kurdische Sache hervor, im Januar 2009 sprach er zur aktuellen Lage der Kurden in ihrer Heimat, im März 2010 kritisierte er die Exekutivmaßnahmen der belgischen Polizei gegenüber dem kurdischen TV-Sender ROJ-TV, im November 2011 sprach er auf einer Kundgebung, die zum Thema u.a. die Verwendung von Napalmgas und chemischer Waffen gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei hatte, im Januar 2013 verurteilte er auf einer Kundgebung die Ermordung von drei PKK-Aktivisten in Paris, im Oktober 2015 hielt er anlässlich einer Protestaktion der NAV-DEM in Frankfurt eine Rede.

43

Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger nicht nur seine individuellen Unterstützungshandlungen, sondern sämtliche Aktionen der YEK-KOM und der NAV-DEM aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied persönlich zuzurechnen sind. Die YEK-KOM, der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK nach den gerichtlichen Feststellungen durch eine Vielzahl von Aktionen. Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen oder ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie "Freiheit für Öcalan" und "Frieden für Kurdistan". Im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die "logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans" verankert. Der Verein biete der PKK oder ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Für die NAV-DEM gilt nach den getroffenen Feststellungen nichts anderes. Der Verein sei keine Neugründung, sondern eine Umbenennung des Vereins YEK-KOM. Im Übrigen werde deutlich, dass die NAV-DEM ihre Veranstaltungen und Kundgebungen mit gleichem Ablauf und gleichen Themen durchführe wie zuvor schon unter dem Namen YEK-KOM. Diese zutreffende Würdigung bedeutet auch nicht, dass jeder Einsatz für die Interessen und Belange kurdischer Volkszugehöriger (oder eine Kritik an der Kurdenpolitik der Türkischen Republik) als eine Unterstützung der PKK und damit des Terrorismus einzuordnen wäre.

44

(cc) Soweit schließlich nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausscheidet, wenn der Ausländer ernsthaft und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt, hat das Berufungsgericht ebenfalls in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der Kläger ausweislich seines auch während des Ausweisungsverfahrens fortgesetzten Engagements als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter und Redner auch künftig an seiner Unterstützung der PKK festhalten wird. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Unterstützerverhalten des Klägers sind detailreich und stellen - entgegen der Auffassung der Revision - keine zu schmale Tatsachengrundlage für die getroffenen Feststellungen dar. Damit erfüllt der Kläger die gesetzlichen Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, und es liegt ein Ausweisungsinteresse vor, das besonders schwer wiegt.

45

3. Die angefochtene Verfügung des Beklagten erfüllt auch die besonderen Voraussetzungen, die nach § 53 Abs. 3 AufenthG an die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings zu stellen sind. Ein solcher darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

46

a) Diese den Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG ergänzende Vorschrift legt erhöhte Ausweisungsvoraussetzungen für mehrere rechtlich privilegierte Personengruppen fest, nämlich für Ausländer, die als Asylberechtigte anerkannt sind, die im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießen, die einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention besitzen, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder die eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU besitzen. Für all diese Personengruppen gilt der besondere aus Art. 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG abgeleitete Maßstab, den der Gerichtshof der Europäischen Union auch auf Ausländer erstreckt hat, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - C-371/08 [ECLI:EU:C:2011:809], Ziebell - Slg. 2011, I-12735 Rn. 79, 86). Der Senat folgt nicht der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, wonach die Voraussetzungen des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 53 Abs. 3 AufenthG von vornherein "bereichsspezifisch" gemäß dem durch das Unionsrecht für den jeweiligen Personenkreis bestimmten Ausweisungsschutz auszulegen sind. Vielmehr hat der Gesetzgeber den unionsrechtlichen Schutzstandard für daueraufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige für ausreichend befunden und dessen Geltung für alle genannten Personengruppen angeordnet. Dies entbindet freilich nicht davon, in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob für die jeweils betrachtete Personengruppe der so durch den nationalen Gesetzgeber definierte Ausweisungsschutz dem unionsrechtlichen Maßstab tatsächlich genügt. Nur wenn der unionsrechtliche Maßstab strenger ist als derjenige, der durch den Gesetzgeber in § 53 Abs. 3 AufenthG festgelegt worden ist, bedarf § 53 Abs. 3 AufenthG nach allgemeinen Grundsätzen einer unionsrechtskonformen Auslegung, die angesichts der Weite der Tatbestandsmerkmale und des erkennbaren gesetzgeberischen Willens, europarechtlichen Maßstäben zu genügen, auch möglich ist (so auch Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 54).

47

Im vorliegenden Fall ist § 53 Abs. 3 AufenthG unionsrechtskonform nach den Vorgaben der EU-Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU auszulegen. Die Richtlinie formuliert keine Vorgaben für eine Ausweisung im Sinne des deutschen Rechts, wohl aber für eine Zurückweisung in den Herkunftsstaat (Art. 21 Abs. 2 und 3) und für den Entzug des Aufenthaltstitels (Art. 24 Abs. 1).

48

b) Nach Art. 21 Abs. 3 der EU-Anerkennungsrichtlinie darf ein Mitgliedstaat den einem Flüchtling erteilten Aufenthaltstitel widerrufen, wenn die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 2 vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 2012 - 1 C 8.11 - BVerwGE 143, 138 Rn. 21). Fällt ein Flüchtling nicht in den Anwendungsbereich von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie, kann auch Abs. 3 dieser Vorschrift nicht zu Anwendung kommen (EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 - Rn. 44). Eine Zurückweisung ist nach Art. 21 Abs. 2 Buchst. a zulässig, wenn es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass der Flüchtling eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält. Es kann offenbleiben, ob vom Kläger eine Gefahr im Sinne dieser Vorschrift ausgeht, denn die Zurückweisung ist nur unter der weiteren Voraussetzung rechtmäßig, dass sie dem Mitgliedstaat nicht aufgrund seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen untersagt ist (Art. 21 Abs. 2). Dazu zählen die Verpflichtungen aus Art. 3 EMRK (vgl. Begründung der Kommission im Richtlinienvorschlag vom 12. September 2001 KOM (2001) 510 endg. S. 33 zu Art. 19). Dem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK kommt absoluter Charakter zu; es kann mithin - anders als das Refoulement-Verbot nach Art. 33 Abs. 1 GFK - nicht unter den Voraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 Richtlinie 2011/95/EU i.V.m. Art. 35 Abs. 2 GFK durchbrochen werden (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 5. April 2016 - C-404/15 und C-659/15 PPU [ECLI:EU:C:2016:198], Aranyosi und Căldăraru - Rn. 85 - 87; EGMR, Urteil vom 17. Dezember 1996 - Nr. 71/1995/577/663, Ahmed/Österreich - NVwZ 1997, 1100 Rn. 39 - 41). Für den Kläger besteht ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK. Denn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat im Anerkennungsbescheid vom 9. Oktober 1997 nicht nur die Flüchtlingseigenschaft des Klägers nach dem seinerzeit maßgeblichen § 51 Abs. 1 AuslG 1990, sondern auch ein Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990 hinsichtlich der Türkei festgestellt und dieses damit begründet, dass dem Kläger in der Türkei unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Diese Feststellung des Bundesamts begründet hier ein - absolutes - nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Insoweit kommt der Feststellung des Bundesamts im vorliegenden Verfahren über § 42 AsylG auch Bindungswirkung zu. Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU begrenzt damit den behördlichen Handlungsspielraum für eine Abschiebung in einen Verfolgerstaat oder einen Staat, in dem Gefahren nach Art. 3 EMRK drohen. Die Vorschrift setzt jedoch keine Maßstäbe für eine lediglich "inlandsbezogene" Ausweisung, die - wie hier - insbesondere den Verlust des Aufenthaltstitels zur Folge hat.

49

c) Unionsrechtliche Maßstäbe für eine zum Verlust des Aufenthaltstitels eines Flüchtlings führende inlandsbezogene Ausweisung lassen sich aus Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie gewinnen. Die Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten, einem Flüchtling so bald wie möglich nach der Anerkennung einen Aufenthaltstitel auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.

50

(aa) Der Inhalt dieser Norm wurde vom Gerichtshof der Europäischen Union in einem auf ein Vorlageersuchen des Berufungsgerichts ergangenen Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) näher bestimmt. Die Entscheidung bezieht sich zwar auf Art. 24 Abs. 1 der EG-Anerkennungsrichtlinie 2004/83/EG, ihre Aussagen sind aber uneingeschränkt auf die in der Sache unveränderte Vorschrift des Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU übertragbar. Danach kann einem Flüchtling nach Art. 24 Abs. 1 nicht nur die Erteilung eines Aufenthaltstitels versagt werden, sondern der erteilte Aufenthaltstitel auch nachträglich widerrufen werden, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen (a.a.O. Rn. 55). Soweit in der Neufassung der Vorschrift nunmehr von zwingenden Gründen der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung die Rede ist, ist damit keine inhaltliche Änderung verbunden. Diese Wirkung einer Entziehung des Aufenthaltstitels kommt der hier verfügten Ausweisung zu, die wegen des entgegenstehenden Abschiebungsverbots nach Art. 3 EMRK nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung führt. Entgegen einer am Wortlaut orientierten Auslegung von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie hat der darin verwendete Begriff der "zwingenden Gründe" nach dem EuGH-Urteil eine weitere Bedeutung als der Begriff der "stichhaltigen Gründe" in Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie. Das bedeutet, dass bestimmte Umstände, die nicht den Schweregrad aufweisen, um eine Zurückweisung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie verfügen zu können, den Mitgliedstaat gleichwohl dazu berechtigen können, auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie dem betroffenen Flüchtling seinen Aufenthaltstitel zu entziehen (a.a.O. Rn. 75).

51

Bei der Bestimmung des Bedeutungsgehalts der "zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" hat der EuGH zunächst Bezug auf seine Rechtsprechung zu den Begriffen der "öffentlichen Sicherheit" und der "öffentlichen Ordnung" in Art. 27 und 28 der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG genommen (a.a.O. Rn. 77 ff.). Danach umfasst der Begriff "öffentliche Sicherheit" im Sinne von Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats. Die öffentliche Sicherheit kann danach berührt sein, wenn das Funktionieren staatlicher Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste beeinträchtigt wird oder eine Gefahr für das Überleben der Bevölkerung oder einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker besteht oder militärische Interessen beeinträchtigt werden. Dabei deutet der Begriff der "zwingenden Gründe" auf einen besonders hohen Schweregrad der Beeinträchtigung hin (a.a.O. Rn. 78). Den Begriff der "öffentlichen Ordnung" hat der EuGH für die Unionsbürgerrichtlinie dahin ausgelegt, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliegen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (a.a.O. Rn. 79). Zugleich betont er, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, nach ihren nationalen Bedürfnissen, die je nach Mitgliedstaat und Zeitpunkt unterschiedlich sein können, zu bestimmen, was die öffentliche Ordnung und Sicherheit erfordern (a.a.O. Rn. 77).

52

Für den Fall der Unterstützung des Terrorismus hat der EuGH zudem auf den 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83/EG, heute 37. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95/EU hingewiesen, wonach der Begriff der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" auch für die Fälle gilt, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt. Dabei muss das nationale Gericht in einem ersten Schritt prüfen, ob die Handlungen der fraglichen Organisation die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedrohen. Wird eine vom Flüchtling unterstützte Vereinigung in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93) geführt, ist dies ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie entweder eine terroristische Organisation ist oder im Verdacht steht, eine solche Organisation zu sein (a.a.O. Rn. 83). Allein der Umstand, dass ein Flüchtling eine solche Organisation unterstützt hat, darf jedoch nicht automatisch zur Aufhebung seines Aufenthaltstitels führen. Vielmehr ist in einem zweiten Schritt einzelfallbezogen die Rolle zu prüfen, die der Betreffende im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt hat (a.a.O. Rn. 90), und auch der Schweregrad der Gefahr zu beurteilen, die von seinen Handlungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (a.a.O. Rn. 92).

53

(bb) Das Berufungsgericht hat die vom Kläger geleisteten und ihm zuzurechnenden Unterstützungshandlungen an dem vom EuGH präzisierten Maßstab für die Auslegung des Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie gemessen und ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass sich hieraus zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ergeben, die einen Entzug des Aufenthaltstitels gegenüber dem Kläger rechtfertigen. Das Gericht hat bereits im Rahmen seiner Prüfung des besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausführlich begründet, warum die PKK eine terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung darstellt (UA S. 27 - 34). Dabei hat es gewürdigt, dass die PKK auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist und auch weiterhin terroristische Aktivitäten entfaltet. In einem zweiten Schritt hat es näher dargelegt, warum die in Deutschland agierenden Vereinigungen YEK-KOM und NAV-DEM, für die der Kläger seit mehr als zwölf Jahren in hervorgehobenen Funktionen wirkte, und der Kläger auch individuell durch Anmeldung und Leitung von Versammlungen sowie Redebeiträge und weitere Aktivitäten die PKK unterstützt haben und weiter unterstützen (UA S. 55, 34 - 48). Die Bewertung des Berufungsgerichts, dass der Kläger damit die Voraussetzungen für den Entzug seines Aufenthaltstitels nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie erfüllt, steht mit der Rechtsprechung des EuGH in Einklang. Zwar hat er selbst keine terroristischen Handlungen begangen, auch nicht andere Personen hierzu angeleitet oder sich an der Planung oder Finanzierung terroristischer Aktionen beteiligt, wie das der EuGH als mögliches Unterstützerhandeln erwähnt (a.a.O. Rn. 90). Diese Aufzählung des Gerichtshofs ist jedoch nur beispielhaft, macht zugleich aber deutlich, dass der Betreffende eine gewichtige Rolle im Rahmen seiner Unterstützung der terroristischen Organisation gespielt haben muss.

54

Bei der Frage, was als gewichtig anzusehen ist, ist der 37. Erwägungsgrund der Richtlinie zu berücksichtigen, wonach auch die Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, und die Unterstützung einer derartigen Vereinigung als Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung anzusehen sind. Die abschließende Bewertung, ob die Unterstützungshandlung hinreichend gewichtig ist, um "zwingende Gründe" darzustellen, überlässt der Gerichtshof dem verantwortlichen nationalen Gericht und erkennt auch einen Einschätzungsspielraum der Mitgliedstaaten an, nach ihren nationalen Bedürfnissen zu bestimmen, was die nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung erfordern. Diese abschließende Bewertung hat das Berufungsgericht dahin getroffen, dass die Unterstützungshandlungen des Klägers dem von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie geforderten Gewicht entsprechen. Es hat dies auf der Grundlage der Gewichtungsvorgabe des nationalen Gesetzgebers in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nachvollziehbar mit dem mehr als zwölfjährigem Unterstützerhandeln des Klägers in hervorgehobener Position innerhalb zweier Vereinigungen begründet, in dessen Rahmen er an zahlreichen Veranstaltungen mitwirkte, an denen sich Akteure beteiligten, die offen für die PKK warben und deren Kurs vorbehaltlos befürworteten (Auftreten in Guerillauniform, Märtyrergedenken, Grußbotschaften an die Kämpfer an der Front usw.). Für das Gewicht seines Unterstützerhandelns durfte das Gericht auch berücksichtigen, dass der Kläger nach den tatrichterlichen Feststellungen in vollem Bewusstsein um dessen Bedeutung für den ideologischen Zusammenhalt der PKK und in dem Willen gehandelt hat, diese vorbehaltlos auch in Bezug auf deren terroristische Aktivitäten zu unterstützen (UA S. 55).

55

(cc) Der EuGH hat in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13 Rn. 95 ff.) aber hervorgehoben, dass ein Flüchtling, dessen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie aufgehoben wird, seinen Flüchtlingsstatus behält, sofern und solange ihm nicht dieser Status entzogen worden ist. Daher ist er auch nach dem Verlust seines Aufenthaltstitels weiterhin Flüchtling und hat in dieser Eigenschaft weiterhin Anspruch auf die Vergünstigungen, die das Kapitel VII der Richtlinie jedem Flüchtling gewährleistet, so insbesondere auf Schutz vor Zurückweisung, auf Wahrung des Familienverbands, auf Ausstellung von Reisedokumenten, auf Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung, zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie auf Zugang zu Integrationsmaßnahmen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift. Diese Rechte dürfen, auch soweit sie nach nationalem Recht an den Besitz eines Aufenthaltstitels anknüpfen, von den zuständigen Behörden daher nicht mit der Begründung versagt werden, dass der Aufenthalt des Flüchtlings infolge der Ausweisung rechtswidrig geworden ist. Allerdings darf die Ausstellung eines Reiseausweises nach Art. 25 EU-Anerkennungsrichtlinie versagt werden, wenn - etwa zur Begegnung der Gefahr terroristischen Unterstützungshandelns - zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung entgegenstehen. Ebenso dürfen nach Art. 33 der Richtlinie aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen verfügt werden, wenn diese aus Gründen der öffentlichen Sicherheit auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern zulässig sind.

56

Eventuelle Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der dem Flüchtling auch nach Entzug des Aufenthaltstitels weiter zustehenden Rechte nach Kapitel VII der EU-Anerkennungsrichtlinie infolge unzureichender Umsetzung der Richtlinie in den einschlägigen nationalen Fachgesetzen berühren nicht die Rechtmäßigkeit der verfügten Ausweisung. An die Beachtung der einen Flüchtling unmittelbar begünstigenden Vorschriften in Kapitel VII der Richtlinie und die hierzu ergangene Rechtsprechung des EuGH sind seit Ablauf der Umsetzungsfrist alle nationalen Behörden gebunden. Der Flüchtling hat seine Rechte gegenüber den jeweils zuständigen Behörden und erforderlichenfalls Gerichten geltend zu machen. Auch die Generalanwältin hat es insoweit als die Pflicht der nationalen Gerichte angesehen, für die volle Wirksamkeit der Bestimmungen der Richtlinie Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede entgegenstehende Vorschrift des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 11. September 2014 - C-373/13 - Rn. 114 letzter Absatz).

57

4. Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen gewichtige Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1, § 55 AufenthG gegenüber. Diese hat das Berufungsgericht zutreffend bestimmt (UA S. 59 f.). Es hat berücksichtigt, dass der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besessen hat, die durch die Ausweisungsverfügung betroffen ist, er mit deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und er sein Personensorgerecht für minderjährige ledige Deutsche ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG).

58

5. Das Berufungsgericht hat das öffentliche Ausweisungsinteresse gegen die Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG unter Berücksichtigung der den Einzelfall prägenden Umstände abgewogen und ist unter Beachtung des hierfür zentralen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass das Ausweisungsinteresse überwiegt (UA S. 60 - 64). Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Gericht hat berücksichtigt, dass der Kläger besonderen Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie genießt, hier allerdings auf absehbare Zeit keine Aufenthaltsbeendigung beabsichtigt ist, da ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht. Es hat seinen langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und seine familiären Bindungen im Sinne von Art. 6 GG, Art. 8 EMRK gewürdigt, diesen durch die Verfügung allerdings insoweit nicht als beeinträchtigt angesehen, als keine Aufenthaltsbeendigung erfolgt. Es hat bei seiner Abwägung berücksichtigt, dass der Kläger in seinen geschützten Bindungen dadurch betroffen ist, dass sein Aufenthalt auf das Gebiet der Stadt M. beschränkt und er Meldeauflagen unterworfen ist. Weitere schützenswerte Bindungen hat das Gericht nicht anerkannt und dies nachvollziehbar damit begründet, dass der Kläger ungeachtet seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland kaum deutsch spricht, nur sporadisch und für kürzere Zeiträume erwerbstätig war und seit längerem von Sozialleistungen abhängig ist. Schließlich hat das Berufungsgericht in die Abwägung eingestellt, dass es der Kläger in der Hand hat, durch eine glaubhafte Abkehr von seinem bisherigen Verhalten eine Aufhebung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu erreichen.

59

6. Ohne Rechtsverstoß wertet das Berufungsurteil die in Ziffer 2 der angefochtenen Verfügung angeordnete Aufenthaltsbeschränkung und die verfügten Meldeauflagen als rechtmäßig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliegt ein Ausländer, gegen den - wie hier - eine Ausweisungsverfügung aufgrund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG besteht, der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Gestützt auf diese Ermächtigung hat der Beklagte bestimmt, dass sich der Kläger zweimal wöchentlich zu melden hat. Ferner hat er den Aufenthalt des Klägers auf den Bereich der Stadt M. beschränkt, wie das § 56 Abs. 2 AufenthG vorsieht, wenn die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft. Diese aufenthaltsbeschränkenden Maßnahmen durften gegenüber dem Kläger trotz dessen Rechtsstellung als Flüchtling ergehen. Dadurch wird sein Recht auf Freizügigkeit gemäß Art. 33 EU-Anerkennungsrichtlinie nicht verletzt. Denn derartige Maßnahmen dürfen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, wie sie hier wegen des Erfordernisses der Abwehr von terrorismusfördernden Aktivitäten vorliegen, auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern verfügt werden (§ 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG).

60

7. Zutreffend ist das Berufungsgericht auch zu dem Ergebnis gekommen, dass die für die Ausweisung des Klägers anwendbaren Regelungen des Ausweisungsrechts nicht gegen assoziationsrechtliche Verschlechterungsverbote aus Art. 13 ARB 1/80, Art. 7 ARB 2/76 und Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen (BGBl. 1972 II S. 385) verstoßen. Dabei kann offenbleiben, ob hier überhaupt eines der Verschlechterungsverbote Anwendung findet. Denn der zum 1. Januar 2016 eingeführte Übergang von einer Ermessensentscheidung zu einer gebundenen Entscheidung stellt keine Verschlechterung der Rechtsstellung des betroffenen Ausländers dar (a). Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung bewirkte zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für betroffene Ausländer, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt (b).

61

a) Die zum 1. Januar 2016 eingeführte Neuregelung des Ausweisungsrechts, die die bisherige Ermessensausweisung durch eine am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte gebundene Ausweisung abgelöst hat, hat die Rechtsstellung der Ausländer in der hier gebotenen und auch unionsrechtlich statthaften Gesamtschau nicht verschlechtert, sondern jedenfalls teilweise verbessert. Denn bisher sah das Gesetz Tatbestände einer zwingenden Ausweisung (Ist-Ausweisung), regelmäßig erfolgenden Ausweisung (Soll-Ausweisung) und Ausweisung nach Ermessen (Kann-Ausweisung) vor. Die zwingende Ausweisung und die regelmäßig erfolgende Ausweisung widersprachen für den Personenkreis der unionsrechtlich privilegierten Ausländer der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach eine Ausweisung ausschließlich auf ein persönliches Verhalten des Ausländers gestützt werden darf, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 [ECLI:EU:C:2004:262], Orfanopoulos und Oliveri - Slg. 2004, I-5257 Rn. 66 f.). Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass eine Regelung gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, wonach eine Ausweisung automatisch aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung verfügt wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird (a.a.O. Rn. 70). Aber auch die nationale Bestimmung über die Regelausweisung hat für den Gerichtshof den Anschein erweckt, dass trotz der Berücksichtigung individueller Umstände ein gewisser Automatismus oder jedenfalls eine Vermutung besteht, dass der betreffende Staatsangehörige auszuweisen ist (a.a.O. Rn. 92).

62

Daraus hat das Bundesverwaltungsgericht die Schlussfolgerung gezogen, dass die gesetzliche Regelung zur zwingenden Ausweisung und Regelausweisung auf unionsrechtlich privilegierte Ausländer nicht mehr angewendet werden darf (BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <302> betreffend Unionsbürger und - 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <321> betreffend Assoziationsberechtigte nach ARB 1/80). Der Gesetzgeber hat daraus durch das zum 1. Januar 2016 in Kraft getretene neue Ausweisungsrecht die Konsequenzen gezogen. Insofern stellt die neue Rechtslage eine Verbesserung gegenüber der bisherigen dar. Eine Ausweisung nach neuem Recht hat eine einzelfallbezogene umfassende Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen und orientiert sich dabei strikt am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 53 Abs. 1 und 2 AufenthG). Damit setzt der Gesetzgeber Vorgaben um, die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 - Rn. 99) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR , Urteil vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 57 - 60) ergeben.

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Es stellt keine Verschlechterung der Rechtslage für unionsrechtlich privilegierte Ausländer dar, dass ihre Ausweisung nach früherer Rechtslage im Wege einer Ermessensentscheidung erfolgte, nach neuem Recht hingegen im Wege einer rechtlich gebundenen Ausweisung, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Damit entfällt zwar die Möglichkeit, aus Gründen der Zweckmäßigkeit von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen. Auf ein solches Absehen von einer rechts- und ermessensfehlerfrei möglichen Ausweisung hatte der Ausländer aber zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch, auch die gerichtliche Kontrolle war insoweit durch § 114 VwGO eingeschränkt; durch die gesetzliche Neuregelung wird also keine individuelle Rechtsposition beeinträchtigt. Im Übrigen ist für die Beachtung des Verschlechterungsverbots auf die tatsächliche Praxis und nicht allein auf die abstrakte Rechtslage abzustellen. Die Rechtspraxis wurde maßgeblich durch die Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz des Bundesministeriums des Innern vom 26. Oktober 2009 gesteuert. Danach lag die Ausweisungsentscheidung im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde, bei der Ermessensausübung waren das schutzwürdige Interesse des Ausländers am weiteren Verbleib in Deutschland und das öffentliche Interesse an der Ausweisung gegeneinander abzuwägen (Ziffer 55.1.3). Das weist auf eine Rechtspraxis hin, die der heute normierten gebundenen Ausweisung entspricht, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Insofern hat sich die Rechtsstellung des Ausländers nicht verschlechtert.

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b) Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung hat zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für die betroffenen Ausländer bewirkt, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Die seinerzeitige Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung (§ 54 Nr. 5 AufenthG a.F.) führte zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gegenüber der früheren Rechtslage, die allein den Tatbestand der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland kannte. Durch die Rechtsänderung wurde nun auch die Vorfeldunterstützung des Terrorismus erfasst. Diese ist jedoch mit Blick auf das Verschlechterungsverbot aus Art. 13 ARB 1/80 aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 14 ARB 1/80, jedenfalls aber durch ein zwingendes Allgemeininteresse, namentlich die völkerrechtlich gebotene Terrorismusbekämpfung auch bereits im Vorfeld unmittelbarer terroristischer Handlungen, gerechtfertigt.

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8. Nach der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG ist über die Länge der Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach Ermessen zu entscheiden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Diese gesetzgeberische Entscheidung ist mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom gleichen Tage - 1 C 27.16 - Rn. 20 ff.). Das Urteil des Senats zur Vorläuferfassung des § 11 AufenthG a.F., wonach eine gebundene Entscheidung zu treffen war (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.), erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihm ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen. Eine solche Ermessensentscheidung hat der Beklagte hier noch nicht getroffen. Vielmehr hat bisher das Verwaltungsgericht das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach der seinerzeit geltenden Rechtslage im Wege einer gebundenen Entscheidung auf acht Jahre festgesetzt.

66

Der Beklagte hat die nach neuem Recht nunmehr gebotene Ermessensentscheidung nachzuholen. Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange.

67

B. Der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellte (weitere) Hilfsantrag, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass dem Kläger auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie, ist unzulässig. Er stellt eine unzulässige Klageerweiterung im Revisionsverfahren dar (§ 142 Abs. 1 VwGO). Im Übrigen bedarf es einer solchen behördlichen Feststellung auch nicht. Aus dem für alle nationalen Behörden verbindlichen EuGH-Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) ergibt sich bis zu einer dem Gesetzgeber vorbehaltenen Anpassung der einschlägigen Fachgesetze hinreichend deutlich, dass dem Kläger - solange er die Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der EU-Anerkennungsrichtlinie genießt - auch die mit dieser Rechtsstellung einhergehenden Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie zustehen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift (vgl. dazu auch die vorstehenden Ausführungen in Rn. 55 f. dieses Urteils).

68

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat gewichtet den gegen die Ausweisung, die Meldeauflage, die Aufenthaltsbeschränkung und die Abschiebungsandrohung gerichteten Anfechtungsantrag mit 4/5 und den auf Befristung zielenden Verpflichtungsantrag mit 1/5 (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 46).

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers hin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 - 4 K 3079/10 - geändert.

Der Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 wird aufgehoben.

Das beklagte Land trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der am ...1971 in Charleroi, Belgien, geborene Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung und die Androhung der Abschiebung.
Er ist türkischer Staatsangehöriger und lebte von seiner Geburt bis 1979/80 gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern in Belgien, danach kehrte die Familie in die Türkei zurück. Dort besuchte der Kläger das Gymnasium, das er mit einem dem Abitur vergleichbaren Abschluss beendete. Am 06.05.1996 heiratete er in Cavusbasi Köyü/Türkei die am ... in B..., Deutschland, geborene Hatice Y., welche damals noch türkischer Staatsangehörigkeit war; am 17.08.1996 reiste er mit einem Visum zum Familiennachzug nach Deutschland ein. In der Folge erhielt er zunächst befristete Aufenthaltserlaubnisse, ab dem 16.07.2001 war er im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, welche ab Januar 2005 als Niederlassungserlaubnis fortgalt.
Die Ehefrau des Klägers wurde am 06.07.1998 eingebürgert. Die Eheleute haben vier gemeinsame Kinder, zwei Töchter (geboren am 16.08.1997 und am 01.05.2001) und zwei Söhne (geboren am 17.07.1998 und am 14.04.2008), welche ebenfalls deutsche Staatsangehörige sind.
Ab dem 10.03.1997 war der Kläger zunächst bei verschiedenen Firmen beschäftigt, vom 02.11.1998 bis zum 31.10.2001 bei der Firma F., wobei er vom 27.02.2001 bis zum 09.07.2001 Krankengeld von der AOK bezog. Nach längerer Arbeitslosigkeit war er ab 2003 immer wieder selbstständig tätig - unterbrochen durch mehrmonatige Aushilfstätigkeiten und Zeiten der Arbeitslosigkeit -, zunächst mit einem Einzelhandel mit Lebensmitteln und Obst, welchen er von seiner Ehefrau übernommen hatte (von Juli 2003 bis Juni 2004), später (vom September 2006 bis zum Februar 2007) mit dem Gewerbe „Kleintransporte (Paketdienst)“, sodann mit einer Gebäudereinigung (ab dem 21.11.2007).
Zum 05.06.2008 meldete er das Wettbüro T. in Karlsruhe an. Am 18.12.2008 wurde er wegen des Verdachts der Geiselnahme u.a. in Untersuchungshaft genommen. Mit Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 30.06.2009 - 3 KLs 110 Js 41778/08 - wurden der Kläger und die Mitangeklagten B.A., Y.K. und E.G. der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie der Mitangeklagte T.K. der Beihilfe zur Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen. Der Kläger wurde zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten, seine Mitangeklagten B.A. zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten, Y.K. von vier Jahren und zehn Monaten, E.G. von drei Jahren und sechs Monaten und T.K. zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde hinsichtlich T.K. zur Bewährung ausgesetzt. Die Angeklagten wurden außerdem verurteilt, an die Nebenklägerin N.G. Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,-- EUR nebst Zinsen zu zahlen, wobei die seitens B.A. und Y.K. bereits erbrachten Beträge in Höhe von 2.500,-- EUR (B.A.) bzw. 3.000,-- EUR (Y.K.) auf den Schmerzensgeldbetrag anzurechnen seien. Das Urteil wurde nach Verwerfung der unter anderem vom Kläger eingelegten Revision diesem gegenüber am 10.12.2009 rechtskräftig.
Nach den Feststellungen im Strafurteil vom 30.06.2009 war Y.K. als Geschäftsführer in dem vom Kläger betriebenen Wettbüro beschäftigt und hätte Anfang des Jahres 2009 als Teilhaber einsteigen sollen. B.A. war bei einer Automatenaufstellerfirma tätig und für die Wartung der im Wettbüro aufgestellten Spielautomaten zuständig. Die Mitangeklagten E.G. und T.K., ein Schwager des Y.K., hielten sich häufig als Gäste im Wettbüro auf. Das Opfer der Straftaten, N.G., war auf Empfehlung des B.A. seit September 2008 als Aushilfe angestellt. Nachdem am 29.11.2008 zwischen 2.00 Uhr und 2.30 Uhr in das Wettbüro eingebrochen und aus Spielautomaten und einem offenen Tresor insgesamt Bargeld in Höhe von etwa 2.500,-- EUR entwendet worden war, verdächtigten die Angeklagten die im Wettbüro angestellte N.G. und deren Freund der Beteiligung an dem Einbruch. Anlass war unter anderem, dass ein Augenzeuge etwa zum Zeitpunkt des Einbruchs ein Auto bemerkt hatte, das dem des Freundes von N.G. ähnelte. Außerdem hatte N.G. wenige Stunden nach dem Einbruch per SMS mitgeteilt, sie könne am Morgen nicht zur Arbeit erscheinen, weil ihr Schwiegervater gestorben sei, was aber - wie sich nach und nach herausstellte - tatsächlich nicht stimmte. Um N.G. zu einem Geständnis zu zwingen, brachten die fünf Angeklagten diese am 30.11.2008 gegen 12.30 Uhr dazu, mit ihnen in den Keller des Wettbüros zu gehen. Dort versetzte B.A. der Angestellten N.G. zunächst zwei derart heftige Ohrfeigen, dass sie ein Loch im linken Trommelfell erlitt. Danach hielt B.A. dieser eine von ihm - ohne Wissen der anderen - mitgeführte, nicht ausschließbar ungeladene Schreckschusswaffe, die er zuvor mehrfach durchgeladen hatte, an die Stirn, so dass N.G. befürchtete, erschossen zu werden, und Todesangst verspürte. Unter Ausnutzung der Todesangst von N.G. versuchten die Angeklagten in den nächsten Stunden - allerdings vergeblich -, von dieser ein Geständnis zu erpressen. A.B. drückte ihr ein Kissen auf das Gesicht und tat so, als ob er dieses als Schalldämpfer verwenden würde. Auf Vorschlag des Klägers behauptete er sodann, man habe ein paar Leute zu ihrem Freund geschickt, welche ihn mit einem Baseballschläger "zusammengeschlagen" hätten, woraufhin dieser alles zugegeben hätte. B.A. oder E.G. drohten später damit, N.G. mit einer Handsäge einen Finger abzusägen. Als N.G. darum bat, auf Toilette gehen zu dürfen, wurde ihr dies mit dem Hinweis verweigert, sie solle „in die Hose pissen“. Bei diesen Übergriffen und Bedrohungen leistete T.K. lediglich psychische Beihilfe, während die anderen aktiv beteiligt waren. Nachdem B.A. und E.G. zwischen 14.30 Uhr und 15.00 Uhr den Keller verlassen hatten, wurde N.G. gegen 16.00 Uhr vom Kläger, Y.K. und T.K. freigelassen und von T.K. nach Hause gefahren. N.G. leidet noch heute erheblich unter den psychischen Folgen der Tat. Bezüglich der Strafzumessung wird in dem Urteil des Landgerichts Karlsruhe hinsichtlich des Klägers unter anderem dargelegt: Die Kammer sei der Auffassung, dass die Voraussetzungen der tätigen Reue (§§ 239a Abs. 4, 239b Abs. 2 StGB) vorgelegen hätten, weil die Täter von einer weiteren Befragung der Geschädigten abgesehen hätten. Für die Annahme eines minder schwereren Falls der Geiselnahme (§§ 239a Abs. 2, 239b Abs. 2 StGB) spreche, dass der Kläger bereits im Ermittlungsverfahren ein Geständnis abgelegt und dieses in der Hauptverhandlung aufrechterhalten habe, wobei der Kammer das Geständnis allerdings nur bedingt getragen von Einsicht und Reue erscheine, weil der Kläger immer wieder darauf hingewiesen habe, er hätte nicht gegen die weitere Tatausführung einschreiten können. Für ihn spreche außerdem, dass er bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei, sich schriftlich bei der Geschädigten entschuldigt und einen eher geringen Tatbeitrag geleistet habe. Es sei aber auch zu berücksichtigen, dass er als Inhaber des Wettbüros ein Hauptinteresse daran gehabt habe festzustellen, ob seine Angestellte tatsächlich an dem Einbruch beteiligt gewesen sei, dass tateinheitlich zum Verbrechen der Geiselnahme auch ein Vergehen der gefährlichen Körperverletzung begangen worden, dass er über dreieinhalb Stunden an der Tatbegehung beteiligt gewesen sei und dass die Geschädigte nicht nur eine körperliche Verletzung in Form einer Trommelfellperforation mit erheblichen Höreinschränkungen erlitten habe, sondern noch heute schwer unter den psychischen Folgen der Tat leide. Die nicht vertypten Milderungsgründe reichten daher nicht aus, um das Vorliegen eines minder schweren Falles zu bejahen. Unter weiterer Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger tätige Reue im Sinne von §§ 239b Abs. 2, 239a Abs. 4 StGB geleistet habe, sei allerdings unter Heranziehung dieses Strafmilderungsgrundes das Vorliegen eines minder schweren Falles bejaht worden.
Im Anschluss an die Untersuchungshaft verbüßte der Kläger vom 10.12.2009 bis zu seiner Entlassung am 22.12.2011 Strafhaft, ab dem 08.04.2010 in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bruchsal. Zwei Drittel der Strafe waren am 17.04.2011 vollstreckt, Endstrafentermin wäre der 17.06.2012 gewesen. In dieser Zeit erhielt der Kläger regelmäßig Besuch von seiner Ehefrau und seinen Kindern sowie von anderen Verwandten und Bekannten. Von September 2010 bis Juli 2011 nahm er zweimal wöchentlich an Deutschkursen teil. Er arbeitete in einem Unternehmerbetrieb der JVA. In Vollzugsplänen und Berichten der JVA Bruchsal vom 05.05.2010, 12.05.2010, 08.02.2011, 12.09.2011 und 12.10.2011 wurde unter anderem dargelegt: Disziplinarrechtlich habe gegen den Kläger nicht eingeschritten werden müssen, es sei auch zu keinen Unregelmäßigkeiten bezüglich Drogen oder Alkohol gekommen. Er könne sehr nervenaufreibend sein, weil er täglich mehrere Anliegen habe, die er durchzusetzen versuche. Er werde dabei jedoch nie aggressiv, sondern zeige fehlendes Verständnis, reagiere weinerlich oder unbeirrbar. Im Unternehmerbetrieb gelte er wegen seiner ständigen Anliegen als Sorgenkind, erledige aber seine Arbeit zuverlässig, es sei nicht zu unentschuldigten Ausfallzeiten gekommen. Er habe noch Schulden in Höhe von etwa 45.000,-- EUR. Während in früheren Stellungnahmen der JVA, unter anderem vom 08.02.2011, Zweifel an einer Tataufarbeitung und einer echten Reue des Klägers geäußert wurden, wurde in einem Bericht vom 12.10.2011 ausgeführt, der Kläger habe über seine Straftat intensiv nachgedacht, könne sich zumindest über den Vergleich mit eigenen Bedrängungserfahrungen in das Opfer einfühlen, sei nicht die treibende Kraft gewesen und scheine seine Straftat tatsächlich zu bereuen. Die Landesstiftung Opferschutz habe am 16.07.2011 bestätigt, dass er 1.000,-- EUR Schmerzensgeld in Raten bezahlt habe. Als stabilisierender Faktor werde seine Familie gesehen. Der psychologische Dienst gehe davon aus, dass ein kriminalprognostisches Gutachten zu dem Schluss kommen werde, dass eine weiterhin bestehende Gefahr nicht festgestellt werden könne.
Bereits mit Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 wurde der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Ziff. 1). Außerdem wurde ihm die Abschiebung in die Türkei oder in einen anderen Staat angedroht (Ziff. 2). Für den Fall, dass er vor der beabsichtigten Abschiebung aus der Haft entlassen werde, wurde er aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von einem Monat nach seiner Entlassung zu verlassen; für den Fall, dass er nicht fristgerecht ausreise, wurde ihm die Abschiebung angedroht (Ziff. 3). Zur Begründung wurde dargelegt: Dem Kläger stehe kein erhöhter Ausweisungsschutz aufgrund eines Rechts zum Aufenthalt nach dem Assoziationsratsbeschluss 1/80 zu. Eine nach Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 privilegierte aufenthaltsrechtliche Position habe nicht mehr erworben werden können, weil seine Ehefrau zwei Jahre nach Beginn der ehelichen Lebensgemeinschaft die deutsche Staatsangehörigkeit erworben habe. Ansprüche aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 seien ebenfalls nicht entstanden. Bei der Firma F. habe der Kläger zwar vom 02.11.1998 bis zum 26.02.2001 und vom 09.07.2001 bis zum 31.10.2001 gearbeitet. In der Zwischenzeit, vom 27.02.2001 bis zum 08.07.2001, habe er jedoch Krankengeld von der AOK bezogen. Selbst wenn man davon ausginge, dass er drei Jahre ordnungsgemäß bei einem Arbeitgeber beschäftigt gewesen sei, wäre seine Rechtsstellung nach Art. 6, 2. Spielgelstrich ARB 1/80 wieder erloschen. Denn im Anschluss an die Beschäftigung bei der Firma F. habe er ab November 2001 bis zum 27.07.2003 Leistungen der Agentur für Arbeit bezogen. Seine Ehefrau habe in dieser Zeit ein Gewerbe (Obst- und Gemüsehandel) betrieben. Ab Oktober 2003 habe er dieses übernommen, bis er es im Januar 2004 wieder aufgegeben habe. Nach kurzen Arbeitsverhältnissen, Zeiten der Arbeitslosigkeit sowie Zeiten der Ausübung zweier anderer Gewerbe, sei schließlich zum 05.06.2008 die Anmeldung des Wettbüros erfolgt. Die Aufnahme einer auf Dauer angelegten selbstständigen Tätigkeit führe jedoch zum Erlöschen bereits entstandener Rechte aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80. Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid sei daher das Aufenthaltsgesetz. Der Kläger erfülle den Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 1 AufenthG. Er genieße jedoch wegen der bestehenden Niederlassungserlaubnis und der familiären Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau und seinen Kindern besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 4 AufenthG. Es sei daher zu prüfen, ob ein schwerwiegender Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG vorliege. Das sei der Fall. Die vom Kläger und seinen Mittätern aufgrund von Selbstjustiz begangene Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung wiege ausgesprochen schwer. Der Tathergang verdeutliche, dass der Kläger ein erhebliches Maß an krimineller Energie besitze, welches bei verständiger Würdigung aller für und gegen ihn sprechenden Umstände der Tatbegehung die Grenzen der Bagatellkriminalität bei weitem überschreite. Er sei offenkundig nicht in der Lage oder auch nicht gewillt, sich an die im Bundesgebiet bestehende Rechtsordnung zu halten. Deshalb könne ihm keineswegs eine günstige Sozialprognose gestellt werden. Nach den vorliegenden Berichten der JVA habe eine Tataufarbeitung wegen der fehlenden differenzierten Deutschkenntnisse noch nicht erfolgen können. Bislang sei danach auch nicht erkennbar, dass der Kläger ein Schuldbewusstsein oder eine Empathie für das Opfer entwickelt habe. Die Ausweisung sei daher aus spezialpräventiven Gründen geeignet und erforderlich. Sie werde auch auf generalpräventive Erwägungen gestützt. Es bestehe ein dringendes soziales Bedürfnis, über die strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Gewalttaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Wegen des besonderen Ausweisungsschutzes und mit Blick auf die Familie des Klägers und Art. 8 EMRK liege eine Ausnahme von der Regel des § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG vor, so dass über die Ausweisung nach Ermessen zu entscheiden sei. Sie sei hier gerechtfertigt, insbesondere verhältnismäßig. Der Kläger sei mit einer türkischstämmigen Frau verheiratet, die mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen habe, und Vater von vier deutschen Kindern. Beruflich sei es ihm nicht gelungen, sich im Bundesgebiet zu integrieren. Der Aufbau eines eigenen Betriebes sei immer wieder gescheitert. In dem zuletzt betriebenen Wettbüro habe er mehrere Personen beschäftigt, ohne diese anzumelden. Dies sowie die Tatsache, dass er bereit gewesen sei, eine von ihm verdächtige Person als Geisel zu nehmen, um aus ihr mit brutalsten physischen und psychischen Methoden ein Geständnis zu erpressen, sei ein Beleg für eine Denkweise, welche nicht den Wertvorstellungen der Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland entspreche. Es sei nicht erkennbar, dass der Kläger von seinem Heimatland, das er vor vierzehn Jahren im Alter von 25 verlassen habe, entfremdet sei. In Anbetracht des gravierenden Verstoßes gegen die geltende Rechtsordnung könnten die rechtlichen und tatsächlichen Auswirkungen der Ausweisung, die mit einer Übersiedlung in die Türkei verbunden seien, nicht als unverhältnismäßig angesehen werden. Dies gelte auch unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK. Schließlich könne er gegebenenfalls einen Antrag auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung stellen. Hilfsweise sei festzustellen, dass die Ausweisung des Klägers auch dann - im Ermessenswege nach Art. 14 ARB 1/80 i.V.m. § 55 AufenthG -gerechtfertigt sei, wenn man davon ausgehe, dass ihm eine Rechtsstellung nach Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 zustehe. Für diesen Fall sei die Ausweisung jedoch lediglich auf spezialpräventive Gründe zu stützen. Die Abschiebungsandrohung beruhe auf § 59 Abs. 1 AufenthG.
Am 04.11.2010 erhob der Kläger beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage, zu deren Begründung er im Wesentlichen vortrug: Eine Trennung von seiner Familie wäre unverhältnismäßig. Weder verfügten er und seine Familie über die erforderlichen finanziellen Mittel für regelmäßige Besuche noch hätte er die Möglichkeit, die Kontakte angemessen aufrechtzuerhalten. Zudem sei die Ausweisung weder aus generalpräventiven noch aus spezialpräventiven Gründen angemessen. Er sei das erste Mal straffällig geworden. Aus dieser - einmaligen -Entgleisung, die nicht verharmlost werden solle, könne nicht auf ein grundsätzliches Verhaltensmuster für die Zukunft geschlossen werden. Im Übrigen sei er vom 01.11.1998 bis zum 31.10.2001 durchgehend bei der Firma F. beschäftigt gewesen, weshalb er als Assoziationsberechtigter anzusehen sei.
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Das beklagte Land trat der Klage entgegen.
11 
Mit Urteil vom 02.03.2011 - 4 K 3079/10 - wies das Verwaltungsgericht die Klage ab und führte aus: Es bedürfe keiner abschließenden Beurteilung, ob der Kläger eine Rechtsstellung nach Art. 6 ARB 1/80 erworben habe, denn eine solche wäre jedenfalls durch die Aufnahme einer Tätigkeit als Selbstständiger erloschen. Weil er besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 4 AufenthG genieße, könne er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Solche seien hinsichtlich des spezialpräventiven und bezüglich des generalpräventiven Ausweisungszwecks aufgrund der vom Kläger verübten Straftat gegeben. In Fällen mittlerer und schwerer Kriminalität seien die Voraussetzungen für eine spezialpräventive Ausweisung grundsätzlich zu bejahen. Beim Kläger bestehe ein gegenüber dem Durchschnittsbürger sogar beträchtlich erhöhtes Risiko, auch künftig wieder strafrechtlich in Erscheinung zu treten. Dafür sprächen die nicht unerhebliche kriminelle Energie, die er an den Tag gelegt habe, und die konkrete Tatausführung. Diese lasse ein erhebliches Maß an Gewaltanwendung gegenüber Personen erkennen; sie habe zu gravierenden Folgen für das Opfer geführt. Ausweislich eines Berichts der JVA vom 08.02.2011 habe die Freiheitsstrafe nur insoweit die erwünschte Wirkung gezeigt, als der Kläger die negativen Folgen für seine Familie eingesehen habe, mit den Folgen der Tat für das Opfer habe er sich noch nicht erkennbar auseinandergesetzt. Da die Tat zudem eine hohe Bereitschaft für eine im Heimatland des Klägers in bestimmten Bereichen auch heute noch übliche und gesellschaftlich akzeptierte Selbstjustiz belege, könne ihm keine günstige Sozialprognose erteilt werden. Ein Ausnahmefall von der Regelausweisung - und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung - sei hier wegen der tatsächlich gelebten familiären Gemeinschaft des Klägers mit den vier ehelichen Kindern des Klägers zu sehen. Die entsprechenden Ermessenserwägungen seien im Ergebnis rechtsfehlerfrei. Die dem Kläger als Mittäter der begangenen Straftaten zurechenbare Gewaltanwendung wiege derart schwer, dass seine Ausweisung auch mit Blick auf die Schutzwirkungen des Art. 6 GG und des Art. 8 EMRK nicht unverhältnismäßig sei.
12 
Auf den am 14.03.2011 vom Kläger gestellten Antrag hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 17.05.2011 - 11 S 875/11 - die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 zugelassen. Diese hat der Kläger am 26.05.2011 unter Stellung eines Antrags begründet.
13 
Zur Vorbereitung der Entscheidung über die Aussetzung der Reststrafe holte die Vollstreckungskammer des Landgerichts Karlsruhe mit Schreiben vom 03.06.2011 ein kriminalprognostisches Gutachten der Klinik für forensische Psychiatrie und Psychotherapie - Zentrum für Psychiatrie - Wiesloch ein. Das daraufhin erstattete Gutachten von Herrn Dr. Sp..., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, und Herrn S..., Facharzt für Psychiatrie, vom 24.09.2011 kommt zu dem Ergebnis, dass nicht mehr davon ausgegangen werden könne, dass die durch die Tat beim Kläger zutage getretene Gefährlichkeit fortbestünde. Dabei wurde die fehlende Auseinandersetzung mit der Straftat als prognostisch ungünstiger Faktor gewertet. Der Kläger sei bei der Tat aber eher passiv im Hintergrund geblieben. Beim Tatgeschehen komme somit situativen Faktoren (Eingebundenheit in eine Tätergruppe bei Vorhandensein von freundschaftlichen Beziehungen und Loyalitäten, Unterordnung unter dominant auftretende Persönlichkeiten) ein wesentliches Gewicht am Zustandekommen der Tat zu. Der Kläger habe sich im Rahmen der Haft im Wesentlichen angepasst und korrekt verhalten. Dass er dabei seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse jeweils mit einem gewissen Nachdruck vorgetragen habe, lasse sich nicht als prognoserelevanter Faktor verwerten. Es existierten stabile familiäre Anbindungen. Auch die beruflichen Planungen des Klägers erschienen nicht unrealistisch. Die prognostisch günstigen Faktoren überwögen im Vergleich zu dem einzigen ungünstigen Faktor - der fehlenden inneren Auseinandersetzung des Klägers mit der Tat - deutlich. Nach einer Anhörung des Klägers am 16.12.2011 wurde mit Beschluss des Landgerichts Karlsruhe vom 21.12.2011 die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 30.06.2009 zur Bewährung ausgesetzt. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt; der Kläger wurde der Leitung und Aufsicht eines Bewährungshelfers unterstellt. Daraufhin wurde er am 22.12.2011 aus dem Strafvollzug entlassen.
14 
Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger im Wesentlichen vor: Das Verwaltungsgericht sei unzutreffend davon ausgegangen, dass die Rechtstellung aus Art. 6 ARB 1/80 mit Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit erlösche. Die Ausweisung genüge nicht den Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80. Im Übrigen hätte ein Widerspruchsverfahren durchgeführt bzw. über die Ausweisung noch durch eine „unabhängige Stelle“ entschieden werden müssen. Schon aus diesem Grund sei sie aufzuheben. Unabhängig davon sei die Ausweisung hier mit Blick auf die Tatsache, dass die Ehefrau des Klägers und seine Kinder deutsche Staatsangehörige seien, rechtswidrig. Soweit im Urteil dargelegt werde, der Rechtsstellung der Kinder des Klägers könne durch Besuche der Ehefrau mit den Kindern in der Türkei Rechnung getragen werden, werde nicht die dem Kläger gemäß Art. 20 AEUV zukommende europarechtliche Rechtsposition berücksichtigt. Anzugreifen sei auch, dass die erste Instanz eine Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung mangels Befristung verneine. Dies verstoße gegen Art. 8 EMRK. Nach dem kriminalprognostischen Gutachten vom 24.09.2011 bestehe die bei der Tat zutage getretene Gefährlichkeit inzwischen nicht mehr. Die Arbeitssuche des Klägers nach seiner Haftentlassung sei durch seine erheblichen gesundheitlichen Probleme belastet gewesen. Er habe am 20./21.04.2012 in eine Klinik aufgenommen und später erneut - vom 06.06. bis zum 14.06.2012 - stationär behandelt werden müssen. Zum 24.07.2012 habe er dann einen Arbeitsplatz als Fahrer bei einer Firma in Karlsruhe gefunden, wonach er bei einer durchschnittlichen regelmäßigen Arbeitszeit von 25 bis 30 Wochenstunden 1.000,-- EUR brutto monatlich verdiene.
15 
Nachdem das Regierungspräsidiums Karlsruhe in der mündlichen Verhandlung die Sperrwirkungen der Ausweisung vom 22.10.2010 auf zwei Jahre befristet hat, beantragt der Kläger,
16 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 - 4 K 3079/10 - zu ändern und den Bescheid vom 22.10.2010 aufzuheben,
17 
hilfsweise: das beklagte Land zu verpflichten, die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG bezeichneten Wirkungen der Ausweisung auf sofort zu befristen.
18 
Das beklagte Land beantragt,
19 
die Berufung zurückzuweisen.
20 
Es trägt vor: Das Verwaltungsgericht Karlsruhe habe zutreffend die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 22.10.2010 bestätigt und berücksichtigt, dass eine Rechtsstellung aus Art. 6 ARB 1/80 - selbst wenn der Kläger sie erworben hätte - dadurch erloschen wäre, dass er eine Tätigkeit als Selbstständiger aufgenommen habe. Durch die Ausweisung werde kein unverhältnismäßiger Eingriff in das Recht des Klägers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens begründet. Der Kontakt zur Ehefrau und den Kindern des Klägers könne durch Besuche in der Türkei, Briefe, Telefonate und E-Mails aufrechterhalten werden. Da der Kläger die deutsche Sprache nicht richtig beherrsche und sich bei Besuchen in türkischer Sprache unterhalten habe, sei davon auszugehen, dass die Familie ebenfalls mit der Türkei vertraut sei. Ein Leben in der Türkei wäre für den Kläger auch nicht unzumutbar, weil er zuvor ebenfalls dort gelebt habe, dort noch seine Mutter und Geschwister wohnten und er auch die türkische Sprache beherrsche. Zu dem kriminalprognostischen Gutachten vom 24.09.2011 sei auszuführen: In dem Gutachten werde einmal mehr die „weitgehend fehlende innere Auseinandersetzung“ des Klägers mit seiner Tat und den Folgen für das Opfer bestätigt. Die von ihm signalisierte Betroffenheit über das Leid des Opfers wirke auf die Gutachter sogar „affektiv eher flach und vordergründig“. Für die Gutachter sei der Eindruck entstanden, dass der Kläger „insgesamt emotional stärker durch die Folgen der Tat für ihn und seine Familie als durch die Folgen für das Opfer betroffen erschien“. Ein tiefergehendes Mitgefühl für das Opfer sei trotz verbaler Bekundung wenig spürbar gewesen. Diese Einschätzung decke sich mit einem Bericht der JVA Bruchsal vom 08.02.2011, demzufolge „eine wirkliche Tataufarbeitung ... nicht sichtbar“ werde, und dem Eindruck, den der Kläger beim erstinstanzlichen Gericht hinterlassen habe. Das Verwaltungsgericht habe sich immerhin zu der deutlichen Formulierung veranlasst gesehen, „dass er sich mit seiner Gewaltproblematik noch nicht, jedenfalls in nicht ausreichendem Maße, auseinandergesetzt hat und die Tat eine hohe Bereitschaft für eine im Heimatland des Klägers in bestimmten Bereichen auch heute noch übliche und gesellschaftlich akzeptierte Selbstjustiz belegt“. Mit anderen Worten: Wenn sich der Kläger in einer vergleichbaren Situation wiederfinde, in der jemand der Wahrheit auf die Sprünge helfen wolle, sei nach wie vor keine ethische Schranke bei ihm installiert, die ihn davor bewahre mitzumachen. Das Gutachten vom 24.09.2011 werte zwar zugunsten des Klägers, dass den situativen Faktoren ein wesentliches Gewicht am Zustandekommen der Tat zugekommen sei. Es liefere aber nicht den geringsten neuen Anhaltspunkt dafür, dass sich der Kläger das nächste Mal der Gruppendynamik entziehen oder gar widersetzen würde, wenn Gewalt ins Spiel komme. Aus diesen Gründen bestehe keine Veranlassung, von der aufgrund der mündlichen Verhandlung in erster Instanz gewonnenen und vom Verwaltungsgericht zutreffend begründeten Einschätzung Abstand zu nehmen.
21 
Auf einen Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 11.08.2011 - 11 S 2027/11 - die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 angeordnet.
22 
In einem Bericht der Bewährungshelferin vom 24.07.2012 sowie einem ergänzenden Schreiben vom 25.09.2012 wird dargelegt: Insgesamt sei in dem bisherigen Bewährungsverlauf nichts zu beanstanden. Der Kläger habe sich - zunächst vergeblich - intensiv um einen Arbeitsplatz bemüht. Mit Hilfe eines Rechtsanwalts sei es ihm gelungen, seinen Führerschein der Klasse 3 wieder zu erlangen. Insgesamt sei es dem Kläger nach der Haftentlassung nicht gut gegangen, er habe noch sehr unter den Nachwirkungen gelitten und sei durch seinen behandelnden Arzt wegen Depressionen medikamentös behandelt worden. Am 25.05.2012 habe er sich wegen starker Schmerzen ins Krankenhaus begeben müssen. Nach mehreren Untersuchungen seien ihm am 21.06.2012 stationär mehrere Nierensteine entfernt worden. Er habe sich wirklich bemüht, wieder zu der „arbeitenden Bevölkerung“ zu gehören. Seit dem 24.07.2012 sei er als Fahrer beschäftigt; er verdiene monatlich etwa 1.000,-- EUR. Er hätte die Möglichkeit, einen Kiosk in Karlsruhe-Durlach zu übernehmen; seine Ehefrau würde dann mit ihm zusammenarbeiten.
23 
Dem Senat liegen die Akten des Regierungspräsidiums Karlsruhe über das Ausweisungsverfahren (2 Hefte), die ausländerrechtlichen Akten des Landratsamts Karlsruhe bezüglich des Klägers (2 Hefte), seiner Ehefrau (1 Heft) und der ältesten Tochter (1 Heft), die Gefangenenpersonalakten der JVA Bruchsal (1 Heft), die Strafakten betreffend das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 30.06.2009 - 3 KLs 110 Js 41778/08 - (8 Hefte) sowie das Bewährungsheft des Landgerichts Karlsruhe - 15 BWL 213/11 - vor. Diese sind ebenso wie die Akten über das Klageverfahren beim Verwaltungsgerichts Karlsruhe - 4 K 3079/10 -, über das vorliegende Berufungsverfahren - 11 S 1470/11 - und über das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes - 11 S 2027/11 -Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen; hierauf wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
24 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht und ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 6 und Abs. 3 Satz 4 VwGO) Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 hat Erfolg. Die Anfechtungsklage des Klägers gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteile vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - InfAuslR 2008, 156, und vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris) begründet. Die darin unter Ziffer 1 verfügte Ausweisung und die Abschiebungsandrohung unter Ziffern 2 und 3 sind rechtswidrig und verletzen dadurch den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Einer Entscheidung über den vom Kläger im Berufungsverfahren lediglich hilfsweise gestellten Antrag auf Verpflichtung des beklagten Landes zur Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 bezeichneten Wirkungen der Ausweisung "auf sofort" (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O.) bedarf es daher nicht.
I.
25 
Die auf §§ 53 Nr. 1, 56 Abs. 1, 55 AufenthG beruhende (dazu unter 1. und 2.) Ausweisung des Klägers, die hier im Ermessen des beklagten Landes steht (3.), ist mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz rechtswidrig (4.).
26 
1. Maßgebliche Rechtsgrundlage sind die §§ 53 Nr. 1, 56 Abs. 1, 55 AufenthG.
27 
Insbesondere sind nicht etwa allein wegen des Umstands, dass die Ehefrau und die Kinder des Klägers deutsche Staatsangehörige sind, besondere unionsrechtliche Anforderungen zu beachten (vgl. hierzu EuGH, Urteile vom 05.05.2011 - Rs. C-434/09, McCarthy - InfAuslR 2011, 268, und vom 15.11.2011 - Rs. C-256/11, Dereci - InfAuslR 2012, 47; Senatsurteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 - NVwZ-RR 2012, 412).
28 
Eine nur beschränkte Anwendbarkeit der Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG folgt hier auch nicht aus dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: ARB 1/80; vgl. insbesondere Art. 14 ARB 1/80). Eine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80 hat der Kläger nicht erworben, weil seine Ehefrau vor Ablauf von drei Jahren nach Zuzug des Klägers eingebürgert wurde und die türkische Staatsangehörigkeit aufgegeben hat (vgl. dazu Renner, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 4 Rn. 156 m.w.N.). Ob er jemals die Voraussetzungen des - hier allein in Betracht kommenden - 2. Spiegelstrichs des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erfüllt hat, kann offen bleiben. Denn er hat eine eventuelle Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 durch die spätere Aufnahme selbstständiger Tätigkeiten, zuletzt den Betrieb des Wettbüros - aufgrund dessen der Kläger jedenfalls dem Arbeitsmarkt auf unabsehbare Zeit nicht mehr zur Verfügung stand - verloren (streitig, ebenso: Hess. VGH, Urteil vom 09.02.2004 - 12 TG 3548/03 - InfAuslR 2004, 230; Bayer. VGH, Urteil vom 26.03.2007 - 24 BV 03.2091 - juris; vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18.10.2006 - 13 S 192/06 - InfAuslR 2007, 49; a.A. VG Stuttgart, Urteil vom 23.05.2011 - 11 K 2967/10 - juris; vgl. zum Streitstand GK-AufenthG, Stand: September 2012, IX - 1 Art. 6 Rn. 238 f.; Hailbronner, AuslR, Stand: August 2012, D 5.1, Art. 6 ARB 1/80 Rn. 46). Letztlich kommt es aber auf diese Frage hier nicht an. Folge einer assoziationsrechtlichen Rechtsstellung des Klägers wäre ein erhöhter Ausweisungsschutz (vgl. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80; Senatsurteil vom 16.04.2012 - 11 S 4/12 - juris m.w.N.). Wie sich aus dem Folgenden ergibt, erweist sich die Ausweisung auch dann als rechtswidrig und ist daher aufzuheben, wenn ihm dieser nicht zukäme.
29 
2. Allerdings sind die Tatbestandsvoraussetzungen einer "Ist-Ausweisung" nach § 53 Nr. 1 AufenthG gegeben. Danach wird ein Ausländer unter anderem dann ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das ist hier wegen der Verurteilung des Klägers durch das Landgericht Karlsruhe vom 30.06.2009 wegen Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten der Fall.
30 
3. Trotz Erfüllung des an sich zwingenden Ausweisungsgrundes des § 53 Nr. 1 AufenthG steht die Ausweisung des Klägers jedoch im Ermessen und ist deshalb nach § 55 AufenthG zu beurteilen. Der Kläger genießt unstreitig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz (a). Er darf daher gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Solche liegen gemäß § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 AufenthG, also auch hier, vor. Diesbezüglich ist auch nicht vom Vorliegen eines Ausnahmefalls auszugehen (b). Hier ist aber eine Ausnahme von der "Regelrechtsfolge" des § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG geboten, wonach der betreffende Ausländer bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 AufenthG "in der Regel" ausgewiesen wird. Über seine Ausweisung ist daher nach Ermessen zu entscheiden (c).
31 
a) § 56 Abs. 1 AufenthG ist aus zwei Gründen anzuwenden: Zum einen besitzt der Kläger eine Niederlassungserlaubnis und hält sich seit mehr als fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet auf (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG), zum anderen lebt er mit deutschen Familienangehörigen - seiner Ehefrau und seinen Kindern - in familiärer Lebensgemeinschaft (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG).
32 
b) Der danach für eine Ausweisung des Klägers erforderliche schwerwiegende Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG ist gegeben.
33 
Nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5, 5 bis 5b und 7 AufenthG vor. Diese gesetzliche Vermutung beruht darauf, dass bei Verwirklichung der genannten Ausweisungstatbestände regelmäßig das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Ausweisung des Ausländers erfordert und der vom Gesetz bezweckte Schutz des Ausländers dahinter zurückzutreten hat. Die Regelung enthält allerdings keine Automatik, sondern erfordert eine individuelle Prüfung im jeweiligen Einzelfall, ob nicht Besonderheiten vorliegen, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass - hier des § 53 AufenthG - als weniger gewichtig erscheinen lassen. Davon ist auszugehen, wenn im konkreten Fall weder die spezial- noch die generalpräventiven Ausweisungszwecke des betreffenden Ausweisungstatbestands in dem erforderlichen Ausmaß vorliegen (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, m.w.N.; vgl. auch Senatsurteil vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 02.07.2001 - 13 S 2326/99 - InfAuslR 2002, 72).
34 
Im Falle des Klägers ist zwar nicht mit Blick auf den spezialpräventiven Ausweisungszweck (aa), aber vor dem Hintergrund der zulässigen generalpräventiven Erwägungen ein schwerwiegender Ausweisungsgrund (bb) zu bejahen.
35 
aa) Zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kann nicht (mehr) davon ausgegangen werden, dass vom Kläger die Gefahr der Wiederholung erheblicher Straftaten ausgeht. Die Ausweisung kann daher nicht mehr auf spezialpräventive Gründe gestützt werden.
36 
Allerdings ist der Ausweisungsanlass - die vom Kläger begangene Straftat der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - besonders gravierend. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 - juris, vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris, vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3, und vom 03.08.2004 - 1 C 30.02 -InfAuslR 2005, 18), der sich der Senat anschließt (einschränkend noch Senatsurteile vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 - NVwZ-RR 2012, 492, und vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291), gelten bei Straftaten mit einer hervorgehobenen Bedeutung für die im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr eher geringere Anforderungen. In den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 AufenthG besteht auch eine gesetzliche Vermutung des Vorliegens eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes in § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG. Selbst wenn man danach einem differenzierten Wahrscheinlichkeitsmaßstab folgt, bedeutet dies aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O. m.w.N.). Dies gilt nicht nur bei der Prüfung der Wiederholungsgefahr bei Assoziationsberechtigten oder Unionsbürgern, sondern jedenfalls auch bei Ausländern, denen besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 AufenthG zusteht. Auch in diesen Fällen müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit von dem Betreffenden eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht. Lässt sich die Begehung weiterer Straftaten lediglich nicht ausschließen, ist eine dem besonderen Ausweisungsschutz Rechnung tragende erhöhte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung noch nicht gegeben, so dass auch der Ausweisungsgrund nicht schwer wiegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O., sowie - zu den entsprechenden Vorgängerregelungen des § 47 Abs. 1 AuslG 1990 bzw. § 11 Abs. 1 AuslG 1965 - Urteile vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 -InfAuslR 1997, 8, und vom 17.01.1989 - 1 C 46.86 - InfAuslR 1989, 152; Beschluss vom 10.02.1995 - 1 B 221.04 - InfAuslR 1995, 273, m.w.N.).
37 
Der Senat ist aufgrund der vorliegenden Akten und Unterlagen, insbesondere des von der Strafvollstreckungskammer im Verfahren auf Aussetzung der Reststrafe eingeholten, nachvollziehbaren und überzeugenden kriminalprognostischen Gutachtens vom 24.09.2011, sowie aufgrund der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass von diesem keine nennenswerte Gefahr der Wiederholung von entsprechenden Straftaten (mehr) ausgeht.
38 
Zu Lasten des Klägers sind in diesem Zusammenhang allerdings zunächst neben der Schwere des begangenen Delikts die konkreten Tatumstände zu berücksichtigen. Das Regierungspräsidium Karlsruhe hat in dem angefochtenen Bescheid zu Recht darauf hingewiesen, dass der Kläger zwar nicht der Haupttäter war, er jedoch als Inhaber des Wettbüros eine besondere Verantwortung für das Geschehen trug, und dass er über einen Zeitraum von über dreieinhalb Stunden an der Geiselnahme mitgewirkt hat, bei welcher durch eine menschenunwürdige Befragung unter Anwendung und Androhung von Gewalt der Versuch unternommen wurde, von der Angestellten N.G. ein Geständnis für den vermeintlich von dieser bzw. deren Freund begangenen Einbruch zu erhalten. Der Kläger war dabei auch nicht etwa nur passiv beteiligt, sondern unterstützte seine Mittäter aktiv. Bereits am Vorabend der Tat war verabredet worden, N.G. Ohrfeigen zu versetzen. Zwar nahm der Haupttäter B.A. die Schreckschusspistole ohne Wissen der anderen mit. Zum einen schritten sie aber nicht gegen B.A. ein, welcher den Eindruck erweckte, N.G. erschießen zu wollen. Zum anderen nutzten sie die dadurch bei N.G. entstandene Todesangst in der Folge weiter aus bei ihren Bemühungen, ein Geständnis zu erzwingen, und hielten diese aufrecht. Der Kläger hatte außerdem die Kellertür selbst verschlossen und versperrte mit seinen Füßen den Ausgang, so dass das Opfer keine Chance hatte, den Keller zu verlassen. Er beteiligte sich aktiv an Vorhaltungen und an den Forderungen, die Tat einzuräumen, wenngleich weniger intensiv als die Mitangeklagten B.A., Y.K. und E.G. Nachdem N.G. bereits mit der Schreckschusswaffe bedroht worden war und Todesangst litt, schaltete er auf Aufforderung des Haupttäters B.A. das Licht aus, so dass eine noch bedrohlichere Atmosphäre entstand. Später schlug er dem Haupttäter auf Türkisch vor, N.G. mit der Behauptung zusätzlich unter Druck zu setzen, man habe zwischenzeitlich ihren Freund mit einem Baseballschlager "zusammengeschlagen", woraufhin dieser gestanden hätte. Nachdem B.A. den Keller verlassen hatte, befragten der Kläger, Y.K. und T.K. das Opfer N.G. zunächst weiter, bevor sie diese freiließen. Der Kläger nahm damit massive körperliche und psychische Schädigungen der N.G. billigend in Kauf. Wenn auch er und die verbliebenen Mittäter in der Folge von einer weiteren Tatausführung absahen, weshalb das Strafgericht von einer tätigen Reue ausgegangen ist, teilt der Senat die Einschätzung des Regierungspräsidiums, dass die Tat und die Tatumstände für ein erhebliches Maß an krimineller Energie des Klägers sprechen. Es handelt sich um eine besonders gravierende und mit einer erschreckenden Härte und Mitleidlosigkeit begangene Straftat.
39 
Der Kläger hat sich zudem, abgesehen von mehreren Gesprächen mit einem Psychologen in der Justizvollzugsanstalt, nicht mit professioneller Hilfe mit der Tat und den Auswirkungen für das Opfer auseinandergesetzt. An der Tiefe der von ihm in der Vergangenheit in Gesprächen geäußerten Betroffenheit über das Geschehen sind nicht nur in den ersten Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt, sondern auch in dem kriminalprognostischen Gutachten vom 24.09.2011 Zweifel geäußert worden. In dem Gutachten heißt es, es bestehe der Eindruck, dass der Kläger insgesamt emotional stärker durch die Folgen der Tat für ihn und seine Familie als durch die Folgen für das Opfer betroffen sei. Auch habe er seinen eigenen Tatbeitrag im Rahmen der Begutachtung tendenziell eher heruntergespielt. Es hätten sich somit keine Hinweise für eine tiefergehende innere Auseinandersetzung mit der Tat, respektive mit dem eigenen Beitrag zum Tatgeschehen, gefunden. So habe dieser nicht plausibel und nachvollziehbar darlegen können, weshalb er sich in keiner erkennbaren Weise für das Opfer eingesetzt habe, obgleich er das Handeln seiner Mittäter missbilligt haben wolle. Die von ihm angeführte Begründung, dass er Angst davor gehabt hätte, der Mittäter B.A. könnte die Waffe gegen ihn selbst einsetzen, erscheine insgesamt wenig plausibel. Die fehlende Auseinandersetzung mit der Straftat und den in der eigenen Person liegenden diesbezüglich relevanten Einstellungen und Motiven wird von den Gutachtern daher in prognostischer Hinsicht als ungünstiger Faktor gewertet. Tatsächlich hat der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung nicht nachvollziehbar erklären können, wie es so weit hat kommen können, vor allem, warum er nicht irgendwann eingeschritten ist. Offensichtlich kann er sich das bis heute selbst nicht erklären. Den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung ließ sich aber eine - glaubhafte - starke Betroffenheit und Reue entnehmen. Dies wurde unter anderem deutlich, als er erläuterte, dass er sich vorgestellt habe, das Opfer wären seine Ehefrau oder seine Tochter gewesen, und dass ihm klar geworden sei, welche Folgen die Tat für N.G. habe. Abgesehen von dem bereits entrichteten Schmerzensgeld für N.G. würde er gerne alles unternehmen, damit es ihr besser gehe.
40 
Selbst wenn sich danach bis heute letztlich nicht erklären lässt, wie es zu einer solchen Straftat hat kommen können, und eine erschöpfende Auseinandersetzung mit der Tat fehlt, besteht beim Kläger nicht die Gefahr einer Wiederholung erheblicher Straftaten. Dabei ist zunächst zu bedenken, dass die Straftat inzwischen fast vier Jahre zurückliegt. Der Kläger war über drei Jahre lang in Untersuchungs- und Strafhaft, welche ihn erkennbar tief beeindruckt hat. Zuvor hat er sich - abgesehen von einem nicht einschlägigen und nicht mehr zu berücksichtigenden Straßenverkehrsdelikt im Jahr 1998 - über 10 Jahre lang straffrei und bis zur Übernahme des Wettbüros - dessen Beschäftige allerdings nicht alle ordnungsgemäß angemeldet gewesen seien - ohne Beanstandungen in Deutschland aufgehalten. Nach dem Gutachten vom 24.09.2011 finden sich keine Hinweise für Berührungspunkte mit "spezifisch delinquenznahem Milieu" und auch keine Hinweise für eine tiefer in der Persönlichkeit des Klägers verankerte delinquente Neigung, etwa eine dissoziale Akzentuierung in seiner Persönlichkeit. Anhaltspunkte für eine Sucht oder eine Bindung an ein entsprechendes Milieu liegen nicht vor. Vor allem lebte und lebt er in einer stabilen partnerschaftlichen Beziehung. Die Gutachter bescheinigen ihm, dass die von ihm bekundeten Sorgen um die Entwicklung der Familie und der Kinder nachvollziehbar und glaubhaft sind. In der mündlichen Verhandlung wurde deutlich, dass der Kläger tatsächlich einen starken Rückhalt durch seine Familie und weitere Verwandte hat. In Deutschland leben noch zwei seiner Brüder. Mit seiner Frau und seinen Kindern besucht er oft die Familie seiner Ehefrau, das heißt deren Eltern und Geschwister, oder einen seiner beiden Brüder, der ebenfalls in der Nähe wohnt. Seine Ehefrau, er und die Kinder unternehmen am Wochenende gemeinsame Ausflüge. Sie begleiten den Sohn, der Handball in der Verbandsliga spielt, zu dessen Spielen, gehen auf den Jahrmarkt, ins Kino, auf Messen oder zu Verwandtenbesuchen. Der Kläger ist dafür zuständig, seinen Kindern bei Hausaufgaben im Fach Mathematik zu helfen. Er hat glaubhaft erklärt, dass er sich jetzt nur noch um seine Familie kümmern wolle. Zu den früheren Mittätern oder deren Umfeld hat der Kläger keinerlei Kontakt mehr. Die danach bestehenden starken Bindungen des Klägers an seine Familie und sein soziales Umfeld wertet der Senat, ebenso wie die Gutachter, als prognostisch günstige Kriterien. Vor diesem Hintergrund erscheint die Befürchtung des Regierungspräsidiums, der Kläger könnte erneut in eine Situation geraten, in welcher besondere "situative Faktoren" wie die im kriminalprognostischen Gutachten beschriebenen - etwa das Eingebundensein in eine Tätergruppe mit freundschaftlichen Beziehungen und Loyalitäten und die Unterordnung unter eine dominant auftretende Persönlichkeit - zu einer ähnlichen Straftat mit Gewaltanwendung führen könnten, fernliegend.
41 
Soweit in den Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt mehrmals darauf hingewiesen wird, dass der Kläger versuche, eigene Anliegen hartnäckig durchzusetzen, lässt dies keinen negativen Schluss bezüglich der Gefahr der Wiederholung weiterer Straftaten zu. Jedenfalls wurden während seiner Haftzeit gegen ihn keine Disziplinarmaßnehmen verhängt und er arbeitete ohne Beanstandungen in Betrieben der Justizvollzugsanstalt. Zudem nahm er an einem Deutschkurs teil. Auch die Gutachter betonen, dass der Umstand, dass der Kläger seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse jeweils mit einem gewissen Nachdruck vorgetragen haben solle, nicht als prognoserelevanter Faktor verwertet werden könne. Sie kommen daher in ihrer zusammenfassenden Beurteilung zu dem Ergebnis, dass die weitgehend fehlende innere Auseinandersetzung des Klägers mit der Tat der einzige prognostisch ungünstige Faktor sei, welcher zusätzlich dadurch relativiert werde, dass die Tat nicht in hohem Maße in der Persönlichkeitsstruktur des Klägers verankert erscheine, sondern eng mit spezifischen situativen Konstellationen verknüpft gewesen sei. Die prognostisch günstigen Faktoren überwögen im Vergleich deutlich. In der Gesamtwürdigung sei somit trotz der mangelnden inneren Auseinandersetzung mit der Tat nicht mehr davon auszugehen, dass beim Kläger dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbestehe.
42 
Dieser Beurteilung schließt sich der Senat an. Die Einschätzung der Gutachter wurde auch von der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Karlsruhe im Beschluss über die Aussetzung der Reststrafe vom 21.12.2011 geteilt. Selbst wenn man davon ausgeht, dass entsprechenden strafgerichtlichen Entscheidungen wegen der unterschiedlichen Maßstäbe und Prognosezeitpunkte nur eingeschränkte Bedeutung bei der im Ausweisungsverfahren zu treffenden Prognoseentscheidung zukommt (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3; weitergehend allerdings bei Assoziationsberechtigten: Senatsurteil vom 07.03.2012 - 11 S 3269/11 - InfAuslR 2012, 203), so ist die Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe hier jedenfalls als wesentliches Indiz zu berücksichtigen. Die Strafvollstreckungskammer ist nach Einholung des kriminalprognostischen Gutachtens vom 24.09.2011 zum Ergebnis gekommen, dass eine vorzeitige Entlassung aus dem Strafvollzug verantwortet werden könne. Sie hat zur Begründung ebenfalls darauf verwiesen, dass der Kläger bis zu der Geiselnahme strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei und ein sozial voll integriertes Leben geführt habe. Der Anteil des Klägers an der verurteilten Straftat stelle sich, gerade bei den Gewalttätigkeiten, eher als gering dar. Der psychiatrische Sachverständige habe ausgeführt, die Tatsache, dass sich der Kläger mit der Tat allenfalls ansatzweise auseinandergesetzt habe, sei zwar als ungünstig zu beurteilen, im Hinblick auf die spezifische situative Konstellation bei der Tat und die im Übrigen festgestellte Eingebundenheit des Klägers seien aber mit hoher Wahrscheinlichkeit keine entsprechenden Taten zu erwarten. Der Kläger selbst habe in der mündlichen Anhörung auf die Strafvollstreckungskammer einen überaus positiven Eindruck gemacht. Sie sei daher davon überzeugt, dass es ihm mit der Hilfe und der Aufsicht eines Bewährungshelfers gelingen werden, künftig ein straffreies Leben zu führen, zumal er dabei sei, sich in einer anderen Berufssparte zu etablieren.
43 
Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung sind zudem weitere Umstände gegeben, die eine günstige Prognose rechtfertigen. Der Kläger hat sich seit der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer und der Haftentlassung vor fast einem Jahr weiter bewährt. Er hat keine Schulden mehr. Weil er zunächst Probleme hatte, eine bereits bestehende Fahrerlaubnis für LKW mit einem Gesamtgewicht von über 7,5 t ausgestellt zu bekommen, gelang es ihm zwar nicht sofort nach der Haftentlassung, eine Arbeitsstelle zu finden. Seit Juli 2012 ist er aber als Fahrer bei einer Firma in Karlsruhe angestellt. In einem Schreiben der Firma vom 28.09.2012 wird bestätigt, dass dieser gewissenhaft, zuverlässig und pünktlich sei; an einer Weiterbeschäftigung bestehe Interesse. Die Bewährungshelferin des Klägers äußert sich in einem Bericht vom 24.07.2012 insgesamt ebenfalls positiv. Sie bestätigt, dass sich der Kläger intensiv um einen Arbeitsplatz bemüht, diesen wegen der Probleme mit dem Führerschein aber zunächst nicht erhalten habe. Nach der Haftentlassung sei es ihm zunächst gesundheitlich nicht gut gegangen, er sei wegen einer Depression ärztlich behandelt worden und habe im Mai und Juni wegen Nierenschmerzen und Nierensteinen stationär behandelt werden müssen. An dem bisherigen Bewährungsverlauf sei insgesamt nichts zu beanstanden, der Kläger halte vereinbarte Termine regelmäßig ein, spreche bei auftauchenden Problemen auch ohne Termin vor. Zur Zeit genügt der Verdienst des Klägers - seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung nach inzwischen in Höhe von 800,- bis 1.200,-- EUR netto monatlich - zwar noch nicht zum Lebensunterhalt der Familie. Er und seine Ehefrau haben jedoch konkrete Pläne, mit Hilfe einer selbstständigen Tätigkeit wieder ohne staatliche Unterstützungen leben zu können. Der Kläger ist weiter nicht nur in seine eigene "Kernfamilie" eingebunden, sondern hat zudem regelmäßigen Kontakt zu seinen Schwiegereltern, seinem Bruder und anderen Verwandten.
44 
bb) Wenn danach auch davon auszugehen ist, dass mit Blick auf die spezialpräventiven Gesichtspunkte ein atypischer Sachverhalt vorliegt, mithin kein Regelfall des § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG gegeben ist, ist aber das Vorliegen eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes bezüglich der vom beklagten Land angeführten generalpräventiven Gesichtspunkte zu bejahen.
45 
Generalpräventiv motivierte Ausweisungen können - ausnahmsweise - auch bei Ausländern zulässig sein, denen besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 AufenthG zukommt, wenn eine besonders schwerwiegende Straftat vorliegt und deshalb ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über eine strafrechtliche Sanktion hinaus durch eine Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, Urteile 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, und vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 - InfAuslR 1997, 8). Bei der Entscheidung sind alle wesentlichen Umstände des Einzelfalls in die Beurteilung einzubeziehen. Das Gewicht der Straftat ist nicht abstrakt, sondern konkret nach den Umständen der Tatbegehung zu bestimmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 - a.a.O.).
46 
Nach diesen Grundsätzen kann die Ausweisung hier wegen der Art und Schwere der Straftat - der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - und der geschilderten konkreten, sich über mehrere Stunden hinziehenden Tatausführung auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden. Eine abschreckende Wirkung erscheint auch mit Blick darauf wichtig, dass es sich um einen Fall von besonders skrupelloser "Selbstjustiz" gehandelt hat. Schließlich war der Einbruch in das Wettbüro des Klägers vom 29.11.2008 bereits bei der Polizei angezeigt worden. Nach Bekanntwerden der Umstände, die aus Sicht des Klägers und der Mitangeklagten für eine Täterschaft der Angestellten N.G. bzw. ihres Freundes sprachen, hatte Y.K. noch am selben Abend die Polizei auch darüber informiert. Ausweislich der Feststellungen im Strafurteil vom 30.06.2009 hatte der Polizeibeamte, welcher aufgrund der vagen Verdächtigungen keinen Grund gesehen hatte, umgehend einzuschreiten, Y.K ausdrücklich davor gewarnt, eigene Aktionen zu unternehmen. Dies hatte Y.K dem Kläger berichtet. Trotzdem verabredeten Y.K., der Kläger und die weiteren Mittäter, N.G. zur Rede zu stellen, um - gegebenenfalls mit Hilfe von Ohrfeigen - ein Geständnis zu erzwingen, und begingen am nächsten Morgen die Straftat.
47 
c) Ist der die Ausweisung tragende Grund somit hinsichtlich der generalpräventiven Gesichtspunkte schwerwiegend, so ist der Kläger an sich gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG in der Regel auszuweisen, weil er den Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 1 AufenthG verwirklicht hat. Das Regierungspräsidium hat insoweit wegen der bestehenden familiären Lebensgemeinschaft des Klägers mit seiner deutschen Ehefrau und den vier deutschen Kindern allerdings zu Recht einen Ausnahmefall angenommen, der eine Abweichung von dieser Regel gebietet, und nach Ermessen entschieden.
48 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - InfAuslR 2008, 116, m.w.N.) ist von einem die Regel durchbrechenden Ausnahmefall bereits dann auszugehen, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falls erfordern. Es kann offen bleiben, ob dies bereits dann anzunehmen ist, wenn der Schutzbereich der betroffenen Grundrechte bzw. Menschenrechte, hier Art. 6 und Art. 2 GG bzw. Art. 8 EMRK, lediglich berührt ist oder ob bereits in diesem Zusammenhang die Feststellung eines qualifizierten Eingriffs erforderlich ist. Denn jedenfalls würde im Fall des Klägers wegen der bestehenden familiären Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Ehefrau und deutschen Kindern allein durch die Herabstufung von der "Ist-Ausweisung" zu einer "Regelausweisung" durch § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG dem besonderen Schutz der Familie durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK noch nicht hinreichend einzelfallbezogen Rechnung getragen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sind dann wesentlich konkreter und einzelfallbezogener neben allen ehelichen und familiären Umständen auch andere gewichtige persönlichen Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen und eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen (vgl. zu alledem auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - InfAuslR 2007, 443).
49 
4. Das danach dem Regierungspräsidium bei der Entscheidung über die Ausweisung zustehende und nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbare Ermessen ist hier von vornherein "auf Null reduziert", weil die mit einer Ausweisung verbundenen Folgen mit Blick auf die Schutzwirkungen von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK als unverhältnismäßig anzusehen sind.
50 
Bei der Entscheidung, ob eine im Ermessen der Ausländerbehörde stehende Ausweisung tatsächlich verfügt wird, sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die in § 55 Abs. 3 AufenthG aufgeführten, nämlich die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts, die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige oder Lebenspartner des Ausländer, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben, und die in § 60a Abs. 2 und 2b AufenthG genannten Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung. Dabei sind der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Grundrechte des Betroffenen zu beachten, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK, Art. 6 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG). Liegt ein Eingriff in diese Rechte vor, ist ohnehin eine einzelfallbezogene Würdigung und Abwägung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers unter Beachtung der insbesondere vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK entwickelten Kriterien vorzunehmen (BVerwG, Beschluss vom 10.02.2011 - 1 B 22.10 - Buchholz 402.242 § 56 AufenthG Nr. 5, m.w.N.; Urteil vom 22.10.2009 - 1 C 26.08 - InfAuslR 2010, 91). Dabei sind neben allen ehelichen und familiären Umständen auch andere gewichtige persönliche Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK darf eine Behörde in die Ausübung des Rechts aus Art. 8 Abs. 1 EMRK nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Die Frage, ob der durch eine Ausweisung bewirkte Eingriff im konkreten Einzelfall in diesem Sinne „notwendig“, insbesondere verhältnismäßig ist, ist anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist dabei von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen, den so genannten Boultif/Üner-Kriterien (vgl. zu den Kriterien im Einzelnen: EGMR, Urteile vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00, Boultif - InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99, Üner - NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/03, Maslov II - InfAuslR 2008, 333, vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05, Mutlag - InfAuslR 2010, 325, und vom 13.10.2011 - Nr. 41548/06, Trabelsi - juris). Erweisen sich danach die rechtlichen oder tatsächlichen Auswirkungen einer Ausweisung in Ansehung von Art. 6 Abs. 1 GG als unverhältnismäßig bzw. im Sinne des Art. 8 EMRK als "nicht notwendig", ist das Ermessen der Behörde mit der Folge "auf Null reduziert", dass eine Ausweisung des Betreffenden ausscheidet.
51 
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist eine Ausweisung des Klägers hier unzulässig. Der Kläger ist bereits seit 1996 mit seiner Ehefrau verheiratet, welche in Deutschland geboren ist und seit 1998 die deutsche Staatangehörigkeit besitzt. Mir ihr und den vier gemeinsamen, zwischen 4 und 15 Jahre alten Kindern, die ebenfalls Deutsche sind, lebt er in enger familiärer Lebensgemeinschaft. Diesem Umstand kommt eine erhebliche und weitreichende, durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK vermittelte Schutzwirkung zu, welche durch die deutsche Staatsangehörigkeit der Ehefrau und Kinder noch verstärkt wird (vgl. schon BVerwG, Urteile vom 03.05.1973 - I C 33.72 - BVerwGE 42, 133, vom 27.09.1978 - I C 79.76 - BVerwGE 56, 246, vom 17.01.1989 - 1 C 46.86 -InfAuslR 1989, 159; vgl. auch auch BVerfG, Beschluss vom 18.07.1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386; Kammerbeschlüsse vom 15.06.1993 - 2 BvR 900/93 - InfAuslR 1994, 311, und vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320). Dies wird auch nicht etwa durch den Umstand relativiert, dass die Ehefrau früher noch die türkische Staatsangehörigkeit hatte bzw. deren Eltern aus dem Heimatland des Klägers stammen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291, und vom 30.09.2009 - 13 S 440/09 -; HessVGH, Beschluss vom 15.07.2003 - 12 TG 1484/03 - InfAuslR 2003, 388). Insbesondere kann von der Ehefrau und den Kindern nicht verlangt werden, dass sie mit dem Kläger in die Türkei ausreisen.
52 
Die bestehenden tiefen Bindungen des Klägers zu seiner Familie werden belegt durch die vielen Besuche während seiner Haftzeit. Wie ausgeführt, hat der Kläger offensichtlich ein enges und intaktes Verhältnis zu seiner Ehefrau und seinen Kindern. Er übernimmt die Erziehung der Kinder gemeinsam mit seiner Ehefrau. In Anbetracht des jungen Alters der Kinder hätte eine - wenn auch nur vorübergehende - Trennung für diese ein besonderes Gewicht (vgl. zu Kindern in den ersten Lebensjahren BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320, und vom 01.12.2008 - 2 BvR 1830/08 -juris). Deren Belangen könnte daher auch durch eine Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf einen bestimmten - nicht zu langen - Zeitraum nicht hinreichend Rechnung getragen werden.
53 
Auf der anderen Seite ist das öffentliche Interesse einer Ausweisung hier gemindert, weil ungeachtet der Schwere der vom Kläger begangenen Straftat nicht mehr von einer relevanten Wiederholungsgefahr ausgegangen werden kann. Allein die generalpräventiven Erwägungen vermögen den mit einer Ausweisung verbundenen Eingriff in Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht zu rechtfertigen. Wie ausgeführt, ist zwar davon auszugehen, dass eine besonders schwerwiegende Straftat vorliegt und deshalb - grundsätzlich - ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über eine strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, Urteile 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, und vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 -InfAuslR 1997, 8). Dieses vermag aber in Anbetracht der konkreten Umstände des vorliegenden Falles den Eingriff in das Schutzgebot von Art. 6 Abs. 1 GG bzw. das Achtungsgebots des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht zu rechtfertigen. Dabei ist von besonderer Relevanz, dass die Tat annähernd vier Jahre zurückliegt und der Kläger seine Strafe verbüßt hat. Auch sind die bereits im Rahmen der Prüfung der Wiederholungsgefahr angeführten, für den Kläger sprechenden weiteren Umstände zu berücksichtigen, etwa dass er sich bereits seit 1996 rechtmäßig hier aufhält, zuvor - bis auf das Verkehrsdelikt - nie straffällig geworden war, außerdem dass er sich immer bemüht hat, ausreichend für seine Familie und sich zu sorgen und sich auch seit seiner Haftentlassung bewährt hat.
54 
Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass die Ausweisung des Klägers hier im Ergebnis selbst dann als unverhältnismäßig anzusehen ist, wenn man noch vom Bestehen einer geringen, aber die Erheblichkeitsschwelle übersteigenden Wiederholungsgefahr und damit dem Vorliegen spezialpräventiver Ausweisungsgründe ausginge. Denn aus den - zur Unverhältnismäßigkeit einer generalpräventiv motivierten Ausweisung - angeführten Gründen führt die danach erforderliche Abwägung ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die privaten Interessen des Klägers und seiner Familienangehörigen das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung überwiegen.
II.
55 
Unter diesen Umständen ist auch die im Bescheid vom 22.10.2010 verfügten Abschiebungsandrohung rechtswidrig und aufzuheben.
56 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
57 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
58 
Beschluss vom 23. Oktober 2012
59 
Der Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt (§§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG).
60 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
24 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht und ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 6 und Abs. 3 Satz 4 VwGO) Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 hat Erfolg. Die Anfechtungsklage des Klägers gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteile vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - InfAuslR 2008, 156, und vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris) begründet. Die darin unter Ziffer 1 verfügte Ausweisung und die Abschiebungsandrohung unter Ziffern 2 und 3 sind rechtswidrig und verletzen dadurch den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Einer Entscheidung über den vom Kläger im Berufungsverfahren lediglich hilfsweise gestellten Antrag auf Verpflichtung des beklagten Landes zur Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 bezeichneten Wirkungen der Ausweisung "auf sofort" (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O.) bedarf es daher nicht.
I.
25 
Die auf §§ 53 Nr. 1, 56 Abs. 1, 55 AufenthG beruhende (dazu unter 1. und 2.) Ausweisung des Klägers, die hier im Ermessen des beklagten Landes steht (3.), ist mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz rechtswidrig (4.).
26 
1. Maßgebliche Rechtsgrundlage sind die §§ 53 Nr. 1, 56 Abs. 1, 55 AufenthG.
27 
Insbesondere sind nicht etwa allein wegen des Umstands, dass die Ehefrau und die Kinder des Klägers deutsche Staatsangehörige sind, besondere unionsrechtliche Anforderungen zu beachten (vgl. hierzu EuGH, Urteile vom 05.05.2011 - Rs. C-434/09, McCarthy - InfAuslR 2011, 268, und vom 15.11.2011 - Rs. C-256/11, Dereci - InfAuslR 2012, 47; Senatsurteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 - NVwZ-RR 2012, 412).
28 
Eine nur beschränkte Anwendbarkeit der Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG folgt hier auch nicht aus dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: ARB 1/80; vgl. insbesondere Art. 14 ARB 1/80). Eine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80 hat der Kläger nicht erworben, weil seine Ehefrau vor Ablauf von drei Jahren nach Zuzug des Klägers eingebürgert wurde und die türkische Staatsangehörigkeit aufgegeben hat (vgl. dazu Renner, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 4 Rn. 156 m.w.N.). Ob er jemals die Voraussetzungen des - hier allein in Betracht kommenden - 2. Spiegelstrichs des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erfüllt hat, kann offen bleiben. Denn er hat eine eventuelle Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 durch die spätere Aufnahme selbstständiger Tätigkeiten, zuletzt den Betrieb des Wettbüros - aufgrund dessen der Kläger jedenfalls dem Arbeitsmarkt auf unabsehbare Zeit nicht mehr zur Verfügung stand - verloren (streitig, ebenso: Hess. VGH, Urteil vom 09.02.2004 - 12 TG 3548/03 - InfAuslR 2004, 230; Bayer. VGH, Urteil vom 26.03.2007 - 24 BV 03.2091 - juris; vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18.10.2006 - 13 S 192/06 - InfAuslR 2007, 49; a.A. VG Stuttgart, Urteil vom 23.05.2011 - 11 K 2967/10 - juris; vgl. zum Streitstand GK-AufenthG, Stand: September 2012, IX - 1 Art. 6 Rn. 238 f.; Hailbronner, AuslR, Stand: August 2012, D 5.1, Art. 6 ARB 1/80 Rn. 46). Letztlich kommt es aber auf diese Frage hier nicht an. Folge einer assoziationsrechtlichen Rechtsstellung des Klägers wäre ein erhöhter Ausweisungsschutz (vgl. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80; Senatsurteil vom 16.04.2012 - 11 S 4/12 - juris m.w.N.). Wie sich aus dem Folgenden ergibt, erweist sich die Ausweisung auch dann als rechtswidrig und ist daher aufzuheben, wenn ihm dieser nicht zukäme.
29 
2. Allerdings sind die Tatbestandsvoraussetzungen einer "Ist-Ausweisung" nach § 53 Nr. 1 AufenthG gegeben. Danach wird ein Ausländer unter anderem dann ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das ist hier wegen der Verurteilung des Klägers durch das Landgericht Karlsruhe vom 30.06.2009 wegen Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten der Fall.
30 
3. Trotz Erfüllung des an sich zwingenden Ausweisungsgrundes des § 53 Nr. 1 AufenthG steht die Ausweisung des Klägers jedoch im Ermessen und ist deshalb nach § 55 AufenthG zu beurteilen. Der Kläger genießt unstreitig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz (a). Er darf daher gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Solche liegen gemäß § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 AufenthG, also auch hier, vor. Diesbezüglich ist auch nicht vom Vorliegen eines Ausnahmefalls auszugehen (b). Hier ist aber eine Ausnahme von der "Regelrechtsfolge" des § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG geboten, wonach der betreffende Ausländer bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 AufenthG "in der Regel" ausgewiesen wird. Über seine Ausweisung ist daher nach Ermessen zu entscheiden (c).
31 
a) § 56 Abs. 1 AufenthG ist aus zwei Gründen anzuwenden: Zum einen besitzt der Kläger eine Niederlassungserlaubnis und hält sich seit mehr als fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet auf (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG), zum anderen lebt er mit deutschen Familienangehörigen - seiner Ehefrau und seinen Kindern - in familiärer Lebensgemeinschaft (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG).
32 
b) Der danach für eine Ausweisung des Klägers erforderliche schwerwiegende Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG ist gegeben.
33 
Nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5, 5 bis 5b und 7 AufenthG vor. Diese gesetzliche Vermutung beruht darauf, dass bei Verwirklichung der genannten Ausweisungstatbestände regelmäßig das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Ausweisung des Ausländers erfordert und der vom Gesetz bezweckte Schutz des Ausländers dahinter zurückzutreten hat. Die Regelung enthält allerdings keine Automatik, sondern erfordert eine individuelle Prüfung im jeweiligen Einzelfall, ob nicht Besonderheiten vorliegen, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass - hier des § 53 AufenthG - als weniger gewichtig erscheinen lassen. Davon ist auszugehen, wenn im konkreten Fall weder die spezial- noch die generalpräventiven Ausweisungszwecke des betreffenden Ausweisungstatbestands in dem erforderlichen Ausmaß vorliegen (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, m.w.N.; vgl. auch Senatsurteil vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 02.07.2001 - 13 S 2326/99 - InfAuslR 2002, 72).
34 
Im Falle des Klägers ist zwar nicht mit Blick auf den spezialpräventiven Ausweisungszweck (aa), aber vor dem Hintergrund der zulässigen generalpräventiven Erwägungen ein schwerwiegender Ausweisungsgrund (bb) zu bejahen.
35 
aa) Zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kann nicht (mehr) davon ausgegangen werden, dass vom Kläger die Gefahr der Wiederholung erheblicher Straftaten ausgeht. Die Ausweisung kann daher nicht mehr auf spezialpräventive Gründe gestützt werden.
36 
Allerdings ist der Ausweisungsanlass - die vom Kläger begangene Straftat der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - besonders gravierend. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 - juris, vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris, vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3, und vom 03.08.2004 - 1 C 30.02 -InfAuslR 2005, 18), der sich der Senat anschließt (einschränkend noch Senatsurteile vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 - NVwZ-RR 2012, 492, und vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291), gelten bei Straftaten mit einer hervorgehobenen Bedeutung für die im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr eher geringere Anforderungen. In den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 AufenthG besteht auch eine gesetzliche Vermutung des Vorliegens eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes in § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG. Selbst wenn man danach einem differenzierten Wahrscheinlichkeitsmaßstab folgt, bedeutet dies aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O. m.w.N.). Dies gilt nicht nur bei der Prüfung der Wiederholungsgefahr bei Assoziationsberechtigten oder Unionsbürgern, sondern jedenfalls auch bei Ausländern, denen besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 AufenthG zusteht. Auch in diesen Fällen müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit von dem Betreffenden eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht. Lässt sich die Begehung weiterer Straftaten lediglich nicht ausschließen, ist eine dem besonderen Ausweisungsschutz Rechnung tragende erhöhte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung noch nicht gegeben, so dass auch der Ausweisungsgrund nicht schwer wiegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O., sowie - zu den entsprechenden Vorgängerregelungen des § 47 Abs. 1 AuslG 1990 bzw. § 11 Abs. 1 AuslG 1965 - Urteile vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 -InfAuslR 1997, 8, und vom 17.01.1989 - 1 C 46.86 - InfAuslR 1989, 152; Beschluss vom 10.02.1995 - 1 B 221.04 - InfAuslR 1995, 273, m.w.N.).
37 
Der Senat ist aufgrund der vorliegenden Akten und Unterlagen, insbesondere des von der Strafvollstreckungskammer im Verfahren auf Aussetzung der Reststrafe eingeholten, nachvollziehbaren und überzeugenden kriminalprognostischen Gutachtens vom 24.09.2011, sowie aufgrund der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass von diesem keine nennenswerte Gefahr der Wiederholung von entsprechenden Straftaten (mehr) ausgeht.
38 
Zu Lasten des Klägers sind in diesem Zusammenhang allerdings zunächst neben der Schwere des begangenen Delikts die konkreten Tatumstände zu berücksichtigen. Das Regierungspräsidium Karlsruhe hat in dem angefochtenen Bescheid zu Recht darauf hingewiesen, dass der Kläger zwar nicht der Haupttäter war, er jedoch als Inhaber des Wettbüros eine besondere Verantwortung für das Geschehen trug, und dass er über einen Zeitraum von über dreieinhalb Stunden an der Geiselnahme mitgewirkt hat, bei welcher durch eine menschenunwürdige Befragung unter Anwendung und Androhung von Gewalt der Versuch unternommen wurde, von der Angestellten N.G. ein Geständnis für den vermeintlich von dieser bzw. deren Freund begangenen Einbruch zu erhalten. Der Kläger war dabei auch nicht etwa nur passiv beteiligt, sondern unterstützte seine Mittäter aktiv. Bereits am Vorabend der Tat war verabredet worden, N.G. Ohrfeigen zu versetzen. Zwar nahm der Haupttäter B.A. die Schreckschusspistole ohne Wissen der anderen mit. Zum einen schritten sie aber nicht gegen B.A. ein, welcher den Eindruck erweckte, N.G. erschießen zu wollen. Zum anderen nutzten sie die dadurch bei N.G. entstandene Todesangst in der Folge weiter aus bei ihren Bemühungen, ein Geständnis zu erzwingen, und hielten diese aufrecht. Der Kläger hatte außerdem die Kellertür selbst verschlossen und versperrte mit seinen Füßen den Ausgang, so dass das Opfer keine Chance hatte, den Keller zu verlassen. Er beteiligte sich aktiv an Vorhaltungen und an den Forderungen, die Tat einzuräumen, wenngleich weniger intensiv als die Mitangeklagten B.A., Y.K. und E.G. Nachdem N.G. bereits mit der Schreckschusswaffe bedroht worden war und Todesangst litt, schaltete er auf Aufforderung des Haupttäters B.A. das Licht aus, so dass eine noch bedrohlichere Atmosphäre entstand. Später schlug er dem Haupttäter auf Türkisch vor, N.G. mit der Behauptung zusätzlich unter Druck zu setzen, man habe zwischenzeitlich ihren Freund mit einem Baseballschlager "zusammengeschlagen", woraufhin dieser gestanden hätte. Nachdem B.A. den Keller verlassen hatte, befragten der Kläger, Y.K. und T.K. das Opfer N.G. zunächst weiter, bevor sie diese freiließen. Der Kläger nahm damit massive körperliche und psychische Schädigungen der N.G. billigend in Kauf. Wenn auch er und die verbliebenen Mittäter in der Folge von einer weiteren Tatausführung absahen, weshalb das Strafgericht von einer tätigen Reue ausgegangen ist, teilt der Senat die Einschätzung des Regierungspräsidiums, dass die Tat und die Tatumstände für ein erhebliches Maß an krimineller Energie des Klägers sprechen. Es handelt sich um eine besonders gravierende und mit einer erschreckenden Härte und Mitleidlosigkeit begangene Straftat.
39 
Der Kläger hat sich zudem, abgesehen von mehreren Gesprächen mit einem Psychologen in der Justizvollzugsanstalt, nicht mit professioneller Hilfe mit der Tat und den Auswirkungen für das Opfer auseinandergesetzt. An der Tiefe der von ihm in der Vergangenheit in Gesprächen geäußerten Betroffenheit über das Geschehen sind nicht nur in den ersten Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt, sondern auch in dem kriminalprognostischen Gutachten vom 24.09.2011 Zweifel geäußert worden. In dem Gutachten heißt es, es bestehe der Eindruck, dass der Kläger insgesamt emotional stärker durch die Folgen der Tat für ihn und seine Familie als durch die Folgen für das Opfer betroffen sei. Auch habe er seinen eigenen Tatbeitrag im Rahmen der Begutachtung tendenziell eher heruntergespielt. Es hätten sich somit keine Hinweise für eine tiefergehende innere Auseinandersetzung mit der Tat, respektive mit dem eigenen Beitrag zum Tatgeschehen, gefunden. So habe dieser nicht plausibel und nachvollziehbar darlegen können, weshalb er sich in keiner erkennbaren Weise für das Opfer eingesetzt habe, obgleich er das Handeln seiner Mittäter missbilligt haben wolle. Die von ihm angeführte Begründung, dass er Angst davor gehabt hätte, der Mittäter B.A. könnte die Waffe gegen ihn selbst einsetzen, erscheine insgesamt wenig plausibel. Die fehlende Auseinandersetzung mit der Straftat und den in der eigenen Person liegenden diesbezüglich relevanten Einstellungen und Motiven wird von den Gutachtern daher in prognostischer Hinsicht als ungünstiger Faktor gewertet. Tatsächlich hat der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung nicht nachvollziehbar erklären können, wie es so weit hat kommen können, vor allem, warum er nicht irgendwann eingeschritten ist. Offensichtlich kann er sich das bis heute selbst nicht erklären. Den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung ließ sich aber eine - glaubhafte - starke Betroffenheit und Reue entnehmen. Dies wurde unter anderem deutlich, als er erläuterte, dass er sich vorgestellt habe, das Opfer wären seine Ehefrau oder seine Tochter gewesen, und dass ihm klar geworden sei, welche Folgen die Tat für N.G. habe. Abgesehen von dem bereits entrichteten Schmerzensgeld für N.G. würde er gerne alles unternehmen, damit es ihr besser gehe.
40 
Selbst wenn sich danach bis heute letztlich nicht erklären lässt, wie es zu einer solchen Straftat hat kommen können, und eine erschöpfende Auseinandersetzung mit der Tat fehlt, besteht beim Kläger nicht die Gefahr einer Wiederholung erheblicher Straftaten. Dabei ist zunächst zu bedenken, dass die Straftat inzwischen fast vier Jahre zurückliegt. Der Kläger war über drei Jahre lang in Untersuchungs- und Strafhaft, welche ihn erkennbar tief beeindruckt hat. Zuvor hat er sich - abgesehen von einem nicht einschlägigen und nicht mehr zu berücksichtigenden Straßenverkehrsdelikt im Jahr 1998 - über 10 Jahre lang straffrei und bis zur Übernahme des Wettbüros - dessen Beschäftige allerdings nicht alle ordnungsgemäß angemeldet gewesen seien - ohne Beanstandungen in Deutschland aufgehalten. Nach dem Gutachten vom 24.09.2011 finden sich keine Hinweise für Berührungspunkte mit "spezifisch delinquenznahem Milieu" und auch keine Hinweise für eine tiefer in der Persönlichkeit des Klägers verankerte delinquente Neigung, etwa eine dissoziale Akzentuierung in seiner Persönlichkeit. Anhaltspunkte für eine Sucht oder eine Bindung an ein entsprechendes Milieu liegen nicht vor. Vor allem lebte und lebt er in einer stabilen partnerschaftlichen Beziehung. Die Gutachter bescheinigen ihm, dass die von ihm bekundeten Sorgen um die Entwicklung der Familie und der Kinder nachvollziehbar und glaubhaft sind. In der mündlichen Verhandlung wurde deutlich, dass der Kläger tatsächlich einen starken Rückhalt durch seine Familie und weitere Verwandte hat. In Deutschland leben noch zwei seiner Brüder. Mit seiner Frau und seinen Kindern besucht er oft die Familie seiner Ehefrau, das heißt deren Eltern und Geschwister, oder einen seiner beiden Brüder, der ebenfalls in der Nähe wohnt. Seine Ehefrau, er und die Kinder unternehmen am Wochenende gemeinsame Ausflüge. Sie begleiten den Sohn, der Handball in der Verbandsliga spielt, zu dessen Spielen, gehen auf den Jahrmarkt, ins Kino, auf Messen oder zu Verwandtenbesuchen. Der Kläger ist dafür zuständig, seinen Kindern bei Hausaufgaben im Fach Mathematik zu helfen. Er hat glaubhaft erklärt, dass er sich jetzt nur noch um seine Familie kümmern wolle. Zu den früheren Mittätern oder deren Umfeld hat der Kläger keinerlei Kontakt mehr. Die danach bestehenden starken Bindungen des Klägers an seine Familie und sein soziales Umfeld wertet der Senat, ebenso wie die Gutachter, als prognostisch günstige Kriterien. Vor diesem Hintergrund erscheint die Befürchtung des Regierungspräsidiums, der Kläger könnte erneut in eine Situation geraten, in welcher besondere "situative Faktoren" wie die im kriminalprognostischen Gutachten beschriebenen - etwa das Eingebundensein in eine Tätergruppe mit freundschaftlichen Beziehungen und Loyalitäten und die Unterordnung unter eine dominant auftretende Persönlichkeit - zu einer ähnlichen Straftat mit Gewaltanwendung führen könnten, fernliegend.
41 
Soweit in den Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt mehrmals darauf hingewiesen wird, dass der Kläger versuche, eigene Anliegen hartnäckig durchzusetzen, lässt dies keinen negativen Schluss bezüglich der Gefahr der Wiederholung weiterer Straftaten zu. Jedenfalls wurden während seiner Haftzeit gegen ihn keine Disziplinarmaßnehmen verhängt und er arbeitete ohne Beanstandungen in Betrieben der Justizvollzugsanstalt. Zudem nahm er an einem Deutschkurs teil. Auch die Gutachter betonen, dass der Umstand, dass der Kläger seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse jeweils mit einem gewissen Nachdruck vorgetragen haben solle, nicht als prognoserelevanter Faktor verwertet werden könne. Sie kommen daher in ihrer zusammenfassenden Beurteilung zu dem Ergebnis, dass die weitgehend fehlende innere Auseinandersetzung des Klägers mit der Tat der einzige prognostisch ungünstige Faktor sei, welcher zusätzlich dadurch relativiert werde, dass die Tat nicht in hohem Maße in der Persönlichkeitsstruktur des Klägers verankert erscheine, sondern eng mit spezifischen situativen Konstellationen verknüpft gewesen sei. Die prognostisch günstigen Faktoren überwögen im Vergleich deutlich. In der Gesamtwürdigung sei somit trotz der mangelnden inneren Auseinandersetzung mit der Tat nicht mehr davon auszugehen, dass beim Kläger dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbestehe.
42 
Dieser Beurteilung schließt sich der Senat an. Die Einschätzung der Gutachter wurde auch von der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Karlsruhe im Beschluss über die Aussetzung der Reststrafe vom 21.12.2011 geteilt. Selbst wenn man davon ausgeht, dass entsprechenden strafgerichtlichen Entscheidungen wegen der unterschiedlichen Maßstäbe und Prognosezeitpunkte nur eingeschränkte Bedeutung bei der im Ausweisungsverfahren zu treffenden Prognoseentscheidung zukommt (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3; weitergehend allerdings bei Assoziationsberechtigten: Senatsurteil vom 07.03.2012 - 11 S 3269/11 - InfAuslR 2012, 203), so ist die Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe hier jedenfalls als wesentliches Indiz zu berücksichtigen. Die Strafvollstreckungskammer ist nach Einholung des kriminalprognostischen Gutachtens vom 24.09.2011 zum Ergebnis gekommen, dass eine vorzeitige Entlassung aus dem Strafvollzug verantwortet werden könne. Sie hat zur Begründung ebenfalls darauf verwiesen, dass der Kläger bis zu der Geiselnahme strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei und ein sozial voll integriertes Leben geführt habe. Der Anteil des Klägers an der verurteilten Straftat stelle sich, gerade bei den Gewalttätigkeiten, eher als gering dar. Der psychiatrische Sachverständige habe ausgeführt, die Tatsache, dass sich der Kläger mit der Tat allenfalls ansatzweise auseinandergesetzt habe, sei zwar als ungünstig zu beurteilen, im Hinblick auf die spezifische situative Konstellation bei der Tat und die im Übrigen festgestellte Eingebundenheit des Klägers seien aber mit hoher Wahrscheinlichkeit keine entsprechenden Taten zu erwarten. Der Kläger selbst habe in der mündlichen Anhörung auf die Strafvollstreckungskammer einen überaus positiven Eindruck gemacht. Sie sei daher davon überzeugt, dass es ihm mit der Hilfe und der Aufsicht eines Bewährungshelfers gelingen werden, künftig ein straffreies Leben zu führen, zumal er dabei sei, sich in einer anderen Berufssparte zu etablieren.
43 
Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung sind zudem weitere Umstände gegeben, die eine günstige Prognose rechtfertigen. Der Kläger hat sich seit der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer und der Haftentlassung vor fast einem Jahr weiter bewährt. Er hat keine Schulden mehr. Weil er zunächst Probleme hatte, eine bereits bestehende Fahrerlaubnis für LKW mit einem Gesamtgewicht von über 7,5 t ausgestellt zu bekommen, gelang es ihm zwar nicht sofort nach der Haftentlassung, eine Arbeitsstelle zu finden. Seit Juli 2012 ist er aber als Fahrer bei einer Firma in Karlsruhe angestellt. In einem Schreiben der Firma vom 28.09.2012 wird bestätigt, dass dieser gewissenhaft, zuverlässig und pünktlich sei; an einer Weiterbeschäftigung bestehe Interesse. Die Bewährungshelferin des Klägers äußert sich in einem Bericht vom 24.07.2012 insgesamt ebenfalls positiv. Sie bestätigt, dass sich der Kläger intensiv um einen Arbeitsplatz bemüht, diesen wegen der Probleme mit dem Führerschein aber zunächst nicht erhalten habe. Nach der Haftentlassung sei es ihm zunächst gesundheitlich nicht gut gegangen, er sei wegen einer Depression ärztlich behandelt worden und habe im Mai und Juni wegen Nierenschmerzen und Nierensteinen stationär behandelt werden müssen. An dem bisherigen Bewährungsverlauf sei insgesamt nichts zu beanstanden, der Kläger halte vereinbarte Termine regelmäßig ein, spreche bei auftauchenden Problemen auch ohne Termin vor. Zur Zeit genügt der Verdienst des Klägers - seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung nach inzwischen in Höhe von 800,- bis 1.200,-- EUR netto monatlich - zwar noch nicht zum Lebensunterhalt der Familie. Er und seine Ehefrau haben jedoch konkrete Pläne, mit Hilfe einer selbstständigen Tätigkeit wieder ohne staatliche Unterstützungen leben zu können. Der Kläger ist weiter nicht nur in seine eigene "Kernfamilie" eingebunden, sondern hat zudem regelmäßigen Kontakt zu seinen Schwiegereltern, seinem Bruder und anderen Verwandten.
44 
bb) Wenn danach auch davon auszugehen ist, dass mit Blick auf die spezialpräventiven Gesichtspunkte ein atypischer Sachverhalt vorliegt, mithin kein Regelfall des § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG gegeben ist, ist aber das Vorliegen eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes bezüglich der vom beklagten Land angeführten generalpräventiven Gesichtspunkte zu bejahen.
45 
Generalpräventiv motivierte Ausweisungen können - ausnahmsweise - auch bei Ausländern zulässig sein, denen besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 AufenthG zukommt, wenn eine besonders schwerwiegende Straftat vorliegt und deshalb ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über eine strafrechtliche Sanktion hinaus durch eine Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, Urteile 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, und vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 - InfAuslR 1997, 8). Bei der Entscheidung sind alle wesentlichen Umstände des Einzelfalls in die Beurteilung einzubeziehen. Das Gewicht der Straftat ist nicht abstrakt, sondern konkret nach den Umständen der Tatbegehung zu bestimmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 - a.a.O.).
46 
Nach diesen Grundsätzen kann die Ausweisung hier wegen der Art und Schwere der Straftat - der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - und der geschilderten konkreten, sich über mehrere Stunden hinziehenden Tatausführung auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden. Eine abschreckende Wirkung erscheint auch mit Blick darauf wichtig, dass es sich um einen Fall von besonders skrupelloser "Selbstjustiz" gehandelt hat. Schließlich war der Einbruch in das Wettbüro des Klägers vom 29.11.2008 bereits bei der Polizei angezeigt worden. Nach Bekanntwerden der Umstände, die aus Sicht des Klägers und der Mitangeklagten für eine Täterschaft der Angestellten N.G. bzw. ihres Freundes sprachen, hatte Y.K. noch am selben Abend die Polizei auch darüber informiert. Ausweislich der Feststellungen im Strafurteil vom 30.06.2009 hatte der Polizeibeamte, welcher aufgrund der vagen Verdächtigungen keinen Grund gesehen hatte, umgehend einzuschreiten, Y.K ausdrücklich davor gewarnt, eigene Aktionen zu unternehmen. Dies hatte Y.K dem Kläger berichtet. Trotzdem verabredeten Y.K., der Kläger und die weiteren Mittäter, N.G. zur Rede zu stellen, um - gegebenenfalls mit Hilfe von Ohrfeigen - ein Geständnis zu erzwingen, und begingen am nächsten Morgen die Straftat.
47 
c) Ist der die Ausweisung tragende Grund somit hinsichtlich der generalpräventiven Gesichtspunkte schwerwiegend, so ist der Kläger an sich gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG in der Regel auszuweisen, weil er den Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 1 AufenthG verwirklicht hat. Das Regierungspräsidium hat insoweit wegen der bestehenden familiären Lebensgemeinschaft des Klägers mit seiner deutschen Ehefrau und den vier deutschen Kindern allerdings zu Recht einen Ausnahmefall angenommen, der eine Abweichung von dieser Regel gebietet, und nach Ermessen entschieden.
48 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - InfAuslR 2008, 116, m.w.N.) ist von einem die Regel durchbrechenden Ausnahmefall bereits dann auszugehen, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falls erfordern. Es kann offen bleiben, ob dies bereits dann anzunehmen ist, wenn der Schutzbereich der betroffenen Grundrechte bzw. Menschenrechte, hier Art. 6 und Art. 2 GG bzw. Art. 8 EMRK, lediglich berührt ist oder ob bereits in diesem Zusammenhang die Feststellung eines qualifizierten Eingriffs erforderlich ist. Denn jedenfalls würde im Fall des Klägers wegen der bestehenden familiären Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Ehefrau und deutschen Kindern allein durch die Herabstufung von der "Ist-Ausweisung" zu einer "Regelausweisung" durch § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG dem besonderen Schutz der Familie durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK noch nicht hinreichend einzelfallbezogen Rechnung getragen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sind dann wesentlich konkreter und einzelfallbezogener neben allen ehelichen und familiären Umständen auch andere gewichtige persönlichen Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen und eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen (vgl. zu alledem auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - InfAuslR 2007, 443).
49 
4. Das danach dem Regierungspräsidium bei der Entscheidung über die Ausweisung zustehende und nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbare Ermessen ist hier von vornherein "auf Null reduziert", weil die mit einer Ausweisung verbundenen Folgen mit Blick auf die Schutzwirkungen von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK als unverhältnismäßig anzusehen sind.
50 
Bei der Entscheidung, ob eine im Ermessen der Ausländerbehörde stehende Ausweisung tatsächlich verfügt wird, sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die in § 55 Abs. 3 AufenthG aufgeführten, nämlich die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts, die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige oder Lebenspartner des Ausländer, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben, und die in § 60a Abs. 2 und 2b AufenthG genannten Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung. Dabei sind der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Grundrechte des Betroffenen zu beachten, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK, Art. 6 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG). Liegt ein Eingriff in diese Rechte vor, ist ohnehin eine einzelfallbezogene Würdigung und Abwägung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers unter Beachtung der insbesondere vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK entwickelten Kriterien vorzunehmen (BVerwG, Beschluss vom 10.02.2011 - 1 B 22.10 - Buchholz 402.242 § 56 AufenthG Nr. 5, m.w.N.; Urteil vom 22.10.2009 - 1 C 26.08 - InfAuslR 2010, 91). Dabei sind neben allen ehelichen und familiären Umständen auch andere gewichtige persönliche Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK darf eine Behörde in die Ausübung des Rechts aus Art. 8 Abs. 1 EMRK nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Die Frage, ob der durch eine Ausweisung bewirkte Eingriff im konkreten Einzelfall in diesem Sinne „notwendig“, insbesondere verhältnismäßig ist, ist anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist dabei von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen, den so genannten Boultif/Üner-Kriterien (vgl. zu den Kriterien im Einzelnen: EGMR, Urteile vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00, Boultif - InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99, Üner - NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/03, Maslov II - InfAuslR 2008, 333, vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05, Mutlag - InfAuslR 2010, 325, und vom 13.10.2011 - Nr. 41548/06, Trabelsi - juris). Erweisen sich danach die rechtlichen oder tatsächlichen Auswirkungen einer Ausweisung in Ansehung von Art. 6 Abs. 1 GG als unverhältnismäßig bzw. im Sinne des Art. 8 EMRK als "nicht notwendig", ist das Ermessen der Behörde mit der Folge "auf Null reduziert", dass eine Ausweisung des Betreffenden ausscheidet.
51 
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist eine Ausweisung des Klägers hier unzulässig. Der Kläger ist bereits seit 1996 mit seiner Ehefrau verheiratet, welche in Deutschland geboren ist und seit 1998 die deutsche Staatangehörigkeit besitzt. Mir ihr und den vier gemeinsamen, zwischen 4 und 15 Jahre alten Kindern, die ebenfalls Deutsche sind, lebt er in enger familiärer Lebensgemeinschaft. Diesem Umstand kommt eine erhebliche und weitreichende, durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK vermittelte Schutzwirkung zu, welche durch die deutsche Staatsangehörigkeit der Ehefrau und Kinder noch verstärkt wird (vgl. schon BVerwG, Urteile vom 03.05.1973 - I C 33.72 - BVerwGE 42, 133, vom 27.09.1978 - I C 79.76 - BVerwGE 56, 246, vom 17.01.1989 - 1 C 46.86 -InfAuslR 1989, 159; vgl. auch auch BVerfG, Beschluss vom 18.07.1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386; Kammerbeschlüsse vom 15.06.1993 - 2 BvR 900/93 - InfAuslR 1994, 311, und vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320). Dies wird auch nicht etwa durch den Umstand relativiert, dass die Ehefrau früher noch die türkische Staatsangehörigkeit hatte bzw. deren Eltern aus dem Heimatland des Klägers stammen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291, und vom 30.09.2009 - 13 S 440/09 -; HessVGH, Beschluss vom 15.07.2003 - 12 TG 1484/03 - InfAuslR 2003, 388). Insbesondere kann von der Ehefrau und den Kindern nicht verlangt werden, dass sie mit dem Kläger in die Türkei ausreisen.
52 
Die bestehenden tiefen Bindungen des Klägers zu seiner Familie werden belegt durch die vielen Besuche während seiner Haftzeit. Wie ausgeführt, hat der Kläger offensichtlich ein enges und intaktes Verhältnis zu seiner Ehefrau und seinen Kindern. Er übernimmt die Erziehung der Kinder gemeinsam mit seiner Ehefrau. In Anbetracht des jungen Alters der Kinder hätte eine - wenn auch nur vorübergehende - Trennung für diese ein besonderes Gewicht (vgl. zu Kindern in den ersten Lebensjahren BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320, und vom 01.12.2008 - 2 BvR 1830/08 -juris). Deren Belangen könnte daher auch durch eine Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf einen bestimmten - nicht zu langen - Zeitraum nicht hinreichend Rechnung getragen werden.
53 
Auf der anderen Seite ist das öffentliche Interesse einer Ausweisung hier gemindert, weil ungeachtet der Schwere der vom Kläger begangenen Straftat nicht mehr von einer relevanten Wiederholungsgefahr ausgegangen werden kann. Allein die generalpräventiven Erwägungen vermögen den mit einer Ausweisung verbundenen Eingriff in Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht zu rechtfertigen. Wie ausgeführt, ist zwar davon auszugehen, dass eine besonders schwerwiegende Straftat vorliegt und deshalb - grundsätzlich - ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über eine strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, Urteile 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, und vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 -InfAuslR 1997, 8). Dieses vermag aber in Anbetracht der konkreten Umstände des vorliegenden Falles den Eingriff in das Schutzgebot von Art. 6 Abs. 1 GG bzw. das Achtungsgebots des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht zu rechtfertigen. Dabei ist von besonderer Relevanz, dass die Tat annähernd vier Jahre zurückliegt und der Kläger seine Strafe verbüßt hat. Auch sind die bereits im Rahmen der Prüfung der Wiederholungsgefahr angeführten, für den Kläger sprechenden weiteren Umstände zu berücksichtigen, etwa dass er sich bereits seit 1996 rechtmäßig hier aufhält, zuvor - bis auf das Verkehrsdelikt - nie straffällig geworden war, außerdem dass er sich immer bemüht hat, ausreichend für seine Familie und sich zu sorgen und sich auch seit seiner Haftentlassung bewährt hat.
54 
Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass die Ausweisung des Klägers hier im Ergebnis selbst dann als unverhältnismäßig anzusehen ist, wenn man noch vom Bestehen einer geringen, aber die Erheblichkeitsschwelle übersteigenden Wiederholungsgefahr und damit dem Vorliegen spezialpräventiver Ausweisungsgründe ausginge. Denn aus den - zur Unverhältnismäßigkeit einer generalpräventiv motivierten Ausweisung - angeführten Gründen führt die danach erforderliche Abwägung ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die privaten Interessen des Klägers und seiner Familienangehörigen das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung überwiegen.
II.
55 
Unter diesen Umständen ist auch die im Bescheid vom 22.10.2010 verfügten Abschiebungsandrohung rechtswidrig und aufzuheben.
56 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
57 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
58 
Beschluss vom 23. Oktober 2012
59 
Der Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt (§§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG).
60 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Tatbestand

1

Der im Jahr 1964 geborene Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine unbefristete Ausweisung.

2

Der Kläger reiste 1976 in das Bundesgebiet zu seinen Eltern ein. Seine Mutter war von 1969 bis 1982 als Arbeitnehmerin beschäftigt. Nach dem Besuch der Hauptschule schloss er eine Lehre als Elektrokaufmann ab. Im Dezember 1987 erhielt er eine Aufenthaltsberechtigung. Aus der im März 1988 geschlossenen Ehe mit einer türkischen Staatsangehörigen sind zwei Töchter hervorgegangen. Die Ehe wurde mittlerweile geschieden.

3

Der Kläger ist mehrfach strafrechtlich aufgefallen: Wegen Vergewaltigung seiner damaligen Ehefrau wurde er im November 2000 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten auf Bewährung verurteilt. Das Landgericht Krefeld verhängte gegen ihn im Oktober 2005 eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 11 Fällen und Körperverletzung. Dem Strafurteil ist zu entnehmen, dass der Kläger ab Januar 2004 Zeiten berufsbedingter Abwesenheit seiner Ehefrau zur Vornahme sexueller Handlungen an seiner älteren Tochter ausnutzte. Als er bemerkte, dass diese trotz des elterlichen Verbots Kontakt zu einem Jungen hatte, schlug er sie mit der Hand und der Faust ins Gesicht.

4

Der Beklagte wies den Kläger mit Bescheid vom 2. Mai 2006 aus und drohte ihm für den Fall nicht fristgerechter Ausreise die Abschiebung in die Türkei an. Über die Ausweisung des assoziationsberechtigten Klägers sei im Ermessenswege zu entscheiden. Wegen der als Niederlassungserlaubnis fortgeltenden Aufenthaltsberechtigung genieße dieser besonderen Ausweisungsschutz, so dass er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden könne. Diese lägen in spezialpräventiver Ausprägung vor, denn der Schutz von Kindern vor Sexualdelikten und gewalttätigen Übergriffen sei eine überragend wichtige Aufgabe der Gemeinschaft und berühre ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die den Ausweisungsanlass bildende Tat wiege schwer; besonders fielen die Ausnutzung der Vertrauensstellung, die Wehrlosigkeit des Opfers und die Intensität der Tatbegehung ins Gewicht. Angesichts der Gesamtpersönlichkeit des Klägers und seines bisherigen Verhaltens bestehe eine hohe Wiederholungsgefahr. Er sei einschlägig vorbestraft und habe weder Einsicht in das begangene Unrecht gezeigt noch seien eine Aufarbeitung der Geschehnisse und der Versuch einer Überwindung seiner Neigungen erkennbar. Trotz Verwurzelung in den hiesigen Verhältnissen sowie familiärer Bindungen sei die Ausweisung angesichts der künftig vom Kläger ausgehenden Gefahren für elementare Rechtsgüter auch mit Blick auf Art. 8 EMRK gerechtfertigt. Die Ausweisung werde zunächst auf unbefristete Zeit ausgesprochen, da über eine Befristung erst nach positiven Veränderungen in der Person des Klägers entschieden werden könne. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Bezirksregierung Düsseldorf am 25. August 2006 zurück.

5

Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 16. Januar 2007 ab. Die auf § 55 AufenthG und Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 gestützte Ermessensausweisung sei nicht zu beanstanden, weil der weitere Aufenthalt des Klägers eine tatsächliche und hinreichend schwere, das Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefährdung begründe. Die spezialpräventive Ausweisung stütze sich nicht allein auf die strafrechtliche Verurteilung. Vielmehr bestünden Anhaltspunkte dafür, dass eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch neue Verfehlungen des Klägers drohe, wenn er zu seiner Familie und damit auch zu seiner jüngeren minderjährigen Tochter in das Umfeld komme, das seine Straftaten ermöglicht habe. Art. 8 EMRK und Art. 6 GG seien nicht verletzt, da bei der Abwägung die Art und Schwere der begangenen Straftaten sowie die Wiederholungsgefahr erheblich zulasten des Klägers ins Gewicht fielen.

6

Während des Berufungsverfahrens hat die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 7. März 2008 die Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe wegen erhöhter Rückfallgefährdung des Klägers abgelehnt. Die dagegen erhobene sofortige Beschwerde hat das Oberlandesgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 13. Mai 2008 verworfen.

7

Mit Beschluss vom 5. September 2008 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es hat sich die Begründung des Verwaltungsgerichts zu eigen gemacht und darüber hinaus ausgeführt, dass das Ausweisungsverfahren nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens nicht zu beanstanden sei. Die Ausweisung sei auch materiell rechtmäßig, denn die Gefahrenprognose habe - bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts - weiterhin Bestand. Der Kläger sei in erhöhtem Maße rückfallgefährdet. Dies verdeutlichten die Beschlüsse der Strafvollstreckungskammer sowie des Oberlandesgerichts Düsseldorf.

8

Auf die Revision des Klägers hat der Senat das Verfahren mit Beschluss vom 25. August 2009 - BVerwG 1 C 25.08 - (Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 53) ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die Frage vorgelegt, ob sich der Schutz vor Ausweisung gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 zugunsten eines türkischen Staatsangehörigen, der eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80 gegenüber dem Mitgliedstaat besitzt, in dem er seinen Aufenthalt in den letzten zehn Jahren gehabt hat, nach Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38/EG richtet. Der EuGH hat die Frage mit Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08 - (Ziebell) in einem Parallelverfahren verneint und entschieden, dass Art. 14 ARB 1/80 einer Ausweisung nicht entgegensteht, sofern das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Der Senat hat daraufhin mit Beschluss vom 20. Dezember 2011 den Vorlagebeschluss aufgehoben.

9

Der Kläger rügt mit der Revision eine Verletzung des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG (Vier-Augen-Prinzip), das nach der Stand-Still-Klausel des Art. 13 ARB 1/80 weiter anzuwenden sei. Die Befassung der Widerspruchsbehörde im Nachgang zur Ausweisung genüge dem nicht. Bei der Gefahrenprognose seien auch nach der letzten Behördenentscheidung eingetretene Veränderungen zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, der sich nach der Entlassung aus der Strafhaft im September 2009 einer psychotherapeutischen Behandlung unterzogen und straffrei geführt habe. Klärungsbedürftig sei, was der EuGH in der Ziebell-Entscheidung mit der Schranke der Unerlässlichkeit der Ausweisung meine. Im Übrigen verstoße die unbefristete Ausweisung gegen das Übermaßverbot sowie Art. 6 GG und Art. 8 EMRK. Der Kläger sei faktischer Inländer, da er sich wirtschaftlich und sozial integriert habe. Schließlich verletze die Ausweisung Art. 24 Abs. 3 der Grundrechte-Charta. Hilfsweise begehrt der Kläger im Revisionsverfahren, die Wirkungen der Ausweisung mit sofortiger Wirkung zu befristen. Er habe einen Befristungsanspruch aus der Rückführungsrichtlinie sowie § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG i.d.F. des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011.

10

Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich am Verfahren beteiligt und hält die Revision für unbegründet.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision des Klägers hat nur in geringem Umfang Erfolg. Das Berufungsgericht hat ohne Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) die Ausweisung (1.) und die Abschiebungsandrohung (3.) als rechtmäßig angesehen. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG i.d.F. des während des Revisionsverfahrens in Kraft getretenen Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 ist der Beklagte jedoch zu verpflichten, die in Satz 1 und 2 der Vorschrift genannten Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von sieben Jahren zu befristen (2.).

12

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, des Befristungsbegehrens und der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts, hier also des Berufungsgerichts am 5. September 2008 (Urteil vom 15. November 2007 - BVerwG 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 12 für die Ausweisung; Urteil vom 22. März 2012 - BVerwG 1 C 3.11 - Rn. 13 - zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE vorgesehen - für die Abschiebungsandrohung). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (Urteil vom 11. Januar 2011 - BVerwG 1 C 1.10 - BVerwGE 138, 371 Rn. 10 m.w.N.). Maßgeblich sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. Dezember 2011 (BGBl I S. 3044). Damit sind insbesondere auch die Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258) - im Folgenden: Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 - zu beachten.

13

1. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig.

14

1.1 Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 55 Abs. 1, § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19. September 1980 (ANBA 1981, 4 = InfAuslR 1982, 33) - ARB 1/80 -. Denn der Kläger besitzt eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80. Er ist im Alter von 12 Jahren zum Zweck der Familienzusammenführung erlaubt in das Bundesgebiet eingereist. Die Vorinstanzen haben festgestellt, dass seine Mutter von 1969 bis 1982 dem regulären Arbeitsmarkt angehört hat. Der Kläger hat bei seinen Eltern gelebt und die Mindestaufenthaltszeiten des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 erfüllt. Nach Abschluss der Lehre zum Elektrokaufmann greift auch Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 zu seinen Gunsten. Demzufolge kann der Kläger gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2012, 422). Das ist hier der Fall. Damit liegen auch schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung i.S.d. § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG vor.

15

1.2 Der Senat hat bereits in dem Vorlagebeschluss vom 25. August 2009 - BVerwG 1 C 25.08 - (Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 53 Rn. 21) darauf hingewiesen, dass die Vergewaltigung der Ehefrau und der mehrfache sexuelle Missbrauch der älteren Tochter einen Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht bilden. Das strafrechtlich geahndete persönliche Verhalten des Klägers begründet eine - über die mit jedem Rechtsverstoß verbundene Störung der öffentlichen Ordnung hinausgehende - tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die betroffenen Schutzgüter der sexuellen Selbstbestimmung und der körperlichen Integrität nehmen in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung einen sehr hohen Rang ein und lösen - insbesondere bei sexuellem Missbrauch von Minderjährigen - staatliche Schutzpflichten aus, die sich auch gegen die Eltern richten.

16

In dem Vorlagebeschluss (a.a.O. Rn. 22) hat der Senat des Weiteren ausgeführt, dass bei bedrohten Rechtsgütern mit einer hervorgehobenen Bedeutung für die im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr eher geringere Anforderungen gelten (ebenso Urteile vom 2. September 2009 - BVerwG 1 C 2.09 - Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 54 Rn. 17 und vom 3. August 2004 - BVerwG 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <305 f.>). An diesem differenzierenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung Kritik geäußert worden, da er dem Interesse einer möglichst umfassenden Effektivierung der Grundfreiheiten und der daher gebotenen engen Auslegung der unionsrechtlichen Rechtsgrundlagen für die Aufenthaltsbeendigung als ultima ratio nicht gerecht werde (VGH Mannheim, Urteile vom 4. Mai 2011 - 11 S 207/11 - NVwZ 2011, 1210 und vom 10. Februar 2012 - 11 S 1361/11 - NVwZ-RR 2012, 492). Dem vermag der Senat schon deshalb nicht zu folgen, da jede sicherheitsrechtliche Gefahrenprognose nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts eine Korrelation aus Eintrittswahrscheinlichkeit und (möglichem) Schadensausmaß ist. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (Urteile vom 6. September 1974 - BVerwG 1 C 17.73 - BVerwGE 47, 31 <40>; vom 17. März 1981 - BVerwG 1 C 74.76 - BVerwGE 62, 36 <39> und vom 3. Juli 2002 - BVerwG 6 CN 8.01 - BVerwGE 116, 347 <356>). Auch die den Gerichten der Mitgliedstaaten obliegende und auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Beurteilung, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O.), kann im Hinblick auf die erforderliche Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts den Rang des bedrohten Rechtsguts nicht außer Acht lassen, denn dieser bestimmt die mögliche Schadenshöhe. Das bedeutet aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet. Der Senat hat schon zu § 12 Abs. 3 AufenthG/EWG entschieden, dass im Hinblick auf die Bedeutung des Grundsatzes der Freizügigkeit an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit keine zu geringen Anforderungen gestellt werden dürfen (Urteil vom 27. Oktober 1978 - BVerwG 1 C 91.76 - BVerwGE 57, 61 <65>).

17

Diesen Maßgaben genügt die von dem Beklagten gestellte und von den Vorinstanzen bestätigte Prognose der konkreten Wiederholungsgefahr beim Kläger. Beklagter und Verwaltungsgericht haben die Tatumstände, die Persönlichkeitsstruktur des Klägers, bei dem Einsicht, Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit dem Geschehenen fehlen, sowie die mangelnde Überwindung seiner Neigungen durch therapeutische Unterstützung umfassend gewürdigt. Das Berufungsgericht hat sich das zu eigen gemacht. Darüber hinaus hat es darauf abgestellt, dass die Strafvollstreckungskammer wegen der erhöhten Rückfallgefährdung des Klägers die Aussetzung der Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung abgelehnt und die Justizvollzugsanstalt sich dahingehend geäußert hat, dass bereits eine Gewährung von Hafturlaub nicht kalkulierbare Sicherheitsrisiken berge. Auf der Grundlage dieser das Revisionsgericht bindenden tatrichterlichen Feststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) zur erhöhten Rückfallgefährdung des Klägers ist auch nicht ansatzweise zu erkennen, dass das Berufungsgericht seiner Prognose zulasten des Klägers einen zu niedrigen und damit unzutreffenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab zugrunde gelegt hat. Die ausführliche Würdigung der Persönlichkeit des Klägers und die aus konkreten Umständen abgeleitete Wiederholungsgefahr belegen, dass der Beklagte nicht allein die strafrechtliche Verurteilung zum Anlass für die ausschließlich spezialpräventiv motivierte Ausweisung genommen, sondern die zukünftig vom Kläger ausgehende Gefahr in den Blick genommen hat.

18

Entgegen der Auffassung des Klägers rechtfertigt die Zeitspanne, die infolge der Aussetzung des Verfahrens und der Vorlage an den EuGH zwischen der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts und der Verhandlung vor dem Senat verstrichen ist, weder die Berücksichtigung der von ihm vorgetragenen neuen tatsächlichen Umstände im Revisionsverfahren noch eine Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das Bundesverwaltungsgericht ist - abgesehen von Fällen begründeter Verfahrensrügen - entsprechend seiner vornehmlich auf die Rechtsprüfung beschränkten Aufgabenstellung nach § 137 Abs. 2 VwGO an die vom Berufungsgericht in der angefochtenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Diese das Rechtsmittel der Revision kennzeichnende Beschränkung führt dazu, dass das Revisionsgericht den Streitfall nicht in gleichem Umfang wie das Berufungsgericht prüft und dass es deshalb - im Gegensatz zum Berufungsgericht (§ 128 VwGO) - neu vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel nicht berücksichtigt (Urteil vom 3. Juni 1977 - BVerwG 4 C 37.75 - BVerwGE 54, 73 <75>). Dies schließt auch eine Zurückverweisung der Sache nur wegen nachträglicher Veränderung des entscheidungserheblichen Sachverhalts grundsätzlich aus. Damit soll gleichzeitig der Gefahr einer "Endlosigkeit" des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vorgebeugt und verhindert werden, dass einer in rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstandenden Berufungsentscheidung nachträglich die Grundlage entzogen wird (Urteile vom 28. Februar 1984 - BVerwG 9 C 981.81 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 19 S. 48<51 f.> und vom 20. Oktober 1992 - BVerwG 9 C 77.91 - BVerwGE 91, 104 <105 f.>).

19

Die in § 137 Abs. 2 VwGO enthaltene revisionsrechtliche Sperre für die Berücksichtigung neuer tatsächlicher Umstände wird nicht dadurch überwunden, dass Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 für die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen das Vorliegen einer gegenwärtigen, d.h. aktuellen Gefahr verlangt (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 80, 82 und insbesondere Rn. 84). Damit wird der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sachlage angesprochen, der infolge der der Verwaltungsgerichtsordnung zu entnehmenden Trennung zwischen Tatsacheninstanzen und Revisionsinstanz nur für Entscheidungen der Tatsachengerichte maßgeblich ist. Denn nur ihnen obliegt gemäß § 86 Abs. 1 und 2, §§ 108 und 128 VwGO die Erforschung des Sachverhalts und die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen im Wege freier richterlicher Beweiswürdigung. Diese Trennung der Funktionen von Tatsachen- und Rechtsinstanz wird durch das Unionsrecht nicht modifiziert, da es nach gefestigter Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich Aufgabe des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten ist, das gerichtliche Verfahrensrecht auch insoweit zu regeln, als es den Schutz von aus dem Unionsrecht erwachsenden individuellen Rechten gewährleisten soll. Dabei dürfen die prozessrechtlichen Regelungen jedoch nicht weniger günstig ausgestaltet sein als bei entsprechenden, nur auf nationales Recht gestützten Rechtsbehelfen (Äquivalenzgrundsatz). Zudem darf nach dem Effektivitätsgrundsatz die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden (EuGH, Urteile vom 12. Februar 2008 - Rs. C-2/06, Kempter - Slg. 2008, I-411 Rn. 57 und vom 10. April 2003 - Rs. C-276/01, Steffensen - Slg. 2003, I-3735 Rn. 60 ff. - jeweils m.w.N.). Beiden Grundsätzen wird die Bindung des Revisionsgerichts aus § 137 Abs. 2 VwGO auch in der vorliegenden Fallkonstellation gerecht. Die Eröffnung der auf eine reine Rechtskontrolle beschränkten dritten Instanz widerspricht auch nicht dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf aus Art. 47 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh). Denn der dort niedergelegte Grundsatz effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes eröffnet dem Einzelnen den Zugang zu einem Gericht und nicht zu mehreren Gerichtsinstanzen (EuGH, Urteil vom 28. Juli 2011 - Rs. C-69/10, Samba Diouf - NVwZ 2011, 1380 Rn. 69). Er verlangt nicht, dass ein nach dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaats eröffnetes Rechtsmittel wie die Revision eine Überprüfung der Tatsachen auf aktuellem Sachstand ermöglicht. Im Übrigen steht dem Kläger im Hinblick auf nach der Berufungsentscheidung eingetretene Umstände, die den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der von ihm ausgehenden Gefahr mit sich bringen können, die Möglichkeit zur Beantragung einer Verkürzung der von der Ausländerbehörde gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 - 5 AufenthG bereits mit der Ausweisung festzusetzenden Frist offen (dazu unter 2.).

20

1.3 Da der Kläger ein assoziationsrechtlich begründetes Aufenthaltsrecht besitzt, darf er nur auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung ausgewiesen werden. Bei deren gerichtlicher Überprüfung ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen (EuGH, Urteil vom Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 84; so bereits Urteil vom 3. August 2004 - BVerwG 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <320 f.>). Die Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde über den Erlass einer Ausweisung erfordert eine sachgerechte Abwägung der öffentlichen Interessen an der Ausreise mit den privaten Interessen an einem weiteren Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet. Zugunsten des Ausländers sind die Gründe für einen besonderen Ausweisungsschutz (§ 56 AufenthG) sowie die Dauer seines rechtmäßigen Aufenthalts und die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet zu berücksichtigen. Außerdem sind die Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen des Ausländers, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben, in die Abwägung einzustellen (§ 55 Abs. 3 AufenthG). Die von Art. 2 Abs. 1 GG sowie Art. 6 Abs. 1 und 2 GG und Art. 8 EMRK geschützten Belange auf Achtung des Privat- und Familienlebens sind dabei entsprechend ihrem Gewicht und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in der Gesamtabwägung zu berücksichtigen. Das gilt insbesondere bei im Bundesgebiet geborenen und aufgewachsenen Ausländern, zumal wenn sie über keine Bindungen an das Land ihrer Staatsangehörigkeit verfügen.

21

Mit Blick auf diese Vorgaben hat der Senat bereits im Vorlagebeschluss vom 25. August 2009 (a.a.O. Rn. 24) ausgeführt, dass die Ermessensausübung des Beklagten nicht zu beanstanden ist. Die gesetzlichen Grenzen des Ermessens werden angesichts der vom Kläger ausgehenden konkreten Gefahr für die hochrangigen Rechtsgüter der sexuellen Selbstbestimmung sowie der körperlichen Integrität von Frauen in seiner Umgebung nicht überschritten. Es begegnet keinen Bedenken, dass der Beklagte das durch den Rechtsgüterschutz geprägte und durch grundrechtliche Schutzpflichten zusätzlich verstärkte öffentliche Interesse daran, den Aufenthalt des Klägers zu beenden, höher gewichtet hat als dessen Interesse an einem Verbleib in Deutschland. Zwar schlägt sein über dreißigjähriger rechtmäßiger Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland erheblich zu seinen Gunsten zu Buche. Dennoch ist zu berücksichtigen, dass er über ausreichende persönliche Bindungen in die Türkei verfügt, so dass ihm die Ausreise dorthin zumutbar ist. Der Schutz des Familienlebens und der elterlichen Sorge genießt hohe Bedeutung, verliert aber an Gewicht, wenn man das Kindeswohl der minderjährigen Tochter mitberücksichtigt, so dass die Aufenthaltsbeendigung auch im Hinblick auf Art. 6 GG, Art. 8 EMRK und Art. 24 Abs. 3 der GRCh gerechtfertigt ist. In der Gesamtabwägung aller gegenläufigen Belange ist die Ausweisung verhältnismäßig und "unerlässlich" im Sinne der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 86). Denn mit diesem Begriff hat der Gerichtshof lediglich die gebotene Abwägung der öffentlichen mit den privaten Interessen des Betroffenen, d.h. dessen tatsächlich vorliegende Integrationsfaktoren, im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angesprochen (ebenso VGH Mannheim, Urteil vom 10. Februar 2012 - 11 S 1361/11 - NVwZ-RR 2012, 492).

22

1.4 Die weiteren Rügen der Revision sind unbegründet; insbesondere ist das Ausweisungsverfahren fehlerfrei durchgeführt worden. Zwar war das in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG enthaltene "Vier-Augen-Prinzip" auf assoziationsrechtlich begünstigte türkische Staatsangehörige zu übertragen (Urteil vom 13. September 2005 - BVerwG 1 C 7.04 - BVerwGE 124, 217 <221 f.> im Anschluss an EuGH, Urteil vom 2. Juni 2005 - Rs. C-136/03, Dörr und Ünal - Slg. 2005, I-4759 = NVwZ 2006, 72). In dem hier vorliegenden Fall hat der Beklagte den angefochtenen Bescheid aber am 2. Mai 2006 und damit erst nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG zum 30. April 2006 (Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG) erlassen. Zu diesem Zeitpunkt galt Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG nicht mehr; stattdessen ist nunmehr Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG als unionsrechtlicher Bezugsrahmen für die Anwendung des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 heranzuziehen (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 79). Nach Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109/EG steht langfristig Aufenthaltsberechtigten zur Überprüfung einer Ausweisung der Rechtsweg offen; die Beteiligung einer unabhängigen Stelle im Ausweisungsverfahren zur Prüfung der Zweckmäßigkeit der Maßnahme ist nicht vorgeschrieben.

23

Im Übrigen hat der Gerichtshof vor Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG die Anwendung des "Vier-Augen-Prinzips" auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige damit begründet, dass die im Rahmen von Art. 48 EGV eingeräumten Rechtspositionen so weit wie möglich auf assoziationsberechtigte türkische Arbeitnehmer übertragen werden müssen. Um effektiv zu sein, müssten diese (materiellen) Rechte von den türkischen Staatsangehörigen vor den nationalen Gerichten geltend gemacht werden können. Zur Gewährleistung der Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes sei es unabdingbar, ihnen die Verfahrensgarantien zuzuerkennen, die den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten durch das Gemeinschaftsrecht gewährleistet werden. Daher müsse es ihnen ermöglicht werden, sich u.a. auf Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG zu berufen, da die Verfahrensgarantien untrennbar mit den materiellen subjektiven Rechten verbunden seien, auf die sie sich beziehen (EuGH, Urteil vom 2. Juni 2005 a.a.O. Rn. 62 und 67). Da Ausgangspunkt der Betrachtung des Gerichtshofs die Verfahrensgarantien sind, die den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten durch das Gemeinschaftsrecht gewährleistet werden, erweist sich seine Rechtsprechung zur Übertragung auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige schon im Ansatz offen für Fälle von Rechtsänderungen, die die Stellung der Unionsbürger betreffen. Für diese gewährleistet Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG gegen Entscheidungen, die aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung getroffen werden, einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde. Im Rechtsbehelfsverfahren sind nach Art. 31 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2004/38/EG die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände zu überprüfen, auf denen die Entscheidung beruht. Nach Satz 2 gewährleistet das Rechtsbehelfsverfahren, dass die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Art. 28 der Richtlinie 2004/38/EG nicht unverhältnismäßig ist. Demzufolge gebietet Unionsrecht bei Ausweisungen von Unionsbürgern keine behördliche Kontrolle mehr nach dem "Vier-Augen-Prinzip". Dann können assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige nach der dynamisch angelegten Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Übertragung von Rechten auf diese Gruppe keine bessere verfahrensrechtliche Rechtsstellung beanspruchen.

24

Demgegenüber beruft sich der Kläger auf die Stillhalteklauseln in Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (BGBl 1972 II S. 385) - ZP. Gemäß Art. 13 ARB 1/80 dürfen die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Gemäß Art. 41 Abs. 1 ZP werden die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen. Aus diesen Stand-Still-Klauseln ergibt sich nach Auffassung des Klägers, dass Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG bei der Ausweisung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger weiterhin anzuwenden sei. Dem folgt der Senat nicht.

25

Gegen die Auffassung des Klägers spricht bereits, dass Art. 13 ARB 1/80 seinem Wortlaut nach nur die Mitgliedstaaten, nicht aber die Europäische Union verpflichtet. Art. 41 Abs. 1 ZP betrifft sachlich nur Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs, nicht aber die der Arbeitnehmerfreizügigkeit zuzurechnende aufenthaltsrechtliche Stellung aus Art. 7 ARB 1/80. Des Weiteren erscheint fraglich, ob die auf den Zugang zum Arbeits- bzw. Binnenmarkt zugeschnittenen Stand-Still-Klauseln überhaupt Verfahrensregelungen bei der Aufenthaltsbeendigung erfassen (vgl. Urteil vom 30. April 2009 - BVerwG 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 20 zu den gesetzlichen Erlöschenstatbeständen für Aufenthaltstitel) und ob die Aufhebung des "Vier-Augen-Prinzips" mit Blick auf die gerichtliche Überprüfbarkeit nach Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109/EG eine merkliche Verschlechterung der Rechtsposition darstellt. Das kann aber dahinstehen, da die weitere Anwendung des Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige selbst bei Annahme einer rechtserheblichen Verschlechterung gegen Art. 59 ZP verstoßen würde. Nach dieser Vorschrift darf der Türkei in den von diesem Protokoll erfassten Bereichen keine günstigere Behandlung gewährt werden als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander aufgrund des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft einräumen. Das wäre aber bei weiterer Anwendung des "Vier-Augen-Prinzips" im Vergleich zu den Verfahrensrechten von Unionsbürgern aus Art. 31 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2004/38/EG - wie oben dargelegt - der Fall.

26

Im Übrigen entspricht das im vorliegenden Fall durchgeführte Widerspruchsverfahren nach §§ 68 ff. VwGO den Anforderungen der in Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG enthaltenen Verfahrensgarantien (Urteil vom 13. September 2005 a.a.O. S. 221 f.). An dieser Rechtsprechung hält der Senat mangels durchgreifender neuer Argumente der Revision fest.

27

2. Auf den Hilfsantrag des Klägers, mit dem dieser die Befristung der Wirkungen der Ausweisung mit sofortiger Wirkung begehrt, ist die Beklagte zu verpflichten, die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von sieben Jahren zu befristen. Im Übrigen ist der Antrag unbegründet.

28

2.1 Der erst in der Revisionsinstanz gestellte Hilfsantrag ist zulässig. Das Verbot der Klageänderung im Revisionsverfahren in § 142 VwGO steht dem nicht entgegen. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift soll sich das Revisionsgericht grundsätzlich auf die rechtliche Prüfung des in der Vorinstanz bereits erörterten und aufbereiteten Streitstoffes beschränken, um nicht wegen eines erstmals im Revisionsverfahren gestellten Klageantrags ohne weitere Rechtsprüfung zu einer Zurückverweisung gemäß § 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO gezwungen zu sein (Urteil vom 14. April 1989 - BVerwG 4 C 21.88 - Buchholz 442.40 § 6 LuftVG Nr. 21 = NVwZ 1990, 260<261>). Eine solche Situation liegt aber hier nicht vor. Während des Revisionsverfahrens ist § 11 AufenthG durch das Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 in der Weise geändert worden, dass der Kläger nunmehr einen Anspruch auf gleichzeitige Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung hat (s.u. 2.2.2). Dieser Änderung des materiellen Rechts trägt der gestellte Hilfsantrag Rechnung. Durch dessen Einbeziehung wird der Streitstoff auch nicht verändert, da der Befristungsanspruch in tatsächlicher Hinsicht vollumfänglich auf dem gegen die Ausweisung gerichteten Anfechtungsbegehren aufbaut (vgl. Urteil vom 26. Januar 1995 - BVerwG 3 C 21.93 - BVerwGE 97, 331 <342>).

29

2.2 Der Hilfsantrag ist nur in geringem Umfang begründet. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG n.F. darf ein Ausländer, der ausgewiesen worden ist, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Ihm wird nach Satz 2 der Vorschrift auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach diesem Gesetz kein Aufenthaltstitel erteilt. Satz 3 der Vorschrift ordnet an, dass diese kraft Gesetzes eintretenden Wirkungen auf Antrag befristet werden. Die Frist ist gemäß Satz 4 unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Bei Bemessung der Länge der Frist wird berücksichtigt, ob der Ausländer rechtzeitig und freiwillig ausgereist ist (Satz 5). Die Frist beginnt nach Satz 6 mit der Ausreise. Nach Satz 7 erfolgt keine Befristung, wenn ein Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder aufgrund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG aus dem Bundesgebiet abgeschoben wurde.

30

2.2.1 Seit Inkrafttreten des § 11 AufenthG in der Neufassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 haben Ausländer grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass die Ausländerbehörde mit einer Ausweisung zugleich das daran geknüpfte gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie die Titelerteilungssperre befristet (Weiterentwicklung der Rechtsprechung im Urteil vom 14. Februar 2012 - BVerwG 1 C 7.11 - juris Rn. 28 f.). Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

31

Die Regelungen zur Befristung der Wirkungen einer Ausweisung und Abschiebung sind seit dem Ausländergesetz 1965 kontinuierlich zugunsten der betroffenen Ausländer verbessert worden. Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965 stand die Befristung der Wirkungen von Ausweisung und Abschiebung noch vollumfänglich im Ermessen der Ausländerbehörde. § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990 sah vor, dass auf Antrag eine Befristung in der Regel erfolgte (ebenso § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG 2004); die Länge der Frist lag im Auswahlermessen der Behörde. Diese Entwicklung belegt die gewachsene Sensibilität des Gesetzgebers für die Verhältnismäßigkeit der gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung in zeitlicher Dimension angesichts der einschneidenden Folgen für die persönliche Lebensführung des Ausländers und die ihn ggf. treffenden sozialen, familiären und wirtschaftlichen Nachteile (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386 <398 ff.>). Denn typischerweise genügt eine zeitlich befristete Ausweisung zur Erreichung der mit dieser ordnungsrechtlichen Maßnahme verfolgten präventiven Zwecke (Urteile vom 7. Dezember 1999 - BVerwG 1 C 13.99 - BVerwGE 110, 140 <147> und vom 11. August 2000 - BVerwG 1 C 5.00 - BVerwGE 111, 369 <371 ff.>).

32

Die Befristung der Wirkungen der Ausweisung setzte nach den bisher geltenden Vorschriften grundsätzlich die vorherige Ausreise des Ausländers voraus (Beschluss vom 17. Januar 1996 - BVerwG 1 B 3.96 - Buchholz 402.240 § 45 AuslG 1990 Nr. 5; Urteil vom 7. Dezember 1999 a.a.O. S. 147; vgl. auch BTDrucks 11/6321 S. 57 zu § 8 Abs. 2 AuslG 1990). Die gesetzliche Systematik von Ausweisung und Befristung war zweitaktig angelegt, da im Zeitpunkt des Erlasses einer (auch) spezialpräventiv motivierten Ausweisung typischerweise kaum zu prognostizieren ist, wie der Betroffene sich zukünftig verhalten wird. Das Verhalten nach der Ausweisung ist aber neben dem Gewicht des Ausweisungsgrundes, der Berücksichtigung des Ausweisungszwecks und der Folgenbetrachtung im Hinblick auf das Übermaßverbot einer der für die Fristbestimmung maßgeblichen Faktoren (Urteil vom 11. August 2000 a.a.O. S. 372 ff.). Die im Gesetz angelegte Trennung von Ausweisung einerseits und Befristung ihrer Wirkungen andererseits hat zur Folge, dass eine fehlerhafte Befristungsentscheidung nicht zur Rechtswidrigkeit der Ausweisung führt, sondern selbstständig angreifbar ist (Beschlüsse vom 31. März 1981 - BVerwG 1 B 853.80 - Buchholz 402.24 § 15 AuslG Nr. 3 und vom 10. Dezember 1993 - BVerwG 1 B 160.93 - Buchholz 402.240 § 47 AuslG 1990 Nr. 2; Urteil vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 30).

33

Der Senat hat bereits zur früheren Rechtslage mehrfach entschieden, dass die Ausländerbehörde zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Einzelfall auch von Amts wegen verpflichtet sein kann, die Wirkungen der Ausweisung schon bei Erlass der Ausweisung zu befristen. Ob dies erforderlich war, hing bei einer spezialpräventiven Ausweisung von den gesamten Umständen des Einzelfalles, insbesondere dem Ausmaß der von dem Ausländer ausgehenden Gefahr, der Vorhersehbarkeit der zukünftigen Entwicklung dieser Gefahr und den schutzwürdigen Belangen des Ausländers und seiner Angehörigen ab (Urteile vom 15. März 2005 - BVerwG 1 C 2.04 - Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 42, vom 23. Oktober 2007 - BVerwG 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367 Rn. 18 und vom 2. September 2009 - BVerwG 1 C 2.09 - Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 54 Rn. 25 sowie Beschluss vom 20. August 2009 - BVerwG 1 B 13.09 - Buchholz 402.242 § 11 AufenthG Nr. 4 Rn. 8). Bei einer allein generalpräventiv motivierten Ausweisung eines Ausländers mit besonderem Ausweisungsschutz war es demgegenüber regelmäßig geboten, über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung von Amts wegen zugleich mit der Ausweisung zu entscheiden. Denn in diesen Fällen lässt sich bereits in dem für die Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt beurteilen, wie lange der Betroffene unter Berücksichtigung seiner schutzwürdigen privaten Belange vom Bundesgebiet ferngehalten werden muss, um die notwendige generalpräventive Wirkung zu erzielen, so dass es unverhältnismäßig wäre, ihn über diesen für seine Lebensplanung wichtigen Umstand im Unklaren zu lassen (Urteil vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 29). Sowohl bei der generalpräventiven als auch bei der spezialpräventiven Ausweisung kann der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i.V.m. Art. 6 GG ausnahmsweise sogar die Befristung der Sperrwirkung einer Ausweisung "auf Null" gebieten, ohne dass der Ausländer zur vorherigen Ausreise verpflichtet ist (Urteil vom 4. September 2007 - BVerwG 1 C 43.06 - BVerwGE 129, 226 LS 4 und Rn. 28).

34

Das Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 hat die Rechtslage für die betroffenen Ausländer weiter verbessert: § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. verschafft dem Betroffenen nunmehr - vorbehaltlich der Ausnahmen in Satz 7 der Vorschrift - einen uneingeschränkten, auch hinsichtlich der Dauer der Befristung voller gerichtlicher Überprüfung unterliegenden Befristungsanspruch (Urteil vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 32 f. - zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE vorgesehen). Zugleich ist hinsichtlich der Dauer der Frist geregelt, dass diese unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles festzusetzen ist und fünf Jahre nur überschreiten darf, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (§ 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG n.F.).

35

Diese Änderungen des § 11 AufenthG dienen der Umsetzung der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 - Rückführungsrichtlinie (ABl EU Nr. L 348 vom 24. Dezember 2008 S. 98). Diese Richtlinie, die auf Art. 63 Abs. 3 Buchst. b EG (jetzt: Art. 79 Abs. 2 Buchst. c AEUV) gestützt ist und die illegale Einwanderung bekämpfen soll, ergänzt die Migrationspolitik um eine wirksame Rückkehrpolitik mit klaren, transparenten und fairen Vorschriften (4. Erwägungsgrund). Die Richtlinie findet gemäß Art. 2 Abs. 1 - vorbehaltlich der Opt-out-Klausel in Absatz 2 der Vorschrift - Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige. Dabei kommt es nicht darauf an, ob diese die Voraussetzungen für die Einreise bzw. den Aufenthalt nicht oder nicht mehr erfüllen (5. Erwägungsgrund). Im Einklang mit allgemeinen Grundsätzen des EU-Rechts sollen Entscheidungen gemäß dieser Richtlinie auf Grundlage des Einzelfalls und anhand objektiver Kriterien getroffen werden (6. Erwägungsgrund). Um die Interessen der Betroffenen wirksam zu schützen, sollen für Entscheidungen in Bezug auf die Rückkehr eine Reihe gemeinsamer rechtlicher Mindestgarantien gelten (11. Erwägungsgrund). Die Wirkung der einzelstaatlichen Rückführungsmaßnahmen soll einen europäischen Zuschnitt erhalten (14. Erwägungsgrund). Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie definiert die Rückkehrentscheidung als die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird. Rückkehrentscheidungen gehen in den in Art. 11 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie genannten Fällen mit einem Einreiseverbot einher; gemäß Satz 2 der Vorschrift können sie in anderen Fällen mit einem Einreiseverbot einhergehen. Das Einreiseverbot definiert Art. 3 Nr. 6 der Richtlinie als die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und der dortige Aufenthalt für einen bestimmten Zeitraum untersagt werden und die mit einer Rückkehrentscheidung einhergeht. Die Dauer des Einreiseverbots wird gemäß Art. 11 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt und überschreitet grundsätzlich nicht fünf Jahre. Die Dauer des Einreiseverbots kann jedoch nach Satz 2 der Vorschrift fünf Jahre überschreiten, wenn der Drittstaatsangehörige eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellt. Verfahrensrechtlich garantiert Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie die Möglichkeit der Einlegung eines wirksamen Rechtsbehelfs gegen Entscheidungen nach Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie, also Rückkehrentscheidungen sowie ggf. Entscheidungen über ein Einreiseverbot oder eine Abschiebung.

36

Die Begründung des Gesetzentwurfs zum Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 geht davon aus, dass große Teile der in der Rückführungsrichtlinie enthaltenen Vorgaben durch die Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes zur Aufenthaltsbeendigung bereits erfüllt werden. Da die Richtlinie - anders als das geltende Aufenthaltsrecht mit der Differenzierung zwischen Ausreisepflichten kraft Verwaltungsakts und kraft Gesetzes - eine "Rückkehrentscheidung" verlange, an die unterschiedliche prozedurale bzw. formelle Garantien geknüpft würden, seien punktuelle gesetzliche Anpassungen erforderlich. Diese erfolgten jedoch innerhalb der geltenden Systematik, indem sie an den die Ausreisepflicht begründenden Verwaltungsakt (z.B. Ausweisung) oder an die Abschiebungsandrohung nach § 59 des Aufenthaltsgesetzes geknüpft würden. Die Umsetzung der Rückführungsrichtlinie erfordere darüber hinaus die Einführung einer Regelobergrenze von fünf Jahren für die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 AufenthG (BTDrucks 17/5470 S. 17).

37

Das macht deutlich, dass sich der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 11 AufenthG auch hinsichtlich der in Absatz 1 Satz 1 und 2 der Vorschrift genannten gesetzlichen Folgen der Ausweisung und deren Befristung an den unionsrechtlichen Vorgaben für eine Rückkehrentscheidung orientiert hat. Im Regelungsmodell der Richtlinie ist das Einreiseverbot jedoch als antragsunabhängige, mit einer Rückkehrentscheidung von Amts wegen einhergehende Einzelfallentscheidung ausgestaltet, in der die Dauer der befristeten Untersagung des Aufenthalts in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt wird (Art. 3 Nr. 6 i.V.m. Art. 11 Abs. 1 und 2 Satz 1 der Richtlinie). Aus der Absicht des Gesetzgebers, dieses Modell trotz der beibehaltenen systematischen Trennung von Ausweisung und Befristung nachzuvollziehen, ergeben sich zwei Konsequenzen: Zum einen gebietet § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. den gleichzeitigen Erlass von Ausweisung und Befristung. Zum anderen genügt für den in dieser Vorschrift vorgesehenen Antrag jede Form der Willensbekundung des Betroffenen, mit der dieser sich gegen eine Ausweisung wendet (anders noch zu § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990: Beschluss vom 14. Juli 2000 - BVerwG 1 B 40.00 - Buchholz 402.240 § 8 AuslG Nr. 18). Dieser Auslegungsbefund des einfachen Rechts trägt zugleich der besonderen Bedeutung der Befristung für die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK Rechnung. Denn der EGMR zieht die Frage der Befristung bei der Prüfung von Ausweisungen am Maßstab des Art. 8 Abs. 2 EMRK als ein wesentliches Kriterium heran (EGMR, Urteile vom 17. April 2003 - Nr. 52853/99, Yilmaz/Deutschland - NJW 2004, 2147; vom 27. Oktober 2005 - Nr. 32231/02, Keles/Deutschland - InfAuslR 2006, 3 <4>; vom 22. März 2007 - Nr. 1638/03, Maslov/Österreich - InfAuslR 2007, 221 <223> und vom 25. März 2010 - Nr. 40601/05, Mutlag/Deutschland - InfAuslR 2010, 325 <327>). Diese grund- und menschenrechtlichen Impulse verbunden mit der Absicht des Gesetzgebers, sich am Regelungsmodell der Rückführungsrichtlinie zu orientieren, führen in der Gesamtschau zu dem Ergebnis, dass der Erlass einer Entscheidung zur Befristung der Wirkungen einer Ausweisung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. nicht mehr die vorherige Ausreise des Ausländers voraussetzt.

38

Dagegen lässt sich nicht mit Erfolg einwenden, aus § 11 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ergebe sich, dass der Gesetzgeber nach wie vor von einer nachträglichen Befristung ausgehe. Nach dieser Vorschrift ist bei der Bemessung der Fristlänge zu berücksichtigen, ob der Ausländer rechtzeitig und freiwillig ausgereist ist. Es liegt auf der Hand, dass sich diese Umstände erst nach Erlass der Ausweisung feststellen lassen. Dennoch läuft die Vorschrift bei gleichzeitigem Erlass von Ausweisung und Befristung nicht leer. Denn die Ausländerbehörde hat ihre zusammen mit der Ausweisung getroffene Befristungsentscheidung, die sich u.a. auf eine Prognose des künftigen Verhaltens des Ausländers stützt und die Folgen der Ausweisung im Hinblick auf das zeitliche Übermaßverbot berücksichtigt, auf Antrag zu überprüfen und ggf. neu zu fassen, wenn einer der für die Fristbestimmung maßgeblichen Faktoren sich im Nachhinein ändert. Neben nachgewiesenen entscheidungserheblichen Änderungen der Sachlage kennzeichnet § 11 Abs. 1 Satz 5 AufenthG einen zusätzlichen Punkt, der von der Ausländerbehörde bei einer nachträglich beantragten Verkürzung der Frist zu berücksichtigen ist. Im Übrigen haben auch die Gerichte bei ihrer Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Befristungsentscheidung, die auch hinsichtlich der Bemessung der Fristdauer seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht mehr im Ermessen der Ausländerbehörde steht (Urteil vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 31), die rechtzeitige und freiwillige Ausreise des Betroffenen zu berücksichtigen.

39

2.2.2 Fehlt die notwendige Befristung der Wirkungen der Ausweisung, hat das aber auch nach Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht zur Folge, dass die - als solche rechtmäßige - Ausweisung aufzuheben ist. Vielmehr kann der Ausländer zugleich mit Anfechtung der Ausweisung seinen Anspruch auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gerichtlich durchsetzen (Urteil vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 30). Damit wird dem sich aus dem materiellen Recht ergebenden Anspruch des Betroffenen auf gleichzeitige Entscheidung über die Ausweisung und die Befristung ihrer Wirkungen Rechnung getragen und die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung im Ergebnis gewährleistet. Diese verfahrensrechtliche Ausgestaltung entspricht der gesetzlichen Systematik, die nach wie vor zwei getrennte Verwaltungsakte - die Ausweisung einerseits und die Befristung ihrer Wirkungen andererseits - vorsieht (s.o. Rn. 32). Prozessual wird dieses Ergebnis dadurch sichergestellt, dass in der Anfechtung der Ausweisung zugleich - als minus - für den Fall der Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ein (Hilfs-)Antrag auf Verpflichtung der Ausländerbehörde zu einer angemessenen Befristung ihrer Wirkungen gesehen wird, sofern eine solche nicht bereits von der Ausländerbehörde verfügt worden ist. Das Prozessrecht muss gewährleisten, dass der Ausländer gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. nicht auf ein eigenständiges neues Verfahren verwiesen wird. Daher ist im Fall der gerichtlichen Bestätigung der Ausweisung auf den Hilfsantrag zugleich eine Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung zu treffen.

40

Erachtet das Gericht die Ausweisung für rechtmäßig, hat es auf den Hilfsantrag des Betroffenen hin die Befristungsentscheidung der Ausländerbehörde vollumfänglich zu überprüfen. Hat eine Ausländerbehörde eine zu lange Frist festgesetzt oder fehlt - wie hier - eine behördliche Befristungsentscheidung, hat das Gericht über die konkrete Dauer einer angemessenen Frist selbst zu befinden und die Ausländerbehörde zu einer entsprechenden Befristung der Ausweisung zu verpflichten (Weiterentwicklung des Urteils vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 31).

41

2.2.3 Der Senat hält im vorliegenden Fall - bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts und auf der Grundlage von dessen tatsächlichen Feststellungen - eine Frist von sieben Jahren für angemessen.

42

Die allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzende Frist ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (zu der zuletzt genannten Voraussetzung vgl. Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/EG). Bei der Bestimmung der Länge der Frist sind das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr mit Blick auf die im vorliegenden Fall bedeutsame Gefahrenschwelle des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 zu tragen vermag. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Höchstfrist muss sich aber an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den Vorgaben aus Art. 7 GRCh, Art. 8 EMRK messen und ggf. relativieren lassen. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und den Verwaltungsgerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (vgl. Urteile vom 11. August 2000 - BVerwG 1 C 5.00 - BVerwGE 111, 369 <373> und vom 4. September 2007 - BVerwG 1 C 21.07 - BVerwGE 129, 243 Rn. 19 ff.). Dabei sind insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen. Die Abwägung ist nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles im Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorzunehmen bzw. von den Verwaltungsgerichten zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. Entscheidung des Gerichts zu überprüfen oder bei fehlender behördlicher Befristungsentscheidung - wie hier - durch eine eigene Abwägung als Grundlage des Verpflichtungsausspruchs zu ersetzen.

43

Die in § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG genannte Höchstfrist von fünf Jahren ist im vorliegenden Fall ohne Bedeutung, da von dem Kläger - im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts - eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht; das ergibt sich aus den Ausführungen zu den Ausweisungsvoraussetzungen. Wegen des Gewichts der gefährdeten Rechtsgüter und der vom Berufungsgericht festgestellten hohen Wiederholungsgefahr erachtet der Senat auch im Hinblick auf die familiären und persönlichen Bindungen des Klägers im Bundesgebiet einen Zeitraum von sieben Jahren für erforderlich, um dem hohen Gefahrenpotential in der Person des Klägers Rechnung tragen zu können. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Rückfallgefahr bei Delikten dieser Art, des Alters des Klägers, seines (Nach-)Tatverhaltens ohne therapeutische Auf- und Verarbeitung des Geschehens sowie seines familiären Umfelds ist nicht zu erwarten, dass er die hier maßgebliche Gefahrenschwelle des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vor Ablauf der festgesetzten Frist unterschreiten wird. Zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass der Beklagte auf den bei ihm während des Revisionsverfahrens gestellten Befristungsantrag auf aktueller Tatsachengrundlage zu prüfen hat, ob sich aus dem Vorbringen des Klägers zur Entwicklung seit dem 5. September 2008 Anhaltspunkte für eine Verkürzung der Frist ergeben.

44

3. Die Abschiebungsandrohung ist rechtmäßig. Der Kläger ist ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 1 AufenthG), da infolge der Ausweisung seine gemäß § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgeltende Aufenthaltsberechtigung erloschen ist (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Die im angefochtenen Bescheid vom Beklagten getroffene Festsetzung der Ausreisefrist von einem Monat legt der Senat in Übereinstimmung mit § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG n.F. zugunsten des Klägers dahingehend aus, dass ihm eine Frist von 31 Tagen für die freiwillige Ausreise zur Verfügung steht.

45

4. Die Frage, ob die Ausweisung, die Befristung ihrer Wirkungen und die Abschiebungsandrohung an den Bestimmungen der Rückführungsrichtlinie zu messen sind, kann im vorliegenden Fall offen bleiben. Der Senat ist bisher davon ausgegangen, dass die Rückführungsrichtlinie, die von den Mitgliedstaaten gemäß Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG bis zum 24. Dezember 2010 umzusetzen war, für davor erlassene und mit der Klage angegriffene Abschiebungsandrohungen keine Geltung beansprucht (Urteile vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 35 und vom 22. März 2012 a.a.O. Rn. 15; a.A. VGH Mannheim, Urteil vom 16. April 2012 - 11 S 4/12 - juris Rn. 49 ff.; vgl. auch VerwGH Wien, Urteile vom 16. Juni 2011 - Az. 2011/18/0064 - und vom 20. März 2012 - Az. 2011/21/0298). Für den sachlichen Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie ist zudem umstritten, ob die Ausweisung als Rückkehrentscheidung i.S.d. Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie 2008/115/EG angesehen werden kann (dafür: Basse/Burbaum/Richard, ZAR 2011, 361<364>; Hörich, ZAR 2011, 281 <284 Fn. 45>; dagegen: VGH Mannheim, Urteil vom 7. Dezember 2011 - 11 S 897/11 - NVwZ-RR 2012, 412; offen: OVG Münster, Urteil vom 22. März 2012 - 18 A 951/09 - juris Rn. 88). Das alles kann indes hier dahinstehen. Denn selbst wenn man die intertemporale Geltung und die sachliche Anwendbarkeit der Rückführungsrichtlinie auf die (Wirkungen der) Ausweisung und die Abschiebungsandrohung unterstellt, verhilft das der Revision im vorliegenden Fall nicht in weitergehendem Umfang zum Erfolg. Da der Kläger mit seinem Hilfsantrag die gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. gebotene Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung zusammen mit deren gerichtlicher Prüfung durchsetzen kann, wird den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie im Ergebnis Genüge getan. In dem hier vorliegenden Fall konnte die Dauer des Einreiseverbots auch die Regelfrist von fünf Jahren überschreiten, da der Kläger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung i.S.d. Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/EG darstellt.

46

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat gewichtet den gegen die Ausweisung und die Abschiebungsandrohung gerichteten Anfechtungsantrag mit 4/5 und den auf Befristung zielenden Verpflichtungsantrag mit 1/5. Nachdem der Kläger aber mit seinem Hilfsantrag nur zum Teil obsiegt hat, hat er 9/10 der Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

(1) Der Aufenthaltstitel wird für das Bundesgebiet erteilt. Seine Gültigkeit nach den Vorschriften des Schengener Durchführungsübereinkommens für den Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien bleibt unberührt.

(2) Das Visum und die Aufenthaltserlaubnis können mit Bedingungen erteilt und verlängert werden. Sie können, auch nachträglich, mit Auflagen, insbesondere einer räumlichen Beschränkung, verbunden werden. Insbesondere kann die Aufenthaltserlaubnis mit einer räumlichen Beschränkung versehen werden, wenn ein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 oder 1a besteht und dies erforderlich ist, um den Ausländer aus einem Umfeld zu lösen, welches die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten begünstigt.

(3) Ein Ausländer hat den Teil des Bundesgebiets, in dem er sich ohne Erlaubnis der Ausländerbehörde einer räumlichen Beschränkung zuwider aufhält, unverzüglich zu verlassen.

(4) Der Aufenthalt eines Ausländers, der keines Aufenthaltstitels bedarf, kann zeitlich und räumlich beschränkt sowie von Bedingungen und Auflagen abhängig gemacht werden.

(5) Die Ausländerbehörde kann dem Ausländer das Verlassen des auf der Grundlage dieses Gesetzes beschränkten Aufenthaltsbereichs erlauben. Die Erlaubnis ist zu erteilen, wenn hieran ein dringendes öffentliches Interesse besteht, zwingende Gründe es erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Der Ausländer kann Termine bei Behörden und Gerichten, bei denen sein persönliches Erscheinen erforderlich ist, ohne Erlaubnis wahrnehmen.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, daß die verletzte Person

1.
das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert,
2.
ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann oder
3.
in erheblicher Weise dauernd entstellt wird oder in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung verfällt,
so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(2) Verursacht der Täter eine der in Absatz 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn

1.
zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind,
2.
dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, und
3.
die verurteilte Person einwilligt.
Bei der Entscheidung sind insbesondere die Persönlichkeit der verurteilten Person, ihr Vorleben, die Umstände ihrer Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug, ihre Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für sie zu erwarten sind.

(2) Schon nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe, mindestens jedoch von sechs Monaten, kann das Gericht die Vollstreckung des Restes zur Bewährung aussetzen, wenn

1.
die verurteilte Person erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt und diese zwei Jahre nicht übersteigt oder
2.
die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, daß besondere Umstände vorliegen,
und die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind.

(3) Die §§ 56a bis 56e gelten entsprechend; die Bewährungszeit darf, auch wenn sie nachträglich verkürzt wird, die Dauer des Strafrestes nicht unterschreiten. Hat die verurteilte Person mindestens ein Jahr ihrer Strafe verbüßt, bevor deren Rest zur Bewährung ausgesetzt wird, unterstellt sie das Gericht in der Regel für die Dauer oder einen Teil der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin oder eines Bewährungshelfers.

(4) Soweit eine Freiheitsstrafe durch Anrechnung erledigt ist, gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne der Absätze 1 bis 3.

(5) Die §§ 56f und 56g gelten entsprechend. Das Gericht widerruft die Strafaussetzung auch dann, wenn die verurteilte Person in der Zeit zwischen der Verurteilung und der Entscheidung über die Strafaussetzung eine Straftat begangen hat, die von dem Gericht bei der Entscheidung über die Strafaussetzung aus tatsächlichen Gründen nicht berücksichtigt werden konnte und die im Fall ihrer Berücksichtigung zur Versagung der Strafaussetzung geführt hätte; als Verurteilung gilt das Urteil, in dem die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(6) Das Gericht kann davon absehen, die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, wenn die verurteilte Person unzureichende oder falsche Angaben über den Verbleib von Gegenständen macht, die der Einziehung von Taterträgen unterliegen.

(7) Das Gericht kann Fristen von höchstens sechs Monaten festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag der verurteilten Person, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.

Tenor

Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. September 2016 - 19 CS 16.1194 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 10.000 € (in Worten: zehntausend Euro) und für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf 5.000 € (in Worten: fünftausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

1. Der am 1. Januar 1989 geborene Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger. Er lebte zunächst in der Türkei. Im Alter von drei Jahren zog er zu seinem Vater und dessen neuer Ehefrau in die Bundesrepublik Deutschland. Nach der Scheidung von Vater und Stiefmutter lebte er mit der Stiefmutter und deren zwei Kindern in Nürnberg. Er besuchte eine Förderschule bis zur neunten Klasse und verließ diese 2004 ohne Schulabschluss. Am 18. Januar 2005 erteilte ihm die Ausländerbehörde eine Niederlassungserlaubnis nach § 35 AufenthG. In der Folge nahm er ohne Erfolg an mehreren Bildungs- und Berufsvorbereitungsmaßnahmen teil. Im Jahr 2008 erlangte er den Hauptschulabschluss.

2

2. Er wurde mehrfach strafgerichtlich verurteilt: Am 9. März 2006 wurde er vom Amtsgericht wegen Diebstahls in zwei Fällen zu Freizeitarrest verurteilt. Am 11. August 2006 verurteilte ihn das Amtsgericht zu einem Kurzarrest von zwei Tagen und einer Geldauflage, weil er gemeinsam mit einem Freund die Verpackungen von X-Box-Spielen im Wert von 200 Euro aufgebrochen und diese an sich genommen hatte. Am 18. Juni 2007 wurde er vom Amtsgericht wegen gemeinschaftlicher räuberischer Erpressung, gemeinschaftlichen Diebstahls in einem besonders schweren Fall und Beleidigung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt. Er befand sich vom 28. Februar 2007 bis zum Tag der Verurteilung in Untersuchungshaft; die ihm auferlegten 250 Arbeitsstunden leistete er ab. Am 2. Oktober 2008 verurteilte ihn das Amtsgericht unter Einbeziehung der Verurteilung vom 18. Juni 2007 wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten, nachdem er erneut X-Box-Spiele entwendet hatte. Er verbüßte im Anschluss einen Teil der Strafe. Mit Urteil vom 25. Juli 2011 wurde er vom Amtsgericht wegen des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt.

3

Am 7. Mai 2012 verurteilte ihn das Amtsgericht zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und 3 Monaten wegen Handeltreibens mit Marihuana in 74 Fällen. Er hatte im Zeitraum von Juli bis Oktober 2011 in seiner Wohnung Marihuana angebaut, dieses in kleinen Mengen an einen Bekannten verkauft und im Übrigen bei sich eingelagert. Die mit Beschluss des Amtsgerichts vom 14. Februar 2013 gewährte Haftentlassung auf Bewährung wurde widerrufen, nachdem er erneut Marihuana konsumiert und nicht ausreichend Kontakt zu seinem Bewährungshelfer gehalten hatte. Er verbüßte seine Haftstrafe ab dem 22. April 2014.

4

3. Die Ausländerbehörde leitete am 8. Januar 2014 ein Ausweisungsverfahren ein. Sein Verfahrensbevollmächtigter teilte unter anderem mit, der Beschwerdeführer beabsichtige, eine Suchtmitteltherapie anzutreten. Mit Bescheid vom 6. Mai 2015 wies die Ausländerbehörde den Beschwerdeführer aus der Bundesrepublik Deutschland aus, ordnete die sofortige Vollziehung an, forderte ihn zur Ausreise bis zum 1. Juni 2015 auf und drohte die Abschiebung an. Er erfülle die zwingenden Ausweisungstatbestände des § 53 Nr. 1 und 2 AufenthG. Allerdings sei er Assoziationsberechtigter, weshalb eine Ausweisung nur als Ermessensausweisung möglich sei; das Ausweisungsinteresse überwiege sein Bleibeinteresse. Er sei wiederholt und schwer, unter anderem wegen Drogendelikten, straffällig geworden. Auch mehrfache Verurteilungen und Inhaftierungen hätten ihn nicht zu einem straffreien Leben anhalten können. Die Strafaussetzung zur Bewährung sei widerrufen worden. Es bestehe Wiederholungsgefahr. Demgegenüber könne er sich zwar auf den Assoziationsstatus berufen und sei im Wesentlichen in Deutschland aufgewachsen. Er habe sich hier jedoch nie wirtschaftlich integriert, und die von ihm ausgehenden Gefahren für höchste Rechtsgüter rechtfertigten die Schwierigkeiten, die er bei einer Rückkehr in die Türkei hinzunehmen habe. Die sofortige Vollziehung werde angeordnet, da er aus spezialpräventiven Gründen ausgewiesen werde und ein langwieriges Gerichtsverfahren nicht abzuwarten sei.

5

4. Der Beschwerdeführer erhob Klage gegen diesen Bescheid und beantragte die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Zur Begründung führte er insbesondere aus, dass kein besonderes Vollzugsinteresse gegeben sei. Die Ausländerbehörde habe bei zahlreichen anderen spezialpräventiven Ausweisungen von der Anordnung des Sofortvollzugs abgesehen. Das Verwaltungsverfahren habe über ein Jahr gedauert, so dass eine besondere Eilbedürftigkeit nicht erkennbar sei. Die Begründung der sofortigen Vollziehung bestehe aus bloßen Worthülsen. Im Übrigen, so machte er mit der Klagebegründung von demselben Tag geltend, sei der Bescheid jedenfalls rechtswidrig.

6

Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag mit Beschluss vom 18. August 2015 ab. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei nicht zu beanstanden, da die Ausländerbehörde auf die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten abgestellt habe. Die Verfügung erweise sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig. Die Ausländerbehörde habe zutreffend festgestellt, dass der Beschwerdeführer schon seit seinem Jugendalter in sich steigerndem Maße straffällig geworden sei. Auch während laufender Bewährung habe er mehrfach weitere Straftaten begangen und gegen Bewährungsauflagen verstoßen. Die begonnene Drogentherapie habe er noch nicht erfolgreich abgeschlossen; im Übrigen bleibe die statistische Rückfallgefahr auch nach einer solchen hoch. Bei bedrohten Rechtsgütern von hervorgehobener Bedeutung gälten für die Feststellung einer Wiederholungsgefahr geringere Anforderungen. Es sei jedenfalls im Falle wiederholter Straffälligkeit nicht erforderlich gewesen, zur Frage der Wiederholungsgefahr ein Prognosegutachten einzuholen. Es sei dem Beschwerdeführer zumutbar, in die Türkei zurückzukehren, auch wenn er diese als Kleinkind verlassen habe. Auf Art. 6 GG könne er sich nicht berufen, da er erwachsen, unverheiratet und kinderlos sei. Ob die Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf fünf Jahre rechtmäßig sei, spiele im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO keine Rolle.

7

5. Der Beschwerdeführer legte gegen den Beschluss Beschwerde ein. Das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass der Sofortvollzug der Ausweisung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur bei einem das Ausweisungsinteresse übersteigenden Vollzugsinteresse angeordnet werden könne. Hierfür sei eine besondere Prognoseentscheidung zu treffen, die in der Entscheidung des Verwaltungsgerichts fehle. Dabei sei zu berücksichtigen gewesen, dass er die letzte abgeurteilte Straftat 2011 begangen habe und die letzte Verurteilung 2012 erfolgt sei. Die Grundinteressen der Gemeinschaft seien nicht bedroht. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass ein Handel mit Betäubungsmitteln erneut drohe, bestünden nicht. Der Erfolg der Klage sei offen, da es für die Rechtmäßigkeit der Ausweisungsentscheidung auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ankomme, im Eilverfahren deshalb eine Prognose über die Sachlage im Zeitpunkt dieser Verhandlung hätte getroffen werden müssen. Das Verwaltungsgericht habe außerdem die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu der Bedeutung seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland nicht hinreichend berücksichtigt.

8

Der Verwaltungsgerichtshof wies die Beschwerde zurück. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts sei sowohl bei ihrem Erlass - gestützt auf § 53 Nr. 1 und 2 AufenthG a. F. - als auch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nach den §§ 53 ff. AufenthG n. F. rechtmäßig gewesen. Der Beschwerdeführer habe nach altem Recht zwingende Ausweisungstatbestände verwirklicht, doch habe der assoziationsrechtliche Ausweisungsschutz zu einer Herabstufung als Ermessensausweisung geführt. Der Vortrag, es bestehe keine Wiederholungsgefahr, sei angesichts seiner regelmäßig und sich steigernden Straffälligkeit nicht ausreichend. Die keineswegs jugendtypische Delinquenz belege vielmehr die Wiederholungsgefahr. Da er vielfach auch Eigentumsdelikte, teilweise unter Gewaltanwendung, begangen habe, bestehe weiterhin die Gefahr, dass er in Anbetracht seiner Drogenabhängigkeit solche Taten wiederholen werde. Im Übrigen könne bei einem Drogenabhängigen vom Wegfall der Wiederholungsgefahr nicht gesprochen werden, solange nicht eine Therapie abgeschlossen worden sei, deren Erfolg durch eine längere Zeit straffreien Verhaltens bestätigt sei. Die Ausweisungsverfügung sei auch bei Zugrundelegung des neuen Rechts rechtmäßig, da dieses die Rechtslage nach der früheren Rechtsprechung im Wesentlichen kodifiziert habe. Auch bei Zugrundelegung seines besonders schwerwiegenden Bleibeinteresses gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG bleibe es aus den zuvor dargestellten Gründen bei einem Überwiegen des Ausweisungsinteresses. Die Anordnung des Sofortvollzugs sei angesichts der zu bekämpfenden akuten Gefahren erforderlich. Die bei Aufschub des Vollzugs eintretenden konkreten Nachteile überwögen schließlich das Bleibeinteresse des Antragstellers bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens.

9

6. Unter dem 14. April 2016 beantragte der Beschwerdeführer bei dem Verwaltungsgericht die Abänderung des Beschlusses gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO. Er habe sich vom 17. Dezember 2015 bis zum 7. April 2016 zur stationären Behandlung seiner Abhängigkeitserkrankung in einem Therapiezentrum befunden und sei regulär entlassen worden. Die Prognose sei nach Angaben der behandelnden Therapeutin aufgrund seiner deutlichen Entscheidung für Abstinenz, seiner hohen Selbstreflexionsfähigkeit sowie der guten kognitiven Fähigkeiten günstig. Laut der vorgelegten Bescheinigung hatte der Beschwerdeführer in der Therapieeinrichtung zunächst Schwierigkeiten mit der Eingewöhnung. Er habe jedoch in der Folge einen guten Kontakt zu den Therapeuten aufgebaut, sich engagiert und habe auch schwierige Situationen, insbesondere Rückfälle anderer Patienten, gut gemeistert.

10

Die Ausländerbehörde trat dem Antrag entgegen und meinte insbesondere, veränderte relevante Umstände lägen nicht vor. Auch die Vertreterin des öffentlichen Interesses beantragte, den Antrag abzulehnen. Demgegenüber wies der Beschwerdeführer darauf hin, dass das Amtsgericht mit Beschluss vom 6. Mai 2016 die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe gemäß § 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG unter Auflagen zur Bewährung ausgesetzt habe. Von der in dieser Entscheidung zum Ausdruck kommenden Einschätzung könne nur aufgrund eines negativen kriminalprognostischen Gutachtens abgewichen werden.

11

Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag mit Beschluss vom 25. Mai 2016 ab. Die abgeschlossene Drogentherapie führe nicht zum Wegfall einer gegenwärtigen schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Eine etwaige Verhaltensänderung müsse sich erst im Anschluss an den Therapieabschluss beweisen. Statistisch sei von einer erheblichen Rückfallquote auszugehen. Auch die Strafaussetzungsentscheidung binde im ausländerrechtlichen Verfahren nicht, da bei ersterer die Resozialisierung des Täters im Vordergrund stünde.

12

7. Der Beschwerdeführer legte hiergegen unter dem 11. Juni 2016 Beschwerde zum Verwaltungsgerichtshof ein. Insbesondere habe das Verwaltungsgericht zu Unrecht ein besonderes Vollzugsinteresse bejaht, da jedenfalls eine akute Wiederholungsgefahr nicht mehr bestehe.

13

Mit Beschluss vom 9. September 2016 wies der Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde zurück. Angesichts der tiefgreifenden und länger andauernden Suchtproblematik stelle die Therapie allenfalls einen Teilerfolg dar, der die Wiederholungsgefahr nicht entfallen lasse. Der Beschwerdeführer verfüge auch unabhängig von seiner Drogensucht über ein hohes Maß an krimineller Energie. Die Strafaussetzungsentscheidung nach § 36 BtMG, die wie eine Aussetzungsentscheidung nach § 57 StGB geringeres ausweisungsrechtliches Gewicht als eine Entscheidung nach § 56 StGB habe, stelle auf einen engeren strafvollzugsrechtlichen Prognosehorizont als die ausländerrechtliche Entscheidung ab. Der Sofortvollzug sei auch angesichts des schon einmal erfolgten Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung notwendig.

II.

14

Der Beschwerdeführer hat am 18. September 2016 Verfassungsbeschwerde erhoben und zugleich einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs verletze ihn in seinem Recht aus Art. 2 Abs. 1 GG, welches in Ausweisungssituationen angesichts der gravierenden Folgen für den Ausländer besonderen Schutz vermittle. Dabei sei das von Art. 8 EMRK gewährleistete Grundrecht auf Privatleben zu beachten. Die angegriffenen Entscheidungen hätten rechtsfehlerhaft eine Wiederholungsgefahr bejaht, da nach der erfolgten Strafaussetzung zumindest ein Gutachten hätte eingeholt werden müssen. Eine regelmäßige und sich steigernde Intensität von Straftaten des Beschwerdeführers liege nicht vor, der Bewährungswiderruf sei nur wegen des Verstoßes gegen Bewährungsauflagen und nicht wegen der Begehung von Straftaten erfolgt. Angesichts der vorgelegten Therapiebescheinigung sei die Prognose positiv gewesen; hierüber hätten sich die Gerichte nicht einfach hinwegsetzen dürfen. Schließlich sei der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt, da das Nachtatverhalten des Beschwerdeführers nicht ausreichend gewürdigt worden sei. In sich widersprüchlich sei dabei die Begründung, dass der Strafaussetzungsentscheidung ein kürzerer Prognosemaßstab als der ausländerrechtlichen Entscheidung zugrunde liege, da die Bewährungszeit wie die Befristung der Wirkung der Ausweisung auf fünf Jahre festgesetzt worden sei. Schließlich verstoße es gegen Art. 19 Abs. 4 GG, wenn die Gerichte Erlassinteresse und den Sofortvollzug nahezu wortgleich begründet hätten. Denn der Gesetzgeber habe gerade für Ausweisungen keinen Wegfall der aufschiebenden Wirkung von Gesetzes wegen angeordnet, so dass das Regel-Ausnahmeverhältnis verkannt worden sei. Das besondere, über das Erlassinteresse hinausgehende Vollzugsinteresse hätte die Ausländerbehörde darlegen und nicht etwa der Beschwerdeführer widerlegen müssen.

III.

15

Die Akten des Ausgangsverfahrens, die Ausländerakte und die Akten des Strafverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen. Der Freistaat Bayern hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.

IV.

16

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor. Die Annahme der Verfassungsbeschwer-de ist zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 GG angezeigt. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt. Die zulässige (1.) Verfassungsbeschwerde ist in einem die Entscheidungskompetenz der Kammer eröffnenden Sinn offensichtlich begründet (2.).

17

1. Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs über die Beschwerde gegen die Entscheidung nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO ist tauglicher Beschwerdegegenstand. Der Beschwerdeführer war insoweit, nachdem im Hinblick auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 21. März 2016 innerhalb der Verfassungsbeschwerdefrist geänderte Umstände aufgetreten waren, die den Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO eröffneten, aufgrund der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde gehalten, erst diesen Rechtsbehelf zu nutzen, bevor er Verfassungsbeschwerde einlegen konnte. Nachdem dieser Antrag von den Gerichten abgelehnt wurde, hat er innerhalb der Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG Verfassungsbeschwerde eingelegt.

18

2. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG. Die Beschränkung des Freizügigkeitsgrundrechts nach Art. 11 GG auf Deutsche schließt nicht aus, auf den Aufenthalt von Ausländern in der Bundesrepublik Deutschland Art. 2 Abs. 1 GG anzuwenden (vgl. BVerfGE 35, 382 <399>). Die Ausweisung ist ein Eingriff in das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit des sich im Bundesgebiet aufhaltenden Ausländers (zu den Merkmalen eines Grundrechtseingriffs im Allgemeinen vgl. BVerfGE 105, 279 <299 f.>). Der Eingriff liegt im Entzug des Aufenthaltsrechts und der daraus folgenden Verpflichtung zur Ausreise (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 5, § 50 Abs. 1 AufenthG); auf weitere mit der Ausweisung verbundene Rechtsnachteile kommt es daneben - für die Frage des Vorliegens eines Grundrechtseingriffs - nicht an. Ausweisungen oder sonstige Maßnahmen zum Entzug oder zur Verkürzung eines bereits gewährten Aufenthaltsrechts sind aufgrund gesetzlicher Vorschriften grundsätzlich möglich. In materieller Hinsicht markiert in diesem Zusammenhang allerdings - vorbehaltlich besonderer verfassungsrechtlicher Gewährleistungen - der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die verfassungsrechtliche Grenze für Einschränkungen des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 90, 145 <172>; vgl. auch BVerfGE 75, 108 <154 f.>; 80, 137 <153>).

19

Die einzelfallbezogene Würdigung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers sowie deren Abwägung gegeneinander ist den Verwaltungsgerichten übertragen. Das Bundesverfassungsgericht kann diese gerichtlichen Entscheidungen nicht in allen Einzelheiten, sondern nur auf die Beachtung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe überprüfen (vgl. BVerfGE 27, 211 <219>; 76, 363 <389>). Die verfassungsgerichtliche Überprüfung erstreckt sich darauf, ob die Verwaltungsgerichte die für die Abwägung wesentlichen Umstände erkannt und ermittelt haben und ob die vorgenommene Gewichtung der Umstände den Vorgaben der Verfassung entspricht. Hierbei sind auch die Vorgaben der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu berücksichtigen (vgl. BVerfGK 11, 153 <159 ff.>). Danach besteht zwar für faktische Inländer kein generelles Ausweisungsverbot. Bei der Ausweisung hier geborener beziehungsweise als Kleinkinder nach Deutschland gekommener Ausländer ist aber im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung der besonderen Härte, die eine Ausweisung für diese Personengruppe darstellt, in angemessenem Umfang Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGK 12, 37 <45>). Es ist im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung nicht ausreichend, wenn die Gerichte von der Begehung von Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz in jedem Fall ohne Weiteres auf die Gefährdung höchster Gemeinwohlgüter und auf eine kaum widerlegliche Rückfallgefahr schließen. Vielmehr ist der konkrete, der Verurteilung zugrundeliegende Sachverhalt ebenso zu berücksichtigen wie das Nachtatverhalten und der Verlauf von Haft und - gegebenenfalls - Therapie. Auch bei Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz darf ein allgemeines Erfahrungswissen nicht zu einer schematischen Gesetzesanwendung führen, die die im Einzelfall für den Ausländer sprechenden Umstände ausblendet (vgl. BVerfGK 12, 37 <41 f.>).

20

Diesen Maßstäben werden die gerichtlichen Entscheidungen ungeachtet des Umstands, dass im vorliegenden Fall starke Indizien für das Vorliegen hinreichender Gründe für eine Ausweisung und Abschiebung vorliegen dürften, nicht gerecht.

21

Zum einen hat der Verwaltungsgerichtshof im Verfahren über den Abänderungsantrag die Wiederholungsgefahr ausschließlich mit allgemeinen Erwägungen zur hohen Rückfallwahrscheinlichkeit bei Betäubungsmittelabhängigen begründet und die durchgeführte Drogentherapie sowie die Strafaussetzung zur Bewährung nach § 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG für nicht entscheidend gehalten. Zwar trifft es im Ausgangspunkt zu, dass Ausländerbehörde und Verwaltungsgerichte für die Frage der Wiederholungsgefahr nicht an die Strafaussetzungsentscheidung der Strafvollstreckungskammern gebunden sind. Solchen Entscheidungen kommt jedoch eine erhebliche indizielle Bedeutung zu. Jedenfalls soweit die Prognose der Wiederholungsgefahr Bedeutung im Rahmen einer grundrechtlich erforderlichen Abwägung hat, bedarf es einer substantiierten Begründung, wenn von der strafgerichtlichen Einschätzung abgewichen werden soll (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 27. August 2010 - 2 BvR 130/10 -, juris, Rn. 36 m.w.N.). Auch die eher negative Bewertung der Therapiebescheinigung vom 7. April 2016 beruht auf der pauschalen Annahme, eine derartige Bescheinigung gewinne angesichts der statistisch erwiesenen hohen Rückfallquote erst "längere Zeit nach Straf- bzw. Therapieende" Bedeutung.

22

Nicht ausreichend ist es zum anderen, eine positive Entwicklung des Verurteilten ohne aussagekräftige Indizien darauf zurückzuführen, der Ausländer habe sich erst unter dem Druck des Ausweisungsverfahrens zur Therapie - beziehungsweise allgemeiner zu einem rechtstreuen Verhalten - entschlossen. Denn mit einem solchen Verhalten während und nach der Inhaftierung sowie in laufender Bewährungszeit wird der Ausländer dem vom deutschen Strafvollzug bezweckten Resozialisierungsziel gerecht. Es ist mit dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung nicht zu vereinbaren, wenn ein solches im Strafvollzug erwartetes und während laufender Bewährung gefordertes Verhalten ausländerrechtlich gegen den Betroffenen gewertet wird. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn offensichtlich ist, dass die Bemühungen des Ausländers ausschließlich dem Ausweisungsverfahren geschuldet sind. Dies ist vorliegend jedoch nicht ersichtlich. Der Beschwerdeführer hatte sich vielmehr seit geraumer Zeit um eine Drogentherapie bemüht und hat diese nunmehr wie geplant abgeschlossen.

23

Schließlich fehlt es im angegriffenen Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs sowohl an einer individualisierten Auseinandersetzung mit dem Umstand, dass die nicht drogenbezogene Kriminalität des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Entscheidung acht Jahre zurückliegt, als auch an einer ernsthaften Berücksichtigung des Umstands, dass der 27-jährige Beschwerdeführer seit 24 Jahren in Deutschland lebt und - auch im Hinblick auf das Erreichen des Hauptschulabschlusses - möglicherweise als faktischer Inländer betrachtet werden muss, so dass der Vollzug der Ausweisung einen Grundrechtseingriff von erheblichem Gewicht darstellen dürfte (vgl. im Übrigen zur möglichen Unverhältnismäßigkeit einer Ausweisung auch beim Handeltreiben mit nicht geringen Mengen an Marihuana BVerfGK 12, 37 <42>).

24

Wiegt das Bleibeinteresse des Ausländers besonders schwer, so wird sich nach einer Strafaussetzungsentscheidung der Strafvollstreckungskammer eine relevante Wiederholungsgefahr nur dann bejahen lassen, wenn die ausländerrechtliche Entscheidung auf einer breiteren Tatsachengrundlage als derjenigen der Strafvollstreckungskammer getroffen wird, etwa wenn Ausländerbehörde oder Gericht ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben haben, welches eine Abweichung zulässt, oder wenn die vom Ausländer in der Vergangenheit begangenen Straftaten fortbestehende konkrete Gefahren für höchste Rechtsgüter erkennen lassen. Für eine derartige breitere Tatsachengrundlage ist vorliegend nichts ersichtlich. Ein Sachverständigengutachten haben Ausländerbehörde und Gerichte nicht eingeholt. Für die Annahme fortbestehender konkreter Gefahren für höchste Rechtsgüter hätte es konkreter Feststellungen zu den vom Beschwerdeführer drohenden Straftaten bedurft. Die vom Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 21. März 2016 gesehene Gefahr, dass zu befürchten sei, dass der Beschwerdeführer wieder Cannabis konsumieren werde und zur Finanzierung seiner Sucht weitere Straftaten begehen werde, entbehrt nach den eigenen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs einer Grundlage im Verhalten des Beschwerdeführers.

25

Haben damit die Gerichte schon das Ausweisungsinteresse fehlerhaft bewertet, so ist die weitere Begründung, angesichts dieses Interesses müsse das Bleibeinteresse des Beschwerdeführers zurückstehen, verfassungsrechtlich nicht haltbar. Die tatsächlichen Feststellungen der Gerichte genügen insoweit den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht, da sie eine Rückkehr des Beschwerdeführers schlicht für zumutbar halten, ohne Feststellungen zur Integrationsfähigkeit des Beschwerdeführers in der Türkei zu treffen, die er im Alter von drei Jahren verlassen hat.

26

3. Liegt mithin eine Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG vor, so bedarf es keiner Entscheidung, ob auch Art. 19 Abs. 4 GG verletzt worden ist.

V.

27

Mit der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Die Kammer geht davon aus, dass vor der erneuten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs keine Abschiebung stattfinden wird.


VI.

28

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 17. Oktober 2008 - 5 K 2459/08 - mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
A.
Der 1983 geborene Antragsteller, ein indischer Staatsangehöriger, reiste im Juli 2001 als Asylbewerber in das Bundesgebiet. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte seinen Asylantrag mit Bescheid vom 17.08.2001 u. a. unter Bezugnahme auf § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass keine Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen, und drohte dem Antragsteller die Abschiebung nach Indien an, wenn er das Bundesgebiet nicht binnen einer Woche verlassen habe. Rechtsbehelfe des Antragstellers blieben erfolglos. Anschließend setzte das Regierungspräsidium Tübingen die Abschiebung des zur Wohnsitznahme in Mengen/Landkreis Sigmaringen verpflichteten Antragstellers wiederholt befristet aus, weil er eigenen Angaben zufolge keinen gültigen Pass besaß.
Im März 2006 reiste der Antragsteller nach Schweden, wo er am 20.03.2006 in Sundbyberg die Ehe mit der 1978 geborenen, in Balingen/Landkreis Zollernalbkreis wohnhaften deutschen Staatsangehörigen B. schloss. Anschließend kehrte er in das Bundesgebiet zurück und beantragte beim Landratsamt Sigmaringen die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen sowie seine "Umverteilung" zum Wohnort der Ehefrau. Im September 2006 stellte die Ehefrau einen Scheidungsantrag. Kurz darauf gab sie beim Landratsamt an, mit dem Antragsteller nichts mehr zu tun haben zu wollen. Bei einer weiteren Vorsprache Anfang Mai 2007 erklärte die zwischenzeitlich nach Tübingen verzogene Ehefrau, nach einer Aussprache mit dem Antragsteller wolle sie noch "einen Versuch starten“. Im Oktober 2007 bestätigte die Standesamtsaufsicht des Landratsamts, die vorgelegten schwedischen Heiratsdokumente mit Apostille seien für den deutschen Rechtsbereich wirksam. Anfang November legte der Antragsteller einen am 03.05.2001 auf seinen Namen und Geburtstag sowie mit seinem Lichtbild ausgestellten indischen Reisepass, gültig bis zum 02.05.2011, vor. Bei einer Vorsprache zusammen mit seiner Ehefrau auf dem Landratsamt am 06.02.2008 wurde er auf die Notwendigkeit hingewiesen, zur Nachholung des Visumverfahrens auszureisen; seine Ehefrau erklärte, sie würde ihn in diesem Falle begleiten und zusammen mit ihm auf der Deutschen Botschaft einen Visumantrag stellen. Im März 2008 nahm die Ehefrau den Scheidungsantrag zurück. Im April 2008 teilte die Stadt Tübingen dem Landratsamt mit, dass sie keine Vorabzustimmung zum Visum erteile, weil die Identität des Antragstellers nicht zweifelsfrei nachgewiesen sei. Hierauf beantragte der Antragsteller beim Landratsamt hilfsweise die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen wegen Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens.
Der Antragsteller beging im Bundesgebiet mehrfach Straftaten, die wie folgt geahndet wurden:
1. 30 Tagessätze Geldstrafe wegen wiederholter Verstöße gegen eine räumliche Beschränkung nach dem Aufenthaltsgesetz im Mai 2005 (AG Saulgau am 01.08.2005);
2. 90 Tagessätze Gesamtgeldstrafe wegen wiederholter Verstöße gegen eine räumliche Beschränkung nach dem Aufenthaltsgesetz im Januar und April 2006 sowie wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis im Januar 2006 (AG Saulgau vom 09.03., 13.03. und 30.05.2006, AG Nürtingen vom 15.03.2006);
3. 40 Tagessätze Geldstrafe wegen wiederholter Verstöße gegen eine räumliche Beschränkung nach dem Aufenthaltsgesetz im Februar 2006 (AG Saulgau vom 27.04.2006);
4. 2 Monate und 2 Wochen Freiheitsstrafe zur Bewährung wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tatmehrheit mit Urkundenfälschung im April 2006 (AG Albstadt vom 16.10.2006);
5. 30 Tagessätze Geldstrafe wegen Hausfriedensbruchs im Mai 2007 (AG Sigmaringen vom 19.06.2007);
6. 15 Tagessätze Geldstrafe wegen Erschleichens einer geringwertigen Leistung im März 2008 (AG Bad Saulgau vom 18.06.2008).
10 
Mit Bescheid vom 11.07.2008 lehnte das Landratsamt den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab. Eine Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen sei nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ausgeschlossen; die Anspruchsausnahme nach § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG scheitere an Ausweisungsgründen sowie der Nichterfüllung von Sprach- und Visum-Voraussetzungen. Eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG scheide aus, da die Ausreise weder rechtlich noch tatsächlich unmöglich sei. Über die nach erfolglosem Vorverfahren beim Verwaltungsgericht Sigmaringen erhobene Klage (5 K 2420/08) ist noch nicht entschieden. In seiner Klagebegründung trägt der Antragsteller unter Berufung auf Erfahrungen seines Prozessbevollmächtigten im Verkehr mit der Deutschen Botschaft in Neu Delhi vor, Visaverfahren dauerten dort „in der Regel zwischen sechs Monaten und einem Jahr“. Er verweist ferner auf den Fall des indischen Staatsangehörigen S., der zur Nachholung eines Visumverfahrens nach Indien ausgereist und dem es nicht in zumutbarer Zeit gelungen sei, ein Visum zur Familienzusammenführung zu erhalten.
11 
Nachdem dem Antragsteller die konkrete Absicht des Antragsgegners bekannt wurde, ihn nach Indien abzuschieben, hat er beim Verwaltungsgericht Sigmaringen sinngemäß beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, seinen Aufenthalt vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren 5 K 2420/08 zu dulden. Mit Beschluss vom 17.10.2008 hat das Verwaltungsgericht dem Antrag stattgegeben; die Abschiebung verstoße voraussichtlich gegen das Recht des Antragstellers auf Schutz seiner Ehe nach Art. 6 Abs. 1 GG, weil es ihm unmöglich wäre, in überschaubarer Zeit ein Visum zu erhalten, um zu seiner Ehefrau in das Bundesgebiet zurückzukehren. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners.
12 
Der Berichterstatter hat eine Auskunft der Deutschen Botschaft in Neu Delhi eingeholt; wegen der Einzelheiten wird auf das E-Mail der Botschaft vom 14.01.2009 verwiesen. Im übrigen wird auf die vorliegenden Verwaltungs- und Gerichtsakten sowie die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
B.
I.
13 
Die fristgerechte und formell hinreichend (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO) begründete Beschwerde ist zulässig und aus den vom Antragsgegner dargelegten Gründen (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Unrecht stattgegeben. Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch.
14 
Mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sollen in erster Linie die im Klageverfahren des Verwaltungsgerichts Sigmaringen 5 K 2420/08 gegenüber dem Antragsgegner verfolgten Ansprüche auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären, hilfsweise humanitären Gründen nach §§ 27, 28 Abs. 1 und § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG vorläufig gesichert werden. Soweit die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG einen zwingenden Duldungsgrund nach § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG voraussetzt, ist das Rechtsschutzziel des Eilantrags darüber hinaus sachdienlich (§ 122 Abs. 1 i. V. m. § 88 VwGO) dahin zu verstehen, dass hilfsweise zumindest der entsprechende Duldungsanspruch vorläufig gesichert oder geregelt werden soll. Weder in der einen noch in der anderen Hinsicht hat der Antragsteller jedoch Tatsachen glaubhaft gemacht, die den behaupteten Anordnungsanspruch schlüssig tragen (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 und § 294 ZPO).
15 
1. Es ist zunächst nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller in der Hauptsache die Verpflichtung des Antragsgegners zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären, hilfsweise humanitären Gründen oder zumindest eine erneute Bescheidung seines dahin zielenden Antrags beanspruchen kann.
16 
a) Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen richtet sich zum einen nach den dafür geltenden besonderen Erteilungsvoraussetzungen im sechsten Abschnitt des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes (§ 7 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) und zum anderen nach allgemeinen Vorschriften (§§ 3 ff. AufenthG). Ob der Antragsteller alle besonderen Erteilungsvoraussetzungen erfüllt, erscheint noch nicht abschließend gesichert. Zwar erfüllt er als ausländischer Ehegatte einer Deutschen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Bundesgebiet den Nachzugstatbestand nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Nach der Rücknahme des Scheidungsantrags seiner Ehefrau bestehen derzeit wohl auch keine begründeten Zweifel mehr, dass beide Ehegatten eine unter dem Schutz des Art. 6 GG stehende eheliche Lebensgemeinschaft tatsächlich herstellen wollen (siehe auch die Angaben der Ehefrau beim Landratsamt am 06.02.2008 und ihr im Beschwerdeverfahren vorgelegtes Schreiben an den Rechtsanwalt des Antragstellers vom 03.12.2008). Ebenso wenig sind Anhaltspunkte erkennbar, dass ein Grund für die Nichtzulassung des Familiennachzugs i. S. des § 27 Abs. 1a AufenthG vorliegt. Schließlich haben beide Ehegatten das 18. Lebensjahr vollendet (§ 28 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG). Nach Aktenlage nicht hinreichend geklärt erscheint allerdings, ob sich der Antragsteller i. S. des § 28 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann. Das Landratsamt hat das mit der Begründung verneint, der Antragsteller besitze kein Zertifikat des Goethe-Instituts über die Sprachprüfung A 1 "Start Deutsch". Der Antragsteller hält dem entgegen, das Landratsamt habe sich sicherlich "schon selbst davon überzeugt", dass er "gut Deutsch" spreche. Konkrete Tatsachen zu seinen Sprachfähigkeiten legt der Antragsteller indes nicht dar. Allerdings geht aus den beigezogenen Akten hervor, dass er sich bei verschiedenen Vorsprachen auf dem Landratsamt offenbar ohne Dolmetscher mit dem Sachbearbeiter der Ausländerbehörde verständigen konnte (siehe auch die Strafanzeige der Bundespolizeiinspektion Stralsund vom 15.03.2006, wonach die Verständigung mit dem Antragsteller in deutscher Sprache möglich gewesen sei, S. 217 der Ausländerakten). Ob dies allein als Nachweis für die vom Gesetz geforderte Befähigung genügt, erscheint jedoch fraglich. Insbesondere ergibt sich daraus nicht, dass der Antragsteller sowohl mündlich wie schriftlich über eine Sprachkompetenz i. S. der ersten Stufe A 1 des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens (vgl. http://www.goethe.de/z/50/commeuro/303.htm) verfügt, wie sie etwa durch ein Zertifikat des Goethe-Instituts über die Sprachprüfung A 1 "Start Deutsch" (vgl. http://www.goethe.de/lrn/prj/pba/bes/sd1/ deindex.htm) attestiert wird.
17 
Ungeachtet dessen ist die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen derzeit jedenfalls nach den allgemeinen Vorschriften (§§ 3 ff. AufenthG) ausgeschlossen. Danach darf ein Aufenthaltstitel für einen längerfristigen Aufenthalt zum einen nur erteilt werden, wenn die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG erfüllt sind, soweit von diesen nicht abgesehen werden muss, soll oder kann (z.B. gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 und 2, § 27 Abs. 3 Satz 2 und § 28 Abs. 1 Satz 2 bis 4 AufenthG). Zum anderen darf die Erteilung des Aufenthaltstitels weder nach § 10 Abs. 1 oder 3 noch nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ausgeschlossen sein.
18 
aa) Der Antragsteller erfüllt schon nicht alle allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG. Zum einen liegen Ausweisungsgründe i. S. des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG i. V. m. § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG vor. Der Antragsteller hat jedenfalls mit seinen Straftaten Nr. 1 bis 5 nicht nur vereinzelte oder geringfügige Verstöße gegen Rechtsvorschriften begangen und Anhaltspunkte für eine zur Unanwendbarkeit der Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG führende Atypik sind nicht erkennbar. Zum anderen erfüllt der Antragsteller die - auch für erfolglos gebliebene Asylbewerber geltende (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.06.1997 - 1 C 18.96 - NVwZ 1998, 198) - nationale Visumpflicht für längerfristige Aufenthalte gemäß § 6 Abs. 4 AufenthG nicht, da er - auch nach der Eheschließung in Schweden - nicht mit dem insoweit erforderlichen Visum zur Familienzusammenführung eingereist ist (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG). Er ist von dieser Visumpflicht auch nicht nach § 99 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG i. V. m. §§ 39 ff. AufenthV befreit. Insbesondere ist er weder Staatsangehöriger eines im Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 aufgeführten Staates (§ 39 Nr. 3 AufenthV) noch Staatsangehöriger eines Staates i. S. des § 41 AufenthV und eine Befreiung nach § 39 Nr. 5 AufenthV scheidet schon mangels Eheschließung im Bundesgebiet aus.
19 
Allerdings kann bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen gemäß § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (Nichtvorliegen eines Ausweisungsgrundes) nach Ermessen abgesehen werden. Zudem kann die Ausländerbehörde nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG von der Erfüllung der Visumpflicht absehen, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Zwar mag es sein, dass das behördliche Absehensermessen nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG im Fall des Antragstellers nach Ermittlung, Bewertung und Abwägung aller relevanten Gesichtspunkte, vor allem des Gewichts der Ausweisungsgründe und der Ehe des Antragstellers mit seiner deutschen Ehefrau, im Ergebnis in dem Sinne auf Null reduziert ist, dass vom Vorliegen der Ausweisungsgründe abgesehen werden muss, weil die mit einem Nichtabsehen verbundene e n d g ü l t i g e Versagung eines Aufenthaltsrechts aus familiären Gründen mit Art. 6 Abs. 1 GG oder Art. 8 Abs. 1 EMRK unvereinbar wäre. Darauf kommt es im vorliegenden Verfahren indes nicht an. Der Antragsteller könnte selbst dann nicht die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen beanspruchen, wenn das Ermessen nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG in diesem Sinne zu seinen Gunsten auf Null reduziert wäre. Denn jedenfalls die Voraussetzungen für ein Absehen von der Erfüllung der Visumpflicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG sind nicht erfüllt und die daraus resultierende Notwendigkeit, das Bundesgebiet zur Nachholung des Visumverfahrens zumindest v o r ü b e r g e h e n d zu verlassen, verstößt nicht gegen seine Rechte aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 6 Abs. 1 GG oder Art. 8 Abs. 1 EMRK.
20 
aaa) Im Fall des Antragstellers sind nicht i. S. des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG "die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt", da über seinen Aufenthaltserlaubnisantrag - ungeachtet dessen, dass seine Fähigkeit zur Verständigung in deutscher Sprache bislang nicht gesichert erscheint - jedenfalls wegen des Vorliegens von Ausweisungsgründen gemäß § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nach Ermessen zu entscheiden ist, selbst wenn das Ermessen im Ergebnis zugunsten des Antragstellers auf Null reduziert sein sollte. Denn unter einem Anspruch i. S. des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG ist nur ein gesetzlich gebundener Anspruch zu verstehen; die Vorschrift ist in Fällen der Ermessensreduktion auf Null nicht anwendbar (ebenso OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 04.07.2006 - 2 O 210/06 - juris; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 06.10.2006 - 7 s 32.06 - juris; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 18.06.2007 - 10 PA 65/07 - juris; Hailbronner, AuslR, § 5 AufenthG - Stand Juni 2008 - Rn. 64; Renner, AuslR, 8. Auflage, § 5 AufenthG Rn. 60; a. A. VG Freiburg, Urteil vom 12.04.2005 - 8 K 1275/03 - InfAuslR 2005, 388; Bäuerle in GK-AufenthG, § 5 Rn. 165 - Juni 2007 -; Jakober in Jakober/Welte, AktAR, § 5 AufenthG Rn. 127). Nach seiner Entstehungsgeschichte bezweckt § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG eine Ausnahme von der Visumpflicht "wie bisher" (Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drs. 15/420 S. 70). Die Vorschrift knüpft damit unmittelbar an die Ausnahmen von der Visumpflicht nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AuslG 1990 und deren Voraussetzung eines "Anspruchs auf Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung nach diesem Gesetz" an. Dies musste ein strikter Rechtsanspruch sein, nicht ein solcher, der seinerseits nur ein Ermessen eröffnet, selbst wenn im Einzelfall das Ermessen, etwa auf Grund von Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK, auf Null reduziert war, so dass sich hieraus faktisch ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ergab (BVerwG, Urteil vom 18. Juni 1996 - 1 C 17.95 - BVerwGE 101, 265 <272>; Beschluss vom 03.03.1998 - 1 B 27.98 - Buchholz 402.240 § 28 AuslG Nr. 9; Urteil vom 17.03.2004 - 1 C 11.03 - NVwZ-RR 2004, 687). § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG schreibt diese Rechtslage ohne sachliche Änderung fort. Für dieses enge Verständnis sprechen auch Sinn und Zweck des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, auf die Nachholung des Visumverfahrens zur Vermeidung unnötigen Verwaltungs- und Reiseaufwands zu verzichten, wenn sich alle Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels bereits im Inland ohne eine ins Detail gehende Einzelfallprüfung feststellen lassen. In solchen Fällen verliert der auf Zuwanderungskontrolle und -steuerung zielende Zweck des Visumverfahrens deutlich an Gewicht. Der Verweis auf die Nachholung dieses Verfahrens kann dann auf einen unverhältnismäßigen bloßen Formalismus hinauslaufen. Das wird bei einem strikten gesetzlichen Rechtsanspruch, der nicht durch besondere Umstände des Einzelfalls geprägt und ohne größeren Ermittlungs- und Bewertungsaufwand feststellbar ist, regelmäßig in Betracht kommen. Bei einem Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels auf Grund einer Ermessensreduktion auf Null liegt es im Regelfall anders. Ob das Ermessen von Rechts wegen nur zugunsten des Ausländers ausgeübt werden darf, ist erst nach Sammlung, Gewichtung und Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des jeweiligen Einzelfalles feststellbar, vor allem wenn - wie hier nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG - Straftaten als Ausweisungsgründe das Ermessen eröffnen. Insoweit behält das Visumverfahren, in dem die zuständige inländische Ausländerbehörde (vgl. § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthV) zu beteiligen ist, seinen eigenständigen Sinn, die Zuwanderung für einen längerfristigen Aufenthaltszweck vorrangig vom Ausland zu steuern. Verbleibende Härten, denen früher durch Erteilung einer humanitären Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 AuslG 1990 Rechnung zu tragen war (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.03.2004. a.a.O.), werden jetzt durch die weitere Verzichtsmöglichkeit bei einzelfallbedingter Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG aufgefangen (bbb)); der Erteilung eines humanitären Aufenthaltstitels (§ 25 Abs. 5 AufenthG) wegen solcher Härten bedarf es daher nicht mehr (siehe nachfolgend b).
21 
bbb) Der Antragsteller hat aber auch keine Tatsachen schlüssig glaubhaft gemacht, aus denen sich ergibt, dass es ihm i. S. des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalles nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen.
22 
Der Antragsteller beruft sich insoweit zum einen auf eine angeblich unverhältnismäßig lange Dauer des Visumverfahrens bei der Deutschen Botschaft in Neu Delhi, das nach den Erfahrungen seines Prozessbevollmächtigten „in der Regel zwischen sechs Monaten und einem Jahr“ dauere. Konkrete Tatsachen, die diese Behauptung stützen, hat er aber nicht glaubhaft gemacht. Der Fall des im Hauptsacheverfahren als Zeugen angebotenen indischen Staatsangehörigen S. ist dazu schon nach seinem eigenen Vortrag im Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 21.01.2009 ungeeignet, weil danach S. die Entscheidung über den - von ihm angeblich bei der Deutschen Botschaft in Neu Delhi gestellten - Visumantrag nicht abgewartet habe und bereits nach drei Monaten in das Bundesgebiet zurückgekehrt sei. Es kann deshalb auch dahinstehen, wie die Mitteilung der Deutschen Botschaft in ihrer Auskunft an den Senat vom 14.01.2009 zu würdigen ist, dass unter dem Namen und Geburtsdatum des Herrn S. im System der Botschaft kein Visumantrag zu finden sei. Entgegen der Ansicht des Antragstellers belegt die Auskunft der Botschaft auch nicht, dass Visaverfahren dort „in der Regel zwischen sechs Monaten und einem Jahr“ dauern, zumindest aber nicht, dass gerade der Antragsteller mit einer solchen Dauer des nachzuholenden Visumverfahrens ernsthaft zu rechnen hätte. Die Botschaft legt dar, Visumverfahren auf Familienzusammenführung dauerten "in der Regel zwischen 2 und 5 Monaten, bis sie entscheidungsreif" seien. Die unterschiedliche Dauer beruhe zumeist darauf, dass indische Unterlagen wie Heirats- und Geburtsurkunden überprüft werden müssten, denen wegen der Insuffizienz des indischen Personenstands- und Urkundenwesens nicht ohne weiteres Glauben geschenkt werden könne. Nach Anweisung des Auswärtigen Amtes sei daher das Legalisationsverfahren ausgesetzt. Stattdessen würden die Urkunden durch einen Vertrauensanwalt überprüft, was 6 bis 10 Wochen dauern könne. Wegen hoher Fälschungskriminalität verbunden mit hohem Anteil an Scheinehen und bigamen Eheschließungen, auf die die Botschaft meist erst im Laufe der Urkundenüberprüfungen stoße, könnten zudem DNA-Tests oder Vaterschaftsanerkennungen nötig werden. Der Senat hat keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser Auskunft zu zweifeln. Der von der Botschaft angegebene Zeitraum von 2 bis 5 Monaten bis zur "Entscheidungsreife" der Visaanträge ist unter Berücksichtigung des im Einzelfall gegebenenfalls notwendigen Aufwands zur Überprüfung aller Voraussetzungen für den Familiennachzug gemäß §§ 27 ff. AufenthG - in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht - auch unter Berücksichtigung des Schutzes von Ehe und Familienleben nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK zumutbar. Der Einwand des Antragstellers, "Entscheidungsreife" müsse in der Praxis nicht bedeuten, dass auch "sofort" entschieden werde, zwingt zu keiner anderen Bewertung. Der Senat geht nach der Auskunft der Botschaft davon aus, dass sie im Regelfall alsbald nach "Entscheidungsreife" und nicht erst - wie der Antragsteller vermutet - erst nach Ablauf "weiterer Monate" über Visaanträge entscheidet. Tatsachen, die einen gegenteiligen Schluss zulassen, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, insbesondere ergeben sich keine entsprechenden Indizien aus der eingeholten Auskunft. Dem vom Antragsteller angeführten Umstand, dass die Botschaft einen Monat gebraucht hat, um auf das Auskunftsersuchen des Berichterstatters vom 16.12.2008 zu antworten, kommt entgegen der Ansicht des Antragstellers insoweit kein gegenteiliger verallgemeinerungsfähiger Beweiswert zu. Zum einen lagen zwischen dem Ersuchen und der Auskunft zahlreiche Feiertage. Zum anderen hat die Botschaft erklärt, die verzögerte Beantwortung des Ersuchens sei urlaubs- und krankheitsbedingt. Unsubstantiiert ist im Übrigen der weitere Vortrag des Antragstellers, eine durchschnittliche Dauer der Visaverfahren von 6 bis 12 Monaten sei auch deshalb realitätsnah, weil die Deutsche Botschaft in Neu Delhi "fast routinemäßig" und in der Regel auch bei Vorliegen einer Vorabzustimmung von einer Scheinehe ausgehe. Beweismittel hat er insoweit nicht vorgelegt oder bezeichnet. Auch der Auskunft der Botschaft ist für eine solche Praxis nichts zu entnehmen. Die Botschaft spricht zwar von einem "relativ hohen Anteil von Scheinehen", legt aber zugleich dar, dass sie Ehegattenbefragungen, auf Grund derer sich das Visumverfahren auch „über längere Zeit hinstrecken“ könne, nur durchführe, wenn sich im Einzelfall erhebliche Zweifel an der Schutzwürdigkeit einer Ehe ergäben.
23 
Ungeachtet dessen kann aber jedenfalls nicht davon ausgegangen werden, dass gerade beim Antragsteller mit Überprüfungen der Botschaft von erheblicher zeitlicher Dauer ernsthaft zu rechnen wäre. Wie auch der Antragsgegner mittlerweile einräumt, ist der Verdacht einer Scheinehe im Fall des Antragstellers und seiner deutschen Ehefrau nicht zuletzt auf Grund des geringen Altersunterschiedes des Ehepaares eher fern liegend. Hinzu kommt, dass die Botschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Anlass zu einer langwierigen Überprüfung indischer Urkunden haben dürfte, nachdem der Kläger zwischenzeitlich seinen noch bis Mai 2011 gültigen indischen Reisepass vorgelegt und die Standesamtsaufsicht des Landratsamts Sigmaringen bereits festgestellt hat, dass die schwedischen Heiratsdokumente mit Apostille der zuständigen Behörde für den deutschen Rechtsbereich wirksam sind. Mit Vorlage des indischen Reisepasses dürfte der Antragsteller wohl auch seine Identität hinreichend nachgewiesen haben, zumal auf Seite 3 des Passes unter dem 01.10.2003 auch der von ihm gegenüber den deutschen Behörden verwendete Nachnamenszusatz "..." amtlich bestätigt wird. Schließlich werden DNA-Tests oder Vaterschaftsanerkennungen ebenfalls nicht nötig sein. Dem Visumverfahren vorbehaltener Überprüfungsbedarf besteht allerdings noch hinsichtlich der Fähigkeit des Antragstellers zur Verständigung in deutscher Sprache und der Entscheidung, ob gemäß § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von den Ausweisungsgründen insbesondere unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK abgesehen werden kann oder muss. Das dürfte mit Beteiligung der zuständigen inländischen Ausländerbehörde aber in dem von der Botschaft angegebenen Regelzeitraum - gegebenenfalls nach ergänzender Einholung einer aktuellen Auskunft aus dem Zentralregister - möglich sein. Sollte die Erteilung eines Visums versagt oder eine Entscheidung über den Antrag in einem zumutbaren Zeitraum unterlassen werden, stünde dem anwaltlich vertretenen Antragsteller auch der Rechtsweg zum Verwaltungsgericht Berlin offen (Art. 19 Abs. 4 GG, §§ 40 ff. VwGO). Dass die gerichtliche Durchsetzung eines Anspruchs auf Erteilung eines Visums bei diesem Gericht - wie das Verwaltungsgericht annimmt - "mehrere Jahre" dauern könnte, hält der Senat für unwahrscheinlich. Nach dem letzten Bericht der Präsidentin des Verwaltungsgerichts Berlin zur Geschäftslage des Verwaltungsgerichts Berlin im Geschäftsjahr 2007 vom 18.03.2008 betrug die durchschnittliche Verfahrensdauer der erledigten - von allen Kammern dieses Gerichts bearbeiteten - Visa-Klagen 9,9 Monate und die durchschnittliche Verfahrensdauer sämtlicher erledigten Eilverfahren 2,5 Monate (vgl. Pressemitteilung Nr. 11/2008 des VG Berlin, http://www.berlin.de/sen/justiz/gerichte/vg/presse/archiv/20080318. 1725.96611.html). Davon, dass der Antragsteller mit der Durchsetzung eines Rechtsanspruchs auf Erteilung des Visums - wie er meint - gegebenenfalls "bis zum St. Nimmerleinstag" warten müsste, kann daher wohl keine Rede sein. Jedenfalls hat er insoweit keine Tatsachen glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO), die das Absehen von der Erfüllung der Visumpflicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG erfordern.
24 
Soweit der Antragsteller in seiner Beschwerdeerwiderung ferner auf das Schreiben seiner Ehefrau an seinen Prozessbevollmächtigten vom 03.12.2008 verweist, sind ebenfalls keine die Unzumutbarkeit i. S. des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG begründenden Tatsachen glaubhaft gemacht. Seine Ehefrau legt darin als "Gründe, die gegen eine längere Ausreise" des Antragstellers sprechen, dar: (1) Die durch eine Wohnsitzauflage gegenüber dem Antragsteller bedingte langjährige Trennung im Bundesgebiet; (2) die Kosten einer Ausreise des Antragstellers; (3) die Kosten einer bereits angemieteten Ehewohnung; (4) den Umstand, dass sie nach der früheren Trennung vom Antragsteller psychisch erkrankt gewesen sei, es ihr jetzt aber ganz gut gehe und sie deshalb auf eine nur "kurzweilige Ausreise" ihres Ehemannes hoffe. Dabei handelt es sich jedoch zum einen nicht um ausreisebedingte Nachteile (1 und teilweise 4) und im übrigen (2-4) im Wesentlichen um Schwierigkeiten und Nachteile, die typischerweise und nicht lediglich im Einzelfall des Antragstellers mit einer vorübergehenden Ausreise zur Nachholung des Visumverfahrens verbunden und deshalb zumutbar sind. Dafür spricht nicht zuletzt auch die frühere Einlassung der Ehefrau bei ihrer gemeinsamen Vorsprache mit dem Antragsteller am 06.02.2008, sie sei bereit, gemeinsam mit dem Antragsteller zur Nachholung des Visumverfahrens auszureisen. Letztlich sind auch Tatsachen dafür, dass die Ehefrau für die Dauer des Visumverfahrens in gesundheitlicher Hinsicht auf eine Anwesenheit des Antragstellers im Bundesgebiet angewiesen oder eine ernsthafte Erkrankung der Ehefrau zu befürchten ist, nicht substantiiert dargetan.
25 
Bei dieser Sachlage verstößt die Versagung eines Aufenthaltstitels aus familiären Gründen auch nicht gegen Art. 6 GG. Denn mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie ist es grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen. Das Aufenthaltsgesetz trägt dem Gebot der Verhältnismäßigkeit dadurch Rechnung, dass es Befreiungen von der Visumpflicht nach § 99 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG i. V. m. §§ 39 ff. AufenthV ermöglicht sowie nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG erlaubt, von der Erfüllung der Visumpflicht abzusehen (vgl. BVerfG, 2. Kammer des Zweiten Senats, Beschluss vom 04.12.2007 - 2 BvR 2341/06 - InfAuslR 2008, 341; 3. Kammer des 2. Senats, Beschlüsse vom 10.05.2008 - 2 BvR 588/08 - InfAuslR 2008, 347 und vom 01.12.2008 - 2 BvR 1830/08 - juris). Für den menschenrechtlichen Schutz des Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK kann im Ergebnis nichts anderes gelten. Der mit der Durchführung eines Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist demzufolge regelmäßig hinzunehmen (BVerfG, 3. Kammer des 2. Senats, Beschluss vom 10.05.2008, a. a. O.). Anders kann es zwar liegen, wenn eine unverhältnismäßig lange, die übliche und bei der Eheschließung vorauszusetzende Dauer eines Visumverfahrens übersteigende Trennung der Eheleute droht (vgl. BVerfG, 2. Kammer des 2. en Senats, Beschluss vom 04.12.2007, a. a. O.). Dafür ist hier aber - wie darlegt - nichts glaubhaft gemacht.
26 
bb) Unabhängig vom Vorstehenden ist die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen nach Maßgabe des Abschnitts 6 des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes vor einer Ausreise des Antragstellers auch nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ausgeschlossen. Denn danach darf einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 erteilt werden. Diese Vorschrift findet zwar in Fällen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels keine Anwendung (§ 10 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 AufenthG). Für diese Ausnahme genügt aber nicht - ebenso wenig wie nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG (s. o. aa) aaa)) -, dass dem Antragsteller eine Aufenthaltserlaubnis im Ermessenswege erteilt werden kann, selbst wenn im Einzelfall das behördliche Ermessen zugunsten des Ausländers reduziert ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.12.2008 - 1 C 37.07 - Pressemitteilung Nr. 87/2008). Der Antragsteller ist nach bestandskräftigem Abschluss seines Asylverfahrens noch nicht i. S. des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ausgereist. Dies erforderte, dass er seine asylverfahrensrechtlich begründete Ausreisepflicht erfüllt hätte. Das ist bislang nicht der Fall. Die vorübergehende Ausreise nach Schweden dürfte dafür nicht genügt haben, weil nichts dargelegt oder sonst dafür ersichtlich ist, dass dem Antragsteller Einreise und Aufenthalt in Schweden erlaubt waren (§ 50 Abs. 4 AufenthG).
27 
b) Es ist auch nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller in der Hauptsache die Verpflichtung des Antragsgegners zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG oder zumindest eine erneute Bescheidung seines dahin zielenden Antrags beanspruchen kann. Zwar könnte insoweit von allen allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG ohne weitere Voraussetzung nach Ermessen abgesehen werden (§ 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG). Auch wäre die Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels nicht schon nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ausgeschlossen. Da der Asylantrag des Antragstellers unter Bezugnahme auf § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, könnte aber möglicherweise die Sperrwirkung nach § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eingreifen, sofern diese erst am 01.01.2005 in Kraft getretene Vorschrift auch in "Altfällen" wie dem des Antragstellers anwendbar wäre (str., vgl. Armbruster, HTK-AuslR / § 10 AufenthG / zu Abs. 3 12/2008 Nr. 5 m w. Nachw.). Das kann aber dahinstehen. Denn der Antragsteller hat schon nicht glaubhaft gemacht, dass die Tatbestandsvoraussetzungen nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG erfüllt sind.
28 
Nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Die Ausreise ist in diesem Sinne aus rechtlichen Gründen unmöglich, wenn sowohl der Abschiebung als auch der freiwilligen Ausreise rechtliche Hindernisse entgegenstehen, welche die Ausreise ausschließen oder als unzumutbar erscheinen lassen. Derartige Hindernisse können sich sowohl aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, zu denen u. a. auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa aus Art. 8 EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind, als auch aus zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG. Bei Bestehen solcher Abschiebungsverbote hat nach dem Gesetzeskonzept die zwangsweise Rückführung des betroffenen Ausländers zu unterbleiben. Dann aber ist ihm in aller Regel auch eine freiwillige Rückkehr in sein Heimatland aus denselben rechtlichen Gründen nicht zuzumuten und damit unmöglich im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG (BVerwG, Urteil vom 27.06.2006 - 1 C 14.05 - BVerwGE 126, 192). Der Antragsteller beruft sich insoweit ausschließlich auf ein aus dem Schutz seiner Ehe nach Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK ergebendes Abschiebungsverbot, weil die Abschiebung zu einer zeitlich nicht absehbaren, dauerhaften Trennung von seiner deutschen Ehefrau führe. Das behauptete Abschiebungsverbot liegt jedoch nicht vor.
29 
Der Antragsteller ist seit Ablauf der ihm im Bescheid des Bundesamts vom 17.08.2001 bestimmten Ausreisefrist von einer Woche vollziehbar ausreisepflichtig; die regelmäßig wiederholte Aussetzung der Abschiebung hat daran nichts geändert (§ 60 a Abs. 3 AufenthG). Die nunmehr vom Antragsgegner konkret beabsichtigte Abschiebung soll die fortbestehende Ausreisepflicht zwangsweise durchsetzen, weil der Antragsteller sich weigert, sie freiwillig zu erfüllen. Die Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen steht dem nicht entgegen. Art. 6 GG gewährt Ausländern keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt im Bundesgebiet. Das Grundgesetz überantwortet die Entscheidung, in welcher Zahl und unter welchen Voraussetzungen der Zugang zum Bundesgebiet ermöglicht werden soll, weitgehend der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat Ehe und Familie zu schützen und zu fördern hat, dazu, bestehende eheliche und familiäre Bindungen an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfGE 76, 1 <47 f., 49 ff.>). Für das Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK gilt im Ergebnis nichts anderes. Auch die Menschenrechtskonvention garantiert nicht das Recht eines Ausländers, in einen bestimmten Staat einzureisen oder sich dort aufzuhalten. Die Vertragsstaaten haben vielmehr das Recht, über Einreise und Aufenthalt fremder Staatsangehöriger unter Beachtung der in der Konvention geschützten Rechte zu entscheiden, wobei Art. 8 EMRK sie verpflichtet, einen angemessenen Ausgleich der berührten Rechte und der öffentlichen Interessen herzustellen (vgl. EGMR, Urteil vom 19.02.1996 - Nr. 53/1995/559/645 - Rn. 38, InfAuslR 1996, 245; Urteil vom 31.01.2006 - Nr. 50435/99 - - Rn. 39, EuGRZ 2006, 562). Diesen verfassungs- und menschenrechtlichen Schutzpflichten tragen die abgestuften gesetzlichen Regelungen über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen nach dem sechsten Abschnitt des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes nach Maßgabe der nach Fallgruppen gewichteten besonderen Schutzbedürftigkeit der Betroffenen grundsätzlich abschließend Rechnung (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.12.1997 - 1 C 19.96 - BVerwGE 106, 13 ff. zu den vergleichbaren Regelungen in §§ 17 ff. AuslG; siehe auch Eckertz-Höfer, ZAR 2008, 41 <42 f.> m. w. N.). Auch die allgemeinen Vorschriften (§§ 3 ff. AufenthG), soweit von diesen nicht nach §§ 27 ff. AufenthG abgesehen werden muss, soll oder kann, sind gegebenenfalls unter Beachtung der wertsetzenden Bedeutung des Art. 6 GG - verfassungskonform - auszulegen und anzuwenden (BVerfG, 2. Kammer des 2. Senats, Beschluss vom 11.05.2007 - 2 BvR 2483/06 - NVwZ 2007, 1302; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 04.09.2007 - 1 C 43.06 - NVwZ 2008, 333 § 11 abs. 1 satz 3 und 4 aufenthg>). Für aufenthaltsrechtliche Schutzpflichten aus Art. 8 EMRK gilt nichts Anderes. Ist die Versagung eines Aufenthaltsrechts aus familiären Gründen nach §§ 27 ff. AufenthG danach auch unter Beachtung der Schutzpflichten aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK rechtmäßig, verstoßen grundsätzlich weder die damit einhergehende Ausreisepflicht noch deren zwangsweise Durchsetzung gegen Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.06.1997, a. a. O.; Urteil vom 18.06.1996 - 1 C 17.95 - BVerwGE 101, 265). In solchen Fällen scheidet eine Legalisierung des Aufenthalts aus familiären Gründen unter Rückgriff auf die - dafür nicht bestimmten (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) - Vorschriften über die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen im fünften Abschnitt des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes, insbesondere nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG, schon aus systematischen Gründen aus (siehe zum Trennungsprinzip im Aufenthaltsrecht auch BVerwG, Urteil vom 04.09.2007 - 1 C 43.06 - NVwZ 2008, 333). Etwas Anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn zwar das Aufenthaltsrecht aus familiären Gründen ohne Verstoß gegen Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK versagt werden muss oder darf (z. B. gemäß § 5 Abs. 2, § 10 Abs. 3 Satz 1 oder 2 oder § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG), jedoch (nur) die zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht mit Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK unvereinbar wäre (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.06.1997 - 1 C 9.95 - BVerwGE 105, 35; Urteil vom 09.12.1997, a. a. O.). Das kann etwa der Fall sein, wenn dem Ausländer und seinen Angehörigen nicht zugemutet werden kann, ihre familiären Bindungen im Bundesgebiet auch nur vorübergehend durch Ausreise - z. B. zur Nachholung eines Visumverfahrens - zu unterbrechen (vgl. Funke-Kaiser in GK-AufenthG - Februar 2008 - § 60a AufenthG Rn. 134-136). Eine derartige Fallgestaltung liegt hier indes aus den oben (1.a)) dargelegten Gründen nicht vor.
30 
2. Es ist schließlich auch nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller vom Antragsgegner die Aussetzung der Abschiebung nach § 60 a Abs. 2 AufenthG (Duldung) oder eine dahingehende Ermessensentscheidung beanspruchen kann.
31 
Tatsachen für einen zwingenden Duldungsgrund nach § 60 a Abs. 2 Satz 1 oder 2 AufenthG hat der Antragsteller nicht schlüssig glaubhaft gemacht. Er beruft sich insoweit der Sache nach auf die selben Umstände wie zur Begründung der hilfsweise erstrebten Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG. Insoweit liegt jedoch - wie oben ausgeführt (I. 1.) - kein zwingender Duldungsgrund vor. Im übrigen sind auch Tatsachen, die eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach Ermessen gemäß § 60 a Abs. 2 Satz 3 AufenthG rechtfertigen, weder dargetan noch sonst ersichtlich.
II.
32 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG.
33 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

Die Ausländerbehörde ist an die Entscheidung des Bundesamtes oder des Verwaltungsgerichts über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes gebunden. Über den späteren Eintritt und Wegfall der Voraussetzungen des § 60 Abs. 4 des Aufenthaltsgesetzes entscheidet die Ausländerbehörde, ohne dass es einer Aufhebung der Entscheidung des Bundesamtes bedarf.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ein Asylantrag liegt vor, wenn sich dem schriftlich, mündlich oder auf andere Weise geäußerten Willen des Ausländers entnehmen lässt, dass er im Bundesgebiet Schutz vor politischer Verfolgung sucht oder dass er Schutz vor Abschiebung oder einer sonstigen Rückführung in einen Staat begehrt, in dem ihm eine Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 droht.

(2) Mit jedem Asylantrag wird die Anerkennung als Asylberechtigter sowie internationaler Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 beantragt. Der Ausländer kann den Asylantrag auf die Zuerkennung internationalen Schutzes beschränken. Er ist über die Folgen einer Beschränkung des Antrags zu belehren. § 24 Absatz 2 bleibt unberührt.

(3) Ein Ausländer, der nicht im Besitz der erforderlichen Einreisepapiere ist, hat an der Grenze um Asyl nachzusuchen (§ 18). Im Falle der unerlaubten Einreise hat er sich unverzüglich bei einer Aufnahmeeinrichtung zu melden (§ 22) oder bei der Ausländerbehörde oder der Polizei um Asyl nachzusuchen (§ 19). Der nachfolgende Asylantrag ist unverzüglich zu stellen.

(1) Die Entscheidung des Bundesamtes ergeht schriftlich. Sie ist schriftlich zu begründen. Entscheidungen, die der Anfechtung unterliegen, sind den Beteiligten unverzüglich zuzustellen. Wurde kein Bevollmächtigter für das Verfahren bestellt, ist eine Übersetzung der Entscheidungsformel und der Rechtsbehelfsbelehrung in einer Sprache beizufügen, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann. Das Bundesamt informiert mit der Entscheidung über die Rechte und Pflichten, die sich aus ihr ergeben.

(2) In Entscheidungen über zulässige Asylanträge und nach § 30 Absatz 5 ist ausdrücklich festzustellen, ob dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz zuerkannt wird und ob er als Asylberechtigter anerkannt wird. In den Fällen des § 13 Absatz 2 Satz 2 ist nur über den beschränkten Antrag zu entscheiden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 und in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge ist festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen. Davon kann abgesehen werden, wenn der Ausländer als Asylberechtigter anerkannt wird oder ihm internationaler Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 zuerkannt wird. Von der Feststellung nach Satz 1 kann auch abgesehen werden, wenn das Bundesamt in einem früheren Verfahren über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes entschieden hat und die Voraussetzungen des § 51 Absatz 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht vorliegen.

(4) Wird der Asylantrag nur nach § 26a als unzulässig abgelehnt, bleibt § 26 Absatz 5 in den Fällen des § 26 Absatz 1 bis 4 unberührt.

(5) Wird ein Ausländer nach § 26 Absatz 1 bis 3 als Asylberechtigter anerkannt oder wird ihm nach § 26 Absatz 5 internationaler Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 zuerkannt, soll von der Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen werden.

(6) Wird der Asylantrag nach § 29 Absatz 1 Nummer 1 als unzulässig abgelehnt, wird dem Ausländer in der Entscheidung mitgeteilt, welcher andere Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.

(7) In der Entscheidung des Bundesamtes ist die AZR-Nummer nach § 3 Absatz 1 Nummer 2 des Gesetzes über das Ausländerzentralregister zu nennen.

Tatbestand

1

Der Kläger erstrebt Abschiebungsschutz wegen ihm in Afghanistan drohender Gefahren.

2

Der 1970 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört zur Volksgruppe der Paschtunen und stammt aus der Provinz Kunar. Er reiste im April 2001 nach Deutschland ein und betrieb hier erfolglos ein Asylverfahren. Im Juni 2007 stellte er einen Asylfolgeantrag. Mit Bescheid vom 18. Juni 2007 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und eine Änderung seiner Feststellung zum Nichtvorliegen von Abschiebungshindernissen gemäß § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG 1990 ab. Das Verwaltungsgericht hat das Bundesamt im Mai 2008 zu der Feststellung verpflichtet, dass bei dem Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

3

Hiergegen hat nur die Beklagte Berufung eingelegt. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung im Juni 2009 zurückgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt: Das grundsätzlich vorrangige - europarechtlich begründete - Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG sei vorliegend nicht zu prüfen. Zwar sei im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in der Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes bereits in Kraft gewesen und der Kläger habe die Feststellung von Abschiebungsverboten "nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG" beantragt. Das Verwaltungsgericht habe über das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG aber - rechtsirrtümlich - nicht entschieden. Da es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass das Verwaltungsgericht bewusst nur über einen Teil des Streitgegenstandes entscheiden wollte, liege kein Teilurteil vor. Das Urteil sei vielmehr im Hinblick auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG fehlerhaft. Es verstoße gegen § 88 VwGO, weil es über das europarechtliche Abschiebungsverbot rechtsirrtümlich nicht vorrangig entschieden habe. Der Kläger habe jedoch keinen Zulassungsantrag gestellt und der Antrag des Bundesamts auf Zulassung der Berufung sei auf den stattgebenden Teil des angefochtenen Urteils, also das - nationale - Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begrenzt gewesen; nur insoweit sei die Berufung zugelassen worden. Wegen der Dispositionsbefugnis der Beteiligten sei der Streitgegenstand des Berufungsverfahrens damit hierauf beschränkt. Mit der rechtskräftigen Abweisung der Klage durch das Verwaltungsgericht im Übrigen sei die Rechtshängigkeit des unbeschieden gebliebenen europarechtlich begründeten Abschiebungsverbots des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entfallen.

4

Dem Kläger sei in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG Abschiebungsschutz zu gewähren. Er gehöre zu der Gruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen Staatsangehörigen, die bei einer Abschiebung nach Kabul ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte seien und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügten. Angehörige dieser Gruppe hätten kaum Aussicht, eine Arbeit zu finden und damit ihren eigenen Lebensunterhalt zu sichern. Unter diesen Umständen würden dem Kläger ausschließlich Tee und Brot als Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. Angesichts dieser Lebensbedingungen in Afghanistan, insbesondere der derzeit vorherrschenden katastrophalen Versorgungslage, aber auch der medizinischen Versorgung und der Sicherheitslage, bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger zwangsläufig in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten würde. Insbesondere die durch die Mangelernährung erhöhte Infektanfälligkeit werde in Verbindung mit dem ebenfalls ernährungsbedingten Eisenmangel zu schwerwiegenden Infektionen der Atmungs- und Verdauungsorgane führen.

5

Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision beanstandet die Beklagte vor allem, dass sich das Berufungsgericht im Hinblick auf die vom Kläger befürchteten allgemeinen Gefahren auf zu schmaler Tatsachengrundlage über die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG hinweggesetzt habe.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Berufungsurteil verletzt in mehrfacher Hinsicht Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil in der Sache nicht abschließend entscheiden kann, ist das Verfahren an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

7

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist zunächst das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes. Hierzu zählen in Umsetzung des subsidiären Schutzkonzepts nach Art. 15 und 17 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 - sog. Qualifikationsrichtlinie - die in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG aufgeführten Abschiebungsverbote. Dieses Begehren ist mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (BGBl I 2007, 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - im August 2007 Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens geworden und ist dies - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - nach wie vor. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist ferner das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Feststellung eines (nationalen) Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 und 3 AufenthG einschließlich der Feststellung eines Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG. Nicht mehr Gegenstand des Verfahrens ist der Folgeantrag des Klägers hinsichtlich der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung, über den das Verwaltungsgericht rechtskräftig (negativ) entschieden hat. Eine Abschiebungsandrohung ist ebenfalls nicht Gegenstand des Verfahrens. Denn das Bundesamt hat hierzu in seinem angefochtenen Bescheid keine Entscheidung getroffen.

8

Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht, weil es den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz nicht geprüft hat (1.). Es verletzt ferner Bundesrecht, weil es beim nationalen Abschiebungsschutz den Anforderungen an die verfassungskonforme Auslegung und Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG im Falle allgemeiner Gefahren nicht hinreichend Rechnung getragen hat (2.). Schließlich verletzt es Bundesrecht, weil seine Feststellungen zur Gefahrenprognose bei verfassungskonformer Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten (3.).

9

1. Das Berufungsgericht hätte nicht ungeprüft lassen dürfen, ob der Kläger die Voraussetzungen für die Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots erfüllt. Dieser Streitgegenstand ist in allen Übergangsfällen, in denen das Bundesamt über die Zuerkennung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG a.F. entschieden hat und hiergegen Klage erhoben wurde, mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes im August 2007 im gerichtlichen Verfahren angewachsen. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats gilt dies jedenfalls dann, wenn das Bundesamt in seinem Ablehnungsbescheid über sämtliche zielstaatsbezogenen aufenthaltsrechtlichen Abschiebungsverbote sachlich entschieden und der Kläger die neuen, auf Unionsrecht beruhenden subsidiären Abschiebungsverbote in das anhängige gerichtliche Verfahren einbezogen hat (vgl. Urteile vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 4.09 - BVerwGE 136, 360 <364 f.> und vom 29. Juni 2010 - BVerwG 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226 <228 f.>). An dieser (vorsorglichen) Einschränkung für ein Anwachsen des unionsrechtlich begründeten Abschiebungsschutzes in Übergangsfällen hält der Senat nicht fest; vielmehr wächst dieser Streitgegenstand kraft Gesetzes und unabhängig vom Verfahrenshandeln der Beteiligten an. Dies leitet der Senat - in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur gesetzlichen Erweiterung des Streitgegenstands der Asylklage um die Prüfung der Voraussetzungen des flüchtlingsrechtlichen Abschiebungsverbots nach § 51 Abs. 1 AuslG 1990 (vgl. u.a. Urteil vom 18. Februar 1992 - BVerwG 9 C 59.91 - Buchholz 402.25 § 7 AsylVfG Nr. 1 = DVBl 1992, 843) - aus folgenden verfahrensrechtlichen und materiellrechtlichen Gründen her:

10

Verfahrensrechtlich hat der Senat in ständiger Rechtsprechung die dem Asylverfahrensgesetz zugrunde liegende Konzentrations- und Beschleunigungsmaxime betont, die dafür streitet, möglichst alle Fragen, die sich typischerweise in einem Asylverfahren stellen, in einem Prozess abschließend zu klären und nicht weiteren Verfahren vorzubehalten (vgl. etwa Urteil vom 29. Juni 2010 a.a.O.). Denn das Asylverfahren ist auf eine alle Arten des Schutzes vor zielstaatsbezogenen Gefahren umfassende Entscheidung angelegt (vgl. Urteile vom 20. April 1999 - BVerwG 9 C 29.98 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 18 und vom 20. Oktober 2004 - BVerwG 1 C 15.03 - Buchholz a.a.O. Nr. 82). Würde man im vorliegenden Zusammenhang ein Anwachsen des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes verneinen, könnte und müsste der Kläger dieses Begehren in einem weiteren Verfahren verfolgen, was in aller Regel mit (zusätzlichen) Verzögerungen verbunden ist.

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Materiellrechtlich ist ein Anwachsen des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes zunächst im Hinblick auf den nachrangigen nationalen Abschiebungsschutz geboten, soweit es die verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG betrifft. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kann die gesetzlich angeordnete Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei allgemeinen Gefahren nur dann im Wege einer verfassungskonformen Auslegung eingeschränkt werden, wenn für den Schutzsuchenden ansonsten eine verfassungswidrige Schutzlücke besteht. Eine Schutzlücke besteht für den Kläger indes nicht, falls er die Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots beanspruchen kann. Dies bedeutet im Verhältnis von unionsrechtlichem und nationalem Abschiebungsschutz, dass bei allgemeinen Gefahren ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung nicht in Betracht kommt, solange die Zuerkennung von subsidiärem unionsrechtlichen Schutz nicht ausgeschlossen ist (vgl. hierzu zuletzt Urteil vom 29. Juni 2010 a.a.O. m.w.N.). Eine bloße Inzidentprüfung des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes im Rahmen der Entscheidung über die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung wäre keine geeignete Alternative, weil das Ergebnis dieser Prüfung keine Bindungswirkung hätte.

12

Die gesetzliche Erweiterung des Streitgegenstandes ergibt sich ferner daraus, dass das Gesetz im Fall der Ablehnung des Schutzantrags in der Regel den Erlass einer Abschiebungsandrohung vorsieht. Nach § 34 AsylVfG erlässt das Bundesamt die Abschiebungsandrohung, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt und ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird und er keinen Aufenthaltstitel besitzt. Die Rechtmäßigkeit dieser Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatsbezeichnung gemäß § 59 Abs. 2 AufenthG kann im Gerichtsverfahren aber nur dann bestätigt werden, wenn das Vorliegen sämtlicher zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote geprüft und verneint worden ist. Würden im gerichtlichen Verfahren zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote - wie die des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes - zunächst ungeprüft bleiben, müsste auch die Überprüfung der Zielstaatsbezeichnung einem weiteren Verfahren vorbehalten bleiben.

13

Diese materiellrechtlichen Gründe überlagern in ihrer verfahrensrechtlichen Konsequenz das allgemeine Verwaltungsprozessrecht und bewirken, dass in den Fällen, in denen das Bundesamt vor Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes über das (Nicht-)Vorliegen von nationalen Abschiebungsverboten entschieden hat und hiergegen Klage erhoben worden ist, in den anhängigen gerichtlichen Verfahren der am 28. August 2007 neu hinzugetretene unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz automatisch anwächst und damit zwingend zu prüfen ist. Über dieses Prüfprogramm können die Verfahrensbeteiligten nicht disponieren und damit in Übergangsfällen das Anwachsen des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes während des gerichtlichen Verfahrens nicht verhindern. In diesen Fällen bedarf es keiner ausdrücklichen Einbeziehung des neuen, auf Unionsrecht beruhenden subsidiären Abschiebungsschutzes in das anhängige gerichtliche Verfahren durch einen der Verfahrensbeteiligten (so Urteil vom 29. Juni 2010 a.a.O.). Ist der unionsrechtliche Abschiebungsschutz - wie hier - im erstinstanzlichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren angewachsen, scheidet er allerdings dann aus dem gerichtlichen Verfahren aus, wenn das Verwaltungsgericht darüber ausdrücklich in der Sache entschieden hat und der unterlegene Beteiligte hiergegen kein Rechtsmittel eingelegt hat. Denn dann ist dieser Streitgegenstand durch eine rechtskräftige Entscheidung abgeschichtet worden. Entsprechendes gilt bei dem Anwachsen des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes im Berufungsverfahren im Falle einer unangefochten bleibenden und damit rechtskräftigen Sachentscheidung durch das Berufungsgericht.

14

Ein Nichtentscheiden oder irrtümliches Übergehen durch das Verwaltungsgericht reicht nicht aus, um den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz aus dem Verfahren ausscheiden zu lassen, und zwar auch dann nicht, wenn einer der Beteiligten den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz im Verfahren angesprochen hatte. Um Missverständnisse zu vermeiden, weist der Senat auf Folgendes hin: Falls eine gerichtliche Entscheidung, in der das Anwachsen des unionsrechtlich begründeten Abschiebungsschutzes in Übergangsfällen nicht berücksichtigt worden ist, rechtskräftig geworden ist, ist damit die Rechtshängigkeit dieses Teils des Streitgegenstandes entfallen (vgl. Urteil vom 22. März 1994 - BVerwG 9 C 529.93 - BVerwGE 95, 269 <274>). Der Betroffene kann dieses unbeschieden gebliebene Begehren daher beim Bundesamt geltend machen (Urteil vom 22. März 1994 a.a.O. S. 275).

15

Im Entscheidungsfall fehlt es an einer unanfechtbaren Sachentscheidung zum unionsrechtlichen Abschiebungsschutz. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zwar im Übrigen abgewiesen, diese Teilabweisung aber ersichtlich nicht auf den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz bezogen. Dass der unionsrechtliche Abschiebungsschutz während des gerichtlichen Verfahrens angewachsen ist, hat das Verwaltungsgericht irrtümlich verkannt. Auch das Berufungsgericht geht von einem rechtsirrtümlichen Nichtentscheiden des Verwaltungsgerichts über das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG aus (UA S. 6).

16

Vorliegend ist der unionsrechtliche Abschiebungsschutz demnach im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht angewachsen und entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Das Berufungsgericht muss sich daher in dem erneuten Berufungsverfahren mit diesem Begehren befassen. Nach der Rechtsprechung des Senats handelt es sich insoweit um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand, der eigenständig und vorrangig vor den sonstigen zielstaatsbezogenen ausländerrechtlichen Abschiebungsverboten zu prüfen ist (vgl. Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 11). Das Berufungsgericht muss deshalb alle entsprechenden Anspruchsgrundlagen in den Blick nehmen, aus denen sich ein Anspruch auf Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots in Bezug auf Afghanistan ergeben kann (§ 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG), wobei hier im Hinblick auf die allgemeinen Gefahren und den innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in Afghanistan § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG im Vordergrund stehen dürfte.

17

2. Das Berufungsurteil verletzt auch hinsichtlich des nationalen Abschiebungsschutzes Bundesrecht. Das Berufungsgericht wird sich im Falle der Ablehnung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots auch mit diesem Begehren nochmals befassen müssen. Bei dem nationalen Abschiebungsschutz handelt es sich nach dem Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes ebenfalls um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand mit mehreren Anspruchsgrundlagen (§ 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung). Eine Abschichtung einzelner nationaler Abschiebungsverbote im Laufe des gerichtlichen Verfahrens ist daher ungeachtet des materiellen Nachrangs des Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG nicht möglich. Soweit der Senat im Urteil vom 29. Juni 2010 - BVerwG 10 C 10.09 - (BVerwGE 137, 226 Rn. 6) davon ausgegangen ist, dass im dortigen Verfahren nur (noch) § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG und nicht (mehr) § 60 Abs. 5 AufenthG Gegenstand des Verfahrens war, handelt es sich um eine vor Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes erklärte Rücknahme, die nach der früher maßgeblichen Staffelung der Streitgegenstände des nationalen Abschiebungsschutzes (vgl. zur früheren Rechtslage Urteil vom 15. April 1997 - BVerwG 9 C 19.96 - BVerwGE 104, 260) noch zulässig und wirksam war.

18

Das Berufungsgericht ist an der Feststellung eines Abschiebungsschutzes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG entgegen der Auffassung der Beklagten allerdings nicht schon deshalb gehindert, weil der Schutzsuchende auch bei Vorliegen einer Extremgefahr auf die Anfechtung einer Abschiebungsandrohung bzw. der darin enthaltenen Zielstaatsbezeichnung beschränkt wäre. Bei Gewährung von Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG ersetzt die gerichtliche Schutzgewähr nicht im Einzelfall eine Anordnung nach § 60a Abs. 1 AufenthG; die gerichtliche Prüfung bleibt im System der positiven Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbots (s.a. § 59 Abs. 3 Satz 3 AufenthG). Über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG hat - wie bei anderen aufenthaltsrechtlichen Abschiebungsverboten auch - die Ausländerbehörde zu entscheiden.

19

Das Berufungsurteil ist aber insoweit mit Bundesrecht nicht vereinbar, als es dem Kläger Abschiebungsschutz nach nationalem Recht in verfassungskonformer Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG zugesprochen hat, ohne das Vorliegen des unionsrechtlich begründeten Abschiebungsschutzes (Abschiebungsverbote u.a. nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG) rechtsfehlerfrei zu prüfen und auszuschließen. Damit hat es sowohl den Vorrang des unionsrechtlichen gegenüber dem nationalen Abschiebungsschutz (vgl. Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 11) als auch die in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Voraussetzungen für die verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in Fällen einer allgemeinen Gefahr verfehlt.

20

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG sind Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Eine derartige Abschiebestopp-Anordnung besteht für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht (mehr). Mit seinem Hinweis insbesondere auf die unzureichende Versorgungslage in Afghanistan, die für Rückkehrer ohne Berufsausbildung und familiäre Unterstützung bestehe, macht der Kläger allgemeine Gefahren geltend, die aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht rechtfertigen können. Diese Sperrwirkung kann, wie ausgeführt, nur dann im Wege einer verfassungskonformen Auslegung eingeschränkt werden, wenn für den Schutzsuchenden ansonsten eine verfassungswidrige Schutzlücke besteht. Eine Schutzlücke besteht für den Kläger nicht, falls ihm unionsrechtlicher Abschiebungsschutz zusteht. Das Berufungsgericht hätte sich daher auch aus diesem Grund mit der Frage des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes befassen müssen, ehe es sich mittels verfassungskonformer Auslegung über die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG hinwegsetzt.

21

3. Schließlich ist die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch das Berufungsgericht auch deshalb mit Bundesrecht nicht vereinbar, weil seine Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr des Klägers nach Afghanistan einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten. Das Berufungsgericht hat zwar zutreffend erkannt, dass eine unmittelbare Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausscheidet, weil der Kläger keine individuellen, nur ihm drohenden Gefahren, sondern allgemeine Gefahren geltend macht. Es ist aber bei der verfassungskonformen Anwendung der Vorschrift hinter den maßgeblichen rechtlichen Anforderungen zurückgeblieben. So ist es zwar zutreffend von den rechtlichen Maßstäben ausgegangen, die der Senat zum Vorliegen einer extremen Gefahrenlage entwickelt hat. Es ist in diesem Zusammenhang aber den Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung nicht gerecht geworden und hat seine Entscheidung auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt.

22

Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die den Kläger in Afghanistan erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann er Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren.

23

Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde". Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. Urteil vom 29. Juni 2010 a.a.O. Rn. 15 m.w.N.).

24

Das Berufungsgericht hat sich ausdrücklich auf diesen hohen Wahrscheinlichkeitsmaßstab bezogen und in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung des Senats zitiert. Es spricht davon, dass der Kläger in Afghanistan mangels jeglicher Lebensgrundlage unausweichlich dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert wäre (UA S. 11). In einer Gesamtgefahrenschau müsse deshalb in seinem Falle eine extreme Gefahrenlage bejaht werden (UA S. 24). Diese rechtliche Schlussfolgerung ist durch die getroffenen tatsächlichen Feststellungen und deren Würdigung jedoch nicht gedeckt. Soweit das Berufungsgericht hierfür an der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Koblenz vom 6. Mai 2008 anknüpft, verweist der Senat auf seine dieses Urteil aufhebende Entscheidung vom 29. Juni 2010 - BVerwG 10 C 10.09 - (a.a.O.). Indes tragen auch die weitergehenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, das eine weitere Verschärfung der allgemeinen Lebensbedingungen in Afghanistan konstatiert und dies unter anderem mit der inzwischen landesweit schwierigen Sicherheitslage begründet (UA S. 18 ff. und 22 f.), die von ihm vorgenommene Gesamtentscheidung nicht.

25

Dies zeigt sich insbesondere im Hinblick auf die vom Berufungsgericht festgestellte drohende Mangelernährung und die damit verbundenen gesundheitlichen Risiken. Das Berufungsgericht geht zwar von einer - gegenüber den vom Oberverwaltungsgericht Koblenz beschriebenen Gegebenheiten - weiteren Zuspitzung der Versorgungslage in Afghanistan aus, bedingt vor allem durch die weiter verschlechterte Sicherheitslage. Das Gericht belegt dies mit der Feststellung, nur noch 37 % der afghanischen Bevölkerung gebe an, sich notwendige Lebensmittel leisten zu können. Jedenfalls für die Mehrheit der auf dem Land lebenden Afghanen gebe es keine Ernährungssicherheit. Die Hälfte aller Kinder bis zum Alter von fünf Jahren gelte als chronisch unterernährt (jeweils UA S. 20). Diese Feststellungen tragen indes nicht den Schluss des Berufungsgerichts, dass in Afghanistan eine derart extreme Gefahr besteht, dass das Leben jedes alleinstehenden jüngeren arbeitsfähigen Mannes - und damit das des Klägers - aufgrund der mangelhaften Versorgungslage akut gefährdet ist. Dies zeigt, dass sich das Berufungsgericht bei der Würdigung dieser zentralen Frage auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt und den erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeitsmaßstab verfehlt hat.

26

Entsprechendes gilt für die durch Mangelernährung ausgelösten gesundheitlichen Risiken. Die Feststellung des Berufungsgerichts, der Kläger würde bei einer Ernährung ausschließlich von Tee und Brot alsbald und unausweichlich in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten (UA S. 12), ist nicht durch hinreichend detaillierte Tatsachen belegt. Dies gilt für die Wahrscheinlichkeit des vom Berufungsgericht befürchteten Krankheitsverlaufs im Allgemeinen, aber auch für die zeitliche Perspektive der lebensbedrohlichen Folgen und die Unausweichlichkeit des prognostizierten Geschehensablaufs.

27

Bei der Gesamtprognose ist nicht erkennbar, aus welchen Gründen sich das Berufungsgericht davon überzeugt hat, dass sich die jeweils hohe Eintrittswahrscheinlichkeit bei den Teilkomplexen zu einer entsprechend hohen Eintrittswahrscheinlichkeit insgesamt zusammenfügt. Dies hat der Senat bereits bei der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Koblenz beanstandet. Das Berufungsgericht hat ebenfalls im Wesentlichen einzelne Risiken festgestellt und bewertet, sie aber nicht im Rahmen einer umfassenden Gesamtgefahrenprognose gewürdigt (vgl. hierzu Beschluss vom 25. Februar 2000 - BVerwG 9 B 77.00 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 31). Dies zeigt sich etwa daran, dass der Zusammenhang zwischen Versorgungslage und Sicherheitslage nicht hinreichend deutlich wird. Beide Teilkomplexe stehen weitgehend unvermittelt nebeneinander.

28

4. Bei seiner erneuten Befassung mit der Sache ist das Berufungsgericht gehalten, sich auch mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte auseinanderzusetzen (vgl. etwa Urteil des VGH München vom 3. Februar 2011 - 13 a B 10.30394 - juris, das sich seinerseits allerdings auch nicht mit der Rechtsprechung des Berufungsgerichts auseinandersetzt; vgl. dazu auch Urteil des Senats vom 29. Juni 2010 a.a.O. Rn. 22). Sollte es für die Entscheidung weiterhin entscheidungserheblich auf das Vorhandensein einer familiären Unterstützung ankommen, wird das Berufungsgericht ferner auch den familiären Verhältnissen des Klägers in Afghanistan nochmals nachzugehen haben. Der Kläger hat sich für sein Vorbringen, dass Angehörige getötet worden seien, auf einen Brief bezogen, den ein Landsmann Ende 2005 in Deutschland erhalten habe. Der Inhalt dieses Briefes ist aber offenbar unklar (vgl. in der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht die Einlassungen des Dolmetschers).

Tatbestand

1

Der Kläger erstrebt unionsrechtlich begründeten Abschiebungsschutz wegen Gefahren aufgrund eines bewaffneten innerstaatlichen Konflikts, hilfsweise nationalen Abschiebungsschutz wegen ihm drohender (extremer) Gefahr für Leib und Leben vor allem durch Mangelernährung.

2

Der 1981 geborene, ledige Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört zur Volksgruppe der Hazara und stammt aus der Provinz Ghazni. Er reiste im Februar 2003 nach Deutschland ein und betrieb hier erfolglos ein Asylverfahren. Im November 2006 stellte er einen Asylfolgeantrag. Mit Bescheid vom 21. Dezember 2006 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und eine Änderung seiner Feststellung zum Nichtvorliegen eines Abschiebungshindernisses ab. Im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht beschränkte der Kläger seine Klage auf die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Das Verwaltungsgericht hat der Klage im April 2007 stattgegeben.

3

Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt. Im Berufungsverfahren hat der Kläger geltend gemacht, dass auch die Voraussetzungen des Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG vorlägen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Beklagten im Mai 2008 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Dem Kläger sei in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG Abschiebungsschutz zu gewähren. Er sei zwar jung und gesund, verfüge aber nicht über eine Berufsausbildung. Angesichts der Lage auf dem Arbeitsmarkt in Afghanistan sei die Wahrscheinlichkeit gering, dass der Kläger auf Dauer eine Arbeit finden und damit seinen eigenen Lebensunterhalt sichern könne. Auf familiäre Unterstützung könne er nicht rechnen. Unter diesen Umständen würden dem Kläger ausschließlich Tee und Brot als Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. Diese Versorgungssituation werde durch Unterstützungsmaßnahmen der afghanischen Regierung oder internationaler Organisationen nicht wesentlich verbessert. Die Möglichkeit, eine winterfeste Unterkunft zu erlangen, sei für einen mittellosen Rückkehrer, der - wie der Kläger - nicht auf familiäre Hilfe zurückgreifen könne, minimal. Die medizinische Versorgung sei selbst in Kabul völlig unzureichend. Auch die hygienischen Verhältnisse, unter denen der Kläger als mittelloser Rückkehrer leben müsse, seien völlig unzulänglich. Angesichts dieser Lebensbedingungen bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger zwangsläufig in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten würde. Insbesondere die durch die Mangelernährung erhöhte Infektanfälligkeit werde in Verbindung mit dem ebenfalls ernährungsbedingten Eisenmangel zu schwerwiegenden Infektionen der Atmungs- und Verdauungsorgane führen. Den anderen Oberverwaltungsgerichten, die dies gegenteilig beurteilten, hätten die vom Berufungsgericht eingeholten Gutachten nicht vorgelegen. Angesichts dieser Einschätzung erübrige sich eine Entscheidung darüber, ob auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorlägen und dem Kläger deshalb gemeinschaftsrechtlicher subsidiärer Schutz zu gewähren sei.

4

Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision beanstandet die Beklagte vor allem, dass sich das Berufungsgericht im Hinblick auf die vom Kläger befürchteten allgemeinen Gefahren auf zu schmaler Tatsachengrundlage über die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG hinweggesetzt habe.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Berufungsurteil verletzt in mehrfacher Hinsicht Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil in der Sache nicht abschließend entscheiden kann, ist das Verfahren an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

6

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist zunächst das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Feststellung eines - unionsrechtlich begründeten - Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Dieses Begehren ist mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (BGBl I 2007, 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - im August 2007 Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Nach der Rechtsprechung des Senats gilt dies jedenfalls dann, wenn - wie hier - das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - in seinem Ablehnungsbescheid über sämtliche zielstaatsbezogenen ausländerrechtlichen Abschiebungsverbote sachlich entschieden und der Kläger die neuen, auf Unionsrecht beruhenden subsidiären Abschiebungsverbote in das anhängige gerichtliche Verfahren einbezogen hat (vgl. Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 4.09 -, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen). Gegenstand des Revisionsverfahrens ist ferner das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Feststellung eines (nationalen) Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Nicht mehr Gegenstand des Verfahrens ist die Frage eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG, nachdem der Kläger seine Klage insoweit - vor der gesetzlichen Neuordnung der Streitgegenstände durch das Richtlinienumsetzungsgesetz - zurückgenommen und den Ablehnungsbescheid des Bundesamts damit hat bestandskräftig werden lassen. Eine Abschiebungsandrohung ist ebenfalls nicht Gegenstand des Verfahrens. Auch insoweit hat der Kläger seine Klage zurückgenommen.

7

Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht, weil es den Vorrang des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes vor dem nationalen Abschiebungsschutz nicht berücksichtigt hat (1.). Es verletzt ferner Bundesrecht, weil es beim nationalen Abschiebungsschutz den Anforderungen an die verfassungskonforme Auslegung und Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG im Fall allgemeiner Gefahren nicht hinreichend Rechnung getragen hat (2.). Schließlich verletzt es Bundesrecht, weil seine Feststellungen zur Gefahrenprognose bei verfassungskonformer Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten (3.).

8

1. Das Berufungsgericht hätte nicht offenlassen dürfen, ob der Kläger die Voraussetzungen für die Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots erfüllt. Im Entscheidungsfall kommt in diesem Zusammenhang allein ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in Betracht. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 oder 3 AufenthG scheiden auch nach Auffassung des Klägers von vornherein aus.

9

Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, der die Regelung des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 - sog. Qualifikationsrichtlinie - umgesetzt hat, ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Nach der Rechtsprechung des Senats bildet dieser unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz gegenüber dem sonstigen (nationalen) Abschiebungsschutz einen selbstständigen Streitgegenstand. Die Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG wird nach der typischen Interessenlage des Schutzsuchenden vorrangig vor der Feststellung eines sonstigen zielstaatsbezogenen ausländerrechtlichen Abschiebungsverbots begehrt (vgl. Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 = Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 22, jeweils Rn. 10 ff.).

10

Dieses Rangverhältnis zwischen dem unionsrechtlichen und dem nationalen Abschiebungsschutz hat das Berufungsgericht nicht berücksichtigt. Es hätte das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG der Sache nach nicht als Hilfsantrag behandeln dürfen, sondern darüber vor dem Begehren auf nationalen Abschiebungsschutz befinden müssen. Zwar hat der Kläger bei seiner Antragstellung im Berufungsverfahren kein bestimmtes Rangverhältnis kenntlich gemacht. Er hat aber auch nicht erkennen lassen, dass der unionsrechtliche Abschiebungsschutz nicht oder erst nach dem nationalen Abschiebungsschutz geprüft werden soll. Bei dieser Verfahrenskonstellation hätte das Berufungsgericht - entsprechend der typischen Interessenlage des Schutzsuchenden - das Begehren des Klägers dahingehend auslegen müssen, dass primär über dessen Hauptantrag auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots in Bezug auf Afghanistan gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entschieden werden soll. Auf dieser rechtsfehlerhaften Behandlung der Anträge des Klägers beruht die Entscheidung des Berufungsgerichts. Daran ändert auch die hilfsweise angeführte Begründung des Berufungsgerichts nichts, dass die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG im Übrigen auch nicht erfüllt seien. Denn in dieser Begründung stellt das Berufungsgericht darauf ab, dass selbst bei Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in Afghanistan ein Abschiebungsverbot nach dieser Vorschrift wegen der auch in diesem Fall geltenden Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nur bei einer - hier offenbar nicht gegebenen - extremen Gefahr in Betracht komme. Diese Rechtsansicht ist nach dem inzwischen ergangenen Urteil des Senats vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - (a.a.O. Rn. 30 ff.) nicht mit Bundesrecht vereinbar, da § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG richtlinienkonform dahingehend auszulegen ist, dass er bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie bzw. des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG keine Sperrwirkung entfaltet. Mangels hinreichender Feststellungen im Berufungsurteil zum Vorliegen eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist es dem Senat verwehrt, sich selbst näher mit den Voraussetzungen eines derartigen Abschiebungsverbots zu befassen. Im erneuten Berufungsverfahren wird das Oberverwaltungsgericht vorrangig über diesen Hauptantrag zu entscheiden haben.

11

2. Indem das Berufungsgericht dem Kläger Abschiebungsschutz nach nationalem Recht in verfassungskonformer Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG zugesprochen hat, ohne das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG rechtsfehlerfrei zu prüfen und auszuschließen, hat es auch die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Voraussetzungen für die verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in Fällen einer allgemeinen Gefahr verkannt. Auch insofern ist das Berufungsurteil nicht mit Bundesrecht vereinbar.

12

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG sind Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Eine derartige Abschiebestopp-Anordnung besteht für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht (mehr). Mit seinem Hinweis auf die unzureichende Versorgungslage in Afghanistan, die für Rückkehrer ohne Berufsausbildung und familiäre Unterstützung besteht, macht der Kläger allgemeine Gefahren geltend, die aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht rechtfertigen können. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kann diese Sperrwirkung nur dann im Wege einer verfassungskonformen Auslegung eingeschränkt werden, wenn für den Schutzsuchenden ansonsten eine verfassungswidrige Schutzlücke besteht (vgl. Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - a.a.O. Rn. 32 m.w.N.). Eine Schutzlücke besteht für den Kläger indes nicht, falls er die Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG beanspruchen kann (vgl. hierzu nochmals Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - a.a.O. Rn. 32 m.w.N.). Das Berufungsgericht hätte sich daher auch aus diesem Grund mit der Frage des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes befassen müssen, ehe es sich mittels verfassungskonformer Auslegung über die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG hinwegsetzt.

13

3. Schließlich ist die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch das Berufungsgericht auch deshalb mit Bundesrecht nicht vereinbar, weil seine Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr des Klägers nach Afghanistan einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten. Das Berufungsgericht hat zwar zutreffend erkannt, dass eine unmittelbare Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausscheidet, weil der Kläger keine individuellen, nur ihm drohenden Gefahren, sondern allgemeine Gefahren geltend macht. Es ist aber bei der verfassungskonformen Anwendung der Vorschrift in mehrfacher Hinsicht hinter den maßgeblichen rechtlichen Anforderungen zurückgeblieben. So hat es die vom Senat zum Vorliegen einer extremen Gefahrenlage entwickelten rechtlichen Maßstäbe verfehlt. Es ist in diesem Zusammenhang auch den Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung nicht gerecht geworden und hat seine Entscheidung auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt.

14

Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die den Kläger in Afghanistan erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann er Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren.

15

Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde" (vgl. Urteil vom 12. Juli 2001 - BVerwG 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1 <9 f.> m.w.N.). Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. etwa Urteil vom 12. Juli 2001 - BVerwG 1 C 5.01 - a.a.O.).

16

Das Berufungsgericht hat diese rechtlichen Maßstäbe für die verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zwar im Wesentlichen zutreffend wiedergegeben. Seine rechtliche Subsumtion wird jedoch nicht von den getroffenen tatsächlichen Feststellungen getragen. Vor allem fehlt eine tatrichterliche Gesamtwürdigung der den Kläger betreffenden Lebensbedingungen in Afghanistan insbesondere im Hinblick auf die bei der verfassungskonformen Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gebotene erhöhte Wahrscheinlichkeit des Eintritts der extremen Gefahren.

17

Das Berufungsgericht hat sich zwar ausdrücklich auf diesen hohen Wahrscheinlichkeitsmaßstab bezogen und in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung des Senats zitiert (UA S. 7). Auch spricht es am Ende seiner Entscheidung zusammenfassend von der "hohen Wahrscheinlichkeit", dass der Kläger durch seine Abschiebung nach Afghanistan zwangsläufig in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten würde (UA S. 15). Diese rechtliche Schlussfolgerung ist durch die getroffenen tatsächlichen Feststellungen und deren Würdigung aber nicht gedeckt. So ist das Berufungsgericht maßgeblich davon ausgegangen, dass der Kläger sich ausschließlich von Tee und Brot ernähren müsste. Auf der Grundlage dieser Prämisse hat sich das Berufungsgericht von einer Ernährungsmedizinerin die gesundheitlichen Risiken dieser Mangelernährung schildern lassen. Gleichzeitig hat es sich auf Erkenntnisquellen bezogen, nach denen sich jeder zweite Einwohner von Kabul nur von Tee und Brot ernähren kann, 8,9 % der Bevölkerung von Kabul unter akuter Unterernährung leiden und "fast ein Viertel aller Haushalte" in Afghanistan die Grundversorgung an Nahrungsmitteln nicht selbstständig sichern kann (UA S. 11). Das Berufungsgericht hat weiter erwähnt, dass dem Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 7. März 2008 zufolge internationale Hilfsorganisationen Millionen von Afghanen mit Nahrungsmitteln und Hilfsgütern versorgen und sich die Versorgungslage in Kabul grundsätzlich verbessert hat. Es ist dem aber nicht hinreichend nachgegangen, sondern hat ohne nähere Prüfung gefolgert, dass die Versorgungssituation durch Unterstützungsmaßnahmen der afghanischen Regierung oder internationaler Organisationen nicht wesentlich verbessert werde (UA S. 11 und 12). All dies macht deutlich, dass sich das Berufungsgericht schon bei der Würdigung dieses zentralen Teilkomplexes auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt und den erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeitsmaßstab verfehlt hat.

18

Dies gilt auch für die Würdigung der anderen Teilkomplexe. Bei der Möglichkeit, sich eine wirtschaftliche Existenz aus eigener Kraft zu sichern, spricht das Berufungsgericht zwar von einer "hohen Wahrscheinlichkeit", dass dem Kläger diese Sicherung nicht gelingen werde. Es stützt sich dabei aber zum Teil auf Erkenntnisquellen, die sich mit den Chancen befassen, "auf Dauer" eine Arbeit zu finden bzw. eine berufliche "Wiedereingliederung" zu erreichen (UA S. 9).

19

Das Berufungsgericht hat seine Prognose, dass dem Kläger extreme Gefahren drohen, zudem in der Weise gewonnen, dass es bei der Beurteilung der Lebensbedingungen in Afghanistan die erwähnten und weitere sachliche Teilkomplexe u.a. zur Problematik einer winterfesten Unterkunft, medizinischer Versorgung und hygienischer Verhältnisse gebildet hat. Es hat damit die Gefahrenprognose in mehrere hintereinander geschaltete Teilprognosen aufgespalten, deren Schlussfolgerungen aufeinander aufbauen. Die bei dieser Vorgehensweise erforderliche Gesamtprognose, mit der die Lebensbedingungen und die sich daraus für den Kläger ergebenden Risiken anhand des hohen Wahrscheinlichkeitsmaßstabs insgesamt gewürdigt werden, ist nicht erfolgt. Der vom Berufungsgericht gezogene Gesamtschluss wäre selbst dann rechtsfehlerhaft, wenn dieses bei jedem der von ihm untersuchten Teilbereiche eine hohe Eintrittswahrscheinlichkeit festgestellt hätte. Denn eine hohe Wahrscheinlichkeit hinsichtlich der Verwirklichung jedes Einzelglieds einer Kausalkette rechtfertigt ohne wertende Gesamtbetrachtung nicht zwingend den Schluss, dass das am Ende stehende Ergebnis ebenfalls mit dem gleichen hohen Wahrscheinlichkeitsgrad eintritt. Unverzichtbar ist vielmehr eine Gesamtwürdigung dahingehend, dass die von der Ernährungsmedizinerin beschriebenen schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr des Klägers eintreten würden.

20

Dadurch, dass das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung den erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeitsmaßstab verfehlt hat, ist auch seine Aussage nicht tragfähig, dass der Kläger "alsbald" in eine extreme Gefahrenlage geraten würde. Im Übrigen spricht viel dafür, dass das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang einen zu weiten Maßstab angewendet hat. Denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts droht dem Kläger nicht der Hungertod, sondern ein körperlicher Verfallsprozess, der durch Mangelernährung und eine dadurch erhöhte Infektanfälligkeit ausgelöst werden kann. Dass die extreme Gefahr unter diesen Umständen mit hoher Wahrscheinlichkeit "alsbald" eintritt, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.

21

Dadurch, dass das Berufungsgericht die rechtlichen Maßstäbe fehlerhaft angewendet hat, hat es auch seine tatrichterliche Überzeugung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) fehlerhaft gebildet. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist der Überzeugungsgrundsatz dann verletzt, wenn die Überzeugungsbildung - wie hier - an inneren Mängeln leidet (vgl. etwa Beschluss vom 14. August 1998 - BVerwG 4 B 81.98 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 280). Ein Mangel bei der Überzeugungsbildung liegt zusätzlich auch insoweit vor, als das Berufungsgericht von fehlender familiärer Unterstützung für den Kläger in Afghanistan ausgegangen ist. Der Umstand, ob ein Rückkehrer auf eine derartige Unterstützung rechnen kann, ist für das Berufungsgericht von wesentlicher Bedeutung gewesen. So führt es beispielsweise aus, da in Afghanistan staatliche soziale Sicherungssysteme nicht vorhanden seien, werde die "soziale Absicherung ... (von) Familien und Stammesverbänden" übernommen (UA S. 11). Das Berufungsurteil lässt jedoch nicht erkennen, worauf sich die Überzeugung gründen lässt, dass im Entscheidungsfall eine familiäre Unterstützung fehlt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat der Kläger ausweislich des Sitzungsprotokolls erklärt, er habe in Afghanistan keine Verwandten und auch keine Bekannten mehr. Jedenfalls habe er "insoweit keinerlei Kontakte mehr". Der Bedeutung dieser Äußerung ist das Berufungsgericht nicht weiter nachgegangen. Das Berufungsgericht hat sich auch nicht damit befasst, von wem der Kläger als Minderjähriger nach dem Tod seiner Eltern bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan unterstützt worden ist. Auch zu denkbaren Unterstützungsmaßnahmen seitens seines Stammes verhält sich das Berufungsurteil nicht.

22

Bei der Überzeugungsbildung des Berufungsgerichts und der Darstellung der Gründe, die für seine Überzeugungsbildung leitend gewesen sind, ist schließlich zu beanstanden, dass sich das Berufungsgericht mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte nur unzureichend auseinandergesetzt hat. Vier - vom Berufungsgericht zitierte - Oberverwaltungsgerichte haben verneint, dass Rückkehrern wie dem Kläger extreme Gefahren in Afghanistan drohen. Sie haben insbesondere die Hilfsmaßnahmen internationaler Organisationen und auch die Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt in Afghanistan abweichend beurteilt. Zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung hat kein anderes Oberverwaltungsgericht die Einschätzung des Berufungsgerichts geteilt. Das Argument des Berufungsgerichts, den anderen Oberverwaltungsgerichten hätten die von ihm eingeholten Erkenntnismittel nicht vorgelegen, trägt jedenfalls insoweit nicht, als es um die für das Berufungsgericht zentralen Ausführungen der Ernährungsmedizinerin geht. Denn diese ist auf der Grundlage einer vom Berufungsgericht aus dem Gesamtzusammenhang herausgelösten (hypothetischen) Einzelprämisse gehört worden.

23

Bei der verfassungskonformen Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist ein Gericht gehalten, den Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung und die gebotene Auseinandersetzung mit abweichender Tatsachen- und Lagebeurteilung anderer (Ober-)Verwaltungsgerichte in besonderer Weise gerecht zu werden. Dies ist dem Berufungsgericht, wie ausgeführt, in mehrfacher Hinsicht nicht gelungen.

24

Für das erneute Berufungsverfahren weist der Senat darauf hin, dass es sich vorliegend um ein Asylfolgeverfahren handelt und deshalb zunächst die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens zu prüfen sind (vgl. Urteil vom 20. Oktober 2004 - BVerwG 1 C 15.03 - BVerwGE 122, 103 <105 ff.> m.w.N.). Diese Prüfung hat das Berufungsgericht bisher nicht durchgeführt.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus Deutschland. Hilfsweise erstrebt er eine neue Entscheidung des Beklagten über die Befristung des mit der Ausweisung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots.

2

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volkszugehörigkeit. Er wurde 1973 in der Türkei geboren, ist verheiratet und hat sieben Kinder. Er reiste 1997 nach Deutschland ein und beantragte hier Asyl, da er in der Türkei wegen seines Engagements in prokurdischen Vereinen und Parteien sowie verwandtschaftlichen Beziehungen zu Guerillakämpfern der sog. Arbeiterpartei Kurdistans - PKK - an Leib und Leben bedroht sei. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) vom 9. Oktober 1997 wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach dem damaligen § 51 Abs. 1 AuslG 1990 zuerkannt und zu seinen Gunsten ein Abschiebungsverbot wegen drohender Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK (damals § 53 Abs. 4 AuslG 1990) festgestellt. Der Kläger ist lediglich sporadisch und für kurze Zeiträume einer Erwerbstätigkeit nachgegangen, gleiches gilt für seine Ehefrau. Er bezieht mit seiner Familie Leistungen nach dem SGB II.

3

Vom 1. April 1998 bis zum 1. Dezember 2009 war der Kläger im Besitz jeweils befristeter Aufenthaltstitel. Am 13. März 2009 teilte das Bundesamt der Ausländerbehörde mit, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 73 Abs. 1 oder 2 AsylVfG nicht vorlägen. Im März 2009 stellte der Kläger bei der Ausländerbehörde der Stadt M. einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Auf Anfrage teilte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg der Ausländerbehörde im Mai 2009 mit, dass hinsichtlich der Person des Klägers "Erkenntnisse" vorlägen, über die das Innenministerium Baden-Württemberg gesondert informiert worden sei. Dessen ungeachtet wurde dem Kläger am 4. Dezember 2009 ohne weitere Mitteilung zum Stand der Sicherheitsüberprüfung eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG erteilt.

4

Das Regierungspräsidium K. teilte dem Kläger mit Schreiben vom 23. Juli 2010 mit, dass die Niederlassungserlaubnis in Unkenntnis der Sicherheitsbedenken erteilt worden sei und derzeit deren Rücknahme und eine Ausweisung geprüft werde. Hierzu werde dem Kläger die Möglichkeit eines Sicherheitsgesprächs zur weiteren Aufklärung gegeben. Dieses fand im Februar 2011 statt; allerdings verweigerte der Kläger mit Ausnahme eines durch ihn ausgefüllten Fragebogens die weitere Mitwirkung.

5

Mit Verfügung vom 10. Januar 2012 wies das Regierungspräsidium K. den Kläger aus (Ziffer 1) und stützte sich dabei auf § 54 Nr. 5, § 56 Abs. 1, § 55 AufenthG a.F. Zudem wurde der Kläger verpflichtet, sich zweimal wöchentlich unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapiers bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, und sein Aufenthalt wurde auf den Bereich der Stadt M. begrenzt (Ziffer 2).

6

Die Ausweisung sei gerechtfertigt, weil Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Kläger Vereinigungen unterstütze, die ihrerseits den Terrorismus unterstützten. So habe der Kläger nach den vorliegenden Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in den Jahren 2001 bis 2010 regelmäßig an näher bezeichneten Veranstaltungen und Demonstrationen der PKK-Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL teilgenommen und sei teilweise auch selbst als Redner bei derartigen Veranstaltungen aufgetreten. Von 2001 bis 2003/2004 sei er Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Kurdischer Kulturverein e.V." in L. gewesen. Außerdem sei er seit langem Vorstandsmitglied und nunmehr sogar zweiter Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM). Die Ausweisung sei trotz des dem Kläger als anerkanntem Flüchtling zustehenden besonderen Ausweisungsschutzes aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt und auch mit Blick auf die Bleibeinteressen des Klägers verhältnismäßig. Sie führe zudem nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung, vielmehr bleibe seine Abschiebung ausgesetzt, da ihr Abschiebungsverbote aufgrund der Rechtsstellung des Klägers als Flüchtling sowie nach § 60 Abs. 5 AufenthG entgegenstünden. Die angeordnete zweimalige wöchentliche Meldepflicht und die räumliche Beschränkung auf den Stadtbezirk M. beruhten auf § 54a AufenthG (a.F.) und seien mit Blick auf die gebotene Überwachung des Klägers und zur Eindämmung seiner gefahrbegründenden Aktivitäten erforderlich und angemessen.

7

Das Verwaltungsgericht hat die gegen die Verfügung gerichtete Klage mit Urteil vom 27. Januar 2015 abgewiesen, zugleich aber den Beklagten verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf acht Jahre nach Ausreise des Klägers zu befristen. Mit Urteil vom 13. Januar 2016 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung zurückgewiesen. Dabei hat er die angefochtene Ausweisungsverfügung an der seit dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung des AufenthG gemessen. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof insbesondere ausgeführt: Im Fall des Klägers liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, weil der Kläger in überwiegend herausgehobener Funktion die PKK und damit eine terroristische oder den Terrorismus unterstützende Vereinigung unterstützt habe. Dabei seien allerdings nur Aktivitäten nach Juli 2010 heranzuziehen, also nach der an den Kläger gerichteten Mitteilung, wegen seiner Aktivitäten werde die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft. Als tatbestandserhebliches Unterstützen sei hiernach jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirke. Nach diesem Maßstab seien die im Urteil im Einzelnen näher bezeichneten und durch den Kläger in der Sache eingeräumten Betätigungen als Teilnehmer, Mitglied, Redner und Versammlungsleiter bei diversen die PKK unterstützenden Veranstaltungen sowie als Vorstandsmitglied der die PKK unterstützenden YEK-KOM und deren Nachfolgeorganisation NAV-DEM als Unterstützungshandlung zu werten. Angesichts des Ablaufs der Veranstaltungen, der dort gehaltenen Reden und der klaren Ausrichtung auf den Führerkult um den PKK-Führer Öcalan sowie gefallene Märtyrer bestünden für das Berufungsgericht keine Zweifel daran, dass sich der Kläger den Zielen der PKK verpflichtet fühle und sie mit seinem Tun unterstützen wolle.

8

Die Ausweisungsverfügung werde auch dem erhöhten Ausweisungsschutz gerecht, der dem Kläger als anerkanntem Flüchtling nach § 53 Abs. 3 AufenthG zustehe. Denn es lägen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU vor, wonach ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel widerrufen werden könne.

9

Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse stehe ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber. Denn er habe eine Niederlassungserlaubnis besessen, die gerade durch die Ausweisungsverfügung betroffen sei. Er lebe mit deutschen Familienangehörigen (sechs seiner Kinder) in familiärer Lebensgemeinschaft und übe sein Personensorgerecht für seine minderjährigen Kinder aus. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung überwiege jedoch das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers.

10

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Revision und rügt in mehrfacher Hinsicht eine Verletzung von Bundesrecht. Zunächst habe das Berufungsgericht den Begriff des "Unterstützens" in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG fehlerhaft ausgelegt und angewandt. Der von ihm in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht angewandte Unterstützungsbegriff sei rechtsstaatlich nicht hinreichend konkret. Jedenfalls auf der Grundlage des neuen, seit Jahresanfang 2016 geltenden Ausweisungsrechts, das nach "schwerwiegenden" und "besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen" differenziere, sei dieser Unterstützungsbegriff nicht mehr als Abgrenzungskriterium geeignet. Notwendig sei ein gefahrenabwehrrechtlich ausgerichteter Unterstützungsbegriff, der sich etwa in Anlehnung an strafrechtliche Zurechnungskriterien wie Anstiftung oder Beihilfe oder die im Strafrecht für Organisationsdelikte entwickelten Zurechnungskriterien gewinnen lassen könne.

11

Fehlerhaft sei zudem die Auslegung und Anwendung von § 53 Abs. 3 AufenthG im Hinblick auf die sich aus Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie ergebenden Voraussetzungen. Denn das Berufungsgericht habe weder festgestellt, dass der Kläger unmittelbar der PKK angehöre, noch dass sich die YEK-KOM oder die NAV-DEM selbst terroristischer Methoden bedienten. Weiterhin verkenne das Berufungsgericht die durch den Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) aufgestellten Anforderungen an die festzustellenden Unterstützungshandlungen. Danach sei insbesondere zu prüfen, ob der Betroffene selbst terroristische Handlungen begangen habe, ob und in welchem Maße er an der Planung, an Entscheidungen oder an der Anleitung anderer Personen zum Zwecke der Begehung solcher Handlungen beteiligt war und ob und in welchem Umfang er solche Handlungen finanziert oder anderen Personen die Mittel für ihre Begehung verschafft habe. Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts habe der EuGH damit nicht lediglich beispielhaft die in den maßgeblichen Vorlagefragen des Ausgangsverfahrens vorgehaltenen Handlungen herausgegriffen, sondern in einem abschließenden Sinne bestimmte Kriterien vorgegeben.

12

Weiter setze der Gefahrenbegriff des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine "konkrete Gefahr" voraus. Weder der Wortlaut noch die der Vorschrift zugrunde liegende Entstehungsgeschichte rechtfertigten eine Absenkung dieser Gefahrenschwelle. Das Berufungsgericht hätte daher prüfen müssen, ob der Kläger die für die objektive Unterstützung zu Grunde gelegten Tatsachen und Umstände gekannt und eine zweckgerichtete Unterstützung auch gewollt habe.

13

Schließlich habe das Berufungsgericht verkannt, dass dem Kläger nach dem Urteil des EuGH vom 24. Juni 2015 selbst dann, wenn ihm der Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie entzogen werden dürfe, für die Zeit der Fortdauer seines Flüchtlingsstatus die Rechte nach Kapitel VII dieser Richtlinie erhalten bleiben. Deshalb beantragte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hilfsweise, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass ihm auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie.

14

Der Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und tritt der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bei.

15

Während des Revisionsverfahrens hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 20. Oktober 2016 die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes für den Kläger widerrufen und entschieden, ihm weder die Flüchtlingseigenschaft noch den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Gegen den Bescheid hat der Kläger Klage erhoben.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist im Wesentlichen unbegründet. Das Berufungsgericht hat die Ausweisung des Klägers und die ihm auferlegte Meldepflicht und Aufenthaltsbeschränkung im Ergebnis zu Recht als rechtmäßig eingestuft. Allerdings war auf der Grundlage der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG der Beklagte zu einer nunmehr gebotenen Ermessensentscheidung über die festzusetzende Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG zu verpflichten.

17

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren des Klägers auf Aufhebung der Ausweisung (Ziffer 1 des Bescheids) sowie der Meldeauflagen und Aufenthaltsbeschränkung (Ziffer 2 des Bescheids). Aber auch der Streit über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs - im Berufungsverfahren und anschließend im Revisionsverfahren angefallen. Denn das Befristungsbegehren ist als Minus notwendiger Bestandteil des Begehrens auf Aufhebung einer Ausweisung und kann daher von den Parteien nicht gesondert aus dem Verfahren ausgegliedert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 28 ff.). Hiervon sind im Übrigen vorliegend auch die Parteien übereinstimmend ausgegangen.

18

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der Meldepflicht und der Aufenthaltsbeschränkung sowie der vom Kläger hilfsweise begehrten Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 8 m.w.N.). Der Entscheidung sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162) zugrunde zu legen, zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155).

19

A. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG, weil der Kläger anerkannter Flüchtling ist.

20

1. Nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht ergibt sich der Grundtatbestand der Ausweisung aus § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

21

Das neue Ausweisungsrecht gibt das mit dem Ausländergesetz 1990 eingeführte dreistufige Konzept der Ist-, Regel- und Kann-Ausweisung auf. Stattdessen hat sich der Gesetzgeber für ein einheitliches System der rechtlich gebundenen Ausweisung entschieden ("wird ausgewiesen"), das vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. § 54 AufenthG benennt konkret die Gründe, wann das Ausweisungsinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt und knüpft damit an Tatbestände der früheren Ist- und Regelausweisung an. In § 55 AufenthG werden - spiegelbildlich hierzu - Tatbestände normiert, denen zufolge das Bleibeinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt, wobei auch die Aufzählung der "schwer" wiegenden Bleibeinteressen nicht abschließend ist. In § 53 Abs. 2 AufenthG werden Gesichtspunkte genannt, die bei der Abwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sind, insbesondere die Dauer des Aufenthalts, Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, Folgen der Ausweisung für Angehörige und Partner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat.

22

Die Rechtsprechung des Senats, die ihrerseits Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aufgreift (vgl. Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <301 ff.> und vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 14 ff.), hat bei der Entwicklung des neuen Ausweisungsrechts eine entscheidende Rolle gespielt (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 25. Februar 2015, BT-Drs. 18/4097 S. 49). Dabei griff der Gesetzgeber Vorschläge zur Neuregelung des Ausweisungsrechts auf, die Vertreter der Rechtsprechung unterbreitet haben (vgl. Dörig, NVwZ 2010, 921 <922>; Bergmann, ZAR 2013, 318 <322> sowie Gesetzesvorschlag Bergmann/Dörig vom Januar 2014, veröffentlicht in: Barwig u.a., Steht das europäische Migrationsrecht unter Druck?, 2014, S. 111 f.). Die Ausweisung setzt nunmehr nach § 53 Abs. 1 AufenthG eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Sofern nach dieser Gesamtabwägung das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib in Deutschland überwiegt, wird der Ausländer ausgewiesen, andernfalls kommt eine Aufenthaltsbeendigung nach § 53 Abs. 1 AufenthG nicht in Betracht.

23

Die Tatbestandsmerkmale der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" im ausweisungsrechtlichen Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG sind nach der Begründung des Gesetzgebers im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Auch die Gefährdung dieser Schutzgüter bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten wird. Mit Blick auf die verwendeten Begriffe sollte keine Ausweitung des Gefahrenbegriffs gegenüber dem bislang geltenden Recht erfolgen, vielmehr sollten lediglich die bislang verwandten unterschiedlichen Formulierungen aneinander angeglichen werden. Die von § 53 Abs. 1 AufenthG geforderte Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers in Deutschland erfolgt dabei nach der Intention des Gesetzgebers nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar.

24

Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" (Absatz 1) oder als "schwerwiegend" (Absatz 2). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sind neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Interessen aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Die Katalogisierung schließt demnach die Berücksichtigung weiterer Umstände im Rahmen der nach § 53 Abs. 2 AufenthG zu treffenden Abwägungsentscheidung nicht aus. Dies folgt bereits aus dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG, ist aber für die schwerwiegenden, aufgrund der Vielgestaltigkeit der Lebenssituationen bewusst nicht abschließend aufgezählten Bleibeinteressen in § 55 Abs. 2 AufenthG nochmals ausdrücklich normiert. Die nunmehr als schwerwiegend oder besonders schwerwiegend qualifizierten Ausweisungsinteressen im Sinne von § 54 AufenthG decken sich weitgehend - aber nicht vollständig - mit den früheren Gründen für eine Regel- und Ist-Ausweisung, die schwerwiegenden und besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen greifen Fälle des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 AufenthG a.F. auf.

25

Bei der Abwägung sind schließlich gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht ("Boultif/Üner-Kriterien"). Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen.

26

Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht.

27

2. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG festgestellt. Ein solches liegt dann vor, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wobei hiervon u.a. dann auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Ausländer einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er (jedenfalls) eine solche Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, er nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.

28

a) Der Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist dem Wortlaut nach weitgehend an den früheren Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung angelehnt, auf den die Ausweisungsverfügung auch ursprünglich gestützt war. Das Berufungsgericht hat für die Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu Recht dieselben rechtlichen Maßstäbe herangezogen, die der Senat zur Auslegung des früheren Regelausweisungstatbestandes nach § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung entwickelt hat.

29

In der Rechtsprechung des Senats war die Auslegung des Regelausweisungstatbestands des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung weitgehend geklärt. So ist anerkannt, dass eine Vereinigung den Terrorismus unterstützt, wenn sie sich selbst terroristisch betätigt oder wenn sie die Begehung terroristischer Taten durch Dritte veranlasst, fördert oder befürwortet. Die Schwelle der Strafbarkeit muss dabei nicht überschritten sein, da die Vorschrift der präventiven Gefahrenabwehr dient und auch die Vorfeldunterstützung durch sogenannte Sympathiewerbung erfasst. Der Tatbestand des Unterstützens des Terrorismus durch eine Vereinigung setzt allerdings voraus, dass die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung (auch) auf die Unterstützung des Terrorismus gerichtet sind; ein bloßes Ausnutzen der Strukturen einer Vereinigung durch Dritte in Einzelfällen reicht hierfür nicht aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 20 ff. und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 13 ff.).

30

Für den im Gesetz verwandten Begriff des Terrorismus sind Versuche, auf völkerrechtlicher Ebene eine allgemein anerkannte vertragliche Definition zu entwickeln, nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen. Jedoch können wesentliche Kriterien aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft im Beschluss des Rates Nr. 2002/475/JI vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (ABl. L 164 S. 3) sowie dem gemeinsamen Standpunkt des Rates 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001 (ABl. L 344 S. 93) gewonnen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die Aufnahme einer Organisation in die vom Rat der Europäischen Union angenommene Liste terroristischer Organisationen im Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93 - vgl. auch ABl. L 116 vom 3. Mai 2002, S. 75) ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass die Organisation terroristischer Art ist oder im Verdacht steht, eine solche zu sein (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 [ECLI:EU:C:2015:413], H.T./Land Baden-Württemberg - Rn. 83). Hier sind von den Tatsachengerichten ergänzende Feststellungen zu treffen. Dabei ist trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs anerkannt, dass als terroristisch jedenfalls der Einsatz gemeingefährlicher Waffen und Angriffe auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen sind (Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>, vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 19 und Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 10 C 48.07 - BVerwGE 132, 79 <87> m.w.N.).

31

Weiterhin ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass die individuelle Unterstützung einer terroristischen Vereinigung oder einer Vereinigung, die eine terroristische Vereinigung unterstützt, im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. alle Verhaltensweisen erfasst, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeit der Vereinigung auswirken. Darunter kann die Mitgliedschaft in der terroristischen oder in der unterstützenden Vereinigung ebenso zu verstehen sein wie eine Tätigkeit für eine solche Vereinigung ohne gleichzeitige Mitgliedschaft. Auch die bloße Teilnahme an Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen kann eine Unterstützung in diesem Sinne darstellen, wenn sie geeignet ist, eine positive Außenwirkung im Hinblick auf die durch § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. missbilligten Ziele zu entfalten. Auf einen nachweisbaren oder messbaren Nutzen für diese Ziele kommt es nicht an, ebenso wenig auf die subjektive Vorwerfbarkeit der Unterstützungshandlungen. Im Hinblick auf den Schutz der Meinungsfreiheit und das Gebot der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Betätigungsfreiheit des Einzelnen erfüllen allerdings solche Handlungen den Tatbestand der individuellen Unterstützung nicht, die erkennbar nur auf einzelne, mit terroristischen Zielen und Mitteln nicht im Zusammenhang stehende - etwa humanitäre oder politische - Ziele der Vereinigung gerichtet sind. Für den Ausländer muss schließlich die eine Unterstützung der Vereinigung, ihrer Bestrebungen oder ihrer Tätigkeit bezweckende Zielrichtung seines Handelns erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auf eine darüber hinaus gehende innere Einstellung des Ausländers kommt es hingegen nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 15 und 18 m.w.N.).

32

Diese vom Senat zur Auslegung von § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. entwickelten Grundsätze lassen sich entgegen dem Vorbringen der Revision auch auf den Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung nach dem neu gefassten § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG übertragen. Ein Vergleich der Textfassungen ergibt, dass der Gesetzgeber die früheren Regelausweisungstatbestände nach § 54 Nr. 5, 5a und 5b AufenthG a.F. in der neuen Vorschrift des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zusammengefasst hat, wobei unter den vorliegenden Umständen die Fälle staatsgefährdender Gewalttaten nach § 89a StGB außer Betracht bleiben können. Gegenüber dem früheren Recht ist der Hinweis entfallen, dass eine Ausweisung auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen nur gestützt werden kann, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Eine Änderung der materiellen Rechtslage ist damit aber nicht verbunden, da auch nach neuem Recht eine fortbestehende Gefahr erforderlich ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ("gefährdet") und ist implizit auch dem neuen Zusatz in § 54 Abs. 1 Nr. 2 letzter Halbsatz AufenthG zu entnehmen, wonach von einer Gefährdung nicht auszugehen ist, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt.

33

Den Gesetzgebungsmaterialien ist nichts dafür zu entnehmen, dass sich der Gesetzgeber hinsichtlich des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung für eine Abkehr von dem bisherigen Verständnis des Ausweisungstatbestandes hat entscheiden wollen. Zwar hat er in Satz 2 einen Halbsatz neu eingefügt, wonach ein Unterstützen nicht vorliegt, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt. Das stellt jedoch keine inhaltliche Änderung des Unterstützerbegriffs dar, sondern normiert lediglich ein in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits entwickeltes Kriterium zur individuellen Zurechnung eines Unterstützerverhaltens. Denn der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die objektive Tatsache der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in der Vergangenheit dem Ausländer dann nicht mehr zugerechnet werden kann, wenn er sich glaubhaft hiervon distanziert (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <131>, vom 30. April 2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 35 und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 17). Die nunmehr normierten Tatbestandsmerkmale lassen keine Abkehr von der Senatsrechtsprechung erkennen, denn ein "erkennbares Abstandnehmen" vom sicherheitsgefährdenden Handeln entspricht dem Distanzieren im Sinne der Senatsrechtsprechung. Allerdings findet sich in der Begründung zu dieser Neuregelung die Aussage, die Möglichkeit der "Exkulpation" zeige, dass der Betroffene Kenntnis davon gehabt haben müsse, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstütze, der "undolose Unterstützer" daher nicht unter die Regelung falle (BT-Drs. 18/4097 S. 51). Aus diesem Satz in der Gesetzesbegründung könnte man ableiten, der Gesetzgeber habe eine Regelung treffen wollen, nach der für die subjektive Seite des Unterstützens mehr erforderlich ist (Vorsatz) als nach dem bisherigen Verständnis (Erkennbarkeit). Wäre dies tatsächlich so Gesetz geworden, hätte dies eine nicht unerhebliche Einschränkung der Rechtsprechung zur subjektiven Zurechnung bedeutet, nach der es ausreicht, dass der Ausländer erkennen konnte, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstützt. Die Begründung hat jedoch im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden, denn nach diesem wird Vorsatz im Hinblick auf die terroristische Betätigung der unterstützten Vereinigung nicht verlangt. Es reicht somit auch für die Erfüllung des subjektiven Unterstützertatbestands weiterhin die Erkennbarkeit einer terroristischen Betätigung der Vereinigung aus. Vorsatz bleibt hingegen weiter erforderlich für das eigene Handeln des Ausländers, das von dem Ziel geleitet sein muss, die Vereinigung zu unterstützen. Für diese Auslegung spricht auch, dass der Gesetzgeber der Vorfeldunterstützung des Terrorismus durch die Gesetzesänderung erhöhte Bedeutung beimessen wollte, indem er den bisher als Tatbestand für eine Regelausweisung normierten Ausweisungsgrund zu einem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 AufenthG heraufstufte, was im bisherigen Recht dem Tatbestand einer zwingenden Ausweisung entsprochen hätte. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass das stärkere Gewicht, das der Gesetzgeber diesem Ausweisungsinteresse beimessen wollte (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 23), mit einer engeren Interpretation seiner Tatbestandsmerkmale einhergehen sollte.

34

Eine vom früheren Begriffsverständnis abweichende Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass dieser bisher eigenständige Tatbestand nunmehr in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG funktional mit einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verknüpft wird ("hiervon ist auszugehen, wenn"). Vielmehr ergibt eine systematische Auslegung der Vorschrift, dass der Inhalt des Ausweisungstatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung unverändert geblieben ist, während der Begriff der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland eine Erweiterung erfahren hat. Denn der Gesetzgeber hat mit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr kraft Gesetzes definiert, wann von einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen ist, nämlich (jedenfalls) dann, wenn eine der dort genannten Tatbestandsalternativen erfüllt ist. Die Auslegung des Begriffs der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland richtet sich daher (auch) nach diesen Tatbestandsalternativen, nicht umgekehrt. Anderes lässt sich hinsichtlich des Gefahrenmaßstabs auch nicht der Regelung des § 53 Abs. 1 AufenthG entnehmen. Denn anders als bei den übrigen Ausweisungsinteressen hat der Gesetzgeber in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG das Erfordernis einer Gefahr (nochmals) ausdrücklich aufgeführt, was unter systematischen Gesichtspunkten für eine gewisse Eigenständigkeit des Gefahrentatbestandes gegenüber § 53 Abs. 1 AufenthG fruchtbar gemacht werden kann. Es gilt damit nunmehr, dass das Gesetz bereits die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Bundesgebiet als eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ansieht, unabhängig davon ob die terroristische Vereinigung Gewaltakte auch auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland oder gegen deutsche Einrichtungen im Ausland begeht. Weiterhin gilt jedenfalls für die Fälle des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ein abgesenkter Gefahrenmaßstab, der auch Vorfeldmaßnahmen erfasst und keine von der Person des Unterstützers ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefahr erfordert. Die Rechtsprechung des Senats zur Unterstützung des Terrorismus durch Handlungen in dessen Vorfeld hat dem Rechnung zu tragen und dabei auch die Bedeutung zu berücksichtigen, die der Unionsgesetzgeber dieser Vorfeldunterstützung durch den Erwägungsgrund 37 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 S. 9) - EU-Anerkennungsrichtlinie - beimisst.

35

Ein Anlass für eine verfassungsrechtliche Neubewertung des Gefahrenmaßstabs besteht entgegen dem umfangreichen Revisionsvorbringen nicht. In der Rechtsprechung des Senats ist seit dem Urteil zum Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus - Terrorismusbekämpfungsgesetz - vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361, 3142) anerkannt, dass der Unterstützungsbegriff weit auszulegen und anzuwenden ist, um damit der auch völkerrechtlich begründeten Zielsetzung des Gesetzes gerecht zu werden, dem Terrorismus schon im Vorfeld die logistische Basis zu entziehen (BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <127 ff.>). Maßgeblich ist, inwieweit das festgestellte Verhalten des Einzelnen zu den latenten Gefahren der Vorfeldunterstützung des Terrorismus nicht nur ganz unwesentlich oder geringfügig beiträgt und deshalb selbst potenziell gefährlich erscheint. Wegen der tatbestandlichen Weite des Unterstützungsbegriffs ist allerdings bei der Anwendung der Vorschrift darauf zu achten, dass nicht unverhältnismäßig namentlich in das auch Ausländern zustehende Recht auf freie Meinungsäußerung jenseits der zumindest mittelbaren Billigung terroristischer Bestrebungen eingegriffen wird. Einen bislang nicht berücksichtigten verfassungsrechtlichen Rechtssatz, der den so umschriebenen Ausgleich zwischen dem legitimen und schon wegen seiner völkerrechtlichen Vorgaben besonders gewichtigen gesetzgeberischen Ziel der Terrorismusbekämpfung und den geschützten Grundrechtspositionen eines Ausländers infrage stellen würde, zeigt die Revision nicht auf. Insbesondere sprechen der Charakter der Ausweisung als Maßnahme der Gefahrenabwehr sowie die spezifische Zielsetzung der Terrorismusbekämpfung gegen eine Übertragung strafrechtlicher Rechtsprechungsgrundsätze, wie sie etwa für die Abgrenzung strafbarer und straffreier Meinungsäußerungen gelten. Der Senat hält auch unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an seiner bisherigen Rechtsprechung fest.

36

b) Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG angenommen. Dies gilt sowohl für die Qualifizierung der PKK als terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung (aa) als auch - jedenfalls im Ergebnis - für die Qualifizierung der Handlungen des Klägers als relevante Unterstützungshandlungen (bb). Ebenso wenig zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen hat (cc).

37

(aa) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Qualifizierung der PKK als eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Das Gericht legt seiner Entscheidung die in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze für die Definition einer terroristischen Vereinigung zugrunde (UA Bl. 27 f.) und geht damit von einem zutreffenden Maßstab aus. Für die Bewertung der PKK als eine solche Vereinigung hat das Gericht zunächst darauf abgestellt, dass sie auch noch aktuell auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist, ohne diesem Umstand eine über einen deutlichen Anhaltspunkt hinausgehende Bedeutung beizumessen (UA Bl. 31). Hieran anknüpfend hat das Berufungsgericht sodann auf der Grundlage der ihm vorliegenden Erkenntnismittel festgestellt, dass die PKK zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele in der Türkei weiterhin Gewalttaten gegen staatliche Einrichtungen und Amtsträger sowie die Zivilbevölkerung verübt und im Übrigen etwa zur Finanzierung ihrer Aktivitäten oder zur Bekämpfung von Kritikern auch nicht vor Verbrechen gegenüber ihren eigenen Anhängern und auch darüber hinaus gegenüber der kurdischstämmigen Bevölkerung insgesamt zurückschreckt. Insbesondere sei die zwischen dem türkischen Staat und der PKK ausgehandelte (relative) Waffenruhe seitens der PKK zuletzt Ende Juli 2015 ausdrücklich aufgekündigt worden (UA Bl. 32 f.). Diese tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts sind von der Revision nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen worden und daher für den Senat bindend. Sie erlauben dem Senat zudem eine eigene rechtliche Bewertung des Inhalts, dass die PKK eine terroristische Vereinigung darstellt und nicht lediglich eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung.

38

(bb) Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist auch die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, dass der Kläger die PKK in rechtserheblicher Weise individuell unterstützt hat. Allerdings ist das Gericht unter Verstoß gegen Bundesrecht davon ausgegangen, dass zu Lasten des Klägers nur solche Unterstützungshandlungen berücksichtigt werden dürfen, die in zeitlicher Hinsicht nach der Mitteilung des Regierungspräsidiums vom Juli 2010 lagen, wonach eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft würden.

39

Das Berufungsgericht ist insoweit rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass ein Ausweisungsinteresse bereits dann aus Gründen des Vertrauensschutzes verbraucht ist und nicht mehr zur Begründung einer Ausweisung herangezogen werden kann, wenn ein Aufenthaltstitel in Kenntnis oder dem Staat zuzurechnender Unkenntnis erteilt oder verlängert wurde (UA S. 34 f.). Zwar ist in der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich anerkannt ist, dass Ausweisungsgründe in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und so lange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind und die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <313> und vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <121 f.>). Aus der Ableitung dieser Kriterien aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt jedoch, dass die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Aus der Rechtsprechung des Senats ergibt sich zudem, dass ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers schützenswert sein muss. Hieran fehlt es, wenn die Ausländerbehörde - wie vorliegend - dem Kläger auf dessen Anfrage zum Stand des Verfahrens auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis lediglich mitteilt, dass gegenwärtig noch eine Sicherheitsüberprüfung stattfinde, und dann zu einem späteren Zeitpunkt ohne jegliche Erläuterung zum Ausgang der Sicherheitsüberprüfung die begehrte Niederlassungserlaubnis erteilt. Auf dieser Grundlage kann der Betroffene nämlich weder wissen, welchen konkreten Umständen die Ausländerbehörde im Rahmen ihrer Sicherheitsüberprüfung nachgegangen ist, noch zu welchen konkreten Erkenntnissen sie hierbei nach Abschluss der Überprüfung gelangt ist. Daher kann der Betroffene aus der Erteilung der Niederlassungserlaubnis billigerweise auch nicht schließen, dass die Ausländerbehörde bei ihrer Sicherheitsüberprüfung alle als potentielle Versagungsgründe in Betracht kommenden Umstände tatsächlich ermittelt und sodann als für die Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis unbeachtlich eingestuft hat.

40

Das angefochtene Urteil beruht jedoch nicht auf diesem Rechtsverstoß, weil das Berufungsgericht auch ohne Berücksichtigung der vor dem für maßgeblich erachteten Zeitpunkt liegenden Umstände von rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen des Klägers ausgegangen ist und die diesbezüglichen Feststellungen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sind. Im Übrigen wäre der Kläger durch die Nichtberücksichtigung weiterer, ihn belastender Umstände auch nicht beschwert. Im Einzelnen hat das Berufungsgericht für die Bestimmung der rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen zutreffend auf die in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäbe zu § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung abgestellt (UA Bl. 35 ff.). Keine abweichende Beurteilung ergibt sich aus dem Einwand des Klägers, die PKK nicht unmittelbar unterstützt zu haben, sondern sich in legalen Vereinigungen betätigt zu haben, die ihrerseits die PKK im Wissen um deren Charakter gewollt und gezielt unterstützen. Denn es stellt keine verminderte Gefahr der Vorfeldunterstützung des Terrorismus dar, wenn die Unterstützung terroristischer Vereinigungen nicht durch isolierte Einzelhandlungen, sondern in Vereinigung mit anderen erfolgt. Hierin liegt auch kein Fehlen der Unmittelbarkeit der Unterstützungshandlungen.

41

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht sodann nach Auswertung der ihm vorliegenden umfangreichen Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden festgestellt, dass der Kläger über mehrere Jahre in teils hervorgehobener Funktion als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter oder Redner regelmäßig an Veranstaltungen teilgenommen und mitgewirkt hat, bei denen offene Propaganda für die PKK betrieben worden ist (UA Bl. 39 - 42). Unter Einbeziehung der Aktivitäten des Klägers in der Zeit seit 2001, wie sie in der Ausweisungsverfügung (S. 3 - 9, 16 - 23) aufgelistet, vom Kläger nicht in Abrede gestellt und vom Berufungsgericht in Bezug genommen worden sind (UA S. 39 f.), stellt sich das Unterstützungshandeln des Klägers wie folgt dar: Der Kläger war von 2001 bis 2003/2004 Vorsitzender des "Kurdischen Kulturverein e.V." in L., der der KONGRA-GEL nahestand. Im Oktober 2004 wurde er in das 15-köpfige Führungskomitee der "Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland" (YEK-KOM) gewählt und gehörte diesem bis zur Auflösung der YEK-KOM im Jahr 2014 an, zeitweilig (bis 2011) war er der 2. Vorsitzende der Vereinigung. Er hat sich im Juni 2014 in den fünfköpfigen Vorstand der die PKK unterstützenden NAV-DEM wählen lassen und diese Vorstandstätigkeit bis zum Tage der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausgeübt (UA Bl. 43 - 45).

42

Der Kläger beteiligte sich seit Mitte 2003 regelmäßig an Kundgebungen und Demonstrationen in unterschiedlichen deutschen Städten (u.a. Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg, Frankfurt, Gelsenkirchen, Düsseldorf, Stuttgart) und in Straßburg/Frankreich, die sich unter anderem für eine Freilassung des inhaftierten PKK-Führers Öcalan aussprachen, des Gründungsjahrestags der PKK und/oder der "Märtyrer des kurdischen Freiheitskampfes" gedachten und Parolen auf die PKK ausriefen. Der Kläger hielt auf einigen dieser Veranstaltungen eine Rede, im Februar 2007 hob er dabei die Bedeutung der Gefallenen für die kurdische Sache hervor, im Januar 2009 sprach er zur aktuellen Lage der Kurden in ihrer Heimat, im März 2010 kritisierte er die Exekutivmaßnahmen der belgischen Polizei gegenüber dem kurdischen TV-Sender ROJ-TV, im November 2011 sprach er auf einer Kundgebung, die zum Thema u.a. die Verwendung von Napalmgas und chemischer Waffen gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei hatte, im Januar 2013 verurteilte er auf einer Kundgebung die Ermordung von drei PKK-Aktivisten in Paris, im Oktober 2015 hielt er anlässlich einer Protestaktion der NAV-DEM in Frankfurt eine Rede.

43

Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger nicht nur seine individuellen Unterstützungshandlungen, sondern sämtliche Aktionen der YEK-KOM und der NAV-DEM aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied persönlich zuzurechnen sind. Die YEK-KOM, der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK nach den gerichtlichen Feststellungen durch eine Vielzahl von Aktionen. Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen oder ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie "Freiheit für Öcalan" und "Frieden für Kurdistan". Im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die "logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans" verankert. Der Verein biete der PKK oder ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Für die NAV-DEM gilt nach den getroffenen Feststellungen nichts anderes. Der Verein sei keine Neugründung, sondern eine Umbenennung des Vereins YEK-KOM. Im Übrigen werde deutlich, dass die NAV-DEM ihre Veranstaltungen und Kundgebungen mit gleichem Ablauf und gleichen Themen durchführe wie zuvor schon unter dem Namen YEK-KOM. Diese zutreffende Würdigung bedeutet auch nicht, dass jeder Einsatz für die Interessen und Belange kurdischer Volkszugehöriger (oder eine Kritik an der Kurdenpolitik der Türkischen Republik) als eine Unterstützung der PKK und damit des Terrorismus einzuordnen wäre.

44

(cc) Soweit schließlich nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausscheidet, wenn der Ausländer ernsthaft und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt, hat das Berufungsgericht ebenfalls in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der Kläger ausweislich seines auch während des Ausweisungsverfahrens fortgesetzten Engagements als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter und Redner auch künftig an seiner Unterstützung der PKK festhalten wird. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Unterstützerverhalten des Klägers sind detailreich und stellen - entgegen der Auffassung der Revision - keine zu schmale Tatsachengrundlage für die getroffenen Feststellungen dar. Damit erfüllt der Kläger die gesetzlichen Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, und es liegt ein Ausweisungsinteresse vor, das besonders schwer wiegt.

45

3. Die angefochtene Verfügung des Beklagten erfüllt auch die besonderen Voraussetzungen, die nach § 53 Abs. 3 AufenthG an die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings zu stellen sind. Ein solcher darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

46

a) Diese den Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG ergänzende Vorschrift legt erhöhte Ausweisungsvoraussetzungen für mehrere rechtlich privilegierte Personengruppen fest, nämlich für Ausländer, die als Asylberechtigte anerkannt sind, die im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießen, die einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention besitzen, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder die eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU besitzen. Für all diese Personengruppen gilt der besondere aus Art. 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG abgeleitete Maßstab, den der Gerichtshof der Europäischen Union auch auf Ausländer erstreckt hat, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - C-371/08 [ECLI:EU:C:2011:809], Ziebell - Slg. 2011, I-12735 Rn. 79, 86). Der Senat folgt nicht der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, wonach die Voraussetzungen des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 53 Abs. 3 AufenthG von vornherein "bereichsspezifisch" gemäß dem durch das Unionsrecht für den jeweiligen Personenkreis bestimmten Ausweisungsschutz auszulegen sind. Vielmehr hat der Gesetzgeber den unionsrechtlichen Schutzstandard für daueraufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige für ausreichend befunden und dessen Geltung für alle genannten Personengruppen angeordnet. Dies entbindet freilich nicht davon, in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob für die jeweils betrachtete Personengruppe der so durch den nationalen Gesetzgeber definierte Ausweisungsschutz dem unionsrechtlichen Maßstab tatsächlich genügt. Nur wenn der unionsrechtliche Maßstab strenger ist als derjenige, der durch den Gesetzgeber in § 53 Abs. 3 AufenthG festgelegt worden ist, bedarf § 53 Abs. 3 AufenthG nach allgemeinen Grundsätzen einer unionsrechtskonformen Auslegung, die angesichts der Weite der Tatbestandsmerkmale und des erkennbaren gesetzgeberischen Willens, europarechtlichen Maßstäben zu genügen, auch möglich ist (so auch Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 54).

47

Im vorliegenden Fall ist § 53 Abs. 3 AufenthG unionsrechtskonform nach den Vorgaben der EU-Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU auszulegen. Die Richtlinie formuliert keine Vorgaben für eine Ausweisung im Sinne des deutschen Rechts, wohl aber für eine Zurückweisung in den Herkunftsstaat (Art. 21 Abs. 2 und 3) und für den Entzug des Aufenthaltstitels (Art. 24 Abs. 1).

48

b) Nach Art. 21 Abs. 3 der EU-Anerkennungsrichtlinie darf ein Mitgliedstaat den einem Flüchtling erteilten Aufenthaltstitel widerrufen, wenn die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 2 vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 2012 - 1 C 8.11 - BVerwGE 143, 138 Rn. 21). Fällt ein Flüchtling nicht in den Anwendungsbereich von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie, kann auch Abs. 3 dieser Vorschrift nicht zu Anwendung kommen (EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 - Rn. 44). Eine Zurückweisung ist nach Art. 21 Abs. 2 Buchst. a zulässig, wenn es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass der Flüchtling eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält. Es kann offenbleiben, ob vom Kläger eine Gefahr im Sinne dieser Vorschrift ausgeht, denn die Zurückweisung ist nur unter der weiteren Voraussetzung rechtmäßig, dass sie dem Mitgliedstaat nicht aufgrund seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen untersagt ist (Art. 21 Abs. 2). Dazu zählen die Verpflichtungen aus Art. 3 EMRK (vgl. Begründung der Kommission im Richtlinienvorschlag vom 12. September 2001 KOM (2001) 510 endg. S. 33 zu Art. 19). Dem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK kommt absoluter Charakter zu; es kann mithin - anders als das Refoulement-Verbot nach Art. 33 Abs. 1 GFK - nicht unter den Voraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 Richtlinie 2011/95/EU i.V.m. Art. 35 Abs. 2 GFK durchbrochen werden (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 5. April 2016 - C-404/15 und C-659/15 PPU [ECLI:EU:C:2016:198], Aranyosi und Căldăraru - Rn. 85 - 87; EGMR, Urteil vom 17. Dezember 1996 - Nr. 71/1995/577/663, Ahmed/Österreich - NVwZ 1997, 1100 Rn. 39 - 41). Für den Kläger besteht ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK. Denn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat im Anerkennungsbescheid vom 9. Oktober 1997 nicht nur die Flüchtlingseigenschaft des Klägers nach dem seinerzeit maßgeblichen § 51 Abs. 1 AuslG 1990, sondern auch ein Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990 hinsichtlich der Türkei festgestellt und dieses damit begründet, dass dem Kläger in der Türkei unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Diese Feststellung des Bundesamts begründet hier ein - absolutes - nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Insoweit kommt der Feststellung des Bundesamts im vorliegenden Verfahren über § 42 AsylG auch Bindungswirkung zu. Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU begrenzt damit den behördlichen Handlungsspielraum für eine Abschiebung in einen Verfolgerstaat oder einen Staat, in dem Gefahren nach Art. 3 EMRK drohen. Die Vorschrift setzt jedoch keine Maßstäbe für eine lediglich "inlandsbezogene" Ausweisung, die - wie hier - insbesondere den Verlust des Aufenthaltstitels zur Folge hat.

49

c) Unionsrechtliche Maßstäbe für eine zum Verlust des Aufenthaltstitels eines Flüchtlings führende inlandsbezogene Ausweisung lassen sich aus Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie gewinnen. Die Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten, einem Flüchtling so bald wie möglich nach der Anerkennung einen Aufenthaltstitel auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.

50

(aa) Der Inhalt dieser Norm wurde vom Gerichtshof der Europäischen Union in einem auf ein Vorlageersuchen des Berufungsgerichts ergangenen Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) näher bestimmt. Die Entscheidung bezieht sich zwar auf Art. 24 Abs. 1 der EG-Anerkennungsrichtlinie 2004/83/EG, ihre Aussagen sind aber uneingeschränkt auf die in der Sache unveränderte Vorschrift des Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU übertragbar. Danach kann einem Flüchtling nach Art. 24 Abs. 1 nicht nur die Erteilung eines Aufenthaltstitels versagt werden, sondern der erteilte Aufenthaltstitel auch nachträglich widerrufen werden, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen (a.a.O. Rn. 55). Soweit in der Neufassung der Vorschrift nunmehr von zwingenden Gründen der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung die Rede ist, ist damit keine inhaltliche Änderung verbunden. Diese Wirkung einer Entziehung des Aufenthaltstitels kommt der hier verfügten Ausweisung zu, die wegen des entgegenstehenden Abschiebungsverbots nach Art. 3 EMRK nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung führt. Entgegen einer am Wortlaut orientierten Auslegung von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie hat der darin verwendete Begriff der "zwingenden Gründe" nach dem EuGH-Urteil eine weitere Bedeutung als der Begriff der "stichhaltigen Gründe" in Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie. Das bedeutet, dass bestimmte Umstände, die nicht den Schweregrad aufweisen, um eine Zurückweisung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie verfügen zu können, den Mitgliedstaat gleichwohl dazu berechtigen können, auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie dem betroffenen Flüchtling seinen Aufenthaltstitel zu entziehen (a.a.O. Rn. 75).

51

Bei der Bestimmung des Bedeutungsgehalts der "zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" hat der EuGH zunächst Bezug auf seine Rechtsprechung zu den Begriffen der "öffentlichen Sicherheit" und der "öffentlichen Ordnung" in Art. 27 und 28 der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG genommen (a.a.O. Rn. 77 ff.). Danach umfasst der Begriff "öffentliche Sicherheit" im Sinne von Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats. Die öffentliche Sicherheit kann danach berührt sein, wenn das Funktionieren staatlicher Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste beeinträchtigt wird oder eine Gefahr für das Überleben der Bevölkerung oder einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker besteht oder militärische Interessen beeinträchtigt werden. Dabei deutet der Begriff der "zwingenden Gründe" auf einen besonders hohen Schweregrad der Beeinträchtigung hin (a.a.O. Rn. 78). Den Begriff der "öffentlichen Ordnung" hat der EuGH für die Unionsbürgerrichtlinie dahin ausgelegt, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliegen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (a.a.O. Rn. 79). Zugleich betont er, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, nach ihren nationalen Bedürfnissen, die je nach Mitgliedstaat und Zeitpunkt unterschiedlich sein können, zu bestimmen, was die öffentliche Ordnung und Sicherheit erfordern (a.a.O. Rn. 77).

52

Für den Fall der Unterstützung des Terrorismus hat der EuGH zudem auf den 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83/EG, heute 37. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95/EU hingewiesen, wonach der Begriff der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" auch für die Fälle gilt, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt. Dabei muss das nationale Gericht in einem ersten Schritt prüfen, ob die Handlungen der fraglichen Organisation die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedrohen. Wird eine vom Flüchtling unterstützte Vereinigung in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93) geführt, ist dies ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie entweder eine terroristische Organisation ist oder im Verdacht steht, eine solche Organisation zu sein (a.a.O. Rn. 83). Allein der Umstand, dass ein Flüchtling eine solche Organisation unterstützt hat, darf jedoch nicht automatisch zur Aufhebung seines Aufenthaltstitels führen. Vielmehr ist in einem zweiten Schritt einzelfallbezogen die Rolle zu prüfen, die der Betreffende im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt hat (a.a.O. Rn. 90), und auch der Schweregrad der Gefahr zu beurteilen, die von seinen Handlungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (a.a.O. Rn. 92).

53

(bb) Das Berufungsgericht hat die vom Kläger geleisteten und ihm zuzurechnenden Unterstützungshandlungen an dem vom EuGH präzisierten Maßstab für die Auslegung des Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie gemessen und ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass sich hieraus zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ergeben, die einen Entzug des Aufenthaltstitels gegenüber dem Kläger rechtfertigen. Das Gericht hat bereits im Rahmen seiner Prüfung des besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausführlich begründet, warum die PKK eine terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung darstellt (UA S. 27 - 34). Dabei hat es gewürdigt, dass die PKK auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist und auch weiterhin terroristische Aktivitäten entfaltet. In einem zweiten Schritt hat es näher dargelegt, warum die in Deutschland agierenden Vereinigungen YEK-KOM und NAV-DEM, für die der Kläger seit mehr als zwölf Jahren in hervorgehobenen Funktionen wirkte, und der Kläger auch individuell durch Anmeldung und Leitung von Versammlungen sowie Redebeiträge und weitere Aktivitäten die PKK unterstützt haben und weiter unterstützen (UA S. 55, 34 - 48). Die Bewertung des Berufungsgerichts, dass der Kläger damit die Voraussetzungen für den Entzug seines Aufenthaltstitels nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie erfüllt, steht mit der Rechtsprechung des EuGH in Einklang. Zwar hat er selbst keine terroristischen Handlungen begangen, auch nicht andere Personen hierzu angeleitet oder sich an der Planung oder Finanzierung terroristischer Aktionen beteiligt, wie das der EuGH als mögliches Unterstützerhandeln erwähnt (a.a.O. Rn. 90). Diese Aufzählung des Gerichtshofs ist jedoch nur beispielhaft, macht zugleich aber deutlich, dass der Betreffende eine gewichtige Rolle im Rahmen seiner Unterstützung der terroristischen Organisation gespielt haben muss.

54

Bei der Frage, was als gewichtig anzusehen ist, ist der 37. Erwägungsgrund der Richtlinie zu berücksichtigen, wonach auch die Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, und die Unterstützung einer derartigen Vereinigung als Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung anzusehen sind. Die abschließende Bewertung, ob die Unterstützungshandlung hinreichend gewichtig ist, um "zwingende Gründe" darzustellen, überlässt der Gerichtshof dem verantwortlichen nationalen Gericht und erkennt auch einen Einschätzungsspielraum der Mitgliedstaaten an, nach ihren nationalen Bedürfnissen zu bestimmen, was die nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung erfordern. Diese abschließende Bewertung hat das Berufungsgericht dahin getroffen, dass die Unterstützungshandlungen des Klägers dem von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie geforderten Gewicht entsprechen. Es hat dies auf der Grundlage der Gewichtungsvorgabe des nationalen Gesetzgebers in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nachvollziehbar mit dem mehr als zwölfjährigem Unterstützerhandeln des Klägers in hervorgehobener Position innerhalb zweier Vereinigungen begründet, in dessen Rahmen er an zahlreichen Veranstaltungen mitwirkte, an denen sich Akteure beteiligten, die offen für die PKK warben und deren Kurs vorbehaltlos befürworteten (Auftreten in Guerillauniform, Märtyrergedenken, Grußbotschaften an die Kämpfer an der Front usw.). Für das Gewicht seines Unterstützerhandelns durfte das Gericht auch berücksichtigen, dass der Kläger nach den tatrichterlichen Feststellungen in vollem Bewusstsein um dessen Bedeutung für den ideologischen Zusammenhalt der PKK und in dem Willen gehandelt hat, diese vorbehaltlos auch in Bezug auf deren terroristische Aktivitäten zu unterstützen (UA S. 55).

55

(cc) Der EuGH hat in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13 Rn. 95 ff.) aber hervorgehoben, dass ein Flüchtling, dessen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie aufgehoben wird, seinen Flüchtlingsstatus behält, sofern und solange ihm nicht dieser Status entzogen worden ist. Daher ist er auch nach dem Verlust seines Aufenthaltstitels weiterhin Flüchtling und hat in dieser Eigenschaft weiterhin Anspruch auf die Vergünstigungen, die das Kapitel VII der Richtlinie jedem Flüchtling gewährleistet, so insbesondere auf Schutz vor Zurückweisung, auf Wahrung des Familienverbands, auf Ausstellung von Reisedokumenten, auf Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung, zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie auf Zugang zu Integrationsmaßnahmen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift. Diese Rechte dürfen, auch soweit sie nach nationalem Recht an den Besitz eines Aufenthaltstitels anknüpfen, von den zuständigen Behörden daher nicht mit der Begründung versagt werden, dass der Aufenthalt des Flüchtlings infolge der Ausweisung rechtswidrig geworden ist. Allerdings darf die Ausstellung eines Reiseausweises nach Art. 25 EU-Anerkennungsrichtlinie versagt werden, wenn - etwa zur Begegnung der Gefahr terroristischen Unterstützungshandelns - zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung entgegenstehen. Ebenso dürfen nach Art. 33 der Richtlinie aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen verfügt werden, wenn diese aus Gründen der öffentlichen Sicherheit auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern zulässig sind.

56

Eventuelle Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der dem Flüchtling auch nach Entzug des Aufenthaltstitels weiter zustehenden Rechte nach Kapitel VII der EU-Anerkennungsrichtlinie infolge unzureichender Umsetzung der Richtlinie in den einschlägigen nationalen Fachgesetzen berühren nicht die Rechtmäßigkeit der verfügten Ausweisung. An die Beachtung der einen Flüchtling unmittelbar begünstigenden Vorschriften in Kapitel VII der Richtlinie und die hierzu ergangene Rechtsprechung des EuGH sind seit Ablauf der Umsetzungsfrist alle nationalen Behörden gebunden. Der Flüchtling hat seine Rechte gegenüber den jeweils zuständigen Behörden und erforderlichenfalls Gerichten geltend zu machen. Auch die Generalanwältin hat es insoweit als die Pflicht der nationalen Gerichte angesehen, für die volle Wirksamkeit der Bestimmungen der Richtlinie Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede entgegenstehende Vorschrift des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 11. September 2014 - C-373/13 - Rn. 114 letzter Absatz).

57

4. Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen gewichtige Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1, § 55 AufenthG gegenüber. Diese hat das Berufungsgericht zutreffend bestimmt (UA S. 59 f.). Es hat berücksichtigt, dass der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besessen hat, die durch die Ausweisungsverfügung betroffen ist, er mit deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und er sein Personensorgerecht für minderjährige ledige Deutsche ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG).

58

5. Das Berufungsgericht hat das öffentliche Ausweisungsinteresse gegen die Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG unter Berücksichtigung der den Einzelfall prägenden Umstände abgewogen und ist unter Beachtung des hierfür zentralen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass das Ausweisungsinteresse überwiegt (UA S. 60 - 64). Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Gericht hat berücksichtigt, dass der Kläger besonderen Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie genießt, hier allerdings auf absehbare Zeit keine Aufenthaltsbeendigung beabsichtigt ist, da ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht. Es hat seinen langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und seine familiären Bindungen im Sinne von Art. 6 GG, Art. 8 EMRK gewürdigt, diesen durch die Verfügung allerdings insoweit nicht als beeinträchtigt angesehen, als keine Aufenthaltsbeendigung erfolgt. Es hat bei seiner Abwägung berücksichtigt, dass der Kläger in seinen geschützten Bindungen dadurch betroffen ist, dass sein Aufenthalt auf das Gebiet der Stadt M. beschränkt und er Meldeauflagen unterworfen ist. Weitere schützenswerte Bindungen hat das Gericht nicht anerkannt und dies nachvollziehbar damit begründet, dass der Kläger ungeachtet seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland kaum deutsch spricht, nur sporadisch und für kürzere Zeiträume erwerbstätig war und seit längerem von Sozialleistungen abhängig ist. Schließlich hat das Berufungsgericht in die Abwägung eingestellt, dass es der Kläger in der Hand hat, durch eine glaubhafte Abkehr von seinem bisherigen Verhalten eine Aufhebung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu erreichen.

59

6. Ohne Rechtsverstoß wertet das Berufungsurteil die in Ziffer 2 der angefochtenen Verfügung angeordnete Aufenthaltsbeschränkung und die verfügten Meldeauflagen als rechtmäßig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliegt ein Ausländer, gegen den - wie hier - eine Ausweisungsverfügung aufgrund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG besteht, der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Gestützt auf diese Ermächtigung hat der Beklagte bestimmt, dass sich der Kläger zweimal wöchentlich zu melden hat. Ferner hat er den Aufenthalt des Klägers auf den Bereich der Stadt M. beschränkt, wie das § 56 Abs. 2 AufenthG vorsieht, wenn die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft. Diese aufenthaltsbeschränkenden Maßnahmen durften gegenüber dem Kläger trotz dessen Rechtsstellung als Flüchtling ergehen. Dadurch wird sein Recht auf Freizügigkeit gemäß Art. 33 EU-Anerkennungsrichtlinie nicht verletzt. Denn derartige Maßnahmen dürfen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, wie sie hier wegen des Erfordernisses der Abwehr von terrorismusfördernden Aktivitäten vorliegen, auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern verfügt werden (§ 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG).

60

7. Zutreffend ist das Berufungsgericht auch zu dem Ergebnis gekommen, dass die für die Ausweisung des Klägers anwendbaren Regelungen des Ausweisungsrechts nicht gegen assoziationsrechtliche Verschlechterungsverbote aus Art. 13 ARB 1/80, Art. 7 ARB 2/76 und Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen (BGBl. 1972 II S. 385) verstoßen. Dabei kann offenbleiben, ob hier überhaupt eines der Verschlechterungsverbote Anwendung findet. Denn der zum 1. Januar 2016 eingeführte Übergang von einer Ermessensentscheidung zu einer gebundenen Entscheidung stellt keine Verschlechterung der Rechtsstellung des betroffenen Ausländers dar (a). Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung bewirkte zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für betroffene Ausländer, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt (b).

61

a) Die zum 1. Januar 2016 eingeführte Neuregelung des Ausweisungsrechts, die die bisherige Ermessensausweisung durch eine am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte gebundene Ausweisung abgelöst hat, hat die Rechtsstellung der Ausländer in der hier gebotenen und auch unionsrechtlich statthaften Gesamtschau nicht verschlechtert, sondern jedenfalls teilweise verbessert. Denn bisher sah das Gesetz Tatbestände einer zwingenden Ausweisung (Ist-Ausweisung), regelmäßig erfolgenden Ausweisung (Soll-Ausweisung) und Ausweisung nach Ermessen (Kann-Ausweisung) vor. Die zwingende Ausweisung und die regelmäßig erfolgende Ausweisung widersprachen für den Personenkreis der unionsrechtlich privilegierten Ausländer der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach eine Ausweisung ausschließlich auf ein persönliches Verhalten des Ausländers gestützt werden darf, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 [ECLI:EU:C:2004:262], Orfanopoulos und Oliveri - Slg. 2004, I-5257 Rn. 66 f.). Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass eine Regelung gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, wonach eine Ausweisung automatisch aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung verfügt wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird (a.a.O. Rn. 70). Aber auch die nationale Bestimmung über die Regelausweisung hat für den Gerichtshof den Anschein erweckt, dass trotz der Berücksichtigung individueller Umstände ein gewisser Automatismus oder jedenfalls eine Vermutung besteht, dass der betreffende Staatsangehörige auszuweisen ist (a.a.O. Rn. 92).

62

Daraus hat das Bundesverwaltungsgericht die Schlussfolgerung gezogen, dass die gesetzliche Regelung zur zwingenden Ausweisung und Regelausweisung auf unionsrechtlich privilegierte Ausländer nicht mehr angewendet werden darf (BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <302> betreffend Unionsbürger und - 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <321> betreffend Assoziationsberechtigte nach ARB 1/80). Der Gesetzgeber hat daraus durch das zum 1. Januar 2016 in Kraft getretene neue Ausweisungsrecht die Konsequenzen gezogen. Insofern stellt die neue Rechtslage eine Verbesserung gegenüber der bisherigen dar. Eine Ausweisung nach neuem Recht hat eine einzelfallbezogene umfassende Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen und orientiert sich dabei strikt am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 53 Abs. 1 und 2 AufenthG). Damit setzt der Gesetzgeber Vorgaben um, die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 - Rn. 99) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR , Urteil vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 57 - 60) ergeben.

63

Es stellt keine Verschlechterung der Rechtslage für unionsrechtlich privilegierte Ausländer dar, dass ihre Ausweisung nach früherer Rechtslage im Wege einer Ermessensentscheidung erfolgte, nach neuem Recht hingegen im Wege einer rechtlich gebundenen Ausweisung, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Damit entfällt zwar die Möglichkeit, aus Gründen der Zweckmäßigkeit von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen. Auf ein solches Absehen von einer rechts- und ermessensfehlerfrei möglichen Ausweisung hatte der Ausländer aber zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch, auch die gerichtliche Kontrolle war insoweit durch § 114 VwGO eingeschränkt; durch die gesetzliche Neuregelung wird also keine individuelle Rechtsposition beeinträchtigt. Im Übrigen ist für die Beachtung des Verschlechterungsverbots auf die tatsächliche Praxis und nicht allein auf die abstrakte Rechtslage abzustellen. Die Rechtspraxis wurde maßgeblich durch die Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz des Bundesministeriums des Innern vom 26. Oktober 2009 gesteuert. Danach lag die Ausweisungsentscheidung im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde, bei der Ermessensausübung waren das schutzwürdige Interesse des Ausländers am weiteren Verbleib in Deutschland und das öffentliche Interesse an der Ausweisung gegeneinander abzuwägen (Ziffer 55.1.3). Das weist auf eine Rechtspraxis hin, die der heute normierten gebundenen Ausweisung entspricht, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Insofern hat sich die Rechtsstellung des Ausländers nicht verschlechtert.

64

b) Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung hat zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für die betroffenen Ausländer bewirkt, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Die seinerzeitige Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung (§ 54 Nr. 5 AufenthG a.F.) führte zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gegenüber der früheren Rechtslage, die allein den Tatbestand der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland kannte. Durch die Rechtsänderung wurde nun auch die Vorfeldunterstützung des Terrorismus erfasst. Diese ist jedoch mit Blick auf das Verschlechterungsverbot aus Art. 13 ARB 1/80 aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 14 ARB 1/80, jedenfalls aber durch ein zwingendes Allgemeininteresse, namentlich die völkerrechtlich gebotene Terrorismusbekämpfung auch bereits im Vorfeld unmittelbarer terroristischer Handlungen, gerechtfertigt.

65

8. Nach der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG ist über die Länge der Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach Ermessen zu entscheiden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Diese gesetzgeberische Entscheidung ist mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom gleichen Tage - 1 C 27.16 - Rn. 20 ff.). Das Urteil des Senats zur Vorläuferfassung des § 11 AufenthG a.F., wonach eine gebundene Entscheidung zu treffen war (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.), erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihm ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen. Eine solche Ermessensentscheidung hat der Beklagte hier noch nicht getroffen. Vielmehr hat bisher das Verwaltungsgericht das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach der seinerzeit geltenden Rechtslage im Wege einer gebundenen Entscheidung auf acht Jahre festgesetzt.

66

Der Beklagte hat die nach neuem Recht nunmehr gebotene Ermessensentscheidung nachzuholen. Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange.

67

B. Der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellte (weitere) Hilfsantrag, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass dem Kläger auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie, ist unzulässig. Er stellt eine unzulässige Klageerweiterung im Revisionsverfahren dar (§ 142 Abs. 1 VwGO). Im Übrigen bedarf es einer solchen behördlichen Feststellung auch nicht. Aus dem für alle nationalen Behörden verbindlichen EuGH-Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) ergibt sich bis zu einer dem Gesetzgeber vorbehaltenen Anpassung der einschlägigen Fachgesetze hinreichend deutlich, dass dem Kläger - solange er die Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der EU-Anerkennungsrichtlinie genießt - auch die mit dieser Rechtsstellung einhergehenden Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie zustehen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift (vgl. dazu auch die vorstehenden Ausführungen in Rn. 55 f. dieses Urteils).

68

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat gewichtet den gegen die Ausweisung, die Meldeauflage, die Aufenthaltsbeschränkung und die Abschiebungsandrohung gerichteten Anfechtungsantrag mit 4/5 und den auf Befristung zielenden Verpflichtungsantrag mit 1/5 (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 46).

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus Deutschland. Hilfsweise erstrebt er eine neue Entscheidung des Beklagten über die Befristung des mit der Ausweisung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots.

2

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volkszugehörigkeit. Er wurde 1973 in der Türkei geboren, ist verheiratet und hat sieben Kinder. Er reiste 1997 nach Deutschland ein und beantragte hier Asyl, da er in der Türkei wegen seines Engagements in prokurdischen Vereinen und Parteien sowie verwandtschaftlichen Beziehungen zu Guerillakämpfern der sog. Arbeiterpartei Kurdistans - PKK - an Leib und Leben bedroht sei. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) vom 9. Oktober 1997 wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach dem damaligen § 51 Abs. 1 AuslG 1990 zuerkannt und zu seinen Gunsten ein Abschiebungsverbot wegen drohender Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK (damals § 53 Abs. 4 AuslG 1990) festgestellt. Der Kläger ist lediglich sporadisch und für kurze Zeiträume einer Erwerbstätigkeit nachgegangen, gleiches gilt für seine Ehefrau. Er bezieht mit seiner Familie Leistungen nach dem SGB II.

3

Vom 1. April 1998 bis zum 1. Dezember 2009 war der Kläger im Besitz jeweils befristeter Aufenthaltstitel. Am 13. März 2009 teilte das Bundesamt der Ausländerbehörde mit, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 73 Abs. 1 oder 2 AsylVfG nicht vorlägen. Im März 2009 stellte der Kläger bei der Ausländerbehörde der Stadt M. einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Auf Anfrage teilte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg der Ausländerbehörde im Mai 2009 mit, dass hinsichtlich der Person des Klägers "Erkenntnisse" vorlägen, über die das Innenministerium Baden-Württemberg gesondert informiert worden sei. Dessen ungeachtet wurde dem Kläger am 4. Dezember 2009 ohne weitere Mitteilung zum Stand der Sicherheitsüberprüfung eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG erteilt.

4

Das Regierungspräsidium K. teilte dem Kläger mit Schreiben vom 23. Juli 2010 mit, dass die Niederlassungserlaubnis in Unkenntnis der Sicherheitsbedenken erteilt worden sei und derzeit deren Rücknahme und eine Ausweisung geprüft werde. Hierzu werde dem Kläger die Möglichkeit eines Sicherheitsgesprächs zur weiteren Aufklärung gegeben. Dieses fand im Februar 2011 statt; allerdings verweigerte der Kläger mit Ausnahme eines durch ihn ausgefüllten Fragebogens die weitere Mitwirkung.

5

Mit Verfügung vom 10. Januar 2012 wies das Regierungspräsidium K. den Kläger aus (Ziffer 1) und stützte sich dabei auf § 54 Nr. 5, § 56 Abs. 1, § 55 AufenthG a.F. Zudem wurde der Kläger verpflichtet, sich zweimal wöchentlich unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapiers bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, und sein Aufenthalt wurde auf den Bereich der Stadt M. begrenzt (Ziffer 2).

6

Die Ausweisung sei gerechtfertigt, weil Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Kläger Vereinigungen unterstütze, die ihrerseits den Terrorismus unterstützten. So habe der Kläger nach den vorliegenden Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in den Jahren 2001 bis 2010 regelmäßig an näher bezeichneten Veranstaltungen und Demonstrationen der PKK-Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL teilgenommen und sei teilweise auch selbst als Redner bei derartigen Veranstaltungen aufgetreten. Von 2001 bis 2003/2004 sei er Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Kurdischer Kulturverein e.V." in L. gewesen. Außerdem sei er seit langem Vorstandsmitglied und nunmehr sogar zweiter Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM). Die Ausweisung sei trotz des dem Kläger als anerkanntem Flüchtling zustehenden besonderen Ausweisungsschutzes aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt und auch mit Blick auf die Bleibeinteressen des Klägers verhältnismäßig. Sie führe zudem nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung, vielmehr bleibe seine Abschiebung ausgesetzt, da ihr Abschiebungsverbote aufgrund der Rechtsstellung des Klägers als Flüchtling sowie nach § 60 Abs. 5 AufenthG entgegenstünden. Die angeordnete zweimalige wöchentliche Meldepflicht und die räumliche Beschränkung auf den Stadtbezirk M. beruhten auf § 54a AufenthG (a.F.) und seien mit Blick auf die gebotene Überwachung des Klägers und zur Eindämmung seiner gefahrbegründenden Aktivitäten erforderlich und angemessen.

7

Das Verwaltungsgericht hat die gegen die Verfügung gerichtete Klage mit Urteil vom 27. Januar 2015 abgewiesen, zugleich aber den Beklagten verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf acht Jahre nach Ausreise des Klägers zu befristen. Mit Urteil vom 13. Januar 2016 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung zurückgewiesen. Dabei hat er die angefochtene Ausweisungsverfügung an der seit dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung des AufenthG gemessen. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof insbesondere ausgeführt: Im Fall des Klägers liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, weil der Kläger in überwiegend herausgehobener Funktion die PKK und damit eine terroristische oder den Terrorismus unterstützende Vereinigung unterstützt habe. Dabei seien allerdings nur Aktivitäten nach Juli 2010 heranzuziehen, also nach der an den Kläger gerichteten Mitteilung, wegen seiner Aktivitäten werde die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft. Als tatbestandserhebliches Unterstützen sei hiernach jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirke. Nach diesem Maßstab seien die im Urteil im Einzelnen näher bezeichneten und durch den Kläger in der Sache eingeräumten Betätigungen als Teilnehmer, Mitglied, Redner und Versammlungsleiter bei diversen die PKK unterstützenden Veranstaltungen sowie als Vorstandsmitglied der die PKK unterstützenden YEK-KOM und deren Nachfolgeorganisation NAV-DEM als Unterstützungshandlung zu werten. Angesichts des Ablaufs der Veranstaltungen, der dort gehaltenen Reden und der klaren Ausrichtung auf den Führerkult um den PKK-Führer Öcalan sowie gefallene Märtyrer bestünden für das Berufungsgericht keine Zweifel daran, dass sich der Kläger den Zielen der PKK verpflichtet fühle und sie mit seinem Tun unterstützen wolle.

8

Die Ausweisungsverfügung werde auch dem erhöhten Ausweisungsschutz gerecht, der dem Kläger als anerkanntem Flüchtling nach § 53 Abs. 3 AufenthG zustehe. Denn es lägen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU vor, wonach ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel widerrufen werden könne.

9

Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse stehe ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber. Denn er habe eine Niederlassungserlaubnis besessen, die gerade durch die Ausweisungsverfügung betroffen sei. Er lebe mit deutschen Familienangehörigen (sechs seiner Kinder) in familiärer Lebensgemeinschaft und übe sein Personensorgerecht für seine minderjährigen Kinder aus. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung überwiege jedoch das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers.

10

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Revision und rügt in mehrfacher Hinsicht eine Verletzung von Bundesrecht. Zunächst habe das Berufungsgericht den Begriff des "Unterstützens" in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG fehlerhaft ausgelegt und angewandt. Der von ihm in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht angewandte Unterstützungsbegriff sei rechtsstaatlich nicht hinreichend konkret. Jedenfalls auf der Grundlage des neuen, seit Jahresanfang 2016 geltenden Ausweisungsrechts, das nach "schwerwiegenden" und "besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen" differenziere, sei dieser Unterstützungsbegriff nicht mehr als Abgrenzungskriterium geeignet. Notwendig sei ein gefahrenabwehrrechtlich ausgerichteter Unterstützungsbegriff, der sich etwa in Anlehnung an strafrechtliche Zurechnungskriterien wie Anstiftung oder Beihilfe oder die im Strafrecht für Organisationsdelikte entwickelten Zurechnungskriterien gewinnen lassen könne.

11

Fehlerhaft sei zudem die Auslegung und Anwendung von § 53 Abs. 3 AufenthG im Hinblick auf die sich aus Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie ergebenden Voraussetzungen. Denn das Berufungsgericht habe weder festgestellt, dass der Kläger unmittelbar der PKK angehöre, noch dass sich die YEK-KOM oder die NAV-DEM selbst terroristischer Methoden bedienten. Weiterhin verkenne das Berufungsgericht die durch den Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) aufgestellten Anforderungen an die festzustellenden Unterstützungshandlungen. Danach sei insbesondere zu prüfen, ob der Betroffene selbst terroristische Handlungen begangen habe, ob und in welchem Maße er an der Planung, an Entscheidungen oder an der Anleitung anderer Personen zum Zwecke der Begehung solcher Handlungen beteiligt war und ob und in welchem Umfang er solche Handlungen finanziert oder anderen Personen die Mittel für ihre Begehung verschafft habe. Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts habe der EuGH damit nicht lediglich beispielhaft die in den maßgeblichen Vorlagefragen des Ausgangsverfahrens vorgehaltenen Handlungen herausgegriffen, sondern in einem abschließenden Sinne bestimmte Kriterien vorgegeben.

12

Weiter setze der Gefahrenbegriff des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine "konkrete Gefahr" voraus. Weder der Wortlaut noch die der Vorschrift zugrunde liegende Entstehungsgeschichte rechtfertigten eine Absenkung dieser Gefahrenschwelle. Das Berufungsgericht hätte daher prüfen müssen, ob der Kläger die für die objektive Unterstützung zu Grunde gelegten Tatsachen und Umstände gekannt und eine zweckgerichtete Unterstützung auch gewollt habe.

13

Schließlich habe das Berufungsgericht verkannt, dass dem Kläger nach dem Urteil des EuGH vom 24. Juni 2015 selbst dann, wenn ihm der Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie entzogen werden dürfe, für die Zeit der Fortdauer seines Flüchtlingsstatus die Rechte nach Kapitel VII dieser Richtlinie erhalten bleiben. Deshalb beantragte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hilfsweise, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass ihm auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie.

14

Der Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und tritt der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bei.

15

Während des Revisionsverfahrens hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 20. Oktober 2016 die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes für den Kläger widerrufen und entschieden, ihm weder die Flüchtlingseigenschaft noch den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Gegen den Bescheid hat der Kläger Klage erhoben.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist im Wesentlichen unbegründet. Das Berufungsgericht hat die Ausweisung des Klägers und die ihm auferlegte Meldepflicht und Aufenthaltsbeschränkung im Ergebnis zu Recht als rechtmäßig eingestuft. Allerdings war auf der Grundlage der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG der Beklagte zu einer nunmehr gebotenen Ermessensentscheidung über die festzusetzende Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG zu verpflichten.

17

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren des Klägers auf Aufhebung der Ausweisung (Ziffer 1 des Bescheids) sowie der Meldeauflagen und Aufenthaltsbeschränkung (Ziffer 2 des Bescheids). Aber auch der Streit über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs - im Berufungsverfahren und anschließend im Revisionsverfahren angefallen. Denn das Befristungsbegehren ist als Minus notwendiger Bestandteil des Begehrens auf Aufhebung einer Ausweisung und kann daher von den Parteien nicht gesondert aus dem Verfahren ausgegliedert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 28 ff.). Hiervon sind im Übrigen vorliegend auch die Parteien übereinstimmend ausgegangen.

18

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der Meldepflicht und der Aufenthaltsbeschränkung sowie der vom Kläger hilfsweise begehrten Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 8 m.w.N.). Der Entscheidung sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162) zugrunde zu legen, zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155).

19

A. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG, weil der Kläger anerkannter Flüchtling ist.

20

1. Nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht ergibt sich der Grundtatbestand der Ausweisung aus § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

21

Das neue Ausweisungsrecht gibt das mit dem Ausländergesetz 1990 eingeführte dreistufige Konzept der Ist-, Regel- und Kann-Ausweisung auf. Stattdessen hat sich der Gesetzgeber für ein einheitliches System der rechtlich gebundenen Ausweisung entschieden ("wird ausgewiesen"), das vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. § 54 AufenthG benennt konkret die Gründe, wann das Ausweisungsinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt und knüpft damit an Tatbestände der früheren Ist- und Regelausweisung an. In § 55 AufenthG werden - spiegelbildlich hierzu - Tatbestände normiert, denen zufolge das Bleibeinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt, wobei auch die Aufzählung der "schwer" wiegenden Bleibeinteressen nicht abschließend ist. In § 53 Abs. 2 AufenthG werden Gesichtspunkte genannt, die bei der Abwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sind, insbesondere die Dauer des Aufenthalts, Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, Folgen der Ausweisung für Angehörige und Partner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat.

22

Die Rechtsprechung des Senats, die ihrerseits Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aufgreift (vgl. Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <301 ff.> und vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 14 ff.), hat bei der Entwicklung des neuen Ausweisungsrechts eine entscheidende Rolle gespielt (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 25. Februar 2015, BT-Drs. 18/4097 S. 49). Dabei griff der Gesetzgeber Vorschläge zur Neuregelung des Ausweisungsrechts auf, die Vertreter der Rechtsprechung unterbreitet haben (vgl. Dörig, NVwZ 2010, 921 <922>; Bergmann, ZAR 2013, 318 <322> sowie Gesetzesvorschlag Bergmann/Dörig vom Januar 2014, veröffentlicht in: Barwig u.a., Steht das europäische Migrationsrecht unter Druck?, 2014, S. 111 f.). Die Ausweisung setzt nunmehr nach § 53 Abs. 1 AufenthG eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Sofern nach dieser Gesamtabwägung das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib in Deutschland überwiegt, wird der Ausländer ausgewiesen, andernfalls kommt eine Aufenthaltsbeendigung nach § 53 Abs. 1 AufenthG nicht in Betracht.

23

Die Tatbestandsmerkmale der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" im ausweisungsrechtlichen Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG sind nach der Begründung des Gesetzgebers im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Auch die Gefährdung dieser Schutzgüter bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten wird. Mit Blick auf die verwendeten Begriffe sollte keine Ausweitung des Gefahrenbegriffs gegenüber dem bislang geltenden Recht erfolgen, vielmehr sollten lediglich die bislang verwandten unterschiedlichen Formulierungen aneinander angeglichen werden. Die von § 53 Abs. 1 AufenthG geforderte Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers in Deutschland erfolgt dabei nach der Intention des Gesetzgebers nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar.

24

Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" (Absatz 1) oder als "schwerwiegend" (Absatz 2). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sind neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Interessen aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Die Katalogisierung schließt demnach die Berücksichtigung weiterer Umstände im Rahmen der nach § 53 Abs. 2 AufenthG zu treffenden Abwägungsentscheidung nicht aus. Dies folgt bereits aus dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG, ist aber für die schwerwiegenden, aufgrund der Vielgestaltigkeit der Lebenssituationen bewusst nicht abschließend aufgezählten Bleibeinteressen in § 55 Abs. 2 AufenthG nochmals ausdrücklich normiert. Die nunmehr als schwerwiegend oder besonders schwerwiegend qualifizierten Ausweisungsinteressen im Sinne von § 54 AufenthG decken sich weitgehend - aber nicht vollständig - mit den früheren Gründen für eine Regel- und Ist-Ausweisung, die schwerwiegenden und besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen greifen Fälle des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 AufenthG a.F. auf.

25

Bei der Abwägung sind schließlich gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht ("Boultif/Üner-Kriterien"). Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen.

26

Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht.

27

2. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG festgestellt. Ein solches liegt dann vor, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wobei hiervon u.a. dann auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Ausländer einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er (jedenfalls) eine solche Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, er nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.

28

a) Der Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist dem Wortlaut nach weitgehend an den früheren Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung angelehnt, auf den die Ausweisungsverfügung auch ursprünglich gestützt war. Das Berufungsgericht hat für die Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu Recht dieselben rechtlichen Maßstäbe herangezogen, die der Senat zur Auslegung des früheren Regelausweisungstatbestandes nach § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung entwickelt hat.

29

In der Rechtsprechung des Senats war die Auslegung des Regelausweisungstatbestands des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung weitgehend geklärt. So ist anerkannt, dass eine Vereinigung den Terrorismus unterstützt, wenn sie sich selbst terroristisch betätigt oder wenn sie die Begehung terroristischer Taten durch Dritte veranlasst, fördert oder befürwortet. Die Schwelle der Strafbarkeit muss dabei nicht überschritten sein, da die Vorschrift der präventiven Gefahrenabwehr dient und auch die Vorfeldunterstützung durch sogenannte Sympathiewerbung erfasst. Der Tatbestand des Unterstützens des Terrorismus durch eine Vereinigung setzt allerdings voraus, dass die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung (auch) auf die Unterstützung des Terrorismus gerichtet sind; ein bloßes Ausnutzen der Strukturen einer Vereinigung durch Dritte in Einzelfällen reicht hierfür nicht aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 20 ff. und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 13 ff.).

30

Für den im Gesetz verwandten Begriff des Terrorismus sind Versuche, auf völkerrechtlicher Ebene eine allgemein anerkannte vertragliche Definition zu entwickeln, nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen. Jedoch können wesentliche Kriterien aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft im Beschluss des Rates Nr. 2002/475/JI vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (ABl. L 164 S. 3) sowie dem gemeinsamen Standpunkt des Rates 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001 (ABl. L 344 S. 93) gewonnen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die Aufnahme einer Organisation in die vom Rat der Europäischen Union angenommene Liste terroristischer Organisationen im Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93 - vgl. auch ABl. L 116 vom 3. Mai 2002, S. 75) ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass die Organisation terroristischer Art ist oder im Verdacht steht, eine solche zu sein (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 [ECLI:EU:C:2015:413], H.T./Land Baden-Württemberg - Rn. 83). Hier sind von den Tatsachengerichten ergänzende Feststellungen zu treffen. Dabei ist trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs anerkannt, dass als terroristisch jedenfalls der Einsatz gemeingefährlicher Waffen und Angriffe auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen sind (Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>, vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 19 und Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 10 C 48.07 - BVerwGE 132, 79 <87> m.w.N.).

31

Weiterhin ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass die individuelle Unterstützung einer terroristischen Vereinigung oder einer Vereinigung, die eine terroristische Vereinigung unterstützt, im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. alle Verhaltensweisen erfasst, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeit der Vereinigung auswirken. Darunter kann die Mitgliedschaft in der terroristischen oder in der unterstützenden Vereinigung ebenso zu verstehen sein wie eine Tätigkeit für eine solche Vereinigung ohne gleichzeitige Mitgliedschaft. Auch die bloße Teilnahme an Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen kann eine Unterstützung in diesem Sinne darstellen, wenn sie geeignet ist, eine positive Außenwirkung im Hinblick auf die durch § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. missbilligten Ziele zu entfalten. Auf einen nachweisbaren oder messbaren Nutzen für diese Ziele kommt es nicht an, ebenso wenig auf die subjektive Vorwerfbarkeit der Unterstützungshandlungen. Im Hinblick auf den Schutz der Meinungsfreiheit und das Gebot der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Betätigungsfreiheit des Einzelnen erfüllen allerdings solche Handlungen den Tatbestand der individuellen Unterstützung nicht, die erkennbar nur auf einzelne, mit terroristischen Zielen und Mitteln nicht im Zusammenhang stehende - etwa humanitäre oder politische - Ziele der Vereinigung gerichtet sind. Für den Ausländer muss schließlich die eine Unterstützung der Vereinigung, ihrer Bestrebungen oder ihrer Tätigkeit bezweckende Zielrichtung seines Handelns erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auf eine darüber hinaus gehende innere Einstellung des Ausländers kommt es hingegen nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 15 und 18 m.w.N.).

32

Diese vom Senat zur Auslegung von § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. entwickelten Grundsätze lassen sich entgegen dem Vorbringen der Revision auch auf den Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung nach dem neu gefassten § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG übertragen. Ein Vergleich der Textfassungen ergibt, dass der Gesetzgeber die früheren Regelausweisungstatbestände nach § 54 Nr. 5, 5a und 5b AufenthG a.F. in der neuen Vorschrift des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zusammengefasst hat, wobei unter den vorliegenden Umständen die Fälle staatsgefährdender Gewalttaten nach § 89a StGB außer Betracht bleiben können. Gegenüber dem früheren Recht ist der Hinweis entfallen, dass eine Ausweisung auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen nur gestützt werden kann, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Eine Änderung der materiellen Rechtslage ist damit aber nicht verbunden, da auch nach neuem Recht eine fortbestehende Gefahr erforderlich ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ("gefährdet") und ist implizit auch dem neuen Zusatz in § 54 Abs. 1 Nr. 2 letzter Halbsatz AufenthG zu entnehmen, wonach von einer Gefährdung nicht auszugehen ist, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt.

33

Den Gesetzgebungsmaterialien ist nichts dafür zu entnehmen, dass sich der Gesetzgeber hinsichtlich des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung für eine Abkehr von dem bisherigen Verständnis des Ausweisungstatbestandes hat entscheiden wollen. Zwar hat er in Satz 2 einen Halbsatz neu eingefügt, wonach ein Unterstützen nicht vorliegt, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt. Das stellt jedoch keine inhaltliche Änderung des Unterstützerbegriffs dar, sondern normiert lediglich ein in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits entwickeltes Kriterium zur individuellen Zurechnung eines Unterstützerverhaltens. Denn der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die objektive Tatsache der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in der Vergangenheit dem Ausländer dann nicht mehr zugerechnet werden kann, wenn er sich glaubhaft hiervon distanziert (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <131>, vom 30. April 2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 35 und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 17). Die nunmehr normierten Tatbestandsmerkmale lassen keine Abkehr von der Senatsrechtsprechung erkennen, denn ein "erkennbares Abstandnehmen" vom sicherheitsgefährdenden Handeln entspricht dem Distanzieren im Sinne der Senatsrechtsprechung. Allerdings findet sich in der Begründung zu dieser Neuregelung die Aussage, die Möglichkeit der "Exkulpation" zeige, dass der Betroffene Kenntnis davon gehabt haben müsse, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstütze, der "undolose Unterstützer" daher nicht unter die Regelung falle (BT-Drs. 18/4097 S. 51). Aus diesem Satz in der Gesetzesbegründung könnte man ableiten, der Gesetzgeber habe eine Regelung treffen wollen, nach der für die subjektive Seite des Unterstützens mehr erforderlich ist (Vorsatz) als nach dem bisherigen Verständnis (Erkennbarkeit). Wäre dies tatsächlich so Gesetz geworden, hätte dies eine nicht unerhebliche Einschränkung der Rechtsprechung zur subjektiven Zurechnung bedeutet, nach der es ausreicht, dass der Ausländer erkennen konnte, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstützt. Die Begründung hat jedoch im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden, denn nach diesem wird Vorsatz im Hinblick auf die terroristische Betätigung der unterstützten Vereinigung nicht verlangt. Es reicht somit auch für die Erfüllung des subjektiven Unterstützertatbestands weiterhin die Erkennbarkeit einer terroristischen Betätigung der Vereinigung aus. Vorsatz bleibt hingegen weiter erforderlich für das eigene Handeln des Ausländers, das von dem Ziel geleitet sein muss, die Vereinigung zu unterstützen. Für diese Auslegung spricht auch, dass der Gesetzgeber der Vorfeldunterstützung des Terrorismus durch die Gesetzesänderung erhöhte Bedeutung beimessen wollte, indem er den bisher als Tatbestand für eine Regelausweisung normierten Ausweisungsgrund zu einem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 AufenthG heraufstufte, was im bisherigen Recht dem Tatbestand einer zwingenden Ausweisung entsprochen hätte. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass das stärkere Gewicht, das der Gesetzgeber diesem Ausweisungsinteresse beimessen wollte (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 23), mit einer engeren Interpretation seiner Tatbestandsmerkmale einhergehen sollte.

34

Eine vom früheren Begriffsverständnis abweichende Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass dieser bisher eigenständige Tatbestand nunmehr in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG funktional mit einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verknüpft wird ("hiervon ist auszugehen, wenn"). Vielmehr ergibt eine systematische Auslegung der Vorschrift, dass der Inhalt des Ausweisungstatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung unverändert geblieben ist, während der Begriff der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland eine Erweiterung erfahren hat. Denn der Gesetzgeber hat mit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr kraft Gesetzes definiert, wann von einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen ist, nämlich (jedenfalls) dann, wenn eine der dort genannten Tatbestandsalternativen erfüllt ist. Die Auslegung des Begriffs der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland richtet sich daher (auch) nach diesen Tatbestandsalternativen, nicht umgekehrt. Anderes lässt sich hinsichtlich des Gefahrenmaßstabs auch nicht der Regelung des § 53 Abs. 1 AufenthG entnehmen. Denn anders als bei den übrigen Ausweisungsinteressen hat der Gesetzgeber in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG das Erfordernis einer Gefahr (nochmals) ausdrücklich aufgeführt, was unter systematischen Gesichtspunkten für eine gewisse Eigenständigkeit des Gefahrentatbestandes gegenüber § 53 Abs. 1 AufenthG fruchtbar gemacht werden kann. Es gilt damit nunmehr, dass das Gesetz bereits die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Bundesgebiet als eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ansieht, unabhängig davon ob die terroristische Vereinigung Gewaltakte auch auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland oder gegen deutsche Einrichtungen im Ausland begeht. Weiterhin gilt jedenfalls für die Fälle des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ein abgesenkter Gefahrenmaßstab, der auch Vorfeldmaßnahmen erfasst und keine von der Person des Unterstützers ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefahr erfordert. Die Rechtsprechung des Senats zur Unterstützung des Terrorismus durch Handlungen in dessen Vorfeld hat dem Rechnung zu tragen und dabei auch die Bedeutung zu berücksichtigen, die der Unionsgesetzgeber dieser Vorfeldunterstützung durch den Erwägungsgrund 37 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 S. 9) - EU-Anerkennungsrichtlinie - beimisst.

35

Ein Anlass für eine verfassungsrechtliche Neubewertung des Gefahrenmaßstabs besteht entgegen dem umfangreichen Revisionsvorbringen nicht. In der Rechtsprechung des Senats ist seit dem Urteil zum Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus - Terrorismusbekämpfungsgesetz - vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361, 3142) anerkannt, dass der Unterstützungsbegriff weit auszulegen und anzuwenden ist, um damit der auch völkerrechtlich begründeten Zielsetzung des Gesetzes gerecht zu werden, dem Terrorismus schon im Vorfeld die logistische Basis zu entziehen (BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <127 ff.>). Maßgeblich ist, inwieweit das festgestellte Verhalten des Einzelnen zu den latenten Gefahren der Vorfeldunterstützung des Terrorismus nicht nur ganz unwesentlich oder geringfügig beiträgt und deshalb selbst potenziell gefährlich erscheint. Wegen der tatbestandlichen Weite des Unterstützungsbegriffs ist allerdings bei der Anwendung der Vorschrift darauf zu achten, dass nicht unverhältnismäßig namentlich in das auch Ausländern zustehende Recht auf freie Meinungsäußerung jenseits der zumindest mittelbaren Billigung terroristischer Bestrebungen eingegriffen wird. Einen bislang nicht berücksichtigten verfassungsrechtlichen Rechtssatz, der den so umschriebenen Ausgleich zwischen dem legitimen und schon wegen seiner völkerrechtlichen Vorgaben besonders gewichtigen gesetzgeberischen Ziel der Terrorismusbekämpfung und den geschützten Grundrechtspositionen eines Ausländers infrage stellen würde, zeigt die Revision nicht auf. Insbesondere sprechen der Charakter der Ausweisung als Maßnahme der Gefahrenabwehr sowie die spezifische Zielsetzung der Terrorismusbekämpfung gegen eine Übertragung strafrechtlicher Rechtsprechungsgrundsätze, wie sie etwa für die Abgrenzung strafbarer und straffreier Meinungsäußerungen gelten. Der Senat hält auch unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an seiner bisherigen Rechtsprechung fest.

36

b) Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG angenommen. Dies gilt sowohl für die Qualifizierung der PKK als terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung (aa) als auch - jedenfalls im Ergebnis - für die Qualifizierung der Handlungen des Klägers als relevante Unterstützungshandlungen (bb). Ebenso wenig zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen hat (cc).

37

(aa) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Qualifizierung der PKK als eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Das Gericht legt seiner Entscheidung die in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze für die Definition einer terroristischen Vereinigung zugrunde (UA Bl. 27 f.) und geht damit von einem zutreffenden Maßstab aus. Für die Bewertung der PKK als eine solche Vereinigung hat das Gericht zunächst darauf abgestellt, dass sie auch noch aktuell auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist, ohne diesem Umstand eine über einen deutlichen Anhaltspunkt hinausgehende Bedeutung beizumessen (UA Bl. 31). Hieran anknüpfend hat das Berufungsgericht sodann auf der Grundlage der ihm vorliegenden Erkenntnismittel festgestellt, dass die PKK zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele in der Türkei weiterhin Gewalttaten gegen staatliche Einrichtungen und Amtsträger sowie die Zivilbevölkerung verübt und im Übrigen etwa zur Finanzierung ihrer Aktivitäten oder zur Bekämpfung von Kritikern auch nicht vor Verbrechen gegenüber ihren eigenen Anhängern und auch darüber hinaus gegenüber der kurdischstämmigen Bevölkerung insgesamt zurückschreckt. Insbesondere sei die zwischen dem türkischen Staat und der PKK ausgehandelte (relative) Waffenruhe seitens der PKK zuletzt Ende Juli 2015 ausdrücklich aufgekündigt worden (UA Bl. 32 f.). Diese tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts sind von der Revision nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen worden und daher für den Senat bindend. Sie erlauben dem Senat zudem eine eigene rechtliche Bewertung des Inhalts, dass die PKK eine terroristische Vereinigung darstellt und nicht lediglich eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung.

38

(bb) Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist auch die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, dass der Kläger die PKK in rechtserheblicher Weise individuell unterstützt hat. Allerdings ist das Gericht unter Verstoß gegen Bundesrecht davon ausgegangen, dass zu Lasten des Klägers nur solche Unterstützungshandlungen berücksichtigt werden dürfen, die in zeitlicher Hinsicht nach der Mitteilung des Regierungspräsidiums vom Juli 2010 lagen, wonach eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft würden.

39

Das Berufungsgericht ist insoweit rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass ein Ausweisungsinteresse bereits dann aus Gründen des Vertrauensschutzes verbraucht ist und nicht mehr zur Begründung einer Ausweisung herangezogen werden kann, wenn ein Aufenthaltstitel in Kenntnis oder dem Staat zuzurechnender Unkenntnis erteilt oder verlängert wurde (UA S. 34 f.). Zwar ist in der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich anerkannt ist, dass Ausweisungsgründe in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und so lange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind und die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <313> und vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <121 f.>). Aus der Ableitung dieser Kriterien aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt jedoch, dass die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Aus der Rechtsprechung des Senats ergibt sich zudem, dass ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers schützenswert sein muss. Hieran fehlt es, wenn die Ausländerbehörde - wie vorliegend - dem Kläger auf dessen Anfrage zum Stand des Verfahrens auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis lediglich mitteilt, dass gegenwärtig noch eine Sicherheitsüberprüfung stattfinde, und dann zu einem späteren Zeitpunkt ohne jegliche Erläuterung zum Ausgang der Sicherheitsüberprüfung die begehrte Niederlassungserlaubnis erteilt. Auf dieser Grundlage kann der Betroffene nämlich weder wissen, welchen konkreten Umständen die Ausländerbehörde im Rahmen ihrer Sicherheitsüberprüfung nachgegangen ist, noch zu welchen konkreten Erkenntnissen sie hierbei nach Abschluss der Überprüfung gelangt ist. Daher kann der Betroffene aus der Erteilung der Niederlassungserlaubnis billigerweise auch nicht schließen, dass die Ausländerbehörde bei ihrer Sicherheitsüberprüfung alle als potentielle Versagungsgründe in Betracht kommenden Umstände tatsächlich ermittelt und sodann als für die Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis unbeachtlich eingestuft hat.

40

Das angefochtene Urteil beruht jedoch nicht auf diesem Rechtsverstoß, weil das Berufungsgericht auch ohne Berücksichtigung der vor dem für maßgeblich erachteten Zeitpunkt liegenden Umstände von rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen des Klägers ausgegangen ist und die diesbezüglichen Feststellungen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sind. Im Übrigen wäre der Kläger durch die Nichtberücksichtigung weiterer, ihn belastender Umstände auch nicht beschwert. Im Einzelnen hat das Berufungsgericht für die Bestimmung der rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen zutreffend auf die in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäbe zu § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung abgestellt (UA Bl. 35 ff.). Keine abweichende Beurteilung ergibt sich aus dem Einwand des Klägers, die PKK nicht unmittelbar unterstützt zu haben, sondern sich in legalen Vereinigungen betätigt zu haben, die ihrerseits die PKK im Wissen um deren Charakter gewollt und gezielt unterstützen. Denn es stellt keine verminderte Gefahr der Vorfeldunterstützung des Terrorismus dar, wenn die Unterstützung terroristischer Vereinigungen nicht durch isolierte Einzelhandlungen, sondern in Vereinigung mit anderen erfolgt. Hierin liegt auch kein Fehlen der Unmittelbarkeit der Unterstützungshandlungen.

41

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht sodann nach Auswertung der ihm vorliegenden umfangreichen Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden festgestellt, dass der Kläger über mehrere Jahre in teils hervorgehobener Funktion als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter oder Redner regelmäßig an Veranstaltungen teilgenommen und mitgewirkt hat, bei denen offene Propaganda für die PKK betrieben worden ist (UA Bl. 39 - 42). Unter Einbeziehung der Aktivitäten des Klägers in der Zeit seit 2001, wie sie in der Ausweisungsverfügung (S. 3 - 9, 16 - 23) aufgelistet, vom Kläger nicht in Abrede gestellt und vom Berufungsgericht in Bezug genommen worden sind (UA S. 39 f.), stellt sich das Unterstützungshandeln des Klägers wie folgt dar: Der Kläger war von 2001 bis 2003/2004 Vorsitzender des "Kurdischen Kulturverein e.V." in L., der der KONGRA-GEL nahestand. Im Oktober 2004 wurde er in das 15-köpfige Führungskomitee der "Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland" (YEK-KOM) gewählt und gehörte diesem bis zur Auflösung der YEK-KOM im Jahr 2014 an, zeitweilig (bis 2011) war er der 2. Vorsitzende der Vereinigung. Er hat sich im Juni 2014 in den fünfköpfigen Vorstand der die PKK unterstützenden NAV-DEM wählen lassen und diese Vorstandstätigkeit bis zum Tage der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausgeübt (UA Bl. 43 - 45).

42

Der Kläger beteiligte sich seit Mitte 2003 regelmäßig an Kundgebungen und Demonstrationen in unterschiedlichen deutschen Städten (u.a. Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg, Frankfurt, Gelsenkirchen, Düsseldorf, Stuttgart) und in Straßburg/Frankreich, die sich unter anderem für eine Freilassung des inhaftierten PKK-Führers Öcalan aussprachen, des Gründungsjahrestags der PKK und/oder der "Märtyrer des kurdischen Freiheitskampfes" gedachten und Parolen auf die PKK ausriefen. Der Kläger hielt auf einigen dieser Veranstaltungen eine Rede, im Februar 2007 hob er dabei die Bedeutung der Gefallenen für die kurdische Sache hervor, im Januar 2009 sprach er zur aktuellen Lage der Kurden in ihrer Heimat, im März 2010 kritisierte er die Exekutivmaßnahmen der belgischen Polizei gegenüber dem kurdischen TV-Sender ROJ-TV, im November 2011 sprach er auf einer Kundgebung, die zum Thema u.a. die Verwendung von Napalmgas und chemischer Waffen gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei hatte, im Januar 2013 verurteilte er auf einer Kundgebung die Ermordung von drei PKK-Aktivisten in Paris, im Oktober 2015 hielt er anlässlich einer Protestaktion der NAV-DEM in Frankfurt eine Rede.

43

Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger nicht nur seine individuellen Unterstützungshandlungen, sondern sämtliche Aktionen der YEK-KOM und der NAV-DEM aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied persönlich zuzurechnen sind. Die YEK-KOM, der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK nach den gerichtlichen Feststellungen durch eine Vielzahl von Aktionen. Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen oder ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie "Freiheit für Öcalan" und "Frieden für Kurdistan". Im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die "logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans" verankert. Der Verein biete der PKK oder ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Für die NAV-DEM gilt nach den getroffenen Feststellungen nichts anderes. Der Verein sei keine Neugründung, sondern eine Umbenennung des Vereins YEK-KOM. Im Übrigen werde deutlich, dass die NAV-DEM ihre Veranstaltungen und Kundgebungen mit gleichem Ablauf und gleichen Themen durchführe wie zuvor schon unter dem Namen YEK-KOM. Diese zutreffende Würdigung bedeutet auch nicht, dass jeder Einsatz für die Interessen und Belange kurdischer Volkszugehöriger (oder eine Kritik an der Kurdenpolitik der Türkischen Republik) als eine Unterstützung der PKK und damit des Terrorismus einzuordnen wäre.

44

(cc) Soweit schließlich nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausscheidet, wenn der Ausländer ernsthaft und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt, hat das Berufungsgericht ebenfalls in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der Kläger ausweislich seines auch während des Ausweisungsverfahrens fortgesetzten Engagements als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter und Redner auch künftig an seiner Unterstützung der PKK festhalten wird. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Unterstützerverhalten des Klägers sind detailreich und stellen - entgegen der Auffassung der Revision - keine zu schmale Tatsachengrundlage für die getroffenen Feststellungen dar. Damit erfüllt der Kläger die gesetzlichen Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, und es liegt ein Ausweisungsinteresse vor, das besonders schwer wiegt.

45

3. Die angefochtene Verfügung des Beklagten erfüllt auch die besonderen Voraussetzungen, die nach § 53 Abs. 3 AufenthG an die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings zu stellen sind. Ein solcher darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

46

a) Diese den Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG ergänzende Vorschrift legt erhöhte Ausweisungsvoraussetzungen für mehrere rechtlich privilegierte Personengruppen fest, nämlich für Ausländer, die als Asylberechtigte anerkannt sind, die im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießen, die einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention besitzen, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder die eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU besitzen. Für all diese Personengruppen gilt der besondere aus Art. 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG abgeleitete Maßstab, den der Gerichtshof der Europäischen Union auch auf Ausländer erstreckt hat, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - C-371/08 [ECLI:EU:C:2011:809], Ziebell - Slg. 2011, I-12735 Rn. 79, 86). Der Senat folgt nicht der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, wonach die Voraussetzungen des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 53 Abs. 3 AufenthG von vornherein "bereichsspezifisch" gemäß dem durch das Unionsrecht für den jeweiligen Personenkreis bestimmten Ausweisungsschutz auszulegen sind. Vielmehr hat der Gesetzgeber den unionsrechtlichen Schutzstandard für daueraufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige für ausreichend befunden und dessen Geltung für alle genannten Personengruppen angeordnet. Dies entbindet freilich nicht davon, in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob für die jeweils betrachtete Personengruppe der so durch den nationalen Gesetzgeber definierte Ausweisungsschutz dem unionsrechtlichen Maßstab tatsächlich genügt. Nur wenn der unionsrechtliche Maßstab strenger ist als derjenige, der durch den Gesetzgeber in § 53 Abs. 3 AufenthG festgelegt worden ist, bedarf § 53 Abs. 3 AufenthG nach allgemeinen Grundsätzen einer unionsrechtskonformen Auslegung, die angesichts der Weite der Tatbestandsmerkmale und des erkennbaren gesetzgeberischen Willens, europarechtlichen Maßstäben zu genügen, auch möglich ist (so auch Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 54).

47

Im vorliegenden Fall ist § 53 Abs. 3 AufenthG unionsrechtskonform nach den Vorgaben der EU-Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU auszulegen. Die Richtlinie formuliert keine Vorgaben für eine Ausweisung im Sinne des deutschen Rechts, wohl aber für eine Zurückweisung in den Herkunftsstaat (Art. 21 Abs. 2 und 3) und für den Entzug des Aufenthaltstitels (Art. 24 Abs. 1).

48

b) Nach Art. 21 Abs. 3 der EU-Anerkennungsrichtlinie darf ein Mitgliedstaat den einem Flüchtling erteilten Aufenthaltstitel widerrufen, wenn die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 2 vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 2012 - 1 C 8.11 - BVerwGE 143, 138 Rn. 21). Fällt ein Flüchtling nicht in den Anwendungsbereich von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie, kann auch Abs. 3 dieser Vorschrift nicht zu Anwendung kommen (EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 - Rn. 44). Eine Zurückweisung ist nach Art. 21 Abs. 2 Buchst. a zulässig, wenn es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass der Flüchtling eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält. Es kann offenbleiben, ob vom Kläger eine Gefahr im Sinne dieser Vorschrift ausgeht, denn die Zurückweisung ist nur unter der weiteren Voraussetzung rechtmäßig, dass sie dem Mitgliedstaat nicht aufgrund seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen untersagt ist (Art. 21 Abs. 2). Dazu zählen die Verpflichtungen aus Art. 3 EMRK (vgl. Begründung der Kommission im Richtlinienvorschlag vom 12. September 2001 KOM (2001) 510 endg. S. 33 zu Art. 19). Dem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK kommt absoluter Charakter zu; es kann mithin - anders als das Refoulement-Verbot nach Art. 33 Abs. 1 GFK - nicht unter den Voraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 Richtlinie 2011/95/EU i.V.m. Art. 35 Abs. 2 GFK durchbrochen werden (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 5. April 2016 - C-404/15 und C-659/15 PPU [ECLI:EU:C:2016:198], Aranyosi und Căldăraru - Rn. 85 - 87; EGMR, Urteil vom 17. Dezember 1996 - Nr. 71/1995/577/663, Ahmed/Österreich - NVwZ 1997, 1100 Rn. 39 - 41). Für den Kläger besteht ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK. Denn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat im Anerkennungsbescheid vom 9. Oktober 1997 nicht nur die Flüchtlingseigenschaft des Klägers nach dem seinerzeit maßgeblichen § 51 Abs. 1 AuslG 1990, sondern auch ein Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990 hinsichtlich der Türkei festgestellt und dieses damit begründet, dass dem Kläger in der Türkei unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Diese Feststellung des Bundesamts begründet hier ein - absolutes - nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Insoweit kommt der Feststellung des Bundesamts im vorliegenden Verfahren über § 42 AsylG auch Bindungswirkung zu. Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU begrenzt damit den behördlichen Handlungsspielraum für eine Abschiebung in einen Verfolgerstaat oder einen Staat, in dem Gefahren nach Art. 3 EMRK drohen. Die Vorschrift setzt jedoch keine Maßstäbe für eine lediglich "inlandsbezogene" Ausweisung, die - wie hier - insbesondere den Verlust des Aufenthaltstitels zur Folge hat.

49

c) Unionsrechtliche Maßstäbe für eine zum Verlust des Aufenthaltstitels eines Flüchtlings führende inlandsbezogene Ausweisung lassen sich aus Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie gewinnen. Die Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten, einem Flüchtling so bald wie möglich nach der Anerkennung einen Aufenthaltstitel auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.

50

(aa) Der Inhalt dieser Norm wurde vom Gerichtshof der Europäischen Union in einem auf ein Vorlageersuchen des Berufungsgerichts ergangenen Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) näher bestimmt. Die Entscheidung bezieht sich zwar auf Art. 24 Abs. 1 der EG-Anerkennungsrichtlinie 2004/83/EG, ihre Aussagen sind aber uneingeschränkt auf die in der Sache unveränderte Vorschrift des Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU übertragbar. Danach kann einem Flüchtling nach Art. 24 Abs. 1 nicht nur die Erteilung eines Aufenthaltstitels versagt werden, sondern der erteilte Aufenthaltstitel auch nachträglich widerrufen werden, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen (a.a.O. Rn. 55). Soweit in der Neufassung der Vorschrift nunmehr von zwingenden Gründen der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung die Rede ist, ist damit keine inhaltliche Änderung verbunden. Diese Wirkung einer Entziehung des Aufenthaltstitels kommt der hier verfügten Ausweisung zu, die wegen des entgegenstehenden Abschiebungsverbots nach Art. 3 EMRK nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung führt. Entgegen einer am Wortlaut orientierten Auslegung von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie hat der darin verwendete Begriff der "zwingenden Gründe" nach dem EuGH-Urteil eine weitere Bedeutung als der Begriff der "stichhaltigen Gründe" in Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie. Das bedeutet, dass bestimmte Umstände, die nicht den Schweregrad aufweisen, um eine Zurückweisung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie verfügen zu können, den Mitgliedstaat gleichwohl dazu berechtigen können, auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie dem betroffenen Flüchtling seinen Aufenthaltstitel zu entziehen (a.a.O. Rn. 75).

51

Bei der Bestimmung des Bedeutungsgehalts der "zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" hat der EuGH zunächst Bezug auf seine Rechtsprechung zu den Begriffen der "öffentlichen Sicherheit" und der "öffentlichen Ordnung" in Art. 27 und 28 der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG genommen (a.a.O. Rn. 77 ff.). Danach umfasst der Begriff "öffentliche Sicherheit" im Sinne von Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats. Die öffentliche Sicherheit kann danach berührt sein, wenn das Funktionieren staatlicher Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste beeinträchtigt wird oder eine Gefahr für das Überleben der Bevölkerung oder einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker besteht oder militärische Interessen beeinträchtigt werden. Dabei deutet der Begriff der "zwingenden Gründe" auf einen besonders hohen Schweregrad der Beeinträchtigung hin (a.a.O. Rn. 78). Den Begriff der "öffentlichen Ordnung" hat der EuGH für die Unionsbürgerrichtlinie dahin ausgelegt, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliegen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (a.a.O. Rn. 79). Zugleich betont er, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, nach ihren nationalen Bedürfnissen, die je nach Mitgliedstaat und Zeitpunkt unterschiedlich sein können, zu bestimmen, was die öffentliche Ordnung und Sicherheit erfordern (a.a.O. Rn. 77).

52

Für den Fall der Unterstützung des Terrorismus hat der EuGH zudem auf den 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83/EG, heute 37. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95/EU hingewiesen, wonach der Begriff der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" auch für die Fälle gilt, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt. Dabei muss das nationale Gericht in einem ersten Schritt prüfen, ob die Handlungen der fraglichen Organisation die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedrohen. Wird eine vom Flüchtling unterstützte Vereinigung in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93) geführt, ist dies ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie entweder eine terroristische Organisation ist oder im Verdacht steht, eine solche Organisation zu sein (a.a.O. Rn. 83). Allein der Umstand, dass ein Flüchtling eine solche Organisation unterstützt hat, darf jedoch nicht automatisch zur Aufhebung seines Aufenthaltstitels führen. Vielmehr ist in einem zweiten Schritt einzelfallbezogen die Rolle zu prüfen, die der Betreffende im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt hat (a.a.O. Rn. 90), und auch der Schweregrad der Gefahr zu beurteilen, die von seinen Handlungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (a.a.O. Rn. 92).

53

(bb) Das Berufungsgericht hat die vom Kläger geleisteten und ihm zuzurechnenden Unterstützungshandlungen an dem vom EuGH präzisierten Maßstab für die Auslegung des Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie gemessen und ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass sich hieraus zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ergeben, die einen Entzug des Aufenthaltstitels gegenüber dem Kläger rechtfertigen. Das Gericht hat bereits im Rahmen seiner Prüfung des besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausführlich begründet, warum die PKK eine terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung darstellt (UA S. 27 - 34). Dabei hat es gewürdigt, dass die PKK auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist und auch weiterhin terroristische Aktivitäten entfaltet. In einem zweiten Schritt hat es näher dargelegt, warum die in Deutschland agierenden Vereinigungen YEK-KOM und NAV-DEM, für die der Kläger seit mehr als zwölf Jahren in hervorgehobenen Funktionen wirkte, und der Kläger auch individuell durch Anmeldung und Leitung von Versammlungen sowie Redebeiträge und weitere Aktivitäten die PKK unterstützt haben und weiter unterstützen (UA S. 55, 34 - 48). Die Bewertung des Berufungsgerichts, dass der Kläger damit die Voraussetzungen für den Entzug seines Aufenthaltstitels nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie erfüllt, steht mit der Rechtsprechung des EuGH in Einklang. Zwar hat er selbst keine terroristischen Handlungen begangen, auch nicht andere Personen hierzu angeleitet oder sich an der Planung oder Finanzierung terroristischer Aktionen beteiligt, wie das der EuGH als mögliches Unterstützerhandeln erwähnt (a.a.O. Rn. 90). Diese Aufzählung des Gerichtshofs ist jedoch nur beispielhaft, macht zugleich aber deutlich, dass der Betreffende eine gewichtige Rolle im Rahmen seiner Unterstützung der terroristischen Organisation gespielt haben muss.

54

Bei der Frage, was als gewichtig anzusehen ist, ist der 37. Erwägungsgrund der Richtlinie zu berücksichtigen, wonach auch die Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, und die Unterstützung einer derartigen Vereinigung als Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung anzusehen sind. Die abschließende Bewertung, ob die Unterstützungshandlung hinreichend gewichtig ist, um "zwingende Gründe" darzustellen, überlässt der Gerichtshof dem verantwortlichen nationalen Gericht und erkennt auch einen Einschätzungsspielraum der Mitgliedstaaten an, nach ihren nationalen Bedürfnissen zu bestimmen, was die nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung erfordern. Diese abschließende Bewertung hat das Berufungsgericht dahin getroffen, dass die Unterstützungshandlungen des Klägers dem von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie geforderten Gewicht entsprechen. Es hat dies auf der Grundlage der Gewichtungsvorgabe des nationalen Gesetzgebers in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nachvollziehbar mit dem mehr als zwölfjährigem Unterstützerhandeln des Klägers in hervorgehobener Position innerhalb zweier Vereinigungen begründet, in dessen Rahmen er an zahlreichen Veranstaltungen mitwirkte, an denen sich Akteure beteiligten, die offen für die PKK warben und deren Kurs vorbehaltlos befürworteten (Auftreten in Guerillauniform, Märtyrergedenken, Grußbotschaften an die Kämpfer an der Front usw.). Für das Gewicht seines Unterstützerhandelns durfte das Gericht auch berücksichtigen, dass der Kläger nach den tatrichterlichen Feststellungen in vollem Bewusstsein um dessen Bedeutung für den ideologischen Zusammenhalt der PKK und in dem Willen gehandelt hat, diese vorbehaltlos auch in Bezug auf deren terroristische Aktivitäten zu unterstützen (UA S. 55).

55

(cc) Der EuGH hat in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13 Rn. 95 ff.) aber hervorgehoben, dass ein Flüchtling, dessen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie aufgehoben wird, seinen Flüchtlingsstatus behält, sofern und solange ihm nicht dieser Status entzogen worden ist. Daher ist er auch nach dem Verlust seines Aufenthaltstitels weiterhin Flüchtling und hat in dieser Eigenschaft weiterhin Anspruch auf die Vergünstigungen, die das Kapitel VII der Richtlinie jedem Flüchtling gewährleistet, so insbesondere auf Schutz vor Zurückweisung, auf Wahrung des Familienverbands, auf Ausstellung von Reisedokumenten, auf Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung, zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie auf Zugang zu Integrationsmaßnahmen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift. Diese Rechte dürfen, auch soweit sie nach nationalem Recht an den Besitz eines Aufenthaltstitels anknüpfen, von den zuständigen Behörden daher nicht mit der Begründung versagt werden, dass der Aufenthalt des Flüchtlings infolge der Ausweisung rechtswidrig geworden ist. Allerdings darf die Ausstellung eines Reiseausweises nach Art. 25 EU-Anerkennungsrichtlinie versagt werden, wenn - etwa zur Begegnung der Gefahr terroristischen Unterstützungshandelns - zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung entgegenstehen. Ebenso dürfen nach Art. 33 der Richtlinie aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen verfügt werden, wenn diese aus Gründen der öffentlichen Sicherheit auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern zulässig sind.

56

Eventuelle Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der dem Flüchtling auch nach Entzug des Aufenthaltstitels weiter zustehenden Rechte nach Kapitel VII der EU-Anerkennungsrichtlinie infolge unzureichender Umsetzung der Richtlinie in den einschlägigen nationalen Fachgesetzen berühren nicht die Rechtmäßigkeit der verfügten Ausweisung. An die Beachtung der einen Flüchtling unmittelbar begünstigenden Vorschriften in Kapitel VII der Richtlinie und die hierzu ergangene Rechtsprechung des EuGH sind seit Ablauf der Umsetzungsfrist alle nationalen Behörden gebunden. Der Flüchtling hat seine Rechte gegenüber den jeweils zuständigen Behörden und erforderlichenfalls Gerichten geltend zu machen. Auch die Generalanwältin hat es insoweit als die Pflicht der nationalen Gerichte angesehen, für die volle Wirksamkeit der Bestimmungen der Richtlinie Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede entgegenstehende Vorschrift des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 11. September 2014 - C-373/13 - Rn. 114 letzter Absatz).

57

4. Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen gewichtige Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1, § 55 AufenthG gegenüber. Diese hat das Berufungsgericht zutreffend bestimmt (UA S. 59 f.). Es hat berücksichtigt, dass der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besessen hat, die durch die Ausweisungsverfügung betroffen ist, er mit deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und er sein Personensorgerecht für minderjährige ledige Deutsche ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG).

58

5. Das Berufungsgericht hat das öffentliche Ausweisungsinteresse gegen die Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG unter Berücksichtigung der den Einzelfall prägenden Umstände abgewogen und ist unter Beachtung des hierfür zentralen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass das Ausweisungsinteresse überwiegt (UA S. 60 - 64). Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Gericht hat berücksichtigt, dass der Kläger besonderen Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie genießt, hier allerdings auf absehbare Zeit keine Aufenthaltsbeendigung beabsichtigt ist, da ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht. Es hat seinen langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und seine familiären Bindungen im Sinne von Art. 6 GG, Art. 8 EMRK gewürdigt, diesen durch die Verfügung allerdings insoweit nicht als beeinträchtigt angesehen, als keine Aufenthaltsbeendigung erfolgt. Es hat bei seiner Abwägung berücksichtigt, dass der Kläger in seinen geschützten Bindungen dadurch betroffen ist, dass sein Aufenthalt auf das Gebiet der Stadt M. beschränkt und er Meldeauflagen unterworfen ist. Weitere schützenswerte Bindungen hat das Gericht nicht anerkannt und dies nachvollziehbar damit begründet, dass der Kläger ungeachtet seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland kaum deutsch spricht, nur sporadisch und für kürzere Zeiträume erwerbstätig war und seit längerem von Sozialleistungen abhängig ist. Schließlich hat das Berufungsgericht in die Abwägung eingestellt, dass es der Kläger in der Hand hat, durch eine glaubhafte Abkehr von seinem bisherigen Verhalten eine Aufhebung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu erreichen.

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6. Ohne Rechtsverstoß wertet das Berufungsurteil die in Ziffer 2 der angefochtenen Verfügung angeordnete Aufenthaltsbeschränkung und die verfügten Meldeauflagen als rechtmäßig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliegt ein Ausländer, gegen den - wie hier - eine Ausweisungsverfügung aufgrund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG besteht, der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Gestützt auf diese Ermächtigung hat der Beklagte bestimmt, dass sich der Kläger zweimal wöchentlich zu melden hat. Ferner hat er den Aufenthalt des Klägers auf den Bereich der Stadt M. beschränkt, wie das § 56 Abs. 2 AufenthG vorsieht, wenn die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft. Diese aufenthaltsbeschränkenden Maßnahmen durften gegenüber dem Kläger trotz dessen Rechtsstellung als Flüchtling ergehen. Dadurch wird sein Recht auf Freizügigkeit gemäß Art. 33 EU-Anerkennungsrichtlinie nicht verletzt. Denn derartige Maßnahmen dürfen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, wie sie hier wegen des Erfordernisses der Abwehr von terrorismusfördernden Aktivitäten vorliegen, auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern verfügt werden (§ 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG).

60

7. Zutreffend ist das Berufungsgericht auch zu dem Ergebnis gekommen, dass die für die Ausweisung des Klägers anwendbaren Regelungen des Ausweisungsrechts nicht gegen assoziationsrechtliche Verschlechterungsverbote aus Art. 13 ARB 1/80, Art. 7 ARB 2/76 und Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen (BGBl. 1972 II S. 385) verstoßen. Dabei kann offenbleiben, ob hier überhaupt eines der Verschlechterungsverbote Anwendung findet. Denn der zum 1. Januar 2016 eingeführte Übergang von einer Ermessensentscheidung zu einer gebundenen Entscheidung stellt keine Verschlechterung der Rechtsstellung des betroffenen Ausländers dar (a). Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung bewirkte zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für betroffene Ausländer, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt (b).

61

a) Die zum 1. Januar 2016 eingeführte Neuregelung des Ausweisungsrechts, die die bisherige Ermessensausweisung durch eine am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte gebundene Ausweisung abgelöst hat, hat die Rechtsstellung der Ausländer in der hier gebotenen und auch unionsrechtlich statthaften Gesamtschau nicht verschlechtert, sondern jedenfalls teilweise verbessert. Denn bisher sah das Gesetz Tatbestände einer zwingenden Ausweisung (Ist-Ausweisung), regelmäßig erfolgenden Ausweisung (Soll-Ausweisung) und Ausweisung nach Ermessen (Kann-Ausweisung) vor. Die zwingende Ausweisung und die regelmäßig erfolgende Ausweisung widersprachen für den Personenkreis der unionsrechtlich privilegierten Ausländer der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach eine Ausweisung ausschließlich auf ein persönliches Verhalten des Ausländers gestützt werden darf, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 [ECLI:EU:C:2004:262], Orfanopoulos und Oliveri - Slg. 2004, I-5257 Rn. 66 f.). Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass eine Regelung gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, wonach eine Ausweisung automatisch aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung verfügt wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird (a.a.O. Rn. 70). Aber auch die nationale Bestimmung über die Regelausweisung hat für den Gerichtshof den Anschein erweckt, dass trotz der Berücksichtigung individueller Umstände ein gewisser Automatismus oder jedenfalls eine Vermutung besteht, dass der betreffende Staatsangehörige auszuweisen ist (a.a.O. Rn. 92).

62

Daraus hat das Bundesverwaltungsgericht die Schlussfolgerung gezogen, dass die gesetzliche Regelung zur zwingenden Ausweisung und Regelausweisung auf unionsrechtlich privilegierte Ausländer nicht mehr angewendet werden darf (BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <302> betreffend Unionsbürger und - 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <321> betreffend Assoziationsberechtigte nach ARB 1/80). Der Gesetzgeber hat daraus durch das zum 1. Januar 2016 in Kraft getretene neue Ausweisungsrecht die Konsequenzen gezogen. Insofern stellt die neue Rechtslage eine Verbesserung gegenüber der bisherigen dar. Eine Ausweisung nach neuem Recht hat eine einzelfallbezogene umfassende Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen und orientiert sich dabei strikt am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 53 Abs. 1 und 2 AufenthG). Damit setzt der Gesetzgeber Vorgaben um, die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 - Rn. 99) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR , Urteil vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 57 - 60) ergeben.

63

Es stellt keine Verschlechterung der Rechtslage für unionsrechtlich privilegierte Ausländer dar, dass ihre Ausweisung nach früherer Rechtslage im Wege einer Ermessensentscheidung erfolgte, nach neuem Recht hingegen im Wege einer rechtlich gebundenen Ausweisung, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Damit entfällt zwar die Möglichkeit, aus Gründen der Zweckmäßigkeit von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen. Auf ein solches Absehen von einer rechts- und ermessensfehlerfrei möglichen Ausweisung hatte der Ausländer aber zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch, auch die gerichtliche Kontrolle war insoweit durch § 114 VwGO eingeschränkt; durch die gesetzliche Neuregelung wird also keine individuelle Rechtsposition beeinträchtigt. Im Übrigen ist für die Beachtung des Verschlechterungsverbots auf die tatsächliche Praxis und nicht allein auf die abstrakte Rechtslage abzustellen. Die Rechtspraxis wurde maßgeblich durch die Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz des Bundesministeriums des Innern vom 26. Oktober 2009 gesteuert. Danach lag die Ausweisungsentscheidung im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde, bei der Ermessensausübung waren das schutzwürdige Interesse des Ausländers am weiteren Verbleib in Deutschland und das öffentliche Interesse an der Ausweisung gegeneinander abzuwägen (Ziffer 55.1.3). Das weist auf eine Rechtspraxis hin, die der heute normierten gebundenen Ausweisung entspricht, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Insofern hat sich die Rechtsstellung des Ausländers nicht verschlechtert.

64

b) Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung hat zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für die betroffenen Ausländer bewirkt, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Die seinerzeitige Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung (§ 54 Nr. 5 AufenthG a.F.) führte zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gegenüber der früheren Rechtslage, die allein den Tatbestand der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland kannte. Durch die Rechtsänderung wurde nun auch die Vorfeldunterstützung des Terrorismus erfasst. Diese ist jedoch mit Blick auf das Verschlechterungsverbot aus Art. 13 ARB 1/80 aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 14 ARB 1/80, jedenfalls aber durch ein zwingendes Allgemeininteresse, namentlich die völkerrechtlich gebotene Terrorismusbekämpfung auch bereits im Vorfeld unmittelbarer terroristischer Handlungen, gerechtfertigt.

65

8. Nach der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG ist über die Länge der Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach Ermessen zu entscheiden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Diese gesetzgeberische Entscheidung ist mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom gleichen Tage - 1 C 27.16 - Rn. 20 ff.). Das Urteil des Senats zur Vorläuferfassung des § 11 AufenthG a.F., wonach eine gebundene Entscheidung zu treffen war (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.), erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihm ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen. Eine solche Ermessensentscheidung hat der Beklagte hier noch nicht getroffen. Vielmehr hat bisher das Verwaltungsgericht das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach der seinerzeit geltenden Rechtslage im Wege einer gebundenen Entscheidung auf acht Jahre festgesetzt.

66

Der Beklagte hat die nach neuem Recht nunmehr gebotene Ermessensentscheidung nachzuholen. Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange.

67

B. Der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellte (weitere) Hilfsantrag, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass dem Kläger auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie, ist unzulässig. Er stellt eine unzulässige Klageerweiterung im Revisionsverfahren dar (§ 142 Abs. 1 VwGO). Im Übrigen bedarf es einer solchen behördlichen Feststellung auch nicht. Aus dem für alle nationalen Behörden verbindlichen EuGH-Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) ergibt sich bis zu einer dem Gesetzgeber vorbehaltenen Anpassung der einschlägigen Fachgesetze hinreichend deutlich, dass dem Kläger - solange er die Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der EU-Anerkennungsrichtlinie genießt - auch die mit dieser Rechtsstellung einhergehenden Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie zustehen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift (vgl. dazu auch die vorstehenden Ausführungen in Rn. 55 f. dieses Urteils).

68

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat gewichtet den gegen die Ausweisung, die Meldeauflage, die Aufenthaltsbeschränkung und die Abschiebungsandrohung gerichteten Anfechtungsantrag mit 4/5 und den auf Befristung zielenden Verpflichtungsantrag mit 1/5 (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 46).

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Aufhebung, hilfsweise die Befristung des mit seiner Ausweisung eingetretenen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf unter vier Jahre.

2

Der Kläger, ein 1977 geborener marokkanischer Staatsangehöriger, reiste 1997 zu Studienzwecken nach Deutschland ein. Nach Heirat einer deutschen Staatsangehörigen erhielt er eine Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug, die nach Trennung von seiner Ehefrau als Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG verlängert worden ist.

3

Mit Verfügung vom 24. August 2012 wies der Beklagte den Kläger für die Dauer von sieben Jahren aus dem Bundesgebiet aus (Ziffer 1), drohte ihm die Abschiebung an (Ziffer 3 und 4), verpflichtete ihn, sich regelmäßig bei der örtlichen Polizeiinspektion zu melden (Ziffer 5), beschränkte seinen Aufenthalt auf das Gebiet des Landkreises (Ziffer 6), drohte ihm Zwangsmittel an, wenn er den Verpflichtungen aus Ziffer 5 und 6 nicht nachkommt (Ziffer 7), und lehnte einen Antrag des Klägers auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis ab (Ziffer 9). Die Ausweisung wurde damit begründet, dass der Kläger durch Bezahlung von Telefonrechnungen für einen Terrorverdächtigen die Terrororganisation Al-Qaida unterstützt und in Sicherheitsgesprächen falsche oder unrichtige Angaben über seine Kontakte zu terrorverdächtigen Personen und Organisationen gemacht habe.

4

Die gegen diese Verfügung erhobene Klage hatte beim Verwaltungsgericht keinen Erfolg. Im Berufungsverfahren wandte sich der Kläger nur noch gegen die Regelungen in Ziffer 1 (Ausweisung und Befristung), 5, 6 und 7. In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht stellte der Beklagte die Ausweisung wegen eines zwischenzeitlich vom Kläger gestellten Asylantrags unter die Bedingung, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes abgeschlossen wird oder dass eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist. Nach Aufhebung der Regelungen Ziffer 5, 6 und 7 haben die Beteiligten den Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt.

5

Mit Urteil vom 10. Mai 2016 hat das Oberverwaltungsgericht auf den Hilfsantrag des Klägers die Befristung aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, insoweit unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden; im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Die Rechtmäßigkeit der Ausweisung hat es damit begründet, dass der Kläger die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährde und an seiner Ausweisung nach § 54 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG ein schwerwiegendes Interesse bestehe, weil er den der Unterstützung des Terrorismus verdächtigen "Ali" mehr als nur flüchtig kenne und diesen Umstand im Sicherheitsgespräch vom 31. Oktober 2011 bewusst verschwiegen habe. Für die Annahme eines gegenwärtigen Sicherheitsrisikos spreche, dass er nach wie vor nicht bereit sei, dies einzuräumen und zu erklären. Das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers überwiege dessen Bleibeinteresse, auch wenn er sich seit über 18 Jahren überwiegend rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, die deutsche Sprache spreche, hier unterschiedliche Erwerbstätigkeiten ausgeübt habe, strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei und unterstellt werde, dass er über Kontakte zu in Deutschland lebenden Personen verfüge. Er habe aber auch noch erhebliche Bindungen an seinen Heimatstaat Marokko, in dem er den überwiegenden Teil seines Lebens verbracht habe, dessen Sprache er beherrsche, in dem seine Eltern, fünf Geschwister und sein 2013 geborenes Kind lebten und in dem er sich angesichts seines bisherigen Werdegangs eine Existenzgrundlage aufbauen könne. Auch dem Umstand, dass er eine deutsche Staatsangehörige heiraten wolle, komme angesichts des überwiegenden Ausweisungsinteresses keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Bezüglich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bestehe ein Anspruch auf Neubescheidung, da die festgesetzte Frist von sieben Jahren zu lang sei. Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Aufhebung des Verbots nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG lägen nicht vor. Über die Länge der Frist sei nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen zu entscheiden. Dies sei mit höherrangigem Recht vereinbar. Die bei der Fristbestimmung einzuhaltenden unions-, verfassungs- und menschenrechtlichen Vorgaben stellten ebenso wie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine gesetzliche Ermessensgrenze dar, deren Einhaltung nach § 114 VwGO gerichtlich überprüfbar sei. Unerheblich sei, dass der Behörde bei der Ausweisung kein Ermessen zustehe. Auch der Richtlinie 2008/115/EG sei nicht zu entnehmen, dass ein Ermessensspielraum bei der Fristbemessung unionsrechtswidrig wäre. Für eine über fünf Jahre andauernde Frist fehle es aber an einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Der Kläger sei strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten, ihm sei nur eine vereinzelte Falschangabe anzulasten, die mehrere Jahre zurückliege und der kein gesteigertes Gewicht zukomme. Bei der Neubestimmung habe sich der Beklagte deshalb im Fristrahmen von bis zu fünf Jahren zu bewegen, wobei eine Frist von mehr als vier Jahren nach den Umständen des Falles kaum vertretbar sein dürfte. Im Übrigen seien das Gewicht des Ausweisungsinteresses und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Bei einer spezialpräventiv motivierten Ausweisung bedürfe es der prognostischen Einschätzung, wie lange das der Ausweisung zugrunde liegende Verhalten das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermöge. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Frist müsse sich an höherrangigem Recht messen und ggf. relativieren lassen. Dabei seien insbesondere die in § 53 Abs. 2, § 55 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange in den Blick zu nehmen. Die Abwägung sei nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls im Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorzunehmen und in einem sich anschließenden gerichtlichen Verfahren unter Kontrolle zu halten.

6

Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, soweit sich die Klage auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bezieht. Eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hinsichtlich der Ausweisung hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 10. August 2016 - 1 B 92.16 - verworfen.

7

Der Kläger begehrt mit seiner Revision die Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, hilfsweise zur Befristung auf unter vier Jahre. Das Berufungsgericht hätte nicht zur Neubescheidung verpflichten dürfen, sondern selbst eine kürzere Frist bestimmen müssen. Soweit § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Behörde einen Entscheidungsspielraum einräume, sei dies mit höherrangigem Recht, insbesondere mit dem Unionsrecht, nicht zu vereinbaren.

8

Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.

9

Der Kläger ist im Juli 2016 nach Marokko zurückgekehrt. Mit Bescheid vom 24. November 2016 hat der Beklagte das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf den 25. Juli 2020 befristet.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur die Frage, ob der Kläger hinsichtlich des mit seiner Ausweisung kraft Gesetzes eingetretenen Einreise- und Aufenthaltsverbots - über den Bescheidungsausspruch des Berufungsgerichts hinaus - einen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung, hilfsweise zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren hat. Dieses Begehren hat sich nicht dadurch erledigt, dass der Beklagte - in Umsetzung der vom Berufungsgericht ausgesprochenen Verpflichtung zur Neubescheidung - das Einreise- und Aufenthaltsverbot inzwischen auf vier Jahre seit der Ausreise festgesetzt hat.

11

Soweit der Kläger primär die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots erstrebt, ist die Revision mangels Zulassung nicht statthaft (1.). Hinsichtlich des auf Befristung gerichteten Hilfsantrags ist sie zwar zulässig, aber unbegründet. Das Berufungsurteil verstößt insoweit nicht gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Festsetzung einer bestimmten Frist von weniger als vier Jahren, da die Befristung im Ermessen der Ausländerbehörde liegt und die Voraussetzungen für eine Ermessensverdichtung zu seinen Gunsten nicht vorliegen (2.).

12

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der klägerischen Begehren ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. Urteil vom 6. März 2014 - 1 C 2.13 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 20 Rn. 6). Maßgeblich sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155). Durch die während des Revisionsverfahrens eingetretenen Gesetzesänderungen hat sich die Rechtslage hinsichtlich der hier maßgeblichen Regelungen in § 11 AufenthG aber nicht geändert.

13

1. Die Revision ist hinsichtlich der vom Kläger mit seinem Hauptantrag begehrten Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots mangels Zulassung nicht statthaft.

14

Das Berufungsgericht hat die Revision (nur) zugelassen, soweit sich die Klage auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bezieht. Begründet hat es dies mit den in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretenen unterschiedlichen Auffassungen zum Rechtscharakter der Befristungsentscheidung (UA S. 33). Damit bezieht sich die Zulassung nur auf die vom Kläger hilfsweise begehrte Befristung und nicht (auch) auf die vorrangig angestrebte Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots. Zwar bedarf es nach dem Gesetzeswortlaut des § 11 Abs. 4 AufenthG ("kann") auch bei der Aufhebung einer Ermessensentscheidung. Die Frage des Rechtscharakters war für das Berufungsgericht insoweit aber nicht entscheidungserheblich, da es schon das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für eine Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 4 AufenthG verneint hat.

15

Die Beschränkung der Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht ist wirksam, weil es sich bei der Aufhebung und der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots prozessual um unterschiedliche Streitgegenstände handelt. Nach § 11 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer, der - wie der Kläger - ausgewiesen worden ist, weder erneut in das Bundesgebiet einreisen, noch sich darin aufhalten, noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden (Einreise- und Aufenthaltsverbot). Dieses (gesetzliche) Verbot ist nach § 11 Abs. 2 AufenthG gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung von Amts wegen zu befristen und kann unter den Voraussetzungen des § 11 Abs. 4 AufenthG aufgehoben oder nachträglich verkürzt oder verlängert werden. Mit dieser durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (AufenthBeendBlReNG) vom 27. Juli 2015 (BGBl. I S. 1386) eingeführten Differenzierung hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung des Senats aufgegriffen, wonach unter engen Voraussetzungen eine vollständige Beseitigung der Wirkungen einer Ausweisung ohne vorherige Ausreise geboten sein kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. März 2014 - 1 C 2.13 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 20 Rn. 13 m.w.N.), und hierfür in § 11 Abs. 4 AufenthG eine spezielle Rechtsgrundlage geschaffen (BT-Drs. 18/4097 S. 36 f.). Seit dieser gesetzlichen Neuordnung der Regelungen zur Beseitigung der Wirkungen einer Ausweisung bedarf die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots einer eigenständigen, von der Befristung zu trennenden Entscheidung, die von der Ausländerbehörde nicht nur nachträglich, sondern zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers auch schon zusammen mit der Ausweisung getroffen werden kann.

16

2. Hinsichtlich des auf Befristung gerichteten Hilfsantrags ist die Revision zulässig, aber unbegründet.

17

Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass der Kläger insoweit - anstelle des im Berufungsverfahren gestellten Bescheidungsantrags - im Revisionsverfahren auf einen Verpflichtungsantrag übergegangen ist. Diese Neuformulierung des Klagebegehrens stellt keine nach § 142 Abs. 1 VwGO unzulässige Klageänderung dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. November 2004 - 1 C 23.03 - BVerwGE 122, 193 = juris Rn. 10). Der Kläger hat - über die vom Berufungsgericht ausgesprochene Verpflichtung der Behörde zur Neubescheidung hinaus - aber keinen Anspruch auf Verpflichtung zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren.

18

Nach § 11 Abs. 2 AufenthG ist das mit einer Ausweisung verbundene Einreise- und Aufenthaltsverbot von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise und ist gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung festzusetzen. Über die Länge der Frist wird nach § 11 Abs. 3 AufenthG nach Ermessen entschieden (Satz 1). Die Frist darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht (Satz 2), und soll zehn Jahre nicht überschreiten (Satz 3).

19

Damit hat der Ausländer einen Anspruch auf eine Befristungsentscheidung zusammen mit der Ausweisungsverfügung ("ob"). Hinsichtlich der Länge der festzusetzenden Frist ("wie") bestimmt § 11 Abs. 3 AufenthG in seiner aktuellen Fassung ausdrücklich, dass hierüber im Rahmen der gesetzlichen Vorgabe nach Ermessen zu entscheiden ist, dass die Frist nur unter bestimmten Voraussetzungen fünf Jahre überschreiten darf und zehn Jahre nicht überschreiten soll. Mit dieser durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung im Jahr 2015 eingeführten Regelung hat der Gesetzgeber auf die Rechtsprechung des Senats reagiert, wonach die Bemessung der Frist nach Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht mehr im Ermessen der Ausländerbehörde stand, es sich vielmehr um eine gebundene Entscheidung handelte. Dies hat der Senat vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift mit dessen unionsrechtlicher Prägung durch die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger - Rückführungsrichtlinie - (ABl. L 348 S. 98) und der Bedeutung der Befristung für die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK begründet (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.). Mit der Änderung in § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wollte der Gesetzgeber den früheren Rechtszustand wieder herstellen, indem er den bisher offenen Wortlaut der Vorschrift konkretisiert und damit klargestellt hat, dass über die Dauer der Sperrfrist im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörden zu entscheiden ist (BT-Drs. 18/4097 S. 36).

20

Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass diese gesetzgeberische Entscheidung mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren ist. Die - jedenfalls in Bezug auf die Rechtsfolgen einer Ausweisung - gegenteilige Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim (Urteil vom 9. Dezember 2015 - 11 S 1857/15 - InfAuslR 2016, 138 = juris Rn. 25 ff.) überzeugt im Ergebnis nicht (so im Ergebnis auch VGH München, Urteil vom 28. Juni 2016 - 10 B 15.1854 - juris Rn. 49; OVG Koblenz, Urteil vom 8. November 2016 - 7 A 11058/15 - juris Rn. 26; Hailbronner, AuslR, Stand Februar 2017, § 11 AufenthG Rn. 72 ff.). Die Entscheidung des Senats vom 14. Februar 2012 (BVerwG 1 C 7.11) zu § 11 AufenthG a.F. erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihr ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen.

21

Eine gebundene Entscheidung folgt zunächst nicht aus der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie), und zwar ungeachtet der vom Senat bislang offengelassenen Frage, ob die Befristung der gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung an den Bestimmungen dieser Richtlinie zu messen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 45). Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG enthält mit Ausnahme der grundsätzlich geltenden Fünfjahresfrist keine weiteren inhaltlichen Vorgaben bezüglich der Dauer der Frist, sondern schreibt nur die Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls vor. Hierzu bedarf es nicht zwingend einer gebundenen Entscheidung. Auch dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 13 der Richtlinie 2008/115/EG ist nicht zu entnehmen, dass der Ausländerbehörde vom nationalen Gesetzgeber kein Ermessensspielraum eingeräumt werden darf. Denn die Wirksamkeit eines Rechtsbehelfs bezieht sich auf die umfassende gerichtliche Überprüfung der normativ vorgegebenen Grenzen behördlichen Handelns.

22

Die vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim herangezogenen strukturellen Erwägungen stehen einer Ermessensregelung ebenfalls nicht zwingend entgegen. Der Umstand, dass es sich bei der Ausweisung nach § 53 Abs. 1 AufenthG inzwischen um eine gebundene Entscheidung mit einer tatbestandsbezogenen Abwägung handelt, zwingt den Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht zu einer Regelung, nach der dies auch in Bezug auf die Dauer der mit der Ausweisung verbundenen gesetzlichen Rechtsfolgen der Fall sein muss. Die Ausgestaltung der Ausweisung als gerichtlich voll überprüfbare Abwägungsentscheidung ist auf das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel zurückzuführen, eine "Beschleunigung des Verfahrens und schnellere Rechtssicherheit" zu erreichen (BT-Drs. 18/4097 S. 49 f.). Gleichzeitig wollte der Gesetzgeber, dass über die Dauer der Sperrfrist von der zuständigen Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden ist (BT-Drs. 18/4097 S. 36). Dieser gesetzgeberischen Entscheidung stehen auch die vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim herangezogenen verfassungs- und menschenrechtlichen Vorgaben nicht entgegen. Die Befristung der gesetzlichen Wirkungen einer Ausweisung wirkt sich zwar mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK auf die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 33 m.w.N. aus der Rechtsprechung des EGMR). Die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung kann aber nicht nur durch eine gebundene Befristungsentscheidung sichergestellt werden. Denn auch bei einer Ermessensentscheidung ist die Frage der Verhältnismäßigkeit (auf der Rechtsfolgenseite) zu beachten.

23

Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert auch nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG), sowie unions- und konventionsrechtlich den Vorgaben aus Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 12. Dezember 2007 (BGBl. 2008 II S. 1165) und Art. 8 EMRK gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange. Da für die gerichtliche Überprüfung der Befristungsentscheidung - wie oben dargelegt - auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist, trifft die Ausländerbehörde auch während des gerichtlichen Verfahrens - wie nach altem Recht bei der Ermessensausweisung (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 20 m.w.N.) - eine Pflicht zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Befristungsentscheidung und ggf. zur Ergänzung ihrer Ermessenserwägungen.

24

Die behördliche Befristungsentscheidung unterliegt auch als Ermessensentscheidung über § 114 Abs. 1 Satz 1 VwGO einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle. Zutreffend weist das Berufungsgericht darauf hin, dass bei der Ermessensausübung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für die Behörde eine gesetzliche Ermessensgrenze darstellt, ein Verstoß dagegen zu einer Ermessensüberschreitung führt und der gerichtlichen Überprüfung nach § 114 Abs. 1 Satz 1 VwGO unterliegt. Nichts anderes gilt in Bezug auf unionsrechtlich zu beachtende Vorgaben. Die Entscheidung des Gesetzgebers, der Ausländerbehörde bei der Bestimmung der Frist einen gewissen Spielraum einzuräumen, führt daher im Ergebnis nicht zu einer Verschlechterung der Rechtsstellung des Betroffenen, da die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens von dem im Einzelfall zulässigen Höchstmaß der Frist nicht zu Lasten des Ausländers abweichen darf. Die Einhaltung dieser Obergrenze unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle.

25

Bei einer Ermessensentscheidung obliegt die konkrete Festsetzung der Dauer der Frist grundsätzlich der Ausländerbehörde. Setzt sie ermessensfehlerhaft eine zu lange Frist fest, ist diese Entscheidung im gerichtlichen Verfahren aufzuheben und die Behörde zur Neubescheidung zu verpflichten. Dabei kann das Gericht in den Entscheidungsgründen eine sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebende absolute Obergrenze für die Dauer der Frist festlegen. Verpflichtet sind die Gerichte hierzu aber nicht. Allerdings dürfte bei einem hinreichend geklärten Sachverhalt eine grobe Eingrenzung des zulässigen Rahmens der Ausländerbehörde eine sachgerechte Ermessensausübung regelmäßig erheblich erleichtern.

26

Die von der Behörde bei einer Neubescheidung zu beachtenden gerichtlichen Vorgaben können auch den Kläger (materiell) beschweren, denn die in einem rechtskräftigen Bescheidungsurteil (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO) verbindlich zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung des Gerichts wirkt sich auf die Rechtskraft im Sinne des § 121 VwGO aus. Folglich beschwert ein stattgebendes Bescheidungsurteil nicht allein die Behörde, sondern auch den Kläger, wenn sich die vom Gericht als verbindlich erklärte Rechtsauffassung nicht mit der des Klägers deckt und für ihn ungünstiger ist, so dass bei der erneuten Bescheidung auf ihrer Grundlage mit einem ungünstigeren Ergebnis zu rechnen ist als bei Anwendung der vom Kläger für richtig gehaltenen Rechtsansicht. Auf Grund der in § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO angeordneten Bindung an die einem Bescheidungsurteil zugrunde liegende Rechtsauffassung führt ein Rechtsmittel gegen ein solches Urteil auch dann zu einer anderen Entscheidung, wenn sich die Rechtsauffassung, die bei der Neubescheidung maßgebend sein soll, als unzutreffend erweist. In diesem Fall hat das Rechtsmittelgericht das angefochtene Urteil aufzuheben und ggf. selbst ein Bescheidungsurteil zu erlassen, in dem es seine eigene bei der Neubescheidung zu beachtende Rechtsauffassung zum Ausdruck bringt (vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Januar 1995 - 8 C 8.93 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 70 = juris Rn. 13 und vom 18. Juli 2013 - 5 C 8.12 - BVerwGE 147, 216 Rn. 15 f., jeweils m.w.N.).

27

In Anwendung dieser Grundsätze ist das Berufungsurteil nicht zu beanstanden. Da die Entscheidung über die Länge des Einreise- und Aufenthaltsverbots im Ermessen der Ausländerbehörde liegt, hat der Kläger einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf die von ihm begehrte Verpflichtung des Beklagten zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren nur im Falle einer entsprechenden Ermessensverdichtung zu seinen Gunsten. Hierfür ist auf der Grundlage der vom Kläger nicht angegriffenen tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nichts ersichtlich. § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG bestimmt lediglich, unter welchen Voraussetzungen die Frist fünf Jahre überschreiten darf. Dies steht hier nicht (mehr) im Streit, nachdem das Berufungsgericht festgestellt hat, dass diese Voraussetzungen nicht vorliegen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet unter den gegebenen Umständen nicht die Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren. Auch ansonsten weisen die vom Berufungsgericht seinem Bescheidungsausspruch zugrunde gelegten Erwägungen keine Rechtsfehler zu Lasten des Klägers auf. Das Berufungsgericht hat den Beklagten zur Neubescheidung verpflichtet, weil es der Auffassung war, dass die zusammen mit der Ausweisung festgesetzte Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots von sieben Jahren zu lang und damit ermessensfehlerhaft ist. In diesem Zusammenhang hat es der Behörde keine über die gesetzliche Grenze des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG hinausgehende, der revisionsgerichtlichen Rechtskontrolle unterliegende Obergrenze verbindlich vorgegeben, sondern lediglich angemerkt, dass eine Frist von mehr als vier Jahren nach den Umständen des Falls kaum vertretbar sein dürfte. Ob die vom Beklagten inzwischen - in Umsetzung der gerichtlichen Verpflichtung zur Neubescheidung - mit Bescheid vom 24. November 2016 verfügte Befristung auf vier Jahre ermessensfehlerfrei ergangen ist, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

28

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Aufhebung, hilfsweise die Befristung des mit seiner Ausweisung eingetretenen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf unter vier Jahre.

2

Der Kläger, ein 1977 geborener marokkanischer Staatsangehöriger, reiste 1997 zu Studienzwecken nach Deutschland ein. Nach Heirat einer deutschen Staatsangehörigen erhielt er eine Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug, die nach Trennung von seiner Ehefrau als Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG verlängert worden ist.

3

Mit Verfügung vom 24. August 2012 wies der Beklagte den Kläger für die Dauer von sieben Jahren aus dem Bundesgebiet aus (Ziffer 1), drohte ihm die Abschiebung an (Ziffer 3 und 4), verpflichtete ihn, sich regelmäßig bei der örtlichen Polizeiinspektion zu melden (Ziffer 5), beschränkte seinen Aufenthalt auf das Gebiet des Landkreises (Ziffer 6), drohte ihm Zwangsmittel an, wenn er den Verpflichtungen aus Ziffer 5 und 6 nicht nachkommt (Ziffer 7), und lehnte einen Antrag des Klägers auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis ab (Ziffer 9). Die Ausweisung wurde damit begründet, dass der Kläger durch Bezahlung von Telefonrechnungen für einen Terrorverdächtigen die Terrororganisation Al-Qaida unterstützt und in Sicherheitsgesprächen falsche oder unrichtige Angaben über seine Kontakte zu terrorverdächtigen Personen und Organisationen gemacht habe.

4

Die gegen diese Verfügung erhobene Klage hatte beim Verwaltungsgericht keinen Erfolg. Im Berufungsverfahren wandte sich der Kläger nur noch gegen die Regelungen in Ziffer 1 (Ausweisung und Befristung), 5, 6 und 7. In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht stellte der Beklagte die Ausweisung wegen eines zwischenzeitlich vom Kläger gestellten Asylantrags unter die Bedingung, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes abgeschlossen wird oder dass eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist. Nach Aufhebung der Regelungen Ziffer 5, 6 und 7 haben die Beteiligten den Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt.

5

Mit Urteil vom 10. Mai 2016 hat das Oberverwaltungsgericht auf den Hilfsantrag des Klägers die Befristung aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, insoweit unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden; im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Die Rechtmäßigkeit der Ausweisung hat es damit begründet, dass der Kläger die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährde und an seiner Ausweisung nach § 54 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG ein schwerwiegendes Interesse bestehe, weil er den der Unterstützung des Terrorismus verdächtigen "Ali" mehr als nur flüchtig kenne und diesen Umstand im Sicherheitsgespräch vom 31. Oktober 2011 bewusst verschwiegen habe. Für die Annahme eines gegenwärtigen Sicherheitsrisikos spreche, dass er nach wie vor nicht bereit sei, dies einzuräumen und zu erklären. Das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers überwiege dessen Bleibeinteresse, auch wenn er sich seit über 18 Jahren überwiegend rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, die deutsche Sprache spreche, hier unterschiedliche Erwerbstätigkeiten ausgeübt habe, strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei und unterstellt werde, dass er über Kontakte zu in Deutschland lebenden Personen verfüge. Er habe aber auch noch erhebliche Bindungen an seinen Heimatstaat Marokko, in dem er den überwiegenden Teil seines Lebens verbracht habe, dessen Sprache er beherrsche, in dem seine Eltern, fünf Geschwister und sein 2013 geborenes Kind lebten und in dem er sich angesichts seines bisherigen Werdegangs eine Existenzgrundlage aufbauen könne. Auch dem Umstand, dass er eine deutsche Staatsangehörige heiraten wolle, komme angesichts des überwiegenden Ausweisungsinteresses keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Bezüglich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bestehe ein Anspruch auf Neubescheidung, da die festgesetzte Frist von sieben Jahren zu lang sei. Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Aufhebung des Verbots nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG lägen nicht vor. Über die Länge der Frist sei nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen zu entscheiden. Dies sei mit höherrangigem Recht vereinbar. Die bei der Fristbestimmung einzuhaltenden unions-, verfassungs- und menschenrechtlichen Vorgaben stellten ebenso wie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine gesetzliche Ermessensgrenze dar, deren Einhaltung nach § 114 VwGO gerichtlich überprüfbar sei. Unerheblich sei, dass der Behörde bei der Ausweisung kein Ermessen zustehe. Auch der Richtlinie 2008/115/EG sei nicht zu entnehmen, dass ein Ermessensspielraum bei der Fristbemessung unionsrechtswidrig wäre. Für eine über fünf Jahre andauernde Frist fehle es aber an einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Der Kläger sei strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten, ihm sei nur eine vereinzelte Falschangabe anzulasten, die mehrere Jahre zurückliege und der kein gesteigertes Gewicht zukomme. Bei der Neubestimmung habe sich der Beklagte deshalb im Fristrahmen von bis zu fünf Jahren zu bewegen, wobei eine Frist von mehr als vier Jahren nach den Umständen des Falles kaum vertretbar sein dürfte. Im Übrigen seien das Gewicht des Ausweisungsinteresses und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Bei einer spezialpräventiv motivierten Ausweisung bedürfe es der prognostischen Einschätzung, wie lange das der Ausweisung zugrunde liegende Verhalten das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermöge. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Frist müsse sich an höherrangigem Recht messen und ggf. relativieren lassen. Dabei seien insbesondere die in § 53 Abs. 2, § 55 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange in den Blick zu nehmen. Die Abwägung sei nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls im Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorzunehmen und in einem sich anschließenden gerichtlichen Verfahren unter Kontrolle zu halten.

6

Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, soweit sich die Klage auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bezieht. Eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hinsichtlich der Ausweisung hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 10. August 2016 - 1 B 92.16 - verworfen.

7

Der Kläger begehrt mit seiner Revision die Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, hilfsweise zur Befristung auf unter vier Jahre. Das Berufungsgericht hätte nicht zur Neubescheidung verpflichten dürfen, sondern selbst eine kürzere Frist bestimmen müssen. Soweit § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Behörde einen Entscheidungsspielraum einräume, sei dies mit höherrangigem Recht, insbesondere mit dem Unionsrecht, nicht zu vereinbaren.

8

Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.

9

Der Kläger ist im Juli 2016 nach Marokko zurückgekehrt. Mit Bescheid vom 24. November 2016 hat der Beklagte das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf den 25. Juli 2020 befristet.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur die Frage, ob der Kläger hinsichtlich des mit seiner Ausweisung kraft Gesetzes eingetretenen Einreise- und Aufenthaltsverbots - über den Bescheidungsausspruch des Berufungsgerichts hinaus - einen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung, hilfsweise zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren hat. Dieses Begehren hat sich nicht dadurch erledigt, dass der Beklagte - in Umsetzung der vom Berufungsgericht ausgesprochenen Verpflichtung zur Neubescheidung - das Einreise- und Aufenthaltsverbot inzwischen auf vier Jahre seit der Ausreise festgesetzt hat.

11

Soweit der Kläger primär die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots erstrebt, ist die Revision mangels Zulassung nicht statthaft (1.). Hinsichtlich des auf Befristung gerichteten Hilfsantrags ist sie zwar zulässig, aber unbegründet. Das Berufungsurteil verstößt insoweit nicht gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Festsetzung einer bestimmten Frist von weniger als vier Jahren, da die Befristung im Ermessen der Ausländerbehörde liegt und die Voraussetzungen für eine Ermessensverdichtung zu seinen Gunsten nicht vorliegen (2.).

12

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der klägerischen Begehren ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. Urteil vom 6. März 2014 - 1 C 2.13 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 20 Rn. 6). Maßgeblich sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155). Durch die während des Revisionsverfahrens eingetretenen Gesetzesänderungen hat sich die Rechtslage hinsichtlich der hier maßgeblichen Regelungen in § 11 AufenthG aber nicht geändert.

13

1. Die Revision ist hinsichtlich der vom Kläger mit seinem Hauptantrag begehrten Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots mangels Zulassung nicht statthaft.

14

Das Berufungsgericht hat die Revision (nur) zugelassen, soweit sich die Klage auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bezieht. Begründet hat es dies mit den in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretenen unterschiedlichen Auffassungen zum Rechtscharakter der Befristungsentscheidung (UA S. 33). Damit bezieht sich die Zulassung nur auf die vom Kläger hilfsweise begehrte Befristung und nicht (auch) auf die vorrangig angestrebte Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots. Zwar bedarf es nach dem Gesetzeswortlaut des § 11 Abs. 4 AufenthG ("kann") auch bei der Aufhebung einer Ermessensentscheidung. Die Frage des Rechtscharakters war für das Berufungsgericht insoweit aber nicht entscheidungserheblich, da es schon das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für eine Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 4 AufenthG verneint hat.

15

Die Beschränkung der Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht ist wirksam, weil es sich bei der Aufhebung und der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots prozessual um unterschiedliche Streitgegenstände handelt. Nach § 11 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer, der - wie der Kläger - ausgewiesen worden ist, weder erneut in das Bundesgebiet einreisen, noch sich darin aufhalten, noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden (Einreise- und Aufenthaltsverbot). Dieses (gesetzliche) Verbot ist nach § 11 Abs. 2 AufenthG gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung von Amts wegen zu befristen und kann unter den Voraussetzungen des § 11 Abs. 4 AufenthG aufgehoben oder nachträglich verkürzt oder verlängert werden. Mit dieser durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (AufenthBeendBlReNG) vom 27. Juli 2015 (BGBl. I S. 1386) eingeführten Differenzierung hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung des Senats aufgegriffen, wonach unter engen Voraussetzungen eine vollständige Beseitigung der Wirkungen einer Ausweisung ohne vorherige Ausreise geboten sein kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. März 2014 - 1 C 2.13 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 20 Rn. 13 m.w.N.), und hierfür in § 11 Abs. 4 AufenthG eine spezielle Rechtsgrundlage geschaffen (BT-Drs. 18/4097 S. 36 f.). Seit dieser gesetzlichen Neuordnung der Regelungen zur Beseitigung der Wirkungen einer Ausweisung bedarf die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots einer eigenständigen, von der Befristung zu trennenden Entscheidung, die von der Ausländerbehörde nicht nur nachträglich, sondern zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers auch schon zusammen mit der Ausweisung getroffen werden kann.

16

2. Hinsichtlich des auf Befristung gerichteten Hilfsantrags ist die Revision zulässig, aber unbegründet.

17

Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass der Kläger insoweit - anstelle des im Berufungsverfahren gestellten Bescheidungsantrags - im Revisionsverfahren auf einen Verpflichtungsantrag übergegangen ist. Diese Neuformulierung des Klagebegehrens stellt keine nach § 142 Abs. 1 VwGO unzulässige Klageänderung dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. November 2004 - 1 C 23.03 - BVerwGE 122, 193 = juris Rn. 10). Der Kläger hat - über die vom Berufungsgericht ausgesprochene Verpflichtung der Behörde zur Neubescheidung hinaus - aber keinen Anspruch auf Verpflichtung zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren.

18

Nach § 11 Abs. 2 AufenthG ist das mit einer Ausweisung verbundene Einreise- und Aufenthaltsverbot von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise und ist gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung festzusetzen. Über die Länge der Frist wird nach § 11 Abs. 3 AufenthG nach Ermessen entschieden (Satz 1). Die Frist darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht (Satz 2), und soll zehn Jahre nicht überschreiten (Satz 3).

19

Damit hat der Ausländer einen Anspruch auf eine Befristungsentscheidung zusammen mit der Ausweisungsverfügung ("ob"). Hinsichtlich der Länge der festzusetzenden Frist ("wie") bestimmt § 11 Abs. 3 AufenthG in seiner aktuellen Fassung ausdrücklich, dass hierüber im Rahmen der gesetzlichen Vorgabe nach Ermessen zu entscheiden ist, dass die Frist nur unter bestimmten Voraussetzungen fünf Jahre überschreiten darf und zehn Jahre nicht überschreiten soll. Mit dieser durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung im Jahr 2015 eingeführten Regelung hat der Gesetzgeber auf die Rechtsprechung des Senats reagiert, wonach die Bemessung der Frist nach Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht mehr im Ermessen der Ausländerbehörde stand, es sich vielmehr um eine gebundene Entscheidung handelte. Dies hat der Senat vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift mit dessen unionsrechtlicher Prägung durch die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger - Rückführungsrichtlinie - (ABl. L 348 S. 98) und der Bedeutung der Befristung für die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK begründet (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.). Mit der Änderung in § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wollte der Gesetzgeber den früheren Rechtszustand wieder herstellen, indem er den bisher offenen Wortlaut der Vorschrift konkretisiert und damit klargestellt hat, dass über die Dauer der Sperrfrist im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörden zu entscheiden ist (BT-Drs. 18/4097 S. 36).

20

Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass diese gesetzgeberische Entscheidung mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren ist. Die - jedenfalls in Bezug auf die Rechtsfolgen einer Ausweisung - gegenteilige Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim (Urteil vom 9. Dezember 2015 - 11 S 1857/15 - InfAuslR 2016, 138 = juris Rn. 25 ff.) überzeugt im Ergebnis nicht (so im Ergebnis auch VGH München, Urteil vom 28. Juni 2016 - 10 B 15.1854 - juris Rn. 49; OVG Koblenz, Urteil vom 8. November 2016 - 7 A 11058/15 - juris Rn. 26; Hailbronner, AuslR, Stand Februar 2017, § 11 AufenthG Rn. 72 ff.). Die Entscheidung des Senats vom 14. Februar 2012 (BVerwG 1 C 7.11) zu § 11 AufenthG a.F. erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihr ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen.

21

Eine gebundene Entscheidung folgt zunächst nicht aus der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie), und zwar ungeachtet der vom Senat bislang offengelassenen Frage, ob die Befristung der gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung an den Bestimmungen dieser Richtlinie zu messen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 45). Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG enthält mit Ausnahme der grundsätzlich geltenden Fünfjahresfrist keine weiteren inhaltlichen Vorgaben bezüglich der Dauer der Frist, sondern schreibt nur die Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls vor. Hierzu bedarf es nicht zwingend einer gebundenen Entscheidung. Auch dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 13 der Richtlinie 2008/115/EG ist nicht zu entnehmen, dass der Ausländerbehörde vom nationalen Gesetzgeber kein Ermessensspielraum eingeräumt werden darf. Denn die Wirksamkeit eines Rechtsbehelfs bezieht sich auf die umfassende gerichtliche Überprüfung der normativ vorgegebenen Grenzen behördlichen Handelns.

22

Die vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim herangezogenen strukturellen Erwägungen stehen einer Ermessensregelung ebenfalls nicht zwingend entgegen. Der Umstand, dass es sich bei der Ausweisung nach § 53 Abs. 1 AufenthG inzwischen um eine gebundene Entscheidung mit einer tatbestandsbezogenen Abwägung handelt, zwingt den Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht zu einer Regelung, nach der dies auch in Bezug auf die Dauer der mit der Ausweisung verbundenen gesetzlichen Rechtsfolgen der Fall sein muss. Die Ausgestaltung der Ausweisung als gerichtlich voll überprüfbare Abwägungsentscheidung ist auf das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel zurückzuführen, eine "Beschleunigung des Verfahrens und schnellere Rechtssicherheit" zu erreichen (BT-Drs. 18/4097 S. 49 f.). Gleichzeitig wollte der Gesetzgeber, dass über die Dauer der Sperrfrist von der zuständigen Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden ist (BT-Drs. 18/4097 S. 36). Dieser gesetzgeberischen Entscheidung stehen auch die vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim herangezogenen verfassungs- und menschenrechtlichen Vorgaben nicht entgegen. Die Befristung der gesetzlichen Wirkungen einer Ausweisung wirkt sich zwar mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK auf die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 33 m.w.N. aus der Rechtsprechung des EGMR). Die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung kann aber nicht nur durch eine gebundene Befristungsentscheidung sichergestellt werden. Denn auch bei einer Ermessensentscheidung ist die Frage der Verhältnismäßigkeit (auf der Rechtsfolgenseite) zu beachten.

23

Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert auch nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG), sowie unions- und konventionsrechtlich den Vorgaben aus Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 12. Dezember 2007 (BGBl. 2008 II S. 1165) und Art. 8 EMRK gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange. Da für die gerichtliche Überprüfung der Befristungsentscheidung - wie oben dargelegt - auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist, trifft die Ausländerbehörde auch während des gerichtlichen Verfahrens - wie nach altem Recht bei der Ermessensausweisung (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 20 m.w.N.) - eine Pflicht zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Befristungsentscheidung und ggf. zur Ergänzung ihrer Ermessenserwägungen.

24

Die behördliche Befristungsentscheidung unterliegt auch als Ermessensentscheidung über § 114 Abs. 1 Satz 1 VwGO einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle. Zutreffend weist das Berufungsgericht darauf hin, dass bei der Ermessensausübung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für die Behörde eine gesetzliche Ermessensgrenze darstellt, ein Verstoß dagegen zu einer Ermessensüberschreitung führt und der gerichtlichen Überprüfung nach § 114 Abs. 1 Satz 1 VwGO unterliegt. Nichts anderes gilt in Bezug auf unionsrechtlich zu beachtende Vorgaben. Die Entscheidung des Gesetzgebers, der Ausländerbehörde bei der Bestimmung der Frist einen gewissen Spielraum einzuräumen, führt daher im Ergebnis nicht zu einer Verschlechterung der Rechtsstellung des Betroffenen, da die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens von dem im Einzelfall zulässigen Höchstmaß der Frist nicht zu Lasten des Ausländers abweichen darf. Die Einhaltung dieser Obergrenze unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle.

25

Bei einer Ermessensentscheidung obliegt die konkrete Festsetzung der Dauer der Frist grundsätzlich der Ausländerbehörde. Setzt sie ermessensfehlerhaft eine zu lange Frist fest, ist diese Entscheidung im gerichtlichen Verfahren aufzuheben und die Behörde zur Neubescheidung zu verpflichten. Dabei kann das Gericht in den Entscheidungsgründen eine sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebende absolute Obergrenze für die Dauer der Frist festlegen. Verpflichtet sind die Gerichte hierzu aber nicht. Allerdings dürfte bei einem hinreichend geklärten Sachverhalt eine grobe Eingrenzung des zulässigen Rahmens der Ausländerbehörde eine sachgerechte Ermessensausübung regelmäßig erheblich erleichtern.

26

Die von der Behörde bei einer Neubescheidung zu beachtenden gerichtlichen Vorgaben können auch den Kläger (materiell) beschweren, denn die in einem rechtskräftigen Bescheidungsurteil (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO) verbindlich zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung des Gerichts wirkt sich auf die Rechtskraft im Sinne des § 121 VwGO aus. Folglich beschwert ein stattgebendes Bescheidungsurteil nicht allein die Behörde, sondern auch den Kläger, wenn sich die vom Gericht als verbindlich erklärte Rechtsauffassung nicht mit der des Klägers deckt und für ihn ungünstiger ist, so dass bei der erneuten Bescheidung auf ihrer Grundlage mit einem ungünstigeren Ergebnis zu rechnen ist als bei Anwendung der vom Kläger für richtig gehaltenen Rechtsansicht. Auf Grund der in § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO angeordneten Bindung an die einem Bescheidungsurteil zugrunde liegende Rechtsauffassung führt ein Rechtsmittel gegen ein solches Urteil auch dann zu einer anderen Entscheidung, wenn sich die Rechtsauffassung, die bei der Neubescheidung maßgebend sein soll, als unzutreffend erweist. In diesem Fall hat das Rechtsmittelgericht das angefochtene Urteil aufzuheben und ggf. selbst ein Bescheidungsurteil zu erlassen, in dem es seine eigene bei der Neubescheidung zu beachtende Rechtsauffassung zum Ausdruck bringt (vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Januar 1995 - 8 C 8.93 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 70 = juris Rn. 13 und vom 18. Juli 2013 - 5 C 8.12 - BVerwGE 147, 216 Rn. 15 f., jeweils m.w.N.).

27

In Anwendung dieser Grundsätze ist das Berufungsurteil nicht zu beanstanden. Da die Entscheidung über die Länge des Einreise- und Aufenthaltsverbots im Ermessen der Ausländerbehörde liegt, hat der Kläger einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf die von ihm begehrte Verpflichtung des Beklagten zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren nur im Falle einer entsprechenden Ermessensverdichtung zu seinen Gunsten. Hierfür ist auf der Grundlage der vom Kläger nicht angegriffenen tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nichts ersichtlich. § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG bestimmt lediglich, unter welchen Voraussetzungen die Frist fünf Jahre überschreiten darf. Dies steht hier nicht (mehr) im Streit, nachdem das Berufungsgericht festgestellt hat, dass diese Voraussetzungen nicht vorliegen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet unter den gegebenen Umständen nicht die Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren. Auch ansonsten weisen die vom Berufungsgericht seinem Bescheidungsausspruch zugrunde gelegten Erwägungen keine Rechtsfehler zu Lasten des Klägers auf. Das Berufungsgericht hat den Beklagten zur Neubescheidung verpflichtet, weil es der Auffassung war, dass die zusammen mit der Ausweisung festgesetzte Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots von sieben Jahren zu lang und damit ermessensfehlerhaft ist. In diesem Zusammenhang hat es der Behörde keine über die gesetzliche Grenze des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG hinausgehende, der revisionsgerichtlichen Rechtskontrolle unterliegende Obergrenze verbindlich vorgegeben, sondern lediglich angemerkt, dass eine Frist von mehr als vier Jahren nach den Umständen des Falls kaum vertretbar sein dürfte. Ob die vom Beklagten inzwischen - in Umsetzung der gerichtlichen Verpflichtung zur Neubescheidung - mit Bescheid vom 24. November 2016 verfügte Befristung auf vier Jahre ermessensfehlerfrei ergangen ist, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

28

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Aufhebung, hilfsweise die Befristung des mit seiner Ausweisung eingetretenen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf unter vier Jahre.

2

Der Kläger, ein 1977 geborener marokkanischer Staatsangehöriger, reiste 1997 zu Studienzwecken nach Deutschland ein. Nach Heirat einer deutschen Staatsangehörigen erhielt er eine Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug, die nach Trennung von seiner Ehefrau als Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG verlängert worden ist.

3

Mit Verfügung vom 24. August 2012 wies der Beklagte den Kläger für die Dauer von sieben Jahren aus dem Bundesgebiet aus (Ziffer 1), drohte ihm die Abschiebung an (Ziffer 3 und 4), verpflichtete ihn, sich regelmäßig bei der örtlichen Polizeiinspektion zu melden (Ziffer 5), beschränkte seinen Aufenthalt auf das Gebiet des Landkreises (Ziffer 6), drohte ihm Zwangsmittel an, wenn er den Verpflichtungen aus Ziffer 5 und 6 nicht nachkommt (Ziffer 7), und lehnte einen Antrag des Klägers auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis ab (Ziffer 9). Die Ausweisung wurde damit begründet, dass der Kläger durch Bezahlung von Telefonrechnungen für einen Terrorverdächtigen die Terrororganisation Al-Qaida unterstützt und in Sicherheitsgesprächen falsche oder unrichtige Angaben über seine Kontakte zu terrorverdächtigen Personen und Organisationen gemacht habe.

4

Die gegen diese Verfügung erhobene Klage hatte beim Verwaltungsgericht keinen Erfolg. Im Berufungsverfahren wandte sich der Kläger nur noch gegen die Regelungen in Ziffer 1 (Ausweisung und Befristung), 5, 6 und 7. In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht stellte der Beklagte die Ausweisung wegen eines zwischenzeitlich vom Kläger gestellten Asylantrags unter die Bedingung, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes abgeschlossen wird oder dass eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist. Nach Aufhebung der Regelungen Ziffer 5, 6 und 7 haben die Beteiligten den Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt.

5

Mit Urteil vom 10. Mai 2016 hat das Oberverwaltungsgericht auf den Hilfsantrag des Klägers die Befristung aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, insoweit unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden; im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Die Rechtmäßigkeit der Ausweisung hat es damit begründet, dass der Kläger die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährde und an seiner Ausweisung nach § 54 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG ein schwerwiegendes Interesse bestehe, weil er den der Unterstützung des Terrorismus verdächtigen "Ali" mehr als nur flüchtig kenne und diesen Umstand im Sicherheitsgespräch vom 31. Oktober 2011 bewusst verschwiegen habe. Für die Annahme eines gegenwärtigen Sicherheitsrisikos spreche, dass er nach wie vor nicht bereit sei, dies einzuräumen und zu erklären. Das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers überwiege dessen Bleibeinteresse, auch wenn er sich seit über 18 Jahren überwiegend rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, die deutsche Sprache spreche, hier unterschiedliche Erwerbstätigkeiten ausgeübt habe, strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei und unterstellt werde, dass er über Kontakte zu in Deutschland lebenden Personen verfüge. Er habe aber auch noch erhebliche Bindungen an seinen Heimatstaat Marokko, in dem er den überwiegenden Teil seines Lebens verbracht habe, dessen Sprache er beherrsche, in dem seine Eltern, fünf Geschwister und sein 2013 geborenes Kind lebten und in dem er sich angesichts seines bisherigen Werdegangs eine Existenzgrundlage aufbauen könne. Auch dem Umstand, dass er eine deutsche Staatsangehörige heiraten wolle, komme angesichts des überwiegenden Ausweisungsinteresses keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Bezüglich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bestehe ein Anspruch auf Neubescheidung, da die festgesetzte Frist von sieben Jahren zu lang sei. Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Aufhebung des Verbots nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG lägen nicht vor. Über die Länge der Frist sei nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen zu entscheiden. Dies sei mit höherrangigem Recht vereinbar. Die bei der Fristbestimmung einzuhaltenden unions-, verfassungs- und menschenrechtlichen Vorgaben stellten ebenso wie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine gesetzliche Ermessensgrenze dar, deren Einhaltung nach § 114 VwGO gerichtlich überprüfbar sei. Unerheblich sei, dass der Behörde bei der Ausweisung kein Ermessen zustehe. Auch der Richtlinie 2008/115/EG sei nicht zu entnehmen, dass ein Ermessensspielraum bei der Fristbemessung unionsrechtswidrig wäre. Für eine über fünf Jahre andauernde Frist fehle es aber an einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Der Kläger sei strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten, ihm sei nur eine vereinzelte Falschangabe anzulasten, die mehrere Jahre zurückliege und der kein gesteigertes Gewicht zukomme. Bei der Neubestimmung habe sich der Beklagte deshalb im Fristrahmen von bis zu fünf Jahren zu bewegen, wobei eine Frist von mehr als vier Jahren nach den Umständen des Falles kaum vertretbar sein dürfte. Im Übrigen seien das Gewicht des Ausweisungsinteresses und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Bei einer spezialpräventiv motivierten Ausweisung bedürfe es der prognostischen Einschätzung, wie lange das der Ausweisung zugrunde liegende Verhalten das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermöge. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Frist müsse sich an höherrangigem Recht messen und ggf. relativieren lassen. Dabei seien insbesondere die in § 53 Abs. 2, § 55 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange in den Blick zu nehmen. Die Abwägung sei nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls im Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorzunehmen und in einem sich anschließenden gerichtlichen Verfahren unter Kontrolle zu halten.

6

Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, soweit sich die Klage auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bezieht. Eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hinsichtlich der Ausweisung hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 10. August 2016 - 1 B 92.16 - verworfen.

7

Der Kläger begehrt mit seiner Revision die Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, hilfsweise zur Befristung auf unter vier Jahre. Das Berufungsgericht hätte nicht zur Neubescheidung verpflichten dürfen, sondern selbst eine kürzere Frist bestimmen müssen. Soweit § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Behörde einen Entscheidungsspielraum einräume, sei dies mit höherrangigem Recht, insbesondere mit dem Unionsrecht, nicht zu vereinbaren.

8

Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.

9

Der Kläger ist im Juli 2016 nach Marokko zurückgekehrt. Mit Bescheid vom 24. November 2016 hat der Beklagte das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf den 25. Juli 2020 befristet.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur die Frage, ob der Kläger hinsichtlich des mit seiner Ausweisung kraft Gesetzes eingetretenen Einreise- und Aufenthaltsverbots - über den Bescheidungsausspruch des Berufungsgerichts hinaus - einen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung, hilfsweise zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren hat. Dieses Begehren hat sich nicht dadurch erledigt, dass der Beklagte - in Umsetzung der vom Berufungsgericht ausgesprochenen Verpflichtung zur Neubescheidung - das Einreise- und Aufenthaltsverbot inzwischen auf vier Jahre seit der Ausreise festgesetzt hat.

11

Soweit der Kläger primär die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots erstrebt, ist die Revision mangels Zulassung nicht statthaft (1.). Hinsichtlich des auf Befristung gerichteten Hilfsantrags ist sie zwar zulässig, aber unbegründet. Das Berufungsurteil verstößt insoweit nicht gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Festsetzung einer bestimmten Frist von weniger als vier Jahren, da die Befristung im Ermessen der Ausländerbehörde liegt und die Voraussetzungen für eine Ermessensverdichtung zu seinen Gunsten nicht vorliegen (2.).

12

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der klägerischen Begehren ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. Urteil vom 6. März 2014 - 1 C 2.13 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 20 Rn. 6). Maßgeblich sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155). Durch die während des Revisionsverfahrens eingetretenen Gesetzesänderungen hat sich die Rechtslage hinsichtlich der hier maßgeblichen Regelungen in § 11 AufenthG aber nicht geändert.

13

1. Die Revision ist hinsichtlich der vom Kläger mit seinem Hauptantrag begehrten Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots mangels Zulassung nicht statthaft.

14

Das Berufungsgericht hat die Revision (nur) zugelassen, soweit sich die Klage auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bezieht. Begründet hat es dies mit den in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretenen unterschiedlichen Auffassungen zum Rechtscharakter der Befristungsentscheidung (UA S. 33). Damit bezieht sich die Zulassung nur auf die vom Kläger hilfsweise begehrte Befristung und nicht (auch) auf die vorrangig angestrebte Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots. Zwar bedarf es nach dem Gesetzeswortlaut des § 11 Abs. 4 AufenthG ("kann") auch bei der Aufhebung einer Ermessensentscheidung. Die Frage des Rechtscharakters war für das Berufungsgericht insoweit aber nicht entscheidungserheblich, da es schon das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für eine Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 4 AufenthG verneint hat.

15

Die Beschränkung der Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht ist wirksam, weil es sich bei der Aufhebung und der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots prozessual um unterschiedliche Streitgegenstände handelt. Nach § 11 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer, der - wie der Kläger - ausgewiesen worden ist, weder erneut in das Bundesgebiet einreisen, noch sich darin aufhalten, noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden (Einreise- und Aufenthaltsverbot). Dieses (gesetzliche) Verbot ist nach § 11 Abs. 2 AufenthG gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung von Amts wegen zu befristen und kann unter den Voraussetzungen des § 11 Abs. 4 AufenthG aufgehoben oder nachträglich verkürzt oder verlängert werden. Mit dieser durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (AufenthBeendBlReNG) vom 27. Juli 2015 (BGBl. I S. 1386) eingeführten Differenzierung hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung des Senats aufgegriffen, wonach unter engen Voraussetzungen eine vollständige Beseitigung der Wirkungen einer Ausweisung ohne vorherige Ausreise geboten sein kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. März 2014 - 1 C 2.13 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 20 Rn. 13 m.w.N.), und hierfür in § 11 Abs. 4 AufenthG eine spezielle Rechtsgrundlage geschaffen (BT-Drs. 18/4097 S. 36 f.). Seit dieser gesetzlichen Neuordnung der Regelungen zur Beseitigung der Wirkungen einer Ausweisung bedarf die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots einer eigenständigen, von der Befristung zu trennenden Entscheidung, die von der Ausländerbehörde nicht nur nachträglich, sondern zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers auch schon zusammen mit der Ausweisung getroffen werden kann.

16

2. Hinsichtlich des auf Befristung gerichteten Hilfsantrags ist die Revision zulässig, aber unbegründet.

17

Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass der Kläger insoweit - anstelle des im Berufungsverfahren gestellten Bescheidungsantrags - im Revisionsverfahren auf einen Verpflichtungsantrag übergegangen ist. Diese Neuformulierung des Klagebegehrens stellt keine nach § 142 Abs. 1 VwGO unzulässige Klageänderung dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. November 2004 - 1 C 23.03 - BVerwGE 122, 193 = juris Rn. 10). Der Kläger hat - über die vom Berufungsgericht ausgesprochene Verpflichtung der Behörde zur Neubescheidung hinaus - aber keinen Anspruch auf Verpflichtung zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren.

18

Nach § 11 Abs. 2 AufenthG ist das mit einer Ausweisung verbundene Einreise- und Aufenthaltsverbot von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise und ist gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung festzusetzen. Über die Länge der Frist wird nach § 11 Abs. 3 AufenthG nach Ermessen entschieden (Satz 1). Die Frist darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht (Satz 2), und soll zehn Jahre nicht überschreiten (Satz 3).

19

Damit hat der Ausländer einen Anspruch auf eine Befristungsentscheidung zusammen mit der Ausweisungsverfügung ("ob"). Hinsichtlich der Länge der festzusetzenden Frist ("wie") bestimmt § 11 Abs. 3 AufenthG in seiner aktuellen Fassung ausdrücklich, dass hierüber im Rahmen der gesetzlichen Vorgabe nach Ermessen zu entscheiden ist, dass die Frist nur unter bestimmten Voraussetzungen fünf Jahre überschreiten darf und zehn Jahre nicht überschreiten soll. Mit dieser durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung im Jahr 2015 eingeführten Regelung hat der Gesetzgeber auf die Rechtsprechung des Senats reagiert, wonach die Bemessung der Frist nach Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht mehr im Ermessen der Ausländerbehörde stand, es sich vielmehr um eine gebundene Entscheidung handelte. Dies hat der Senat vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift mit dessen unionsrechtlicher Prägung durch die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger - Rückführungsrichtlinie - (ABl. L 348 S. 98) und der Bedeutung der Befristung für die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK begründet (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.). Mit der Änderung in § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wollte der Gesetzgeber den früheren Rechtszustand wieder herstellen, indem er den bisher offenen Wortlaut der Vorschrift konkretisiert und damit klargestellt hat, dass über die Dauer der Sperrfrist im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörden zu entscheiden ist (BT-Drs. 18/4097 S. 36).

20

Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass diese gesetzgeberische Entscheidung mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren ist. Die - jedenfalls in Bezug auf die Rechtsfolgen einer Ausweisung - gegenteilige Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim (Urteil vom 9. Dezember 2015 - 11 S 1857/15 - InfAuslR 2016, 138 = juris Rn. 25 ff.) überzeugt im Ergebnis nicht (so im Ergebnis auch VGH München, Urteil vom 28. Juni 2016 - 10 B 15.1854 - juris Rn. 49; OVG Koblenz, Urteil vom 8. November 2016 - 7 A 11058/15 - juris Rn. 26; Hailbronner, AuslR, Stand Februar 2017, § 11 AufenthG Rn. 72 ff.). Die Entscheidung des Senats vom 14. Februar 2012 (BVerwG 1 C 7.11) zu § 11 AufenthG a.F. erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihr ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen.

21

Eine gebundene Entscheidung folgt zunächst nicht aus der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie), und zwar ungeachtet der vom Senat bislang offengelassenen Frage, ob die Befristung der gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung an den Bestimmungen dieser Richtlinie zu messen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 45). Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG enthält mit Ausnahme der grundsätzlich geltenden Fünfjahresfrist keine weiteren inhaltlichen Vorgaben bezüglich der Dauer der Frist, sondern schreibt nur die Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls vor. Hierzu bedarf es nicht zwingend einer gebundenen Entscheidung. Auch dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 13 der Richtlinie 2008/115/EG ist nicht zu entnehmen, dass der Ausländerbehörde vom nationalen Gesetzgeber kein Ermessensspielraum eingeräumt werden darf. Denn die Wirksamkeit eines Rechtsbehelfs bezieht sich auf die umfassende gerichtliche Überprüfung der normativ vorgegebenen Grenzen behördlichen Handelns.

22

Die vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim herangezogenen strukturellen Erwägungen stehen einer Ermessensregelung ebenfalls nicht zwingend entgegen. Der Umstand, dass es sich bei der Ausweisung nach § 53 Abs. 1 AufenthG inzwischen um eine gebundene Entscheidung mit einer tatbestandsbezogenen Abwägung handelt, zwingt den Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht zu einer Regelung, nach der dies auch in Bezug auf die Dauer der mit der Ausweisung verbundenen gesetzlichen Rechtsfolgen der Fall sein muss. Die Ausgestaltung der Ausweisung als gerichtlich voll überprüfbare Abwägungsentscheidung ist auf das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel zurückzuführen, eine "Beschleunigung des Verfahrens und schnellere Rechtssicherheit" zu erreichen (BT-Drs. 18/4097 S. 49 f.). Gleichzeitig wollte der Gesetzgeber, dass über die Dauer der Sperrfrist von der zuständigen Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden ist (BT-Drs. 18/4097 S. 36). Dieser gesetzgeberischen Entscheidung stehen auch die vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim herangezogenen verfassungs- und menschenrechtlichen Vorgaben nicht entgegen. Die Befristung der gesetzlichen Wirkungen einer Ausweisung wirkt sich zwar mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK auf die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 33 m.w.N. aus der Rechtsprechung des EGMR). Die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung kann aber nicht nur durch eine gebundene Befristungsentscheidung sichergestellt werden. Denn auch bei einer Ermessensentscheidung ist die Frage der Verhältnismäßigkeit (auf der Rechtsfolgenseite) zu beachten.

23

Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert auch nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG), sowie unions- und konventionsrechtlich den Vorgaben aus Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 12. Dezember 2007 (BGBl. 2008 II S. 1165) und Art. 8 EMRK gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange. Da für die gerichtliche Überprüfung der Befristungsentscheidung - wie oben dargelegt - auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist, trifft die Ausländerbehörde auch während des gerichtlichen Verfahrens - wie nach altem Recht bei der Ermessensausweisung (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 20 m.w.N.) - eine Pflicht zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Befristungsentscheidung und ggf. zur Ergänzung ihrer Ermessenserwägungen.

24

Die behördliche Befristungsentscheidung unterliegt auch als Ermessensentscheidung über § 114 Abs. 1 Satz 1 VwGO einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle. Zutreffend weist das Berufungsgericht darauf hin, dass bei der Ermessensausübung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für die Behörde eine gesetzliche Ermessensgrenze darstellt, ein Verstoß dagegen zu einer Ermessensüberschreitung führt und der gerichtlichen Überprüfung nach § 114 Abs. 1 Satz 1 VwGO unterliegt. Nichts anderes gilt in Bezug auf unionsrechtlich zu beachtende Vorgaben. Die Entscheidung des Gesetzgebers, der Ausländerbehörde bei der Bestimmung der Frist einen gewissen Spielraum einzuräumen, führt daher im Ergebnis nicht zu einer Verschlechterung der Rechtsstellung des Betroffenen, da die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens von dem im Einzelfall zulässigen Höchstmaß der Frist nicht zu Lasten des Ausländers abweichen darf. Die Einhaltung dieser Obergrenze unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle.

25

Bei einer Ermessensentscheidung obliegt die konkrete Festsetzung der Dauer der Frist grundsätzlich der Ausländerbehörde. Setzt sie ermessensfehlerhaft eine zu lange Frist fest, ist diese Entscheidung im gerichtlichen Verfahren aufzuheben und die Behörde zur Neubescheidung zu verpflichten. Dabei kann das Gericht in den Entscheidungsgründen eine sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebende absolute Obergrenze für die Dauer der Frist festlegen. Verpflichtet sind die Gerichte hierzu aber nicht. Allerdings dürfte bei einem hinreichend geklärten Sachverhalt eine grobe Eingrenzung des zulässigen Rahmens der Ausländerbehörde eine sachgerechte Ermessensausübung regelmäßig erheblich erleichtern.

26

Die von der Behörde bei einer Neubescheidung zu beachtenden gerichtlichen Vorgaben können auch den Kläger (materiell) beschweren, denn die in einem rechtskräftigen Bescheidungsurteil (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO) verbindlich zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung des Gerichts wirkt sich auf die Rechtskraft im Sinne des § 121 VwGO aus. Folglich beschwert ein stattgebendes Bescheidungsurteil nicht allein die Behörde, sondern auch den Kläger, wenn sich die vom Gericht als verbindlich erklärte Rechtsauffassung nicht mit der des Klägers deckt und für ihn ungünstiger ist, so dass bei der erneuten Bescheidung auf ihrer Grundlage mit einem ungünstigeren Ergebnis zu rechnen ist als bei Anwendung der vom Kläger für richtig gehaltenen Rechtsansicht. Auf Grund der in § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO angeordneten Bindung an die einem Bescheidungsurteil zugrunde liegende Rechtsauffassung führt ein Rechtsmittel gegen ein solches Urteil auch dann zu einer anderen Entscheidung, wenn sich die Rechtsauffassung, die bei der Neubescheidung maßgebend sein soll, als unzutreffend erweist. In diesem Fall hat das Rechtsmittelgericht das angefochtene Urteil aufzuheben und ggf. selbst ein Bescheidungsurteil zu erlassen, in dem es seine eigene bei der Neubescheidung zu beachtende Rechtsauffassung zum Ausdruck bringt (vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Januar 1995 - 8 C 8.93 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 70 = juris Rn. 13 und vom 18. Juli 2013 - 5 C 8.12 - BVerwGE 147, 216 Rn. 15 f., jeweils m.w.N.).

27

In Anwendung dieser Grundsätze ist das Berufungsurteil nicht zu beanstanden. Da die Entscheidung über die Länge des Einreise- und Aufenthaltsverbots im Ermessen der Ausländerbehörde liegt, hat der Kläger einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf die von ihm begehrte Verpflichtung des Beklagten zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren nur im Falle einer entsprechenden Ermessensverdichtung zu seinen Gunsten. Hierfür ist auf der Grundlage der vom Kläger nicht angegriffenen tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nichts ersichtlich. § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG bestimmt lediglich, unter welchen Voraussetzungen die Frist fünf Jahre überschreiten darf. Dies steht hier nicht (mehr) im Streit, nachdem das Berufungsgericht festgestellt hat, dass diese Voraussetzungen nicht vorliegen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet unter den gegebenen Umständen nicht die Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren. Auch ansonsten weisen die vom Berufungsgericht seinem Bescheidungsausspruch zugrunde gelegten Erwägungen keine Rechtsfehler zu Lasten des Klägers auf. Das Berufungsgericht hat den Beklagten zur Neubescheidung verpflichtet, weil es der Auffassung war, dass die zusammen mit der Ausweisung festgesetzte Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots von sieben Jahren zu lang und damit ermessensfehlerhaft ist. In diesem Zusammenhang hat es der Behörde keine über die gesetzliche Grenze des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG hinausgehende, der revisionsgerichtlichen Rechtskontrolle unterliegende Obergrenze verbindlich vorgegeben, sondern lediglich angemerkt, dass eine Frist von mehr als vier Jahren nach den Umständen des Falls kaum vertretbar sein dürfte. Ob die vom Beklagten inzwischen - in Umsetzung der gerichtlichen Verpflichtung zur Neubescheidung - mit Bescheid vom 24. November 2016 verfügte Befristung auf vier Jahre ermessensfehlerfrei ergangen ist, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

28

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Aufhebung, hilfsweise die Befristung des mit seiner Ausweisung eingetretenen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf unter vier Jahre.

2

Der Kläger, ein 1977 geborener marokkanischer Staatsangehöriger, reiste 1997 zu Studienzwecken nach Deutschland ein. Nach Heirat einer deutschen Staatsangehörigen erhielt er eine Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug, die nach Trennung von seiner Ehefrau als Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG verlängert worden ist.

3

Mit Verfügung vom 24. August 2012 wies der Beklagte den Kläger für die Dauer von sieben Jahren aus dem Bundesgebiet aus (Ziffer 1), drohte ihm die Abschiebung an (Ziffer 3 und 4), verpflichtete ihn, sich regelmäßig bei der örtlichen Polizeiinspektion zu melden (Ziffer 5), beschränkte seinen Aufenthalt auf das Gebiet des Landkreises (Ziffer 6), drohte ihm Zwangsmittel an, wenn er den Verpflichtungen aus Ziffer 5 und 6 nicht nachkommt (Ziffer 7), und lehnte einen Antrag des Klägers auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis ab (Ziffer 9). Die Ausweisung wurde damit begründet, dass der Kläger durch Bezahlung von Telefonrechnungen für einen Terrorverdächtigen die Terrororganisation Al-Qaida unterstützt und in Sicherheitsgesprächen falsche oder unrichtige Angaben über seine Kontakte zu terrorverdächtigen Personen und Organisationen gemacht habe.

4

Die gegen diese Verfügung erhobene Klage hatte beim Verwaltungsgericht keinen Erfolg. Im Berufungsverfahren wandte sich der Kläger nur noch gegen die Regelungen in Ziffer 1 (Ausweisung und Befristung), 5, 6 und 7. In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht stellte der Beklagte die Ausweisung wegen eines zwischenzeitlich vom Kläger gestellten Asylantrags unter die Bedingung, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes abgeschlossen wird oder dass eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist. Nach Aufhebung der Regelungen Ziffer 5, 6 und 7 haben die Beteiligten den Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt.

5

Mit Urteil vom 10. Mai 2016 hat das Oberverwaltungsgericht auf den Hilfsantrag des Klägers die Befristung aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, insoweit unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden; im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Die Rechtmäßigkeit der Ausweisung hat es damit begründet, dass der Kläger die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährde und an seiner Ausweisung nach § 54 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG ein schwerwiegendes Interesse bestehe, weil er den der Unterstützung des Terrorismus verdächtigen "Ali" mehr als nur flüchtig kenne und diesen Umstand im Sicherheitsgespräch vom 31. Oktober 2011 bewusst verschwiegen habe. Für die Annahme eines gegenwärtigen Sicherheitsrisikos spreche, dass er nach wie vor nicht bereit sei, dies einzuräumen und zu erklären. Das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers überwiege dessen Bleibeinteresse, auch wenn er sich seit über 18 Jahren überwiegend rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, die deutsche Sprache spreche, hier unterschiedliche Erwerbstätigkeiten ausgeübt habe, strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei und unterstellt werde, dass er über Kontakte zu in Deutschland lebenden Personen verfüge. Er habe aber auch noch erhebliche Bindungen an seinen Heimatstaat Marokko, in dem er den überwiegenden Teil seines Lebens verbracht habe, dessen Sprache er beherrsche, in dem seine Eltern, fünf Geschwister und sein 2013 geborenes Kind lebten und in dem er sich angesichts seines bisherigen Werdegangs eine Existenzgrundlage aufbauen könne. Auch dem Umstand, dass er eine deutsche Staatsangehörige heiraten wolle, komme angesichts des überwiegenden Ausweisungsinteresses keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Bezüglich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bestehe ein Anspruch auf Neubescheidung, da die festgesetzte Frist von sieben Jahren zu lang sei. Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Aufhebung des Verbots nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG lägen nicht vor. Über die Länge der Frist sei nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen zu entscheiden. Dies sei mit höherrangigem Recht vereinbar. Die bei der Fristbestimmung einzuhaltenden unions-, verfassungs- und menschenrechtlichen Vorgaben stellten ebenso wie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine gesetzliche Ermessensgrenze dar, deren Einhaltung nach § 114 VwGO gerichtlich überprüfbar sei. Unerheblich sei, dass der Behörde bei der Ausweisung kein Ermessen zustehe. Auch der Richtlinie 2008/115/EG sei nicht zu entnehmen, dass ein Ermessensspielraum bei der Fristbemessung unionsrechtswidrig wäre. Für eine über fünf Jahre andauernde Frist fehle es aber an einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Der Kläger sei strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten, ihm sei nur eine vereinzelte Falschangabe anzulasten, die mehrere Jahre zurückliege und der kein gesteigertes Gewicht zukomme. Bei der Neubestimmung habe sich der Beklagte deshalb im Fristrahmen von bis zu fünf Jahren zu bewegen, wobei eine Frist von mehr als vier Jahren nach den Umständen des Falles kaum vertretbar sein dürfte. Im Übrigen seien das Gewicht des Ausweisungsinteresses und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Bei einer spezialpräventiv motivierten Ausweisung bedürfe es der prognostischen Einschätzung, wie lange das der Ausweisung zugrunde liegende Verhalten das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermöge. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Frist müsse sich an höherrangigem Recht messen und ggf. relativieren lassen. Dabei seien insbesondere die in § 53 Abs. 2, § 55 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange in den Blick zu nehmen. Die Abwägung sei nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls im Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorzunehmen und in einem sich anschließenden gerichtlichen Verfahren unter Kontrolle zu halten.

6

Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, soweit sich die Klage auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bezieht. Eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hinsichtlich der Ausweisung hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 10. August 2016 - 1 B 92.16 - verworfen.

7

Der Kläger begehrt mit seiner Revision die Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, hilfsweise zur Befristung auf unter vier Jahre. Das Berufungsgericht hätte nicht zur Neubescheidung verpflichten dürfen, sondern selbst eine kürzere Frist bestimmen müssen. Soweit § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Behörde einen Entscheidungsspielraum einräume, sei dies mit höherrangigem Recht, insbesondere mit dem Unionsrecht, nicht zu vereinbaren.

8

Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.

9

Der Kläger ist im Juli 2016 nach Marokko zurückgekehrt. Mit Bescheid vom 24. November 2016 hat der Beklagte das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf den 25. Juli 2020 befristet.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur die Frage, ob der Kläger hinsichtlich des mit seiner Ausweisung kraft Gesetzes eingetretenen Einreise- und Aufenthaltsverbots - über den Bescheidungsausspruch des Berufungsgerichts hinaus - einen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung, hilfsweise zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren hat. Dieses Begehren hat sich nicht dadurch erledigt, dass der Beklagte - in Umsetzung der vom Berufungsgericht ausgesprochenen Verpflichtung zur Neubescheidung - das Einreise- und Aufenthaltsverbot inzwischen auf vier Jahre seit der Ausreise festgesetzt hat.

11

Soweit der Kläger primär die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots erstrebt, ist die Revision mangels Zulassung nicht statthaft (1.). Hinsichtlich des auf Befristung gerichteten Hilfsantrags ist sie zwar zulässig, aber unbegründet. Das Berufungsurteil verstößt insoweit nicht gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Festsetzung einer bestimmten Frist von weniger als vier Jahren, da die Befristung im Ermessen der Ausländerbehörde liegt und die Voraussetzungen für eine Ermessensverdichtung zu seinen Gunsten nicht vorliegen (2.).

12

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der klägerischen Begehren ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. Urteil vom 6. März 2014 - 1 C 2.13 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 20 Rn. 6). Maßgeblich sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155). Durch die während des Revisionsverfahrens eingetretenen Gesetzesänderungen hat sich die Rechtslage hinsichtlich der hier maßgeblichen Regelungen in § 11 AufenthG aber nicht geändert.

13

1. Die Revision ist hinsichtlich der vom Kläger mit seinem Hauptantrag begehrten Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots mangels Zulassung nicht statthaft.

14

Das Berufungsgericht hat die Revision (nur) zugelassen, soweit sich die Klage auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bezieht. Begründet hat es dies mit den in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretenen unterschiedlichen Auffassungen zum Rechtscharakter der Befristungsentscheidung (UA S. 33). Damit bezieht sich die Zulassung nur auf die vom Kläger hilfsweise begehrte Befristung und nicht (auch) auf die vorrangig angestrebte Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots. Zwar bedarf es nach dem Gesetzeswortlaut des § 11 Abs. 4 AufenthG ("kann") auch bei der Aufhebung einer Ermessensentscheidung. Die Frage des Rechtscharakters war für das Berufungsgericht insoweit aber nicht entscheidungserheblich, da es schon das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für eine Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 4 AufenthG verneint hat.

15

Die Beschränkung der Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht ist wirksam, weil es sich bei der Aufhebung und der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots prozessual um unterschiedliche Streitgegenstände handelt. Nach § 11 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer, der - wie der Kläger - ausgewiesen worden ist, weder erneut in das Bundesgebiet einreisen, noch sich darin aufhalten, noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden (Einreise- und Aufenthaltsverbot). Dieses (gesetzliche) Verbot ist nach § 11 Abs. 2 AufenthG gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung von Amts wegen zu befristen und kann unter den Voraussetzungen des § 11 Abs. 4 AufenthG aufgehoben oder nachträglich verkürzt oder verlängert werden. Mit dieser durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (AufenthBeendBlReNG) vom 27. Juli 2015 (BGBl. I S. 1386) eingeführten Differenzierung hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung des Senats aufgegriffen, wonach unter engen Voraussetzungen eine vollständige Beseitigung der Wirkungen einer Ausweisung ohne vorherige Ausreise geboten sein kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. März 2014 - 1 C 2.13 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 20 Rn. 13 m.w.N.), und hierfür in § 11 Abs. 4 AufenthG eine spezielle Rechtsgrundlage geschaffen (BT-Drs. 18/4097 S. 36 f.). Seit dieser gesetzlichen Neuordnung der Regelungen zur Beseitigung der Wirkungen einer Ausweisung bedarf die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots einer eigenständigen, von der Befristung zu trennenden Entscheidung, die von der Ausländerbehörde nicht nur nachträglich, sondern zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers auch schon zusammen mit der Ausweisung getroffen werden kann.

16

2. Hinsichtlich des auf Befristung gerichteten Hilfsantrags ist die Revision zulässig, aber unbegründet.

17

Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass der Kläger insoweit - anstelle des im Berufungsverfahren gestellten Bescheidungsantrags - im Revisionsverfahren auf einen Verpflichtungsantrag übergegangen ist. Diese Neuformulierung des Klagebegehrens stellt keine nach § 142 Abs. 1 VwGO unzulässige Klageänderung dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. November 2004 - 1 C 23.03 - BVerwGE 122, 193 = juris Rn. 10). Der Kläger hat - über die vom Berufungsgericht ausgesprochene Verpflichtung der Behörde zur Neubescheidung hinaus - aber keinen Anspruch auf Verpflichtung zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren.

18

Nach § 11 Abs. 2 AufenthG ist das mit einer Ausweisung verbundene Einreise- und Aufenthaltsverbot von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise und ist gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung festzusetzen. Über die Länge der Frist wird nach § 11 Abs. 3 AufenthG nach Ermessen entschieden (Satz 1). Die Frist darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht (Satz 2), und soll zehn Jahre nicht überschreiten (Satz 3).

19

Damit hat der Ausländer einen Anspruch auf eine Befristungsentscheidung zusammen mit der Ausweisungsverfügung ("ob"). Hinsichtlich der Länge der festzusetzenden Frist ("wie") bestimmt § 11 Abs. 3 AufenthG in seiner aktuellen Fassung ausdrücklich, dass hierüber im Rahmen der gesetzlichen Vorgabe nach Ermessen zu entscheiden ist, dass die Frist nur unter bestimmten Voraussetzungen fünf Jahre überschreiten darf und zehn Jahre nicht überschreiten soll. Mit dieser durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung im Jahr 2015 eingeführten Regelung hat der Gesetzgeber auf die Rechtsprechung des Senats reagiert, wonach die Bemessung der Frist nach Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht mehr im Ermessen der Ausländerbehörde stand, es sich vielmehr um eine gebundene Entscheidung handelte. Dies hat der Senat vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift mit dessen unionsrechtlicher Prägung durch die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger - Rückführungsrichtlinie - (ABl. L 348 S. 98) und der Bedeutung der Befristung für die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK begründet (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.). Mit der Änderung in § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wollte der Gesetzgeber den früheren Rechtszustand wieder herstellen, indem er den bisher offenen Wortlaut der Vorschrift konkretisiert und damit klargestellt hat, dass über die Dauer der Sperrfrist im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörden zu entscheiden ist (BT-Drs. 18/4097 S. 36).

20

Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass diese gesetzgeberische Entscheidung mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren ist. Die - jedenfalls in Bezug auf die Rechtsfolgen einer Ausweisung - gegenteilige Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim (Urteil vom 9. Dezember 2015 - 11 S 1857/15 - InfAuslR 2016, 138 = juris Rn. 25 ff.) überzeugt im Ergebnis nicht (so im Ergebnis auch VGH München, Urteil vom 28. Juni 2016 - 10 B 15.1854 - juris Rn. 49; OVG Koblenz, Urteil vom 8. November 2016 - 7 A 11058/15 - juris Rn. 26; Hailbronner, AuslR, Stand Februar 2017, § 11 AufenthG Rn. 72 ff.). Die Entscheidung des Senats vom 14. Februar 2012 (BVerwG 1 C 7.11) zu § 11 AufenthG a.F. erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihr ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen.

21

Eine gebundene Entscheidung folgt zunächst nicht aus der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie), und zwar ungeachtet der vom Senat bislang offengelassenen Frage, ob die Befristung der gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung an den Bestimmungen dieser Richtlinie zu messen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 45). Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG enthält mit Ausnahme der grundsätzlich geltenden Fünfjahresfrist keine weiteren inhaltlichen Vorgaben bezüglich der Dauer der Frist, sondern schreibt nur die Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls vor. Hierzu bedarf es nicht zwingend einer gebundenen Entscheidung. Auch dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 13 der Richtlinie 2008/115/EG ist nicht zu entnehmen, dass der Ausländerbehörde vom nationalen Gesetzgeber kein Ermessensspielraum eingeräumt werden darf. Denn die Wirksamkeit eines Rechtsbehelfs bezieht sich auf die umfassende gerichtliche Überprüfung der normativ vorgegebenen Grenzen behördlichen Handelns.

22

Die vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim herangezogenen strukturellen Erwägungen stehen einer Ermessensregelung ebenfalls nicht zwingend entgegen. Der Umstand, dass es sich bei der Ausweisung nach § 53 Abs. 1 AufenthG inzwischen um eine gebundene Entscheidung mit einer tatbestandsbezogenen Abwägung handelt, zwingt den Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht zu einer Regelung, nach der dies auch in Bezug auf die Dauer der mit der Ausweisung verbundenen gesetzlichen Rechtsfolgen der Fall sein muss. Die Ausgestaltung der Ausweisung als gerichtlich voll überprüfbare Abwägungsentscheidung ist auf das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel zurückzuführen, eine "Beschleunigung des Verfahrens und schnellere Rechtssicherheit" zu erreichen (BT-Drs. 18/4097 S. 49 f.). Gleichzeitig wollte der Gesetzgeber, dass über die Dauer der Sperrfrist von der zuständigen Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden ist (BT-Drs. 18/4097 S. 36). Dieser gesetzgeberischen Entscheidung stehen auch die vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim herangezogenen verfassungs- und menschenrechtlichen Vorgaben nicht entgegen. Die Befristung der gesetzlichen Wirkungen einer Ausweisung wirkt sich zwar mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK auf die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 33 m.w.N. aus der Rechtsprechung des EGMR). Die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung kann aber nicht nur durch eine gebundene Befristungsentscheidung sichergestellt werden. Denn auch bei einer Ermessensentscheidung ist die Frage der Verhältnismäßigkeit (auf der Rechtsfolgenseite) zu beachten.

23

Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert auch nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG), sowie unions- und konventionsrechtlich den Vorgaben aus Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 12. Dezember 2007 (BGBl. 2008 II S. 1165) und Art. 8 EMRK gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange. Da für die gerichtliche Überprüfung der Befristungsentscheidung - wie oben dargelegt - auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist, trifft die Ausländerbehörde auch während des gerichtlichen Verfahrens - wie nach altem Recht bei der Ermessensausweisung (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 20 m.w.N.) - eine Pflicht zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Befristungsentscheidung und ggf. zur Ergänzung ihrer Ermessenserwägungen.

24

Die behördliche Befristungsentscheidung unterliegt auch als Ermessensentscheidung über § 114 Abs. 1 Satz 1 VwGO einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle. Zutreffend weist das Berufungsgericht darauf hin, dass bei der Ermessensausübung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für die Behörde eine gesetzliche Ermessensgrenze darstellt, ein Verstoß dagegen zu einer Ermessensüberschreitung führt und der gerichtlichen Überprüfung nach § 114 Abs. 1 Satz 1 VwGO unterliegt. Nichts anderes gilt in Bezug auf unionsrechtlich zu beachtende Vorgaben. Die Entscheidung des Gesetzgebers, der Ausländerbehörde bei der Bestimmung der Frist einen gewissen Spielraum einzuräumen, führt daher im Ergebnis nicht zu einer Verschlechterung der Rechtsstellung des Betroffenen, da die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens von dem im Einzelfall zulässigen Höchstmaß der Frist nicht zu Lasten des Ausländers abweichen darf. Die Einhaltung dieser Obergrenze unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle.

25

Bei einer Ermessensentscheidung obliegt die konkrete Festsetzung der Dauer der Frist grundsätzlich der Ausländerbehörde. Setzt sie ermessensfehlerhaft eine zu lange Frist fest, ist diese Entscheidung im gerichtlichen Verfahren aufzuheben und die Behörde zur Neubescheidung zu verpflichten. Dabei kann das Gericht in den Entscheidungsgründen eine sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebende absolute Obergrenze für die Dauer der Frist festlegen. Verpflichtet sind die Gerichte hierzu aber nicht. Allerdings dürfte bei einem hinreichend geklärten Sachverhalt eine grobe Eingrenzung des zulässigen Rahmens der Ausländerbehörde eine sachgerechte Ermessensausübung regelmäßig erheblich erleichtern.

26

Die von der Behörde bei einer Neubescheidung zu beachtenden gerichtlichen Vorgaben können auch den Kläger (materiell) beschweren, denn die in einem rechtskräftigen Bescheidungsurteil (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO) verbindlich zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung des Gerichts wirkt sich auf die Rechtskraft im Sinne des § 121 VwGO aus. Folglich beschwert ein stattgebendes Bescheidungsurteil nicht allein die Behörde, sondern auch den Kläger, wenn sich die vom Gericht als verbindlich erklärte Rechtsauffassung nicht mit der des Klägers deckt und für ihn ungünstiger ist, so dass bei der erneuten Bescheidung auf ihrer Grundlage mit einem ungünstigeren Ergebnis zu rechnen ist als bei Anwendung der vom Kläger für richtig gehaltenen Rechtsansicht. Auf Grund der in § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO angeordneten Bindung an die einem Bescheidungsurteil zugrunde liegende Rechtsauffassung führt ein Rechtsmittel gegen ein solches Urteil auch dann zu einer anderen Entscheidung, wenn sich die Rechtsauffassung, die bei der Neubescheidung maßgebend sein soll, als unzutreffend erweist. In diesem Fall hat das Rechtsmittelgericht das angefochtene Urteil aufzuheben und ggf. selbst ein Bescheidungsurteil zu erlassen, in dem es seine eigene bei der Neubescheidung zu beachtende Rechtsauffassung zum Ausdruck bringt (vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Januar 1995 - 8 C 8.93 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 70 = juris Rn. 13 und vom 18. Juli 2013 - 5 C 8.12 - BVerwGE 147, 216 Rn. 15 f., jeweils m.w.N.).

27

In Anwendung dieser Grundsätze ist das Berufungsurteil nicht zu beanstanden. Da die Entscheidung über die Länge des Einreise- und Aufenthaltsverbots im Ermessen der Ausländerbehörde liegt, hat der Kläger einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf die von ihm begehrte Verpflichtung des Beklagten zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren nur im Falle einer entsprechenden Ermessensverdichtung zu seinen Gunsten. Hierfür ist auf der Grundlage der vom Kläger nicht angegriffenen tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nichts ersichtlich. § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG bestimmt lediglich, unter welchen Voraussetzungen die Frist fünf Jahre überschreiten darf. Dies steht hier nicht (mehr) im Streit, nachdem das Berufungsgericht festgestellt hat, dass diese Voraussetzungen nicht vorliegen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet unter den gegebenen Umständen nicht die Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren. Auch ansonsten weisen die vom Berufungsgericht seinem Bescheidungsausspruch zugrunde gelegten Erwägungen keine Rechtsfehler zu Lasten des Klägers auf. Das Berufungsgericht hat den Beklagten zur Neubescheidung verpflichtet, weil es der Auffassung war, dass die zusammen mit der Ausweisung festgesetzte Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots von sieben Jahren zu lang und damit ermessensfehlerhaft ist. In diesem Zusammenhang hat es der Behörde keine über die gesetzliche Grenze des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG hinausgehende, der revisionsgerichtlichen Rechtskontrolle unterliegende Obergrenze verbindlich vorgegeben, sondern lediglich angemerkt, dass eine Frist von mehr als vier Jahren nach den Umständen des Falls kaum vertretbar sein dürfte. Ob die vom Beklagten inzwischen - in Umsetzung der gerichtlichen Verpflichtung zur Neubescheidung - mit Bescheid vom 24. November 2016 verfügte Befristung auf vier Jahre ermessensfehlerfrei ergangen ist, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

28

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus Deutschland. Hilfsweise erstrebt er eine neue Entscheidung des Beklagten über die Befristung des mit der Ausweisung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots.

2

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volkszugehörigkeit. Er wurde 1973 in der Türkei geboren, ist verheiratet und hat sieben Kinder. Er reiste 1997 nach Deutschland ein und beantragte hier Asyl, da er in der Türkei wegen seines Engagements in prokurdischen Vereinen und Parteien sowie verwandtschaftlichen Beziehungen zu Guerillakämpfern der sog. Arbeiterpartei Kurdistans - PKK - an Leib und Leben bedroht sei. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) vom 9. Oktober 1997 wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach dem damaligen § 51 Abs. 1 AuslG 1990 zuerkannt und zu seinen Gunsten ein Abschiebungsverbot wegen drohender Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK (damals § 53 Abs. 4 AuslG 1990) festgestellt. Der Kläger ist lediglich sporadisch und für kurze Zeiträume einer Erwerbstätigkeit nachgegangen, gleiches gilt für seine Ehefrau. Er bezieht mit seiner Familie Leistungen nach dem SGB II.

3

Vom 1. April 1998 bis zum 1. Dezember 2009 war der Kläger im Besitz jeweils befristeter Aufenthaltstitel. Am 13. März 2009 teilte das Bundesamt der Ausländerbehörde mit, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 73 Abs. 1 oder 2 AsylVfG nicht vorlägen. Im März 2009 stellte der Kläger bei der Ausländerbehörde der Stadt M. einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Auf Anfrage teilte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg der Ausländerbehörde im Mai 2009 mit, dass hinsichtlich der Person des Klägers "Erkenntnisse" vorlägen, über die das Innenministerium Baden-Württemberg gesondert informiert worden sei. Dessen ungeachtet wurde dem Kläger am 4. Dezember 2009 ohne weitere Mitteilung zum Stand der Sicherheitsüberprüfung eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG erteilt.

4

Das Regierungspräsidium K. teilte dem Kläger mit Schreiben vom 23. Juli 2010 mit, dass die Niederlassungserlaubnis in Unkenntnis der Sicherheitsbedenken erteilt worden sei und derzeit deren Rücknahme und eine Ausweisung geprüft werde. Hierzu werde dem Kläger die Möglichkeit eines Sicherheitsgesprächs zur weiteren Aufklärung gegeben. Dieses fand im Februar 2011 statt; allerdings verweigerte der Kläger mit Ausnahme eines durch ihn ausgefüllten Fragebogens die weitere Mitwirkung.

5

Mit Verfügung vom 10. Januar 2012 wies das Regierungspräsidium K. den Kläger aus (Ziffer 1) und stützte sich dabei auf § 54 Nr. 5, § 56 Abs. 1, § 55 AufenthG a.F. Zudem wurde der Kläger verpflichtet, sich zweimal wöchentlich unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapiers bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, und sein Aufenthalt wurde auf den Bereich der Stadt M. begrenzt (Ziffer 2).

6

Die Ausweisung sei gerechtfertigt, weil Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Kläger Vereinigungen unterstütze, die ihrerseits den Terrorismus unterstützten. So habe der Kläger nach den vorliegenden Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in den Jahren 2001 bis 2010 regelmäßig an näher bezeichneten Veranstaltungen und Demonstrationen der PKK-Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL teilgenommen und sei teilweise auch selbst als Redner bei derartigen Veranstaltungen aufgetreten. Von 2001 bis 2003/2004 sei er Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Kurdischer Kulturverein e.V." in L. gewesen. Außerdem sei er seit langem Vorstandsmitglied und nunmehr sogar zweiter Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM). Die Ausweisung sei trotz des dem Kläger als anerkanntem Flüchtling zustehenden besonderen Ausweisungsschutzes aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt und auch mit Blick auf die Bleibeinteressen des Klägers verhältnismäßig. Sie führe zudem nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung, vielmehr bleibe seine Abschiebung ausgesetzt, da ihr Abschiebungsverbote aufgrund der Rechtsstellung des Klägers als Flüchtling sowie nach § 60 Abs. 5 AufenthG entgegenstünden. Die angeordnete zweimalige wöchentliche Meldepflicht und die räumliche Beschränkung auf den Stadtbezirk M. beruhten auf § 54a AufenthG (a.F.) und seien mit Blick auf die gebotene Überwachung des Klägers und zur Eindämmung seiner gefahrbegründenden Aktivitäten erforderlich und angemessen.

7

Das Verwaltungsgericht hat die gegen die Verfügung gerichtete Klage mit Urteil vom 27. Januar 2015 abgewiesen, zugleich aber den Beklagten verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf acht Jahre nach Ausreise des Klägers zu befristen. Mit Urteil vom 13. Januar 2016 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung zurückgewiesen. Dabei hat er die angefochtene Ausweisungsverfügung an der seit dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung des AufenthG gemessen. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof insbesondere ausgeführt: Im Fall des Klägers liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, weil der Kläger in überwiegend herausgehobener Funktion die PKK und damit eine terroristische oder den Terrorismus unterstützende Vereinigung unterstützt habe. Dabei seien allerdings nur Aktivitäten nach Juli 2010 heranzuziehen, also nach der an den Kläger gerichteten Mitteilung, wegen seiner Aktivitäten werde die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft. Als tatbestandserhebliches Unterstützen sei hiernach jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirke. Nach diesem Maßstab seien die im Urteil im Einzelnen näher bezeichneten und durch den Kläger in der Sache eingeräumten Betätigungen als Teilnehmer, Mitglied, Redner und Versammlungsleiter bei diversen die PKK unterstützenden Veranstaltungen sowie als Vorstandsmitglied der die PKK unterstützenden YEK-KOM und deren Nachfolgeorganisation NAV-DEM als Unterstützungshandlung zu werten. Angesichts des Ablaufs der Veranstaltungen, der dort gehaltenen Reden und der klaren Ausrichtung auf den Führerkult um den PKK-Führer Öcalan sowie gefallene Märtyrer bestünden für das Berufungsgericht keine Zweifel daran, dass sich der Kläger den Zielen der PKK verpflichtet fühle und sie mit seinem Tun unterstützen wolle.

8

Die Ausweisungsverfügung werde auch dem erhöhten Ausweisungsschutz gerecht, der dem Kläger als anerkanntem Flüchtling nach § 53 Abs. 3 AufenthG zustehe. Denn es lägen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU vor, wonach ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel widerrufen werden könne.

9

Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse stehe ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber. Denn er habe eine Niederlassungserlaubnis besessen, die gerade durch die Ausweisungsverfügung betroffen sei. Er lebe mit deutschen Familienangehörigen (sechs seiner Kinder) in familiärer Lebensgemeinschaft und übe sein Personensorgerecht für seine minderjährigen Kinder aus. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung überwiege jedoch das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers.

10

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Revision und rügt in mehrfacher Hinsicht eine Verletzung von Bundesrecht. Zunächst habe das Berufungsgericht den Begriff des "Unterstützens" in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG fehlerhaft ausgelegt und angewandt. Der von ihm in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht angewandte Unterstützungsbegriff sei rechtsstaatlich nicht hinreichend konkret. Jedenfalls auf der Grundlage des neuen, seit Jahresanfang 2016 geltenden Ausweisungsrechts, das nach "schwerwiegenden" und "besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen" differenziere, sei dieser Unterstützungsbegriff nicht mehr als Abgrenzungskriterium geeignet. Notwendig sei ein gefahrenabwehrrechtlich ausgerichteter Unterstützungsbegriff, der sich etwa in Anlehnung an strafrechtliche Zurechnungskriterien wie Anstiftung oder Beihilfe oder die im Strafrecht für Organisationsdelikte entwickelten Zurechnungskriterien gewinnen lassen könne.

11

Fehlerhaft sei zudem die Auslegung und Anwendung von § 53 Abs. 3 AufenthG im Hinblick auf die sich aus Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie ergebenden Voraussetzungen. Denn das Berufungsgericht habe weder festgestellt, dass der Kläger unmittelbar der PKK angehöre, noch dass sich die YEK-KOM oder die NAV-DEM selbst terroristischer Methoden bedienten. Weiterhin verkenne das Berufungsgericht die durch den Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) aufgestellten Anforderungen an die festzustellenden Unterstützungshandlungen. Danach sei insbesondere zu prüfen, ob der Betroffene selbst terroristische Handlungen begangen habe, ob und in welchem Maße er an der Planung, an Entscheidungen oder an der Anleitung anderer Personen zum Zwecke der Begehung solcher Handlungen beteiligt war und ob und in welchem Umfang er solche Handlungen finanziert oder anderen Personen die Mittel für ihre Begehung verschafft habe. Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts habe der EuGH damit nicht lediglich beispielhaft die in den maßgeblichen Vorlagefragen des Ausgangsverfahrens vorgehaltenen Handlungen herausgegriffen, sondern in einem abschließenden Sinne bestimmte Kriterien vorgegeben.

12

Weiter setze der Gefahrenbegriff des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine "konkrete Gefahr" voraus. Weder der Wortlaut noch die der Vorschrift zugrunde liegende Entstehungsgeschichte rechtfertigten eine Absenkung dieser Gefahrenschwelle. Das Berufungsgericht hätte daher prüfen müssen, ob der Kläger die für die objektive Unterstützung zu Grunde gelegten Tatsachen und Umstände gekannt und eine zweckgerichtete Unterstützung auch gewollt habe.

13

Schließlich habe das Berufungsgericht verkannt, dass dem Kläger nach dem Urteil des EuGH vom 24. Juni 2015 selbst dann, wenn ihm der Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie entzogen werden dürfe, für die Zeit der Fortdauer seines Flüchtlingsstatus die Rechte nach Kapitel VII dieser Richtlinie erhalten bleiben. Deshalb beantragte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hilfsweise, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass ihm auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie.

14

Der Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und tritt der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bei.

15

Während des Revisionsverfahrens hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 20. Oktober 2016 die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes für den Kläger widerrufen und entschieden, ihm weder die Flüchtlingseigenschaft noch den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Gegen den Bescheid hat der Kläger Klage erhoben.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist im Wesentlichen unbegründet. Das Berufungsgericht hat die Ausweisung des Klägers und die ihm auferlegte Meldepflicht und Aufenthaltsbeschränkung im Ergebnis zu Recht als rechtmäßig eingestuft. Allerdings war auf der Grundlage der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG der Beklagte zu einer nunmehr gebotenen Ermessensentscheidung über die festzusetzende Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG zu verpflichten.

17

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren des Klägers auf Aufhebung der Ausweisung (Ziffer 1 des Bescheids) sowie der Meldeauflagen und Aufenthaltsbeschränkung (Ziffer 2 des Bescheids). Aber auch der Streit über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs - im Berufungsverfahren und anschließend im Revisionsverfahren angefallen. Denn das Befristungsbegehren ist als Minus notwendiger Bestandteil des Begehrens auf Aufhebung einer Ausweisung und kann daher von den Parteien nicht gesondert aus dem Verfahren ausgegliedert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 28 ff.). Hiervon sind im Übrigen vorliegend auch die Parteien übereinstimmend ausgegangen.

18

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der Meldepflicht und der Aufenthaltsbeschränkung sowie der vom Kläger hilfsweise begehrten Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 8 m.w.N.). Der Entscheidung sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162) zugrunde zu legen, zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155).

19

A. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG, weil der Kläger anerkannter Flüchtling ist.

20

1. Nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht ergibt sich der Grundtatbestand der Ausweisung aus § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

21

Das neue Ausweisungsrecht gibt das mit dem Ausländergesetz 1990 eingeführte dreistufige Konzept der Ist-, Regel- und Kann-Ausweisung auf. Stattdessen hat sich der Gesetzgeber für ein einheitliches System der rechtlich gebundenen Ausweisung entschieden ("wird ausgewiesen"), das vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. § 54 AufenthG benennt konkret die Gründe, wann das Ausweisungsinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt und knüpft damit an Tatbestände der früheren Ist- und Regelausweisung an. In § 55 AufenthG werden - spiegelbildlich hierzu - Tatbestände normiert, denen zufolge das Bleibeinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt, wobei auch die Aufzählung der "schwer" wiegenden Bleibeinteressen nicht abschließend ist. In § 53 Abs. 2 AufenthG werden Gesichtspunkte genannt, die bei der Abwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sind, insbesondere die Dauer des Aufenthalts, Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, Folgen der Ausweisung für Angehörige und Partner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat.

22

Die Rechtsprechung des Senats, die ihrerseits Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aufgreift (vgl. Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <301 ff.> und vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 14 ff.), hat bei der Entwicklung des neuen Ausweisungsrechts eine entscheidende Rolle gespielt (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 25. Februar 2015, BT-Drs. 18/4097 S. 49). Dabei griff der Gesetzgeber Vorschläge zur Neuregelung des Ausweisungsrechts auf, die Vertreter der Rechtsprechung unterbreitet haben (vgl. Dörig, NVwZ 2010, 921 <922>; Bergmann, ZAR 2013, 318 <322> sowie Gesetzesvorschlag Bergmann/Dörig vom Januar 2014, veröffentlicht in: Barwig u.a., Steht das europäische Migrationsrecht unter Druck?, 2014, S. 111 f.). Die Ausweisung setzt nunmehr nach § 53 Abs. 1 AufenthG eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Sofern nach dieser Gesamtabwägung das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib in Deutschland überwiegt, wird der Ausländer ausgewiesen, andernfalls kommt eine Aufenthaltsbeendigung nach § 53 Abs. 1 AufenthG nicht in Betracht.

23

Die Tatbestandsmerkmale der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" im ausweisungsrechtlichen Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG sind nach der Begründung des Gesetzgebers im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Auch die Gefährdung dieser Schutzgüter bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten wird. Mit Blick auf die verwendeten Begriffe sollte keine Ausweitung des Gefahrenbegriffs gegenüber dem bislang geltenden Recht erfolgen, vielmehr sollten lediglich die bislang verwandten unterschiedlichen Formulierungen aneinander angeglichen werden. Die von § 53 Abs. 1 AufenthG geforderte Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers in Deutschland erfolgt dabei nach der Intention des Gesetzgebers nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar.

24

Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" (Absatz 1) oder als "schwerwiegend" (Absatz 2). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sind neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Interessen aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Die Katalogisierung schließt demnach die Berücksichtigung weiterer Umstände im Rahmen der nach § 53 Abs. 2 AufenthG zu treffenden Abwägungsentscheidung nicht aus. Dies folgt bereits aus dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG, ist aber für die schwerwiegenden, aufgrund der Vielgestaltigkeit der Lebenssituationen bewusst nicht abschließend aufgezählten Bleibeinteressen in § 55 Abs. 2 AufenthG nochmals ausdrücklich normiert. Die nunmehr als schwerwiegend oder besonders schwerwiegend qualifizierten Ausweisungsinteressen im Sinne von § 54 AufenthG decken sich weitgehend - aber nicht vollständig - mit den früheren Gründen für eine Regel- und Ist-Ausweisung, die schwerwiegenden und besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen greifen Fälle des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 AufenthG a.F. auf.

25

Bei der Abwägung sind schließlich gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht ("Boultif/Üner-Kriterien"). Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen.

26

Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht.

27

2. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG festgestellt. Ein solches liegt dann vor, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wobei hiervon u.a. dann auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Ausländer einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er (jedenfalls) eine solche Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, er nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.

28

a) Der Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist dem Wortlaut nach weitgehend an den früheren Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung angelehnt, auf den die Ausweisungsverfügung auch ursprünglich gestützt war. Das Berufungsgericht hat für die Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu Recht dieselben rechtlichen Maßstäbe herangezogen, die der Senat zur Auslegung des früheren Regelausweisungstatbestandes nach § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung entwickelt hat.

29

In der Rechtsprechung des Senats war die Auslegung des Regelausweisungstatbestands des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung weitgehend geklärt. So ist anerkannt, dass eine Vereinigung den Terrorismus unterstützt, wenn sie sich selbst terroristisch betätigt oder wenn sie die Begehung terroristischer Taten durch Dritte veranlasst, fördert oder befürwortet. Die Schwelle der Strafbarkeit muss dabei nicht überschritten sein, da die Vorschrift der präventiven Gefahrenabwehr dient und auch die Vorfeldunterstützung durch sogenannte Sympathiewerbung erfasst. Der Tatbestand des Unterstützens des Terrorismus durch eine Vereinigung setzt allerdings voraus, dass die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung (auch) auf die Unterstützung des Terrorismus gerichtet sind; ein bloßes Ausnutzen der Strukturen einer Vereinigung durch Dritte in Einzelfällen reicht hierfür nicht aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 20 ff. und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 13 ff.).

30

Für den im Gesetz verwandten Begriff des Terrorismus sind Versuche, auf völkerrechtlicher Ebene eine allgemein anerkannte vertragliche Definition zu entwickeln, nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen. Jedoch können wesentliche Kriterien aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft im Beschluss des Rates Nr. 2002/475/JI vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (ABl. L 164 S. 3) sowie dem gemeinsamen Standpunkt des Rates 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001 (ABl. L 344 S. 93) gewonnen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die Aufnahme einer Organisation in die vom Rat der Europäischen Union angenommene Liste terroristischer Organisationen im Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93 - vgl. auch ABl. L 116 vom 3. Mai 2002, S. 75) ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass die Organisation terroristischer Art ist oder im Verdacht steht, eine solche zu sein (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 [ECLI:EU:C:2015:413], H.T./Land Baden-Württemberg - Rn. 83). Hier sind von den Tatsachengerichten ergänzende Feststellungen zu treffen. Dabei ist trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs anerkannt, dass als terroristisch jedenfalls der Einsatz gemeingefährlicher Waffen und Angriffe auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen sind (Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>, vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 19 und Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 10 C 48.07 - BVerwGE 132, 79 <87> m.w.N.).

31

Weiterhin ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass die individuelle Unterstützung einer terroristischen Vereinigung oder einer Vereinigung, die eine terroristische Vereinigung unterstützt, im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. alle Verhaltensweisen erfasst, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeit der Vereinigung auswirken. Darunter kann die Mitgliedschaft in der terroristischen oder in der unterstützenden Vereinigung ebenso zu verstehen sein wie eine Tätigkeit für eine solche Vereinigung ohne gleichzeitige Mitgliedschaft. Auch die bloße Teilnahme an Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen kann eine Unterstützung in diesem Sinne darstellen, wenn sie geeignet ist, eine positive Außenwirkung im Hinblick auf die durch § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. missbilligten Ziele zu entfalten. Auf einen nachweisbaren oder messbaren Nutzen für diese Ziele kommt es nicht an, ebenso wenig auf die subjektive Vorwerfbarkeit der Unterstützungshandlungen. Im Hinblick auf den Schutz der Meinungsfreiheit und das Gebot der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Betätigungsfreiheit des Einzelnen erfüllen allerdings solche Handlungen den Tatbestand der individuellen Unterstützung nicht, die erkennbar nur auf einzelne, mit terroristischen Zielen und Mitteln nicht im Zusammenhang stehende - etwa humanitäre oder politische - Ziele der Vereinigung gerichtet sind. Für den Ausländer muss schließlich die eine Unterstützung der Vereinigung, ihrer Bestrebungen oder ihrer Tätigkeit bezweckende Zielrichtung seines Handelns erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auf eine darüber hinaus gehende innere Einstellung des Ausländers kommt es hingegen nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 15 und 18 m.w.N.).

32

Diese vom Senat zur Auslegung von § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. entwickelten Grundsätze lassen sich entgegen dem Vorbringen der Revision auch auf den Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung nach dem neu gefassten § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG übertragen. Ein Vergleich der Textfassungen ergibt, dass der Gesetzgeber die früheren Regelausweisungstatbestände nach § 54 Nr. 5, 5a und 5b AufenthG a.F. in der neuen Vorschrift des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zusammengefasst hat, wobei unter den vorliegenden Umständen die Fälle staatsgefährdender Gewalttaten nach § 89a StGB außer Betracht bleiben können. Gegenüber dem früheren Recht ist der Hinweis entfallen, dass eine Ausweisung auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen nur gestützt werden kann, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Eine Änderung der materiellen Rechtslage ist damit aber nicht verbunden, da auch nach neuem Recht eine fortbestehende Gefahr erforderlich ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ("gefährdet") und ist implizit auch dem neuen Zusatz in § 54 Abs. 1 Nr. 2 letzter Halbsatz AufenthG zu entnehmen, wonach von einer Gefährdung nicht auszugehen ist, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt.

33

Den Gesetzgebungsmaterialien ist nichts dafür zu entnehmen, dass sich der Gesetzgeber hinsichtlich des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung für eine Abkehr von dem bisherigen Verständnis des Ausweisungstatbestandes hat entscheiden wollen. Zwar hat er in Satz 2 einen Halbsatz neu eingefügt, wonach ein Unterstützen nicht vorliegt, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt. Das stellt jedoch keine inhaltliche Änderung des Unterstützerbegriffs dar, sondern normiert lediglich ein in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits entwickeltes Kriterium zur individuellen Zurechnung eines Unterstützerverhaltens. Denn der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die objektive Tatsache der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in der Vergangenheit dem Ausländer dann nicht mehr zugerechnet werden kann, wenn er sich glaubhaft hiervon distanziert (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <131>, vom 30. April 2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 35 und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 17). Die nunmehr normierten Tatbestandsmerkmale lassen keine Abkehr von der Senatsrechtsprechung erkennen, denn ein "erkennbares Abstandnehmen" vom sicherheitsgefährdenden Handeln entspricht dem Distanzieren im Sinne der Senatsrechtsprechung. Allerdings findet sich in der Begründung zu dieser Neuregelung die Aussage, die Möglichkeit der "Exkulpation" zeige, dass der Betroffene Kenntnis davon gehabt haben müsse, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstütze, der "undolose Unterstützer" daher nicht unter die Regelung falle (BT-Drs. 18/4097 S. 51). Aus diesem Satz in der Gesetzesbegründung könnte man ableiten, der Gesetzgeber habe eine Regelung treffen wollen, nach der für die subjektive Seite des Unterstützens mehr erforderlich ist (Vorsatz) als nach dem bisherigen Verständnis (Erkennbarkeit). Wäre dies tatsächlich so Gesetz geworden, hätte dies eine nicht unerhebliche Einschränkung der Rechtsprechung zur subjektiven Zurechnung bedeutet, nach der es ausreicht, dass der Ausländer erkennen konnte, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstützt. Die Begründung hat jedoch im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden, denn nach diesem wird Vorsatz im Hinblick auf die terroristische Betätigung der unterstützten Vereinigung nicht verlangt. Es reicht somit auch für die Erfüllung des subjektiven Unterstützertatbestands weiterhin die Erkennbarkeit einer terroristischen Betätigung der Vereinigung aus. Vorsatz bleibt hingegen weiter erforderlich für das eigene Handeln des Ausländers, das von dem Ziel geleitet sein muss, die Vereinigung zu unterstützen. Für diese Auslegung spricht auch, dass der Gesetzgeber der Vorfeldunterstützung des Terrorismus durch die Gesetzesänderung erhöhte Bedeutung beimessen wollte, indem er den bisher als Tatbestand für eine Regelausweisung normierten Ausweisungsgrund zu einem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 AufenthG heraufstufte, was im bisherigen Recht dem Tatbestand einer zwingenden Ausweisung entsprochen hätte. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass das stärkere Gewicht, das der Gesetzgeber diesem Ausweisungsinteresse beimessen wollte (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 23), mit einer engeren Interpretation seiner Tatbestandsmerkmale einhergehen sollte.

34

Eine vom früheren Begriffsverständnis abweichende Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass dieser bisher eigenständige Tatbestand nunmehr in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG funktional mit einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verknüpft wird ("hiervon ist auszugehen, wenn"). Vielmehr ergibt eine systematische Auslegung der Vorschrift, dass der Inhalt des Ausweisungstatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung unverändert geblieben ist, während der Begriff der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland eine Erweiterung erfahren hat. Denn der Gesetzgeber hat mit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr kraft Gesetzes definiert, wann von einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen ist, nämlich (jedenfalls) dann, wenn eine der dort genannten Tatbestandsalternativen erfüllt ist. Die Auslegung des Begriffs der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland richtet sich daher (auch) nach diesen Tatbestandsalternativen, nicht umgekehrt. Anderes lässt sich hinsichtlich des Gefahrenmaßstabs auch nicht der Regelung des § 53 Abs. 1 AufenthG entnehmen. Denn anders als bei den übrigen Ausweisungsinteressen hat der Gesetzgeber in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG das Erfordernis einer Gefahr (nochmals) ausdrücklich aufgeführt, was unter systematischen Gesichtspunkten für eine gewisse Eigenständigkeit des Gefahrentatbestandes gegenüber § 53 Abs. 1 AufenthG fruchtbar gemacht werden kann. Es gilt damit nunmehr, dass das Gesetz bereits die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Bundesgebiet als eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ansieht, unabhängig davon ob die terroristische Vereinigung Gewaltakte auch auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland oder gegen deutsche Einrichtungen im Ausland begeht. Weiterhin gilt jedenfalls für die Fälle des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ein abgesenkter Gefahrenmaßstab, der auch Vorfeldmaßnahmen erfasst und keine von der Person des Unterstützers ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefahr erfordert. Die Rechtsprechung des Senats zur Unterstützung des Terrorismus durch Handlungen in dessen Vorfeld hat dem Rechnung zu tragen und dabei auch die Bedeutung zu berücksichtigen, die der Unionsgesetzgeber dieser Vorfeldunterstützung durch den Erwägungsgrund 37 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 S. 9) - EU-Anerkennungsrichtlinie - beimisst.

35

Ein Anlass für eine verfassungsrechtliche Neubewertung des Gefahrenmaßstabs besteht entgegen dem umfangreichen Revisionsvorbringen nicht. In der Rechtsprechung des Senats ist seit dem Urteil zum Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus - Terrorismusbekämpfungsgesetz - vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361, 3142) anerkannt, dass der Unterstützungsbegriff weit auszulegen und anzuwenden ist, um damit der auch völkerrechtlich begründeten Zielsetzung des Gesetzes gerecht zu werden, dem Terrorismus schon im Vorfeld die logistische Basis zu entziehen (BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <127 ff.>). Maßgeblich ist, inwieweit das festgestellte Verhalten des Einzelnen zu den latenten Gefahren der Vorfeldunterstützung des Terrorismus nicht nur ganz unwesentlich oder geringfügig beiträgt und deshalb selbst potenziell gefährlich erscheint. Wegen der tatbestandlichen Weite des Unterstützungsbegriffs ist allerdings bei der Anwendung der Vorschrift darauf zu achten, dass nicht unverhältnismäßig namentlich in das auch Ausländern zustehende Recht auf freie Meinungsäußerung jenseits der zumindest mittelbaren Billigung terroristischer Bestrebungen eingegriffen wird. Einen bislang nicht berücksichtigten verfassungsrechtlichen Rechtssatz, der den so umschriebenen Ausgleich zwischen dem legitimen und schon wegen seiner völkerrechtlichen Vorgaben besonders gewichtigen gesetzgeberischen Ziel der Terrorismusbekämpfung und den geschützten Grundrechtspositionen eines Ausländers infrage stellen würde, zeigt die Revision nicht auf. Insbesondere sprechen der Charakter der Ausweisung als Maßnahme der Gefahrenabwehr sowie die spezifische Zielsetzung der Terrorismusbekämpfung gegen eine Übertragung strafrechtlicher Rechtsprechungsgrundsätze, wie sie etwa für die Abgrenzung strafbarer und straffreier Meinungsäußerungen gelten. Der Senat hält auch unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an seiner bisherigen Rechtsprechung fest.

36

b) Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG angenommen. Dies gilt sowohl für die Qualifizierung der PKK als terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung (aa) als auch - jedenfalls im Ergebnis - für die Qualifizierung der Handlungen des Klägers als relevante Unterstützungshandlungen (bb). Ebenso wenig zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen hat (cc).

37

(aa) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Qualifizierung der PKK als eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Das Gericht legt seiner Entscheidung die in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze für die Definition einer terroristischen Vereinigung zugrunde (UA Bl. 27 f.) und geht damit von einem zutreffenden Maßstab aus. Für die Bewertung der PKK als eine solche Vereinigung hat das Gericht zunächst darauf abgestellt, dass sie auch noch aktuell auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist, ohne diesem Umstand eine über einen deutlichen Anhaltspunkt hinausgehende Bedeutung beizumessen (UA Bl. 31). Hieran anknüpfend hat das Berufungsgericht sodann auf der Grundlage der ihm vorliegenden Erkenntnismittel festgestellt, dass die PKK zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele in der Türkei weiterhin Gewalttaten gegen staatliche Einrichtungen und Amtsträger sowie die Zivilbevölkerung verübt und im Übrigen etwa zur Finanzierung ihrer Aktivitäten oder zur Bekämpfung von Kritikern auch nicht vor Verbrechen gegenüber ihren eigenen Anhängern und auch darüber hinaus gegenüber der kurdischstämmigen Bevölkerung insgesamt zurückschreckt. Insbesondere sei die zwischen dem türkischen Staat und der PKK ausgehandelte (relative) Waffenruhe seitens der PKK zuletzt Ende Juli 2015 ausdrücklich aufgekündigt worden (UA Bl. 32 f.). Diese tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts sind von der Revision nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen worden und daher für den Senat bindend. Sie erlauben dem Senat zudem eine eigene rechtliche Bewertung des Inhalts, dass die PKK eine terroristische Vereinigung darstellt und nicht lediglich eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung.

38

(bb) Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist auch die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, dass der Kläger die PKK in rechtserheblicher Weise individuell unterstützt hat. Allerdings ist das Gericht unter Verstoß gegen Bundesrecht davon ausgegangen, dass zu Lasten des Klägers nur solche Unterstützungshandlungen berücksichtigt werden dürfen, die in zeitlicher Hinsicht nach der Mitteilung des Regierungspräsidiums vom Juli 2010 lagen, wonach eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft würden.

39

Das Berufungsgericht ist insoweit rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass ein Ausweisungsinteresse bereits dann aus Gründen des Vertrauensschutzes verbraucht ist und nicht mehr zur Begründung einer Ausweisung herangezogen werden kann, wenn ein Aufenthaltstitel in Kenntnis oder dem Staat zuzurechnender Unkenntnis erteilt oder verlängert wurde (UA S. 34 f.). Zwar ist in der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich anerkannt ist, dass Ausweisungsgründe in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und so lange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind und die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <313> und vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <121 f.>). Aus der Ableitung dieser Kriterien aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt jedoch, dass die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Aus der Rechtsprechung des Senats ergibt sich zudem, dass ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers schützenswert sein muss. Hieran fehlt es, wenn die Ausländerbehörde - wie vorliegend - dem Kläger auf dessen Anfrage zum Stand des Verfahrens auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis lediglich mitteilt, dass gegenwärtig noch eine Sicherheitsüberprüfung stattfinde, und dann zu einem späteren Zeitpunkt ohne jegliche Erläuterung zum Ausgang der Sicherheitsüberprüfung die begehrte Niederlassungserlaubnis erteilt. Auf dieser Grundlage kann der Betroffene nämlich weder wissen, welchen konkreten Umständen die Ausländerbehörde im Rahmen ihrer Sicherheitsüberprüfung nachgegangen ist, noch zu welchen konkreten Erkenntnissen sie hierbei nach Abschluss der Überprüfung gelangt ist. Daher kann der Betroffene aus der Erteilung der Niederlassungserlaubnis billigerweise auch nicht schließen, dass die Ausländerbehörde bei ihrer Sicherheitsüberprüfung alle als potentielle Versagungsgründe in Betracht kommenden Umstände tatsächlich ermittelt und sodann als für die Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis unbeachtlich eingestuft hat.

40

Das angefochtene Urteil beruht jedoch nicht auf diesem Rechtsverstoß, weil das Berufungsgericht auch ohne Berücksichtigung der vor dem für maßgeblich erachteten Zeitpunkt liegenden Umstände von rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen des Klägers ausgegangen ist und die diesbezüglichen Feststellungen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sind. Im Übrigen wäre der Kläger durch die Nichtberücksichtigung weiterer, ihn belastender Umstände auch nicht beschwert. Im Einzelnen hat das Berufungsgericht für die Bestimmung der rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen zutreffend auf die in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäbe zu § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung abgestellt (UA Bl. 35 ff.). Keine abweichende Beurteilung ergibt sich aus dem Einwand des Klägers, die PKK nicht unmittelbar unterstützt zu haben, sondern sich in legalen Vereinigungen betätigt zu haben, die ihrerseits die PKK im Wissen um deren Charakter gewollt und gezielt unterstützen. Denn es stellt keine verminderte Gefahr der Vorfeldunterstützung des Terrorismus dar, wenn die Unterstützung terroristischer Vereinigungen nicht durch isolierte Einzelhandlungen, sondern in Vereinigung mit anderen erfolgt. Hierin liegt auch kein Fehlen der Unmittelbarkeit der Unterstützungshandlungen.

41

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht sodann nach Auswertung der ihm vorliegenden umfangreichen Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden festgestellt, dass der Kläger über mehrere Jahre in teils hervorgehobener Funktion als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter oder Redner regelmäßig an Veranstaltungen teilgenommen und mitgewirkt hat, bei denen offene Propaganda für die PKK betrieben worden ist (UA Bl. 39 - 42). Unter Einbeziehung der Aktivitäten des Klägers in der Zeit seit 2001, wie sie in der Ausweisungsverfügung (S. 3 - 9, 16 - 23) aufgelistet, vom Kläger nicht in Abrede gestellt und vom Berufungsgericht in Bezug genommen worden sind (UA S. 39 f.), stellt sich das Unterstützungshandeln des Klägers wie folgt dar: Der Kläger war von 2001 bis 2003/2004 Vorsitzender des "Kurdischen Kulturverein e.V." in L., der der KONGRA-GEL nahestand. Im Oktober 2004 wurde er in das 15-köpfige Führungskomitee der "Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland" (YEK-KOM) gewählt und gehörte diesem bis zur Auflösung der YEK-KOM im Jahr 2014 an, zeitweilig (bis 2011) war er der 2. Vorsitzende der Vereinigung. Er hat sich im Juni 2014 in den fünfköpfigen Vorstand der die PKK unterstützenden NAV-DEM wählen lassen und diese Vorstandstätigkeit bis zum Tage der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausgeübt (UA Bl. 43 - 45).

42

Der Kläger beteiligte sich seit Mitte 2003 regelmäßig an Kundgebungen und Demonstrationen in unterschiedlichen deutschen Städten (u.a. Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg, Frankfurt, Gelsenkirchen, Düsseldorf, Stuttgart) und in Straßburg/Frankreich, die sich unter anderem für eine Freilassung des inhaftierten PKK-Führers Öcalan aussprachen, des Gründungsjahrestags der PKK und/oder der "Märtyrer des kurdischen Freiheitskampfes" gedachten und Parolen auf die PKK ausriefen. Der Kläger hielt auf einigen dieser Veranstaltungen eine Rede, im Februar 2007 hob er dabei die Bedeutung der Gefallenen für die kurdische Sache hervor, im Januar 2009 sprach er zur aktuellen Lage der Kurden in ihrer Heimat, im März 2010 kritisierte er die Exekutivmaßnahmen der belgischen Polizei gegenüber dem kurdischen TV-Sender ROJ-TV, im November 2011 sprach er auf einer Kundgebung, die zum Thema u.a. die Verwendung von Napalmgas und chemischer Waffen gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei hatte, im Januar 2013 verurteilte er auf einer Kundgebung die Ermordung von drei PKK-Aktivisten in Paris, im Oktober 2015 hielt er anlässlich einer Protestaktion der NAV-DEM in Frankfurt eine Rede.

43

Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger nicht nur seine individuellen Unterstützungshandlungen, sondern sämtliche Aktionen der YEK-KOM und der NAV-DEM aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied persönlich zuzurechnen sind. Die YEK-KOM, der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK nach den gerichtlichen Feststellungen durch eine Vielzahl von Aktionen. Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen oder ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie "Freiheit für Öcalan" und "Frieden für Kurdistan". Im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die "logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans" verankert. Der Verein biete der PKK oder ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Für die NAV-DEM gilt nach den getroffenen Feststellungen nichts anderes. Der Verein sei keine Neugründung, sondern eine Umbenennung des Vereins YEK-KOM. Im Übrigen werde deutlich, dass die NAV-DEM ihre Veranstaltungen und Kundgebungen mit gleichem Ablauf und gleichen Themen durchführe wie zuvor schon unter dem Namen YEK-KOM. Diese zutreffende Würdigung bedeutet auch nicht, dass jeder Einsatz für die Interessen und Belange kurdischer Volkszugehöriger (oder eine Kritik an der Kurdenpolitik der Türkischen Republik) als eine Unterstützung der PKK und damit des Terrorismus einzuordnen wäre.

44

(cc) Soweit schließlich nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausscheidet, wenn der Ausländer ernsthaft und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt, hat das Berufungsgericht ebenfalls in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der Kläger ausweislich seines auch während des Ausweisungsverfahrens fortgesetzten Engagements als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter und Redner auch künftig an seiner Unterstützung der PKK festhalten wird. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Unterstützerverhalten des Klägers sind detailreich und stellen - entgegen der Auffassung der Revision - keine zu schmale Tatsachengrundlage für die getroffenen Feststellungen dar. Damit erfüllt der Kläger die gesetzlichen Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, und es liegt ein Ausweisungsinteresse vor, das besonders schwer wiegt.

45

3. Die angefochtene Verfügung des Beklagten erfüllt auch die besonderen Voraussetzungen, die nach § 53 Abs. 3 AufenthG an die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings zu stellen sind. Ein solcher darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

46

a) Diese den Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG ergänzende Vorschrift legt erhöhte Ausweisungsvoraussetzungen für mehrere rechtlich privilegierte Personengruppen fest, nämlich für Ausländer, die als Asylberechtigte anerkannt sind, die im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießen, die einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention besitzen, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder die eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU besitzen. Für all diese Personengruppen gilt der besondere aus Art. 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG abgeleitete Maßstab, den der Gerichtshof der Europäischen Union auch auf Ausländer erstreckt hat, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - C-371/08 [ECLI:EU:C:2011:809], Ziebell - Slg. 2011, I-12735 Rn. 79, 86). Der Senat folgt nicht der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, wonach die Voraussetzungen des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 53 Abs. 3 AufenthG von vornherein "bereichsspezifisch" gemäß dem durch das Unionsrecht für den jeweiligen Personenkreis bestimmten Ausweisungsschutz auszulegen sind. Vielmehr hat der Gesetzgeber den unionsrechtlichen Schutzstandard für daueraufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige für ausreichend befunden und dessen Geltung für alle genannten Personengruppen angeordnet. Dies entbindet freilich nicht davon, in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob für die jeweils betrachtete Personengruppe der so durch den nationalen Gesetzgeber definierte Ausweisungsschutz dem unionsrechtlichen Maßstab tatsächlich genügt. Nur wenn der unionsrechtliche Maßstab strenger ist als derjenige, der durch den Gesetzgeber in § 53 Abs. 3 AufenthG festgelegt worden ist, bedarf § 53 Abs. 3 AufenthG nach allgemeinen Grundsätzen einer unionsrechtskonformen Auslegung, die angesichts der Weite der Tatbestandsmerkmale und des erkennbaren gesetzgeberischen Willens, europarechtlichen Maßstäben zu genügen, auch möglich ist (so auch Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 54).

47

Im vorliegenden Fall ist § 53 Abs. 3 AufenthG unionsrechtskonform nach den Vorgaben der EU-Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU auszulegen. Die Richtlinie formuliert keine Vorgaben für eine Ausweisung im Sinne des deutschen Rechts, wohl aber für eine Zurückweisung in den Herkunftsstaat (Art. 21 Abs. 2 und 3) und für den Entzug des Aufenthaltstitels (Art. 24 Abs. 1).

48

b) Nach Art. 21 Abs. 3 der EU-Anerkennungsrichtlinie darf ein Mitgliedstaat den einem Flüchtling erteilten Aufenthaltstitel widerrufen, wenn die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 2 vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 2012 - 1 C 8.11 - BVerwGE 143, 138 Rn. 21). Fällt ein Flüchtling nicht in den Anwendungsbereich von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie, kann auch Abs. 3 dieser Vorschrift nicht zu Anwendung kommen (EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 - Rn. 44). Eine Zurückweisung ist nach Art. 21 Abs. 2 Buchst. a zulässig, wenn es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass der Flüchtling eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält. Es kann offenbleiben, ob vom Kläger eine Gefahr im Sinne dieser Vorschrift ausgeht, denn die Zurückweisung ist nur unter der weiteren Voraussetzung rechtmäßig, dass sie dem Mitgliedstaat nicht aufgrund seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen untersagt ist (Art. 21 Abs. 2). Dazu zählen die Verpflichtungen aus Art. 3 EMRK (vgl. Begründung der Kommission im Richtlinienvorschlag vom 12. September 2001 KOM (2001) 510 endg. S. 33 zu Art. 19). Dem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK kommt absoluter Charakter zu; es kann mithin - anders als das Refoulement-Verbot nach Art. 33 Abs. 1 GFK - nicht unter den Voraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 Richtlinie 2011/95/EU i.V.m. Art. 35 Abs. 2 GFK durchbrochen werden (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 5. April 2016 - C-404/15 und C-659/15 PPU [ECLI:EU:C:2016:198], Aranyosi und Căldăraru - Rn. 85 - 87; EGMR, Urteil vom 17. Dezember 1996 - Nr. 71/1995/577/663, Ahmed/Österreich - NVwZ 1997, 1100 Rn. 39 - 41). Für den Kläger besteht ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK. Denn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat im Anerkennungsbescheid vom 9. Oktober 1997 nicht nur die Flüchtlingseigenschaft des Klägers nach dem seinerzeit maßgeblichen § 51 Abs. 1 AuslG 1990, sondern auch ein Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990 hinsichtlich der Türkei festgestellt und dieses damit begründet, dass dem Kläger in der Türkei unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Diese Feststellung des Bundesamts begründet hier ein - absolutes - nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Insoweit kommt der Feststellung des Bundesamts im vorliegenden Verfahren über § 42 AsylG auch Bindungswirkung zu. Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU begrenzt damit den behördlichen Handlungsspielraum für eine Abschiebung in einen Verfolgerstaat oder einen Staat, in dem Gefahren nach Art. 3 EMRK drohen. Die Vorschrift setzt jedoch keine Maßstäbe für eine lediglich "inlandsbezogene" Ausweisung, die - wie hier - insbesondere den Verlust des Aufenthaltstitels zur Folge hat.

49

c) Unionsrechtliche Maßstäbe für eine zum Verlust des Aufenthaltstitels eines Flüchtlings führende inlandsbezogene Ausweisung lassen sich aus Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie gewinnen. Die Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten, einem Flüchtling so bald wie möglich nach der Anerkennung einen Aufenthaltstitel auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.

50

(aa) Der Inhalt dieser Norm wurde vom Gerichtshof der Europäischen Union in einem auf ein Vorlageersuchen des Berufungsgerichts ergangenen Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) näher bestimmt. Die Entscheidung bezieht sich zwar auf Art. 24 Abs. 1 der EG-Anerkennungsrichtlinie 2004/83/EG, ihre Aussagen sind aber uneingeschränkt auf die in der Sache unveränderte Vorschrift des Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU übertragbar. Danach kann einem Flüchtling nach Art. 24 Abs. 1 nicht nur die Erteilung eines Aufenthaltstitels versagt werden, sondern der erteilte Aufenthaltstitel auch nachträglich widerrufen werden, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen (a.a.O. Rn. 55). Soweit in der Neufassung der Vorschrift nunmehr von zwingenden Gründen der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung die Rede ist, ist damit keine inhaltliche Änderung verbunden. Diese Wirkung einer Entziehung des Aufenthaltstitels kommt der hier verfügten Ausweisung zu, die wegen des entgegenstehenden Abschiebungsverbots nach Art. 3 EMRK nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung führt. Entgegen einer am Wortlaut orientierten Auslegung von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie hat der darin verwendete Begriff der "zwingenden Gründe" nach dem EuGH-Urteil eine weitere Bedeutung als der Begriff der "stichhaltigen Gründe" in Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie. Das bedeutet, dass bestimmte Umstände, die nicht den Schweregrad aufweisen, um eine Zurückweisung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie verfügen zu können, den Mitgliedstaat gleichwohl dazu berechtigen können, auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie dem betroffenen Flüchtling seinen Aufenthaltstitel zu entziehen (a.a.O. Rn. 75).

51

Bei der Bestimmung des Bedeutungsgehalts der "zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" hat der EuGH zunächst Bezug auf seine Rechtsprechung zu den Begriffen der "öffentlichen Sicherheit" und der "öffentlichen Ordnung" in Art. 27 und 28 der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG genommen (a.a.O. Rn. 77 ff.). Danach umfasst der Begriff "öffentliche Sicherheit" im Sinne von Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats. Die öffentliche Sicherheit kann danach berührt sein, wenn das Funktionieren staatlicher Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste beeinträchtigt wird oder eine Gefahr für das Überleben der Bevölkerung oder einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker besteht oder militärische Interessen beeinträchtigt werden. Dabei deutet der Begriff der "zwingenden Gründe" auf einen besonders hohen Schweregrad der Beeinträchtigung hin (a.a.O. Rn. 78). Den Begriff der "öffentlichen Ordnung" hat der EuGH für die Unionsbürgerrichtlinie dahin ausgelegt, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliegen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (a.a.O. Rn. 79). Zugleich betont er, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, nach ihren nationalen Bedürfnissen, die je nach Mitgliedstaat und Zeitpunkt unterschiedlich sein können, zu bestimmen, was die öffentliche Ordnung und Sicherheit erfordern (a.a.O. Rn. 77).

52

Für den Fall der Unterstützung des Terrorismus hat der EuGH zudem auf den 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83/EG, heute 37. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95/EU hingewiesen, wonach der Begriff der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" auch für die Fälle gilt, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt. Dabei muss das nationale Gericht in einem ersten Schritt prüfen, ob die Handlungen der fraglichen Organisation die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedrohen. Wird eine vom Flüchtling unterstützte Vereinigung in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93) geführt, ist dies ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie entweder eine terroristische Organisation ist oder im Verdacht steht, eine solche Organisation zu sein (a.a.O. Rn. 83). Allein der Umstand, dass ein Flüchtling eine solche Organisation unterstützt hat, darf jedoch nicht automatisch zur Aufhebung seines Aufenthaltstitels führen. Vielmehr ist in einem zweiten Schritt einzelfallbezogen die Rolle zu prüfen, die der Betreffende im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt hat (a.a.O. Rn. 90), und auch der Schweregrad der Gefahr zu beurteilen, die von seinen Handlungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (a.a.O. Rn. 92).

53

(bb) Das Berufungsgericht hat die vom Kläger geleisteten und ihm zuzurechnenden Unterstützungshandlungen an dem vom EuGH präzisierten Maßstab für die Auslegung des Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie gemessen und ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass sich hieraus zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ergeben, die einen Entzug des Aufenthaltstitels gegenüber dem Kläger rechtfertigen. Das Gericht hat bereits im Rahmen seiner Prüfung des besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausführlich begründet, warum die PKK eine terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung darstellt (UA S. 27 - 34). Dabei hat es gewürdigt, dass die PKK auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist und auch weiterhin terroristische Aktivitäten entfaltet. In einem zweiten Schritt hat es näher dargelegt, warum die in Deutschland agierenden Vereinigungen YEK-KOM und NAV-DEM, für die der Kläger seit mehr als zwölf Jahren in hervorgehobenen Funktionen wirkte, und der Kläger auch individuell durch Anmeldung und Leitung von Versammlungen sowie Redebeiträge und weitere Aktivitäten die PKK unterstützt haben und weiter unterstützen (UA S. 55, 34 - 48). Die Bewertung des Berufungsgerichts, dass der Kläger damit die Voraussetzungen für den Entzug seines Aufenthaltstitels nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie erfüllt, steht mit der Rechtsprechung des EuGH in Einklang. Zwar hat er selbst keine terroristischen Handlungen begangen, auch nicht andere Personen hierzu angeleitet oder sich an der Planung oder Finanzierung terroristischer Aktionen beteiligt, wie das der EuGH als mögliches Unterstützerhandeln erwähnt (a.a.O. Rn. 90). Diese Aufzählung des Gerichtshofs ist jedoch nur beispielhaft, macht zugleich aber deutlich, dass der Betreffende eine gewichtige Rolle im Rahmen seiner Unterstützung der terroristischen Organisation gespielt haben muss.

54

Bei der Frage, was als gewichtig anzusehen ist, ist der 37. Erwägungsgrund der Richtlinie zu berücksichtigen, wonach auch die Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, und die Unterstützung einer derartigen Vereinigung als Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung anzusehen sind. Die abschließende Bewertung, ob die Unterstützungshandlung hinreichend gewichtig ist, um "zwingende Gründe" darzustellen, überlässt der Gerichtshof dem verantwortlichen nationalen Gericht und erkennt auch einen Einschätzungsspielraum der Mitgliedstaaten an, nach ihren nationalen Bedürfnissen zu bestimmen, was die nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung erfordern. Diese abschließende Bewertung hat das Berufungsgericht dahin getroffen, dass die Unterstützungshandlungen des Klägers dem von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie geforderten Gewicht entsprechen. Es hat dies auf der Grundlage der Gewichtungsvorgabe des nationalen Gesetzgebers in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nachvollziehbar mit dem mehr als zwölfjährigem Unterstützerhandeln des Klägers in hervorgehobener Position innerhalb zweier Vereinigungen begründet, in dessen Rahmen er an zahlreichen Veranstaltungen mitwirkte, an denen sich Akteure beteiligten, die offen für die PKK warben und deren Kurs vorbehaltlos befürworteten (Auftreten in Guerillauniform, Märtyrergedenken, Grußbotschaften an die Kämpfer an der Front usw.). Für das Gewicht seines Unterstützerhandelns durfte das Gericht auch berücksichtigen, dass der Kläger nach den tatrichterlichen Feststellungen in vollem Bewusstsein um dessen Bedeutung für den ideologischen Zusammenhalt der PKK und in dem Willen gehandelt hat, diese vorbehaltlos auch in Bezug auf deren terroristische Aktivitäten zu unterstützen (UA S. 55).

55

(cc) Der EuGH hat in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13 Rn. 95 ff.) aber hervorgehoben, dass ein Flüchtling, dessen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie aufgehoben wird, seinen Flüchtlingsstatus behält, sofern und solange ihm nicht dieser Status entzogen worden ist. Daher ist er auch nach dem Verlust seines Aufenthaltstitels weiterhin Flüchtling und hat in dieser Eigenschaft weiterhin Anspruch auf die Vergünstigungen, die das Kapitel VII der Richtlinie jedem Flüchtling gewährleistet, so insbesondere auf Schutz vor Zurückweisung, auf Wahrung des Familienverbands, auf Ausstellung von Reisedokumenten, auf Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung, zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie auf Zugang zu Integrationsmaßnahmen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift. Diese Rechte dürfen, auch soweit sie nach nationalem Recht an den Besitz eines Aufenthaltstitels anknüpfen, von den zuständigen Behörden daher nicht mit der Begründung versagt werden, dass der Aufenthalt des Flüchtlings infolge der Ausweisung rechtswidrig geworden ist. Allerdings darf die Ausstellung eines Reiseausweises nach Art. 25 EU-Anerkennungsrichtlinie versagt werden, wenn - etwa zur Begegnung der Gefahr terroristischen Unterstützungshandelns - zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung entgegenstehen. Ebenso dürfen nach Art. 33 der Richtlinie aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen verfügt werden, wenn diese aus Gründen der öffentlichen Sicherheit auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern zulässig sind.

56

Eventuelle Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der dem Flüchtling auch nach Entzug des Aufenthaltstitels weiter zustehenden Rechte nach Kapitel VII der EU-Anerkennungsrichtlinie infolge unzureichender Umsetzung der Richtlinie in den einschlägigen nationalen Fachgesetzen berühren nicht die Rechtmäßigkeit der verfügten Ausweisung. An die Beachtung der einen Flüchtling unmittelbar begünstigenden Vorschriften in Kapitel VII der Richtlinie und die hierzu ergangene Rechtsprechung des EuGH sind seit Ablauf der Umsetzungsfrist alle nationalen Behörden gebunden. Der Flüchtling hat seine Rechte gegenüber den jeweils zuständigen Behörden und erforderlichenfalls Gerichten geltend zu machen. Auch die Generalanwältin hat es insoweit als die Pflicht der nationalen Gerichte angesehen, für die volle Wirksamkeit der Bestimmungen der Richtlinie Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede entgegenstehende Vorschrift des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 11. September 2014 - C-373/13 - Rn. 114 letzter Absatz).

57

4. Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen gewichtige Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1, § 55 AufenthG gegenüber. Diese hat das Berufungsgericht zutreffend bestimmt (UA S. 59 f.). Es hat berücksichtigt, dass der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besessen hat, die durch die Ausweisungsverfügung betroffen ist, er mit deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und er sein Personensorgerecht für minderjährige ledige Deutsche ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG).

58

5. Das Berufungsgericht hat das öffentliche Ausweisungsinteresse gegen die Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG unter Berücksichtigung der den Einzelfall prägenden Umstände abgewogen und ist unter Beachtung des hierfür zentralen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass das Ausweisungsinteresse überwiegt (UA S. 60 - 64). Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Gericht hat berücksichtigt, dass der Kläger besonderen Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie genießt, hier allerdings auf absehbare Zeit keine Aufenthaltsbeendigung beabsichtigt ist, da ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht. Es hat seinen langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und seine familiären Bindungen im Sinne von Art. 6 GG, Art. 8 EMRK gewürdigt, diesen durch die Verfügung allerdings insoweit nicht als beeinträchtigt angesehen, als keine Aufenthaltsbeendigung erfolgt. Es hat bei seiner Abwägung berücksichtigt, dass der Kläger in seinen geschützten Bindungen dadurch betroffen ist, dass sein Aufenthalt auf das Gebiet der Stadt M. beschränkt und er Meldeauflagen unterworfen ist. Weitere schützenswerte Bindungen hat das Gericht nicht anerkannt und dies nachvollziehbar damit begründet, dass der Kläger ungeachtet seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland kaum deutsch spricht, nur sporadisch und für kürzere Zeiträume erwerbstätig war und seit längerem von Sozialleistungen abhängig ist. Schließlich hat das Berufungsgericht in die Abwägung eingestellt, dass es der Kläger in der Hand hat, durch eine glaubhafte Abkehr von seinem bisherigen Verhalten eine Aufhebung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu erreichen.

59

6. Ohne Rechtsverstoß wertet das Berufungsurteil die in Ziffer 2 der angefochtenen Verfügung angeordnete Aufenthaltsbeschränkung und die verfügten Meldeauflagen als rechtmäßig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliegt ein Ausländer, gegen den - wie hier - eine Ausweisungsverfügung aufgrund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG besteht, der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Gestützt auf diese Ermächtigung hat der Beklagte bestimmt, dass sich der Kläger zweimal wöchentlich zu melden hat. Ferner hat er den Aufenthalt des Klägers auf den Bereich der Stadt M. beschränkt, wie das § 56 Abs. 2 AufenthG vorsieht, wenn die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft. Diese aufenthaltsbeschränkenden Maßnahmen durften gegenüber dem Kläger trotz dessen Rechtsstellung als Flüchtling ergehen. Dadurch wird sein Recht auf Freizügigkeit gemäß Art. 33 EU-Anerkennungsrichtlinie nicht verletzt. Denn derartige Maßnahmen dürfen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, wie sie hier wegen des Erfordernisses der Abwehr von terrorismusfördernden Aktivitäten vorliegen, auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern verfügt werden (§ 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG).

60

7. Zutreffend ist das Berufungsgericht auch zu dem Ergebnis gekommen, dass die für die Ausweisung des Klägers anwendbaren Regelungen des Ausweisungsrechts nicht gegen assoziationsrechtliche Verschlechterungsverbote aus Art. 13 ARB 1/80, Art. 7 ARB 2/76 und Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen (BGBl. 1972 II S. 385) verstoßen. Dabei kann offenbleiben, ob hier überhaupt eines der Verschlechterungsverbote Anwendung findet. Denn der zum 1. Januar 2016 eingeführte Übergang von einer Ermessensentscheidung zu einer gebundenen Entscheidung stellt keine Verschlechterung der Rechtsstellung des betroffenen Ausländers dar (a). Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung bewirkte zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für betroffene Ausländer, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt (b).

61

a) Die zum 1. Januar 2016 eingeführte Neuregelung des Ausweisungsrechts, die die bisherige Ermessensausweisung durch eine am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte gebundene Ausweisung abgelöst hat, hat die Rechtsstellung der Ausländer in der hier gebotenen und auch unionsrechtlich statthaften Gesamtschau nicht verschlechtert, sondern jedenfalls teilweise verbessert. Denn bisher sah das Gesetz Tatbestände einer zwingenden Ausweisung (Ist-Ausweisung), regelmäßig erfolgenden Ausweisung (Soll-Ausweisung) und Ausweisung nach Ermessen (Kann-Ausweisung) vor. Die zwingende Ausweisung und die regelmäßig erfolgende Ausweisung widersprachen für den Personenkreis der unionsrechtlich privilegierten Ausländer der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach eine Ausweisung ausschließlich auf ein persönliches Verhalten des Ausländers gestützt werden darf, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 [ECLI:EU:C:2004:262], Orfanopoulos und Oliveri - Slg. 2004, I-5257 Rn. 66 f.). Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass eine Regelung gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, wonach eine Ausweisung automatisch aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung verfügt wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird (a.a.O. Rn. 70). Aber auch die nationale Bestimmung über die Regelausweisung hat für den Gerichtshof den Anschein erweckt, dass trotz der Berücksichtigung individueller Umstände ein gewisser Automatismus oder jedenfalls eine Vermutung besteht, dass der betreffende Staatsangehörige auszuweisen ist (a.a.O. Rn. 92).

62

Daraus hat das Bundesverwaltungsgericht die Schlussfolgerung gezogen, dass die gesetzliche Regelung zur zwingenden Ausweisung und Regelausweisung auf unionsrechtlich privilegierte Ausländer nicht mehr angewendet werden darf (BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <302> betreffend Unionsbürger und - 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <321> betreffend Assoziationsberechtigte nach ARB 1/80). Der Gesetzgeber hat daraus durch das zum 1. Januar 2016 in Kraft getretene neue Ausweisungsrecht die Konsequenzen gezogen. Insofern stellt die neue Rechtslage eine Verbesserung gegenüber der bisherigen dar. Eine Ausweisung nach neuem Recht hat eine einzelfallbezogene umfassende Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen und orientiert sich dabei strikt am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 53 Abs. 1 und 2 AufenthG). Damit setzt der Gesetzgeber Vorgaben um, die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 - Rn. 99) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR , Urteil vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 57 - 60) ergeben.

63

Es stellt keine Verschlechterung der Rechtslage für unionsrechtlich privilegierte Ausländer dar, dass ihre Ausweisung nach früherer Rechtslage im Wege einer Ermessensentscheidung erfolgte, nach neuem Recht hingegen im Wege einer rechtlich gebundenen Ausweisung, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Damit entfällt zwar die Möglichkeit, aus Gründen der Zweckmäßigkeit von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen. Auf ein solches Absehen von einer rechts- und ermessensfehlerfrei möglichen Ausweisung hatte der Ausländer aber zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch, auch die gerichtliche Kontrolle war insoweit durch § 114 VwGO eingeschränkt; durch die gesetzliche Neuregelung wird also keine individuelle Rechtsposition beeinträchtigt. Im Übrigen ist für die Beachtung des Verschlechterungsverbots auf die tatsächliche Praxis und nicht allein auf die abstrakte Rechtslage abzustellen. Die Rechtspraxis wurde maßgeblich durch die Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz des Bundesministeriums des Innern vom 26. Oktober 2009 gesteuert. Danach lag die Ausweisungsentscheidung im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde, bei der Ermessensausübung waren das schutzwürdige Interesse des Ausländers am weiteren Verbleib in Deutschland und das öffentliche Interesse an der Ausweisung gegeneinander abzuwägen (Ziffer 55.1.3). Das weist auf eine Rechtspraxis hin, die der heute normierten gebundenen Ausweisung entspricht, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Insofern hat sich die Rechtsstellung des Ausländers nicht verschlechtert.

64

b) Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung hat zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für die betroffenen Ausländer bewirkt, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Die seinerzeitige Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung (§ 54 Nr. 5 AufenthG a.F.) führte zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gegenüber der früheren Rechtslage, die allein den Tatbestand der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland kannte. Durch die Rechtsänderung wurde nun auch die Vorfeldunterstützung des Terrorismus erfasst. Diese ist jedoch mit Blick auf das Verschlechterungsverbot aus Art. 13 ARB 1/80 aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 14 ARB 1/80, jedenfalls aber durch ein zwingendes Allgemeininteresse, namentlich die völkerrechtlich gebotene Terrorismusbekämpfung auch bereits im Vorfeld unmittelbarer terroristischer Handlungen, gerechtfertigt.

65

8. Nach der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG ist über die Länge der Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach Ermessen zu entscheiden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Diese gesetzgeberische Entscheidung ist mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom gleichen Tage - 1 C 27.16 - Rn. 20 ff.). Das Urteil des Senats zur Vorläuferfassung des § 11 AufenthG a.F., wonach eine gebundene Entscheidung zu treffen war (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.), erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihm ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen. Eine solche Ermessensentscheidung hat der Beklagte hier noch nicht getroffen. Vielmehr hat bisher das Verwaltungsgericht das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach der seinerzeit geltenden Rechtslage im Wege einer gebundenen Entscheidung auf acht Jahre festgesetzt.

66

Der Beklagte hat die nach neuem Recht nunmehr gebotene Ermessensentscheidung nachzuholen. Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange.

67

B. Der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellte (weitere) Hilfsantrag, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass dem Kläger auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie, ist unzulässig. Er stellt eine unzulässige Klageerweiterung im Revisionsverfahren dar (§ 142 Abs. 1 VwGO). Im Übrigen bedarf es einer solchen behördlichen Feststellung auch nicht. Aus dem für alle nationalen Behörden verbindlichen EuGH-Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) ergibt sich bis zu einer dem Gesetzgeber vorbehaltenen Anpassung der einschlägigen Fachgesetze hinreichend deutlich, dass dem Kläger - solange er die Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der EU-Anerkennungsrichtlinie genießt - auch die mit dieser Rechtsstellung einhergehenden Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie zustehen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift (vgl. dazu auch die vorstehenden Ausführungen in Rn. 55 f. dieses Urteils).

68

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat gewichtet den gegen die Ausweisung, die Meldeauflage, die Aufenthaltsbeschränkung und die Abschiebungsandrohung gerichteten Anfechtungsantrag mit 4/5 und den auf Befristung zielenden Verpflichtungsantrag mit 1/5 (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 46).

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus Deutschland. Hilfsweise erstrebt er eine neue Entscheidung des Beklagten über die Befristung des mit der Ausweisung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots.

2

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volkszugehörigkeit. Er wurde 1973 in der Türkei geboren, ist verheiratet und hat sieben Kinder. Er reiste 1997 nach Deutschland ein und beantragte hier Asyl, da er in der Türkei wegen seines Engagements in prokurdischen Vereinen und Parteien sowie verwandtschaftlichen Beziehungen zu Guerillakämpfern der sog. Arbeiterpartei Kurdistans - PKK - an Leib und Leben bedroht sei. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) vom 9. Oktober 1997 wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach dem damaligen § 51 Abs. 1 AuslG 1990 zuerkannt und zu seinen Gunsten ein Abschiebungsverbot wegen drohender Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK (damals § 53 Abs. 4 AuslG 1990) festgestellt. Der Kläger ist lediglich sporadisch und für kurze Zeiträume einer Erwerbstätigkeit nachgegangen, gleiches gilt für seine Ehefrau. Er bezieht mit seiner Familie Leistungen nach dem SGB II.

3

Vom 1. April 1998 bis zum 1. Dezember 2009 war der Kläger im Besitz jeweils befristeter Aufenthaltstitel. Am 13. März 2009 teilte das Bundesamt der Ausländerbehörde mit, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 73 Abs. 1 oder 2 AsylVfG nicht vorlägen. Im März 2009 stellte der Kläger bei der Ausländerbehörde der Stadt M. einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Auf Anfrage teilte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg der Ausländerbehörde im Mai 2009 mit, dass hinsichtlich der Person des Klägers "Erkenntnisse" vorlägen, über die das Innenministerium Baden-Württemberg gesondert informiert worden sei. Dessen ungeachtet wurde dem Kläger am 4. Dezember 2009 ohne weitere Mitteilung zum Stand der Sicherheitsüberprüfung eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG erteilt.

4

Das Regierungspräsidium K. teilte dem Kläger mit Schreiben vom 23. Juli 2010 mit, dass die Niederlassungserlaubnis in Unkenntnis der Sicherheitsbedenken erteilt worden sei und derzeit deren Rücknahme und eine Ausweisung geprüft werde. Hierzu werde dem Kläger die Möglichkeit eines Sicherheitsgesprächs zur weiteren Aufklärung gegeben. Dieses fand im Februar 2011 statt; allerdings verweigerte der Kläger mit Ausnahme eines durch ihn ausgefüllten Fragebogens die weitere Mitwirkung.

5

Mit Verfügung vom 10. Januar 2012 wies das Regierungspräsidium K. den Kläger aus (Ziffer 1) und stützte sich dabei auf § 54 Nr. 5, § 56 Abs. 1, § 55 AufenthG a.F. Zudem wurde der Kläger verpflichtet, sich zweimal wöchentlich unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapiers bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, und sein Aufenthalt wurde auf den Bereich der Stadt M. begrenzt (Ziffer 2).

6

Die Ausweisung sei gerechtfertigt, weil Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Kläger Vereinigungen unterstütze, die ihrerseits den Terrorismus unterstützten. So habe der Kläger nach den vorliegenden Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in den Jahren 2001 bis 2010 regelmäßig an näher bezeichneten Veranstaltungen und Demonstrationen der PKK-Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL teilgenommen und sei teilweise auch selbst als Redner bei derartigen Veranstaltungen aufgetreten. Von 2001 bis 2003/2004 sei er Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Kurdischer Kulturverein e.V." in L. gewesen. Außerdem sei er seit langem Vorstandsmitglied und nunmehr sogar zweiter Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM). Die Ausweisung sei trotz des dem Kläger als anerkanntem Flüchtling zustehenden besonderen Ausweisungsschutzes aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt und auch mit Blick auf die Bleibeinteressen des Klägers verhältnismäßig. Sie führe zudem nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung, vielmehr bleibe seine Abschiebung ausgesetzt, da ihr Abschiebungsverbote aufgrund der Rechtsstellung des Klägers als Flüchtling sowie nach § 60 Abs. 5 AufenthG entgegenstünden. Die angeordnete zweimalige wöchentliche Meldepflicht und die räumliche Beschränkung auf den Stadtbezirk M. beruhten auf § 54a AufenthG (a.F.) und seien mit Blick auf die gebotene Überwachung des Klägers und zur Eindämmung seiner gefahrbegründenden Aktivitäten erforderlich und angemessen.

7

Das Verwaltungsgericht hat die gegen die Verfügung gerichtete Klage mit Urteil vom 27. Januar 2015 abgewiesen, zugleich aber den Beklagten verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf acht Jahre nach Ausreise des Klägers zu befristen. Mit Urteil vom 13. Januar 2016 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung zurückgewiesen. Dabei hat er die angefochtene Ausweisungsverfügung an der seit dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung des AufenthG gemessen. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof insbesondere ausgeführt: Im Fall des Klägers liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, weil der Kläger in überwiegend herausgehobener Funktion die PKK und damit eine terroristische oder den Terrorismus unterstützende Vereinigung unterstützt habe. Dabei seien allerdings nur Aktivitäten nach Juli 2010 heranzuziehen, also nach der an den Kläger gerichteten Mitteilung, wegen seiner Aktivitäten werde die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft. Als tatbestandserhebliches Unterstützen sei hiernach jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirke. Nach diesem Maßstab seien die im Urteil im Einzelnen näher bezeichneten und durch den Kläger in der Sache eingeräumten Betätigungen als Teilnehmer, Mitglied, Redner und Versammlungsleiter bei diversen die PKK unterstützenden Veranstaltungen sowie als Vorstandsmitglied der die PKK unterstützenden YEK-KOM und deren Nachfolgeorganisation NAV-DEM als Unterstützungshandlung zu werten. Angesichts des Ablaufs der Veranstaltungen, der dort gehaltenen Reden und der klaren Ausrichtung auf den Führerkult um den PKK-Führer Öcalan sowie gefallene Märtyrer bestünden für das Berufungsgericht keine Zweifel daran, dass sich der Kläger den Zielen der PKK verpflichtet fühle und sie mit seinem Tun unterstützen wolle.

8

Die Ausweisungsverfügung werde auch dem erhöhten Ausweisungsschutz gerecht, der dem Kläger als anerkanntem Flüchtling nach § 53 Abs. 3 AufenthG zustehe. Denn es lägen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU vor, wonach ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel widerrufen werden könne.

9

Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse stehe ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber. Denn er habe eine Niederlassungserlaubnis besessen, die gerade durch die Ausweisungsverfügung betroffen sei. Er lebe mit deutschen Familienangehörigen (sechs seiner Kinder) in familiärer Lebensgemeinschaft und übe sein Personensorgerecht für seine minderjährigen Kinder aus. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung überwiege jedoch das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers.

10

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Revision und rügt in mehrfacher Hinsicht eine Verletzung von Bundesrecht. Zunächst habe das Berufungsgericht den Begriff des "Unterstützens" in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG fehlerhaft ausgelegt und angewandt. Der von ihm in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht angewandte Unterstützungsbegriff sei rechtsstaatlich nicht hinreichend konkret. Jedenfalls auf der Grundlage des neuen, seit Jahresanfang 2016 geltenden Ausweisungsrechts, das nach "schwerwiegenden" und "besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen" differenziere, sei dieser Unterstützungsbegriff nicht mehr als Abgrenzungskriterium geeignet. Notwendig sei ein gefahrenabwehrrechtlich ausgerichteter Unterstützungsbegriff, der sich etwa in Anlehnung an strafrechtliche Zurechnungskriterien wie Anstiftung oder Beihilfe oder die im Strafrecht für Organisationsdelikte entwickelten Zurechnungskriterien gewinnen lassen könne.

11

Fehlerhaft sei zudem die Auslegung und Anwendung von § 53 Abs. 3 AufenthG im Hinblick auf die sich aus Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie ergebenden Voraussetzungen. Denn das Berufungsgericht habe weder festgestellt, dass der Kläger unmittelbar der PKK angehöre, noch dass sich die YEK-KOM oder die NAV-DEM selbst terroristischer Methoden bedienten. Weiterhin verkenne das Berufungsgericht die durch den Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) aufgestellten Anforderungen an die festzustellenden Unterstützungshandlungen. Danach sei insbesondere zu prüfen, ob der Betroffene selbst terroristische Handlungen begangen habe, ob und in welchem Maße er an der Planung, an Entscheidungen oder an der Anleitung anderer Personen zum Zwecke der Begehung solcher Handlungen beteiligt war und ob und in welchem Umfang er solche Handlungen finanziert oder anderen Personen die Mittel für ihre Begehung verschafft habe. Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts habe der EuGH damit nicht lediglich beispielhaft die in den maßgeblichen Vorlagefragen des Ausgangsverfahrens vorgehaltenen Handlungen herausgegriffen, sondern in einem abschließenden Sinne bestimmte Kriterien vorgegeben.

12

Weiter setze der Gefahrenbegriff des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine "konkrete Gefahr" voraus. Weder der Wortlaut noch die der Vorschrift zugrunde liegende Entstehungsgeschichte rechtfertigten eine Absenkung dieser Gefahrenschwelle. Das Berufungsgericht hätte daher prüfen müssen, ob der Kläger die für die objektive Unterstützung zu Grunde gelegten Tatsachen und Umstände gekannt und eine zweckgerichtete Unterstützung auch gewollt habe.

13

Schließlich habe das Berufungsgericht verkannt, dass dem Kläger nach dem Urteil des EuGH vom 24. Juni 2015 selbst dann, wenn ihm der Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie entzogen werden dürfe, für die Zeit der Fortdauer seines Flüchtlingsstatus die Rechte nach Kapitel VII dieser Richtlinie erhalten bleiben. Deshalb beantragte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hilfsweise, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass ihm auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie.

14

Der Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und tritt der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bei.

15

Während des Revisionsverfahrens hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 20. Oktober 2016 die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes für den Kläger widerrufen und entschieden, ihm weder die Flüchtlingseigenschaft noch den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Gegen den Bescheid hat der Kläger Klage erhoben.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist im Wesentlichen unbegründet. Das Berufungsgericht hat die Ausweisung des Klägers und die ihm auferlegte Meldepflicht und Aufenthaltsbeschränkung im Ergebnis zu Recht als rechtmäßig eingestuft. Allerdings war auf der Grundlage der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG der Beklagte zu einer nunmehr gebotenen Ermessensentscheidung über die festzusetzende Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG zu verpflichten.

17

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren des Klägers auf Aufhebung der Ausweisung (Ziffer 1 des Bescheids) sowie der Meldeauflagen und Aufenthaltsbeschränkung (Ziffer 2 des Bescheids). Aber auch der Streit über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs - im Berufungsverfahren und anschließend im Revisionsverfahren angefallen. Denn das Befristungsbegehren ist als Minus notwendiger Bestandteil des Begehrens auf Aufhebung einer Ausweisung und kann daher von den Parteien nicht gesondert aus dem Verfahren ausgegliedert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 28 ff.). Hiervon sind im Übrigen vorliegend auch die Parteien übereinstimmend ausgegangen.

18

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der Meldepflicht und der Aufenthaltsbeschränkung sowie der vom Kläger hilfsweise begehrten Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 8 m.w.N.). Der Entscheidung sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162) zugrunde zu legen, zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155).

19

A. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG, weil der Kläger anerkannter Flüchtling ist.

20

1. Nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht ergibt sich der Grundtatbestand der Ausweisung aus § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

21

Das neue Ausweisungsrecht gibt das mit dem Ausländergesetz 1990 eingeführte dreistufige Konzept der Ist-, Regel- und Kann-Ausweisung auf. Stattdessen hat sich der Gesetzgeber für ein einheitliches System der rechtlich gebundenen Ausweisung entschieden ("wird ausgewiesen"), das vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. § 54 AufenthG benennt konkret die Gründe, wann das Ausweisungsinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt und knüpft damit an Tatbestände der früheren Ist- und Regelausweisung an. In § 55 AufenthG werden - spiegelbildlich hierzu - Tatbestände normiert, denen zufolge das Bleibeinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt, wobei auch die Aufzählung der "schwer" wiegenden Bleibeinteressen nicht abschließend ist. In § 53 Abs. 2 AufenthG werden Gesichtspunkte genannt, die bei der Abwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sind, insbesondere die Dauer des Aufenthalts, Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, Folgen der Ausweisung für Angehörige und Partner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat.

22

Die Rechtsprechung des Senats, die ihrerseits Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aufgreift (vgl. Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <301 ff.> und vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 14 ff.), hat bei der Entwicklung des neuen Ausweisungsrechts eine entscheidende Rolle gespielt (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 25. Februar 2015, BT-Drs. 18/4097 S. 49). Dabei griff der Gesetzgeber Vorschläge zur Neuregelung des Ausweisungsrechts auf, die Vertreter der Rechtsprechung unterbreitet haben (vgl. Dörig, NVwZ 2010, 921 <922>; Bergmann, ZAR 2013, 318 <322> sowie Gesetzesvorschlag Bergmann/Dörig vom Januar 2014, veröffentlicht in: Barwig u.a., Steht das europäische Migrationsrecht unter Druck?, 2014, S. 111 f.). Die Ausweisung setzt nunmehr nach § 53 Abs. 1 AufenthG eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Sofern nach dieser Gesamtabwägung das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib in Deutschland überwiegt, wird der Ausländer ausgewiesen, andernfalls kommt eine Aufenthaltsbeendigung nach § 53 Abs. 1 AufenthG nicht in Betracht.

23

Die Tatbestandsmerkmale der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" im ausweisungsrechtlichen Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG sind nach der Begründung des Gesetzgebers im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Auch die Gefährdung dieser Schutzgüter bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten wird. Mit Blick auf die verwendeten Begriffe sollte keine Ausweitung des Gefahrenbegriffs gegenüber dem bislang geltenden Recht erfolgen, vielmehr sollten lediglich die bislang verwandten unterschiedlichen Formulierungen aneinander angeglichen werden. Die von § 53 Abs. 1 AufenthG geforderte Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers in Deutschland erfolgt dabei nach der Intention des Gesetzgebers nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar.

24

Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" (Absatz 1) oder als "schwerwiegend" (Absatz 2). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sind neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Interessen aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Die Katalogisierung schließt demnach die Berücksichtigung weiterer Umstände im Rahmen der nach § 53 Abs. 2 AufenthG zu treffenden Abwägungsentscheidung nicht aus. Dies folgt bereits aus dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG, ist aber für die schwerwiegenden, aufgrund der Vielgestaltigkeit der Lebenssituationen bewusst nicht abschließend aufgezählten Bleibeinteressen in § 55 Abs. 2 AufenthG nochmals ausdrücklich normiert. Die nunmehr als schwerwiegend oder besonders schwerwiegend qualifizierten Ausweisungsinteressen im Sinne von § 54 AufenthG decken sich weitgehend - aber nicht vollständig - mit den früheren Gründen für eine Regel- und Ist-Ausweisung, die schwerwiegenden und besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen greifen Fälle des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 AufenthG a.F. auf.

25

Bei der Abwägung sind schließlich gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht ("Boultif/Üner-Kriterien"). Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen.

26

Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht.

27

2. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG festgestellt. Ein solches liegt dann vor, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wobei hiervon u.a. dann auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Ausländer einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er (jedenfalls) eine solche Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, er nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.

28

a) Der Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist dem Wortlaut nach weitgehend an den früheren Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung angelehnt, auf den die Ausweisungsverfügung auch ursprünglich gestützt war. Das Berufungsgericht hat für die Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu Recht dieselben rechtlichen Maßstäbe herangezogen, die der Senat zur Auslegung des früheren Regelausweisungstatbestandes nach § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung entwickelt hat.

29

In der Rechtsprechung des Senats war die Auslegung des Regelausweisungstatbestands des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung weitgehend geklärt. So ist anerkannt, dass eine Vereinigung den Terrorismus unterstützt, wenn sie sich selbst terroristisch betätigt oder wenn sie die Begehung terroristischer Taten durch Dritte veranlasst, fördert oder befürwortet. Die Schwelle der Strafbarkeit muss dabei nicht überschritten sein, da die Vorschrift der präventiven Gefahrenabwehr dient und auch die Vorfeldunterstützung durch sogenannte Sympathiewerbung erfasst. Der Tatbestand des Unterstützens des Terrorismus durch eine Vereinigung setzt allerdings voraus, dass die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung (auch) auf die Unterstützung des Terrorismus gerichtet sind; ein bloßes Ausnutzen der Strukturen einer Vereinigung durch Dritte in Einzelfällen reicht hierfür nicht aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 20 ff. und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 13 ff.).

30

Für den im Gesetz verwandten Begriff des Terrorismus sind Versuche, auf völkerrechtlicher Ebene eine allgemein anerkannte vertragliche Definition zu entwickeln, nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen. Jedoch können wesentliche Kriterien aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft im Beschluss des Rates Nr. 2002/475/JI vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (ABl. L 164 S. 3) sowie dem gemeinsamen Standpunkt des Rates 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001 (ABl. L 344 S. 93) gewonnen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die Aufnahme einer Organisation in die vom Rat der Europäischen Union angenommene Liste terroristischer Organisationen im Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93 - vgl. auch ABl. L 116 vom 3. Mai 2002, S. 75) ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass die Organisation terroristischer Art ist oder im Verdacht steht, eine solche zu sein (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 [ECLI:EU:C:2015:413], H.T./Land Baden-Württemberg - Rn. 83). Hier sind von den Tatsachengerichten ergänzende Feststellungen zu treffen. Dabei ist trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs anerkannt, dass als terroristisch jedenfalls der Einsatz gemeingefährlicher Waffen und Angriffe auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen sind (Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>, vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 19 und Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 10 C 48.07 - BVerwGE 132, 79 <87> m.w.N.).

31

Weiterhin ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass die individuelle Unterstützung einer terroristischen Vereinigung oder einer Vereinigung, die eine terroristische Vereinigung unterstützt, im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. alle Verhaltensweisen erfasst, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeit der Vereinigung auswirken. Darunter kann die Mitgliedschaft in der terroristischen oder in der unterstützenden Vereinigung ebenso zu verstehen sein wie eine Tätigkeit für eine solche Vereinigung ohne gleichzeitige Mitgliedschaft. Auch die bloße Teilnahme an Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen kann eine Unterstützung in diesem Sinne darstellen, wenn sie geeignet ist, eine positive Außenwirkung im Hinblick auf die durch § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. missbilligten Ziele zu entfalten. Auf einen nachweisbaren oder messbaren Nutzen für diese Ziele kommt es nicht an, ebenso wenig auf die subjektive Vorwerfbarkeit der Unterstützungshandlungen. Im Hinblick auf den Schutz der Meinungsfreiheit und das Gebot der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Betätigungsfreiheit des Einzelnen erfüllen allerdings solche Handlungen den Tatbestand der individuellen Unterstützung nicht, die erkennbar nur auf einzelne, mit terroristischen Zielen und Mitteln nicht im Zusammenhang stehende - etwa humanitäre oder politische - Ziele der Vereinigung gerichtet sind. Für den Ausländer muss schließlich die eine Unterstützung der Vereinigung, ihrer Bestrebungen oder ihrer Tätigkeit bezweckende Zielrichtung seines Handelns erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auf eine darüber hinaus gehende innere Einstellung des Ausländers kommt es hingegen nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 15 und 18 m.w.N.).

32

Diese vom Senat zur Auslegung von § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. entwickelten Grundsätze lassen sich entgegen dem Vorbringen der Revision auch auf den Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung nach dem neu gefassten § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG übertragen. Ein Vergleich der Textfassungen ergibt, dass der Gesetzgeber die früheren Regelausweisungstatbestände nach § 54 Nr. 5, 5a und 5b AufenthG a.F. in der neuen Vorschrift des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zusammengefasst hat, wobei unter den vorliegenden Umständen die Fälle staatsgefährdender Gewalttaten nach § 89a StGB außer Betracht bleiben können. Gegenüber dem früheren Recht ist der Hinweis entfallen, dass eine Ausweisung auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen nur gestützt werden kann, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Eine Änderung der materiellen Rechtslage ist damit aber nicht verbunden, da auch nach neuem Recht eine fortbestehende Gefahr erforderlich ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ("gefährdet") und ist implizit auch dem neuen Zusatz in § 54 Abs. 1 Nr. 2 letzter Halbsatz AufenthG zu entnehmen, wonach von einer Gefährdung nicht auszugehen ist, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt.

33

Den Gesetzgebungsmaterialien ist nichts dafür zu entnehmen, dass sich der Gesetzgeber hinsichtlich des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung für eine Abkehr von dem bisherigen Verständnis des Ausweisungstatbestandes hat entscheiden wollen. Zwar hat er in Satz 2 einen Halbsatz neu eingefügt, wonach ein Unterstützen nicht vorliegt, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt. Das stellt jedoch keine inhaltliche Änderung des Unterstützerbegriffs dar, sondern normiert lediglich ein in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits entwickeltes Kriterium zur individuellen Zurechnung eines Unterstützerverhaltens. Denn der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die objektive Tatsache der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in der Vergangenheit dem Ausländer dann nicht mehr zugerechnet werden kann, wenn er sich glaubhaft hiervon distanziert (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <131>, vom 30. April 2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 35 und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 17). Die nunmehr normierten Tatbestandsmerkmale lassen keine Abkehr von der Senatsrechtsprechung erkennen, denn ein "erkennbares Abstandnehmen" vom sicherheitsgefährdenden Handeln entspricht dem Distanzieren im Sinne der Senatsrechtsprechung. Allerdings findet sich in der Begründung zu dieser Neuregelung die Aussage, die Möglichkeit der "Exkulpation" zeige, dass der Betroffene Kenntnis davon gehabt haben müsse, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstütze, der "undolose Unterstützer" daher nicht unter die Regelung falle (BT-Drs. 18/4097 S. 51). Aus diesem Satz in der Gesetzesbegründung könnte man ableiten, der Gesetzgeber habe eine Regelung treffen wollen, nach der für die subjektive Seite des Unterstützens mehr erforderlich ist (Vorsatz) als nach dem bisherigen Verständnis (Erkennbarkeit). Wäre dies tatsächlich so Gesetz geworden, hätte dies eine nicht unerhebliche Einschränkung der Rechtsprechung zur subjektiven Zurechnung bedeutet, nach der es ausreicht, dass der Ausländer erkennen konnte, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstützt. Die Begründung hat jedoch im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden, denn nach diesem wird Vorsatz im Hinblick auf die terroristische Betätigung der unterstützten Vereinigung nicht verlangt. Es reicht somit auch für die Erfüllung des subjektiven Unterstützertatbestands weiterhin die Erkennbarkeit einer terroristischen Betätigung der Vereinigung aus. Vorsatz bleibt hingegen weiter erforderlich für das eigene Handeln des Ausländers, das von dem Ziel geleitet sein muss, die Vereinigung zu unterstützen. Für diese Auslegung spricht auch, dass der Gesetzgeber der Vorfeldunterstützung des Terrorismus durch die Gesetzesänderung erhöhte Bedeutung beimessen wollte, indem er den bisher als Tatbestand für eine Regelausweisung normierten Ausweisungsgrund zu einem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 AufenthG heraufstufte, was im bisherigen Recht dem Tatbestand einer zwingenden Ausweisung entsprochen hätte. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass das stärkere Gewicht, das der Gesetzgeber diesem Ausweisungsinteresse beimessen wollte (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 23), mit einer engeren Interpretation seiner Tatbestandsmerkmale einhergehen sollte.

34

Eine vom früheren Begriffsverständnis abweichende Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass dieser bisher eigenständige Tatbestand nunmehr in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG funktional mit einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verknüpft wird ("hiervon ist auszugehen, wenn"). Vielmehr ergibt eine systematische Auslegung der Vorschrift, dass der Inhalt des Ausweisungstatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung unverändert geblieben ist, während der Begriff der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland eine Erweiterung erfahren hat. Denn der Gesetzgeber hat mit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr kraft Gesetzes definiert, wann von einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen ist, nämlich (jedenfalls) dann, wenn eine der dort genannten Tatbestandsalternativen erfüllt ist. Die Auslegung des Begriffs der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland richtet sich daher (auch) nach diesen Tatbestandsalternativen, nicht umgekehrt. Anderes lässt sich hinsichtlich des Gefahrenmaßstabs auch nicht der Regelung des § 53 Abs. 1 AufenthG entnehmen. Denn anders als bei den übrigen Ausweisungsinteressen hat der Gesetzgeber in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG das Erfordernis einer Gefahr (nochmals) ausdrücklich aufgeführt, was unter systematischen Gesichtspunkten für eine gewisse Eigenständigkeit des Gefahrentatbestandes gegenüber § 53 Abs. 1 AufenthG fruchtbar gemacht werden kann. Es gilt damit nunmehr, dass das Gesetz bereits die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Bundesgebiet als eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ansieht, unabhängig davon ob die terroristische Vereinigung Gewaltakte auch auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland oder gegen deutsche Einrichtungen im Ausland begeht. Weiterhin gilt jedenfalls für die Fälle des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ein abgesenkter Gefahrenmaßstab, der auch Vorfeldmaßnahmen erfasst und keine von der Person des Unterstützers ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefahr erfordert. Die Rechtsprechung des Senats zur Unterstützung des Terrorismus durch Handlungen in dessen Vorfeld hat dem Rechnung zu tragen und dabei auch die Bedeutung zu berücksichtigen, die der Unionsgesetzgeber dieser Vorfeldunterstützung durch den Erwägungsgrund 37 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 S. 9) - EU-Anerkennungsrichtlinie - beimisst.

35

Ein Anlass für eine verfassungsrechtliche Neubewertung des Gefahrenmaßstabs besteht entgegen dem umfangreichen Revisionsvorbringen nicht. In der Rechtsprechung des Senats ist seit dem Urteil zum Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus - Terrorismusbekämpfungsgesetz - vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361, 3142) anerkannt, dass der Unterstützungsbegriff weit auszulegen und anzuwenden ist, um damit der auch völkerrechtlich begründeten Zielsetzung des Gesetzes gerecht zu werden, dem Terrorismus schon im Vorfeld die logistische Basis zu entziehen (BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <127 ff.>). Maßgeblich ist, inwieweit das festgestellte Verhalten des Einzelnen zu den latenten Gefahren der Vorfeldunterstützung des Terrorismus nicht nur ganz unwesentlich oder geringfügig beiträgt und deshalb selbst potenziell gefährlich erscheint. Wegen der tatbestandlichen Weite des Unterstützungsbegriffs ist allerdings bei der Anwendung der Vorschrift darauf zu achten, dass nicht unverhältnismäßig namentlich in das auch Ausländern zustehende Recht auf freie Meinungsäußerung jenseits der zumindest mittelbaren Billigung terroristischer Bestrebungen eingegriffen wird. Einen bislang nicht berücksichtigten verfassungsrechtlichen Rechtssatz, der den so umschriebenen Ausgleich zwischen dem legitimen und schon wegen seiner völkerrechtlichen Vorgaben besonders gewichtigen gesetzgeberischen Ziel der Terrorismusbekämpfung und den geschützten Grundrechtspositionen eines Ausländers infrage stellen würde, zeigt die Revision nicht auf. Insbesondere sprechen der Charakter der Ausweisung als Maßnahme der Gefahrenabwehr sowie die spezifische Zielsetzung der Terrorismusbekämpfung gegen eine Übertragung strafrechtlicher Rechtsprechungsgrundsätze, wie sie etwa für die Abgrenzung strafbarer und straffreier Meinungsäußerungen gelten. Der Senat hält auch unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an seiner bisherigen Rechtsprechung fest.

36

b) Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG angenommen. Dies gilt sowohl für die Qualifizierung der PKK als terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung (aa) als auch - jedenfalls im Ergebnis - für die Qualifizierung der Handlungen des Klägers als relevante Unterstützungshandlungen (bb). Ebenso wenig zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen hat (cc).

37

(aa) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Qualifizierung der PKK als eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Das Gericht legt seiner Entscheidung die in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze für die Definition einer terroristischen Vereinigung zugrunde (UA Bl. 27 f.) und geht damit von einem zutreffenden Maßstab aus. Für die Bewertung der PKK als eine solche Vereinigung hat das Gericht zunächst darauf abgestellt, dass sie auch noch aktuell auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist, ohne diesem Umstand eine über einen deutlichen Anhaltspunkt hinausgehende Bedeutung beizumessen (UA Bl. 31). Hieran anknüpfend hat das Berufungsgericht sodann auf der Grundlage der ihm vorliegenden Erkenntnismittel festgestellt, dass die PKK zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele in der Türkei weiterhin Gewalttaten gegen staatliche Einrichtungen und Amtsträger sowie die Zivilbevölkerung verübt und im Übrigen etwa zur Finanzierung ihrer Aktivitäten oder zur Bekämpfung von Kritikern auch nicht vor Verbrechen gegenüber ihren eigenen Anhängern und auch darüber hinaus gegenüber der kurdischstämmigen Bevölkerung insgesamt zurückschreckt. Insbesondere sei die zwischen dem türkischen Staat und der PKK ausgehandelte (relative) Waffenruhe seitens der PKK zuletzt Ende Juli 2015 ausdrücklich aufgekündigt worden (UA Bl. 32 f.). Diese tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts sind von der Revision nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen worden und daher für den Senat bindend. Sie erlauben dem Senat zudem eine eigene rechtliche Bewertung des Inhalts, dass die PKK eine terroristische Vereinigung darstellt und nicht lediglich eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung.

38

(bb) Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist auch die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, dass der Kläger die PKK in rechtserheblicher Weise individuell unterstützt hat. Allerdings ist das Gericht unter Verstoß gegen Bundesrecht davon ausgegangen, dass zu Lasten des Klägers nur solche Unterstützungshandlungen berücksichtigt werden dürfen, die in zeitlicher Hinsicht nach der Mitteilung des Regierungspräsidiums vom Juli 2010 lagen, wonach eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft würden.

39

Das Berufungsgericht ist insoweit rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass ein Ausweisungsinteresse bereits dann aus Gründen des Vertrauensschutzes verbraucht ist und nicht mehr zur Begründung einer Ausweisung herangezogen werden kann, wenn ein Aufenthaltstitel in Kenntnis oder dem Staat zuzurechnender Unkenntnis erteilt oder verlängert wurde (UA S. 34 f.). Zwar ist in der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich anerkannt ist, dass Ausweisungsgründe in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und so lange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind und die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <313> und vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <121 f.>). Aus der Ableitung dieser Kriterien aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt jedoch, dass die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Aus der Rechtsprechung des Senats ergibt sich zudem, dass ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers schützenswert sein muss. Hieran fehlt es, wenn die Ausländerbehörde - wie vorliegend - dem Kläger auf dessen Anfrage zum Stand des Verfahrens auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis lediglich mitteilt, dass gegenwärtig noch eine Sicherheitsüberprüfung stattfinde, und dann zu einem späteren Zeitpunkt ohne jegliche Erläuterung zum Ausgang der Sicherheitsüberprüfung die begehrte Niederlassungserlaubnis erteilt. Auf dieser Grundlage kann der Betroffene nämlich weder wissen, welchen konkreten Umständen die Ausländerbehörde im Rahmen ihrer Sicherheitsüberprüfung nachgegangen ist, noch zu welchen konkreten Erkenntnissen sie hierbei nach Abschluss der Überprüfung gelangt ist. Daher kann der Betroffene aus der Erteilung der Niederlassungserlaubnis billigerweise auch nicht schließen, dass die Ausländerbehörde bei ihrer Sicherheitsüberprüfung alle als potentielle Versagungsgründe in Betracht kommenden Umstände tatsächlich ermittelt und sodann als für die Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis unbeachtlich eingestuft hat.

40

Das angefochtene Urteil beruht jedoch nicht auf diesem Rechtsverstoß, weil das Berufungsgericht auch ohne Berücksichtigung der vor dem für maßgeblich erachteten Zeitpunkt liegenden Umstände von rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen des Klägers ausgegangen ist und die diesbezüglichen Feststellungen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sind. Im Übrigen wäre der Kläger durch die Nichtberücksichtigung weiterer, ihn belastender Umstände auch nicht beschwert. Im Einzelnen hat das Berufungsgericht für die Bestimmung der rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen zutreffend auf die in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäbe zu § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung abgestellt (UA Bl. 35 ff.). Keine abweichende Beurteilung ergibt sich aus dem Einwand des Klägers, die PKK nicht unmittelbar unterstützt zu haben, sondern sich in legalen Vereinigungen betätigt zu haben, die ihrerseits die PKK im Wissen um deren Charakter gewollt und gezielt unterstützen. Denn es stellt keine verminderte Gefahr der Vorfeldunterstützung des Terrorismus dar, wenn die Unterstützung terroristischer Vereinigungen nicht durch isolierte Einzelhandlungen, sondern in Vereinigung mit anderen erfolgt. Hierin liegt auch kein Fehlen der Unmittelbarkeit der Unterstützungshandlungen.

41

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht sodann nach Auswertung der ihm vorliegenden umfangreichen Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden festgestellt, dass der Kläger über mehrere Jahre in teils hervorgehobener Funktion als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter oder Redner regelmäßig an Veranstaltungen teilgenommen und mitgewirkt hat, bei denen offene Propaganda für die PKK betrieben worden ist (UA Bl. 39 - 42). Unter Einbeziehung der Aktivitäten des Klägers in der Zeit seit 2001, wie sie in der Ausweisungsverfügung (S. 3 - 9, 16 - 23) aufgelistet, vom Kläger nicht in Abrede gestellt und vom Berufungsgericht in Bezug genommen worden sind (UA S. 39 f.), stellt sich das Unterstützungshandeln des Klägers wie folgt dar: Der Kläger war von 2001 bis 2003/2004 Vorsitzender des "Kurdischen Kulturverein e.V." in L., der der KONGRA-GEL nahestand. Im Oktober 2004 wurde er in das 15-köpfige Führungskomitee der "Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland" (YEK-KOM) gewählt und gehörte diesem bis zur Auflösung der YEK-KOM im Jahr 2014 an, zeitweilig (bis 2011) war er der 2. Vorsitzende der Vereinigung. Er hat sich im Juni 2014 in den fünfköpfigen Vorstand der die PKK unterstützenden NAV-DEM wählen lassen und diese Vorstandstätigkeit bis zum Tage der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausgeübt (UA Bl. 43 - 45).

42

Der Kläger beteiligte sich seit Mitte 2003 regelmäßig an Kundgebungen und Demonstrationen in unterschiedlichen deutschen Städten (u.a. Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg, Frankfurt, Gelsenkirchen, Düsseldorf, Stuttgart) und in Straßburg/Frankreich, die sich unter anderem für eine Freilassung des inhaftierten PKK-Führers Öcalan aussprachen, des Gründungsjahrestags der PKK und/oder der "Märtyrer des kurdischen Freiheitskampfes" gedachten und Parolen auf die PKK ausriefen. Der Kläger hielt auf einigen dieser Veranstaltungen eine Rede, im Februar 2007 hob er dabei die Bedeutung der Gefallenen für die kurdische Sache hervor, im Januar 2009 sprach er zur aktuellen Lage der Kurden in ihrer Heimat, im März 2010 kritisierte er die Exekutivmaßnahmen der belgischen Polizei gegenüber dem kurdischen TV-Sender ROJ-TV, im November 2011 sprach er auf einer Kundgebung, die zum Thema u.a. die Verwendung von Napalmgas und chemischer Waffen gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei hatte, im Januar 2013 verurteilte er auf einer Kundgebung die Ermordung von drei PKK-Aktivisten in Paris, im Oktober 2015 hielt er anlässlich einer Protestaktion der NAV-DEM in Frankfurt eine Rede.

43

Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger nicht nur seine individuellen Unterstützungshandlungen, sondern sämtliche Aktionen der YEK-KOM und der NAV-DEM aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied persönlich zuzurechnen sind. Die YEK-KOM, der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK nach den gerichtlichen Feststellungen durch eine Vielzahl von Aktionen. Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen oder ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie "Freiheit für Öcalan" und "Frieden für Kurdistan". Im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die "logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans" verankert. Der Verein biete der PKK oder ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Für die NAV-DEM gilt nach den getroffenen Feststellungen nichts anderes. Der Verein sei keine Neugründung, sondern eine Umbenennung des Vereins YEK-KOM. Im Übrigen werde deutlich, dass die NAV-DEM ihre Veranstaltungen und Kundgebungen mit gleichem Ablauf und gleichen Themen durchführe wie zuvor schon unter dem Namen YEK-KOM. Diese zutreffende Würdigung bedeutet auch nicht, dass jeder Einsatz für die Interessen und Belange kurdischer Volkszugehöriger (oder eine Kritik an der Kurdenpolitik der Türkischen Republik) als eine Unterstützung der PKK und damit des Terrorismus einzuordnen wäre.

44

(cc) Soweit schließlich nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausscheidet, wenn der Ausländer ernsthaft und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt, hat das Berufungsgericht ebenfalls in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der Kläger ausweislich seines auch während des Ausweisungsverfahrens fortgesetzten Engagements als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter und Redner auch künftig an seiner Unterstützung der PKK festhalten wird. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Unterstützerverhalten des Klägers sind detailreich und stellen - entgegen der Auffassung der Revision - keine zu schmale Tatsachengrundlage für die getroffenen Feststellungen dar. Damit erfüllt der Kläger die gesetzlichen Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, und es liegt ein Ausweisungsinteresse vor, das besonders schwer wiegt.

45

3. Die angefochtene Verfügung des Beklagten erfüllt auch die besonderen Voraussetzungen, die nach § 53 Abs. 3 AufenthG an die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings zu stellen sind. Ein solcher darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

46

a) Diese den Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG ergänzende Vorschrift legt erhöhte Ausweisungsvoraussetzungen für mehrere rechtlich privilegierte Personengruppen fest, nämlich für Ausländer, die als Asylberechtigte anerkannt sind, die im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießen, die einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention besitzen, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder die eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU besitzen. Für all diese Personengruppen gilt der besondere aus Art. 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG abgeleitete Maßstab, den der Gerichtshof der Europäischen Union auch auf Ausländer erstreckt hat, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - C-371/08 [ECLI:EU:C:2011:809], Ziebell - Slg. 2011, I-12735 Rn. 79, 86). Der Senat folgt nicht der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, wonach die Voraussetzungen des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 53 Abs. 3 AufenthG von vornherein "bereichsspezifisch" gemäß dem durch das Unionsrecht für den jeweiligen Personenkreis bestimmten Ausweisungsschutz auszulegen sind. Vielmehr hat der Gesetzgeber den unionsrechtlichen Schutzstandard für daueraufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige für ausreichend befunden und dessen Geltung für alle genannten Personengruppen angeordnet. Dies entbindet freilich nicht davon, in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob für die jeweils betrachtete Personengruppe der so durch den nationalen Gesetzgeber definierte Ausweisungsschutz dem unionsrechtlichen Maßstab tatsächlich genügt. Nur wenn der unionsrechtliche Maßstab strenger ist als derjenige, der durch den Gesetzgeber in § 53 Abs. 3 AufenthG festgelegt worden ist, bedarf § 53 Abs. 3 AufenthG nach allgemeinen Grundsätzen einer unionsrechtskonformen Auslegung, die angesichts der Weite der Tatbestandsmerkmale und des erkennbaren gesetzgeberischen Willens, europarechtlichen Maßstäben zu genügen, auch möglich ist (so auch Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 54).

47

Im vorliegenden Fall ist § 53 Abs. 3 AufenthG unionsrechtskonform nach den Vorgaben der EU-Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU auszulegen. Die Richtlinie formuliert keine Vorgaben für eine Ausweisung im Sinne des deutschen Rechts, wohl aber für eine Zurückweisung in den Herkunftsstaat (Art. 21 Abs. 2 und 3) und für den Entzug des Aufenthaltstitels (Art. 24 Abs. 1).

48

b) Nach Art. 21 Abs. 3 der EU-Anerkennungsrichtlinie darf ein Mitgliedstaat den einem Flüchtling erteilten Aufenthaltstitel widerrufen, wenn die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 2 vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 2012 - 1 C 8.11 - BVerwGE 143, 138 Rn. 21). Fällt ein Flüchtling nicht in den Anwendungsbereich von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie, kann auch Abs. 3 dieser Vorschrift nicht zu Anwendung kommen (EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 - Rn. 44). Eine Zurückweisung ist nach Art. 21 Abs. 2 Buchst. a zulässig, wenn es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass der Flüchtling eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält. Es kann offenbleiben, ob vom Kläger eine Gefahr im Sinne dieser Vorschrift ausgeht, denn die Zurückweisung ist nur unter der weiteren Voraussetzung rechtmäßig, dass sie dem Mitgliedstaat nicht aufgrund seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen untersagt ist (Art. 21 Abs. 2). Dazu zählen die Verpflichtungen aus Art. 3 EMRK (vgl. Begründung der Kommission im Richtlinienvorschlag vom 12. September 2001 KOM (2001) 510 endg. S. 33 zu Art. 19). Dem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK kommt absoluter Charakter zu; es kann mithin - anders als das Refoulement-Verbot nach Art. 33 Abs. 1 GFK - nicht unter den Voraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 Richtlinie 2011/95/EU i.V.m. Art. 35 Abs. 2 GFK durchbrochen werden (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 5. April 2016 - C-404/15 und C-659/15 PPU [ECLI:EU:C:2016:198], Aranyosi und Căldăraru - Rn. 85 - 87; EGMR, Urteil vom 17. Dezember 1996 - Nr. 71/1995/577/663, Ahmed/Österreich - NVwZ 1997, 1100 Rn. 39 - 41). Für den Kläger besteht ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK. Denn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat im Anerkennungsbescheid vom 9. Oktober 1997 nicht nur die Flüchtlingseigenschaft des Klägers nach dem seinerzeit maßgeblichen § 51 Abs. 1 AuslG 1990, sondern auch ein Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990 hinsichtlich der Türkei festgestellt und dieses damit begründet, dass dem Kläger in der Türkei unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Diese Feststellung des Bundesamts begründet hier ein - absolutes - nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Insoweit kommt der Feststellung des Bundesamts im vorliegenden Verfahren über § 42 AsylG auch Bindungswirkung zu. Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU begrenzt damit den behördlichen Handlungsspielraum für eine Abschiebung in einen Verfolgerstaat oder einen Staat, in dem Gefahren nach Art. 3 EMRK drohen. Die Vorschrift setzt jedoch keine Maßstäbe für eine lediglich "inlandsbezogene" Ausweisung, die - wie hier - insbesondere den Verlust des Aufenthaltstitels zur Folge hat.

49

c) Unionsrechtliche Maßstäbe für eine zum Verlust des Aufenthaltstitels eines Flüchtlings führende inlandsbezogene Ausweisung lassen sich aus Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie gewinnen. Die Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten, einem Flüchtling so bald wie möglich nach der Anerkennung einen Aufenthaltstitel auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.

50

(aa) Der Inhalt dieser Norm wurde vom Gerichtshof der Europäischen Union in einem auf ein Vorlageersuchen des Berufungsgerichts ergangenen Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) näher bestimmt. Die Entscheidung bezieht sich zwar auf Art. 24 Abs. 1 der EG-Anerkennungsrichtlinie 2004/83/EG, ihre Aussagen sind aber uneingeschränkt auf die in der Sache unveränderte Vorschrift des Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU übertragbar. Danach kann einem Flüchtling nach Art. 24 Abs. 1 nicht nur die Erteilung eines Aufenthaltstitels versagt werden, sondern der erteilte Aufenthaltstitel auch nachträglich widerrufen werden, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen (a.a.O. Rn. 55). Soweit in der Neufassung der Vorschrift nunmehr von zwingenden Gründen der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung die Rede ist, ist damit keine inhaltliche Änderung verbunden. Diese Wirkung einer Entziehung des Aufenthaltstitels kommt der hier verfügten Ausweisung zu, die wegen des entgegenstehenden Abschiebungsverbots nach Art. 3 EMRK nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung führt. Entgegen einer am Wortlaut orientierten Auslegung von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie hat der darin verwendete Begriff der "zwingenden Gründe" nach dem EuGH-Urteil eine weitere Bedeutung als der Begriff der "stichhaltigen Gründe" in Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie. Das bedeutet, dass bestimmte Umstände, die nicht den Schweregrad aufweisen, um eine Zurückweisung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie verfügen zu können, den Mitgliedstaat gleichwohl dazu berechtigen können, auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie dem betroffenen Flüchtling seinen Aufenthaltstitel zu entziehen (a.a.O. Rn. 75).

51

Bei der Bestimmung des Bedeutungsgehalts der "zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" hat der EuGH zunächst Bezug auf seine Rechtsprechung zu den Begriffen der "öffentlichen Sicherheit" und der "öffentlichen Ordnung" in Art. 27 und 28 der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG genommen (a.a.O. Rn. 77 ff.). Danach umfasst der Begriff "öffentliche Sicherheit" im Sinne von Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats. Die öffentliche Sicherheit kann danach berührt sein, wenn das Funktionieren staatlicher Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste beeinträchtigt wird oder eine Gefahr für das Überleben der Bevölkerung oder einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker besteht oder militärische Interessen beeinträchtigt werden. Dabei deutet der Begriff der "zwingenden Gründe" auf einen besonders hohen Schweregrad der Beeinträchtigung hin (a.a.O. Rn. 78). Den Begriff der "öffentlichen Ordnung" hat der EuGH für die Unionsbürgerrichtlinie dahin ausgelegt, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliegen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (a.a.O. Rn. 79). Zugleich betont er, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, nach ihren nationalen Bedürfnissen, die je nach Mitgliedstaat und Zeitpunkt unterschiedlich sein können, zu bestimmen, was die öffentliche Ordnung und Sicherheit erfordern (a.a.O. Rn. 77).

52

Für den Fall der Unterstützung des Terrorismus hat der EuGH zudem auf den 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83/EG, heute 37. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95/EU hingewiesen, wonach der Begriff der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" auch für die Fälle gilt, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt. Dabei muss das nationale Gericht in einem ersten Schritt prüfen, ob die Handlungen der fraglichen Organisation die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedrohen. Wird eine vom Flüchtling unterstützte Vereinigung in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93) geführt, ist dies ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie entweder eine terroristische Organisation ist oder im Verdacht steht, eine solche Organisation zu sein (a.a.O. Rn. 83). Allein der Umstand, dass ein Flüchtling eine solche Organisation unterstützt hat, darf jedoch nicht automatisch zur Aufhebung seines Aufenthaltstitels führen. Vielmehr ist in einem zweiten Schritt einzelfallbezogen die Rolle zu prüfen, die der Betreffende im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt hat (a.a.O. Rn. 90), und auch der Schweregrad der Gefahr zu beurteilen, die von seinen Handlungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (a.a.O. Rn. 92).

53

(bb) Das Berufungsgericht hat die vom Kläger geleisteten und ihm zuzurechnenden Unterstützungshandlungen an dem vom EuGH präzisierten Maßstab für die Auslegung des Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie gemessen und ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass sich hieraus zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ergeben, die einen Entzug des Aufenthaltstitels gegenüber dem Kläger rechtfertigen. Das Gericht hat bereits im Rahmen seiner Prüfung des besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausführlich begründet, warum die PKK eine terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung darstellt (UA S. 27 - 34). Dabei hat es gewürdigt, dass die PKK auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist und auch weiterhin terroristische Aktivitäten entfaltet. In einem zweiten Schritt hat es näher dargelegt, warum die in Deutschland agierenden Vereinigungen YEK-KOM und NAV-DEM, für die der Kläger seit mehr als zwölf Jahren in hervorgehobenen Funktionen wirkte, und der Kläger auch individuell durch Anmeldung und Leitung von Versammlungen sowie Redebeiträge und weitere Aktivitäten die PKK unterstützt haben und weiter unterstützen (UA S. 55, 34 - 48). Die Bewertung des Berufungsgerichts, dass der Kläger damit die Voraussetzungen für den Entzug seines Aufenthaltstitels nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie erfüllt, steht mit der Rechtsprechung des EuGH in Einklang. Zwar hat er selbst keine terroristischen Handlungen begangen, auch nicht andere Personen hierzu angeleitet oder sich an der Planung oder Finanzierung terroristischer Aktionen beteiligt, wie das der EuGH als mögliches Unterstützerhandeln erwähnt (a.a.O. Rn. 90). Diese Aufzählung des Gerichtshofs ist jedoch nur beispielhaft, macht zugleich aber deutlich, dass der Betreffende eine gewichtige Rolle im Rahmen seiner Unterstützung der terroristischen Organisation gespielt haben muss.

54

Bei der Frage, was als gewichtig anzusehen ist, ist der 37. Erwägungsgrund der Richtlinie zu berücksichtigen, wonach auch die Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, und die Unterstützung einer derartigen Vereinigung als Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung anzusehen sind. Die abschließende Bewertung, ob die Unterstützungshandlung hinreichend gewichtig ist, um "zwingende Gründe" darzustellen, überlässt der Gerichtshof dem verantwortlichen nationalen Gericht und erkennt auch einen Einschätzungsspielraum der Mitgliedstaaten an, nach ihren nationalen Bedürfnissen zu bestimmen, was die nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung erfordern. Diese abschließende Bewertung hat das Berufungsgericht dahin getroffen, dass die Unterstützungshandlungen des Klägers dem von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie geforderten Gewicht entsprechen. Es hat dies auf der Grundlage der Gewichtungsvorgabe des nationalen Gesetzgebers in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nachvollziehbar mit dem mehr als zwölfjährigem Unterstützerhandeln des Klägers in hervorgehobener Position innerhalb zweier Vereinigungen begründet, in dessen Rahmen er an zahlreichen Veranstaltungen mitwirkte, an denen sich Akteure beteiligten, die offen für die PKK warben und deren Kurs vorbehaltlos befürworteten (Auftreten in Guerillauniform, Märtyrergedenken, Grußbotschaften an die Kämpfer an der Front usw.). Für das Gewicht seines Unterstützerhandelns durfte das Gericht auch berücksichtigen, dass der Kläger nach den tatrichterlichen Feststellungen in vollem Bewusstsein um dessen Bedeutung für den ideologischen Zusammenhalt der PKK und in dem Willen gehandelt hat, diese vorbehaltlos auch in Bezug auf deren terroristische Aktivitäten zu unterstützen (UA S. 55).

55

(cc) Der EuGH hat in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13 Rn. 95 ff.) aber hervorgehoben, dass ein Flüchtling, dessen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie aufgehoben wird, seinen Flüchtlingsstatus behält, sofern und solange ihm nicht dieser Status entzogen worden ist. Daher ist er auch nach dem Verlust seines Aufenthaltstitels weiterhin Flüchtling und hat in dieser Eigenschaft weiterhin Anspruch auf die Vergünstigungen, die das Kapitel VII der Richtlinie jedem Flüchtling gewährleistet, so insbesondere auf Schutz vor Zurückweisung, auf Wahrung des Familienverbands, auf Ausstellung von Reisedokumenten, auf Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung, zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie auf Zugang zu Integrationsmaßnahmen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift. Diese Rechte dürfen, auch soweit sie nach nationalem Recht an den Besitz eines Aufenthaltstitels anknüpfen, von den zuständigen Behörden daher nicht mit der Begründung versagt werden, dass der Aufenthalt des Flüchtlings infolge der Ausweisung rechtswidrig geworden ist. Allerdings darf die Ausstellung eines Reiseausweises nach Art. 25 EU-Anerkennungsrichtlinie versagt werden, wenn - etwa zur Begegnung der Gefahr terroristischen Unterstützungshandelns - zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung entgegenstehen. Ebenso dürfen nach Art. 33 der Richtlinie aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen verfügt werden, wenn diese aus Gründen der öffentlichen Sicherheit auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern zulässig sind.

56

Eventuelle Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der dem Flüchtling auch nach Entzug des Aufenthaltstitels weiter zustehenden Rechte nach Kapitel VII der EU-Anerkennungsrichtlinie infolge unzureichender Umsetzung der Richtlinie in den einschlägigen nationalen Fachgesetzen berühren nicht die Rechtmäßigkeit der verfügten Ausweisung. An die Beachtung der einen Flüchtling unmittelbar begünstigenden Vorschriften in Kapitel VII der Richtlinie und die hierzu ergangene Rechtsprechung des EuGH sind seit Ablauf der Umsetzungsfrist alle nationalen Behörden gebunden. Der Flüchtling hat seine Rechte gegenüber den jeweils zuständigen Behörden und erforderlichenfalls Gerichten geltend zu machen. Auch die Generalanwältin hat es insoweit als die Pflicht der nationalen Gerichte angesehen, für die volle Wirksamkeit der Bestimmungen der Richtlinie Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede entgegenstehende Vorschrift des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 11. September 2014 - C-373/13 - Rn. 114 letzter Absatz).

57

4. Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen gewichtige Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1, § 55 AufenthG gegenüber. Diese hat das Berufungsgericht zutreffend bestimmt (UA S. 59 f.). Es hat berücksichtigt, dass der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besessen hat, die durch die Ausweisungsverfügung betroffen ist, er mit deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und er sein Personensorgerecht für minderjährige ledige Deutsche ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG).

58

5. Das Berufungsgericht hat das öffentliche Ausweisungsinteresse gegen die Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG unter Berücksichtigung der den Einzelfall prägenden Umstände abgewogen und ist unter Beachtung des hierfür zentralen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass das Ausweisungsinteresse überwiegt (UA S. 60 - 64). Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Gericht hat berücksichtigt, dass der Kläger besonderen Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie genießt, hier allerdings auf absehbare Zeit keine Aufenthaltsbeendigung beabsichtigt ist, da ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht. Es hat seinen langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und seine familiären Bindungen im Sinne von Art. 6 GG, Art. 8 EMRK gewürdigt, diesen durch die Verfügung allerdings insoweit nicht als beeinträchtigt angesehen, als keine Aufenthaltsbeendigung erfolgt. Es hat bei seiner Abwägung berücksichtigt, dass der Kläger in seinen geschützten Bindungen dadurch betroffen ist, dass sein Aufenthalt auf das Gebiet der Stadt M. beschränkt und er Meldeauflagen unterworfen ist. Weitere schützenswerte Bindungen hat das Gericht nicht anerkannt und dies nachvollziehbar damit begründet, dass der Kläger ungeachtet seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland kaum deutsch spricht, nur sporadisch und für kürzere Zeiträume erwerbstätig war und seit längerem von Sozialleistungen abhängig ist. Schließlich hat das Berufungsgericht in die Abwägung eingestellt, dass es der Kläger in der Hand hat, durch eine glaubhafte Abkehr von seinem bisherigen Verhalten eine Aufhebung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu erreichen.

59

6. Ohne Rechtsverstoß wertet das Berufungsurteil die in Ziffer 2 der angefochtenen Verfügung angeordnete Aufenthaltsbeschränkung und die verfügten Meldeauflagen als rechtmäßig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliegt ein Ausländer, gegen den - wie hier - eine Ausweisungsverfügung aufgrund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG besteht, der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Gestützt auf diese Ermächtigung hat der Beklagte bestimmt, dass sich der Kläger zweimal wöchentlich zu melden hat. Ferner hat er den Aufenthalt des Klägers auf den Bereich der Stadt M. beschränkt, wie das § 56 Abs. 2 AufenthG vorsieht, wenn die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft. Diese aufenthaltsbeschränkenden Maßnahmen durften gegenüber dem Kläger trotz dessen Rechtsstellung als Flüchtling ergehen. Dadurch wird sein Recht auf Freizügigkeit gemäß Art. 33 EU-Anerkennungsrichtlinie nicht verletzt. Denn derartige Maßnahmen dürfen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, wie sie hier wegen des Erfordernisses der Abwehr von terrorismusfördernden Aktivitäten vorliegen, auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern verfügt werden (§ 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG).

60

7. Zutreffend ist das Berufungsgericht auch zu dem Ergebnis gekommen, dass die für die Ausweisung des Klägers anwendbaren Regelungen des Ausweisungsrechts nicht gegen assoziationsrechtliche Verschlechterungsverbote aus Art. 13 ARB 1/80, Art. 7 ARB 2/76 und Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen (BGBl. 1972 II S. 385) verstoßen. Dabei kann offenbleiben, ob hier überhaupt eines der Verschlechterungsverbote Anwendung findet. Denn der zum 1. Januar 2016 eingeführte Übergang von einer Ermessensentscheidung zu einer gebundenen Entscheidung stellt keine Verschlechterung der Rechtsstellung des betroffenen Ausländers dar (a). Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung bewirkte zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für betroffene Ausländer, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt (b).

61

a) Die zum 1. Januar 2016 eingeführte Neuregelung des Ausweisungsrechts, die die bisherige Ermessensausweisung durch eine am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte gebundene Ausweisung abgelöst hat, hat die Rechtsstellung der Ausländer in der hier gebotenen und auch unionsrechtlich statthaften Gesamtschau nicht verschlechtert, sondern jedenfalls teilweise verbessert. Denn bisher sah das Gesetz Tatbestände einer zwingenden Ausweisung (Ist-Ausweisung), regelmäßig erfolgenden Ausweisung (Soll-Ausweisung) und Ausweisung nach Ermessen (Kann-Ausweisung) vor. Die zwingende Ausweisung und die regelmäßig erfolgende Ausweisung widersprachen für den Personenkreis der unionsrechtlich privilegierten Ausländer der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach eine Ausweisung ausschließlich auf ein persönliches Verhalten des Ausländers gestützt werden darf, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 [ECLI:EU:C:2004:262], Orfanopoulos und Oliveri - Slg. 2004, I-5257 Rn. 66 f.). Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass eine Regelung gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, wonach eine Ausweisung automatisch aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung verfügt wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird (a.a.O. Rn. 70). Aber auch die nationale Bestimmung über die Regelausweisung hat für den Gerichtshof den Anschein erweckt, dass trotz der Berücksichtigung individueller Umstände ein gewisser Automatismus oder jedenfalls eine Vermutung besteht, dass der betreffende Staatsangehörige auszuweisen ist (a.a.O. Rn. 92).

62

Daraus hat das Bundesverwaltungsgericht die Schlussfolgerung gezogen, dass die gesetzliche Regelung zur zwingenden Ausweisung und Regelausweisung auf unionsrechtlich privilegierte Ausländer nicht mehr angewendet werden darf (BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <302> betreffend Unionsbürger und - 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <321> betreffend Assoziationsberechtigte nach ARB 1/80). Der Gesetzgeber hat daraus durch das zum 1. Januar 2016 in Kraft getretene neue Ausweisungsrecht die Konsequenzen gezogen. Insofern stellt die neue Rechtslage eine Verbesserung gegenüber der bisherigen dar. Eine Ausweisung nach neuem Recht hat eine einzelfallbezogene umfassende Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen und orientiert sich dabei strikt am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 53 Abs. 1 und 2 AufenthG). Damit setzt der Gesetzgeber Vorgaben um, die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 - Rn. 99) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR , Urteil vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 57 - 60) ergeben.

63

Es stellt keine Verschlechterung der Rechtslage für unionsrechtlich privilegierte Ausländer dar, dass ihre Ausweisung nach früherer Rechtslage im Wege einer Ermessensentscheidung erfolgte, nach neuem Recht hingegen im Wege einer rechtlich gebundenen Ausweisung, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Damit entfällt zwar die Möglichkeit, aus Gründen der Zweckmäßigkeit von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen. Auf ein solches Absehen von einer rechts- und ermessensfehlerfrei möglichen Ausweisung hatte der Ausländer aber zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch, auch die gerichtliche Kontrolle war insoweit durch § 114 VwGO eingeschränkt; durch die gesetzliche Neuregelung wird also keine individuelle Rechtsposition beeinträchtigt. Im Übrigen ist für die Beachtung des Verschlechterungsverbots auf die tatsächliche Praxis und nicht allein auf die abstrakte Rechtslage abzustellen. Die Rechtspraxis wurde maßgeblich durch die Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz des Bundesministeriums des Innern vom 26. Oktober 2009 gesteuert. Danach lag die Ausweisungsentscheidung im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde, bei der Ermessensausübung waren das schutzwürdige Interesse des Ausländers am weiteren Verbleib in Deutschland und das öffentliche Interesse an der Ausweisung gegeneinander abzuwägen (Ziffer 55.1.3). Das weist auf eine Rechtspraxis hin, die der heute normierten gebundenen Ausweisung entspricht, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Insofern hat sich die Rechtsstellung des Ausländers nicht verschlechtert.

64

b) Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung hat zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für die betroffenen Ausländer bewirkt, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Die seinerzeitige Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung (§ 54 Nr. 5 AufenthG a.F.) führte zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gegenüber der früheren Rechtslage, die allein den Tatbestand der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland kannte. Durch die Rechtsänderung wurde nun auch die Vorfeldunterstützung des Terrorismus erfasst. Diese ist jedoch mit Blick auf das Verschlechterungsverbot aus Art. 13 ARB 1/80 aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 14 ARB 1/80, jedenfalls aber durch ein zwingendes Allgemeininteresse, namentlich die völkerrechtlich gebotene Terrorismusbekämpfung auch bereits im Vorfeld unmittelbarer terroristischer Handlungen, gerechtfertigt.

65

8. Nach der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG ist über die Länge der Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach Ermessen zu entscheiden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Diese gesetzgeberische Entscheidung ist mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom gleichen Tage - 1 C 27.16 - Rn. 20 ff.). Das Urteil des Senats zur Vorläuferfassung des § 11 AufenthG a.F., wonach eine gebundene Entscheidung zu treffen war (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.), erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihm ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen. Eine solche Ermessensentscheidung hat der Beklagte hier noch nicht getroffen. Vielmehr hat bisher das Verwaltungsgericht das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach der seinerzeit geltenden Rechtslage im Wege einer gebundenen Entscheidung auf acht Jahre festgesetzt.

66

Der Beklagte hat die nach neuem Recht nunmehr gebotene Ermessensentscheidung nachzuholen. Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange.

67

B. Der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellte (weitere) Hilfsantrag, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass dem Kläger auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie, ist unzulässig. Er stellt eine unzulässige Klageerweiterung im Revisionsverfahren dar (§ 142 Abs. 1 VwGO). Im Übrigen bedarf es einer solchen behördlichen Feststellung auch nicht. Aus dem für alle nationalen Behörden verbindlichen EuGH-Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) ergibt sich bis zu einer dem Gesetzgeber vorbehaltenen Anpassung der einschlägigen Fachgesetze hinreichend deutlich, dass dem Kläger - solange er die Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der EU-Anerkennungsrichtlinie genießt - auch die mit dieser Rechtsstellung einhergehenden Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie zustehen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift (vgl. dazu auch die vorstehenden Ausführungen in Rn. 55 f. dieses Urteils).

68

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat gewichtet den gegen die Ausweisung, die Meldeauflage, die Aufenthaltsbeschränkung und die Abschiebungsandrohung gerichteten Anfechtungsantrag mit 4/5 und den auf Befristung zielenden Verpflichtungsantrag mit 1/5 (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 46).

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) Gegen den Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühren festgesetzt worden ist (§ 63 Absatz 2), findet die Beschwerde statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt. Die Beschwerde findet auch statt, wenn sie das Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zulässt. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb der in § 63 Absatz 3 Satz 2 bestimmten Frist eingelegt wird; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Im Fall der formlosen Mitteilung gilt der Beschluss mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gemacht. § 66 Absatz 3, 4, 5 Satz 1, 2 und 5 sowie Absatz 6 ist entsprechend anzuwenden. Die weitere Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung des Beschwerdegerichts einzulegen.

(2) War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden. Gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung findet die Beschwerde statt. Sie ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von zwei Wochen eingelegt wird. Die Frist beginnt mit der Zustellung der Entscheidung. § 66 Absatz 3 Satz 1 bis 3, Absatz 5 Satz 1, 2 und 5 sowie Absatz 6 ist entsprechend anzuwenden.

(3) Die Verfahren sind gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 8. Dezember 2014 weiter, mit dem die Beklagte ihn aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, seinen Antrag auf Erteilung bzw. Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt, ihm die Wiedereinreise für fünf Jahre untersagt und die Abschiebung aus der Haft nach Afghanistan angeordnet bzw. bei nicht fristgerechter Ausreise nach Haftentlassung angedroht hat.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich weder die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.) noch eine besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeit nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (2.).

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne dieser Bestimmung bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11). Das ist jedoch nicht der Fall.

a) Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisung des Klägers für rechtmäßig erachtet. Es hat auf der Grundlage der §§ 53 ff. AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung bei Vorliegen eines zwingenden Ausweisungsgrundes nach § 53 Nr. 1 AufenthG (durch die rechtskräftige Verurteilung des Klägers vom 24. Februar 2014 zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und neun Monaten) und Fehlen eines besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 Abs. 1 AufenthG nach einer umfangreichen Prüfung die Verhältnismäßigkeit der Ausweisung im Hinblick auf Art. 8 EMRK sowie Art. 2 Abs. 1 und 6 Abs. 1 GG bejaht.

Der (damals) 20jährige Kläger lebe zwar seit seinem 7. Lebensjahr in Deutschland, habe aber nur befristete Aufenthaltserlaubnisse innegehabt und verfüge seit Juni 2012 über keinen Aufenthaltstitel mehr. Nach dem Widerruf des nationalen Abschiebungsverbots habe er zudem, unabhängig von der streitgegenständlichen Ausweisung, keine Aussicht auf ein Aufenthaltsrecht mehr. Zwar lebten seine Mutter, vier ältere Geschwister und weitere Verwandte in Deutschland, jedoch sei er als volljähriger junger Mann nicht mehr auf den Beistand seiner Mutter oder Familie angewiesen.

Eine Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse sei ihm - trotz des langen Aufenthalts und obwohl er deutsch spreche - bislang weder in wirtschaftlicher noch in sozialer Hinsicht gelungen und werde ihm in Zukunft mangels Aufenthaltsrecht auch nicht mehr ermöglicht werden. Gegen eine gelungene soziale Integration des Klägers sprächen die Anzahl an Straftaten, Verurteilungen und Inhaftierungen, gegen eine gelungene wirtschaftliche Integration, dass er bis heute nicht in der Lage sei, seinen Lebensunterhalt selbst durch legale Erwerbstätigkeit sicherzustellen. Er sei seit seinem 14. Lebensjahr vielfach und mit unterschiedlichen Straftatbeständen straffällig geworden und habe bereits fast drei Jahre in Haft verbracht. Zwar sei zu berücksichtigen, dass er den weit überwiegenden Teil seiner Straftaten als Jugendlicher begangen habe, doch dürfe ebenfalls nicht außer Acht gelassen werden, dass er nach seiner ersten Haftentlassung auch als Volljähriger sein Verhalten nicht geändert habe. Laufende Reststrafenvollstreckungsaussetzungen zur Bewährung hätten den Kläger in der Vergangenheit bereits mehrfach nicht von der Begehung weiterer Straftaten abhalten können. Durch die vorausgegangene Strafhaft und die Verurteilungen sei er hinreichend gewarnt gewesen, habe jedoch bislang offenbar noch keine Konsequenzen dahingehend gezogen, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und ein straffreies Leben zu führen. Der Kläger sei zuletzt überwiegend wegen Eigentumsdelikten auffällig geworden und nicht in erster Linie ein Gewaltstraftäter. Indes sei er bereits bei seiner ersten Verurteilung wegen Raub und versuchter räuberischer Erpressung und später unter anderem wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt worden. Somit sei zwar keine Steigerung hinsichtlich der Intensität der Rechtsgutsverletzung zu erkennen, andererseits habe der Kläger in der Vergangenheit ebenfalls mehrfach Gewalt angewendet. Gewaltanwendung präge sein kriminelles Verhalten nicht primär, werde von ihm ersichtlich aber auch nicht völlig ausgeschlossen. Anhaltspunkte für eine bloß vorübergehende Jugenddelinquenz lägen nicht vor. Das Verhalten des Klägers in der Strafhaft sei von Arbeitsunwilligkeit, Überheblichkeit und Beratungsresistenz geprägt gewesen; während der ersten Inhaftierung sei er sieben Mal disziplinarisch belangt worden.

Nach dem Eindruck, den das Gericht in der mündlichen Verhandlung vom Kläger gewonnen habe, habe er immer noch nicht erkannt, dass er aktiv Maßnahmen ergreifen müsse, um sein Leben in den Griff zu bekommen. Die gesamte Entwicklung des Klägers bis zum jetzigen Zeitpunkt lasse keinen positiven Aspekt erkennen, der zu Hoffnung Anlass geben könne. Selbst die im Vergleich zum Lebensalter vergleichsweise langen Inhaftierungen hätten beim ihm offensichtlich keinerlei Einsicht und Verhaltensänderung bewirkt; bloße Beteuerungen oder Absichtserklärungen überzeugten und genügten in Anbetracht des Vorlebens des Klägers nicht.

Eine Rückkehr nach Afghanistan sei zwar mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, diese seien dem Kläger aber zumutbar. Es stehe rechtskräftig fest, dass § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG einer Rückkehr nach Afghanistan nicht entgegenstehe; der Kläger könne in Kabul sein Leben sichern. Im Hinblick auf den Aspekt der Entwurzelung gehe das Gericht davon aus, dass weiterhin Verwandte des Klägers in Afghanistan lebten, auch spreche er zumindest gebrochen Dari.

Zwar bedürfe es wegen der zwingenden Ausweisung keiner Gefahrenprognose, jedoch ergebe beim Kläger eine im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmende individuelle Gefahrenprognose eine relevante Wiederholungsgefahr. Auch nach mittlerweile sechs Monaten in Freiheit habe der Kläger nichts aufzuweisen. In der letzten Verurteilung sei festgestellt worden, dass er sich mittels der Diebstähle eine dauerhafte Einnahmequelle von gewissem Umfang und gewisser Dauer habe eröffnen wollen. Somit stehe zumindest zu befürchten, dass der Kläger sich auf diese Art und Weise wieder eine kriminelle Einnahmequelle erschließen werde. Die Stabilisierung, die das Strafgericht zuletzt erhofft habe, sei nach Auffassung des Gerichts nicht eingetreten.

Die Zustände im Heimatland des Klägers seien im Rahmen der Verhältnismäßigkeit von beachtlichem Gewicht, da es nach Auffassung des Gerichts - unabhängig von der asylrechtlichen Beurteilung - einen Unterschied mache, ob in ein Land wie Afghanistan oder einen anderen, nicht vergleichbaren Drittstaat ausgewiesen werde. Dies falle jedoch nicht ausschlaggebend ins Gewicht, da das Interesse des Klägers am Verbleib trotzdem nicht überwiege.

b) Im Zulassungsverfahren wendet sich der Kläger ausdrücklich nicht gegen die Annahme eines zwingenden Ausweisungsgrundes und des Fehlens eines besonderen Ausweisungsschutzes, sondern bringt vor, das Ausgangsgericht habe in seiner Verhältnismäßigkeitsprüfung entscheidungserhebliche Tatsachen bzw. Rechtssätze - die im Einzelnen aufgeführt werden - außer Acht gelassen.

c) Mit diesem Vorbringen wird aber die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Ausweisung des Klägers sei rechtmäßig, gemessen an den nunmehr maßgeblichen Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386) im Ergebnis nicht ernsthaft in Zweifel gezogen.

Die Beurteilung, ob ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt, richtet sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts. Eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ist daher zu berücksichtigen. Die Änderung der Sach- und Rechtslage ist allerdings grundsätzlich nur in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen relevant (Seibert in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl. 2014, § 124a Rn. 57; vgl. auch BVerwG, B.v. 15.12.2003 - 7 AV 2.03 - NVwZ 2004, 744). Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisung ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (vgl. z. B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 12), also hier der Entscheidung über den Zulassungsantrag; Rechtsänderungen während des Zulassungsverfahrens sind zu beachten.

Der Senat hat daher die streitbefangene Ausweisungsverfügung (und das diese als rechtmäßig bestätigende verwaltungsgerichtliche Urteil) unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens mangels entgegenstehender Übergangsregelung anhand der §§ 53 ff. AufenthG in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386) zu überprüfen. Seit dieser Rechtsänderung differenziert das Aufenthaltsgesetz nicht mehr zwischen der zwingenden Ausweisung, der Ausweisung im Regelfall und der Ermessensausweisung, sondern verlangt für eine Ausweisung eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, die für ein Ermessen der Ausländerbehörde keinen Raum mehr lässt. Die Ausweisungsentscheidung ist durch das Gericht in vollem Umfang nachprüfbar (Welte, InfAuslR 2015, 426; Cziersky/Reis in Hofmann, Kommentar zum Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl. 2016, § 53 Rn. 30; Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Kommentar, 11. Aufl. 2016, Vorb §§ 53-56 Rn. 13 und § 53 Rn. 5 ff.; a.A. Marx, ZAR 2015, 245/246). Eine nach altem Recht verfügte Ausweisung wird nach Inkrafttreten der §§ 53 bis 55 AufenthG in ihrer Neufassung am1. Januar 2016 nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht, also gemäß der zentralen Ausweisungsnorm des § 53 Abs. 1 AufenthG (als Grundtatbestand; vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 18/4097 S. 49 f.) der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

d) Die nach § 53 Abs. 1 AufenthG vorausgesetzte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist beim Kläger zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs in spezialpräventiver Hinsicht (immer noch) gegeben.

Das Verwaltungsgericht, das von einer zwingenden Ausweisung nach § 53 Nr. 1 AufenthG a. F. ausgegangen ist, hat eine vom Kläger ausgehende Gefahr der Begehung weiterer Straftaten nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung angesprochen und bejaht.

Der Senat bejaht auch unter Anwendung des § 53 Abs. 1 AufenthG n. F. eine derartige Wiederholungsgefahr.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. z. B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 33 m. w. N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (st. Rspr.; vgl. z. B. BayVGH, U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 34; BVerwG, U.v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - juris Rn. 18).

Gemessen an diesen Grundsätzen kommt der Senat zum maßgeblichen Zeitpunkt seiner Entscheidung zu der Bewertung, dass nach dem Verhalten des Klägers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass er erneut durch vergleichbare Straftaten die öffentliche Sicherheit beeinträchtigt. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht dargelegt hat, ist der Kläger seit seinem 14. Lebensjahr vielfach und mit unterschiedlichen Straftatbeständen straffällig geworden und hat sein Verhalten auch als Volljähriger nach seiner ersten Haftentlassung im Februar 2013 nicht geändert. Noch in der letzten Verurteilung vom 24. Februar 2014 stellte das Strafgericht fest, schwere schädliche Neigungen bestünden fort, die letzte Strafhaft habe den Kläger offensichtlich nicht im geringsten beeindruckt. Er habe nach seiner ersten Haftentlassung im Februar 2013 keine großen Anstrengungen unternommen, sich zu stabilisieren oder eine Arbeit anzutreten. Auffallend ist die hohe Rückfallgeschwindigkeit und die in den letzten Strafurteilen immer wieder festgestellte Weigerung, (sozialpädagogische) Hilfsmaßnahmen anzunehmen oder an sich selbst zu arbeiten; sein Verhalten sei von einer maßlosen Selbstüberschätzung getragen. Ebenso wie das Verwaltungsgericht kann auch der Senat keine positive Entwicklung nach seiner Entlassung aus der Haft im Februar 2015 erkennen. Zwar sind keine neuerlichen Straftaten mehr bekannt geworden, doch stand der Kläger seither unter dem Druck der am 8. Dezember 2014 ergangenen Ausweisungsverfügung. Außer einigen abgebrochenen Probearbeitsverhältnissen und einer schulischen Maßnahme, um einen Schulabschluss zu erwerben, hat der Kläger nichts zu seinen Gunsten vorzuweisen. Soweit er sich auf eine am 1. Oktober 2015 begonnene psychiatrische Behandlung (fachärztliches Attest vom 29.2.2016) beruft, gibt dies keinen Hinweis auf einen zukünftigen Wegfall der Wiederholungsgefahr; der Schwerpunkt der Behandlung liegt auf einer depressiven Erkrankung aufgrund einer drohenden Rückführung nach Afghanistan.

Soweit sich der Kläger in seinem auf die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit gerichteten Zulassungsvorbringen der Sache nach auch gegen die Annahme einer Wiederholungsgefahr wendet, dringt er damit nicht durch. Auch wenn es zutrifft, dass er „nur“ einmal nach einer Aussetzung der zu verbüßenden Reststrafe zur Bewährung wieder straffällig geworden ist (im Juni und Oktober 2013 nach der vorzeitigen Entlassung im Februar 2013), ändert dies angesichts der hohen Rückfallgeschwindigkeit und des Ablaufs der „kriminellen Karriere“ nichts an dieser Einschätzung. Gleiches gilt für den Vortrag, dass der Kläger nicht „mehrfach“, sondern „nur“ einmal Gewalt angewandt habe, nämlich bei der Tat, die mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung abgeurteilt worden sei. Mehr als eine sprachliche Ungenauigkeit liegt hierin nicht, denn der Kläger wurde außerdem noch unter anderem wegen Raub, versuchter räuberischer Erpressung, Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten („Amoklauf“) und Bedrohung verurteilt, also wegen Straftaten, die mit Anwendung oder Androhung von Gewalt verbunden sind. Bereits das Verwaltungsgericht hat hervorgehoben, dass der Schwerpunkt der zuletzt vom Kläger begangenen Delikte auf Diebstählen lag.

e) Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage nach § 53 Abs. 1 AufenthG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Klägers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausreise überwiegt. Entgegen dem Zulassungsvorbringen ist die streitbefangene Ausweisung des Klägers weder unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG - allerdings nicht abschließend - aufgeführten Umstände noch mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznorm des Art. 6 Abs. 1 GG und des Art. 8 EMRK unverhältnismäßig. Das Verwaltungsgericht hat bei der vom Kläger angegriffenen Entscheidung sämtliche entscheidungsrelevanten Gesichtspunkte berücksichtigt, die auch in diese Interessenabwägung einzustellen sind, und sie im Ergebnis in nicht zu beanstandender Weise gewichtet.

Ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG ist beim Kläger infolge seiner rechtskräftigen Verurteilung vom 24. Februar 2014 zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und neun Monaten nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gegeben. Sein Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG wiegt weder nach § 55 Abs. 1 AufenthG besonders schwer noch nach § 55 Abs. 2 AufenthG schwer, insbesondere weil der Kläger im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Ausweisungsverfügung nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis war.

Das vom Verwaltungsgericht gefundene Ergebnis, die Ausweisung sei verhältnismäßig, begegnet auch unter dem Blickwinkel der Abwägung im Sinne von § 53 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG keinen ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit. Die vom Kläger zur Begründung seines Zulassungsantrags vorgebrachten Argumente greifen nicht durch.

- Der Kläger behauptet, das Verwaltungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass er mit einer Durchsetzung der Ausweisung und Abschiebung die für sein Privatleben konstitutiven Beziehungen unwiederbringlich verliere, da er auch nach Ablauf der Befristung der Wirkungen der Ausweisung kein Recht auf Wiederkehr habe. Er beruft sich hierbei auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Mai 2007 (2 BvR 304/07 - NVwZ 2007, 243, juris-Rn. 35), in dem dieses festgestellt hat, dass die Befristung der Ausweisungswirkungen nur eines von mehreren Kriterien im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung ist, eine Verhältnismäßigkeit der Ausweisung aber nicht allein durch eine Befristung erreicht werden kann, zumal wenn die Befristung mangels eines weiteren Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet ohne praktische Wirkung bleibt. Diese Vorgaben hat das Verwaltungsgericht jedoch beachtet. Es hat keineswegs die Verhältnismäßigkeit der Ausweisung (allein) mit Verweis auf die Befristungsentscheidung bejaht, sondern durchaus darauf abgestellt, dass der Kläger künftig kein Aufenthaltsrecht mehr besitzt und sich auf einen dauerhaften Aufenthalt in Afghanistan einrichten muss (S. 15, 19 u. 25 UA).

- Ins Leere geht das Vorbringen, das Verwaltungsgericht habe auf die Möglichkeit von Betretenserlaubnissen abgestellt, was wegen der restriktiven Praxis der deutschen Auslandsvertretungen unzutreffend sei. Die Möglichkeit von Betretenserlaubnissen (§ 11 Abs. 8 AufenthG) spielt in der Verhältnismäßigkeitsprüfung des Verwaltungsgerichts keine Rolle, lediglich bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Befristungsentscheidung befindet sich ein derartiger Hinweis auf die Rechtslage (S. 26 UA).

- Soweit der Kläger geltend macht, das Verwaltungsgericht habe die Sicherheitslage in Afghanistan nicht ausreichend berücksichtigt, zeigt er damit ebenfalls keine Zweifel an der Richtigkeit der Abwägungsentscheidung auf. Das Verwaltungsgericht ist - unabhängig von der rechtskräftigen Feststellung, dass ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht besteht - auf die Lage in Afghanistan eingegangen (S. 18, 19 u. 22 UA). Der Kläger behauptet demgegenüber lediglich pauschal, als „Auslandsrückkehrer“ in höherem Maße von Kriminalität bedroht zu sein; eine konkrete Bedrohung ergibt sich daraus nicht. Auch sind die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte insoweit gemäß § 42 Satz 1 AsylG an die rechtskräftige negative Feststellung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge gebunden.

- Zwar hat das Verwaltungsgericht - insoweit unrichtig - davon gesprochen, dass laufende Reststrafenvollstreckungsaussetzungen zur Bewährung den Kläger in der Vergangenheit „mehrfach“ nicht von der Begehung weiterer Straftaten abgehalten hätten (S. 15 UA). Diese Formulierung lässt jedoch nicht den Schluss zu, das Abwägungsergebnis sei fehlerhaft. Sie ist Bestandteil einer längeren umfassenden Würdigung der „kriminellen Karriere“ des Klägers, deren Ergebnis sich nicht relevant verändert, wenn darauf abgestellt wird, dass dem Kläger „nur“ einmal eine Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung gewährt wurde.

- Gleiches gilt für den Einwand, das Verwaltungsgericht sei fälschlich davon ausgegangen, der Kläger habe „mehrfach“ Gewalt angewandt. Wie bereits erwähnt, wurde der Kläger auch wegen Delikten verurteilt, die mit der Androhung oder Anwendung von Gewalt verbunden sind, und das Verwaltungsgericht hat durchaus gesehen und berücksichtigt, dass der Kläger zuletzt vor allem wegen Diebstählen verurteilt worden ist.

- Auch die „fehlende Berücksichtigung der Empathiefähigkeit des Klägers“ greift nicht durch. Der Kläger bezieht sich hier auf einen Gesichtspunkt in den Strafzumessungserwägungen im Strafurteil vom 20. Januar 2010, also in seiner ersten Verurteilung; der Kläger hatte einen Mittäter überredet, einen Teil erlangten Beute zurückzugeben. Es ist nicht erkennbar, dass dieser Aspekt an dem Ergebnis der Abwägung etwas ändern könnte. Die Beklagte weist in ihrer Stellungnahme vom 29. Oktober 2015 zu Recht darauf hin, dass derartige Situationen von Mitgefühl mit den Tatopfern bei den späteren Straftaten nicht mehr auftreten.

- Der Kläger bringt ferner vor, das Verwaltungsgericht habe bei seiner Gefahrenprognose Tatsachen berücksichtigt, die es selbst schaffe, indem es bei der Prognose der Wiederholungsgefahr darauf abgestellt habe, dass dem Kläger mangels Aufenthaltsrecht eine Integration nicht mehr möglich sei. Dieser Einwand trifft aber nicht zu. Bei der im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommenen Gefahrenprognose (S. 20 u. 21 UA) spielt ein zukünftiges Aufenthaltsrecht des Klägers keine Rolle; an anderer Stelle (S. 15 UA) weist das Verwaltungsgericht darauf hin, dass ihm in Zukunft mangels Aufenthaltsrecht (aus § 25 Abs. 3 AufenthG) keine Integration mehr ermöglicht werden könne. Ein „Zirkelschluss“ liegt also nicht vor.

- Der Einwand, das Verwaltungsgericht habe die Tatsache, dass es sich bei dem Kläger nicht um einen Gewalttäter oder einen Drogenkriminellen handele, nicht berücksichtigt, ist nicht nachvollziehbar. Das Verwaltungsgericht hat in der vom Kläger ungenau zitierten Textpassage ausdrücklich festgestellt, es habe beachtet, dass der Kläger „kein notorischer Gewaltstraftäter“ sei (S. 22 UA). Unzutreffend ist die Behauptung, das Verwaltungsgericht habe sich lediglich auf die „Drei-Jahres-Grenze“ des § 53 Nr. 1 AufenthG (a. F.) zurückgezogen; es hat vielmehr ausführlich dargestellt, warum das Ausweisungsinteresse hier überwiegt, obwohl der Kläger zuletzt „nur“ wegen Diebstählen verurteilt wurde.

- Schließlich führt der Kläger an, das Verwaltungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass er sich seit seiner Haftentlassung um geordnete Lebensverhältnisse bemühe. Jedoch ergibt sich aus den Ausführungen des Urteils des Verwaltungsgerichts, dass sich dieses durchaus mit dem Verhalten des Klägers seit seiner Haftentlassung im Februar 2015 befasst, allerdings nicht entscheidend zu seinen Gunsten gewertet hat (S. 17 u. S. 20/21 UA). Das Verwaltungsgericht hat in nicht zu beanstandender Weise ausgeführt, dass aus den kurzzeitigen Probearbeitsverhältnissen noch nicht der Schluss gezogen werden könne, der Kläger sei willens, seinen Lebensunterhalt künftig durch eigene Erwerbstätigkeit zu sichern. Auch aus nach der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht entstandenen und innerhalb des Frist des § 124 Abs. 4 Satz 4 VwGO vorgetragenen Umständen, insbesondere der Teilnahme an einer schulischen Maßnahme, um einen Schulabschluss nachzuholen, ergeben sich keine ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit dieser Einschätzung. Auch dass der Kläger sich seit dem 1. Oktober 2015 in psychiatrischer Behandlung befindet, lässt keine grundlegend neue Sicht auf das Ausweisungsinteresse zu. Während der Kläger behauptet, er arbeite damit sein vorangegangenes Verhalten auf, ergibt sich aus dem vorgelegten fachärztlichen Attest vom 29. Februar 2016 die Diagnose einer depressiven Erkrankung, die durch seine derzeitige Lebenssituation, vor allem durch die drohende Abschiebung nach Afghanistan, ausgelöst sei.

2. Die Rechtssache weist auch keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) auf.

Eine Rechtssache weist besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf, wenn die Angriffe des Rechtsmittelführers begründeten Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung geben, die sich nicht ohne Weiteres im Zulassungsverfahren klären lassen, sondern die Durchführung eines Berufungsverfahrens erfordern (Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 124 Rn. 106).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Dass eine Ausweisung einer umfangreichen Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen des Art. 8 EMRK zu unterwerfen ist bzw. - nach der neuen Gesetzesfassung - eine umfassende Abwägung nach § 53 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG zu erfolgen hat, wirft für sich allein keine besonderen Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art auf. Schon nicht schlüssig vorgetragen ist, warum sich solche besonderen Schwierigkeiten aus dem Umstand ergeben sollten, dass die Beklagte davon ausgegangen sei, dass die Verhältnisse in Afghanistan nicht die Verhältnismäßigkeitsprüfung einbezogen werden dürften; wie oben dargelegt, ist das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung auf die Verhältnisse in Afghanistan eingegangen. Ebenso ist die Ableitung besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten aus der behaupteten Abweichung von dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 18. Februar 1991 (Az. 31/1989/191/291 Moustaqim - InfAuslR 1991, 149) nicht nachvollziehbar; insoweit hat bereits das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 1. März 2004 (2 BvR 1570/03 - NVwZ 2004, 852, juris-Rn. 23) darauf hingewiesen, dass diese Entscheidung „durch Entscheidungen aus jüngerer Zeit überholt und als Auslegungshilfe nicht mehr heranzuziehen“ sein dürfte.

Einwände gegen die vom Verwaltungsgericht rechtlich nicht beanstandete Befristung der Wirkungen der Ausweisung des Klägers auf fünf Jahre und die Abweisung der Klage bezüglich der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wurden im Zulassungsverfahren nicht erhoben.

Die Kostenentscheidung folgt nach alledem aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Gründe

I.

1

Der Kläger wendet sich gegen eine von dem Beklagten verfügte Ausweisung und begehrt die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis.

2

Der am (…).1972 in Albanien geborene Kläger reiste am 24.08.1994 in das Bundesgebiet ein. Sein Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter wurde abgelehnt. Am 30.04.1998 heiratete er die deutsche Staatangehörige (C.). Am ...2003 wurde die gemeinsame Tochter (...) geboren. Die Ehefrau des Klägers hat eine weitere 1997 geborene Tochter aus einer früheren Beziehung, die im gemeinsamen Haushalt lebt. Auf Grund der Eheschließung wurde dem Kläger am 09.06.1998 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, die vom Beklagten zuletzt am 02.09.2008 bis zum 02.09.2011 verlängert wurde.

3

Am 23.06.2011 wurde der Kläger festgenommen. Vom 24.06.2011 bis zum 22.11.2011 befand er sich aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Merseburg vom 24.06.2011 wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz in Untersuchungshaft in der JVA Halle. Mit Urteil vom 08.12.2011 verurteilte ihn das Amtsgericht Merseburg wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hob das Landgericht Halle das Urteil auf und verurteilte den Kläger wegen gewerbsmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in fünf Fällen sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren. Das Urteil wurde am 13.09.2012 rechtskräftig, nachdem das Oberlandesgericht Naumburg mit Beschluss vom 12.09.2012 die Revision des Klägers als unbegründet verworfen hatte.

4

Aufgrund dieser Verurteilung befand sich der Kläger seit dem 30.10.2012 in Strafhaft in der JVA Burg. Die vorzeitige Entlassung erfolgte am 23.05.2014, nachdem das Landgericht Stendal mit Beschluss vom 13.05.2014 die Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafe nach Verbüßung von zwei Dritteln gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt hatte.

5

Der Kläger war zuvor wie folgt verurteilt worden:

6

-Mit Urteil des Amtsgerichts Laufen vom 12.01.1998 wegen Erschleichens einer Duldung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 15 DM.

7

-Mit Urteil des Amtsgerichts Rüdesheim vom 08.04.2003 wegen gemeinschaftlichen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 8 Euro.

8

-Mit Urteil des Amtsgerichts Halle-Saalkreis vom 17.05.2006 wegen gemeinschaftlichen Diebstahls in einem besonders schweren Fall zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Bewährungszeit lief am 16.05.2008 ab.

9

Wegen der Verurteilung durch das Amtsgericht Laufen verbüßte der Kläger vom 12.11.1997 bis zum 03.03.1998 eine Ersatzfreiheitsstraße in der JVA Bernau.

10

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 26.06.2013 wies der Beklagte den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland aus. Zugleich lehnte er den Antrag des Klägers vom 20.12.2011 auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab. Die Abschiebung nach Albanien aus der Haft wurde angeordnet. Die Wirkung der Ausweisung wurde auf zwei Jahre befristet und sollte mit der Ausreise oder Abschiebung beginnen. Der hiergegen eingelegte Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt vom 31.03.2014 zurückgewiesen. Die Abschiebung des Klägers nach Albanien war für den 23.05.2014, dem Tag seiner vorzeitigen Entlassung, geplant.

11

Am 06.05.2014 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Halle Klage erhoben und zugleich um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Mit Beschluss vom 21.05.2014 – 1 B 150/14 HAL – hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen den Bescheid des Beklagten vom 26.06.2013 angeordnet.

12

Mit Urteil vom 29.05.2015 – 1 A 151/14 HAL – hat das Verwaltungsgericht den Bescheid des Beklagten vom 26.06.2013 sowie den Widerspruchsbescheid des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt vom 31.03.2014 aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 AufenthG zu erteilen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, die Ausweisung des Klägers sei aus spezialpräventiven Gründen nicht erforderlich, denn es bestehe keine Wiederholungsgefahr. Es liege ein atypischer Sonderfall vor, da der Unrechtsgehalt der Tat gering sei. Der geringe Umfang der festgestellten Verkäufe und die enge Bindung des Handels des Klägers an den Zeugen (T.) als einzigen Kunden seien für einen „Drogendealer“ atypisch und gäben Anlass zu der Annahme, dass nach dessen Verschwinden eine Wiederholung ausgeschlossen sei. Zudem liege beim Kläger keine konsequente Fortführung einer strafrechtlichen Karriere vor, da die Abstände zwischen den einzelnen Verurteilungen jeweils mehrere Jahre betragen hätten. Auch mit Blick auf die Generalprävention liege ein atypischer Fall vor, da die Tat nicht besonders schwer wiege. Die vom Beklagten daher zu treffende Ermessensentscheidung genüge den an sie zu stellenden Anforderungen nicht. Der Beklagte habe zur Begründung der Ausweisung allein auf die Deliktsart und das Strafmaß Bezug genommen, ohne die konkreten Umstände der Tatbegehung und den Umfang der „Geschäftstätigkeit“ in die Wertung mit einzubeziehen. Der Beklagte messe den strafrechtlichen Umständen eine übermäßige Bedeutung zu. Er habe sich in keiner Weise mit dem Verhalten des Klägers in der Haft und nach der Haftentlassung auseinandergesetzt. Er habe auch die Stellungnahmen der JVA und den Beschluss der Strafvollstreckungskammer, insbesondere die positive Sozialprognose, nicht in seine Abwägung eingestellt. Im Hinblick auf die wirtschaftliche Integration des Klägers habe er nicht zu dessen Gunsten berücksichtigt, dass dieser bereits wenige Wochen nach seiner Haftentlassung wieder in einem festen Arbeitsverhältnis beschäftigt gewesen sei. Der Beklagte habe auch die familiäre Beziehung des Klägers zu seiner deutschen Ehefrau und Tochter nicht hinreichend beachtet. Die Ausweisung stelle einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht des Klägers auf Achtung des Privat- und Familienlebens dar. Der Kläger verfüge über intensive persönliche und familiäre Bindungen im Bundesgebiet. Die Ehefrau des Klägers und die Töchter hätten trotz der gravierenden psychischen und materiellen Probleme, in die sie durch die Folgen der Straftat gestürzt worden seien, unbeirrt zu ihm gehalten, was durch zahlreiche Besuche in der Haftanstalt und die vielfachen zusätzlichen Telefongespräche belegt werde. Der Kläger führe nunmehr mit seiner Ehefrau und der gemeinsamen Tochter wieder ein intaktes Familienleben. Ob sich diese Bindungen nach Ablauf der Befristung der Ausweisung von zwei Jahren wieder herstellen ließen, erscheine angesichts der Länge der vorgegebenen Trennungszeit als eher unwahrscheinlich. Der Kläger habe auch einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 AufenthG. Die Voraussetzungen lägen vor. § 11 Abs. 1 AufenthG stehe der Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen, weil die Ausweisung keinen Bestand haben könne. Zwar finde § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG auch im Falle des § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG Anwendung. Bei der nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zu treffenden Ermessensentscheidung komme jedoch der besondere Ausweisungsschutz zum Tragen. Das Interesse des Klägers an der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis überwiege das öffentliche Interesse an der Versagung, weil den ehelichen und familiären Belangen des Klägers ein höheres Gewicht zukomme als den öffentlichen Interessen, da hier weder von einer Wiederholungsgefahr auszugehen sei noch von einer besonderen Schwere der Tat.

II.

13

Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

14

1. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Solche Zweifel liegen nur dann vor, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 16.07.2013 – 1 BvR 3057/11 –, juris RdNr. 36). Dies ist hier nicht der Fall.

15

a) Es liegen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vor, soweit das Verwaltungsgericht angenommen hat, die Ausweisung sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten.

16

Die Beurteilung, ob ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt, richtet sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts. Eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ist daher zu berücksichtigen. Die Änderung der Sach- und Rechtslage ist allerdings grundsätzlich nur in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen relevant (vgl. BayVGH, Beschl. v. 11.10.2016 – 10 ZB 15.1378 –, juris RdNr. 11). Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisung ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.1.2013 – BVerwG 1 C 10.12 –, juris RdNr. 12), also hier der Entscheidung über den Zulassungsantrag; Rechtsänderungen während des Zulassungsverfahrens sind zu beachten. Der Senat hat daher die streitbefangene Ausweisungsverfügung unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens mangels entgegenstehender Übergangsregelung anhand der §§ 53 ff. AufenthG in der ab 01.01.2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27.07.2015 (BGBl. I S. 1386), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 11.03.2016 (BGBl. I S. 394) mit Wirkung vom 17.03.2016, zu überprüfen. Seit dieser Rechtsänderung differenziert das Aufenthaltsgesetz nicht mehr zwischen der zwingenden Ausweisung, der Ausweisung im Regelfall und der Ermessensausweisung, sondern verlangt für eine Ausweisung eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder sonstiger erheblicher Interessen der Bundesrepublik Deutschland und eine Interessenabwägung, die für ein Ermessen der Ausländerbehörde keinen Raum mehr lässt. Die Ausweisungsentscheidung ist durch das Gericht in vollem Umfang nachprüfbar (vgl. Beschl. d. Senats v. 10.10.2016 – 2 O 26/16 –, juris RdNr. 8; VGH BW, Beschl. v. 11.04.2016 – 11 S 393/16 –, juris RdNr. 19; BayVGH, Beschl. v. 11.10.2016 – 10 ZB 15.1378 –, a.a.O. RdNr. 12; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG RdNr. 5 ff.; Cziersky-Reis, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 53 AufenthG RdNr. 30; vgl. auch BT-Drs. 18/4097, S. 49 f.). Eine nach altem Recht verfügte Ausweisung wird nach Inkrafttreten der Neufassung der §§ 53 bis 55 AufenthG am 01.01.2016 nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht, also gemäß der zentralen Ausweisungsnorm des § 53 Abs. 1 AufenthG der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitlich demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt (vgl. BayVGH, Beschl. v. 11.10.2016 – 10 ZB 15.1378 –, a.a.O. RdNr. 12).

17

aa) § 53 Abs. 1 AufenthG setzt voraus, dass der Aufenthalt des Ausländers eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitlich demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland darstellt. Wenn eine solche Gefahr nicht vorliegt, ist eine Ausweisung unzulässig (vgl. BayVGH, Beschl. v. 11.10.2016 – 10 ZB 15.1378 –, a.a.O. RdNr. 13; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 53 AufenthG RdNr. 26.; Bauer/Beichel-Benedetti, NVwZ 2016, 416 <418 f.>; Cziersky-Reis, in: Hofmann, a.a.O., § 53 AufenthG RdNr. 20; vgl. auch BT-Drs. 18/4097, S. 49). Eine Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG aus spezialpräventiven Gründen setzt voraus, dass bei dem Ausländer eine konkrete Wiederholungsgefahr festgestellt wird (vgl. Bauer, in: Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 53 AufenthG RdNr. 33; Cziersky-Reis, in: Hofmann, a.a.O., § 53 AufenthG RdNr. 22). Aus den Wertungen des § 54 Abs. 1 und 2 AufenthG können im Prinzip keine Rückschlüsse für eine Wiederholungsgefahr gezogen werden. Eine Ausnahme gilt für § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Ob und mit welchem Grad eine Wiederholungsgefahr vorliegt, ist nicht (mehr) normativ determiniert (vgl. Bauer, in: Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 53 AufenthG RdNr. 28). Soweit der Senat die Auffassung vertreten hat, die allgemeinen Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 AufenthG seien grundsätzlich erfüllt, wenn ein schwer wiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 AufenthG festgestellt worden sei, und dass eine Prüfung der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder sonstiger erheblicher Interessen der Bundesrepublik Deutschland regelmäßig entfallen könne, wenn ein Ausweisungsinteresse nach § 54 AufenthG gegeben sei (vgl. Beschl. d. Senats v. 10.10.2016 – 2 O 26/16 –, a.a.O. RdNr. 9 unter Bezugnahme auf Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: 94. Aktualisierung Januar 2016, § 53 AufenthG RdNr. 24), hält er hieran nicht mehr fest. Die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte haben bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung vielmehr stets eine eigenständige Prognoseentscheidung zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.12.2012 – BVerwG 1 C 20.11 –, juris RdNr. 23; Urt. v. 15.01.2013 – BVerwG 1 C 10.12 –, a.a.O. RdNr. 18; BayVGH, Beschl. v. 11.10.2016 – 10 ZB 15.1378 –, a.a.O. RdNr. 16). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, Urt. v. 28.06.2016 – 10 B 15.1854 –, juris RdNr. 30; Beschl. v. 11.10.2016 – 10 ZB 15.1378 –, a.a.O. RdNr. 16). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Das bedeutet aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.07.2012 – BVerwG 1 C 19.11 –, juris RdNr. 16; Urt. v. 15.01.2013 – BVerwG 1 C 10.12 –, a.a.O. RdNr. 16). Nicht ausreichend ist es, von der Begehung von Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz in jedem Fall ohne weiteres auf die Gefährdung höchster Gemeinwohlgüter und auf eine kaum widerlegliche Rückfallgefahr zu schließen. Vielmehr ist der konkrete, der Verurteilung zugrunde liegende Sachverhalt ebenso zu berücksichtigen wie das Nachtatverhalten und der Verlauf von Haft und – gegebenenfalls – Therapie. Auch bei Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz darf ein allgemeines Erfahrungswissen nicht zu einer schematischen Gesetzesanwendung führen, die die im Einzelfall für den Ausländer sprechenden Umstände ausblendet (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 –, juris RdNr. 19). Zudem kommt den Strafaussetzungsentscheidungen der Strafvollstreckungskammern eine erhebliche indizielle Bedeutung zu. Zwar geht von den Entscheidungen der Strafgerichte nach § 57 StGB keine Bindungswirkung aus. Sie sind jedoch von tatsächlichem Gewicht und stellen bei der ausländerrechtlichen Prognose ein wesentliches Indiz dar (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.01.2013 – BVerwG 1 C 10.12 –, a.a.O. RdNr. 18). Bei einer Prognose der Wiederholungsgefahr bedarf es einer substantiierten Begründung, wenn von der strafgerichtlichen Einschätzung über die Strafaussetzung zur Bewährung abgewichen werden soll (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 –, a.a.O. RdNr. 21).

18

Gemessen daran wird die Annahme des Verwaltungsgerichts, von dem Kläger gehe keine Wiederholungsgefahr aus, durch die in der Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung des Beklagten vorgebrachten Einwände nicht in Frage gestellt.

19

Zu Unrecht rügt der Beklagte, das Verwaltungsgericht folge, abweichend von den Feststellungen in dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Halle, der Einlassung des Klägers, der seinen Tatbeitrag bestreite und sich selbst als Opfer darstelle, dessen „Gutmütigkeit“ ausgenutzt worden sei, ohne den Vorfall besser aufzuklären und eigene Ermittlungen anzustellen. Diese Rüge geht ins Leere, denn das Verwaltungsgericht ist nicht von einem anderen als dem vom Landgericht festgestellten Sachverhalt ausgegangen. Zwar hat das Verwaltungsgericht von „nicht unerheblichen Zweifeln an der Richtigkeit des Urteils“ gesprochen (UA S. 9). Gleichwohl legt es bei seiner Entscheidung die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts zugrunde.

20

Auch das weitere Vorbringen des Beklagten führt nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, es liege keine Wiederholungsgefahr vor. Der Beklagte trägt insoweit vor, der Kläger sei aus Gewinnstreben und ohne selbst drogenabhängig zu sein am Handel mit den besonders gefährlichen Drogen Kokain und Crystal beteiligt gewesen. Der Kläger sei nicht verzogen, die Konsumenten existierten nach wie vor. Der Handel mit Crystal Meth habe nicht unerhebliche Auswirkungen auf die psychische und physische Unversehrtheit der Opfer. Der Kläger habe nicht davor zurückgeschreckt, aus Gewinnstreben das Leben und die Gesundheit anderer zu verletzen. Das Verwaltungsgericht habe die Umstände, die die Persönlichkeit des Klägers betreffen, unberücksichtigt gelassen. Der Kläger habe keine Bemühungen gezeigt, therapiert zu werden. Er habe weder therapeutische Betreuung noch sonst irgendwelche unterstützenden Maßnahme nachgewiesen. Vielmehr habe er nie Reue gezeigt und seinen Tatbeitrag nie zugegeben. Das Verwaltungsgericht hätte zu Ungunsten des Klägers bewerten müssen, dass sich die Umstände, auf denen die Straftat beruhe, sich nicht geändert hätten. Die Persönlichkeitseigenschaften des Klägers seien unverändert. Auch das Motiv – Gewinnstreben – sei unverändert. Auch die situativen Bedingungen seien unverändert. Der Kläger habe zwar nach der Haftentlassung zu seiner Familie zurückkehren können, jedoch sei die finanzielle Lage noch angespannter als vorher. Der Kläger habe nach der Haft nur einen Teilzeitjob erhalten, so dass die Gründe für die Straftat – Gewinnstreben – nicht entfallen seien, sondern weiterhin jederzeit zu einer Wiederholung führen könnten. Ebenso habe ihn die familiäre Verbundenheit zu seiner Ehefrau und Tochter auch damals nicht von der Straftat abhalten können. Das Verwaltungsgericht habe die Stellungnahmen der JVA sowie die Stellungnahme der Bewährungshelferin in überzogener Weise zugunsten des Klägers gewichtet. Es habe unbeachtet gelassen, dass hierin von "niedriger Kriminalität", "moderater Deliktsschwere" und "geringer krimineller Gewohnheitsbildung" ausgegangen werde. Der Beklagte verweist insoweit auf die Stellungnahmen des Leiters der JVA Burg vom 22.02.2013 (BA A Bl. 462), 02.10.2014 (BA A Bl. 542), 26.08.2014 (BA B Bl. 737) und 04.09.2014 (BA B Bl. 753). Der Kläger neige dazu, Schuldzuweisungen an andere zu tätigen (Externalisierungstendenz), eigene Anteile an Geschehnissen bzw. Erkenntnisse aus Problemsituationen nicht ausreichend zu reflektieren und im Sinne einer Verhaltenssteuerung anzunehmen (mangelndes Problem-und Unrechtsbewusstsein), weise eine mangelnde Orientierung an allgemein geltenden Normen und Regeln auf (verzerrte normative Orientierung) und zeige hinsichtlich der Denk- und Verhaltensmuster offensichtlich Verzerrungen und Abweichungen zur "normalen Variation" menschlichen Verhaltens. Der Kläger weise eine deutliche dissoziale Persönlichkeitsstruktur auf und erfülle möglicherweise sogar die Kriterien für eine dissoziale Persönlichkeitsstörung. Das Verwaltungsgericht habe auch hier unbeachtet gelassen, dass ursächlich für seine bisherigen Straftaten immer finanzielle Gründe gewesen seien und eine strafrechtliche Steigerung der Taten zu verzeichnen sei. Das Verwaltungsgericht habe weiterhin unbeachtet gelassen, dass der Kläger trotz mehrmaliger Aufforderungen keine Erklärung über die Entbindung der Bewährungshelferin von der Schweigepflicht vorgelegt habe, so dass insoweit keine Möglichkeit bestanden habe, Auskünfte zu erlangen. Auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung sei deutlich geworden, dass der Kläger seine Taten weiterhin verharmlose und sich nicht mit ihnen auseinandersetze.

21

Diese Einwände stellen die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, bei dem Kläger bestehe keine Wiederholungsgefahr, im Ergebnis nicht in Frage. Soweit der Beklagte geltend macht, der Kläger habe weder eine therapeutische Betreuung noch sonst irgendwelche unterstützenden Maßnahme nachgewiesen, ist dies nicht verständlich. Der Beklagte geht selbst davon aus, dass der Kläger nicht drogenabhängig ist. Dies stimmt mit dem Abschlussbericht des Sozialarbeiters (K.) vom 19.03.2014 (BA A Bl. 554) überein, in dem bestätigt wird, dass bei dem Kläger keine Abhängigkeit von Betäubungsmitteln vorliege. Vor diesem Hintergrund wird nicht klar, welche therapeutische Betreuung oder sonst unterstützenden Maßnahmen der Beklagte bei dem Kläger vermisst. Nicht schlüssig ist auch der Einwand des Beklagten, das Verwaltungsgericht habe unbeachtet gelassen, dass in den Stellungnahmen der JVA Burg von "niedriger Kriminalität", "moderater Deliktsschwere" und "geringer krimineller Gewohnheitsbildung" ausgegangen werde. Diese Einschätzungen bringen zum Ausdruck, dass der Kläger bislang nicht massiv straffällig geworden ist. Dies wird auch vom Verwaltungsgericht so gesehen, indem es ausführt, der Kläger habe zwar vor der für die Ausweisung entscheidenden Verurteilung bereits mehrere Straftaten begangen, jedoch liege keine konsequente Fortführung einer strafrechtlichen Karriere vor, da die Abstände zwischen den einzelnen Verurteilungen jeweils mehrere Jahre betragen hätten. Diese Überlegung stützt die auch vom Senat geteilte Annahme des Verwaltungsgerichts, bei dem Kläger bestehe keine Wiederholungsgefahr. Andererseits ist die Begründung des Verwaltungsgerichts, wonach bei dem Kläger keine Wiederholungsgefahr vorliege, weil es sich um einen "atypischen Sonderfall" handele, da der Umfang der durch das Urteil festgestellten Verkäufe gering und die Bindung des Handels des Klägers an den Zeugen (T.) als einzigen Kunden eng gewesen sei, für sich allein wenig überzeugend. Zu Recht geht der Beklagte davon aus, dass die von dem Kläger begangenen Straftaten schwer wiegen. Der Kläger wurde zu einer Freiheitsstraße von drei Jahren verurteilt. Dies begründet gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ein besonders schwer wiegendes Ausweisungsinteresse. Zudem gehören Rauschgiftdelikte zu den gefährlichen und schwer zu bekämpfenden Delikten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.07.1979 – 1 BvR 650/77 –, juris RdNr. 34). Die vom Kläger begangenen Drogendelikte – gewerbsmäßiges unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in fünf Fällen sowie unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge – wiegen daher schwer. Auch weist der Beklagte zu Recht darauf hin, dass drei wesentliche Umstände, die zu den Straftaten geführt haben, unverändert fortbestehen, nämlich die Persönlichkeit des Klägers, das Motiv für die Taten (finanzielle Probleme) sowie die Situation, da der Kläger nicht fortgezogen ist, sondern nach wie vor in A-Stadt wohnt, wo er auch die Straftaten begangen hat.

22

Gleichwohl geht der Senat davon aus, dass das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht angenommen hat, dass bei dem Kläger keine Wiederholungsgefahr besteht. Grundlage für diese Einschätzung ist zunächst der Beschluss des Landgerichts Stendal vom 13.05.2014 über die Aussetzung der Vollstreckung des Restes der gegen den Kläger verhängten Strafe zur Bewährung. Zur Begründung führte das Landgericht aus, für das Bestehen der Bewährung spreche, dass sich der Kläger erstmals und darüber hinaus seit fast zwei Jahren in Haft befinde, so dass zu vermuten stehe, dass ihn die spezialpräventive Wirkung des Strafvollzugs auch erreicht habe und der Begehung neuer Straftaten entgegenstehe. Anhaltspunkte, die diese Vermutung entkräfteten, habe die Kammer nicht feststellen können, insbesondere habe sich der Kläger auch nicht als Bewährungsversager oder notorischer Betäubungsmittelstraftäter erwiesen. Für das Bestehen der Bewährung spreche weiterhin, dass der Verurteilte über einen tragfähigen Empfangsraum verfüge, da er nach seiner Entlassung wieder im ehelichen Haushalt Aufnahme finden werde. Das von dem Kläger im Vollzug gezeigte beanstandungsfreie Verhalten, die ebenfalls gezeigten beanstandungsfreien Arbeitsleistungen und seine Eignung für den Wohngruppenvollzug, der höchsten Stufe des in der JVA Burg praktizierten Progressionsmodells, rundeten das Bild eines resozialisierungsfähigen und –willigen Straftäters ab. Diese Einschätzung wird bestätigt durch die Stellungnahmen des Leiters der JVA Burg. In der Stellungnahme vom 22.02.2013 wurde u.a. eingeschätzt, dass der Kläger keine erhebliche kriminelle Energie offenbare, die auf eine reale Wiederholungsgefahr hindeute. Er mache glaubhaft, dass er fortan rechtstreu leben möchte. In der Stellungnahme vom 02.10.2014 wurde ausgeführt, die Besuche seiner Ehefrau und seiner Tochter hätten ohne Beanstandungen stattgefunden. Während der Besuchsdurchführung sei erkennbar, dass der Kläger sich um seine Tochter und seine Ehefrau bemühe. Es sei ein guter Kontakt festgestellt worden. Der Kläger verhalte sich vollzugskonform, sei unauffällig und habe sich in den Gefangenenbestand integriert. Disziplinarmaßnahmen seien bisher nicht zur Anwendung gekommen. In der Stellungnahme vom 26.08.2014 hieß es u.a., der Kläger trete gegenüber Bediensteten höflich, korrekt und stets sachlich in Erscheinung. Erteilten Anordnungen des Vollzugspersonals sei er widerspruchslos nachgekommen. Im Gefangenenbestand sei er akzeptiert worden. Probleme seien nicht zu verzeichnen gewesen. Diese Einschätzung wurde in der Stellungnahme vom 04.09.2014 noch einmal bestätigt, in der auch die Stellungnahme vom 12.03.2014 an die Staatsanwaltschaft wiedergegeben wurde, mit der die Strafaussetzung zur Bewährung befürwortet wurde. Zwar habe der Kläger in den Straftaten eine erhebliche kriminelle Energie gezeigt, auch sei er strafrechtlich vorbelastet. Auf der anderen Seite erweise sich der soziale Empfangsraum des Klägers als insgesamt günstig, er habe erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt, das vollzugliche Verhalten sei beanstandungsfrei und er stehe einer Behandlung seiner Persönlichkeitsdefizite, die zur strafrechtlichen Devianz geführt hätten, nicht ablehnend gegenüber. Die günstigen Einschätzungen des Leiters der JVA Burg sowie des Landgerichts Stendal werden bestätigt durch die Stellungnahme der Bewährungshelferin (...) vom 26.05.2015 (GA Bl. 65), wonach zu dem Kläger regelmäßig Kontakt bestehe und sich der Bewährungsverlauf seit der Haftentlassung im Mai 2014 ohne Beanstandungen gestalte. Die Auflagen und Weisungen aus dem Bewährungsbeschluss würden korrekt erfüllt. Nach seiner Haftentlassung habe der Kläger wieder Wohnsitz bei seiner Familie, der Ehefrau und den beiden Töchtern, in A-Stadt genommen. Er lebe in stabilen und geordneten Verhältnissen und bestreite seinen Lebensunterhalt im Rahmen der Bedarfsgemeinschaft mit seiner Ehefrau und den Kindern durch Arbeitslosengeld II sowie durch die wechselnden Einkünfte aus seinem (saisonalen) Beschäftigungsverhältnis bei der Firma Eisen- und Baustahlsanierung "(…)" H-Stadt. Er habe in der Haft eine positive Entwicklung gezeigt, die er nach ihrer Einschätzung auch nach seiner Haftentlassung fortgesetzt habe. Nach ihrem Kenntnisstand lebe der Kläger straffrei und sei willens und aus ihrer Sicht auch in der Lage, diese positive Entwicklung beizubehalten.

23

Darüber hinaus ist für die Einschätzung des Senats auch die Stellungnahme der Ehefrau des Klägers gegenüber der Staatsanwaltschaft und der Strafvollstreckungskammer vom 13.01.2014 (BA B Bl. 632 – 633) bedeutsam, in der sie erklärte, dass sie dem Kläger zugesichert habe, ihn zu unterstützen, sofern er nicht noch einmal straffällig werde. Ihm sei bewusst, dass sie eine nochmalige Trennung aufgrund von Straftaten und Verurteilungen nicht mehr akzeptieren werde. In der Gesamtschau dieser Stellungnahmen ergibt sich das Bild, dass bei dem Kläger, insbesondere unter dem Eindruck der teilweise verbüßten Freiheitsstrafe von nahezu zwei Jahren und aufgrund der intensiven Bindung an seine Ehefrau und seine Tochter, trotz der weiterhin angespannten finanziellen Lage eine erneute Begehung von Straftaten, insbesondere von Drogendelikten, nicht zu erwarten ist.

24

bb) Es bestehen auch nicht deshalb ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, soweit die Ausweisung aufgehoben worden ist, weil das Verwaltungsgericht – wie der Beklagte meint – ignoriert habe, dass sich die Ausweisung auch auf generalpräventive Gründe stütze.

25

Es ist bereits zweifelhaft, ob eine Ausweisung nach neuem Recht für den Fall, dass es an einer Wiederholungsgefahr – und damit an spezialpräventiven Gründen – fehlt, allein auf den Gesichtspunkt der Generalprävention gestützt werden kann (vgl. Cziersky-Reis, in: Hofmann, a.a.O., § 53 AufenthG RdNr. 24 ff.). Zwar heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, die Ausweisungsentscheidung könne grundsätzlich auch auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden (vgl. BT-Drs. 18/4097, S. 49). Hiernach bleibt aber unklar, ob generalpräventive Aspekte lediglich Teil des im Rahmen der Interessenabwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG zu berücksichtigenden öffentlichen Ausweisungsinteresses sind (vgl. BayVGH, Urt. v. 28.06.2016 – 10 B 15.1854 –, a.a.O. RdNr. 38; unklar OVG BB, Beschl. v. 04.01.2017 – OVG 11 N 58.16 –, juris RdNr. 5), oder ob die Ausweisung auch eigenständig auf generalpräventive Gründe gestützt werden kann (vgl. VG Düsseldorf, Urt. v. 11.11.2016 – 7 K 3435/15 –, juris RdNr. 50 ff.; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 53 AufenthG RdNr. 34).

26

Selbst wenn anzunehmen sein sollte, dass eine Ausweisung auch nach neuem Recht unabhängig vom Vorliegen einer Wiederholungsgefahr und damit bei Fehlen spezialpräventiver Gründe allein auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden kann, ergeben sich aus dem Vorbringen des Beklagten auch insoweit keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils.

27

Unverständlich ist der Vorwurf des Beklagten, das Verwaltungsgericht habe ignoriert, dass sich die Ausweisung auch auf generalpräventive Gründe stütze. Das Gegenteil ist der Fall. Das Verwaltungsgericht hat in den Entscheidungsgründen (UA S. 10 – 11) ausgeführt, auch bei der Ausweisung aus Gründen der Generalprävention sei von einem atypischen Fall auszugehen, da die Tat nicht besonders schwer wiege. Zwar geht der Senat – anders als das Verwaltungsgericht – davon aus, dass die von dem Kläger begangenen Straftaten – wie bereits ausgeführt – schwer wiegen. Gleichwohl ist die Ausweisung des Klägers (allein) aus generalpräventiven Gründen unzulässig.

28

An generalpräventiv begründete Ausweisungen sind im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besonders hohe Anforderungen zu stellen. In diesen Fällen ist erforderlich, dass die den Ausweisungsanlass bildende Straftat besonders schwer wiegt und deshalb ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über die strafrechtliche Sanktion hinaus durch die Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Dabei kommt es stets auf die besondere Schwere der Straftat im Einzelfall an. Dies setzt voraus, dass die konkreten Umstände der begangenen Straftat oder Straftaten, wie sie sich aus dem Strafurteil und dem vorangegangenen Strafverfahren ergeben, ermittelt und individuell gewürdigt werden. Die besondere Schwere der Straftat im Hinblick auf die verhaltenssteuernde Wirkung der Ausweisung auf andere Ausländer erfordert, dass von einer derartigen Straftat eine besonders hohe Gefahr für den Staat oder die Gesellschaft ausgeht, wie dies insbesondere bei Drogendelikten oder Straftaten aus dem Bereich der organisierten Kriminalität der Fall sein kann. Sind diese Anforderungen an eine generalpräventiv begründete Ausweisung erfüllt, ist darüber hinaus zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit das Gewicht des öffentlichen Interesses an der Ausweisung mit dem Gewicht des schutzwürdigen privaten Interesses des Ausländers an dem Verbleib in Deutschland abzuwägen. Dadurch wird sichergestellt, dass gerade die Belange "verwurzelter" Ausländer je nach ihrem Gewicht im Einzelfall zum Tragen kommen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.07.1979 – 1 BvR 650/77 –, a.a.O. RdNr. 34; BVerwG, Urt. v. 14.02.2012 – BVerwG 1 C 7.11 –, juris RdNr. 24 f.; Beschl. d. Senats v. 05.09.2012 – 2 M 92/12 –, juris RdNr. 12). Eine rein generalpräventive Ausweisung kann dabei insbesondere in den Fällen, in denen das Bleibeinteresse des Ausländers gemäß § 55 Abs. 1 AufenthG besonders schwer wiegt, unverhältnismäßig sein (vgl. Bauer, in: Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 53 AufenthG RdNr. 53).

29

Gemessen daran ist die Ausweisung des Klägers (allein) aus generalpräventiven Gründen unzulässig. Zwar wiegt die den Anlass für die Ausweisung bildende Straftat schwer. Gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG u.a. dann besonders schwer, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist. Das ist bei dem Kläger der Fall. Gleichzeitig streitet zu seinen Gunsten ein besonders schwer wiegendes Bleibeinteresse. Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG wiegt gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG u.a. dann besonders schwer, wenn der Ausländer mit einem deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt oder sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen ausübt. Auch diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Im Rahmen der nach § 53 Abs. 1 AufenthG vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt das Interesse des Klägers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet das öffentliche Interesse an der Ausreise, da insbesondere die intensiven Bindungen des Klägers zu seiner Ehefrau und seiner Tochter, die auch in der Zeit seiner Inhaftierung zu ihm gestanden haben, nach Maßgabe von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK außergewöhnlich schutzwürdig sind und von dem Kläger selbst keine Gefahr ausgeht. Angesichts dieser erhöhten Schutzwürdigkeit der privaten Interessen des Klägers hat das öffentliche Interesse, zur Abschreckung anderer Ausländer an dem Kläger ein "Exempel zu statuieren", im vorliegenden Fall zurückzustehen.

30

cc) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen auch nicht deshalb, weil das Verwaltungsgericht einen Ermessensfehler des Beklagten angenommen hat. Diese Rüge des Beklagten ist überholt, da nach neuem Recht bei der Ausweisung – wie bereits ausgeführt – für eine Ermessensentscheidung der Behörde kein Raum mehr ist.

31

b) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen auch nicht vor, soweit das Verwaltungsgericht einen Anspruch des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 AufenthG angenommen hat.

32

Zu Unrecht macht der Beklagte geltend, das Verwaltungsgericht habe ignoriert, dass es sich bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 AufenthG bei Vorliegen eines Ausweisungsinteresses um eine Ermessensentscheidung handele. Hierbei übersieht er, dass das Verwaltungsgericht durchaus davon ausgegangen ist, dass im vorliegenden Fall gemäß § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eine Ermessensentscheidung zu treffen war (UA S. 16). Im Ergebnis zu Recht hat das Verwaltungsgericht erkannt, dass der Kläger einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 AufenthG hat.

33

Nach der Rechtsprechung des Senats sind die familiären Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet und die Wertentscheidung des Art. 6 GG in den Fällen des Familiennachzugs nicht auf der Ebene des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG durch Einordnung als Regel- oder Ausnahmefall, sondern allein im Rahmen der Ermessensausübung nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zu berücksichtigen (vgl. Beschl. v. 05.09.2012 – 2 M 92/12 –, a.a.O. RdNr. 9). Nach dieser Vorschrift kann von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in den Fällen des Familiennachzugs und damit auch im Fall des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 AufenthG abgesehen werden. Ein Ausweisungsinteresse i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG besteht dann, wenn der Ausländer einen der in § 54 Abs. 1 oder 2 AufenthG genannten Tatbestände verwirklicht (vgl. OVG NW, Beschl. v. 16.08.2016 – 18 B 754/16 –, juris RdNr. 11). Bei der nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zu treffenden Ermessensentscheidung kommt dem besonders schwer wiegenden Bleibeinteresse des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG für Ausländer, die mit einem deutschen Familienangehörigen in familiärer Gemeinschaft leben und ihr Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen ausüben, zum Tragen. Es ist im Einzelfall zu prüfen, ob das Ausweisungsinteresse nach dessen Art, Aktualität und Gewicht die Versagung der Familienzusammenführung bzw. der weiteren Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft zu rechtfertigen vermag. Dabei ist das durch das Ausweisungsinteresse hervorgerufene öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsversagung mit dem individuellen, grundrechtlich geschützten Interesse des Ausländers und seiner Familienangehörigen abzuwägen. Die Behörde hat hierbei das besondere Gewicht, das Ehe und Familie verfassungsrechtlich wie auch konventionsrechtlich beizumessen ist, zu beachten, und die Folgen der Versagung des Aufenthalts für den Nachziehenden, insbesondere aber für seine von ihm abhängigen Familienangehörigen in die Ermessensabwägung einzustellen (vgl. OVG BB, Urt. v. 27.08.2009 – OVG 11 B 1.09 –, juris RdNr. 44; Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 27 AufenthG RdNr. 86). Ob diesen die mit der Trennung verbundenen Folgen zuzumuten sind, beurteilt sich nicht allein nach dem Grad der dadurch verursachten Härten, sondern wesentlich auch nach dem Gewicht des öffentlichen Interesses an der Ausreise des Ausländers. Je gewichtiger dieses öffentliche Interesse ist, umso eher dürfen dem Ausländer und seiner Familie auch schwerwiegende Folgen zugemutet werden. Der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG greift in derartigen Fällen dann ein, wenn die Folgen der Beendigung des Aufenthalts im Hinblick auf eheliche und familiäre Belange unverhältnismäßig hart wären (vgl. Beschl. d. Senats v. 04.05.2011 – 2 M 44/11 –‚ juris RdNr. 14).

34

Gemessen hieran ist nur die begehrte Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ermessensfehlerfrei. Der Kläger kann sich gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG auf ein besonders schwer wiegendes Bleibeinteresse berufen, welches – wie bereits ausgeführt – bei der Abwägung mit dem besonders schwer wiegenden Ausweisungsinteresse i.S.d. § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG überwiegt. Grundlage dieser Abwägung ist die Erwägung, dass die intensiven Bindungen des Klägers zu seiner Ehefrau und seiner Tochter nach Maßgabe von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK außergewöhnlich schutzwürdig sind und von ihm selbst keine Gefahr ausgeht. Angesichts dieser besonderen Situation ist es – entgegen der Ansicht des Beklagten – dem Kläger nicht zuzumuten, ihn auf eine "Duldung für den Zeitraum der Angewiesenheit auf Betreuung der Familienmitglieder" oder einen Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen zu verweisen.

35

2. Die Berufung ist auch nicht wegen der geltend gemachten Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) zuzulassen. Nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ist die Berufung zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Der Zulassungsgrund der Divergenz ist nur dann hinreichend dargelegt, wenn die Zulassungsschrift einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung eines anderen der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO aufgeführten Gerichte aufgestellten ebensolchen (abstrakten) Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Die nach Auffassung des Rechtsmittelführers divergierenden Rechtssätze müssen einander gegenübergestellt werden und die entscheidungstragende Abweichung muss darauf bezogen konkret herausgearbeitet werden. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen genügt den Anforderungen an die Darlegung einer Divergenz nicht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.03.2016 – BVerwG 1 B 29.16 –, juris RdNr. 9).

36

Diesen Anforderungen genügt die Zulassungsbegründung nicht. Der Beklagte legt weder dar, von welchem abstrakten Rechtssatz das Verwaltungsgericht tragend ausgegangen, noch, von welchem Rechtssatz, den ein im Instanzenzug übergeordneten Gerichts in Anwendung derselben Vorschrift gebildet hat, es hierbei abgewichen sein soll. Die Zulassungsbegründung benennt bereits nicht die maßgebliche gesetzliche Vorschrift, auf die sich die geltend gemachte Divergenz beziehen soll. Sie zeigt auch nicht auf, inwiefern der vom Verwaltungsgericht vermeintlich zu Grunde gelegte Rechtssatz, "dass es sich bei Ausweisung und Befristung nicht um zwei getrennt zu beurteilende Akte handelt", für die Entscheidung tragend gewesen ist. Vielmehr gibt der Beklagte lediglich Ausführungen des Verwaltungsgerichts wieder, wonach es unwahrscheinlich erscheine, dass sich die Bindungen des Klägers zu seiner Ehefrau und seiner Tochter nach Ablauf von zwei Jahren, d.h. nach Ablauf der Befristung der Ausweisung, wieder herstellen ließen. Hieraus folgert er, das Verwaltungsgericht verkenne, dass die Ausweisung und die Befristung zwei voneinander getrennte Verwaltungsakte seien und eine fehlerhafte Befristung die Ausweisung nicht "unwirksam" mache. Damit ist jedoch keine Differenz i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO dargelegt. Das Verwaltungsgericht hat den Gesichtspunkt der Trennung des Klägers von seiner Ehefrau und seiner Tochter über einen Zeitraum von zwei Jahren lediglich als eines von mehreren Kriterien im Rahmen der einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung einer Ausweisung behandelt. Es hat keineswegs von der Fehlerhaftigkeit der Befristung auf die Fehlerhaftigkeit der Ausweisung geschlossen. Eine Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist hiernach nicht ersichtlich.

37

3. Die Berufung ist auch nicht wegen der behaupteten Verfahrensmängel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) zuzulassen. Nach dieser Vorschrift ist die Berufung zuzulassen, wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

38

a) Soweit der Beklagte rügt, das Verwaltungsgericht habe seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts gemäß § 86 Abs. 1 VwGO verletzt, da es keine Stellungnahme der Bewährungshelferin eingeholt habe, so ist dies nicht nachvollziehbar. Das Verwaltungsgericht hat die Stellungnahme der Bewährungshelferin (...) vom 26.05.2015 bei seiner Entscheidung berücksichtigt.

39

b) Ohne Erfolg rügt der Beklagte ferner ein Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Der Beklagte macht geltend, das Verwaltungsgericht sei davon ausgegangen, dass er sich weder mit dem Verhalten des Klägers während seines Aufenthalts im Gefängnis noch nach der Haftentlassung auseinandergesetzt habe. Ebenso wenig habe er die Feststellungen der JVA bzw. den Beschluss der Strafvollstreckungskammer in seine Abwägung mit eingestellt. Tatsächlich habe er jedoch sowohl in seinem Schreiben vom 15.05.2014 im Verfahren 1 B 150/14 HAL als auch in seinem Schreiben vom 12.09.2014 im Verfahren 1 A 151/14 HAL ausführlich hierzu Stellung genommen. Diese Rüge führt nicht zur Zulassung der Berufung, da die Entscheidung auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel nicht beruhen kann. Soweit das Verwaltungsgericht davon ausgegangen ist, der Beklagte habe sich mit den genannten Umständen nicht auseinandergesetzt, diente dies zur Begründung eines Ermessensfehlers. Nach den nunmehr anwendbaren Vorschriften der §§ 53 ff. AufenthG in der ab dem 01.01.2016 geltenden Fassung ist für ein Ermessen der Behörde indessen – wie bereits ausgeführt – kein Raum mehr.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG.

42

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.


Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 27. Januar 2015 - 1 K 102/12 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet.
Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit und wurde am ... 1973 in ... (Türkei) geboren. Er ist verheiratet, reiste mit seiner Frau und seinen damals drei Kindern am ... 1997 in die Bundesrepublik ein und beantragte am folgenden Tag Asyl. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 9. Oktober 1997 wurden die Anerkennung als Asylberechtigter abgelehnt und zugleich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 4 AuslG festgestellt. Inzwischen hat der Kläger mit seiner Frau, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis ist, sieben Kinder, von denen sechs die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Vier der Kinder studieren, zwei besuchen das Gymnasium und eines die Grundschule.
Der Kläger war zunächst im Besitz von Aufenthaltsbefugnissen bis Mitte 2005. Ein Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis vom März 2006 nahm der Kläger mit Blick auf den Bezug von öffentlichen Leistungen zurück. Ende März 2009 beantragte er erneut die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. In diesem Zuge erfolgte eine Regelanfrage nach § 73 Abs. 2 und 3 AufenthG, die zu der Mitteilung führte, dass Erkenntnisse vorlägen. Der Verfahrensbevollmächtigte des Klägers erbat am 4. Juni 2009 von der Stadt ... die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG, nachdem das Bundesamt am 13. März 2009 mitgeteilt hatte, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme nach § 73 Abs. 1 bzw. 2 AsylG nicht vorliegen würden. Unter dem 9. Juni 2009 teilte die Stadt ... dem Kläger mit, dass die Ermittlungen des Landeskriminalamts noch nicht abgeschlossen seien. Ausweislich eines in der Akte der Stadt ... befindlichen Vermerks vom 19. November 2009 ging die Stadt sodann davon aus, dass auf eine Rückantwort des Landeskriminalamts und auf die Regelanfrage verzichtet werden könne. Die Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG wurde dem Kläger schließlich am 4. Dezember 2009 erteilt.
Das in der Akte der Stadt befindliche Schreiben des Regierungspräsidiums ... an die Stadt vom 22. September 2009, das per Mail an diese gegangen sein soll, findet sich in der Akte erstmals als Anhang einer Mail des Regierungspräsidiums, datierend vom 22. Mai 2010. In diesem bittet das Regierungspräsidium die Stadt um Durchführung einer Sicherheitsbefragung. Die Stadt teilte dem Regierungspräsidium mit, dass die Aufforderung zur Durchführung einer Sicherheitsbefragung nicht zu den Akten gekommen sei, was eventuell mit einer längeren Krankheitszeit der früheren Sachbearbeiterin zusammenhängen könne. Sie informierte das Regierungspräsidium darin im weiteren über die Erteilung der Niederlassungserlaubnis an den Kläger.
Mit Schreiben vom 11. Juni 2010 informierte die Stadt dem Kläger darüber, dass das Regierungspräsidium sie aufgefordert habe, mit ihm eine Sicherheitsbefragung durchzuführen. Das Regierungspräsidium teilte dem Kläger mit Schreiben vom 23. Juli 2010 mit, dass die Niederlassungserlaubnis in Unkenntnis von Bedenken seitens der Sicherheitsbehörden gegen den weiteren Aufenthalt des Klägers in Deutschland erteilt worden sei. Es prüfe derzeit eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis bzw. eine Ausweisung. Hierzu werde dem Kläger die Möglichkeit eines Sicherheitsgesprächs zur weiteren Aufklärung gegeben. Am 23. Februar 2011 fand eine Sicherheitsbefragung des Klägers statt. Am anschließenden Sicherheitsgespräch nahm der Kläger nicht teil.
Mit hier angegriffener Verfügung vom 10. Januar 2012 wurde der Kläger durch das Regierungspräsidium ausgewiesen und verpflichtet, sich zweimal wöchentlich unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapiers bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden. Sein Aufenthalt wurde auf den Bereich der Stadt ... begrenzt und die sofortige Vollziehung der Verfügung wurde angeordnet.
In der Verfügung wurde im Wesentlichen zunächst in tatsächlicher Hinsicht auf Erkenntnisse über sicherheitsrelevante Aktivitäten des Klägers ab 2001 und bis Dezember 2010 abgestellt und im Übrigen darauf, dass er unverändert Vorstandsmitglied (nunmehr 2. Vorsitzender) der „Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V.“ (YEK-KOM) sei. Die Ausweisung beruhe auf § 55 AufenthG in Verbindung mit § 54 Nr. 5 AufenthG. Besonderer Ausweisungsschutz nach Art. 14 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei bestehe nicht, da der Kläger nur über wenige Monate hinweg abhängig beschäftigt gewesen sei. Seit Januar 2005 stehe er mit seiner Familie im Leistungsbezug nach dem SGB II. Die vorliegenden Erkenntnisse wiesen ausreichend Tatsachen für die gerechtfertigte Annahme nach, dass der Kläger entsprechende Unterstützungshandlungen gegenüber einer Vereinigung, die den Terrorismus unterstütze, vorgenommen habe. Bei der PKK und deren Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL handle sich um Vereinigungen im Sinne dieser Vorschrift. Die vom Kläger genannten Veranstaltungen, an denen dieser teilweise maßgeblich mitgewirkt habe, hätten erkennbar dazu gedient, nicht nur einzelne Meinungen kundzutun, sondern jedenfalls auch diese Vereinigung selbst vorbehaltlos und unter Inkaufnahme des Anscheins der Billigung der inkriminierten Bestrebungen zu fördern. Insoweit sei die Freiheit der Meinungsäußerung beschränkt. Entscheidend sei zudem, dass der Kläger nicht bloß passiver Teilnehmer an denen vom Landesamt für Verfassungsschutz benannten Veranstaltungen der unterstützenden Vereinigung gewesen sei, sondern in hervorgehobener Funktion, beispielsweise als Redner, diese tragend mitgestaltet und er sich auch nicht distanziert habe, wenn durch andere Teilnehmer der PKK bzw. deren Nachfolgeorganisationen gehuldigt worden sei. Er habe damit auch durch den Anschein der Billigung den Terrorismus gefördert. Das Engagement des Klägers als Vorsitzender im kurdischen Kulturverein e.V. ... sei ebenfalls als Unterstützungshandlung zu werten, da dieser nach Erkenntnissen und Einschätzung des Landesamtes für Verfassungsschutz als KONGRA-GEL-nah einzustufen sei. In der Vergangenheit habe der Vereinssitz mehrfach zwischen ... und ... gewechselt, wobei die Vereine auch unter verschiedenen Namen im Vereinsregister eingetragen worden seien. Nach Einschätzung des Landesamtes für Verfassungsschutz könne davon ausgegangen werden, dass es sich bei diesen Vereinen um die Vorgängervereine des heutigen kurdischen Kulturvereins e.V. ... handle. Zum einen bestehe zwischen diesen Vereinen Personengleichheit der Vereinsbesucher und auch von einigen Vorstandsmitgliedern, die im Großraum .../... wohnhaft seien. Zum anderen hätten in allen Vereinen Vereinsfeierlichkeiten anlässlich bestimmter PKK-Gedenktage sowie „Märtyrergedenkveranstaltungen“ und „Volksversammlungen“ stattgefunden. Der Verein sei auch Mitglied in der YEK-KOM, die ein Dachverband von überwiegend KONGRA-GEL-nahen örtlichen Kurdenvereinen sei. Als 2. Vorstandsvorsitzendem seien dem Kläger deren Aktivitäten zuzurechnen. Von einer gegenwärtigen Gefährlichkeit des Klägers sei auszugehen. Die Ausweisung sei danach aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt. Die Ausweisung des Klägers sei auch nicht unverhältnismäßig mit Blick auf Art. 8 EMRK. Hinsichtlich der Integrationsleistung des Klägers sei zu beachten, dass er seinen Lebensunterhalt für sich und seine Familie nicht selbst sichern könne und weitere Verwurzelungserfolge des Klägers nicht ersichtlich seien. Das öffentliche Ausweisungsinteresse überwiege hier sein Bleibeinteresse, dem im Übrigen durch seine Duldung Rechnung getragen werden könne. Es sei ihm daher zuzumuten, seinen weiteren Aufenthalt auf Grundlage der Aussetzung der Abschiebung auszugestalten. Auch sei einzustellen, dass die Ausweisung auf Antrag befristet werde.
Der Umstand, dass die Stadt ... als untere Ausländerbehörde am 4. Dezember 2009 eine Niederlassungserlaubnis erteilt habe, obwohl die Sicherheitsbehörden auch schon zu diesem Zeitpunkt Erkenntnisse über den Kläger gehabt hätten, welche zu Bedenken gegen seinen weiteren Aufenthalt führen könnten, sei hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung unschädlich. Insbesondere handele es sich nicht um ein rechtsmissbräuchliches, widersprüchliches Behördenverhalten. Der Stadt ... sei lediglich ein Wissen dahingehend zurechenbar, dass überhaupt Erkenntnisse seitens der Sicherheitsbehörden vorgelegen hätten. Über deren Inhalt und Gegenstand sowie den Umstand, dass diese geeignet gewesen seien, Bedenken gegen den weiteren Aufenthalt des Klägers zu begründen, habe die Stadt ... keine Kenntnis gehabt. Vor der Mitteilung der Sicherheitsbehörden seien entsprechende Ausweisungsgründe der Ausländerbehörde noch nicht bekannt gewesen und könnten daher auch nicht verbraucht sein. Es genüge nicht, dass die Ausländerbehörde Kenntnis darüber habe, dass die Sicherheitsbehörden entsprechende Erkenntnisse hätten. Entscheidend sei, dass weitere maßgebliche Erkenntnisse auch nach dem 4. Dezember 2009 erlangt worden seien, wie der Bericht des Landesamtes für Verfassungsschutz vom 17. Juli 2011 sie darstelle.
Die angeordnete zweimalige wöchentliche Meldepflicht und die räumliche Beschränkung auf den Stadtbezirk ... beruhten auf §§ 54a Absatz 1 Satz 1 AufenthG. Die Auflagen seien auch verhältnismäßig. Die Anordnung des Sofortvollzuges sei zum Schutz der öffentlichen Sicherheit geboten, dies insbesondere mit Blick auf die notwendige Kontrolle des Verhaltens des Klägers. Dies gelte insbesondere auch mit Blick darauf, dass die tatsächliche Beendigung des Aufenthalt des Klägers nicht möglich sei.
10 
Mit Schriftsatz vom 16. Januar 2012 erhob der Kläger Klage, mit dem Antrag, die Verfügung vom 10. Januar 2012 aufzuheben.
11 
Das Verwaltungsgericht hörte den Kläger in der mündlichen Verhandlung im Hauptsacheverfahren persönlich zu den ihm vorgeworfenen Aktivitäten und seiner derzeitigen Funktion in der NAV-DEM und deren Zielrichtung an. Er räumte dabei die ihm vorgehaltenen Teilnahmen an den genannten Veranstaltungen in tatsächlicher Hinsicht vollumfänglich ein. Insbesondere treffe es zu, dass er am 8. September 2012 Versammlungsleiter des kurdischen Kulturfestivals 2012 in ... gewesen und dort eine Videobotschaft von Murat Karayilan ausgestrahlt worden sei. Derzeit sei er 2. Vorsitzender der NAV-DEM. Diese sei durch eine Namens- und Satzungsänderung der YEK-KOM im Juni 2014 entstanden. Ein Antrag auf Löschung im Vereinsregister oder ein Auflösungsbeschluss bezüglich des Vereins YEK-KOM sei nicht erfolgt. Neben ihm und dem 1. Vorsitzenden, die bereits bei der YEK-KOM im Vorstand gewesen seien, seien drei neue Mitglieder in den fünfköpfigen Vorstand gewählt worden. Die NAV-DEM halte, wie die YEK-KOM zuvor, jedes Jahr zwei große Veranstaltungen ab. Er gehe auch weiterhin zu genehmigten Veranstaltungen anderer kurdischer Organisationen, auch in seiner Funktion als 2. Vorsitzender der NAV-DEM trete er als Redner auf. Das Verwaltungsgericht hörte des Weiteren Frau ... als Mitarbeiterin des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg informatorisch zu den Aktivitäten des Klägers und den Erkenntnissen des Landesamtes zu den Organisationen YEK-KOM und NAV-DEM an. Sie führte aus, dass sie die in den vorliegenden Berichten des Landesamtes zum Ausdruck gebrachte Einschätzung der eindeutigen Nähe des Vereins YEK-KOM zur KONGRA-GEL, in dem der Verein der PKK bzw. ihre Nachfolgeorganisationen Raum zur Verbreitung ihrer Erklärungen und Äußerungen biete, teile. Dies gelte auch für die NAV-DEM, wie etwa eine Veranstaltung im Dezember 2014 gezeigt habe. Dem Landesamt lägen noch keine konkreten Erkenntnisse vor, dass zwischen YEK-KOM und NAV-DEM insoweit Unterschiede bestünden.
12 
Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 27. Januar 2015 den Beklagten verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf acht Jahre nach Ausreise des Klägers zu befristen und im Übrigen die Klage abgewiesen.
13 
Es hat im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei nur teilweise begründet, soweit der Beklagte verpflichtet sei, die Wirkungen der Ausweisungsverfügung auf acht Jahre nach Ausreise des Klägers zu befristen. Im Übrigen verletze diese den Kläger nicht in seinen Rechten. Ein erhöhter Ausweisungsschutz nach Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei (ARB 1/80) bestehe nicht, da der Kläger keine assoziationsrechtliche Rechtsposition erworben habe. Dies, da er selbst in der mündlichen Verhandlung angegeben habe, bei seinen Beschäftigungsverhältnissen jeweils kürzer als ein Jahr angestellt gewesen zu sein. Etwaige Rechtspositionen nach Art. 6 Abs. 1 Spiegelstrich 1 ARB 1/80 wären daher durch den jeweils nächstfolgenden Arbeitgeberwechsel erloschen.
14 
Der Kläger sei in den Jahren von 2001 bis 2003 Vorsitzender des kurdischen Kulturvereins e.V. ... gewesen. Zwischen 2004 und Mitte 2014 sei er mit einer kurzen Unterbrechung Anfang des Jahres 2012 durchgehend Mitglied im Vorstand, zeitweise 2. Vorsitzender, der YEK-KOM gewesen. Im Mai 2012 sei er erneut in den Vorstand der YEK-KOM gewählt worden, die inzwischen in die NAV-DEM übergegangen sei.
15 
Der Kläger erfülle die Tatbestandsvoraussetzung einer Ausweisung nach § 54 Nr. 5 AufenthG. Die PKK und ihre Nachfolgeorganisationen seien nach ständiger Rechtsprechung terroristische Vereinigungen im Sinne dieser Vorschrift. Die PKK werde nach wie vor auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen geführt. Soweit sich der Kläger darauf berufe, die PKK habe nunmehr eine geänderte Ausrichtung mit Blick auf die Verteidigung der kurdischen Bevölkerung und der Jesiden im Nordirak gegen den IS, handele es sich um ein temporäres Phänomen, das nicht mit einem dauerhaften Gewaltverzicht und Friedenskurs gegenüber der Türkei einhergehe. Dies ergebe sich auch aus einem Interview des stellvertretenden PKK-Chefs Cemil Bayik vom 10. Oktober 2014, in dem dieser damit gedroht habe, dass sie den Verteidigungskrieg zum Schutze des Volkes auch wieder aufnehmen könnten. Entsprechende Stellungnahmen gebe es auch vom Oberkommandierenden des bewaffneten Arms der PKK „Volksverteidigungskräfte“, der erklärt habe, dass der Friedensprozess mit der Türkei hinfällig sei und die gemeinsamen Übergriffe des türkischen Staates mit dem islamischen Staat einer Kriegserklärung gleichkämen, wie sich aus der Bundestagsdrucksache 18/3491, Seite 4, entnehmen lasse. Zu berücksichtigen sei auch, dass in der Vergangenheit entsprechende Kursänderungen nicht von Dauer gewesen seien.
16 
Der Kläger unterstütze die PKK bzw. ihre Nachfolgeorganisationen durch seine langjährige Tätigkeit als Vorstandsmitglied der YEK-KOM bzw. nunmehr der NAV-DEM. Er sei nahezu ununterbrochen seit 2004 im Vorstand beider Vereine gewesen, was er in der mündlichen Verhandlung auch ausdrücklich eingeräumt habe. Er habe seine Vorstandstätigkeit aktiv ausgeübt, sei selbst auch als Redner und Versammlungsleiter aufgetreten und habe die Interessen des Dachverbandes gegenüber den Mitgliedsvereinen vertreten. Damit seien dem Kläger die von diesen Organisationen ausgehenden Unterstützungshandlungen zuzurechnen.
17 
YEK-KOM bzw. NAV-DEM unterstützten wiederum die PKK und deren Nachfolgeorganisationen. Die Vereinigungen schafften insbesondere eine Plattform für Botschaften und Propaganda der PKK und gewährleisteten eine ständige Präsenz der PKK im gesellschaftlichen Leben der Kurden im Bundesgebiet. Sie sicherten der PKK auf diesem Wege einen Raum für die Ansprache und die Sicherung von Unterstützung durch im Bundesgebiet lebende Kurden. Diese Einschätzung werde sowohl durch die Selbstdarstellung der YEK-KOM wie auch von der Gestaltung und dem Ablauf ihrer Veranstaltungen sowie der Veranstaltungen ihrer Mitgliedsvereine getragen. Im nach wie vor auf der Internetpräsenz der YEK-KOM abrufbaren Arbeitsprogramm werde auf das Selbstverständnis der in Europa lebenden Kurden als „logistische UnterstützerInnen des nationalen Befreiungskampfes“ verwiesen. Die Pressemitteilung der YEK-KOM zu den gewalttätigen Auseinandersetzungen auf dem kurdischen Kulturfestival im Jahr 2012 greife dies ebenfalls auf und spreche davon, dass die PKK für Millionen Kurdinnen und Kurden eine legitime Vertretung sei und einen „gerechten Kampf gegen Krieg und Unterdrückung“ führe. Deswegen lasse sich die kurdische Bevölkerung nicht verbieten, die Symbole der PKK öffentlich zu zeigen und sich zu ihr zu bekennen. Bei diesem Selbstverständnis der Kurden handle es sich letztlich um das Selbstverständnis der YEK-KOM selbst. Denn zum einen begreife sich diese gerade als Dachorganisation der Kurden in Deutschland und als deren Interessenvertretung. Zum anderen werde auf dieses Selbstverständnis ohne jegliche Distanzierung und im Gesamtkontext der Forderung nach einer Aufhebung des PKK-Verbots Bezug genommen. Die YEK-KOM biete zudem eine Plattform für Äußerungen von Funktionären der PKK. Auf ihren Großveranstaltungen würden regelmäßig Grußbotschaften führender PKK-Funktionäre verlesen und als Videobotschaft gezeigt. Auf dem genannten Kulturfestival 2012, dessen Versammlungsleiter der Kläger gewesen sei, sei eine Videobotschaft des oben genannten Murat Karayilan und im Jahr 2013 eine solche des ebenfalls schon genannten Cemal Bayik gezeigt worden. Gleiches sei auf den jährlichen Newroz-Festivals geschehen. Die Veranstaltungen der Mitgliedsvereine der YEK-KOM, an denen der Kläger in seiner Eigenschaft als Vorstandsmitglied teilgenommen habe, seien jeweils durch die zeitliche Nähe zu für die PKK bedeutsamen Daten (PKK-Gründungsjahrestag; Tag der Festnahme Öcalans) und das regelmäßig stattfindende Märtyrergedenken gekennzeichnet, wie sich aus den Einschätzungen des Landesamtes für Verfassungsschutz vom 14. Januar 2015, 29. Januar 2014, 17. Oktober 2013 und 27. August 2012 ergebe. Das Gedenken an Märtyrer möge Teil der kurdischen Kultur sein, wie der Kläger meine, zugleich komme jedoch zum Ausdruck, dass der Einsatz von Gewalt als politisches Mittel im „Befreiungskampf Kurdistans“ grundsätzlich gebilligt werde. Denn ein Gedenken an Märtyrer schließe eine positive Bewertung der mit den Märtyrertod verbundenen Überzeugung ein. Dies gelte erst recht, weil auf den Veranstaltungen von YEK-KOM und ihren Mitgliedsvereinen soweit ersichtlich keine entsprechende Distanzierung von diesem bewaffneten Kampf erfolgt sei. Es handele sich gerade nicht, wie der Kläger wohl geltend machen wolle, um ein bloßes Gedenken an die verstorbenen des eigenen Volkes, sondern um Verstorbene im „Befreiungskampf“ der kurdischen Bevölkerung und zwar insbesondere derer, die bewaffnete Auseinandersetzungen, beispielsweise als Guerillakämpfer, geführt hätten. Durch die Umbenennung der YEK-KOM in NAV-DEM sowie die damit einhergehenden Satzungsänderungen habe sich die Ausrichtung des Vereins nicht verändert. Bereits aus vereinsrechtlicher Sicht liege keine Neugründung sondern eine bloße Umfirmierung vor. Dies ergebe sich aus dem vom Kläger vorgelegten Protokoll der Delegiertenversammlung vom 22. Juni 2014. In der Pressemitteilung zu Umbenennung vom 18. Juli 2014 spreche die Organisation selbst davon, dass „die Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland YEK-KOM e.V. […] ihre Arbeit fortan unter dem Namen NAV-DEM e.V. fortsetzen [wird]“. Dabei sei nicht in Abrede zu stellen, dass die NAV-DEM auf eine umfassendere Organisation kurdischer Vereine ausgerichtet sein möge und ihre satzungsmäßigen Ziele grundsätzlich legitime politische Anliegen beträfen. § 54 Nr. 5 AufenthG stelle jedoch auf tatsächliche Unterstützungshandlungen ab. Es gebe keine Anhaltspunkte für eine wesentliche Veränderung des Aktivitätsspektrums der NAV-DEM gegenüber der YEK-KOM. Die NAV-DEM führe nach dem übereinstimmenden Bekunden des Klägers und des Landesamtes für Verfassungsschutz die beiden zentralen Großveranstaltungen (Newroz-Feier und kurdisches Kulturfestival) fort. Eine Änderung des Arbeitsprogramms sei bislang nicht erfolgt. Auch eine Distanzierung von den bisherigen Aktivitäten der YEK-KOM bzw. der Aktivitäten der PKK habe es nicht gegeben und gebe es auch jetzt nicht. Im Gegenteil führe die NAV-DEM die politischen Aktivitäten zur Aufhebung des PKK-Verbots fort. So führe eine Presseerklärung vom 24. November 2014 anlässlich des 21. Jahrestages des Verbots der PKK aus, dass das Betätigungsverbot für die PKK dazu geführt habe, dass „jegliches Engagement gegen den Krieg in Kurdistan und für die Rechte des kurdischen Volkes […] Repressionen und Kriminalisierung ausgesetzt [war]“.
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Der Kläger könne sich für seine Tätigkeit bei der YEK-KOM bzw. der NAV-DEM nicht auf den Verbrauch der Ausweisungsgründe durch Erteilung der Niederlassungserlaubnis im Jahr 2009 berufen. Aus Gründen des Vertrauensschutzes könne eine Ausweisung in der Regel nicht mehr auf solche Tatbestände gestützt werden, in deren Kenntnis die Ausländerbehörde zuvor vorbehaltlos eine Aufenthaltserlaubnis erteilt habe. Für den Vertrauensschutz des Ausländers sei maßgeblich, wie dieser bei verständiger Würdigung die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis verstehen durfte. Insofern dürfe eine Ausweisung nicht mehr allein auf die Betätigung des Klägers vor der Erteilung der Niederlassungserlaubnis im Jahr 2009 gestützt werden, da er insoweit davon habe ausgehen dürfen, dass diese Betätigung im Verfahren zur Erteilung der Niederlassungserlaubnis überprüft worden sei. Jedenfalls für den Zeitraum ab Erlass der angegriffenen Ausweisungsverfügung bis zum Tag der mündlichen Verhandlung, dem entscheidungserheblichen Zeitpunkt, könne der Kläger jedoch keinen Vertrauensschutz geltend machen. Mit der Anhörung durch die Beklagte am 3. März 2011, spätestens jedoch mit Zustellung der Ausweisungsverfügung am 12. Januar 2012, habe dem Kläger die unterbliebene Prüfung von Ausweisungsgründen nach § 54 Nr. 5 AufenthG durch die Stadt... bewusst sein müssen. Schutzwürdiges Vertrauen auf seine weitere Betätigung für die YEK-KOM ohne entsprechende ausländerrechtliche Konsequenzen habe der Kläger ab diesem Zeitpunkt nicht mehr entwickeln können. Der bis dahin bestehende Vertrauensschutz hindere aber nur die Neubewertung vergangener Ereignisse, nicht jedoch die Bewertung der fortgesetzten Tätigkeit des Klägers. Die erneute Wahl des Klägers in den Vorstand der YEK-KOM im Mai 2012 stelle die entscheidende Zäsur dar. Dieser habe sich in Kenntnis der Tatsachen, auf die der Beklagte seine Ausweisungsverfügung gestützt habe, dazu entschlossen, seine Tätigkeit im Vorstand von YEK-KOM bzw. NAV-DEM fortzusetzen und er habe damit zum Ausdruck gebracht, dass er von einer weiteren Betätigung nicht Abstand nehme.
19 
Als anerkannter Flüchtling und Besitzer einer Niederlassungserlaubnis, der sich länger als fünf Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, dürfe der Kläger nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Solche lägen insbesondere in den Fällen des §§ 54 Nr. 5 AufenthG vor. Ein Ausnahmefall von dieser Regel sei hier nicht gegeben. Der Kläger habe trotz der im Raum stehenden Ausweisung nunmehr erneut über einen Zeitraum von knapp drei Jahren aktiv die Aktivitäten der PKK über seine Vorstandstätigkeit unterstützt. Dabei habe er durch die Übernahme der Versammlungsleitung beim 20. kurdischen Kulturfestival in ... und seine Rednertätigkeit eine besonders exponierte Rolle eingenommen. Es lägen daher die Voraussetzungen für eine Ausweisung des Klägers im Ermessenswege vor. Die Ermessensausübung sei nicht zu beanstanden.
20 
Die Ausweisung sei auch gemessen an Art. 21 und Art. 24 der Qualifikationsrichtlinie rechtmäßig. Auf die Frage, ob die Anforderungen für die Beendigung oder Ablehnung eines Aufenthaltstitels Art. 21 Abs. 1 und 2 der Qualifikationsrichtlinie geringer seien als die aus Art. 24 Abs. 1 komme es nicht an. Denn die Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 3 der Qualifikationsrichtlinie seien erfüllt. Danach dürfe die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings, jedenfalls wenn sie ein unbefristetes Aufenthaltsrechts ersatzlos zum Erlöschen bringe, nur erfolgen, wenn der Betroffene aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen sei. Dabei sei eine individuelle Prüfung des Einzelfalls erforderlich. In Anlehnung an das Refoulement-Verbot des Art. 33 GFK reiche die bloße Unterstützung oder Zugehörigkeit zu einer Organisation im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG noch nicht aus. Vielmehr müsse sich die von der Organisation ausgehende Gefährdung in der Person des Ausländers konkretisieren. Die Gründe müssten so gravierend sein, dass sie es rechtfertigten, dass Refoulement-Verbot des Art. 33 GFK zurücktreten zu lassen. Das setze eine qualifizierte Unterstützung des Terrorismus voraus, insbesondere durch eigene Gewaltbeiträge oder als aktiver Funktionär. Dies setze eine wertende Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalles voraus, unter anderem auch von dem Grad der Gefährlichkeit der jeweiligen Organisation, der etwa durch ihre Struktur, Größe und eine Gewaltbereitschaft bestimmt werde. Eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland sei auch durch Unterstützung einer Organisation gegeben, die im Bundesgebiet selbst keine Terrorakte verübe, denn es sei grundsätzlich nicht ausgeschlossen, dass sie die Gewalt auch als Mittel zur Lösung politischer Konflikte außerhalb ihres eigentlichen militärischen Aktionsgebiets einsetze. Zudem hätten Funktionäre der PKK auch Kurden in Deutschland zum bewaffneten Kampf in Syrien aufgerufen. Die Rückkehr solcher Kämpfer nach Deutschland stelle sich, wie bei Kämpfern anderer Organisation auch, als unkalkulierbares Sicherheitsrisiko dar. Eine Gefährdung der inneren und äußeren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland durch die Aktivitäten der PKK bestehe aber auch dann, wenn die Verübung terroristischer Akte auf dem Bundesgebiet durch die PKK ausgeschlossen wäre und sich alleine auf die Türkei beschränkten. Denn die Türkei und Deutschland seien NATO-Bündnispartner und in ein System kollektiver Verteidigung im Sinne von Art. 24 GG eingebunden. Diese Sicherheitspartnerschaft wäre in Frage gestellt, würde ein Bündnispartner die Unterstützung terroristischer Vereinigungen im Gebiet eines anderen Bündnispartners dulden. Die Duldung solcher Aktivitäten könne zu einer in Stabilisierung der Sicherheitslage im betroffenen Staat führen, die wiederum dessen Handlungs- und Beistandsfunktion gegenüber sein Bündnispartner beeinträchtigen könne.
21 
Der Kläger habe durch seine aktive Funktionärstätigkeit die PKK in diesem Sinne qualifiziert unterstützt. Die aktive Tätigkeit im Vorstand der Vereine sei einer direkten Einbindung in die PKK-Funktionärsebene gleichzusetzen. Ohne die entsprechenden Veranstaltungen der YEK-KOM bzw. NAV-DEM wäre die Organisation und die Sicherung des Zusammenhalts der Anhängerschaft der PKK in Deutschland nicht oder nur unter erheblich erschwerten Bedingungen möglich. Die Aufrechterhaltung eines jahrelangen, bewaffneten Guerillakampfes könne nur aufrechterhalten werden, wenn im Hintergrund der kämpfenden Einheiten ein stabiles und ideologisch gefestigtes Umfeld der Unterstützung, sei es in finanzieller oder politischer Hinsicht, bestehe. Die Bedeutung der YEK-KOM bzw. NAV-DEM für die Aktivitäten der PKK sei als sehr hoch zu bewerten. Besonders deutlich werde dies an den organisierten Veranstaltungen der Vereinigungen. Sie ermöglichten der PKK bzw. ihre Nachfolgeorganisationen, unter dem Schirm der Vereine die jeweilige Parteilinie an eine große Zahl von Personen zu vermitteln und dabei das auf den Großveranstaltungen erzeugte Gemeinschaftsgefühl für ihr Anliegen zu nutzen. Eine stärkere Identifikation und Unterstützung der Anliegen einer verbotenen Organisation als die Präsentation der Videobotschaften ihrer Führer vor einem Massenpublikum sei schwerlich vorstellbar. Dies rechtfertige es, die Vorstandstätigkeit in diesen Vereinen, zumal wenn sie im Fall des Klägers ohne jegliche Distanzierung zu den Aktivitäten der PKK erfolge, einer Funktionärstätigkeit in der PKK gleichzusetzen.
22 
Die Anordnung der Meldepflichten und der Aufenthaltsbeschränkung gemäß § 54 a AufenthG sei ebenfalls rechtmäßig. Der Kläger habe einen Anspruch auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf eine Dauer von acht Jahren.
23 
Das Verwaltungsgericht hat die Berufung zugelassen, da die Frage grundsätzliche Bedeutung habe, ob die Tätigkeit im Vorstand eines nicht verbotenen Vereins, der eine Vereinigung unterstütze, die den Terrorismus unterstützt, die Voraussetzung des Art. 21 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 und Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie erfüllen könne.
24 
Gegen das dem Kläger am 31. März 2015 zugestellte Urteil hat dieser mit Schriftsatz vom 20. April 2015, eingegangen am selben Tag, beim Verwaltungsgericht Berufung eingelegt.
25 
Er führt im Wesentlichen aus: Dem Verwaltungsgericht fehle die Sachkunde für die Feststellung, dass die Umbenennung der YEK-KOM in NAV-DEM nicht zu einer wesentlichen Änderung des Aktivitätenspektrums der NAV-DEM gegenüber der YEK-KOM geführt habe. Zudem könne aufgrund einer veränderten internationalen Entwicklung nicht mehr ohne weiteres mit Blick auf die PKK von einer terroristischen Vereinigung ausgegangen werden. Einheiten der PKK hätten insbesondere ab August 2014 verfolgte Jesiden im Norden des Iraks vor dem IS geschützt, dies, nachdem die Peschmergas den Schutz verweigert hätten. Auch bei der Verteidigung von Kobane habe die PKK eine wichtige militärische Schutzfunktion für die schutzlose Zivilbevölkerung über ihren syrischen Zweig YPG übernommen. Diese sei dabei von der US-Luftwaffe unterstützt worden. Die PKK müsse nach Einschätzung westlicher Beobachter in den politischen Prozess eingebunden werden. Die US-Regierung weise ausdrücklich darauf hin, dass die YPG ungeachtet ihrer engen Verbindung zur PKK nicht als terroristische Organisation angesehen werde. Dies habe zu einer Überprüfung der Position der USA und westlicher Staaten im Hinblick auf ihre Einstellung gegenüber der PKK geführt. Haupthindernis bei den Bemühungen um eine gemeinsame internationale Strategie gegen den IS sei die türkische Regierung, die völlig eigene Interessen verfolge. Jedenfalls bedürfe es einer sorgfältigen Aufklärung der aufgezeigten Entwicklung und der darauf beruhenden Einschätzung. Das von den Verfassungsschutzbehörden unterstellte separatistische Ziel bezogen auf die Türkei sei seit langem überholt. Von der PKK gebilligte und koordinierte militärische Einsätze gegen die Türkei würden seit zwei Jahren nicht mehr geführt. Entgegenstehende Äußerungen hochrangiger Funktionäre der PKK müssten dem nicht zwingend entgegenstehen, sondern könnten auch als Teil der Propaganda zwischen der PKK und dem türkischen Staat bewertet werden. Terroristische Aktionen in europäischen Ländern seien seit 2005 nicht mehr unternommen worden. Die politische und militärische Strategie der PKK habe sich seit dem Aufkommen des IS nahezu ausschließlich auf eine Schutzfunktion zu Gunsten der jesidischen und kurdischen Bevölkerung in Syrien verändert. Es entspreche jedenfalls dem Willen der jetzigen Führung der PKK, den Kampf der Einheiten vollständig auf den Schutz der bedrohten Zivilbevölkerung in den bezeichneten Ländern zu konzentrieren.
26 
Das Verwaltungsgericht stelle auf die Vorstandstätigkeit des Klägers bei der YEK-KOM bzw. der NAV-DEM ab, bezeichne jedoch keine einzige Aktivität des Klägers, die als individuelle Unterstützung der PKK ausgelegt werden könne. Der Unterstützungsbegriff werde unzutreffend ausgelegt, insbesondere soweit auf Aktivitäten „im Interessenbereich der PKK“, namentlich der Forderung nach Aufhebung des PKK-Verbots unter Freilassung Öcalans abgestellt werde. Von derartigen, politisch neutralen Forderungen könne nicht auf Unterstützung einer terroristischen Vereinigung bzw. eines bewaffneten Kampfes der PKK geschlossen werden. Es handele sich nicht um den Aufruf zur Begehung terroristischer Taten. Soweit das Verwaltungsgericht anführe, dass in dem „Denken an Märtyrer“ zugleich zum Ausdruck komme, dass der Einsatz von Gewalt als politisches Mittel im Befreiungskampf Kurdistans grundsätzlich gebilligt werde, habe der Kläger darauf hingewiesen, dass er insgesamt 13 nahestehenden Angehörigen in dem Kurdenkonflikt in der Türkei gedacht habe, die durch das türkische Militär getötet worden seien. Er sei gläubiger Muslim und bekunde so seine Trauer und seinen Respekt vor den Toten. Damit habe sich das Verwaltungsgericht in seiner Bewertung nicht auseinandergesetzt.
27 
Das Bundesverwaltungsgericht verlange für eine Unterstützung des Terrorismus aus rechtsstaatlichen Gründen eine engere Verbindung zu den terroristischen Aktivitäten, da dem Einzelnen anderenfalls ein Verhalten zugerechnet werde, dass weder von seinem Willen noch von der durch ihn unterstützten Vereinigung getragen werde. Lediglich die Befürwortung bestimmter spezifischer Ideologien oder Weltanschauungen, sofern daraus nicht Handlungsanleitungen zur Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung politischer oder religiöser Ziele abgeleitet würden, reichten danach nicht aus. Eine Vereinigung könne nur dann als den Terrorismus unterstützende Vereinigung angesehen werden, wenn sie Dritte mit einer entsprechenden Einstellung für die militante Durchsetzung der Ideologie gewinnen wolle. Das Verwaltungsgericht wende § 54 Nr. 5 AufenthG indessen bereits dann an, wenn z.B. die Aufhebung des Vereinsverbots der PKK oder eine friedliche Lösung des Kurdenkonflikts in der Türkei gefordert werde. Es lasse bereits bloße Sympathiebekundungen für eine Organisation, die durch die Sicherheitsbehörden als terroristische eingestuft werde, für den Unterstützungsbegriff ausreichen, ohne dass zusätzliche Tatsachen festgestellt würden, dass die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung auch auf die Unterstützung des Terrorismus gerichtet seien, etwa dadurch, dass gezielt bei Veranstaltungen Jugendliche für den bewaffneten Kampf in kurdischen Siedlungsgebieten angeworben oder durch konkrete Aktionen Kämpfer der PKK in diesen Gebieten unterstützt würden.
28 
Das Verwaltungsgericht verletze § 54 Nr. 5 AufenthG auch, indem es keinen subjektiven Tatbestand voraussetze. Es stelle auf die Vorstandsfunktionen des Klägers in PKK-nahen Vereinigungen ab, berücksichtige aber nicht, dass dieser an seine 13 verstorbenen Verwandten gedacht habe. Im Übrigen fehlten Feststellungen dazu, dass der Kläger bei seinen Aktivitäten bewusst und gewollt den internationalen Terrorismus unterstütze.
29 
Die Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts zum Unterstützungsbegriff werde zudem verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht gerecht. Schon im objektiven Tatbestand sei darauf zu achten, dass der Unterstützungsbegriff nicht unverhältnismäßig namentlich in das Recht auf freie Meinungsäußerung eingreife. Der Organisationsbezug sei daher nicht schon immer dann zu bejahen, wenn in irgendeiner Form auf den verbotenen Verein und seine Aktivitäten hingewiesen werde, ohne dass nach dem deutlich erkennbaren Sinn der Äußerungen die Tätigkeit des Vereins gefördert werden solle. Aus dem Spannungsverhältnis zwischen Grundrechtsschutz und Gefahrenabwehr folge das Erfordernis einer restriktiven Auslegung des Unterstützungsbegriffs. Unterstützungshandlungen müssten auf die Festigung vorhandener terroristischer Strukturen abzielen und der Ausländer selbst müsse einen den Unterstützungsbegriff gerecht werdenden Beitrag zur Unterstützung der Vereinigung leisten. Das Bundesverfassungsgericht weise ausdrücklich darauf hin, dass dem Einzelnen nicht verboten werde, selbst bestimmte politische Ziele anzustreben und zu vertreten, wohl aber, dies durch Förderung der verbotenen Tätigkeit des Vereins zu tun. Die Abwehr richte sich nicht gegen die Handlung des Einzelnen als solche, sondern gegen die mit ihr verbundene Stärkung der Organisation. Es reiche nicht aus, wenn der Außenstehende gleiche Ansichten wie die verbotene Partei vertrete. Einer Meinungsäußerung sei daher nur dann eine objektive Gefahr immanent, wenn zusätzlich äußere, sich nicht nur aus der Willensrichtung des Äußernden ergebende Umstände hinzuträten, die der Äußerung einen unmittelbaren Förderungseffekt geben. Es bedürfe einer auf die terroristische Tätigkeit der Vereinigung bezogene Zweckgerichtetheit und insoweit gelte auch das Regelbeweismaß für Tatsachenfeststellungen. Engagierte Sympathisanten im Umfeld einer terroristischen Organisation, die wie hier der Kläger nicht strukturell in diese eingebunden seien, erfüllten daher aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht den Begriff der Unterstützung einer Vereinigung, die ihrerseits den Terrorismus unterstütze.
30 
Es müssten die gleichen Maßstäbe gelten wie für den strafrechtlichen Unterstützungsbegriff. Daran fehle es regelmäßig, wenn die Betätigung sich auf Geldspenden, Verteilung von Zeitungen und Flugblättern, die Teilnahme an friedlichen Demonstrationen, Hungerstreiks oder nicht gewalttätigen Besetzungsaktionen beschränke. Von terroristischem Aktivitäten im Einzelfall sei auszugehen, wenn der Betreffende aufgrund seiner hochrangigen Funktionärstätigkeit für die PKK eine qualifizierte Mitverantwortung für deren kriminelle und terroristische Aktivitäten in Deutschland trage. Dies werde auch durch die Rechtsprechung zur Anwendung von Art. 1 GFK, Art. 12 Abs. 2 lit. b der Richtlinie 2004/83/EG, § 3 Abs. 2 Nr. 2 AsylG bestätigt. Auch dort gehe es um eine Zurechnung nach verwaltungsrechtlichen und nicht strafrechtlichen Grundsätzen, wobei dort der Beweisstandard hinsichtlich der materiellen Zurechnungskriterien gegenüber dem Strafrecht nicht herabgesenkt sei. Hier wie dort gehe es um die Gefährdung wichtiger öffentlicher Schutzgüter durch terroristische Gefahren. Verlangt werde dort ein vorsätzlicher Beitrag mit dem Ziel, die kriminelle Tätigkeit oder die strafbare Absicht der Gruppe zu fördern. Die Beiträge müssten also ausreichend sein, die Fähigkeit der Organisation, terroristische Anschläge zu verüben, zu fördern. Auch der Gerichtshof der Europäischen Union fordere in diesem Zusammenhang eine individuelle Prüfung der genauen tatsächlichen Umstände. Er gehe davon aus, dass bei einer hervorgehobenen Position eine individuelle Verantwortlichkeit vermutet werden könne. Ob diese Vermutung gerechtfertigt sei, erfordere nach seiner Rechtsprechung aber eine Prüfung sämtlicher erheblicher Umstände.
31 
In vorliegendem Fall sei zur Entlastung des Klägers zu berücksichtigen, dass er nicht in eine Organisation eingebunden sei, die sich terroristischer Mittel bediene. Zwar gehe das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass für den präventiven Gefahrenabwehrschutz gegenüber dem strafrechtlichen Maßstab der Begriff der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung erweitert werden dürfe. Aus verfassungsrechtlichen Gründen setze aber eine präventive Gefahrenabwehrmaßnahme voraus, dass durch das individuelle mit der Ausweisung bekämpfte Verhalten des Einzelnen eine konkrete Gefahr für wichtige Gemeinschaftsgüter hervorgerufen werde. Es bedürfe stets einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit, die auf konkret umrissenen Tatsachen beruhe. Dass Sympathiebekundungen für eine terroristische Organisation, selbst Sympathiebekundungen für terroristische Aktivitäten, eine Gefahr begründeten, sei eher fern liegend, sofern keine konkreten Anhaltspunkte dafür geliefert werden könnten, dass durch diese die öffentliche Sicherheit gefährdet werde. Die Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsgrad dürften nicht beliebig abgesenkt werden. Aufgrund des prognostischen Charakters des Gefahrenbegriffs und der Tatsache, dass nahezu jedes Gut mehr oder weniger risikogeneigt sei und mit Blick auf das Recht auf Inanspruchnahme grundrechtlicher Freiheiten müsse der Gesetzgeber in abstrakter Weise einen Ausgleich dieser widerstreitenden Interessen erreichen. Dies könne dazu führen, dass Grundrechtseingriffe einer bestimmten Eingriffsintensität erst von bestimmten Verdachts- oder Gefahrenstufen an vorgesehen werden dürften. Dies gelte auch für § 54 Nr. 5 AufenthG. Es genüge nicht, dass in irgendeiner Form auf die terroristische Organisation und deren Aktivitäten hingewiesen werde, ohne dass nach dem deutlich erkennbaren Sinn der Äußerung deren terroristische geprägten Tätigkeiten im objektiven Sinne gefördert werden sollten. Gemessen hieran habe der Kläger durch seine Vereinsaktivitäten nicht den internationalen Terrorismus unterstützt. Für § 54 Nr. 5 AufenthG seien ein kognitives und ein voluntatives Element erforderlich. Hinsichtlich des voluntativen Elements des subjektiven Unterstützungsbegriffs fehle es indes an der verfassungsrechtlich gebotenen Eindeutigkeit. Nach der Rechtsprechung genüge es, dass der Einzelne in einer inneren Nähe und Verbundenheit zu der Vereinigung selbst stehe, die er durch sein Engagement als ständiger (passiver) Teilnehmer zum Ausdruck bringe und damit deren Stellung in der Gesellschaft, vor allem unter Landsleuten, begünstigend beeinflusse, deren Aktionsmöglichkeiten und eventuell auch ihr Rekrutierungsfeld erweitere und dadurch insgesamt zu einer Stärkung ihres latenten Gefährdungspotenzials beitrage. Dies reiche aus verfassungsrechtlicher Sicht jedoch nicht aus. Auch eine bloße Stärkung eines latenten Gefährdungspotenzials genüge nicht den Anforderungen, die für die Eingriffsverwaltung an das Bestehen einer konkreten Gefahr zu fordern seien. Bei Äußerungen müsse eine vereinsfördernde Zielrichtung eindeutig erkennbar sein. Ob der Betroffene die Grenzen einer erlaubten Tätigkeit überschreite, sei davon abhängig, wie weit der grundrechtlich geschützte Freiheitsbereich reiche. Dies könne ohne voluntative Elemente nicht bestimmt werden. Es sei daher zu verlangen, dass der Einzelne sich mit den Zielvorstellungen und terroristischen Aktivitäten einer Organisation identifiziere. Dementsprechend genüge eine bloße politische Sympathiebekundung des Einzelnen für eine terroristische Organisation nicht. Die Schwelle sei erst überschritten, wenn Sympathie in Form der Verherrlichung des Guerillakampfes bekundet werde. Zwar könne danach auch der Personenkult für Öcalan berücksichtigt werden, weil diesem nach wie vor ein Symbolgehalt für den bewaffneten Kampf der PKK zukomme, es bedürfe aber zusätzlicher tatsächlicher Feststellungen für die Identifikation Einzelner mit dem Terrorismus, in dem Sinne, dass diese mit der Sympathiebekundungen für Personen oder Organisationen zugleich auch deren terroristisch geführten bewaffneten Kampf unterstützen wollten.
32 
Das Verwaltungsgericht habe auch keine schwerwiegenden Gründe im Sinne von Art. 24 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz der Qualifikationsrichtlinie festgestellt. Eine Regelvermutung, wie das nationale Recht, kenne das Unionsrecht nicht. Es sei eine individuelle Prüfung unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles erforderlich. Das Refoulementverbot des Art. 33 Abs. 1 GFK müsse hierbei beachtet werden. Daher sei eine eigene erhebliche Gewalttätigkeit oder Bereitschaft hierzu oder eine strukturelle Einbindung in diese, etwa durch Ausübung einer aktiven Funktionärstätigkeit, erforderlich. Die bloße Mitgliedschaft des Klägers im Vorstand von YEK-KOM bzw. NAV-DEM sowie dessen Redebeiträge, die im Übrigen nicht dahingehend bewertet worden seien, ob der Kläger in diesen zu Gewaltanwendung aufgerufen habe, genügten nicht.
33 
Aus der Teilnahme an rechtmäßigen Versammlungen und an Veranstaltungen, in der sich die kulturelle Identität als Kurde manifestiert habe, folge nicht automatisch, dass der Betroffene selbst terroristische Handlungen unterstützt habe. Solche Veranstaltung seien auch nicht automatisch terroristische Handlungen.
34 
Zudem sei durch das neue Ausweisungsrecht dem bisherigen Automatismus eine klare Absage erteilt worden. Es sei danach eine ergebnisoffene Abwägung auf Tatbestandsseite erforderlich, die gerichtlich voll überprüfbar sei. Hier fehle es schon an einer konkreten Gefahr als Grundlage einer solchen Abwägung. Generalpräventiv motiviert sei die Ausweisung im Rahmen des § 53 Abs. 3 AufenthG, dessen Voraussetzungen auch im Übrigen nicht vorlägen, nicht zulässig. Es fehle an der Unerlässlichkeit der Maßnahme. Auch bei Annahme einer vom Kläger ausgehenden Gefahr gehe die Abwägung zu dessen Gunsten aus, da besonders schwerwiegende Ausweisungsinteressen nicht bestünden und zugleich besonders schwerwiegende und schwerwiegende Bleibeinteressen vorlägen. Der langjährige rechtmäßige Aufenthalt des Klägers in Deutschland und die Interessen seiner Familie, mit der er zusammen lebe, seien umfassend zu berücksichtigen. Eine Nachreisen der Familie in die Türkei sei dieser nicht zuzumuten. Auch sei zu beachten, dass eine Beendigung des Aufenthalts des Klägers aufgrund seines Flüchtlingsstatus nicht zulässig sei.
35 
Das Verhalten des Klägers erfülle auch deshalb nicht die Voraussetzungen der Art. 21 Abs. 2 und 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie, da er selbst weder terroristische Handlungen begangen habe, noch solche geplant, entschieden oder andere dazu angeleitet bzw. finanziert oder er Mittel dazu beschafft habe. Eine dieser abschließend zu verstehenden Handlungen verlange der Gerichtshof der Europäischen in seiner Entscheidung in der Rechtssache „T.“ (Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 -, juris) jedoch. Auch betone dieser, dass eine Teilnahme an erlaubten Veranstaltungen keine solche Handlung sei und sich daraus nicht zwingend die Unterstützung solcher Taten ergebe.
36 
Der Kläger beantragt,
37 
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 27. Januar 2015 - 1 K 102/12 - die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 10. Januar 2012 aufzuheben.
38 
Der Beklagte beantragt,
39 
die Berufung zurückzuweisen.
40 
Er führt im Wesentlichen aus: Die PKK sei auch nach wie vor als terroristische Organisation zu sehen. Sie sei weiterhin in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 sowie im bindenden Anhang zur Verordnung (EG) 2850/2001, zuletzt aktualisiert durch die Durchführungsverordnung (EU) 2015/513 vom 26. März 2015, aufgeführt. Zudem sei auf die Bundestagsdrucksache 18/3702 vom 7. Januar 2015 zu verweisen, in der die Bundesregierung deutlich mache, weshalb sie am Vereinsverbot bezüglich der PKK festhalte und diese als terroristische Organisation einstufe. Diese halte weiter an ihrem Standpunkt fest, nicht zwischen „guten“ und „bösen“ Terroristen zu unterscheiden. Zwar gehe die Bundesregierung nicht von Angriffen der PKK in Deutschland oder gegen deutsche Ziele aus, dennoch stünden Angriffe gegen Ziele des Nato-Partners Türkei unverändert auf dem Plan der PKK. Dies werde weiterhin von der Bundesregierung missbilligt und im Rahmen der Möglichkeiten deutscher Sicherheitsbehörden verhindert. Die Bundesregierung weise zudem darauf hin, dass die PKK Europa als Rückzugsraum für finanzielle und politische Aktivitäten betrachte. Weiterhin sei der Friedenprozess zwischen der Türkei und den Kurden seit Juli 2015 beendet, da die Waffenruhe zerbrochen und es zu neuen Kämpfen und Anschlägen gekommen sei. Am 22. Juli 2015 seien in Ceylanpinar im Südosten der Türkei zwei Polizisten ermordet worden. Die PKK habe sich hierzu bekannt. Am 10. August 2015 seien mehrere Anschläge in Istanbul erfolgt, darunter einer auf eine Polizeiwache, zu denen sich die PKK ebenfalls bekannt habe. Am 11. August 2015 habe es einen weiteren Anschlag in Südost-Anatolien gegeben, bei dem ein türkischer Soldat ums Leben gekommen sei.
41 
YEK-KOM und NAV-DEM unterstützten die PKK und deren Nachfolgeorganisationen insbesondere durch eine Plattform für Botschaften und Propaganda der PKK; sie gewährleisteten eine ständige Präsenz der PKK im gesellschaftlichen Leben der Kurden im Bundesgebiet. Die bloße Umbenennung der YEK-KOM in die NAV-DEM habe das Verwaltungsgericht zutreffend bewertet, dies werde auch durch den Bericht des Landesamtes für Verfassungsschutz vom 24. August 2015 aufgezeigt. Eine Änderung des Arbeitsprogramms sei nicht erfolgt, es gebe auch keine Distanzierung der NAV-DEM von den Aktivitäten der YEK-KOM. Auf beiden Internetpräsenzen werde jeweils das Logo der NAV-DEM abgebildet, es werde das nahezu identische Layout verwendet, wie die Screenshots vom 20. August 2015 zeigten. Die NAV-DEM sei nach eigenen Angaben Mitglied der KON-KURD-Nachfolgeorganisation (europäischer Dachverband PKK-naher Vereine) und der Vorsitzende der NAV-DEM habe im März 2014 erklärt, dass man die deutsche Demokratie nicht akzeptieren könne, wie sich aus dem Verfassungsschutzbericht des Bundes 2014, Seite 131, ergebe. YEK-KOM bzw. NAV-DEM verträten entgegen der Darstellung des Klägers auch nicht lediglich die selben politischen Forderungen wie die PKK. Vielmehr würden die von der PKK gewählten Mittel der Gewalt zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele öffentlich unterstützt, zumindest aber gebilligt. Die im verwaltungsgerichtlichen Urteil erwähnte Pressemitteilung der YEK-KOM zu den gewalttätigen Auseinandersetzungen im Jahre 2012, in der ausgeführt werde, dass sich die kurdische Bevölkerung nicht verbieten lasse, die Symbole der PKK öffentlich zu zeigen und sich zu ihr zu bekennen, zeige das klare Bekenntnis zur PKK. Von der Gewaltanwendung der PKK habe sich die YEK-KOM auch nicht distanziert.
42 
§ 54 Nr. 5 AufenthG sei im Zusammenhang mit der UN-Resolution 1373 vom 28. September 2001 zu sehen, in der die Staaten dazu aufgefordert würden, die Nutzung ihres Staatsgebietes für die Vorbereitung, Durchführung und Finanzierung internationaler terroristischer Akte zu verhindern. Daher setze § 54 Nr. 5 AufenthG nicht voraus, dass von dem betroffenen Ausländer bereits eine konkrete Gefahr ausgehe. Angesichts der außerordentlichen Gefahren des internationalen Terrorismus sei es gesetzgeberischer Wille, dass die Voraussetzungen dieses Ausweisungsgrundes deutlich niedriger anzusetzen sei.
43 
Erforderlich sei eine wertende Gesamtbetrachtung der Aktivitäten und des Verhaltens des Ausländers. Einzelne belegbare Unterstützungshandlungen müssten vorliegen, die nach vernünftiger Wertung den Schluss zuließen, dass der Ausländer in nicht völlig unerheblicher Weise eine terroristische Organisation unterstütze. Zur Sicherung vor unverhältnismäßigen Eingriffen, etwa in die Meinungsfreiheit, müsse die Tätigkeit für den Ausländer erkennbar geeignet sein, sich auf die unterstützte Vereinigung positiv auszuwirken. Lediglich politische, humanitäre oder sonstige Ziele genügten nicht, das sei auch berücksichtigt worden. Die zahlreichen Aktivitäten des Klägers auch in herausgehobener Funktion könnten nicht als bloßes Gedenken an verstorbene Verwandte gewertet werden, da zugleich der Einsatz von Gewalt als politisches Mittel gebilligt worden sei. Der Kläger in seinen herausgehobenen Funktionen habe auch gewusst, dass Märtyrergedenkveranstaltungen für die Sache der PKK instrumentalisiert würden. Zurechenbar seien ihm die Unterstützungshandlungen auch mangels klarer Distanzierung durch ihn oder die Organisationen, für die er tätig gewesen sei und ist.
44 
Die Ausweisungsverfügung sei auch nach neuem Recht rechtmäßig. Die Voraussetzungen des Art. 24 der Qualifikationsrichtlinie lägen vor, nachdem sogar jene des Art. 21 der Qualifikationsrichtlinie vom Verwaltungsgericht zu Recht bejaht worden seien. Der Kläger irre, wenn er meine, der Gerichtshof der Europäischen Union habe in seiner Entscheidung in der Rechtssache „T.“ zwingend eine Unterstützung in Form von eigenen terroristischen Tätigkeiten oder eine herausgehobene Stellung in der terroristischen Vereinigung selbst zur Voraussetzung gemacht. Stets sei der Einzelfall zu untersuchen und es gebe danach auch andere Formen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.
45 
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger den Beweisantrag gestellt: „Es soll eine Auskunft zu den Tatsachen, dass die NAV-DEM insbesondere das Ziel verfolgt, die Interessen aller Kurden aus den Staaten Syrien, Irak und Türkei und die Integration der in Deutschland lebenden Kurden zu fördern sowie die Öffentlichkeit auf die Situation der bedrohten kurdischen Minderheiten im Irak und in Syrien hinzuweisen und für die Leistung humanitärer Hilfe für diese Personengruppe zu werden, eingeholt werden durch eine Auskunft durch den Sachverständigen A. I., Steindamm 39, 20099 Hamburg“. Diesen hat der Senat abgelehnt.
46 
Dem Senat liegen die verfahrensbezogenen Akten der Behörde vor. Es hat im weiteren die sich aus Blatt 165 der Gerichtsakten ergebenden weiteren Erkenntnismittel erhoben, die den Parteien zuvor zugänglich gemacht wurden. Wegen des weiteren Vortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 13. Januar 2016 verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
47 
Die nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht und ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 6 und Abs. 3 Satz 4 VwGO) Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 27. Januar 2015 ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da die Ausweisungsverfügung den Kläger nicht in eigenen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 VwGO) (I.). Nicht streitgegenständlich ist die vom Verwaltungsgericht getroffene Befristungsentscheidung, gegen die sich der Kläger mit seinem Berufungsantrag nicht wendet (II.).
I.
48 
Die Ausweisungsverfügung ist auf § 53 Abs. 1 AufenthG i. V. m. § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in der seit 1. Januar 2016 geltenden Fassung (Art. 9 des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung, BGBl. I, S. 1386 <1399>) zu stützen; maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der der mündlichen Verhandlung des Senats (BVerwG, Urteil vom 04. Oktober 2012 - 1 C 13.11 -, Rn. 16, BVerwGE 144, 230, Rn. 16 und vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 -, BVerwGE 143, 277, Rn. 12).
49 
Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer ausgewiesen, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Dieser Grundtatbestand des neuen Ausweisungsrechts umreißt die Ausweisungszwecke auf tatbestandlicher Ebene, die in § 54 AufenthG in vertypter und zugleich gewichteter Form als Ausweisungsinteressen ausdifferenziert werden. Nicht mehr entscheidungserheblich ist danach, ob der Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren seine Ermessenserwägungen in hinreichender Form nachgebessert hat (vgl. hierzu: BVerwG, Urteil vom 13.12.2011 - 1 C 20.11 -, juris). Denn ein Ermessen ist der Ausländerbehörde aufgrund des gesetzlichen Systemwechsels, hin zu einer gebundenen Entscheidung auf Tatbestandsseite, nicht mehr eingeräumt (Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 53 AufenthG, Ausweisung, Überblick, Stand: 18.01.2016, Rn. 1; terminologisch unzutreffend daher: Marx, Aufenthalts- Asyl- und Flüchtlingsrecht, 5. Aufl. 2015, § 7, Rn. 163).
50 
Hier erfüllt das Verhalten des Klägers das danach besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (1.). § 53 Abs. 3 AufenthG modifiziert den Ausweisungsmaßstab im Sinne erhöhter Anforderungen an das Gewicht der drohenden Rechtsgutsverletzung, sofern die in dieser Vorschrift aufgeführten Personengruppen betroffen sind. Der Kläger unterfällt als anerkannter Flüchtling dieser Regelung (2.). Dem Ausweisungsinteresse gegenüberzustellen ist das Bleibeinteresse des Ausländers nach § 55 AufenthG, das der Gesetzgeber ebenfalls vertypt und zugleich gewichtet, aber nicht abschließend aufgeführt hat (3.). § 53 Abs. 1 AufenthG verlangt davon ausgehend ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, im konkreten Fall in Form des Interesses an der Beendigung des weiteren rechtmäßigen Aufenthalts, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende umfassende und abschließende Abwägung des Ausweisungsinteresses mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände einzubeziehen sind (4.). Aus all dem folgt auch, dass die Ausweisung vorliegend nicht gegen die assoziationsrechtlichen Stand-Still-Klauseln verstößt (5.).
51 
1. Im Fall des Klägers liegt ein besonders schwer wiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, der bestimmt, dass ein solches im Sinne von § 53 Absatz 1 AufenthG besonders schwer wiegt, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wovon - unter anderem dann - auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.
52 
Der Kläger unterstützt seit längerem und auch aktuell die PKK, eine terroristische bzw. den Terrorismus unterstützende Vereinigung (a.), und dies überwiegend in herausgehobener Funktion (b.).
53 
a.) Das Aufenthaltsgesetz selbst enthält keine eigene Definition des Terrorismus. Da die - insoweit - tatbestandlich deckungsgleichen Vorgängervorschriften des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG47 Abs. 2 Nr. 4 AuslG i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG; § 54 Nr. 5 AufenthG a. F.) auf die UN-Sicherheitsratsresolution 1373 (2001) vom 28. September 2001 zurückgehen (Art. 11 Nr. 3 des Gesetzes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz) vom 09.01.2002, BGBl I, Nr. 3, S. 361; Kießling, Die Abwehr terroristischer und extremistischer Gefahren durch Ausweisung, 1. Aufl., 2012, S. 187) und diese das Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl 2003 II, S. 1923) in Bezug nimmt, wird in der Rechtsprechung zunächst auf die Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 lit. b des Internationalen Übereinkommens abgestellt (BVerwG, Urteile vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 -, BVerwGE 147, 261 und vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 -, BVerwGE 123, 114; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 -, juris). Danach ist eine terroristische Straftat als eine Handlung definiert,
54 
„die den Tod oder eine schwere Körperverletzung einer Zivilperson oder einer anderen Person, die bei einem bewaffneten Konflikt nicht aktiv an den Feindseligkeiten teilnimmt, herbeiführen soll, wenn diese Handlung aufgrund ihres Wesens oder der Umstände darauf abzielt, die Bevölkerung einzuschüchtern oder eine Regierung oder internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen“.
55 
Im Weiteren wird auf den Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (2001/931/GASP) Bezug genommen (ABl. L 344 vom 28.12.2001, S. 93, juris), der in seinem Artikel 1 Abs. 3 terroristische Handlungen wie folgt definiert:
56 
„Im Sinne dieses Gemeinsamen Standpunkts bezeichnet der Ausdruck "terroristische Handlung" eine der nachstehend aufgeführten vorsätzlichen Handlungen, die durch ihre Art oder durch ihren Kontext ein Land oder eine internationale Organisation ernsthaft schädigen kann und im innerstaatlichen Recht als Straftat definiert ist, wenn sie mit dem Ziel begangen wird,
57 
i) die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern oder
58 
ii) eine Regierung oder eine internationale Organisation unberechtigterweise zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen oder
59 
iii) die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören:
60 
a) Anschläge auf das Leben einer Person, die zum Tode führen können;
61 
b) Anschläge auf die körperliche Unversehrtheit einer Person;
62 
c) Entführung oder Geiselnahme;
63 
d) weit reichende Zerstörungen an einer Regierungseinrichtung oder einer öffentlichen Einrichtung, einem Verkehrssystem, einer Infrastruktur, einschließlich eines Informatiksystems, einer festen Plattform, die sich auf dem Festlandsockel befindet, einem allgemein zugänglichen Ort oder einem Privateigentum, die Menschenleben gefährden oder zu erheblichen wirtschaftlichen Verlusten führen können;
64 
e) Kapern von Luft- und Wasserfahrzeugen oder von anderen öffentlichen Verkehrsmitteln oder Güterverkehrsmitteln;
65 
f) Herstellung, Besitz, Erwerb, Beförderung oder Bereitstellung oder Verwendung von Schusswaffen, Sprengstoffen, Kernwaffen, biologischen und chemischen Waffen sowie die Forschung und Entwicklung in Bezug auf biologische und chemische Waffen;
66 
g) Freisetzung gefährlicher Stoffe oder Herbeiführen eines Brandes, einer Explosion oder einer Überschwemmung, wenn dadurch das Leben von Menschen in Gefahr gebracht wird;
67 
h) Manipulation oder Störung der Versorgung mit Wasser, Strom oder anderen lebenswichtigen natürlichen Ressourcen, wenn dadurch das Leben von Menschen in Gefahr gebracht wird;
68 
i) Drohung mit der Begehung einer der unter den Buchstaben a) bis h) genannten Straftaten;
69 
j) Anführen einer terroristischen Vereinigung;
70 
k) Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung einschließlich durch Bereitstellung von Informationen oder materiellen Mitteln oder durch jegliche Art der Finanzierung ihrer Aktivitäten in dem Wissen, dass diese Beteiligung zu den kriminellen Aktivitäten der Gruppe beiträgt.
71 
Im Sinne dieses Absatzes bezeichnet der Ausdruck "terroristische Vereinigung" einen auf längere Dauer angelegten organisierten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, die in Verabredung handeln, um terroristische Handlungen zu begehen. Der Ausdruck "organisierter Zusammenschluss" bezeichnet einen Zusammenschluss, der nicht zufällig zur unmittelbaren Begehung einer terroristischen Handlung gebildet wird und der nicht notwendigerweise förmlich festgelegte Rollen für seine Mitglieder, eine kontinuierliche Mitgliedschaft oder eine ausgeprägte Struktur hat.“
72 
Bei der hiernach erforderlichen wertenden Gesamtschau sind insbesondere die Ausübung von Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung als auch der Einsatz gemeingefährlicher Waffen zur Durchsetzung politischer Ziele für terroristische Handlungen kennzeichnend, daneben aber auch Tötungen von abtrünnigen Mitgliedern der eigenen Organisation oder von Sicherheitskräften, sofern die Merkmale eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne des Art. 8 Abs. 2 lit. d und f des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 nicht erfüllt sind (OVG NRW, Urteil vom 02.07.2013 - 8 A 5118/05.A -, juris, unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 09.11.2010 - C-57/09, C-101/09 -, NVwZ 2011, 285; BVerwG, Urteile vom 07.07.2011 - 10 C 26.10 -, juris und vom 04.09.2012 - 10 C 13.11 -, BVerwGE 144, 230; jew. zum Ausschluss der Asylberechtigung wegen Unterstützung terroristischer Aktivitäten der PKK) bzw. eine Rechtfertigung über Art. 43 i. V. m. Art. 1 Abs. 4 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler Konflikte vom 08. Juni 1977 (BGBl. 1990 II, S. 1551) nicht in Betracht kommt (so: BGH, Beschluss vom 06.05.2014 - 3 StR 265/13 -, NStZ-RR 2014, 274, verneinend zur PKK), Der Senat ist sich danach bewusst, dass für die Definition des Terrorismus nicht schlicht auf die Anwendung von Gewalt abgestellt werden kann und auch Konstellationen denkbar sind, bei denen sich eine Gewaltanwendung als legitimes Mittel zur Wiederherstellung eines völkerrechtsgemäßen Zustands darstellt.
73 
Davon ausgehend gibt der vorliegende Fall dem Senat keinen Anlass, seine bisherige Bewertung zu revidieren, dass es sich bei der PKK um eine terroristische bzw. eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung handelt (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 -, juris; Urteil vom 16.05.2012 - 11 S 2328/11 -, juris; vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, NVwZ-RR 2012, 412).
74 
Die PKK ist auch weiterhin auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt (vgl. Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 02.05.2002 betreffend die Aktualisierung des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GSAP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus - 2002/340/GSAP -, ABl. EG L 116 vom 03.05.2002, S. 75, zuletzt aktualisiert mit Beschluss 2015/2430 des Rates vom 21.12.2015, ABl. L 337 vom 22.12.2012, S. 18 und die Durchführungsverordnung 2015/2425 des Rates vom 21.12.2015, ABl. L 334 vom 22.12.2015, S. 1), was nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union die Feststellung erlaubt, dass die Vereinigung terroristischer Art ist (Urteil vom 09.11.2010 - C-57/09, C-101/09 -, NVwZ 2011, 285). Folgt man der Auffassung der Generalanwältin Sharpston, die in der Aufnahme einer Organisation in die Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 „auf den ersten Blick“ einen „deutlichen Anhaltspunkt dafür“ sieht, „dass die Organisation entweder eine terroristische Organisation ist oder (gestützt auf Beweise, die ihrerseits rechtlich angegriffen werden können) im Verdacht steht, eine solche Organisation zu sein“ (EuGH, Schlussanträge vom 11.09.2014, C- 373/13 -, juris, Rn. 95), führt dies in Bezug auf die PKK zu keiner anderen Bewertung. Der Senat geht unbeschadet der Listung der PKK davon aus, dass von dieser keine Bindungswirkung ausgeht und daher eine eigenständige gerichtliche Prüfung der vorliegenden Erkenntnismittel nicht entbehrlich ist (so auch: BayVGH, Beschluss vom 08.05.2009 - 19 CS 09.268 -, juris; a. A.: Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 54 AufenthG, zu Abs. 1 Nr. 2, Stand: 16.01.2016, Rn. 83), gleichwohl handelt es sich um ein gewichtiges Indiz, zumal gegen eine Listung effektiver gerichtlicher Rechtsschutz gewährt wird (Bauer, in: Sinn/Zöller, Neujustierung des Strafrechts durch Terrorismus und Organisierte Kriminalität, 2013, 103 <111>, unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 09.11.2012 - C-539/10 P, 550/10 P -, juris).
75 
Der Senat legt in tatsächlicher Hinsicht zunächst die im bisherigen Verfahren vom Beklagten und dem Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen zu den Aktivitäten der PKK zu Grunde, die der Kläger auch nicht in Frage stellt (Ziffer 2.1.1. der Ausweisungsverfügung, Blatt 25 bis 27 der Akte des Verwaltungsgerichts; Ziffer 1. a) des Urteils des Verwaltungsgerichts, Seite 8, unten, letzter Absatz bis Seite 10, Blatt 8 bis 10 der Gerichtsakte).
76 
Hiervon ausgehend ist zunächst festzustellen, dass die PKK, wie in den in Bezug genommenen Entscheidungen des Senats und in dem angegriffenen Urteil des Verwaltungsgerichts schon ausgeführt, zu keinem Zeitpunkt ernst- und dauerhaft von terroristischen Aktionen Abstand genommen hat, da von ihr ausgerufene Waffenruhen stets wieder beendet wurden. Selbst während solcher Waffenruhen kam es weiterhin zu terroristischen Aktivitäten. Die Global Terrorism Database der University of Maryland (start.umd.edu unter dem Stichwort PKK) listet in ihrer aktuell bis Ende 2014 reichenden Datensammlung zahlreiche terroristische Aktivitäten in der Türkei auf, die der PKK bzw. deren militärischen Arm, der HPG, zugerechnet werden. In zwei - im Übrigen gravierenden - Fällen aus dem Jahr 2014 hat diese sogar ausdrücklich die Verantwortung für Anschläge übernommen, und zwar für einen Angriff am 26. September 2014 auf Verkehrspolizisten zwischen Diyarbakir und Bitlis, bei der drei Polizisten getötet und zwei verwundet wurden und einen weiteren „Granatenangriff“ auf eine Fabrikanlage am 24. Oktober 2014 in Kagizman, in der Provinz Kars, bei der drei der Angreifer getötet wurden. Wie sich der aktuellen Tagespresse und den weiteren Erkenntnismitteln des Gerichts entnehmen lässt, hat die PKK zuletzt Ende Juli 2015 die zuvor etwa zwei Jahre währende (relative) Waffenruhe ausdrücklich aufgekündigt. Es kam in der Folge, als Reaktion auf einen Anschlag in der türkischen Stadt Suruc, zur Ermordung zweier türkischer Polizisten in Ceylanpinar, zu der sich die PKK bekannt hat, und in der Folge zudem zu Auseinandersetzungen von pro-türkischen und pro-kurdischen Gruppen auch in Deutschland (Deutscher Bundestag, „Konflikt zwischen der Türkei und PKK“, Parlamentsnachrichten vom 22.10.2015; tagessschau.de, „PKK bekennt sich zu Anschlag auf Polizisten“, 22.07.2015, 15:29 Uhr; Deutschlandfunk.de, „PKK fühlt sich nicht mehr an erklärten Gewaltverzicht gebunden“, 05.11.2015; Wladimir van Wilgenburg, jamestown.org, TerrorismMonitor, Vol. XIII, Issue 19, 17.09.2015, „Turkey`s New Syria Policy: Preventing Islamic State an Kurdish Expansion“, S. 6 f.). Die Australian National Security weist in einer aktuellen Stellungnahme zur PKK darauf hin, dass diese zwar im Zuge der Waffenruhe mit dem türkischen Staat ihre terroristischen Aktivitäten heruntergefahren habe, gleichwohl aber seit dem 20. August 2012 über 50 Menschen durch Attacken der PKK ums Leben gekommen und über 300 gekidnappte Kinder zwischen Dezember 2013 und Mai 2014 zu verzeichnen gewesen seien (nationalsecurity.gov.au/listedterrororganisations/pages/kurdistanworkersparty). Entführungen von Kindern zur Erpressung von Geldzahlungen werden auch durch eine weitere seriöse Quelle bestätigt: M. M. berichtet in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 31. Oktober 2015 in einem ausführlichen Hintergrundbericht („Die heimlichen Herrscher von Diyarbakir“, S. 7) von einer größer werdenden Abhängigkeit gewählter Politiker der HDP von der PKK in den kurdischen Gebieten der Türkei mit nach Auskunft von kurdischen Menschenrechtlern, wie etwa S. B., fatalen Folgen für jene Kurden, die bei der PKK nicht wohlgelitten seien: „Die PKK sieht sich keinen moralischen oder rechtlichen Werten unterworfen“, so B.. Wer ins Fadenkreuz der PKK gerate, könne auf niemanden hoffen. Die PKK treibe ihre eigenen Steuern ein und entführe Kinder von Leuten, die nicht zahlten. Er, B., sei überrascht, dass man im Ausland so wenig darüber wisse. Und weiter: In Diyarbakir sei es leichter, Erdogan oder den türkischen Staat anzugreifen als die PKK. „Der Preis für Kritik an der PKK kann der Tod sein, das Verbrennen von Autos, Häusern, Büros. Ich habe viele Drohungen bekommen.“, so B..
77 
Angesichts dieser Erkenntnislage kann keine Rede davon sein, die PKK hätte sich zu einer den Menschenrechten und der Demokratie verpflichteten Organisation gewandelt. Die Erschießung von Verkehrspolizisten, der Angriff auf eine Fabrikanlage mit Granaten sowie die Entführung von Kindern zur Finanzierung der eigenen Aktivitäten lassen sich nach Auffassung des Senats nicht als Kampfhandlungen in einem innerstaatlichen Konflikt oder gar als ein völkerrechtlich gerechtfertigtes Handeln in einem solchen bewerten (vgl. hierzu: BGH, Beschluss vom 06.05.2014 - 3 StR 265/13 -, NStZ-RR 2014, 274).
78 
Der Senat sieht sich hier auch in Übereinstimmung mit den aktuellen Bewertungen der PKK und deren Teilorganisationen durch den Bundesgerichtshof, (Beschluss vom 03.09.2015 - AK 27/15 -, BeckRS 2015, 16318; vom 19.03.2015 - AK 2/15 -, juris; vom 06.05.2014 - 3 StR 265/13 -, NStZ-RR 2014, 274, auch zur Zurechnung von Taten der TAK zur PKK; vom 16.02.2012 - AK 1/12 und AK 2/12 -, juris, zur KCK und der HPG; Urteil vom 28.10.2010 - 3 StR 179/10 -, NJW 2011, 542; vgl. auch Haverkamp, ZStW 2011, 92 <96>, Fn. 25, die bezüglich der PKK von einer Allianz von Terrorismus mit organisierter Kriminalität ausgeht).
79 
Soweit der Kläger daher auf veränderte politische Umstände und dabei insbesondere darauf abstellen will, dass die PKK sich nunmehr dem Kampf gegen den IS, dem Schutz der Zivilbevölkerung im Norden Syriens verpflichtet fühle, den bewaffneten Kampf gegen die Türkei aufgegeben habe und entgegenstehende Äußerungen hochrangiger Funktionäre der PKK als Teil der Propaganda zwischen der PKK und dem türkischen Staat zu bewerten seien, ist dies auch durch das aktuelle Vorgehen der PKK eindrucksvoll widerlegt. Selbst wenn man mit dem Kläger einmal unterstellt, die PKK sei mit der YPG gleichzusetzen und in Syrien dem Schutz der Kurden und Jesiden verpflichtet, ändert dies nichts an den in der Türkei verübten terroristischen Taten.
80 
b.) Davon ausgehend stellen sich die vom Kläger unbestritten entfalteten Aktivitäten ab Dezember 2010 als Unterstützungshandlungen zu Gunsten der PKK dar, die ihm als Ausweisungsinteresse auch vorgehalten werden dürfen.
81 
Im konkreten Fall können allerdings nur noch diejenigen Aktivitäten des Klägers ein solches begründen, die dieser nach erfolgter Mitteilung im Juli 2010 an ihn, dass wegen seiner Aktivitäten die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis bzw. seine Ausweisung geprüft werde, entfaltet hat. Davor liegende sind aus Gründen des Vertrauensschutzes verbraucht. Denn ein Ausweisungsinteresse ist, wie auch bislang schon ein Ausweisungsgrund, verbraucht, wenn ein Aufenthaltstitel in Kenntnis bzw. in der Sphäre des Staates zuzurechnender Unkenntnis desselben erteilt bzw. verlängert wurde (Discher, in: GK-AufenthG, Juni 2009, Vor §§ 53. ff. AufenthG, Rn. 382 ff., m. w. N.). So liegt der Fall hier. Darauf, ob solche Aktivitäten der den Titel erteilenden Ausländerbehörde tatsächlich selbst bekannt waren, kommt es mit Blick auf den damit bezweckten Vertrauensschutz, der sich aus der Perspektive des betroffenen Ausländers bestimmt, nicht entscheidend an. Vielmehr genügt es, wenn solche Aktivitäten der Ausländerbehörde hätten bekannt sein können, was hier der Fall ist, nachdem diese selbst eine Sicherheitsüberprüfung mit Blick auf vorliegende Erkenntnisse eingeleitet und sodann die Niederlassungserlaubnis erteilt hat, ohne das Ergebnis der Überprüfung abzuwarten. Dass dies unter der - irrigen - Annahme erfolgte, eine Überprüfung sei vorliegend rechtlich nicht erforderlich, ändert hieran nichts.
82 
Diese Aktivitäten des Klägers sind auch überwiegend als Unterstützungshandlungen im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu werten, insoweit gelten die Maßstäbe des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung vom 30. Juli 2004 (BGBl I, S. 1950) - AufenthG a. F. und die hierzu in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze - weiterhin. Als tatbestandserhebliches Unterstützen ist hiernach jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirkt. Dazu zählt zum Beispiel auch jedes Tätigwerden eines Nichtmitglieds, das die innere Organisation und den Zusammenhalt der Vereinigung fördert, ihren Fortbestand oder die Verwirklichung ihrer auf die Unterstützung terroristischer Bestrebungen gerichteten Ziele fördert und damit ihre potenzielle Gefährlichkeit festigt und ihr Gefährdungspotenzial stärkt. Auf einen beweis- und messbaren Nutzen für die Verwirklichung der missbilligten Ziele kommt es ebenso wenig an wie auf eine subjektive Vorwerfbarkeit. Allerdings kann nicht jede Handlung, die sich zufällig als für die betreffende Vereinigung bzw. den Terrorismus objektiv vorteilhaft erweist, als tatbestandsmäßiges Unterstützen verstanden werden. Vielmehr muss die eine Unterstützung der Vereinigung bezweckende Zielrichtung des Handelns für den Ausländer regelmäßig erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein, nicht vorausgesetzt wird, dass diese ihm auch bekannt ist und er sich dessen bewusst sein muss. Auch fehlt es an einem Unterstützen, wenn jemand allein einzelne politische, humanitäre oder sonstige Ziele der Organisation, nicht aber auch die Unterstützung des internationalen Terrorismus befürwortet - und sich hiervon gegebenenfalls deutlich distanziert - und lediglich dies durch seine Teilnahme an erlaubten Veranstaltungen in Wahrnehmung seines Grundrechts auf freie Meinungsäußerung nach außen vertritt. Dienen solche Veranstaltungen allerdings erkennbar dazu, nicht nur einzelne Meinungen kundzutun, wie sie auch die Vereinigung vertritt, sondern soll durch die - auch massenhafte - Teilnahme jedenfalls auch diese Vereinigung selbst vorbehaltlos und unter Inkaufnahme des Anscheins der Billigung ihrer terroristischen Bestrebungen (beispielsweise wegen des angekündigten Auftretens von Funktionären einer verbotenen Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt) gefördert werden, dann liegt ein im Hinblick auf den Normzweck potenziell gefährliches Unterstützen im Sinne von § 54 Nr. 5 AufenthG a. F. bzw. § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG n. F. vor, der die Freiheit der Meinungsäußerung insoweit verhältnismäßig beschränkt. Eine Unterstützung kann ferner dann in Betracht kommen, wenn durch zahlreiche Beteiligungen an Demonstrationen und Veranstaltungen im Umfeld einer Vereinigung - wie der verbotenen PKK - bei einer wertenden Gesamtschau feststeht, dass der Ausländer auch als Nichtmitglied in einer inneren Nähe und Verbundenheit zu der Vereinigung selbst steht, die er durch sein Engagement als ständiger (passiver) Teilnehmer zum Ausdruck bringt, und damit deren Stellung in der Gesellschaft (vor allem unter Landsleuten) begünstigend beeinflusst, ihre Aktionsmöglichkeiten und eventuell auch ihr Rekrutierungsfeld erweitert und dadurch insgesamt zu einer Stärkung ihres latenten Gefahrenpotenzials beiträgt. Dabei muss allerdings die terroristische oder den Terrorismus unterstützende Tätigkeit der Vereinigung im In- oder Ausland zum jeweiligen Zeitpunkt feststehen und das Verhalten des Einzelnen auch unter Berücksichtigung etwaiger glaubhafter Distanzierungen von der Unterstützung des Terrorismus (oder das Fehlen jeglicher Distanzierung) gewürdigt werden. Eine darüber hinausgehende konkrete oder persönliche Gefährdung der inneren oder äußeren Sicherheit ist dagegen nicht erforderlich. Ebenso wenig ist ein "aktives Tätigwerden" erforderlich (BVerwG, Urteil vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 -, InfAuslR 2005, 374, zur früheren Regelung des § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG; vgl. auch Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 -, juris, m. w. N.; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 08.12.2010 - 11 S 2366/10 -, InfAuslR 2011, 105; Urteil vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 - juris, vom 21.04.2010 - 11 S 200/10 -, DVBl 2010, 797; vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, juris; vom 14.05.2014 - 11 S 2224/13 -, juris; BayVGH, Urteil vom 29.11.2010 - 11 K 1763/10 -, juris).
83 
Soweit der Kläger die dargestellten rechtlichen Maßstäbe in grundsätzlicher Art angreift, überzeugt dies den Senat nicht.
84 
Der Senat folgt nicht seiner Auffassung, Verfassungs- bzw. Unionsrecht verlangten, dass das individuelle mit der Ausweisung bekämpfte Verhalten des Einzelnen eine konkrete mit der jeweiligen Einzelhandlung verbundene Gefahr für wichtige Gemeinschaftsgüter hervorrufe. Ein verfassungs- oder unionsrechtlicher Rechtssatz, der dazu zwingen würde, nur konkrete terroristische Gefahren mit der Ausweisung zu bekämpfen, ist nicht ersichtlich. Die dahingehende Argumentation des Klägers bleibt daher auch gänzlich unspezifisch. Es ist nichts Grundsätzliches dagegen einzuwenden, wenn der Gesetzgeber mit Blick auf die spezifischen Gefahren terroristischer Aktivitäten unter Berücksichtigung der Bedeutung der davon betroffenen hochrangigen Rechtsgüter (Leib, Leben, Freiheit der Bevölkerung, hohe Sachwerte sowie die innere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik) und des zumeist konspirativen (Beweisnot), ideologisch motivierten Vorgehens solcher Vereinigungen (Gruppendynamik), aus denen sich gravierende Nachweisschwierigkeiten und deren erschwerte Bekämpfbarkeit ergeben, mit einer Absenkung des Gefahrenmaßstabs reagiert. Dies entspricht anerkannten Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts.
85 
Soweit der Kläger meint, es sei stets ein Vollbeweis zu führen, gilt nichts anderes. Der gesetzlich normierte abgesenkte Beweismaßstab der Regelung ist dem Grunde nach, insbesondere mit Blick auf die bereichstypische Beweisnot und die Hochwertigkeit der zu schützenden Rechtsgüter, rechtlich unbedenklich, weil sachangemessen. Die Grenzen sind gegebenenfalls von der Rechtsprechung anhand konkreter Fälle zu präzisieren, was auch geschieht (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 -, NVwZ 2012, 701; vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 -, NVwZ 2005, 1091; VGH Bad.-Württ, Urteil vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 -, juris; BayVGH, Beschluss vom 09.11.2005 - 24 CS 05.2621 -, NVwZ 2006, 1306; siehe auch: Berlit, NVwZ 2013, 327, m. w. N; Kirsch, NVwZ 2012, 677; Eckertz-Höfer, in: Barwig u. a., Perspektivwechsel im Ausländerrecht?, 2007, 105 <114>; Marx, ZAR 2004, 275). Auch ist sich der Senat durchaus der Problematik von Beweisketten bewusst, bei denen “sich die Beweiskraft […] umso mehr verringert, je länger die Kette ist, und umso schneller vermindert, je geringer die jeweilige Beweiskraft der je einzelnen Indizien ist“ (so schon: Bender/Röder/Nack, Tatsachenfeststellungen vor Gericht, Band I, 1. Aufl., 1981, S. 181 f.). Daraus erwächst in vorliegendem Fall allerdings schon deshalb kein entscheidungserhebliches Problem, weil weder die dem Kläger vorgehaltenen Aktivitäten in tatsächlicher Hinsicht im Streit stehen, noch die der Vereinigungen, in denen er tätig war und ist und letztlich auch nicht die der PKK, sondern jeweils nur deren Bewertung.
86 
Zudem ist inzwischen geklärt, dass eine gleichlaufende Auslegung von straf- und ausweisungsrechtlichem Unterstützungsbegriff nicht geboten ist (BVerwG, Urteil vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 -, NVwZ 2012, 701). Die nicht deckungsgleichen Ziele des Strafrechts einerseits und des Rechts der Gefahrenabwehr andererseits schließen die Möglichkeit einer effektiven Abwehr terroristischer Gefahren einzig über das Strafecht oder auf der Grundlage der dieses Rechtsgebiet prägenden Begrenzungen aus. Strafe im verfassungsrechtlichen Sinne, verstanden als auch „sozialethisches Unwerturteil“ (so: BVerfG, Beschluss vom 09.07.1997 - 2 BvR 1371/96 -, BVerfGE 96, 245) dient als reaktive Maßnahme vornehmlich dem Schuldausgleich, die Prävention ist nur ein Teilaspekt der Strafzumessung und diese ist wiederum begrenzt durch die individuelle Schuld des Täters (§ 46 Abs. 1 Satz 1 StGB). Damit ist sie im Kern auf die Aufarbeitung schon geschehener oder versuchter Taten (§ 22 StGB) begrenzt. Ihre daher nur punktuell zulässige Erstreckung auf Vorfeldaktivitäten steht, wie die §§ 89a, 129a, 129b StGB und die dazu ergangene Rechtsprechung deutlich machen, in einem verfassungsrechtlichen Spannungsverhältnis, das es ausschließt, eine hinreichend effektive, insbesondere aktive und rechtzeitige Abwehr künftiger Gefahren nach Opportunitätsgesichtspunkten über Strafvorschriften oder unter Bindung an deren Begrenzungen zu gewährleisten.
87 
Wenn der Kläger sich schließlich darauf beruft, stets nur an erlaubten (präziser: nicht verbotenen) Veranstaltungen teilgenommen zu haben bzw. teilzunehmen und stets nur für nicht verbotene Vereine tätig zu sein, greift dies aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen nicht durch: Aus rechtlichen nicht, da § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG im Gegensatz zu Nr. 3 der Vorschrift gerade nicht auf ein Verbot abstellt und ein solches deren Mitglieder vermehrt zu konspirativem Verhalten veranlassen kann, ohne dass damit für die Gefahrenabwehr viel gewonnen wäre. Es kann daher aus Gründen der Gefahrenabwehr opportun sein, von einem solchen abzusehen. Aus tatsächlichen nicht, da es fern liegt, annehmen zu wollen, dem Kläger sei das auch terroristische Verhalten der PKK in der Türkei entgangen und er sei sich im Unklaren über die Bedeutung seines eigenen Tuns, zumal er sich augenscheinlich fast ausschließlich mit der Kurdenthematik zu beschäftigen scheint und er die vom Gericht mitgeteilten Erkenntnisse zur PKK sowie der YEK-KOM bzw. NAV-DEM noch nicht einmal ansatzweise in Abrede gestellt hat (dazu sogleich unten).
88 
Nach den dargelegten Maßstäben stehen zur Überzeugung des Senats hier eine Vielzahl von Tatsachen fest, die die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Kläger die PKK und damit den Terrorismus unterstützt, so die Mitgliedschaft und die Übernahme von Vorstandsfunktionen in PKK-nahen Vereinen, weitere herausgehobene Tätigkeiten als Redner und Organisator von PKK-nahen Veranstaltungen und die über Jahre hinweg fortgesetzte Teilnahme an den unterschiedlichsten Aktionen und Veranstaltungen solcher Vereinigungen.
89 
Im Einzelnen sind dem Kläger zunächst die sich aus der Ausweisungsverfügung ergebenden Aktivitäten bis zur Erteilung der Niederlassungserlaubnis an ihn vorgehalten worden, auf die hier verwiesen wird (Ziffer 1.2. der Ausweisungsverfügung, Seite 3 bis 9; Blatt 16, unten, bis einschl. Blatt 23, erster Absatz oben, der Akte des Verwaltungsgerichts) und die von diesem ebenso wenig in Abrede gestellt werden, wie die weiteren, die der Kläger nach Mitteilung des Beklagten an ihn im Juli 2010, dass eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis bzw. eine Ausweisung mit Blick auf seine Aktivitäten zu Gunsten der PKK geprüft werde, entfaltet hat:
90 
- Am 5. Dezember 2010 nahm er an einer PKK-Gründungsfeier in Lampertheim in der Siedlerhalle teil. Dort waren eine KCK-Fahne und ein Öcalan-Porträt angebracht. Ein in Guerillauniform auftretender Redner lobte die eigene Partei als wichtige und modern ausgerichtete Organisation, die den kurdischen Freiheitskampf auf die internationale Bühne gebracht habe. Dies habe man dem großen Führer Apo und den Parteimärtyrern zu verdanken. Man dürfe auch die Kämpfer an der Front nicht vergessen, die man von hier aus grüße. Ein weiterer Redner referierte über die Geschichte der PKK.
91 
- Am 20. Februar 2011 nahm der Kläger an einer Mitgliederversammlung der kurdischen Gemeinschaft Heilbronn e.V. (KG HN) teil. Nach einer Schweigeminute für die Märtyrer Kurdistans und der ganzen Welt referierte er über die unzureichende Vorstandstätigkeit des Vereins und forderte dazu auf, verstärkt Mitglieder zu werben. Er wisse, dass im Raum Heilbronn 500 bis 600 kurdische Familien lebten, die meisten von ihnen hätten aber nur deswegen keinen Kontakt zum Verein, weil sie Angst vor den deutschen Behörden hätten. Es bestünde kein Grund zur Furcht, da alles angemeldet und der Verein absolut legal sei. Der Kläger bat die Anwesenden, auf die Kurden zuzugehen, mit ihnen zu reden und ihnen die Angst zu nehmen.
92 
Nach Durchführung der Sicherheitsbefragung am 23. Februar 2011:
93 
- Am 5. August 2011 war der Kläger in der Yeni Özgür Politika (YÖP) abgebildet, dies anlässlich einer Kampagne zur Anerkennung der kurdischen Identität, organisiert von der YEK-KOM. Laut der Berichterstattung hat er im Heilbronner Verein über die Ziele der Kampagne informiert.
94 
- Laut Mitteilung des Polizeipräsidiums Mannheim vom 30. Januar 2012 war der Kläger am 4. November 2011 Teilnehmer und Redner bei einem Aufzug mit Kundgebung in Mannheim zum Thema „türkische Regierung verwendet Napalmgas und chemische Waffen gegen die türkische Bevölkerung/Schluss mit der Isolationshaft von Öcalan/Schluss mit den Verhaftungswellen in der Türkei gegen die kurdischen Politiker“. Der Redebeitrag des Klägers habe den Eindruck hoher Emotionalität vermittelt.
95 
- Am 2. Dezember 2011 nahm er an einer Gedenkfeier zum 33. Partei-gründungs-Jahrestag, dem 27. November 1978, in Heilbronn teil. Auch dort hingen Bilder von Öcalan und Parteifahnen, auch der ERNK, der früheren Propagandaorganisation der PKK. Nach einer Gedenkminute für die kurdischen Märtyrer und der Begrüßung schilderte ein Redner die Parteigründung durch Öcalan und dessen Genossen. Die Erfolgsgeschichte der Partei dauere bis heute an, leider aber auch ihre Schwierigkeiten, bedauerlicherweise auch in Europa. Es sei erforderlich, die Partei zu unterstützen. Es wurden mehrfach Parolen wie „Es lebe Öcalan“ und „Unsere Märtyrer sind nicht gestorben“ skandiert. Auch dort waren fast ausschließlich PKK-Unterstützer zugegen.
96 
- Am 13. Dezember 2011 wurde der Kläger erneut in der YÖP anlässlich eines Vereinskongresses in Stuttgart erwähnt. Er forderte dort die hier lebenden Kurden auf, stärker für ihre Identität einzutreten.
97 
Nach Verfügung der Ausweisung am 10. Januar 2012:
98 
- In der YÖP vom 14. Februar 2012 wurde er als Teilnehmer des 3. Kongresses der kurdischen Gemeinschaft Heilbronn e.V. abgebildet. Er führte dort in seiner Rede aus, dass die Kurden in der Türkei und in Europa unter Beschuss stünden, da ihnen die Existenz ihrer eigenen Kultur abgesprochen werde.
99 
- Aus dem Bericht des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden Württemberg vom 19. Dezember 2012 ergibt sich, dass der Kläger zwar das Amt des 2. Vorsitzenden der YEK-KOM seit Ende 2011 nicht mehr ausübt, er jedoch bereits im Mai 2012 erneut in den Vorstand der YEK-KOM gewählt wurde.
100 
- In dieser Funktion ist er ausweislich des weiteren Berichts des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg vom 17. Oktober 2013 beispielsweise als Versammlungsleiter des 20. kurdischen Kulturfestivals am 8. September 2012 in Mannheim in Erscheinung getreten. Bei dieser Veranstaltung kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen Polizeibeamte.
101 
- Er ergriff am 16. Januar 2013 in Mannheim im Rahmen einer Solidaritätsdemonstration für die drei in Paris ermordeten PKK-Aktivistinnen das Wort und verurteilte das Attentat scharf. Er vertrat die Meinung, dass die Morde nicht nur in den Personen der Aktivistinnen angesiedelt seien, sondern auch auf politische Überlegungen zurückzuführen seien, die einen Fortbestand der kriegerischen Auseinandersetzungen der Heimat zum Ziel hätten. Die Geheimdienste stünden hinter diesem Anschlag. Der französische Staat könne diesen problemlos aufklären, wenn er dies nur wolle. Folglich müssten die Kurden einen legitimen demokratischen Druck auf den französischen Staat ausüben. Der Kläger rief zu Sitzstreiks in allen Städten mit französischen Botschaften und ähnlichen Einrichtungen auf, bis eine Aufklärung des Attentats erfolgt sei.
102 
- Am 21. Mai 2013 war der Kläger im Namen der YEK-KOM bei den Vorstandswahlen der kurdischen Gemeinschaft Heilbronn e.V. anwesend.
103 
- Am 8. September 2013 fungierte der Kläger als Versammlungsleiter bei einer Mitgliederversammlung mit Vorstandswahl des PKK-nahen mesopotamischen Anadolu Kulturvereins e.V. (MAK). Zur PKK-Nähe des MAK Lahr sei auf den Bericht des Landesamtes vom 9. März 2010 an das Innenministerium zu verweisen.
104 
- Am 29. April 2014 war der Kläger in der YÖP als Teilnehmer des Gründungskongresses des kurdischen-demokratischen Gesellschaftszentrums am 27. April 2014 in den Räumlichkeiten des PKK-nahen kurdischen Kulturvereins e.V. in ... abgebildet.
105 
- Am 10. Oktober 2015 hielt der Kläger anlässlich einer Protestaktion in Frankfurt im Namen der NAV-DEM eine Rede.
106 
Nach „Auflösung“ der YEK-KOM am 22. Juni 2014 ließ sich der Kläger am selben Tag in gleicher Sitzung, zusammen mit einem weiteren Vorstandsmitglied der YEK-KOM, in den fünfköpfigen Vorstand der NAV-DEM wählen. Diese Vorstandstätigkeit übt er bis heute aus, und er ist in dieser Funktion seitdem auch als Redner und Versammlungsleiter auf zahlreichen Veranstaltungen aufgetreten, die erkennbar der Propaganda für die PKK dienten. Der Kläger engagiert sich damit seit langem ohne Zäsur in herausgehobener Position unterstützend für die PKK.
107 
Daran, dass die YEK-KOM die PKK unterstützt hat, bestehen weiterhin keine vernünftigen Zweifel. Hierzu hat der Senat schon in seinem Urteil vom 7. Dezember 2011 - 11 S 897/11 -, juris Rn. 47, das vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 -, InfAuslR 2013, 418, bestätigt wurde, ausgeführt:
108 
„Für eine PKK-Nähe des Vereins spricht schon der Umstand, dass dieser Mitglied bei der YEK-KOM, der „Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V.“ war. Dies lässt sich dem vom Kläger im Asylverfahren vorgelegten Protokoll über die Mitgliederversammlung vom 25.01.1997 entnehmen, in welcher die Vereinsmitglieder - nach Darstellung der Arbeit und der Bedeutung der YEK-KOM - für eine Mitgliedschaft des Vereins in dieser Dachorganisation gestimmt haben. Die YEK-KOM, deren Sitz in Düsseldorf ist und der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK durch eine Vielzahl von Aktionen. Dies wird in der überzeugenden „Einschätzung“ des Landesamts für Verfassungsschutz vom 17.06.2010 im Einzelnen ausführlich dargelegt. Die YEK-KOM sei ihrerseits Mitglied der „Konföderation der Kurdischen Vereine in Europa“ (KON-KURD). Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen bzw. ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie „Freiheit für Öcalan“ und „Frieden für Kurdistan“. In einer zusammenfassenden Bewertung heißt es, im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die „logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans“ verankert. Die von der YEK-KOM sowohl in ihren Publikationen als auch bei ihren Veranstaltungen und Aktionen aufgegriffenen Themen lägen im Interessenbereich der PKK. Zu nennen seien insbesondere die Aufhebung des PKK-Verbots und die Freilassung Abdullah Öcalans. Der Verein biete der PKK bzw. ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Zusammenfassend lasse sich daher sagen, dass eine eindeutige Nähe des Vereins YEK-KOM zur PKK bzw. zu ihren Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL vorliege.“
109 
Für die NAV-DEM gilt insoweit nicht anderes. Soweit der Kläger unter Verweis auf schriftliche Erklärungen der NAV-DEM meint, dass diese eine andere Ausrichtung als die YEK-KOM habe, nämlich den Kampf gegen den IS, die Förderung der Integration der in Deutschland lebenden Kurden und die Gleichstellung und die Gleichberechtigung der Frauen, überzeugt dies den Senat nicht. Das Verwaltungsgericht hat schon zu Recht auf die fehlende tatsächliche Veränderung der Aktivitäten des Vereins abgestellt, der zudem nicht neu gegründet, sondern nur umbenannt wurde. Es verweist zutreffend auf die Pressemitteilung des Vereins vom 18. Juli 2014, aus der sich ergibt, dass die NAV-DEM selbst nach eigenem Verständnis die Arbeit der YEK-KOM fortführt. Die vom Senat eingesehene Internetpräsenz (navdem.com) bestätigt dies, die Überschrift der Pressemitteilung vom 18. Juli 2014 lautet:
110 
„YEK-COM heißt jetzt NAV-DEM“
111 
Die weiteren dort aufgeführten Pressemitteilungen verdeutlichen im Übrigen die Fortführung der Veranstaltungen und Kundgebungen mit gleichem Ablauf und gleichen Themen wie zuvor schon unter dem Namen YEK-KOM:
112 
- Eintrag vom 7. September 2014, Interview mit Yüksel Koc „Das Verbot kriminalisiert die Kurden“, anlässlich einer Festnahme eines Mannes durch die Generalbundesanwaltschaft, der Geld für die PKK gesammelt haben soll, was, nach Koc, eine Kriminalisierung politischer Arbeit bedeute, da dieser selbst keine Gewalt ausgeübt habe.
113 
- Eintrag zur Kundgebung am 13. September 2014 in Düsseldorf unter dem Motto „Freiheit für Öcalan - Status für die Kurden“.
114 
- Eintrag vom 6. März 2015: Aufruf zur Newroz-Demonstration am 21. März 2015 in Bonn.
115 
Der Beklagte hat zudem unwidersprochen und zutreffend darauf hingewiesen, dass NAV-DEM und YEK-KOM identische Logos auf ihren Internetpräsenzen verwenden und der Vorsitzende der NAV-DEM im März 2014 erklärt habe, man könne die deutsche Demokratie nicht akzeptieren. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz geht in seiner Broschüre zur „Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)“ vom Juli 2015, dort S. 18, davon aus, dass die NAV-DEM in Nachfolge der YEK-KOM wie diese auch als Dachverband von örtlichen Vereinen diene, in denen die PKK Informationen steuere und Vorgaben umsetze und dass sich die NAV-DEM durch eine aktive Öffentlichkeits- und Kampagnenarbeit sowie den Aufbau von Kontakten zu politischen Entscheidungsträgern bemühe, weitere Unterstützung für deren Anliegen zu erhalten. Diese Einschätzung teilt der Senat aufgrund der dargestellten tatsächlichen Umstände und sieht sich dabei auch die Aktivitäten des Klägers selbst bestätigt.
116 
Soweit der Kläger meint, dass es dem Verwaltungsgericht an ausreichender Sachkunde gefehlt habe, um eine Änderung des Aufgabenspektrums zu verneinen, erschöpft sich dies in einer schlichten Behauptung, die auf nichts gestützt wird. Sämtliche vom Verwaltungsgericht und dem Beklagten ausführlich dargelegten tatsächlichen Aktivitäten der YEK-KOM und nachfolgend der NAV-DEM sowie der Redner und Teilnehmer an deren Veranstaltungen lässt der Kläger gänzlich unkommentiert, obwohl es ihm als 2. Vorstandsmitglied der NAV-DEM ein Leichtes sein müsste, Tatsächliches zum Verein vorzubringen, das die Wertungen des Verwaltungsgerichts und des Beklagten diesbezüglich erschüttern würde. Es spricht hier daher auch nach Überzeugung des Senats nichts dafür, dass sich an der Ausrichtung oder dem Aktivitätenspektrum etwas geändert haben könnte, zumal es seitens des Vereins zu keinem Zeitpunkt zu eine Distanzierung von der PKK oder auch nur der YEK-KOM gekommen ist.
117 
Dem Beweisantrag des Klägers war vor diesem Hintergrund nicht nachzugehen, zumal etwaige weitere Vereinsziele, die unter Beweis gestellt worden sind, die dargelegten Aktivitäten und Zielrichtungen nicht neutralisieren. Überdies konnte der Kläger nicht dartun, weshalb der von ihm benannte Sachverständige hinreichende Sachkunde haben könnte. Dies hätte ihm oblegen, weil der auf die Bestrebungen und Ziele der NAV-DEM gerichtete Beweisantrag die Benennung eines Sachverständigen erforderte, der über eine spezielle Sachkunde, nämlich über interne Kenntnisse über die NAV-DEM, verfügt, die nicht von jedem Sachverständigen gleichermaßen reproduzierbar ist (vgl. Krehl, in: Karlsruher Kommentar StPO, 7. Aufl., 2013, § 244 StPO, Rn. 80).
118 
Bereits aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied sind dem Kläger sämtliche Aktionen der YEK-KOM und der NAV-DEM zuzurechnen (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, juris, Rn. 50, m. w. N.). Soweit der Kläger dies bezweifelt, ist dies nicht nachvollziehbar, da er selbst darauf hinweist, dass die von ihm insoweit in Bezug genommene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union darauf abstellt, dass bei einer hervorgehobenen Position eine individuelle Verantwortlichkeit unter Prüfung sämtlicher erheblicher Umstände vermutet werden könne. Unbeschadet dessen bestehen für den Senat aber auch keine vernünftigen Zweifel daran, dass die vom Kläger entfalteten Aktivitäten von diesem in dem Bewusstsein und mit dem Willen erfolgt sind und erfolgen, die PKK aktiv und vorbehaltlos zu unterstützen. Das wird deutlich, wenn man das Verhalten des Klägers seit 2004 und auch nach Juli 2010 in der gebotenen Gesamtschau in den Blick nimmt, wie es der Beklagte - vom Kläger unwidersprochen - geschildert hat. Der Aspekt des Vertrauensschutzes gebietet es nicht, bei der Würdigung des Verhaltens des Klägers dessen früheres Verhaltes insgesamt auszublenden. Ein schützenswertes Vertrauen besteht nur insoweit, als die zuvor entfalteten Aktivitäten für sich genommen keine Ausweisung mehr rechtfertigen können. Bei der notwendigen Bewertung neuer, nachfolgender Aktivitäten kann weiterhin auf das gesamte Verhalten des Ausländers zurückgegriffen werden (Discher, a.a.O., Rn. 391; BVerfG, Beschluss vom 19.08.1983 - 2 BvR 1284/83 -, NVwZ 1983, 667; OVG Bln.-Bbg., Beschluss vom 24.10.2013 - OVG 3 N 169.12 -, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.05.2012 - 11 S 2328/11 -, juris).
119 
Nach wie vor engagiert sich der Kläger unbeschadet des Ausweisungsverfahrens im Rahmen des Vereins als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter und Redner an Veranstaltungen, die angesichts deren Ablaufs, der dort gehaltenen Reden und der klaren Ausrichtung auf den Führerkult um Öcalan und gefallene Märtyrer auch für den Senat keinen Zweifel aufkommen lassen, dass der Kläger sich, wie auch die NAV-DEM, den Zielen der PKK verpflichtet fühlt, diese mit ihrem Tun unterstützen will und dabei deren Mittel umfassend zumindest billigt, insbesondere auch deren spezifisch als terroristisch zu qualifizierendes Handeln. Seine Teilnahme an Veranstaltungen, wie der am 5. Dezember 2010 an einer PKK-Gründungsfeier in Lampertheim, bei der eine KCK-Fahne und ein Öcalan-Porträt angebracht waren und in der ein in Guerillauniform auftretender Redner die eigene Partei als wichtige und modern ausgerichtete Organisation lobte, die den kurdischen Freiheitskampf auf die internationale Bühne gebracht habe und in der ausgeführt wurde, dass man dies dem großen Führer „Apo“ (gemeint ist Öcalan) und den Parteimärtyrern zu verdanken habe und man die Kämpfer an der Front nicht vergessen dürfe, die man von hier aus grüße, verdeutlichen dies in aller Klarheit. Für seine Teilnahme an einer Gedenkfeier zum 33. Parteigründungs-Jahrestag in Heilbronn am 2. Dezember 2011, bei der zur Unterstützung der PKK aufgefordert und Parolen wie „Es lebe Öcalan“ und „Unsere Märtyrer sind nicht gestorben“ skandiert wurden, gilt nichts anderes. Soweit man aus den weiteren dargestellten Aktivitäten des Klägers ableiten wollte, dass dieser sich nach Erlass der Ausweisungsverfügung gemäßigter verhält, ist dies nach Überzeugung des Senats mit Blick auf das laufende Verfahren taktisch motiviert und lässt nicht den Schluss zu, dass der Kläger, der weiterhin eine führende Rolle in der NAV-DEM spielt, von seinem bisherigen Verhalten glaubhaft Abstand nimmt (§ 54 Abs. 1 Nr. 2 2. Halbsatz AufenthG). Sein beredtes Schweigen zu sämtlichen vom Beklagten zusammengetragenen Tatsachen macht dies deutlich.
120 
Das gegenteilige Bild, das der Kläger von seiner Motivation und Haltung zeichnet, ohne hierfür nachvollziehbare Fakten zu benennen, steht daher in offenem Widerspruch zu seinem tatsächlichen Verhalten. Im Übrigen erschöpft sich sein Vortrag hierzu in dem Versuch einer Umdeutung seines Verhaltens, die schon im Ansatz nicht überzeugt. Es ist das eine, um Verstorbene zu trauern oder ihrer zu gedenken, aber etwas gänzlich anderes, Veranstaltungen als Redner oder in Vereinsfunktion zu gestalten oder vorbehaltlos an solchen teilzunehmen, die etwa von in Guerillauniform auftretenden Rednern geprägt werden und in denen der Kampf der PKK in der Türkei glorifiziert wird. Erkennbar geht es auf den vom Kläger mitgestalteten und besuchten Veranstaltungen nicht einfach um die legitime Kundgabe von Meinungen, sondern immer auch um die gezielte moralische, finanzielle und personelle Unterstützung des für legitim gehaltenen und auch terroristische Mittel einsetzenden Kampfes der PKK. Dass damit die PKK auch in der Wahl ihrer Mittel vorbehaltlos unterstützt wird, kann dem Kläger nicht entgangen sein, nachdem dort Auftritte in Guerillauniform stattfinden, den „Märtyrern“ gedacht wird und den Kämpfern an der Front Grußbotschaften gesandt werden. Es greift daher auch viel zu kurz, wenn der Kläger meint, dass es hier um einen ungerechtfertigten Eingriff in sein Recht auf freie Meinungsäußerung gehe. Soweit er daher darauf abstellen will, dass der Sinn von Äußerungen einen deutlich erkennbaren Bezug zur Förderung der PKK aufweisen müsse, mag man dem zustimmen, ein solcher Bezug wird hier aber entgegen der Auffassung des Klägers auch in seinem Handeln deutlich.
121 
Liegt ein Unterstützen im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG - wie hier - vor, ist von einer Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung bzw. der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen, es sei denn der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand, wie die gesetzliche Legaldefinition deutlich macht („…Hiervon ist auszugehen…“). Insoweit hebt sich die Regelung von den übrigen Ausweisungsinteressen ab, bei denen die Gefahr in jedem Einzelfall aus dem - dem jeweiligen Ausweisungsinteresse zugrunde liegenden - Verhalten des Ausländers konkret abzuleiten ist und unterscheidet sich auch von der Vorgängervorschrift des § 54 Nr. 5 AufenthG a. F. Die gesetzliche Legaldefinition bzw. widerlegbare Vermutung (so: Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 54 AufenthG, zu Abs. 1 Nr. 2, Stand: 16.01.2016, Rn. 45 ff.) der Gefahr begegnet nach Auffassung des Senats in diesem Kontext keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die schon dargestellten spezifischen Gefahren des Terrorismus, zu deren Bekämpfung sich die internationale Staatengemeinschaft und dabei auch die Bundesrepublik in Bezug auf internationale, grenzüberschreitende Gefahren, völkerrechtlich verpflichtet hat (UN-Sicherheits-resolution 1373 (2001) vom 28.09.2001; Kießling, Die Abwehr terroristischer und extremistischer Gefahren durch Ausweisung, 2012, S. 188 f.), rechtfertigen diese gesetzliche Festlegung, auch soweit davon terroristische Vereinigungen erfasst werden, die in der Bundesrepublik selbst keine terroristischen Gewalttaten verüben. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass terroristische Vereinigungen nur allzu schnell ihren Kampf über Ländergrenzen hinweg führen. Ob und gegebenenfalls in welcher Weise von dieser gesetzlichen Festlegung einer Gefahr in besonderen Fallkonstellationen abgewichen werden kann oder ob insoweit allein auf den Gesichtspunkt des erkennbaren und glaubhaften Abstandnehmens abzustellen ist, bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung, da das konsequent fortgesetzte Handeln des Klägers die gesetzliche Festlegung bestätigt.
122 
2. Die Ausweisungsverfügung genügt davon ausgehend auch § 53 Abs. 3 AufenthG, der bestimmt, dass ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießt, der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II, S. 559) besitzt, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU besitzt, nur ausgewiesen werden darf, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.
123 
Mit dieser Vorschrift will der Gesetzgeber nach der Gesetzesbegründung unionsrechtlichen Vorgaben für besonders privilegierte Personengruppen Rechnung tragen (BT-Drs. 18/4097, S. 50). Soweit die Vorgaben in ihrer Reichweite vor dem Hintergrund der jeweils betroffenen Personengruppe autonom unionsrechtlich und insbesondere bereichsspezifisch eigenständig auszulegen sind, wovon nach dieser Gesetzesbegründung auszugehen ist (Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 53 AufenthG, Abs. 3, Stand: 18.01.2016, Rn. 27, geht von der Notwendigkeit einer ergänzenden Heranziehung zu den angehobenen gesetzlichen Voraussetzungen einer Ausweisung aus), kann daher aus der Formulierung des Ausweisungsmaßstabs in § 53 Abs. 3 AufenthG nicht abgeleitet werden, dass der Gesetzgeber, losgelöst von den jeweiligen unionsrechtlichen Maßstäben, einen eigenen nationalen und völlig identischen Maßstab festlegen wollte, der für sämtliche der Norm unterfallenden Personengruppen Geltung beansprucht. Daher soll auch nationalrechtlich kein höheres Schutzniveau versprochen werden, als dieses unionsrechtlich geboten ist. Das wäre mit Blick auf die verschiedenen Geltungsgründe und die Heterogenität der erfassten Personengruppen sowie der sich daraus ergebenden unterschiedlichen Schutzrichtungen und -niveaus auch nicht begründbar, zumal ein einheitlicher unionsrechtlicher Ausweisungsmaßstab gerade nicht existiert (VGH Bad.-Württ., Vorlagebeschluss vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 -, juris, Rn. 154, m. w. N.; Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 11.09.2014 - C-373/13 -, juris, Rn. 88, m. w. N; a. A.: Welte, InfAuslR 2015, 426, der auf den unionsrechtlichen Maßstab des § 6 FreizügG/EU verweist). Festzuhalten ist allerdings, dass sämtlichen unionsrechtlich fundierten Ausweisungsmaßstäben gemeinsam ist, dass stets nur auf das persönliche Verhalten des Betroffenen und damit nur auf spezialpräventive Gründe abgestellt werden darf, aus denen sich eine gegenwärtige Gefahr ergeben muss (EuGH, Urteil vom 19.01.1999 - C-348/96 -, InfAuslR 1999, 165 und vom 08.12.2011 - C-371/08 -, InfAuslR 2012, 43; Neidhardt, a. a. O., Rn. 7 f.). Dem entsprechend kann eine an § 53 Abs. 3 AufenthG zu messende Ausweisung nur dann rechtmäßig sein, wenn sie ausschließlich spezialpräventiv motiviert ist.
124 
Davon ausgehend folgt für den Kläger ein besonderer unionsrechtlich fundierter Ausweisungsmaßstab zunächst nicht aus dem Assoziationsrecht. Das Verwaltungsgericht hat insoweit zu Recht darauf abgestellt, dass der Kläger weder Arbeitnehmer im Sinne des Art. 6 ARB 1/80 noch Familienangehöriger eines solchen Arbeitnehmers nach Art. 7 ARB 1/80 ist, nachdem er in der Vergangenheit nur sporadisch und jeweils nur in kurzen Zeiträumen abhängig beschäftigt gewesen war. Für seine Ehefrau gilt nichts anderes, so dass diese ihm ein solches Recht auch nicht vermitteln kann. Das wird vom Kläger auch nicht in Frage gestellt.
125 
Erhöhter Schutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG kommt dem Kläger aber als anerkannter Flüchtling zu. Für diese aufgrund ihres Verfolgungsschicksals gerade in Bezug auf aufenthaltsbeendende Maßnahmen besonders vulnerable Personengruppe sind Inhalt und Reichweite des Ausweisungsmaßstabs aus der einschlägigen Regelungen der Richtlinie 2004/83, neu gefasst durch Richtlinie 2011/95/EU (ABl. L 337 S. 9, nachfolgend: Qualifikationsrichtlinie), abzuleiten.
126 
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat auf das Vorabentscheidungsersuchen des Senats hin (Beschluss vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 -, juris), betreffend die Unterstützung der PKK durch einen anerkannten Flüchtling, die entscheidungserheblichen Rechtsfragen mit Urteil vom 24. Juni 2015 (- C-373/13 -, juris) geklärt. Der Gerichtshof hat, davon ausgehend, dass Art. 21 der Qualifikationsrichtlinie engere Voraussetzungen statuiert als Art. 24 der Qualifikationsrichtlinie (a.a.O., Rn. 44, 71: Art. 21 als „ultima ratio“; so auch schon der Senat in seinem Vorlagebeschluss, a.a.O., Rn. 154; a. A.: BVerwG, Beschluss vom 08.10.2012 - 1 B 18.12 -, juris), klargestellt, dass die Qualifikationsrichtlinie dahin auszulegen ist, dass ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel entweder nach Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie widerrufen werden kann, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen, oder nach Art. 21 Abs. 3 der Qualifikationsrichtlinie, wenn Gründe für die Anwendung der in Art. 21 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie vorgesehenen Ausnahmen vom Grundsatz der Nichtzurückweisung vorliegen (a.a.O., Rn. 55).
127 
Da die Ausweisung des Klägers verfügt wurde, um dessen Niederlassungserlaubnis zum Erlöschen zu bringen und eine tatsächliche Aufenthaltsbeendigung mit Blick auf seinen Flüchtlingsstatus nicht beabsichtigt ist, ist vorliegend auch nur Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie maßstäblich. Dies zugrunde gelegt ist die Ausweisung als Widerruf im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie zu qualifizieren und am Maßstab dieser Vorschrift zu messen, die insoweit den Ausweisungsmaßstab des § 53 Abs. 3 AufenthG ausfüllt und konkretisiert. Es müssen daher „zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung“ im Sinne des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie vorliegen, um die Ausweisung zu rechtfertigen.
128 
Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang im Anschluss an die Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston (Schlussanträge vom 11.09.2014 - C-373/13 -, juris, Rn. 68) zunächst betont, dass für die dargelegte Auslegung des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie spreche, dass den Mitgliedstaaten mit dieser Regelung die Möglichkeit gegeben werden sollte, unter spezifischen Voraussetzungen die Freizügigkeit von Drittstaatsangehörigen im Schengen-Raum zu beschränken, um den Terrorismus zu bekämpfen und Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung einzudämmen (a. a. O, Rn. 52). Er definiert im weiteren (a.a.O., Rn. 78 ff.) unter Bezugnahme auf die Richtlinie 2004/38 „zwingende Gründe“ als Beeinträchtigungen, die einen besonders hohen Schweregrad aufweisen müssten und fasst unter die „öffentliche Sicherheit“ sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats und somit auch die Beeinträchtigung des Funktionierens der Einrichtungen des Staates und seiner wichtigen öffentlichen Dienste sowie das Überleben der Bevölkerung ebenso wie die Gefahr einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker oder eine Beeinträchtigung der militärischen Interessen (unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 23.11.2010 - C-145/09 -, InfAuslR 2011, 45). Der Begriff der „öffentlichen Ordnung“ sei dahin auszulegen dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstelle, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliege, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Mit Blick auf die die Richtlinie 2004/83 und deren 28. Erwägungsgrund gelte der Begriff der „öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ auch für Fälle, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehöre, die den internationalen Terrorismus unterstütze, oder er eine derartige Vereinigung unterstütze. Der Gerichtshof verweist darauf, dass die PKK in der Liste im Anhang dieses Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344, S. 93) aufgeführt sei und nach alledem die Unterstützung, die ein Flüchtling einer Organisation zuteil werden lasse, welche Handlungen begehe, die in den Anwendungsbereich des Gemeinsamen Standpunkts fallen, grundsätzlich einen Umstand darstelle, der belegen könne, dass die Voraussetzungen für die Anwendung der Ausnahmeregelung von Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie erfüllt seien. Die Aufnahme einer Organisation in die Liste sei daher ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie entweder eine terroristische Organisation sei oder in diesem Verdacht stehe. Ein solcher Umstand sei daher von der zuständigen Behörde notwendig zu berücksichtigen, wenn sie in einem ersten Schritt zu prüfen habe, ob die fragliche Organisation terroristische Handlungen begangen habe. Es sei somit von Fall zu Fall zu prüfen, ob die Handlungen der fraglichen Organisation die öffentliche Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie bedrohen könnten. Der Gerichtshof habe schon entschieden, dass terroristische Handlungen, die durch ihre Gewalt gegenüber Zivilbevölkerungen gekennzeichnet seien, auch wenn mit ihnen vorgeblich politische Ziele verfolgt würden, als schwere nichtpolitische Straftaten im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden müssten (unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 09.11.2010 - C-57/09 und C-101/09 -, NVwZ 2011, 285).
129 
In einem zweiten Schritt müssten die genauen tatsächlichen Umstände einer Würdigung unterzogen werden, um zu ermitteln, ob die Unterstützung der fraglichen Organisation durch eine Mitwirkung beim Sammeln von Geldern und eine regelmäßige Teilnahme an Veranstaltungen dieser Organisation in den Anwendungsbereich von Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie falle. Allein der Umstand, dass die betreffende Person diese Organisation unterstützt habe, könne nicht die automatische Aufhebung ihres Aufenthaltstitels gemäß dieser Vorschrift zur Folge haben. Denn zwischen dem Gemeinsamen Standpunkt 2001/931 und der Richtlinie 2004/83 bestehe hinsichtlich der verfolgten Ziele kein unmittelbarer Zusammenhang, und es sei nicht gerechtfertigt, dass die zuständige Stelle, wenn sie in Betracht ziehe, einem Flüchtling seinen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie zu entziehen, sich nur auf dessen Unterstützung einer Organisation stütze, die in einer Liste aufgeführt sei, die außerhalb des Rahmens erlassen wurde, den die Richtlinie in Übereinstimmung mit der Genfer Konvention geschaffen habe. Es bedürfe daher einer individuellen Würdigung der genauen tatsächlichen Umstände insbesondere dazu, welche Rolle der Betroffene im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt habe, ob dieser etwa selbst terroristische Handlungen begangen habe, ob und in welchem Maße er an der Planung, an Entscheidungen oder an der Anleitung anderer Personen zum Zweck der Begehung solcher Handlungen beteiligt gewesen sei und ob und in welchem Umfang er solche Handlungen finanziert oder anderen Personen die Mittel zu ihrer Begehung verschafft habe. Soweit dieser an legalen Versammlungen und an Veranstaltungen wie dem kurdischen Neujahrsfest teilgenommen und sich am Sammeln von Spenden für diese Organisation beteiligt habe, bedeute dies nicht notwendig, dass der Betroffene die Auffassung vertreten habe, terroristische Handlungen seien legitim. Erst recht seien derartige Handlungen als solche keine terroristischen Handlungen. In diesem Zusammenhang müsse auch der Schweregrad der Gefahr beurteilt werden, die von den Handlungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehe. Es sei insbesondere zu prüfen, ob dem Betroffenen eine individuelle Verantwortung bei der Durchführung von Aktionen der PKK zugerechnet werden könne. In Anbetracht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, den die zu ergreifende Maßnahme zu wahren habe, sei zu untersuchen, ob die Gefahr, die die betreffende Person gegebenenfalls in der Vergangenheit für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung der Bundesrepublik Deutschland dargestellt habe, noch immer bestehe. Mit Blick auf das Erfordernis zwingender Gründe müsse etwa, soweit ein Betroffener zu einer Geldstrafe und nicht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden sei, in Anbetracht dieses Umstands und gegebenenfalls der Art der von ihm begangenen Handlungen geprüft werden, ob eine Aufhebung des Aufenthaltstitels zu rechtfertigen sei.
130 
Dies zugrunde gelegt, genügt die Ausweisungsverfügung den Maßstäben des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie in Verbindung mit § 53 Abs. 3 AufenthG. Die Konkretisierung der Maßstäbe hat durch das erkennende nationale Gericht anhand des jeweiligen Falles und den diesen prägenden tatsächlichen Umstände entsprechend deren Gewicht zu erfolgen. Soweit der Gerichtshof in beispielhafter Form einzelne dem im Vorlageverfahren betroffenen Ausländer vorgehaltene Handlungen herausgreift und diese in eher abstrakter Form bewertet und gewichtet, ist dies dem abstrahierenden Charakter der Vorlagefragen in einem Vorabentscheidungsersuchen geschuldet und entbindet den Senat als Tatsachengericht nicht von seiner Verpflichtung, solche Umstände im konkreten Fall umfassend zu bewerten. Nichts anderes gilt, soweit Reichweite und Grenzen der dem Kläger zustehenden weiteren Rechte nach Kapitel VII der Qualifikationsrichtlinie durch die Ausweisung in Rede stehen.
131 
Danach bestehen für den Senat auch vor dem Maßstab des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie keine durchgreifenden Bedenken hinsichtlich der Einstufung der PKK als eine den Terrorismus jedenfalls unterstützende Vereinigung, deren Unterstützung durch die YEK-KOM bzw. NAV-DEM „zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung“ begründet. Daran anschließend sind die vom Kläger geleisteten Unterstützungshandlungen aufgrund dessen, dass diese von ihm in herausgehobener Funktion für YEK-KOM und NAV-DEM, auf zahlreichen Veranstaltungen seit über zwölf Jahren, unter Beteiligung von offen für die PKK werbenden und deren Kurs vorbehaltlos befürwortenden Akteuren (Auftreten in Guerillauniform, Märtyrergedenken, Grußbotschaften an die Kämpfer an der Front usw.) geleistet wurden und weiter geleistet werden, nicht anders zu bewerten, zumal der Kläger nach Überzeugung des Senats in vollem Bewusstsein um deren Bedeutung für den ideologischen Zusammenhalt der PKK und in dem Willen, diese vorbehaltlos auch in Bezug auf deren terroristische Aktivitäten zu unterstützen, gehandelt hat und weiterhin handelt. Diese Bewertung des eine Gefahr für die nationale Sicherheit und öffentliche Ordnung begründenden Verhaltens des Klägers ist vor diesem Hintergrund auch nicht deshalb zu relativieren, weil die NAV-DEM nicht verboten ist und der Kläger sich im Rahmen von ebenfalls nicht verbotenen Veranstaltungen betätigt hat. Weder entfällt deswegen das Gewicht seiner Unterstützungshandlungen für die PKK noch ergibt sich daraus, dass sich der Kläger über sein Tun im Unklaren gewesen wäre. Dass es gerade aus Gründen einer effektiven Gefahrenabwehr geboten sein kann, von einem Vereinsverbot abzusehen, wurde schon dargelegt. Da nach den Feststellungen des Senats das Verhalten des Klägers gefahrbegründend ist und er die tatbestandlichen Festlegungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bestätigt, kann der Senat offen lassen, ob jedenfalls im Kontext des § 53 Abs. 3 AufenthG i. V. m. Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie hier ausnahmsweise und ungeachtet der Fallkonstellation des endgültigen und glaubhaften Abstandnehmens gewissermaßen als „Zwischenstufe“ eine konkrete Widerlegungsmöglichkeit der gesetzlichen Gefahrenannahme zugelassen werden muss.
132 
Soweit der Gerichtshof der Europäischen Union in seiner in Bezug genommen Entscheidung im weiteren auf das Fortbestehen des Flüchtlingsstatus hinweist, wenn ein Mitgliedstaat das Aufenthaltsrecht aufgrund des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie widerruft (a.a.O., Rn. 94 f.; so auch schon der Senat in seinem Urteil vom 14.05.2014 - 11 S 2224/13 -, juris, Rn. 128 ff. m. w. N.) und er daraus ableitet, dass dieser sich bei deshalb weiterhin gestattetem Aufenthalt auch ungeschmälert (a.a.O., Rn. 96) auf die sozialen Vergünstigungen nach Kapitel VII der Qualifikationsrichtlinie berufen kann, steht dies in vorliegendem Fall der Ausweisung nicht entgegen.
133 
Kapitel VII der Richtlinie gewährleistet jedem Flüchtling Schutz vor Zurückweisung, das Recht auf Information, Wahrung des Familienverbands, Ausstellung von Reisedokumenten, Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung, zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie Zugang zu Integrationsmaßnahmen. Einschränkungen dieser Rechte sind bei einem anerkannten Flüchtling nur nach Maßgabe dieses Kapitels der Qualifikationsrichtlinie zulässig (a.a.O., Rn. 97).
134 
Die die Ausweisung tragenden „zwingenden Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung“ stellen, soweit sie diese Rechte nach Kapitel VII berühren, zulässige Beschränkungen im Sinne der Richtlinie dar.
135 
Wird mit der Ausweisung das Erlöschen der Niederlassungserlaubnis (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) bezweckt und ist zugleich eine tatsächliche Aufenthaltsbeendigung nicht beabsichtigt, wovon hier mit Blick auf den Flüchtlingsstatus des Klägers auszugehen ist, werden der Schutz vor Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie, das Informationsrecht aus Art. 22 der Qualifikationsrichtlinie sowie der Anspruch auf Wahrung des Familienverbandes nach Art. 23 der Qualifikationsrichtlinie schon nicht tangiert. Dafür, dass vorliegend das Recht auf Bildung nach Art. 27der Qualifikationsrichtlinie, der Zugang zu Wohnraum nach Art. 32 der Qualifikationsrichtlinie oder zu Integrationsmaßnahmen nach Art. 34 der Qualifikationsrichtlinie betroffen sein könnte, ist gleichfalls nichts ersichtlich.
136 
Soweit durch den Duldungsstatus des Klägers dessen Recht auf Aufnahme einer (selbstständigen oder unselbstständigen) Erwerbstätigkeit nach Art. 26 der Qualifikationsrichtlinie zunächst kraft Gesetzes mit einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt belegt ist, ist dieser für sich genommen unbedenklich, zumal sich aus § 4 Abs. 3 Satz 3 AufenthG ergibt, dass dieser nicht gilt, wenn dem Ausländer auf Grund einer zwischenstaatlichen Vereinbarung, eines Gesetzes oder einer Rechtsverordnung die Erwerbstätigkeit gestattet ist, ohne dass er hierzu durch einen Aufenthaltstitel berechtigt sein muss. So liegt der Fall hier, da diese Vorschrift mit Blick auf den vorrangigen Art. 26 der Qualifikationsrichtlinie auszulegen ist. Unbeschadet dessen ist für den Senat im konkreten Fall aber auch nicht ersichtlich, dass der Kläger durch Einschränkungen seiner rechtlichen Möglichkeiten, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, in tatsächlicher Hinsicht unzumutbar belastet wäre, nachdem er trotz seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland nur für jeweils kurze und länger zurückliegende Zeiträume überhaupt einer solchen nachgegangen ist.
137 
Aufgrund der Ausweisung greifen im konkreten Fall jedoch die angeordneten Maßnahmen nach § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG (Meldepflichten, Aufenthaltsbeschränkung auf den Stadtbezirk...). Diese dienen unmittelbar der Abwehr bzw. Eindämmung der von Kläger ausgehenden Gefahren und schränken insoweit das Recht des Betroffenen auf ein Reisedokument nach Art. 25 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie sowie das Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Bundesrepublik nach Art. 33 der Qualifikationsrichtlinie in sachangemessener Weise ein. Art. 25 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie verpflichtet zur Erteilung eines Reisedokumentes auch für Reisen ins Ausland, es sei denn, Gründe der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung stehen dem entgegen. Art. 33 der Qualifikationsrichtlinie verlangt von den Mitgliedstaaten, dass Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, Bewegungsfreiheit in ihrem Hoheitsgebiet zu gestatten „unter den gleichen Bedingungen und Einschränkungen wie für andere Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten“. Nachdem im persönlichen Verhalten des Klägers „zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung“ im Sinne des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie gegeben sind, liegt ein Versagungsgrund im Sinne des Art. 25 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie vor, da die Einschränkung seiner Reisemöglichkeiten gerade dazu dient, sein die PKK unterstützendes Verhalten zumindest deutlich zu erschweren. Daraus rechtfertigt sich auch die Einschränkung seiner Freizügigkeit innerhalb des Bundesgebietes nach Art. 33 der Qualifikationsrichtlinie. Das hat der Senat schon unter Zugrundelegung der Vergleichsgruppe von Drittstaatsangehörigen, die sich nach nationalem Recht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, festgestellt (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 14.05.2014 - 11 S 2224/13 -, juris, Rn. 128 ff., m. w. N.).
138 
Da der Gerichtshof eine Ausweisung unter Berücksichtigung des Maßstabs des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie auch dann für zulässig erachtet, wenn dadurch der Aufenthalt zwar rein tatsächlich nicht beendet werden soll, es aber dennoch notwendig erscheint, zumindest die Freizügigkeit von Drittstaatsangehörigen zu beschränken, um den Terrorismus zu bekämpfen und Gefahren für die öffentlichen Sicherheit und Ordnung einzudämmen (a.a.O., Rn. 52), ist es nach Auffassung des Senats aus systematischen Gründen und zur Effektivierung des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie angezeigt, dessen Wertungen auch insoweit zu berücksichtigen, als Reichweite und Grenzen der weiteren in Kapitel VII aufgeführten Rechte in entscheidungserheblicher Weise in Rede stehen. Denn eine Ausweisung, deren Folge sich im Erlöschen des Titels erschöpfen würde, ohne daran anknüpfend verhaltenssteuernde Wirkungen zu entfalten, die geeignet und erforderlich sind, die Gefahr wirksam einzudämmen, wäre letztlich wegen Zweckverfehlung unverhältnismäßig. Dies würde Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie, in Fällen wie dem vorliegenden, die praktische Wirksamkeit nehmen und damit dessen Bedeutung, wie er auch in den Erwägungsgründen 31 und 37 der Richtlinie zum Ausdruck kommt, verfehlen.
139 
Nach all ist es für den Senat auch folgerichtig, auf den Fall des Klägers nicht Art. 29 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie, sondern dessen Absatz 2 entsprechend anzuwenden, nachdem die Mitgliedstaaten abweichend von Absatz 1 die Sozialhilfe für Personen, denen (nur) der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, auf Kernleistungen beschränken kann. Dies gilt hier umso mehr, als es der Kläger im Gegensatz zu subsidiär Schutzberechtigten selbst in der Hand hat, durch eine Abkehr von seinen den Terrorismus unterstützenden Handlungen die Ursachen für diese Einschränkungen zu beseitigen und es gerade in der Logik des Duldungsstatus liegt, den Kläger zu einer dahingehenden Verhaltensänderung zu bewegen. Soweit sich demnach ergeben sollte, dass der Kläger aufgrund seines Duldungsstatus und mangels anderweitiger Regelungen, die ihm, etwa als Familienangehöriger aus abgeleitetem Recht, einen vollen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen nach dem SGB II verschaffen könnten, auf die Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes beschränkt ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG), steht dies nicht in Widerspruch zu Art. 29 der Qualifikationsrichtlinie. Für Leistungsbeschränkungen in Bezug auf die medizinische Versorgung (§ 4 AsylbLG) im Sinne des Art. 30 der Qualifikationsrichtlinie gilt nichts anderes.
140 
3. Dem dargestellten und nach gesetzlicher Wertung besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse steht ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber, da dieser eine Niederlassungserlaubnis besessen hat, die gerade durch die Ausweisungsverfügung betroffen ist, er mit deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und er sein Personensorgerecht für minderjährige ledige Deutsche ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG). Insoweit geht der Senat aufgrund der nicht weiter spezifizierten Angabe des Klägers, wonach sechs seiner sieben Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, davon aus, dass jedenfalls auch die noch in seinem Haushalt lebenden minderjährigen Kinder diese besitzen. § 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG tritt vorliegend hinter die insoweit speziellere Vorschrift des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG zurück (Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 55 AufenthG, zu Abs. 2 Nr. 5, Stand: 18.01.2016, Rn. 3: Auffangnorm).
141 
4. § 53 Abs. 1 AufenthG verlangt davon ausgehend ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende Abwägung des Interesses an der Ausreise mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände in wertender Gesamtbetrachtung einzubeziehen sind. Diese sind, nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat sowie die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner, wobei die in Absatz 2 aufgezählten Umstände weder abschließend zu verstehen sind, noch nur zu Gunsten des Ausländers ausfallen müssen. Zudem sind stets die grund- und konventionsrechtliche Stellung des Ausländers und seiner Familie und die sich daraus ergebenden Gewichtungen in den Blick zu nehmen. Umstände im Sinne des § 53 Abs. 2 AufenthG prägen den Einzelfall insoweit, als sie über die den vertypten Interessen zugrunde liegenden Wertungen hinausgehen oder diesen entgegenstehen. Insbesondere in an dieser Stelle der Frage nachzugehen, ob und in welchem Maße die konkreten Umstände des Einzelfalles von vertypten gesetzlichen Wertungen abweichen (Bsp.: § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG: Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren; § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG: 30-jähriger rechtmäßiger Aufenthalt). Sind im konkreten Fall keine Gründe - etwa auch solche rechtlicher Art - ersichtlich, die den gesetzlichen Wertungen der §§ 54, 55 AufenthG entgegenstehen, wird regelmäßig kein Anlass bestehen, diese Wertungen einzelfallbezogen zu korrigieren.
142 
Eine schematische und alleine den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkreten Gewicht, zuwiderlaufen würde, verbietet sich ebenso (BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -, NVwZ 2007, 946) wie eine „mathematische“ Abwägung im Sinne eines bloßen Abzählens von Umständen, die das Ausweisungsinteresse einerseits und das Bleibeinteresse andererseits begründen.
143 
Davon ausgehend erweist sich die Ausweisung des Klägers als verhältnismäßig, da hier das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers unter Berücksichtigung sämtlicher den Fall prägenden Umstände überwiegt.
144 
Vorliegend ist zunächst die dem Flüchtlingsstatus des Klägers geschuldete Besonderheit in Rechnung zu stellen, nach der im konkreten Fall eine tatsächliche Beendigung des Aufenthalts des Klägers wegen dessen Flüchtlingsstatus nicht beabsichtigt ist, obgleich gewichtige Gründe für eine Ausweisung bestehen. Daher ist Bezugspunkt für die Verhältnismäßigkeitsfrage auch nur die Ausweisung in der hier erfolgten Form mit ihrer Folge einer ggf. auch langfristigen Duldung des Klägers im Bundesgebiet und seiner Überwachung nach § 56 AufenthG sowie der schon dargestellten Einschränkungen der verschiedenen Folgerechte.
145 
Dem Ausweisungsinteresse, wie es sich im konkreten Fall darstellt, steht ein nach der gesetzlichen Wertungen des § 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG ebenfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse gegenüber. Hinzu treten auf Seiten des Klägers dessen Anspruch auf Achtung seiner familiären Bindungen nach Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 6 GG. Im weiteren ist sein mit über 17 Jahren über den in § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG verlangten mindestens fünfjährigen rechtmäßigen Inlandsaufenthalt hinausgehender rechtmäßiger Aufenthalt zu berücksichtigen. Das Gewicht dieser Umstände ist, soweit es nicht schon über § 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG erfasst wird, aus § 53 Abs. 2 AufenthG (über fünfjähriger rechtmäßiger Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet) und den grund- und konventionsrechtlichen Wertungen mit Blick auf die Folgen der Ausweisung auf diese Umstände zu ermitteln.
146 
Wegen der familiären Bindungen des Klägers im Bundesgebiet folgt aus Art. 6 GG zwar unmittelbar kein Aufenthaltsrecht, dieses Grundrecht gebietet aber die Berücksichtigung der in Art. 6 GG enthaltenen wertentscheidenden Grundsatznorm, nach der der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat (vgl. hierzu ausf.: Hoppe/Samel in: Rensen/Brink (Hrsg.) Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 2009, S. 137 ff.). Diese verpflichtet dazu, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, d. h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12.05.1987 - 2 BvR 1226/83, 101/84 313/84 -, NJW 1988, 626 und vom 18.04.1989 - 2 BvR 1169/84 -, NJW 1989, 2195; Beschluss vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, 682). Daraus kann sich die Unverhältnismäßigkeit einer Ausweisung ergeben, wenn ein gemeinsames Familienleben in Deutschland durch diese unmöglich gemacht würde und es den Familienmitgliedern nicht zumutbar wäre, die Familiengemeinschaft im Ausland herzustellen (BVerfG, Beschluss vom 18.04.1989 - 2 BvR 1169/84 -, NJW 1989, 2195). Für das Recht auf Achtung des Familienlebens aus Art. 8 Abs. 1 EMRK ergibt sich nichts anderes (zu den Kriterien vgl. insbesondere EGMR, Urteil vom 18.10.2006 - 46410/99 <Üner> -, NVwZ 2007, 1279; Urteil vom 02.08.2001 - 54273/00 -, InfAuslR 2001, 476 -; ausführlich Mayer, VerwArch 2010, 482 <530 ff.>, m. w. N.).
147 
Soweit sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG bei langjährigem rechtmäßigen Inlandsaufenthalt aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ergibt, dass die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, die Integration in die deutsche Gesellschaft, auch soweit sie keinen familiären Bezug hat, und das Fehlen tatsächlicher Bindungen an den Staat seiner Staatsangehörigkeit bei einer Ausweisung angemessen zu gewichten sind (BVerfG, Beschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007, 1300), ist ein Gleichlauf zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte festzustellen, der unter dem Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK das Netz an persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen fasst, die für das Privatleben eines jeden Menschen schlechthin konstitutiv sind (EGMR, Urteil vom 09.10.2003 - 48321/99 -, EuGRZ 2006, 560). Diesen Beziehungen kommt bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zu (so BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -, NVwZ 2007, 946; Thym, EuGRZ 2006, 541 <544>; Hoppe, ZAR 2006, 125 <130>; Hofmann, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Art. 8 EMRK, Stand: 01.11.2015, Rn. 20 ff., m. w. N.; Beichel-Benedetti, in: Huber, AufenthG, 1. Aufl., 2010, Vorb §§ 53-56 AufenthG, Rn. 14 ff.). Daraus folgt auch für Ausweisungen von Ausländern, die über keine schützenswerten familiären Bindungen im Sinne von Art. 8 Abs. 1 EMRK bzw. Art. 6 GG verfügen, eine Verpflichtung zur einzelfallbezogenen Abwägung unter angemessener Berücksichtigung dieser das Recht auf Privatleben konstituierenden Bindungen. Fehlen Bindungen an den Herkunftsstaat kann sich daraus eine Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung - selbst bei langjährigen Freiheitsstrafen und zahlreichen Verurteilungen - ergeben (vgl. die Nachweise bei Mayer, a. a. O.).
148 
So liegt der Fall hier jedoch nicht. Denn die Ausweisung des Klägers führt nicht zur Beendigung seines tatsächlichen Aufenthalts in Deutschland. Vorliegend sind die tatsächlichen Bindungen des Klägers durch die Ausweisung allerdings dadurch betroffen, dass ihn die Überwachungsmaßnahmen nach § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG in seiner Bewegungsfreiheit beschränken. Soweit ihm diese seine Möglichkeiten zur Fortführung gerade der streitgegenständlichen Aktivitäten erschweren, ist dadurch, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ein rechtlich anerkennenswertes Interesse des Klägers schon nicht berührt. Die Einschränkungen seiner Rechte aus Art. 29 und 30 der Qualifikationsrichtlinie (Sozialhilfe und medizinische Versorgung) sind objektiv betrachtet geeignet und erforderlich, um den Kläger zu einer Verhaltensänderung zu bewegen. Die für ihn eintretenden Einschränkungen seiner Bewegungsmöglichkeiten sind aus den schon dargelegten Gründen erforderlich und auch zumutbar. Die für seine Familienmitglieder mit den Einschränkungen der Bewegungsmöglichkeiten des Klägers und seiner genannten Rechte verbundenen Folgen sind allenfalls mittelbarer Art und als solche auch verhältnismäßig, zumal sie - als mildere Mittel zur tatsächlichen Beendigung des Aufenthalts - einzig dem Umstand geschuldet sind, dass der Beklagte gerade auf den Flüchtlingsstatus des Klägers Rücksicht nimmt, obwohl dieser Gründe setzt, die gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen zum Schutz hochrangiger Rechtsgüter erforderlich machen (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 -, juris, Rn. 24). Darüber hinaus sind weitere schützens- und nennenswerte Bindungen des Klägers in die hiesige Gesellschaft, die durch die Ausweisung in unzumutbarer Weise beschränkt würden, trotz des langjährigen rechtmäßigen Aufenthalts weder vorgetragen worden noch ersichtlich. Der Kläger spricht kaum Deutsch, er war nur sporadisch und für kürzere Zeiträume überhaupt erwerbstätig und ist seit längerem von Sozialleistungen abhängig. Diese Umstände relativieren das Gewicht seines langjährigen rechtmäßigen Aufenthalts jedenfalls im Rahmen der Abwägung entscheidend. Schließlich ist noch zu berücksichtigen, dass es der Kläger in der Hand hat, durch eine glaubhafte Abkehr von seinem bisherigen Verhalten eine Aufhebung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu erreichen. Aus all dem ergibt sich bei wertender Betrachtung der widerstreitenden Interessen im konkreten Fall ein Überwiegen des Ausweisungsinteresses.
149 
5. Soweit sich, ungeachtet der Rechtsstellung des Klägers, aus den Stand-Still-Klauseln des Art. 7 ARB 2/76, des Art. 13 ARB 1/80 bzw. des Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen EWG/Türkei (ZP) ein Verbot ergibt, ohne zwingende Gründe neue Beschränkungen für sich ordnungsgemäß (vgl. EuGH, Urteil vom 07.11.2013 - C-225/12 -, InfAuslR 2014, 1) im Inland aufhaltende türkische Staatsangehörige einzuführen, die deren Möglichkeiten zur Aufnahme einer (abhängigen oder selbstständigen) Beschäftigung im Verhältnis zur Rechtslage bei Inkrafttreten dieser Regelungen stärker begrenzen würden (vgl. etwa: EuGH, Urteile vom 10.07.2014 - C-138/13 -, NVwZ 2014, 1081 und vom 17.09.2009 - C-242/06 -, InfAuslR 2009, 413), führt dies nicht dazu, dass die §§ 53 ff. AufenthG in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung außer Anwendung zu bleiben hätten.
150 
Mit der Neukonzeption des Ausweisungsrechts im Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl. I, S. 1386) will der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung der Entwicklung Rechnung tragen, „wonach das bisherige dreistufige Ausweisungsrecht durch die höchstrichterliche Rechtsprechung ohnehin mehr und mehr zu einer Ermessensausweisung mit umfassender Abwägung aller Umstände des Einzelfalls zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit modifiziert worden ist.“ (BT-Drs. 18/4097). Die Änderungen des Ausweisungsrechts dienen danach der Anpassung an die Entwicklung dieser Rechtsprechung und sie sollen Rechtsunsicherheiten im Ausweisungsrecht beseitigen und die Arbeit der Ausländerbehörden erleichtern. Aus dem mit der Neuregelung einhergehenden Systemwechsel, weg von einer Ausweisung im Ermessenswege, hin zu einer zwar gebundenen, dafür aber anhand des Maßstabes der Verhältnismäßigkeit zu messenden, folgt daher bei der gebotenen Gesamtbetrachtung keine neue Beschränkung in Sinne der Stand-Still-Klauseln.
151 
Im Vergleich zu den Ausweisungsregelungen der Ausländergesetze seit 1965 und dem Aufenthaltsgesetz a. F. lässt sich feststellen, dass das neue Ausweisungsrecht sich weitgehend von einer in Bezug auf die Interessen des Ausländers auf bloßen Verwaltungsvorgaben beruhenden Ermessensentscheidung des Ausländergesetzes 1965 (vgl. Kanein, Ausländerrecht, 4. Aufl., 1988, § 10 AuslG) ebenso gelöst hat, wie von schematisierenden und insoweit bindenden gesetzlichen Vorgaben des Ausländergesetzes 1990 und des Aufenthaltsgesetzes a. F., die einer umfassenden Abwägung der konkreten Umstände des Einzelfalls entsprechend deren Gewicht entgegenstehen konnten. Schematisierungen dieser Art und Wirkung waren auch der Anlass für die Gerichte, das bisherige Recht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit, teilweise entgegen seinem Wortlaut, auszulegen und anzuwenden (vgl. Mayer, VerwArch 2010, 482 <483 ff.>, m . w. N.; Beichel-Benedetti, in: Huber, AufenthG, 1. Aufl. 2010, Vorb §§ 53-56 AufenthG, Rn. 19 ff.). Während eine Ausweisung im Ermessenswege gerichtlich bislang nur eingeschränkt überprüfbar war (§ 114 Satz 1 VwGO), stellt das neue Recht eine vollumfassende gerichtliche Überprüfung sicher. Das durch die neuen Regelungen aufgestellte Prüfprogramm garantiert, wie die bisherigen Ausführungen deutlich machen, eine umfassende Berücksichtigung der den Fall prägenden Umstände. Der Verlust der Ermessensebene wird durch die nunmehr umfassende gerichtliche Kontrollpflicht in Bezug auf die Frage der Verhältnismäßigkeit aufgewogen (so auch: Neidhardt, a. a. O., Rn. 31; a. A.: Cziersky-Reis, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl., 2016, § 53 AufenthG, Rn. 42, der davon ausgeht, dass eine Ausweisung nach Ermessen immer günstiger für den Betroffenen sei als eine gebundene nach § 53 Abs. 1 AufenthG n. F.). Es wäre daher verfehlt, für die Frage einer neuen Beschränkung isoliert darauf abzustellen, dass es sich nunmehr bei der Ausweisungsentscheidung um eine gebundene handelt. Weder Unions- noch Assoziationsrecht gebieten eine Ermessensentscheidung, sondern (nur) eine offene Güter- und Interessenabwägung (vgl. BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 -, InfAuslR 2010, 3; vgl. zum Erfordernis einer wertenden Gesamtbetrachtung: BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, InfAuslR 2012, 397; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -, NVwZ-RR 2012, 492).
152 
Soweit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr, wie ebenfalls schon dargelegt, die Gefahr gesetzlich aus der Erfüllung des Tatbestandes ableitet, führt auch dies jedenfalls im konkreten Fall zu keiner Verschlechterung der Rechtsstellung des Klägers, nachdem dessen tatsächliches Verhalten die gesetzliche Festlegung gerade bestätigt.
153 
Dass mit § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG im Falle einer Ausweisung die kraft Gesetzes geltenden Überwachungsmaßnahmen - in Abweichung zur früheren Rechtslage - nicht mehr die sofortige Vollziehbarkeit der Ausweisung voraussetzen, stellt gleichfalls keine neue Beschränkung in diesem Sinne dar. Die Stillhalteverpflichtung bedeutet nicht, dass jede Facette des Verwaltungsverfahrens und des Prozessrechts einer Änderung entzogen wäre. Die Mitgliedstaaten verfügen aufgrund ihrer Verfahrensautonomie über einen Gestaltungsspielraum, der allerdings durch den Grundsatz der Effektivität und der Äquivalenz begrenzt wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, InfAuslR 2012, 397; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -, NVwZ-RR 2012, 492). Lässt eine Änderung des Verfahrens - wie hier - die Effektivität des Rechtsschutzes mit Blick auf die dem türkischen Staatsangehörigen eingeräumten Rechte unverändert, so liegt keine „neue Beschränkung“ vor. Es kann nicht ernsthaft in Frage stehen, dass insoweit effektiver gerichtlicher Rechtsschutz über eine einstweilige gerichtliche Regelung nach § 123 VwGO erreicht werden kann. Vorliegend kommt es hierauf auch nicht an, da der Beklagte solche Maßnahmen modifizierend und durch Verwaltungsakt erlassen hat und insoweit Rechtsschutz nach §§ 80 ff. VwGO gegeben ist.
154 
Selbst wenn man den Rechtsfolgenwechsel - weg von der Einräumung von Ermessen, hin zu einer gebundenen Entscheidung - bzw. die weiteren dargestellten Änderungen des Ausweisungsrechts grundsätzlich als Maßnahmen ansehen wollte, die bezweckten oder bewirkten, dass die Ausübung der Freizügigkeitsrechte durch einen türkischen Staatsangehörigen oder einen Familienangehörigen in einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen als denjenigen unterworfen wird, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Bestimmungen in dem Mitgliedstaat gelten, wären diese Maßnahmen hier rechtlich zulässig. Denn die Einführung dieser - unterstellt - strengeren Voraussetzungen wäre durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union gerechtfertigt, gerade weil der vorgenommene Systemwechsel dazu dient, das ursprüngliche, durch die Anforderungen der Rechtsprechung erheblich - teils gegen den Wortlaut - modifizierte Ausweisungsrecht wieder handhabbar und in sich schlüssig und nachvollziehbar zu machen. Die nunmehr gesetzliche Festlegung der Gefahr nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist mit Blick auf die vom Terrorismus ausgehenden Gefahren sicherlich gerechtfertigt, zumal sich aus praktischer Sicht kaum Fallkonstellationen denken lassen, bei denen eine solche Gefahr zu verneinen sein könnte, obwohl ein Unterstützen einer terroristischen Vereinigung tatbestandlich vorliegt und eine glaubhafte Abwendung hiervon - die das Gesetz ausdrücklich zulässt - nicht erfolgt ist.
II.
155 
Nicht verfahrensgegenständlich ist die vom Verwaltungsgericht getroffene Befristungsentscheidung, nachdem der Kläger mit seinem Berufungsantrag, der gemäß § 124a Abs. 3 VwGO nicht nur begründende sondern auch begrenzende Wirkung hat, alleine die Aufhebung der Ausweisungsverfügung des Beklagten beantragt und er auch in seiner Berufungsbegründung auf die Befristungsfrage nicht abgestellt hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.03.2011 - 2 B 37.10 -, juris).
156 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
157 
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsache (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
158 
Beschluss vom 13. Januar 2016
159 
Der Streitwert wird gem. § 63 Abs. 2, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 und § 39 Abs. 1 GKG auf 10.000,- EUR festgesetzt.
160 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

 
47 
Die nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht und ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 6 und Abs. 3 Satz 4 VwGO) Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 27. Januar 2015 ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da die Ausweisungsverfügung den Kläger nicht in eigenen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 VwGO) (I.). Nicht streitgegenständlich ist die vom Verwaltungsgericht getroffene Befristungsentscheidung, gegen die sich der Kläger mit seinem Berufungsantrag nicht wendet (II.).
I.
48 
Die Ausweisungsverfügung ist auf § 53 Abs. 1 AufenthG i. V. m. § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in der seit 1. Januar 2016 geltenden Fassung (Art. 9 des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung, BGBl. I, S. 1386 <1399>) zu stützen; maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der der mündlichen Verhandlung des Senats (BVerwG, Urteil vom 04. Oktober 2012 - 1 C 13.11 -, Rn. 16, BVerwGE 144, 230, Rn. 16 und vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 -, BVerwGE 143, 277, Rn. 12).
49 
Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer ausgewiesen, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Dieser Grundtatbestand des neuen Ausweisungsrechts umreißt die Ausweisungszwecke auf tatbestandlicher Ebene, die in § 54 AufenthG in vertypter und zugleich gewichteter Form als Ausweisungsinteressen ausdifferenziert werden. Nicht mehr entscheidungserheblich ist danach, ob der Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren seine Ermessenserwägungen in hinreichender Form nachgebessert hat (vgl. hierzu: BVerwG, Urteil vom 13.12.2011 - 1 C 20.11 -, juris). Denn ein Ermessen ist der Ausländerbehörde aufgrund des gesetzlichen Systemwechsels, hin zu einer gebundenen Entscheidung auf Tatbestandsseite, nicht mehr eingeräumt (Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 53 AufenthG, Ausweisung, Überblick, Stand: 18.01.2016, Rn. 1; terminologisch unzutreffend daher: Marx, Aufenthalts- Asyl- und Flüchtlingsrecht, 5. Aufl. 2015, § 7, Rn. 163).
50 
Hier erfüllt das Verhalten des Klägers das danach besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (1.). § 53 Abs. 3 AufenthG modifiziert den Ausweisungsmaßstab im Sinne erhöhter Anforderungen an das Gewicht der drohenden Rechtsgutsverletzung, sofern die in dieser Vorschrift aufgeführten Personengruppen betroffen sind. Der Kläger unterfällt als anerkannter Flüchtling dieser Regelung (2.). Dem Ausweisungsinteresse gegenüberzustellen ist das Bleibeinteresse des Ausländers nach § 55 AufenthG, das der Gesetzgeber ebenfalls vertypt und zugleich gewichtet, aber nicht abschließend aufgeführt hat (3.). § 53 Abs. 1 AufenthG verlangt davon ausgehend ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, im konkreten Fall in Form des Interesses an der Beendigung des weiteren rechtmäßigen Aufenthalts, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende umfassende und abschließende Abwägung des Ausweisungsinteresses mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände einzubeziehen sind (4.). Aus all dem folgt auch, dass die Ausweisung vorliegend nicht gegen die assoziationsrechtlichen Stand-Still-Klauseln verstößt (5.).
51 
1. Im Fall des Klägers liegt ein besonders schwer wiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, der bestimmt, dass ein solches im Sinne von § 53 Absatz 1 AufenthG besonders schwer wiegt, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wovon - unter anderem dann - auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.
52 
Der Kläger unterstützt seit längerem und auch aktuell die PKK, eine terroristische bzw. den Terrorismus unterstützende Vereinigung (a.), und dies überwiegend in herausgehobener Funktion (b.).
53 
a.) Das Aufenthaltsgesetz selbst enthält keine eigene Definition des Terrorismus. Da die - insoweit - tatbestandlich deckungsgleichen Vorgängervorschriften des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG47 Abs. 2 Nr. 4 AuslG i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG; § 54 Nr. 5 AufenthG a. F.) auf die UN-Sicherheitsratsresolution 1373 (2001) vom 28. September 2001 zurückgehen (Art. 11 Nr. 3 des Gesetzes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz) vom 09.01.2002, BGBl I, Nr. 3, S. 361; Kießling, Die Abwehr terroristischer und extremistischer Gefahren durch Ausweisung, 1. Aufl., 2012, S. 187) und diese das Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl 2003 II, S. 1923) in Bezug nimmt, wird in der Rechtsprechung zunächst auf die Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 lit. b des Internationalen Übereinkommens abgestellt (BVerwG, Urteile vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 -, BVerwGE 147, 261 und vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 -, BVerwGE 123, 114; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 -, juris). Danach ist eine terroristische Straftat als eine Handlung definiert,
54 
„die den Tod oder eine schwere Körperverletzung einer Zivilperson oder einer anderen Person, die bei einem bewaffneten Konflikt nicht aktiv an den Feindseligkeiten teilnimmt, herbeiführen soll, wenn diese Handlung aufgrund ihres Wesens oder der Umstände darauf abzielt, die Bevölkerung einzuschüchtern oder eine Regierung oder internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen“.
55 
Im Weiteren wird auf den Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (2001/931/GASP) Bezug genommen (ABl. L 344 vom 28.12.2001, S. 93, juris), der in seinem Artikel 1 Abs. 3 terroristische Handlungen wie folgt definiert:
56 
„Im Sinne dieses Gemeinsamen Standpunkts bezeichnet der Ausdruck "terroristische Handlung" eine der nachstehend aufgeführten vorsätzlichen Handlungen, die durch ihre Art oder durch ihren Kontext ein Land oder eine internationale Organisation ernsthaft schädigen kann und im innerstaatlichen Recht als Straftat definiert ist, wenn sie mit dem Ziel begangen wird,
57 
i) die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern oder
58 
ii) eine Regierung oder eine internationale Organisation unberechtigterweise zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen oder
59 
iii) die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören:
60 
a) Anschläge auf das Leben einer Person, die zum Tode führen können;
61 
b) Anschläge auf die körperliche Unversehrtheit einer Person;
62 
c) Entführung oder Geiselnahme;
63 
d) weit reichende Zerstörungen an einer Regierungseinrichtung oder einer öffentlichen Einrichtung, einem Verkehrssystem, einer Infrastruktur, einschließlich eines Informatiksystems, einer festen Plattform, die sich auf dem Festlandsockel befindet, einem allgemein zugänglichen Ort oder einem Privateigentum, die Menschenleben gefährden oder zu erheblichen wirtschaftlichen Verlusten führen können;
64 
e) Kapern von Luft- und Wasserfahrzeugen oder von anderen öffentlichen Verkehrsmitteln oder Güterverkehrsmitteln;
65 
f) Herstellung, Besitz, Erwerb, Beförderung oder Bereitstellung oder Verwendung von Schusswaffen, Sprengstoffen, Kernwaffen, biologischen und chemischen Waffen sowie die Forschung und Entwicklung in Bezug auf biologische und chemische Waffen;
66 
g) Freisetzung gefährlicher Stoffe oder Herbeiführen eines Brandes, einer Explosion oder einer Überschwemmung, wenn dadurch das Leben von Menschen in Gefahr gebracht wird;
67 
h) Manipulation oder Störung der Versorgung mit Wasser, Strom oder anderen lebenswichtigen natürlichen Ressourcen, wenn dadurch das Leben von Menschen in Gefahr gebracht wird;
68 
i) Drohung mit der Begehung einer der unter den Buchstaben a) bis h) genannten Straftaten;
69 
j) Anführen einer terroristischen Vereinigung;
70 
k) Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung einschließlich durch Bereitstellung von Informationen oder materiellen Mitteln oder durch jegliche Art der Finanzierung ihrer Aktivitäten in dem Wissen, dass diese Beteiligung zu den kriminellen Aktivitäten der Gruppe beiträgt.
71 
Im Sinne dieses Absatzes bezeichnet der Ausdruck "terroristische Vereinigung" einen auf längere Dauer angelegten organisierten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, die in Verabredung handeln, um terroristische Handlungen zu begehen. Der Ausdruck "organisierter Zusammenschluss" bezeichnet einen Zusammenschluss, der nicht zufällig zur unmittelbaren Begehung einer terroristischen Handlung gebildet wird und der nicht notwendigerweise förmlich festgelegte Rollen für seine Mitglieder, eine kontinuierliche Mitgliedschaft oder eine ausgeprägte Struktur hat.“
72 
Bei der hiernach erforderlichen wertenden Gesamtschau sind insbesondere die Ausübung von Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung als auch der Einsatz gemeingefährlicher Waffen zur Durchsetzung politischer Ziele für terroristische Handlungen kennzeichnend, daneben aber auch Tötungen von abtrünnigen Mitgliedern der eigenen Organisation oder von Sicherheitskräften, sofern die Merkmale eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne des Art. 8 Abs. 2 lit. d und f des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 nicht erfüllt sind (OVG NRW, Urteil vom 02.07.2013 - 8 A 5118/05.A -, juris, unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 09.11.2010 - C-57/09, C-101/09 -, NVwZ 2011, 285; BVerwG, Urteile vom 07.07.2011 - 10 C 26.10 -, juris und vom 04.09.2012 - 10 C 13.11 -, BVerwGE 144, 230; jew. zum Ausschluss der Asylberechtigung wegen Unterstützung terroristischer Aktivitäten der PKK) bzw. eine Rechtfertigung über Art. 43 i. V. m. Art. 1 Abs. 4 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler Konflikte vom 08. Juni 1977 (BGBl. 1990 II, S. 1551) nicht in Betracht kommt (so: BGH, Beschluss vom 06.05.2014 - 3 StR 265/13 -, NStZ-RR 2014, 274, verneinend zur PKK), Der Senat ist sich danach bewusst, dass für die Definition des Terrorismus nicht schlicht auf die Anwendung von Gewalt abgestellt werden kann und auch Konstellationen denkbar sind, bei denen sich eine Gewaltanwendung als legitimes Mittel zur Wiederherstellung eines völkerrechtsgemäßen Zustands darstellt.
73 
Davon ausgehend gibt der vorliegende Fall dem Senat keinen Anlass, seine bisherige Bewertung zu revidieren, dass es sich bei der PKK um eine terroristische bzw. eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung handelt (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 -, juris; Urteil vom 16.05.2012 - 11 S 2328/11 -, juris; vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, NVwZ-RR 2012, 412).
74 
Die PKK ist auch weiterhin auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt (vgl. Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 02.05.2002 betreffend die Aktualisierung des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GSAP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus - 2002/340/GSAP -, ABl. EG L 116 vom 03.05.2002, S. 75, zuletzt aktualisiert mit Beschluss 2015/2430 des Rates vom 21.12.2015, ABl. L 337 vom 22.12.2012, S. 18 und die Durchführungsverordnung 2015/2425 des Rates vom 21.12.2015, ABl. L 334 vom 22.12.2015, S. 1), was nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union die Feststellung erlaubt, dass die Vereinigung terroristischer Art ist (Urteil vom 09.11.2010 - C-57/09, C-101/09 -, NVwZ 2011, 285). Folgt man der Auffassung der Generalanwältin Sharpston, die in der Aufnahme einer Organisation in die Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 „auf den ersten Blick“ einen „deutlichen Anhaltspunkt dafür“ sieht, „dass die Organisation entweder eine terroristische Organisation ist oder (gestützt auf Beweise, die ihrerseits rechtlich angegriffen werden können) im Verdacht steht, eine solche Organisation zu sein“ (EuGH, Schlussanträge vom 11.09.2014, C- 373/13 -, juris, Rn. 95), führt dies in Bezug auf die PKK zu keiner anderen Bewertung. Der Senat geht unbeschadet der Listung der PKK davon aus, dass von dieser keine Bindungswirkung ausgeht und daher eine eigenständige gerichtliche Prüfung der vorliegenden Erkenntnismittel nicht entbehrlich ist (so auch: BayVGH, Beschluss vom 08.05.2009 - 19 CS 09.268 -, juris; a. A.: Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 54 AufenthG, zu Abs. 1 Nr. 2, Stand: 16.01.2016, Rn. 83), gleichwohl handelt es sich um ein gewichtiges Indiz, zumal gegen eine Listung effektiver gerichtlicher Rechtsschutz gewährt wird (Bauer, in: Sinn/Zöller, Neujustierung des Strafrechts durch Terrorismus und Organisierte Kriminalität, 2013, 103 <111>, unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 09.11.2012 - C-539/10 P, 550/10 P -, juris).
75 
Der Senat legt in tatsächlicher Hinsicht zunächst die im bisherigen Verfahren vom Beklagten und dem Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen zu den Aktivitäten der PKK zu Grunde, die der Kläger auch nicht in Frage stellt (Ziffer 2.1.1. der Ausweisungsverfügung, Blatt 25 bis 27 der Akte des Verwaltungsgerichts; Ziffer 1. a) des Urteils des Verwaltungsgerichts, Seite 8, unten, letzter Absatz bis Seite 10, Blatt 8 bis 10 der Gerichtsakte).
76 
Hiervon ausgehend ist zunächst festzustellen, dass die PKK, wie in den in Bezug genommenen Entscheidungen des Senats und in dem angegriffenen Urteil des Verwaltungsgerichts schon ausgeführt, zu keinem Zeitpunkt ernst- und dauerhaft von terroristischen Aktionen Abstand genommen hat, da von ihr ausgerufene Waffenruhen stets wieder beendet wurden. Selbst während solcher Waffenruhen kam es weiterhin zu terroristischen Aktivitäten. Die Global Terrorism Database der University of Maryland (start.umd.edu unter dem Stichwort PKK) listet in ihrer aktuell bis Ende 2014 reichenden Datensammlung zahlreiche terroristische Aktivitäten in der Türkei auf, die der PKK bzw. deren militärischen Arm, der HPG, zugerechnet werden. In zwei - im Übrigen gravierenden - Fällen aus dem Jahr 2014 hat diese sogar ausdrücklich die Verantwortung für Anschläge übernommen, und zwar für einen Angriff am 26. September 2014 auf Verkehrspolizisten zwischen Diyarbakir und Bitlis, bei der drei Polizisten getötet und zwei verwundet wurden und einen weiteren „Granatenangriff“ auf eine Fabrikanlage am 24. Oktober 2014 in Kagizman, in der Provinz Kars, bei der drei der Angreifer getötet wurden. Wie sich der aktuellen Tagespresse und den weiteren Erkenntnismitteln des Gerichts entnehmen lässt, hat die PKK zuletzt Ende Juli 2015 die zuvor etwa zwei Jahre währende (relative) Waffenruhe ausdrücklich aufgekündigt. Es kam in der Folge, als Reaktion auf einen Anschlag in der türkischen Stadt Suruc, zur Ermordung zweier türkischer Polizisten in Ceylanpinar, zu der sich die PKK bekannt hat, und in der Folge zudem zu Auseinandersetzungen von pro-türkischen und pro-kurdischen Gruppen auch in Deutschland (Deutscher Bundestag, „Konflikt zwischen der Türkei und PKK“, Parlamentsnachrichten vom 22.10.2015; tagessschau.de, „PKK bekennt sich zu Anschlag auf Polizisten“, 22.07.2015, 15:29 Uhr; Deutschlandfunk.de, „PKK fühlt sich nicht mehr an erklärten Gewaltverzicht gebunden“, 05.11.2015; Wladimir van Wilgenburg, jamestown.org, TerrorismMonitor, Vol. XIII, Issue 19, 17.09.2015, „Turkey`s New Syria Policy: Preventing Islamic State an Kurdish Expansion“, S. 6 f.). Die Australian National Security weist in einer aktuellen Stellungnahme zur PKK darauf hin, dass diese zwar im Zuge der Waffenruhe mit dem türkischen Staat ihre terroristischen Aktivitäten heruntergefahren habe, gleichwohl aber seit dem 20. August 2012 über 50 Menschen durch Attacken der PKK ums Leben gekommen und über 300 gekidnappte Kinder zwischen Dezember 2013 und Mai 2014 zu verzeichnen gewesen seien (nationalsecurity.gov.au/listedterrororganisations/pages/kurdistanworkersparty). Entführungen von Kindern zur Erpressung von Geldzahlungen werden auch durch eine weitere seriöse Quelle bestätigt: M. M. berichtet in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 31. Oktober 2015 in einem ausführlichen Hintergrundbericht („Die heimlichen Herrscher von Diyarbakir“, S. 7) von einer größer werdenden Abhängigkeit gewählter Politiker der HDP von der PKK in den kurdischen Gebieten der Türkei mit nach Auskunft von kurdischen Menschenrechtlern, wie etwa S. B., fatalen Folgen für jene Kurden, die bei der PKK nicht wohlgelitten seien: „Die PKK sieht sich keinen moralischen oder rechtlichen Werten unterworfen“, so B.. Wer ins Fadenkreuz der PKK gerate, könne auf niemanden hoffen. Die PKK treibe ihre eigenen Steuern ein und entführe Kinder von Leuten, die nicht zahlten. Er, B., sei überrascht, dass man im Ausland so wenig darüber wisse. Und weiter: In Diyarbakir sei es leichter, Erdogan oder den türkischen Staat anzugreifen als die PKK. „Der Preis für Kritik an der PKK kann der Tod sein, das Verbrennen von Autos, Häusern, Büros. Ich habe viele Drohungen bekommen.“, so B..
77 
Angesichts dieser Erkenntnislage kann keine Rede davon sein, die PKK hätte sich zu einer den Menschenrechten und der Demokratie verpflichteten Organisation gewandelt. Die Erschießung von Verkehrspolizisten, der Angriff auf eine Fabrikanlage mit Granaten sowie die Entführung von Kindern zur Finanzierung der eigenen Aktivitäten lassen sich nach Auffassung des Senats nicht als Kampfhandlungen in einem innerstaatlichen Konflikt oder gar als ein völkerrechtlich gerechtfertigtes Handeln in einem solchen bewerten (vgl. hierzu: BGH, Beschluss vom 06.05.2014 - 3 StR 265/13 -, NStZ-RR 2014, 274).
78 
Der Senat sieht sich hier auch in Übereinstimmung mit den aktuellen Bewertungen der PKK und deren Teilorganisationen durch den Bundesgerichtshof, (Beschluss vom 03.09.2015 - AK 27/15 -, BeckRS 2015, 16318; vom 19.03.2015 - AK 2/15 -, juris; vom 06.05.2014 - 3 StR 265/13 -, NStZ-RR 2014, 274, auch zur Zurechnung von Taten der TAK zur PKK; vom 16.02.2012 - AK 1/12 und AK 2/12 -, juris, zur KCK und der HPG; Urteil vom 28.10.2010 - 3 StR 179/10 -, NJW 2011, 542; vgl. auch Haverkamp, ZStW 2011, 92 <96>, Fn. 25, die bezüglich der PKK von einer Allianz von Terrorismus mit organisierter Kriminalität ausgeht).
79 
Soweit der Kläger daher auf veränderte politische Umstände und dabei insbesondere darauf abstellen will, dass die PKK sich nunmehr dem Kampf gegen den IS, dem Schutz der Zivilbevölkerung im Norden Syriens verpflichtet fühle, den bewaffneten Kampf gegen die Türkei aufgegeben habe und entgegenstehende Äußerungen hochrangiger Funktionäre der PKK als Teil der Propaganda zwischen der PKK und dem türkischen Staat zu bewerten seien, ist dies auch durch das aktuelle Vorgehen der PKK eindrucksvoll widerlegt. Selbst wenn man mit dem Kläger einmal unterstellt, die PKK sei mit der YPG gleichzusetzen und in Syrien dem Schutz der Kurden und Jesiden verpflichtet, ändert dies nichts an den in der Türkei verübten terroristischen Taten.
80 
b.) Davon ausgehend stellen sich die vom Kläger unbestritten entfalteten Aktivitäten ab Dezember 2010 als Unterstützungshandlungen zu Gunsten der PKK dar, die ihm als Ausweisungsinteresse auch vorgehalten werden dürfen.
81 
Im konkreten Fall können allerdings nur noch diejenigen Aktivitäten des Klägers ein solches begründen, die dieser nach erfolgter Mitteilung im Juli 2010 an ihn, dass wegen seiner Aktivitäten die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis bzw. seine Ausweisung geprüft werde, entfaltet hat. Davor liegende sind aus Gründen des Vertrauensschutzes verbraucht. Denn ein Ausweisungsinteresse ist, wie auch bislang schon ein Ausweisungsgrund, verbraucht, wenn ein Aufenthaltstitel in Kenntnis bzw. in der Sphäre des Staates zuzurechnender Unkenntnis desselben erteilt bzw. verlängert wurde (Discher, in: GK-AufenthG, Juni 2009, Vor §§ 53. ff. AufenthG, Rn. 382 ff., m. w. N.). So liegt der Fall hier. Darauf, ob solche Aktivitäten der den Titel erteilenden Ausländerbehörde tatsächlich selbst bekannt waren, kommt es mit Blick auf den damit bezweckten Vertrauensschutz, der sich aus der Perspektive des betroffenen Ausländers bestimmt, nicht entscheidend an. Vielmehr genügt es, wenn solche Aktivitäten der Ausländerbehörde hätten bekannt sein können, was hier der Fall ist, nachdem diese selbst eine Sicherheitsüberprüfung mit Blick auf vorliegende Erkenntnisse eingeleitet und sodann die Niederlassungserlaubnis erteilt hat, ohne das Ergebnis der Überprüfung abzuwarten. Dass dies unter der - irrigen - Annahme erfolgte, eine Überprüfung sei vorliegend rechtlich nicht erforderlich, ändert hieran nichts.
82 
Diese Aktivitäten des Klägers sind auch überwiegend als Unterstützungshandlungen im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu werten, insoweit gelten die Maßstäbe des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung vom 30. Juli 2004 (BGBl I, S. 1950) - AufenthG a. F. und die hierzu in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze - weiterhin. Als tatbestandserhebliches Unterstützen ist hiernach jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirkt. Dazu zählt zum Beispiel auch jedes Tätigwerden eines Nichtmitglieds, das die innere Organisation und den Zusammenhalt der Vereinigung fördert, ihren Fortbestand oder die Verwirklichung ihrer auf die Unterstützung terroristischer Bestrebungen gerichteten Ziele fördert und damit ihre potenzielle Gefährlichkeit festigt und ihr Gefährdungspotenzial stärkt. Auf einen beweis- und messbaren Nutzen für die Verwirklichung der missbilligten Ziele kommt es ebenso wenig an wie auf eine subjektive Vorwerfbarkeit. Allerdings kann nicht jede Handlung, die sich zufällig als für die betreffende Vereinigung bzw. den Terrorismus objektiv vorteilhaft erweist, als tatbestandsmäßiges Unterstützen verstanden werden. Vielmehr muss die eine Unterstützung der Vereinigung bezweckende Zielrichtung des Handelns für den Ausländer regelmäßig erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein, nicht vorausgesetzt wird, dass diese ihm auch bekannt ist und er sich dessen bewusst sein muss. Auch fehlt es an einem Unterstützen, wenn jemand allein einzelne politische, humanitäre oder sonstige Ziele der Organisation, nicht aber auch die Unterstützung des internationalen Terrorismus befürwortet - und sich hiervon gegebenenfalls deutlich distanziert - und lediglich dies durch seine Teilnahme an erlaubten Veranstaltungen in Wahrnehmung seines Grundrechts auf freie Meinungsäußerung nach außen vertritt. Dienen solche Veranstaltungen allerdings erkennbar dazu, nicht nur einzelne Meinungen kundzutun, wie sie auch die Vereinigung vertritt, sondern soll durch die - auch massenhafte - Teilnahme jedenfalls auch diese Vereinigung selbst vorbehaltlos und unter Inkaufnahme des Anscheins der Billigung ihrer terroristischen Bestrebungen (beispielsweise wegen des angekündigten Auftretens von Funktionären einer verbotenen Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt) gefördert werden, dann liegt ein im Hinblick auf den Normzweck potenziell gefährliches Unterstützen im Sinne von § 54 Nr. 5 AufenthG a. F. bzw. § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG n. F. vor, der die Freiheit der Meinungsäußerung insoweit verhältnismäßig beschränkt. Eine Unterstützung kann ferner dann in Betracht kommen, wenn durch zahlreiche Beteiligungen an Demonstrationen und Veranstaltungen im Umfeld einer Vereinigung - wie der verbotenen PKK - bei einer wertenden Gesamtschau feststeht, dass der Ausländer auch als Nichtmitglied in einer inneren Nähe und Verbundenheit zu der Vereinigung selbst steht, die er durch sein Engagement als ständiger (passiver) Teilnehmer zum Ausdruck bringt, und damit deren Stellung in der Gesellschaft (vor allem unter Landsleuten) begünstigend beeinflusst, ihre Aktionsmöglichkeiten und eventuell auch ihr Rekrutierungsfeld erweitert und dadurch insgesamt zu einer Stärkung ihres latenten Gefahrenpotenzials beiträgt. Dabei muss allerdings die terroristische oder den Terrorismus unterstützende Tätigkeit der Vereinigung im In- oder Ausland zum jeweiligen Zeitpunkt feststehen und das Verhalten des Einzelnen auch unter Berücksichtigung etwaiger glaubhafter Distanzierungen von der Unterstützung des Terrorismus (oder das Fehlen jeglicher Distanzierung) gewürdigt werden. Eine darüber hinausgehende konkrete oder persönliche Gefährdung der inneren oder äußeren Sicherheit ist dagegen nicht erforderlich. Ebenso wenig ist ein "aktives Tätigwerden" erforderlich (BVerwG, Urteil vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 -, InfAuslR 2005, 374, zur früheren Regelung des § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG; vgl. auch Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 -, juris, m. w. N.; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 08.12.2010 - 11 S 2366/10 -, InfAuslR 2011, 105; Urteil vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 - juris, vom 21.04.2010 - 11 S 200/10 -, DVBl 2010, 797; vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, juris; vom 14.05.2014 - 11 S 2224/13 -, juris; BayVGH, Urteil vom 29.11.2010 - 11 K 1763/10 -, juris).
83 
Soweit der Kläger die dargestellten rechtlichen Maßstäbe in grundsätzlicher Art angreift, überzeugt dies den Senat nicht.
84 
Der Senat folgt nicht seiner Auffassung, Verfassungs- bzw. Unionsrecht verlangten, dass das individuelle mit der Ausweisung bekämpfte Verhalten des Einzelnen eine konkrete mit der jeweiligen Einzelhandlung verbundene Gefahr für wichtige Gemeinschaftsgüter hervorrufe. Ein verfassungs- oder unionsrechtlicher Rechtssatz, der dazu zwingen würde, nur konkrete terroristische Gefahren mit der Ausweisung zu bekämpfen, ist nicht ersichtlich. Die dahingehende Argumentation des Klägers bleibt daher auch gänzlich unspezifisch. Es ist nichts Grundsätzliches dagegen einzuwenden, wenn der Gesetzgeber mit Blick auf die spezifischen Gefahren terroristischer Aktivitäten unter Berücksichtigung der Bedeutung der davon betroffenen hochrangigen Rechtsgüter (Leib, Leben, Freiheit der Bevölkerung, hohe Sachwerte sowie die innere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik) und des zumeist konspirativen (Beweisnot), ideologisch motivierten Vorgehens solcher Vereinigungen (Gruppendynamik), aus denen sich gravierende Nachweisschwierigkeiten und deren erschwerte Bekämpfbarkeit ergeben, mit einer Absenkung des Gefahrenmaßstabs reagiert. Dies entspricht anerkannten Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts.
85 
Soweit der Kläger meint, es sei stets ein Vollbeweis zu führen, gilt nichts anderes. Der gesetzlich normierte abgesenkte Beweismaßstab der Regelung ist dem Grunde nach, insbesondere mit Blick auf die bereichstypische Beweisnot und die Hochwertigkeit der zu schützenden Rechtsgüter, rechtlich unbedenklich, weil sachangemessen. Die Grenzen sind gegebenenfalls von der Rechtsprechung anhand konkreter Fälle zu präzisieren, was auch geschieht (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 -, NVwZ 2012, 701; vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 -, NVwZ 2005, 1091; VGH Bad.-Württ, Urteil vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 -, juris; BayVGH, Beschluss vom 09.11.2005 - 24 CS 05.2621 -, NVwZ 2006, 1306; siehe auch: Berlit, NVwZ 2013, 327, m. w. N; Kirsch, NVwZ 2012, 677; Eckertz-Höfer, in: Barwig u. a., Perspektivwechsel im Ausländerrecht?, 2007, 105 <114>; Marx, ZAR 2004, 275). Auch ist sich der Senat durchaus der Problematik von Beweisketten bewusst, bei denen “sich die Beweiskraft […] umso mehr verringert, je länger die Kette ist, und umso schneller vermindert, je geringer die jeweilige Beweiskraft der je einzelnen Indizien ist“ (so schon: Bender/Röder/Nack, Tatsachenfeststellungen vor Gericht, Band I, 1. Aufl., 1981, S. 181 f.). Daraus erwächst in vorliegendem Fall allerdings schon deshalb kein entscheidungserhebliches Problem, weil weder die dem Kläger vorgehaltenen Aktivitäten in tatsächlicher Hinsicht im Streit stehen, noch die der Vereinigungen, in denen er tätig war und ist und letztlich auch nicht die der PKK, sondern jeweils nur deren Bewertung.
86 
Zudem ist inzwischen geklärt, dass eine gleichlaufende Auslegung von straf- und ausweisungsrechtlichem Unterstützungsbegriff nicht geboten ist (BVerwG, Urteil vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 -, NVwZ 2012, 701). Die nicht deckungsgleichen Ziele des Strafrechts einerseits und des Rechts der Gefahrenabwehr andererseits schließen die Möglichkeit einer effektiven Abwehr terroristischer Gefahren einzig über das Strafecht oder auf der Grundlage der dieses Rechtsgebiet prägenden Begrenzungen aus. Strafe im verfassungsrechtlichen Sinne, verstanden als auch „sozialethisches Unwerturteil“ (so: BVerfG, Beschluss vom 09.07.1997 - 2 BvR 1371/96 -, BVerfGE 96, 245) dient als reaktive Maßnahme vornehmlich dem Schuldausgleich, die Prävention ist nur ein Teilaspekt der Strafzumessung und diese ist wiederum begrenzt durch die individuelle Schuld des Täters (§ 46 Abs. 1 Satz 1 StGB). Damit ist sie im Kern auf die Aufarbeitung schon geschehener oder versuchter Taten (§ 22 StGB) begrenzt. Ihre daher nur punktuell zulässige Erstreckung auf Vorfeldaktivitäten steht, wie die §§ 89a, 129a, 129b StGB und die dazu ergangene Rechtsprechung deutlich machen, in einem verfassungsrechtlichen Spannungsverhältnis, das es ausschließt, eine hinreichend effektive, insbesondere aktive und rechtzeitige Abwehr künftiger Gefahren nach Opportunitätsgesichtspunkten über Strafvorschriften oder unter Bindung an deren Begrenzungen zu gewährleisten.
87 
Wenn der Kläger sich schließlich darauf beruft, stets nur an erlaubten (präziser: nicht verbotenen) Veranstaltungen teilgenommen zu haben bzw. teilzunehmen und stets nur für nicht verbotene Vereine tätig zu sein, greift dies aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen nicht durch: Aus rechtlichen nicht, da § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG im Gegensatz zu Nr. 3 der Vorschrift gerade nicht auf ein Verbot abstellt und ein solches deren Mitglieder vermehrt zu konspirativem Verhalten veranlassen kann, ohne dass damit für die Gefahrenabwehr viel gewonnen wäre. Es kann daher aus Gründen der Gefahrenabwehr opportun sein, von einem solchen abzusehen. Aus tatsächlichen nicht, da es fern liegt, annehmen zu wollen, dem Kläger sei das auch terroristische Verhalten der PKK in der Türkei entgangen und er sei sich im Unklaren über die Bedeutung seines eigenen Tuns, zumal er sich augenscheinlich fast ausschließlich mit der Kurdenthematik zu beschäftigen scheint und er die vom Gericht mitgeteilten Erkenntnisse zur PKK sowie der YEK-KOM bzw. NAV-DEM noch nicht einmal ansatzweise in Abrede gestellt hat (dazu sogleich unten).
88 
Nach den dargelegten Maßstäben stehen zur Überzeugung des Senats hier eine Vielzahl von Tatsachen fest, die die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Kläger die PKK und damit den Terrorismus unterstützt, so die Mitgliedschaft und die Übernahme von Vorstandsfunktionen in PKK-nahen Vereinen, weitere herausgehobene Tätigkeiten als Redner und Organisator von PKK-nahen Veranstaltungen und die über Jahre hinweg fortgesetzte Teilnahme an den unterschiedlichsten Aktionen und Veranstaltungen solcher Vereinigungen.
89 
Im Einzelnen sind dem Kläger zunächst die sich aus der Ausweisungsverfügung ergebenden Aktivitäten bis zur Erteilung der Niederlassungserlaubnis an ihn vorgehalten worden, auf die hier verwiesen wird (Ziffer 1.2. der Ausweisungsverfügung, Seite 3 bis 9; Blatt 16, unten, bis einschl. Blatt 23, erster Absatz oben, der Akte des Verwaltungsgerichts) und die von diesem ebenso wenig in Abrede gestellt werden, wie die weiteren, die der Kläger nach Mitteilung des Beklagten an ihn im Juli 2010, dass eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis bzw. eine Ausweisung mit Blick auf seine Aktivitäten zu Gunsten der PKK geprüft werde, entfaltet hat:
90 
- Am 5. Dezember 2010 nahm er an einer PKK-Gründungsfeier in Lampertheim in der Siedlerhalle teil. Dort waren eine KCK-Fahne und ein Öcalan-Porträt angebracht. Ein in Guerillauniform auftretender Redner lobte die eigene Partei als wichtige und modern ausgerichtete Organisation, die den kurdischen Freiheitskampf auf die internationale Bühne gebracht habe. Dies habe man dem großen Führer Apo und den Parteimärtyrern zu verdanken. Man dürfe auch die Kämpfer an der Front nicht vergessen, die man von hier aus grüße. Ein weiterer Redner referierte über die Geschichte der PKK.
91 
- Am 20. Februar 2011 nahm der Kläger an einer Mitgliederversammlung der kurdischen Gemeinschaft Heilbronn e.V. (KG HN) teil. Nach einer Schweigeminute für die Märtyrer Kurdistans und der ganzen Welt referierte er über die unzureichende Vorstandstätigkeit des Vereins und forderte dazu auf, verstärkt Mitglieder zu werben. Er wisse, dass im Raum Heilbronn 500 bis 600 kurdische Familien lebten, die meisten von ihnen hätten aber nur deswegen keinen Kontakt zum Verein, weil sie Angst vor den deutschen Behörden hätten. Es bestünde kein Grund zur Furcht, da alles angemeldet und der Verein absolut legal sei. Der Kläger bat die Anwesenden, auf die Kurden zuzugehen, mit ihnen zu reden und ihnen die Angst zu nehmen.
92 
Nach Durchführung der Sicherheitsbefragung am 23. Februar 2011:
93 
- Am 5. August 2011 war der Kläger in der Yeni Özgür Politika (YÖP) abgebildet, dies anlässlich einer Kampagne zur Anerkennung der kurdischen Identität, organisiert von der YEK-KOM. Laut der Berichterstattung hat er im Heilbronner Verein über die Ziele der Kampagne informiert.
94 
- Laut Mitteilung des Polizeipräsidiums Mannheim vom 30. Januar 2012 war der Kläger am 4. November 2011 Teilnehmer und Redner bei einem Aufzug mit Kundgebung in Mannheim zum Thema „türkische Regierung verwendet Napalmgas und chemische Waffen gegen die türkische Bevölkerung/Schluss mit der Isolationshaft von Öcalan/Schluss mit den Verhaftungswellen in der Türkei gegen die kurdischen Politiker“. Der Redebeitrag des Klägers habe den Eindruck hoher Emotionalität vermittelt.
95 
- Am 2. Dezember 2011 nahm er an einer Gedenkfeier zum 33. Partei-gründungs-Jahrestag, dem 27. November 1978, in Heilbronn teil. Auch dort hingen Bilder von Öcalan und Parteifahnen, auch der ERNK, der früheren Propagandaorganisation der PKK. Nach einer Gedenkminute für die kurdischen Märtyrer und der Begrüßung schilderte ein Redner die Parteigründung durch Öcalan und dessen Genossen. Die Erfolgsgeschichte der Partei dauere bis heute an, leider aber auch ihre Schwierigkeiten, bedauerlicherweise auch in Europa. Es sei erforderlich, die Partei zu unterstützen. Es wurden mehrfach Parolen wie „Es lebe Öcalan“ und „Unsere Märtyrer sind nicht gestorben“ skandiert. Auch dort waren fast ausschließlich PKK-Unterstützer zugegen.
96 
- Am 13. Dezember 2011 wurde der Kläger erneut in der YÖP anlässlich eines Vereinskongresses in Stuttgart erwähnt. Er forderte dort die hier lebenden Kurden auf, stärker für ihre Identität einzutreten.
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Nach Verfügung der Ausweisung am 10. Januar 2012:
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- In der YÖP vom 14. Februar 2012 wurde er als Teilnehmer des 3. Kongresses der kurdischen Gemeinschaft Heilbronn e.V. abgebildet. Er führte dort in seiner Rede aus, dass die Kurden in der Türkei und in Europa unter Beschuss stünden, da ihnen die Existenz ihrer eigenen Kultur abgesprochen werde.
99 
- Aus dem Bericht des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden Württemberg vom 19. Dezember 2012 ergibt sich, dass der Kläger zwar das Amt des 2. Vorsitzenden der YEK-KOM seit Ende 2011 nicht mehr ausübt, er jedoch bereits im Mai 2012 erneut in den Vorstand der YEK-KOM gewählt wurde.
100 
- In dieser Funktion ist er ausweislich des weiteren Berichts des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg vom 17. Oktober 2013 beispielsweise als Versammlungsleiter des 20. kurdischen Kulturfestivals am 8. September 2012 in Mannheim in Erscheinung getreten. Bei dieser Veranstaltung kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen Polizeibeamte.
101 
- Er ergriff am 16. Januar 2013 in Mannheim im Rahmen einer Solidaritätsdemonstration für die drei in Paris ermordeten PKK-Aktivistinnen das Wort und verurteilte das Attentat scharf. Er vertrat die Meinung, dass die Morde nicht nur in den Personen der Aktivistinnen angesiedelt seien, sondern auch auf politische Überlegungen zurückzuführen seien, die einen Fortbestand der kriegerischen Auseinandersetzungen der Heimat zum Ziel hätten. Die Geheimdienste stünden hinter diesem Anschlag. Der französische Staat könne diesen problemlos aufklären, wenn er dies nur wolle. Folglich müssten die Kurden einen legitimen demokratischen Druck auf den französischen Staat ausüben. Der Kläger rief zu Sitzstreiks in allen Städten mit französischen Botschaften und ähnlichen Einrichtungen auf, bis eine Aufklärung des Attentats erfolgt sei.
102 
- Am 21. Mai 2013 war der Kläger im Namen der YEK-KOM bei den Vorstandswahlen der kurdischen Gemeinschaft Heilbronn e.V. anwesend.
103 
- Am 8. September 2013 fungierte der Kläger als Versammlungsleiter bei einer Mitgliederversammlung mit Vorstandswahl des PKK-nahen mesopotamischen Anadolu Kulturvereins e.V. (MAK). Zur PKK-Nähe des MAK Lahr sei auf den Bericht des Landesamtes vom 9. März 2010 an das Innenministerium zu verweisen.
104 
- Am 29. April 2014 war der Kläger in der YÖP als Teilnehmer des Gründungskongresses des kurdischen-demokratischen Gesellschaftszentrums am 27. April 2014 in den Räumlichkeiten des PKK-nahen kurdischen Kulturvereins e.V. in ... abgebildet.
105 
- Am 10. Oktober 2015 hielt der Kläger anlässlich einer Protestaktion in Frankfurt im Namen der NAV-DEM eine Rede.
106 
Nach „Auflösung“ der YEK-KOM am 22. Juni 2014 ließ sich der Kläger am selben Tag in gleicher Sitzung, zusammen mit einem weiteren Vorstandsmitglied der YEK-KOM, in den fünfköpfigen Vorstand der NAV-DEM wählen. Diese Vorstandstätigkeit übt er bis heute aus, und er ist in dieser Funktion seitdem auch als Redner und Versammlungsleiter auf zahlreichen Veranstaltungen aufgetreten, die erkennbar der Propaganda für die PKK dienten. Der Kläger engagiert sich damit seit langem ohne Zäsur in herausgehobener Position unterstützend für die PKK.
107 
Daran, dass die YEK-KOM die PKK unterstützt hat, bestehen weiterhin keine vernünftigen Zweifel. Hierzu hat der Senat schon in seinem Urteil vom 7. Dezember 2011 - 11 S 897/11 -, juris Rn. 47, das vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 -, InfAuslR 2013, 418, bestätigt wurde, ausgeführt:
108 
„Für eine PKK-Nähe des Vereins spricht schon der Umstand, dass dieser Mitglied bei der YEK-KOM, der „Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V.“ war. Dies lässt sich dem vom Kläger im Asylverfahren vorgelegten Protokoll über die Mitgliederversammlung vom 25.01.1997 entnehmen, in welcher die Vereinsmitglieder - nach Darstellung der Arbeit und der Bedeutung der YEK-KOM - für eine Mitgliedschaft des Vereins in dieser Dachorganisation gestimmt haben. Die YEK-KOM, deren Sitz in Düsseldorf ist und der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK durch eine Vielzahl von Aktionen. Dies wird in der überzeugenden „Einschätzung“ des Landesamts für Verfassungsschutz vom 17.06.2010 im Einzelnen ausführlich dargelegt. Die YEK-KOM sei ihrerseits Mitglied der „Konföderation der Kurdischen Vereine in Europa“ (KON-KURD). Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen bzw. ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie „Freiheit für Öcalan“ und „Frieden für Kurdistan“. In einer zusammenfassenden Bewertung heißt es, im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die „logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans“ verankert. Die von der YEK-KOM sowohl in ihren Publikationen als auch bei ihren Veranstaltungen und Aktionen aufgegriffenen Themen lägen im Interessenbereich der PKK. Zu nennen seien insbesondere die Aufhebung des PKK-Verbots und die Freilassung Abdullah Öcalans. Der Verein biete der PKK bzw. ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Zusammenfassend lasse sich daher sagen, dass eine eindeutige Nähe des Vereins YEK-KOM zur PKK bzw. zu ihren Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL vorliege.“
109 
Für die NAV-DEM gilt insoweit nicht anderes. Soweit der Kläger unter Verweis auf schriftliche Erklärungen der NAV-DEM meint, dass diese eine andere Ausrichtung als die YEK-KOM habe, nämlich den Kampf gegen den IS, die Förderung der Integration der in Deutschland lebenden Kurden und die Gleichstellung und die Gleichberechtigung der Frauen, überzeugt dies den Senat nicht. Das Verwaltungsgericht hat schon zu Recht auf die fehlende tatsächliche Veränderung der Aktivitäten des Vereins abgestellt, der zudem nicht neu gegründet, sondern nur umbenannt wurde. Es verweist zutreffend auf die Pressemitteilung des Vereins vom 18. Juli 2014, aus der sich ergibt, dass die NAV-DEM selbst nach eigenem Verständnis die Arbeit der YEK-KOM fortführt. Die vom Senat eingesehene Internetpräsenz (navdem.com) bestätigt dies, die Überschrift der Pressemitteilung vom 18. Juli 2014 lautet:
110 
„YEK-COM heißt jetzt NAV-DEM“
111 
Die weiteren dort aufgeführten Pressemitteilungen verdeutlichen im Übrigen die Fortführung der Veranstaltungen und Kundgebungen mit gleichem Ablauf und gleichen Themen wie zuvor schon unter dem Namen YEK-KOM:
112 
- Eintrag vom 7. September 2014, Interview mit Yüksel Koc „Das Verbot kriminalisiert die Kurden“, anlässlich einer Festnahme eines Mannes durch die Generalbundesanwaltschaft, der Geld für die PKK gesammelt haben soll, was, nach Koc, eine Kriminalisierung politischer Arbeit bedeute, da dieser selbst keine Gewalt ausgeübt habe.
113 
- Eintrag zur Kundgebung am 13. September 2014 in Düsseldorf unter dem Motto „Freiheit für Öcalan - Status für die Kurden“.
114 
- Eintrag vom 6. März 2015: Aufruf zur Newroz-Demonstration am 21. März 2015 in Bonn.
115 
Der Beklagte hat zudem unwidersprochen und zutreffend darauf hingewiesen, dass NAV-DEM und YEK-KOM identische Logos auf ihren Internetpräsenzen verwenden und der Vorsitzende der NAV-DEM im März 2014 erklärt habe, man könne die deutsche Demokratie nicht akzeptieren. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz geht in seiner Broschüre zur „Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)“ vom Juli 2015, dort S. 18, davon aus, dass die NAV-DEM in Nachfolge der YEK-KOM wie diese auch als Dachverband von örtlichen Vereinen diene, in denen die PKK Informationen steuere und Vorgaben umsetze und dass sich die NAV-DEM durch eine aktive Öffentlichkeits- und Kampagnenarbeit sowie den Aufbau von Kontakten zu politischen Entscheidungsträgern bemühe, weitere Unterstützung für deren Anliegen zu erhalten. Diese Einschätzung teilt der Senat aufgrund der dargestellten tatsächlichen Umstände und sieht sich dabei auch die Aktivitäten des Klägers selbst bestätigt.
116 
Soweit der Kläger meint, dass es dem Verwaltungsgericht an ausreichender Sachkunde gefehlt habe, um eine Änderung des Aufgabenspektrums zu verneinen, erschöpft sich dies in einer schlichten Behauptung, die auf nichts gestützt wird. Sämtliche vom Verwaltungsgericht und dem Beklagten ausführlich dargelegten tatsächlichen Aktivitäten der YEK-KOM und nachfolgend der NAV-DEM sowie der Redner und Teilnehmer an deren Veranstaltungen lässt der Kläger gänzlich unkommentiert, obwohl es ihm als 2. Vorstandsmitglied der NAV-DEM ein Leichtes sein müsste, Tatsächliches zum Verein vorzubringen, das die Wertungen des Verwaltungsgerichts und des Beklagten diesbezüglich erschüttern würde. Es spricht hier daher auch nach Überzeugung des Senats nichts dafür, dass sich an der Ausrichtung oder dem Aktivitätenspektrum etwas geändert haben könnte, zumal es seitens des Vereins zu keinem Zeitpunkt zu eine Distanzierung von der PKK oder auch nur der YEK-KOM gekommen ist.
117 
Dem Beweisantrag des Klägers war vor diesem Hintergrund nicht nachzugehen, zumal etwaige weitere Vereinsziele, die unter Beweis gestellt worden sind, die dargelegten Aktivitäten und Zielrichtungen nicht neutralisieren. Überdies konnte der Kläger nicht dartun, weshalb der von ihm benannte Sachverständige hinreichende Sachkunde haben könnte. Dies hätte ihm oblegen, weil der auf die Bestrebungen und Ziele der NAV-DEM gerichtete Beweisantrag die Benennung eines Sachverständigen erforderte, der über eine spezielle Sachkunde, nämlich über interne Kenntnisse über die NAV-DEM, verfügt, die nicht von jedem Sachverständigen gleichermaßen reproduzierbar ist (vgl. Krehl, in: Karlsruher Kommentar StPO, 7. Aufl., 2013, § 244 StPO, Rn. 80).
118 
Bereits aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied sind dem Kläger sämtliche Aktionen der YEK-KOM und der NAV-DEM zuzurechnen (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, juris, Rn. 50, m. w. N.). Soweit der Kläger dies bezweifelt, ist dies nicht nachvollziehbar, da er selbst darauf hinweist, dass die von ihm insoweit in Bezug genommene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union darauf abstellt, dass bei einer hervorgehobenen Position eine individuelle Verantwortlichkeit unter Prüfung sämtlicher erheblicher Umstände vermutet werden könne. Unbeschadet dessen bestehen für den Senat aber auch keine vernünftigen Zweifel daran, dass die vom Kläger entfalteten Aktivitäten von diesem in dem Bewusstsein und mit dem Willen erfolgt sind und erfolgen, die PKK aktiv und vorbehaltlos zu unterstützen. Das wird deutlich, wenn man das Verhalten des Klägers seit 2004 und auch nach Juli 2010 in der gebotenen Gesamtschau in den Blick nimmt, wie es der Beklagte - vom Kläger unwidersprochen - geschildert hat. Der Aspekt des Vertrauensschutzes gebietet es nicht, bei der Würdigung des Verhaltens des Klägers dessen früheres Verhaltes insgesamt auszublenden. Ein schützenswertes Vertrauen besteht nur insoweit, als die zuvor entfalteten Aktivitäten für sich genommen keine Ausweisung mehr rechtfertigen können. Bei der notwendigen Bewertung neuer, nachfolgender Aktivitäten kann weiterhin auf das gesamte Verhalten des Ausländers zurückgegriffen werden (Discher, a.a.O., Rn. 391; BVerfG, Beschluss vom 19.08.1983 - 2 BvR 1284/83 -, NVwZ 1983, 667; OVG Bln.-Bbg., Beschluss vom 24.10.2013 - OVG 3 N 169.12 -, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.05.2012 - 11 S 2328/11 -, juris).
119 
Nach wie vor engagiert sich der Kläger unbeschadet des Ausweisungsverfahrens im Rahmen des Vereins als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter und Redner an Veranstaltungen, die angesichts deren Ablaufs, der dort gehaltenen Reden und der klaren Ausrichtung auf den Führerkult um Öcalan und gefallene Märtyrer auch für den Senat keinen Zweifel aufkommen lassen, dass der Kläger sich, wie auch die NAV-DEM, den Zielen der PKK verpflichtet fühlt, diese mit ihrem Tun unterstützen will und dabei deren Mittel umfassend zumindest billigt, insbesondere auch deren spezifisch als terroristisch zu qualifizierendes Handeln. Seine Teilnahme an Veranstaltungen, wie der am 5. Dezember 2010 an einer PKK-Gründungsfeier in Lampertheim, bei der eine KCK-Fahne und ein Öcalan-Porträt angebracht waren und in der ein in Guerillauniform auftretender Redner die eigene Partei als wichtige und modern ausgerichtete Organisation lobte, die den kurdischen Freiheitskampf auf die internationale Bühne gebracht habe und in der ausgeführt wurde, dass man dies dem großen Führer „Apo“ (gemeint ist Öcalan) und den Parteimärtyrern zu verdanken habe und man die Kämpfer an der Front nicht vergessen dürfe, die man von hier aus grüße, verdeutlichen dies in aller Klarheit. Für seine Teilnahme an einer Gedenkfeier zum 33. Parteigründungs-Jahrestag in Heilbronn am 2. Dezember 2011, bei der zur Unterstützung der PKK aufgefordert und Parolen wie „Es lebe Öcalan“ und „Unsere Märtyrer sind nicht gestorben“ skandiert wurden, gilt nichts anderes. Soweit man aus den weiteren dargestellten Aktivitäten des Klägers ableiten wollte, dass dieser sich nach Erlass der Ausweisungsverfügung gemäßigter verhält, ist dies nach Überzeugung des Senats mit Blick auf das laufende Verfahren taktisch motiviert und lässt nicht den Schluss zu, dass der Kläger, der weiterhin eine führende Rolle in der NAV-DEM spielt, von seinem bisherigen Verhalten glaubhaft Abstand nimmt (§ 54 Abs. 1 Nr. 2 2. Halbsatz AufenthG). Sein beredtes Schweigen zu sämtlichen vom Beklagten zusammengetragenen Tatsachen macht dies deutlich.
120 
Das gegenteilige Bild, das der Kläger von seiner Motivation und Haltung zeichnet, ohne hierfür nachvollziehbare Fakten zu benennen, steht daher in offenem Widerspruch zu seinem tatsächlichen Verhalten. Im Übrigen erschöpft sich sein Vortrag hierzu in dem Versuch einer Umdeutung seines Verhaltens, die schon im Ansatz nicht überzeugt. Es ist das eine, um Verstorbene zu trauern oder ihrer zu gedenken, aber etwas gänzlich anderes, Veranstaltungen als Redner oder in Vereinsfunktion zu gestalten oder vorbehaltlos an solchen teilzunehmen, die etwa von in Guerillauniform auftretenden Rednern geprägt werden und in denen der Kampf der PKK in der Türkei glorifiziert wird. Erkennbar geht es auf den vom Kläger mitgestalteten und besuchten Veranstaltungen nicht einfach um die legitime Kundgabe von Meinungen, sondern immer auch um die gezielte moralische, finanzielle und personelle Unterstützung des für legitim gehaltenen und auch terroristische Mittel einsetzenden Kampfes der PKK. Dass damit die PKK auch in der Wahl ihrer Mittel vorbehaltlos unterstützt wird, kann dem Kläger nicht entgangen sein, nachdem dort Auftritte in Guerillauniform stattfinden, den „Märtyrern“ gedacht wird und den Kämpfern an der Front Grußbotschaften gesandt werden. Es greift daher auch viel zu kurz, wenn der Kläger meint, dass es hier um einen ungerechtfertigten Eingriff in sein Recht auf freie Meinungsäußerung gehe. Soweit er daher darauf abstellen will, dass der Sinn von Äußerungen einen deutlich erkennbaren Bezug zur Förderung der PKK aufweisen müsse, mag man dem zustimmen, ein solcher Bezug wird hier aber entgegen der Auffassung des Klägers auch in seinem Handeln deutlich.
121 
Liegt ein Unterstützen im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG - wie hier - vor, ist von einer Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung bzw. der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen, es sei denn der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand, wie die gesetzliche Legaldefinition deutlich macht („…Hiervon ist auszugehen…“). Insoweit hebt sich die Regelung von den übrigen Ausweisungsinteressen ab, bei denen die Gefahr in jedem Einzelfall aus dem - dem jeweiligen Ausweisungsinteresse zugrunde liegenden - Verhalten des Ausländers konkret abzuleiten ist und unterscheidet sich auch von der Vorgängervorschrift des § 54 Nr. 5 AufenthG a. F. Die gesetzliche Legaldefinition bzw. widerlegbare Vermutung (so: Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 54 AufenthG, zu Abs. 1 Nr. 2, Stand: 16.01.2016, Rn. 45 ff.) der Gefahr begegnet nach Auffassung des Senats in diesem Kontext keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die schon dargestellten spezifischen Gefahren des Terrorismus, zu deren Bekämpfung sich die internationale Staatengemeinschaft und dabei auch die Bundesrepublik in Bezug auf internationale, grenzüberschreitende Gefahren, völkerrechtlich verpflichtet hat (UN-Sicherheits-resolution 1373 (2001) vom 28.09.2001; Kießling, Die Abwehr terroristischer und extremistischer Gefahren durch Ausweisung, 2012, S. 188 f.), rechtfertigen diese gesetzliche Festlegung, auch soweit davon terroristische Vereinigungen erfasst werden, die in der Bundesrepublik selbst keine terroristischen Gewalttaten verüben. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass terroristische Vereinigungen nur allzu schnell ihren Kampf über Ländergrenzen hinweg führen. Ob und gegebenenfalls in welcher Weise von dieser gesetzlichen Festlegung einer Gefahr in besonderen Fallkonstellationen abgewichen werden kann oder ob insoweit allein auf den Gesichtspunkt des erkennbaren und glaubhaften Abstandnehmens abzustellen ist, bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung, da das konsequent fortgesetzte Handeln des Klägers die gesetzliche Festlegung bestätigt.
122 
2. Die Ausweisungsverfügung genügt davon ausgehend auch § 53 Abs. 3 AufenthG, der bestimmt, dass ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießt, der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II, S. 559) besitzt, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU besitzt, nur ausgewiesen werden darf, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.
123 
Mit dieser Vorschrift will der Gesetzgeber nach der Gesetzesbegründung unionsrechtlichen Vorgaben für besonders privilegierte Personengruppen Rechnung tragen (BT-Drs. 18/4097, S. 50). Soweit die Vorgaben in ihrer Reichweite vor dem Hintergrund der jeweils betroffenen Personengruppe autonom unionsrechtlich und insbesondere bereichsspezifisch eigenständig auszulegen sind, wovon nach dieser Gesetzesbegründung auszugehen ist (Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 53 AufenthG, Abs. 3, Stand: 18.01.2016, Rn. 27, geht von der Notwendigkeit einer ergänzenden Heranziehung zu den angehobenen gesetzlichen Voraussetzungen einer Ausweisung aus), kann daher aus der Formulierung des Ausweisungsmaßstabs in § 53 Abs. 3 AufenthG nicht abgeleitet werden, dass der Gesetzgeber, losgelöst von den jeweiligen unionsrechtlichen Maßstäben, einen eigenen nationalen und völlig identischen Maßstab festlegen wollte, der für sämtliche der Norm unterfallenden Personengruppen Geltung beansprucht. Daher soll auch nationalrechtlich kein höheres Schutzniveau versprochen werden, als dieses unionsrechtlich geboten ist. Das wäre mit Blick auf die verschiedenen Geltungsgründe und die Heterogenität der erfassten Personengruppen sowie der sich daraus ergebenden unterschiedlichen Schutzrichtungen und -niveaus auch nicht begründbar, zumal ein einheitlicher unionsrechtlicher Ausweisungsmaßstab gerade nicht existiert (VGH Bad.-Württ., Vorlagebeschluss vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 -, juris, Rn. 154, m. w. N.; Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 11.09.2014 - C-373/13 -, juris, Rn. 88, m. w. N; a. A.: Welte, InfAuslR 2015, 426, der auf den unionsrechtlichen Maßstab des § 6 FreizügG/EU verweist). Festzuhalten ist allerdings, dass sämtlichen unionsrechtlich fundierten Ausweisungsmaßstäben gemeinsam ist, dass stets nur auf das persönliche Verhalten des Betroffenen und damit nur auf spezialpräventive Gründe abgestellt werden darf, aus denen sich eine gegenwärtige Gefahr ergeben muss (EuGH, Urteil vom 19.01.1999 - C-348/96 -, InfAuslR 1999, 165 und vom 08.12.2011 - C-371/08 -, InfAuslR 2012, 43; Neidhardt, a. a. O., Rn. 7 f.). Dem entsprechend kann eine an § 53 Abs. 3 AufenthG zu messende Ausweisung nur dann rechtmäßig sein, wenn sie ausschließlich spezialpräventiv motiviert ist.
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Davon ausgehend folgt für den Kläger ein besonderer unionsrechtlich fundierter Ausweisungsmaßstab zunächst nicht aus dem Assoziationsrecht. Das Verwaltungsgericht hat insoweit zu Recht darauf abgestellt, dass der Kläger weder Arbeitnehmer im Sinne des Art. 6 ARB 1/80 noch Familienangehöriger eines solchen Arbeitnehmers nach Art. 7 ARB 1/80 ist, nachdem er in der Vergangenheit nur sporadisch und jeweils nur in kurzen Zeiträumen abhängig beschäftigt gewesen war. Für seine Ehefrau gilt nichts anderes, so dass diese ihm ein solches Recht auch nicht vermitteln kann. Das wird vom Kläger auch nicht in Frage gestellt.
125 
Erhöhter Schutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG kommt dem Kläger aber als anerkannter Flüchtling zu. Für diese aufgrund ihres Verfolgungsschicksals gerade in Bezug auf aufenthaltsbeendende Maßnahmen besonders vulnerable Personengruppe sind Inhalt und Reichweite des Ausweisungsmaßstabs aus der einschlägigen Regelungen der Richtlinie 2004/83, neu gefasst durch Richtlinie 2011/95/EU (ABl. L 337 S. 9, nachfolgend: Qualifikationsrichtlinie), abzuleiten.
126 
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat auf das Vorabentscheidungsersuchen des Senats hin (Beschluss vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 -, juris), betreffend die Unterstützung der PKK durch einen anerkannten Flüchtling, die entscheidungserheblichen Rechtsfragen mit Urteil vom 24. Juni 2015 (- C-373/13 -, juris) geklärt. Der Gerichtshof hat, davon ausgehend, dass Art. 21 der Qualifikationsrichtlinie engere Voraussetzungen statuiert als Art. 24 der Qualifikationsrichtlinie (a.a.O., Rn. 44, 71: Art. 21 als „ultima ratio“; so auch schon der Senat in seinem Vorlagebeschluss, a.a.O., Rn. 154; a. A.: BVerwG, Beschluss vom 08.10.2012 - 1 B 18.12 -, juris), klargestellt, dass die Qualifikationsrichtlinie dahin auszulegen ist, dass ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel entweder nach Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie widerrufen werden kann, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen, oder nach Art. 21 Abs. 3 der Qualifikationsrichtlinie, wenn Gründe für die Anwendung der in Art. 21 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie vorgesehenen Ausnahmen vom Grundsatz der Nichtzurückweisung vorliegen (a.a.O., Rn. 55).
127 
Da die Ausweisung des Klägers verfügt wurde, um dessen Niederlassungserlaubnis zum Erlöschen zu bringen und eine tatsächliche Aufenthaltsbeendigung mit Blick auf seinen Flüchtlingsstatus nicht beabsichtigt ist, ist vorliegend auch nur Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie maßstäblich. Dies zugrunde gelegt ist die Ausweisung als Widerruf im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie zu qualifizieren und am Maßstab dieser Vorschrift zu messen, die insoweit den Ausweisungsmaßstab des § 53 Abs. 3 AufenthG ausfüllt und konkretisiert. Es müssen daher „zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung“ im Sinne des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie vorliegen, um die Ausweisung zu rechtfertigen.
128 
Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang im Anschluss an die Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston (Schlussanträge vom 11.09.2014 - C-373/13 -, juris, Rn. 68) zunächst betont, dass für die dargelegte Auslegung des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie spreche, dass den Mitgliedstaaten mit dieser Regelung die Möglichkeit gegeben werden sollte, unter spezifischen Voraussetzungen die Freizügigkeit von Drittstaatsangehörigen im Schengen-Raum zu beschränken, um den Terrorismus zu bekämpfen und Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung einzudämmen (a. a. O, Rn. 52). Er definiert im weiteren (a.a.O., Rn. 78 ff.) unter Bezugnahme auf die Richtlinie 2004/38 „zwingende Gründe“ als Beeinträchtigungen, die einen besonders hohen Schweregrad aufweisen müssten und fasst unter die „öffentliche Sicherheit“ sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats und somit auch die Beeinträchtigung des Funktionierens der Einrichtungen des Staates und seiner wichtigen öffentlichen Dienste sowie das Überleben der Bevölkerung ebenso wie die Gefahr einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker oder eine Beeinträchtigung der militärischen Interessen (unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 23.11.2010 - C-145/09 -, InfAuslR 2011, 45). Der Begriff der „öffentlichen Ordnung“ sei dahin auszulegen dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstelle, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliege, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Mit Blick auf die die Richtlinie 2004/83 und deren 28. Erwägungsgrund gelte der Begriff der „öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ auch für Fälle, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehöre, die den internationalen Terrorismus unterstütze, oder er eine derartige Vereinigung unterstütze. Der Gerichtshof verweist darauf, dass die PKK in der Liste im Anhang dieses Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344, S. 93) aufgeführt sei und nach alledem die Unterstützung, die ein Flüchtling einer Organisation zuteil werden lasse, welche Handlungen begehe, die in den Anwendungsbereich des Gemeinsamen Standpunkts fallen, grundsätzlich einen Umstand darstelle, der belegen könne, dass die Voraussetzungen für die Anwendung der Ausnahmeregelung von Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie erfüllt seien. Die Aufnahme einer Organisation in die Liste sei daher ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie entweder eine terroristische Organisation sei oder in diesem Verdacht stehe. Ein solcher Umstand sei daher von der zuständigen Behörde notwendig zu berücksichtigen, wenn sie in einem ersten Schritt zu prüfen habe, ob die fragliche Organisation terroristische Handlungen begangen habe. Es sei somit von Fall zu Fall zu prüfen, ob die Handlungen der fraglichen Organisation die öffentliche Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie bedrohen könnten. Der Gerichtshof habe schon entschieden, dass terroristische Handlungen, die durch ihre Gewalt gegenüber Zivilbevölkerungen gekennzeichnet seien, auch wenn mit ihnen vorgeblich politische Ziele verfolgt würden, als schwere nichtpolitische Straftaten im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden müssten (unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 09.11.2010 - C-57/09 und C-101/09 -, NVwZ 2011, 285).
129 
In einem zweiten Schritt müssten die genauen tatsächlichen Umstände einer Würdigung unterzogen werden, um zu ermitteln, ob die Unterstützung der fraglichen Organisation durch eine Mitwirkung beim Sammeln von Geldern und eine regelmäßige Teilnahme an Veranstaltungen dieser Organisation in den Anwendungsbereich von Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie falle. Allein der Umstand, dass die betreffende Person diese Organisation unterstützt habe, könne nicht die automatische Aufhebung ihres Aufenthaltstitels gemäß dieser Vorschrift zur Folge haben. Denn zwischen dem Gemeinsamen Standpunkt 2001/931 und der Richtlinie 2004/83 bestehe hinsichtlich der verfolgten Ziele kein unmittelbarer Zusammenhang, und es sei nicht gerechtfertigt, dass die zuständige Stelle, wenn sie in Betracht ziehe, einem Flüchtling seinen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie zu entziehen, sich nur auf dessen Unterstützung einer Organisation stütze, die in einer Liste aufgeführt sei, die außerhalb des Rahmens erlassen wurde, den die Richtlinie in Übereinstimmung mit der Genfer Konvention geschaffen habe. Es bedürfe daher einer individuellen Würdigung der genauen tatsächlichen Umstände insbesondere dazu, welche Rolle der Betroffene im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt habe, ob dieser etwa selbst terroristische Handlungen begangen habe, ob und in welchem Maße er an der Planung, an Entscheidungen oder an der Anleitung anderer Personen zum Zweck der Begehung solcher Handlungen beteiligt gewesen sei und ob und in welchem Umfang er solche Handlungen finanziert oder anderen Personen die Mittel zu ihrer Begehung verschafft habe. Soweit dieser an legalen Versammlungen und an Veranstaltungen wie dem kurdischen Neujahrsfest teilgenommen und sich am Sammeln von Spenden für diese Organisation beteiligt habe, bedeute dies nicht notwendig, dass der Betroffene die Auffassung vertreten habe, terroristische Handlungen seien legitim. Erst recht seien derartige Handlungen als solche keine terroristischen Handlungen. In diesem Zusammenhang müsse auch der Schweregrad der Gefahr beurteilt werden, die von den Handlungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehe. Es sei insbesondere zu prüfen, ob dem Betroffenen eine individuelle Verantwortung bei der Durchführung von Aktionen der PKK zugerechnet werden könne. In Anbetracht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, den die zu ergreifende Maßnahme zu wahren habe, sei zu untersuchen, ob die Gefahr, die die betreffende Person gegebenenfalls in der Vergangenheit für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung der Bundesrepublik Deutschland dargestellt habe, noch immer bestehe. Mit Blick auf das Erfordernis zwingender Gründe müsse etwa, soweit ein Betroffener zu einer Geldstrafe und nicht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden sei, in Anbetracht dieses Umstands und gegebenenfalls der Art der von ihm begangenen Handlungen geprüft werden, ob eine Aufhebung des Aufenthaltstitels zu rechtfertigen sei.
130 
Dies zugrunde gelegt, genügt die Ausweisungsverfügung den Maßstäben des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie in Verbindung mit § 53 Abs. 3 AufenthG. Die Konkretisierung der Maßstäbe hat durch das erkennende nationale Gericht anhand des jeweiligen Falles und den diesen prägenden tatsächlichen Umstände entsprechend deren Gewicht zu erfolgen. Soweit der Gerichtshof in beispielhafter Form einzelne dem im Vorlageverfahren betroffenen Ausländer vorgehaltene Handlungen herausgreift und diese in eher abstrakter Form bewertet und gewichtet, ist dies dem abstrahierenden Charakter der Vorlagefragen in einem Vorabentscheidungsersuchen geschuldet und entbindet den Senat als Tatsachengericht nicht von seiner Verpflichtung, solche Umstände im konkreten Fall umfassend zu bewerten. Nichts anderes gilt, soweit Reichweite und Grenzen der dem Kläger zustehenden weiteren Rechte nach Kapitel VII der Qualifikationsrichtlinie durch die Ausweisung in Rede stehen.
131 
Danach bestehen für den Senat auch vor dem Maßstab des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie keine durchgreifenden Bedenken hinsichtlich der Einstufung der PKK als eine den Terrorismus jedenfalls unterstützende Vereinigung, deren Unterstützung durch die YEK-KOM bzw. NAV-DEM „zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung“ begründet. Daran anschließend sind die vom Kläger geleisteten Unterstützungshandlungen aufgrund dessen, dass diese von ihm in herausgehobener Funktion für YEK-KOM und NAV-DEM, auf zahlreichen Veranstaltungen seit über zwölf Jahren, unter Beteiligung von offen für die PKK werbenden und deren Kurs vorbehaltlos befürwortenden Akteuren (Auftreten in Guerillauniform, Märtyrergedenken, Grußbotschaften an die Kämpfer an der Front usw.) geleistet wurden und weiter geleistet werden, nicht anders zu bewerten, zumal der Kläger nach Überzeugung des Senats in vollem Bewusstsein um deren Bedeutung für den ideologischen Zusammenhalt der PKK und in dem Willen, diese vorbehaltlos auch in Bezug auf deren terroristische Aktivitäten zu unterstützen, gehandelt hat und weiterhin handelt. Diese Bewertung des eine Gefahr für die nationale Sicherheit und öffentliche Ordnung begründenden Verhaltens des Klägers ist vor diesem Hintergrund auch nicht deshalb zu relativieren, weil die NAV-DEM nicht verboten ist und der Kläger sich im Rahmen von ebenfalls nicht verbotenen Veranstaltungen betätigt hat. Weder entfällt deswegen das Gewicht seiner Unterstützungshandlungen für die PKK noch ergibt sich daraus, dass sich der Kläger über sein Tun im Unklaren gewesen wäre. Dass es gerade aus Gründen einer effektiven Gefahrenabwehr geboten sein kann, von einem Vereinsverbot abzusehen, wurde schon dargelegt. Da nach den Feststellungen des Senats das Verhalten des Klägers gefahrbegründend ist und er die tatbestandlichen Festlegungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bestätigt, kann der Senat offen lassen, ob jedenfalls im Kontext des § 53 Abs. 3 AufenthG i. V. m. Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie hier ausnahmsweise und ungeachtet der Fallkonstellation des endgültigen und glaubhaften Abstandnehmens gewissermaßen als „Zwischenstufe“ eine konkrete Widerlegungsmöglichkeit der gesetzlichen Gefahrenannahme zugelassen werden muss.
132 
Soweit der Gerichtshof der Europäischen Union in seiner in Bezug genommen Entscheidung im weiteren auf das Fortbestehen des Flüchtlingsstatus hinweist, wenn ein Mitgliedstaat das Aufenthaltsrecht aufgrund des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie widerruft (a.a.O., Rn. 94 f.; so auch schon der Senat in seinem Urteil vom 14.05.2014 - 11 S 2224/13 -, juris, Rn. 128 ff. m. w. N.) und er daraus ableitet, dass dieser sich bei deshalb weiterhin gestattetem Aufenthalt auch ungeschmälert (a.a.O., Rn. 96) auf die sozialen Vergünstigungen nach Kapitel VII der Qualifikationsrichtlinie berufen kann, steht dies in vorliegendem Fall der Ausweisung nicht entgegen.
133 
Kapitel VII der Richtlinie gewährleistet jedem Flüchtling Schutz vor Zurückweisung, das Recht auf Information, Wahrung des Familienverbands, Ausstellung von Reisedokumenten, Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung, zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie Zugang zu Integrationsmaßnahmen. Einschränkungen dieser Rechte sind bei einem anerkannten Flüchtling nur nach Maßgabe dieses Kapitels der Qualifikationsrichtlinie zulässig (a.a.O., Rn. 97).
134 
Die die Ausweisung tragenden „zwingenden Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung“ stellen, soweit sie diese Rechte nach Kapitel VII berühren, zulässige Beschränkungen im Sinne der Richtlinie dar.
135 
Wird mit der Ausweisung das Erlöschen der Niederlassungserlaubnis (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) bezweckt und ist zugleich eine tatsächliche Aufenthaltsbeendigung nicht beabsichtigt, wovon hier mit Blick auf den Flüchtlingsstatus des Klägers auszugehen ist, werden der Schutz vor Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie, das Informationsrecht aus Art. 22 der Qualifikationsrichtlinie sowie der Anspruch auf Wahrung des Familienverbandes nach Art. 23 der Qualifikationsrichtlinie schon nicht tangiert. Dafür, dass vorliegend das Recht auf Bildung nach Art. 27der Qualifikationsrichtlinie, der Zugang zu Wohnraum nach Art. 32 der Qualifikationsrichtlinie oder zu Integrationsmaßnahmen nach Art. 34 der Qualifikationsrichtlinie betroffen sein könnte, ist gleichfalls nichts ersichtlich.
136 
Soweit durch den Duldungsstatus des Klägers dessen Recht auf Aufnahme einer (selbstständigen oder unselbstständigen) Erwerbstätigkeit nach Art. 26 der Qualifikationsrichtlinie zunächst kraft Gesetzes mit einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt belegt ist, ist dieser für sich genommen unbedenklich, zumal sich aus § 4 Abs. 3 Satz 3 AufenthG ergibt, dass dieser nicht gilt, wenn dem Ausländer auf Grund einer zwischenstaatlichen Vereinbarung, eines Gesetzes oder einer Rechtsverordnung die Erwerbstätigkeit gestattet ist, ohne dass er hierzu durch einen Aufenthaltstitel berechtigt sein muss. So liegt der Fall hier, da diese Vorschrift mit Blick auf den vorrangigen Art. 26 der Qualifikationsrichtlinie auszulegen ist. Unbeschadet dessen ist für den Senat im konkreten Fall aber auch nicht ersichtlich, dass der Kläger durch Einschränkungen seiner rechtlichen Möglichkeiten, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, in tatsächlicher Hinsicht unzumutbar belastet wäre, nachdem er trotz seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland nur für jeweils kurze und länger zurückliegende Zeiträume überhaupt einer solchen nachgegangen ist.
137 
Aufgrund der Ausweisung greifen im konkreten Fall jedoch die angeordneten Maßnahmen nach § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG (Meldepflichten, Aufenthaltsbeschränkung auf den Stadtbezirk...). Diese dienen unmittelbar der Abwehr bzw. Eindämmung der von Kläger ausgehenden Gefahren und schränken insoweit das Recht des Betroffenen auf ein Reisedokument nach Art. 25 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie sowie das Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Bundesrepublik nach Art. 33 der Qualifikationsrichtlinie in sachangemessener Weise ein. Art. 25 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie verpflichtet zur Erteilung eines Reisedokumentes auch für Reisen ins Ausland, es sei denn, Gründe der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung stehen dem entgegen. Art. 33 der Qualifikationsrichtlinie verlangt von den Mitgliedstaaten, dass Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, Bewegungsfreiheit in ihrem Hoheitsgebiet zu gestatten „unter den gleichen Bedingungen und Einschränkungen wie für andere Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten“. Nachdem im persönlichen Verhalten des Klägers „zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung“ im Sinne des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie gegeben sind, liegt ein Versagungsgrund im Sinne des Art. 25 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie vor, da die Einschränkung seiner Reisemöglichkeiten gerade dazu dient, sein die PKK unterstützendes Verhalten zumindest deutlich zu erschweren. Daraus rechtfertigt sich auch die Einschränkung seiner Freizügigkeit innerhalb des Bundesgebietes nach Art. 33 der Qualifikationsrichtlinie. Das hat der Senat schon unter Zugrundelegung der Vergleichsgruppe von Drittstaatsangehörigen, die sich nach nationalem Recht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, festgestellt (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 14.05.2014 - 11 S 2224/13 -, juris, Rn. 128 ff., m. w. N.).
138 
Da der Gerichtshof eine Ausweisung unter Berücksichtigung des Maßstabs des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie auch dann für zulässig erachtet, wenn dadurch der Aufenthalt zwar rein tatsächlich nicht beendet werden soll, es aber dennoch notwendig erscheint, zumindest die Freizügigkeit von Drittstaatsangehörigen zu beschränken, um den Terrorismus zu bekämpfen und Gefahren für die öffentlichen Sicherheit und Ordnung einzudämmen (a.a.O., Rn. 52), ist es nach Auffassung des Senats aus systematischen Gründen und zur Effektivierung des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie angezeigt, dessen Wertungen auch insoweit zu berücksichtigen, als Reichweite und Grenzen der weiteren in Kapitel VII aufgeführten Rechte in entscheidungserheblicher Weise in Rede stehen. Denn eine Ausweisung, deren Folge sich im Erlöschen des Titels erschöpfen würde, ohne daran anknüpfend verhaltenssteuernde Wirkungen zu entfalten, die geeignet und erforderlich sind, die Gefahr wirksam einzudämmen, wäre letztlich wegen Zweckverfehlung unverhältnismäßig. Dies würde Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie, in Fällen wie dem vorliegenden, die praktische Wirksamkeit nehmen und damit dessen Bedeutung, wie er auch in den Erwägungsgründen 31 und 37 der Richtlinie zum Ausdruck kommt, verfehlen.
139 
Nach all ist es für den Senat auch folgerichtig, auf den Fall des Klägers nicht Art. 29 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie, sondern dessen Absatz 2 entsprechend anzuwenden, nachdem die Mitgliedstaaten abweichend von Absatz 1 die Sozialhilfe für Personen, denen (nur) der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, auf Kernleistungen beschränken kann. Dies gilt hier umso mehr, als es der Kläger im Gegensatz zu subsidiär Schutzberechtigten selbst in der Hand hat, durch eine Abkehr von seinen den Terrorismus unterstützenden Handlungen die Ursachen für diese Einschränkungen zu beseitigen und es gerade in der Logik des Duldungsstatus liegt, den Kläger zu einer dahingehenden Verhaltensänderung zu bewegen. Soweit sich demnach ergeben sollte, dass der Kläger aufgrund seines Duldungsstatus und mangels anderweitiger Regelungen, die ihm, etwa als Familienangehöriger aus abgeleitetem Recht, einen vollen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen nach dem SGB II verschaffen könnten, auf die Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes beschränkt ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG), steht dies nicht in Widerspruch zu Art. 29 der Qualifikationsrichtlinie. Für Leistungsbeschränkungen in Bezug auf die medizinische Versorgung (§ 4 AsylbLG) im Sinne des Art. 30 der Qualifikationsrichtlinie gilt nichts anderes.
140 
3. Dem dargestellten und nach gesetzlicher Wertung besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse steht ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber, da dieser eine Niederlassungserlaubnis besessen hat, die gerade durch die Ausweisungsverfügung betroffen ist, er mit deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und er sein Personensorgerecht für minderjährige ledige Deutsche ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG). Insoweit geht der Senat aufgrund der nicht weiter spezifizierten Angabe des Klägers, wonach sechs seiner sieben Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, davon aus, dass jedenfalls auch die noch in seinem Haushalt lebenden minderjährigen Kinder diese besitzen. § 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG tritt vorliegend hinter die insoweit speziellere Vorschrift des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG zurück (Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 55 AufenthG, zu Abs. 2 Nr. 5, Stand: 18.01.2016, Rn. 3: Auffangnorm).
141 
4. § 53 Abs. 1 AufenthG verlangt davon ausgehend ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende Abwägung des Interesses an der Ausreise mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände in wertender Gesamtbetrachtung einzubeziehen sind. Diese sind, nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat sowie die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner, wobei die in Absatz 2 aufgezählten Umstände weder abschließend zu verstehen sind, noch nur zu Gunsten des Ausländers ausfallen müssen. Zudem sind stets die grund- und konventionsrechtliche Stellung des Ausländers und seiner Familie und die sich daraus ergebenden Gewichtungen in den Blick zu nehmen. Umstände im Sinne des § 53 Abs. 2 AufenthG prägen den Einzelfall insoweit, als sie über die den vertypten Interessen zugrunde liegenden Wertungen hinausgehen oder diesen entgegenstehen. Insbesondere in an dieser Stelle der Frage nachzugehen, ob und in welchem Maße die konkreten Umstände des Einzelfalles von vertypten gesetzlichen Wertungen abweichen (Bsp.: § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG: Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren; § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG: 30-jähriger rechtmäßiger Aufenthalt). Sind im konkreten Fall keine Gründe - etwa auch solche rechtlicher Art - ersichtlich, die den gesetzlichen Wertungen der §§ 54, 55 AufenthG entgegenstehen, wird regelmäßig kein Anlass bestehen, diese Wertungen einzelfallbezogen zu korrigieren.
142 
Eine schematische und alleine den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkreten Gewicht, zuwiderlaufen würde, verbietet sich ebenso (BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -, NVwZ 2007, 946) wie eine „mathematische“ Abwägung im Sinne eines bloßen Abzählens von Umständen, die das Ausweisungsinteresse einerseits und das Bleibeinteresse andererseits begründen.
143 
Davon ausgehend erweist sich die Ausweisung des Klägers als verhältnismäßig, da hier das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers unter Berücksichtigung sämtlicher den Fall prägenden Umstände überwiegt.
144 
Vorliegend ist zunächst die dem Flüchtlingsstatus des Klägers geschuldete Besonderheit in Rechnung zu stellen, nach der im konkreten Fall eine tatsächliche Beendigung des Aufenthalts des Klägers wegen dessen Flüchtlingsstatus nicht beabsichtigt ist, obgleich gewichtige Gründe für eine Ausweisung bestehen. Daher ist Bezugspunkt für die Verhältnismäßigkeitsfrage auch nur die Ausweisung in der hier erfolgten Form mit ihrer Folge einer ggf. auch langfristigen Duldung des Klägers im Bundesgebiet und seiner Überwachung nach § 56 AufenthG sowie der schon dargestellten Einschränkungen der verschiedenen Folgerechte.
145 
Dem Ausweisungsinteresse, wie es sich im konkreten Fall darstellt, steht ein nach der gesetzlichen Wertungen des § 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG ebenfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse gegenüber. Hinzu treten auf Seiten des Klägers dessen Anspruch auf Achtung seiner familiären Bindungen nach Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 6 GG. Im weiteren ist sein mit über 17 Jahren über den in § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG verlangten mindestens fünfjährigen rechtmäßigen Inlandsaufenthalt hinausgehender rechtmäßiger Aufenthalt zu berücksichtigen. Das Gewicht dieser Umstände ist, soweit es nicht schon über § 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG erfasst wird, aus § 53 Abs. 2 AufenthG (über fünfjähriger rechtmäßiger Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet) und den grund- und konventionsrechtlichen Wertungen mit Blick auf die Folgen der Ausweisung auf diese Umstände zu ermitteln.
146 
Wegen der familiären Bindungen des Klägers im Bundesgebiet folgt aus Art. 6 GG zwar unmittelbar kein Aufenthaltsrecht, dieses Grundrecht gebietet aber die Berücksichtigung der in Art. 6 GG enthaltenen wertentscheidenden Grundsatznorm, nach der der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat (vgl. hierzu ausf.: Hoppe/Samel in: Rensen/Brink (Hrsg.) Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 2009, S. 137 ff.). Diese verpflichtet dazu, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, d. h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12.05.1987 - 2 BvR 1226/83, 101/84 313/84 -, NJW 1988, 626 und vom 18.04.1989 - 2 BvR 1169/84 -, NJW 1989, 2195; Beschluss vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, 682). Daraus kann sich die Unverhältnismäßigkeit einer Ausweisung ergeben, wenn ein gemeinsames Familienleben in Deutschland durch diese unmöglich gemacht würde und es den Familienmitgliedern nicht zumutbar wäre, die Familiengemeinschaft im Ausland herzustellen (BVerfG, Beschluss vom 18.04.1989 - 2 BvR 1169/84 -, NJW 1989, 2195). Für das Recht auf Achtung des Familienlebens aus Art. 8 Abs. 1 EMRK ergibt sich nichts anderes (zu den Kriterien vgl. insbesondere EGMR, Urteil vom 18.10.2006 - 46410/99 <Üner> -, NVwZ 2007, 1279; Urteil vom 02.08.2001 - 54273/00 -, InfAuslR 2001, 476 -; ausführlich Mayer, VerwArch 2010, 482 <530 ff.>, m. w. N.).
147 
Soweit sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG bei langjährigem rechtmäßigen Inlandsaufenthalt aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ergibt, dass die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, die Integration in die deutsche Gesellschaft, auch soweit sie keinen familiären Bezug hat, und das Fehlen tatsächlicher Bindungen an den Staat seiner Staatsangehörigkeit bei einer Ausweisung angemessen zu gewichten sind (BVerfG, Beschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007, 1300), ist ein Gleichlauf zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte festzustellen, der unter dem Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK das Netz an persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen fasst, die für das Privatleben eines jeden Menschen schlechthin konstitutiv sind (EGMR, Urteil vom 09.10.2003 - 48321/99 -, EuGRZ 2006, 560). Diesen Beziehungen kommt bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zu (so BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -, NVwZ 2007, 946; Thym, EuGRZ 2006, 541 <544>; Hoppe, ZAR 2006, 125 <130>; Hofmann, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Art. 8 EMRK, Stand: 01.11.2015, Rn. 20 ff., m. w. N.; Beichel-Benedetti, in: Huber, AufenthG, 1. Aufl., 2010, Vorb §§ 53-56 AufenthG, Rn. 14 ff.). Daraus folgt auch für Ausweisungen von Ausländern, die über keine schützenswerten familiären Bindungen im Sinne von Art. 8 Abs. 1 EMRK bzw. Art. 6 GG verfügen, eine Verpflichtung zur einzelfallbezogenen Abwägung unter angemessener Berücksichtigung dieser das Recht auf Privatleben konstituierenden Bindungen. Fehlen Bindungen an den Herkunftsstaat kann sich daraus eine Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung - selbst bei langjährigen Freiheitsstrafen und zahlreichen Verurteilungen - ergeben (vgl. die Nachweise bei Mayer, a. a. O.).
148 
So liegt der Fall hier jedoch nicht. Denn die Ausweisung des Klägers führt nicht zur Beendigung seines tatsächlichen Aufenthalts in Deutschland. Vorliegend sind die tatsächlichen Bindungen des Klägers durch die Ausweisung allerdings dadurch betroffen, dass ihn die Überwachungsmaßnahmen nach § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG in seiner Bewegungsfreiheit beschränken. Soweit ihm diese seine Möglichkeiten zur Fortführung gerade der streitgegenständlichen Aktivitäten erschweren, ist dadurch, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ein rechtlich anerkennenswertes Interesse des Klägers schon nicht berührt. Die Einschränkungen seiner Rechte aus Art. 29 und 30 der Qualifikationsrichtlinie (Sozialhilfe und medizinische Versorgung) sind objektiv betrachtet geeignet und erforderlich, um den Kläger zu einer Verhaltensänderung zu bewegen. Die für ihn eintretenden Einschränkungen seiner Bewegungsmöglichkeiten sind aus den schon dargelegten Gründen erforderlich und auch zumutbar. Die für seine Familienmitglieder mit den Einschränkungen der Bewegungsmöglichkeiten des Klägers und seiner genannten Rechte verbundenen Folgen sind allenfalls mittelbarer Art und als solche auch verhältnismäßig, zumal sie - als mildere Mittel zur tatsächlichen Beendigung des Aufenthalts - einzig dem Umstand geschuldet sind, dass der Beklagte gerade auf den Flüchtlingsstatus des Klägers Rücksicht nimmt, obwohl dieser Gründe setzt, die gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen zum Schutz hochrangiger Rechtsgüter erforderlich machen (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 -, juris, Rn. 24). Darüber hinaus sind weitere schützens- und nennenswerte Bindungen des Klägers in die hiesige Gesellschaft, die durch die Ausweisung in unzumutbarer Weise beschränkt würden, trotz des langjährigen rechtmäßigen Aufenthalts weder vorgetragen worden noch ersichtlich. Der Kläger spricht kaum Deutsch, er war nur sporadisch und für kürzere Zeiträume überhaupt erwerbstätig und ist seit längerem von Sozialleistungen abhängig. Diese Umstände relativieren das Gewicht seines langjährigen rechtmäßigen Aufenthalts jedenfalls im Rahmen der Abwägung entscheidend. Schließlich ist noch zu berücksichtigen, dass es der Kläger in der Hand hat, durch eine glaubhafte Abkehr von seinem bisherigen Verhalten eine Aufhebung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu erreichen. Aus all dem ergibt sich bei wertender Betrachtung der widerstreitenden Interessen im konkreten Fall ein Überwiegen des Ausweisungsinteresses.
149 
5. Soweit sich, ungeachtet der Rechtsstellung des Klägers, aus den Stand-Still-Klauseln des Art. 7 ARB 2/76, des Art. 13 ARB 1/80 bzw. des Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen EWG/Türkei (ZP) ein Verbot ergibt, ohne zwingende Gründe neue Beschränkungen für sich ordnungsgemäß (vgl. EuGH, Urteil vom 07.11.2013 - C-225/12 -, InfAuslR 2014, 1) im Inland aufhaltende türkische Staatsangehörige einzuführen, die deren Möglichkeiten zur Aufnahme einer (abhängigen oder selbstständigen) Beschäftigung im Verhältnis zur Rechtslage bei Inkrafttreten dieser Regelungen stärker begrenzen würden (vgl. etwa: EuGH, Urteile vom 10.07.2014 - C-138/13 -, NVwZ 2014, 1081 und vom 17.09.2009 - C-242/06 -, InfAuslR 2009, 413), führt dies nicht dazu, dass die §§ 53 ff. AufenthG in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung außer Anwendung zu bleiben hätten.
150 
Mit der Neukonzeption des Ausweisungsrechts im Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl. I, S. 1386) will der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung der Entwicklung Rechnung tragen, „wonach das bisherige dreistufige Ausweisungsrecht durch die höchstrichterliche Rechtsprechung ohnehin mehr und mehr zu einer Ermessensausweisung mit umfassender Abwägung aller Umstände des Einzelfalls zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit modifiziert worden ist.“ (BT-Drs. 18/4097). Die Änderungen des Ausweisungsrechts dienen danach der Anpassung an die Entwicklung dieser Rechtsprechung und sie sollen Rechtsunsicherheiten im Ausweisungsrecht beseitigen und die Arbeit der Ausländerbehörden erleichtern. Aus dem mit der Neuregelung einhergehenden Systemwechsel, weg von einer Ausweisung im Ermessenswege, hin zu einer zwar gebundenen, dafür aber anhand des Maßstabes der Verhältnismäßigkeit zu messenden, folgt daher bei der gebotenen Gesamtbetrachtung keine neue Beschränkung in Sinne der Stand-Still-Klauseln.
151 
Im Vergleich zu den Ausweisungsregelungen der Ausländergesetze seit 1965 und dem Aufenthaltsgesetz a. F. lässt sich feststellen, dass das neue Ausweisungsrecht sich weitgehend von einer in Bezug auf die Interessen des Ausländers auf bloßen Verwaltungsvorgaben beruhenden Ermessensentscheidung des Ausländergesetzes 1965 (vgl. Kanein, Ausländerrecht, 4. Aufl., 1988, § 10 AuslG) ebenso gelöst hat, wie von schematisierenden und insoweit bindenden gesetzlichen Vorgaben des Ausländergesetzes 1990 und des Aufenthaltsgesetzes a. F., die einer umfassenden Abwägung der konkreten Umstände des Einzelfalls entsprechend deren Gewicht entgegenstehen konnten. Schematisierungen dieser Art und Wirkung waren auch der Anlass für die Gerichte, das bisherige Recht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit, teilweise entgegen seinem Wortlaut, auszulegen und anzuwenden (vgl. Mayer, VerwArch 2010, 482 <483 ff.>, m . w. N.; Beichel-Benedetti, in: Huber, AufenthG, 1. Aufl. 2010, Vorb §§ 53-56 AufenthG, Rn. 19 ff.). Während eine Ausweisung im Ermessenswege gerichtlich bislang nur eingeschränkt überprüfbar war (§ 114 Satz 1 VwGO), stellt das neue Recht eine vollumfassende gerichtliche Überprüfung sicher. Das durch die neuen Regelungen aufgestellte Prüfprogramm garantiert, wie die bisherigen Ausführungen deutlich machen, eine umfassende Berücksichtigung der den Fall prägenden Umstände. Der Verlust der Ermessensebene wird durch die nunmehr umfassende gerichtliche Kontrollpflicht in Bezug auf die Frage der Verhältnismäßigkeit aufgewogen (so auch: Neidhardt, a. a. O., Rn. 31; a. A.: Cziersky-Reis, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl., 2016, § 53 AufenthG, Rn. 42, der davon ausgeht, dass eine Ausweisung nach Ermessen immer günstiger für den Betroffenen sei als eine gebundene nach § 53 Abs. 1 AufenthG n. F.). Es wäre daher verfehlt, für die Frage einer neuen Beschränkung isoliert darauf abzustellen, dass es sich nunmehr bei der Ausweisungsentscheidung um eine gebundene handelt. Weder Unions- noch Assoziationsrecht gebieten eine Ermessensentscheidung, sondern (nur) eine offene Güter- und Interessenabwägung (vgl. BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 -, InfAuslR 2010, 3; vgl. zum Erfordernis einer wertenden Gesamtbetrachtung: BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, InfAuslR 2012, 397; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -, NVwZ-RR 2012, 492).
152 
Soweit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr, wie ebenfalls schon dargelegt, die Gefahr gesetzlich aus der Erfüllung des Tatbestandes ableitet, führt auch dies jedenfalls im konkreten Fall zu keiner Verschlechterung der Rechtsstellung des Klägers, nachdem dessen tatsächliches Verhalten die gesetzliche Festlegung gerade bestätigt.
153 
Dass mit § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG im Falle einer Ausweisung die kraft Gesetzes geltenden Überwachungsmaßnahmen - in Abweichung zur früheren Rechtslage - nicht mehr die sofortige Vollziehbarkeit der Ausweisung voraussetzen, stellt gleichfalls keine neue Beschränkung in diesem Sinne dar. Die Stillhalteverpflichtung bedeutet nicht, dass jede Facette des Verwaltungsverfahrens und des Prozessrechts einer Änderung entzogen wäre. Die Mitgliedstaaten verfügen aufgrund ihrer Verfahrensautonomie über einen Gestaltungsspielraum, der allerdings durch den Grundsatz der Effektivität und der Äquivalenz begrenzt wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, InfAuslR 2012, 397; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -, NVwZ-RR 2012, 492). Lässt eine Änderung des Verfahrens - wie hier - die Effektivität des Rechtsschutzes mit Blick auf die dem türkischen Staatsangehörigen eingeräumten Rechte unverändert, so liegt keine „neue Beschränkung“ vor. Es kann nicht ernsthaft in Frage stehen, dass insoweit effektiver gerichtlicher Rechtsschutz über eine einstweilige gerichtliche Regelung nach § 123 VwGO erreicht werden kann. Vorliegend kommt es hierauf auch nicht an, da der Beklagte solche Maßnahmen modifizierend und durch Verwaltungsakt erlassen hat und insoweit Rechtsschutz nach §§ 80 ff. VwGO gegeben ist.
154 
Selbst wenn man den Rechtsfolgenwechsel - weg von der Einräumung von Ermessen, hin zu einer gebundenen Entscheidung - bzw. die weiteren dargestellten Änderungen des Ausweisungsrechts grundsätzlich als Maßnahmen ansehen wollte, die bezweckten oder bewirkten, dass die Ausübung der Freizügigkeitsrechte durch einen türkischen Staatsangehörigen oder einen Familienangehörigen in einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen als denjenigen unterworfen wird, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Bestimmungen in dem Mitgliedstaat gelten, wären diese Maßnahmen hier rechtlich zulässig. Denn die Einführung dieser - unterstellt - strengeren Voraussetzungen wäre durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union gerechtfertigt, gerade weil der vorgenommene Systemwechsel dazu dient, das ursprüngliche, durch die Anforderungen der Rechtsprechung erheblich - teils gegen den Wortlaut - modifizierte Ausweisungsrecht wieder handhabbar und in sich schlüssig und nachvollziehbar zu machen. Die nunmehr gesetzliche Festlegung der Gefahr nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist mit Blick auf die vom Terrorismus ausgehenden Gefahren sicherlich gerechtfertigt, zumal sich aus praktischer Sicht kaum Fallkonstellationen denken lassen, bei denen eine solche Gefahr zu verneinen sein könnte, obwohl ein Unterstützen einer terroristischen Vereinigung tatbestandlich vorliegt und eine glaubhafte Abwendung hiervon - die das Gesetz ausdrücklich zulässt - nicht erfolgt ist.
II.
155 
Nicht verfahrensgegenständlich ist die vom Verwaltungsgericht getroffene Befristungsentscheidung, nachdem der Kläger mit seinem Berufungsantrag, der gemäß § 124a Abs. 3 VwGO nicht nur begründende sondern auch begrenzende Wirkung hat, alleine die Aufhebung der Ausweisungsverfügung des Beklagten beantragt und er auch in seiner Berufungsbegründung auf die Befristungsfrage nicht abgestellt hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.03.2011 - 2 B 37.10 -, juris).
156 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
157 
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsache (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
158 
Beschluss vom 13. Januar 2016
159 
Der Streitwert wird gem. § 63 Abs. 2, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 und § 39 Abs. 1 GKG auf 10.000,- EUR festgesetzt.
160 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Die Integration von rechtmäßig auf Dauer im Bundesgebiet lebenden Ausländern in das wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben in der Bundesrepublik Deutschland wird gefördert und gefordert.

(2) Eingliederungsbemühungen von Ausländern werden durch ein Grundangebot zur Integration (Integrationskurs) unterstützt. Ziel des Integrationskurses ist, den Ausländern die Sprache, die Rechtsordnung, die Kultur und die Geschichte in Deutschland erfolgreich zu vermitteln. Ausländer sollen dadurch mit den Lebensverhältnissen im Bundesgebiet so weit vertraut werden, dass sie ohne die Hilfe oder Vermittlung Dritter in allen Angelegenheiten des täglichen Lebens selbständig handeln können.

(3) Der Integrationskurs umfasst einen Basis- und einen Aufbausprachkurs von jeweils gleicher Dauer zur Erlangung ausreichender Sprachkenntnisse sowie einen Orientierungskurs zur Vermittlung von Kenntnissen der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte in Deutschland. Der Integrationskurs wird vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge koordiniert und durchgeführt, das sich hierzu privater oder öffentlicher Träger bedienen kann. Für die Teilnahme am Integrationskurs sollen Kosten in angemessenem Umfang unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit erhoben werden. Zur Zahlung ist auch derjenige verpflichtet, der dem Ausländer zur Gewährung des Lebensunterhalts verpflichtet ist.

(4) Die Bundesregierung wird ermächtigt, nähere Einzelheiten des Integrationskurses, insbesondere die Grundstruktur, die Dauer, die Lerninhalte und die Durchführung der Kurse, die Vorgaben bezüglich der Auswahl und Zulassung der Kursträger sowie die Voraussetzungen und die Rahmenbedingungen für die ordnungsgemäße und erfolgreiche Teilnahme und ihre Bescheinigung einschließlich der Kostentragung, sowie die Datenverarbeitung nach § 88a Absatz 1 und 1a durch eine Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates zu regeln. Hiervon ausgenommen sind die Prüfungs- und Nachweismodalitäten der Abschlusstests zu den Integrationskursen, die das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates regelt.

(5) (weggefallen)

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus Deutschland. Hilfsweise erstrebt er eine neue Entscheidung des Beklagten über die Befristung des mit der Ausweisung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots.

2

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volkszugehörigkeit. Er wurde 1973 in der Türkei geboren, ist verheiratet und hat sieben Kinder. Er reiste 1997 nach Deutschland ein und beantragte hier Asyl, da er in der Türkei wegen seines Engagements in prokurdischen Vereinen und Parteien sowie verwandtschaftlichen Beziehungen zu Guerillakämpfern der sog. Arbeiterpartei Kurdistans - PKK - an Leib und Leben bedroht sei. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) vom 9. Oktober 1997 wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach dem damaligen § 51 Abs. 1 AuslG 1990 zuerkannt und zu seinen Gunsten ein Abschiebungsverbot wegen drohender Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK (damals § 53 Abs. 4 AuslG 1990) festgestellt. Der Kläger ist lediglich sporadisch und für kurze Zeiträume einer Erwerbstätigkeit nachgegangen, gleiches gilt für seine Ehefrau. Er bezieht mit seiner Familie Leistungen nach dem SGB II.

3

Vom 1. April 1998 bis zum 1. Dezember 2009 war der Kläger im Besitz jeweils befristeter Aufenthaltstitel. Am 13. März 2009 teilte das Bundesamt der Ausländerbehörde mit, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 73 Abs. 1 oder 2 AsylVfG nicht vorlägen. Im März 2009 stellte der Kläger bei der Ausländerbehörde der Stadt M. einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Auf Anfrage teilte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg der Ausländerbehörde im Mai 2009 mit, dass hinsichtlich der Person des Klägers "Erkenntnisse" vorlägen, über die das Innenministerium Baden-Württemberg gesondert informiert worden sei. Dessen ungeachtet wurde dem Kläger am 4. Dezember 2009 ohne weitere Mitteilung zum Stand der Sicherheitsüberprüfung eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG erteilt.

4

Das Regierungspräsidium K. teilte dem Kläger mit Schreiben vom 23. Juli 2010 mit, dass die Niederlassungserlaubnis in Unkenntnis der Sicherheitsbedenken erteilt worden sei und derzeit deren Rücknahme und eine Ausweisung geprüft werde. Hierzu werde dem Kläger die Möglichkeit eines Sicherheitsgesprächs zur weiteren Aufklärung gegeben. Dieses fand im Februar 2011 statt; allerdings verweigerte der Kläger mit Ausnahme eines durch ihn ausgefüllten Fragebogens die weitere Mitwirkung.

5

Mit Verfügung vom 10. Januar 2012 wies das Regierungspräsidium K. den Kläger aus (Ziffer 1) und stützte sich dabei auf § 54 Nr. 5, § 56 Abs. 1, § 55 AufenthG a.F. Zudem wurde der Kläger verpflichtet, sich zweimal wöchentlich unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapiers bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, und sein Aufenthalt wurde auf den Bereich der Stadt M. begrenzt (Ziffer 2).

6

Die Ausweisung sei gerechtfertigt, weil Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Kläger Vereinigungen unterstütze, die ihrerseits den Terrorismus unterstützten. So habe der Kläger nach den vorliegenden Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in den Jahren 2001 bis 2010 regelmäßig an näher bezeichneten Veranstaltungen und Demonstrationen der PKK-Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL teilgenommen und sei teilweise auch selbst als Redner bei derartigen Veranstaltungen aufgetreten. Von 2001 bis 2003/2004 sei er Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Kurdischer Kulturverein e.V." in L. gewesen. Außerdem sei er seit langem Vorstandsmitglied und nunmehr sogar zweiter Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM). Die Ausweisung sei trotz des dem Kläger als anerkanntem Flüchtling zustehenden besonderen Ausweisungsschutzes aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt und auch mit Blick auf die Bleibeinteressen des Klägers verhältnismäßig. Sie führe zudem nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung, vielmehr bleibe seine Abschiebung ausgesetzt, da ihr Abschiebungsverbote aufgrund der Rechtsstellung des Klägers als Flüchtling sowie nach § 60 Abs. 5 AufenthG entgegenstünden. Die angeordnete zweimalige wöchentliche Meldepflicht und die räumliche Beschränkung auf den Stadtbezirk M. beruhten auf § 54a AufenthG (a.F.) und seien mit Blick auf die gebotene Überwachung des Klägers und zur Eindämmung seiner gefahrbegründenden Aktivitäten erforderlich und angemessen.

7

Das Verwaltungsgericht hat die gegen die Verfügung gerichtete Klage mit Urteil vom 27. Januar 2015 abgewiesen, zugleich aber den Beklagten verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf acht Jahre nach Ausreise des Klägers zu befristen. Mit Urteil vom 13. Januar 2016 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung zurückgewiesen. Dabei hat er die angefochtene Ausweisungsverfügung an der seit dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung des AufenthG gemessen. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof insbesondere ausgeführt: Im Fall des Klägers liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, weil der Kläger in überwiegend herausgehobener Funktion die PKK und damit eine terroristische oder den Terrorismus unterstützende Vereinigung unterstützt habe. Dabei seien allerdings nur Aktivitäten nach Juli 2010 heranzuziehen, also nach der an den Kläger gerichteten Mitteilung, wegen seiner Aktivitäten werde die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft. Als tatbestandserhebliches Unterstützen sei hiernach jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirke. Nach diesem Maßstab seien die im Urteil im Einzelnen näher bezeichneten und durch den Kläger in der Sache eingeräumten Betätigungen als Teilnehmer, Mitglied, Redner und Versammlungsleiter bei diversen die PKK unterstützenden Veranstaltungen sowie als Vorstandsmitglied der die PKK unterstützenden YEK-KOM und deren Nachfolgeorganisation NAV-DEM als Unterstützungshandlung zu werten. Angesichts des Ablaufs der Veranstaltungen, der dort gehaltenen Reden und der klaren Ausrichtung auf den Führerkult um den PKK-Führer Öcalan sowie gefallene Märtyrer bestünden für das Berufungsgericht keine Zweifel daran, dass sich der Kläger den Zielen der PKK verpflichtet fühle und sie mit seinem Tun unterstützen wolle.

8

Die Ausweisungsverfügung werde auch dem erhöhten Ausweisungsschutz gerecht, der dem Kläger als anerkanntem Flüchtling nach § 53 Abs. 3 AufenthG zustehe. Denn es lägen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU vor, wonach ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel widerrufen werden könne.

9

Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse stehe ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber. Denn er habe eine Niederlassungserlaubnis besessen, die gerade durch die Ausweisungsverfügung betroffen sei. Er lebe mit deutschen Familienangehörigen (sechs seiner Kinder) in familiärer Lebensgemeinschaft und übe sein Personensorgerecht für seine minderjährigen Kinder aus. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung überwiege jedoch das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers.

10

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Revision und rügt in mehrfacher Hinsicht eine Verletzung von Bundesrecht. Zunächst habe das Berufungsgericht den Begriff des "Unterstützens" in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG fehlerhaft ausgelegt und angewandt. Der von ihm in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht angewandte Unterstützungsbegriff sei rechtsstaatlich nicht hinreichend konkret. Jedenfalls auf der Grundlage des neuen, seit Jahresanfang 2016 geltenden Ausweisungsrechts, das nach "schwerwiegenden" und "besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen" differenziere, sei dieser Unterstützungsbegriff nicht mehr als Abgrenzungskriterium geeignet. Notwendig sei ein gefahrenabwehrrechtlich ausgerichteter Unterstützungsbegriff, der sich etwa in Anlehnung an strafrechtliche Zurechnungskriterien wie Anstiftung oder Beihilfe oder die im Strafrecht für Organisationsdelikte entwickelten Zurechnungskriterien gewinnen lassen könne.

11

Fehlerhaft sei zudem die Auslegung und Anwendung von § 53 Abs. 3 AufenthG im Hinblick auf die sich aus Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie ergebenden Voraussetzungen. Denn das Berufungsgericht habe weder festgestellt, dass der Kläger unmittelbar der PKK angehöre, noch dass sich die YEK-KOM oder die NAV-DEM selbst terroristischer Methoden bedienten. Weiterhin verkenne das Berufungsgericht die durch den Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) aufgestellten Anforderungen an die festzustellenden Unterstützungshandlungen. Danach sei insbesondere zu prüfen, ob der Betroffene selbst terroristische Handlungen begangen habe, ob und in welchem Maße er an der Planung, an Entscheidungen oder an der Anleitung anderer Personen zum Zwecke der Begehung solcher Handlungen beteiligt war und ob und in welchem Umfang er solche Handlungen finanziert oder anderen Personen die Mittel für ihre Begehung verschafft habe. Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts habe der EuGH damit nicht lediglich beispielhaft die in den maßgeblichen Vorlagefragen des Ausgangsverfahrens vorgehaltenen Handlungen herausgegriffen, sondern in einem abschließenden Sinne bestimmte Kriterien vorgegeben.

12

Weiter setze der Gefahrenbegriff des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine "konkrete Gefahr" voraus. Weder der Wortlaut noch die der Vorschrift zugrunde liegende Entstehungsgeschichte rechtfertigten eine Absenkung dieser Gefahrenschwelle. Das Berufungsgericht hätte daher prüfen müssen, ob der Kläger die für die objektive Unterstützung zu Grunde gelegten Tatsachen und Umstände gekannt und eine zweckgerichtete Unterstützung auch gewollt habe.

13

Schließlich habe das Berufungsgericht verkannt, dass dem Kläger nach dem Urteil des EuGH vom 24. Juni 2015 selbst dann, wenn ihm der Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie entzogen werden dürfe, für die Zeit der Fortdauer seines Flüchtlingsstatus die Rechte nach Kapitel VII dieser Richtlinie erhalten bleiben. Deshalb beantragte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hilfsweise, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass ihm auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie.

14

Der Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und tritt der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bei.

15

Während des Revisionsverfahrens hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 20. Oktober 2016 die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes für den Kläger widerrufen und entschieden, ihm weder die Flüchtlingseigenschaft noch den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Gegen den Bescheid hat der Kläger Klage erhoben.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist im Wesentlichen unbegründet. Das Berufungsgericht hat die Ausweisung des Klägers und die ihm auferlegte Meldepflicht und Aufenthaltsbeschränkung im Ergebnis zu Recht als rechtmäßig eingestuft. Allerdings war auf der Grundlage der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG der Beklagte zu einer nunmehr gebotenen Ermessensentscheidung über die festzusetzende Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG zu verpflichten.

17

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren des Klägers auf Aufhebung der Ausweisung (Ziffer 1 des Bescheids) sowie der Meldeauflagen und Aufenthaltsbeschränkung (Ziffer 2 des Bescheids). Aber auch der Streit über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs - im Berufungsverfahren und anschließend im Revisionsverfahren angefallen. Denn das Befristungsbegehren ist als Minus notwendiger Bestandteil des Begehrens auf Aufhebung einer Ausweisung und kann daher von den Parteien nicht gesondert aus dem Verfahren ausgegliedert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 28 ff.). Hiervon sind im Übrigen vorliegend auch die Parteien übereinstimmend ausgegangen.

18

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der Meldepflicht und der Aufenthaltsbeschränkung sowie der vom Kläger hilfsweise begehrten Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 8 m.w.N.). Der Entscheidung sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162) zugrunde zu legen, zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155).

19

A. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG, weil der Kläger anerkannter Flüchtling ist.

20

1. Nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht ergibt sich der Grundtatbestand der Ausweisung aus § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

21

Das neue Ausweisungsrecht gibt das mit dem Ausländergesetz 1990 eingeführte dreistufige Konzept der Ist-, Regel- und Kann-Ausweisung auf. Stattdessen hat sich der Gesetzgeber für ein einheitliches System der rechtlich gebundenen Ausweisung entschieden ("wird ausgewiesen"), das vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. § 54 AufenthG benennt konkret die Gründe, wann das Ausweisungsinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt und knüpft damit an Tatbestände der früheren Ist- und Regelausweisung an. In § 55 AufenthG werden - spiegelbildlich hierzu - Tatbestände normiert, denen zufolge das Bleibeinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt, wobei auch die Aufzählung der "schwer" wiegenden Bleibeinteressen nicht abschließend ist. In § 53 Abs. 2 AufenthG werden Gesichtspunkte genannt, die bei der Abwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sind, insbesondere die Dauer des Aufenthalts, Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, Folgen der Ausweisung für Angehörige und Partner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat.

22

Die Rechtsprechung des Senats, die ihrerseits Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aufgreift (vgl. Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <301 ff.> und vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 14 ff.), hat bei der Entwicklung des neuen Ausweisungsrechts eine entscheidende Rolle gespielt (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 25. Februar 2015, BT-Drs. 18/4097 S. 49). Dabei griff der Gesetzgeber Vorschläge zur Neuregelung des Ausweisungsrechts auf, die Vertreter der Rechtsprechung unterbreitet haben (vgl. Dörig, NVwZ 2010, 921 <922>; Bergmann, ZAR 2013, 318 <322> sowie Gesetzesvorschlag Bergmann/Dörig vom Januar 2014, veröffentlicht in: Barwig u.a., Steht das europäische Migrationsrecht unter Druck?, 2014, S. 111 f.). Die Ausweisung setzt nunmehr nach § 53 Abs. 1 AufenthG eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Sofern nach dieser Gesamtabwägung das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib in Deutschland überwiegt, wird der Ausländer ausgewiesen, andernfalls kommt eine Aufenthaltsbeendigung nach § 53 Abs. 1 AufenthG nicht in Betracht.

23

Die Tatbestandsmerkmale der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" im ausweisungsrechtlichen Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG sind nach der Begründung des Gesetzgebers im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Auch die Gefährdung dieser Schutzgüter bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten wird. Mit Blick auf die verwendeten Begriffe sollte keine Ausweitung des Gefahrenbegriffs gegenüber dem bislang geltenden Recht erfolgen, vielmehr sollten lediglich die bislang verwandten unterschiedlichen Formulierungen aneinander angeglichen werden. Die von § 53 Abs. 1 AufenthG geforderte Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers in Deutschland erfolgt dabei nach der Intention des Gesetzgebers nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar.

24

Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" (Absatz 1) oder als "schwerwiegend" (Absatz 2). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sind neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Interessen aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Die Katalogisierung schließt demnach die Berücksichtigung weiterer Umstände im Rahmen der nach § 53 Abs. 2 AufenthG zu treffenden Abwägungsentscheidung nicht aus. Dies folgt bereits aus dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG, ist aber für die schwerwiegenden, aufgrund der Vielgestaltigkeit der Lebenssituationen bewusst nicht abschließend aufgezählten Bleibeinteressen in § 55 Abs. 2 AufenthG nochmals ausdrücklich normiert. Die nunmehr als schwerwiegend oder besonders schwerwiegend qualifizierten Ausweisungsinteressen im Sinne von § 54 AufenthG decken sich weitgehend - aber nicht vollständig - mit den früheren Gründen für eine Regel- und Ist-Ausweisung, die schwerwiegenden und besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen greifen Fälle des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 AufenthG a.F. auf.

25

Bei der Abwägung sind schließlich gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht ("Boultif/Üner-Kriterien"). Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen.

26

Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht.

27

2. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG festgestellt. Ein solches liegt dann vor, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wobei hiervon u.a. dann auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Ausländer einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er (jedenfalls) eine solche Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, er nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.

28

a) Der Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist dem Wortlaut nach weitgehend an den früheren Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung angelehnt, auf den die Ausweisungsverfügung auch ursprünglich gestützt war. Das Berufungsgericht hat für die Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu Recht dieselben rechtlichen Maßstäbe herangezogen, die der Senat zur Auslegung des früheren Regelausweisungstatbestandes nach § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung entwickelt hat.

29

In der Rechtsprechung des Senats war die Auslegung des Regelausweisungstatbestands des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung weitgehend geklärt. So ist anerkannt, dass eine Vereinigung den Terrorismus unterstützt, wenn sie sich selbst terroristisch betätigt oder wenn sie die Begehung terroristischer Taten durch Dritte veranlasst, fördert oder befürwortet. Die Schwelle der Strafbarkeit muss dabei nicht überschritten sein, da die Vorschrift der präventiven Gefahrenabwehr dient und auch die Vorfeldunterstützung durch sogenannte Sympathiewerbung erfasst. Der Tatbestand des Unterstützens des Terrorismus durch eine Vereinigung setzt allerdings voraus, dass die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung (auch) auf die Unterstützung des Terrorismus gerichtet sind; ein bloßes Ausnutzen der Strukturen einer Vereinigung durch Dritte in Einzelfällen reicht hierfür nicht aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 20 ff. und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 13 ff.).

30

Für den im Gesetz verwandten Begriff des Terrorismus sind Versuche, auf völkerrechtlicher Ebene eine allgemein anerkannte vertragliche Definition zu entwickeln, nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen. Jedoch können wesentliche Kriterien aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft im Beschluss des Rates Nr. 2002/475/JI vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (ABl. L 164 S. 3) sowie dem gemeinsamen Standpunkt des Rates 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001 (ABl. L 344 S. 93) gewonnen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die Aufnahme einer Organisation in die vom Rat der Europäischen Union angenommene Liste terroristischer Organisationen im Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93 - vgl. auch ABl. L 116 vom 3. Mai 2002, S. 75) ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass die Organisation terroristischer Art ist oder im Verdacht steht, eine solche zu sein (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 [ECLI:EU:C:2015:413], H.T./Land Baden-Württemberg - Rn. 83). Hier sind von den Tatsachengerichten ergänzende Feststellungen zu treffen. Dabei ist trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs anerkannt, dass als terroristisch jedenfalls der Einsatz gemeingefährlicher Waffen und Angriffe auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen sind (Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>, vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 19 und Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 10 C 48.07 - BVerwGE 132, 79 <87> m.w.N.).

31

Weiterhin ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass die individuelle Unterstützung einer terroristischen Vereinigung oder einer Vereinigung, die eine terroristische Vereinigung unterstützt, im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. alle Verhaltensweisen erfasst, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeit der Vereinigung auswirken. Darunter kann die Mitgliedschaft in der terroristischen oder in der unterstützenden Vereinigung ebenso zu verstehen sein wie eine Tätigkeit für eine solche Vereinigung ohne gleichzeitige Mitgliedschaft. Auch die bloße Teilnahme an Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen kann eine Unterstützung in diesem Sinne darstellen, wenn sie geeignet ist, eine positive Außenwirkung im Hinblick auf die durch § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. missbilligten Ziele zu entfalten. Auf einen nachweisbaren oder messbaren Nutzen für diese Ziele kommt es nicht an, ebenso wenig auf die subjektive Vorwerfbarkeit der Unterstützungshandlungen. Im Hinblick auf den Schutz der Meinungsfreiheit und das Gebot der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Betätigungsfreiheit des Einzelnen erfüllen allerdings solche Handlungen den Tatbestand der individuellen Unterstützung nicht, die erkennbar nur auf einzelne, mit terroristischen Zielen und Mitteln nicht im Zusammenhang stehende - etwa humanitäre oder politische - Ziele der Vereinigung gerichtet sind. Für den Ausländer muss schließlich die eine Unterstützung der Vereinigung, ihrer Bestrebungen oder ihrer Tätigkeit bezweckende Zielrichtung seines Handelns erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auf eine darüber hinaus gehende innere Einstellung des Ausländers kommt es hingegen nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 15 und 18 m.w.N.).

32

Diese vom Senat zur Auslegung von § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. entwickelten Grundsätze lassen sich entgegen dem Vorbringen der Revision auch auf den Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung nach dem neu gefassten § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG übertragen. Ein Vergleich der Textfassungen ergibt, dass der Gesetzgeber die früheren Regelausweisungstatbestände nach § 54 Nr. 5, 5a und 5b AufenthG a.F. in der neuen Vorschrift des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zusammengefasst hat, wobei unter den vorliegenden Umständen die Fälle staatsgefährdender Gewalttaten nach § 89a StGB außer Betracht bleiben können. Gegenüber dem früheren Recht ist der Hinweis entfallen, dass eine Ausweisung auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen nur gestützt werden kann, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Eine Änderung der materiellen Rechtslage ist damit aber nicht verbunden, da auch nach neuem Recht eine fortbestehende Gefahr erforderlich ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ("gefährdet") und ist implizit auch dem neuen Zusatz in § 54 Abs. 1 Nr. 2 letzter Halbsatz AufenthG zu entnehmen, wonach von einer Gefährdung nicht auszugehen ist, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt.

33

Den Gesetzgebungsmaterialien ist nichts dafür zu entnehmen, dass sich der Gesetzgeber hinsichtlich des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung für eine Abkehr von dem bisherigen Verständnis des Ausweisungstatbestandes hat entscheiden wollen. Zwar hat er in Satz 2 einen Halbsatz neu eingefügt, wonach ein Unterstützen nicht vorliegt, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt. Das stellt jedoch keine inhaltliche Änderung des Unterstützerbegriffs dar, sondern normiert lediglich ein in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits entwickeltes Kriterium zur individuellen Zurechnung eines Unterstützerverhaltens. Denn der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die objektive Tatsache der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in der Vergangenheit dem Ausländer dann nicht mehr zugerechnet werden kann, wenn er sich glaubhaft hiervon distanziert (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <131>, vom 30. April 2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 35 und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 17). Die nunmehr normierten Tatbestandsmerkmale lassen keine Abkehr von der Senatsrechtsprechung erkennen, denn ein "erkennbares Abstandnehmen" vom sicherheitsgefährdenden Handeln entspricht dem Distanzieren im Sinne der Senatsrechtsprechung. Allerdings findet sich in der Begründung zu dieser Neuregelung die Aussage, die Möglichkeit der "Exkulpation" zeige, dass der Betroffene Kenntnis davon gehabt haben müsse, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstütze, der "undolose Unterstützer" daher nicht unter die Regelung falle (BT-Drs. 18/4097 S. 51). Aus diesem Satz in der Gesetzesbegründung könnte man ableiten, der Gesetzgeber habe eine Regelung treffen wollen, nach der für die subjektive Seite des Unterstützens mehr erforderlich ist (Vorsatz) als nach dem bisherigen Verständnis (Erkennbarkeit). Wäre dies tatsächlich so Gesetz geworden, hätte dies eine nicht unerhebliche Einschränkung der Rechtsprechung zur subjektiven Zurechnung bedeutet, nach der es ausreicht, dass der Ausländer erkennen konnte, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstützt. Die Begründung hat jedoch im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden, denn nach diesem wird Vorsatz im Hinblick auf die terroristische Betätigung der unterstützten Vereinigung nicht verlangt. Es reicht somit auch für die Erfüllung des subjektiven Unterstützertatbestands weiterhin die Erkennbarkeit einer terroristischen Betätigung der Vereinigung aus. Vorsatz bleibt hingegen weiter erforderlich für das eigene Handeln des Ausländers, das von dem Ziel geleitet sein muss, die Vereinigung zu unterstützen. Für diese Auslegung spricht auch, dass der Gesetzgeber der Vorfeldunterstützung des Terrorismus durch die Gesetzesänderung erhöhte Bedeutung beimessen wollte, indem er den bisher als Tatbestand für eine Regelausweisung normierten Ausweisungsgrund zu einem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 AufenthG heraufstufte, was im bisherigen Recht dem Tatbestand einer zwingenden Ausweisung entsprochen hätte. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass das stärkere Gewicht, das der Gesetzgeber diesem Ausweisungsinteresse beimessen wollte (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 23), mit einer engeren Interpretation seiner Tatbestandsmerkmale einhergehen sollte.

34

Eine vom früheren Begriffsverständnis abweichende Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass dieser bisher eigenständige Tatbestand nunmehr in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG funktional mit einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verknüpft wird ("hiervon ist auszugehen, wenn"). Vielmehr ergibt eine systematische Auslegung der Vorschrift, dass der Inhalt des Ausweisungstatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung unverändert geblieben ist, während der Begriff der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland eine Erweiterung erfahren hat. Denn der Gesetzgeber hat mit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr kraft Gesetzes definiert, wann von einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen ist, nämlich (jedenfalls) dann, wenn eine der dort genannten Tatbestandsalternativen erfüllt ist. Die Auslegung des Begriffs der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland richtet sich daher (auch) nach diesen Tatbestandsalternativen, nicht umgekehrt. Anderes lässt sich hinsichtlich des Gefahrenmaßstabs auch nicht der Regelung des § 53 Abs. 1 AufenthG entnehmen. Denn anders als bei den übrigen Ausweisungsinteressen hat der Gesetzgeber in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG das Erfordernis einer Gefahr (nochmals) ausdrücklich aufgeführt, was unter systematischen Gesichtspunkten für eine gewisse Eigenständigkeit des Gefahrentatbestandes gegenüber § 53 Abs. 1 AufenthG fruchtbar gemacht werden kann. Es gilt damit nunmehr, dass das Gesetz bereits die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Bundesgebiet als eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ansieht, unabhängig davon ob die terroristische Vereinigung Gewaltakte auch auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland oder gegen deutsche Einrichtungen im Ausland begeht. Weiterhin gilt jedenfalls für die Fälle des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ein abgesenkter Gefahrenmaßstab, der auch Vorfeldmaßnahmen erfasst und keine von der Person des Unterstützers ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefahr erfordert. Die Rechtsprechung des Senats zur Unterstützung des Terrorismus durch Handlungen in dessen Vorfeld hat dem Rechnung zu tragen und dabei auch die Bedeutung zu berücksichtigen, die der Unionsgesetzgeber dieser Vorfeldunterstützung durch den Erwägungsgrund 37 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 S. 9) - EU-Anerkennungsrichtlinie - beimisst.

35

Ein Anlass für eine verfassungsrechtliche Neubewertung des Gefahrenmaßstabs besteht entgegen dem umfangreichen Revisionsvorbringen nicht. In der Rechtsprechung des Senats ist seit dem Urteil zum Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus - Terrorismusbekämpfungsgesetz - vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361, 3142) anerkannt, dass der Unterstützungsbegriff weit auszulegen und anzuwenden ist, um damit der auch völkerrechtlich begründeten Zielsetzung des Gesetzes gerecht zu werden, dem Terrorismus schon im Vorfeld die logistische Basis zu entziehen (BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <127 ff.>). Maßgeblich ist, inwieweit das festgestellte Verhalten des Einzelnen zu den latenten Gefahren der Vorfeldunterstützung des Terrorismus nicht nur ganz unwesentlich oder geringfügig beiträgt und deshalb selbst potenziell gefährlich erscheint. Wegen der tatbestandlichen Weite des Unterstützungsbegriffs ist allerdings bei der Anwendung der Vorschrift darauf zu achten, dass nicht unverhältnismäßig namentlich in das auch Ausländern zustehende Recht auf freie Meinungsäußerung jenseits der zumindest mittelbaren Billigung terroristischer Bestrebungen eingegriffen wird. Einen bislang nicht berücksichtigten verfassungsrechtlichen Rechtssatz, der den so umschriebenen Ausgleich zwischen dem legitimen und schon wegen seiner völkerrechtlichen Vorgaben besonders gewichtigen gesetzgeberischen Ziel der Terrorismusbekämpfung und den geschützten Grundrechtspositionen eines Ausländers infrage stellen würde, zeigt die Revision nicht auf. Insbesondere sprechen der Charakter der Ausweisung als Maßnahme der Gefahrenabwehr sowie die spezifische Zielsetzung der Terrorismusbekämpfung gegen eine Übertragung strafrechtlicher Rechtsprechungsgrundsätze, wie sie etwa für die Abgrenzung strafbarer und straffreier Meinungsäußerungen gelten. Der Senat hält auch unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an seiner bisherigen Rechtsprechung fest.

36

b) Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG angenommen. Dies gilt sowohl für die Qualifizierung der PKK als terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung (aa) als auch - jedenfalls im Ergebnis - für die Qualifizierung der Handlungen des Klägers als relevante Unterstützungshandlungen (bb). Ebenso wenig zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen hat (cc).

37

(aa) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Qualifizierung der PKK als eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Das Gericht legt seiner Entscheidung die in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze für die Definition einer terroristischen Vereinigung zugrunde (UA Bl. 27 f.) und geht damit von einem zutreffenden Maßstab aus. Für die Bewertung der PKK als eine solche Vereinigung hat das Gericht zunächst darauf abgestellt, dass sie auch noch aktuell auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist, ohne diesem Umstand eine über einen deutlichen Anhaltspunkt hinausgehende Bedeutung beizumessen (UA Bl. 31). Hieran anknüpfend hat das Berufungsgericht sodann auf der Grundlage der ihm vorliegenden Erkenntnismittel festgestellt, dass die PKK zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele in der Türkei weiterhin Gewalttaten gegen staatliche Einrichtungen und Amtsträger sowie die Zivilbevölkerung verübt und im Übrigen etwa zur Finanzierung ihrer Aktivitäten oder zur Bekämpfung von Kritikern auch nicht vor Verbrechen gegenüber ihren eigenen Anhängern und auch darüber hinaus gegenüber der kurdischstämmigen Bevölkerung insgesamt zurückschreckt. Insbesondere sei die zwischen dem türkischen Staat und der PKK ausgehandelte (relative) Waffenruhe seitens der PKK zuletzt Ende Juli 2015 ausdrücklich aufgekündigt worden (UA Bl. 32 f.). Diese tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts sind von der Revision nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen worden und daher für den Senat bindend. Sie erlauben dem Senat zudem eine eigene rechtliche Bewertung des Inhalts, dass die PKK eine terroristische Vereinigung darstellt und nicht lediglich eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung.

38

(bb) Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist auch die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, dass der Kläger die PKK in rechtserheblicher Weise individuell unterstützt hat. Allerdings ist das Gericht unter Verstoß gegen Bundesrecht davon ausgegangen, dass zu Lasten des Klägers nur solche Unterstützungshandlungen berücksichtigt werden dürfen, die in zeitlicher Hinsicht nach der Mitteilung des Regierungspräsidiums vom Juli 2010 lagen, wonach eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft würden.

39

Das Berufungsgericht ist insoweit rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass ein Ausweisungsinteresse bereits dann aus Gründen des Vertrauensschutzes verbraucht ist und nicht mehr zur Begründung einer Ausweisung herangezogen werden kann, wenn ein Aufenthaltstitel in Kenntnis oder dem Staat zuzurechnender Unkenntnis erteilt oder verlängert wurde (UA S. 34 f.). Zwar ist in der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich anerkannt ist, dass Ausweisungsgründe in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und so lange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind und die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <313> und vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <121 f.>). Aus der Ableitung dieser Kriterien aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt jedoch, dass die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Aus der Rechtsprechung des Senats ergibt sich zudem, dass ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers schützenswert sein muss. Hieran fehlt es, wenn die Ausländerbehörde - wie vorliegend - dem Kläger auf dessen Anfrage zum Stand des Verfahrens auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis lediglich mitteilt, dass gegenwärtig noch eine Sicherheitsüberprüfung stattfinde, und dann zu einem späteren Zeitpunkt ohne jegliche Erläuterung zum Ausgang der Sicherheitsüberprüfung die begehrte Niederlassungserlaubnis erteilt. Auf dieser Grundlage kann der Betroffene nämlich weder wissen, welchen konkreten Umständen die Ausländerbehörde im Rahmen ihrer Sicherheitsüberprüfung nachgegangen ist, noch zu welchen konkreten Erkenntnissen sie hierbei nach Abschluss der Überprüfung gelangt ist. Daher kann der Betroffene aus der Erteilung der Niederlassungserlaubnis billigerweise auch nicht schließen, dass die Ausländerbehörde bei ihrer Sicherheitsüberprüfung alle als potentielle Versagungsgründe in Betracht kommenden Umstände tatsächlich ermittelt und sodann als für die Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis unbeachtlich eingestuft hat.

40

Das angefochtene Urteil beruht jedoch nicht auf diesem Rechtsverstoß, weil das Berufungsgericht auch ohne Berücksichtigung der vor dem für maßgeblich erachteten Zeitpunkt liegenden Umstände von rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen des Klägers ausgegangen ist und die diesbezüglichen Feststellungen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sind. Im Übrigen wäre der Kläger durch die Nichtberücksichtigung weiterer, ihn belastender Umstände auch nicht beschwert. Im Einzelnen hat das Berufungsgericht für die Bestimmung der rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen zutreffend auf die in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäbe zu § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung abgestellt (UA Bl. 35 ff.). Keine abweichende Beurteilung ergibt sich aus dem Einwand des Klägers, die PKK nicht unmittelbar unterstützt zu haben, sondern sich in legalen Vereinigungen betätigt zu haben, die ihrerseits die PKK im Wissen um deren Charakter gewollt und gezielt unterstützen. Denn es stellt keine verminderte Gefahr der Vorfeldunterstützung des Terrorismus dar, wenn die Unterstützung terroristischer Vereinigungen nicht durch isolierte Einzelhandlungen, sondern in Vereinigung mit anderen erfolgt. Hierin liegt auch kein Fehlen der Unmittelbarkeit der Unterstützungshandlungen.

41

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht sodann nach Auswertung der ihm vorliegenden umfangreichen Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden festgestellt, dass der Kläger über mehrere Jahre in teils hervorgehobener Funktion als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter oder Redner regelmäßig an Veranstaltungen teilgenommen und mitgewirkt hat, bei denen offene Propaganda für die PKK betrieben worden ist (UA Bl. 39 - 42). Unter Einbeziehung der Aktivitäten des Klägers in der Zeit seit 2001, wie sie in der Ausweisungsverfügung (S. 3 - 9, 16 - 23) aufgelistet, vom Kläger nicht in Abrede gestellt und vom Berufungsgericht in Bezug genommen worden sind (UA S. 39 f.), stellt sich das Unterstützungshandeln des Klägers wie folgt dar: Der Kläger war von 2001 bis 2003/2004 Vorsitzender des "Kurdischen Kulturverein e.V." in L., der der KONGRA-GEL nahestand. Im Oktober 2004 wurde er in das 15-köpfige Führungskomitee der "Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland" (YEK-KOM) gewählt und gehörte diesem bis zur Auflösung der YEK-KOM im Jahr 2014 an, zeitweilig (bis 2011) war er der 2. Vorsitzende der Vereinigung. Er hat sich im Juni 2014 in den fünfköpfigen Vorstand der die PKK unterstützenden NAV-DEM wählen lassen und diese Vorstandstätigkeit bis zum Tage der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausgeübt (UA Bl. 43 - 45).

42

Der Kläger beteiligte sich seit Mitte 2003 regelmäßig an Kundgebungen und Demonstrationen in unterschiedlichen deutschen Städten (u.a. Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg, Frankfurt, Gelsenkirchen, Düsseldorf, Stuttgart) und in Straßburg/Frankreich, die sich unter anderem für eine Freilassung des inhaftierten PKK-Führers Öcalan aussprachen, des Gründungsjahrestags der PKK und/oder der "Märtyrer des kurdischen Freiheitskampfes" gedachten und Parolen auf die PKK ausriefen. Der Kläger hielt auf einigen dieser Veranstaltungen eine Rede, im Februar 2007 hob er dabei die Bedeutung der Gefallenen für die kurdische Sache hervor, im Januar 2009 sprach er zur aktuellen Lage der Kurden in ihrer Heimat, im März 2010 kritisierte er die Exekutivmaßnahmen der belgischen Polizei gegenüber dem kurdischen TV-Sender ROJ-TV, im November 2011 sprach er auf einer Kundgebung, die zum Thema u.a. die Verwendung von Napalmgas und chemischer Waffen gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei hatte, im Januar 2013 verurteilte er auf einer Kundgebung die Ermordung von drei PKK-Aktivisten in Paris, im Oktober 2015 hielt er anlässlich einer Protestaktion der NAV-DEM in Frankfurt eine Rede.

43

Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger nicht nur seine individuellen Unterstützungshandlungen, sondern sämtliche Aktionen der YEK-KOM und der NAV-DEM aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied persönlich zuzurechnen sind. Die YEK-KOM, der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK nach den gerichtlichen Feststellungen durch eine Vielzahl von Aktionen. Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen oder ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie "Freiheit für Öcalan" und "Frieden für Kurdistan". Im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die "logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans" verankert. Der Verein biete der PKK oder ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Für die NAV-DEM gilt nach den getroffenen Feststellungen nichts anderes. Der Verein sei keine Neugründung, sondern eine Umbenennung des Vereins YEK-KOM. Im Übrigen werde deutlich, dass die NAV-DEM ihre Veranstaltungen und Kundgebungen mit gleichem Ablauf und gleichen Themen durchführe wie zuvor schon unter dem Namen YEK-KOM. Diese zutreffende Würdigung bedeutet auch nicht, dass jeder Einsatz für die Interessen und Belange kurdischer Volkszugehöriger (oder eine Kritik an der Kurdenpolitik der Türkischen Republik) als eine Unterstützung der PKK und damit des Terrorismus einzuordnen wäre.

44

(cc) Soweit schließlich nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausscheidet, wenn der Ausländer ernsthaft und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt, hat das Berufungsgericht ebenfalls in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der Kläger ausweislich seines auch während des Ausweisungsverfahrens fortgesetzten Engagements als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter und Redner auch künftig an seiner Unterstützung der PKK festhalten wird. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Unterstützerverhalten des Klägers sind detailreich und stellen - entgegen der Auffassung der Revision - keine zu schmale Tatsachengrundlage für die getroffenen Feststellungen dar. Damit erfüllt der Kläger die gesetzlichen Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, und es liegt ein Ausweisungsinteresse vor, das besonders schwer wiegt.

45

3. Die angefochtene Verfügung des Beklagten erfüllt auch die besonderen Voraussetzungen, die nach § 53 Abs. 3 AufenthG an die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings zu stellen sind. Ein solcher darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

46

a) Diese den Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG ergänzende Vorschrift legt erhöhte Ausweisungsvoraussetzungen für mehrere rechtlich privilegierte Personengruppen fest, nämlich für Ausländer, die als Asylberechtigte anerkannt sind, die im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießen, die einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention besitzen, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder die eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU besitzen. Für all diese Personengruppen gilt der besondere aus Art. 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG abgeleitete Maßstab, den der Gerichtshof der Europäischen Union auch auf Ausländer erstreckt hat, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - C-371/08 [ECLI:EU:C:2011:809], Ziebell - Slg. 2011, I-12735 Rn. 79, 86). Der Senat folgt nicht der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, wonach die Voraussetzungen des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 53 Abs. 3 AufenthG von vornherein "bereichsspezifisch" gemäß dem durch das Unionsrecht für den jeweiligen Personenkreis bestimmten Ausweisungsschutz auszulegen sind. Vielmehr hat der Gesetzgeber den unionsrechtlichen Schutzstandard für daueraufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige für ausreichend befunden und dessen Geltung für alle genannten Personengruppen angeordnet. Dies entbindet freilich nicht davon, in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob für die jeweils betrachtete Personengruppe der so durch den nationalen Gesetzgeber definierte Ausweisungsschutz dem unionsrechtlichen Maßstab tatsächlich genügt. Nur wenn der unionsrechtliche Maßstab strenger ist als derjenige, der durch den Gesetzgeber in § 53 Abs. 3 AufenthG festgelegt worden ist, bedarf § 53 Abs. 3 AufenthG nach allgemeinen Grundsätzen einer unionsrechtskonformen Auslegung, die angesichts der Weite der Tatbestandsmerkmale und des erkennbaren gesetzgeberischen Willens, europarechtlichen Maßstäben zu genügen, auch möglich ist (so auch Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 54).

47

Im vorliegenden Fall ist § 53 Abs. 3 AufenthG unionsrechtskonform nach den Vorgaben der EU-Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU auszulegen. Die Richtlinie formuliert keine Vorgaben für eine Ausweisung im Sinne des deutschen Rechts, wohl aber für eine Zurückweisung in den Herkunftsstaat (Art. 21 Abs. 2 und 3) und für den Entzug des Aufenthaltstitels (Art. 24 Abs. 1).

48

b) Nach Art. 21 Abs. 3 der EU-Anerkennungsrichtlinie darf ein Mitgliedstaat den einem Flüchtling erteilten Aufenthaltstitel widerrufen, wenn die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 2 vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 2012 - 1 C 8.11 - BVerwGE 143, 138 Rn. 21). Fällt ein Flüchtling nicht in den Anwendungsbereich von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie, kann auch Abs. 3 dieser Vorschrift nicht zu Anwendung kommen (EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 - Rn. 44). Eine Zurückweisung ist nach Art. 21 Abs. 2 Buchst. a zulässig, wenn es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass der Flüchtling eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält. Es kann offenbleiben, ob vom Kläger eine Gefahr im Sinne dieser Vorschrift ausgeht, denn die Zurückweisung ist nur unter der weiteren Voraussetzung rechtmäßig, dass sie dem Mitgliedstaat nicht aufgrund seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen untersagt ist (Art. 21 Abs. 2). Dazu zählen die Verpflichtungen aus Art. 3 EMRK (vgl. Begründung der Kommission im Richtlinienvorschlag vom 12. September 2001 KOM (2001) 510 endg. S. 33 zu Art. 19). Dem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK kommt absoluter Charakter zu; es kann mithin - anders als das Refoulement-Verbot nach Art. 33 Abs. 1 GFK - nicht unter den Voraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 Richtlinie 2011/95/EU i.V.m. Art. 35 Abs. 2 GFK durchbrochen werden (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 5. April 2016 - C-404/15 und C-659/15 PPU [ECLI:EU:C:2016:198], Aranyosi und Căldăraru - Rn. 85 - 87; EGMR, Urteil vom 17. Dezember 1996 - Nr. 71/1995/577/663, Ahmed/Österreich - NVwZ 1997, 1100 Rn. 39 - 41). Für den Kläger besteht ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK. Denn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat im Anerkennungsbescheid vom 9. Oktober 1997 nicht nur die Flüchtlingseigenschaft des Klägers nach dem seinerzeit maßgeblichen § 51 Abs. 1 AuslG 1990, sondern auch ein Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990 hinsichtlich der Türkei festgestellt und dieses damit begründet, dass dem Kläger in der Türkei unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Diese Feststellung des Bundesamts begründet hier ein - absolutes - nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Insoweit kommt der Feststellung des Bundesamts im vorliegenden Verfahren über § 42 AsylG auch Bindungswirkung zu. Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU begrenzt damit den behördlichen Handlungsspielraum für eine Abschiebung in einen Verfolgerstaat oder einen Staat, in dem Gefahren nach Art. 3 EMRK drohen. Die Vorschrift setzt jedoch keine Maßstäbe für eine lediglich "inlandsbezogene" Ausweisung, die - wie hier - insbesondere den Verlust des Aufenthaltstitels zur Folge hat.

49

c) Unionsrechtliche Maßstäbe für eine zum Verlust des Aufenthaltstitels eines Flüchtlings führende inlandsbezogene Ausweisung lassen sich aus Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie gewinnen. Die Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten, einem Flüchtling so bald wie möglich nach der Anerkennung einen Aufenthaltstitel auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.

50

(aa) Der Inhalt dieser Norm wurde vom Gerichtshof der Europäischen Union in einem auf ein Vorlageersuchen des Berufungsgerichts ergangenen Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) näher bestimmt. Die Entscheidung bezieht sich zwar auf Art. 24 Abs. 1 der EG-Anerkennungsrichtlinie 2004/83/EG, ihre Aussagen sind aber uneingeschränkt auf die in der Sache unveränderte Vorschrift des Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU übertragbar. Danach kann einem Flüchtling nach Art. 24 Abs. 1 nicht nur die Erteilung eines Aufenthaltstitels versagt werden, sondern der erteilte Aufenthaltstitel auch nachträglich widerrufen werden, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen (a.a.O. Rn. 55). Soweit in der Neufassung der Vorschrift nunmehr von zwingenden Gründen der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung die Rede ist, ist damit keine inhaltliche Änderung verbunden. Diese Wirkung einer Entziehung des Aufenthaltstitels kommt der hier verfügten Ausweisung zu, die wegen des entgegenstehenden Abschiebungsverbots nach Art. 3 EMRK nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung führt. Entgegen einer am Wortlaut orientierten Auslegung von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie hat der darin verwendete Begriff der "zwingenden Gründe" nach dem EuGH-Urteil eine weitere Bedeutung als der Begriff der "stichhaltigen Gründe" in Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie. Das bedeutet, dass bestimmte Umstände, die nicht den Schweregrad aufweisen, um eine Zurückweisung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie verfügen zu können, den Mitgliedstaat gleichwohl dazu berechtigen können, auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie dem betroffenen Flüchtling seinen Aufenthaltstitel zu entziehen (a.a.O. Rn. 75).

51

Bei der Bestimmung des Bedeutungsgehalts der "zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" hat der EuGH zunächst Bezug auf seine Rechtsprechung zu den Begriffen der "öffentlichen Sicherheit" und der "öffentlichen Ordnung" in Art. 27 und 28 der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG genommen (a.a.O. Rn. 77 ff.). Danach umfasst der Begriff "öffentliche Sicherheit" im Sinne von Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats. Die öffentliche Sicherheit kann danach berührt sein, wenn das Funktionieren staatlicher Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste beeinträchtigt wird oder eine Gefahr für das Überleben der Bevölkerung oder einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker besteht oder militärische Interessen beeinträchtigt werden. Dabei deutet der Begriff der "zwingenden Gründe" auf einen besonders hohen Schweregrad der Beeinträchtigung hin (a.a.O. Rn. 78). Den Begriff der "öffentlichen Ordnung" hat der EuGH für die Unionsbürgerrichtlinie dahin ausgelegt, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliegen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (a.a.O. Rn. 79). Zugleich betont er, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, nach ihren nationalen Bedürfnissen, die je nach Mitgliedstaat und Zeitpunkt unterschiedlich sein können, zu bestimmen, was die öffentliche Ordnung und Sicherheit erfordern (a.a.O. Rn. 77).

52

Für den Fall der Unterstützung des Terrorismus hat der EuGH zudem auf den 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83/EG, heute 37. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95/EU hingewiesen, wonach der Begriff der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" auch für die Fälle gilt, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt. Dabei muss das nationale Gericht in einem ersten Schritt prüfen, ob die Handlungen der fraglichen Organisation die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedrohen. Wird eine vom Flüchtling unterstützte Vereinigung in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93) geführt, ist dies ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie entweder eine terroristische Organisation ist oder im Verdacht steht, eine solche Organisation zu sein (a.a.O. Rn. 83). Allein der Umstand, dass ein Flüchtling eine solche Organisation unterstützt hat, darf jedoch nicht automatisch zur Aufhebung seines Aufenthaltstitels führen. Vielmehr ist in einem zweiten Schritt einzelfallbezogen die Rolle zu prüfen, die der Betreffende im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt hat (a.a.O. Rn. 90), und auch der Schweregrad der Gefahr zu beurteilen, die von seinen Handlungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (a.a.O. Rn. 92).

53

(bb) Das Berufungsgericht hat die vom Kläger geleisteten und ihm zuzurechnenden Unterstützungshandlungen an dem vom EuGH präzisierten Maßstab für die Auslegung des Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie gemessen und ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass sich hieraus zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ergeben, die einen Entzug des Aufenthaltstitels gegenüber dem Kläger rechtfertigen. Das Gericht hat bereits im Rahmen seiner Prüfung des besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausführlich begründet, warum die PKK eine terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung darstellt (UA S. 27 - 34). Dabei hat es gewürdigt, dass die PKK auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist und auch weiterhin terroristische Aktivitäten entfaltet. In einem zweiten Schritt hat es näher dargelegt, warum die in Deutschland agierenden Vereinigungen YEK-KOM und NAV-DEM, für die der Kläger seit mehr als zwölf Jahren in hervorgehobenen Funktionen wirkte, und der Kläger auch individuell durch Anmeldung und Leitung von Versammlungen sowie Redebeiträge und weitere Aktivitäten die PKK unterstützt haben und weiter unterstützen (UA S. 55, 34 - 48). Die Bewertung des Berufungsgerichts, dass der Kläger damit die Voraussetzungen für den Entzug seines Aufenthaltstitels nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie erfüllt, steht mit der Rechtsprechung des EuGH in Einklang. Zwar hat er selbst keine terroristischen Handlungen begangen, auch nicht andere Personen hierzu angeleitet oder sich an der Planung oder Finanzierung terroristischer Aktionen beteiligt, wie das der EuGH als mögliches Unterstützerhandeln erwähnt (a.a.O. Rn. 90). Diese Aufzählung des Gerichtshofs ist jedoch nur beispielhaft, macht zugleich aber deutlich, dass der Betreffende eine gewichtige Rolle im Rahmen seiner Unterstützung der terroristischen Organisation gespielt haben muss.

54

Bei der Frage, was als gewichtig anzusehen ist, ist der 37. Erwägungsgrund der Richtlinie zu berücksichtigen, wonach auch die Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, und die Unterstützung einer derartigen Vereinigung als Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung anzusehen sind. Die abschließende Bewertung, ob die Unterstützungshandlung hinreichend gewichtig ist, um "zwingende Gründe" darzustellen, überlässt der Gerichtshof dem verantwortlichen nationalen Gericht und erkennt auch einen Einschätzungsspielraum der Mitgliedstaaten an, nach ihren nationalen Bedürfnissen zu bestimmen, was die nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung erfordern. Diese abschließende Bewertung hat das Berufungsgericht dahin getroffen, dass die Unterstützungshandlungen des Klägers dem von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie geforderten Gewicht entsprechen. Es hat dies auf der Grundlage der Gewichtungsvorgabe des nationalen Gesetzgebers in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nachvollziehbar mit dem mehr als zwölfjährigem Unterstützerhandeln des Klägers in hervorgehobener Position innerhalb zweier Vereinigungen begründet, in dessen Rahmen er an zahlreichen Veranstaltungen mitwirkte, an denen sich Akteure beteiligten, die offen für die PKK warben und deren Kurs vorbehaltlos befürworteten (Auftreten in Guerillauniform, Märtyrergedenken, Grußbotschaften an die Kämpfer an der Front usw.). Für das Gewicht seines Unterstützerhandelns durfte das Gericht auch berücksichtigen, dass der Kläger nach den tatrichterlichen Feststellungen in vollem Bewusstsein um dessen Bedeutung für den ideologischen Zusammenhalt der PKK und in dem Willen gehandelt hat, diese vorbehaltlos auch in Bezug auf deren terroristische Aktivitäten zu unterstützen (UA S. 55).

55

(cc) Der EuGH hat in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13 Rn. 95 ff.) aber hervorgehoben, dass ein Flüchtling, dessen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie aufgehoben wird, seinen Flüchtlingsstatus behält, sofern und solange ihm nicht dieser Status entzogen worden ist. Daher ist er auch nach dem Verlust seines Aufenthaltstitels weiterhin Flüchtling und hat in dieser Eigenschaft weiterhin Anspruch auf die Vergünstigungen, die das Kapitel VII der Richtlinie jedem Flüchtling gewährleistet, so insbesondere auf Schutz vor Zurückweisung, auf Wahrung des Familienverbands, auf Ausstellung von Reisedokumenten, auf Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung, zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie auf Zugang zu Integrationsmaßnahmen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift. Diese Rechte dürfen, auch soweit sie nach nationalem Recht an den Besitz eines Aufenthaltstitels anknüpfen, von den zuständigen Behörden daher nicht mit der Begründung versagt werden, dass der Aufenthalt des Flüchtlings infolge der Ausweisung rechtswidrig geworden ist. Allerdings darf die Ausstellung eines Reiseausweises nach Art. 25 EU-Anerkennungsrichtlinie versagt werden, wenn - etwa zur Begegnung der Gefahr terroristischen Unterstützungshandelns - zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung entgegenstehen. Ebenso dürfen nach Art. 33 der Richtlinie aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen verfügt werden, wenn diese aus Gründen der öffentlichen Sicherheit auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern zulässig sind.

56

Eventuelle Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der dem Flüchtling auch nach Entzug des Aufenthaltstitels weiter zustehenden Rechte nach Kapitel VII der EU-Anerkennungsrichtlinie infolge unzureichender Umsetzung der Richtlinie in den einschlägigen nationalen Fachgesetzen berühren nicht die Rechtmäßigkeit der verfügten Ausweisung. An die Beachtung der einen Flüchtling unmittelbar begünstigenden Vorschriften in Kapitel VII der Richtlinie und die hierzu ergangene Rechtsprechung des EuGH sind seit Ablauf der Umsetzungsfrist alle nationalen Behörden gebunden. Der Flüchtling hat seine Rechte gegenüber den jeweils zuständigen Behörden und erforderlichenfalls Gerichten geltend zu machen. Auch die Generalanwältin hat es insoweit als die Pflicht der nationalen Gerichte angesehen, für die volle Wirksamkeit der Bestimmungen der Richtlinie Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede entgegenstehende Vorschrift des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 11. September 2014 - C-373/13 - Rn. 114 letzter Absatz).

57

4. Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen gewichtige Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1, § 55 AufenthG gegenüber. Diese hat das Berufungsgericht zutreffend bestimmt (UA S. 59 f.). Es hat berücksichtigt, dass der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besessen hat, die durch die Ausweisungsverfügung betroffen ist, er mit deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und er sein Personensorgerecht für minderjährige ledige Deutsche ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG).

58

5. Das Berufungsgericht hat das öffentliche Ausweisungsinteresse gegen die Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG unter Berücksichtigung der den Einzelfall prägenden Umstände abgewogen und ist unter Beachtung des hierfür zentralen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass das Ausweisungsinteresse überwiegt (UA S. 60 - 64). Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Gericht hat berücksichtigt, dass der Kläger besonderen Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie genießt, hier allerdings auf absehbare Zeit keine Aufenthaltsbeendigung beabsichtigt ist, da ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht. Es hat seinen langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und seine familiären Bindungen im Sinne von Art. 6 GG, Art. 8 EMRK gewürdigt, diesen durch die Verfügung allerdings insoweit nicht als beeinträchtigt angesehen, als keine Aufenthaltsbeendigung erfolgt. Es hat bei seiner Abwägung berücksichtigt, dass der Kläger in seinen geschützten Bindungen dadurch betroffen ist, dass sein Aufenthalt auf das Gebiet der Stadt M. beschränkt und er Meldeauflagen unterworfen ist. Weitere schützenswerte Bindungen hat das Gericht nicht anerkannt und dies nachvollziehbar damit begründet, dass der Kläger ungeachtet seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland kaum deutsch spricht, nur sporadisch und für kürzere Zeiträume erwerbstätig war und seit längerem von Sozialleistungen abhängig ist. Schließlich hat das Berufungsgericht in die Abwägung eingestellt, dass es der Kläger in der Hand hat, durch eine glaubhafte Abkehr von seinem bisherigen Verhalten eine Aufhebung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu erreichen.

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6. Ohne Rechtsverstoß wertet das Berufungsurteil die in Ziffer 2 der angefochtenen Verfügung angeordnete Aufenthaltsbeschränkung und die verfügten Meldeauflagen als rechtmäßig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliegt ein Ausländer, gegen den - wie hier - eine Ausweisungsverfügung aufgrund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG besteht, der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Gestützt auf diese Ermächtigung hat der Beklagte bestimmt, dass sich der Kläger zweimal wöchentlich zu melden hat. Ferner hat er den Aufenthalt des Klägers auf den Bereich der Stadt M. beschränkt, wie das § 56 Abs. 2 AufenthG vorsieht, wenn die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft. Diese aufenthaltsbeschränkenden Maßnahmen durften gegenüber dem Kläger trotz dessen Rechtsstellung als Flüchtling ergehen. Dadurch wird sein Recht auf Freizügigkeit gemäß Art. 33 EU-Anerkennungsrichtlinie nicht verletzt. Denn derartige Maßnahmen dürfen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, wie sie hier wegen des Erfordernisses der Abwehr von terrorismusfördernden Aktivitäten vorliegen, auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern verfügt werden (§ 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG).

60

7. Zutreffend ist das Berufungsgericht auch zu dem Ergebnis gekommen, dass die für die Ausweisung des Klägers anwendbaren Regelungen des Ausweisungsrechts nicht gegen assoziationsrechtliche Verschlechterungsverbote aus Art. 13 ARB 1/80, Art. 7 ARB 2/76 und Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen (BGBl. 1972 II S. 385) verstoßen. Dabei kann offenbleiben, ob hier überhaupt eines der Verschlechterungsverbote Anwendung findet. Denn der zum 1. Januar 2016 eingeführte Übergang von einer Ermessensentscheidung zu einer gebundenen Entscheidung stellt keine Verschlechterung der Rechtsstellung des betroffenen Ausländers dar (a). Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung bewirkte zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für betroffene Ausländer, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt (b).

61

a) Die zum 1. Januar 2016 eingeführte Neuregelung des Ausweisungsrechts, die die bisherige Ermessensausweisung durch eine am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte gebundene Ausweisung abgelöst hat, hat die Rechtsstellung der Ausländer in der hier gebotenen und auch unionsrechtlich statthaften Gesamtschau nicht verschlechtert, sondern jedenfalls teilweise verbessert. Denn bisher sah das Gesetz Tatbestände einer zwingenden Ausweisung (Ist-Ausweisung), regelmäßig erfolgenden Ausweisung (Soll-Ausweisung) und Ausweisung nach Ermessen (Kann-Ausweisung) vor. Die zwingende Ausweisung und die regelmäßig erfolgende Ausweisung widersprachen für den Personenkreis der unionsrechtlich privilegierten Ausländer der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach eine Ausweisung ausschließlich auf ein persönliches Verhalten des Ausländers gestützt werden darf, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 [ECLI:EU:C:2004:262], Orfanopoulos und Oliveri - Slg. 2004, I-5257 Rn. 66 f.). Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass eine Regelung gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, wonach eine Ausweisung automatisch aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung verfügt wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird (a.a.O. Rn. 70). Aber auch die nationale Bestimmung über die Regelausweisung hat für den Gerichtshof den Anschein erweckt, dass trotz der Berücksichtigung individueller Umstände ein gewisser Automatismus oder jedenfalls eine Vermutung besteht, dass der betreffende Staatsangehörige auszuweisen ist (a.a.O. Rn. 92).

62

Daraus hat das Bundesverwaltungsgericht die Schlussfolgerung gezogen, dass die gesetzliche Regelung zur zwingenden Ausweisung und Regelausweisung auf unionsrechtlich privilegierte Ausländer nicht mehr angewendet werden darf (BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <302> betreffend Unionsbürger und - 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <321> betreffend Assoziationsberechtigte nach ARB 1/80). Der Gesetzgeber hat daraus durch das zum 1. Januar 2016 in Kraft getretene neue Ausweisungsrecht die Konsequenzen gezogen. Insofern stellt die neue Rechtslage eine Verbesserung gegenüber der bisherigen dar. Eine Ausweisung nach neuem Recht hat eine einzelfallbezogene umfassende Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen und orientiert sich dabei strikt am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 53 Abs. 1 und 2 AufenthG). Damit setzt der Gesetzgeber Vorgaben um, die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 - Rn. 99) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR , Urteil vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 57 - 60) ergeben.

63

Es stellt keine Verschlechterung der Rechtslage für unionsrechtlich privilegierte Ausländer dar, dass ihre Ausweisung nach früherer Rechtslage im Wege einer Ermessensentscheidung erfolgte, nach neuem Recht hingegen im Wege einer rechtlich gebundenen Ausweisung, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Damit entfällt zwar die Möglichkeit, aus Gründen der Zweckmäßigkeit von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen. Auf ein solches Absehen von einer rechts- und ermessensfehlerfrei möglichen Ausweisung hatte der Ausländer aber zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch, auch die gerichtliche Kontrolle war insoweit durch § 114 VwGO eingeschränkt; durch die gesetzliche Neuregelung wird also keine individuelle Rechtsposition beeinträchtigt. Im Übrigen ist für die Beachtung des Verschlechterungsverbots auf die tatsächliche Praxis und nicht allein auf die abstrakte Rechtslage abzustellen. Die Rechtspraxis wurde maßgeblich durch die Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz des Bundesministeriums des Innern vom 26. Oktober 2009 gesteuert. Danach lag die Ausweisungsentscheidung im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde, bei der Ermessensausübung waren das schutzwürdige Interesse des Ausländers am weiteren Verbleib in Deutschland und das öffentliche Interesse an der Ausweisung gegeneinander abzuwägen (Ziffer 55.1.3). Das weist auf eine Rechtspraxis hin, die der heute normierten gebundenen Ausweisung entspricht, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Insofern hat sich die Rechtsstellung des Ausländers nicht verschlechtert.

64

b) Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung hat zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für die betroffenen Ausländer bewirkt, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Die seinerzeitige Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung (§ 54 Nr. 5 AufenthG a.F.) führte zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gegenüber der früheren Rechtslage, die allein den Tatbestand der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland kannte. Durch die Rechtsänderung wurde nun auch die Vorfeldunterstützung des Terrorismus erfasst. Diese ist jedoch mit Blick auf das Verschlechterungsverbot aus Art. 13 ARB 1/80 aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 14 ARB 1/80, jedenfalls aber durch ein zwingendes Allgemeininteresse, namentlich die völkerrechtlich gebotene Terrorismusbekämpfung auch bereits im Vorfeld unmittelbarer terroristischer Handlungen, gerechtfertigt.

65

8. Nach der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG ist über die Länge der Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach Ermessen zu entscheiden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Diese gesetzgeberische Entscheidung ist mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom gleichen Tage - 1 C 27.16 - Rn. 20 ff.). Das Urteil des Senats zur Vorläuferfassung des § 11 AufenthG a.F., wonach eine gebundene Entscheidung zu treffen war (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.), erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihm ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen. Eine solche Ermessensentscheidung hat der Beklagte hier noch nicht getroffen. Vielmehr hat bisher das Verwaltungsgericht das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach der seinerzeit geltenden Rechtslage im Wege einer gebundenen Entscheidung auf acht Jahre festgesetzt.

66

Der Beklagte hat die nach neuem Recht nunmehr gebotene Ermessensentscheidung nachzuholen. Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange.

67

B. Der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellte (weitere) Hilfsantrag, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass dem Kläger auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie, ist unzulässig. Er stellt eine unzulässige Klageerweiterung im Revisionsverfahren dar (§ 142 Abs. 1 VwGO). Im Übrigen bedarf es einer solchen behördlichen Feststellung auch nicht. Aus dem für alle nationalen Behörden verbindlichen EuGH-Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) ergibt sich bis zu einer dem Gesetzgeber vorbehaltenen Anpassung der einschlägigen Fachgesetze hinreichend deutlich, dass dem Kläger - solange er die Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der EU-Anerkennungsrichtlinie genießt - auch die mit dieser Rechtsstellung einhergehenden Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie zustehen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift (vgl. dazu auch die vorstehenden Ausführungen in Rn. 55 f. dieses Urteils).

68

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat gewichtet den gegen die Ausweisung, die Meldeauflage, die Aufenthaltsbeschränkung und die Abschiebungsandrohung gerichteten Anfechtungsantrag mit 4/5 und den auf Befristung zielenden Verpflichtungsantrag mit 1/5 (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 46).

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus Deutschland. Hilfsweise erstrebt er eine neue Entscheidung des Beklagten über die Befristung des mit der Ausweisung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots.

2

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volkszugehörigkeit. Er wurde 1973 in der Türkei geboren, ist verheiratet und hat sieben Kinder. Er reiste 1997 nach Deutschland ein und beantragte hier Asyl, da er in der Türkei wegen seines Engagements in prokurdischen Vereinen und Parteien sowie verwandtschaftlichen Beziehungen zu Guerillakämpfern der sog. Arbeiterpartei Kurdistans - PKK - an Leib und Leben bedroht sei. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) vom 9. Oktober 1997 wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach dem damaligen § 51 Abs. 1 AuslG 1990 zuerkannt und zu seinen Gunsten ein Abschiebungsverbot wegen drohender Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK (damals § 53 Abs. 4 AuslG 1990) festgestellt. Der Kläger ist lediglich sporadisch und für kurze Zeiträume einer Erwerbstätigkeit nachgegangen, gleiches gilt für seine Ehefrau. Er bezieht mit seiner Familie Leistungen nach dem SGB II.

3

Vom 1. April 1998 bis zum 1. Dezember 2009 war der Kläger im Besitz jeweils befristeter Aufenthaltstitel. Am 13. März 2009 teilte das Bundesamt der Ausländerbehörde mit, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 73 Abs. 1 oder 2 AsylVfG nicht vorlägen. Im März 2009 stellte der Kläger bei der Ausländerbehörde der Stadt M. einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Auf Anfrage teilte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg der Ausländerbehörde im Mai 2009 mit, dass hinsichtlich der Person des Klägers "Erkenntnisse" vorlägen, über die das Innenministerium Baden-Württemberg gesondert informiert worden sei. Dessen ungeachtet wurde dem Kläger am 4. Dezember 2009 ohne weitere Mitteilung zum Stand der Sicherheitsüberprüfung eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG erteilt.

4

Das Regierungspräsidium K. teilte dem Kläger mit Schreiben vom 23. Juli 2010 mit, dass die Niederlassungserlaubnis in Unkenntnis der Sicherheitsbedenken erteilt worden sei und derzeit deren Rücknahme und eine Ausweisung geprüft werde. Hierzu werde dem Kläger die Möglichkeit eines Sicherheitsgesprächs zur weiteren Aufklärung gegeben. Dieses fand im Februar 2011 statt; allerdings verweigerte der Kläger mit Ausnahme eines durch ihn ausgefüllten Fragebogens die weitere Mitwirkung.

5

Mit Verfügung vom 10. Januar 2012 wies das Regierungspräsidium K. den Kläger aus (Ziffer 1) und stützte sich dabei auf § 54 Nr. 5, § 56 Abs. 1, § 55 AufenthG a.F. Zudem wurde der Kläger verpflichtet, sich zweimal wöchentlich unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapiers bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, und sein Aufenthalt wurde auf den Bereich der Stadt M. begrenzt (Ziffer 2).

6

Die Ausweisung sei gerechtfertigt, weil Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Kläger Vereinigungen unterstütze, die ihrerseits den Terrorismus unterstützten. So habe der Kläger nach den vorliegenden Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in den Jahren 2001 bis 2010 regelmäßig an näher bezeichneten Veranstaltungen und Demonstrationen der PKK-Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL teilgenommen und sei teilweise auch selbst als Redner bei derartigen Veranstaltungen aufgetreten. Von 2001 bis 2003/2004 sei er Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Kurdischer Kulturverein e.V." in L. gewesen. Außerdem sei er seit langem Vorstandsmitglied und nunmehr sogar zweiter Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM). Die Ausweisung sei trotz des dem Kläger als anerkanntem Flüchtling zustehenden besonderen Ausweisungsschutzes aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt und auch mit Blick auf die Bleibeinteressen des Klägers verhältnismäßig. Sie führe zudem nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung, vielmehr bleibe seine Abschiebung ausgesetzt, da ihr Abschiebungsverbote aufgrund der Rechtsstellung des Klägers als Flüchtling sowie nach § 60 Abs. 5 AufenthG entgegenstünden. Die angeordnete zweimalige wöchentliche Meldepflicht und die räumliche Beschränkung auf den Stadtbezirk M. beruhten auf § 54a AufenthG (a.F.) und seien mit Blick auf die gebotene Überwachung des Klägers und zur Eindämmung seiner gefahrbegründenden Aktivitäten erforderlich und angemessen.

7

Das Verwaltungsgericht hat die gegen die Verfügung gerichtete Klage mit Urteil vom 27. Januar 2015 abgewiesen, zugleich aber den Beklagten verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf acht Jahre nach Ausreise des Klägers zu befristen. Mit Urteil vom 13. Januar 2016 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung zurückgewiesen. Dabei hat er die angefochtene Ausweisungsverfügung an der seit dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung des AufenthG gemessen. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof insbesondere ausgeführt: Im Fall des Klägers liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, weil der Kläger in überwiegend herausgehobener Funktion die PKK und damit eine terroristische oder den Terrorismus unterstützende Vereinigung unterstützt habe. Dabei seien allerdings nur Aktivitäten nach Juli 2010 heranzuziehen, also nach der an den Kläger gerichteten Mitteilung, wegen seiner Aktivitäten werde die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft. Als tatbestandserhebliches Unterstützen sei hiernach jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirke. Nach diesem Maßstab seien die im Urteil im Einzelnen näher bezeichneten und durch den Kläger in der Sache eingeräumten Betätigungen als Teilnehmer, Mitglied, Redner und Versammlungsleiter bei diversen die PKK unterstützenden Veranstaltungen sowie als Vorstandsmitglied der die PKK unterstützenden YEK-KOM und deren Nachfolgeorganisation NAV-DEM als Unterstützungshandlung zu werten. Angesichts des Ablaufs der Veranstaltungen, der dort gehaltenen Reden und der klaren Ausrichtung auf den Führerkult um den PKK-Führer Öcalan sowie gefallene Märtyrer bestünden für das Berufungsgericht keine Zweifel daran, dass sich der Kläger den Zielen der PKK verpflichtet fühle und sie mit seinem Tun unterstützen wolle.

8

Die Ausweisungsverfügung werde auch dem erhöhten Ausweisungsschutz gerecht, der dem Kläger als anerkanntem Flüchtling nach § 53 Abs. 3 AufenthG zustehe. Denn es lägen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU vor, wonach ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel widerrufen werden könne.

9

Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse stehe ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber. Denn er habe eine Niederlassungserlaubnis besessen, die gerade durch die Ausweisungsverfügung betroffen sei. Er lebe mit deutschen Familienangehörigen (sechs seiner Kinder) in familiärer Lebensgemeinschaft und übe sein Personensorgerecht für seine minderjährigen Kinder aus. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung überwiege jedoch das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers.

10

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Revision und rügt in mehrfacher Hinsicht eine Verletzung von Bundesrecht. Zunächst habe das Berufungsgericht den Begriff des "Unterstützens" in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG fehlerhaft ausgelegt und angewandt. Der von ihm in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht angewandte Unterstützungsbegriff sei rechtsstaatlich nicht hinreichend konkret. Jedenfalls auf der Grundlage des neuen, seit Jahresanfang 2016 geltenden Ausweisungsrechts, das nach "schwerwiegenden" und "besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen" differenziere, sei dieser Unterstützungsbegriff nicht mehr als Abgrenzungskriterium geeignet. Notwendig sei ein gefahrenabwehrrechtlich ausgerichteter Unterstützungsbegriff, der sich etwa in Anlehnung an strafrechtliche Zurechnungskriterien wie Anstiftung oder Beihilfe oder die im Strafrecht für Organisationsdelikte entwickelten Zurechnungskriterien gewinnen lassen könne.

11

Fehlerhaft sei zudem die Auslegung und Anwendung von § 53 Abs. 3 AufenthG im Hinblick auf die sich aus Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie ergebenden Voraussetzungen. Denn das Berufungsgericht habe weder festgestellt, dass der Kläger unmittelbar der PKK angehöre, noch dass sich die YEK-KOM oder die NAV-DEM selbst terroristischer Methoden bedienten. Weiterhin verkenne das Berufungsgericht die durch den Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) aufgestellten Anforderungen an die festzustellenden Unterstützungshandlungen. Danach sei insbesondere zu prüfen, ob der Betroffene selbst terroristische Handlungen begangen habe, ob und in welchem Maße er an der Planung, an Entscheidungen oder an der Anleitung anderer Personen zum Zwecke der Begehung solcher Handlungen beteiligt war und ob und in welchem Umfang er solche Handlungen finanziert oder anderen Personen die Mittel für ihre Begehung verschafft habe. Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts habe der EuGH damit nicht lediglich beispielhaft die in den maßgeblichen Vorlagefragen des Ausgangsverfahrens vorgehaltenen Handlungen herausgegriffen, sondern in einem abschließenden Sinne bestimmte Kriterien vorgegeben.

12

Weiter setze der Gefahrenbegriff des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine "konkrete Gefahr" voraus. Weder der Wortlaut noch die der Vorschrift zugrunde liegende Entstehungsgeschichte rechtfertigten eine Absenkung dieser Gefahrenschwelle. Das Berufungsgericht hätte daher prüfen müssen, ob der Kläger die für die objektive Unterstützung zu Grunde gelegten Tatsachen und Umstände gekannt und eine zweckgerichtete Unterstützung auch gewollt habe.

13

Schließlich habe das Berufungsgericht verkannt, dass dem Kläger nach dem Urteil des EuGH vom 24. Juni 2015 selbst dann, wenn ihm der Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie entzogen werden dürfe, für die Zeit der Fortdauer seines Flüchtlingsstatus die Rechte nach Kapitel VII dieser Richtlinie erhalten bleiben. Deshalb beantragte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hilfsweise, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass ihm auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie.

14

Der Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und tritt der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bei.

15

Während des Revisionsverfahrens hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 20. Oktober 2016 die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes für den Kläger widerrufen und entschieden, ihm weder die Flüchtlingseigenschaft noch den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Gegen den Bescheid hat der Kläger Klage erhoben.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist im Wesentlichen unbegründet. Das Berufungsgericht hat die Ausweisung des Klägers und die ihm auferlegte Meldepflicht und Aufenthaltsbeschränkung im Ergebnis zu Recht als rechtmäßig eingestuft. Allerdings war auf der Grundlage der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG der Beklagte zu einer nunmehr gebotenen Ermessensentscheidung über die festzusetzende Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG zu verpflichten.

17

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren des Klägers auf Aufhebung der Ausweisung (Ziffer 1 des Bescheids) sowie der Meldeauflagen und Aufenthaltsbeschränkung (Ziffer 2 des Bescheids). Aber auch der Streit über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs - im Berufungsverfahren und anschließend im Revisionsverfahren angefallen. Denn das Befristungsbegehren ist als Minus notwendiger Bestandteil des Begehrens auf Aufhebung einer Ausweisung und kann daher von den Parteien nicht gesondert aus dem Verfahren ausgegliedert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 28 ff.). Hiervon sind im Übrigen vorliegend auch die Parteien übereinstimmend ausgegangen.

18

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der Meldepflicht und der Aufenthaltsbeschränkung sowie der vom Kläger hilfsweise begehrten Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 8 m.w.N.). Der Entscheidung sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162) zugrunde zu legen, zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155).

19

A. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG, weil der Kläger anerkannter Flüchtling ist.

20

1. Nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht ergibt sich der Grundtatbestand der Ausweisung aus § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

21

Das neue Ausweisungsrecht gibt das mit dem Ausländergesetz 1990 eingeführte dreistufige Konzept der Ist-, Regel- und Kann-Ausweisung auf. Stattdessen hat sich der Gesetzgeber für ein einheitliches System der rechtlich gebundenen Ausweisung entschieden ("wird ausgewiesen"), das vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. § 54 AufenthG benennt konkret die Gründe, wann das Ausweisungsinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt und knüpft damit an Tatbestände der früheren Ist- und Regelausweisung an. In § 55 AufenthG werden - spiegelbildlich hierzu - Tatbestände normiert, denen zufolge das Bleibeinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt, wobei auch die Aufzählung der "schwer" wiegenden Bleibeinteressen nicht abschließend ist. In § 53 Abs. 2 AufenthG werden Gesichtspunkte genannt, die bei der Abwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sind, insbesondere die Dauer des Aufenthalts, Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, Folgen der Ausweisung für Angehörige und Partner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat.

22

Die Rechtsprechung des Senats, die ihrerseits Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aufgreift (vgl. Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <301 ff.> und vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 14 ff.), hat bei der Entwicklung des neuen Ausweisungsrechts eine entscheidende Rolle gespielt (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 25. Februar 2015, BT-Drs. 18/4097 S. 49). Dabei griff der Gesetzgeber Vorschläge zur Neuregelung des Ausweisungsrechts auf, die Vertreter der Rechtsprechung unterbreitet haben (vgl. Dörig, NVwZ 2010, 921 <922>; Bergmann, ZAR 2013, 318 <322> sowie Gesetzesvorschlag Bergmann/Dörig vom Januar 2014, veröffentlicht in: Barwig u.a., Steht das europäische Migrationsrecht unter Druck?, 2014, S. 111 f.). Die Ausweisung setzt nunmehr nach § 53 Abs. 1 AufenthG eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Sofern nach dieser Gesamtabwägung das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib in Deutschland überwiegt, wird der Ausländer ausgewiesen, andernfalls kommt eine Aufenthaltsbeendigung nach § 53 Abs. 1 AufenthG nicht in Betracht.

23

Die Tatbestandsmerkmale der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" im ausweisungsrechtlichen Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG sind nach der Begründung des Gesetzgebers im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Auch die Gefährdung dieser Schutzgüter bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten wird. Mit Blick auf die verwendeten Begriffe sollte keine Ausweitung des Gefahrenbegriffs gegenüber dem bislang geltenden Recht erfolgen, vielmehr sollten lediglich die bislang verwandten unterschiedlichen Formulierungen aneinander angeglichen werden. Die von § 53 Abs. 1 AufenthG geforderte Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers in Deutschland erfolgt dabei nach der Intention des Gesetzgebers nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar.

24

Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" (Absatz 1) oder als "schwerwiegend" (Absatz 2). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sind neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Interessen aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Die Katalogisierung schließt demnach die Berücksichtigung weiterer Umstände im Rahmen der nach § 53 Abs. 2 AufenthG zu treffenden Abwägungsentscheidung nicht aus. Dies folgt bereits aus dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG, ist aber für die schwerwiegenden, aufgrund der Vielgestaltigkeit der Lebenssituationen bewusst nicht abschließend aufgezählten Bleibeinteressen in § 55 Abs. 2 AufenthG nochmals ausdrücklich normiert. Die nunmehr als schwerwiegend oder besonders schwerwiegend qualifizierten Ausweisungsinteressen im Sinne von § 54 AufenthG decken sich weitgehend - aber nicht vollständig - mit den früheren Gründen für eine Regel- und Ist-Ausweisung, die schwerwiegenden und besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen greifen Fälle des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 AufenthG a.F. auf.

25

Bei der Abwägung sind schließlich gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht ("Boultif/Üner-Kriterien"). Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen.

26

Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht.

27

2. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG festgestellt. Ein solches liegt dann vor, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wobei hiervon u.a. dann auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Ausländer einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er (jedenfalls) eine solche Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, er nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.

28

a) Der Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist dem Wortlaut nach weitgehend an den früheren Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung angelehnt, auf den die Ausweisungsverfügung auch ursprünglich gestützt war. Das Berufungsgericht hat für die Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu Recht dieselben rechtlichen Maßstäbe herangezogen, die der Senat zur Auslegung des früheren Regelausweisungstatbestandes nach § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung entwickelt hat.

29

In der Rechtsprechung des Senats war die Auslegung des Regelausweisungstatbestands des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung weitgehend geklärt. So ist anerkannt, dass eine Vereinigung den Terrorismus unterstützt, wenn sie sich selbst terroristisch betätigt oder wenn sie die Begehung terroristischer Taten durch Dritte veranlasst, fördert oder befürwortet. Die Schwelle der Strafbarkeit muss dabei nicht überschritten sein, da die Vorschrift der präventiven Gefahrenabwehr dient und auch die Vorfeldunterstützung durch sogenannte Sympathiewerbung erfasst. Der Tatbestand des Unterstützens des Terrorismus durch eine Vereinigung setzt allerdings voraus, dass die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung (auch) auf die Unterstützung des Terrorismus gerichtet sind; ein bloßes Ausnutzen der Strukturen einer Vereinigung durch Dritte in Einzelfällen reicht hierfür nicht aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 20 ff. und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 13 ff.).

30

Für den im Gesetz verwandten Begriff des Terrorismus sind Versuche, auf völkerrechtlicher Ebene eine allgemein anerkannte vertragliche Definition zu entwickeln, nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen. Jedoch können wesentliche Kriterien aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft im Beschluss des Rates Nr. 2002/475/JI vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (ABl. L 164 S. 3) sowie dem gemeinsamen Standpunkt des Rates 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001 (ABl. L 344 S. 93) gewonnen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die Aufnahme einer Organisation in die vom Rat der Europäischen Union angenommene Liste terroristischer Organisationen im Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93 - vgl. auch ABl. L 116 vom 3. Mai 2002, S. 75) ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass die Organisation terroristischer Art ist oder im Verdacht steht, eine solche zu sein (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 [ECLI:EU:C:2015:413], H.T./Land Baden-Württemberg - Rn. 83). Hier sind von den Tatsachengerichten ergänzende Feststellungen zu treffen. Dabei ist trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs anerkannt, dass als terroristisch jedenfalls der Einsatz gemeingefährlicher Waffen und Angriffe auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen sind (Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>, vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 19 und Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 10 C 48.07 - BVerwGE 132, 79 <87> m.w.N.).

31

Weiterhin ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass die individuelle Unterstützung einer terroristischen Vereinigung oder einer Vereinigung, die eine terroristische Vereinigung unterstützt, im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. alle Verhaltensweisen erfasst, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeit der Vereinigung auswirken. Darunter kann die Mitgliedschaft in der terroristischen oder in der unterstützenden Vereinigung ebenso zu verstehen sein wie eine Tätigkeit für eine solche Vereinigung ohne gleichzeitige Mitgliedschaft. Auch die bloße Teilnahme an Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen kann eine Unterstützung in diesem Sinne darstellen, wenn sie geeignet ist, eine positive Außenwirkung im Hinblick auf die durch § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. missbilligten Ziele zu entfalten. Auf einen nachweisbaren oder messbaren Nutzen für diese Ziele kommt es nicht an, ebenso wenig auf die subjektive Vorwerfbarkeit der Unterstützungshandlungen. Im Hinblick auf den Schutz der Meinungsfreiheit und das Gebot der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Betätigungsfreiheit des Einzelnen erfüllen allerdings solche Handlungen den Tatbestand der individuellen Unterstützung nicht, die erkennbar nur auf einzelne, mit terroristischen Zielen und Mitteln nicht im Zusammenhang stehende - etwa humanitäre oder politische - Ziele der Vereinigung gerichtet sind. Für den Ausländer muss schließlich die eine Unterstützung der Vereinigung, ihrer Bestrebungen oder ihrer Tätigkeit bezweckende Zielrichtung seines Handelns erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auf eine darüber hinaus gehende innere Einstellung des Ausländers kommt es hingegen nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 15 und 18 m.w.N.).

32

Diese vom Senat zur Auslegung von § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. entwickelten Grundsätze lassen sich entgegen dem Vorbringen der Revision auch auf den Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung nach dem neu gefassten § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG übertragen. Ein Vergleich der Textfassungen ergibt, dass der Gesetzgeber die früheren Regelausweisungstatbestände nach § 54 Nr. 5, 5a und 5b AufenthG a.F. in der neuen Vorschrift des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zusammengefasst hat, wobei unter den vorliegenden Umständen die Fälle staatsgefährdender Gewalttaten nach § 89a StGB außer Betracht bleiben können. Gegenüber dem früheren Recht ist der Hinweis entfallen, dass eine Ausweisung auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen nur gestützt werden kann, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Eine Änderung der materiellen Rechtslage ist damit aber nicht verbunden, da auch nach neuem Recht eine fortbestehende Gefahr erforderlich ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ("gefährdet") und ist implizit auch dem neuen Zusatz in § 54 Abs. 1 Nr. 2 letzter Halbsatz AufenthG zu entnehmen, wonach von einer Gefährdung nicht auszugehen ist, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt.

33

Den Gesetzgebungsmaterialien ist nichts dafür zu entnehmen, dass sich der Gesetzgeber hinsichtlich des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung für eine Abkehr von dem bisherigen Verständnis des Ausweisungstatbestandes hat entscheiden wollen. Zwar hat er in Satz 2 einen Halbsatz neu eingefügt, wonach ein Unterstützen nicht vorliegt, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt. Das stellt jedoch keine inhaltliche Änderung des Unterstützerbegriffs dar, sondern normiert lediglich ein in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits entwickeltes Kriterium zur individuellen Zurechnung eines Unterstützerverhaltens. Denn der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die objektive Tatsache der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in der Vergangenheit dem Ausländer dann nicht mehr zugerechnet werden kann, wenn er sich glaubhaft hiervon distanziert (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <131>, vom 30. April 2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 35 und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 17). Die nunmehr normierten Tatbestandsmerkmale lassen keine Abkehr von der Senatsrechtsprechung erkennen, denn ein "erkennbares Abstandnehmen" vom sicherheitsgefährdenden Handeln entspricht dem Distanzieren im Sinne der Senatsrechtsprechung. Allerdings findet sich in der Begründung zu dieser Neuregelung die Aussage, die Möglichkeit der "Exkulpation" zeige, dass der Betroffene Kenntnis davon gehabt haben müsse, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstütze, der "undolose Unterstützer" daher nicht unter die Regelung falle (BT-Drs. 18/4097 S. 51). Aus diesem Satz in der Gesetzesbegründung könnte man ableiten, der Gesetzgeber habe eine Regelung treffen wollen, nach der für die subjektive Seite des Unterstützens mehr erforderlich ist (Vorsatz) als nach dem bisherigen Verständnis (Erkennbarkeit). Wäre dies tatsächlich so Gesetz geworden, hätte dies eine nicht unerhebliche Einschränkung der Rechtsprechung zur subjektiven Zurechnung bedeutet, nach der es ausreicht, dass der Ausländer erkennen konnte, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstützt. Die Begründung hat jedoch im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden, denn nach diesem wird Vorsatz im Hinblick auf die terroristische Betätigung der unterstützten Vereinigung nicht verlangt. Es reicht somit auch für die Erfüllung des subjektiven Unterstützertatbestands weiterhin die Erkennbarkeit einer terroristischen Betätigung der Vereinigung aus. Vorsatz bleibt hingegen weiter erforderlich für das eigene Handeln des Ausländers, das von dem Ziel geleitet sein muss, die Vereinigung zu unterstützen. Für diese Auslegung spricht auch, dass der Gesetzgeber der Vorfeldunterstützung des Terrorismus durch die Gesetzesänderung erhöhte Bedeutung beimessen wollte, indem er den bisher als Tatbestand für eine Regelausweisung normierten Ausweisungsgrund zu einem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 AufenthG heraufstufte, was im bisherigen Recht dem Tatbestand einer zwingenden Ausweisung entsprochen hätte. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass das stärkere Gewicht, das der Gesetzgeber diesem Ausweisungsinteresse beimessen wollte (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 23), mit einer engeren Interpretation seiner Tatbestandsmerkmale einhergehen sollte.

34

Eine vom früheren Begriffsverständnis abweichende Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass dieser bisher eigenständige Tatbestand nunmehr in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG funktional mit einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verknüpft wird ("hiervon ist auszugehen, wenn"). Vielmehr ergibt eine systematische Auslegung der Vorschrift, dass der Inhalt des Ausweisungstatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung unverändert geblieben ist, während der Begriff der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland eine Erweiterung erfahren hat. Denn der Gesetzgeber hat mit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr kraft Gesetzes definiert, wann von einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen ist, nämlich (jedenfalls) dann, wenn eine der dort genannten Tatbestandsalternativen erfüllt ist. Die Auslegung des Begriffs der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland richtet sich daher (auch) nach diesen Tatbestandsalternativen, nicht umgekehrt. Anderes lässt sich hinsichtlich des Gefahrenmaßstabs auch nicht der Regelung des § 53 Abs. 1 AufenthG entnehmen. Denn anders als bei den übrigen Ausweisungsinteressen hat der Gesetzgeber in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG das Erfordernis einer Gefahr (nochmals) ausdrücklich aufgeführt, was unter systematischen Gesichtspunkten für eine gewisse Eigenständigkeit des Gefahrentatbestandes gegenüber § 53 Abs. 1 AufenthG fruchtbar gemacht werden kann. Es gilt damit nunmehr, dass das Gesetz bereits die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Bundesgebiet als eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ansieht, unabhängig davon ob die terroristische Vereinigung Gewaltakte auch auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland oder gegen deutsche Einrichtungen im Ausland begeht. Weiterhin gilt jedenfalls für die Fälle des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ein abgesenkter Gefahrenmaßstab, der auch Vorfeldmaßnahmen erfasst und keine von der Person des Unterstützers ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefahr erfordert. Die Rechtsprechung des Senats zur Unterstützung des Terrorismus durch Handlungen in dessen Vorfeld hat dem Rechnung zu tragen und dabei auch die Bedeutung zu berücksichtigen, die der Unionsgesetzgeber dieser Vorfeldunterstützung durch den Erwägungsgrund 37 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 S. 9) - EU-Anerkennungsrichtlinie - beimisst.

35

Ein Anlass für eine verfassungsrechtliche Neubewertung des Gefahrenmaßstabs besteht entgegen dem umfangreichen Revisionsvorbringen nicht. In der Rechtsprechung des Senats ist seit dem Urteil zum Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus - Terrorismusbekämpfungsgesetz - vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361, 3142) anerkannt, dass der Unterstützungsbegriff weit auszulegen und anzuwenden ist, um damit der auch völkerrechtlich begründeten Zielsetzung des Gesetzes gerecht zu werden, dem Terrorismus schon im Vorfeld die logistische Basis zu entziehen (BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <127 ff.>). Maßgeblich ist, inwieweit das festgestellte Verhalten des Einzelnen zu den latenten Gefahren der Vorfeldunterstützung des Terrorismus nicht nur ganz unwesentlich oder geringfügig beiträgt und deshalb selbst potenziell gefährlich erscheint. Wegen der tatbestandlichen Weite des Unterstützungsbegriffs ist allerdings bei der Anwendung der Vorschrift darauf zu achten, dass nicht unverhältnismäßig namentlich in das auch Ausländern zustehende Recht auf freie Meinungsäußerung jenseits der zumindest mittelbaren Billigung terroristischer Bestrebungen eingegriffen wird. Einen bislang nicht berücksichtigten verfassungsrechtlichen Rechtssatz, der den so umschriebenen Ausgleich zwischen dem legitimen und schon wegen seiner völkerrechtlichen Vorgaben besonders gewichtigen gesetzgeberischen Ziel der Terrorismusbekämpfung und den geschützten Grundrechtspositionen eines Ausländers infrage stellen würde, zeigt die Revision nicht auf. Insbesondere sprechen der Charakter der Ausweisung als Maßnahme der Gefahrenabwehr sowie die spezifische Zielsetzung der Terrorismusbekämpfung gegen eine Übertragung strafrechtlicher Rechtsprechungsgrundsätze, wie sie etwa für die Abgrenzung strafbarer und straffreier Meinungsäußerungen gelten. Der Senat hält auch unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an seiner bisherigen Rechtsprechung fest.

36

b) Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG angenommen. Dies gilt sowohl für die Qualifizierung der PKK als terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung (aa) als auch - jedenfalls im Ergebnis - für die Qualifizierung der Handlungen des Klägers als relevante Unterstützungshandlungen (bb). Ebenso wenig zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen hat (cc).

37

(aa) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Qualifizierung der PKK als eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Das Gericht legt seiner Entscheidung die in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze für die Definition einer terroristischen Vereinigung zugrunde (UA Bl. 27 f.) und geht damit von einem zutreffenden Maßstab aus. Für die Bewertung der PKK als eine solche Vereinigung hat das Gericht zunächst darauf abgestellt, dass sie auch noch aktuell auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist, ohne diesem Umstand eine über einen deutlichen Anhaltspunkt hinausgehende Bedeutung beizumessen (UA Bl. 31). Hieran anknüpfend hat das Berufungsgericht sodann auf der Grundlage der ihm vorliegenden Erkenntnismittel festgestellt, dass die PKK zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele in der Türkei weiterhin Gewalttaten gegen staatliche Einrichtungen und Amtsträger sowie die Zivilbevölkerung verübt und im Übrigen etwa zur Finanzierung ihrer Aktivitäten oder zur Bekämpfung von Kritikern auch nicht vor Verbrechen gegenüber ihren eigenen Anhängern und auch darüber hinaus gegenüber der kurdischstämmigen Bevölkerung insgesamt zurückschreckt. Insbesondere sei die zwischen dem türkischen Staat und der PKK ausgehandelte (relative) Waffenruhe seitens der PKK zuletzt Ende Juli 2015 ausdrücklich aufgekündigt worden (UA Bl. 32 f.). Diese tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts sind von der Revision nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen worden und daher für den Senat bindend. Sie erlauben dem Senat zudem eine eigene rechtliche Bewertung des Inhalts, dass die PKK eine terroristische Vereinigung darstellt und nicht lediglich eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung.

38

(bb) Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist auch die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, dass der Kläger die PKK in rechtserheblicher Weise individuell unterstützt hat. Allerdings ist das Gericht unter Verstoß gegen Bundesrecht davon ausgegangen, dass zu Lasten des Klägers nur solche Unterstützungshandlungen berücksichtigt werden dürfen, die in zeitlicher Hinsicht nach der Mitteilung des Regierungspräsidiums vom Juli 2010 lagen, wonach eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft würden.

39

Das Berufungsgericht ist insoweit rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass ein Ausweisungsinteresse bereits dann aus Gründen des Vertrauensschutzes verbraucht ist und nicht mehr zur Begründung einer Ausweisung herangezogen werden kann, wenn ein Aufenthaltstitel in Kenntnis oder dem Staat zuzurechnender Unkenntnis erteilt oder verlängert wurde (UA S. 34 f.). Zwar ist in der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich anerkannt ist, dass Ausweisungsgründe in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und so lange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind und die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <313> und vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <121 f.>). Aus der Ableitung dieser Kriterien aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt jedoch, dass die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Aus der Rechtsprechung des Senats ergibt sich zudem, dass ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers schützenswert sein muss. Hieran fehlt es, wenn die Ausländerbehörde - wie vorliegend - dem Kläger auf dessen Anfrage zum Stand des Verfahrens auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis lediglich mitteilt, dass gegenwärtig noch eine Sicherheitsüberprüfung stattfinde, und dann zu einem späteren Zeitpunkt ohne jegliche Erläuterung zum Ausgang der Sicherheitsüberprüfung die begehrte Niederlassungserlaubnis erteilt. Auf dieser Grundlage kann der Betroffene nämlich weder wissen, welchen konkreten Umständen die Ausländerbehörde im Rahmen ihrer Sicherheitsüberprüfung nachgegangen ist, noch zu welchen konkreten Erkenntnissen sie hierbei nach Abschluss der Überprüfung gelangt ist. Daher kann der Betroffene aus der Erteilung der Niederlassungserlaubnis billigerweise auch nicht schließen, dass die Ausländerbehörde bei ihrer Sicherheitsüberprüfung alle als potentielle Versagungsgründe in Betracht kommenden Umstände tatsächlich ermittelt und sodann als für die Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis unbeachtlich eingestuft hat.

40

Das angefochtene Urteil beruht jedoch nicht auf diesem Rechtsverstoß, weil das Berufungsgericht auch ohne Berücksichtigung der vor dem für maßgeblich erachteten Zeitpunkt liegenden Umstände von rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen des Klägers ausgegangen ist und die diesbezüglichen Feststellungen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sind. Im Übrigen wäre der Kläger durch die Nichtberücksichtigung weiterer, ihn belastender Umstände auch nicht beschwert. Im Einzelnen hat das Berufungsgericht für die Bestimmung der rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen zutreffend auf die in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäbe zu § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung abgestellt (UA Bl. 35 ff.). Keine abweichende Beurteilung ergibt sich aus dem Einwand des Klägers, die PKK nicht unmittelbar unterstützt zu haben, sondern sich in legalen Vereinigungen betätigt zu haben, die ihrerseits die PKK im Wissen um deren Charakter gewollt und gezielt unterstützen. Denn es stellt keine verminderte Gefahr der Vorfeldunterstützung des Terrorismus dar, wenn die Unterstützung terroristischer Vereinigungen nicht durch isolierte Einzelhandlungen, sondern in Vereinigung mit anderen erfolgt. Hierin liegt auch kein Fehlen der Unmittelbarkeit der Unterstützungshandlungen.

41

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht sodann nach Auswertung der ihm vorliegenden umfangreichen Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden festgestellt, dass der Kläger über mehrere Jahre in teils hervorgehobener Funktion als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter oder Redner regelmäßig an Veranstaltungen teilgenommen und mitgewirkt hat, bei denen offene Propaganda für die PKK betrieben worden ist (UA Bl. 39 - 42). Unter Einbeziehung der Aktivitäten des Klägers in der Zeit seit 2001, wie sie in der Ausweisungsverfügung (S. 3 - 9, 16 - 23) aufgelistet, vom Kläger nicht in Abrede gestellt und vom Berufungsgericht in Bezug genommen worden sind (UA S. 39 f.), stellt sich das Unterstützungshandeln des Klägers wie folgt dar: Der Kläger war von 2001 bis 2003/2004 Vorsitzender des "Kurdischen Kulturverein e.V." in L., der der KONGRA-GEL nahestand. Im Oktober 2004 wurde er in das 15-köpfige Führungskomitee der "Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland" (YEK-KOM) gewählt und gehörte diesem bis zur Auflösung der YEK-KOM im Jahr 2014 an, zeitweilig (bis 2011) war er der 2. Vorsitzende der Vereinigung. Er hat sich im Juni 2014 in den fünfköpfigen Vorstand der die PKK unterstützenden NAV-DEM wählen lassen und diese Vorstandstätigkeit bis zum Tage der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausgeübt (UA Bl. 43 - 45).

42

Der Kläger beteiligte sich seit Mitte 2003 regelmäßig an Kundgebungen und Demonstrationen in unterschiedlichen deutschen Städten (u.a. Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg, Frankfurt, Gelsenkirchen, Düsseldorf, Stuttgart) und in Straßburg/Frankreich, die sich unter anderem für eine Freilassung des inhaftierten PKK-Führers Öcalan aussprachen, des Gründungsjahrestags der PKK und/oder der "Märtyrer des kurdischen Freiheitskampfes" gedachten und Parolen auf die PKK ausriefen. Der Kläger hielt auf einigen dieser Veranstaltungen eine Rede, im Februar 2007 hob er dabei die Bedeutung der Gefallenen für die kurdische Sache hervor, im Januar 2009 sprach er zur aktuellen Lage der Kurden in ihrer Heimat, im März 2010 kritisierte er die Exekutivmaßnahmen der belgischen Polizei gegenüber dem kurdischen TV-Sender ROJ-TV, im November 2011 sprach er auf einer Kundgebung, die zum Thema u.a. die Verwendung von Napalmgas und chemischer Waffen gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei hatte, im Januar 2013 verurteilte er auf einer Kundgebung die Ermordung von drei PKK-Aktivisten in Paris, im Oktober 2015 hielt er anlässlich einer Protestaktion der NAV-DEM in Frankfurt eine Rede.

43

Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger nicht nur seine individuellen Unterstützungshandlungen, sondern sämtliche Aktionen der YEK-KOM und der NAV-DEM aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied persönlich zuzurechnen sind. Die YEK-KOM, der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK nach den gerichtlichen Feststellungen durch eine Vielzahl von Aktionen. Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen oder ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie "Freiheit für Öcalan" und "Frieden für Kurdistan". Im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die "logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans" verankert. Der Verein biete der PKK oder ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Für die NAV-DEM gilt nach den getroffenen Feststellungen nichts anderes. Der Verein sei keine Neugründung, sondern eine Umbenennung des Vereins YEK-KOM. Im Übrigen werde deutlich, dass die NAV-DEM ihre Veranstaltungen und Kundgebungen mit gleichem Ablauf und gleichen Themen durchführe wie zuvor schon unter dem Namen YEK-KOM. Diese zutreffende Würdigung bedeutet auch nicht, dass jeder Einsatz für die Interessen und Belange kurdischer Volkszugehöriger (oder eine Kritik an der Kurdenpolitik der Türkischen Republik) als eine Unterstützung der PKK und damit des Terrorismus einzuordnen wäre.

44

(cc) Soweit schließlich nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausscheidet, wenn der Ausländer ernsthaft und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt, hat das Berufungsgericht ebenfalls in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der Kläger ausweislich seines auch während des Ausweisungsverfahrens fortgesetzten Engagements als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter und Redner auch künftig an seiner Unterstützung der PKK festhalten wird. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Unterstützerverhalten des Klägers sind detailreich und stellen - entgegen der Auffassung der Revision - keine zu schmale Tatsachengrundlage für die getroffenen Feststellungen dar. Damit erfüllt der Kläger die gesetzlichen Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, und es liegt ein Ausweisungsinteresse vor, das besonders schwer wiegt.

45

3. Die angefochtene Verfügung des Beklagten erfüllt auch die besonderen Voraussetzungen, die nach § 53 Abs. 3 AufenthG an die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings zu stellen sind. Ein solcher darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

46

a) Diese den Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG ergänzende Vorschrift legt erhöhte Ausweisungsvoraussetzungen für mehrere rechtlich privilegierte Personengruppen fest, nämlich für Ausländer, die als Asylberechtigte anerkannt sind, die im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießen, die einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention besitzen, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder die eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU besitzen. Für all diese Personengruppen gilt der besondere aus Art. 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG abgeleitete Maßstab, den der Gerichtshof der Europäischen Union auch auf Ausländer erstreckt hat, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - C-371/08 [ECLI:EU:C:2011:809], Ziebell - Slg. 2011, I-12735 Rn. 79, 86). Der Senat folgt nicht der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, wonach die Voraussetzungen des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 53 Abs. 3 AufenthG von vornherein "bereichsspezifisch" gemäß dem durch das Unionsrecht für den jeweiligen Personenkreis bestimmten Ausweisungsschutz auszulegen sind. Vielmehr hat der Gesetzgeber den unionsrechtlichen Schutzstandard für daueraufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige für ausreichend befunden und dessen Geltung für alle genannten Personengruppen angeordnet. Dies entbindet freilich nicht davon, in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob für die jeweils betrachtete Personengruppe der so durch den nationalen Gesetzgeber definierte Ausweisungsschutz dem unionsrechtlichen Maßstab tatsächlich genügt. Nur wenn der unionsrechtliche Maßstab strenger ist als derjenige, der durch den Gesetzgeber in § 53 Abs. 3 AufenthG festgelegt worden ist, bedarf § 53 Abs. 3 AufenthG nach allgemeinen Grundsätzen einer unionsrechtskonformen Auslegung, die angesichts der Weite der Tatbestandsmerkmale und des erkennbaren gesetzgeberischen Willens, europarechtlichen Maßstäben zu genügen, auch möglich ist (so auch Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 54).

47

Im vorliegenden Fall ist § 53 Abs. 3 AufenthG unionsrechtskonform nach den Vorgaben der EU-Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU auszulegen. Die Richtlinie formuliert keine Vorgaben für eine Ausweisung im Sinne des deutschen Rechts, wohl aber für eine Zurückweisung in den Herkunftsstaat (Art. 21 Abs. 2 und 3) und für den Entzug des Aufenthaltstitels (Art. 24 Abs. 1).

48

b) Nach Art. 21 Abs. 3 der EU-Anerkennungsrichtlinie darf ein Mitgliedstaat den einem Flüchtling erteilten Aufenthaltstitel widerrufen, wenn die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 2 vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 2012 - 1 C 8.11 - BVerwGE 143, 138 Rn. 21). Fällt ein Flüchtling nicht in den Anwendungsbereich von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie, kann auch Abs. 3 dieser Vorschrift nicht zu Anwendung kommen (EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 - Rn. 44). Eine Zurückweisung ist nach Art. 21 Abs. 2 Buchst. a zulässig, wenn es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass der Flüchtling eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält. Es kann offenbleiben, ob vom Kläger eine Gefahr im Sinne dieser Vorschrift ausgeht, denn die Zurückweisung ist nur unter der weiteren Voraussetzung rechtmäßig, dass sie dem Mitgliedstaat nicht aufgrund seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen untersagt ist (Art. 21 Abs. 2). Dazu zählen die Verpflichtungen aus Art. 3 EMRK (vgl. Begründung der Kommission im Richtlinienvorschlag vom 12. September 2001 KOM (2001) 510 endg. S. 33 zu Art. 19). Dem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK kommt absoluter Charakter zu; es kann mithin - anders als das Refoulement-Verbot nach Art. 33 Abs. 1 GFK - nicht unter den Voraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 Richtlinie 2011/95/EU i.V.m. Art. 35 Abs. 2 GFK durchbrochen werden (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 5. April 2016 - C-404/15 und C-659/15 PPU [ECLI:EU:C:2016:198], Aranyosi und Căldăraru - Rn. 85 - 87; EGMR, Urteil vom 17. Dezember 1996 - Nr. 71/1995/577/663, Ahmed/Österreich - NVwZ 1997, 1100 Rn. 39 - 41). Für den Kläger besteht ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK. Denn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat im Anerkennungsbescheid vom 9. Oktober 1997 nicht nur die Flüchtlingseigenschaft des Klägers nach dem seinerzeit maßgeblichen § 51 Abs. 1 AuslG 1990, sondern auch ein Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990 hinsichtlich der Türkei festgestellt und dieses damit begründet, dass dem Kläger in der Türkei unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Diese Feststellung des Bundesamts begründet hier ein - absolutes - nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Insoweit kommt der Feststellung des Bundesamts im vorliegenden Verfahren über § 42 AsylG auch Bindungswirkung zu. Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU begrenzt damit den behördlichen Handlungsspielraum für eine Abschiebung in einen Verfolgerstaat oder einen Staat, in dem Gefahren nach Art. 3 EMRK drohen. Die Vorschrift setzt jedoch keine Maßstäbe für eine lediglich "inlandsbezogene" Ausweisung, die - wie hier - insbesondere den Verlust des Aufenthaltstitels zur Folge hat.

49

c) Unionsrechtliche Maßstäbe für eine zum Verlust des Aufenthaltstitels eines Flüchtlings führende inlandsbezogene Ausweisung lassen sich aus Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie gewinnen. Die Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten, einem Flüchtling so bald wie möglich nach der Anerkennung einen Aufenthaltstitel auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.

50

(aa) Der Inhalt dieser Norm wurde vom Gerichtshof der Europäischen Union in einem auf ein Vorlageersuchen des Berufungsgerichts ergangenen Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) näher bestimmt. Die Entscheidung bezieht sich zwar auf Art. 24 Abs. 1 der EG-Anerkennungsrichtlinie 2004/83/EG, ihre Aussagen sind aber uneingeschränkt auf die in der Sache unveränderte Vorschrift des Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU übertragbar. Danach kann einem Flüchtling nach Art. 24 Abs. 1 nicht nur die Erteilung eines Aufenthaltstitels versagt werden, sondern der erteilte Aufenthaltstitel auch nachträglich widerrufen werden, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen (a.a.O. Rn. 55). Soweit in der Neufassung der Vorschrift nunmehr von zwingenden Gründen der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung die Rede ist, ist damit keine inhaltliche Änderung verbunden. Diese Wirkung einer Entziehung des Aufenthaltstitels kommt der hier verfügten Ausweisung zu, die wegen des entgegenstehenden Abschiebungsverbots nach Art. 3 EMRK nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung führt. Entgegen einer am Wortlaut orientierten Auslegung von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie hat der darin verwendete Begriff der "zwingenden Gründe" nach dem EuGH-Urteil eine weitere Bedeutung als der Begriff der "stichhaltigen Gründe" in Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie. Das bedeutet, dass bestimmte Umstände, die nicht den Schweregrad aufweisen, um eine Zurückweisung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie verfügen zu können, den Mitgliedstaat gleichwohl dazu berechtigen können, auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie dem betroffenen Flüchtling seinen Aufenthaltstitel zu entziehen (a.a.O. Rn. 75).

51

Bei der Bestimmung des Bedeutungsgehalts der "zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" hat der EuGH zunächst Bezug auf seine Rechtsprechung zu den Begriffen der "öffentlichen Sicherheit" und der "öffentlichen Ordnung" in Art. 27 und 28 der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG genommen (a.a.O. Rn. 77 ff.). Danach umfasst der Begriff "öffentliche Sicherheit" im Sinne von Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats. Die öffentliche Sicherheit kann danach berührt sein, wenn das Funktionieren staatlicher Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste beeinträchtigt wird oder eine Gefahr für das Überleben der Bevölkerung oder einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker besteht oder militärische Interessen beeinträchtigt werden. Dabei deutet der Begriff der "zwingenden Gründe" auf einen besonders hohen Schweregrad der Beeinträchtigung hin (a.a.O. Rn. 78). Den Begriff der "öffentlichen Ordnung" hat der EuGH für die Unionsbürgerrichtlinie dahin ausgelegt, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliegen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (a.a.O. Rn. 79). Zugleich betont er, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, nach ihren nationalen Bedürfnissen, die je nach Mitgliedstaat und Zeitpunkt unterschiedlich sein können, zu bestimmen, was die öffentliche Ordnung und Sicherheit erfordern (a.a.O. Rn. 77).

52

Für den Fall der Unterstützung des Terrorismus hat der EuGH zudem auf den 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83/EG, heute 37. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95/EU hingewiesen, wonach der Begriff der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" auch für die Fälle gilt, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt. Dabei muss das nationale Gericht in einem ersten Schritt prüfen, ob die Handlungen der fraglichen Organisation die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedrohen. Wird eine vom Flüchtling unterstützte Vereinigung in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93) geführt, ist dies ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie entweder eine terroristische Organisation ist oder im Verdacht steht, eine solche Organisation zu sein (a.a.O. Rn. 83). Allein der Umstand, dass ein Flüchtling eine solche Organisation unterstützt hat, darf jedoch nicht automatisch zur Aufhebung seines Aufenthaltstitels führen. Vielmehr ist in einem zweiten Schritt einzelfallbezogen die Rolle zu prüfen, die der Betreffende im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt hat (a.a.O. Rn. 90), und auch der Schweregrad der Gefahr zu beurteilen, die von seinen Handlungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (a.a.O. Rn. 92).

53

(bb) Das Berufungsgericht hat die vom Kläger geleisteten und ihm zuzurechnenden Unterstützungshandlungen an dem vom EuGH präzisierten Maßstab für die Auslegung des Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie gemessen und ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass sich hieraus zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ergeben, die einen Entzug des Aufenthaltstitels gegenüber dem Kläger rechtfertigen. Das Gericht hat bereits im Rahmen seiner Prüfung des besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausführlich begründet, warum die PKK eine terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung darstellt (UA S. 27 - 34). Dabei hat es gewürdigt, dass die PKK auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist und auch weiterhin terroristische Aktivitäten entfaltet. In einem zweiten Schritt hat es näher dargelegt, warum die in Deutschland agierenden Vereinigungen YEK-KOM und NAV-DEM, für die der Kläger seit mehr als zwölf Jahren in hervorgehobenen Funktionen wirkte, und der Kläger auch individuell durch Anmeldung und Leitung von Versammlungen sowie Redebeiträge und weitere Aktivitäten die PKK unterstützt haben und weiter unterstützen (UA S. 55, 34 - 48). Die Bewertung des Berufungsgerichts, dass der Kläger damit die Voraussetzungen für den Entzug seines Aufenthaltstitels nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie erfüllt, steht mit der Rechtsprechung des EuGH in Einklang. Zwar hat er selbst keine terroristischen Handlungen begangen, auch nicht andere Personen hierzu angeleitet oder sich an der Planung oder Finanzierung terroristischer Aktionen beteiligt, wie das der EuGH als mögliches Unterstützerhandeln erwähnt (a.a.O. Rn. 90). Diese Aufzählung des Gerichtshofs ist jedoch nur beispielhaft, macht zugleich aber deutlich, dass der Betreffende eine gewichtige Rolle im Rahmen seiner Unterstützung der terroristischen Organisation gespielt haben muss.

54

Bei der Frage, was als gewichtig anzusehen ist, ist der 37. Erwägungsgrund der Richtlinie zu berücksichtigen, wonach auch die Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, und die Unterstützung einer derartigen Vereinigung als Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung anzusehen sind. Die abschließende Bewertung, ob die Unterstützungshandlung hinreichend gewichtig ist, um "zwingende Gründe" darzustellen, überlässt der Gerichtshof dem verantwortlichen nationalen Gericht und erkennt auch einen Einschätzungsspielraum der Mitgliedstaaten an, nach ihren nationalen Bedürfnissen zu bestimmen, was die nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung erfordern. Diese abschließende Bewertung hat das Berufungsgericht dahin getroffen, dass die Unterstützungshandlungen des Klägers dem von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie geforderten Gewicht entsprechen. Es hat dies auf der Grundlage der Gewichtungsvorgabe des nationalen Gesetzgebers in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nachvollziehbar mit dem mehr als zwölfjährigem Unterstützerhandeln des Klägers in hervorgehobener Position innerhalb zweier Vereinigungen begründet, in dessen Rahmen er an zahlreichen Veranstaltungen mitwirkte, an denen sich Akteure beteiligten, die offen für die PKK warben und deren Kurs vorbehaltlos befürworteten (Auftreten in Guerillauniform, Märtyrergedenken, Grußbotschaften an die Kämpfer an der Front usw.). Für das Gewicht seines Unterstützerhandelns durfte das Gericht auch berücksichtigen, dass der Kläger nach den tatrichterlichen Feststellungen in vollem Bewusstsein um dessen Bedeutung für den ideologischen Zusammenhalt der PKK und in dem Willen gehandelt hat, diese vorbehaltlos auch in Bezug auf deren terroristische Aktivitäten zu unterstützen (UA S. 55).

55

(cc) Der EuGH hat in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13 Rn. 95 ff.) aber hervorgehoben, dass ein Flüchtling, dessen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie aufgehoben wird, seinen Flüchtlingsstatus behält, sofern und solange ihm nicht dieser Status entzogen worden ist. Daher ist er auch nach dem Verlust seines Aufenthaltstitels weiterhin Flüchtling und hat in dieser Eigenschaft weiterhin Anspruch auf die Vergünstigungen, die das Kapitel VII der Richtlinie jedem Flüchtling gewährleistet, so insbesondere auf Schutz vor Zurückweisung, auf Wahrung des Familienverbands, auf Ausstellung von Reisedokumenten, auf Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung, zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie auf Zugang zu Integrationsmaßnahmen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift. Diese Rechte dürfen, auch soweit sie nach nationalem Recht an den Besitz eines Aufenthaltstitels anknüpfen, von den zuständigen Behörden daher nicht mit der Begründung versagt werden, dass der Aufenthalt des Flüchtlings infolge der Ausweisung rechtswidrig geworden ist. Allerdings darf die Ausstellung eines Reiseausweises nach Art. 25 EU-Anerkennungsrichtlinie versagt werden, wenn - etwa zur Begegnung der Gefahr terroristischen Unterstützungshandelns - zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung entgegenstehen. Ebenso dürfen nach Art. 33 der Richtlinie aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen verfügt werden, wenn diese aus Gründen der öffentlichen Sicherheit auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern zulässig sind.

56

Eventuelle Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der dem Flüchtling auch nach Entzug des Aufenthaltstitels weiter zustehenden Rechte nach Kapitel VII der EU-Anerkennungsrichtlinie infolge unzureichender Umsetzung der Richtlinie in den einschlägigen nationalen Fachgesetzen berühren nicht die Rechtmäßigkeit der verfügten Ausweisung. An die Beachtung der einen Flüchtling unmittelbar begünstigenden Vorschriften in Kapitel VII der Richtlinie und die hierzu ergangene Rechtsprechung des EuGH sind seit Ablauf der Umsetzungsfrist alle nationalen Behörden gebunden. Der Flüchtling hat seine Rechte gegenüber den jeweils zuständigen Behörden und erforderlichenfalls Gerichten geltend zu machen. Auch die Generalanwältin hat es insoweit als die Pflicht der nationalen Gerichte angesehen, für die volle Wirksamkeit der Bestimmungen der Richtlinie Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede entgegenstehende Vorschrift des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 11. September 2014 - C-373/13 - Rn. 114 letzter Absatz).

57

4. Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen gewichtige Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1, § 55 AufenthG gegenüber. Diese hat das Berufungsgericht zutreffend bestimmt (UA S. 59 f.). Es hat berücksichtigt, dass der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besessen hat, die durch die Ausweisungsverfügung betroffen ist, er mit deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und er sein Personensorgerecht für minderjährige ledige Deutsche ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG).

58

5. Das Berufungsgericht hat das öffentliche Ausweisungsinteresse gegen die Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG unter Berücksichtigung der den Einzelfall prägenden Umstände abgewogen und ist unter Beachtung des hierfür zentralen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass das Ausweisungsinteresse überwiegt (UA S. 60 - 64). Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Gericht hat berücksichtigt, dass der Kläger besonderen Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie genießt, hier allerdings auf absehbare Zeit keine Aufenthaltsbeendigung beabsichtigt ist, da ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht. Es hat seinen langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und seine familiären Bindungen im Sinne von Art. 6 GG, Art. 8 EMRK gewürdigt, diesen durch die Verfügung allerdings insoweit nicht als beeinträchtigt angesehen, als keine Aufenthaltsbeendigung erfolgt. Es hat bei seiner Abwägung berücksichtigt, dass der Kläger in seinen geschützten Bindungen dadurch betroffen ist, dass sein Aufenthalt auf das Gebiet der Stadt M. beschränkt und er Meldeauflagen unterworfen ist. Weitere schützenswerte Bindungen hat das Gericht nicht anerkannt und dies nachvollziehbar damit begründet, dass der Kläger ungeachtet seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland kaum deutsch spricht, nur sporadisch und für kürzere Zeiträume erwerbstätig war und seit längerem von Sozialleistungen abhängig ist. Schließlich hat das Berufungsgericht in die Abwägung eingestellt, dass es der Kläger in der Hand hat, durch eine glaubhafte Abkehr von seinem bisherigen Verhalten eine Aufhebung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu erreichen.

59

6. Ohne Rechtsverstoß wertet das Berufungsurteil die in Ziffer 2 der angefochtenen Verfügung angeordnete Aufenthaltsbeschränkung und die verfügten Meldeauflagen als rechtmäßig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliegt ein Ausländer, gegen den - wie hier - eine Ausweisungsverfügung aufgrund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG besteht, der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Gestützt auf diese Ermächtigung hat der Beklagte bestimmt, dass sich der Kläger zweimal wöchentlich zu melden hat. Ferner hat er den Aufenthalt des Klägers auf den Bereich der Stadt M. beschränkt, wie das § 56 Abs. 2 AufenthG vorsieht, wenn die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft. Diese aufenthaltsbeschränkenden Maßnahmen durften gegenüber dem Kläger trotz dessen Rechtsstellung als Flüchtling ergehen. Dadurch wird sein Recht auf Freizügigkeit gemäß Art. 33 EU-Anerkennungsrichtlinie nicht verletzt. Denn derartige Maßnahmen dürfen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, wie sie hier wegen des Erfordernisses der Abwehr von terrorismusfördernden Aktivitäten vorliegen, auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern verfügt werden (§ 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG).

60

7. Zutreffend ist das Berufungsgericht auch zu dem Ergebnis gekommen, dass die für die Ausweisung des Klägers anwendbaren Regelungen des Ausweisungsrechts nicht gegen assoziationsrechtliche Verschlechterungsverbote aus Art. 13 ARB 1/80, Art. 7 ARB 2/76 und Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen (BGBl. 1972 II S. 385) verstoßen. Dabei kann offenbleiben, ob hier überhaupt eines der Verschlechterungsverbote Anwendung findet. Denn der zum 1. Januar 2016 eingeführte Übergang von einer Ermessensentscheidung zu einer gebundenen Entscheidung stellt keine Verschlechterung der Rechtsstellung des betroffenen Ausländers dar (a). Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung bewirkte zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für betroffene Ausländer, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt (b).

61

a) Die zum 1. Januar 2016 eingeführte Neuregelung des Ausweisungsrechts, die die bisherige Ermessensausweisung durch eine am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte gebundene Ausweisung abgelöst hat, hat die Rechtsstellung der Ausländer in der hier gebotenen und auch unionsrechtlich statthaften Gesamtschau nicht verschlechtert, sondern jedenfalls teilweise verbessert. Denn bisher sah das Gesetz Tatbestände einer zwingenden Ausweisung (Ist-Ausweisung), regelmäßig erfolgenden Ausweisung (Soll-Ausweisung) und Ausweisung nach Ermessen (Kann-Ausweisung) vor. Die zwingende Ausweisung und die regelmäßig erfolgende Ausweisung widersprachen für den Personenkreis der unionsrechtlich privilegierten Ausländer der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach eine Ausweisung ausschließlich auf ein persönliches Verhalten des Ausländers gestützt werden darf, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 [ECLI:EU:C:2004:262], Orfanopoulos und Oliveri - Slg. 2004, I-5257 Rn. 66 f.). Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass eine Regelung gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, wonach eine Ausweisung automatisch aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung verfügt wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird (a.a.O. Rn. 70). Aber auch die nationale Bestimmung über die Regelausweisung hat für den Gerichtshof den Anschein erweckt, dass trotz der Berücksichtigung individueller Umstände ein gewisser Automatismus oder jedenfalls eine Vermutung besteht, dass der betreffende Staatsangehörige auszuweisen ist (a.a.O. Rn. 92).

62

Daraus hat das Bundesverwaltungsgericht die Schlussfolgerung gezogen, dass die gesetzliche Regelung zur zwingenden Ausweisung und Regelausweisung auf unionsrechtlich privilegierte Ausländer nicht mehr angewendet werden darf (BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <302> betreffend Unionsbürger und - 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <321> betreffend Assoziationsberechtigte nach ARB 1/80). Der Gesetzgeber hat daraus durch das zum 1. Januar 2016 in Kraft getretene neue Ausweisungsrecht die Konsequenzen gezogen. Insofern stellt die neue Rechtslage eine Verbesserung gegenüber der bisherigen dar. Eine Ausweisung nach neuem Recht hat eine einzelfallbezogene umfassende Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen und orientiert sich dabei strikt am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 53 Abs. 1 und 2 AufenthG). Damit setzt der Gesetzgeber Vorgaben um, die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 - Rn. 99) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR , Urteil vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 57 - 60) ergeben.

63

Es stellt keine Verschlechterung der Rechtslage für unionsrechtlich privilegierte Ausländer dar, dass ihre Ausweisung nach früherer Rechtslage im Wege einer Ermessensentscheidung erfolgte, nach neuem Recht hingegen im Wege einer rechtlich gebundenen Ausweisung, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Damit entfällt zwar die Möglichkeit, aus Gründen der Zweckmäßigkeit von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen. Auf ein solches Absehen von einer rechts- und ermessensfehlerfrei möglichen Ausweisung hatte der Ausländer aber zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch, auch die gerichtliche Kontrolle war insoweit durch § 114 VwGO eingeschränkt; durch die gesetzliche Neuregelung wird also keine individuelle Rechtsposition beeinträchtigt. Im Übrigen ist für die Beachtung des Verschlechterungsverbots auf die tatsächliche Praxis und nicht allein auf die abstrakte Rechtslage abzustellen. Die Rechtspraxis wurde maßgeblich durch die Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz des Bundesministeriums des Innern vom 26. Oktober 2009 gesteuert. Danach lag die Ausweisungsentscheidung im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde, bei der Ermessensausübung waren das schutzwürdige Interesse des Ausländers am weiteren Verbleib in Deutschland und das öffentliche Interesse an der Ausweisung gegeneinander abzuwägen (Ziffer 55.1.3). Das weist auf eine Rechtspraxis hin, die der heute normierten gebundenen Ausweisung entspricht, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Insofern hat sich die Rechtsstellung des Ausländers nicht verschlechtert.

64

b) Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung hat zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für die betroffenen Ausländer bewirkt, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Die seinerzeitige Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung (§ 54 Nr. 5 AufenthG a.F.) führte zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gegenüber der früheren Rechtslage, die allein den Tatbestand der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland kannte. Durch die Rechtsänderung wurde nun auch die Vorfeldunterstützung des Terrorismus erfasst. Diese ist jedoch mit Blick auf das Verschlechterungsverbot aus Art. 13 ARB 1/80 aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 14 ARB 1/80, jedenfalls aber durch ein zwingendes Allgemeininteresse, namentlich die völkerrechtlich gebotene Terrorismusbekämpfung auch bereits im Vorfeld unmittelbarer terroristischer Handlungen, gerechtfertigt.

65

8. Nach der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG ist über die Länge der Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach Ermessen zu entscheiden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Diese gesetzgeberische Entscheidung ist mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom gleichen Tage - 1 C 27.16 - Rn. 20 ff.). Das Urteil des Senats zur Vorläuferfassung des § 11 AufenthG a.F., wonach eine gebundene Entscheidung zu treffen war (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.), erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihm ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen. Eine solche Ermessensentscheidung hat der Beklagte hier noch nicht getroffen. Vielmehr hat bisher das Verwaltungsgericht das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach der seinerzeit geltenden Rechtslage im Wege einer gebundenen Entscheidung auf acht Jahre festgesetzt.

66

Der Beklagte hat die nach neuem Recht nunmehr gebotene Ermessensentscheidung nachzuholen. Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange.

67

B. Der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellte (weitere) Hilfsantrag, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass dem Kläger auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie, ist unzulässig. Er stellt eine unzulässige Klageerweiterung im Revisionsverfahren dar (§ 142 Abs. 1 VwGO). Im Übrigen bedarf es einer solchen behördlichen Feststellung auch nicht. Aus dem für alle nationalen Behörden verbindlichen EuGH-Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) ergibt sich bis zu einer dem Gesetzgeber vorbehaltenen Anpassung der einschlägigen Fachgesetze hinreichend deutlich, dass dem Kläger - solange er die Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der EU-Anerkennungsrichtlinie genießt - auch die mit dieser Rechtsstellung einhergehenden Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie zustehen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift (vgl. dazu auch die vorstehenden Ausführungen in Rn. 55 f. dieses Urteils).

68

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat gewichtet den gegen die Ausweisung, die Meldeauflage, die Aufenthaltsbeschränkung und die Abschiebungsandrohung gerichteten Anfechtungsantrag mit 4/5 und den auf Befristung zielenden Verpflichtungsantrag mit 1/5 (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 46).

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus Deutschland. Hilfsweise erstrebt er eine neue Entscheidung des Beklagten über die Befristung des mit der Ausweisung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots.

2

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volkszugehörigkeit. Er wurde 1973 in der Türkei geboren, ist verheiratet und hat sieben Kinder. Er reiste 1997 nach Deutschland ein und beantragte hier Asyl, da er in der Türkei wegen seines Engagements in prokurdischen Vereinen und Parteien sowie verwandtschaftlichen Beziehungen zu Guerillakämpfern der sog. Arbeiterpartei Kurdistans - PKK - an Leib und Leben bedroht sei. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) vom 9. Oktober 1997 wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach dem damaligen § 51 Abs. 1 AuslG 1990 zuerkannt und zu seinen Gunsten ein Abschiebungsverbot wegen drohender Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK (damals § 53 Abs. 4 AuslG 1990) festgestellt. Der Kläger ist lediglich sporadisch und für kurze Zeiträume einer Erwerbstätigkeit nachgegangen, gleiches gilt für seine Ehefrau. Er bezieht mit seiner Familie Leistungen nach dem SGB II.

3

Vom 1. April 1998 bis zum 1. Dezember 2009 war der Kläger im Besitz jeweils befristeter Aufenthaltstitel. Am 13. März 2009 teilte das Bundesamt der Ausländerbehörde mit, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 73 Abs. 1 oder 2 AsylVfG nicht vorlägen. Im März 2009 stellte der Kläger bei der Ausländerbehörde der Stadt M. einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Auf Anfrage teilte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg der Ausländerbehörde im Mai 2009 mit, dass hinsichtlich der Person des Klägers "Erkenntnisse" vorlägen, über die das Innenministerium Baden-Württemberg gesondert informiert worden sei. Dessen ungeachtet wurde dem Kläger am 4. Dezember 2009 ohne weitere Mitteilung zum Stand der Sicherheitsüberprüfung eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG erteilt.

4

Das Regierungspräsidium K. teilte dem Kläger mit Schreiben vom 23. Juli 2010 mit, dass die Niederlassungserlaubnis in Unkenntnis der Sicherheitsbedenken erteilt worden sei und derzeit deren Rücknahme und eine Ausweisung geprüft werde. Hierzu werde dem Kläger die Möglichkeit eines Sicherheitsgesprächs zur weiteren Aufklärung gegeben. Dieses fand im Februar 2011 statt; allerdings verweigerte der Kläger mit Ausnahme eines durch ihn ausgefüllten Fragebogens die weitere Mitwirkung.

5

Mit Verfügung vom 10. Januar 2012 wies das Regierungspräsidium K. den Kläger aus (Ziffer 1) und stützte sich dabei auf § 54 Nr. 5, § 56 Abs. 1, § 55 AufenthG a.F. Zudem wurde der Kläger verpflichtet, sich zweimal wöchentlich unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapiers bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, und sein Aufenthalt wurde auf den Bereich der Stadt M. begrenzt (Ziffer 2).

6

Die Ausweisung sei gerechtfertigt, weil Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Kläger Vereinigungen unterstütze, die ihrerseits den Terrorismus unterstützten. So habe der Kläger nach den vorliegenden Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in den Jahren 2001 bis 2010 regelmäßig an näher bezeichneten Veranstaltungen und Demonstrationen der PKK-Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL teilgenommen und sei teilweise auch selbst als Redner bei derartigen Veranstaltungen aufgetreten. Von 2001 bis 2003/2004 sei er Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Kurdischer Kulturverein e.V." in L. gewesen. Außerdem sei er seit langem Vorstandsmitglied und nunmehr sogar zweiter Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM). Die Ausweisung sei trotz des dem Kläger als anerkanntem Flüchtling zustehenden besonderen Ausweisungsschutzes aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt und auch mit Blick auf die Bleibeinteressen des Klägers verhältnismäßig. Sie führe zudem nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung, vielmehr bleibe seine Abschiebung ausgesetzt, da ihr Abschiebungsverbote aufgrund der Rechtsstellung des Klägers als Flüchtling sowie nach § 60 Abs. 5 AufenthG entgegenstünden. Die angeordnete zweimalige wöchentliche Meldepflicht und die räumliche Beschränkung auf den Stadtbezirk M. beruhten auf § 54a AufenthG (a.F.) und seien mit Blick auf die gebotene Überwachung des Klägers und zur Eindämmung seiner gefahrbegründenden Aktivitäten erforderlich und angemessen.

7

Das Verwaltungsgericht hat die gegen die Verfügung gerichtete Klage mit Urteil vom 27. Januar 2015 abgewiesen, zugleich aber den Beklagten verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf acht Jahre nach Ausreise des Klägers zu befristen. Mit Urteil vom 13. Januar 2016 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung zurückgewiesen. Dabei hat er die angefochtene Ausweisungsverfügung an der seit dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung des AufenthG gemessen. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof insbesondere ausgeführt: Im Fall des Klägers liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, weil der Kläger in überwiegend herausgehobener Funktion die PKK und damit eine terroristische oder den Terrorismus unterstützende Vereinigung unterstützt habe. Dabei seien allerdings nur Aktivitäten nach Juli 2010 heranzuziehen, also nach der an den Kläger gerichteten Mitteilung, wegen seiner Aktivitäten werde die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft. Als tatbestandserhebliches Unterstützen sei hiernach jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirke. Nach diesem Maßstab seien die im Urteil im Einzelnen näher bezeichneten und durch den Kläger in der Sache eingeräumten Betätigungen als Teilnehmer, Mitglied, Redner und Versammlungsleiter bei diversen die PKK unterstützenden Veranstaltungen sowie als Vorstandsmitglied der die PKK unterstützenden YEK-KOM und deren Nachfolgeorganisation NAV-DEM als Unterstützungshandlung zu werten. Angesichts des Ablaufs der Veranstaltungen, der dort gehaltenen Reden und der klaren Ausrichtung auf den Führerkult um den PKK-Führer Öcalan sowie gefallene Märtyrer bestünden für das Berufungsgericht keine Zweifel daran, dass sich der Kläger den Zielen der PKK verpflichtet fühle und sie mit seinem Tun unterstützen wolle.

8

Die Ausweisungsverfügung werde auch dem erhöhten Ausweisungsschutz gerecht, der dem Kläger als anerkanntem Flüchtling nach § 53 Abs. 3 AufenthG zustehe. Denn es lägen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU vor, wonach ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel widerrufen werden könne.

9

Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse stehe ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber. Denn er habe eine Niederlassungserlaubnis besessen, die gerade durch die Ausweisungsverfügung betroffen sei. Er lebe mit deutschen Familienangehörigen (sechs seiner Kinder) in familiärer Lebensgemeinschaft und übe sein Personensorgerecht für seine minderjährigen Kinder aus. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung überwiege jedoch das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers.

10

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Revision und rügt in mehrfacher Hinsicht eine Verletzung von Bundesrecht. Zunächst habe das Berufungsgericht den Begriff des "Unterstützens" in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG fehlerhaft ausgelegt und angewandt. Der von ihm in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht angewandte Unterstützungsbegriff sei rechtsstaatlich nicht hinreichend konkret. Jedenfalls auf der Grundlage des neuen, seit Jahresanfang 2016 geltenden Ausweisungsrechts, das nach "schwerwiegenden" und "besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen" differenziere, sei dieser Unterstützungsbegriff nicht mehr als Abgrenzungskriterium geeignet. Notwendig sei ein gefahrenabwehrrechtlich ausgerichteter Unterstützungsbegriff, der sich etwa in Anlehnung an strafrechtliche Zurechnungskriterien wie Anstiftung oder Beihilfe oder die im Strafrecht für Organisationsdelikte entwickelten Zurechnungskriterien gewinnen lassen könne.

11

Fehlerhaft sei zudem die Auslegung und Anwendung von § 53 Abs. 3 AufenthG im Hinblick auf die sich aus Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie ergebenden Voraussetzungen. Denn das Berufungsgericht habe weder festgestellt, dass der Kläger unmittelbar der PKK angehöre, noch dass sich die YEK-KOM oder die NAV-DEM selbst terroristischer Methoden bedienten. Weiterhin verkenne das Berufungsgericht die durch den Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) aufgestellten Anforderungen an die festzustellenden Unterstützungshandlungen. Danach sei insbesondere zu prüfen, ob der Betroffene selbst terroristische Handlungen begangen habe, ob und in welchem Maße er an der Planung, an Entscheidungen oder an der Anleitung anderer Personen zum Zwecke der Begehung solcher Handlungen beteiligt war und ob und in welchem Umfang er solche Handlungen finanziert oder anderen Personen die Mittel für ihre Begehung verschafft habe. Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts habe der EuGH damit nicht lediglich beispielhaft die in den maßgeblichen Vorlagefragen des Ausgangsverfahrens vorgehaltenen Handlungen herausgegriffen, sondern in einem abschließenden Sinne bestimmte Kriterien vorgegeben.

12

Weiter setze der Gefahrenbegriff des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine "konkrete Gefahr" voraus. Weder der Wortlaut noch die der Vorschrift zugrunde liegende Entstehungsgeschichte rechtfertigten eine Absenkung dieser Gefahrenschwelle. Das Berufungsgericht hätte daher prüfen müssen, ob der Kläger die für die objektive Unterstützung zu Grunde gelegten Tatsachen und Umstände gekannt und eine zweckgerichtete Unterstützung auch gewollt habe.

13

Schließlich habe das Berufungsgericht verkannt, dass dem Kläger nach dem Urteil des EuGH vom 24. Juni 2015 selbst dann, wenn ihm der Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie entzogen werden dürfe, für die Zeit der Fortdauer seines Flüchtlingsstatus die Rechte nach Kapitel VII dieser Richtlinie erhalten bleiben. Deshalb beantragte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hilfsweise, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass ihm auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie.

14

Der Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und tritt der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bei.

15

Während des Revisionsverfahrens hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 20. Oktober 2016 die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes für den Kläger widerrufen und entschieden, ihm weder die Flüchtlingseigenschaft noch den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Gegen den Bescheid hat der Kläger Klage erhoben.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist im Wesentlichen unbegründet. Das Berufungsgericht hat die Ausweisung des Klägers und die ihm auferlegte Meldepflicht und Aufenthaltsbeschränkung im Ergebnis zu Recht als rechtmäßig eingestuft. Allerdings war auf der Grundlage der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG der Beklagte zu einer nunmehr gebotenen Ermessensentscheidung über die festzusetzende Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG zu verpflichten.

17

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren des Klägers auf Aufhebung der Ausweisung (Ziffer 1 des Bescheids) sowie der Meldeauflagen und Aufenthaltsbeschränkung (Ziffer 2 des Bescheids). Aber auch der Streit über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs - im Berufungsverfahren und anschließend im Revisionsverfahren angefallen. Denn das Befristungsbegehren ist als Minus notwendiger Bestandteil des Begehrens auf Aufhebung einer Ausweisung und kann daher von den Parteien nicht gesondert aus dem Verfahren ausgegliedert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 28 ff.). Hiervon sind im Übrigen vorliegend auch die Parteien übereinstimmend ausgegangen.

18

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der Meldepflicht und der Aufenthaltsbeschränkung sowie der vom Kläger hilfsweise begehrten Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 8 m.w.N.). Der Entscheidung sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162) zugrunde zu legen, zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155).

19

A. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG, weil der Kläger anerkannter Flüchtling ist.

20

1. Nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht ergibt sich der Grundtatbestand der Ausweisung aus § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

21

Das neue Ausweisungsrecht gibt das mit dem Ausländergesetz 1990 eingeführte dreistufige Konzept der Ist-, Regel- und Kann-Ausweisung auf. Stattdessen hat sich der Gesetzgeber für ein einheitliches System der rechtlich gebundenen Ausweisung entschieden ("wird ausgewiesen"), das vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. § 54 AufenthG benennt konkret die Gründe, wann das Ausweisungsinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt und knüpft damit an Tatbestände der früheren Ist- und Regelausweisung an. In § 55 AufenthG werden - spiegelbildlich hierzu - Tatbestände normiert, denen zufolge das Bleibeinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt, wobei auch die Aufzählung der "schwer" wiegenden Bleibeinteressen nicht abschließend ist. In § 53 Abs. 2 AufenthG werden Gesichtspunkte genannt, die bei der Abwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sind, insbesondere die Dauer des Aufenthalts, Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, Folgen der Ausweisung für Angehörige und Partner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat.

22

Die Rechtsprechung des Senats, die ihrerseits Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aufgreift (vgl. Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <301 ff.> und vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 14 ff.), hat bei der Entwicklung des neuen Ausweisungsrechts eine entscheidende Rolle gespielt (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 25. Februar 2015, BT-Drs. 18/4097 S. 49). Dabei griff der Gesetzgeber Vorschläge zur Neuregelung des Ausweisungsrechts auf, die Vertreter der Rechtsprechung unterbreitet haben (vgl. Dörig, NVwZ 2010, 921 <922>; Bergmann, ZAR 2013, 318 <322> sowie Gesetzesvorschlag Bergmann/Dörig vom Januar 2014, veröffentlicht in: Barwig u.a., Steht das europäische Migrationsrecht unter Druck?, 2014, S. 111 f.). Die Ausweisung setzt nunmehr nach § 53 Abs. 1 AufenthG eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Sofern nach dieser Gesamtabwägung das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib in Deutschland überwiegt, wird der Ausländer ausgewiesen, andernfalls kommt eine Aufenthaltsbeendigung nach § 53 Abs. 1 AufenthG nicht in Betracht.

23

Die Tatbestandsmerkmale der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" im ausweisungsrechtlichen Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG sind nach der Begründung des Gesetzgebers im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Auch die Gefährdung dieser Schutzgüter bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten wird. Mit Blick auf die verwendeten Begriffe sollte keine Ausweitung des Gefahrenbegriffs gegenüber dem bislang geltenden Recht erfolgen, vielmehr sollten lediglich die bislang verwandten unterschiedlichen Formulierungen aneinander angeglichen werden. Die von § 53 Abs. 1 AufenthG geforderte Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers in Deutschland erfolgt dabei nach der Intention des Gesetzgebers nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar.

24

Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" (Absatz 1) oder als "schwerwiegend" (Absatz 2). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sind neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Interessen aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Die Katalogisierung schließt demnach die Berücksichtigung weiterer Umstände im Rahmen der nach § 53 Abs. 2 AufenthG zu treffenden Abwägungsentscheidung nicht aus. Dies folgt bereits aus dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG, ist aber für die schwerwiegenden, aufgrund der Vielgestaltigkeit der Lebenssituationen bewusst nicht abschließend aufgezählten Bleibeinteressen in § 55 Abs. 2 AufenthG nochmals ausdrücklich normiert. Die nunmehr als schwerwiegend oder besonders schwerwiegend qualifizierten Ausweisungsinteressen im Sinne von § 54 AufenthG decken sich weitgehend - aber nicht vollständig - mit den früheren Gründen für eine Regel- und Ist-Ausweisung, die schwerwiegenden und besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen greifen Fälle des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 AufenthG a.F. auf.

25

Bei der Abwägung sind schließlich gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht ("Boultif/Üner-Kriterien"). Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen.

26

Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht.

27

2. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG festgestellt. Ein solches liegt dann vor, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wobei hiervon u.a. dann auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Ausländer einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er (jedenfalls) eine solche Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, er nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.

28

a) Der Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist dem Wortlaut nach weitgehend an den früheren Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung angelehnt, auf den die Ausweisungsverfügung auch ursprünglich gestützt war. Das Berufungsgericht hat für die Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu Recht dieselben rechtlichen Maßstäbe herangezogen, die der Senat zur Auslegung des früheren Regelausweisungstatbestandes nach § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung entwickelt hat.

29

In der Rechtsprechung des Senats war die Auslegung des Regelausweisungstatbestands des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung weitgehend geklärt. So ist anerkannt, dass eine Vereinigung den Terrorismus unterstützt, wenn sie sich selbst terroristisch betätigt oder wenn sie die Begehung terroristischer Taten durch Dritte veranlasst, fördert oder befürwortet. Die Schwelle der Strafbarkeit muss dabei nicht überschritten sein, da die Vorschrift der präventiven Gefahrenabwehr dient und auch die Vorfeldunterstützung durch sogenannte Sympathiewerbung erfasst. Der Tatbestand des Unterstützens des Terrorismus durch eine Vereinigung setzt allerdings voraus, dass die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung (auch) auf die Unterstützung des Terrorismus gerichtet sind; ein bloßes Ausnutzen der Strukturen einer Vereinigung durch Dritte in Einzelfällen reicht hierfür nicht aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 20 ff. und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 13 ff.).

30

Für den im Gesetz verwandten Begriff des Terrorismus sind Versuche, auf völkerrechtlicher Ebene eine allgemein anerkannte vertragliche Definition zu entwickeln, nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen. Jedoch können wesentliche Kriterien aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft im Beschluss des Rates Nr. 2002/475/JI vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (ABl. L 164 S. 3) sowie dem gemeinsamen Standpunkt des Rates 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001 (ABl. L 344 S. 93) gewonnen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die Aufnahme einer Organisation in die vom Rat der Europäischen Union angenommene Liste terroristischer Organisationen im Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93 - vgl. auch ABl. L 116 vom 3. Mai 2002, S. 75) ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass die Organisation terroristischer Art ist oder im Verdacht steht, eine solche zu sein (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 [ECLI:EU:C:2015:413], H.T./Land Baden-Württemberg - Rn. 83). Hier sind von den Tatsachengerichten ergänzende Feststellungen zu treffen. Dabei ist trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs anerkannt, dass als terroristisch jedenfalls der Einsatz gemeingefährlicher Waffen und Angriffe auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen sind (Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>, vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 19 und Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 10 C 48.07 - BVerwGE 132, 79 <87> m.w.N.).

31

Weiterhin ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass die individuelle Unterstützung einer terroristischen Vereinigung oder einer Vereinigung, die eine terroristische Vereinigung unterstützt, im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. alle Verhaltensweisen erfasst, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeit der Vereinigung auswirken. Darunter kann die Mitgliedschaft in der terroristischen oder in der unterstützenden Vereinigung ebenso zu verstehen sein wie eine Tätigkeit für eine solche Vereinigung ohne gleichzeitige Mitgliedschaft. Auch die bloße Teilnahme an Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen kann eine Unterstützung in diesem Sinne darstellen, wenn sie geeignet ist, eine positive Außenwirkung im Hinblick auf die durch § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. missbilligten Ziele zu entfalten. Auf einen nachweisbaren oder messbaren Nutzen für diese Ziele kommt es nicht an, ebenso wenig auf die subjektive Vorwerfbarkeit der Unterstützungshandlungen. Im Hinblick auf den Schutz der Meinungsfreiheit und das Gebot der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Betätigungsfreiheit des Einzelnen erfüllen allerdings solche Handlungen den Tatbestand der individuellen Unterstützung nicht, die erkennbar nur auf einzelne, mit terroristischen Zielen und Mitteln nicht im Zusammenhang stehende - etwa humanitäre oder politische - Ziele der Vereinigung gerichtet sind. Für den Ausländer muss schließlich die eine Unterstützung der Vereinigung, ihrer Bestrebungen oder ihrer Tätigkeit bezweckende Zielrichtung seines Handelns erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auf eine darüber hinaus gehende innere Einstellung des Ausländers kommt es hingegen nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 15 und 18 m.w.N.).

32

Diese vom Senat zur Auslegung von § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. entwickelten Grundsätze lassen sich entgegen dem Vorbringen der Revision auch auf den Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung nach dem neu gefassten § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG übertragen. Ein Vergleich der Textfassungen ergibt, dass der Gesetzgeber die früheren Regelausweisungstatbestände nach § 54 Nr. 5, 5a und 5b AufenthG a.F. in der neuen Vorschrift des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zusammengefasst hat, wobei unter den vorliegenden Umständen die Fälle staatsgefährdender Gewalttaten nach § 89a StGB außer Betracht bleiben können. Gegenüber dem früheren Recht ist der Hinweis entfallen, dass eine Ausweisung auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen nur gestützt werden kann, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Eine Änderung der materiellen Rechtslage ist damit aber nicht verbunden, da auch nach neuem Recht eine fortbestehende Gefahr erforderlich ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ("gefährdet") und ist implizit auch dem neuen Zusatz in § 54 Abs. 1 Nr. 2 letzter Halbsatz AufenthG zu entnehmen, wonach von einer Gefährdung nicht auszugehen ist, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt.

33

Den Gesetzgebungsmaterialien ist nichts dafür zu entnehmen, dass sich der Gesetzgeber hinsichtlich des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung für eine Abkehr von dem bisherigen Verständnis des Ausweisungstatbestandes hat entscheiden wollen. Zwar hat er in Satz 2 einen Halbsatz neu eingefügt, wonach ein Unterstützen nicht vorliegt, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt. Das stellt jedoch keine inhaltliche Änderung des Unterstützerbegriffs dar, sondern normiert lediglich ein in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits entwickeltes Kriterium zur individuellen Zurechnung eines Unterstützerverhaltens. Denn der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die objektive Tatsache der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in der Vergangenheit dem Ausländer dann nicht mehr zugerechnet werden kann, wenn er sich glaubhaft hiervon distanziert (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <131>, vom 30. April 2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 35 und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 17). Die nunmehr normierten Tatbestandsmerkmale lassen keine Abkehr von der Senatsrechtsprechung erkennen, denn ein "erkennbares Abstandnehmen" vom sicherheitsgefährdenden Handeln entspricht dem Distanzieren im Sinne der Senatsrechtsprechung. Allerdings findet sich in der Begründung zu dieser Neuregelung die Aussage, die Möglichkeit der "Exkulpation" zeige, dass der Betroffene Kenntnis davon gehabt haben müsse, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstütze, der "undolose Unterstützer" daher nicht unter die Regelung falle (BT-Drs. 18/4097 S. 51). Aus diesem Satz in der Gesetzesbegründung könnte man ableiten, der Gesetzgeber habe eine Regelung treffen wollen, nach der für die subjektive Seite des Unterstützens mehr erforderlich ist (Vorsatz) als nach dem bisherigen Verständnis (Erkennbarkeit). Wäre dies tatsächlich so Gesetz geworden, hätte dies eine nicht unerhebliche Einschränkung der Rechtsprechung zur subjektiven Zurechnung bedeutet, nach der es ausreicht, dass der Ausländer erkennen konnte, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstützt. Die Begründung hat jedoch im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden, denn nach diesem wird Vorsatz im Hinblick auf die terroristische Betätigung der unterstützten Vereinigung nicht verlangt. Es reicht somit auch für die Erfüllung des subjektiven Unterstützertatbestands weiterhin die Erkennbarkeit einer terroristischen Betätigung der Vereinigung aus. Vorsatz bleibt hingegen weiter erforderlich für das eigene Handeln des Ausländers, das von dem Ziel geleitet sein muss, die Vereinigung zu unterstützen. Für diese Auslegung spricht auch, dass der Gesetzgeber der Vorfeldunterstützung des Terrorismus durch die Gesetzesänderung erhöhte Bedeutung beimessen wollte, indem er den bisher als Tatbestand für eine Regelausweisung normierten Ausweisungsgrund zu einem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 AufenthG heraufstufte, was im bisherigen Recht dem Tatbestand einer zwingenden Ausweisung entsprochen hätte. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass das stärkere Gewicht, das der Gesetzgeber diesem Ausweisungsinteresse beimessen wollte (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 23), mit einer engeren Interpretation seiner Tatbestandsmerkmale einhergehen sollte.

34

Eine vom früheren Begriffsverständnis abweichende Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass dieser bisher eigenständige Tatbestand nunmehr in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG funktional mit einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verknüpft wird ("hiervon ist auszugehen, wenn"). Vielmehr ergibt eine systematische Auslegung der Vorschrift, dass der Inhalt des Ausweisungstatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung unverändert geblieben ist, während der Begriff der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland eine Erweiterung erfahren hat. Denn der Gesetzgeber hat mit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr kraft Gesetzes definiert, wann von einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen ist, nämlich (jedenfalls) dann, wenn eine der dort genannten Tatbestandsalternativen erfüllt ist. Die Auslegung des Begriffs der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland richtet sich daher (auch) nach diesen Tatbestandsalternativen, nicht umgekehrt. Anderes lässt sich hinsichtlich des Gefahrenmaßstabs auch nicht der Regelung des § 53 Abs. 1 AufenthG entnehmen. Denn anders als bei den übrigen Ausweisungsinteressen hat der Gesetzgeber in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG das Erfordernis einer Gefahr (nochmals) ausdrücklich aufgeführt, was unter systematischen Gesichtspunkten für eine gewisse Eigenständigkeit des Gefahrentatbestandes gegenüber § 53 Abs. 1 AufenthG fruchtbar gemacht werden kann. Es gilt damit nunmehr, dass das Gesetz bereits die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Bundesgebiet als eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ansieht, unabhängig davon ob die terroristische Vereinigung Gewaltakte auch auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland oder gegen deutsche Einrichtungen im Ausland begeht. Weiterhin gilt jedenfalls für die Fälle des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ein abgesenkter Gefahrenmaßstab, der auch Vorfeldmaßnahmen erfasst und keine von der Person des Unterstützers ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefahr erfordert. Die Rechtsprechung des Senats zur Unterstützung des Terrorismus durch Handlungen in dessen Vorfeld hat dem Rechnung zu tragen und dabei auch die Bedeutung zu berücksichtigen, die der Unionsgesetzgeber dieser Vorfeldunterstützung durch den Erwägungsgrund 37 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 S. 9) - EU-Anerkennungsrichtlinie - beimisst.

35

Ein Anlass für eine verfassungsrechtliche Neubewertung des Gefahrenmaßstabs besteht entgegen dem umfangreichen Revisionsvorbringen nicht. In der Rechtsprechung des Senats ist seit dem Urteil zum Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus - Terrorismusbekämpfungsgesetz - vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361, 3142) anerkannt, dass der Unterstützungsbegriff weit auszulegen und anzuwenden ist, um damit der auch völkerrechtlich begründeten Zielsetzung des Gesetzes gerecht zu werden, dem Terrorismus schon im Vorfeld die logistische Basis zu entziehen (BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <127 ff.>). Maßgeblich ist, inwieweit das festgestellte Verhalten des Einzelnen zu den latenten Gefahren der Vorfeldunterstützung des Terrorismus nicht nur ganz unwesentlich oder geringfügig beiträgt und deshalb selbst potenziell gefährlich erscheint. Wegen der tatbestandlichen Weite des Unterstützungsbegriffs ist allerdings bei der Anwendung der Vorschrift darauf zu achten, dass nicht unverhältnismäßig namentlich in das auch Ausländern zustehende Recht auf freie Meinungsäußerung jenseits der zumindest mittelbaren Billigung terroristischer Bestrebungen eingegriffen wird. Einen bislang nicht berücksichtigten verfassungsrechtlichen Rechtssatz, der den so umschriebenen Ausgleich zwischen dem legitimen und schon wegen seiner völkerrechtlichen Vorgaben besonders gewichtigen gesetzgeberischen Ziel der Terrorismusbekämpfung und den geschützten Grundrechtspositionen eines Ausländers infrage stellen würde, zeigt die Revision nicht auf. Insbesondere sprechen der Charakter der Ausweisung als Maßnahme der Gefahrenabwehr sowie die spezifische Zielsetzung der Terrorismusbekämpfung gegen eine Übertragung strafrechtlicher Rechtsprechungsgrundsätze, wie sie etwa für die Abgrenzung strafbarer und straffreier Meinungsäußerungen gelten. Der Senat hält auch unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an seiner bisherigen Rechtsprechung fest.

36

b) Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG angenommen. Dies gilt sowohl für die Qualifizierung der PKK als terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung (aa) als auch - jedenfalls im Ergebnis - für die Qualifizierung der Handlungen des Klägers als relevante Unterstützungshandlungen (bb). Ebenso wenig zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen hat (cc).

37

(aa) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Qualifizierung der PKK als eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Das Gericht legt seiner Entscheidung die in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze für die Definition einer terroristischen Vereinigung zugrunde (UA Bl. 27 f.) und geht damit von einem zutreffenden Maßstab aus. Für die Bewertung der PKK als eine solche Vereinigung hat das Gericht zunächst darauf abgestellt, dass sie auch noch aktuell auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist, ohne diesem Umstand eine über einen deutlichen Anhaltspunkt hinausgehende Bedeutung beizumessen (UA Bl. 31). Hieran anknüpfend hat das Berufungsgericht sodann auf der Grundlage der ihm vorliegenden Erkenntnismittel festgestellt, dass die PKK zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele in der Türkei weiterhin Gewalttaten gegen staatliche Einrichtungen und Amtsträger sowie die Zivilbevölkerung verübt und im Übrigen etwa zur Finanzierung ihrer Aktivitäten oder zur Bekämpfung von Kritikern auch nicht vor Verbrechen gegenüber ihren eigenen Anhängern und auch darüber hinaus gegenüber der kurdischstämmigen Bevölkerung insgesamt zurückschreckt. Insbesondere sei die zwischen dem türkischen Staat und der PKK ausgehandelte (relative) Waffenruhe seitens der PKK zuletzt Ende Juli 2015 ausdrücklich aufgekündigt worden (UA Bl. 32 f.). Diese tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts sind von der Revision nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen worden und daher für den Senat bindend. Sie erlauben dem Senat zudem eine eigene rechtliche Bewertung des Inhalts, dass die PKK eine terroristische Vereinigung darstellt und nicht lediglich eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung.

38

(bb) Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist auch die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, dass der Kläger die PKK in rechtserheblicher Weise individuell unterstützt hat. Allerdings ist das Gericht unter Verstoß gegen Bundesrecht davon ausgegangen, dass zu Lasten des Klägers nur solche Unterstützungshandlungen berücksichtigt werden dürfen, die in zeitlicher Hinsicht nach der Mitteilung des Regierungspräsidiums vom Juli 2010 lagen, wonach eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft würden.

39

Das Berufungsgericht ist insoweit rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass ein Ausweisungsinteresse bereits dann aus Gründen des Vertrauensschutzes verbraucht ist und nicht mehr zur Begründung einer Ausweisung herangezogen werden kann, wenn ein Aufenthaltstitel in Kenntnis oder dem Staat zuzurechnender Unkenntnis erteilt oder verlängert wurde (UA S. 34 f.). Zwar ist in der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich anerkannt ist, dass Ausweisungsgründe in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und so lange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind und die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <313> und vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <121 f.>). Aus der Ableitung dieser Kriterien aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt jedoch, dass die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Aus der Rechtsprechung des Senats ergibt sich zudem, dass ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers schützenswert sein muss. Hieran fehlt es, wenn die Ausländerbehörde - wie vorliegend - dem Kläger auf dessen Anfrage zum Stand des Verfahrens auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis lediglich mitteilt, dass gegenwärtig noch eine Sicherheitsüberprüfung stattfinde, und dann zu einem späteren Zeitpunkt ohne jegliche Erläuterung zum Ausgang der Sicherheitsüberprüfung die begehrte Niederlassungserlaubnis erteilt. Auf dieser Grundlage kann der Betroffene nämlich weder wissen, welchen konkreten Umständen die Ausländerbehörde im Rahmen ihrer Sicherheitsüberprüfung nachgegangen ist, noch zu welchen konkreten Erkenntnissen sie hierbei nach Abschluss der Überprüfung gelangt ist. Daher kann der Betroffene aus der Erteilung der Niederlassungserlaubnis billigerweise auch nicht schließen, dass die Ausländerbehörde bei ihrer Sicherheitsüberprüfung alle als potentielle Versagungsgründe in Betracht kommenden Umstände tatsächlich ermittelt und sodann als für die Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis unbeachtlich eingestuft hat.

40

Das angefochtene Urteil beruht jedoch nicht auf diesem Rechtsverstoß, weil das Berufungsgericht auch ohne Berücksichtigung der vor dem für maßgeblich erachteten Zeitpunkt liegenden Umstände von rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen des Klägers ausgegangen ist und die diesbezüglichen Feststellungen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sind. Im Übrigen wäre der Kläger durch die Nichtberücksichtigung weiterer, ihn belastender Umstände auch nicht beschwert. Im Einzelnen hat das Berufungsgericht für die Bestimmung der rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen zutreffend auf die in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäbe zu § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung abgestellt (UA Bl. 35 ff.). Keine abweichende Beurteilung ergibt sich aus dem Einwand des Klägers, die PKK nicht unmittelbar unterstützt zu haben, sondern sich in legalen Vereinigungen betätigt zu haben, die ihrerseits die PKK im Wissen um deren Charakter gewollt und gezielt unterstützen. Denn es stellt keine verminderte Gefahr der Vorfeldunterstützung des Terrorismus dar, wenn die Unterstützung terroristischer Vereinigungen nicht durch isolierte Einzelhandlungen, sondern in Vereinigung mit anderen erfolgt. Hierin liegt auch kein Fehlen der Unmittelbarkeit der Unterstützungshandlungen.

41

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht sodann nach Auswertung der ihm vorliegenden umfangreichen Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden festgestellt, dass der Kläger über mehrere Jahre in teils hervorgehobener Funktion als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter oder Redner regelmäßig an Veranstaltungen teilgenommen und mitgewirkt hat, bei denen offene Propaganda für die PKK betrieben worden ist (UA Bl. 39 - 42). Unter Einbeziehung der Aktivitäten des Klägers in der Zeit seit 2001, wie sie in der Ausweisungsverfügung (S. 3 - 9, 16 - 23) aufgelistet, vom Kläger nicht in Abrede gestellt und vom Berufungsgericht in Bezug genommen worden sind (UA S. 39 f.), stellt sich das Unterstützungshandeln des Klägers wie folgt dar: Der Kläger war von 2001 bis 2003/2004 Vorsitzender des "Kurdischen Kulturverein e.V." in L., der der KONGRA-GEL nahestand. Im Oktober 2004 wurde er in das 15-köpfige Führungskomitee der "Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland" (YEK-KOM) gewählt und gehörte diesem bis zur Auflösung der YEK-KOM im Jahr 2014 an, zeitweilig (bis 2011) war er der 2. Vorsitzende der Vereinigung. Er hat sich im Juni 2014 in den fünfköpfigen Vorstand der die PKK unterstützenden NAV-DEM wählen lassen und diese Vorstandstätigkeit bis zum Tage der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausgeübt (UA Bl. 43 - 45).

42

Der Kläger beteiligte sich seit Mitte 2003 regelmäßig an Kundgebungen und Demonstrationen in unterschiedlichen deutschen Städten (u.a. Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg, Frankfurt, Gelsenkirchen, Düsseldorf, Stuttgart) und in Straßburg/Frankreich, die sich unter anderem für eine Freilassung des inhaftierten PKK-Führers Öcalan aussprachen, des Gründungsjahrestags der PKK und/oder der "Märtyrer des kurdischen Freiheitskampfes" gedachten und Parolen auf die PKK ausriefen. Der Kläger hielt auf einigen dieser Veranstaltungen eine Rede, im Februar 2007 hob er dabei die Bedeutung der Gefallenen für die kurdische Sache hervor, im Januar 2009 sprach er zur aktuellen Lage der Kurden in ihrer Heimat, im März 2010 kritisierte er die Exekutivmaßnahmen der belgischen Polizei gegenüber dem kurdischen TV-Sender ROJ-TV, im November 2011 sprach er auf einer Kundgebung, die zum Thema u.a. die Verwendung von Napalmgas und chemischer Waffen gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei hatte, im Januar 2013 verurteilte er auf einer Kundgebung die Ermordung von drei PKK-Aktivisten in Paris, im Oktober 2015 hielt er anlässlich einer Protestaktion der NAV-DEM in Frankfurt eine Rede.

43

Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger nicht nur seine individuellen Unterstützungshandlungen, sondern sämtliche Aktionen der YEK-KOM und der NAV-DEM aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied persönlich zuzurechnen sind. Die YEK-KOM, der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK nach den gerichtlichen Feststellungen durch eine Vielzahl von Aktionen. Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen oder ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie "Freiheit für Öcalan" und "Frieden für Kurdistan". Im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die "logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans" verankert. Der Verein biete der PKK oder ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Für die NAV-DEM gilt nach den getroffenen Feststellungen nichts anderes. Der Verein sei keine Neugründung, sondern eine Umbenennung des Vereins YEK-KOM. Im Übrigen werde deutlich, dass die NAV-DEM ihre Veranstaltungen und Kundgebungen mit gleichem Ablauf und gleichen Themen durchführe wie zuvor schon unter dem Namen YEK-KOM. Diese zutreffende Würdigung bedeutet auch nicht, dass jeder Einsatz für die Interessen und Belange kurdischer Volkszugehöriger (oder eine Kritik an der Kurdenpolitik der Türkischen Republik) als eine Unterstützung der PKK und damit des Terrorismus einzuordnen wäre.

44

(cc) Soweit schließlich nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausscheidet, wenn der Ausländer ernsthaft und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt, hat das Berufungsgericht ebenfalls in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der Kläger ausweislich seines auch während des Ausweisungsverfahrens fortgesetzten Engagements als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter und Redner auch künftig an seiner Unterstützung der PKK festhalten wird. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Unterstützerverhalten des Klägers sind detailreich und stellen - entgegen der Auffassung der Revision - keine zu schmale Tatsachengrundlage für die getroffenen Feststellungen dar. Damit erfüllt der Kläger die gesetzlichen Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, und es liegt ein Ausweisungsinteresse vor, das besonders schwer wiegt.

45

3. Die angefochtene Verfügung des Beklagten erfüllt auch die besonderen Voraussetzungen, die nach § 53 Abs. 3 AufenthG an die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings zu stellen sind. Ein solcher darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

46

a) Diese den Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG ergänzende Vorschrift legt erhöhte Ausweisungsvoraussetzungen für mehrere rechtlich privilegierte Personengruppen fest, nämlich für Ausländer, die als Asylberechtigte anerkannt sind, die im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießen, die einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention besitzen, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder die eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU besitzen. Für all diese Personengruppen gilt der besondere aus Art. 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG abgeleitete Maßstab, den der Gerichtshof der Europäischen Union auch auf Ausländer erstreckt hat, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - C-371/08 [ECLI:EU:C:2011:809], Ziebell - Slg. 2011, I-12735 Rn. 79, 86). Der Senat folgt nicht der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, wonach die Voraussetzungen des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 53 Abs. 3 AufenthG von vornherein "bereichsspezifisch" gemäß dem durch das Unionsrecht für den jeweiligen Personenkreis bestimmten Ausweisungsschutz auszulegen sind. Vielmehr hat der Gesetzgeber den unionsrechtlichen Schutzstandard für daueraufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige für ausreichend befunden und dessen Geltung für alle genannten Personengruppen angeordnet. Dies entbindet freilich nicht davon, in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob für die jeweils betrachtete Personengruppe der so durch den nationalen Gesetzgeber definierte Ausweisungsschutz dem unionsrechtlichen Maßstab tatsächlich genügt. Nur wenn der unionsrechtliche Maßstab strenger ist als derjenige, der durch den Gesetzgeber in § 53 Abs. 3 AufenthG festgelegt worden ist, bedarf § 53 Abs. 3 AufenthG nach allgemeinen Grundsätzen einer unionsrechtskonformen Auslegung, die angesichts der Weite der Tatbestandsmerkmale und des erkennbaren gesetzgeberischen Willens, europarechtlichen Maßstäben zu genügen, auch möglich ist (so auch Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 54).

47

Im vorliegenden Fall ist § 53 Abs. 3 AufenthG unionsrechtskonform nach den Vorgaben der EU-Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU auszulegen. Die Richtlinie formuliert keine Vorgaben für eine Ausweisung im Sinne des deutschen Rechts, wohl aber für eine Zurückweisung in den Herkunftsstaat (Art. 21 Abs. 2 und 3) und für den Entzug des Aufenthaltstitels (Art. 24 Abs. 1).

48

b) Nach Art. 21 Abs. 3 der EU-Anerkennungsrichtlinie darf ein Mitgliedstaat den einem Flüchtling erteilten Aufenthaltstitel widerrufen, wenn die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 2 vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 2012 - 1 C 8.11 - BVerwGE 143, 138 Rn. 21). Fällt ein Flüchtling nicht in den Anwendungsbereich von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie, kann auch Abs. 3 dieser Vorschrift nicht zu Anwendung kommen (EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 - Rn. 44). Eine Zurückweisung ist nach Art. 21 Abs. 2 Buchst. a zulässig, wenn es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass der Flüchtling eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält. Es kann offenbleiben, ob vom Kläger eine Gefahr im Sinne dieser Vorschrift ausgeht, denn die Zurückweisung ist nur unter der weiteren Voraussetzung rechtmäßig, dass sie dem Mitgliedstaat nicht aufgrund seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen untersagt ist (Art. 21 Abs. 2). Dazu zählen die Verpflichtungen aus Art. 3 EMRK (vgl. Begründung der Kommission im Richtlinienvorschlag vom 12. September 2001 KOM (2001) 510 endg. S. 33 zu Art. 19). Dem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK kommt absoluter Charakter zu; es kann mithin - anders als das Refoulement-Verbot nach Art. 33 Abs. 1 GFK - nicht unter den Voraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 Richtlinie 2011/95/EU i.V.m. Art. 35 Abs. 2 GFK durchbrochen werden (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 5. April 2016 - C-404/15 und C-659/15 PPU [ECLI:EU:C:2016:198], Aranyosi und Căldăraru - Rn. 85 - 87; EGMR, Urteil vom 17. Dezember 1996 - Nr. 71/1995/577/663, Ahmed/Österreich - NVwZ 1997, 1100 Rn. 39 - 41). Für den Kläger besteht ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK. Denn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat im Anerkennungsbescheid vom 9. Oktober 1997 nicht nur die Flüchtlingseigenschaft des Klägers nach dem seinerzeit maßgeblichen § 51 Abs. 1 AuslG 1990, sondern auch ein Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990 hinsichtlich der Türkei festgestellt und dieses damit begründet, dass dem Kläger in der Türkei unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Diese Feststellung des Bundesamts begründet hier ein - absolutes - nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Insoweit kommt der Feststellung des Bundesamts im vorliegenden Verfahren über § 42 AsylG auch Bindungswirkung zu. Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU begrenzt damit den behördlichen Handlungsspielraum für eine Abschiebung in einen Verfolgerstaat oder einen Staat, in dem Gefahren nach Art. 3 EMRK drohen. Die Vorschrift setzt jedoch keine Maßstäbe für eine lediglich "inlandsbezogene" Ausweisung, die - wie hier - insbesondere den Verlust des Aufenthaltstitels zur Folge hat.

49

c) Unionsrechtliche Maßstäbe für eine zum Verlust des Aufenthaltstitels eines Flüchtlings führende inlandsbezogene Ausweisung lassen sich aus Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie gewinnen. Die Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten, einem Flüchtling so bald wie möglich nach der Anerkennung einen Aufenthaltstitel auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.

50

(aa) Der Inhalt dieser Norm wurde vom Gerichtshof der Europäischen Union in einem auf ein Vorlageersuchen des Berufungsgerichts ergangenen Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) näher bestimmt. Die Entscheidung bezieht sich zwar auf Art. 24 Abs. 1 der EG-Anerkennungsrichtlinie 2004/83/EG, ihre Aussagen sind aber uneingeschränkt auf die in der Sache unveränderte Vorschrift des Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU übertragbar. Danach kann einem Flüchtling nach Art. 24 Abs. 1 nicht nur die Erteilung eines Aufenthaltstitels versagt werden, sondern der erteilte Aufenthaltstitel auch nachträglich widerrufen werden, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen (a.a.O. Rn. 55). Soweit in der Neufassung der Vorschrift nunmehr von zwingenden Gründen der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung die Rede ist, ist damit keine inhaltliche Änderung verbunden. Diese Wirkung einer Entziehung des Aufenthaltstitels kommt der hier verfügten Ausweisung zu, die wegen des entgegenstehenden Abschiebungsverbots nach Art. 3 EMRK nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung führt. Entgegen einer am Wortlaut orientierten Auslegung von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie hat der darin verwendete Begriff der "zwingenden Gründe" nach dem EuGH-Urteil eine weitere Bedeutung als der Begriff der "stichhaltigen Gründe" in Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie. Das bedeutet, dass bestimmte Umstände, die nicht den Schweregrad aufweisen, um eine Zurückweisung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie verfügen zu können, den Mitgliedstaat gleichwohl dazu berechtigen können, auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie dem betroffenen Flüchtling seinen Aufenthaltstitel zu entziehen (a.a.O. Rn. 75).

51

Bei der Bestimmung des Bedeutungsgehalts der "zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" hat der EuGH zunächst Bezug auf seine Rechtsprechung zu den Begriffen der "öffentlichen Sicherheit" und der "öffentlichen Ordnung" in Art. 27 und 28 der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG genommen (a.a.O. Rn. 77 ff.). Danach umfasst der Begriff "öffentliche Sicherheit" im Sinne von Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats. Die öffentliche Sicherheit kann danach berührt sein, wenn das Funktionieren staatlicher Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste beeinträchtigt wird oder eine Gefahr für das Überleben der Bevölkerung oder einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker besteht oder militärische Interessen beeinträchtigt werden. Dabei deutet der Begriff der "zwingenden Gründe" auf einen besonders hohen Schweregrad der Beeinträchtigung hin (a.a.O. Rn. 78). Den Begriff der "öffentlichen Ordnung" hat der EuGH für die Unionsbürgerrichtlinie dahin ausgelegt, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliegen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (a.a.O. Rn. 79). Zugleich betont er, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, nach ihren nationalen Bedürfnissen, die je nach Mitgliedstaat und Zeitpunkt unterschiedlich sein können, zu bestimmen, was die öffentliche Ordnung und Sicherheit erfordern (a.a.O. Rn. 77).

52

Für den Fall der Unterstützung des Terrorismus hat der EuGH zudem auf den 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83/EG, heute 37. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95/EU hingewiesen, wonach der Begriff der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" auch für die Fälle gilt, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt. Dabei muss das nationale Gericht in einem ersten Schritt prüfen, ob die Handlungen der fraglichen Organisation die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedrohen. Wird eine vom Flüchtling unterstützte Vereinigung in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93) geführt, ist dies ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie entweder eine terroristische Organisation ist oder im Verdacht steht, eine solche Organisation zu sein (a.a.O. Rn. 83). Allein der Umstand, dass ein Flüchtling eine solche Organisation unterstützt hat, darf jedoch nicht automatisch zur Aufhebung seines Aufenthaltstitels führen. Vielmehr ist in einem zweiten Schritt einzelfallbezogen die Rolle zu prüfen, die der Betreffende im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt hat (a.a.O. Rn. 90), und auch der Schweregrad der Gefahr zu beurteilen, die von seinen Handlungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (a.a.O. Rn. 92).

53

(bb) Das Berufungsgericht hat die vom Kläger geleisteten und ihm zuzurechnenden Unterstützungshandlungen an dem vom EuGH präzisierten Maßstab für die Auslegung des Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie gemessen und ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass sich hieraus zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ergeben, die einen Entzug des Aufenthaltstitels gegenüber dem Kläger rechtfertigen. Das Gericht hat bereits im Rahmen seiner Prüfung des besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausführlich begründet, warum die PKK eine terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung darstellt (UA S. 27 - 34). Dabei hat es gewürdigt, dass die PKK auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist und auch weiterhin terroristische Aktivitäten entfaltet. In einem zweiten Schritt hat es näher dargelegt, warum die in Deutschland agierenden Vereinigungen YEK-KOM und NAV-DEM, für die der Kläger seit mehr als zwölf Jahren in hervorgehobenen Funktionen wirkte, und der Kläger auch individuell durch Anmeldung und Leitung von Versammlungen sowie Redebeiträge und weitere Aktivitäten die PKK unterstützt haben und weiter unterstützen (UA S. 55, 34 - 48). Die Bewertung des Berufungsgerichts, dass der Kläger damit die Voraussetzungen für den Entzug seines Aufenthaltstitels nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie erfüllt, steht mit der Rechtsprechung des EuGH in Einklang. Zwar hat er selbst keine terroristischen Handlungen begangen, auch nicht andere Personen hierzu angeleitet oder sich an der Planung oder Finanzierung terroristischer Aktionen beteiligt, wie das der EuGH als mögliches Unterstützerhandeln erwähnt (a.a.O. Rn. 90). Diese Aufzählung des Gerichtshofs ist jedoch nur beispielhaft, macht zugleich aber deutlich, dass der Betreffende eine gewichtige Rolle im Rahmen seiner Unterstützung der terroristischen Organisation gespielt haben muss.

54

Bei der Frage, was als gewichtig anzusehen ist, ist der 37. Erwägungsgrund der Richtlinie zu berücksichtigen, wonach auch die Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, und die Unterstützung einer derartigen Vereinigung als Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung anzusehen sind. Die abschließende Bewertung, ob die Unterstützungshandlung hinreichend gewichtig ist, um "zwingende Gründe" darzustellen, überlässt der Gerichtshof dem verantwortlichen nationalen Gericht und erkennt auch einen Einschätzungsspielraum der Mitgliedstaaten an, nach ihren nationalen Bedürfnissen zu bestimmen, was die nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung erfordern. Diese abschließende Bewertung hat das Berufungsgericht dahin getroffen, dass die Unterstützungshandlungen des Klägers dem von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie geforderten Gewicht entsprechen. Es hat dies auf der Grundlage der Gewichtungsvorgabe des nationalen Gesetzgebers in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nachvollziehbar mit dem mehr als zwölfjährigem Unterstützerhandeln des Klägers in hervorgehobener Position innerhalb zweier Vereinigungen begründet, in dessen Rahmen er an zahlreichen Veranstaltungen mitwirkte, an denen sich Akteure beteiligten, die offen für die PKK warben und deren Kurs vorbehaltlos befürworteten (Auftreten in Guerillauniform, Märtyrergedenken, Grußbotschaften an die Kämpfer an der Front usw.). Für das Gewicht seines Unterstützerhandelns durfte das Gericht auch berücksichtigen, dass der Kläger nach den tatrichterlichen Feststellungen in vollem Bewusstsein um dessen Bedeutung für den ideologischen Zusammenhalt der PKK und in dem Willen gehandelt hat, diese vorbehaltlos auch in Bezug auf deren terroristische Aktivitäten zu unterstützen (UA S. 55).

55

(cc) Der EuGH hat in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13 Rn. 95 ff.) aber hervorgehoben, dass ein Flüchtling, dessen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie aufgehoben wird, seinen Flüchtlingsstatus behält, sofern und solange ihm nicht dieser Status entzogen worden ist. Daher ist er auch nach dem Verlust seines Aufenthaltstitels weiterhin Flüchtling und hat in dieser Eigenschaft weiterhin Anspruch auf die Vergünstigungen, die das Kapitel VII der Richtlinie jedem Flüchtling gewährleistet, so insbesondere auf Schutz vor Zurückweisung, auf Wahrung des Familienverbands, auf Ausstellung von Reisedokumenten, auf Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung, zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie auf Zugang zu Integrationsmaßnahmen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift. Diese Rechte dürfen, auch soweit sie nach nationalem Recht an den Besitz eines Aufenthaltstitels anknüpfen, von den zuständigen Behörden daher nicht mit der Begründung versagt werden, dass der Aufenthalt des Flüchtlings infolge der Ausweisung rechtswidrig geworden ist. Allerdings darf die Ausstellung eines Reiseausweises nach Art. 25 EU-Anerkennungsrichtlinie versagt werden, wenn - etwa zur Begegnung der Gefahr terroristischen Unterstützungshandelns - zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung entgegenstehen. Ebenso dürfen nach Art. 33 der Richtlinie aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen verfügt werden, wenn diese aus Gründen der öffentlichen Sicherheit auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern zulässig sind.

56

Eventuelle Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der dem Flüchtling auch nach Entzug des Aufenthaltstitels weiter zustehenden Rechte nach Kapitel VII der EU-Anerkennungsrichtlinie infolge unzureichender Umsetzung der Richtlinie in den einschlägigen nationalen Fachgesetzen berühren nicht die Rechtmäßigkeit der verfügten Ausweisung. An die Beachtung der einen Flüchtling unmittelbar begünstigenden Vorschriften in Kapitel VII der Richtlinie und die hierzu ergangene Rechtsprechung des EuGH sind seit Ablauf der Umsetzungsfrist alle nationalen Behörden gebunden. Der Flüchtling hat seine Rechte gegenüber den jeweils zuständigen Behörden und erforderlichenfalls Gerichten geltend zu machen. Auch die Generalanwältin hat es insoweit als die Pflicht der nationalen Gerichte angesehen, für die volle Wirksamkeit der Bestimmungen der Richtlinie Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede entgegenstehende Vorschrift des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 11. September 2014 - C-373/13 - Rn. 114 letzter Absatz).

57

4. Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen gewichtige Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1, § 55 AufenthG gegenüber. Diese hat das Berufungsgericht zutreffend bestimmt (UA S. 59 f.). Es hat berücksichtigt, dass der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besessen hat, die durch die Ausweisungsverfügung betroffen ist, er mit deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und er sein Personensorgerecht für minderjährige ledige Deutsche ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG).

58

5. Das Berufungsgericht hat das öffentliche Ausweisungsinteresse gegen die Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG unter Berücksichtigung der den Einzelfall prägenden Umstände abgewogen und ist unter Beachtung des hierfür zentralen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass das Ausweisungsinteresse überwiegt (UA S. 60 - 64). Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Gericht hat berücksichtigt, dass der Kläger besonderen Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie genießt, hier allerdings auf absehbare Zeit keine Aufenthaltsbeendigung beabsichtigt ist, da ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht. Es hat seinen langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und seine familiären Bindungen im Sinne von Art. 6 GG, Art. 8 EMRK gewürdigt, diesen durch die Verfügung allerdings insoweit nicht als beeinträchtigt angesehen, als keine Aufenthaltsbeendigung erfolgt. Es hat bei seiner Abwägung berücksichtigt, dass der Kläger in seinen geschützten Bindungen dadurch betroffen ist, dass sein Aufenthalt auf das Gebiet der Stadt M. beschränkt und er Meldeauflagen unterworfen ist. Weitere schützenswerte Bindungen hat das Gericht nicht anerkannt und dies nachvollziehbar damit begründet, dass der Kläger ungeachtet seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland kaum deutsch spricht, nur sporadisch und für kürzere Zeiträume erwerbstätig war und seit längerem von Sozialleistungen abhängig ist. Schließlich hat das Berufungsgericht in die Abwägung eingestellt, dass es der Kläger in der Hand hat, durch eine glaubhafte Abkehr von seinem bisherigen Verhalten eine Aufhebung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu erreichen.

59

6. Ohne Rechtsverstoß wertet das Berufungsurteil die in Ziffer 2 der angefochtenen Verfügung angeordnete Aufenthaltsbeschränkung und die verfügten Meldeauflagen als rechtmäßig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliegt ein Ausländer, gegen den - wie hier - eine Ausweisungsverfügung aufgrund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG besteht, der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Gestützt auf diese Ermächtigung hat der Beklagte bestimmt, dass sich der Kläger zweimal wöchentlich zu melden hat. Ferner hat er den Aufenthalt des Klägers auf den Bereich der Stadt M. beschränkt, wie das § 56 Abs. 2 AufenthG vorsieht, wenn die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft. Diese aufenthaltsbeschränkenden Maßnahmen durften gegenüber dem Kläger trotz dessen Rechtsstellung als Flüchtling ergehen. Dadurch wird sein Recht auf Freizügigkeit gemäß Art. 33 EU-Anerkennungsrichtlinie nicht verletzt. Denn derartige Maßnahmen dürfen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, wie sie hier wegen des Erfordernisses der Abwehr von terrorismusfördernden Aktivitäten vorliegen, auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern verfügt werden (§ 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG).

60

7. Zutreffend ist das Berufungsgericht auch zu dem Ergebnis gekommen, dass die für die Ausweisung des Klägers anwendbaren Regelungen des Ausweisungsrechts nicht gegen assoziationsrechtliche Verschlechterungsverbote aus Art. 13 ARB 1/80, Art. 7 ARB 2/76 und Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen (BGBl. 1972 II S. 385) verstoßen. Dabei kann offenbleiben, ob hier überhaupt eines der Verschlechterungsverbote Anwendung findet. Denn der zum 1. Januar 2016 eingeführte Übergang von einer Ermessensentscheidung zu einer gebundenen Entscheidung stellt keine Verschlechterung der Rechtsstellung des betroffenen Ausländers dar (a). Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung bewirkte zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für betroffene Ausländer, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt (b).

61

a) Die zum 1. Januar 2016 eingeführte Neuregelung des Ausweisungsrechts, die die bisherige Ermessensausweisung durch eine am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte gebundene Ausweisung abgelöst hat, hat die Rechtsstellung der Ausländer in der hier gebotenen und auch unionsrechtlich statthaften Gesamtschau nicht verschlechtert, sondern jedenfalls teilweise verbessert. Denn bisher sah das Gesetz Tatbestände einer zwingenden Ausweisung (Ist-Ausweisung), regelmäßig erfolgenden Ausweisung (Soll-Ausweisung) und Ausweisung nach Ermessen (Kann-Ausweisung) vor. Die zwingende Ausweisung und die regelmäßig erfolgende Ausweisung widersprachen für den Personenkreis der unionsrechtlich privilegierten Ausländer der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach eine Ausweisung ausschließlich auf ein persönliches Verhalten des Ausländers gestützt werden darf, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 [ECLI:EU:C:2004:262], Orfanopoulos und Oliveri - Slg. 2004, I-5257 Rn. 66 f.). Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass eine Regelung gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, wonach eine Ausweisung automatisch aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung verfügt wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird (a.a.O. Rn. 70). Aber auch die nationale Bestimmung über die Regelausweisung hat für den Gerichtshof den Anschein erweckt, dass trotz der Berücksichtigung individueller Umstände ein gewisser Automatismus oder jedenfalls eine Vermutung besteht, dass der betreffende Staatsangehörige auszuweisen ist (a.a.O. Rn. 92).

62

Daraus hat das Bundesverwaltungsgericht die Schlussfolgerung gezogen, dass die gesetzliche Regelung zur zwingenden Ausweisung und Regelausweisung auf unionsrechtlich privilegierte Ausländer nicht mehr angewendet werden darf (BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <302> betreffend Unionsbürger und - 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <321> betreffend Assoziationsberechtigte nach ARB 1/80). Der Gesetzgeber hat daraus durch das zum 1. Januar 2016 in Kraft getretene neue Ausweisungsrecht die Konsequenzen gezogen. Insofern stellt die neue Rechtslage eine Verbesserung gegenüber der bisherigen dar. Eine Ausweisung nach neuem Recht hat eine einzelfallbezogene umfassende Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen und orientiert sich dabei strikt am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 53 Abs. 1 und 2 AufenthG). Damit setzt der Gesetzgeber Vorgaben um, die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 - Rn. 99) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR , Urteil vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 57 - 60) ergeben.

63

Es stellt keine Verschlechterung der Rechtslage für unionsrechtlich privilegierte Ausländer dar, dass ihre Ausweisung nach früherer Rechtslage im Wege einer Ermessensentscheidung erfolgte, nach neuem Recht hingegen im Wege einer rechtlich gebundenen Ausweisung, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Damit entfällt zwar die Möglichkeit, aus Gründen der Zweckmäßigkeit von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen. Auf ein solches Absehen von einer rechts- und ermessensfehlerfrei möglichen Ausweisung hatte der Ausländer aber zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch, auch die gerichtliche Kontrolle war insoweit durch § 114 VwGO eingeschränkt; durch die gesetzliche Neuregelung wird also keine individuelle Rechtsposition beeinträchtigt. Im Übrigen ist für die Beachtung des Verschlechterungsverbots auf die tatsächliche Praxis und nicht allein auf die abstrakte Rechtslage abzustellen. Die Rechtspraxis wurde maßgeblich durch die Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz des Bundesministeriums des Innern vom 26. Oktober 2009 gesteuert. Danach lag die Ausweisungsentscheidung im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde, bei der Ermessensausübung waren das schutzwürdige Interesse des Ausländers am weiteren Verbleib in Deutschland und das öffentliche Interesse an der Ausweisung gegeneinander abzuwägen (Ziffer 55.1.3). Das weist auf eine Rechtspraxis hin, die der heute normierten gebundenen Ausweisung entspricht, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Insofern hat sich die Rechtsstellung des Ausländers nicht verschlechtert.

64

b) Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung hat zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für die betroffenen Ausländer bewirkt, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Die seinerzeitige Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung (§ 54 Nr. 5 AufenthG a.F.) führte zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gegenüber der früheren Rechtslage, die allein den Tatbestand der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland kannte. Durch die Rechtsänderung wurde nun auch die Vorfeldunterstützung des Terrorismus erfasst. Diese ist jedoch mit Blick auf das Verschlechterungsverbot aus Art. 13 ARB 1/80 aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 14 ARB 1/80, jedenfalls aber durch ein zwingendes Allgemeininteresse, namentlich die völkerrechtlich gebotene Terrorismusbekämpfung auch bereits im Vorfeld unmittelbarer terroristischer Handlungen, gerechtfertigt.

65

8. Nach der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG ist über die Länge der Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach Ermessen zu entscheiden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Diese gesetzgeberische Entscheidung ist mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom gleichen Tage - 1 C 27.16 - Rn. 20 ff.). Das Urteil des Senats zur Vorläuferfassung des § 11 AufenthG a.F., wonach eine gebundene Entscheidung zu treffen war (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.), erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihm ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen. Eine solche Ermessensentscheidung hat der Beklagte hier noch nicht getroffen. Vielmehr hat bisher das Verwaltungsgericht das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach der seinerzeit geltenden Rechtslage im Wege einer gebundenen Entscheidung auf acht Jahre festgesetzt.

66

Der Beklagte hat die nach neuem Recht nunmehr gebotene Ermessensentscheidung nachzuholen. Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange.

67

B. Der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellte (weitere) Hilfsantrag, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass dem Kläger auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie, ist unzulässig. Er stellt eine unzulässige Klageerweiterung im Revisionsverfahren dar (§ 142 Abs. 1 VwGO). Im Übrigen bedarf es einer solchen behördlichen Feststellung auch nicht. Aus dem für alle nationalen Behörden verbindlichen EuGH-Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) ergibt sich bis zu einer dem Gesetzgeber vorbehaltenen Anpassung der einschlägigen Fachgesetze hinreichend deutlich, dass dem Kläger - solange er die Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der EU-Anerkennungsrichtlinie genießt - auch die mit dieser Rechtsstellung einhergehenden Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie zustehen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift (vgl. dazu auch die vorstehenden Ausführungen in Rn. 55 f. dieses Urteils).

68

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat gewichtet den gegen die Ausweisung, die Meldeauflage, die Aufenthaltsbeschränkung und die Abschiebungsandrohung gerichteten Anfechtungsantrag mit 4/5 und den auf Befristung zielenden Verpflichtungsantrag mit 1/5 (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 46).

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus Deutschland. Hilfsweise erstrebt er eine neue Entscheidung des Beklagten über die Befristung des mit der Ausweisung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots.

2

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volkszugehörigkeit. Er wurde 1973 in der Türkei geboren, ist verheiratet und hat sieben Kinder. Er reiste 1997 nach Deutschland ein und beantragte hier Asyl, da er in der Türkei wegen seines Engagements in prokurdischen Vereinen und Parteien sowie verwandtschaftlichen Beziehungen zu Guerillakämpfern der sog. Arbeiterpartei Kurdistans - PKK - an Leib und Leben bedroht sei. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) vom 9. Oktober 1997 wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach dem damaligen § 51 Abs. 1 AuslG 1990 zuerkannt und zu seinen Gunsten ein Abschiebungsverbot wegen drohender Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK (damals § 53 Abs. 4 AuslG 1990) festgestellt. Der Kläger ist lediglich sporadisch und für kurze Zeiträume einer Erwerbstätigkeit nachgegangen, gleiches gilt für seine Ehefrau. Er bezieht mit seiner Familie Leistungen nach dem SGB II.

3

Vom 1. April 1998 bis zum 1. Dezember 2009 war der Kläger im Besitz jeweils befristeter Aufenthaltstitel. Am 13. März 2009 teilte das Bundesamt der Ausländerbehörde mit, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 73 Abs. 1 oder 2 AsylVfG nicht vorlägen. Im März 2009 stellte der Kläger bei der Ausländerbehörde der Stadt M. einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Auf Anfrage teilte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg der Ausländerbehörde im Mai 2009 mit, dass hinsichtlich der Person des Klägers "Erkenntnisse" vorlägen, über die das Innenministerium Baden-Württemberg gesondert informiert worden sei. Dessen ungeachtet wurde dem Kläger am 4. Dezember 2009 ohne weitere Mitteilung zum Stand der Sicherheitsüberprüfung eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG erteilt.

4

Das Regierungspräsidium K. teilte dem Kläger mit Schreiben vom 23. Juli 2010 mit, dass die Niederlassungserlaubnis in Unkenntnis der Sicherheitsbedenken erteilt worden sei und derzeit deren Rücknahme und eine Ausweisung geprüft werde. Hierzu werde dem Kläger die Möglichkeit eines Sicherheitsgesprächs zur weiteren Aufklärung gegeben. Dieses fand im Februar 2011 statt; allerdings verweigerte der Kläger mit Ausnahme eines durch ihn ausgefüllten Fragebogens die weitere Mitwirkung.

5

Mit Verfügung vom 10. Januar 2012 wies das Regierungspräsidium K. den Kläger aus (Ziffer 1) und stützte sich dabei auf § 54 Nr. 5, § 56 Abs. 1, § 55 AufenthG a.F. Zudem wurde der Kläger verpflichtet, sich zweimal wöchentlich unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapiers bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, und sein Aufenthalt wurde auf den Bereich der Stadt M. begrenzt (Ziffer 2).

6

Die Ausweisung sei gerechtfertigt, weil Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Kläger Vereinigungen unterstütze, die ihrerseits den Terrorismus unterstützten. So habe der Kläger nach den vorliegenden Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in den Jahren 2001 bis 2010 regelmäßig an näher bezeichneten Veranstaltungen und Demonstrationen der PKK-Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL teilgenommen und sei teilweise auch selbst als Redner bei derartigen Veranstaltungen aufgetreten. Von 2001 bis 2003/2004 sei er Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Kurdischer Kulturverein e.V." in L. gewesen. Außerdem sei er seit langem Vorstandsmitglied und nunmehr sogar zweiter Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM). Die Ausweisung sei trotz des dem Kläger als anerkanntem Flüchtling zustehenden besonderen Ausweisungsschutzes aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt und auch mit Blick auf die Bleibeinteressen des Klägers verhältnismäßig. Sie führe zudem nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung, vielmehr bleibe seine Abschiebung ausgesetzt, da ihr Abschiebungsverbote aufgrund der Rechtsstellung des Klägers als Flüchtling sowie nach § 60 Abs. 5 AufenthG entgegenstünden. Die angeordnete zweimalige wöchentliche Meldepflicht und die räumliche Beschränkung auf den Stadtbezirk M. beruhten auf § 54a AufenthG (a.F.) und seien mit Blick auf die gebotene Überwachung des Klägers und zur Eindämmung seiner gefahrbegründenden Aktivitäten erforderlich und angemessen.

7

Das Verwaltungsgericht hat die gegen die Verfügung gerichtete Klage mit Urteil vom 27. Januar 2015 abgewiesen, zugleich aber den Beklagten verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf acht Jahre nach Ausreise des Klägers zu befristen. Mit Urteil vom 13. Januar 2016 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung zurückgewiesen. Dabei hat er die angefochtene Ausweisungsverfügung an der seit dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung des AufenthG gemessen. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof insbesondere ausgeführt: Im Fall des Klägers liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, weil der Kläger in überwiegend herausgehobener Funktion die PKK und damit eine terroristische oder den Terrorismus unterstützende Vereinigung unterstützt habe. Dabei seien allerdings nur Aktivitäten nach Juli 2010 heranzuziehen, also nach der an den Kläger gerichteten Mitteilung, wegen seiner Aktivitäten werde die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft. Als tatbestandserhebliches Unterstützen sei hiernach jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirke. Nach diesem Maßstab seien die im Urteil im Einzelnen näher bezeichneten und durch den Kläger in der Sache eingeräumten Betätigungen als Teilnehmer, Mitglied, Redner und Versammlungsleiter bei diversen die PKK unterstützenden Veranstaltungen sowie als Vorstandsmitglied der die PKK unterstützenden YEK-KOM und deren Nachfolgeorganisation NAV-DEM als Unterstützungshandlung zu werten. Angesichts des Ablaufs der Veranstaltungen, der dort gehaltenen Reden und der klaren Ausrichtung auf den Führerkult um den PKK-Führer Öcalan sowie gefallene Märtyrer bestünden für das Berufungsgericht keine Zweifel daran, dass sich der Kläger den Zielen der PKK verpflichtet fühle und sie mit seinem Tun unterstützen wolle.

8

Die Ausweisungsverfügung werde auch dem erhöhten Ausweisungsschutz gerecht, der dem Kläger als anerkanntem Flüchtling nach § 53 Abs. 3 AufenthG zustehe. Denn es lägen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU vor, wonach ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel widerrufen werden könne.

9

Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse stehe ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber. Denn er habe eine Niederlassungserlaubnis besessen, die gerade durch die Ausweisungsverfügung betroffen sei. Er lebe mit deutschen Familienangehörigen (sechs seiner Kinder) in familiärer Lebensgemeinschaft und übe sein Personensorgerecht für seine minderjährigen Kinder aus. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung überwiege jedoch das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers.

10

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Revision und rügt in mehrfacher Hinsicht eine Verletzung von Bundesrecht. Zunächst habe das Berufungsgericht den Begriff des "Unterstützens" in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG fehlerhaft ausgelegt und angewandt. Der von ihm in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht angewandte Unterstützungsbegriff sei rechtsstaatlich nicht hinreichend konkret. Jedenfalls auf der Grundlage des neuen, seit Jahresanfang 2016 geltenden Ausweisungsrechts, das nach "schwerwiegenden" und "besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen" differenziere, sei dieser Unterstützungsbegriff nicht mehr als Abgrenzungskriterium geeignet. Notwendig sei ein gefahrenabwehrrechtlich ausgerichteter Unterstützungsbegriff, der sich etwa in Anlehnung an strafrechtliche Zurechnungskriterien wie Anstiftung oder Beihilfe oder die im Strafrecht für Organisationsdelikte entwickelten Zurechnungskriterien gewinnen lassen könne.

11

Fehlerhaft sei zudem die Auslegung und Anwendung von § 53 Abs. 3 AufenthG im Hinblick auf die sich aus Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie ergebenden Voraussetzungen. Denn das Berufungsgericht habe weder festgestellt, dass der Kläger unmittelbar der PKK angehöre, noch dass sich die YEK-KOM oder die NAV-DEM selbst terroristischer Methoden bedienten. Weiterhin verkenne das Berufungsgericht die durch den Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) aufgestellten Anforderungen an die festzustellenden Unterstützungshandlungen. Danach sei insbesondere zu prüfen, ob der Betroffene selbst terroristische Handlungen begangen habe, ob und in welchem Maße er an der Planung, an Entscheidungen oder an der Anleitung anderer Personen zum Zwecke der Begehung solcher Handlungen beteiligt war und ob und in welchem Umfang er solche Handlungen finanziert oder anderen Personen die Mittel für ihre Begehung verschafft habe. Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts habe der EuGH damit nicht lediglich beispielhaft die in den maßgeblichen Vorlagefragen des Ausgangsverfahrens vorgehaltenen Handlungen herausgegriffen, sondern in einem abschließenden Sinne bestimmte Kriterien vorgegeben.

12

Weiter setze der Gefahrenbegriff des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine "konkrete Gefahr" voraus. Weder der Wortlaut noch die der Vorschrift zugrunde liegende Entstehungsgeschichte rechtfertigten eine Absenkung dieser Gefahrenschwelle. Das Berufungsgericht hätte daher prüfen müssen, ob der Kläger die für die objektive Unterstützung zu Grunde gelegten Tatsachen und Umstände gekannt und eine zweckgerichtete Unterstützung auch gewollt habe.

13

Schließlich habe das Berufungsgericht verkannt, dass dem Kläger nach dem Urteil des EuGH vom 24. Juni 2015 selbst dann, wenn ihm der Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie entzogen werden dürfe, für die Zeit der Fortdauer seines Flüchtlingsstatus die Rechte nach Kapitel VII dieser Richtlinie erhalten bleiben. Deshalb beantragte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hilfsweise, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass ihm auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie.

14

Der Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und tritt der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bei.

15

Während des Revisionsverfahrens hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 20. Oktober 2016 die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes für den Kläger widerrufen und entschieden, ihm weder die Flüchtlingseigenschaft noch den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Gegen den Bescheid hat der Kläger Klage erhoben.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist im Wesentlichen unbegründet. Das Berufungsgericht hat die Ausweisung des Klägers und die ihm auferlegte Meldepflicht und Aufenthaltsbeschränkung im Ergebnis zu Recht als rechtmäßig eingestuft. Allerdings war auf der Grundlage der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG der Beklagte zu einer nunmehr gebotenen Ermessensentscheidung über die festzusetzende Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG zu verpflichten.

17

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren des Klägers auf Aufhebung der Ausweisung (Ziffer 1 des Bescheids) sowie der Meldeauflagen und Aufenthaltsbeschränkung (Ziffer 2 des Bescheids). Aber auch der Streit über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs - im Berufungsverfahren und anschließend im Revisionsverfahren angefallen. Denn das Befristungsbegehren ist als Minus notwendiger Bestandteil des Begehrens auf Aufhebung einer Ausweisung und kann daher von den Parteien nicht gesondert aus dem Verfahren ausgegliedert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 28 ff.). Hiervon sind im Übrigen vorliegend auch die Parteien übereinstimmend ausgegangen.

18

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der Meldepflicht und der Aufenthaltsbeschränkung sowie der vom Kläger hilfsweise begehrten Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 8 m.w.N.). Der Entscheidung sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162) zugrunde zu legen, zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155).

19

A. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG, weil der Kläger anerkannter Flüchtling ist.

20

1. Nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht ergibt sich der Grundtatbestand der Ausweisung aus § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

21

Das neue Ausweisungsrecht gibt das mit dem Ausländergesetz 1990 eingeführte dreistufige Konzept der Ist-, Regel- und Kann-Ausweisung auf. Stattdessen hat sich der Gesetzgeber für ein einheitliches System der rechtlich gebundenen Ausweisung entschieden ("wird ausgewiesen"), das vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. § 54 AufenthG benennt konkret die Gründe, wann das Ausweisungsinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt und knüpft damit an Tatbestände der früheren Ist- und Regelausweisung an. In § 55 AufenthG werden - spiegelbildlich hierzu - Tatbestände normiert, denen zufolge das Bleibeinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt, wobei auch die Aufzählung der "schwer" wiegenden Bleibeinteressen nicht abschließend ist. In § 53 Abs. 2 AufenthG werden Gesichtspunkte genannt, die bei der Abwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sind, insbesondere die Dauer des Aufenthalts, Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, Folgen der Ausweisung für Angehörige und Partner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat.

22

Die Rechtsprechung des Senats, die ihrerseits Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aufgreift (vgl. Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <301 ff.> und vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 14 ff.), hat bei der Entwicklung des neuen Ausweisungsrechts eine entscheidende Rolle gespielt (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 25. Februar 2015, BT-Drs. 18/4097 S. 49). Dabei griff der Gesetzgeber Vorschläge zur Neuregelung des Ausweisungsrechts auf, die Vertreter der Rechtsprechung unterbreitet haben (vgl. Dörig, NVwZ 2010, 921 <922>; Bergmann, ZAR 2013, 318 <322> sowie Gesetzesvorschlag Bergmann/Dörig vom Januar 2014, veröffentlicht in: Barwig u.a., Steht das europäische Migrationsrecht unter Druck?, 2014, S. 111 f.). Die Ausweisung setzt nunmehr nach § 53 Abs. 1 AufenthG eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Sofern nach dieser Gesamtabwägung das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib in Deutschland überwiegt, wird der Ausländer ausgewiesen, andernfalls kommt eine Aufenthaltsbeendigung nach § 53 Abs. 1 AufenthG nicht in Betracht.

23

Die Tatbestandsmerkmale der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" im ausweisungsrechtlichen Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG sind nach der Begründung des Gesetzgebers im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Auch die Gefährdung dieser Schutzgüter bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten wird. Mit Blick auf die verwendeten Begriffe sollte keine Ausweitung des Gefahrenbegriffs gegenüber dem bislang geltenden Recht erfolgen, vielmehr sollten lediglich die bislang verwandten unterschiedlichen Formulierungen aneinander angeglichen werden. Die von § 53 Abs. 1 AufenthG geforderte Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers in Deutschland erfolgt dabei nach der Intention des Gesetzgebers nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar.

24

Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" (Absatz 1) oder als "schwerwiegend" (Absatz 2). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sind neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Interessen aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Die Katalogisierung schließt demnach die Berücksichtigung weiterer Umstände im Rahmen der nach § 53 Abs. 2 AufenthG zu treffenden Abwägungsentscheidung nicht aus. Dies folgt bereits aus dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG, ist aber für die schwerwiegenden, aufgrund der Vielgestaltigkeit der Lebenssituationen bewusst nicht abschließend aufgezählten Bleibeinteressen in § 55 Abs. 2 AufenthG nochmals ausdrücklich normiert. Die nunmehr als schwerwiegend oder besonders schwerwiegend qualifizierten Ausweisungsinteressen im Sinne von § 54 AufenthG decken sich weitgehend - aber nicht vollständig - mit den früheren Gründen für eine Regel- und Ist-Ausweisung, die schwerwiegenden und besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen greifen Fälle des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 AufenthG a.F. auf.

25

Bei der Abwägung sind schließlich gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht ("Boultif/Üner-Kriterien"). Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen.

26

Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht.

27

2. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG festgestellt. Ein solches liegt dann vor, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wobei hiervon u.a. dann auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Ausländer einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er (jedenfalls) eine solche Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, er nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.

28

a) Der Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist dem Wortlaut nach weitgehend an den früheren Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung angelehnt, auf den die Ausweisungsverfügung auch ursprünglich gestützt war. Das Berufungsgericht hat für die Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu Recht dieselben rechtlichen Maßstäbe herangezogen, die der Senat zur Auslegung des früheren Regelausweisungstatbestandes nach § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung entwickelt hat.

29

In der Rechtsprechung des Senats war die Auslegung des Regelausweisungstatbestands des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung weitgehend geklärt. So ist anerkannt, dass eine Vereinigung den Terrorismus unterstützt, wenn sie sich selbst terroristisch betätigt oder wenn sie die Begehung terroristischer Taten durch Dritte veranlasst, fördert oder befürwortet. Die Schwelle der Strafbarkeit muss dabei nicht überschritten sein, da die Vorschrift der präventiven Gefahrenabwehr dient und auch die Vorfeldunterstützung durch sogenannte Sympathiewerbung erfasst. Der Tatbestand des Unterstützens des Terrorismus durch eine Vereinigung setzt allerdings voraus, dass die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung (auch) auf die Unterstützung des Terrorismus gerichtet sind; ein bloßes Ausnutzen der Strukturen einer Vereinigung durch Dritte in Einzelfällen reicht hierfür nicht aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 20 ff. und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 13 ff.).

30

Für den im Gesetz verwandten Begriff des Terrorismus sind Versuche, auf völkerrechtlicher Ebene eine allgemein anerkannte vertragliche Definition zu entwickeln, nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen. Jedoch können wesentliche Kriterien aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft im Beschluss des Rates Nr. 2002/475/JI vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (ABl. L 164 S. 3) sowie dem gemeinsamen Standpunkt des Rates 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001 (ABl. L 344 S. 93) gewonnen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die Aufnahme einer Organisation in die vom Rat der Europäischen Union angenommene Liste terroristischer Organisationen im Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93 - vgl. auch ABl. L 116 vom 3. Mai 2002, S. 75) ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass die Organisation terroristischer Art ist oder im Verdacht steht, eine solche zu sein (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 [ECLI:EU:C:2015:413], H.T./Land Baden-Württemberg - Rn. 83). Hier sind von den Tatsachengerichten ergänzende Feststellungen zu treffen. Dabei ist trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs anerkannt, dass als terroristisch jedenfalls der Einsatz gemeingefährlicher Waffen und Angriffe auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen sind (Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>, vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 19 und Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 10 C 48.07 - BVerwGE 132, 79 <87> m.w.N.).

31

Weiterhin ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass die individuelle Unterstützung einer terroristischen Vereinigung oder einer Vereinigung, die eine terroristische Vereinigung unterstützt, im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. alle Verhaltensweisen erfasst, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeit der Vereinigung auswirken. Darunter kann die Mitgliedschaft in der terroristischen oder in der unterstützenden Vereinigung ebenso zu verstehen sein wie eine Tätigkeit für eine solche Vereinigung ohne gleichzeitige Mitgliedschaft. Auch die bloße Teilnahme an Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen kann eine Unterstützung in diesem Sinne darstellen, wenn sie geeignet ist, eine positive Außenwirkung im Hinblick auf die durch § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. missbilligten Ziele zu entfalten. Auf einen nachweisbaren oder messbaren Nutzen für diese Ziele kommt es nicht an, ebenso wenig auf die subjektive Vorwerfbarkeit der Unterstützungshandlungen. Im Hinblick auf den Schutz der Meinungsfreiheit und das Gebot der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Betätigungsfreiheit des Einzelnen erfüllen allerdings solche Handlungen den Tatbestand der individuellen Unterstützung nicht, die erkennbar nur auf einzelne, mit terroristischen Zielen und Mitteln nicht im Zusammenhang stehende - etwa humanitäre oder politische - Ziele der Vereinigung gerichtet sind. Für den Ausländer muss schließlich die eine Unterstützung der Vereinigung, ihrer Bestrebungen oder ihrer Tätigkeit bezweckende Zielrichtung seines Handelns erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auf eine darüber hinaus gehende innere Einstellung des Ausländers kommt es hingegen nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 15 und 18 m.w.N.).

32

Diese vom Senat zur Auslegung von § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. entwickelten Grundsätze lassen sich entgegen dem Vorbringen der Revision auch auf den Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung nach dem neu gefassten § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG übertragen. Ein Vergleich der Textfassungen ergibt, dass der Gesetzgeber die früheren Regelausweisungstatbestände nach § 54 Nr. 5, 5a und 5b AufenthG a.F. in der neuen Vorschrift des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zusammengefasst hat, wobei unter den vorliegenden Umständen die Fälle staatsgefährdender Gewalttaten nach § 89a StGB außer Betracht bleiben können. Gegenüber dem früheren Recht ist der Hinweis entfallen, dass eine Ausweisung auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen nur gestützt werden kann, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Eine Änderung der materiellen Rechtslage ist damit aber nicht verbunden, da auch nach neuem Recht eine fortbestehende Gefahr erforderlich ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ("gefährdet") und ist implizit auch dem neuen Zusatz in § 54 Abs. 1 Nr. 2 letzter Halbsatz AufenthG zu entnehmen, wonach von einer Gefährdung nicht auszugehen ist, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt.

33

Den Gesetzgebungsmaterialien ist nichts dafür zu entnehmen, dass sich der Gesetzgeber hinsichtlich des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung für eine Abkehr von dem bisherigen Verständnis des Ausweisungstatbestandes hat entscheiden wollen. Zwar hat er in Satz 2 einen Halbsatz neu eingefügt, wonach ein Unterstützen nicht vorliegt, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt. Das stellt jedoch keine inhaltliche Änderung des Unterstützerbegriffs dar, sondern normiert lediglich ein in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits entwickeltes Kriterium zur individuellen Zurechnung eines Unterstützerverhaltens. Denn der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die objektive Tatsache der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in der Vergangenheit dem Ausländer dann nicht mehr zugerechnet werden kann, wenn er sich glaubhaft hiervon distanziert (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <131>, vom 30. April 2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 35 und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 17). Die nunmehr normierten Tatbestandsmerkmale lassen keine Abkehr von der Senatsrechtsprechung erkennen, denn ein "erkennbares Abstandnehmen" vom sicherheitsgefährdenden Handeln entspricht dem Distanzieren im Sinne der Senatsrechtsprechung. Allerdings findet sich in der Begründung zu dieser Neuregelung die Aussage, die Möglichkeit der "Exkulpation" zeige, dass der Betroffene Kenntnis davon gehabt haben müsse, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstütze, der "undolose Unterstützer" daher nicht unter die Regelung falle (BT-Drs. 18/4097 S. 51). Aus diesem Satz in der Gesetzesbegründung könnte man ableiten, der Gesetzgeber habe eine Regelung treffen wollen, nach der für die subjektive Seite des Unterstützens mehr erforderlich ist (Vorsatz) als nach dem bisherigen Verständnis (Erkennbarkeit). Wäre dies tatsächlich so Gesetz geworden, hätte dies eine nicht unerhebliche Einschränkung der Rechtsprechung zur subjektiven Zurechnung bedeutet, nach der es ausreicht, dass der Ausländer erkennen konnte, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstützt. Die Begründung hat jedoch im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden, denn nach diesem wird Vorsatz im Hinblick auf die terroristische Betätigung der unterstützten Vereinigung nicht verlangt. Es reicht somit auch für die Erfüllung des subjektiven Unterstützertatbestands weiterhin die Erkennbarkeit einer terroristischen Betätigung der Vereinigung aus. Vorsatz bleibt hingegen weiter erforderlich für das eigene Handeln des Ausländers, das von dem Ziel geleitet sein muss, die Vereinigung zu unterstützen. Für diese Auslegung spricht auch, dass der Gesetzgeber der Vorfeldunterstützung des Terrorismus durch die Gesetzesänderung erhöhte Bedeutung beimessen wollte, indem er den bisher als Tatbestand für eine Regelausweisung normierten Ausweisungsgrund zu einem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 AufenthG heraufstufte, was im bisherigen Recht dem Tatbestand einer zwingenden Ausweisung entsprochen hätte. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass das stärkere Gewicht, das der Gesetzgeber diesem Ausweisungsinteresse beimessen wollte (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 23), mit einer engeren Interpretation seiner Tatbestandsmerkmale einhergehen sollte.

34

Eine vom früheren Begriffsverständnis abweichende Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass dieser bisher eigenständige Tatbestand nunmehr in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG funktional mit einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verknüpft wird ("hiervon ist auszugehen, wenn"). Vielmehr ergibt eine systematische Auslegung der Vorschrift, dass der Inhalt des Ausweisungstatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung unverändert geblieben ist, während der Begriff der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland eine Erweiterung erfahren hat. Denn der Gesetzgeber hat mit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr kraft Gesetzes definiert, wann von einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen ist, nämlich (jedenfalls) dann, wenn eine der dort genannten Tatbestandsalternativen erfüllt ist. Die Auslegung des Begriffs der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland richtet sich daher (auch) nach diesen Tatbestandsalternativen, nicht umgekehrt. Anderes lässt sich hinsichtlich des Gefahrenmaßstabs auch nicht der Regelung des § 53 Abs. 1 AufenthG entnehmen. Denn anders als bei den übrigen Ausweisungsinteressen hat der Gesetzgeber in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG das Erfordernis einer Gefahr (nochmals) ausdrücklich aufgeführt, was unter systematischen Gesichtspunkten für eine gewisse Eigenständigkeit des Gefahrentatbestandes gegenüber § 53 Abs. 1 AufenthG fruchtbar gemacht werden kann. Es gilt damit nunmehr, dass das Gesetz bereits die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Bundesgebiet als eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ansieht, unabhängig davon ob die terroristische Vereinigung Gewaltakte auch auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland oder gegen deutsche Einrichtungen im Ausland begeht. Weiterhin gilt jedenfalls für die Fälle des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ein abgesenkter Gefahrenmaßstab, der auch Vorfeldmaßnahmen erfasst und keine von der Person des Unterstützers ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefahr erfordert. Die Rechtsprechung des Senats zur Unterstützung des Terrorismus durch Handlungen in dessen Vorfeld hat dem Rechnung zu tragen und dabei auch die Bedeutung zu berücksichtigen, die der Unionsgesetzgeber dieser Vorfeldunterstützung durch den Erwägungsgrund 37 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 S. 9) - EU-Anerkennungsrichtlinie - beimisst.

35

Ein Anlass für eine verfassungsrechtliche Neubewertung des Gefahrenmaßstabs besteht entgegen dem umfangreichen Revisionsvorbringen nicht. In der Rechtsprechung des Senats ist seit dem Urteil zum Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus - Terrorismusbekämpfungsgesetz - vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361, 3142) anerkannt, dass der Unterstützungsbegriff weit auszulegen und anzuwenden ist, um damit der auch völkerrechtlich begründeten Zielsetzung des Gesetzes gerecht zu werden, dem Terrorismus schon im Vorfeld die logistische Basis zu entziehen (BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <127 ff.>). Maßgeblich ist, inwieweit das festgestellte Verhalten des Einzelnen zu den latenten Gefahren der Vorfeldunterstützung des Terrorismus nicht nur ganz unwesentlich oder geringfügig beiträgt und deshalb selbst potenziell gefährlich erscheint. Wegen der tatbestandlichen Weite des Unterstützungsbegriffs ist allerdings bei der Anwendung der Vorschrift darauf zu achten, dass nicht unverhältnismäßig namentlich in das auch Ausländern zustehende Recht auf freie Meinungsäußerung jenseits der zumindest mittelbaren Billigung terroristischer Bestrebungen eingegriffen wird. Einen bislang nicht berücksichtigten verfassungsrechtlichen Rechtssatz, der den so umschriebenen Ausgleich zwischen dem legitimen und schon wegen seiner völkerrechtlichen Vorgaben besonders gewichtigen gesetzgeberischen Ziel der Terrorismusbekämpfung und den geschützten Grundrechtspositionen eines Ausländers infrage stellen würde, zeigt die Revision nicht auf. Insbesondere sprechen der Charakter der Ausweisung als Maßnahme der Gefahrenabwehr sowie die spezifische Zielsetzung der Terrorismusbekämpfung gegen eine Übertragung strafrechtlicher Rechtsprechungsgrundsätze, wie sie etwa für die Abgrenzung strafbarer und straffreier Meinungsäußerungen gelten. Der Senat hält auch unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an seiner bisherigen Rechtsprechung fest.

36

b) Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG angenommen. Dies gilt sowohl für die Qualifizierung der PKK als terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung (aa) als auch - jedenfalls im Ergebnis - für die Qualifizierung der Handlungen des Klägers als relevante Unterstützungshandlungen (bb). Ebenso wenig zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen hat (cc).

37

(aa) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Qualifizierung der PKK als eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Das Gericht legt seiner Entscheidung die in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze für die Definition einer terroristischen Vereinigung zugrunde (UA Bl. 27 f.) und geht damit von einem zutreffenden Maßstab aus. Für die Bewertung der PKK als eine solche Vereinigung hat das Gericht zunächst darauf abgestellt, dass sie auch noch aktuell auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist, ohne diesem Umstand eine über einen deutlichen Anhaltspunkt hinausgehende Bedeutung beizumessen (UA Bl. 31). Hieran anknüpfend hat das Berufungsgericht sodann auf der Grundlage der ihm vorliegenden Erkenntnismittel festgestellt, dass die PKK zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele in der Türkei weiterhin Gewalttaten gegen staatliche Einrichtungen und Amtsträger sowie die Zivilbevölkerung verübt und im Übrigen etwa zur Finanzierung ihrer Aktivitäten oder zur Bekämpfung von Kritikern auch nicht vor Verbrechen gegenüber ihren eigenen Anhängern und auch darüber hinaus gegenüber der kurdischstämmigen Bevölkerung insgesamt zurückschreckt. Insbesondere sei die zwischen dem türkischen Staat und der PKK ausgehandelte (relative) Waffenruhe seitens der PKK zuletzt Ende Juli 2015 ausdrücklich aufgekündigt worden (UA Bl. 32 f.). Diese tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts sind von der Revision nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen worden und daher für den Senat bindend. Sie erlauben dem Senat zudem eine eigene rechtliche Bewertung des Inhalts, dass die PKK eine terroristische Vereinigung darstellt und nicht lediglich eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung.

38

(bb) Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist auch die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, dass der Kläger die PKK in rechtserheblicher Weise individuell unterstützt hat. Allerdings ist das Gericht unter Verstoß gegen Bundesrecht davon ausgegangen, dass zu Lasten des Klägers nur solche Unterstützungshandlungen berücksichtigt werden dürfen, die in zeitlicher Hinsicht nach der Mitteilung des Regierungspräsidiums vom Juli 2010 lagen, wonach eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft würden.

39

Das Berufungsgericht ist insoweit rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass ein Ausweisungsinteresse bereits dann aus Gründen des Vertrauensschutzes verbraucht ist und nicht mehr zur Begründung einer Ausweisung herangezogen werden kann, wenn ein Aufenthaltstitel in Kenntnis oder dem Staat zuzurechnender Unkenntnis erteilt oder verlängert wurde (UA S. 34 f.). Zwar ist in der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich anerkannt ist, dass Ausweisungsgründe in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und so lange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind und die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <313> und vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <121 f.>). Aus der Ableitung dieser Kriterien aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt jedoch, dass die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Aus der Rechtsprechung des Senats ergibt sich zudem, dass ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers schützenswert sein muss. Hieran fehlt es, wenn die Ausländerbehörde - wie vorliegend - dem Kläger auf dessen Anfrage zum Stand des Verfahrens auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis lediglich mitteilt, dass gegenwärtig noch eine Sicherheitsüberprüfung stattfinde, und dann zu einem späteren Zeitpunkt ohne jegliche Erläuterung zum Ausgang der Sicherheitsüberprüfung die begehrte Niederlassungserlaubnis erteilt. Auf dieser Grundlage kann der Betroffene nämlich weder wissen, welchen konkreten Umständen die Ausländerbehörde im Rahmen ihrer Sicherheitsüberprüfung nachgegangen ist, noch zu welchen konkreten Erkenntnissen sie hierbei nach Abschluss der Überprüfung gelangt ist. Daher kann der Betroffene aus der Erteilung der Niederlassungserlaubnis billigerweise auch nicht schließen, dass die Ausländerbehörde bei ihrer Sicherheitsüberprüfung alle als potentielle Versagungsgründe in Betracht kommenden Umstände tatsächlich ermittelt und sodann als für die Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis unbeachtlich eingestuft hat.

40

Das angefochtene Urteil beruht jedoch nicht auf diesem Rechtsverstoß, weil das Berufungsgericht auch ohne Berücksichtigung der vor dem für maßgeblich erachteten Zeitpunkt liegenden Umstände von rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen des Klägers ausgegangen ist und die diesbezüglichen Feststellungen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sind. Im Übrigen wäre der Kläger durch die Nichtberücksichtigung weiterer, ihn belastender Umstände auch nicht beschwert. Im Einzelnen hat das Berufungsgericht für die Bestimmung der rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen zutreffend auf die in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäbe zu § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung abgestellt (UA Bl. 35 ff.). Keine abweichende Beurteilung ergibt sich aus dem Einwand des Klägers, die PKK nicht unmittelbar unterstützt zu haben, sondern sich in legalen Vereinigungen betätigt zu haben, die ihrerseits die PKK im Wissen um deren Charakter gewollt und gezielt unterstützen. Denn es stellt keine verminderte Gefahr der Vorfeldunterstützung des Terrorismus dar, wenn die Unterstützung terroristischer Vereinigungen nicht durch isolierte Einzelhandlungen, sondern in Vereinigung mit anderen erfolgt. Hierin liegt auch kein Fehlen der Unmittelbarkeit der Unterstützungshandlungen.

41

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht sodann nach Auswertung der ihm vorliegenden umfangreichen Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden festgestellt, dass der Kläger über mehrere Jahre in teils hervorgehobener Funktion als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter oder Redner regelmäßig an Veranstaltungen teilgenommen und mitgewirkt hat, bei denen offene Propaganda für die PKK betrieben worden ist (UA Bl. 39 - 42). Unter Einbeziehung der Aktivitäten des Klägers in der Zeit seit 2001, wie sie in der Ausweisungsverfügung (S. 3 - 9, 16 - 23) aufgelistet, vom Kläger nicht in Abrede gestellt und vom Berufungsgericht in Bezug genommen worden sind (UA S. 39 f.), stellt sich das Unterstützungshandeln des Klägers wie folgt dar: Der Kläger war von 2001 bis 2003/2004 Vorsitzender des "Kurdischen Kulturverein e.V." in L., der der KONGRA-GEL nahestand. Im Oktober 2004 wurde er in das 15-köpfige Führungskomitee der "Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland" (YEK-KOM) gewählt und gehörte diesem bis zur Auflösung der YEK-KOM im Jahr 2014 an, zeitweilig (bis 2011) war er der 2. Vorsitzende der Vereinigung. Er hat sich im Juni 2014 in den fünfköpfigen Vorstand der die PKK unterstützenden NAV-DEM wählen lassen und diese Vorstandstätigkeit bis zum Tage der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausgeübt (UA Bl. 43 - 45).

42

Der Kläger beteiligte sich seit Mitte 2003 regelmäßig an Kundgebungen und Demonstrationen in unterschiedlichen deutschen Städten (u.a. Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg, Frankfurt, Gelsenkirchen, Düsseldorf, Stuttgart) und in Straßburg/Frankreich, die sich unter anderem für eine Freilassung des inhaftierten PKK-Führers Öcalan aussprachen, des Gründungsjahrestags der PKK und/oder der "Märtyrer des kurdischen Freiheitskampfes" gedachten und Parolen auf die PKK ausriefen. Der Kläger hielt auf einigen dieser Veranstaltungen eine Rede, im Februar 2007 hob er dabei die Bedeutung der Gefallenen für die kurdische Sache hervor, im Januar 2009 sprach er zur aktuellen Lage der Kurden in ihrer Heimat, im März 2010 kritisierte er die Exekutivmaßnahmen der belgischen Polizei gegenüber dem kurdischen TV-Sender ROJ-TV, im November 2011 sprach er auf einer Kundgebung, die zum Thema u.a. die Verwendung von Napalmgas und chemischer Waffen gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei hatte, im Januar 2013 verurteilte er auf einer Kundgebung die Ermordung von drei PKK-Aktivisten in Paris, im Oktober 2015 hielt er anlässlich einer Protestaktion der NAV-DEM in Frankfurt eine Rede.

43

Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger nicht nur seine individuellen Unterstützungshandlungen, sondern sämtliche Aktionen der YEK-KOM und der NAV-DEM aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied persönlich zuzurechnen sind. Die YEK-KOM, der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK nach den gerichtlichen Feststellungen durch eine Vielzahl von Aktionen. Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen oder ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie "Freiheit für Öcalan" und "Frieden für Kurdistan". Im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die "logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans" verankert. Der Verein biete der PKK oder ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Für die NAV-DEM gilt nach den getroffenen Feststellungen nichts anderes. Der Verein sei keine Neugründung, sondern eine Umbenennung des Vereins YEK-KOM. Im Übrigen werde deutlich, dass die NAV-DEM ihre Veranstaltungen und Kundgebungen mit gleichem Ablauf und gleichen Themen durchführe wie zuvor schon unter dem Namen YEK-KOM. Diese zutreffende Würdigung bedeutet auch nicht, dass jeder Einsatz für die Interessen und Belange kurdischer Volkszugehöriger (oder eine Kritik an der Kurdenpolitik der Türkischen Republik) als eine Unterstützung der PKK und damit des Terrorismus einzuordnen wäre.

44

(cc) Soweit schließlich nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausscheidet, wenn der Ausländer ernsthaft und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt, hat das Berufungsgericht ebenfalls in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der Kläger ausweislich seines auch während des Ausweisungsverfahrens fortgesetzten Engagements als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter und Redner auch künftig an seiner Unterstützung der PKK festhalten wird. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Unterstützerverhalten des Klägers sind detailreich und stellen - entgegen der Auffassung der Revision - keine zu schmale Tatsachengrundlage für die getroffenen Feststellungen dar. Damit erfüllt der Kläger die gesetzlichen Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, und es liegt ein Ausweisungsinteresse vor, das besonders schwer wiegt.

45

3. Die angefochtene Verfügung des Beklagten erfüllt auch die besonderen Voraussetzungen, die nach § 53 Abs. 3 AufenthG an die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings zu stellen sind. Ein solcher darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

46

a) Diese den Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG ergänzende Vorschrift legt erhöhte Ausweisungsvoraussetzungen für mehrere rechtlich privilegierte Personengruppen fest, nämlich für Ausländer, die als Asylberechtigte anerkannt sind, die im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießen, die einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention besitzen, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder die eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU besitzen. Für all diese Personengruppen gilt der besondere aus Art. 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG abgeleitete Maßstab, den der Gerichtshof der Europäischen Union auch auf Ausländer erstreckt hat, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - C-371/08 [ECLI:EU:C:2011:809], Ziebell - Slg. 2011, I-12735 Rn. 79, 86). Der Senat folgt nicht der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, wonach die Voraussetzungen des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 53 Abs. 3 AufenthG von vornherein "bereichsspezifisch" gemäß dem durch das Unionsrecht für den jeweiligen Personenkreis bestimmten Ausweisungsschutz auszulegen sind. Vielmehr hat der Gesetzgeber den unionsrechtlichen Schutzstandard für daueraufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige für ausreichend befunden und dessen Geltung für alle genannten Personengruppen angeordnet. Dies entbindet freilich nicht davon, in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob für die jeweils betrachtete Personengruppe der so durch den nationalen Gesetzgeber definierte Ausweisungsschutz dem unionsrechtlichen Maßstab tatsächlich genügt. Nur wenn der unionsrechtliche Maßstab strenger ist als derjenige, der durch den Gesetzgeber in § 53 Abs. 3 AufenthG festgelegt worden ist, bedarf § 53 Abs. 3 AufenthG nach allgemeinen Grundsätzen einer unionsrechtskonformen Auslegung, die angesichts der Weite der Tatbestandsmerkmale und des erkennbaren gesetzgeberischen Willens, europarechtlichen Maßstäben zu genügen, auch möglich ist (so auch Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 54).

47

Im vorliegenden Fall ist § 53 Abs. 3 AufenthG unionsrechtskonform nach den Vorgaben der EU-Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU auszulegen. Die Richtlinie formuliert keine Vorgaben für eine Ausweisung im Sinne des deutschen Rechts, wohl aber für eine Zurückweisung in den Herkunftsstaat (Art. 21 Abs. 2 und 3) und für den Entzug des Aufenthaltstitels (Art. 24 Abs. 1).

48

b) Nach Art. 21 Abs. 3 der EU-Anerkennungsrichtlinie darf ein Mitgliedstaat den einem Flüchtling erteilten Aufenthaltstitel widerrufen, wenn die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 2 vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 2012 - 1 C 8.11 - BVerwGE 143, 138 Rn. 21). Fällt ein Flüchtling nicht in den Anwendungsbereich von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie, kann auch Abs. 3 dieser Vorschrift nicht zu Anwendung kommen (EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 - Rn. 44). Eine Zurückweisung ist nach Art. 21 Abs. 2 Buchst. a zulässig, wenn es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass der Flüchtling eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält. Es kann offenbleiben, ob vom Kläger eine Gefahr im Sinne dieser Vorschrift ausgeht, denn die Zurückweisung ist nur unter der weiteren Voraussetzung rechtmäßig, dass sie dem Mitgliedstaat nicht aufgrund seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen untersagt ist (Art. 21 Abs. 2). Dazu zählen die Verpflichtungen aus Art. 3 EMRK (vgl. Begründung der Kommission im Richtlinienvorschlag vom 12. September 2001 KOM (2001) 510 endg. S. 33 zu Art. 19). Dem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK kommt absoluter Charakter zu; es kann mithin - anders als das Refoulement-Verbot nach Art. 33 Abs. 1 GFK - nicht unter den Voraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 Richtlinie 2011/95/EU i.V.m. Art. 35 Abs. 2 GFK durchbrochen werden (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 5. April 2016 - C-404/15 und C-659/15 PPU [ECLI:EU:C:2016:198], Aranyosi und Căldăraru - Rn. 85 - 87; EGMR, Urteil vom 17. Dezember 1996 - Nr. 71/1995/577/663, Ahmed/Österreich - NVwZ 1997, 1100 Rn. 39 - 41). Für den Kläger besteht ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK. Denn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat im Anerkennungsbescheid vom 9. Oktober 1997 nicht nur die Flüchtlingseigenschaft des Klägers nach dem seinerzeit maßgeblichen § 51 Abs. 1 AuslG 1990, sondern auch ein Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990 hinsichtlich der Türkei festgestellt und dieses damit begründet, dass dem Kläger in der Türkei unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Diese Feststellung des Bundesamts begründet hier ein - absolutes - nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Insoweit kommt der Feststellung des Bundesamts im vorliegenden Verfahren über § 42 AsylG auch Bindungswirkung zu. Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU begrenzt damit den behördlichen Handlungsspielraum für eine Abschiebung in einen Verfolgerstaat oder einen Staat, in dem Gefahren nach Art. 3 EMRK drohen. Die Vorschrift setzt jedoch keine Maßstäbe für eine lediglich "inlandsbezogene" Ausweisung, die - wie hier - insbesondere den Verlust des Aufenthaltstitels zur Folge hat.

49

c) Unionsrechtliche Maßstäbe für eine zum Verlust des Aufenthaltstitels eines Flüchtlings führende inlandsbezogene Ausweisung lassen sich aus Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie gewinnen. Die Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten, einem Flüchtling so bald wie möglich nach der Anerkennung einen Aufenthaltstitel auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.

50

(aa) Der Inhalt dieser Norm wurde vom Gerichtshof der Europäischen Union in einem auf ein Vorlageersuchen des Berufungsgerichts ergangenen Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) näher bestimmt. Die Entscheidung bezieht sich zwar auf Art. 24 Abs. 1 der EG-Anerkennungsrichtlinie 2004/83/EG, ihre Aussagen sind aber uneingeschränkt auf die in der Sache unveränderte Vorschrift des Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU übertragbar. Danach kann einem Flüchtling nach Art. 24 Abs. 1 nicht nur die Erteilung eines Aufenthaltstitels versagt werden, sondern der erteilte Aufenthaltstitel auch nachträglich widerrufen werden, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen (a.a.O. Rn. 55). Soweit in der Neufassung der Vorschrift nunmehr von zwingenden Gründen der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung die Rede ist, ist damit keine inhaltliche Änderung verbunden. Diese Wirkung einer Entziehung des Aufenthaltstitels kommt der hier verfügten Ausweisung zu, die wegen des entgegenstehenden Abschiebungsverbots nach Art. 3 EMRK nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung führt. Entgegen einer am Wortlaut orientierten Auslegung von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie hat der darin verwendete Begriff der "zwingenden Gründe" nach dem EuGH-Urteil eine weitere Bedeutung als der Begriff der "stichhaltigen Gründe" in Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie. Das bedeutet, dass bestimmte Umstände, die nicht den Schweregrad aufweisen, um eine Zurückweisung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie verfügen zu können, den Mitgliedstaat gleichwohl dazu berechtigen können, auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie dem betroffenen Flüchtling seinen Aufenthaltstitel zu entziehen (a.a.O. Rn. 75).

51

Bei der Bestimmung des Bedeutungsgehalts der "zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" hat der EuGH zunächst Bezug auf seine Rechtsprechung zu den Begriffen der "öffentlichen Sicherheit" und der "öffentlichen Ordnung" in Art. 27 und 28 der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG genommen (a.a.O. Rn. 77 ff.). Danach umfasst der Begriff "öffentliche Sicherheit" im Sinne von Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats. Die öffentliche Sicherheit kann danach berührt sein, wenn das Funktionieren staatlicher Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste beeinträchtigt wird oder eine Gefahr für das Überleben der Bevölkerung oder einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker besteht oder militärische Interessen beeinträchtigt werden. Dabei deutet der Begriff der "zwingenden Gründe" auf einen besonders hohen Schweregrad der Beeinträchtigung hin (a.a.O. Rn. 78). Den Begriff der "öffentlichen Ordnung" hat der EuGH für die Unionsbürgerrichtlinie dahin ausgelegt, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliegen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (a.a.O. Rn. 79). Zugleich betont er, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, nach ihren nationalen Bedürfnissen, die je nach Mitgliedstaat und Zeitpunkt unterschiedlich sein können, zu bestimmen, was die öffentliche Ordnung und Sicherheit erfordern (a.a.O. Rn. 77).

52

Für den Fall der Unterstützung des Terrorismus hat der EuGH zudem auf den 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83/EG, heute 37. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95/EU hingewiesen, wonach der Begriff der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" auch für die Fälle gilt, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt. Dabei muss das nationale Gericht in einem ersten Schritt prüfen, ob die Handlungen der fraglichen Organisation die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedrohen. Wird eine vom Flüchtling unterstützte Vereinigung in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93) geführt, ist dies ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie entweder eine terroristische Organisation ist oder im Verdacht steht, eine solche Organisation zu sein (a.a.O. Rn. 83). Allein der Umstand, dass ein Flüchtling eine solche Organisation unterstützt hat, darf jedoch nicht automatisch zur Aufhebung seines Aufenthaltstitels führen. Vielmehr ist in einem zweiten Schritt einzelfallbezogen die Rolle zu prüfen, die der Betreffende im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt hat (a.a.O. Rn. 90), und auch der Schweregrad der Gefahr zu beurteilen, die von seinen Handlungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (a.a.O. Rn. 92).

53

(bb) Das Berufungsgericht hat die vom Kläger geleisteten und ihm zuzurechnenden Unterstützungshandlungen an dem vom EuGH präzisierten Maßstab für die Auslegung des Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie gemessen und ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass sich hieraus zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ergeben, die einen Entzug des Aufenthaltstitels gegenüber dem Kläger rechtfertigen. Das Gericht hat bereits im Rahmen seiner Prüfung des besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausführlich begründet, warum die PKK eine terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung darstellt (UA S. 27 - 34). Dabei hat es gewürdigt, dass die PKK auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist und auch weiterhin terroristische Aktivitäten entfaltet. In einem zweiten Schritt hat es näher dargelegt, warum die in Deutschland agierenden Vereinigungen YEK-KOM und NAV-DEM, für die der Kläger seit mehr als zwölf Jahren in hervorgehobenen Funktionen wirkte, und der Kläger auch individuell durch Anmeldung und Leitung von Versammlungen sowie Redebeiträge und weitere Aktivitäten die PKK unterstützt haben und weiter unterstützen (UA S. 55, 34 - 48). Die Bewertung des Berufungsgerichts, dass der Kläger damit die Voraussetzungen für den Entzug seines Aufenthaltstitels nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie erfüllt, steht mit der Rechtsprechung des EuGH in Einklang. Zwar hat er selbst keine terroristischen Handlungen begangen, auch nicht andere Personen hierzu angeleitet oder sich an der Planung oder Finanzierung terroristischer Aktionen beteiligt, wie das der EuGH als mögliches Unterstützerhandeln erwähnt (a.a.O. Rn. 90). Diese Aufzählung des Gerichtshofs ist jedoch nur beispielhaft, macht zugleich aber deutlich, dass der Betreffende eine gewichtige Rolle im Rahmen seiner Unterstützung der terroristischen Organisation gespielt haben muss.

54

Bei der Frage, was als gewichtig anzusehen ist, ist der 37. Erwägungsgrund der Richtlinie zu berücksichtigen, wonach auch die Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, und die Unterstützung einer derartigen Vereinigung als Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung anzusehen sind. Die abschließende Bewertung, ob die Unterstützungshandlung hinreichend gewichtig ist, um "zwingende Gründe" darzustellen, überlässt der Gerichtshof dem verantwortlichen nationalen Gericht und erkennt auch einen Einschätzungsspielraum der Mitgliedstaaten an, nach ihren nationalen Bedürfnissen zu bestimmen, was die nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung erfordern. Diese abschließende Bewertung hat das Berufungsgericht dahin getroffen, dass die Unterstützungshandlungen des Klägers dem von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie geforderten Gewicht entsprechen. Es hat dies auf der Grundlage der Gewichtungsvorgabe des nationalen Gesetzgebers in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nachvollziehbar mit dem mehr als zwölfjährigem Unterstützerhandeln des Klägers in hervorgehobener Position innerhalb zweier Vereinigungen begründet, in dessen Rahmen er an zahlreichen Veranstaltungen mitwirkte, an denen sich Akteure beteiligten, die offen für die PKK warben und deren Kurs vorbehaltlos befürworteten (Auftreten in Guerillauniform, Märtyrergedenken, Grußbotschaften an die Kämpfer an der Front usw.). Für das Gewicht seines Unterstützerhandelns durfte das Gericht auch berücksichtigen, dass der Kläger nach den tatrichterlichen Feststellungen in vollem Bewusstsein um dessen Bedeutung für den ideologischen Zusammenhalt der PKK und in dem Willen gehandelt hat, diese vorbehaltlos auch in Bezug auf deren terroristische Aktivitäten zu unterstützen (UA S. 55).

55

(cc) Der EuGH hat in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13 Rn. 95 ff.) aber hervorgehoben, dass ein Flüchtling, dessen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie aufgehoben wird, seinen Flüchtlingsstatus behält, sofern und solange ihm nicht dieser Status entzogen worden ist. Daher ist er auch nach dem Verlust seines Aufenthaltstitels weiterhin Flüchtling und hat in dieser Eigenschaft weiterhin Anspruch auf die Vergünstigungen, die das Kapitel VII der Richtlinie jedem Flüchtling gewährleistet, so insbesondere auf Schutz vor Zurückweisung, auf Wahrung des Familienverbands, auf Ausstellung von Reisedokumenten, auf Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung, zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie auf Zugang zu Integrationsmaßnahmen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift. Diese Rechte dürfen, auch soweit sie nach nationalem Recht an den Besitz eines Aufenthaltstitels anknüpfen, von den zuständigen Behörden daher nicht mit der Begründung versagt werden, dass der Aufenthalt des Flüchtlings infolge der Ausweisung rechtswidrig geworden ist. Allerdings darf die Ausstellung eines Reiseausweises nach Art. 25 EU-Anerkennungsrichtlinie versagt werden, wenn - etwa zur Begegnung der Gefahr terroristischen Unterstützungshandelns - zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung entgegenstehen. Ebenso dürfen nach Art. 33 der Richtlinie aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen verfügt werden, wenn diese aus Gründen der öffentlichen Sicherheit auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern zulässig sind.

56

Eventuelle Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der dem Flüchtling auch nach Entzug des Aufenthaltstitels weiter zustehenden Rechte nach Kapitel VII der EU-Anerkennungsrichtlinie infolge unzureichender Umsetzung der Richtlinie in den einschlägigen nationalen Fachgesetzen berühren nicht die Rechtmäßigkeit der verfügten Ausweisung. An die Beachtung der einen Flüchtling unmittelbar begünstigenden Vorschriften in Kapitel VII der Richtlinie und die hierzu ergangene Rechtsprechung des EuGH sind seit Ablauf der Umsetzungsfrist alle nationalen Behörden gebunden. Der Flüchtling hat seine Rechte gegenüber den jeweils zuständigen Behörden und erforderlichenfalls Gerichten geltend zu machen. Auch die Generalanwältin hat es insoweit als die Pflicht der nationalen Gerichte angesehen, für die volle Wirksamkeit der Bestimmungen der Richtlinie Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede entgegenstehende Vorschrift des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 11. September 2014 - C-373/13 - Rn. 114 letzter Absatz).

57

4. Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen gewichtige Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1, § 55 AufenthG gegenüber. Diese hat das Berufungsgericht zutreffend bestimmt (UA S. 59 f.). Es hat berücksichtigt, dass der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besessen hat, die durch die Ausweisungsverfügung betroffen ist, er mit deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und er sein Personensorgerecht für minderjährige ledige Deutsche ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG).

58

5. Das Berufungsgericht hat das öffentliche Ausweisungsinteresse gegen die Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG unter Berücksichtigung der den Einzelfall prägenden Umstände abgewogen und ist unter Beachtung des hierfür zentralen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass das Ausweisungsinteresse überwiegt (UA S. 60 - 64). Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Gericht hat berücksichtigt, dass der Kläger besonderen Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie genießt, hier allerdings auf absehbare Zeit keine Aufenthaltsbeendigung beabsichtigt ist, da ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht. Es hat seinen langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und seine familiären Bindungen im Sinne von Art. 6 GG, Art. 8 EMRK gewürdigt, diesen durch die Verfügung allerdings insoweit nicht als beeinträchtigt angesehen, als keine Aufenthaltsbeendigung erfolgt. Es hat bei seiner Abwägung berücksichtigt, dass der Kläger in seinen geschützten Bindungen dadurch betroffen ist, dass sein Aufenthalt auf das Gebiet der Stadt M. beschränkt und er Meldeauflagen unterworfen ist. Weitere schützenswerte Bindungen hat das Gericht nicht anerkannt und dies nachvollziehbar damit begründet, dass der Kläger ungeachtet seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland kaum deutsch spricht, nur sporadisch und für kürzere Zeiträume erwerbstätig war und seit längerem von Sozialleistungen abhängig ist. Schließlich hat das Berufungsgericht in die Abwägung eingestellt, dass es der Kläger in der Hand hat, durch eine glaubhafte Abkehr von seinem bisherigen Verhalten eine Aufhebung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu erreichen.

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6. Ohne Rechtsverstoß wertet das Berufungsurteil die in Ziffer 2 der angefochtenen Verfügung angeordnete Aufenthaltsbeschränkung und die verfügten Meldeauflagen als rechtmäßig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliegt ein Ausländer, gegen den - wie hier - eine Ausweisungsverfügung aufgrund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG besteht, der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Gestützt auf diese Ermächtigung hat der Beklagte bestimmt, dass sich der Kläger zweimal wöchentlich zu melden hat. Ferner hat er den Aufenthalt des Klägers auf den Bereich der Stadt M. beschränkt, wie das § 56 Abs. 2 AufenthG vorsieht, wenn die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft. Diese aufenthaltsbeschränkenden Maßnahmen durften gegenüber dem Kläger trotz dessen Rechtsstellung als Flüchtling ergehen. Dadurch wird sein Recht auf Freizügigkeit gemäß Art. 33 EU-Anerkennungsrichtlinie nicht verletzt. Denn derartige Maßnahmen dürfen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, wie sie hier wegen des Erfordernisses der Abwehr von terrorismusfördernden Aktivitäten vorliegen, auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern verfügt werden (§ 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG).

60

7. Zutreffend ist das Berufungsgericht auch zu dem Ergebnis gekommen, dass die für die Ausweisung des Klägers anwendbaren Regelungen des Ausweisungsrechts nicht gegen assoziationsrechtliche Verschlechterungsverbote aus Art. 13 ARB 1/80, Art. 7 ARB 2/76 und Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen (BGBl. 1972 II S. 385) verstoßen. Dabei kann offenbleiben, ob hier überhaupt eines der Verschlechterungsverbote Anwendung findet. Denn der zum 1. Januar 2016 eingeführte Übergang von einer Ermessensentscheidung zu einer gebundenen Entscheidung stellt keine Verschlechterung der Rechtsstellung des betroffenen Ausländers dar (a). Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung bewirkte zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für betroffene Ausländer, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt (b).

61

a) Die zum 1. Januar 2016 eingeführte Neuregelung des Ausweisungsrechts, die die bisherige Ermessensausweisung durch eine am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte gebundene Ausweisung abgelöst hat, hat die Rechtsstellung der Ausländer in der hier gebotenen und auch unionsrechtlich statthaften Gesamtschau nicht verschlechtert, sondern jedenfalls teilweise verbessert. Denn bisher sah das Gesetz Tatbestände einer zwingenden Ausweisung (Ist-Ausweisung), regelmäßig erfolgenden Ausweisung (Soll-Ausweisung) und Ausweisung nach Ermessen (Kann-Ausweisung) vor. Die zwingende Ausweisung und die regelmäßig erfolgende Ausweisung widersprachen für den Personenkreis der unionsrechtlich privilegierten Ausländer der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach eine Ausweisung ausschließlich auf ein persönliches Verhalten des Ausländers gestützt werden darf, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 [ECLI:EU:C:2004:262], Orfanopoulos und Oliveri - Slg. 2004, I-5257 Rn. 66 f.). Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass eine Regelung gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, wonach eine Ausweisung automatisch aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung verfügt wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird (a.a.O. Rn. 70). Aber auch die nationale Bestimmung über die Regelausweisung hat für den Gerichtshof den Anschein erweckt, dass trotz der Berücksichtigung individueller Umstände ein gewisser Automatismus oder jedenfalls eine Vermutung besteht, dass der betreffende Staatsangehörige auszuweisen ist (a.a.O. Rn. 92).

62

Daraus hat das Bundesverwaltungsgericht die Schlussfolgerung gezogen, dass die gesetzliche Regelung zur zwingenden Ausweisung und Regelausweisung auf unionsrechtlich privilegierte Ausländer nicht mehr angewendet werden darf (BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <302> betreffend Unionsbürger und - 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <321> betreffend Assoziationsberechtigte nach ARB 1/80). Der Gesetzgeber hat daraus durch das zum 1. Januar 2016 in Kraft getretene neue Ausweisungsrecht die Konsequenzen gezogen. Insofern stellt die neue Rechtslage eine Verbesserung gegenüber der bisherigen dar. Eine Ausweisung nach neuem Recht hat eine einzelfallbezogene umfassende Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen und orientiert sich dabei strikt am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 53 Abs. 1 und 2 AufenthG). Damit setzt der Gesetzgeber Vorgaben um, die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 - Rn. 99) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR , Urteil vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 57 - 60) ergeben.

63

Es stellt keine Verschlechterung der Rechtslage für unionsrechtlich privilegierte Ausländer dar, dass ihre Ausweisung nach früherer Rechtslage im Wege einer Ermessensentscheidung erfolgte, nach neuem Recht hingegen im Wege einer rechtlich gebundenen Ausweisung, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Damit entfällt zwar die Möglichkeit, aus Gründen der Zweckmäßigkeit von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen. Auf ein solches Absehen von einer rechts- und ermessensfehlerfrei möglichen Ausweisung hatte der Ausländer aber zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch, auch die gerichtliche Kontrolle war insoweit durch § 114 VwGO eingeschränkt; durch die gesetzliche Neuregelung wird also keine individuelle Rechtsposition beeinträchtigt. Im Übrigen ist für die Beachtung des Verschlechterungsverbots auf die tatsächliche Praxis und nicht allein auf die abstrakte Rechtslage abzustellen. Die Rechtspraxis wurde maßgeblich durch die Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz des Bundesministeriums des Innern vom 26. Oktober 2009 gesteuert. Danach lag die Ausweisungsentscheidung im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde, bei der Ermessensausübung waren das schutzwürdige Interesse des Ausländers am weiteren Verbleib in Deutschland und das öffentliche Interesse an der Ausweisung gegeneinander abzuwägen (Ziffer 55.1.3). Das weist auf eine Rechtspraxis hin, die der heute normierten gebundenen Ausweisung entspricht, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Insofern hat sich die Rechtsstellung des Ausländers nicht verschlechtert.

64

b) Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung hat zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für die betroffenen Ausländer bewirkt, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Die seinerzeitige Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung (§ 54 Nr. 5 AufenthG a.F.) führte zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gegenüber der früheren Rechtslage, die allein den Tatbestand der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland kannte. Durch die Rechtsänderung wurde nun auch die Vorfeldunterstützung des Terrorismus erfasst. Diese ist jedoch mit Blick auf das Verschlechterungsverbot aus Art. 13 ARB 1/80 aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 14 ARB 1/80, jedenfalls aber durch ein zwingendes Allgemeininteresse, namentlich die völkerrechtlich gebotene Terrorismusbekämpfung auch bereits im Vorfeld unmittelbarer terroristischer Handlungen, gerechtfertigt.

65

8. Nach der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG ist über die Länge der Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach Ermessen zu entscheiden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Diese gesetzgeberische Entscheidung ist mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom gleichen Tage - 1 C 27.16 - Rn. 20 ff.). Das Urteil des Senats zur Vorläuferfassung des § 11 AufenthG a.F., wonach eine gebundene Entscheidung zu treffen war (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.), erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihm ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen. Eine solche Ermessensentscheidung hat der Beklagte hier noch nicht getroffen. Vielmehr hat bisher das Verwaltungsgericht das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach der seinerzeit geltenden Rechtslage im Wege einer gebundenen Entscheidung auf acht Jahre festgesetzt.

66

Der Beklagte hat die nach neuem Recht nunmehr gebotene Ermessensentscheidung nachzuholen. Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange.

67

B. Der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellte (weitere) Hilfsantrag, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass dem Kläger auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie, ist unzulässig. Er stellt eine unzulässige Klageerweiterung im Revisionsverfahren dar (§ 142 Abs. 1 VwGO). Im Übrigen bedarf es einer solchen behördlichen Feststellung auch nicht. Aus dem für alle nationalen Behörden verbindlichen EuGH-Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) ergibt sich bis zu einer dem Gesetzgeber vorbehaltenen Anpassung der einschlägigen Fachgesetze hinreichend deutlich, dass dem Kläger - solange er die Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der EU-Anerkennungsrichtlinie genießt - auch die mit dieser Rechtsstellung einhergehenden Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie zustehen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift (vgl. dazu auch die vorstehenden Ausführungen in Rn. 55 f. dieses Urteils).

68

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat gewichtet den gegen die Ausweisung, die Meldeauflage, die Aufenthaltsbeschränkung und die Abschiebungsandrohung gerichteten Anfechtungsantrag mit 4/5 und den auf Befristung zielenden Verpflichtungsantrag mit 1/5 (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 46).

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus Deutschland. Hilfsweise erstrebt er eine neue Entscheidung des Beklagten über die Befristung des mit der Ausweisung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots.

2

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volkszugehörigkeit. Er wurde 1973 in der Türkei geboren, ist verheiratet und hat sieben Kinder. Er reiste 1997 nach Deutschland ein und beantragte hier Asyl, da er in der Türkei wegen seines Engagements in prokurdischen Vereinen und Parteien sowie verwandtschaftlichen Beziehungen zu Guerillakämpfern der sog. Arbeiterpartei Kurdistans - PKK - an Leib und Leben bedroht sei. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) vom 9. Oktober 1997 wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach dem damaligen § 51 Abs. 1 AuslG 1990 zuerkannt und zu seinen Gunsten ein Abschiebungsverbot wegen drohender Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK (damals § 53 Abs. 4 AuslG 1990) festgestellt. Der Kläger ist lediglich sporadisch und für kurze Zeiträume einer Erwerbstätigkeit nachgegangen, gleiches gilt für seine Ehefrau. Er bezieht mit seiner Familie Leistungen nach dem SGB II.

3

Vom 1. April 1998 bis zum 1. Dezember 2009 war der Kläger im Besitz jeweils befristeter Aufenthaltstitel. Am 13. März 2009 teilte das Bundesamt der Ausländerbehörde mit, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 73 Abs. 1 oder 2 AsylVfG nicht vorlägen. Im März 2009 stellte der Kläger bei der Ausländerbehörde der Stadt M. einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Auf Anfrage teilte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg der Ausländerbehörde im Mai 2009 mit, dass hinsichtlich der Person des Klägers "Erkenntnisse" vorlägen, über die das Innenministerium Baden-Württemberg gesondert informiert worden sei. Dessen ungeachtet wurde dem Kläger am 4. Dezember 2009 ohne weitere Mitteilung zum Stand der Sicherheitsüberprüfung eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG erteilt.

4

Das Regierungspräsidium K. teilte dem Kläger mit Schreiben vom 23. Juli 2010 mit, dass die Niederlassungserlaubnis in Unkenntnis der Sicherheitsbedenken erteilt worden sei und derzeit deren Rücknahme und eine Ausweisung geprüft werde. Hierzu werde dem Kläger die Möglichkeit eines Sicherheitsgesprächs zur weiteren Aufklärung gegeben. Dieses fand im Februar 2011 statt; allerdings verweigerte der Kläger mit Ausnahme eines durch ihn ausgefüllten Fragebogens die weitere Mitwirkung.

5

Mit Verfügung vom 10. Januar 2012 wies das Regierungspräsidium K. den Kläger aus (Ziffer 1) und stützte sich dabei auf § 54 Nr. 5, § 56 Abs. 1, § 55 AufenthG a.F. Zudem wurde der Kläger verpflichtet, sich zweimal wöchentlich unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapiers bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, und sein Aufenthalt wurde auf den Bereich der Stadt M. begrenzt (Ziffer 2).

6

Die Ausweisung sei gerechtfertigt, weil Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Kläger Vereinigungen unterstütze, die ihrerseits den Terrorismus unterstützten. So habe der Kläger nach den vorliegenden Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in den Jahren 2001 bis 2010 regelmäßig an näher bezeichneten Veranstaltungen und Demonstrationen der PKK-Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL teilgenommen und sei teilweise auch selbst als Redner bei derartigen Veranstaltungen aufgetreten. Von 2001 bis 2003/2004 sei er Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Kurdischer Kulturverein e.V." in L. gewesen. Außerdem sei er seit langem Vorstandsmitglied und nunmehr sogar zweiter Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM). Die Ausweisung sei trotz des dem Kläger als anerkanntem Flüchtling zustehenden besonderen Ausweisungsschutzes aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt und auch mit Blick auf die Bleibeinteressen des Klägers verhältnismäßig. Sie führe zudem nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung, vielmehr bleibe seine Abschiebung ausgesetzt, da ihr Abschiebungsverbote aufgrund der Rechtsstellung des Klägers als Flüchtling sowie nach § 60 Abs. 5 AufenthG entgegenstünden. Die angeordnete zweimalige wöchentliche Meldepflicht und die räumliche Beschränkung auf den Stadtbezirk M. beruhten auf § 54a AufenthG (a.F.) und seien mit Blick auf die gebotene Überwachung des Klägers und zur Eindämmung seiner gefahrbegründenden Aktivitäten erforderlich und angemessen.

7

Das Verwaltungsgericht hat die gegen die Verfügung gerichtete Klage mit Urteil vom 27. Januar 2015 abgewiesen, zugleich aber den Beklagten verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf acht Jahre nach Ausreise des Klägers zu befristen. Mit Urteil vom 13. Januar 2016 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung zurückgewiesen. Dabei hat er die angefochtene Ausweisungsverfügung an der seit dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung des AufenthG gemessen. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof insbesondere ausgeführt: Im Fall des Klägers liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, weil der Kläger in überwiegend herausgehobener Funktion die PKK und damit eine terroristische oder den Terrorismus unterstützende Vereinigung unterstützt habe. Dabei seien allerdings nur Aktivitäten nach Juli 2010 heranzuziehen, also nach der an den Kläger gerichteten Mitteilung, wegen seiner Aktivitäten werde die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft. Als tatbestandserhebliches Unterstützen sei hiernach jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirke. Nach diesem Maßstab seien die im Urteil im Einzelnen näher bezeichneten und durch den Kläger in der Sache eingeräumten Betätigungen als Teilnehmer, Mitglied, Redner und Versammlungsleiter bei diversen die PKK unterstützenden Veranstaltungen sowie als Vorstandsmitglied der die PKK unterstützenden YEK-KOM und deren Nachfolgeorganisation NAV-DEM als Unterstützungshandlung zu werten. Angesichts des Ablaufs der Veranstaltungen, der dort gehaltenen Reden und der klaren Ausrichtung auf den Führerkult um den PKK-Führer Öcalan sowie gefallene Märtyrer bestünden für das Berufungsgericht keine Zweifel daran, dass sich der Kläger den Zielen der PKK verpflichtet fühle und sie mit seinem Tun unterstützen wolle.

8

Die Ausweisungsverfügung werde auch dem erhöhten Ausweisungsschutz gerecht, der dem Kläger als anerkanntem Flüchtling nach § 53 Abs. 3 AufenthG zustehe. Denn es lägen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU vor, wonach ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel widerrufen werden könne.

9

Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse stehe ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber. Denn er habe eine Niederlassungserlaubnis besessen, die gerade durch die Ausweisungsverfügung betroffen sei. Er lebe mit deutschen Familienangehörigen (sechs seiner Kinder) in familiärer Lebensgemeinschaft und übe sein Personensorgerecht für seine minderjährigen Kinder aus. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung überwiege jedoch das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers.

10

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Revision und rügt in mehrfacher Hinsicht eine Verletzung von Bundesrecht. Zunächst habe das Berufungsgericht den Begriff des "Unterstützens" in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG fehlerhaft ausgelegt und angewandt. Der von ihm in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht angewandte Unterstützungsbegriff sei rechtsstaatlich nicht hinreichend konkret. Jedenfalls auf der Grundlage des neuen, seit Jahresanfang 2016 geltenden Ausweisungsrechts, das nach "schwerwiegenden" und "besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen" differenziere, sei dieser Unterstützungsbegriff nicht mehr als Abgrenzungskriterium geeignet. Notwendig sei ein gefahrenabwehrrechtlich ausgerichteter Unterstützungsbegriff, der sich etwa in Anlehnung an strafrechtliche Zurechnungskriterien wie Anstiftung oder Beihilfe oder die im Strafrecht für Organisationsdelikte entwickelten Zurechnungskriterien gewinnen lassen könne.

11

Fehlerhaft sei zudem die Auslegung und Anwendung von § 53 Abs. 3 AufenthG im Hinblick auf die sich aus Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie ergebenden Voraussetzungen. Denn das Berufungsgericht habe weder festgestellt, dass der Kläger unmittelbar der PKK angehöre, noch dass sich die YEK-KOM oder die NAV-DEM selbst terroristischer Methoden bedienten. Weiterhin verkenne das Berufungsgericht die durch den Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) aufgestellten Anforderungen an die festzustellenden Unterstützungshandlungen. Danach sei insbesondere zu prüfen, ob der Betroffene selbst terroristische Handlungen begangen habe, ob und in welchem Maße er an der Planung, an Entscheidungen oder an der Anleitung anderer Personen zum Zwecke der Begehung solcher Handlungen beteiligt war und ob und in welchem Umfang er solche Handlungen finanziert oder anderen Personen die Mittel für ihre Begehung verschafft habe. Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts habe der EuGH damit nicht lediglich beispielhaft die in den maßgeblichen Vorlagefragen des Ausgangsverfahrens vorgehaltenen Handlungen herausgegriffen, sondern in einem abschließenden Sinne bestimmte Kriterien vorgegeben.

12

Weiter setze der Gefahrenbegriff des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine "konkrete Gefahr" voraus. Weder der Wortlaut noch die der Vorschrift zugrunde liegende Entstehungsgeschichte rechtfertigten eine Absenkung dieser Gefahrenschwelle. Das Berufungsgericht hätte daher prüfen müssen, ob der Kläger die für die objektive Unterstützung zu Grunde gelegten Tatsachen und Umstände gekannt und eine zweckgerichtete Unterstützung auch gewollt habe.

13

Schließlich habe das Berufungsgericht verkannt, dass dem Kläger nach dem Urteil des EuGH vom 24. Juni 2015 selbst dann, wenn ihm der Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie entzogen werden dürfe, für die Zeit der Fortdauer seines Flüchtlingsstatus die Rechte nach Kapitel VII dieser Richtlinie erhalten bleiben. Deshalb beantragte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hilfsweise, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass ihm auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie.

14

Der Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und tritt der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bei.

15

Während des Revisionsverfahrens hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 20. Oktober 2016 die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes für den Kläger widerrufen und entschieden, ihm weder die Flüchtlingseigenschaft noch den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Gegen den Bescheid hat der Kläger Klage erhoben.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist im Wesentlichen unbegründet. Das Berufungsgericht hat die Ausweisung des Klägers und die ihm auferlegte Meldepflicht und Aufenthaltsbeschränkung im Ergebnis zu Recht als rechtmäßig eingestuft. Allerdings war auf der Grundlage der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG der Beklagte zu einer nunmehr gebotenen Ermessensentscheidung über die festzusetzende Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG zu verpflichten.

17

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren des Klägers auf Aufhebung der Ausweisung (Ziffer 1 des Bescheids) sowie der Meldeauflagen und Aufenthaltsbeschränkung (Ziffer 2 des Bescheids). Aber auch der Streit über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs - im Berufungsverfahren und anschließend im Revisionsverfahren angefallen. Denn das Befristungsbegehren ist als Minus notwendiger Bestandteil des Begehrens auf Aufhebung einer Ausweisung und kann daher von den Parteien nicht gesondert aus dem Verfahren ausgegliedert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 28 ff.). Hiervon sind im Übrigen vorliegend auch die Parteien übereinstimmend ausgegangen.

18

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der Meldepflicht und der Aufenthaltsbeschränkung sowie der vom Kläger hilfsweise begehrten Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 8 m.w.N.). Der Entscheidung sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162) zugrunde zu legen, zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155).

19

A. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG, weil der Kläger anerkannter Flüchtling ist.

20

1. Nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht ergibt sich der Grundtatbestand der Ausweisung aus § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

21

Das neue Ausweisungsrecht gibt das mit dem Ausländergesetz 1990 eingeführte dreistufige Konzept der Ist-, Regel- und Kann-Ausweisung auf. Stattdessen hat sich der Gesetzgeber für ein einheitliches System der rechtlich gebundenen Ausweisung entschieden ("wird ausgewiesen"), das vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. § 54 AufenthG benennt konkret die Gründe, wann das Ausweisungsinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt und knüpft damit an Tatbestände der früheren Ist- und Regelausweisung an. In § 55 AufenthG werden - spiegelbildlich hierzu - Tatbestände normiert, denen zufolge das Bleibeinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt, wobei auch die Aufzählung der "schwer" wiegenden Bleibeinteressen nicht abschließend ist. In § 53 Abs. 2 AufenthG werden Gesichtspunkte genannt, die bei der Abwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sind, insbesondere die Dauer des Aufenthalts, Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, Folgen der Ausweisung für Angehörige und Partner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat.

22

Die Rechtsprechung des Senats, die ihrerseits Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aufgreift (vgl. Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <301 ff.> und vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 14 ff.), hat bei der Entwicklung des neuen Ausweisungsrechts eine entscheidende Rolle gespielt (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 25. Februar 2015, BT-Drs. 18/4097 S. 49). Dabei griff der Gesetzgeber Vorschläge zur Neuregelung des Ausweisungsrechts auf, die Vertreter der Rechtsprechung unterbreitet haben (vgl. Dörig, NVwZ 2010, 921 <922>; Bergmann, ZAR 2013, 318 <322> sowie Gesetzesvorschlag Bergmann/Dörig vom Januar 2014, veröffentlicht in: Barwig u.a., Steht das europäische Migrationsrecht unter Druck?, 2014, S. 111 f.). Die Ausweisung setzt nunmehr nach § 53 Abs. 1 AufenthG eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Sofern nach dieser Gesamtabwägung das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib in Deutschland überwiegt, wird der Ausländer ausgewiesen, andernfalls kommt eine Aufenthaltsbeendigung nach § 53 Abs. 1 AufenthG nicht in Betracht.

23

Die Tatbestandsmerkmale der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" im ausweisungsrechtlichen Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG sind nach der Begründung des Gesetzgebers im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Auch die Gefährdung dieser Schutzgüter bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten wird. Mit Blick auf die verwendeten Begriffe sollte keine Ausweitung des Gefahrenbegriffs gegenüber dem bislang geltenden Recht erfolgen, vielmehr sollten lediglich die bislang verwandten unterschiedlichen Formulierungen aneinander angeglichen werden. Die von § 53 Abs. 1 AufenthG geforderte Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers in Deutschland erfolgt dabei nach der Intention des Gesetzgebers nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar.

24

Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" (Absatz 1) oder als "schwerwiegend" (Absatz 2). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sind neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Interessen aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Die Katalogisierung schließt demnach die Berücksichtigung weiterer Umstände im Rahmen der nach § 53 Abs. 2 AufenthG zu treffenden Abwägungsentscheidung nicht aus. Dies folgt bereits aus dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG, ist aber für die schwerwiegenden, aufgrund der Vielgestaltigkeit der Lebenssituationen bewusst nicht abschließend aufgezählten Bleibeinteressen in § 55 Abs. 2 AufenthG nochmals ausdrücklich normiert. Die nunmehr als schwerwiegend oder besonders schwerwiegend qualifizierten Ausweisungsinteressen im Sinne von § 54 AufenthG decken sich weitgehend - aber nicht vollständig - mit den früheren Gründen für eine Regel- und Ist-Ausweisung, die schwerwiegenden und besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen greifen Fälle des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 AufenthG a.F. auf.

25

Bei der Abwägung sind schließlich gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht ("Boultif/Üner-Kriterien"). Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen.

26

Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht.

27

2. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG festgestellt. Ein solches liegt dann vor, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wobei hiervon u.a. dann auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Ausländer einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er (jedenfalls) eine solche Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, er nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.

28

a) Der Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist dem Wortlaut nach weitgehend an den früheren Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung angelehnt, auf den die Ausweisungsverfügung auch ursprünglich gestützt war. Das Berufungsgericht hat für die Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu Recht dieselben rechtlichen Maßstäbe herangezogen, die der Senat zur Auslegung des früheren Regelausweisungstatbestandes nach § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung entwickelt hat.

29

In der Rechtsprechung des Senats war die Auslegung des Regelausweisungstatbestands des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung weitgehend geklärt. So ist anerkannt, dass eine Vereinigung den Terrorismus unterstützt, wenn sie sich selbst terroristisch betätigt oder wenn sie die Begehung terroristischer Taten durch Dritte veranlasst, fördert oder befürwortet. Die Schwelle der Strafbarkeit muss dabei nicht überschritten sein, da die Vorschrift der präventiven Gefahrenabwehr dient und auch die Vorfeldunterstützung durch sogenannte Sympathiewerbung erfasst. Der Tatbestand des Unterstützens des Terrorismus durch eine Vereinigung setzt allerdings voraus, dass die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung (auch) auf die Unterstützung des Terrorismus gerichtet sind; ein bloßes Ausnutzen der Strukturen einer Vereinigung durch Dritte in Einzelfällen reicht hierfür nicht aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 20 ff. und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 13 ff.).

30

Für den im Gesetz verwandten Begriff des Terrorismus sind Versuche, auf völkerrechtlicher Ebene eine allgemein anerkannte vertragliche Definition zu entwickeln, nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen. Jedoch können wesentliche Kriterien aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft im Beschluss des Rates Nr. 2002/475/JI vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (ABl. L 164 S. 3) sowie dem gemeinsamen Standpunkt des Rates 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001 (ABl. L 344 S. 93) gewonnen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die Aufnahme einer Organisation in die vom Rat der Europäischen Union angenommene Liste terroristischer Organisationen im Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93 - vgl. auch ABl. L 116 vom 3. Mai 2002, S. 75) ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass die Organisation terroristischer Art ist oder im Verdacht steht, eine solche zu sein (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 [ECLI:EU:C:2015:413], H.T./Land Baden-Württemberg - Rn. 83). Hier sind von den Tatsachengerichten ergänzende Feststellungen zu treffen. Dabei ist trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs anerkannt, dass als terroristisch jedenfalls der Einsatz gemeingefährlicher Waffen und Angriffe auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen sind (Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>, vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 19 und Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 10 C 48.07 - BVerwGE 132, 79 <87> m.w.N.).

31

Weiterhin ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass die individuelle Unterstützung einer terroristischen Vereinigung oder einer Vereinigung, die eine terroristische Vereinigung unterstützt, im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. alle Verhaltensweisen erfasst, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeit der Vereinigung auswirken. Darunter kann die Mitgliedschaft in der terroristischen oder in der unterstützenden Vereinigung ebenso zu verstehen sein wie eine Tätigkeit für eine solche Vereinigung ohne gleichzeitige Mitgliedschaft. Auch die bloße Teilnahme an Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen kann eine Unterstützung in diesem Sinne darstellen, wenn sie geeignet ist, eine positive Außenwirkung im Hinblick auf die durch § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. missbilligten Ziele zu entfalten. Auf einen nachweisbaren oder messbaren Nutzen für diese Ziele kommt es nicht an, ebenso wenig auf die subjektive Vorwerfbarkeit der Unterstützungshandlungen. Im Hinblick auf den Schutz der Meinungsfreiheit und das Gebot der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Betätigungsfreiheit des Einzelnen erfüllen allerdings solche Handlungen den Tatbestand der individuellen Unterstützung nicht, die erkennbar nur auf einzelne, mit terroristischen Zielen und Mitteln nicht im Zusammenhang stehende - etwa humanitäre oder politische - Ziele der Vereinigung gerichtet sind. Für den Ausländer muss schließlich die eine Unterstützung der Vereinigung, ihrer Bestrebungen oder ihrer Tätigkeit bezweckende Zielrichtung seines Handelns erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auf eine darüber hinaus gehende innere Einstellung des Ausländers kommt es hingegen nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 15 und 18 m.w.N.).

32

Diese vom Senat zur Auslegung von § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. entwickelten Grundsätze lassen sich entgegen dem Vorbringen der Revision auch auf den Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung nach dem neu gefassten § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG übertragen. Ein Vergleich der Textfassungen ergibt, dass der Gesetzgeber die früheren Regelausweisungstatbestände nach § 54 Nr. 5, 5a und 5b AufenthG a.F. in der neuen Vorschrift des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zusammengefasst hat, wobei unter den vorliegenden Umständen die Fälle staatsgefährdender Gewalttaten nach § 89a StGB außer Betracht bleiben können. Gegenüber dem früheren Recht ist der Hinweis entfallen, dass eine Ausweisung auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen nur gestützt werden kann, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Eine Änderung der materiellen Rechtslage ist damit aber nicht verbunden, da auch nach neuem Recht eine fortbestehende Gefahr erforderlich ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ("gefährdet") und ist implizit auch dem neuen Zusatz in § 54 Abs. 1 Nr. 2 letzter Halbsatz AufenthG zu entnehmen, wonach von einer Gefährdung nicht auszugehen ist, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt.

33

Den Gesetzgebungsmaterialien ist nichts dafür zu entnehmen, dass sich der Gesetzgeber hinsichtlich des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung für eine Abkehr von dem bisherigen Verständnis des Ausweisungstatbestandes hat entscheiden wollen. Zwar hat er in Satz 2 einen Halbsatz neu eingefügt, wonach ein Unterstützen nicht vorliegt, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt. Das stellt jedoch keine inhaltliche Änderung des Unterstützerbegriffs dar, sondern normiert lediglich ein in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits entwickeltes Kriterium zur individuellen Zurechnung eines Unterstützerverhaltens. Denn der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die objektive Tatsache der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in der Vergangenheit dem Ausländer dann nicht mehr zugerechnet werden kann, wenn er sich glaubhaft hiervon distanziert (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <131>, vom 30. April 2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 35 und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 17). Die nunmehr normierten Tatbestandsmerkmale lassen keine Abkehr von der Senatsrechtsprechung erkennen, denn ein "erkennbares Abstandnehmen" vom sicherheitsgefährdenden Handeln entspricht dem Distanzieren im Sinne der Senatsrechtsprechung. Allerdings findet sich in der Begründung zu dieser Neuregelung die Aussage, die Möglichkeit der "Exkulpation" zeige, dass der Betroffene Kenntnis davon gehabt haben müsse, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstütze, der "undolose Unterstützer" daher nicht unter die Regelung falle (BT-Drs. 18/4097 S. 51). Aus diesem Satz in der Gesetzesbegründung könnte man ableiten, der Gesetzgeber habe eine Regelung treffen wollen, nach der für die subjektive Seite des Unterstützens mehr erforderlich ist (Vorsatz) als nach dem bisherigen Verständnis (Erkennbarkeit). Wäre dies tatsächlich so Gesetz geworden, hätte dies eine nicht unerhebliche Einschränkung der Rechtsprechung zur subjektiven Zurechnung bedeutet, nach der es ausreicht, dass der Ausländer erkennen konnte, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstützt. Die Begründung hat jedoch im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden, denn nach diesem wird Vorsatz im Hinblick auf die terroristische Betätigung der unterstützten Vereinigung nicht verlangt. Es reicht somit auch für die Erfüllung des subjektiven Unterstützertatbestands weiterhin die Erkennbarkeit einer terroristischen Betätigung der Vereinigung aus. Vorsatz bleibt hingegen weiter erforderlich für das eigene Handeln des Ausländers, das von dem Ziel geleitet sein muss, die Vereinigung zu unterstützen. Für diese Auslegung spricht auch, dass der Gesetzgeber der Vorfeldunterstützung des Terrorismus durch die Gesetzesänderung erhöhte Bedeutung beimessen wollte, indem er den bisher als Tatbestand für eine Regelausweisung normierten Ausweisungsgrund zu einem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 AufenthG heraufstufte, was im bisherigen Recht dem Tatbestand einer zwingenden Ausweisung entsprochen hätte. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass das stärkere Gewicht, das der Gesetzgeber diesem Ausweisungsinteresse beimessen wollte (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 23), mit einer engeren Interpretation seiner Tatbestandsmerkmale einhergehen sollte.

34

Eine vom früheren Begriffsverständnis abweichende Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass dieser bisher eigenständige Tatbestand nunmehr in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG funktional mit einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verknüpft wird ("hiervon ist auszugehen, wenn"). Vielmehr ergibt eine systematische Auslegung der Vorschrift, dass der Inhalt des Ausweisungstatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung unverändert geblieben ist, während der Begriff der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland eine Erweiterung erfahren hat. Denn der Gesetzgeber hat mit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr kraft Gesetzes definiert, wann von einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen ist, nämlich (jedenfalls) dann, wenn eine der dort genannten Tatbestandsalternativen erfüllt ist. Die Auslegung des Begriffs der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland richtet sich daher (auch) nach diesen Tatbestandsalternativen, nicht umgekehrt. Anderes lässt sich hinsichtlich des Gefahrenmaßstabs auch nicht der Regelung des § 53 Abs. 1 AufenthG entnehmen. Denn anders als bei den übrigen Ausweisungsinteressen hat der Gesetzgeber in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG das Erfordernis einer Gefahr (nochmals) ausdrücklich aufgeführt, was unter systematischen Gesichtspunkten für eine gewisse Eigenständigkeit des Gefahrentatbestandes gegenüber § 53 Abs. 1 AufenthG fruchtbar gemacht werden kann. Es gilt damit nunmehr, dass das Gesetz bereits die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Bundesgebiet als eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ansieht, unabhängig davon ob die terroristische Vereinigung Gewaltakte auch auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland oder gegen deutsche Einrichtungen im Ausland begeht. Weiterhin gilt jedenfalls für die Fälle des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ein abgesenkter Gefahrenmaßstab, der auch Vorfeldmaßnahmen erfasst und keine von der Person des Unterstützers ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefahr erfordert. Die Rechtsprechung des Senats zur Unterstützung des Terrorismus durch Handlungen in dessen Vorfeld hat dem Rechnung zu tragen und dabei auch die Bedeutung zu berücksichtigen, die der Unionsgesetzgeber dieser Vorfeldunterstützung durch den Erwägungsgrund 37 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 S. 9) - EU-Anerkennungsrichtlinie - beimisst.

35

Ein Anlass für eine verfassungsrechtliche Neubewertung des Gefahrenmaßstabs besteht entgegen dem umfangreichen Revisionsvorbringen nicht. In der Rechtsprechung des Senats ist seit dem Urteil zum Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus - Terrorismusbekämpfungsgesetz - vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361, 3142) anerkannt, dass der Unterstützungsbegriff weit auszulegen und anzuwenden ist, um damit der auch völkerrechtlich begründeten Zielsetzung des Gesetzes gerecht zu werden, dem Terrorismus schon im Vorfeld die logistische Basis zu entziehen (BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <127 ff.>). Maßgeblich ist, inwieweit das festgestellte Verhalten des Einzelnen zu den latenten Gefahren der Vorfeldunterstützung des Terrorismus nicht nur ganz unwesentlich oder geringfügig beiträgt und deshalb selbst potenziell gefährlich erscheint. Wegen der tatbestandlichen Weite des Unterstützungsbegriffs ist allerdings bei der Anwendung der Vorschrift darauf zu achten, dass nicht unverhältnismäßig namentlich in das auch Ausländern zustehende Recht auf freie Meinungsäußerung jenseits der zumindest mittelbaren Billigung terroristischer Bestrebungen eingegriffen wird. Einen bislang nicht berücksichtigten verfassungsrechtlichen Rechtssatz, der den so umschriebenen Ausgleich zwischen dem legitimen und schon wegen seiner völkerrechtlichen Vorgaben besonders gewichtigen gesetzgeberischen Ziel der Terrorismusbekämpfung und den geschützten Grundrechtspositionen eines Ausländers infrage stellen würde, zeigt die Revision nicht auf. Insbesondere sprechen der Charakter der Ausweisung als Maßnahme der Gefahrenabwehr sowie die spezifische Zielsetzung der Terrorismusbekämpfung gegen eine Übertragung strafrechtlicher Rechtsprechungsgrundsätze, wie sie etwa für die Abgrenzung strafbarer und straffreier Meinungsäußerungen gelten. Der Senat hält auch unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an seiner bisherigen Rechtsprechung fest.

36

b) Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG angenommen. Dies gilt sowohl für die Qualifizierung der PKK als terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung (aa) als auch - jedenfalls im Ergebnis - für die Qualifizierung der Handlungen des Klägers als relevante Unterstützungshandlungen (bb). Ebenso wenig zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen hat (cc).

37

(aa) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Qualifizierung der PKK als eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Das Gericht legt seiner Entscheidung die in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze für die Definition einer terroristischen Vereinigung zugrunde (UA Bl. 27 f.) und geht damit von einem zutreffenden Maßstab aus. Für die Bewertung der PKK als eine solche Vereinigung hat das Gericht zunächst darauf abgestellt, dass sie auch noch aktuell auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist, ohne diesem Umstand eine über einen deutlichen Anhaltspunkt hinausgehende Bedeutung beizumessen (UA Bl. 31). Hieran anknüpfend hat das Berufungsgericht sodann auf der Grundlage der ihm vorliegenden Erkenntnismittel festgestellt, dass die PKK zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele in der Türkei weiterhin Gewalttaten gegen staatliche Einrichtungen und Amtsträger sowie die Zivilbevölkerung verübt und im Übrigen etwa zur Finanzierung ihrer Aktivitäten oder zur Bekämpfung von Kritikern auch nicht vor Verbrechen gegenüber ihren eigenen Anhängern und auch darüber hinaus gegenüber der kurdischstämmigen Bevölkerung insgesamt zurückschreckt. Insbesondere sei die zwischen dem türkischen Staat und der PKK ausgehandelte (relative) Waffenruhe seitens der PKK zuletzt Ende Juli 2015 ausdrücklich aufgekündigt worden (UA Bl. 32 f.). Diese tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts sind von der Revision nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen worden und daher für den Senat bindend. Sie erlauben dem Senat zudem eine eigene rechtliche Bewertung des Inhalts, dass die PKK eine terroristische Vereinigung darstellt und nicht lediglich eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung.

38

(bb) Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist auch die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, dass der Kläger die PKK in rechtserheblicher Weise individuell unterstützt hat. Allerdings ist das Gericht unter Verstoß gegen Bundesrecht davon ausgegangen, dass zu Lasten des Klägers nur solche Unterstützungshandlungen berücksichtigt werden dürfen, die in zeitlicher Hinsicht nach der Mitteilung des Regierungspräsidiums vom Juli 2010 lagen, wonach eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft würden.

39

Das Berufungsgericht ist insoweit rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass ein Ausweisungsinteresse bereits dann aus Gründen des Vertrauensschutzes verbraucht ist und nicht mehr zur Begründung einer Ausweisung herangezogen werden kann, wenn ein Aufenthaltstitel in Kenntnis oder dem Staat zuzurechnender Unkenntnis erteilt oder verlängert wurde (UA S. 34 f.). Zwar ist in der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich anerkannt ist, dass Ausweisungsgründe in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und so lange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind und die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <313> und vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <121 f.>). Aus der Ableitung dieser Kriterien aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt jedoch, dass die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Aus der Rechtsprechung des Senats ergibt sich zudem, dass ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers schützenswert sein muss. Hieran fehlt es, wenn die Ausländerbehörde - wie vorliegend - dem Kläger auf dessen Anfrage zum Stand des Verfahrens auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis lediglich mitteilt, dass gegenwärtig noch eine Sicherheitsüberprüfung stattfinde, und dann zu einem späteren Zeitpunkt ohne jegliche Erläuterung zum Ausgang der Sicherheitsüberprüfung die begehrte Niederlassungserlaubnis erteilt. Auf dieser Grundlage kann der Betroffene nämlich weder wissen, welchen konkreten Umständen die Ausländerbehörde im Rahmen ihrer Sicherheitsüberprüfung nachgegangen ist, noch zu welchen konkreten Erkenntnissen sie hierbei nach Abschluss der Überprüfung gelangt ist. Daher kann der Betroffene aus der Erteilung der Niederlassungserlaubnis billigerweise auch nicht schließen, dass die Ausländerbehörde bei ihrer Sicherheitsüberprüfung alle als potentielle Versagungsgründe in Betracht kommenden Umstände tatsächlich ermittelt und sodann als für die Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis unbeachtlich eingestuft hat.

40

Das angefochtene Urteil beruht jedoch nicht auf diesem Rechtsverstoß, weil das Berufungsgericht auch ohne Berücksichtigung der vor dem für maßgeblich erachteten Zeitpunkt liegenden Umstände von rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen des Klägers ausgegangen ist und die diesbezüglichen Feststellungen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sind. Im Übrigen wäre der Kläger durch die Nichtberücksichtigung weiterer, ihn belastender Umstände auch nicht beschwert. Im Einzelnen hat das Berufungsgericht für die Bestimmung der rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen zutreffend auf die in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäbe zu § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung abgestellt (UA Bl. 35 ff.). Keine abweichende Beurteilung ergibt sich aus dem Einwand des Klägers, die PKK nicht unmittelbar unterstützt zu haben, sondern sich in legalen Vereinigungen betätigt zu haben, die ihrerseits die PKK im Wissen um deren Charakter gewollt und gezielt unterstützen. Denn es stellt keine verminderte Gefahr der Vorfeldunterstützung des Terrorismus dar, wenn die Unterstützung terroristischer Vereinigungen nicht durch isolierte Einzelhandlungen, sondern in Vereinigung mit anderen erfolgt. Hierin liegt auch kein Fehlen der Unmittelbarkeit der Unterstützungshandlungen.

41

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht sodann nach Auswertung der ihm vorliegenden umfangreichen Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden festgestellt, dass der Kläger über mehrere Jahre in teils hervorgehobener Funktion als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter oder Redner regelmäßig an Veranstaltungen teilgenommen und mitgewirkt hat, bei denen offene Propaganda für die PKK betrieben worden ist (UA Bl. 39 - 42). Unter Einbeziehung der Aktivitäten des Klägers in der Zeit seit 2001, wie sie in der Ausweisungsverfügung (S. 3 - 9, 16 - 23) aufgelistet, vom Kläger nicht in Abrede gestellt und vom Berufungsgericht in Bezug genommen worden sind (UA S. 39 f.), stellt sich das Unterstützungshandeln des Klägers wie folgt dar: Der Kläger war von 2001 bis 2003/2004 Vorsitzender des "Kurdischen Kulturverein e.V." in L., der der KONGRA-GEL nahestand. Im Oktober 2004 wurde er in das 15-köpfige Führungskomitee der "Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland" (YEK-KOM) gewählt und gehörte diesem bis zur Auflösung der YEK-KOM im Jahr 2014 an, zeitweilig (bis 2011) war er der 2. Vorsitzende der Vereinigung. Er hat sich im Juni 2014 in den fünfköpfigen Vorstand der die PKK unterstützenden NAV-DEM wählen lassen und diese Vorstandstätigkeit bis zum Tage der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausgeübt (UA Bl. 43 - 45).

42

Der Kläger beteiligte sich seit Mitte 2003 regelmäßig an Kundgebungen und Demonstrationen in unterschiedlichen deutschen Städten (u.a. Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg, Frankfurt, Gelsenkirchen, Düsseldorf, Stuttgart) und in Straßburg/Frankreich, die sich unter anderem für eine Freilassung des inhaftierten PKK-Führers Öcalan aussprachen, des Gründungsjahrestags der PKK und/oder der "Märtyrer des kurdischen Freiheitskampfes" gedachten und Parolen auf die PKK ausriefen. Der Kläger hielt auf einigen dieser Veranstaltungen eine Rede, im Februar 2007 hob er dabei die Bedeutung der Gefallenen für die kurdische Sache hervor, im Januar 2009 sprach er zur aktuellen Lage der Kurden in ihrer Heimat, im März 2010 kritisierte er die Exekutivmaßnahmen der belgischen Polizei gegenüber dem kurdischen TV-Sender ROJ-TV, im November 2011 sprach er auf einer Kundgebung, die zum Thema u.a. die Verwendung von Napalmgas und chemischer Waffen gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei hatte, im Januar 2013 verurteilte er auf einer Kundgebung die Ermordung von drei PKK-Aktivisten in Paris, im Oktober 2015 hielt er anlässlich einer Protestaktion der NAV-DEM in Frankfurt eine Rede.

43

Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger nicht nur seine individuellen Unterstützungshandlungen, sondern sämtliche Aktionen der YEK-KOM und der NAV-DEM aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied persönlich zuzurechnen sind. Die YEK-KOM, der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK nach den gerichtlichen Feststellungen durch eine Vielzahl von Aktionen. Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen oder ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie "Freiheit für Öcalan" und "Frieden für Kurdistan". Im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die "logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans" verankert. Der Verein biete der PKK oder ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Für die NAV-DEM gilt nach den getroffenen Feststellungen nichts anderes. Der Verein sei keine Neugründung, sondern eine Umbenennung des Vereins YEK-KOM. Im Übrigen werde deutlich, dass die NAV-DEM ihre Veranstaltungen und Kundgebungen mit gleichem Ablauf und gleichen Themen durchführe wie zuvor schon unter dem Namen YEK-KOM. Diese zutreffende Würdigung bedeutet auch nicht, dass jeder Einsatz für die Interessen und Belange kurdischer Volkszugehöriger (oder eine Kritik an der Kurdenpolitik der Türkischen Republik) als eine Unterstützung der PKK und damit des Terrorismus einzuordnen wäre.

44

(cc) Soweit schließlich nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausscheidet, wenn der Ausländer ernsthaft und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt, hat das Berufungsgericht ebenfalls in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der Kläger ausweislich seines auch während des Ausweisungsverfahrens fortgesetzten Engagements als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter und Redner auch künftig an seiner Unterstützung der PKK festhalten wird. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Unterstützerverhalten des Klägers sind detailreich und stellen - entgegen der Auffassung der Revision - keine zu schmale Tatsachengrundlage für die getroffenen Feststellungen dar. Damit erfüllt der Kläger die gesetzlichen Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, und es liegt ein Ausweisungsinteresse vor, das besonders schwer wiegt.

45

3. Die angefochtene Verfügung des Beklagten erfüllt auch die besonderen Voraussetzungen, die nach § 53 Abs. 3 AufenthG an die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings zu stellen sind. Ein solcher darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

46

a) Diese den Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG ergänzende Vorschrift legt erhöhte Ausweisungsvoraussetzungen für mehrere rechtlich privilegierte Personengruppen fest, nämlich für Ausländer, die als Asylberechtigte anerkannt sind, die im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießen, die einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention besitzen, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder die eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU besitzen. Für all diese Personengruppen gilt der besondere aus Art. 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG abgeleitete Maßstab, den der Gerichtshof der Europäischen Union auch auf Ausländer erstreckt hat, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - C-371/08 [ECLI:EU:C:2011:809], Ziebell - Slg. 2011, I-12735 Rn. 79, 86). Der Senat folgt nicht der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, wonach die Voraussetzungen des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 53 Abs. 3 AufenthG von vornherein "bereichsspezifisch" gemäß dem durch das Unionsrecht für den jeweiligen Personenkreis bestimmten Ausweisungsschutz auszulegen sind. Vielmehr hat der Gesetzgeber den unionsrechtlichen Schutzstandard für daueraufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige für ausreichend befunden und dessen Geltung für alle genannten Personengruppen angeordnet. Dies entbindet freilich nicht davon, in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob für die jeweils betrachtete Personengruppe der so durch den nationalen Gesetzgeber definierte Ausweisungsschutz dem unionsrechtlichen Maßstab tatsächlich genügt. Nur wenn der unionsrechtliche Maßstab strenger ist als derjenige, der durch den Gesetzgeber in § 53 Abs. 3 AufenthG festgelegt worden ist, bedarf § 53 Abs. 3 AufenthG nach allgemeinen Grundsätzen einer unionsrechtskonformen Auslegung, die angesichts der Weite der Tatbestandsmerkmale und des erkennbaren gesetzgeberischen Willens, europarechtlichen Maßstäben zu genügen, auch möglich ist (so auch Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 54).

47

Im vorliegenden Fall ist § 53 Abs. 3 AufenthG unionsrechtskonform nach den Vorgaben der EU-Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU auszulegen. Die Richtlinie formuliert keine Vorgaben für eine Ausweisung im Sinne des deutschen Rechts, wohl aber für eine Zurückweisung in den Herkunftsstaat (Art. 21 Abs. 2 und 3) und für den Entzug des Aufenthaltstitels (Art. 24 Abs. 1).

48

b) Nach Art. 21 Abs. 3 der EU-Anerkennungsrichtlinie darf ein Mitgliedstaat den einem Flüchtling erteilten Aufenthaltstitel widerrufen, wenn die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 2 vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 2012 - 1 C 8.11 - BVerwGE 143, 138 Rn. 21). Fällt ein Flüchtling nicht in den Anwendungsbereich von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie, kann auch Abs. 3 dieser Vorschrift nicht zu Anwendung kommen (EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 - Rn. 44). Eine Zurückweisung ist nach Art. 21 Abs. 2 Buchst. a zulässig, wenn es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass der Flüchtling eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält. Es kann offenbleiben, ob vom Kläger eine Gefahr im Sinne dieser Vorschrift ausgeht, denn die Zurückweisung ist nur unter der weiteren Voraussetzung rechtmäßig, dass sie dem Mitgliedstaat nicht aufgrund seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen untersagt ist (Art. 21 Abs. 2). Dazu zählen die Verpflichtungen aus Art. 3 EMRK (vgl. Begründung der Kommission im Richtlinienvorschlag vom 12. September 2001 KOM (2001) 510 endg. S. 33 zu Art. 19). Dem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK kommt absoluter Charakter zu; es kann mithin - anders als das Refoulement-Verbot nach Art. 33 Abs. 1 GFK - nicht unter den Voraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 Richtlinie 2011/95/EU i.V.m. Art. 35 Abs. 2 GFK durchbrochen werden (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 5. April 2016 - C-404/15 und C-659/15 PPU [ECLI:EU:C:2016:198], Aranyosi und Căldăraru - Rn. 85 - 87; EGMR, Urteil vom 17. Dezember 1996 - Nr. 71/1995/577/663, Ahmed/Österreich - NVwZ 1997, 1100 Rn. 39 - 41). Für den Kläger besteht ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK. Denn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat im Anerkennungsbescheid vom 9. Oktober 1997 nicht nur die Flüchtlingseigenschaft des Klägers nach dem seinerzeit maßgeblichen § 51 Abs. 1 AuslG 1990, sondern auch ein Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990 hinsichtlich der Türkei festgestellt und dieses damit begründet, dass dem Kläger in der Türkei unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Diese Feststellung des Bundesamts begründet hier ein - absolutes - nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Insoweit kommt der Feststellung des Bundesamts im vorliegenden Verfahren über § 42 AsylG auch Bindungswirkung zu. Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU begrenzt damit den behördlichen Handlungsspielraum für eine Abschiebung in einen Verfolgerstaat oder einen Staat, in dem Gefahren nach Art. 3 EMRK drohen. Die Vorschrift setzt jedoch keine Maßstäbe für eine lediglich "inlandsbezogene" Ausweisung, die - wie hier - insbesondere den Verlust des Aufenthaltstitels zur Folge hat.

49

c) Unionsrechtliche Maßstäbe für eine zum Verlust des Aufenthaltstitels eines Flüchtlings führende inlandsbezogene Ausweisung lassen sich aus Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie gewinnen. Die Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten, einem Flüchtling so bald wie möglich nach der Anerkennung einen Aufenthaltstitel auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.

50

(aa) Der Inhalt dieser Norm wurde vom Gerichtshof der Europäischen Union in einem auf ein Vorlageersuchen des Berufungsgerichts ergangenen Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) näher bestimmt. Die Entscheidung bezieht sich zwar auf Art. 24 Abs. 1 der EG-Anerkennungsrichtlinie 2004/83/EG, ihre Aussagen sind aber uneingeschränkt auf die in der Sache unveränderte Vorschrift des Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU übertragbar. Danach kann einem Flüchtling nach Art. 24 Abs. 1 nicht nur die Erteilung eines Aufenthaltstitels versagt werden, sondern der erteilte Aufenthaltstitel auch nachträglich widerrufen werden, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen (a.a.O. Rn. 55). Soweit in der Neufassung der Vorschrift nunmehr von zwingenden Gründen der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung die Rede ist, ist damit keine inhaltliche Änderung verbunden. Diese Wirkung einer Entziehung des Aufenthaltstitels kommt der hier verfügten Ausweisung zu, die wegen des entgegenstehenden Abschiebungsverbots nach Art. 3 EMRK nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung führt. Entgegen einer am Wortlaut orientierten Auslegung von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie hat der darin verwendete Begriff der "zwingenden Gründe" nach dem EuGH-Urteil eine weitere Bedeutung als der Begriff der "stichhaltigen Gründe" in Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie. Das bedeutet, dass bestimmte Umstände, die nicht den Schweregrad aufweisen, um eine Zurückweisung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie verfügen zu können, den Mitgliedstaat gleichwohl dazu berechtigen können, auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie dem betroffenen Flüchtling seinen Aufenthaltstitel zu entziehen (a.a.O. Rn. 75).

51

Bei der Bestimmung des Bedeutungsgehalts der "zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" hat der EuGH zunächst Bezug auf seine Rechtsprechung zu den Begriffen der "öffentlichen Sicherheit" und der "öffentlichen Ordnung" in Art. 27 und 28 der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG genommen (a.a.O. Rn. 77 ff.). Danach umfasst der Begriff "öffentliche Sicherheit" im Sinne von Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats. Die öffentliche Sicherheit kann danach berührt sein, wenn das Funktionieren staatlicher Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste beeinträchtigt wird oder eine Gefahr für das Überleben der Bevölkerung oder einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker besteht oder militärische Interessen beeinträchtigt werden. Dabei deutet der Begriff der "zwingenden Gründe" auf einen besonders hohen Schweregrad der Beeinträchtigung hin (a.a.O. Rn. 78). Den Begriff der "öffentlichen Ordnung" hat der EuGH für die Unionsbürgerrichtlinie dahin ausgelegt, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliegen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (a.a.O. Rn. 79). Zugleich betont er, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, nach ihren nationalen Bedürfnissen, die je nach Mitgliedstaat und Zeitpunkt unterschiedlich sein können, zu bestimmen, was die öffentliche Ordnung und Sicherheit erfordern (a.a.O. Rn. 77).

52

Für den Fall der Unterstützung des Terrorismus hat der EuGH zudem auf den 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83/EG, heute 37. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95/EU hingewiesen, wonach der Begriff der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" auch für die Fälle gilt, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt. Dabei muss das nationale Gericht in einem ersten Schritt prüfen, ob die Handlungen der fraglichen Organisation die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedrohen. Wird eine vom Flüchtling unterstützte Vereinigung in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93) geführt, ist dies ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie entweder eine terroristische Organisation ist oder im Verdacht steht, eine solche Organisation zu sein (a.a.O. Rn. 83). Allein der Umstand, dass ein Flüchtling eine solche Organisation unterstützt hat, darf jedoch nicht automatisch zur Aufhebung seines Aufenthaltstitels führen. Vielmehr ist in einem zweiten Schritt einzelfallbezogen die Rolle zu prüfen, die der Betreffende im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt hat (a.a.O. Rn. 90), und auch der Schweregrad der Gefahr zu beurteilen, die von seinen Handlungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (a.a.O. Rn. 92).

53

(bb) Das Berufungsgericht hat die vom Kläger geleisteten und ihm zuzurechnenden Unterstützungshandlungen an dem vom EuGH präzisierten Maßstab für die Auslegung des Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie gemessen und ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass sich hieraus zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ergeben, die einen Entzug des Aufenthaltstitels gegenüber dem Kläger rechtfertigen. Das Gericht hat bereits im Rahmen seiner Prüfung des besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausführlich begründet, warum die PKK eine terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung darstellt (UA S. 27 - 34). Dabei hat es gewürdigt, dass die PKK auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist und auch weiterhin terroristische Aktivitäten entfaltet. In einem zweiten Schritt hat es näher dargelegt, warum die in Deutschland agierenden Vereinigungen YEK-KOM und NAV-DEM, für die der Kläger seit mehr als zwölf Jahren in hervorgehobenen Funktionen wirkte, und der Kläger auch individuell durch Anmeldung und Leitung von Versammlungen sowie Redebeiträge und weitere Aktivitäten die PKK unterstützt haben und weiter unterstützen (UA S. 55, 34 - 48). Die Bewertung des Berufungsgerichts, dass der Kläger damit die Voraussetzungen für den Entzug seines Aufenthaltstitels nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie erfüllt, steht mit der Rechtsprechung des EuGH in Einklang. Zwar hat er selbst keine terroristischen Handlungen begangen, auch nicht andere Personen hierzu angeleitet oder sich an der Planung oder Finanzierung terroristischer Aktionen beteiligt, wie das der EuGH als mögliches Unterstützerhandeln erwähnt (a.a.O. Rn. 90). Diese Aufzählung des Gerichtshofs ist jedoch nur beispielhaft, macht zugleich aber deutlich, dass der Betreffende eine gewichtige Rolle im Rahmen seiner Unterstützung der terroristischen Organisation gespielt haben muss.

54

Bei der Frage, was als gewichtig anzusehen ist, ist der 37. Erwägungsgrund der Richtlinie zu berücksichtigen, wonach auch die Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, und die Unterstützung einer derartigen Vereinigung als Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung anzusehen sind. Die abschließende Bewertung, ob die Unterstützungshandlung hinreichend gewichtig ist, um "zwingende Gründe" darzustellen, überlässt der Gerichtshof dem verantwortlichen nationalen Gericht und erkennt auch einen Einschätzungsspielraum der Mitgliedstaaten an, nach ihren nationalen Bedürfnissen zu bestimmen, was die nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung erfordern. Diese abschließende Bewertung hat das Berufungsgericht dahin getroffen, dass die Unterstützungshandlungen des Klägers dem von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie geforderten Gewicht entsprechen. Es hat dies auf der Grundlage der Gewichtungsvorgabe des nationalen Gesetzgebers in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nachvollziehbar mit dem mehr als zwölfjährigem Unterstützerhandeln des Klägers in hervorgehobener Position innerhalb zweier Vereinigungen begründet, in dessen Rahmen er an zahlreichen Veranstaltungen mitwirkte, an denen sich Akteure beteiligten, die offen für die PKK warben und deren Kurs vorbehaltlos befürworteten (Auftreten in Guerillauniform, Märtyrergedenken, Grußbotschaften an die Kämpfer an der Front usw.). Für das Gewicht seines Unterstützerhandelns durfte das Gericht auch berücksichtigen, dass der Kläger nach den tatrichterlichen Feststellungen in vollem Bewusstsein um dessen Bedeutung für den ideologischen Zusammenhalt der PKK und in dem Willen gehandelt hat, diese vorbehaltlos auch in Bezug auf deren terroristische Aktivitäten zu unterstützen (UA S. 55).

55

(cc) Der EuGH hat in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13 Rn. 95 ff.) aber hervorgehoben, dass ein Flüchtling, dessen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie aufgehoben wird, seinen Flüchtlingsstatus behält, sofern und solange ihm nicht dieser Status entzogen worden ist. Daher ist er auch nach dem Verlust seines Aufenthaltstitels weiterhin Flüchtling und hat in dieser Eigenschaft weiterhin Anspruch auf die Vergünstigungen, die das Kapitel VII der Richtlinie jedem Flüchtling gewährleistet, so insbesondere auf Schutz vor Zurückweisung, auf Wahrung des Familienverbands, auf Ausstellung von Reisedokumenten, auf Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung, zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie auf Zugang zu Integrationsmaßnahmen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift. Diese Rechte dürfen, auch soweit sie nach nationalem Recht an den Besitz eines Aufenthaltstitels anknüpfen, von den zuständigen Behörden daher nicht mit der Begründung versagt werden, dass der Aufenthalt des Flüchtlings infolge der Ausweisung rechtswidrig geworden ist. Allerdings darf die Ausstellung eines Reiseausweises nach Art. 25 EU-Anerkennungsrichtlinie versagt werden, wenn - etwa zur Begegnung der Gefahr terroristischen Unterstützungshandelns - zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung entgegenstehen. Ebenso dürfen nach Art. 33 der Richtlinie aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen verfügt werden, wenn diese aus Gründen der öffentlichen Sicherheit auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern zulässig sind.

56

Eventuelle Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der dem Flüchtling auch nach Entzug des Aufenthaltstitels weiter zustehenden Rechte nach Kapitel VII der EU-Anerkennungsrichtlinie infolge unzureichender Umsetzung der Richtlinie in den einschlägigen nationalen Fachgesetzen berühren nicht die Rechtmäßigkeit der verfügten Ausweisung. An die Beachtung der einen Flüchtling unmittelbar begünstigenden Vorschriften in Kapitel VII der Richtlinie und die hierzu ergangene Rechtsprechung des EuGH sind seit Ablauf der Umsetzungsfrist alle nationalen Behörden gebunden. Der Flüchtling hat seine Rechte gegenüber den jeweils zuständigen Behörden und erforderlichenfalls Gerichten geltend zu machen. Auch die Generalanwältin hat es insoweit als die Pflicht der nationalen Gerichte angesehen, für die volle Wirksamkeit der Bestimmungen der Richtlinie Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede entgegenstehende Vorschrift des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 11. September 2014 - C-373/13 - Rn. 114 letzter Absatz).

57

4. Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen gewichtige Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1, § 55 AufenthG gegenüber. Diese hat das Berufungsgericht zutreffend bestimmt (UA S. 59 f.). Es hat berücksichtigt, dass der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besessen hat, die durch die Ausweisungsverfügung betroffen ist, er mit deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und er sein Personensorgerecht für minderjährige ledige Deutsche ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG).

58

5. Das Berufungsgericht hat das öffentliche Ausweisungsinteresse gegen die Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG unter Berücksichtigung der den Einzelfall prägenden Umstände abgewogen und ist unter Beachtung des hierfür zentralen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass das Ausweisungsinteresse überwiegt (UA S. 60 - 64). Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Gericht hat berücksichtigt, dass der Kläger besonderen Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie genießt, hier allerdings auf absehbare Zeit keine Aufenthaltsbeendigung beabsichtigt ist, da ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht. Es hat seinen langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und seine familiären Bindungen im Sinne von Art. 6 GG, Art. 8 EMRK gewürdigt, diesen durch die Verfügung allerdings insoweit nicht als beeinträchtigt angesehen, als keine Aufenthaltsbeendigung erfolgt. Es hat bei seiner Abwägung berücksichtigt, dass der Kläger in seinen geschützten Bindungen dadurch betroffen ist, dass sein Aufenthalt auf das Gebiet der Stadt M. beschränkt und er Meldeauflagen unterworfen ist. Weitere schützenswerte Bindungen hat das Gericht nicht anerkannt und dies nachvollziehbar damit begründet, dass der Kläger ungeachtet seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland kaum deutsch spricht, nur sporadisch und für kürzere Zeiträume erwerbstätig war und seit längerem von Sozialleistungen abhängig ist. Schließlich hat das Berufungsgericht in die Abwägung eingestellt, dass es der Kläger in der Hand hat, durch eine glaubhafte Abkehr von seinem bisherigen Verhalten eine Aufhebung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu erreichen.

59

6. Ohne Rechtsverstoß wertet das Berufungsurteil die in Ziffer 2 der angefochtenen Verfügung angeordnete Aufenthaltsbeschränkung und die verfügten Meldeauflagen als rechtmäßig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliegt ein Ausländer, gegen den - wie hier - eine Ausweisungsverfügung aufgrund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG besteht, der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Gestützt auf diese Ermächtigung hat der Beklagte bestimmt, dass sich der Kläger zweimal wöchentlich zu melden hat. Ferner hat er den Aufenthalt des Klägers auf den Bereich der Stadt M. beschränkt, wie das § 56 Abs. 2 AufenthG vorsieht, wenn die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft. Diese aufenthaltsbeschränkenden Maßnahmen durften gegenüber dem Kläger trotz dessen Rechtsstellung als Flüchtling ergehen. Dadurch wird sein Recht auf Freizügigkeit gemäß Art. 33 EU-Anerkennungsrichtlinie nicht verletzt. Denn derartige Maßnahmen dürfen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, wie sie hier wegen des Erfordernisses der Abwehr von terrorismusfördernden Aktivitäten vorliegen, auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern verfügt werden (§ 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG).

60

7. Zutreffend ist das Berufungsgericht auch zu dem Ergebnis gekommen, dass die für die Ausweisung des Klägers anwendbaren Regelungen des Ausweisungsrechts nicht gegen assoziationsrechtliche Verschlechterungsverbote aus Art. 13 ARB 1/80, Art. 7 ARB 2/76 und Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen (BGBl. 1972 II S. 385) verstoßen. Dabei kann offenbleiben, ob hier überhaupt eines der Verschlechterungsverbote Anwendung findet. Denn der zum 1. Januar 2016 eingeführte Übergang von einer Ermessensentscheidung zu einer gebundenen Entscheidung stellt keine Verschlechterung der Rechtsstellung des betroffenen Ausländers dar (a). Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung bewirkte zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für betroffene Ausländer, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt (b).

61

a) Die zum 1. Januar 2016 eingeführte Neuregelung des Ausweisungsrechts, die die bisherige Ermessensausweisung durch eine am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte gebundene Ausweisung abgelöst hat, hat die Rechtsstellung der Ausländer in der hier gebotenen und auch unionsrechtlich statthaften Gesamtschau nicht verschlechtert, sondern jedenfalls teilweise verbessert. Denn bisher sah das Gesetz Tatbestände einer zwingenden Ausweisung (Ist-Ausweisung), regelmäßig erfolgenden Ausweisung (Soll-Ausweisung) und Ausweisung nach Ermessen (Kann-Ausweisung) vor. Die zwingende Ausweisung und die regelmäßig erfolgende Ausweisung widersprachen für den Personenkreis der unionsrechtlich privilegierten Ausländer der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach eine Ausweisung ausschließlich auf ein persönliches Verhalten des Ausländers gestützt werden darf, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 [ECLI:EU:C:2004:262], Orfanopoulos und Oliveri - Slg. 2004, I-5257 Rn. 66 f.). Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass eine Regelung gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, wonach eine Ausweisung automatisch aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung verfügt wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird (a.a.O. Rn. 70). Aber auch die nationale Bestimmung über die Regelausweisung hat für den Gerichtshof den Anschein erweckt, dass trotz der Berücksichtigung individueller Umstände ein gewisser Automatismus oder jedenfalls eine Vermutung besteht, dass der betreffende Staatsangehörige auszuweisen ist (a.a.O. Rn. 92).

62

Daraus hat das Bundesverwaltungsgericht die Schlussfolgerung gezogen, dass die gesetzliche Regelung zur zwingenden Ausweisung und Regelausweisung auf unionsrechtlich privilegierte Ausländer nicht mehr angewendet werden darf (BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <302> betreffend Unionsbürger und - 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <321> betreffend Assoziationsberechtigte nach ARB 1/80). Der Gesetzgeber hat daraus durch das zum 1. Januar 2016 in Kraft getretene neue Ausweisungsrecht die Konsequenzen gezogen. Insofern stellt die neue Rechtslage eine Verbesserung gegenüber der bisherigen dar. Eine Ausweisung nach neuem Recht hat eine einzelfallbezogene umfassende Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen und orientiert sich dabei strikt am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 53 Abs. 1 und 2 AufenthG). Damit setzt der Gesetzgeber Vorgaben um, die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 - Rn. 99) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR , Urteil vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 57 - 60) ergeben.

63

Es stellt keine Verschlechterung der Rechtslage für unionsrechtlich privilegierte Ausländer dar, dass ihre Ausweisung nach früherer Rechtslage im Wege einer Ermessensentscheidung erfolgte, nach neuem Recht hingegen im Wege einer rechtlich gebundenen Ausweisung, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Damit entfällt zwar die Möglichkeit, aus Gründen der Zweckmäßigkeit von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen. Auf ein solches Absehen von einer rechts- und ermessensfehlerfrei möglichen Ausweisung hatte der Ausländer aber zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch, auch die gerichtliche Kontrolle war insoweit durch § 114 VwGO eingeschränkt; durch die gesetzliche Neuregelung wird also keine individuelle Rechtsposition beeinträchtigt. Im Übrigen ist für die Beachtung des Verschlechterungsverbots auf die tatsächliche Praxis und nicht allein auf die abstrakte Rechtslage abzustellen. Die Rechtspraxis wurde maßgeblich durch die Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz des Bundesministeriums des Innern vom 26. Oktober 2009 gesteuert. Danach lag die Ausweisungsentscheidung im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde, bei der Ermessensausübung waren das schutzwürdige Interesse des Ausländers am weiteren Verbleib in Deutschland und das öffentliche Interesse an der Ausweisung gegeneinander abzuwägen (Ziffer 55.1.3). Das weist auf eine Rechtspraxis hin, die der heute normierten gebundenen Ausweisung entspricht, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Insofern hat sich die Rechtsstellung des Ausländers nicht verschlechtert.

64

b) Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung hat zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für die betroffenen Ausländer bewirkt, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Die seinerzeitige Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung (§ 54 Nr. 5 AufenthG a.F.) führte zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gegenüber der früheren Rechtslage, die allein den Tatbestand der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland kannte. Durch die Rechtsänderung wurde nun auch die Vorfeldunterstützung des Terrorismus erfasst. Diese ist jedoch mit Blick auf das Verschlechterungsverbot aus Art. 13 ARB 1/80 aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 14 ARB 1/80, jedenfalls aber durch ein zwingendes Allgemeininteresse, namentlich die völkerrechtlich gebotene Terrorismusbekämpfung auch bereits im Vorfeld unmittelbarer terroristischer Handlungen, gerechtfertigt.

65

8. Nach der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG ist über die Länge der Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach Ermessen zu entscheiden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Diese gesetzgeberische Entscheidung ist mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom gleichen Tage - 1 C 27.16 - Rn. 20 ff.). Das Urteil des Senats zur Vorläuferfassung des § 11 AufenthG a.F., wonach eine gebundene Entscheidung zu treffen war (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.), erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihm ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen. Eine solche Ermessensentscheidung hat der Beklagte hier noch nicht getroffen. Vielmehr hat bisher das Verwaltungsgericht das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach der seinerzeit geltenden Rechtslage im Wege einer gebundenen Entscheidung auf acht Jahre festgesetzt.

66

Der Beklagte hat die nach neuem Recht nunmehr gebotene Ermessensentscheidung nachzuholen. Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange.

67

B. Der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellte (weitere) Hilfsantrag, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass dem Kläger auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie, ist unzulässig. Er stellt eine unzulässige Klageerweiterung im Revisionsverfahren dar (§ 142 Abs. 1 VwGO). Im Übrigen bedarf es einer solchen behördlichen Feststellung auch nicht. Aus dem für alle nationalen Behörden verbindlichen EuGH-Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) ergibt sich bis zu einer dem Gesetzgeber vorbehaltenen Anpassung der einschlägigen Fachgesetze hinreichend deutlich, dass dem Kläger - solange er die Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der EU-Anerkennungsrichtlinie genießt - auch die mit dieser Rechtsstellung einhergehenden Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie zustehen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift (vgl. dazu auch die vorstehenden Ausführungen in Rn. 55 f. dieses Urteils).

68

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat gewichtet den gegen die Ausweisung, die Meldeauflage, die Aufenthaltsbeschränkung und die Abschiebungsandrohung gerichteten Anfechtungsantrag mit 4/5 und den auf Befristung zielenden Verpflichtungsantrag mit 1/5 (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 46).

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 18. Januar 2017 - 7 K 3259/16 - geändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Klägers gegen den Bescheid des Landratsamts Alb-Donau-Kreis vom 10. August 2016 wird hinsichtlich der Ablehnung der Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis (Nr. 1 des Bescheids) wiederhergestellt und hinsichtlich der Fristsetzung einer Ausreisefrist mit Abschiebungsandrohung (Nr. 2 und Nr. 3 des Bescheids) angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert für das Verfahren in beiden Rechtszügen wird unter Änderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts von Amts wegen auf jeweils 7.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht es abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 16. August 2016 gegen die Versagung der Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis und die Abschiebungsandrohung aus dem Bescheid des Landratsamts Alb-Donau-Kreis vom 10. August 2016 anzuordnen. Mit den im Beschwerdeverfahren dargelegten Gründen, auf deren Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, zieht er die inhaltliche Richtigkeit des Beschlusses des Verwaltungsgerichts erfolgreich in Zweifel. Die deshalb erforderliche umfassende Prüfung seines Rechtsschutzbegehrens führt auf dessen Begründetheit.
1. a) Das Verwaltungsgericht hat u.a. entschieden, dass der Antragsteller keinen Anspruch aus § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG hinsichtlich seiner beiden Töchter A. und E. ableiten könne. Es sei keine familiäre Lebensgemeinschaft zu erkennen. Der Kontakt mit den beiden Kindern sei unregelmäßig und dies teilweise über längere Zeiträume. Auch wenn nunmehr nach Angaben des Antragstellers vermehrt direkt vereinbarte Umgangskontakte stattfänden, gebe es keine Hinweise darauf, dass das Wohl seiner Töchter die dauernde Anwesenheit des Antragstellers in unmittelbarer Nähe erfordere.
b) Hiergegen wendet der Antragsteller mit der Beschwerde ein, dass die Umgangssituation nicht zum aktuellen Zeitpunkt, sondern bezogen auf die Vergangenheit bezogen betrachtet worden sei. Im zweiten Halbjahr 2016 hätten neun begleitete Umgangskontakte stattgefunden, 2017 sei der erste für den 1. März geplant. Die Mutter sei an einem regelmäßigen Umgangskontakt interessiert, die Kinder genössen den Umgang mit dem Antragsteller. Darüber hinaus habe der Antragsteller zwischenzeitlich mit Frau D. ein gemeinsames Kind, das in Deutschland lebe.
c) Mit diesem Vortrag zieht der Antragsteller die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts erfolgreich in Zweifel. Denn es trifft zu, dass das Verwaltungsgericht die Umgangskontakte im zweiten Halbjahr 2016 nicht hinreichend in den Blick genommen hat. Vor dem Hintergrund des Vortrags des Antragstellers im Schriftsatz vom 17. Oktober 2016, wonach „seit dem Jahr 2016 wieder regelmäßige Umgangskontakte“ stattfänden, wäre das Verwaltungsgericht, das erst drei Monate nach diesem Vortrag zu der angegriffenen Entscheidung kam, mit Blick auf die Pflicht zur Amtsermittlung (§ 86 Abs. 1 VwGO) gehalten gewesen, jedenfalls dem Antragsteller aufzugeben, detaillierter zum Umfang der Kontakte vorzutragen.
2. Ergibt die auf dargelegte Gründe beschränkte Prüfung des Beschwerdegerichts (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO) - wie hier - , dass die tragende Begründung des Verwaltungsgerichts die Ablehnung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht rechtfertigt, hat es umfassend zu prüfen, ob vorläufiger Rechtsschutz nach allgemeinen Maßstäben zu gewähren ist (VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 11.04.2016 - 11 S 393/16 -, InfAuslR 2016, 281 und vom 14.03.2013 - 8 S 2504/12 -, VBlBW 2013, 384 m.w.N.).
Der zulässige Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat hier Erfolg, weil die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache derzeit jedenfalls offen sind und die Interessen des Antragstellers am Verbleib im Bundesgebiet bis zum Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens die öffentlichen Interessen am Vollzug deutlich überwiegen.
Die vom Senat zu treffende umfassende Interessenabwägung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten des Widerspruchs des Antragstellers fällt zu dessen Gunsten aus. Die Erfolgsaussichten sind derzeit offen (a). Ausgehend davon kommt dem Suspensivinteresse des Antragstellers hier der Vorrang zu (b).
a) aa) Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zu prüfen, ob überwiegende öffentliche Belange dafür streiten, den Rechtsschutzanspruch des Betroffenen einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Der Rechtsschutzanspruch des Betroffenen ist dabei umso stärker und darf umso weniger zurückstehen, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahme der Verwaltung Unabänderliches bewirkt. Das gilt im Grundsatz unabhängig davon, ob der Sofortvollzug eines Verwaltungsakts einer gesetzlichen (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1-3 VwGO) oder einer behördlichen Anordnung (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) entspringt (BVerfG, Beschluss vom 21.03.1985 - 2 BvR 1642/83 -, BVerfGE 69, 220 < 228 f.>; BVerfG, Kammerbeschluss vom 11.05.2007 - 2 BvR 2483/06 -, BVerfGK 11, 179). So bedürfen gerade Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung von Ausländern eine besondere Rechtfertigung, die eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls unter Bezug auf den Zeitraum zwischen beabsichtigtem Vollzug und Rechtskraft der Entscheidung im Hauptsacheverfahren erfordert (BVerfG, Kammerbeschluss vom 24.08. 2011 - 1 BvR 1611/11 -, NVwZ 2012, 104 <105>).
10 
bb) Die Erfolgsaussichten des Widerspruchs des Antragstellers sind derzeit jedenfalls deswegen offen, weil die Ablehnung seines Antrags bislang rechtlich zweifelhaft erscheint und es durchaus möglich ist, dass die Widerspruchsbehörde die erforderliche - und bislang nicht getroffene - Ermessensentscheidung zu Gunsten des Antragstellers treffen wird.
11 
Es ist durchaus wahrscheinlich, dass der Antragsteller den Tatbestand des § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG in Bezug auf die Töchter A. und E. erfüllt. Nach dieser Norm kann dem nicht personensorgeberechtigten Elternteil eines minderjährigen Deutschen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die familiäre Lebensgemeinschaft schon im Bundesgebiet gelebt wird.
12 
(1) Bei der Auslegung des tatbestandlichen Begriffs der familiären Lebensgemeinschaft ist zuvörderst die wertentscheidende Grundsatznorm des Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 GG zu berücksichtigen. Sie verpflichtet die Ausländerbehörde bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12.05.1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. -, BVerfGE 76, 1 <49 ff.> und vom 18.04.1989 - 2 BvR 1169/84 -, BVerfGE 80, 81 <93>). Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse 30.01.2002 - 2 BvR 231/00 -, InfAuslR 2002, 171 <173>; und vom 22.12.2003 - 2 BvR 2108/00 -, BVerfGK 2, 190 <194>), auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 31.08.1999 - 2 BvR 1523/99 -, InfAuslR 2000, 67 <68>, vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, 682 <683> und vom 09.01.2009 - 2 BvR 1064/08 -, NVwZ 2009, 387).
13 
Bei der Bewertung der familiären Beziehungen kommt es in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob eine Hausgemeinschaft vorliegt und ob die von einem Familienmitglied tatsächlich erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden könnte (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 18.04.1989 - 2 BvR 1169/84 -, BVerfGE 80, 81 <95>; und vom 09.01.2009 - 2 BvR 1064/08 -, NVwZ 2009, 387 <388>). Die Entwicklung eines Kindes wird nicht nur durch quantifizierbare Betreuungsbeiträge der Eltern, sondern auch durch die geistige und emotionale Auseinandersetzung geprägt, was im Rahmen ausländerrechtlicher Entscheidungen zu berücksichtigen ist (BVerfG, Kammerbeschluss vom 08.12.2005 - 2 BvR 1001/04 -, BVerfGK 7, 49 <56> m.w.N.). Die familiäre (Lebens-)Gemeinschaft zwischen einem Elternteil und seinem minderjährigen Kind ist getragen von tatsächlicher Anteilnahme am Leben und Aufwachsen des Kindes. Im Falle eines regelmäßigen Umgangs des ausländischen Elternteils, der dem auch sonst Üblichen entspricht, wird in der Regel von einer familiären Gemeinschaft auszugehen sein (BVerfG, Kammerbeschluss vom 08.12.2005 - 2 BvR 1001/04 -, BVerfGK 7, 49 <58>, vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 01.12.2008 - 2 BvR 1830/08 -, BVerfGK 14, 458). Bei Umgangskontakten unterscheidet sich die Eltern-Kind-Beziehung typischerweise deutlich von dem Verhältnis des Kindes zur täglichen Betreuungsperson. Dass der Umgangsberechtigte nur ausschnittsweise am Leben des Kindes Anteil nehmen kann und keine alltäglichen Erziehungsentscheidungen trifft, steht der Annahme einer familiären Lebensgemeinschaft nicht entgegen. Es ist insbesondere im Einzelfall zu würdigen, in welcher Form die Elternverantwortung ausgeübt wird und welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für die gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte (BVerfG, Kammerbeschluss vom 01.12.2008 - 2 BvR 1830/08 -, BVerfGK 14, 458 <464 f.>).Bei der Bewertung des „sonst Üblichen“ ist auch in den Blick zu nehmen, ob das Verhältnis der Eltern der Kinder einem intensiveren Umgang - noch - im Wege steht und ob - bei objektiv allgemeiner Betrachtung geringem Kontaktumfang zwischen Elternteil und Kind - eine für das Kind günstige Entwicklung der Ausgestaltung des Umgangs eingesetzt hat. Gerade in Fällen, in denen es bislang lediglich zu einem begleiteten Umgang kommt, sind die Hintergründe der Entscheidung der Eltern - oder des Familiengerichts - für diese Umgangsform in den Blick zu nehmen. Auch ein regelmäßiger begleiteter Umgang führt dabei grundsätzlich auf eine familiäre Lebensgemeinschaft im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG.
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(2) Gemessen an diesen Maßstäben ist jedenfalls offen, ob eine familiäre Lebensgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und seinen Töchtern A. und E. besteht. Nach Aktenlage spricht sogar eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die erforderliche familiäre Lebensgemeinschaft besteht.
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Gerade der Stellungnahme des Kreisjugendamtes vom 3. März 2017 deutet auf das Vorliegen einer - hinreichend ausgeprägten - Lebensgemeinschaft im Sinne des Aufenthaltsgesetzes hin. Aus dieser Stellungnahme lässt sich erkennen, dass es zwischen den Eltern von A. und E. offenkundig erhebliche Differenzen gibt und beide Eltern nicht nur unwesentlich dazu beitragen, dass die Terminierung begleiteter Umgangskontakte Schwierigkeiten bereitet. Überdies lässt sich dem Aktenvermerk über die Vorsprache der Kindesmutter entnehmen, dass der Antragsteller auch unbegleiteten Kontakt zu seinen Töchtern hat - er wohnt nur wenig entfernt von ihnen - und dass sie der Auffassung ist, dass er sich um seine Kinder bemühe. Für das Vorliegen ernsthafter Bemühungen um das Finden einer gemeinsamen Lösung zwischen den Eltern für die Regelung eines regelmäßigen Umgangs spricht derzeit auch, dass es bislang noch keiner familiengerichtlichen Entscheidung bedurfte und die Eltern trotz der erheblichen Probleme zwischen ihnen weiter um Lösungen bemüht scheinen. Jedenfalls verliert eine Bewertung, wonach es keine Hinweise darauf gebe, dass das Wohl der Töchter die dauernde Anwesenheit im Bundesgebiet erforderte, die erforderliche Sicht des Kindes (BVerfG, Kammerbeschluss vom 01.12.2008 - 2 BvR 1830/08 -, BVerfGK 14, 458) aus dem Blick. Deshalb kommt es auf die vom Verwaltungsgericht herangezogenen Besuchsmöglichkeiten, bei denen zu prüfen wäre, ob diese mit einer Erwerbstätigkeit noch zu vereinbaren und überdies zu finanzieren wären, hier nicht an.
16 
Im Rahmen des Hauptsacherechtsbehelfs besteht jedenfalls weiterer Aufklärungsbedarf. Es spricht einiges dafür, dass eine persönliche Anhörung des Antragstellers und der Töchter A. und E. sowie eine umfassende Stellungnahme des Jugendamtes unabdingbare Entscheidungsvoraussetzung sein dürften. Dabei wird auch mit Blick auf die vom Verwaltungsgericht zutreffend herausgestellten langen Zeiten des fehlenden oder geringen Kontakts des Antragstellers zu seinen Kindern aufzuklären sein, ob diese einen Rückschluss auf die Ernsthaftigkeit seiner jetzigen Bemühungen um Umgang zulassen oder nicht.
17 
(3) Sollte der Antragsteller im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG zusammen mit seinen Töchtern A. und E. in einer familiären Lebensgemeinschaft leben, käme es zunächst nicht mehr zwingend auf das Vorliegen der Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG an. Darüber hinaus liegt es auf der Hand, dass die Wertungen aus Art. 6 Abs. 1 GG die vom Verwaltungsgericht angenommene fehlende Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG verdrängte und zum Vorliegen eines Ausnahmefalls führte. Darüber hinaus ist in den Blick zu nehmen, dass der Senat nach Aktenlage abweichend vom Verwaltungsgericht keine „zahlreichen Straftaten“ zu erkennen vermag, die im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG relevant sein könnten. Denn jedenfalls mit der - soweit aus den Akten ersichtlich vorbehaltlosen - Verlängerung seines Aufenthaltstitels am 16. Februar 2014 sind die Verurteilungen aus den Jahren 2006 bis 2012 als Ausweisungsinteressen verbraucht (vgl. Samel, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl. 2016, § 5 AufenthG Rn. 55 ff.).
18 
(4) Da der Antragsgegner bislang davon ausging, dass der Tatbestand des § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG nicht erfüllt ist, fehlt die Ausübung des hier - wahrscheinlich - eröffneten Ermessens. Angesichts der Vielschichtigkeit der Familienverhältnisse des Antragstellers ist für den Fall, dass der Antragsteller regelmäßigen Umgangskontakt zu seinen Kindern oder jedenfalls zu einigen von ihnen pflegt, eine positive Ermessensausübung im Lichte von Art. 6 Abs. 2 GG mindestens naheliegend.
19 
b) Ausgehend von den dargestellten (jedenfalls) offenen Erfolgsaussichten des Widerspruchs überwiegt das Suspensivinteresse des Antragstellers das öffentliche Vollzugsinteresse deutlich. Sollte die Ausreisepflicht des Antragstellers vollzogen werden, hätte dies unmittelbare und erhebliche Folgen für ihn und seine Töchter, wobei zu berücksichtigen ist, dass A. und E. mit fünf und vier Jahren noch zu jung sind, um auch nur eine vorübergehende Abwesenheit des Antragstellers begreifen zu können. Dem gegenüber muss das Vollzugsinteresse zurücktreten. Sollte sich in der Hauptsache erweisen, dass der Antragsteller mit seinen Kindern nicht - auch nicht mit der jüngst geborenen Tochter - in familiärer Lebensgemeinschaft lebt, wären die negativen Folgen der hier stattgebenden Entscheidung - nämlich ein längerer Aufenthalt des Antragsteller ohne Anspruch auf Verlängerung seines Aufenthaltstitels - erkennbar geringer als für den Fall, dass seine Kinder keinen Kontakt zum Vater haben können, obwohl diesem ein Aufenthaltsrecht zukommt.
20 
c) Auf die weiter geltend gemachten, behaupteten Erteilungs- oder Verlängerungsansprüche des Antragstellers kommt es nach alledem nicht mehr an. Ebenso wenig ist die Beziehung des Klägers zu seiner Tochter C. entscheidungserheblich. Diese ist im Widerspruchsverfahren allerdings ebenso in den Blick zu nehmen.
21 
d) Angesichts der offenen Erfolgsaussichten bezüglich des Anspruchs auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis sind auch die Erfolgsaussichten bezogen auf die erlassene Abschiebungsandrohung offen. Insoweit ordnet der Senat die aufschiebende Wirkung an.
22 
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung und-änderung findet ihre Grundlage in § 63 Abs. 2 und 3, § 47 sowie § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 1 GKG. Der Senat legt in ständiger Rechtsprechung bei familienbezogenen Aufenthaltstiteln regelmäßig einen Streitwert von 7.500 EUR zugrunde, weil diese gemäß § 27 Abs. 5 AufenthG zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigen. Eine Reduzierung des Streitwerts für das Eilverfahren ist aufgrund der mit dem Vollzug der Ausreisepflicht verbundenen Folgen für den Antragsteller - sowohl was dem Kontakt zu seinen Kindern angeht als auch was die möglichen Folgen für seine Beschäftigung betrifft - und mit Blick darauf, dass er bereits über ein gesichertes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verfügt hat, hier nicht angezeigt (vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 01.07.2016 - 11 S 46/16 -, InfAuslR 2016, 412 und vom 09.11.2012 - 11 S 2015/12 -, juris). Soweit es im Senatsbeschluss vom 28. Oktober 2016 (11 S 1460/16 -, juris Rn. 26) heißt, dass der Betrag „für das Eilverfahren regelmäßig zu halbieren“ sei, bezieht sich dies allein auf die Fälle, in denen der Antragsteller oder die Antragstellerin noch über kein gesichertes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verfügt haben.
23 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers hin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 - 4 K 3079/10 - geändert.

Der Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 wird aufgehoben.

Das beklagte Land trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der am ...1971 in Charleroi, Belgien, geborene Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung und die Androhung der Abschiebung.
Er ist türkischer Staatsangehöriger und lebte von seiner Geburt bis 1979/80 gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern in Belgien, danach kehrte die Familie in die Türkei zurück. Dort besuchte der Kläger das Gymnasium, das er mit einem dem Abitur vergleichbaren Abschluss beendete. Am 06.05.1996 heiratete er in Cavusbasi Köyü/Türkei die am ... in B..., Deutschland, geborene Hatice Y., welche damals noch türkischer Staatsangehörigkeit war; am 17.08.1996 reiste er mit einem Visum zum Familiennachzug nach Deutschland ein. In der Folge erhielt er zunächst befristete Aufenthaltserlaubnisse, ab dem 16.07.2001 war er im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, welche ab Januar 2005 als Niederlassungserlaubnis fortgalt.
Die Ehefrau des Klägers wurde am 06.07.1998 eingebürgert. Die Eheleute haben vier gemeinsame Kinder, zwei Töchter (geboren am 16.08.1997 und am 01.05.2001) und zwei Söhne (geboren am 17.07.1998 und am 14.04.2008), welche ebenfalls deutsche Staatsangehörige sind.
Ab dem 10.03.1997 war der Kläger zunächst bei verschiedenen Firmen beschäftigt, vom 02.11.1998 bis zum 31.10.2001 bei der Firma F., wobei er vom 27.02.2001 bis zum 09.07.2001 Krankengeld von der AOK bezog. Nach längerer Arbeitslosigkeit war er ab 2003 immer wieder selbstständig tätig - unterbrochen durch mehrmonatige Aushilfstätigkeiten und Zeiten der Arbeitslosigkeit -, zunächst mit einem Einzelhandel mit Lebensmitteln und Obst, welchen er von seiner Ehefrau übernommen hatte (von Juli 2003 bis Juni 2004), später (vom September 2006 bis zum Februar 2007) mit dem Gewerbe „Kleintransporte (Paketdienst)“, sodann mit einer Gebäudereinigung (ab dem 21.11.2007).
Zum 05.06.2008 meldete er das Wettbüro T. in Karlsruhe an. Am 18.12.2008 wurde er wegen des Verdachts der Geiselnahme u.a. in Untersuchungshaft genommen. Mit Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 30.06.2009 - 3 KLs 110 Js 41778/08 - wurden der Kläger und die Mitangeklagten B.A., Y.K. und E.G. der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie der Mitangeklagte T.K. der Beihilfe zur Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen. Der Kläger wurde zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten, seine Mitangeklagten B.A. zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten, Y.K. von vier Jahren und zehn Monaten, E.G. von drei Jahren und sechs Monaten und T.K. zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde hinsichtlich T.K. zur Bewährung ausgesetzt. Die Angeklagten wurden außerdem verurteilt, an die Nebenklägerin N.G. Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,-- EUR nebst Zinsen zu zahlen, wobei die seitens B.A. und Y.K. bereits erbrachten Beträge in Höhe von 2.500,-- EUR (B.A.) bzw. 3.000,-- EUR (Y.K.) auf den Schmerzensgeldbetrag anzurechnen seien. Das Urteil wurde nach Verwerfung der unter anderem vom Kläger eingelegten Revision diesem gegenüber am 10.12.2009 rechtskräftig.
Nach den Feststellungen im Strafurteil vom 30.06.2009 war Y.K. als Geschäftsführer in dem vom Kläger betriebenen Wettbüro beschäftigt und hätte Anfang des Jahres 2009 als Teilhaber einsteigen sollen. B.A. war bei einer Automatenaufstellerfirma tätig und für die Wartung der im Wettbüro aufgestellten Spielautomaten zuständig. Die Mitangeklagten E.G. und T.K., ein Schwager des Y.K., hielten sich häufig als Gäste im Wettbüro auf. Das Opfer der Straftaten, N.G., war auf Empfehlung des B.A. seit September 2008 als Aushilfe angestellt. Nachdem am 29.11.2008 zwischen 2.00 Uhr und 2.30 Uhr in das Wettbüro eingebrochen und aus Spielautomaten und einem offenen Tresor insgesamt Bargeld in Höhe von etwa 2.500,-- EUR entwendet worden war, verdächtigten die Angeklagten die im Wettbüro angestellte N.G. und deren Freund der Beteiligung an dem Einbruch. Anlass war unter anderem, dass ein Augenzeuge etwa zum Zeitpunkt des Einbruchs ein Auto bemerkt hatte, das dem des Freundes von N.G. ähnelte. Außerdem hatte N.G. wenige Stunden nach dem Einbruch per SMS mitgeteilt, sie könne am Morgen nicht zur Arbeit erscheinen, weil ihr Schwiegervater gestorben sei, was aber - wie sich nach und nach herausstellte - tatsächlich nicht stimmte. Um N.G. zu einem Geständnis zu zwingen, brachten die fünf Angeklagten diese am 30.11.2008 gegen 12.30 Uhr dazu, mit ihnen in den Keller des Wettbüros zu gehen. Dort versetzte B.A. der Angestellten N.G. zunächst zwei derart heftige Ohrfeigen, dass sie ein Loch im linken Trommelfell erlitt. Danach hielt B.A. dieser eine von ihm - ohne Wissen der anderen - mitgeführte, nicht ausschließbar ungeladene Schreckschusswaffe, die er zuvor mehrfach durchgeladen hatte, an die Stirn, so dass N.G. befürchtete, erschossen zu werden, und Todesangst verspürte. Unter Ausnutzung der Todesangst von N.G. versuchten die Angeklagten in den nächsten Stunden - allerdings vergeblich -, von dieser ein Geständnis zu erpressen. A.B. drückte ihr ein Kissen auf das Gesicht und tat so, als ob er dieses als Schalldämpfer verwenden würde. Auf Vorschlag des Klägers behauptete er sodann, man habe ein paar Leute zu ihrem Freund geschickt, welche ihn mit einem Baseballschläger "zusammengeschlagen" hätten, woraufhin dieser alles zugegeben hätte. B.A. oder E.G. drohten später damit, N.G. mit einer Handsäge einen Finger abzusägen. Als N.G. darum bat, auf Toilette gehen zu dürfen, wurde ihr dies mit dem Hinweis verweigert, sie solle „in die Hose pissen“. Bei diesen Übergriffen und Bedrohungen leistete T.K. lediglich psychische Beihilfe, während die anderen aktiv beteiligt waren. Nachdem B.A. und E.G. zwischen 14.30 Uhr und 15.00 Uhr den Keller verlassen hatten, wurde N.G. gegen 16.00 Uhr vom Kläger, Y.K. und T.K. freigelassen und von T.K. nach Hause gefahren. N.G. leidet noch heute erheblich unter den psychischen Folgen der Tat. Bezüglich der Strafzumessung wird in dem Urteil des Landgerichts Karlsruhe hinsichtlich des Klägers unter anderem dargelegt: Die Kammer sei der Auffassung, dass die Voraussetzungen der tätigen Reue (§§ 239a Abs. 4, 239b Abs. 2 StGB) vorgelegen hätten, weil die Täter von einer weiteren Befragung der Geschädigten abgesehen hätten. Für die Annahme eines minder schwereren Falls der Geiselnahme (§§ 239a Abs. 2, 239b Abs. 2 StGB) spreche, dass der Kläger bereits im Ermittlungsverfahren ein Geständnis abgelegt und dieses in der Hauptverhandlung aufrechterhalten habe, wobei der Kammer das Geständnis allerdings nur bedingt getragen von Einsicht und Reue erscheine, weil der Kläger immer wieder darauf hingewiesen habe, er hätte nicht gegen die weitere Tatausführung einschreiten können. Für ihn spreche außerdem, dass er bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei, sich schriftlich bei der Geschädigten entschuldigt und einen eher geringen Tatbeitrag geleistet habe. Es sei aber auch zu berücksichtigen, dass er als Inhaber des Wettbüros ein Hauptinteresse daran gehabt habe festzustellen, ob seine Angestellte tatsächlich an dem Einbruch beteiligt gewesen sei, dass tateinheitlich zum Verbrechen der Geiselnahme auch ein Vergehen der gefährlichen Körperverletzung begangen worden, dass er über dreieinhalb Stunden an der Tatbegehung beteiligt gewesen sei und dass die Geschädigte nicht nur eine körperliche Verletzung in Form einer Trommelfellperforation mit erheblichen Höreinschränkungen erlitten habe, sondern noch heute schwer unter den psychischen Folgen der Tat leide. Die nicht vertypten Milderungsgründe reichten daher nicht aus, um das Vorliegen eines minder schweren Falles zu bejahen. Unter weiterer Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger tätige Reue im Sinne von §§ 239b Abs. 2, 239a Abs. 4 StGB geleistet habe, sei allerdings unter Heranziehung dieses Strafmilderungsgrundes das Vorliegen eines minder schweren Falles bejaht worden.
Im Anschluss an die Untersuchungshaft verbüßte der Kläger vom 10.12.2009 bis zu seiner Entlassung am 22.12.2011 Strafhaft, ab dem 08.04.2010 in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bruchsal. Zwei Drittel der Strafe waren am 17.04.2011 vollstreckt, Endstrafentermin wäre der 17.06.2012 gewesen. In dieser Zeit erhielt der Kläger regelmäßig Besuch von seiner Ehefrau und seinen Kindern sowie von anderen Verwandten und Bekannten. Von September 2010 bis Juli 2011 nahm er zweimal wöchentlich an Deutschkursen teil. Er arbeitete in einem Unternehmerbetrieb der JVA. In Vollzugsplänen und Berichten der JVA Bruchsal vom 05.05.2010, 12.05.2010, 08.02.2011, 12.09.2011 und 12.10.2011 wurde unter anderem dargelegt: Disziplinarrechtlich habe gegen den Kläger nicht eingeschritten werden müssen, es sei auch zu keinen Unregelmäßigkeiten bezüglich Drogen oder Alkohol gekommen. Er könne sehr nervenaufreibend sein, weil er täglich mehrere Anliegen habe, die er durchzusetzen versuche. Er werde dabei jedoch nie aggressiv, sondern zeige fehlendes Verständnis, reagiere weinerlich oder unbeirrbar. Im Unternehmerbetrieb gelte er wegen seiner ständigen Anliegen als Sorgenkind, erledige aber seine Arbeit zuverlässig, es sei nicht zu unentschuldigten Ausfallzeiten gekommen. Er habe noch Schulden in Höhe von etwa 45.000,-- EUR. Während in früheren Stellungnahmen der JVA, unter anderem vom 08.02.2011, Zweifel an einer Tataufarbeitung und einer echten Reue des Klägers geäußert wurden, wurde in einem Bericht vom 12.10.2011 ausgeführt, der Kläger habe über seine Straftat intensiv nachgedacht, könne sich zumindest über den Vergleich mit eigenen Bedrängungserfahrungen in das Opfer einfühlen, sei nicht die treibende Kraft gewesen und scheine seine Straftat tatsächlich zu bereuen. Die Landesstiftung Opferschutz habe am 16.07.2011 bestätigt, dass er 1.000,-- EUR Schmerzensgeld in Raten bezahlt habe. Als stabilisierender Faktor werde seine Familie gesehen. Der psychologische Dienst gehe davon aus, dass ein kriminalprognostisches Gutachten zu dem Schluss kommen werde, dass eine weiterhin bestehende Gefahr nicht festgestellt werden könne.
Bereits mit Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 wurde der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Ziff. 1). Außerdem wurde ihm die Abschiebung in die Türkei oder in einen anderen Staat angedroht (Ziff. 2). Für den Fall, dass er vor der beabsichtigten Abschiebung aus der Haft entlassen werde, wurde er aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von einem Monat nach seiner Entlassung zu verlassen; für den Fall, dass er nicht fristgerecht ausreise, wurde ihm die Abschiebung angedroht (Ziff. 3). Zur Begründung wurde dargelegt: Dem Kläger stehe kein erhöhter Ausweisungsschutz aufgrund eines Rechts zum Aufenthalt nach dem Assoziationsratsbeschluss 1/80 zu. Eine nach Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 privilegierte aufenthaltsrechtliche Position habe nicht mehr erworben werden können, weil seine Ehefrau zwei Jahre nach Beginn der ehelichen Lebensgemeinschaft die deutsche Staatsangehörigkeit erworben habe. Ansprüche aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 seien ebenfalls nicht entstanden. Bei der Firma F. habe der Kläger zwar vom 02.11.1998 bis zum 26.02.2001 und vom 09.07.2001 bis zum 31.10.2001 gearbeitet. In der Zwischenzeit, vom 27.02.2001 bis zum 08.07.2001, habe er jedoch Krankengeld von der AOK bezogen. Selbst wenn man davon ausginge, dass er drei Jahre ordnungsgemäß bei einem Arbeitgeber beschäftigt gewesen sei, wäre seine Rechtsstellung nach Art. 6, 2. Spielgelstrich ARB 1/80 wieder erloschen. Denn im Anschluss an die Beschäftigung bei der Firma F. habe er ab November 2001 bis zum 27.07.2003 Leistungen der Agentur für Arbeit bezogen. Seine Ehefrau habe in dieser Zeit ein Gewerbe (Obst- und Gemüsehandel) betrieben. Ab Oktober 2003 habe er dieses übernommen, bis er es im Januar 2004 wieder aufgegeben habe. Nach kurzen Arbeitsverhältnissen, Zeiten der Arbeitslosigkeit sowie Zeiten der Ausübung zweier anderer Gewerbe, sei schließlich zum 05.06.2008 die Anmeldung des Wettbüros erfolgt. Die Aufnahme einer auf Dauer angelegten selbstständigen Tätigkeit führe jedoch zum Erlöschen bereits entstandener Rechte aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80. Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid sei daher das Aufenthaltsgesetz. Der Kläger erfülle den Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 1 AufenthG. Er genieße jedoch wegen der bestehenden Niederlassungserlaubnis und der familiären Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau und seinen Kindern besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 4 AufenthG. Es sei daher zu prüfen, ob ein schwerwiegender Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG vorliege. Das sei der Fall. Die vom Kläger und seinen Mittätern aufgrund von Selbstjustiz begangene Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung wiege ausgesprochen schwer. Der Tathergang verdeutliche, dass der Kläger ein erhebliches Maß an krimineller Energie besitze, welches bei verständiger Würdigung aller für und gegen ihn sprechenden Umstände der Tatbegehung die Grenzen der Bagatellkriminalität bei weitem überschreite. Er sei offenkundig nicht in der Lage oder auch nicht gewillt, sich an die im Bundesgebiet bestehende Rechtsordnung zu halten. Deshalb könne ihm keineswegs eine günstige Sozialprognose gestellt werden. Nach den vorliegenden Berichten der JVA habe eine Tataufarbeitung wegen der fehlenden differenzierten Deutschkenntnisse noch nicht erfolgen können. Bislang sei danach auch nicht erkennbar, dass der Kläger ein Schuldbewusstsein oder eine Empathie für das Opfer entwickelt habe. Die Ausweisung sei daher aus spezialpräventiven Gründen geeignet und erforderlich. Sie werde auch auf generalpräventive Erwägungen gestützt. Es bestehe ein dringendes soziales Bedürfnis, über die strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Gewalttaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Wegen des besonderen Ausweisungsschutzes und mit Blick auf die Familie des Klägers und Art. 8 EMRK liege eine Ausnahme von der Regel des § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG vor, so dass über die Ausweisung nach Ermessen zu entscheiden sei. Sie sei hier gerechtfertigt, insbesondere verhältnismäßig. Der Kläger sei mit einer türkischstämmigen Frau verheiratet, die mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen habe, und Vater von vier deutschen Kindern. Beruflich sei es ihm nicht gelungen, sich im Bundesgebiet zu integrieren. Der Aufbau eines eigenen Betriebes sei immer wieder gescheitert. In dem zuletzt betriebenen Wettbüro habe er mehrere Personen beschäftigt, ohne diese anzumelden. Dies sowie die Tatsache, dass er bereit gewesen sei, eine von ihm verdächtige Person als Geisel zu nehmen, um aus ihr mit brutalsten physischen und psychischen Methoden ein Geständnis zu erpressen, sei ein Beleg für eine Denkweise, welche nicht den Wertvorstellungen der Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland entspreche. Es sei nicht erkennbar, dass der Kläger von seinem Heimatland, das er vor vierzehn Jahren im Alter von 25 verlassen habe, entfremdet sei. In Anbetracht des gravierenden Verstoßes gegen die geltende Rechtsordnung könnten die rechtlichen und tatsächlichen Auswirkungen der Ausweisung, die mit einer Übersiedlung in die Türkei verbunden seien, nicht als unverhältnismäßig angesehen werden. Dies gelte auch unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK. Schließlich könne er gegebenenfalls einen Antrag auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung stellen. Hilfsweise sei festzustellen, dass die Ausweisung des Klägers auch dann - im Ermessenswege nach Art. 14 ARB 1/80 i.V.m. § 55 AufenthG -gerechtfertigt sei, wenn man davon ausgehe, dass ihm eine Rechtsstellung nach Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 zustehe. Für diesen Fall sei die Ausweisung jedoch lediglich auf spezialpräventive Gründe zu stützen. Die Abschiebungsandrohung beruhe auf § 59 Abs. 1 AufenthG.
Am 04.11.2010 erhob der Kläger beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage, zu deren Begründung er im Wesentlichen vortrug: Eine Trennung von seiner Familie wäre unverhältnismäßig. Weder verfügten er und seine Familie über die erforderlichen finanziellen Mittel für regelmäßige Besuche noch hätte er die Möglichkeit, die Kontakte angemessen aufrechtzuerhalten. Zudem sei die Ausweisung weder aus generalpräventiven noch aus spezialpräventiven Gründen angemessen. Er sei das erste Mal straffällig geworden. Aus dieser - einmaligen -Entgleisung, die nicht verharmlost werden solle, könne nicht auf ein grundsätzliches Verhaltensmuster für die Zukunft geschlossen werden. Im Übrigen sei er vom 01.11.1998 bis zum 31.10.2001 durchgehend bei der Firma F. beschäftigt gewesen, weshalb er als Assoziationsberechtigter anzusehen sei.
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Das beklagte Land trat der Klage entgegen.
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Mit Urteil vom 02.03.2011 - 4 K 3079/10 - wies das Verwaltungsgericht die Klage ab und führte aus: Es bedürfe keiner abschließenden Beurteilung, ob der Kläger eine Rechtsstellung nach Art. 6 ARB 1/80 erworben habe, denn eine solche wäre jedenfalls durch die Aufnahme einer Tätigkeit als Selbstständiger erloschen. Weil er besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 4 AufenthG genieße, könne er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Solche seien hinsichtlich des spezialpräventiven und bezüglich des generalpräventiven Ausweisungszwecks aufgrund der vom Kläger verübten Straftat gegeben. In Fällen mittlerer und schwerer Kriminalität seien die Voraussetzungen für eine spezialpräventive Ausweisung grundsätzlich zu bejahen. Beim Kläger bestehe ein gegenüber dem Durchschnittsbürger sogar beträchtlich erhöhtes Risiko, auch künftig wieder strafrechtlich in Erscheinung zu treten. Dafür sprächen die nicht unerhebliche kriminelle Energie, die er an den Tag gelegt habe, und die konkrete Tatausführung. Diese lasse ein erhebliches Maß an Gewaltanwendung gegenüber Personen erkennen; sie habe zu gravierenden Folgen für das Opfer geführt. Ausweislich eines Berichts der JVA vom 08.02.2011 habe die Freiheitsstrafe nur insoweit die erwünschte Wirkung gezeigt, als der Kläger die negativen Folgen für seine Familie eingesehen habe, mit den Folgen der Tat für das Opfer habe er sich noch nicht erkennbar auseinandergesetzt. Da die Tat zudem eine hohe Bereitschaft für eine im Heimatland des Klägers in bestimmten Bereichen auch heute noch übliche und gesellschaftlich akzeptierte Selbstjustiz belege, könne ihm keine günstige Sozialprognose erteilt werden. Ein Ausnahmefall von der Regelausweisung - und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung - sei hier wegen der tatsächlich gelebten familiären Gemeinschaft des Klägers mit den vier ehelichen Kindern des Klägers zu sehen. Die entsprechenden Ermessenserwägungen seien im Ergebnis rechtsfehlerfrei. Die dem Kläger als Mittäter der begangenen Straftaten zurechenbare Gewaltanwendung wiege derart schwer, dass seine Ausweisung auch mit Blick auf die Schutzwirkungen des Art. 6 GG und des Art. 8 EMRK nicht unverhältnismäßig sei.
12 
Auf den am 14.03.2011 vom Kläger gestellten Antrag hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 17.05.2011 - 11 S 875/11 - die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 zugelassen. Diese hat der Kläger am 26.05.2011 unter Stellung eines Antrags begründet.
13 
Zur Vorbereitung der Entscheidung über die Aussetzung der Reststrafe holte die Vollstreckungskammer des Landgerichts Karlsruhe mit Schreiben vom 03.06.2011 ein kriminalprognostisches Gutachten der Klinik für forensische Psychiatrie und Psychotherapie - Zentrum für Psychiatrie - Wiesloch ein. Das daraufhin erstattete Gutachten von Herrn Dr. Sp..., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, und Herrn S..., Facharzt für Psychiatrie, vom 24.09.2011 kommt zu dem Ergebnis, dass nicht mehr davon ausgegangen werden könne, dass die durch die Tat beim Kläger zutage getretene Gefährlichkeit fortbestünde. Dabei wurde die fehlende Auseinandersetzung mit der Straftat als prognostisch ungünstiger Faktor gewertet. Der Kläger sei bei der Tat aber eher passiv im Hintergrund geblieben. Beim Tatgeschehen komme somit situativen Faktoren (Eingebundenheit in eine Tätergruppe bei Vorhandensein von freundschaftlichen Beziehungen und Loyalitäten, Unterordnung unter dominant auftretende Persönlichkeiten) ein wesentliches Gewicht am Zustandekommen der Tat zu. Der Kläger habe sich im Rahmen der Haft im Wesentlichen angepasst und korrekt verhalten. Dass er dabei seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse jeweils mit einem gewissen Nachdruck vorgetragen habe, lasse sich nicht als prognoserelevanter Faktor verwerten. Es existierten stabile familiäre Anbindungen. Auch die beruflichen Planungen des Klägers erschienen nicht unrealistisch. Die prognostisch günstigen Faktoren überwögen im Vergleich zu dem einzigen ungünstigen Faktor - der fehlenden inneren Auseinandersetzung des Klägers mit der Tat - deutlich. Nach einer Anhörung des Klägers am 16.12.2011 wurde mit Beschluss des Landgerichts Karlsruhe vom 21.12.2011 die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 30.06.2009 zur Bewährung ausgesetzt. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt; der Kläger wurde der Leitung und Aufsicht eines Bewährungshelfers unterstellt. Daraufhin wurde er am 22.12.2011 aus dem Strafvollzug entlassen.
14 
Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger im Wesentlichen vor: Das Verwaltungsgericht sei unzutreffend davon ausgegangen, dass die Rechtstellung aus Art. 6 ARB 1/80 mit Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit erlösche. Die Ausweisung genüge nicht den Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80. Im Übrigen hätte ein Widerspruchsverfahren durchgeführt bzw. über die Ausweisung noch durch eine „unabhängige Stelle“ entschieden werden müssen. Schon aus diesem Grund sei sie aufzuheben. Unabhängig davon sei die Ausweisung hier mit Blick auf die Tatsache, dass die Ehefrau des Klägers und seine Kinder deutsche Staatsangehörige seien, rechtswidrig. Soweit im Urteil dargelegt werde, der Rechtsstellung der Kinder des Klägers könne durch Besuche der Ehefrau mit den Kindern in der Türkei Rechnung getragen werden, werde nicht die dem Kläger gemäß Art. 20 AEUV zukommende europarechtliche Rechtsposition berücksichtigt. Anzugreifen sei auch, dass die erste Instanz eine Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung mangels Befristung verneine. Dies verstoße gegen Art. 8 EMRK. Nach dem kriminalprognostischen Gutachten vom 24.09.2011 bestehe die bei der Tat zutage getretene Gefährlichkeit inzwischen nicht mehr. Die Arbeitssuche des Klägers nach seiner Haftentlassung sei durch seine erheblichen gesundheitlichen Probleme belastet gewesen. Er habe am 20./21.04.2012 in eine Klinik aufgenommen und später erneut - vom 06.06. bis zum 14.06.2012 - stationär behandelt werden müssen. Zum 24.07.2012 habe er dann einen Arbeitsplatz als Fahrer bei einer Firma in Karlsruhe gefunden, wonach er bei einer durchschnittlichen regelmäßigen Arbeitszeit von 25 bis 30 Wochenstunden 1.000,-- EUR brutto monatlich verdiene.
15 
Nachdem das Regierungspräsidiums Karlsruhe in der mündlichen Verhandlung die Sperrwirkungen der Ausweisung vom 22.10.2010 auf zwei Jahre befristet hat, beantragt der Kläger,
16 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 - 4 K 3079/10 - zu ändern und den Bescheid vom 22.10.2010 aufzuheben,
17 
hilfsweise: das beklagte Land zu verpflichten, die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG bezeichneten Wirkungen der Ausweisung auf sofort zu befristen.
18 
Das beklagte Land beantragt,
19 
die Berufung zurückzuweisen.
20 
Es trägt vor: Das Verwaltungsgericht Karlsruhe habe zutreffend die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 22.10.2010 bestätigt und berücksichtigt, dass eine Rechtsstellung aus Art. 6 ARB 1/80 - selbst wenn der Kläger sie erworben hätte - dadurch erloschen wäre, dass er eine Tätigkeit als Selbstständiger aufgenommen habe. Durch die Ausweisung werde kein unverhältnismäßiger Eingriff in das Recht des Klägers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens begründet. Der Kontakt zur Ehefrau und den Kindern des Klägers könne durch Besuche in der Türkei, Briefe, Telefonate und E-Mails aufrechterhalten werden. Da der Kläger die deutsche Sprache nicht richtig beherrsche und sich bei Besuchen in türkischer Sprache unterhalten habe, sei davon auszugehen, dass die Familie ebenfalls mit der Türkei vertraut sei. Ein Leben in der Türkei wäre für den Kläger auch nicht unzumutbar, weil er zuvor ebenfalls dort gelebt habe, dort noch seine Mutter und Geschwister wohnten und er auch die türkische Sprache beherrsche. Zu dem kriminalprognostischen Gutachten vom 24.09.2011 sei auszuführen: In dem Gutachten werde einmal mehr die „weitgehend fehlende innere Auseinandersetzung“ des Klägers mit seiner Tat und den Folgen für das Opfer bestätigt. Die von ihm signalisierte Betroffenheit über das Leid des Opfers wirke auf die Gutachter sogar „affektiv eher flach und vordergründig“. Für die Gutachter sei der Eindruck entstanden, dass der Kläger „insgesamt emotional stärker durch die Folgen der Tat für ihn und seine Familie als durch die Folgen für das Opfer betroffen erschien“. Ein tiefergehendes Mitgefühl für das Opfer sei trotz verbaler Bekundung wenig spürbar gewesen. Diese Einschätzung decke sich mit einem Bericht der JVA Bruchsal vom 08.02.2011, demzufolge „eine wirkliche Tataufarbeitung ... nicht sichtbar“ werde, und dem Eindruck, den der Kläger beim erstinstanzlichen Gericht hinterlassen habe. Das Verwaltungsgericht habe sich immerhin zu der deutlichen Formulierung veranlasst gesehen, „dass er sich mit seiner Gewaltproblematik noch nicht, jedenfalls in nicht ausreichendem Maße, auseinandergesetzt hat und die Tat eine hohe Bereitschaft für eine im Heimatland des Klägers in bestimmten Bereichen auch heute noch übliche und gesellschaftlich akzeptierte Selbstjustiz belegt“. Mit anderen Worten: Wenn sich der Kläger in einer vergleichbaren Situation wiederfinde, in der jemand der Wahrheit auf die Sprünge helfen wolle, sei nach wie vor keine ethische Schranke bei ihm installiert, die ihn davor bewahre mitzumachen. Das Gutachten vom 24.09.2011 werte zwar zugunsten des Klägers, dass den situativen Faktoren ein wesentliches Gewicht am Zustandekommen der Tat zugekommen sei. Es liefere aber nicht den geringsten neuen Anhaltspunkt dafür, dass sich der Kläger das nächste Mal der Gruppendynamik entziehen oder gar widersetzen würde, wenn Gewalt ins Spiel komme. Aus diesen Gründen bestehe keine Veranlassung, von der aufgrund der mündlichen Verhandlung in erster Instanz gewonnenen und vom Verwaltungsgericht zutreffend begründeten Einschätzung Abstand zu nehmen.
21 
Auf einen Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 11.08.2011 - 11 S 2027/11 - die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 angeordnet.
22 
In einem Bericht der Bewährungshelferin vom 24.07.2012 sowie einem ergänzenden Schreiben vom 25.09.2012 wird dargelegt: Insgesamt sei in dem bisherigen Bewährungsverlauf nichts zu beanstanden. Der Kläger habe sich - zunächst vergeblich - intensiv um einen Arbeitsplatz bemüht. Mit Hilfe eines Rechtsanwalts sei es ihm gelungen, seinen Führerschein der Klasse 3 wieder zu erlangen. Insgesamt sei es dem Kläger nach der Haftentlassung nicht gut gegangen, er habe noch sehr unter den Nachwirkungen gelitten und sei durch seinen behandelnden Arzt wegen Depressionen medikamentös behandelt worden. Am 25.05.2012 habe er sich wegen starker Schmerzen ins Krankenhaus begeben müssen. Nach mehreren Untersuchungen seien ihm am 21.06.2012 stationär mehrere Nierensteine entfernt worden. Er habe sich wirklich bemüht, wieder zu der „arbeitenden Bevölkerung“ zu gehören. Seit dem 24.07.2012 sei er als Fahrer beschäftigt; er verdiene monatlich etwa 1.000,-- EUR. Er hätte die Möglichkeit, einen Kiosk in Karlsruhe-Durlach zu übernehmen; seine Ehefrau würde dann mit ihm zusammenarbeiten.
23 
Dem Senat liegen die Akten des Regierungspräsidiums Karlsruhe über das Ausweisungsverfahren (2 Hefte), die ausländerrechtlichen Akten des Landratsamts Karlsruhe bezüglich des Klägers (2 Hefte), seiner Ehefrau (1 Heft) und der ältesten Tochter (1 Heft), die Gefangenenpersonalakten der JVA Bruchsal (1 Heft), die Strafakten betreffend das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 30.06.2009 - 3 KLs 110 Js 41778/08 - (8 Hefte) sowie das Bewährungsheft des Landgerichts Karlsruhe - 15 BWL 213/11 - vor. Diese sind ebenso wie die Akten über das Klageverfahren beim Verwaltungsgerichts Karlsruhe - 4 K 3079/10 -, über das vorliegende Berufungsverfahren - 11 S 1470/11 - und über das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes - 11 S 2027/11 -Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen; hierauf wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
24 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht und ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 6 und Abs. 3 Satz 4 VwGO) Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 hat Erfolg. Die Anfechtungsklage des Klägers gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteile vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - InfAuslR 2008, 156, und vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris) begründet. Die darin unter Ziffer 1 verfügte Ausweisung und die Abschiebungsandrohung unter Ziffern 2 und 3 sind rechtswidrig und verletzen dadurch den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Einer Entscheidung über den vom Kläger im Berufungsverfahren lediglich hilfsweise gestellten Antrag auf Verpflichtung des beklagten Landes zur Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 bezeichneten Wirkungen der Ausweisung "auf sofort" (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O.) bedarf es daher nicht.
I.
25 
Die auf §§ 53 Nr. 1, 56 Abs. 1, 55 AufenthG beruhende (dazu unter 1. und 2.) Ausweisung des Klägers, die hier im Ermessen des beklagten Landes steht (3.), ist mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz rechtswidrig (4.).
26 
1. Maßgebliche Rechtsgrundlage sind die §§ 53 Nr. 1, 56 Abs. 1, 55 AufenthG.
27 
Insbesondere sind nicht etwa allein wegen des Umstands, dass die Ehefrau und die Kinder des Klägers deutsche Staatsangehörige sind, besondere unionsrechtliche Anforderungen zu beachten (vgl. hierzu EuGH, Urteile vom 05.05.2011 - Rs. C-434/09, McCarthy - InfAuslR 2011, 268, und vom 15.11.2011 - Rs. C-256/11, Dereci - InfAuslR 2012, 47; Senatsurteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 - NVwZ-RR 2012, 412).
28 
Eine nur beschränkte Anwendbarkeit der Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG folgt hier auch nicht aus dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: ARB 1/80; vgl. insbesondere Art. 14 ARB 1/80). Eine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80 hat der Kläger nicht erworben, weil seine Ehefrau vor Ablauf von drei Jahren nach Zuzug des Klägers eingebürgert wurde und die türkische Staatsangehörigkeit aufgegeben hat (vgl. dazu Renner, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 4 Rn. 156 m.w.N.). Ob er jemals die Voraussetzungen des - hier allein in Betracht kommenden - 2. Spiegelstrichs des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erfüllt hat, kann offen bleiben. Denn er hat eine eventuelle Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 durch die spätere Aufnahme selbstständiger Tätigkeiten, zuletzt den Betrieb des Wettbüros - aufgrund dessen der Kläger jedenfalls dem Arbeitsmarkt auf unabsehbare Zeit nicht mehr zur Verfügung stand - verloren (streitig, ebenso: Hess. VGH, Urteil vom 09.02.2004 - 12 TG 3548/03 - InfAuslR 2004, 230; Bayer. VGH, Urteil vom 26.03.2007 - 24 BV 03.2091 - juris; vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18.10.2006 - 13 S 192/06 - InfAuslR 2007, 49; a.A. VG Stuttgart, Urteil vom 23.05.2011 - 11 K 2967/10 - juris; vgl. zum Streitstand GK-AufenthG, Stand: September 2012, IX - 1 Art. 6 Rn. 238 f.; Hailbronner, AuslR, Stand: August 2012, D 5.1, Art. 6 ARB 1/80 Rn. 46). Letztlich kommt es aber auf diese Frage hier nicht an. Folge einer assoziationsrechtlichen Rechtsstellung des Klägers wäre ein erhöhter Ausweisungsschutz (vgl. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80; Senatsurteil vom 16.04.2012 - 11 S 4/12 - juris m.w.N.). Wie sich aus dem Folgenden ergibt, erweist sich die Ausweisung auch dann als rechtswidrig und ist daher aufzuheben, wenn ihm dieser nicht zukäme.
29 
2. Allerdings sind die Tatbestandsvoraussetzungen einer "Ist-Ausweisung" nach § 53 Nr. 1 AufenthG gegeben. Danach wird ein Ausländer unter anderem dann ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das ist hier wegen der Verurteilung des Klägers durch das Landgericht Karlsruhe vom 30.06.2009 wegen Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten der Fall.
30 
3. Trotz Erfüllung des an sich zwingenden Ausweisungsgrundes des § 53 Nr. 1 AufenthG steht die Ausweisung des Klägers jedoch im Ermessen und ist deshalb nach § 55 AufenthG zu beurteilen. Der Kläger genießt unstreitig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz (a). Er darf daher gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Solche liegen gemäß § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 AufenthG, also auch hier, vor. Diesbezüglich ist auch nicht vom Vorliegen eines Ausnahmefalls auszugehen (b). Hier ist aber eine Ausnahme von der "Regelrechtsfolge" des § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG geboten, wonach der betreffende Ausländer bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 AufenthG "in der Regel" ausgewiesen wird. Über seine Ausweisung ist daher nach Ermessen zu entscheiden (c).
31 
a) § 56 Abs. 1 AufenthG ist aus zwei Gründen anzuwenden: Zum einen besitzt der Kläger eine Niederlassungserlaubnis und hält sich seit mehr als fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet auf (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG), zum anderen lebt er mit deutschen Familienangehörigen - seiner Ehefrau und seinen Kindern - in familiärer Lebensgemeinschaft (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG).
32 
b) Der danach für eine Ausweisung des Klägers erforderliche schwerwiegende Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG ist gegeben.
33 
Nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5, 5 bis 5b und 7 AufenthG vor. Diese gesetzliche Vermutung beruht darauf, dass bei Verwirklichung der genannten Ausweisungstatbestände regelmäßig das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Ausweisung des Ausländers erfordert und der vom Gesetz bezweckte Schutz des Ausländers dahinter zurückzutreten hat. Die Regelung enthält allerdings keine Automatik, sondern erfordert eine individuelle Prüfung im jeweiligen Einzelfall, ob nicht Besonderheiten vorliegen, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass - hier des § 53 AufenthG - als weniger gewichtig erscheinen lassen. Davon ist auszugehen, wenn im konkreten Fall weder die spezial- noch die generalpräventiven Ausweisungszwecke des betreffenden Ausweisungstatbestands in dem erforderlichen Ausmaß vorliegen (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, m.w.N.; vgl. auch Senatsurteil vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 02.07.2001 - 13 S 2326/99 - InfAuslR 2002, 72).
34 
Im Falle des Klägers ist zwar nicht mit Blick auf den spezialpräventiven Ausweisungszweck (aa), aber vor dem Hintergrund der zulässigen generalpräventiven Erwägungen ein schwerwiegender Ausweisungsgrund (bb) zu bejahen.
35 
aa) Zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kann nicht (mehr) davon ausgegangen werden, dass vom Kläger die Gefahr der Wiederholung erheblicher Straftaten ausgeht. Die Ausweisung kann daher nicht mehr auf spezialpräventive Gründe gestützt werden.
36 
Allerdings ist der Ausweisungsanlass - die vom Kläger begangene Straftat der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - besonders gravierend. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 - juris, vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris, vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3, und vom 03.08.2004 - 1 C 30.02 -InfAuslR 2005, 18), der sich der Senat anschließt (einschränkend noch Senatsurteile vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 - NVwZ-RR 2012, 492, und vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291), gelten bei Straftaten mit einer hervorgehobenen Bedeutung für die im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr eher geringere Anforderungen. In den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 AufenthG besteht auch eine gesetzliche Vermutung des Vorliegens eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes in § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG. Selbst wenn man danach einem differenzierten Wahrscheinlichkeitsmaßstab folgt, bedeutet dies aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O. m.w.N.). Dies gilt nicht nur bei der Prüfung der Wiederholungsgefahr bei Assoziationsberechtigten oder Unionsbürgern, sondern jedenfalls auch bei Ausländern, denen besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 AufenthG zusteht. Auch in diesen Fällen müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit von dem Betreffenden eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht. Lässt sich die Begehung weiterer Straftaten lediglich nicht ausschließen, ist eine dem besonderen Ausweisungsschutz Rechnung tragende erhöhte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung noch nicht gegeben, so dass auch der Ausweisungsgrund nicht schwer wiegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O., sowie - zu den entsprechenden Vorgängerregelungen des § 47 Abs. 1 AuslG 1990 bzw. § 11 Abs. 1 AuslG 1965 - Urteile vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 -InfAuslR 1997, 8, und vom 17.01.1989 - 1 C 46.86 - InfAuslR 1989, 152; Beschluss vom 10.02.1995 - 1 B 221.04 - InfAuslR 1995, 273, m.w.N.).
37 
Der Senat ist aufgrund der vorliegenden Akten und Unterlagen, insbesondere des von der Strafvollstreckungskammer im Verfahren auf Aussetzung der Reststrafe eingeholten, nachvollziehbaren und überzeugenden kriminalprognostischen Gutachtens vom 24.09.2011, sowie aufgrund der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass von diesem keine nennenswerte Gefahr der Wiederholung von entsprechenden Straftaten (mehr) ausgeht.
38 
Zu Lasten des Klägers sind in diesem Zusammenhang allerdings zunächst neben der Schwere des begangenen Delikts die konkreten Tatumstände zu berücksichtigen. Das Regierungspräsidium Karlsruhe hat in dem angefochtenen Bescheid zu Recht darauf hingewiesen, dass der Kläger zwar nicht der Haupttäter war, er jedoch als Inhaber des Wettbüros eine besondere Verantwortung für das Geschehen trug, und dass er über einen Zeitraum von über dreieinhalb Stunden an der Geiselnahme mitgewirkt hat, bei welcher durch eine menschenunwürdige Befragung unter Anwendung und Androhung von Gewalt der Versuch unternommen wurde, von der Angestellten N.G. ein Geständnis für den vermeintlich von dieser bzw. deren Freund begangenen Einbruch zu erhalten. Der Kläger war dabei auch nicht etwa nur passiv beteiligt, sondern unterstützte seine Mittäter aktiv. Bereits am Vorabend der Tat war verabredet worden, N.G. Ohrfeigen zu versetzen. Zwar nahm der Haupttäter B.A. die Schreckschusspistole ohne Wissen der anderen mit. Zum einen schritten sie aber nicht gegen B.A. ein, welcher den Eindruck erweckte, N.G. erschießen zu wollen. Zum anderen nutzten sie die dadurch bei N.G. entstandene Todesangst in der Folge weiter aus bei ihren Bemühungen, ein Geständnis zu erzwingen, und hielten diese aufrecht. Der Kläger hatte außerdem die Kellertür selbst verschlossen und versperrte mit seinen Füßen den Ausgang, so dass das Opfer keine Chance hatte, den Keller zu verlassen. Er beteiligte sich aktiv an Vorhaltungen und an den Forderungen, die Tat einzuräumen, wenngleich weniger intensiv als die Mitangeklagten B.A., Y.K. und E.G. Nachdem N.G. bereits mit der Schreckschusswaffe bedroht worden war und Todesangst litt, schaltete er auf Aufforderung des Haupttäters B.A. das Licht aus, so dass eine noch bedrohlichere Atmosphäre entstand. Später schlug er dem Haupttäter auf Türkisch vor, N.G. mit der Behauptung zusätzlich unter Druck zu setzen, man habe zwischenzeitlich ihren Freund mit einem Baseballschlager "zusammengeschlagen", woraufhin dieser gestanden hätte. Nachdem B.A. den Keller verlassen hatte, befragten der Kläger, Y.K. und T.K. das Opfer N.G. zunächst weiter, bevor sie diese freiließen. Der Kläger nahm damit massive körperliche und psychische Schädigungen der N.G. billigend in Kauf. Wenn auch er und die verbliebenen Mittäter in der Folge von einer weiteren Tatausführung absahen, weshalb das Strafgericht von einer tätigen Reue ausgegangen ist, teilt der Senat die Einschätzung des Regierungspräsidiums, dass die Tat und die Tatumstände für ein erhebliches Maß an krimineller Energie des Klägers sprechen. Es handelt sich um eine besonders gravierende und mit einer erschreckenden Härte und Mitleidlosigkeit begangene Straftat.
39 
Der Kläger hat sich zudem, abgesehen von mehreren Gesprächen mit einem Psychologen in der Justizvollzugsanstalt, nicht mit professioneller Hilfe mit der Tat und den Auswirkungen für das Opfer auseinandergesetzt. An der Tiefe der von ihm in der Vergangenheit in Gesprächen geäußerten Betroffenheit über das Geschehen sind nicht nur in den ersten Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt, sondern auch in dem kriminalprognostischen Gutachten vom 24.09.2011 Zweifel geäußert worden. In dem Gutachten heißt es, es bestehe der Eindruck, dass der Kläger insgesamt emotional stärker durch die Folgen der Tat für ihn und seine Familie als durch die Folgen für das Opfer betroffen sei. Auch habe er seinen eigenen Tatbeitrag im Rahmen der Begutachtung tendenziell eher heruntergespielt. Es hätten sich somit keine Hinweise für eine tiefergehende innere Auseinandersetzung mit der Tat, respektive mit dem eigenen Beitrag zum Tatgeschehen, gefunden. So habe dieser nicht plausibel und nachvollziehbar darlegen können, weshalb er sich in keiner erkennbaren Weise für das Opfer eingesetzt habe, obgleich er das Handeln seiner Mittäter missbilligt haben wolle. Die von ihm angeführte Begründung, dass er Angst davor gehabt hätte, der Mittäter B.A. könnte die Waffe gegen ihn selbst einsetzen, erscheine insgesamt wenig plausibel. Die fehlende Auseinandersetzung mit der Straftat und den in der eigenen Person liegenden diesbezüglich relevanten Einstellungen und Motiven wird von den Gutachtern daher in prognostischer Hinsicht als ungünstiger Faktor gewertet. Tatsächlich hat der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung nicht nachvollziehbar erklären können, wie es so weit hat kommen können, vor allem, warum er nicht irgendwann eingeschritten ist. Offensichtlich kann er sich das bis heute selbst nicht erklären. Den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung ließ sich aber eine - glaubhafte - starke Betroffenheit und Reue entnehmen. Dies wurde unter anderem deutlich, als er erläuterte, dass er sich vorgestellt habe, das Opfer wären seine Ehefrau oder seine Tochter gewesen, und dass ihm klar geworden sei, welche Folgen die Tat für N.G. habe. Abgesehen von dem bereits entrichteten Schmerzensgeld für N.G. würde er gerne alles unternehmen, damit es ihr besser gehe.
40 
Selbst wenn sich danach bis heute letztlich nicht erklären lässt, wie es zu einer solchen Straftat hat kommen können, und eine erschöpfende Auseinandersetzung mit der Tat fehlt, besteht beim Kläger nicht die Gefahr einer Wiederholung erheblicher Straftaten. Dabei ist zunächst zu bedenken, dass die Straftat inzwischen fast vier Jahre zurückliegt. Der Kläger war über drei Jahre lang in Untersuchungs- und Strafhaft, welche ihn erkennbar tief beeindruckt hat. Zuvor hat er sich - abgesehen von einem nicht einschlägigen und nicht mehr zu berücksichtigenden Straßenverkehrsdelikt im Jahr 1998 - über 10 Jahre lang straffrei und bis zur Übernahme des Wettbüros - dessen Beschäftige allerdings nicht alle ordnungsgemäß angemeldet gewesen seien - ohne Beanstandungen in Deutschland aufgehalten. Nach dem Gutachten vom 24.09.2011 finden sich keine Hinweise für Berührungspunkte mit "spezifisch delinquenznahem Milieu" und auch keine Hinweise für eine tiefer in der Persönlichkeit des Klägers verankerte delinquente Neigung, etwa eine dissoziale Akzentuierung in seiner Persönlichkeit. Anhaltspunkte für eine Sucht oder eine Bindung an ein entsprechendes Milieu liegen nicht vor. Vor allem lebte und lebt er in einer stabilen partnerschaftlichen Beziehung. Die Gutachter bescheinigen ihm, dass die von ihm bekundeten Sorgen um die Entwicklung der Familie und der Kinder nachvollziehbar und glaubhaft sind. In der mündlichen Verhandlung wurde deutlich, dass der Kläger tatsächlich einen starken Rückhalt durch seine Familie und weitere Verwandte hat. In Deutschland leben noch zwei seiner Brüder. Mit seiner Frau und seinen Kindern besucht er oft die Familie seiner Ehefrau, das heißt deren Eltern und Geschwister, oder einen seiner beiden Brüder, der ebenfalls in der Nähe wohnt. Seine Ehefrau, er und die Kinder unternehmen am Wochenende gemeinsame Ausflüge. Sie begleiten den Sohn, der Handball in der Verbandsliga spielt, zu dessen Spielen, gehen auf den Jahrmarkt, ins Kino, auf Messen oder zu Verwandtenbesuchen. Der Kläger ist dafür zuständig, seinen Kindern bei Hausaufgaben im Fach Mathematik zu helfen. Er hat glaubhaft erklärt, dass er sich jetzt nur noch um seine Familie kümmern wolle. Zu den früheren Mittätern oder deren Umfeld hat der Kläger keinerlei Kontakt mehr. Die danach bestehenden starken Bindungen des Klägers an seine Familie und sein soziales Umfeld wertet der Senat, ebenso wie die Gutachter, als prognostisch günstige Kriterien. Vor diesem Hintergrund erscheint die Befürchtung des Regierungspräsidiums, der Kläger könnte erneut in eine Situation geraten, in welcher besondere "situative Faktoren" wie die im kriminalprognostischen Gutachten beschriebenen - etwa das Eingebundensein in eine Tätergruppe mit freundschaftlichen Beziehungen und Loyalitäten und die Unterordnung unter eine dominant auftretende Persönlichkeit - zu einer ähnlichen Straftat mit Gewaltanwendung führen könnten, fernliegend.
41 
Soweit in den Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt mehrmals darauf hingewiesen wird, dass der Kläger versuche, eigene Anliegen hartnäckig durchzusetzen, lässt dies keinen negativen Schluss bezüglich der Gefahr der Wiederholung weiterer Straftaten zu. Jedenfalls wurden während seiner Haftzeit gegen ihn keine Disziplinarmaßnehmen verhängt und er arbeitete ohne Beanstandungen in Betrieben der Justizvollzugsanstalt. Zudem nahm er an einem Deutschkurs teil. Auch die Gutachter betonen, dass der Umstand, dass der Kläger seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse jeweils mit einem gewissen Nachdruck vorgetragen haben solle, nicht als prognoserelevanter Faktor verwertet werden könne. Sie kommen daher in ihrer zusammenfassenden Beurteilung zu dem Ergebnis, dass die weitgehend fehlende innere Auseinandersetzung des Klägers mit der Tat der einzige prognostisch ungünstige Faktor sei, welcher zusätzlich dadurch relativiert werde, dass die Tat nicht in hohem Maße in der Persönlichkeitsstruktur des Klägers verankert erscheine, sondern eng mit spezifischen situativen Konstellationen verknüpft gewesen sei. Die prognostisch günstigen Faktoren überwögen im Vergleich deutlich. In der Gesamtwürdigung sei somit trotz der mangelnden inneren Auseinandersetzung mit der Tat nicht mehr davon auszugehen, dass beim Kläger dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbestehe.
42 
Dieser Beurteilung schließt sich der Senat an. Die Einschätzung der Gutachter wurde auch von der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Karlsruhe im Beschluss über die Aussetzung der Reststrafe vom 21.12.2011 geteilt. Selbst wenn man davon ausgeht, dass entsprechenden strafgerichtlichen Entscheidungen wegen der unterschiedlichen Maßstäbe und Prognosezeitpunkte nur eingeschränkte Bedeutung bei der im Ausweisungsverfahren zu treffenden Prognoseentscheidung zukommt (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3; weitergehend allerdings bei Assoziationsberechtigten: Senatsurteil vom 07.03.2012 - 11 S 3269/11 - InfAuslR 2012, 203), so ist die Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe hier jedenfalls als wesentliches Indiz zu berücksichtigen. Die Strafvollstreckungskammer ist nach Einholung des kriminalprognostischen Gutachtens vom 24.09.2011 zum Ergebnis gekommen, dass eine vorzeitige Entlassung aus dem Strafvollzug verantwortet werden könne. Sie hat zur Begründung ebenfalls darauf verwiesen, dass der Kläger bis zu der Geiselnahme strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei und ein sozial voll integriertes Leben geführt habe. Der Anteil des Klägers an der verurteilten Straftat stelle sich, gerade bei den Gewalttätigkeiten, eher als gering dar. Der psychiatrische Sachverständige habe ausgeführt, die Tatsache, dass sich der Kläger mit der Tat allenfalls ansatzweise auseinandergesetzt habe, sei zwar als ungünstig zu beurteilen, im Hinblick auf die spezifische situative Konstellation bei der Tat und die im Übrigen festgestellte Eingebundenheit des Klägers seien aber mit hoher Wahrscheinlichkeit keine entsprechenden Taten zu erwarten. Der Kläger selbst habe in der mündlichen Anhörung auf die Strafvollstreckungskammer einen überaus positiven Eindruck gemacht. Sie sei daher davon überzeugt, dass es ihm mit der Hilfe und der Aufsicht eines Bewährungshelfers gelingen werden, künftig ein straffreies Leben zu führen, zumal er dabei sei, sich in einer anderen Berufssparte zu etablieren.
43 
Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung sind zudem weitere Umstände gegeben, die eine günstige Prognose rechtfertigen. Der Kläger hat sich seit der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer und der Haftentlassung vor fast einem Jahr weiter bewährt. Er hat keine Schulden mehr. Weil er zunächst Probleme hatte, eine bereits bestehende Fahrerlaubnis für LKW mit einem Gesamtgewicht von über 7,5 t ausgestellt zu bekommen, gelang es ihm zwar nicht sofort nach der Haftentlassung, eine Arbeitsstelle zu finden. Seit Juli 2012 ist er aber als Fahrer bei einer Firma in Karlsruhe angestellt. In einem Schreiben der Firma vom 28.09.2012 wird bestätigt, dass dieser gewissenhaft, zuverlässig und pünktlich sei; an einer Weiterbeschäftigung bestehe Interesse. Die Bewährungshelferin des Klägers äußert sich in einem Bericht vom 24.07.2012 insgesamt ebenfalls positiv. Sie bestätigt, dass sich der Kläger intensiv um einen Arbeitsplatz bemüht, diesen wegen der Probleme mit dem Führerschein aber zunächst nicht erhalten habe. Nach der Haftentlassung sei es ihm zunächst gesundheitlich nicht gut gegangen, er sei wegen einer Depression ärztlich behandelt worden und habe im Mai und Juni wegen Nierenschmerzen und Nierensteinen stationär behandelt werden müssen. An dem bisherigen Bewährungsverlauf sei insgesamt nichts zu beanstanden, der Kläger halte vereinbarte Termine regelmäßig ein, spreche bei auftauchenden Problemen auch ohne Termin vor. Zur Zeit genügt der Verdienst des Klägers - seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung nach inzwischen in Höhe von 800,- bis 1.200,-- EUR netto monatlich - zwar noch nicht zum Lebensunterhalt der Familie. Er und seine Ehefrau haben jedoch konkrete Pläne, mit Hilfe einer selbstständigen Tätigkeit wieder ohne staatliche Unterstützungen leben zu können. Der Kläger ist weiter nicht nur in seine eigene "Kernfamilie" eingebunden, sondern hat zudem regelmäßigen Kontakt zu seinen Schwiegereltern, seinem Bruder und anderen Verwandten.
44 
bb) Wenn danach auch davon auszugehen ist, dass mit Blick auf die spezialpräventiven Gesichtspunkte ein atypischer Sachverhalt vorliegt, mithin kein Regelfall des § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG gegeben ist, ist aber das Vorliegen eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes bezüglich der vom beklagten Land angeführten generalpräventiven Gesichtspunkte zu bejahen.
45 
Generalpräventiv motivierte Ausweisungen können - ausnahmsweise - auch bei Ausländern zulässig sein, denen besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 AufenthG zukommt, wenn eine besonders schwerwiegende Straftat vorliegt und deshalb ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über eine strafrechtliche Sanktion hinaus durch eine Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, Urteile 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, und vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 - InfAuslR 1997, 8). Bei der Entscheidung sind alle wesentlichen Umstände des Einzelfalls in die Beurteilung einzubeziehen. Das Gewicht der Straftat ist nicht abstrakt, sondern konkret nach den Umständen der Tatbegehung zu bestimmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 - a.a.O.).
46 
Nach diesen Grundsätzen kann die Ausweisung hier wegen der Art und Schwere der Straftat - der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - und der geschilderten konkreten, sich über mehrere Stunden hinziehenden Tatausführung auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden. Eine abschreckende Wirkung erscheint auch mit Blick darauf wichtig, dass es sich um einen Fall von besonders skrupelloser "Selbstjustiz" gehandelt hat. Schließlich war der Einbruch in das Wettbüro des Klägers vom 29.11.2008 bereits bei der Polizei angezeigt worden. Nach Bekanntwerden der Umstände, die aus Sicht des Klägers und der Mitangeklagten für eine Täterschaft der Angestellten N.G. bzw. ihres Freundes sprachen, hatte Y.K. noch am selben Abend die Polizei auch darüber informiert. Ausweislich der Feststellungen im Strafurteil vom 30.06.2009 hatte der Polizeibeamte, welcher aufgrund der vagen Verdächtigungen keinen Grund gesehen hatte, umgehend einzuschreiten, Y.K ausdrücklich davor gewarnt, eigene Aktionen zu unternehmen. Dies hatte Y.K dem Kläger berichtet. Trotzdem verabredeten Y.K., der Kläger und die weiteren Mittäter, N.G. zur Rede zu stellen, um - gegebenenfalls mit Hilfe von Ohrfeigen - ein Geständnis zu erzwingen, und begingen am nächsten Morgen die Straftat.
47 
c) Ist der die Ausweisung tragende Grund somit hinsichtlich der generalpräventiven Gesichtspunkte schwerwiegend, so ist der Kläger an sich gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG in der Regel auszuweisen, weil er den Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 1 AufenthG verwirklicht hat. Das Regierungspräsidium hat insoweit wegen der bestehenden familiären Lebensgemeinschaft des Klägers mit seiner deutschen Ehefrau und den vier deutschen Kindern allerdings zu Recht einen Ausnahmefall angenommen, der eine Abweichung von dieser Regel gebietet, und nach Ermessen entschieden.
48 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - InfAuslR 2008, 116, m.w.N.) ist von einem die Regel durchbrechenden Ausnahmefall bereits dann auszugehen, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falls erfordern. Es kann offen bleiben, ob dies bereits dann anzunehmen ist, wenn der Schutzbereich der betroffenen Grundrechte bzw. Menschenrechte, hier Art. 6 und Art. 2 GG bzw. Art. 8 EMRK, lediglich berührt ist oder ob bereits in diesem Zusammenhang die Feststellung eines qualifizierten Eingriffs erforderlich ist. Denn jedenfalls würde im Fall des Klägers wegen der bestehenden familiären Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Ehefrau und deutschen Kindern allein durch die Herabstufung von der "Ist-Ausweisung" zu einer "Regelausweisung" durch § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG dem besonderen Schutz der Familie durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK noch nicht hinreichend einzelfallbezogen Rechnung getragen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sind dann wesentlich konkreter und einzelfallbezogener neben allen ehelichen und familiären Umständen auch andere gewichtige persönlichen Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen und eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen (vgl. zu alledem auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - InfAuslR 2007, 443).
49 
4. Das danach dem Regierungspräsidium bei der Entscheidung über die Ausweisung zustehende und nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbare Ermessen ist hier von vornherein "auf Null reduziert", weil die mit einer Ausweisung verbundenen Folgen mit Blick auf die Schutzwirkungen von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK als unverhältnismäßig anzusehen sind.
50 
Bei der Entscheidung, ob eine im Ermessen der Ausländerbehörde stehende Ausweisung tatsächlich verfügt wird, sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die in § 55 Abs. 3 AufenthG aufgeführten, nämlich die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts, die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige oder Lebenspartner des Ausländer, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben, und die in § 60a Abs. 2 und 2b AufenthG genannten Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung. Dabei sind der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Grundrechte des Betroffenen zu beachten, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK, Art. 6 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG). Liegt ein Eingriff in diese Rechte vor, ist ohnehin eine einzelfallbezogene Würdigung und Abwägung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers unter Beachtung der insbesondere vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK entwickelten Kriterien vorzunehmen (BVerwG, Beschluss vom 10.02.2011 - 1 B 22.10 - Buchholz 402.242 § 56 AufenthG Nr. 5, m.w.N.; Urteil vom 22.10.2009 - 1 C 26.08 - InfAuslR 2010, 91). Dabei sind neben allen ehelichen und familiären Umständen auch andere gewichtige persönliche Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK darf eine Behörde in die Ausübung des Rechts aus Art. 8 Abs. 1 EMRK nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Die Frage, ob der durch eine Ausweisung bewirkte Eingriff im konkreten Einzelfall in diesem Sinne „notwendig“, insbesondere verhältnismäßig ist, ist anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist dabei von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen, den so genannten Boultif/Üner-Kriterien (vgl. zu den Kriterien im Einzelnen: EGMR, Urteile vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00, Boultif - InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99, Üner - NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/03, Maslov II - InfAuslR 2008, 333, vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05, Mutlag - InfAuslR 2010, 325, und vom 13.10.2011 - Nr. 41548/06, Trabelsi - juris). Erweisen sich danach die rechtlichen oder tatsächlichen Auswirkungen einer Ausweisung in Ansehung von Art. 6 Abs. 1 GG als unverhältnismäßig bzw. im Sinne des Art. 8 EMRK als "nicht notwendig", ist das Ermessen der Behörde mit der Folge "auf Null reduziert", dass eine Ausweisung des Betreffenden ausscheidet.
51 
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist eine Ausweisung des Klägers hier unzulässig. Der Kläger ist bereits seit 1996 mit seiner Ehefrau verheiratet, welche in Deutschland geboren ist und seit 1998 die deutsche Staatangehörigkeit besitzt. Mir ihr und den vier gemeinsamen, zwischen 4 und 15 Jahre alten Kindern, die ebenfalls Deutsche sind, lebt er in enger familiärer Lebensgemeinschaft. Diesem Umstand kommt eine erhebliche und weitreichende, durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK vermittelte Schutzwirkung zu, welche durch die deutsche Staatsangehörigkeit der Ehefrau und Kinder noch verstärkt wird (vgl. schon BVerwG, Urteile vom 03.05.1973 - I C 33.72 - BVerwGE 42, 133, vom 27.09.1978 - I C 79.76 - BVerwGE 56, 246, vom 17.01.1989 - 1 C 46.86 -InfAuslR 1989, 159; vgl. auch auch BVerfG, Beschluss vom 18.07.1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386; Kammerbeschlüsse vom 15.06.1993 - 2 BvR 900/93 - InfAuslR 1994, 311, und vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320). Dies wird auch nicht etwa durch den Umstand relativiert, dass die Ehefrau früher noch die türkische Staatsangehörigkeit hatte bzw. deren Eltern aus dem Heimatland des Klägers stammen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291, und vom 30.09.2009 - 13 S 440/09 -; HessVGH, Beschluss vom 15.07.2003 - 12 TG 1484/03 - InfAuslR 2003, 388). Insbesondere kann von der Ehefrau und den Kindern nicht verlangt werden, dass sie mit dem Kläger in die Türkei ausreisen.
52 
Die bestehenden tiefen Bindungen des Klägers zu seiner Familie werden belegt durch die vielen Besuche während seiner Haftzeit. Wie ausgeführt, hat der Kläger offensichtlich ein enges und intaktes Verhältnis zu seiner Ehefrau und seinen Kindern. Er übernimmt die Erziehung der Kinder gemeinsam mit seiner Ehefrau. In Anbetracht des jungen Alters der Kinder hätte eine - wenn auch nur vorübergehende - Trennung für diese ein besonderes Gewicht (vgl. zu Kindern in den ersten Lebensjahren BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320, und vom 01.12.2008 - 2 BvR 1830/08 -juris). Deren Belangen könnte daher auch durch eine Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf einen bestimmten - nicht zu langen - Zeitraum nicht hinreichend Rechnung getragen werden.
53 
Auf der anderen Seite ist das öffentliche Interesse einer Ausweisung hier gemindert, weil ungeachtet der Schwere der vom Kläger begangenen Straftat nicht mehr von einer relevanten Wiederholungsgefahr ausgegangen werden kann. Allein die generalpräventiven Erwägungen vermögen den mit einer Ausweisung verbundenen Eingriff in Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht zu rechtfertigen. Wie ausgeführt, ist zwar davon auszugehen, dass eine besonders schwerwiegende Straftat vorliegt und deshalb - grundsätzlich - ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über eine strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, Urteile 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, und vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 -InfAuslR 1997, 8). Dieses vermag aber in Anbetracht der konkreten Umstände des vorliegenden Falles den Eingriff in das Schutzgebot von Art. 6 Abs. 1 GG bzw. das Achtungsgebots des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht zu rechtfertigen. Dabei ist von besonderer Relevanz, dass die Tat annähernd vier Jahre zurückliegt und der Kläger seine Strafe verbüßt hat. Auch sind die bereits im Rahmen der Prüfung der Wiederholungsgefahr angeführten, für den Kläger sprechenden weiteren Umstände zu berücksichtigen, etwa dass er sich bereits seit 1996 rechtmäßig hier aufhält, zuvor - bis auf das Verkehrsdelikt - nie straffällig geworden war, außerdem dass er sich immer bemüht hat, ausreichend für seine Familie und sich zu sorgen und sich auch seit seiner Haftentlassung bewährt hat.
54 
Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass die Ausweisung des Klägers hier im Ergebnis selbst dann als unverhältnismäßig anzusehen ist, wenn man noch vom Bestehen einer geringen, aber die Erheblichkeitsschwelle übersteigenden Wiederholungsgefahr und damit dem Vorliegen spezialpräventiver Ausweisungsgründe ausginge. Denn aus den - zur Unverhältnismäßigkeit einer generalpräventiv motivierten Ausweisung - angeführten Gründen führt die danach erforderliche Abwägung ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die privaten Interessen des Klägers und seiner Familienangehörigen das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung überwiegen.
II.
55 
Unter diesen Umständen ist auch die im Bescheid vom 22.10.2010 verfügten Abschiebungsandrohung rechtswidrig und aufzuheben.
56 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
57 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
58 
Beschluss vom 23. Oktober 2012
59 
Der Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt (§§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG).
60 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
24 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht und ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 6 und Abs. 3 Satz 4 VwGO) Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 hat Erfolg. Die Anfechtungsklage des Klägers gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteile vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - InfAuslR 2008, 156, und vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris) begründet. Die darin unter Ziffer 1 verfügte Ausweisung und die Abschiebungsandrohung unter Ziffern 2 und 3 sind rechtswidrig und verletzen dadurch den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Einer Entscheidung über den vom Kläger im Berufungsverfahren lediglich hilfsweise gestellten Antrag auf Verpflichtung des beklagten Landes zur Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 bezeichneten Wirkungen der Ausweisung "auf sofort" (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O.) bedarf es daher nicht.
I.
25 
Die auf §§ 53 Nr. 1, 56 Abs. 1, 55 AufenthG beruhende (dazu unter 1. und 2.) Ausweisung des Klägers, die hier im Ermessen des beklagten Landes steht (3.), ist mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz rechtswidrig (4.).
26 
1. Maßgebliche Rechtsgrundlage sind die §§ 53 Nr. 1, 56 Abs. 1, 55 AufenthG.
27 
Insbesondere sind nicht etwa allein wegen des Umstands, dass die Ehefrau und die Kinder des Klägers deutsche Staatsangehörige sind, besondere unionsrechtliche Anforderungen zu beachten (vgl. hierzu EuGH, Urteile vom 05.05.2011 - Rs. C-434/09, McCarthy - InfAuslR 2011, 268, und vom 15.11.2011 - Rs. C-256/11, Dereci - InfAuslR 2012, 47; Senatsurteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 - NVwZ-RR 2012, 412).
28 
Eine nur beschränkte Anwendbarkeit der Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG folgt hier auch nicht aus dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: ARB 1/80; vgl. insbesondere Art. 14 ARB 1/80). Eine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80 hat der Kläger nicht erworben, weil seine Ehefrau vor Ablauf von drei Jahren nach Zuzug des Klägers eingebürgert wurde und die türkische Staatsangehörigkeit aufgegeben hat (vgl. dazu Renner, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 4 Rn. 156 m.w.N.). Ob er jemals die Voraussetzungen des - hier allein in Betracht kommenden - 2. Spiegelstrichs des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erfüllt hat, kann offen bleiben. Denn er hat eine eventuelle Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 durch die spätere Aufnahme selbstständiger Tätigkeiten, zuletzt den Betrieb des Wettbüros - aufgrund dessen der Kläger jedenfalls dem Arbeitsmarkt auf unabsehbare Zeit nicht mehr zur Verfügung stand - verloren (streitig, ebenso: Hess. VGH, Urteil vom 09.02.2004 - 12 TG 3548/03 - InfAuslR 2004, 230; Bayer. VGH, Urteil vom 26.03.2007 - 24 BV 03.2091 - juris; vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18.10.2006 - 13 S 192/06 - InfAuslR 2007, 49; a.A. VG Stuttgart, Urteil vom 23.05.2011 - 11 K 2967/10 - juris; vgl. zum Streitstand GK-AufenthG, Stand: September 2012, IX - 1 Art. 6 Rn. 238 f.; Hailbronner, AuslR, Stand: August 2012, D 5.1, Art. 6 ARB 1/80 Rn. 46). Letztlich kommt es aber auf diese Frage hier nicht an. Folge einer assoziationsrechtlichen Rechtsstellung des Klägers wäre ein erhöhter Ausweisungsschutz (vgl. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80; Senatsurteil vom 16.04.2012 - 11 S 4/12 - juris m.w.N.). Wie sich aus dem Folgenden ergibt, erweist sich die Ausweisung auch dann als rechtswidrig und ist daher aufzuheben, wenn ihm dieser nicht zukäme.
29 
2. Allerdings sind die Tatbestandsvoraussetzungen einer "Ist-Ausweisung" nach § 53 Nr. 1 AufenthG gegeben. Danach wird ein Ausländer unter anderem dann ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das ist hier wegen der Verurteilung des Klägers durch das Landgericht Karlsruhe vom 30.06.2009 wegen Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten der Fall.
30 
3. Trotz Erfüllung des an sich zwingenden Ausweisungsgrundes des § 53 Nr. 1 AufenthG steht die Ausweisung des Klägers jedoch im Ermessen und ist deshalb nach § 55 AufenthG zu beurteilen. Der Kläger genießt unstreitig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz (a). Er darf daher gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Solche liegen gemäß § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 AufenthG, also auch hier, vor. Diesbezüglich ist auch nicht vom Vorliegen eines Ausnahmefalls auszugehen (b). Hier ist aber eine Ausnahme von der "Regelrechtsfolge" des § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG geboten, wonach der betreffende Ausländer bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 AufenthG "in der Regel" ausgewiesen wird. Über seine Ausweisung ist daher nach Ermessen zu entscheiden (c).
31 
a) § 56 Abs. 1 AufenthG ist aus zwei Gründen anzuwenden: Zum einen besitzt der Kläger eine Niederlassungserlaubnis und hält sich seit mehr als fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet auf (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG), zum anderen lebt er mit deutschen Familienangehörigen - seiner Ehefrau und seinen Kindern - in familiärer Lebensgemeinschaft (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG).
32 
b) Der danach für eine Ausweisung des Klägers erforderliche schwerwiegende Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG ist gegeben.
33 
Nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5, 5 bis 5b und 7 AufenthG vor. Diese gesetzliche Vermutung beruht darauf, dass bei Verwirklichung der genannten Ausweisungstatbestände regelmäßig das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Ausweisung des Ausländers erfordert und der vom Gesetz bezweckte Schutz des Ausländers dahinter zurückzutreten hat. Die Regelung enthält allerdings keine Automatik, sondern erfordert eine individuelle Prüfung im jeweiligen Einzelfall, ob nicht Besonderheiten vorliegen, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass - hier des § 53 AufenthG - als weniger gewichtig erscheinen lassen. Davon ist auszugehen, wenn im konkreten Fall weder die spezial- noch die generalpräventiven Ausweisungszwecke des betreffenden Ausweisungstatbestands in dem erforderlichen Ausmaß vorliegen (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, m.w.N.; vgl. auch Senatsurteil vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 02.07.2001 - 13 S 2326/99 - InfAuslR 2002, 72).
34 
Im Falle des Klägers ist zwar nicht mit Blick auf den spezialpräventiven Ausweisungszweck (aa), aber vor dem Hintergrund der zulässigen generalpräventiven Erwägungen ein schwerwiegender Ausweisungsgrund (bb) zu bejahen.
35 
aa) Zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kann nicht (mehr) davon ausgegangen werden, dass vom Kläger die Gefahr der Wiederholung erheblicher Straftaten ausgeht. Die Ausweisung kann daher nicht mehr auf spezialpräventive Gründe gestützt werden.
36 
Allerdings ist der Ausweisungsanlass - die vom Kläger begangene Straftat der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - besonders gravierend. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 - juris, vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris, vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3, und vom 03.08.2004 - 1 C 30.02 -InfAuslR 2005, 18), der sich der Senat anschließt (einschränkend noch Senatsurteile vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 - NVwZ-RR 2012, 492, und vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291), gelten bei Straftaten mit einer hervorgehobenen Bedeutung für die im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr eher geringere Anforderungen. In den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 AufenthG besteht auch eine gesetzliche Vermutung des Vorliegens eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes in § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG. Selbst wenn man danach einem differenzierten Wahrscheinlichkeitsmaßstab folgt, bedeutet dies aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O. m.w.N.). Dies gilt nicht nur bei der Prüfung der Wiederholungsgefahr bei Assoziationsberechtigten oder Unionsbürgern, sondern jedenfalls auch bei Ausländern, denen besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 AufenthG zusteht. Auch in diesen Fällen müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit von dem Betreffenden eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht. Lässt sich die Begehung weiterer Straftaten lediglich nicht ausschließen, ist eine dem besonderen Ausweisungsschutz Rechnung tragende erhöhte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung noch nicht gegeben, so dass auch der Ausweisungsgrund nicht schwer wiegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O., sowie - zu den entsprechenden Vorgängerregelungen des § 47 Abs. 1 AuslG 1990 bzw. § 11 Abs. 1 AuslG 1965 - Urteile vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 -InfAuslR 1997, 8, und vom 17.01.1989 - 1 C 46.86 - InfAuslR 1989, 152; Beschluss vom 10.02.1995 - 1 B 221.04 - InfAuslR 1995, 273, m.w.N.).
37 
Der Senat ist aufgrund der vorliegenden Akten und Unterlagen, insbesondere des von der Strafvollstreckungskammer im Verfahren auf Aussetzung der Reststrafe eingeholten, nachvollziehbaren und überzeugenden kriminalprognostischen Gutachtens vom 24.09.2011, sowie aufgrund der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass von diesem keine nennenswerte Gefahr der Wiederholung von entsprechenden Straftaten (mehr) ausgeht.
38 
Zu Lasten des Klägers sind in diesem Zusammenhang allerdings zunächst neben der Schwere des begangenen Delikts die konkreten Tatumstände zu berücksichtigen. Das Regierungspräsidium Karlsruhe hat in dem angefochtenen Bescheid zu Recht darauf hingewiesen, dass der Kläger zwar nicht der Haupttäter war, er jedoch als Inhaber des Wettbüros eine besondere Verantwortung für das Geschehen trug, und dass er über einen Zeitraum von über dreieinhalb Stunden an der Geiselnahme mitgewirkt hat, bei welcher durch eine menschenunwürdige Befragung unter Anwendung und Androhung von Gewalt der Versuch unternommen wurde, von der Angestellten N.G. ein Geständnis für den vermeintlich von dieser bzw. deren Freund begangenen Einbruch zu erhalten. Der Kläger war dabei auch nicht etwa nur passiv beteiligt, sondern unterstützte seine Mittäter aktiv. Bereits am Vorabend der Tat war verabredet worden, N.G. Ohrfeigen zu versetzen. Zwar nahm der Haupttäter B.A. die Schreckschusspistole ohne Wissen der anderen mit. Zum einen schritten sie aber nicht gegen B.A. ein, welcher den Eindruck erweckte, N.G. erschießen zu wollen. Zum anderen nutzten sie die dadurch bei N.G. entstandene Todesangst in der Folge weiter aus bei ihren Bemühungen, ein Geständnis zu erzwingen, und hielten diese aufrecht. Der Kläger hatte außerdem die Kellertür selbst verschlossen und versperrte mit seinen Füßen den Ausgang, so dass das Opfer keine Chance hatte, den Keller zu verlassen. Er beteiligte sich aktiv an Vorhaltungen und an den Forderungen, die Tat einzuräumen, wenngleich weniger intensiv als die Mitangeklagten B.A., Y.K. und E.G. Nachdem N.G. bereits mit der Schreckschusswaffe bedroht worden war und Todesangst litt, schaltete er auf Aufforderung des Haupttäters B.A. das Licht aus, so dass eine noch bedrohlichere Atmosphäre entstand. Später schlug er dem Haupttäter auf Türkisch vor, N.G. mit der Behauptung zusätzlich unter Druck zu setzen, man habe zwischenzeitlich ihren Freund mit einem Baseballschlager "zusammengeschlagen", woraufhin dieser gestanden hätte. Nachdem B.A. den Keller verlassen hatte, befragten der Kläger, Y.K. und T.K. das Opfer N.G. zunächst weiter, bevor sie diese freiließen. Der Kläger nahm damit massive körperliche und psychische Schädigungen der N.G. billigend in Kauf. Wenn auch er und die verbliebenen Mittäter in der Folge von einer weiteren Tatausführung absahen, weshalb das Strafgericht von einer tätigen Reue ausgegangen ist, teilt der Senat die Einschätzung des Regierungspräsidiums, dass die Tat und die Tatumstände für ein erhebliches Maß an krimineller Energie des Klägers sprechen. Es handelt sich um eine besonders gravierende und mit einer erschreckenden Härte und Mitleidlosigkeit begangene Straftat.
39 
Der Kläger hat sich zudem, abgesehen von mehreren Gesprächen mit einem Psychologen in der Justizvollzugsanstalt, nicht mit professioneller Hilfe mit der Tat und den Auswirkungen für das Opfer auseinandergesetzt. An der Tiefe der von ihm in der Vergangenheit in Gesprächen geäußerten Betroffenheit über das Geschehen sind nicht nur in den ersten Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt, sondern auch in dem kriminalprognostischen Gutachten vom 24.09.2011 Zweifel geäußert worden. In dem Gutachten heißt es, es bestehe der Eindruck, dass der Kläger insgesamt emotional stärker durch die Folgen der Tat für ihn und seine Familie als durch die Folgen für das Opfer betroffen sei. Auch habe er seinen eigenen Tatbeitrag im Rahmen der Begutachtung tendenziell eher heruntergespielt. Es hätten sich somit keine Hinweise für eine tiefergehende innere Auseinandersetzung mit der Tat, respektive mit dem eigenen Beitrag zum Tatgeschehen, gefunden. So habe dieser nicht plausibel und nachvollziehbar darlegen können, weshalb er sich in keiner erkennbaren Weise für das Opfer eingesetzt habe, obgleich er das Handeln seiner Mittäter missbilligt haben wolle. Die von ihm angeführte Begründung, dass er Angst davor gehabt hätte, der Mittäter B.A. könnte die Waffe gegen ihn selbst einsetzen, erscheine insgesamt wenig plausibel. Die fehlende Auseinandersetzung mit der Straftat und den in der eigenen Person liegenden diesbezüglich relevanten Einstellungen und Motiven wird von den Gutachtern daher in prognostischer Hinsicht als ungünstiger Faktor gewertet. Tatsächlich hat der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung nicht nachvollziehbar erklären können, wie es so weit hat kommen können, vor allem, warum er nicht irgendwann eingeschritten ist. Offensichtlich kann er sich das bis heute selbst nicht erklären. Den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung ließ sich aber eine - glaubhafte - starke Betroffenheit und Reue entnehmen. Dies wurde unter anderem deutlich, als er erläuterte, dass er sich vorgestellt habe, das Opfer wären seine Ehefrau oder seine Tochter gewesen, und dass ihm klar geworden sei, welche Folgen die Tat für N.G. habe. Abgesehen von dem bereits entrichteten Schmerzensgeld für N.G. würde er gerne alles unternehmen, damit es ihr besser gehe.
40 
Selbst wenn sich danach bis heute letztlich nicht erklären lässt, wie es zu einer solchen Straftat hat kommen können, und eine erschöpfende Auseinandersetzung mit der Tat fehlt, besteht beim Kläger nicht die Gefahr einer Wiederholung erheblicher Straftaten. Dabei ist zunächst zu bedenken, dass die Straftat inzwischen fast vier Jahre zurückliegt. Der Kläger war über drei Jahre lang in Untersuchungs- und Strafhaft, welche ihn erkennbar tief beeindruckt hat. Zuvor hat er sich - abgesehen von einem nicht einschlägigen und nicht mehr zu berücksichtigenden Straßenverkehrsdelikt im Jahr 1998 - über 10 Jahre lang straffrei und bis zur Übernahme des Wettbüros - dessen Beschäftige allerdings nicht alle ordnungsgemäß angemeldet gewesen seien - ohne Beanstandungen in Deutschland aufgehalten. Nach dem Gutachten vom 24.09.2011 finden sich keine Hinweise für Berührungspunkte mit "spezifisch delinquenznahem Milieu" und auch keine Hinweise für eine tiefer in der Persönlichkeit des Klägers verankerte delinquente Neigung, etwa eine dissoziale Akzentuierung in seiner Persönlichkeit. Anhaltspunkte für eine Sucht oder eine Bindung an ein entsprechendes Milieu liegen nicht vor. Vor allem lebte und lebt er in einer stabilen partnerschaftlichen Beziehung. Die Gutachter bescheinigen ihm, dass die von ihm bekundeten Sorgen um die Entwicklung der Familie und der Kinder nachvollziehbar und glaubhaft sind. In der mündlichen Verhandlung wurde deutlich, dass der Kläger tatsächlich einen starken Rückhalt durch seine Familie und weitere Verwandte hat. In Deutschland leben noch zwei seiner Brüder. Mit seiner Frau und seinen Kindern besucht er oft die Familie seiner Ehefrau, das heißt deren Eltern und Geschwister, oder einen seiner beiden Brüder, der ebenfalls in der Nähe wohnt. Seine Ehefrau, er und die Kinder unternehmen am Wochenende gemeinsame Ausflüge. Sie begleiten den Sohn, der Handball in der Verbandsliga spielt, zu dessen Spielen, gehen auf den Jahrmarkt, ins Kino, auf Messen oder zu Verwandtenbesuchen. Der Kläger ist dafür zuständig, seinen Kindern bei Hausaufgaben im Fach Mathematik zu helfen. Er hat glaubhaft erklärt, dass er sich jetzt nur noch um seine Familie kümmern wolle. Zu den früheren Mittätern oder deren Umfeld hat der Kläger keinerlei Kontakt mehr. Die danach bestehenden starken Bindungen des Klägers an seine Familie und sein soziales Umfeld wertet der Senat, ebenso wie die Gutachter, als prognostisch günstige Kriterien. Vor diesem Hintergrund erscheint die Befürchtung des Regierungspräsidiums, der Kläger könnte erneut in eine Situation geraten, in welcher besondere "situative Faktoren" wie die im kriminalprognostischen Gutachten beschriebenen - etwa das Eingebundensein in eine Tätergruppe mit freundschaftlichen Beziehungen und Loyalitäten und die Unterordnung unter eine dominant auftretende Persönlichkeit - zu einer ähnlichen Straftat mit Gewaltanwendung führen könnten, fernliegend.
41 
Soweit in den Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt mehrmals darauf hingewiesen wird, dass der Kläger versuche, eigene Anliegen hartnäckig durchzusetzen, lässt dies keinen negativen Schluss bezüglich der Gefahr der Wiederholung weiterer Straftaten zu. Jedenfalls wurden während seiner Haftzeit gegen ihn keine Disziplinarmaßnehmen verhängt und er arbeitete ohne Beanstandungen in Betrieben der Justizvollzugsanstalt. Zudem nahm er an einem Deutschkurs teil. Auch die Gutachter betonen, dass der Umstand, dass der Kläger seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse jeweils mit einem gewissen Nachdruck vorgetragen haben solle, nicht als prognoserelevanter Faktor verwertet werden könne. Sie kommen daher in ihrer zusammenfassenden Beurteilung zu dem Ergebnis, dass die weitgehend fehlende innere Auseinandersetzung des Klägers mit der Tat der einzige prognostisch ungünstige Faktor sei, welcher zusätzlich dadurch relativiert werde, dass die Tat nicht in hohem Maße in der Persönlichkeitsstruktur des Klägers verankert erscheine, sondern eng mit spezifischen situativen Konstellationen verknüpft gewesen sei. Die prognostisch günstigen Faktoren überwögen im Vergleich deutlich. In der Gesamtwürdigung sei somit trotz der mangelnden inneren Auseinandersetzung mit der Tat nicht mehr davon auszugehen, dass beim Kläger dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbestehe.
42 
Dieser Beurteilung schließt sich der Senat an. Die Einschätzung der Gutachter wurde auch von der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Karlsruhe im Beschluss über die Aussetzung der Reststrafe vom 21.12.2011 geteilt. Selbst wenn man davon ausgeht, dass entsprechenden strafgerichtlichen Entscheidungen wegen der unterschiedlichen Maßstäbe und Prognosezeitpunkte nur eingeschränkte Bedeutung bei der im Ausweisungsverfahren zu treffenden Prognoseentscheidung zukommt (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3; weitergehend allerdings bei Assoziationsberechtigten: Senatsurteil vom 07.03.2012 - 11 S 3269/11 - InfAuslR 2012, 203), so ist die Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe hier jedenfalls als wesentliches Indiz zu berücksichtigen. Die Strafvollstreckungskammer ist nach Einholung des kriminalprognostischen Gutachtens vom 24.09.2011 zum Ergebnis gekommen, dass eine vorzeitige Entlassung aus dem Strafvollzug verantwortet werden könne. Sie hat zur Begründung ebenfalls darauf verwiesen, dass der Kläger bis zu der Geiselnahme strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei und ein sozial voll integriertes Leben geführt habe. Der Anteil des Klägers an der verurteilten Straftat stelle sich, gerade bei den Gewalttätigkeiten, eher als gering dar. Der psychiatrische Sachverständige habe ausgeführt, die Tatsache, dass sich der Kläger mit der Tat allenfalls ansatzweise auseinandergesetzt habe, sei zwar als ungünstig zu beurteilen, im Hinblick auf die spezifische situative Konstellation bei der Tat und die im Übrigen festgestellte Eingebundenheit des Klägers seien aber mit hoher Wahrscheinlichkeit keine entsprechenden Taten zu erwarten. Der Kläger selbst habe in der mündlichen Anhörung auf die Strafvollstreckungskammer einen überaus positiven Eindruck gemacht. Sie sei daher davon überzeugt, dass es ihm mit der Hilfe und der Aufsicht eines Bewährungshelfers gelingen werden, künftig ein straffreies Leben zu führen, zumal er dabei sei, sich in einer anderen Berufssparte zu etablieren.
43 
Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung sind zudem weitere Umstände gegeben, die eine günstige Prognose rechtfertigen. Der Kläger hat sich seit der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer und der Haftentlassung vor fast einem Jahr weiter bewährt. Er hat keine Schulden mehr. Weil er zunächst Probleme hatte, eine bereits bestehende Fahrerlaubnis für LKW mit einem Gesamtgewicht von über 7,5 t ausgestellt zu bekommen, gelang es ihm zwar nicht sofort nach der Haftentlassung, eine Arbeitsstelle zu finden. Seit Juli 2012 ist er aber als Fahrer bei einer Firma in Karlsruhe angestellt. In einem Schreiben der Firma vom 28.09.2012 wird bestätigt, dass dieser gewissenhaft, zuverlässig und pünktlich sei; an einer Weiterbeschäftigung bestehe Interesse. Die Bewährungshelferin des Klägers äußert sich in einem Bericht vom 24.07.2012 insgesamt ebenfalls positiv. Sie bestätigt, dass sich der Kläger intensiv um einen Arbeitsplatz bemüht, diesen wegen der Probleme mit dem Führerschein aber zunächst nicht erhalten habe. Nach der Haftentlassung sei es ihm zunächst gesundheitlich nicht gut gegangen, er sei wegen einer Depression ärztlich behandelt worden und habe im Mai und Juni wegen Nierenschmerzen und Nierensteinen stationär behandelt werden müssen. An dem bisherigen Bewährungsverlauf sei insgesamt nichts zu beanstanden, der Kläger halte vereinbarte Termine regelmäßig ein, spreche bei auftauchenden Problemen auch ohne Termin vor. Zur Zeit genügt der Verdienst des Klägers - seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung nach inzwischen in Höhe von 800,- bis 1.200,-- EUR netto monatlich - zwar noch nicht zum Lebensunterhalt der Familie. Er und seine Ehefrau haben jedoch konkrete Pläne, mit Hilfe einer selbstständigen Tätigkeit wieder ohne staatliche Unterstützungen leben zu können. Der Kläger ist weiter nicht nur in seine eigene "Kernfamilie" eingebunden, sondern hat zudem regelmäßigen Kontakt zu seinen Schwiegereltern, seinem Bruder und anderen Verwandten.
44 
bb) Wenn danach auch davon auszugehen ist, dass mit Blick auf die spezialpräventiven Gesichtspunkte ein atypischer Sachverhalt vorliegt, mithin kein Regelfall des § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG gegeben ist, ist aber das Vorliegen eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes bezüglich der vom beklagten Land angeführten generalpräventiven Gesichtspunkte zu bejahen.
45 
Generalpräventiv motivierte Ausweisungen können - ausnahmsweise - auch bei Ausländern zulässig sein, denen besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 AufenthG zukommt, wenn eine besonders schwerwiegende Straftat vorliegt und deshalb ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über eine strafrechtliche Sanktion hinaus durch eine Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, Urteile 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, und vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 - InfAuslR 1997, 8). Bei der Entscheidung sind alle wesentlichen Umstände des Einzelfalls in die Beurteilung einzubeziehen. Das Gewicht der Straftat ist nicht abstrakt, sondern konkret nach den Umständen der Tatbegehung zu bestimmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 - a.a.O.).
46 
Nach diesen Grundsätzen kann die Ausweisung hier wegen der Art und Schwere der Straftat - der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - und der geschilderten konkreten, sich über mehrere Stunden hinziehenden Tatausführung auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden. Eine abschreckende Wirkung erscheint auch mit Blick darauf wichtig, dass es sich um einen Fall von besonders skrupelloser "Selbstjustiz" gehandelt hat. Schließlich war der Einbruch in das Wettbüro des Klägers vom 29.11.2008 bereits bei der Polizei angezeigt worden. Nach Bekanntwerden der Umstände, die aus Sicht des Klägers und der Mitangeklagten für eine Täterschaft der Angestellten N.G. bzw. ihres Freundes sprachen, hatte Y.K. noch am selben Abend die Polizei auch darüber informiert. Ausweislich der Feststellungen im Strafurteil vom 30.06.2009 hatte der Polizeibeamte, welcher aufgrund der vagen Verdächtigungen keinen Grund gesehen hatte, umgehend einzuschreiten, Y.K ausdrücklich davor gewarnt, eigene Aktionen zu unternehmen. Dies hatte Y.K dem Kläger berichtet. Trotzdem verabredeten Y.K., der Kläger und die weiteren Mittäter, N.G. zur Rede zu stellen, um - gegebenenfalls mit Hilfe von Ohrfeigen - ein Geständnis zu erzwingen, und begingen am nächsten Morgen die Straftat.
47 
c) Ist der die Ausweisung tragende Grund somit hinsichtlich der generalpräventiven Gesichtspunkte schwerwiegend, so ist der Kläger an sich gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG in der Regel auszuweisen, weil er den Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 1 AufenthG verwirklicht hat. Das Regierungspräsidium hat insoweit wegen der bestehenden familiären Lebensgemeinschaft des Klägers mit seiner deutschen Ehefrau und den vier deutschen Kindern allerdings zu Recht einen Ausnahmefall angenommen, der eine Abweichung von dieser Regel gebietet, und nach Ermessen entschieden.
48 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - InfAuslR 2008, 116, m.w.N.) ist von einem die Regel durchbrechenden Ausnahmefall bereits dann auszugehen, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falls erfordern. Es kann offen bleiben, ob dies bereits dann anzunehmen ist, wenn der Schutzbereich der betroffenen Grundrechte bzw. Menschenrechte, hier Art. 6 und Art. 2 GG bzw. Art. 8 EMRK, lediglich berührt ist oder ob bereits in diesem Zusammenhang die Feststellung eines qualifizierten Eingriffs erforderlich ist. Denn jedenfalls würde im Fall des Klägers wegen der bestehenden familiären Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Ehefrau und deutschen Kindern allein durch die Herabstufung von der "Ist-Ausweisung" zu einer "Regelausweisung" durch § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG dem besonderen Schutz der Familie durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK noch nicht hinreichend einzelfallbezogen Rechnung getragen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sind dann wesentlich konkreter und einzelfallbezogener neben allen ehelichen und familiären Umständen auch andere gewichtige persönlichen Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen und eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen (vgl. zu alledem auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - InfAuslR 2007, 443).
49 
4. Das danach dem Regierungspräsidium bei der Entscheidung über die Ausweisung zustehende und nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbare Ermessen ist hier von vornherein "auf Null reduziert", weil die mit einer Ausweisung verbundenen Folgen mit Blick auf die Schutzwirkungen von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK als unverhältnismäßig anzusehen sind.
50 
Bei der Entscheidung, ob eine im Ermessen der Ausländerbehörde stehende Ausweisung tatsächlich verfügt wird, sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die in § 55 Abs. 3 AufenthG aufgeführten, nämlich die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts, die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige oder Lebenspartner des Ausländer, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben, und die in § 60a Abs. 2 und 2b AufenthG genannten Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung. Dabei sind der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Grundrechte des Betroffenen zu beachten, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK, Art. 6 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG). Liegt ein Eingriff in diese Rechte vor, ist ohnehin eine einzelfallbezogene Würdigung und Abwägung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers unter Beachtung der insbesondere vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK entwickelten Kriterien vorzunehmen (BVerwG, Beschluss vom 10.02.2011 - 1 B 22.10 - Buchholz 402.242 § 56 AufenthG Nr. 5, m.w.N.; Urteil vom 22.10.2009 - 1 C 26.08 - InfAuslR 2010, 91). Dabei sind neben allen ehelichen und familiären Umständen auch andere gewichtige persönliche Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK darf eine Behörde in die Ausübung des Rechts aus Art. 8 Abs. 1 EMRK nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Die Frage, ob der durch eine Ausweisung bewirkte Eingriff im konkreten Einzelfall in diesem Sinne „notwendig“, insbesondere verhältnismäßig ist, ist anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist dabei von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen, den so genannten Boultif/Üner-Kriterien (vgl. zu den Kriterien im Einzelnen: EGMR, Urteile vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00, Boultif - InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99, Üner - NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/03, Maslov II - InfAuslR 2008, 333, vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05, Mutlag - InfAuslR 2010, 325, und vom 13.10.2011 - Nr. 41548/06, Trabelsi - juris). Erweisen sich danach die rechtlichen oder tatsächlichen Auswirkungen einer Ausweisung in Ansehung von Art. 6 Abs. 1 GG als unverhältnismäßig bzw. im Sinne des Art. 8 EMRK als "nicht notwendig", ist das Ermessen der Behörde mit der Folge "auf Null reduziert", dass eine Ausweisung des Betreffenden ausscheidet.
51 
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist eine Ausweisung des Klägers hier unzulässig. Der Kläger ist bereits seit 1996 mit seiner Ehefrau verheiratet, welche in Deutschland geboren ist und seit 1998 die deutsche Staatangehörigkeit besitzt. Mir ihr und den vier gemeinsamen, zwischen 4 und 15 Jahre alten Kindern, die ebenfalls Deutsche sind, lebt er in enger familiärer Lebensgemeinschaft. Diesem Umstand kommt eine erhebliche und weitreichende, durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK vermittelte Schutzwirkung zu, welche durch die deutsche Staatsangehörigkeit der Ehefrau und Kinder noch verstärkt wird (vgl. schon BVerwG, Urteile vom 03.05.1973 - I C 33.72 - BVerwGE 42, 133, vom 27.09.1978 - I C 79.76 - BVerwGE 56, 246, vom 17.01.1989 - 1 C 46.86 -InfAuslR 1989, 159; vgl. auch auch BVerfG, Beschluss vom 18.07.1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386; Kammerbeschlüsse vom 15.06.1993 - 2 BvR 900/93 - InfAuslR 1994, 311, und vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320). Dies wird auch nicht etwa durch den Umstand relativiert, dass die Ehefrau früher noch die türkische Staatsangehörigkeit hatte bzw. deren Eltern aus dem Heimatland des Klägers stammen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291, und vom 30.09.2009 - 13 S 440/09 -; HessVGH, Beschluss vom 15.07.2003 - 12 TG 1484/03 - InfAuslR 2003, 388). Insbesondere kann von der Ehefrau und den Kindern nicht verlangt werden, dass sie mit dem Kläger in die Türkei ausreisen.
52 
Die bestehenden tiefen Bindungen des Klägers zu seiner Familie werden belegt durch die vielen Besuche während seiner Haftzeit. Wie ausgeführt, hat der Kläger offensichtlich ein enges und intaktes Verhältnis zu seiner Ehefrau und seinen Kindern. Er übernimmt die Erziehung der Kinder gemeinsam mit seiner Ehefrau. In Anbetracht des jungen Alters der Kinder hätte eine - wenn auch nur vorübergehende - Trennung für diese ein besonderes Gewicht (vgl. zu Kindern in den ersten Lebensjahren BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320, und vom 01.12.2008 - 2 BvR 1830/08 -juris). Deren Belangen könnte daher auch durch eine Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf einen bestimmten - nicht zu langen - Zeitraum nicht hinreichend Rechnung getragen werden.
53 
Auf der anderen Seite ist das öffentliche Interesse einer Ausweisung hier gemindert, weil ungeachtet der Schwere der vom Kläger begangenen Straftat nicht mehr von einer relevanten Wiederholungsgefahr ausgegangen werden kann. Allein die generalpräventiven Erwägungen vermögen den mit einer Ausweisung verbundenen Eingriff in Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht zu rechtfertigen. Wie ausgeführt, ist zwar davon auszugehen, dass eine besonders schwerwiegende Straftat vorliegt und deshalb - grundsätzlich - ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über eine strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, Urteile 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, und vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 -InfAuslR 1997, 8). Dieses vermag aber in Anbetracht der konkreten Umstände des vorliegenden Falles den Eingriff in das Schutzgebot von Art. 6 Abs. 1 GG bzw. das Achtungsgebots des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht zu rechtfertigen. Dabei ist von besonderer Relevanz, dass die Tat annähernd vier Jahre zurückliegt und der Kläger seine Strafe verbüßt hat. Auch sind die bereits im Rahmen der Prüfung der Wiederholungsgefahr angeführten, für den Kläger sprechenden weiteren Umstände zu berücksichtigen, etwa dass er sich bereits seit 1996 rechtmäßig hier aufhält, zuvor - bis auf das Verkehrsdelikt - nie straffällig geworden war, außerdem dass er sich immer bemüht hat, ausreichend für seine Familie und sich zu sorgen und sich auch seit seiner Haftentlassung bewährt hat.
54 
Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass die Ausweisung des Klägers hier im Ergebnis selbst dann als unverhältnismäßig anzusehen ist, wenn man noch vom Bestehen einer geringen, aber die Erheblichkeitsschwelle übersteigenden Wiederholungsgefahr und damit dem Vorliegen spezialpräventiver Ausweisungsgründe ausginge. Denn aus den - zur Unverhältnismäßigkeit einer generalpräventiv motivierten Ausweisung - angeführten Gründen führt die danach erforderliche Abwägung ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die privaten Interessen des Klägers und seiner Familienangehörigen das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung überwiegen.
II.
55 
Unter diesen Umständen ist auch die im Bescheid vom 22.10.2010 verfügten Abschiebungsandrohung rechtswidrig und aufzuheben.
56 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
57 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
58 
Beschluss vom 23. Oktober 2012
59 
Der Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt (§§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG).
60 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus Deutschland. Hilfsweise erstrebt er eine neue Entscheidung des Beklagten über die Befristung des mit der Ausweisung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots.

2

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volkszugehörigkeit. Er wurde 1973 in der Türkei geboren, ist verheiratet und hat sieben Kinder. Er reiste 1997 nach Deutschland ein und beantragte hier Asyl, da er in der Türkei wegen seines Engagements in prokurdischen Vereinen und Parteien sowie verwandtschaftlichen Beziehungen zu Guerillakämpfern der sog. Arbeiterpartei Kurdistans - PKK - an Leib und Leben bedroht sei. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) vom 9. Oktober 1997 wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach dem damaligen § 51 Abs. 1 AuslG 1990 zuerkannt und zu seinen Gunsten ein Abschiebungsverbot wegen drohender Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK (damals § 53 Abs. 4 AuslG 1990) festgestellt. Der Kläger ist lediglich sporadisch und für kurze Zeiträume einer Erwerbstätigkeit nachgegangen, gleiches gilt für seine Ehefrau. Er bezieht mit seiner Familie Leistungen nach dem SGB II.

3

Vom 1. April 1998 bis zum 1. Dezember 2009 war der Kläger im Besitz jeweils befristeter Aufenthaltstitel. Am 13. März 2009 teilte das Bundesamt der Ausländerbehörde mit, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 73 Abs. 1 oder 2 AsylVfG nicht vorlägen. Im März 2009 stellte der Kläger bei der Ausländerbehörde der Stadt M. einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Auf Anfrage teilte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg der Ausländerbehörde im Mai 2009 mit, dass hinsichtlich der Person des Klägers "Erkenntnisse" vorlägen, über die das Innenministerium Baden-Württemberg gesondert informiert worden sei. Dessen ungeachtet wurde dem Kläger am 4. Dezember 2009 ohne weitere Mitteilung zum Stand der Sicherheitsüberprüfung eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG erteilt.

4

Das Regierungspräsidium K. teilte dem Kläger mit Schreiben vom 23. Juli 2010 mit, dass die Niederlassungserlaubnis in Unkenntnis der Sicherheitsbedenken erteilt worden sei und derzeit deren Rücknahme und eine Ausweisung geprüft werde. Hierzu werde dem Kläger die Möglichkeit eines Sicherheitsgesprächs zur weiteren Aufklärung gegeben. Dieses fand im Februar 2011 statt; allerdings verweigerte der Kläger mit Ausnahme eines durch ihn ausgefüllten Fragebogens die weitere Mitwirkung.

5

Mit Verfügung vom 10. Januar 2012 wies das Regierungspräsidium K. den Kläger aus (Ziffer 1) und stützte sich dabei auf § 54 Nr. 5, § 56 Abs. 1, § 55 AufenthG a.F. Zudem wurde der Kläger verpflichtet, sich zweimal wöchentlich unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapiers bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, und sein Aufenthalt wurde auf den Bereich der Stadt M. begrenzt (Ziffer 2).

6

Die Ausweisung sei gerechtfertigt, weil Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Kläger Vereinigungen unterstütze, die ihrerseits den Terrorismus unterstützten. So habe der Kläger nach den vorliegenden Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in den Jahren 2001 bis 2010 regelmäßig an näher bezeichneten Veranstaltungen und Demonstrationen der PKK-Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL teilgenommen und sei teilweise auch selbst als Redner bei derartigen Veranstaltungen aufgetreten. Von 2001 bis 2003/2004 sei er Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Kurdischer Kulturverein e.V." in L. gewesen. Außerdem sei er seit langem Vorstandsmitglied und nunmehr sogar zweiter Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM). Die Ausweisung sei trotz des dem Kläger als anerkanntem Flüchtling zustehenden besonderen Ausweisungsschutzes aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt und auch mit Blick auf die Bleibeinteressen des Klägers verhältnismäßig. Sie führe zudem nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung, vielmehr bleibe seine Abschiebung ausgesetzt, da ihr Abschiebungsverbote aufgrund der Rechtsstellung des Klägers als Flüchtling sowie nach § 60 Abs. 5 AufenthG entgegenstünden. Die angeordnete zweimalige wöchentliche Meldepflicht und die räumliche Beschränkung auf den Stadtbezirk M. beruhten auf § 54a AufenthG (a.F.) und seien mit Blick auf die gebotene Überwachung des Klägers und zur Eindämmung seiner gefahrbegründenden Aktivitäten erforderlich und angemessen.

7

Das Verwaltungsgericht hat die gegen die Verfügung gerichtete Klage mit Urteil vom 27. Januar 2015 abgewiesen, zugleich aber den Beklagten verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf acht Jahre nach Ausreise des Klägers zu befristen. Mit Urteil vom 13. Januar 2016 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung zurückgewiesen. Dabei hat er die angefochtene Ausweisungsverfügung an der seit dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung des AufenthG gemessen. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof insbesondere ausgeführt: Im Fall des Klägers liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, weil der Kläger in überwiegend herausgehobener Funktion die PKK und damit eine terroristische oder den Terrorismus unterstützende Vereinigung unterstützt habe. Dabei seien allerdings nur Aktivitäten nach Juli 2010 heranzuziehen, also nach der an den Kläger gerichteten Mitteilung, wegen seiner Aktivitäten werde die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft. Als tatbestandserhebliches Unterstützen sei hiernach jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirke. Nach diesem Maßstab seien die im Urteil im Einzelnen näher bezeichneten und durch den Kläger in der Sache eingeräumten Betätigungen als Teilnehmer, Mitglied, Redner und Versammlungsleiter bei diversen die PKK unterstützenden Veranstaltungen sowie als Vorstandsmitglied der die PKK unterstützenden YEK-KOM und deren Nachfolgeorganisation NAV-DEM als Unterstützungshandlung zu werten. Angesichts des Ablaufs der Veranstaltungen, der dort gehaltenen Reden und der klaren Ausrichtung auf den Führerkult um den PKK-Führer Öcalan sowie gefallene Märtyrer bestünden für das Berufungsgericht keine Zweifel daran, dass sich der Kläger den Zielen der PKK verpflichtet fühle und sie mit seinem Tun unterstützen wolle.

8

Die Ausweisungsverfügung werde auch dem erhöhten Ausweisungsschutz gerecht, der dem Kläger als anerkanntem Flüchtling nach § 53 Abs. 3 AufenthG zustehe. Denn es lägen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU vor, wonach ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel widerrufen werden könne.

9

Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse stehe ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber. Denn er habe eine Niederlassungserlaubnis besessen, die gerade durch die Ausweisungsverfügung betroffen sei. Er lebe mit deutschen Familienangehörigen (sechs seiner Kinder) in familiärer Lebensgemeinschaft und übe sein Personensorgerecht für seine minderjährigen Kinder aus. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung überwiege jedoch das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers.

10

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Revision und rügt in mehrfacher Hinsicht eine Verletzung von Bundesrecht. Zunächst habe das Berufungsgericht den Begriff des "Unterstützens" in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG fehlerhaft ausgelegt und angewandt. Der von ihm in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht angewandte Unterstützungsbegriff sei rechtsstaatlich nicht hinreichend konkret. Jedenfalls auf der Grundlage des neuen, seit Jahresanfang 2016 geltenden Ausweisungsrechts, das nach "schwerwiegenden" und "besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen" differenziere, sei dieser Unterstützungsbegriff nicht mehr als Abgrenzungskriterium geeignet. Notwendig sei ein gefahrenabwehrrechtlich ausgerichteter Unterstützungsbegriff, der sich etwa in Anlehnung an strafrechtliche Zurechnungskriterien wie Anstiftung oder Beihilfe oder die im Strafrecht für Organisationsdelikte entwickelten Zurechnungskriterien gewinnen lassen könne.

11

Fehlerhaft sei zudem die Auslegung und Anwendung von § 53 Abs. 3 AufenthG im Hinblick auf die sich aus Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie ergebenden Voraussetzungen. Denn das Berufungsgericht habe weder festgestellt, dass der Kläger unmittelbar der PKK angehöre, noch dass sich die YEK-KOM oder die NAV-DEM selbst terroristischer Methoden bedienten. Weiterhin verkenne das Berufungsgericht die durch den Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) aufgestellten Anforderungen an die festzustellenden Unterstützungshandlungen. Danach sei insbesondere zu prüfen, ob der Betroffene selbst terroristische Handlungen begangen habe, ob und in welchem Maße er an der Planung, an Entscheidungen oder an der Anleitung anderer Personen zum Zwecke der Begehung solcher Handlungen beteiligt war und ob und in welchem Umfang er solche Handlungen finanziert oder anderen Personen die Mittel für ihre Begehung verschafft habe. Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts habe der EuGH damit nicht lediglich beispielhaft die in den maßgeblichen Vorlagefragen des Ausgangsverfahrens vorgehaltenen Handlungen herausgegriffen, sondern in einem abschließenden Sinne bestimmte Kriterien vorgegeben.

12

Weiter setze der Gefahrenbegriff des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine "konkrete Gefahr" voraus. Weder der Wortlaut noch die der Vorschrift zugrunde liegende Entstehungsgeschichte rechtfertigten eine Absenkung dieser Gefahrenschwelle. Das Berufungsgericht hätte daher prüfen müssen, ob der Kläger die für die objektive Unterstützung zu Grunde gelegten Tatsachen und Umstände gekannt und eine zweckgerichtete Unterstützung auch gewollt habe.

13

Schließlich habe das Berufungsgericht verkannt, dass dem Kläger nach dem Urteil des EuGH vom 24. Juni 2015 selbst dann, wenn ihm der Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie entzogen werden dürfe, für die Zeit der Fortdauer seines Flüchtlingsstatus die Rechte nach Kapitel VII dieser Richtlinie erhalten bleiben. Deshalb beantragte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hilfsweise, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass ihm auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie.

14

Der Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und tritt der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bei.

15

Während des Revisionsverfahrens hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 20. Oktober 2016 die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes für den Kläger widerrufen und entschieden, ihm weder die Flüchtlingseigenschaft noch den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Gegen den Bescheid hat der Kläger Klage erhoben.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist im Wesentlichen unbegründet. Das Berufungsgericht hat die Ausweisung des Klägers und die ihm auferlegte Meldepflicht und Aufenthaltsbeschränkung im Ergebnis zu Recht als rechtmäßig eingestuft. Allerdings war auf der Grundlage der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG der Beklagte zu einer nunmehr gebotenen Ermessensentscheidung über die festzusetzende Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG zu verpflichten.

17

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren des Klägers auf Aufhebung der Ausweisung (Ziffer 1 des Bescheids) sowie der Meldeauflagen und Aufenthaltsbeschränkung (Ziffer 2 des Bescheids). Aber auch der Streit über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs - im Berufungsverfahren und anschließend im Revisionsverfahren angefallen. Denn das Befristungsbegehren ist als Minus notwendiger Bestandteil des Begehrens auf Aufhebung einer Ausweisung und kann daher von den Parteien nicht gesondert aus dem Verfahren ausgegliedert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 28 ff.). Hiervon sind im Übrigen vorliegend auch die Parteien übereinstimmend ausgegangen.

18

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der Meldepflicht und der Aufenthaltsbeschränkung sowie der vom Kläger hilfsweise begehrten Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 8 m.w.N.). Der Entscheidung sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162) zugrunde zu legen, zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155).

19

A. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG, weil der Kläger anerkannter Flüchtling ist.

20

1. Nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht ergibt sich der Grundtatbestand der Ausweisung aus § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

21

Das neue Ausweisungsrecht gibt das mit dem Ausländergesetz 1990 eingeführte dreistufige Konzept der Ist-, Regel- und Kann-Ausweisung auf. Stattdessen hat sich der Gesetzgeber für ein einheitliches System der rechtlich gebundenen Ausweisung entschieden ("wird ausgewiesen"), das vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. § 54 AufenthG benennt konkret die Gründe, wann das Ausweisungsinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt und knüpft damit an Tatbestände der früheren Ist- und Regelausweisung an. In § 55 AufenthG werden - spiegelbildlich hierzu - Tatbestände normiert, denen zufolge das Bleibeinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt, wobei auch die Aufzählung der "schwer" wiegenden Bleibeinteressen nicht abschließend ist. In § 53 Abs. 2 AufenthG werden Gesichtspunkte genannt, die bei der Abwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sind, insbesondere die Dauer des Aufenthalts, Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, Folgen der Ausweisung für Angehörige und Partner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat.

22

Die Rechtsprechung des Senats, die ihrerseits Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aufgreift (vgl. Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <301 ff.> und vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 14 ff.), hat bei der Entwicklung des neuen Ausweisungsrechts eine entscheidende Rolle gespielt (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 25. Februar 2015, BT-Drs. 18/4097 S. 49). Dabei griff der Gesetzgeber Vorschläge zur Neuregelung des Ausweisungsrechts auf, die Vertreter der Rechtsprechung unterbreitet haben (vgl. Dörig, NVwZ 2010, 921 <922>; Bergmann, ZAR 2013, 318 <322> sowie Gesetzesvorschlag Bergmann/Dörig vom Januar 2014, veröffentlicht in: Barwig u.a., Steht das europäische Migrationsrecht unter Druck?, 2014, S. 111 f.). Die Ausweisung setzt nunmehr nach § 53 Abs. 1 AufenthG eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Sofern nach dieser Gesamtabwägung das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib in Deutschland überwiegt, wird der Ausländer ausgewiesen, andernfalls kommt eine Aufenthaltsbeendigung nach § 53 Abs. 1 AufenthG nicht in Betracht.

23

Die Tatbestandsmerkmale der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" im ausweisungsrechtlichen Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG sind nach der Begründung des Gesetzgebers im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Auch die Gefährdung dieser Schutzgüter bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten wird. Mit Blick auf die verwendeten Begriffe sollte keine Ausweitung des Gefahrenbegriffs gegenüber dem bislang geltenden Recht erfolgen, vielmehr sollten lediglich die bislang verwandten unterschiedlichen Formulierungen aneinander angeglichen werden. Die von § 53 Abs. 1 AufenthG geforderte Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers in Deutschland erfolgt dabei nach der Intention des Gesetzgebers nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar.

24

Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" (Absatz 1) oder als "schwerwiegend" (Absatz 2). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sind neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Interessen aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Die Katalogisierung schließt demnach die Berücksichtigung weiterer Umstände im Rahmen der nach § 53 Abs. 2 AufenthG zu treffenden Abwägungsentscheidung nicht aus. Dies folgt bereits aus dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG, ist aber für die schwerwiegenden, aufgrund der Vielgestaltigkeit der Lebenssituationen bewusst nicht abschließend aufgezählten Bleibeinteressen in § 55 Abs. 2 AufenthG nochmals ausdrücklich normiert. Die nunmehr als schwerwiegend oder besonders schwerwiegend qualifizierten Ausweisungsinteressen im Sinne von § 54 AufenthG decken sich weitgehend - aber nicht vollständig - mit den früheren Gründen für eine Regel- und Ist-Ausweisung, die schwerwiegenden und besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen greifen Fälle des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 AufenthG a.F. auf.

25

Bei der Abwägung sind schließlich gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht ("Boultif/Üner-Kriterien"). Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen.

26

Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht.

27

2. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG festgestellt. Ein solches liegt dann vor, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wobei hiervon u.a. dann auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Ausländer einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er (jedenfalls) eine solche Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, er nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.

28

a) Der Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist dem Wortlaut nach weitgehend an den früheren Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung angelehnt, auf den die Ausweisungsverfügung auch ursprünglich gestützt war. Das Berufungsgericht hat für die Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu Recht dieselben rechtlichen Maßstäbe herangezogen, die der Senat zur Auslegung des früheren Regelausweisungstatbestandes nach § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung entwickelt hat.

29

In der Rechtsprechung des Senats war die Auslegung des Regelausweisungstatbestands des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung weitgehend geklärt. So ist anerkannt, dass eine Vereinigung den Terrorismus unterstützt, wenn sie sich selbst terroristisch betätigt oder wenn sie die Begehung terroristischer Taten durch Dritte veranlasst, fördert oder befürwortet. Die Schwelle der Strafbarkeit muss dabei nicht überschritten sein, da die Vorschrift der präventiven Gefahrenabwehr dient und auch die Vorfeldunterstützung durch sogenannte Sympathiewerbung erfasst. Der Tatbestand des Unterstützens des Terrorismus durch eine Vereinigung setzt allerdings voraus, dass die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung (auch) auf die Unterstützung des Terrorismus gerichtet sind; ein bloßes Ausnutzen der Strukturen einer Vereinigung durch Dritte in Einzelfällen reicht hierfür nicht aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 20 ff. und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 13 ff.).

30

Für den im Gesetz verwandten Begriff des Terrorismus sind Versuche, auf völkerrechtlicher Ebene eine allgemein anerkannte vertragliche Definition zu entwickeln, nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen. Jedoch können wesentliche Kriterien aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft im Beschluss des Rates Nr. 2002/475/JI vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (ABl. L 164 S. 3) sowie dem gemeinsamen Standpunkt des Rates 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001 (ABl. L 344 S. 93) gewonnen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die Aufnahme einer Organisation in die vom Rat der Europäischen Union angenommene Liste terroristischer Organisationen im Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93 - vgl. auch ABl. L 116 vom 3. Mai 2002, S. 75) ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass die Organisation terroristischer Art ist oder im Verdacht steht, eine solche zu sein (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 [ECLI:EU:C:2015:413], H.T./Land Baden-Württemberg - Rn. 83). Hier sind von den Tatsachengerichten ergänzende Feststellungen zu treffen. Dabei ist trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs anerkannt, dass als terroristisch jedenfalls der Einsatz gemeingefährlicher Waffen und Angriffe auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen sind (Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>, vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 19 und Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 10 C 48.07 - BVerwGE 132, 79 <87> m.w.N.).

31

Weiterhin ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass die individuelle Unterstützung einer terroristischen Vereinigung oder einer Vereinigung, die eine terroristische Vereinigung unterstützt, im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. alle Verhaltensweisen erfasst, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeit der Vereinigung auswirken. Darunter kann die Mitgliedschaft in der terroristischen oder in der unterstützenden Vereinigung ebenso zu verstehen sein wie eine Tätigkeit für eine solche Vereinigung ohne gleichzeitige Mitgliedschaft. Auch die bloße Teilnahme an Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen kann eine Unterstützung in diesem Sinne darstellen, wenn sie geeignet ist, eine positive Außenwirkung im Hinblick auf die durch § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. missbilligten Ziele zu entfalten. Auf einen nachweisbaren oder messbaren Nutzen für diese Ziele kommt es nicht an, ebenso wenig auf die subjektive Vorwerfbarkeit der Unterstützungshandlungen. Im Hinblick auf den Schutz der Meinungsfreiheit und das Gebot der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Betätigungsfreiheit des Einzelnen erfüllen allerdings solche Handlungen den Tatbestand der individuellen Unterstützung nicht, die erkennbar nur auf einzelne, mit terroristischen Zielen und Mitteln nicht im Zusammenhang stehende - etwa humanitäre oder politische - Ziele der Vereinigung gerichtet sind. Für den Ausländer muss schließlich die eine Unterstützung der Vereinigung, ihrer Bestrebungen oder ihrer Tätigkeit bezweckende Zielrichtung seines Handelns erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auf eine darüber hinaus gehende innere Einstellung des Ausländers kommt es hingegen nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 15 und 18 m.w.N.).

32

Diese vom Senat zur Auslegung von § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. entwickelten Grundsätze lassen sich entgegen dem Vorbringen der Revision auch auf den Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung nach dem neu gefassten § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG übertragen. Ein Vergleich der Textfassungen ergibt, dass der Gesetzgeber die früheren Regelausweisungstatbestände nach § 54 Nr. 5, 5a und 5b AufenthG a.F. in der neuen Vorschrift des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zusammengefasst hat, wobei unter den vorliegenden Umständen die Fälle staatsgefährdender Gewalttaten nach § 89a StGB außer Betracht bleiben können. Gegenüber dem früheren Recht ist der Hinweis entfallen, dass eine Ausweisung auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen nur gestützt werden kann, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Eine Änderung der materiellen Rechtslage ist damit aber nicht verbunden, da auch nach neuem Recht eine fortbestehende Gefahr erforderlich ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ("gefährdet") und ist implizit auch dem neuen Zusatz in § 54 Abs. 1 Nr. 2 letzter Halbsatz AufenthG zu entnehmen, wonach von einer Gefährdung nicht auszugehen ist, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt.

33

Den Gesetzgebungsmaterialien ist nichts dafür zu entnehmen, dass sich der Gesetzgeber hinsichtlich des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung für eine Abkehr von dem bisherigen Verständnis des Ausweisungstatbestandes hat entscheiden wollen. Zwar hat er in Satz 2 einen Halbsatz neu eingefügt, wonach ein Unterstützen nicht vorliegt, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt. Das stellt jedoch keine inhaltliche Änderung des Unterstützerbegriffs dar, sondern normiert lediglich ein in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits entwickeltes Kriterium zur individuellen Zurechnung eines Unterstützerverhaltens. Denn der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die objektive Tatsache der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in der Vergangenheit dem Ausländer dann nicht mehr zugerechnet werden kann, wenn er sich glaubhaft hiervon distanziert (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <131>, vom 30. April 2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 35 und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 17). Die nunmehr normierten Tatbestandsmerkmale lassen keine Abkehr von der Senatsrechtsprechung erkennen, denn ein "erkennbares Abstandnehmen" vom sicherheitsgefährdenden Handeln entspricht dem Distanzieren im Sinne der Senatsrechtsprechung. Allerdings findet sich in der Begründung zu dieser Neuregelung die Aussage, die Möglichkeit der "Exkulpation" zeige, dass der Betroffene Kenntnis davon gehabt haben müsse, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstütze, der "undolose Unterstützer" daher nicht unter die Regelung falle (BT-Drs. 18/4097 S. 51). Aus diesem Satz in der Gesetzesbegründung könnte man ableiten, der Gesetzgeber habe eine Regelung treffen wollen, nach der für die subjektive Seite des Unterstützens mehr erforderlich ist (Vorsatz) als nach dem bisherigen Verständnis (Erkennbarkeit). Wäre dies tatsächlich so Gesetz geworden, hätte dies eine nicht unerhebliche Einschränkung der Rechtsprechung zur subjektiven Zurechnung bedeutet, nach der es ausreicht, dass der Ausländer erkennen konnte, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstützt. Die Begründung hat jedoch im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden, denn nach diesem wird Vorsatz im Hinblick auf die terroristische Betätigung der unterstützten Vereinigung nicht verlangt. Es reicht somit auch für die Erfüllung des subjektiven Unterstützertatbestands weiterhin die Erkennbarkeit einer terroristischen Betätigung der Vereinigung aus. Vorsatz bleibt hingegen weiter erforderlich für das eigene Handeln des Ausländers, das von dem Ziel geleitet sein muss, die Vereinigung zu unterstützen. Für diese Auslegung spricht auch, dass der Gesetzgeber der Vorfeldunterstützung des Terrorismus durch die Gesetzesänderung erhöhte Bedeutung beimessen wollte, indem er den bisher als Tatbestand für eine Regelausweisung normierten Ausweisungsgrund zu einem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 AufenthG heraufstufte, was im bisherigen Recht dem Tatbestand einer zwingenden Ausweisung entsprochen hätte. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass das stärkere Gewicht, das der Gesetzgeber diesem Ausweisungsinteresse beimessen wollte (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 23), mit einer engeren Interpretation seiner Tatbestandsmerkmale einhergehen sollte.

34

Eine vom früheren Begriffsverständnis abweichende Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass dieser bisher eigenständige Tatbestand nunmehr in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG funktional mit einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verknüpft wird ("hiervon ist auszugehen, wenn"). Vielmehr ergibt eine systematische Auslegung der Vorschrift, dass der Inhalt des Ausweisungstatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung unverändert geblieben ist, während der Begriff der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland eine Erweiterung erfahren hat. Denn der Gesetzgeber hat mit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr kraft Gesetzes definiert, wann von einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen ist, nämlich (jedenfalls) dann, wenn eine der dort genannten Tatbestandsalternativen erfüllt ist. Die Auslegung des Begriffs der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland richtet sich daher (auch) nach diesen Tatbestandsalternativen, nicht umgekehrt. Anderes lässt sich hinsichtlich des Gefahrenmaßstabs auch nicht der Regelung des § 53 Abs. 1 AufenthG entnehmen. Denn anders als bei den übrigen Ausweisungsinteressen hat der Gesetzgeber in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG das Erfordernis einer Gefahr (nochmals) ausdrücklich aufgeführt, was unter systematischen Gesichtspunkten für eine gewisse Eigenständigkeit des Gefahrentatbestandes gegenüber § 53 Abs. 1 AufenthG fruchtbar gemacht werden kann. Es gilt damit nunmehr, dass das Gesetz bereits die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Bundesgebiet als eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ansieht, unabhängig davon ob die terroristische Vereinigung Gewaltakte auch auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland oder gegen deutsche Einrichtungen im Ausland begeht. Weiterhin gilt jedenfalls für die Fälle des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ein abgesenkter Gefahrenmaßstab, der auch Vorfeldmaßnahmen erfasst und keine von der Person des Unterstützers ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefahr erfordert. Die Rechtsprechung des Senats zur Unterstützung des Terrorismus durch Handlungen in dessen Vorfeld hat dem Rechnung zu tragen und dabei auch die Bedeutung zu berücksichtigen, die der Unionsgesetzgeber dieser Vorfeldunterstützung durch den Erwägungsgrund 37 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 S. 9) - EU-Anerkennungsrichtlinie - beimisst.

35

Ein Anlass für eine verfassungsrechtliche Neubewertung des Gefahrenmaßstabs besteht entgegen dem umfangreichen Revisionsvorbringen nicht. In der Rechtsprechung des Senats ist seit dem Urteil zum Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus - Terrorismusbekämpfungsgesetz - vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361, 3142) anerkannt, dass der Unterstützungsbegriff weit auszulegen und anzuwenden ist, um damit der auch völkerrechtlich begründeten Zielsetzung des Gesetzes gerecht zu werden, dem Terrorismus schon im Vorfeld die logistische Basis zu entziehen (BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <127 ff.>). Maßgeblich ist, inwieweit das festgestellte Verhalten des Einzelnen zu den latenten Gefahren der Vorfeldunterstützung des Terrorismus nicht nur ganz unwesentlich oder geringfügig beiträgt und deshalb selbst potenziell gefährlich erscheint. Wegen der tatbestandlichen Weite des Unterstützungsbegriffs ist allerdings bei der Anwendung der Vorschrift darauf zu achten, dass nicht unverhältnismäßig namentlich in das auch Ausländern zustehende Recht auf freie Meinungsäußerung jenseits der zumindest mittelbaren Billigung terroristischer Bestrebungen eingegriffen wird. Einen bislang nicht berücksichtigten verfassungsrechtlichen Rechtssatz, der den so umschriebenen Ausgleich zwischen dem legitimen und schon wegen seiner völkerrechtlichen Vorgaben besonders gewichtigen gesetzgeberischen Ziel der Terrorismusbekämpfung und den geschützten Grundrechtspositionen eines Ausländers infrage stellen würde, zeigt die Revision nicht auf. Insbesondere sprechen der Charakter der Ausweisung als Maßnahme der Gefahrenabwehr sowie die spezifische Zielsetzung der Terrorismusbekämpfung gegen eine Übertragung strafrechtlicher Rechtsprechungsgrundsätze, wie sie etwa für die Abgrenzung strafbarer und straffreier Meinungsäußerungen gelten. Der Senat hält auch unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an seiner bisherigen Rechtsprechung fest.

36

b) Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG angenommen. Dies gilt sowohl für die Qualifizierung der PKK als terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung (aa) als auch - jedenfalls im Ergebnis - für die Qualifizierung der Handlungen des Klägers als relevante Unterstützungshandlungen (bb). Ebenso wenig zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen hat (cc).

37

(aa) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Qualifizierung der PKK als eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Das Gericht legt seiner Entscheidung die in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze für die Definition einer terroristischen Vereinigung zugrunde (UA Bl. 27 f.) und geht damit von einem zutreffenden Maßstab aus. Für die Bewertung der PKK als eine solche Vereinigung hat das Gericht zunächst darauf abgestellt, dass sie auch noch aktuell auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist, ohne diesem Umstand eine über einen deutlichen Anhaltspunkt hinausgehende Bedeutung beizumessen (UA Bl. 31). Hieran anknüpfend hat das Berufungsgericht sodann auf der Grundlage der ihm vorliegenden Erkenntnismittel festgestellt, dass die PKK zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele in der Türkei weiterhin Gewalttaten gegen staatliche Einrichtungen und Amtsträger sowie die Zivilbevölkerung verübt und im Übrigen etwa zur Finanzierung ihrer Aktivitäten oder zur Bekämpfung von Kritikern auch nicht vor Verbrechen gegenüber ihren eigenen Anhängern und auch darüber hinaus gegenüber der kurdischstämmigen Bevölkerung insgesamt zurückschreckt. Insbesondere sei die zwischen dem türkischen Staat und der PKK ausgehandelte (relative) Waffenruhe seitens der PKK zuletzt Ende Juli 2015 ausdrücklich aufgekündigt worden (UA Bl. 32 f.). Diese tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts sind von der Revision nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen worden und daher für den Senat bindend. Sie erlauben dem Senat zudem eine eigene rechtliche Bewertung des Inhalts, dass die PKK eine terroristische Vereinigung darstellt und nicht lediglich eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung.

38

(bb) Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist auch die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, dass der Kläger die PKK in rechtserheblicher Weise individuell unterstützt hat. Allerdings ist das Gericht unter Verstoß gegen Bundesrecht davon ausgegangen, dass zu Lasten des Klägers nur solche Unterstützungshandlungen berücksichtigt werden dürfen, die in zeitlicher Hinsicht nach der Mitteilung des Regierungspräsidiums vom Juli 2010 lagen, wonach eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft würden.

39

Das Berufungsgericht ist insoweit rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass ein Ausweisungsinteresse bereits dann aus Gründen des Vertrauensschutzes verbraucht ist und nicht mehr zur Begründung einer Ausweisung herangezogen werden kann, wenn ein Aufenthaltstitel in Kenntnis oder dem Staat zuzurechnender Unkenntnis erteilt oder verlängert wurde (UA S. 34 f.). Zwar ist in der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich anerkannt ist, dass Ausweisungsgründe in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und so lange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind und die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <313> und vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <121 f.>). Aus der Ableitung dieser Kriterien aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt jedoch, dass die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Aus der Rechtsprechung des Senats ergibt sich zudem, dass ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers schützenswert sein muss. Hieran fehlt es, wenn die Ausländerbehörde - wie vorliegend - dem Kläger auf dessen Anfrage zum Stand des Verfahrens auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis lediglich mitteilt, dass gegenwärtig noch eine Sicherheitsüberprüfung stattfinde, und dann zu einem späteren Zeitpunkt ohne jegliche Erläuterung zum Ausgang der Sicherheitsüberprüfung die begehrte Niederlassungserlaubnis erteilt. Auf dieser Grundlage kann der Betroffene nämlich weder wissen, welchen konkreten Umständen die Ausländerbehörde im Rahmen ihrer Sicherheitsüberprüfung nachgegangen ist, noch zu welchen konkreten Erkenntnissen sie hierbei nach Abschluss der Überprüfung gelangt ist. Daher kann der Betroffene aus der Erteilung der Niederlassungserlaubnis billigerweise auch nicht schließen, dass die Ausländerbehörde bei ihrer Sicherheitsüberprüfung alle als potentielle Versagungsgründe in Betracht kommenden Umstände tatsächlich ermittelt und sodann als für die Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis unbeachtlich eingestuft hat.

40

Das angefochtene Urteil beruht jedoch nicht auf diesem Rechtsverstoß, weil das Berufungsgericht auch ohne Berücksichtigung der vor dem für maßgeblich erachteten Zeitpunkt liegenden Umstände von rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen des Klägers ausgegangen ist und die diesbezüglichen Feststellungen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sind. Im Übrigen wäre der Kläger durch die Nichtberücksichtigung weiterer, ihn belastender Umstände auch nicht beschwert. Im Einzelnen hat das Berufungsgericht für die Bestimmung der rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen zutreffend auf die in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäbe zu § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung abgestellt (UA Bl. 35 ff.). Keine abweichende Beurteilung ergibt sich aus dem Einwand des Klägers, die PKK nicht unmittelbar unterstützt zu haben, sondern sich in legalen Vereinigungen betätigt zu haben, die ihrerseits die PKK im Wissen um deren Charakter gewollt und gezielt unterstützen. Denn es stellt keine verminderte Gefahr der Vorfeldunterstützung des Terrorismus dar, wenn die Unterstützung terroristischer Vereinigungen nicht durch isolierte Einzelhandlungen, sondern in Vereinigung mit anderen erfolgt. Hierin liegt auch kein Fehlen der Unmittelbarkeit der Unterstützungshandlungen.

41

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht sodann nach Auswertung der ihm vorliegenden umfangreichen Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden festgestellt, dass der Kläger über mehrere Jahre in teils hervorgehobener Funktion als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter oder Redner regelmäßig an Veranstaltungen teilgenommen und mitgewirkt hat, bei denen offene Propaganda für die PKK betrieben worden ist (UA Bl. 39 - 42). Unter Einbeziehung der Aktivitäten des Klägers in der Zeit seit 2001, wie sie in der Ausweisungsverfügung (S. 3 - 9, 16 - 23) aufgelistet, vom Kläger nicht in Abrede gestellt und vom Berufungsgericht in Bezug genommen worden sind (UA S. 39 f.), stellt sich das Unterstützungshandeln des Klägers wie folgt dar: Der Kläger war von 2001 bis 2003/2004 Vorsitzender des "Kurdischen Kulturverein e.V." in L., der der KONGRA-GEL nahestand. Im Oktober 2004 wurde er in das 15-köpfige Führungskomitee der "Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland" (YEK-KOM) gewählt und gehörte diesem bis zur Auflösung der YEK-KOM im Jahr 2014 an, zeitweilig (bis 2011) war er der 2. Vorsitzende der Vereinigung. Er hat sich im Juni 2014 in den fünfköpfigen Vorstand der die PKK unterstützenden NAV-DEM wählen lassen und diese Vorstandstätigkeit bis zum Tage der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausgeübt (UA Bl. 43 - 45).

42

Der Kläger beteiligte sich seit Mitte 2003 regelmäßig an Kundgebungen und Demonstrationen in unterschiedlichen deutschen Städten (u.a. Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg, Frankfurt, Gelsenkirchen, Düsseldorf, Stuttgart) und in Straßburg/Frankreich, die sich unter anderem für eine Freilassung des inhaftierten PKK-Führers Öcalan aussprachen, des Gründungsjahrestags der PKK und/oder der "Märtyrer des kurdischen Freiheitskampfes" gedachten und Parolen auf die PKK ausriefen. Der Kläger hielt auf einigen dieser Veranstaltungen eine Rede, im Februar 2007 hob er dabei die Bedeutung der Gefallenen für die kurdische Sache hervor, im Januar 2009 sprach er zur aktuellen Lage der Kurden in ihrer Heimat, im März 2010 kritisierte er die Exekutivmaßnahmen der belgischen Polizei gegenüber dem kurdischen TV-Sender ROJ-TV, im November 2011 sprach er auf einer Kundgebung, die zum Thema u.a. die Verwendung von Napalmgas und chemischer Waffen gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei hatte, im Januar 2013 verurteilte er auf einer Kundgebung die Ermordung von drei PKK-Aktivisten in Paris, im Oktober 2015 hielt er anlässlich einer Protestaktion der NAV-DEM in Frankfurt eine Rede.

43

Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger nicht nur seine individuellen Unterstützungshandlungen, sondern sämtliche Aktionen der YEK-KOM und der NAV-DEM aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied persönlich zuzurechnen sind. Die YEK-KOM, der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK nach den gerichtlichen Feststellungen durch eine Vielzahl von Aktionen. Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen oder ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie "Freiheit für Öcalan" und "Frieden für Kurdistan". Im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die "logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans" verankert. Der Verein biete der PKK oder ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Für die NAV-DEM gilt nach den getroffenen Feststellungen nichts anderes. Der Verein sei keine Neugründung, sondern eine Umbenennung des Vereins YEK-KOM. Im Übrigen werde deutlich, dass die NAV-DEM ihre Veranstaltungen und Kundgebungen mit gleichem Ablauf und gleichen Themen durchführe wie zuvor schon unter dem Namen YEK-KOM. Diese zutreffende Würdigung bedeutet auch nicht, dass jeder Einsatz für die Interessen und Belange kurdischer Volkszugehöriger (oder eine Kritik an der Kurdenpolitik der Türkischen Republik) als eine Unterstützung der PKK und damit des Terrorismus einzuordnen wäre.

44

(cc) Soweit schließlich nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausscheidet, wenn der Ausländer ernsthaft und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt, hat das Berufungsgericht ebenfalls in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der Kläger ausweislich seines auch während des Ausweisungsverfahrens fortgesetzten Engagements als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter und Redner auch künftig an seiner Unterstützung der PKK festhalten wird. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Unterstützerverhalten des Klägers sind detailreich und stellen - entgegen der Auffassung der Revision - keine zu schmale Tatsachengrundlage für die getroffenen Feststellungen dar. Damit erfüllt der Kläger die gesetzlichen Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, und es liegt ein Ausweisungsinteresse vor, das besonders schwer wiegt.

45

3. Die angefochtene Verfügung des Beklagten erfüllt auch die besonderen Voraussetzungen, die nach § 53 Abs. 3 AufenthG an die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings zu stellen sind. Ein solcher darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

46

a) Diese den Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG ergänzende Vorschrift legt erhöhte Ausweisungsvoraussetzungen für mehrere rechtlich privilegierte Personengruppen fest, nämlich für Ausländer, die als Asylberechtigte anerkannt sind, die im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießen, die einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention besitzen, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder die eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU besitzen. Für all diese Personengruppen gilt der besondere aus Art. 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG abgeleitete Maßstab, den der Gerichtshof der Europäischen Union auch auf Ausländer erstreckt hat, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - C-371/08 [ECLI:EU:C:2011:809], Ziebell - Slg. 2011, I-12735 Rn. 79, 86). Der Senat folgt nicht der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, wonach die Voraussetzungen des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 53 Abs. 3 AufenthG von vornherein "bereichsspezifisch" gemäß dem durch das Unionsrecht für den jeweiligen Personenkreis bestimmten Ausweisungsschutz auszulegen sind. Vielmehr hat der Gesetzgeber den unionsrechtlichen Schutzstandard für daueraufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige für ausreichend befunden und dessen Geltung für alle genannten Personengruppen angeordnet. Dies entbindet freilich nicht davon, in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob für die jeweils betrachtete Personengruppe der so durch den nationalen Gesetzgeber definierte Ausweisungsschutz dem unionsrechtlichen Maßstab tatsächlich genügt. Nur wenn der unionsrechtliche Maßstab strenger ist als derjenige, der durch den Gesetzgeber in § 53 Abs. 3 AufenthG festgelegt worden ist, bedarf § 53 Abs. 3 AufenthG nach allgemeinen Grundsätzen einer unionsrechtskonformen Auslegung, die angesichts der Weite der Tatbestandsmerkmale und des erkennbaren gesetzgeberischen Willens, europarechtlichen Maßstäben zu genügen, auch möglich ist (so auch Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 54).

47

Im vorliegenden Fall ist § 53 Abs. 3 AufenthG unionsrechtskonform nach den Vorgaben der EU-Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU auszulegen. Die Richtlinie formuliert keine Vorgaben für eine Ausweisung im Sinne des deutschen Rechts, wohl aber für eine Zurückweisung in den Herkunftsstaat (Art. 21 Abs. 2 und 3) und für den Entzug des Aufenthaltstitels (Art. 24 Abs. 1).

48

b) Nach Art. 21 Abs. 3 der EU-Anerkennungsrichtlinie darf ein Mitgliedstaat den einem Flüchtling erteilten Aufenthaltstitel widerrufen, wenn die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 2 vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 2012 - 1 C 8.11 - BVerwGE 143, 138 Rn. 21). Fällt ein Flüchtling nicht in den Anwendungsbereich von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie, kann auch Abs. 3 dieser Vorschrift nicht zu Anwendung kommen (EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 - Rn. 44). Eine Zurückweisung ist nach Art. 21 Abs. 2 Buchst. a zulässig, wenn es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass der Flüchtling eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält. Es kann offenbleiben, ob vom Kläger eine Gefahr im Sinne dieser Vorschrift ausgeht, denn die Zurückweisung ist nur unter der weiteren Voraussetzung rechtmäßig, dass sie dem Mitgliedstaat nicht aufgrund seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen untersagt ist (Art. 21 Abs. 2). Dazu zählen die Verpflichtungen aus Art. 3 EMRK (vgl. Begründung der Kommission im Richtlinienvorschlag vom 12. September 2001 KOM (2001) 510 endg. S. 33 zu Art. 19). Dem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK kommt absoluter Charakter zu; es kann mithin - anders als das Refoulement-Verbot nach Art. 33 Abs. 1 GFK - nicht unter den Voraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 Richtlinie 2011/95/EU i.V.m. Art. 35 Abs. 2 GFK durchbrochen werden (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 5. April 2016 - C-404/15 und C-659/15 PPU [ECLI:EU:C:2016:198], Aranyosi und Căldăraru - Rn. 85 - 87; EGMR, Urteil vom 17. Dezember 1996 - Nr. 71/1995/577/663, Ahmed/Österreich - NVwZ 1997, 1100 Rn. 39 - 41). Für den Kläger besteht ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK. Denn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat im Anerkennungsbescheid vom 9. Oktober 1997 nicht nur die Flüchtlingseigenschaft des Klägers nach dem seinerzeit maßgeblichen § 51 Abs. 1 AuslG 1990, sondern auch ein Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990 hinsichtlich der Türkei festgestellt und dieses damit begründet, dass dem Kläger in der Türkei unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Diese Feststellung des Bundesamts begründet hier ein - absolutes - nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Insoweit kommt der Feststellung des Bundesamts im vorliegenden Verfahren über § 42 AsylG auch Bindungswirkung zu. Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU begrenzt damit den behördlichen Handlungsspielraum für eine Abschiebung in einen Verfolgerstaat oder einen Staat, in dem Gefahren nach Art. 3 EMRK drohen. Die Vorschrift setzt jedoch keine Maßstäbe für eine lediglich "inlandsbezogene" Ausweisung, die - wie hier - insbesondere den Verlust des Aufenthaltstitels zur Folge hat.

49

c) Unionsrechtliche Maßstäbe für eine zum Verlust des Aufenthaltstitels eines Flüchtlings führende inlandsbezogene Ausweisung lassen sich aus Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie gewinnen. Die Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten, einem Flüchtling so bald wie möglich nach der Anerkennung einen Aufenthaltstitel auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.

50

(aa) Der Inhalt dieser Norm wurde vom Gerichtshof der Europäischen Union in einem auf ein Vorlageersuchen des Berufungsgerichts ergangenen Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) näher bestimmt. Die Entscheidung bezieht sich zwar auf Art. 24 Abs. 1 der EG-Anerkennungsrichtlinie 2004/83/EG, ihre Aussagen sind aber uneingeschränkt auf die in der Sache unveränderte Vorschrift des Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU übertragbar. Danach kann einem Flüchtling nach Art. 24 Abs. 1 nicht nur die Erteilung eines Aufenthaltstitels versagt werden, sondern der erteilte Aufenthaltstitel auch nachträglich widerrufen werden, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen (a.a.O. Rn. 55). Soweit in der Neufassung der Vorschrift nunmehr von zwingenden Gründen der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung die Rede ist, ist damit keine inhaltliche Änderung verbunden. Diese Wirkung einer Entziehung des Aufenthaltstitels kommt der hier verfügten Ausweisung zu, die wegen des entgegenstehenden Abschiebungsverbots nach Art. 3 EMRK nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung führt. Entgegen einer am Wortlaut orientierten Auslegung von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie hat der darin verwendete Begriff der "zwingenden Gründe" nach dem EuGH-Urteil eine weitere Bedeutung als der Begriff der "stichhaltigen Gründe" in Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie. Das bedeutet, dass bestimmte Umstände, die nicht den Schweregrad aufweisen, um eine Zurückweisung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie verfügen zu können, den Mitgliedstaat gleichwohl dazu berechtigen können, auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie dem betroffenen Flüchtling seinen Aufenthaltstitel zu entziehen (a.a.O. Rn. 75).

51

Bei der Bestimmung des Bedeutungsgehalts der "zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" hat der EuGH zunächst Bezug auf seine Rechtsprechung zu den Begriffen der "öffentlichen Sicherheit" und der "öffentlichen Ordnung" in Art. 27 und 28 der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG genommen (a.a.O. Rn. 77 ff.). Danach umfasst der Begriff "öffentliche Sicherheit" im Sinne von Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats. Die öffentliche Sicherheit kann danach berührt sein, wenn das Funktionieren staatlicher Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste beeinträchtigt wird oder eine Gefahr für das Überleben der Bevölkerung oder einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker besteht oder militärische Interessen beeinträchtigt werden. Dabei deutet der Begriff der "zwingenden Gründe" auf einen besonders hohen Schweregrad der Beeinträchtigung hin (a.a.O. Rn. 78). Den Begriff der "öffentlichen Ordnung" hat der EuGH für die Unionsbürgerrichtlinie dahin ausgelegt, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliegen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (a.a.O. Rn. 79). Zugleich betont er, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, nach ihren nationalen Bedürfnissen, die je nach Mitgliedstaat und Zeitpunkt unterschiedlich sein können, zu bestimmen, was die öffentliche Ordnung und Sicherheit erfordern (a.a.O. Rn. 77).

52

Für den Fall der Unterstützung des Terrorismus hat der EuGH zudem auf den 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83/EG, heute 37. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95/EU hingewiesen, wonach der Begriff der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" auch für die Fälle gilt, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt. Dabei muss das nationale Gericht in einem ersten Schritt prüfen, ob die Handlungen der fraglichen Organisation die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedrohen. Wird eine vom Flüchtling unterstützte Vereinigung in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93) geführt, ist dies ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie entweder eine terroristische Organisation ist oder im Verdacht steht, eine solche Organisation zu sein (a.a.O. Rn. 83). Allein der Umstand, dass ein Flüchtling eine solche Organisation unterstützt hat, darf jedoch nicht automatisch zur Aufhebung seines Aufenthaltstitels führen. Vielmehr ist in einem zweiten Schritt einzelfallbezogen die Rolle zu prüfen, die der Betreffende im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt hat (a.a.O. Rn. 90), und auch der Schweregrad der Gefahr zu beurteilen, die von seinen Handlungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (a.a.O. Rn. 92).

53

(bb) Das Berufungsgericht hat die vom Kläger geleisteten und ihm zuzurechnenden Unterstützungshandlungen an dem vom EuGH präzisierten Maßstab für die Auslegung des Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie gemessen und ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass sich hieraus zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ergeben, die einen Entzug des Aufenthaltstitels gegenüber dem Kläger rechtfertigen. Das Gericht hat bereits im Rahmen seiner Prüfung des besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausführlich begründet, warum die PKK eine terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung darstellt (UA S. 27 - 34). Dabei hat es gewürdigt, dass die PKK auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist und auch weiterhin terroristische Aktivitäten entfaltet. In einem zweiten Schritt hat es näher dargelegt, warum die in Deutschland agierenden Vereinigungen YEK-KOM und NAV-DEM, für die der Kläger seit mehr als zwölf Jahren in hervorgehobenen Funktionen wirkte, und der Kläger auch individuell durch Anmeldung und Leitung von Versammlungen sowie Redebeiträge und weitere Aktivitäten die PKK unterstützt haben und weiter unterstützen (UA S. 55, 34 - 48). Die Bewertung des Berufungsgerichts, dass der Kläger damit die Voraussetzungen für den Entzug seines Aufenthaltstitels nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie erfüllt, steht mit der Rechtsprechung des EuGH in Einklang. Zwar hat er selbst keine terroristischen Handlungen begangen, auch nicht andere Personen hierzu angeleitet oder sich an der Planung oder Finanzierung terroristischer Aktionen beteiligt, wie das der EuGH als mögliches Unterstützerhandeln erwähnt (a.a.O. Rn. 90). Diese Aufzählung des Gerichtshofs ist jedoch nur beispielhaft, macht zugleich aber deutlich, dass der Betreffende eine gewichtige Rolle im Rahmen seiner Unterstützung der terroristischen Organisation gespielt haben muss.

54

Bei der Frage, was als gewichtig anzusehen ist, ist der 37. Erwägungsgrund der Richtlinie zu berücksichtigen, wonach auch die Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, und die Unterstützung einer derartigen Vereinigung als Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung anzusehen sind. Die abschließende Bewertung, ob die Unterstützungshandlung hinreichend gewichtig ist, um "zwingende Gründe" darzustellen, überlässt der Gerichtshof dem verantwortlichen nationalen Gericht und erkennt auch einen Einschätzungsspielraum der Mitgliedstaaten an, nach ihren nationalen Bedürfnissen zu bestimmen, was die nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung erfordern. Diese abschließende Bewertung hat das Berufungsgericht dahin getroffen, dass die Unterstützungshandlungen des Klägers dem von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie geforderten Gewicht entsprechen. Es hat dies auf der Grundlage der Gewichtungsvorgabe des nationalen Gesetzgebers in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nachvollziehbar mit dem mehr als zwölfjährigem Unterstützerhandeln des Klägers in hervorgehobener Position innerhalb zweier Vereinigungen begründet, in dessen Rahmen er an zahlreichen Veranstaltungen mitwirkte, an denen sich Akteure beteiligten, die offen für die PKK warben und deren Kurs vorbehaltlos befürworteten (Auftreten in Guerillauniform, Märtyrergedenken, Grußbotschaften an die Kämpfer an der Front usw.). Für das Gewicht seines Unterstützerhandelns durfte das Gericht auch berücksichtigen, dass der Kläger nach den tatrichterlichen Feststellungen in vollem Bewusstsein um dessen Bedeutung für den ideologischen Zusammenhalt der PKK und in dem Willen gehandelt hat, diese vorbehaltlos auch in Bezug auf deren terroristische Aktivitäten zu unterstützen (UA S. 55).

55

(cc) Der EuGH hat in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13 Rn. 95 ff.) aber hervorgehoben, dass ein Flüchtling, dessen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie aufgehoben wird, seinen Flüchtlingsstatus behält, sofern und solange ihm nicht dieser Status entzogen worden ist. Daher ist er auch nach dem Verlust seines Aufenthaltstitels weiterhin Flüchtling und hat in dieser Eigenschaft weiterhin Anspruch auf die Vergünstigungen, die das Kapitel VII der Richtlinie jedem Flüchtling gewährleistet, so insbesondere auf Schutz vor Zurückweisung, auf Wahrung des Familienverbands, auf Ausstellung von Reisedokumenten, auf Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung, zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie auf Zugang zu Integrationsmaßnahmen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift. Diese Rechte dürfen, auch soweit sie nach nationalem Recht an den Besitz eines Aufenthaltstitels anknüpfen, von den zuständigen Behörden daher nicht mit der Begründung versagt werden, dass der Aufenthalt des Flüchtlings infolge der Ausweisung rechtswidrig geworden ist. Allerdings darf die Ausstellung eines Reiseausweises nach Art. 25 EU-Anerkennungsrichtlinie versagt werden, wenn - etwa zur Begegnung der Gefahr terroristischen Unterstützungshandelns - zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung entgegenstehen. Ebenso dürfen nach Art. 33 der Richtlinie aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen verfügt werden, wenn diese aus Gründen der öffentlichen Sicherheit auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern zulässig sind.

56

Eventuelle Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der dem Flüchtling auch nach Entzug des Aufenthaltstitels weiter zustehenden Rechte nach Kapitel VII der EU-Anerkennungsrichtlinie infolge unzureichender Umsetzung der Richtlinie in den einschlägigen nationalen Fachgesetzen berühren nicht die Rechtmäßigkeit der verfügten Ausweisung. An die Beachtung der einen Flüchtling unmittelbar begünstigenden Vorschriften in Kapitel VII der Richtlinie und die hierzu ergangene Rechtsprechung des EuGH sind seit Ablauf der Umsetzungsfrist alle nationalen Behörden gebunden. Der Flüchtling hat seine Rechte gegenüber den jeweils zuständigen Behörden und erforderlichenfalls Gerichten geltend zu machen. Auch die Generalanwältin hat es insoweit als die Pflicht der nationalen Gerichte angesehen, für die volle Wirksamkeit der Bestimmungen der Richtlinie Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede entgegenstehende Vorschrift des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 11. September 2014 - C-373/13 - Rn. 114 letzter Absatz).

57

4. Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen gewichtige Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1, § 55 AufenthG gegenüber. Diese hat das Berufungsgericht zutreffend bestimmt (UA S. 59 f.). Es hat berücksichtigt, dass der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besessen hat, die durch die Ausweisungsverfügung betroffen ist, er mit deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und er sein Personensorgerecht für minderjährige ledige Deutsche ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG).

58

5. Das Berufungsgericht hat das öffentliche Ausweisungsinteresse gegen die Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG unter Berücksichtigung der den Einzelfall prägenden Umstände abgewogen und ist unter Beachtung des hierfür zentralen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass das Ausweisungsinteresse überwiegt (UA S. 60 - 64). Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Gericht hat berücksichtigt, dass der Kläger besonderen Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie genießt, hier allerdings auf absehbare Zeit keine Aufenthaltsbeendigung beabsichtigt ist, da ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht. Es hat seinen langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und seine familiären Bindungen im Sinne von Art. 6 GG, Art. 8 EMRK gewürdigt, diesen durch die Verfügung allerdings insoweit nicht als beeinträchtigt angesehen, als keine Aufenthaltsbeendigung erfolgt. Es hat bei seiner Abwägung berücksichtigt, dass der Kläger in seinen geschützten Bindungen dadurch betroffen ist, dass sein Aufenthalt auf das Gebiet der Stadt M. beschränkt und er Meldeauflagen unterworfen ist. Weitere schützenswerte Bindungen hat das Gericht nicht anerkannt und dies nachvollziehbar damit begründet, dass der Kläger ungeachtet seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland kaum deutsch spricht, nur sporadisch und für kürzere Zeiträume erwerbstätig war und seit längerem von Sozialleistungen abhängig ist. Schließlich hat das Berufungsgericht in die Abwägung eingestellt, dass es der Kläger in der Hand hat, durch eine glaubhafte Abkehr von seinem bisherigen Verhalten eine Aufhebung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu erreichen.

59

6. Ohne Rechtsverstoß wertet das Berufungsurteil die in Ziffer 2 der angefochtenen Verfügung angeordnete Aufenthaltsbeschränkung und die verfügten Meldeauflagen als rechtmäßig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliegt ein Ausländer, gegen den - wie hier - eine Ausweisungsverfügung aufgrund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG besteht, der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Gestützt auf diese Ermächtigung hat der Beklagte bestimmt, dass sich der Kläger zweimal wöchentlich zu melden hat. Ferner hat er den Aufenthalt des Klägers auf den Bereich der Stadt M. beschränkt, wie das § 56 Abs. 2 AufenthG vorsieht, wenn die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft. Diese aufenthaltsbeschränkenden Maßnahmen durften gegenüber dem Kläger trotz dessen Rechtsstellung als Flüchtling ergehen. Dadurch wird sein Recht auf Freizügigkeit gemäß Art. 33 EU-Anerkennungsrichtlinie nicht verletzt. Denn derartige Maßnahmen dürfen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, wie sie hier wegen des Erfordernisses der Abwehr von terrorismusfördernden Aktivitäten vorliegen, auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern verfügt werden (§ 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG).

60

7. Zutreffend ist das Berufungsgericht auch zu dem Ergebnis gekommen, dass die für die Ausweisung des Klägers anwendbaren Regelungen des Ausweisungsrechts nicht gegen assoziationsrechtliche Verschlechterungsverbote aus Art. 13 ARB 1/80, Art. 7 ARB 2/76 und Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen (BGBl. 1972 II S. 385) verstoßen. Dabei kann offenbleiben, ob hier überhaupt eines der Verschlechterungsverbote Anwendung findet. Denn der zum 1. Januar 2016 eingeführte Übergang von einer Ermessensentscheidung zu einer gebundenen Entscheidung stellt keine Verschlechterung der Rechtsstellung des betroffenen Ausländers dar (a). Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung bewirkte zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für betroffene Ausländer, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt (b).

61

a) Die zum 1. Januar 2016 eingeführte Neuregelung des Ausweisungsrechts, die die bisherige Ermessensausweisung durch eine am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte gebundene Ausweisung abgelöst hat, hat die Rechtsstellung der Ausländer in der hier gebotenen und auch unionsrechtlich statthaften Gesamtschau nicht verschlechtert, sondern jedenfalls teilweise verbessert. Denn bisher sah das Gesetz Tatbestände einer zwingenden Ausweisung (Ist-Ausweisung), regelmäßig erfolgenden Ausweisung (Soll-Ausweisung) und Ausweisung nach Ermessen (Kann-Ausweisung) vor. Die zwingende Ausweisung und die regelmäßig erfolgende Ausweisung widersprachen für den Personenkreis der unionsrechtlich privilegierten Ausländer der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach eine Ausweisung ausschließlich auf ein persönliches Verhalten des Ausländers gestützt werden darf, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 [ECLI:EU:C:2004:262], Orfanopoulos und Oliveri - Slg. 2004, I-5257 Rn. 66 f.). Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass eine Regelung gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, wonach eine Ausweisung automatisch aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung verfügt wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird (a.a.O. Rn. 70). Aber auch die nationale Bestimmung über die Regelausweisung hat für den Gerichtshof den Anschein erweckt, dass trotz der Berücksichtigung individueller Umstände ein gewisser Automatismus oder jedenfalls eine Vermutung besteht, dass der betreffende Staatsangehörige auszuweisen ist (a.a.O. Rn. 92).

62

Daraus hat das Bundesverwaltungsgericht die Schlussfolgerung gezogen, dass die gesetzliche Regelung zur zwingenden Ausweisung und Regelausweisung auf unionsrechtlich privilegierte Ausländer nicht mehr angewendet werden darf (BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <302> betreffend Unionsbürger und - 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <321> betreffend Assoziationsberechtigte nach ARB 1/80). Der Gesetzgeber hat daraus durch das zum 1. Januar 2016 in Kraft getretene neue Ausweisungsrecht die Konsequenzen gezogen. Insofern stellt die neue Rechtslage eine Verbesserung gegenüber der bisherigen dar. Eine Ausweisung nach neuem Recht hat eine einzelfallbezogene umfassende Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen und orientiert sich dabei strikt am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 53 Abs. 1 und 2 AufenthG). Damit setzt der Gesetzgeber Vorgaben um, die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 - Rn. 99) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR , Urteil vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 57 - 60) ergeben.

63

Es stellt keine Verschlechterung der Rechtslage für unionsrechtlich privilegierte Ausländer dar, dass ihre Ausweisung nach früherer Rechtslage im Wege einer Ermessensentscheidung erfolgte, nach neuem Recht hingegen im Wege einer rechtlich gebundenen Ausweisung, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Damit entfällt zwar die Möglichkeit, aus Gründen der Zweckmäßigkeit von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen. Auf ein solches Absehen von einer rechts- und ermessensfehlerfrei möglichen Ausweisung hatte der Ausländer aber zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch, auch die gerichtliche Kontrolle war insoweit durch § 114 VwGO eingeschränkt; durch die gesetzliche Neuregelung wird also keine individuelle Rechtsposition beeinträchtigt. Im Übrigen ist für die Beachtung des Verschlechterungsverbots auf die tatsächliche Praxis und nicht allein auf die abstrakte Rechtslage abzustellen. Die Rechtspraxis wurde maßgeblich durch die Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz des Bundesministeriums des Innern vom 26. Oktober 2009 gesteuert. Danach lag die Ausweisungsentscheidung im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde, bei der Ermessensausübung waren das schutzwürdige Interesse des Ausländers am weiteren Verbleib in Deutschland und das öffentliche Interesse an der Ausweisung gegeneinander abzuwägen (Ziffer 55.1.3). Das weist auf eine Rechtspraxis hin, die der heute normierten gebundenen Ausweisung entspricht, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Insofern hat sich die Rechtsstellung des Ausländers nicht verschlechtert.

64

b) Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung hat zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für die betroffenen Ausländer bewirkt, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Die seinerzeitige Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung (§ 54 Nr. 5 AufenthG a.F.) führte zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gegenüber der früheren Rechtslage, die allein den Tatbestand der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland kannte. Durch die Rechtsänderung wurde nun auch die Vorfeldunterstützung des Terrorismus erfasst. Diese ist jedoch mit Blick auf das Verschlechterungsverbot aus Art. 13 ARB 1/80 aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 14 ARB 1/80, jedenfalls aber durch ein zwingendes Allgemeininteresse, namentlich die völkerrechtlich gebotene Terrorismusbekämpfung auch bereits im Vorfeld unmittelbarer terroristischer Handlungen, gerechtfertigt.

65

8. Nach der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG ist über die Länge der Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach Ermessen zu entscheiden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Diese gesetzgeberische Entscheidung ist mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom gleichen Tage - 1 C 27.16 - Rn. 20 ff.). Das Urteil des Senats zur Vorläuferfassung des § 11 AufenthG a.F., wonach eine gebundene Entscheidung zu treffen war (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.), erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihm ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen. Eine solche Ermessensentscheidung hat der Beklagte hier noch nicht getroffen. Vielmehr hat bisher das Verwaltungsgericht das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach der seinerzeit geltenden Rechtslage im Wege einer gebundenen Entscheidung auf acht Jahre festgesetzt.

66

Der Beklagte hat die nach neuem Recht nunmehr gebotene Ermessensentscheidung nachzuholen. Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange.

67

B. Der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellte (weitere) Hilfsantrag, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass dem Kläger auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie, ist unzulässig. Er stellt eine unzulässige Klageerweiterung im Revisionsverfahren dar (§ 142 Abs. 1 VwGO). Im Übrigen bedarf es einer solchen behördlichen Feststellung auch nicht. Aus dem für alle nationalen Behörden verbindlichen EuGH-Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) ergibt sich bis zu einer dem Gesetzgeber vorbehaltenen Anpassung der einschlägigen Fachgesetze hinreichend deutlich, dass dem Kläger - solange er die Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der EU-Anerkennungsrichtlinie genießt - auch die mit dieser Rechtsstellung einhergehenden Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie zustehen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift (vgl. dazu auch die vorstehenden Ausführungen in Rn. 55 f. dieses Urteils).

68

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat gewichtet den gegen die Ausweisung, die Meldeauflage, die Aufenthaltsbeschränkung und die Abschiebungsandrohung gerichteten Anfechtungsantrag mit 4/5 und den auf Befristung zielenden Verpflichtungsantrag mit 1/5 (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 46).

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers hin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 - 4 K 3079/10 - geändert.

Der Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 wird aufgehoben.

Das beklagte Land trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der am ...1971 in Charleroi, Belgien, geborene Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung und die Androhung der Abschiebung.
Er ist türkischer Staatsangehöriger und lebte von seiner Geburt bis 1979/80 gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern in Belgien, danach kehrte die Familie in die Türkei zurück. Dort besuchte der Kläger das Gymnasium, das er mit einem dem Abitur vergleichbaren Abschluss beendete. Am 06.05.1996 heiratete er in Cavusbasi Köyü/Türkei die am ... in B..., Deutschland, geborene Hatice Y., welche damals noch türkischer Staatsangehörigkeit war; am 17.08.1996 reiste er mit einem Visum zum Familiennachzug nach Deutschland ein. In der Folge erhielt er zunächst befristete Aufenthaltserlaubnisse, ab dem 16.07.2001 war er im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, welche ab Januar 2005 als Niederlassungserlaubnis fortgalt.
Die Ehefrau des Klägers wurde am 06.07.1998 eingebürgert. Die Eheleute haben vier gemeinsame Kinder, zwei Töchter (geboren am 16.08.1997 und am 01.05.2001) und zwei Söhne (geboren am 17.07.1998 und am 14.04.2008), welche ebenfalls deutsche Staatsangehörige sind.
Ab dem 10.03.1997 war der Kläger zunächst bei verschiedenen Firmen beschäftigt, vom 02.11.1998 bis zum 31.10.2001 bei der Firma F., wobei er vom 27.02.2001 bis zum 09.07.2001 Krankengeld von der AOK bezog. Nach längerer Arbeitslosigkeit war er ab 2003 immer wieder selbstständig tätig - unterbrochen durch mehrmonatige Aushilfstätigkeiten und Zeiten der Arbeitslosigkeit -, zunächst mit einem Einzelhandel mit Lebensmitteln und Obst, welchen er von seiner Ehefrau übernommen hatte (von Juli 2003 bis Juni 2004), später (vom September 2006 bis zum Februar 2007) mit dem Gewerbe „Kleintransporte (Paketdienst)“, sodann mit einer Gebäudereinigung (ab dem 21.11.2007).
Zum 05.06.2008 meldete er das Wettbüro T. in Karlsruhe an. Am 18.12.2008 wurde er wegen des Verdachts der Geiselnahme u.a. in Untersuchungshaft genommen. Mit Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 30.06.2009 - 3 KLs 110 Js 41778/08 - wurden der Kläger und die Mitangeklagten B.A., Y.K. und E.G. der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie der Mitangeklagte T.K. der Beihilfe zur Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen. Der Kläger wurde zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten, seine Mitangeklagten B.A. zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten, Y.K. von vier Jahren und zehn Monaten, E.G. von drei Jahren und sechs Monaten und T.K. zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde hinsichtlich T.K. zur Bewährung ausgesetzt. Die Angeklagten wurden außerdem verurteilt, an die Nebenklägerin N.G. Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,-- EUR nebst Zinsen zu zahlen, wobei die seitens B.A. und Y.K. bereits erbrachten Beträge in Höhe von 2.500,-- EUR (B.A.) bzw. 3.000,-- EUR (Y.K.) auf den Schmerzensgeldbetrag anzurechnen seien. Das Urteil wurde nach Verwerfung der unter anderem vom Kläger eingelegten Revision diesem gegenüber am 10.12.2009 rechtskräftig.
Nach den Feststellungen im Strafurteil vom 30.06.2009 war Y.K. als Geschäftsführer in dem vom Kläger betriebenen Wettbüro beschäftigt und hätte Anfang des Jahres 2009 als Teilhaber einsteigen sollen. B.A. war bei einer Automatenaufstellerfirma tätig und für die Wartung der im Wettbüro aufgestellten Spielautomaten zuständig. Die Mitangeklagten E.G. und T.K., ein Schwager des Y.K., hielten sich häufig als Gäste im Wettbüro auf. Das Opfer der Straftaten, N.G., war auf Empfehlung des B.A. seit September 2008 als Aushilfe angestellt. Nachdem am 29.11.2008 zwischen 2.00 Uhr und 2.30 Uhr in das Wettbüro eingebrochen und aus Spielautomaten und einem offenen Tresor insgesamt Bargeld in Höhe von etwa 2.500,-- EUR entwendet worden war, verdächtigten die Angeklagten die im Wettbüro angestellte N.G. und deren Freund der Beteiligung an dem Einbruch. Anlass war unter anderem, dass ein Augenzeuge etwa zum Zeitpunkt des Einbruchs ein Auto bemerkt hatte, das dem des Freundes von N.G. ähnelte. Außerdem hatte N.G. wenige Stunden nach dem Einbruch per SMS mitgeteilt, sie könne am Morgen nicht zur Arbeit erscheinen, weil ihr Schwiegervater gestorben sei, was aber - wie sich nach und nach herausstellte - tatsächlich nicht stimmte. Um N.G. zu einem Geständnis zu zwingen, brachten die fünf Angeklagten diese am 30.11.2008 gegen 12.30 Uhr dazu, mit ihnen in den Keller des Wettbüros zu gehen. Dort versetzte B.A. der Angestellten N.G. zunächst zwei derart heftige Ohrfeigen, dass sie ein Loch im linken Trommelfell erlitt. Danach hielt B.A. dieser eine von ihm - ohne Wissen der anderen - mitgeführte, nicht ausschließbar ungeladene Schreckschusswaffe, die er zuvor mehrfach durchgeladen hatte, an die Stirn, so dass N.G. befürchtete, erschossen zu werden, und Todesangst verspürte. Unter Ausnutzung der Todesangst von N.G. versuchten die Angeklagten in den nächsten Stunden - allerdings vergeblich -, von dieser ein Geständnis zu erpressen. A.B. drückte ihr ein Kissen auf das Gesicht und tat so, als ob er dieses als Schalldämpfer verwenden würde. Auf Vorschlag des Klägers behauptete er sodann, man habe ein paar Leute zu ihrem Freund geschickt, welche ihn mit einem Baseballschläger "zusammengeschlagen" hätten, woraufhin dieser alles zugegeben hätte. B.A. oder E.G. drohten später damit, N.G. mit einer Handsäge einen Finger abzusägen. Als N.G. darum bat, auf Toilette gehen zu dürfen, wurde ihr dies mit dem Hinweis verweigert, sie solle „in die Hose pissen“. Bei diesen Übergriffen und Bedrohungen leistete T.K. lediglich psychische Beihilfe, während die anderen aktiv beteiligt waren. Nachdem B.A. und E.G. zwischen 14.30 Uhr und 15.00 Uhr den Keller verlassen hatten, wurde N.G. gegen 16.00 Uhr vom Kläger, Y.K. und T.K. freigelassen und von T.K. nach Hause gefahren. N.G. leidet noch heute erheblich unter den psychischen Folgen der Tat. Bezüglich der Strafzumessung wird in dem Urteil des Landgerichts Karlsruhe hinsichtlich des Klägers unter anderem dargelegt: Die Kammer sei der Auffassung, dass die Voraussetzungen der tätigen Reue (§§ 239a Abs. 4, 239b Abs. 2 StGB) vorgelegen hätten, weil die Täter von einer weiteren Befragung der Geschädigten abgesehen hätten. Für die Annahme eines minder schwereren Falls der Geiselnahme (§§ 239a Abs. 2, 239b Abs. 2 StGB) spreche, dass der Kläger bereits im Ermittlungsverfahren ein Geständnis abgelegt und dieses in der Hauptverhandlung aufrechterhalten habe, wobei der Kammer das Geständnis allerdings nur bedingt getragen von Einsicht und Reue erscheine, weil der Kläger immer wieder darauf hingewiesen habe, er hätte nicht gegen die weitere Tatausführung einschreiten können. Für ihn spreche außerdem, dass er bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei, sich schriftlich bei der Geschädigten entschuldigt und einen eher geringen Tatbeitrag geleistet habe. Es sei aber auch zu berücksichtigen, dass er als Inhaber des Wettbüros ein Hauptinteresse daran gehabt habe festzustellen, ob seine Angestellte tatsächlich an dem Einbruch beteiligt gewesen sei, dass tateinheitlich zum Verbrechen der Geiselnahme auch ein Vergehen der gefährlichen Körperverletzung begangen worden, dass er über dreieinhalb Stunden an der Tatbegehung beteiligt gewesen sei und dass die Geschädigte nicht nur eine körperliche Verletzung in Form einer Trommelfellperforation mit erheblichen Höreinschränkungen erlitten habe, sondern noch heute schwer unter den psychischen Folgen der Tat leide. Die nicht vertypten Milderungsgründe reichten daher nicht aus, um das Vorliegen eines minder schweren Falles zu bejahen. Unter weiterer Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger tätige Reue im Sinne von §§ 239b Abs. 2, 239a Abs. 4 StGB geleistet habe, sei allerdings unter Heranziehung dieses Strafmilderungsgrundes das Vorliegen eines minder schweren Falles bejaht worden.
Im Anschluss an die Untersuchungshaft verbüßte der Kläger vom 10.12.2009 bis zu seiner Entlassung am 22.12.2011 Strafhaft, ab dem 08.04.2010 in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bruchsal. Zwei Drittel der Strafe waren am 17.04.2011 vollstreckt, Endstrafentermin wäre der 17.06.2012 gewesen. In dieser Zeit erhielt der Kläger regelmäßig Besuch von seiner Ehefrau und seinen Kindern sowie von anderen Verwandten und Bekannten. Von September 2010 bis Juli 2011 nahm er zweimal wöchentlich an Deutschkursen teil. Er arbeitete in einem Unternehmerbetrieb der JVA. In Vollzugsplänen und Berichten der JVA Bruchsal vom 05.05.2010, 12.05.2010, 08.02.2011, 12.09.2011 und 12.10.2011 wurde unter anderem dargelegt: Disziplinarrechtlich habe gegen den Kläger nicht eingeschritten werden müssen, es sei auch zu keinen Unregelmäßigkeiten bezüglich Drogen oder Alkohol gekommen. Er könne sehr nervenaufreibend sein, weil er täglich mehrere Anliegen habe, die er durchzusetzen versuche. Er werde dabei jedoch nie aggressiv, sondern zeige fehlendes Verständnis, reagiere weinerlich oder unbeirrbar. Im Unternehmerbetrieb gelte er wegen seiner ständigen Anliegen als Sorgenkind, erledige aber seine Arbeit zuverlässig, es sei nicht zu unentschuldigten Ausfallzeiten gekommen. Er habe noch Schulden in Höhe von etwa 45.000,-- EUR. Während in früheren Stellungnahmen der JVA, unter anderem vom 08.02.2011, Zweifel an einer Tataufarbeitung und einer echten Reue des Klägers geäußert wurden, wurde in einem Bericht vom 12.10.2011 ausgeführt, der Kläger habe über seine Straftat intensiv nachgedacht, könne sich zumindest über den Vergleich mit eigenen Bedrängungserfahrungen in das Opfer einfühlen, sei nicht die treibende Kraft gewesen und scheine seine Straftat tatsächlich zu bereuen. Die Landesstiftung Opferschutz habe am 16.07.2011 bestätigt, dass er 1.000,-- EUR Schmerzensgeld in Raten bezahlt habe. Als stabilisierender Faktor werde seine Familie gesehen. Der psychologische Dienst gehe davon aus, dass ein kriminalprognostisches Gutachten zu dem Schluss kommen werde, dass eine weiterhin bestehende Gefahr nicht festgestellt werden könne.
Bereits mit Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 wurde der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Ziff. 1). Außerdem wurde ihm die Abschiebung in die Türkei oder in einen anderen Staat angedroht (Ziff. 2). Für den Fall, dass er vor der beabsichtigten Abschiebung aus der Haft entlassen werde, wurde er aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von einem Monat nach seiner Entlassung zu verlassen; für den Fall, dass er nicht fristgerecht ausreise, wurde ihm die Abschiebung angedroht (Ziff. 3). Zur Begründung wurde dargelegt: Dem Kläger stehe kein erhöhter Ausweisungsschutz aufgrund eines Rechts zum Aufenthalt nach dem Assoziationsratsbeschluss 1/80 zu. Eine nach Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 privilegierte aufenthaltsrechtliche Position habe nicht mehr erworben werden können, weil seine Ehefrau zwei Jahre nach Beginn der ehelichen Lebensgemeinschaft die deutsche Staatsangehörigkeit erworben habe. Ansprüche aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 seien ebenfalls nicht entstanden. Bei der Firma F. habe der Kläger zwar vom 02.11.1998 bis zum 26.02.2001 und vom 09.07.2001 bis zum 31.10.2001 gearbeitet. In der Zwischenzeit, vom 27.02.2001 bis zum 08.07.2001, habe er jedoch Krankengeld von der AOK bezogen. Selbst wenn man davon ausginge, dass er drei Jahre ordnungsgemäß bei einem Arbeitgeber beschäftigt gewesen sei, wäre seine Rechtsstellung nach Art. 6, 2. Spielgelstrich ARB 1/80 wieder erloschen. Denn im Anschluss an die Beschäftigung bei der Firma F. habe er ab November 2001 bis zum 27.07.2003 Leistungen der Agentur für Arbeit bezogen. Seine Ehefrau habe in dieser Zeit ein Gewerbe (Obst- und Gemüsehandel) betrieben. Ab Oktober 2003 habe er dieses übernommen, bis er es im Januar 2004 wieder aufgegeben habe. Nach kurzen Arbeitsverhältnissen, Zeiten der Arbeitslosigkeit sowie Zeiten der Ausübung zweier anderer Gewerbe, sei schließlich zum 05.06.2008 die Anmeldung des Wettbüros erfolgt. Die Aufnahme einer auf Dauer angelegten selbstständigen Tätigkeit führe jedoch zum Erlöschen bereits entstandener Rechte aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80. Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid sei daher das Aufenthaltsgesetz. Der Kläger erfülle den Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 1 AufenthG. Er genieße jedoch wegen der bestehenden Niederlassungserlaubnis und der familiären Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau und seinen Kindern besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 4 AufenthG. Es sei daher zu prüfen, ob ein schwerwiegender Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG vorliege. Das sei der Fall. Die vom Kläger und seinen Mittätern aufgrund von Selbstjustiz begangene Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung wiege ausgesprochen schwer. Der Tathergang verdeutliche, dass der Kläger ein erhebliches Maß an krimineller Energie besitze, welches bei verständiger Würdigung aller für und gegen ihn sprechenden Umstände der Tatbegehung die Grenzen der Bagatellkriminalität bei weitem überschreite. Er sei offenkundig nicht in der Lage oder auch nicht gewillt, sich an die im Bundesgebiet bestehende Rechtsordnung zu halten. Deshalb könne ihm keineswegs eine günstige Sozialprognose gestellt werden. Nach den vorliegenden Berichten der JVA habe eine Tataufarbeitung wegen der fehlenden differenzierten Deutschkenntnisse noch nicht erfolgen können. Bislang sei danach auch nicht erkennbar, dass der Kläger ein Schuldbewusstsein oder eine Empathie für das Opfer entwickelt habe. Die Ausweisung sei daher aus spezialpräventiven Gründen geeignet und erforderlich. Sie werde auch auf generalpräventive Erwägungen gestützt. Es bestehe ein dringendes soziales Bedürfnis, über die strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Gewalttaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Wegen des besonderen Ausweisungsschutzes und mit Blick auf die Familie des Klägers und Art. 8 EMRK liege eine Ausnahme von der Regel des § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG vor, so dass über die Ausweisung nach Ermessen zu entscheiden sei. Sie sei hier gerechtfertigt, insbesondere verhältnismäßig. Der Kläger sei mit einer türkischstämmigen Frau verheiratet, die mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen habe, und Vater von vier deutschen Kindern. Beruflich sei es ihm nicht gelungen, sich im Bundesgebiet zu integrieren. Der Aufbau eines eigenen Betriebes sei immer wieder gescheitert. In dem zuletzt betriebenen Wettbüro habe er mehrere Personen beschäftigt, ohne diese anzumelden. Dies sowie die Tatsache, dass er bereit gewesen sei, eine von ihm verdächtige Person als Geisel zu nehmen, um aus ihr mit brutalsten physischen und psychischen Methoden ein Geständnis zu erpressen, sei ein Beleg für eine Denkweise, welche nicht den Wertvorstellungen der Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland entspreche. Es sei nicht erkennbar, dass der Kläger von seinem Heimatland, das er vor vierzehn Jahren im Alter von 25 verlassen habe, entfremdet sei. In Anbetracht des gravierenden Verstoßes gegen die geltende Rechtsordnung könnten die rechtlichen und tatsächlichen Auswirkungen der Ausweisung, die mit einer Übersiedlung in die Türkei verbunden seien, nicht als unverhältnismäßig angesehen werden. Dies gelte auch unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK. Schließlich könne er gegebenenfalls einen Antrag auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung stellen. Hilfsweise sei festzustellen, dass die Ausweisung des Klägers auch dann - im Ermessenswege nach Art. 14 ARB 1/80 i.V.m. § 55 AufenthG -gerechtfertigt sei, wenn man davon ausgehe, dass ihm eine Rechtsstellung nach Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 zustehe. Für diesen Fall sei die Ausweisung jedoch lediglich auf spezialpräventive Gründe zu stützen. Die Abschiebungsandrohung beruhe auf § 59 Abs. 1 AufenthG.
Am 04.11.2010 erhob der Kläger beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage, zu deren Begründung er im Wesentlichen vortrug: Eine Trennung von seiner Familie wäre unverhältnismäßig. Weder verfügten er und seine Familie über die erforderlichen finanziellen Mittel für regelmäßige Besuche noch hätte er die Möglichkeit, die Kontakte angemessen aufrechtzuerhalten. Zudem sei die Ausweisung weder aus generalpräventiven noch aus spezialpräventiven Gründen angemessen. Er sei das erste Mal straffällig geworden. Aus dieser - einmaligen -Entgleisung, die nicht verharmlost werden solle, könne nicht auf ein grundsätzliches Verhaltensmuster für die Zukunft geschlossen werden. Im Übrigen sei er vom 01.11.1998 bis zum 31.10.2001 durchgehend bei der Firma F. beschäftigt gewesen, weshalb er als Assoziationsberechtigter anzusehen sei.
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Das beklagte Land trat der Klage entgegen.
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Mit Urteil vom 02.03.2011 - 4 K 3079/10 - wies das Verwaltungsgericht die Klage ab und führte aus: Es bedürfe keiner abschließenden Beurteilung, ob der Kläger eine Rechtsstellung nach Art. 6 ARB 1/80 erworben habe, denn eine solche wäre jedenfalls durch die Aufnahme einer Tätigkeit als Selbstständiger erloschen. Weil er besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 4 AufenthG genieße, könne er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Solche seien hinsichtlich des spezialpräventiven und bezüglich des generalpräventiven Ausweisungszwecks aufgrund der vom Kläger verübten Straftat gegeben. In Fällen mittlerer und schwerer Kriminalität seien die Voraussetzungen für eine spezialpräventive Ausweisung grundsätzlich zu bejahen. Beim Kläger bestehe ein gegenüber dem Durchschnittsbürger sogar beträchtlich erhöhtes Risiko, auch künftig wieder strafrechtlich in Erscheinung zu treten. Dafür sprächen die nicht unerhebliche kriminelle Energie, die er an den Tag gelegt habe, und die konkrete Tatausführung. Diese lasse ein erhebliches Maß an Gewaltanwendung gegenüber Personen erkennen; sie habe zu gravierenden Folgen für das Opfer geführt. Ausweislich eines Berichts der JVA vom 08.02.2011 habe die Freiheitsstrafe nur insoweit die erwünschte Wirkung gezeigt, als der Kläger die negativen Folgen für seine Familie eingesehen habe, mit den Folgen der Tat für das Opfer habe er sich noch nicht erkennbar auseinandergesetzt. Da die Tat zudem eine hohe Bereitschaft für eine im Heimatland des Klägers in bestimmten Bereichen auch heute noch übliche und gesellschaftlich akzeptierte Selbstjustiz belege, könne ihm keine günstige Sozialprognose erteilt werden. Ein Ausnahmefall von der Regelausweisung - und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung - sei hier wegen der tatsächlich gelebten familiären Gemeinschaft des Klägers mit den vier ehelichen Kindern des Klägers zu sehen. Die entsprechenden Ermessenserwägungen seien im Ergebnis rechtsfehlerfrei. Die dem Kläger als Mittäter der begangenen Straftaten zurechenbare Gewaltanwendung wiege derart schwer, dass seine Ausweisung auch mit Blick auf die Schutzwirkungen des Art. 6 GG und des Art. 8 EMRK nicht unverhältnismäßig sei.
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Auf den am 14.03.2011 vom Kläger gestellten Antrag hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 17.05.2011 - 11 S 875/11 - die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 zugelassen. Diese hat der Kläger am 26.05.2011 unter Stellung eines Antrags begründet.
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Zur Vorbereitung der Entscheidung über die Aussetzung der Reststrafe holte die Vollstreckungskammer des Landgerichts Karlsruhe mit Schreiben vom 03.06.2011 ein kriminalprognostisches Gutachten der Klinik für forensische Psychiatrie und Psychotherapie - Zentrum für Psychiatrie - Wiesloch ein. Das daraufhin erstattete Gutachten von Herrn Dr. Sp..., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, und Herrn S..., Facharzt für Psychiatrie, vom 24.09.2011 kommt zu dem Ergebnis, dass nicht mehr davon ausgegangen werden könne, dass die durch die Tat beim Kläger zutage getretene Gefährlichkeit fortbestünde. Dabei wurde die fehlende Auseinandersetzung mit der Straftat als prognostisch ungünstiger Faktor gewertet. Der Kläger sei bei der Tat aber eher passiv im Hintergrund geblieben. Beim Tatgeschehen komme somit situativen Faktoren (Eingebundenheit in eine Tätergruppe bei Vorhandensein von freundschaftlichen Beziehungen und Loyalitäten, Unterordnung unter dominant auftretende Persönlichkeiten) ein wesentliches Gewicht am Zustandekommen der Tat zu. Der Kläger habe sich im Rahmen der Haft im Wesentlichen angepasst und korrekt verhalten. Dass er dabei seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse jeweils mit einem gewissen Nachdruck vorgetragen habe, lasse sich nicht als prognoserelevanter Faktor verwerten. Es existierten stabile familiäre Anbindungen. Auch die beruflichen Planungen des Klägers erschienen nicht unrealistisch. Die prognostisch günstigen Faktoren überwögen im Vergleich zu dem einzigen ungünstigen Faktor - der fehlenden inneren Auseinandersetzung des Klägers mit der Tat - deutlich. Nach einer Anhörung des Klägers am 16.12.2011 wurde mit Beschluss des Landgerichts Karlsruhe vom 21.12.2011 die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 30.06.2009 zur Bewährung ausgesetzt. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt; der Kläger wurde der Leitung und Aufsicht eines Bewährungshelfers unterstellt. Daraufhin wurde er am 22.12.2011 aus dem Strafvollzug entlassen.
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Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger im Wesentlichen vor: Das Verwaltungsgericht sei unzutreffend davon ausgegangen, dass die Rechtstellung aus Art. 6 ARB 1/80 mit Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit erlösche. Die Ausweisung genüge nicht den Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80. Im Übrigen hätte ein Widerspruchsverfahren durchgeführt bzw. über die Ausweisung noch durch eine „unabhängige Stelle“ entschieden werden müssen. Schon aus diesem Grund sei sie aufzuheben. Unabhängig davon sei die Ausweisung hier mit Blick auf die Tatsache, dass die Ehefrau des Klägers und seine Kinder deutsche Staatsangehörige seien, rechtswidrig. Soweit im Urteil dargelegt werde, der Rechtsstellung der Kinder des Klägers könne durch Besuche der Ehefrau mit den Kindern in der Türkei Rechnung getragen werden, werde nicht die dem Kläger gemäß Art. 20 AEUV zukommende europarechtliche Rechtsposition berücksichtigt. Anzugreifen sei auch, dass die erste Instanz eine Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung mangels Befristung verneine. Dies verstoße gegen Art. 8 EMRK. Nach dem kriminalprognostischen Gutachten vom 24.09.2011 bestehe die bei der Tat zutage getretene Gefährlichkeit inzwischen nicht mehr. Die Arbeitssuche des Klägers nach seiner Haftentlassung sei durch seine erheblichen gesundheitlichen Probleme belastet gewesen. Er habe am 20./21.04.2012 in eine Klinik aufgenommen und später erneut - vom 06.06. bis zum 14.06.2012 - stationär behandelt werden müssen. Zum 24.07.2012 habe er dann einen Arbeitsplatz als Fahrer bei einer Firma in Karlsruhe gefunden, wonach er bei einer durchschnittlichen regelmäßigen Arbeitszeit von 25 bis 30 Wochenstunden 1.000,-- EUR brutto monatlich verdiene.
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Nachdem das Regierungspräsidiums Karlsruhe in der mündlichen Verhandlung die Sperrwirkungen der Ausweisung vom 22.10.2010 auf zwei Jahre befristet hat, beantragt der Kläger,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 - 4 K 3079/10 - zu ändern und den Bescheid vom 22.10.2010 aufzuheben,
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hilfsweise: das beklagte Land zu verpflichten, die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG bezeichneten Wirkungen der Ausweisung auf sofort zu befristen.
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Das beklagte Land beantragt,
19 
die Berufung zurückzuweisen.
20 
Es trägt vor: Das Verwaltungsgericht Karlsruhe habe zutreffend die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 22.10.2010 bestätigt und berücksichtigt, dass eine Rechtsstellung aus Art. 6 ARB 1/80 - selbst wenn der Kläger sie erworben hätte - dadurch erloschen wäre, dass er eine Tätigkeit als Selbstständiger aufgenommen habe. Durch die Ausweisung werde kein unverhältnismäßiger Eingriff in das Recht des Klägers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens begründet. Der Kontakt zur Ehefrau und den Kindern des Klägers könne durch Besuche in der Türkei, Briefe, Telefonate und E-Mails aufrechterhalten werden. Da der Kläger die deutsche Sprache nicht richtig beherrsche und sich bei Besuchen in türkischer Sprache unterhalten habe, sei davon auszugehen, dass die Familie ebenfalls mit der Türkei vertraut sei. Ein Leben in der Türkei wäre für den Kläger auch nicht unzumutbar, weil er zuvor ebenfalls dort gelebt habe, dort noch seine Mutter und Geschwister wohnten und er auch die türkische Sprache beherrsche. Zu dem kriminalprognostischen Gutachten vom 24.09.2011 sei auszuführen: In dem Gutachten werde einmal mehr die „weitgehend fehlende innere Auseinandersetzung“ des Klägers mit seiner Tat und den Folgen für das Opfer bestätigt. Die von ihm signalisierte Betroffenheit über das Leid des Opfers wirke auf die Gutachter sogar „affektiv eher flach und vordergründig“. Für die Gutachter sei der Eindruck entstanden, dass der Kläger „insgesamt emotional stärker durch die Folgen der Tat für ihn und seine Familie als durch die Folgen für das Opfer betroffen erschien“. Ein tiefergehendes Mitgefühl für das Opfer sei trotz verbaler Bekundung wenig spürbar gewesen. Diese Einschätzung decke sich mit einem Bericht der JVA Bruchsal vom 08.02.2011, demzufolge „eine wirkliche Tataufarbeitung ... nicht sichtbar“ werde, und dem Eindruck, den der Kläger beim erstinstanzlichen Gericht hinterlassen habe. Das Verwaltungsgericht habe sich immerhin zu der deutlichen Formulierung veranlasst gesehen, „dass er sich mit seiner Gewaltproblematik noch nicht, jedenfalls in nicht ausreichendem Maße, auseinandergesetzt hat und die Tat eine hohe Bereitschaft für eine im Heimatland des Klägers in bestimmten Bereichen auch heute noch übliche und gesellschaftlich akzeptierte Selbstjustiz belegt“. Mit anderen Worten: Wenn sich der Kläger in einer vergleichbaren Situation wiederfinde, in der jemand der Wahrheit auf die Sprünge helfen wolle, sei nach wie vor keine ethische Schranke bei ihm installiert, die ihn davor bewahre mitzumachen. Das Gutachten vom 24.09.2011 werte zwar zugunsten des Klägers, dass den situativen Faktoren ein wesentliches Gewicht am Zustandekommen der Tat zugekommen sei. Es liefere aber nicht den geringsten neuen Anhaltspunkt dafür, dass sich der Kläger das nächste Mal der Gruppendynamik entziehen oder gar widersetzen würde, wenn Gewalt ins Spiel komme. Aus diesen Gründen bestehe keine Veranlassung, von der aufgrund der mündlichen Verhandlung in erster Instanz gewonnenen und vom Verwaltungsgericht zutreffend begründeten Einschätzung Abstand zu nehmen.
21 
Auf einen Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 11.08.2011 - 11 S 2027/11 - die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 angeordnet.
22 
In einem Bericht der Bewährungshelferin vom 24.07.2012 sowie einem ergänzenden Schreiben vom 25.09.2012 wird dargelegt: Insgesamt sei in dem bisherigen Bewährungsverlauf nichts zu beanstanden. Der Kläger habe sich - zunächst vergeblich - intensiv um einen Arbeitsplatz bemüht. Mit Hilfe eines Rechtsanwalts sei es ihm gelungen, seinen Führerschein der Klasse 3 wieder zu erlangen. Insgesamt sei es dem Kläger nach der Haftentlassung nicht gut gegangen, er habe noch sehr unter den Nachwirkungen gelitten und sei durch seinen behandelnden Arzt wegen Depressionen medikamentös behandelt worden. Am 25.05.2012 habe er sich wegen starker Schmerzen ins Krankenhaus begeben müssen. Nach mehreren Untersuchungen seien ihm am 21.06.2012 stationär mehrere Nierensteine entfernt worden. Er habe sich wirklich bemüht, wieder zu der „arbeitenden Bevölkerung“ zu gehören. Seit dem 24.07.2012 sei er als Fahrer beschäftigt; er verdiene monatlich etwa 1.000,-- EUR. Er hätte die Möglichkeit, einen Kiosk in Karlsruhe-Durlach zu übernehmen; seine Ehefrau würde dann mit ihm zusammenarbeiten.
23 
Dem Senat liegen die Akten des Regierungspräsidiums Karlsruhe über das Ausweisungsverfahren (2 Hefte), die ausländerrechtlichen Akten des Landratsamts Karlsruhe bezüglich des Klägers (2 Hefte), seiner Ehefrau (1 Heft) und der ältesten Tochter (1 Heft), die Gefangenenpersonalakten der JVA Bruchsal (1 Heft), die Strafakten betreffend das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 30.06.2009 - 3 KLs 110 Js 41778/08 - (8 Hefte) sowie das Bewährungsheft des Landgerichts Karlsruhe - 15 BWL 213/11 - vor. Diese sind ebenso wie die Akten über das Klageverfahren beim Verwaltungsgerichts Karlsruhe - 4 K 3079/10 -, über das vorliegende Berufungsverfahren - 11 S 1470/11 - und über das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes - 11 S 2027/11 -Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen; hierauf wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
24 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht und ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 6 und Abs. 3 Satz 4 VwGO) Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 hat Erfolg. Die Anfechtungsklage des Klägers gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteile vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - InfAuslR 2008, 156, und vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris) begründet. Die darin unter Ziffer 1 verfügte Ausweisung und die Abschiebungsandrohung unter Ziffern 2 und 3 sind rechtswidrig und verletzen dadurch den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Einer Entscheidung über den vom Kläger im Berufungsverfahren lediglich hilfsweise gestellten Antrag auf Verpflichtung des beklagten Landes zur Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 bezeichneten Wirkungen der Ausweisung "auf sofort" (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O.) bedarf es daher nicht.
I.
25 
Die auf §§ 53 Nr. 1, 56 Abs. 1, 55 AufenthG beruhende (dazu unter 1. und 2.) Ausweisung des Klägers, die hier im Ermessen des beklagten Landes steht (3.), ist mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz rechtswidrig (4.).
26 
1. Maßgebliche Rechtsgrundlage sind die §§ 53 Nr. 1, 56 Abs. 1, 55 AufenthG.
27 
Insbesondere sind nicht etwa allein wegen des Umstands, dass die Ehefrau und die Kinder des Klägers deutsche Staatsangehörige sind, besondere unionsrechtliche Anforderungen zu beachten (vgl. hierzu EuGH, Urteile vom 05.05.2011 - Rs. C-434/09, McCarthy - InfAuslR 2011, 268, und vom 15.11.2011 - Rs. C-256/11, Dereci - InfAuslR 2012, 47; Senatsurteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 - NVwZ-RR 2012, 412).
28 
Eine nur beschränkte Anwendbarkeit der Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG folgt hier auch nicht aus dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: ARB 1/80; vgl. insbesondere Art. 14 ARB 1/80). Eine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80 hat der Kläger nicht erworben, weil seine Ehefrau vor Ablauf von drei Jahren nach Zuzug des Klägers eingebürgert wurde und die türkische Staatsangehörigkeit aufgegeben hat (vgl. dazu Renner, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 4 Rn. 156 m.w.N.). Ob er jemals die Voraussetzungen des - hier allein in Betracht kommenden - 2. Spiegelstrichs des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erfüllt hat, kann offen bleiben. Denn er hat eine eventuelle Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 durch die spätere Aufnahme selbstständiger Tätigkeiten, zuletzt den Betrieb des Wettbüros - aufgrund dessen der Kläger jedenfalls dem Arbeitsmarkt auf unabsehbare Zeit nicht mehr zur Verfügung stand - verloren (streitig, ebenso: Hess. VGH, Urteil vom 09.02.2004 - 12 TG 3548/03 - InfAuslR 2004, 230; Bayer. VGH, Urteil vom 26.03.2007 - 24 BV 03.2091 - juris; vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18.10.2006 - 13 S 192/06 - InfAuslR 2007, 49; a.A. VG Stuttgart, Urteil vom 23.05.2011 - 11 K 2967/10 - juris; vgl. zum Streitstand GK-AufenthG, Stand: September 2012, IX - 1 Art. 6 Rn. 238 f.; Hailbronner, AuslR, Stand: August 2012, D 5.1, Art. 6 ARB 1/80 Rn. 46). Letztlich kommt es aber auf diese Frage hier nicht an. Folge einer assoziationsrechtlichen Rechtsstellung des Klägers wäre ein erhöhter Ausweisungsschutz (vgl. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80; Senatsurteil vom 16.04.2012 - 11 S 4/12 - juris m.w.N.). Wie sich aus dem Folgenden ergibt, erweist sich die Ausweisung auch dann als rechtswidrig und ist daher aufzuheben, wenn ihm dieser nicht zukäme.
29 
2. Allerdings sind die Tatbestandsvoraussetzungen einer "Ist-Ausweisung" nach § 53 Nr. 1 AufenthG gegeben. Danach wird ein Ausländer unter anderem dann ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das ist hier wegen der Verurteilung des Klägers durch das Landgericht Karlsruhe vom 30.06.2009 wegen Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten der Fall.
30 
3. Trotz Erfüllung des an sich zwingenden Ausweisungsgrundes des § 53 Nr. 1 AufenthG steht die Ausweisung des Klägers jedoch im Ermessen und ist deshalb nach § 55 AufenthG zu beurteilen. Der Kläger genießt unstreitig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz (a). Er darf daher gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Solche liegen gemäß § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 AufenthG, also auch hier, vor. Diesbezüglich ist auch nicht vom Vorliegen eines Ausnahmefalls auszugehen (b). Hier ist aber eine Ausnahme von der "Regelrechtsfolge" des § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG geboten, wonach der betreffende Ausländer bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 AufenthG "in der Regel" ausgewiesen wird. Über seine Ausweisung ist daher nach Ermessen zu entscheiden (c).
31 
a) § 56 Abs. 1 AufenthG ist aus zwei Gründen anzuwenden: Zum einen besitzt der Kläger eine Niederlassungserlaubnis und hält sich seit mehr als fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet auf (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG), zum anderen lebt er mit deutschen Familienangehörigen - seiner Ehefrau und seinen Kindern - in familiärer Lebensgemeinschaft (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG).
32 
b) Der danach für eine Ausweisung des Klägers erforderliche schwerwiegende Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG ist gegeben.
33 
Nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5, 5 bis 5b und 7 AufenthG vor. Diese gesetzliche Vermutung beruht darauf, dass bei Verwirklichung der genannten Ausweisungstatbestände regelmäßig das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Ausweisung des Ausländers erfordert und der vom Gesetz bezweckte Schutz des Ausländers dahinter zurückzutreten hat. Die Regelung enthält allerdings keine Automatik, sondern erfordert eine individuelle Prüfung im jeweiligen Einzelfall, ob nicht Besonderheiten vorliegen, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass - hier des § 53 AufenthG - als weniger gewichtig erscheinen lassen. Davon ist auszugehen, wenn im konkreten Fall weder die spezial- noch die generalpräventiven Ausweisungszwecke des betreffenden Ausweisungstatbestands in dem erforderlichen Ausmaß vorliegen (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, m.w.N.; vgl. auch Senatsurteil vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 02.07.2001 - 13 S 2326/99 - InfAuslR 2002, 72).
34 
Im Falle des Klägers ist zwar nicht mit Blick auf den spezialpräventiven Ausweisungszweck (aa), aber vor dem Hintergrund der zulässigen generalpräventiven Erwägungen ein schwerwiegender Ausweisungsgrund (bb) zu bejahen.
35 
aa) Zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kann nicht (mehr) davon ausgegangen werden, dass vom Kläger die Gefahr der Wiederholung erheblicher Straftaten ausgeht. Die Ausweisung kann daher nicht mehr auf spezialpräventive Gründe gestützt werden.
36 
Allerdings ist der Ausweisungsanlass - die vom Kläger begangene Straftat der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - besonders gravierend. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 - juris, vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris, vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3, und vom 03.08.2004 - 1 C 30.02 -InfAuslR 2005, 18), der sich der Senat anschließt (einschränkend noch Senatsurteile vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 - NVwZ-RR 2012, 492, und vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291), gelten bei Straftaten mit einer hervorgehobenen Bedeutung für die im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr eher geringere Anforderungen. In den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 AufenthG besteht auch eine gesetzliche Vermutung des Vorliegens eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes in § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG. Selbst wenn man danach einem differenzierten Wahrscheinlichkeitsmaßstab folgt, bedeutet dies aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O. m.w.N.). Dies gilt nicht nur bei der Prüfung der Wiederholungsgefahr bei Assoziationsberechtigten oder Unionsbürgern, sondern jedenfalls auch bei Ausländern, denen besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 AufenthG zusteht. Auch in diesen Fällen müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit von dem Betreffenden eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht. Lässt sich die Begehung weiterer Straftaten lediglich nicht ausschließen, ist eine dem besonderen Ausweisungsschutz Rechnung tragende erhöhte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung noch nicht gegeben, so dass auch der Ausweisungsgrund nicht schwer wiegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O., sowie - zu den entsprechenden Vorgängerregelungen des § 47 Abs. 1 AuslG 1990 bzw. § 11 Abs. 1 AuslG 1965 - Urteile vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 -InfAuslR 1997, 8, und vom 17.01.1989 - 1 C 46.86 - InfAuslR 1989, 152; Beschluss vom 10.02.1995 - 1 B 221.04 - InfAuslR 1995, 273, m.w.N.).
37 
Der Senat ist aufgrund der vorliegenden Akten und Unterlagen, insbesondere des von der Strafvollstreckungskammer im Verfahren auf Aussetzung der Reststrafe eingeholten, nachvollziehbaren und überzeugenden kriminalprognostischen Gutachtens vom 24.09.2011, sowie aufgrund der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass von diesem keine nennenswerte Gefahr der Wiederholung von entsprechenden Straftaten (mehr) ausgeht.
38 
Zu Lasten des Klägers sind in diesem Zusammenhang allerdings zunächst neben der Schwere des begangenen Delikts die konkreten Tatumstände zu berücksichtigen. Das Regierungspräsidium Karlsruhe hat in dem angefochtenen Bescheid zu Recht darauf hingewiesen, dass der Kläger zwar nicht der Haupttäter war, er jedoch als Inhaber des Wettbüros eine besondere Verantwortung für das Geschehen trug, und dass er über einen Zeitraum von über dreieinhalb Stunden an der Geiselnahme mitgewirkt hat, bei welcher durch eine menschenunwürdige Befragung unter Anwendung und Androhung von Gewalt der Versuch unternommen wurde, von der Angestellten N.G. ein Geständnis für den vermeintlich von dieser bzw. deren Freund begangenen Einbruch zu erhalten. Der Kläger war dabei auch nicht etwa nur passiv beteiligt, sondern unterstützte seine Mittäter aktiv. Bereits am Vorabend der Tat war verabredet worden, N.G. Ohrfeigen zu versetzen. Zwar nahm der Haupttäter B.A. die Schreckschusspistole ohne Wissen der anderen mit. Zum einen schritten sie aber nicht gegen B.A. ein, welcher den Eindruck erweckte, N.G. erschießen zu wollen. Zum anderen nutzten sie die dadurch bei N.G. entstandene Todesangst in der Folge weiter aus bei ihren Bemühungen, ein Geständnis zu erzwingen, und hielten diese aufrecht. Der Kläger hatte außerdem die Kellertür selbst verschlossen und versperrte mit seinen Füßen den Ausgang, so dass das Opfer keine Chance hatte, den Keller zu verlassen. Er beteiligte sich aktiv an Vorhaltungen und an den Forderungen, die Tat einzuräumen, wenngleich weniger intensiv als die Mitangeklagten B.A., Y.K. und E.G. Nachdem N.G. bereits mit der Schreckschusswaffe bedroht worden war und Todesangst litt, schaltete er auf Aufforderung des Haupttäters B.A. das Licht aus, so dass eine noch bedrohlichere Atmosphäre entstand. Später schlug er dem Haupttäter auf Türkisch vor, N.G. mit der Behauptung zusätzlich unter Druck zu setzen, man habe zwischenzeitlich ihren Freund mit einem Baseballschlager "zusammengeschlagen", woraufhin dieser gestanden hätte. Nachdem B.A. den Keller verlassen hatte, befragten der Kläger, Y.K. und T.K. das Opfer N.G. zunächst weiter, bevor sie diese freiließen. Der Kläger nahm damit massive körperliche und psychische Schädigungen der N.G. billigend in Kauf. Wenn auch er und die verbliebenen Mittäter in der Folge von einer weiteren Tatausführung absahen, weshalb das Strafgericht von einer tätigen Reue ausgegangen ist, teilt der Senat die Einschätzung des Regierungspräsidiums, dass die Tat und die Tatumstände für ein erhebliches Maß an krimineller Energie des Klägers sprechen. Es handelt sich um eine besonders gravierende und mit einer erschreckenden Härte und Mitleidlosigkeit begangene Straftat.
39 
Der Kläger hat sich zudem, abgesehen von mehreren Gesprächen mit einem Psychologen in der Justizvollzugsanstalt, nicht mit professioneller Hilfe mit der Tat und den Auswirkungen für das Opfer auseinandergesetzt. An der Tiefe der von ihm in der Vergangenheit in Gesprächen geäußerten Betroffenheit über das Geschehen sind nicht nur in den ersten Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt, sondern auch in dem kriminalprognostischen Gutachten vom 24.09.2011 Zweifel geäußert worden. In dem Gutachten heißt es, es bestehe der Eindruck, dass der Kläger insgesamt emotional stärker durch die Folgen der Tat für ihn und seine Familie als durch die Folgen für das Opfer betroffen sei. Auch habe er seinen eigenen Tatbeitrag im Rahmen der Begutachtung tendenziell eher heruntergespielt. Es hätten sich somit keine Hinweise für eine tiefergehende innere Auseinandersetzung mit der Tat, respektive mit dem eigenen Beitrag zum Tatgeschehen, gefunden. So habe dieser nicht plausibel und nachvollziehbar darlegen können, weshalb er sich in keiner erkennbaren Weise für das Opfer eingesetzt habe, obgleich er das Handeln seiner Mittäter missbilligt haben wolle. Die von ihm angeführte Begründung, dass er Angst davor gehabt hätte, der Mittäter B.A. könnte die Waffe gegen ihn selbst einsetzen, erscheine insgesamt wenig plausibel. Die fehlende Auseinandersetzung mit der Straftat und den in der eigenen Person liegenden diesbezüglich relevanten Einstellungen und Motiven wird von den Gutachtern daher in prognostischer Hinsicht als ungünstiger Faktor gewertet. Tatsächlich hat der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung nicht nachvollziehbar erklären können, wie es so weit hat kommen können, vor allem, warum er nicht irgendwann eingeschritten ist. Offensichtlich kann er sich das bis heute selbst nicht erklären. Den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung ließ sich aber eine - glaubhafte - starke Betroffenheit und Reue entnehmen. Dies wurde unter anderem deutlich, als er erläuterte, dass er sich vorgestellt habe, das Opfer wären seine Ehefrau oder seine Tochter gewesen, und dass ihm klar geworden sei, welche Folgen die Tat für N.G. habe. Abgesehen von dem bereits entrichteten Schmerzensgeld für N.G. würde er gerne alles unternehmen, damit es ihr besser gehe.
40 
Selbst wenn sich danach bis heute letztlich nicht erklären lässt, wie es zu einer solchen Straftat hat kommen können, und eine erschöpfende Auseinandersetzung mit der Tat fehlt, besteht beim Kläger nicht die Gefahr einer Wiederholung erheblicher Straftaten. Dabei ist zunächst zu bedenken, dass die Straftat inzwischen fast vier Jahre zurückliegt. Der Kläger war über drei Jahre lang in Untersuchungs- und Strafhaft, welche ihn erkennbar tief beeindruckt hat. Zuvor hat er sich - abgesehen von einem nicht einschlägigen und nicht mehr zu berücksichtigenden Straßenverkehrsdelikt im Jahr 1998 - über 10 Jahre lang straffrei und bis zur Übernahme des Wettbüros - dessen Beschäftige allerdings nicht alle ordnungsgemäß angemeldet gewesen seien - ohne Beanstandungen in Deutschland aufgehalten. Nach dem Gutachten vom 24.09.2011 finden sich keine Hinweise für Berührungspunkte mit "spezifisch delinquenznahem Milieu" und auch keine Hinweise für eine tiefer in der Persönlichkeit des Klägers verankerte delinquente Neigung, etwa eine dissoziale Akzentuierung in seiner Persönlichkeit. Anhaltspunkte für eine Sucht oder eine Bindung an ein entsprechendes Milieu liegen nicht vor. Vor allem lebte und lebt er in einer stabilen partnerschaftlichen Beziehung. Die Gutachter bescheinigen ihm, dass die von ihm bekundeten Sorgen um die Entwicklung der Familie und der Kinder nachvollziehbar und glaubhaft sind. In der mündlichen Verhandlung wurde deutlich, dass der Kläger tatsächlich einen starken Rückhalt durch seine Familie und weitere Verwandte hat. In Deutschland leben noch zwei seiner Brüder. Mit seiner Frau und seinen Kindern besucht er oft die Familie seiner Ehefrau, das heißt deren Eltern und Geschwister, oder einen seiner beiden Brüder, der ebenfalls in der Nähe wohnt. Seine Ehefrau, er und die Kinder unternehmen am Wochenende gemeinsame Ausflüge. Sie begleiten den Sohn, der Handball in der Verbandsliga spielt, zu dessen Spielen, gehen auf den Jahrmarkt, ins Kino, auf Messen oder zu Verwandtenbesuchen. Der Kläger ist dafür zuständig, seinen Kindern bei Hausaufgaben im Fach Mathematik zu helfen. Er hat glaubhaft erklärt, dass er sich jetzt nur noch um seine Familie kümmern wolle. Zu den früheren Mittätern oder deren Umfeld hat der Kläger keinerlei Kontakt mehr. Die danach bestehenden starken Bindungen des Klägers an seine Familie und sein soziales Umfeld wertet der Senat, ebenso wie die Gutachter, als prognostisch günstige Kriterien. Vor diesem Hintergrund erscheint die Befürchtung des Regierungspräsidiums, der Kläger könnte erneut in eine Situation geraten, in welcher besondere "situative Faktoren" wie die im kriminalprognostischen Gutachten beschriebenen - etwa das Eingebundensein in eine Tätergruppe mit freundschaftlichen Beziehungen und Loyalitäten und die Unterordnung unter eine dominant auftretende Persönlichkeit - zu einer ähnlichen Straftat mit Gewaltanwendung führen könnten, fernliegend.
41 
Soweit in den Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt mehrmals darauf hingewiesen wird, dass der Kläger versuche, eigene Anliegen hartnäckig durchzusetzen, lässt dies keinen negativen Schluss bezüglich der Gefahr der Wiederholung weiterer Straftaten zu. Jedenfalls wurden während seiner Haftzeit gegen ihn keine Disziplinarmaßnehmen verhängt und er arbeitete ohne Beanstandungen in Betrieben der Justizvollzugsanstalt. Zudem nahm er an einem Deutschkurs teil. Auch die Gutachter betonen, dass der Umstand, dass der Kläger seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse jeweils mit einem gewissen Nachdruck vorgetragen haben solle, nicht als prognoserelevanter Faktor verwertet werden könne. Sie kommen daher in ihrer zusammenfassenden Beurteilung zu dem Ergebnis, dass die weitgehend fehlende innere Auseinandersetzung des Klägers mit der Tat der einzige prognostisch ungünstige Faktor sei, welcher zusätzlich dadurch relativiert werde, dass die Tat nicht in hohem Maße in der Persönlichkeitsstruktur des Klägers verankert erscheine, sondern eng mit spezifischen situativen Konstellationen verknüpft gewesen sei. Die prognostisch günstigen Faktoren überwögen im Vergleich deutlich. In der Gesamtwürdigung sei somit trotz der mangelnden inneren Auseinandersetzung mit der Tat nicht mehr davon auszugehen, dass beim Kläger dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbestehe.
42 
Dieser Beurteilung schließt sich der Senat an. Die Einschätzung der Gutachter wurde auch von der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Karlsruhe im Beschluss über die Aussetzung der Reststrafe vom 21.12.2011 geteilt. Selbst wenn man davon ausgeht, dass entsprechenden strafgerichtlichen Entscheidungen wegen der unterschiedlichen Maßstäbe und Prognosezeitpunkte nur eingeschränkte Bedeutung bei der im Ausweisungsverfahren zu treffenden Prognoseentscheidung zukommt (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3; weitergehend allerdings bei Assoziationsberechtigten: Senatsurteil vom 07.03.2012 - 11 S 3269/11 - InfAuslR 2012, 203), so ist die Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe hier jedenfalls als wesentliches Indiz zu berücksichtigen. Die Strafvollstreckungskammer ist nach Einholung des kriminalprognostischen Gutachtens vom 24.09.2011 zum Ergebnis gekommen, dass eine vorzeitige Entlassung aus dem Strafvollzug verantwortet werden könne. Sie hat zur Begründung ebenfalls darauf verwiesen, dass der Kläger bis zu der Geiselnahme strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei und ein sozial voll integriertes Leben geführt habe. Der Anteil des Klägers an der verurteilten Straftat stelle sich, gerade bei den Gewalttätigkeiten, eher als gering dar. Der psychiatrische Sachverständige habe ausgeführt, die Tatsache, dass sich der Kläger mit der Tat allenfalls ansatzweise auseinandergesetzt habe, sei zwar als ungünstig zu beurteilen, im Hinblick auf die spezifische situative Konstellation bei der Tat und die im Übrigen festgestellte Eingebundenheit des Klägers seien aber mit hoher Wahrscheinlichkeit keine entsprechenden Taten zu erwarten. Der Kläger selbst habe in der mündlichen Anhörung auf die Strafvollstreckungskammer einen überaus positiven Eindruck gemacht. Sie sei daher davon überzeugt, dass es ihm mit der Hilfe und der Aufsicht eines Bewährungshelfers gelingen werden, künftig ein straffreies Leben zu führen, zumal er dabei sei, sich in einer anderen Berufssparte zu etablieren.
43 
Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung sind zudem weitere Umstände gegeben, die eine günstige Prognose rechtfertigen. Der Kläger hat sich seit der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer und der Haftentlassung vor fast einem Jahr weiter bewährt. Er hat keine Schulden mehr. Weil er zunächst Probleme hatte, eine bereits bestehende Fahrerlaubnis für LKW mit einem Gesamtgewicht von über 7,5 t ausgestellt zu bekommen, gelang es ihm zwar nicht sofort nach der Haftentlassung, eine Arbeitsstelle zu finden. Seit Juli 2012 ist er aber als Fahrer bei einer Firma in Karlsruhe angestellt. In einem Schreiben der Firma vom 28.09.2012 wird bestätigt, dass dieser gewissenhaft, zuverlässig und pünktlich sei; an einer Weiterbeschäftigung bestehe Interesse. Die Bewährungshelferin des Klägers äußert sich in einem Bericht vom 24.07.2012 insgesamt ebenfalls positiv. Sie bestätigt, dass sich der Kläger intensiv um einen Arbeitsplatz bemüht, diesen wegen der Probleme mit dem Führerschein aber zunächst nicht erhalten habe. Nach der Haftentlassung sei es ihm zunächst gesundheitlich nicht gut gegangen, er sei wegen einer Depression ärztlich behandelt worden und habe im Mai und Juni wegen Nierenschmerzen und Nierensteinen stationär behandelt werden müssen. An dem bisherigen Bewährungsverlauf sei insgesamt nichts zu beanstanden, der Kläger halte vereinbarte Termine regelmäßig ein, spreche bei auftauchenden Problemen auch ohne Termin vor. Zur Zeit genügt der Verdienst des Klägers - seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung nach inzwischen in Höhe von 800,- bis 1.200,-- EUR netto monatlich - zwar noch nicht zum Lebensunterhalt der Familie. Er und seine Ehefrau haben jedoch konkrete Pläne, mit Hilfe einer selbstständigen Tätigkeit wieder ohne staatliche Unterstützungen leben zu können. Der Kläger ist weiter nicht nur in seine eigene "Kernfamilie" eingebunden, sondern hat zudem regelmäßigen Kontakt zu seinen Schwiegereltern, seinem Bruder und anderen Verwandten.
44 
bb) Wenn danach auch davon auszugehen ist, dass mit Blick auf die spezialpräventiven Gesichtspunkte ein atypischer Sachverhalt vorliegt, mithin kein Regelfall des § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG gegeben ist, ist aber das Vorliegen eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes bezüglich der vom beklagten Land angeführten generalpräventiven Gesichtspunkte zu bejahen.
45 
Generalpräventiv motivierte Ausweisungen können - ausnahmsweise - auch bei Ausländern zulässig sein, denen besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 AufenthG zukommt, wenn eine besonders schwerwiegende Straftat vorliegt und deshalb ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über eine strafrechtliche Sanktion hinaus durch eine Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, Urteile 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, und vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 - InfAuslR 1997, 8). Bei der Entscheidung sind alle wesentlichen Umstände des Einzelfalls in die Beurteilung einzubeziehen. Das Gewicht der Straftat ist nicht abstrakt, sondern konkret nach den Umständen der Tatbegehung zu bestimmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 - a.a.O.).
46 
Nach diesen Grundsätzen kann die Ausweisung hier wegen der Art und Schwere der Straftat - der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - und der geschilderten konkreten, sich über mehrere Stunden hinziehenden Tatausführung auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden. Eine abschreckende Wirkung erscheint auch mit Blick darauf wichtig, dass es sich um einen Fall von besonders skrupelloser "Selbstjustiz" gehandelt hat. Schließlich war der Einbruch in das Wettbüro des Klägers vom 29.11.2008 bereits bei der Polizei angezeigt worden. Nach Bekanntwerden der Umstände, die aus Sicht des Klägers und der Mitangeklagten für eine Täterschaft der Angestellten N.G. bzw. ihres Freundes sprachen, hatte Y.K. noch am selben Abend die Polizei auch darüber informiert. Ausweislich der Feststellungen im Strafurteil vom 30.06.2009 hatte der Polizeibeamte, welcher aufgrund der vagen Verdächtigungen keinen Grund gesehen hatte, umgehend einzuschreiten, Y.K ausdrücklich davor gewarnt, eigene Aktionen zu unternehmen. Dies hatte Y.K dem Kläger berichtet. Trotzdem verabredeten Y.K., der Kläger und die weiteren Mittäter, N.G. zur Rede zu stellen, um - gegebenenfalls mit Hilfe von Ohrfeigen - ein Geständnis zu erzwingen, und begingen am nächsten Morgen die Straftat.
47 
c) Ist der die Ausweisung tragende Grund somit hinsichtlich der generalpräventiven Gesichtspunkte schwerwiegend, so ist der Kläger an sich gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG in der Regel auszuweisen, weil er den Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 1 AufenthG verwirklicht hat. Das Regierungspräsidium hat insoweit wegen der bestehenden familiären Lebensgemeinschaft des Klägers mit seiner deutschen Ehefrau und den vier deutschen Kindern allerdings zu Recht einen Ausnahmefall angenommen, der eine Abweichung von dieser Regel gebietet, und nach Ermessen entschieden.
48 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - InfAuslR 2008, 116, m.w.N.) ist von einem die Regel durchbrechenden Ausnahmefall bereits dann auszugehen, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falls erfordern. Es kann offen bleiben, ob dies bereits dann anzunehmen ist, wenn der Schutzbereich der betroffenen Grundrechte bzw. Menschenrechte, hier Art. 6 und Art. 2 GG bzw. Art. 8 EMRK, lediglich berührt ist oder ob bereits in diesem Zusammenhang die Feststellung eines qualifizierten Eingriffs erforderlich ist. Denn jedenfalls würde im Fall des Klägers wegen der bestehenden familiären Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Ehefrau und deutschen Kindern allein durch die Herabstufung von der "Ist-Ausweisung" zu einer "Regelausweisung" durch § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG dem besonderen Schutz der Familie durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK noch nicht hinreichend einzelfallbezogen Rechnung getragen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sind dann wesentlich konkreter und einzelfallbezogener neben allen ehelichen und familiären Umständen auch andere gewichtige persönlichen Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen und eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen (vgl. zu alledem auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - InfAuslR 2007, 443).
49 
4. Das danach dem Regierungspräsidium bei der Entscheidung über die Ausweisung zustehende und nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbare Ermessen ist hier von vornherein "auf Null reduziert", weil die mit einer Ausweisung verbundenen Folgen mit Blick auf die Schutzwirkungen von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK als unverhältnismäßig anzusehen sind.
50 
Bei der Entscheidung, ob eine im Ermessen der Ausländerbehörde stehende Ausweisung tatsächlich verfügt wird, sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die in § 55 Abs. 3 AufenthG aufgeführten, nämlich die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts, die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige oder Lebenspartner des Ausländer, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben, und die in § 60a Abs. 2 und 2b AufenthG genannten Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung. Dabei sind der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Grundrechte des Betroffenen zu beachten, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK, Art. 6 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG). Liegt ein Eingriff in diese Rechte vor, ist ohnehin eine einzelfallbezogene Würdigung und Abwägung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers unter Beachtung der insbesondere vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK entwickelten Kriterien vorzunehmen (BVerwG, Beschluss vom 10.02.2011 - 1 B 22.10 - Buchholz 402.242 § 56 AufenthG Nr. 5, m.w.N.; Urteil vom 22.10.2009 - 1 C 26.08 - InfAuslR 2010, 91). Dabei sind neben allen ehelichen und familiären Umständen auch andere gewichtige persönliche Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK darf eine Behörde in die Ausübung des Rechts aus Art. 8 Abs. 1 EMRK nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Die Frage, ob der durch eine Ausweisung bewirkte Eingriff im konkreten Einzelfall in diesem Sinne „notwendig“, insbesondere verhältnismäßig ist, ist anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist dabei von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen, den so genannten Boultif/Üner-Kriterien (vgl. zu den Kriterien im Einzelnen: EGMR, Urteile vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00, Boultif - InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99, Üner - NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/03, Maslov II - InfAuslR 2008, 333, vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05, Mutlag - InfAuslR 2010, 325, und vom 13.10.2011 - Nr. 41548/06, Trabelsi - juris). Erweisen sich danach die rechtlichen oder tatsächlichen Auswirkungen einer Ausweisung in Ansehung von Art. 6 Abs. 1 GG als unverhältnismäßig bzw. im Sinne des Art. 8 EMRK als "nicht notwendig", ist das Ermessen der Behörde mit der Folge "auf Null reduziert", dass eine Ausweisung des Betreffenden ausscheidet.
51 
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist eine Ausweisung des Klägers hier unzulässig. Der Kläger ist bereits seit 1996 mit seiner Ehefrau verheiratet, welche in Deutschland geboren ist und seit 1998 die deutsche Staatangehörigkeit besitzt. Mir ihr und den vier gemeinsamen, zwischen 4 und 15 Jahre alten Kindern, die ebenfalls Deutsche sind, lebt er in enger familiärer Lebensgemeinschaft. Diesem Umstand kommt eine erhebliche und weitreichende, durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK vermittelte Schutzwirkung zu, welche durch die deutsche Staatsangehörigkeit der Ehefrau und Kinder noch verstärkt wird (vgl. schon BVerwG, Urteile vom 03.05.1973 - I C 33.72 - BVerwGE 42, 133, vom 27.09.1978 - I C 79.76 - BVerwGE 56, 246, vom 17.01.1989 - 1 C 46.86 -InfAuslR 1989, 159; vgl. auch auch BVerfG, Beschluss vom 18.07.1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386; Kammerbeschlüsse vom 15.06.1993 - 2 BvR 900/93 - InfAuslR 1994, 311, und vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320). Dies wird auch nicht etwa durch den Umstand relativiert, dass die Ehefrau früher noch die türkische Staatsangehörigkeit hatte bzw. deren Eltern aus dem Heimatland des Klägers stammen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291, und vom 30.09.2009 - 13 S 440/09 -; HessVGH, Beschluss vom 15.07.2003 - 12 TG 1484/03 - InfAuslR 2003, 388). Insbesondere kann von der Ehefrau und den Kindern nicht verlangt werden, dass sie mit dem Kläger in die Türkei ausreisen.
52 
Die bestehenden tiefen Bindungen des Klägers zu seiner Familie werden belegt durch die vielen Besuche während seiner Haftzeit. Wie ausgeführt, hat der Kläger offensichtlich ein enges und intaktes Verhältnis zu seiner Ehefrau und seinen Kindern. Er übernimmt die Erziehung der Kinder gemeinsam mit seiner Ehefrau. In Anbetracht des jungen Alters der Kinder hätte eine - wenn auch nur vorübergehende - Trennung für diese ein besonderes Gewicht (vgl. zu Kindern in den ersten Lebensjahren BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320, und vom 01.12.2008 - 2 BvR 1830/08 -juris). Deren Belangen könnte daher auch durch eine Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf einen bestimmten - nicht zu langen - Zeitraum nicht hinreichend Rechnung getragen werden.
53 
Auf der anderen Seite ist das öffentliche Interesse einer Ausweisung hier gemindert, weil ungeachtet der Schwere der vom Kläger begangenen Straftat nicht mehr von einer relevanten Wiederholungsgefahr ausgegangen werden kann. Allein die generalpräventiven Erwägungen vermögen den mit einer Ausweisung verbundenen Eingriff in Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht zu rechtfertigen. Wie ausgeführt, ist zwar davon auszugehen, dass eine besonders schwerwiegende Straftat vorliegt und deshalb - grundsätzlich - ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über eine strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, Urteile 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, und vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 -InfAuslR 1997, 8). Dieses vermag aber in Anbetracht der konkreten Umstände des vorliegenden Falles den Eingriff in das Schutzgebot von Art. 6 Abs. 1 GG bzw. das Achtungsgebots des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht zu rechtfertigen. Dabei ist von besonderer Relevanz, dass die Tat annähernd vier Jahre zurückliegt und der Kläger seine Strafe verbüßt hat. Auch sind die bereits im Rahmen der Prüfung der Wiederholungsgefahr angeführten, für den Kläger sprechenden weiteren Umstände zu berücksichtigen, etwa dass er sich bereits seit 1996 rechtmäßig hier aufhält, zuvor - bis auf das Verkehrsdelikt - nie straffällig geworden war, außerdem dass er sich immer bemüht hat, ausreichend für seine Familie und sich zu sorgen und sich auch seit seiner Haftentlassung bewährt hat.
54 
Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass die Ausweisung des Klägers hier im Ergebnis selbst dann als unverhältnismäßig anzusehen ist, wenn man noch vom Bestehen einer geringen, aber die Erheblichkeitsschwelle übersteigenden Wiederholungsgefahr und damit dem Vorliegen spezialpräventiver Ausweisungsgründe ausginge. Denn aus den - zur Unverhältnismäßigkeit einer generalpräventiv motivierten Ausweisung - angeführten Gründen führt die danach erforderliche Abwägung ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die privaten Interessen des Klägers und seiner Familienangehörigen das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung überwiegen.
II.
55 
Unter diesen Umständen ist auch die im Bescheid vom 22.10.2010 verfügten Abschiebungsandrohung rechtswidrig und aufzuheben.
56 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
57 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
58 
Beschluss vom 23. Oktober 2012
59 
Der Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt (§§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG).
60 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
24 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht und ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 6 und Abs. 3 Satz 4 VwGO) Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 hat Erfolg. Die Anfechtungsklage des Klägers gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteile vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - InfAuslR 2008, 156, und vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris) begründet. Die darin unter Ziffer 1 verfügte Ausweisung und die Abschiebungsandrohung unter Ziffern 2 und 3 sind rechtswidrig und verletzen dadurch den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Einer Entscheidung über den vom Kläger im Berufungsverfahren lediglich hilfsweise gestellten Antrag auf Verpflichtung des beklagten Landes zur Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 bezeichneten Wirkungen der Ausweisung "auf sofort" (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O.) bedarf es daher nicht.
I.
25 
Die auf §§ 53 Nr. 1, 56 Abs. 1, 55 AufenthG beruhende (dazu unter 1. und 2.) Ausweisung des Klägers, die hier im Ermessen des beklagten Landes steht (3.), ist mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz rechtswidrig (4.).
26 
1. Maßgebliche Rechtsgrundlage sind die §§ 53 Nr. 1, 56 Abs. 1, 55 AufenthG.
27 
Insbesondere sind nicht etwa allein wegen des Umstands, dass die Ehefrau und die Kinder des Klägers deutsche Staatsangehörige sind, besondere unionsrechtliche Anforderungen zu beachten (vgl. hierzu EuGH, Urteile vom 05.05.2011 - Rs. C-434/09, McCarthy - InfAuslR 2011, 268, und vom 15.11.2011 - Rs. C-256/11, Dereci - InfAuslR 2012, 47; Senatsurteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 - NVwZ-RR 2012, 412).
28 
Eine nur beschränkte Anwendbarkeit der Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG folgt hier auch nicht aus dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: ARB 1/80; vgl. insbesondere Art. 14 ARB 1/80). Eine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80 hat der Kläger nicht erworben, weil seine Ehefrau vor Ablauf von drei Jahren nach Zuzug des Klägers eingebürgert wurde und die türkische Staatsangehörigkeit aufgegeben hat (vgl. dazu Renner, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 4 Rn. 156 m.w.N.). Ob er jemals die Voraussetzungen des - hier allein in Betracht kommenden - 2. Spiegelstrichs des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erfüllt hat, kann offen bleiben. Denn er hat eine eventuelle Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 durch die spätere Aufnahme selbstständiger Tätigkeiten, zuletzt den Betrieb des Wettbüros - aufgrund dessen der Kläger jedenfalls dem Arbeitsmarkt auf unabsehbare Zeit nicht mehr zur Verfügung stand - verloren (streitig, ebenso: Hess. VGH, Urteil vom 09.02.2004 - 12 TG 3548/03 - InfAuslR 2004, 230; Bayer. VGH, Urteil vom 26.03.2007 - 24 BV 03.2091 - juris; vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18.10.2006 - 13 S 192/06 - InfAuslR 2007, 49; a.A. VG Stuttgart, Urteil vom 23.05.2011 - 11 K 2967/10 - juris; vgl. zum Streitstand GK-AufenthG, Stand: September 2012, IX - 1 Art. 6 Rn. 238 f.; Hailbronner, AuslR, Stand: August 2012, D 5.1, Art. 6 ARB 1/80 Rn. 46). Letztlich kommt es aber auf diese Frage hier nicht an. Folge einer assoziationsrechtlichen Rechtsstellung des Klägers wäre ein erhöhter Ausweisungsschutz (vgl. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80; Senatsurteil vom 16.04.2012 - 11 S 4/12 - juris m.w.N.). Wie sich aus dem Folgenden ergibt, erweist sich die Ausweisung auch dann als rechtswidrig und ist daher aufzuheben, wenn ihm dieser nicht zukäme.
29 
2. Allerdings sind die Tatbestandsvoraussetzungen einer "Ist-Ausweisung" nach § 53 Nr. 1 AufenthG gegeben. Danach wird ein Ausländer unter anderem dann ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das ist hier wegen der Verurteilung des Klägers durch das Landgericht Karlsruhe vom 30.06.2009 wegen Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten der Fall.
30 
3. Trotz Erfüllung des an sich zwingenden Ausweisungsgrundes des § 53 Nr. 1 AufenthG steht die Ausweisung des Klägers jedoch im Ermessen und ist deshalb nach § 55 AufenthG zu beurteilen. Der Kläger genießt unstreitig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz (a). Er darf daher gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Solche liegen gemäß § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 AufenthG, also auch hier, vor. Diesbezüglich ist auch nicht vom Vorliegen eines Ausnahmefalls auszugehen (b). Hier ist aber eine Ausnahme von der "Regelrechtsfolge" des § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG geboten, wonach der betreffende Ausländer bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 AufenthG "in der Regel" ausgewiesen wird. Über seine Ausweisung ist daher nach Ermessen zu entscheiden (c).
31 
a) § 56 Abs. 1 AufenthG ist aus zwei Gründen anzuwenden: Zum einen besitzt der Kläger eine Niederlassungserlaubnis und hält sich seit mehr als fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet auf (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG), zum anderen lebt er mit deutschen Familienangehörigen - seiner Ehefrau und seinen Kindern - in familiärer Lebensgemeinschaft (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG).
32 
b) Der danach für eine Ausweisung des Klägers erforderliche schwerwiegende Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG ist gegeben.
33 
Nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5, 5 bis 5b und 7 AufenthG vor. Diese gesetzliche Vermutung beruht darauf, dass bei Verwirklichung der genannten Ausweisungstatbestände regelmäßig das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Ausweisung des Ausländers erfordert und der vom Gesetz bezweckte Schutz des Ausländers dahinter zurückzutreten hat. Die Regelung enthält allerdings keine Automatik, sondern erfordert eine individuelle Prüfung im jeweiligen Einzelfall, ob nicht Besonderheiten vorliegen, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass - hier des § 53 AufenthG - als weniger gewichtig erscheinen lassen. Davon ist auszugehen, wenn im konkreten Fall weder die spezial- noch die generalpräventiven Ausweisungszwecke des betreffenden Ausweisungstatbestands in dem erforderlichen Ausmaß vorliegen (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, m.w.N.; vgl. auch Senatsurteil vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 02.07.2001 - 13 S 2326/99 - InfAuslR 2002, 72).
34 
Im Falle des Klägers ist zwar nicht mit Blick auf den spezialpräventiven Ausweisungszweck (aa), aber vor dem Hintergrund der zulässigen generalpräventiven Erwägungen ein schwerwiegender Ausweisungsgrund (bb) zu bejahen.
35 
aa) Zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kann nicht (mehr) davon ausgegangen werden, dass vom Kläger die Gefahr der Wiederholung erheblicher Straftaten ausgeht. Die Ausweisung kann daher nicht mehr auf spezialpräventive Gründe gestützt werden.
36 
Allerdings ist der Ausweisungsanlass - die vom Kläger begangene Straftat der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - besonders gravierend. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 - juris, vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris, vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3, und vom 03.08.2004 - 1 C 30.02 -InfAuslR 2005, 18), der sich der Senat anschließt (einschränkend noch Senatsurteile vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 - NVwZ-RR 2012, 492, und vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291), gelten bei Straftaten mit einer hervorgehobenen Bedeutung für die im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr eher geringere Anforderungen. In den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 AufenthG besteht auch eine gesetzliche Vermutung des Vorliegens eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes in § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG. Selbst wenn man danach einem differenzierten Wahrscheinlichkeitsmaßstab folgt, bedeutet dies aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O. m.w.N.). Dies gilt nicht nur bei der Prüfung der Wiederholungsgefahr bei Assoziationsberechtigten oder Unionsbürgern, sondern jedenfalls auch bei Ausländern, denen besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 AufenthG zusteht. Auch in diesen Fällen müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit von dem Betreffenden eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht. Lässt sich die Begehung weiterer Straftaten lediglich nicht ausschließen, ist eine dem besonderen Ausweisungsschutz Rechnung tragende erhöhte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung noch nicht gegeben, so dass auch der Ausweisungsgrund nicht schwer wiegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O., sowie - zu den entsprechenden Vorgängerregelungen des § 47 Abs. 1 AuslG 1990 bzw. § 11 Abs. 1 AuslG 1965 - Urteile vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 -InfAuslR 1997, 8, und vom 17.01.1989 - 1 C 46.86 - InfAuslR 1989, 152; Beschluss vom 10.02.1995 - 1 B 221.04 - InfAuslR 1995, 273, m.w.N.).
37 
Der Senat ist aufgrund der vorliegenden Akten und Unterlagen, insbesondere des von der Strafvollstreckungskammer im Verfahren auf Aussetzung der Reststrafe eingeholten, nachvollziehbaren und überzeugenden kriminalprognostischen Gutachtens vom 24.09.2011, sowie aufgrund der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass von diesem keine nennenswerte Gefahr der Wiederholung von entsprechenden Straftaten (mehr) ausgeht.
38 
Zu Lasten des Klägers sind in diesem Zusammenhang allerdings zunächst neben der Schwere des begangenen Delikts die konkreten Tatumstände zu berücksichtigen. Das Regierungspräsidium Karlsruhe hat in dem angefochtenen Bescheid zu Recht darauf hingewiesen, dass der Kläger zwar nicht der Haupttäter war, er jedoch als Inhaber des Wettbüros eine besondere Verantwortung für das Geschehen trug, und dass er über einen Zeitraum von über dreieinhalb Stunden an der Geiselnahme mitgewirkt hat, bei welcher durch eine menschenunwürdige Befragung unter Anwendung und Androhung von Gewalt der Versuch unternommen wurde, von der Angestellten N.G. ein Geständnis für den vermeintlich von dieser bzw. deren Freund begangenen Einbruch zu erhalten. Der Kläger war dabei auch nicht etwa nur passiv beteiligt, sondern unterstützte seine Mittäter aktiv. Bereits am Vorabend der Tat war verabredet worden, N.G. Ohrfeigen zu versetzen. Zwar nahm der Haupttäter B.A. die Schreckschusspistole ohne Wissen der anderen mit. Zum einen schritten sie aber nicht gegen B.A. ein, welcher den Eindruck erweckte, N.G. erschießen zu wollen. Zum anderen nutzten sie die dadurch bei N.G. entstandene Todesangst in der Folge weiter aus bei ihren Bemühungen, ein Geständnis zu erzwingen, und hielten diese aufrecht. Der Kläger hatte außerdem die Kellertür selbst verschlossen und versperrte mit seinen Füßen den Ausgang, so dass das Opfer keine Chance hatte, den Keller zu verlassen. Er beteiligte sich aktiv an Vorhaltungen und an den Forderungen, die Tat einzuräumen, wenngleich weniger intensiv als die Mitangeklagten B.A., Y.K. und E.G. Nachdem N.G. bereits mit der Schreckschusswaffe bedroht worden war und Todesangst litt, schaltete er auf Aufforderung des Haupttäters B.A. das Licht aus, so dass eine noch bedrohlichere Atmosphäre entstand. Später schlug er dem Haupttäter auf Türkisch vor, N.G. mit der Behauptung zusätzlich unter Druck zu setzen, man habe zwischenzeitlich ihren Freund mit einem Baseballschlager "zusammengeschlagen", woraufhin dieser gestanden hätte. Nachdem B.A. den Keller verlassen hatte, befragten der Kläger, Y.K. und T.K. das Opfer N.G. zunächst weiter, bevor sie diese freiließen. Der Kläger nahm damit massive körperliche und psychische Schädigungen der N.G. billigend in Kauf. Wenn auch er und die verbliebenen Mittäter in der Folge von einer weiteren Tatausführung absahen, weshalb das Strafgericht von einer tätigen Reue ausgegangen ist, teilt der Senat die Einschätzung des Regierungspräsidiums, dass die Tat und die Tatumstände für ein erhebliches Maß an krimineller Energie des Klägers sprechen. Es handelt sich um eine besonders gravierende und mit einer erschreckenden Härte und Mitleidlosigkeit begangene Straftat.
39 
Der Kläger hat sich zudem, abgesehen von mehreren Gesprächen mit einem Psychologen in der Justizvollzugsanstalt, nicht mit professioneller Hilfe mit der Tat und den Auswirkungen für das Opfer auseinandergesetzt. An der Tiefe der von ihm in der Vergangenheit in Gesprächen geäußerten Betroffenheit über das Geschehen sind nicht nur in den ersten Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt, sondern auch in dem kriminalprognostischen Gutachten vom 24.09.2011 Zweifel geäußert worden. In dem Gutachten heißt es, es bestehe der Eindruck, dass der Kläger insgesamt emotional stärker durch die Folgen der Tat für ihn und seine Familie als durch die Folgen für das Opfer betroffen sei. Auch habe er seinen eigenen Tatbeitrag im Rahmen der Begutachtung tendenziell eher heruntergespielt. Es hätten sich somit keine Hinweise für eine tiefergehende innere Auseinandersetzung mit der Tat, respektive mit dem eigenen Beitrag zum Tatgeschehen, gefunden. So habe dieser nicht plausibel und nachvollziehbar darlegen können, weshalb er sich in keiner erkennbaren Weise für das Opfer eingesetzt habe, obgleich er das Handeln seiner Mittäter missbilligt haben wolle. Die von ihm angeführte Begründung, dass er Angst davor gehabt hätte, der Mittäter B.A. könnte die Waffe gegen ihn selbst einsetzen, erscheine insgesamt wenig plausibel. Die fehlende Auseinandersetzung mit der Straftat und den in der eigenen Person liegenden diesbezüglich relevanten Einstellungen und Motiven wird von den Gutachtern daher in prognostischer Hinsicht als ungünstiger Faktor gewertet. Tatsächlich hat der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung nicht nachvollziehbar erklären können, wie es so weit hat kommen können, vor allem, warum er nicht irgendwann eingeschritten ist. Offensichtlich kann er sich das bis heute selbst nicht erklären. Den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung ließ sich aber eine - glaubhafte - starke Betroffenheit und Reue entnehmen. Dies wurde unter anderem deutlich, als er erläuterte, dass er sich vorgestellt habe, das Opfer wären seine Ehefrau oder seine Tochter gewesen, und dass ihm klar geworden sei, welche Folgen die Tat für N.G. habe. Abgesehen von dem bereits entrichteten Schmerzensgeld für N.G. würde er gerne alles unternehmen, damit es ihr besser gehe.
40 
Selbst wenn sich danach bis heute letztlich nicht erklären lässt, wie es zu einer solchen Straftat hat kommen können, und eine erschöpfende Auseinandersetzung mit der Tat fehlt, besteht beim Kläger nicht die Gefahr einer Wiederholung erheblicher Straftaten. Dabei ist zunächst zu bedenken, dass die Straftat inzwischen fast vier Jahre zurückliegt. Der Kläger war über drei Jahre lang in Untersuchungs- und Strafhaft, welche ihn erkennbar tief beeindruckt hat. Zuvor hat er sich - abgesehen von einem nicht einschlägigen und nicht mehr zu berücksichtigenden Straßenverkehrsdelikt im Jahr 1998 - über 10 Jahre lang straffrei und bis zur Übernahme des Wettbüros - dessen Beschäftige allerdings nicht alle ordnungsgemäß angemeldet gewesen seien - ohne Beanstandungen in Deutschland aufgehalten. Nach dem Gutachten vom 24.09.2011 finden sich keine Hinweise für Berührungspunkte mit "spezifisch delinquenznahem Milieu" und auch keine Hinweise für eine tiefer in der Persönlichkeit des Klägers verankerte delinquente Neigung, etwa eine dissoziale Akzentuierung in seiner Persönlichkeit. Anhaltspunkte für eine Sucht oder eine Bindung an ein entsprechendes Milieu liegen nicht vor. Vor allem lebte und lebt er in einer stabilen partnerschaftlichen Beziehung. Die Gutachter bescheinigen ihm, dass die von ihm bekundeten Sorgen um die Entwicklung der Familie und der Kinder nachvollziehbar und glaubhaft sind. In der mündlichen Verhandlung wurde deutlich, dass der Kläger tatsächlich einen starken Rückhalt durch seine Familie und weitere Verwandte hat. In Deutschland leben noch zwei seiner Brüder. Mit seiner Frau und seinen Kindern besucht er oft die Familie seiner Ehefrau, das heißt deren Eltern und Geschwister, oder einen seiner beiden Brüder, der ebenfalls in der Nähe wohnt. Seine Ehefrau, er und die Kinder unternehmen am Wochenende gemeinsame Ausflüge. Sie begleiten den Sohn, der Handball in der Verbandsliga spielt, zu dessen Spielen, gehen auf den Jahrmarkt, ins Kino, auf Messen oder zu Verwandtenbesuchen. Der Kläger ist dafür zuständig, seinen Kindern bei Hausaufgaben im Fach Mathematik zu helfen. Er hat glaubhaft erklärt, dass er sich jetzt nur noch um seine Familie kümmern wolle. Zu den früheren Mittätern oder deren Umfeld hat der Kläger keinerlei Kontakt mehr. Die danach bestehenden starken Bindungen des Klägers an seine Familie und sein soziales Umfeld wertet der Senat, ebenso wie die Gutachter, als prognostisch günstige Kriterien. Vor diesem Hintergrund erscheint die Befürchtung des Regierungspräsidiums, der Kläger könnte erneut in eine Situation geraten, in welcher besondere "situative Faktoren" wie die im kriminalprognostischen Gutachten beschriebenen - etwa das Eingebundensein in eine Tätergruppe mit freundschaftlichen Beziehungen und Loyalitäten und die Unterordnung unter eine dominant auftretende Persönlichkeit - zu einer ähnlichen Straftat mit Gewaltanwendung führen könnten, fernliegend.
41 
Soweit in den Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt mehrmals darauf hingewiesen wird, dass der Kläger versuche, eigene Anliegen hartnäckig durchzusetzen, lässt dies keinen negativen Schluss bezüglich der Gefahr der Wiederholung weiterer Straftaten zu. Jedenfalls wurden während seiner Haftzeit gegen ihn keine Disziplinarmaßnehmen verhängt und er arbeitete ohne Beanstandungen in Betrieben der Justizvollzugsanstalt. Zudem nahm er an einem Deutschkurs teil. Auch die Gutachter betonen, dass der Umstand, dass der Kläger seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse jeweils mit einem gewissen Nachdruck vorgetragen haben solle, nicht als prognoserelevanter Faktor verwertet werden könne. Sie kommen daher in ihrer zusammenfassenden Beurteilung zu dem Ergebnis, dass die weitgehend fehlende innere Auseinandersetzung des Klägers mit der Tat der einzige prognostisch ungünstige Faktor sei, welcher zusätzlich dadurch relativiert werde, dass die Tat nicht in hohem Maße in der Persönlichkeitsstruktur des Klägers verankert erscheine, sondern eng mit spezifischen situativen Konstellationen verknüpft gewesen sei. Die prognostisch günstigen Faktoren überwögen im Vergleich deutlich. In der Gesamtwürdigung sei somit trotz der mangelnden inneren Auseinandersetzung mit der Tat nicht mehr davon auszugehen, dass beim Kläger dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbestehe.
42 
Dieser Beurteilung schließt sich der Senat an. Die Einschätzung der Gutachter wurde auch von der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Karlsruhe im Beschluss über die Aussetzung der Reststrafe vom 21.12.2011 geteilt. Selbst wenn man davon ausgeht, dass entsprechenden strafgerichtlichen Entscheidungen wegen der unterschiedlichen Maßstäbe und Prognosezeitpunkte nur eingeschränkte Bedeutung bei der im Ausweisungsverfahren zu treffenden Prognoseentscheidung zukommt (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3; weitergehend allerdings bei Assoziationsberechtigten: Senatsurteil vom 07.03.2012 - 11 S 3269/11 - InfAuslR 2012, 203), so ist die Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe hier jedenfalls als wesentliches Indiz zu berücksichtigen. Die Strafvollstreckungskammer ist nach Einholung des kriminalprognostischen Gutachtens vom 24.09.2011 zum Ergebnis gekommen, dass eine vorzeitige Entlassung aus dem Strafvollzug verantwortet werden könne. Sie hat zur Begründung ebenfalls darauf verwiesen, dass der Kläger bis zu der Geiselnahme strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei und ein sozial voll integriertes Leben geführt habe. Der Anteil des Klägers an der verurteilten Straftat stelle sich, gerade bei den Gewalttätigkeiten, eher als gering dar. Der psychiatrische Sachverständige habe ausgeführt, die Tatsache, dass sich der Kläger mit der Tat allenfalls ansatzweise auseinandergesetzt habe, sei zwar als ungünstig zu beurteilen, im Hinblick auf die spezifische situative Konstellation bei der Tat und die im Übrigen festgestellte Eingebundenheit des Klägers seien aber mit hoher Wahrscheinlichkeit keine entsprechenden Taten zu erwarten. Der Kläger selbst habe in der mündlichen Anhörung auf die Strafvollstreckungskammer einen überaus positiven Eindruck gemacht. Sie sei daher davon überzeugt, dass es ihm mit der Hilfe und der Aufsicht eines Bewährungshelfers gelingen werden, künftig ein straffreies Leben zu führen, zumal er dabei sei, sich in einer anderen Berufssparte zu etablieren.
43 
Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung sind zudem weitere Umstände gegeben, die eine günstige Prognose rechtfertigen. Der Kläger hat sich seit der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer und der Haftentlassung vor fast einem Jahr weiter bewährt. Er hat keine Schulden mehr. Weil er zunächst Probleme hatte, eine bereits bestehende Fahrerlaubnis für LKW mit einem Gesamtgewicht von über 7,5 t ausgestellt zu bekommen, gelang es ihm zwar nicht sofort nach der Haftentlassung, eine Arbeitsstelle zu finden. Seit Juli 2012 ist er aber als Fahrer bei einer Firma in Karlsruhe angestellt. In einem Schreiben der Firma vom 28.09.2012 wird bestätigt, dass dieser gewissenhaft, zuverlässig und pünktlich sei; an einer Weiterbeschäftigung bestehe Interesse. Die Bewährungshelferin des Klägers äußert sich in einem Bericht vom 24.07.2012 insgesamt ebenfalls positiv. Sie bestätigt, dass sich der Kläger intensiv um einen Arbeitsplatz bemüht, diesen wegen der Probleme mit dem Führerschein aber zunächst nicht erhalten habe. Nach der Haftentlassung sei es ihm zunächst gesundheitlich nicht gut gegangen, er sei wegen einer Depression ärztlich behandelt worden und habe im Mai und Juni wegen Nierenschmerzen und Nierensteinen stationär behandelt werden müssen. An dem bisherigen Bewährungsverlauf sei insgesamt nichts zu beanstanden, der Kläger halte vereinbarte Termine regelmäßig ein, spreche bei auftauchenden Problemen auch ohne Termin vor. Zur Zeit genügt der Verdienst des Klägers - seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung nach inzwischen in Höhe von 800,- bis 1.200,-- EUR netto monatlich - zwar noch nicht zum Lebensunterhalt der Familie. Er und seine Ehefrau haben jedoch konkrete Pläne, mit Hilfe einer selbstständigen Tätigkeit wieder ohne staatliche Unterstützungen leben zu können. Der Kläger ist weiter nicht nur in seine eigene "Kernfamilie" eingebunden, sondern hat zudem regelmäßigen Kontakt zu seinen Schwiegereltern, seinem Bruder und anderen Verwandten.
44 
bb) Wenn danach auch davon auszugehen ist, dass mit Blick auf die spezialpräventiven Gesichtspunkte ein atypischer Sachverhalt vorliegt, mithin kein Regelfall des § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG gegeben ist, ist aber das Vorliegen eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes bezüglich der vom beklagten Land angeführten generalpräventiven Gesichtspunkte zu bejahen.
45 
Generalpräventiv motivierte Ausweisungen können - ausnahmsweise - auch bei Ausländern zulässig sein, denen besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 AufenthG zukommt, wenn eine besonders schwerwiegende Straftat vorliegt und deshalb ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über eine strafrechtliche Sanktion hinaus durch eine Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, Urteile 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, und vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 - InfAuslR 1997, 8). Bei der Entscheidung sind alle wesentlichen Umstände des Einzelfalls in die Beurteilung einzubeziehen. Das Gewicht der Straftat ist nicht abstrakt, sondern konkret nach den Umständen der Tatbegehung zu bestimmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 - a.a.O.).
46 
Nach diesen Grundsätzen kann die Ausweisung hier wegen der Art und Schwere der Straftat - der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - und der geschilderten konkreten, sich über mehrere Stunden hinziehenden Tatausführung auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden. Eine abschreckende Wirkung erscheint auch mit Blick darauf wichtig, dass es sich um einen Fall von besonders skrupelloser "Selbstjustiz" gehandelt hat. Schließlich war der Einbruch in das Wettbüro des Klägers vom 29.11.2008 bereits bei der Polizei angezeigt worden. Nach Bekanntwerden der Umstände, die aus Sicht des Klägers und der Mitangeklagten für eine Täterschaft der Angestellten N.G. bzw. ihres Freundes sprachen, hatte Y.K. noch am selben Abend die Polizei auch darüber informiert. Ausweislich der Feststellungen im Strafurteil vom 30.06.2009 hatte der Polizeibeamte, welcher aufgrund der vagen Verdächtigungen keinen Grund gesehen hatte, umgehend einzuschreiten, Y.K ausdrücklich davor gewarnt, eigene Aktionen zu unternehmen. Dies hatte Y.K dem Kläger berichtet. Trotzdem verabredeten Y.K., der Kläger und die weiteren Mittäter, N.G. zur Rede zu stellen, um - gegebenenfalls mit Hilfe von Ohrfeigen - ein Geständnis zu erzwingen, und begingen am nächsten Morgen die Straftat.
47 
c) Ist der die Ausweisung tragende Grund somit hinsichtlich der generalpräventiven Gesichtspunkte schwerwiegend, so ist der Kläger an sich gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG in der Regel auszuweisen, weil er den Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 1 AufenthG verwirklicht hat. Das Regierungspräsidium hat insoweit wegen der bestehenden familiären Lebensgemeinschaft des Klägers mit seiner deutschen Ehefrau und den vier deutschen Kindern allerdings zu Recht einen Ausnahmefall angenommen, der eine Abweichung von dieser Regel gebietet, und nach Ermessen entschieden.
48 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - InfAuslR 2008, 116, m.w.N.) ist von einem die Regel durchbrechenden Ausnahmefall bereits dann auszugehen, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falls erfordern. Es kann offen bleiben, ob dies bereits dann anzunehmen ist, wenn der Schutzbereich der betroffenen Grundrechte bzw. Menschenrechte, hier Art. 6 und Art. 2 GG bzw. Art. 8 EMRK, lediglich berührt ist oder ob bereits in diesem Zusammenhang die Feststellung eines qualifizierten Eingriffs erforderlich ist. Denn jedenfalls würde im Fall des Klägers wegen der bestehenden familiären Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Ehefrau und deutschen Kindern allein durch die Herabstufung von der "Ist-Ausweisung" zu einer "Regelausweisung" durch § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG dem besonderen Schutz der Familie durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK noch nicht hinreichend einzelfallbezogen Rechnung getragen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sind dann wesentlich konkreter und einzelfallbezogener neben allen ehelichen und familiären Umständen auch andere gewichtige persönlichen Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen und eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen (vgl. zu alledem auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - InfAuslR 2007, 443).
49 
4. Das danach dem Regierungspräsidium bei der Entscheidung über die Ausweisung zustehende und nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbare Ermessen ist hier von vornherein "auf Null reduziert", weil die mit einer Ausweisung verbundenen Folgen mit Blick auf die Schutzwirkungen von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK als unverhältnismäßig anzusehen sind.
50 
Bei der Entscheidung, ob eine im Ermessen der Ausländerbehörde stehende Ausweisung tatsächlich verfügt wird, sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die in § 55 Abs. 3 AufenthG aufgeführten, nämlich die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts, die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige oder Lebenspartner des Ausländer, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben, und die in § 60a Abs. 2 und 2b AufenthG genannten Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung. Dabei sind der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Grundrechte des Betroffenen zu beachten, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK, Art. 6 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG). Liegt ein Eingriff in diese Rechte vor, ist ohnehin eine einzelfallbezogene Würdigung und Abwägung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers unter Beachtung der insbesondere vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK entwickelten Kriterien vorzunehmen (BVerwG, Beschluss vom 10.02.2011 - 1 B 22.10 - Buchholz 402.242 § 56 AufenthG Nr. 5, m.w.N.; Urteil vom 22.10.2009 - 1 C 26.08 - InfAuslR 2010, 91). Dabei sind neben allen ehelichen und familiären Umständen auch andere gewichtige persönliche Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK darf eine Behörde in die Ausübung des Rechts aus Art. 8 Abs. 1 EMRK nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Die Frage, ob der durch eine Ausweisung bewirkte Eingriff im konkreten Einzelfall in diesem Sinne „notwendig“, insbesondere verhältnismäßig ist, ist anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist dabei von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen, den so genannten Boultif/Üner-Kriterien (vgl. zu den Kriterien im Einzelnen: EGMR, Urteile vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00, Boultif - InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99, Üner - NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/03, Maslov II - InfAuslR 2008, 333, vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05, Mutlag - InfAuslR 2010, 325, und vom 13.10.2011 - Nr. 41548/06, Trabelsi - juris). Erweisen sich danach die rechtlichen oder tatsächlichen Auswirkungen einer Ausweisung in Ansehung von Art. 6 Abs. 1 GG als unverhältnismäßig bzw. im Sinne des Art. 8 EMRK als "nicht notwendig", ist das Ermessen der Behörde mit der Folge "auf Null reduziert", dass eine Ausweisung des Betreffenden ausscheidet.
51 
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist eine Ausweisung des Klägers hier unzulässig. Der Kläger ist bereits seit 1996 mit seiner Ehefrau verheiratet, welche in Deutschland geboren ist und seit 1998 die deutsche Staatangehörigkeit besitzt. Mir ihr und den vier gemeinsamen, zwischen 4 und 15 Jahre alten Kindern, die ebenfalls Deutsche sind, lebt er in enger familiärer Lebensgemeinschaft. Diesem Umstand kommt eine erhebliche und weitreichende, durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK vermittelte Schutzwirkung zu, welche durch die deutsche Staatsangehörigkeit der Ehefrau und Kinder noch verstärkt wird (vgl. schon BVerwG, Urteile vom 03.05.1973 - I C 33.72 - BVerwGE 42, 133, vom 27.09.1978 - I C 79.76 - BVerwGE 56, 246, vom 17.01.1989 - 1 C 46.86 -InfAuslR 1989, 159; vgl. auch auch BVerfG, Beschluss vom 18.07.1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386; Kammerbeschlüsse vom 15.06.1993 - 2 BvR 900/93 - InfAuslR 1994, 311, und vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320). Dies wird auch nicht etwa durch den Umstand relativiert, dass die Ehefrau früher noch die türkische Staatsangehörigkeit hatte bzw. deren Eltern aus dem Heimatland des Klägers stammen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291, und vom 30.09.2009 - 13 S 440/09 -; HessVGH, Beschluss vom 15.07.2003 - 12 TG 1484/03 - InfAuslR 2003, 388). Insbesondere kann von der Ehefrau und den Kindern nicht verlangt werden, dass sie mit dem Kläger in die Türkei ausreisen.
52 
Die bestehenden tiefen Bindungen des Klägers zu seiner Familie werden belegt durch die vielen Besuche während seiner Haftzeit. Wie ausgeführt, hat der Kläger offensichtlich ein enges und intaktes Verhältnis zu seiner Ehefrau und seinen Kindern. Er übernimmt die Erziehung der Kinder gemeinsam mit seiner Ehefrau. In Anbetracht des jungen Alters der Kinder hätte eine - wenn auch nur vorübergehende - Trennung für diese ein besonderes Gewicht (vgl. zu Kindern in den ersten Lebensjahren BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320, und vom 01.12.2008 - 2 BvR 1830/08 -juris). Deren Belangen könnte daher auch durch eine Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf einen bestimmten - nicht zu langen - Zeitraum nicht hinreichend Rechnung getragen werden.
53 
Auf der anderen Seite ist das öffentliche Interesse einer Ausweisung hier gemindert, weil ungeachtet der Schwere der vom Kläger begangenen Straftat nicht mehr von einer relevanten Wiederholungsgefahr ausgegangen werden kann. Allein die generalpräventiven Erwägungen vermögen den mit einer Ausweisung verbundenen Eingriff in Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht zu rechtfertigen. Wie ausgeführt, ist zwar davon auszugehen, dass eine besonders schwerwiegende Straftat vorliegt und deshalb - grundsätzlich - ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über eine strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, Urteile 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, und vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 -InfAuslR 1997, 8). Dieses vermag aber in Anbetracht der konkreten Umstände des vorliegenden Falles den Eingriff in das Schutzgebot von Art. 6 Abs. 1 GG bzw. das Achtungsgebots des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht zu rechtfertigen. Dabei ist von besonderer Relevanz, dass die Tat annähernd vier Jahre zurückliegt und der Kläger seine Strafe verbüßt hat. Auch sind die bereits im Rahmen der Prüfung der Wiederholungsgefahr angeführten, für den Kläger sprechenden weiteren Umstände zu berücksichtigen, etwa dass er sich bereits seit 1996 rechtmäßig hier aufhält, zuvor - bis auf das Verkehrsdelikt - nie straffällig geworden war, außerdem dass er sich immer bemüht hat, ausreichend für seine Familie und sich zu sorgen und sich auch seit seiner Haftentlassung bewährt hat.
54 
Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass die Ausweisung des Klägers hier im Ergebnis selbst dann als unverhältnismäßig anzusehen ist, wenn man noch vom Bestehen einer geringen, aber die Erheblichkeitsschwelle übersteigenden Wiederholungsgefahr und damit dem Vorliegen spezialpräventiver Ausweisungsgründe ausginge. Denn aus den - zur Unverhältnismäßigkeit einer generalpräventiv motivierten Ausweisung - angeführten Gründen führt die danach erforderliche Abwägung ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die privaten Interessen des Klägers und seiner Familienangehörigen das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung überwiegen.
II.
55 
Unter diesen Umständen ist auch die im Bescheid vom 22.10.2010 verfügten Abschiebungsandrohung rechtswidrig und aufzuheben.
56 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
57 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
58 
Beschluss vom 23. Oktober 2012
59 
Der Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt (§§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG).
60 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Tatbestand

1

Der im Jahr 1964 geborene Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine unbefristete Ausweisung.

2

Der Kläger reiste 1976 in das Bundesgebiet zu seinen Eltern ein. Seine Mutter war von 1969 bis 1982 als Arbeitnehmerin beschäftigt. Nach dem Besuch der Hauptschule schloss er eine Lehre als Elektrokaufmann ab. Im Dezember 1987 erhielt er eine Aufenthaltsberechtigung. Aus der im März 1988 geschlossenen Ehe mit einer türkischen Staatsangehörigen sind zwei Töchter hervorgegangen. Die Ehe wurde mittlerweile geschieden.

3

Der Kläger ist mehrfach strafrechtlich aufgefallen: Wegen Vergewaltigung seiner damaligen Ehefrau wurde er im November 2000 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten auf Bewährung verurteilt. Das Landgericht Krefeld verhängte gegen ihn im Oktober 2005 eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 11 Fällen und Körperverletzung. Dem Strafurteil ist zu entnehmen, dass der Kläger ab Januar 2004 Zeiten berufsbedingter Abwesenheit seiner Ehefrau zur Vornahme sexueller Handlungen an seiner älteren Tochter ausnutzte. Als er bemerkte, dass diese trotz des elterlichen Verbots Kontakt zu einem Jungen hatte, schlug er sie mit der Hand und der Faust ins Gesicht.

4

Der Beklagte wies den Kläger mit Bescheid vom 2. Mai 2006 aus und drohte ihm für den Fall nicht fristgerechter Ausreise die Abschiebung in die Türkei an. Über die Ausweisung des assoziationsberechtigten Klägers sei im Ermessenswege zu entscheiden. Wegen der als Niederlassungserlaubnis fortgeltenden Aufenthaltsberechtigung genieße dieser besonderen Ausweisungsschutz, so dass er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden könne. Diese lägen in spezialpräventiver Ausprägung vor, denn der Schutz von Kindern vor Sexualdelikten und gewalttätigen Übergriffen sei eine überragend wichtige Aufgabe der Gemeinschaft und berühre ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die den Ausweisungsanlass bildende Tat wiege schwer; besonders fielen die Ausnutzung der Vertrauensstellung, die Wehrlosigkeit des Opfers und die Intensität der Tatbegehung ins Gewicht. Angesichts der Gesamtpersönlichkeit des Klägers und seines bisherigen Verhaltens bestehe eine hohe Wiederholungsgefahr. Er sei einschlägig vorbestraft und habe weder Einsicht in das begangene Unrecht gezeigt noch seien eine Aufarbeitung der Geschehnisse und der Versuch einer Überwindung seiner Neigungen erkennbar. Trotz Verwurzelung in den hiesigen Verhältnissen sowie familiärer Bindungen sei die Ausweisung angesichts der künftig vom Kläger ausgehenden Gefahren für elementare Rechtsgüter auch mit Blick auf Art. 8 EMRK gerechtfertigt. Die Ausweisung werde zunächst auf unbefristete Zeit ausgesprochen, da über eine Befristung erst nach positiven Veränderungen in der Person des Klägers entschieden werden könne. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Bezirksregierung Düsseldorf am 25. August 2006 zurück.

5

Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 16. Januar 2007 ab. Die auf § 55 AufenthG und Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 gestützte Ermessensausweisung sei nicht zu beanstanden, weil der weitere Aufenthalt des Klägers eine tatsächliche und hinreichend schwere, das Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefährdung begründe. Die spezialpräventive Ausweisung stütze sich nicht allein auf die strafrechtliche Verurteilung. Vielmehr bestünden Anhaltspunkte dafür, dass eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch neue Verfehlungen des Klägers drohe, wenn er zu seiner Familie und damit auch zu seiner jüngeren minderjährigen Tochter in das Umfeld komme, das seine Straftaten ermöglicht habe. Art. 8 EMRK und Art. 6 GG seien nicht verletzt, da bei der Abwägung die Art und Schwere der begangenen Straftaten sowie die Wiederholungsgefahr erheblich zulasten des Klägers ins Gewicht fielen.

6

Während des Berufungsverfahrens hat die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 7. März 2008 die Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe wegen erhöhter Rückfallgefährdung des Klägers abgelehnt. Die dagegen erhobene sofortige Beschwerde hat das Oberlandesgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 13. Mai 2008 verworfen.

7

Mit Beschluss vom 5. September 2008 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es hat sich die Begründung des Verwaltungsgerichts zu eigen gemacht und darüber hinaus ausgeführt, dass das Ausweisungsverfahren nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens nicht zu beanstanden sei. Die Ausweisung sei auch materiell rechtmäßig, denn die Gefahrenprognose habe - bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts - weiterhin Bestand. Der Kläger sei in erhöhtem Maße rückfallgefährdet. Dies verdeutlichten die Beschlüsse der Strafvollstreckungskammer sowie des Oberlandesgerichts Düsseldorf.

8

Auf die Revision des Klägers hat der Senat das Verfahren mit Beschluss vom 25. August 2009 - BVerwG 1 C 25.08 - (Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 53) ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die Frage vorgelegt, ob sich der Schutz vor Ausweisung gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 zugunsten eines türkischen Staatsangehörigen, der eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80 gegenüber dem Mitgliedstaat besitzt, in dem er seinen Aufenthalt in den letzten zehn Jahren gehabt hat, nach Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38/EG richtet. Der EuGH hat die Frage mit Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08 - (Ziebell) in einem Parallelverfahren verneint und entschieden, dass Art. 14 ARB 1/80 einer Ausweisung nicht entgegensteht, sofern das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Der Senat hat daraufhin mit Beschluss vom 20. Dezember 2011 den Vorlagebeschluss aufgehoben.

9

Der Kläger rügt mit der Revision eine Verletzung des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG (Vier-Augen-Prinzip), das nach der Stand-Still-Klausel des Art. 13 ARB 1/80 weiter anzuwenden sei. Die Befassung der Widerspruchsbehörde im Nachgang zur Ausweisung genüge dem nicht. Bei der Gefahrenprognose seien auch nach der letzten Behördenentscheidung eingetretene Veränderungen zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, der sich nach der Entlassung aus der Strafhaft im September 2009 einer psychotherapeutischen Behandlung unterzogen und straffrei geführt habe. Klärungsbedürftig sei, was der EuGH in der Ziebell-Entscheidung mit der Schranke der Unerlässlichkeit der Ausweisung meine. Im Übrigen verstoße die unbefristete Ausweisung gegen das Übermaßverbot sowie Art. 6 GG und Art. 8 EMRK. Der Kläger sei faktischer Inländer, da er sich wirtschaftlich und sozial integriert habe. Schließlich verletze die Ausweisung Art. 24 Abs. 3 der Grundrechte-Charta. Hilfsweise begehrt der Kläger im Revisionsverfahren, die Wirkungen der Ausweisung mit sofortiger Wirkung zu befristen. Er habe einen Befristungsanspruch aus der Rückführungsrichtlinie sowie § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG i.d.F. des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011.

10

Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich am Verfahren beteiligt und hält die Revision für unbegründet.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision des Klägers hat nur in geringem Umfang Erfolg. Das Berufungsgericht hat ohne Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) die Ausweisung (1.) und die Abschiebungsandrohung (3.) als rechtmäßig angesehen. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG i.d.F. des während des Revisionsverfahrens in Kraft getretenen Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 ist der Beklagte jedoch zu verpflichten, die in Satz 1 und 2 der Vorschrift genannten Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von sieben Jahren zu befristen (2.).

12

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, des Befristungsbegehrens und der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts, hier also des Berufungsgerichts am 5. September 2008 (Urteil vom 15. November 2007 - BVerwG 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 12 für die Ausweisung; Urteil vom 22. März 2012 - BVerwG 1 C 3.11 - Rn. 13 - zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE vorgesehen - für die Abschiebungsandrohung). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (Urteil vom 11. Januar 2011 - BVerwG 1 C 1.10 - BVerwGE 138, 371 Rn. 10 m.w.N.). Maßgeblich sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. Dezember 2011 (BGBl I S. 3044). Damit sind insbesondere auch die Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258) - im Folgenden: Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 - zu beachten.

13

1. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig.

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1.1 Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 55 Abs. 1, § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19. September 1980 (ANBA 1981, 4 = InfAuslR 1982, 33) - ARB 1/80 -. Denn der Kläger besitzt eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80. Er ist im Alter von 12 Jahren zum Zweck der Familienzusammenführung erlaubt in das Bundesgebiet eingereist. Die Vorinstanzen haben festgestellt, dass seine Mutter von 1969 bis 1982 dem regulären Arbeitsmarkt angehört hat. Der Kläger hat bei seinen Eltern gelebt und die Mindestaufenthaltszeiten des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 erfüllt. Nach Abschluss der Lehre zum Elektrokaufmann greift auch Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 zu seinen Gunsten. Demzufolge kann der Kläger gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2012, 422). Das ist hier der Fall. Damit liegen auch schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung i.S.d. § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG vor.

15

1.2 Der Senat hat bereits in dem Vorlagebeschluss vom 25. August 2009 - BVerwG 1 C 25.08 - (Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 53 Rn. 21) darauf hingewiesen, dass die Vergewaltigung der Ehefrau und der mehrfache sexuelle Missbrauch der älteren Tochter einen Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht bilden. Das strafrechtlich geahndete persönliche Verhalten des Klägers begründet eine - über die mit jedem Rechtsverstoß verbundene Störung der öffentlichen Ordnung hinausgehende - tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die betroffenen Schutzgüter der sexuellen Selbstbestimmung und der körperlichen Integrität nehmen in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung einen sehr hohen Rang ein und lösen - insbesondere bei sexuellem Missbrauch von Minderjährigen - staatliche Schutzpflichten aus, die sich auch gegen die Eltern richten.

16

In dem Vorlagebeschluss (a.a.O. Rn. 22) hat der Senat des Weiteren ausgeführt, dass bei bedrohten Rechtsgütern mit einer hervorgehobenen Bedeutung für die im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr eher geringere Anforderungen gelten (ebenso Urteile vom 2. September 2009 - BVerwG 1 C 2.09 - Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 54 Rn. 17 und vom 3. August 2004 - BVerwG 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <305 f.>). An diesem differenzierenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung Kritik geäußert worden, da er dem Interesse einer möglichst umfassenden Effektivierung der Grundfreiheiten und der daher gebotenen engen Auslegung der unionsrechtlichen Rechtsgrundlagen für die Aufenthaltsbeendigung als ultima ratio nicht gerecht werde (VGH Mannheim, Urteile vom 4. Mai 2011 - 11 S 207/11 - NVwZ 2011, 1210 und vom 10. Februar 2012 - 11 S 1361/11 - NVwZ-RR 2012, 492). Dem vermag der Senat schon deshalb nicht zu folgen, da jede sicherheitsrechtliche Gefahrenprognose nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts eine Korrelation aus Eintrittswahrscheinlichkeit und (möglichem) Schadensausmaß ist. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (Urteile vom 6. September 1974 - BVerwG 1 C 17.73 - BVerwGE 47, 31 <40>; vom 17. März 1981 - BVerwG 1 C 74.76 - BVerwGE 62, 36 <39> und vom 3. Juli 2002 - BVerwG 6 CN 8.01 - BVerwGE 116, 347 <356>). Auch die den Gerichten der Mitgliedstaaten obliegende und auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Beurteilung, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O.), kann im Hinblick auf die erforderliche Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts den Rang des bedrohten Rechtsguts nicht außer Acht lassen, denn dieser bestimmt die mögliche Schadenshöhe. Das bedeutet aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet. Der Senat hat schon zu § 12 Abs. 3 AufenthG/EWG entschieden, dass im Hinblick auf die Bedeutung des Grundsatzes der Freizügigkeit an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit keine zu geringen Anforderungen gestellt werden dürfen (Urteil vom 27. Oktober 1978 - BVerwG 1 C 91.76 - BVerwGE 57, 61 <65>).

17

Diesen Maßgaben genügt die von dem Beklagten gestellte und von den Vorinstanzen bestätigte Prognose der konkreten Wiederholungsgefahr beim Kläger. Beklagter und Verwaltungsgericht haben die Tatumstände, die Persönlichkeitsstruktur des Klägers, bei dem Einsicht, Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit dem Geschehenen fehlen, sowie die mangelnde Überwindung seiner Neigungen durch therapeutische Unterstützung umfassend gewürdigt. Das Berufungsgericht hat sich das zu eigen gemacht. Darüber hinaus hat es darauf abgestellt, dass die Strafvollstreckungskammer wegen der erhöhten Rückfallgefährdung des Klägers die Aussetzung der Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung abgelehnt und die Justizvollzugsanstalt sich dahingehend geäußert hat, dass bereits eine Gewährung von Hafturlaub nicht kalkulierbare Sicherheitsrisiken berge. Auf der Grundlage dieser das Revisionsgericht bindenden tatrichterlichen Feststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) zur erhöhten Rückfallgefährdung des Klägers ist auch nicht ansatzweise zu erkennen, dass das Berufungsgericht seiner Prognose zulasten des Klägers einen zu niedrigen und damit unzutreffenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab zugrunde gelegt hat. Die ausführliche Würdigung der Persönlichkeit des Klägers und die aus konkreten Umständen abgeleitete Wiederholungsgefahr belegen, dass der Beklagte nicht allein die strafrechtliche Verurteilung zum Anlass für die ausschließlich spezialpräventiv motivierte Ausweisung genommen, sondern die zukünftig vom Kläger ausgehende Gefahr in den Blick genommen hat.

18

Entgegen der Auffassung des Klägers rechtfertigt die Zeitspanne, die infolge der Aussetzung des Verfahrens und der Vorlage an den EuGH zwischen der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts und der Verhandlung vor dem Senat verstrichen ist, weder die Berücksichtigung der von ihm vorgetragenen neuen tatsächlichen Umstände im Revisionsverfahren noch eine Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das Bundesverwaltungsgericht ist - abgesehen von Fällen begründeter Verfahrensrügen - entsprechend seiner vornehmlich auf die Rechtsprüfung beschränkten Aufgabenstellung nach § 137 Abs. 2 VwGO an die vom Berufungsgericht in der angefochtenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Diese das Rechtsmittel der Revision kennzeichnende Beschränkung führt dazu, dass das Revisionsgericht den Streitfall nicht in gleichem Umfang wie das Berufungsgericht prüft und dass es deshalb - im Gegensatz zum Berufungsgericht (§ 128 VwGO) - neu vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel nicht berücksichtigt (Urteil vom 3. Juni 1977 - BVerwG 4 C 37.75 - BVerwGE 54, 73 <75>). Dies schließt auch eine Zurückverweisung der Sache nur wegen nachträglicher Veränderung des entscheidungserheblichen Sachverhalts grundsätzlich aus. Damit soll gleichzeitig der Gefahr einer "Endlosigkeit" des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vorgebeugt und verhindert werden, dass einer in rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstandenden Berufungsentscheidung nachträglich die Grundlage entzogen wird (Urteile vom 28. Februar 1984 - BVerwG 9 C 981.81 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 19 S. 48<51 f.> und vom 20. Oktober 1992 - BVerwG 9 C 77.91 - BVerwGE 91, 104 <105 f.>).

19

Die in § 137 Abs. 2 VwGO enthaltene revisionsrechtliche Sperre für die Berücksichtigung neuer tatsächlicher Umstände wird nicht dadurch überwunden, dass Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 für die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen das Vorliegen einer gegenwärtigen, d.h. aktuellen Gefahr verlangt (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 80, 82 und insbesondere Rn. 84). Damit wird der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sachlage angesprochen, der infolge der der Verwaltungsgerichtsordnung zu entnehmenden Trennung zwischen Tatsacheninstanzen und Revisionsinstanz nur für Entscheidungen der Tatsachengerichte maßgeblich ist. Denn nur ihnen obliegt gemäß § 86 Abs. 1 und 2, §§ 108 und 128 VwGO die Erforschung des Sachverhalts und die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen im Wege freier richterlicher Beweiswürdigung. Diese Trennung der Funktionen von Tatsachen- und Rechtsinstanz wird durch das Unionsrecht nicht modifiziert, da es nach gefestigter Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich Aufgabe des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten ist, das gerichtliche Verfahrensrecht auch insoweit zu regeln, als es den Schutz von aus dem Unionsrecht erwachsenden individuellen Rechten gewährleisten soll. Dabei dürfen die prozessrechtlichen Regelungen jedoch nicht weniger günstig ausgestaltet sein als bei entsprechenden, nur auf nationales Recht gestützten Rechtsbehelfen (Äquivalenzgrundsatz). Zudem darf nach dem Effektivitätsgrundsatz die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden (EuGH, Urteile vom 12. Februar 2008 - Rs. C-2/06, Kempter - Slg. 2008, I-411 Rn. 57 und vom 10. April 2003 - Rs. C-276/01, Steffensen - Slg. 2003, I-3735 Rn. 60 ff. - jeweils m.w.N.). Beiden Grundsätzen wird die Bindung des Revisionsgerichts aus § 137 Abs. 2 VwGO auch in der vorliegenden Fallkonstellation gerecht. Die Eröffnung der auf eine reine Rechtskontrolle beschränkten dritten Instanz widerspricht auch nicht dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf aus Art. 47 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh). Denn der dort niedergelegte Grundsatz effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes eröffnet dem Einzelnen den Zugang zu einem Gericht und nicht zu mehreren Gerichtsinstanzen (EuGH, Urteil vom 28. Juli 2011 - Rs. C-69/10, Samba Diouf - NVwZ 2011, 1380 Rn. 69). Er verlangt nicht, dass ein nach dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaats eröffnetes Rechtsmittel wie die Revision eine Überprüfung der Tatsachen auf aktuellem Sachstand ermöglicht. Im Übrigen steht dem Kläger im Hinblick auf nach der Berufungsentscheidung eingetretene Umstände, die den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der von ihm ausgehenden Gefahr mit sich bringen können, die Möglichkeit zur Beantragung einer Verkürzung der von der Ausländerbehörde gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 - 5 AufenthG bereits mit der Ausweisung festzusetzenden Frist offen (dazu unter 2.).

20

1.3 Da der Kläger ein assoziationsrechtlich begründetes Aufenthaltsrecht besitzt, darf er nur auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung ausgewiesen werden. Bei deren gerichtlicher Überprüfung ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen (EuGH, Urteil vom Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 84; so bereits Urteil vom 3. August 2004 - BVerwG 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <320 f.>). Die Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde über den Erlass einer Ausweisung erfordert eine sachgerechte Abwägung der öffentlichen Interessen an der Ausreise mit den privaten Interessen an einem weiteren Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet. Zugunsten des Ausländers sind die Gründe für einen besonderen Ausweisungsschutz (§ 56 AufenthG) sowie die Dauer seines rechtmäßigen Aufenthalts und die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet zu berücksichtigen. Außerdem sind die Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen des Ausländers, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben, in die Abwägung einzustellen (§ 55 Abs. 3 AufenthG). Die von Art. 2 Abs. 1 GG sowie Art. 6 Abs. 1 und 2 GG und Art. 8 EMRK geschützten Belange auf Achtung des Privat- und Familienlebens sind dabei entsprechend ihrem Gewicht und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in der Gesamtabwägung zu berücksichtigen. Das gilt insbesondere bei im Bundesgebiet geborenen und aufgewachsenen Ausländern, zumal wenn sie über keine Bindungen an das Land ihrer Staatsangehörigkeit verfügen.

21

Mit Blick auf diese Vorgaben hat der Senat bereits im Vorlagebeschluss vom 25. August 2009 (a.a.O. Rn. 24) ausgeführt, dass die Ermessensausübung des Beklagten nicht zu beanstanden ist. Die gesetzlichen Grenzen des Ermessens werden angesichts der vom Kläger ausgehenden konkreten Gefahr für die hochrangigen Rechtsgüter der sexuellen Selbstbestimmung sowie der körperlichen Integrität von Frauen in seiner Umgebung nicht überschritten. Es begegnet keinen Bedenken, dass der Beklagte das durch den Rechtsgüterschutz geprägte und durch grundrechtliche Schutzpflichten zusätzlich verstärkte öffentliche Interesse daran, den Aufenthalt des Klägers zu beenden, höher gewichtet hat als dessen Interesse an einem Verbleib in Deutschland. Zwar schlägt sein über dreißigjähriger rechtmäßiger Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland erheblich zu seinen Gunsten zu Buche. Dennoch ist zu berücksichtigen, dass er über ausreichende persönliche Bindungen in die Türkei verfügt, so dass ihm die Ausreise dorthin zumutbar ist. Der Schutz des Familienlebens und der elterlichen Sorge genießt hohe Bedeutung, verliert aber an Gewicht, wenn man das Kindeswohl der minderjährigen Tochter mitberücksichtigt, so dass die Aufenthaltsbeendigung auch im Hinblick auf Art. 6 GG, Art. 8 EMRK und Art. 24 Abs. 3 der GRCh gerechtfertigt ist. In der Gesamtabwägung aller gegenläufigen Belange ist die Ausweisung verhältnismäßig und "unerlässlich" im Sinne der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 86). Denn mit diesem Begriff hat der Gerichtshof lediglich die gebotene Abwägung der öffentlichen mit den privaten Interessen des Betroffenen, d.h. dessen tatsächlich vorliegende Integrationsfaktoren, im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angesprochen (ebenso VGH Mannheim, Urteil vom 10. Februar 2012 - 11 S 1361/11 - NVwZ-RR 2012, 492).

22

1.4 Die weiteren Rügen der Revision sind unbegründet; insbesondere ist das Ausweisungsverfahren fehlerfrei durchgeführt worden. Zwar war das in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG enthaltene "Vier-Augen-Prinzip" auf assoziationsrechtlich begünstigte türkische Staatsangehörige zu übertragen (Urteil vom 13. September 2005 - BVerwG 1 C 7.04 - BVerwGE 124, 217 <221 f.> im Anschluss an EuGH, Urteil vom 2. Juni 2005 - Rs. C-136/03, Dörr und Ünal - Slg. 2005, I-4759 = NVwZ 2006, 72). In dem hier vorliegenden Fall hat der Beklagte den angefochtenen Bescheid aber am 2. Mai 2006 und damit erst nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG zum 30. April 2006 (Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG) erlassen. Zu diesem Zeitpunkt galt Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG nicht mehr; stattdessen ist nunmehr Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG als unionsrechtlicher Bezugsrahmen für die Anwendung des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 heranzuziehen (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 79). Nach Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109/EG steht langfristig Aufenthaltsberechtigten zur Überprüfung einer Ausweisung der Rechtsweg offen; die Beteiligung einer unabhängigen Stelle im Ausweisungsverfahren zur Prüfung der Zweckmäßigkeit der Maßnahme ist nicht vorgeschrieben.

23

Im Übrigen hat der Gerichtshof vor Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG die Anwendung des "Vier-Augen-Prinzips" auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige damit begründet, dass die im Rahmen von Art. 48 EGV eingeräumten Rechtspositionen so weit wie möglich auf assoziationsberechtigte türkische Arbeitnehmer übertragen werden müssen. Um effektiv zu sein, müssten diese (materiellen) Rechte von den türkischen Staatsangehörigen vor den nationalen Gerichten geltend gemacht werden können. Zur Gewährleistung der Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes sei es unabdingbar, ihnen die Verfahrensgarantien zuzuerkennen, die den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten durch das Gemeinschaftsrecht gewährleistet werden. Daher müsse es ihnen ermöglicht werden, sich u.a. auf Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG zu berufen, da die Verfahrensgarantien untrennbar mit den materiellen subjektiven Rechten verbunden seien, auf die sie sich beziehen (EuGH, Urteil vom 2. Juni 2005 a.a.O. Rn. 62 und 67). Da Ausgangspunkt der Betrachtung des Gerichtshofs die Verfahrensgarantien sind, die den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten durch das Gemeinschaftsrecht gewährleistet werden, erweist sich seine Rechtsprechung zur Übertragung auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige schon im Ansatz offen für Fälle von Rechtsänderungen, die die Stellung der Unionsbürger betreffen. Für diese gewährleistet Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG gegen Entscheidungen, die aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung getroffen werden, einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde. Im Rechtsbehelfsverfahren sind nach Art. 31 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2004/38/EG die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände zu überprüfen, auf denen die Entscheidung beruht. Nach Satz 2 gewährleistet das Rechtsbehelfsverfahren, dass die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Art. 28 der Richtlinie 2004/38/EG nicht unverhältnismäßig ist. Demzufolge gebietet Unionsrecht bei Ausweisungen von Unionsbürgern keine behördliche Kontrolle mehr nach dem "Vier-Augen-Prinzip". Dann können assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige nach der dynamisch angelegten Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Übertragung von Rechten auf diese Gruppe keine bessere verfahrensrechtliche Rechtsstellung beanspruchen.

24

Demgegenüber beruft sich der Kläger auf die Stillhalteklauseln in Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (BGBl 1972 II S. 385) - ZP. Gemäß Art. 13 ARB 1/80 dürfen die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Gemäß Art. 41 Abs. 1 ZP werden die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen. Aus diesen Stand-Still-Klauseln ergibt sich nach Auffassung des Klägers, dass Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG bei der Ausweisung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger weiterhin anzuwenden sei. Dem folgt der Senat nicht.

25

Gegen die Auffassung des Klägers spricht bereits, dass Art. 13 ARB 1/80 seinem Wortlaut nach nur die Mitgliedstaaten, nicht aber die Europäische Union verpflichtet. Art. 41 Abs. 1 ZP betrifft sachlich nur Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs, nicht aber die der Arbeitnehmerfreizügigkeit zuzurechnende aufenthaltsrechtliche Stellung aus Art. 7 ARB 1/80. Des Weiteren erscheint fraglich, ob die auf den Zugang zum Arbeits- bzw. Binnenmarkt zugeschnittenen Stand-Still-Klauseln überhaupt Verfahrensregelungen bei der Aufenthaltsbeendigung erfassen (vgl. Urteil vom 30. April 2009 - BVerwG 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 20 zu den gesetzlichen Erlöschenstatbeständen für Aufenthaltstitel) und ob die Aufhebung des "Vier-Augen-Prinzips" mit Blick auf die gerichtliche Überprüfbarkeit nach Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109/EG eine merkliche Verschlechterung der Rechtsposition darstellt. Das kann aber dahinstehen, da die weitere Anwendung des Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige selbst bei Annahme einer rechtserheblichen Verschlechterung gegen Art. 59 ZP verstoßen würde. Nach dieser Vorschrift darf der Türkei in den von diesem Protokoll erfassten Bereichen keine günstigere Behandlung gewährt werden als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander aufgrund des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft einräumen. Das wäre aber bei weiterer Anwendung des "Vier-Augen-Prinzips" im Vergleich zu den Verfahrensrechten von Unionsbürgern aus Art. 31 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2004/38/EG - wie oben dargelegt - der Fall.

26

Im Übrigen entspricht das im vorliegenden Fall durchgeführte Widerspruchsverfahren nach §§ 68 ff. VwGO den Anforderungen der in Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG enthaltenen Verfahrensgarantien (Urteil vom 13. September 2005 a.a.O. S. 221 f.). An dieser Rechtsprechung hält der Senat mangels durchgreifender neuer Argumente der Revision fest.

27

2. Auf den Hilfsantrag des Klägers, mit dem dieser die Befristung der Wirkungen der Ausweisung mit sofortiger Wirkung begehrt, ist die Beklagte zu verpflichten, die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von sieben Jahren zu befristen. Im Übrigen ist der Antrag unbegründet.

28

2.1 Der erst in der Revisionsinstanz gestellte Hilfsantrag ist zulässig. Das Verbot der Klageänderung im Revisionsverfahren in § 142 VwGO steht dem nicht entgegen. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift soll sich das Revisionsgericht grundsätzlich auf die rechtliche Prüfung des in der Vorinstanz bereits erörterten und aufbereiteten Streitstoffes beschränken, um nicht wegen eines erstmals im Revisionsverfahren gestellten Klageantrags ohne weitere Rechtsprüfung zu einer Zurückverweisung gemäß § 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO gezwungen zu sein (Urteil vom 14. April 1989 - BVerwG 4 C 21.88 - Buchholz 442.40 § 6 LuftVG Nr. 21 = NVwZ 1990, 260<261>). Eine solche Situation liegt aber hier nicht vor. Während des Revisionsverfahrens ist § 11 AufenthG durch das Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 in der Weise geändert worden, dass der Kläger nunmehr einen Anspruch auf gleichzeitige Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung hat (s.u. 2.2.2). Dieser Änderung des materiellen Rechts trägt der gestellte Hilfsantrag Rechnung. Durch dessen Einbeziehung wird der Streitstoff auch nicht verändert, da der Befristungsanspruch in tatsächlicher Hinsicht vollumfänglich auf dem gegen die Ausweisung gerichteten Anfechtungsbegehren aufbaut (vgl. Urteil vom 26. Januar 1995 - BVerwG 3 C 21.93 - BVerwGE 97, 331 <342>).

29

2.2 Der Hilfsantrag ist nur in geringem Umfang begründet. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG n.F. darf ein Ausländer, der ausgewiesen worden ist, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Ihm wird nach Satz 2 der Vorschrift auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach diesem Gesetz kein Aufenthaltstitel erteilt. Satz 3 der Vorschrift ordnet an, dass diese kraft Gesetzes eintretenden Wirkungen auf Antrag befristet werden. Die Frist ist gemäß Satz 4 unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Bei Bemessung der Länge der Frist wird berücksichtigt, ob der Ausländer rechtzeitig und freiwillig ausgereist ist (Satz 5). Die Frist beginnt nach Satz 6 mit der Ausreise. Nach Satz 7 erfolgt keine Befristung, wenn ein Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder aufgrund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG aus dem Bundesgebiet abgeschoben wurde.

30

2.2.1 Seit Inkrafttreten des § 11 AufenthG in der Neufassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 haben Ausländer grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass die Ausländerbehörde mit einer Ausweisung zugleich das daran geknüpfte gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie die Titelerteilungssperre befristet (Weiterentwicklung der Rechtsprechung im Urteil vom 14. Februar 2012 - BVerwG 1 C 7.11 - juris Rn. 28 f.). Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

31

Die Regelungen zur Befristung der Wirkungen einer Ausweisung und Abschiebung sind seit dem Ausländergesetz 1965 kontinuierlich zugunsten der betroffenen Ausländer verbessert worden. Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965 stand die Befristung der Wirkungen von Ausweisung und Abschiebung noch vollumfänglich im Ermessen der Ausländerbehörde. § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990 sah vor, dass auf Antrag eine Befristung in der Regel erfolgte (ebenso § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG 2004); die Länge der Frist lag im Auswahlermessen der Behörde. Diese Entwicklung belegt die gewachsene Sensibilität des Gesetzgebers für die Verhältnismäßigkeit der gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung in zeitlicher Dimension angesichts der einschneidenden Folgen für die persönliche Lebensführung des Ausländers und die ihn ggf. treffenden sozialen, familiären und wirtschaftlichen Nachteile (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386 <398 ff.>). Denn typischerweise genügt eine zeitlich befristete Ausweisung zur Erreichung der mit dieser ordnungsrechtlichen Maßnahme verfolgten präventiven Zwecke (Urteile vom 7. Dezember 1999 - BVerwG 1 C 13.99 - BVerwGE 110, 140 <147> und vom 11. August 2000 - BVerwG 1 C 5.00 - BVerwGE 111, 369 <371 ff.>).

32

Die Befristung der Wirkungen der Ausweisung setzte nach den bisher geltenden Vorschriften grundsätzlich die vorherige Ausreise des Ausländers voraus (Beschluss vom 17. Januar 1996 - BVerwG 1 B 3.96 - Buchholz 402.240 § 45 AuslG 1990 Nr. 5; Urteil vom 7. Dezember 1999 a.a.O. S. 147; vgl. auch BTDrucks 11/6321 S. 57 zu § 8 Abs. 2 AuslG 1990). Die gesetzliche Systematik von Ausweisung und Befristung war zweitaktig angelegt, da im Zeitpunkt des Erlasses einer (auch) spezialpräventiv motivierten Ausweisung typischerweise kaum zu prognostizieren ist, wie der Betroffene sich zukünftig verhalten wird. Das Verhalten nach der Ausweisung ist aber neben dem Gewicht des Ausweisungsgrundes, der Berücksichtigung des Ausweisungszwecks und der Folgenbetrachtung im Hinblick auf das Übermaßverbot einer der für die Fristbestimmung maßgeblichen Faktoren (Urteil vom 11. August 2000 a.a.O. S. 372 ff.). Die im Gesetz angelegte Trennung von Ausweisung einerseits und Befristung ihrer Wirkungen andererseits hat zur Folge, dass eine fehlerhafte Befristungsentscheidung nicht zur Rechtswidrigkeit der Ausweisung führt, sondern selbstständig angreifbar ist (Beschlüsse vom 31. März 1981 - BVerwG 1 B 853.80 - Buchholz 402.24 § 15 AuslG Nr. 3 und vom 10. Dezember 1993 - BVerwG 1 B 160.93 - Buchholz 402.240 § 47 AuslG 1990 Nr. 2; Urteil vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 30).

33

Der Senat hat bereits zur früheren Rechtslage mehrfach entschieden, dass die Ausländerbehörde zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Einzelfall auch von Amts wegen verpflichtet sein kann, die Wirkungen der Ausweisung schon bei Erlass der Ausweisung zu befristen. Ob dies erforderlich war, hing bei einer spezialpräventiven Ausweisung von den gesamten Umständen des Einzelfalles, insbesondere dem Ausmaß der von dem Ausländer ausgehenden Gefahr, der Vorhersehbarkeit der zukünftigen Entwicklung dieser Gefahr und den schutzwürdigen Belangen des Ausländers und seiner Angehörigen ab (Urteile vom 15. März 2005 - BVerwG 1 C 2.04 - Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 42, vom 23. Oktober 2007 - BVerwG 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367 Rn. 18 und vom 2. September 2009 - BVerwG 1 C 2.09 - Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 54 Rn. 25 sowie Beschluss vom 20. August 2009 - BVerwG 1 B 13.09 - Buchholz 402.242 § 11 AufenthG Nr. 4 Rn. 8). Bei einer allein generalpräventiv motivierten Ausweisung eines Ausländers mit besonderem Ausweisungsschutz war es demgegenüber regelmäßig geboten, über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung von Amts wegen zugleich mit der Ausweisung zu entscheiden. Denn in diesen Fällen lässt sich bereits in dem für die Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt beurteilen, wie lange der Betroffene unter Berücksichtigung seiner schutzwürdigen privaten Belange vom Bundesgebiet ferngehalten werden muss, um die notwendige generalpräventive Wirkung zu erzielen, so dass es unverhältnismäßig wäre, ihn über diesen für seine Lebensplanung wichtigen Umstand im Unklaren zu lassen (Urteil vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 29). Sowohl bei der generalpräventiven als auch bei der spezialpräventiven Ausweisung kann der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i.V.m. Art. 6 GG ausnahmsweise sogar die Befristung der Sperrwirkung einer Ausweisung "auf Null" gebieten, ohne dass der Ausländer zur vorherigen Ausreise verpflichtet ist (Urteil vom 4. September 2007 - BVerwG 1 C 43.06 - BVerwGE 129, 226 LS 4 und Rn. 28).

34

Das Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 hat die Rechtslage für die betroffenen Ausländer weiter verbessert: § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. verschafft dem Betroffenen nunmehr - vorbehaltlich der Ausnahmen in Satz 7 der Vorschrift - einen uneingeschränkten, auch hinsichtlich der Dauer der Befristung voller gerichtlicher Überprüfung unterliegenden Befristungsanspruch (Urteil vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 32 f. - zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE vorgesehen). Zugleich ist hinsichtlich der Dauer der Frist geregelt, dass diese unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles festzusetzen ist und fünf Jahre nur überschreiten darf, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (§ 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG n.F.).

35

Diese Änderungen des § 11 AufenthG dienen der Umsetzung der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 - Rückführungsrichtlinie (ABl EU Nr. L 348 vom 24. Dezember 2008 S. 98). Diese Richtlinie, die auf Art. 63 Abs. 3 Buchst. b EG (jetzt: Art. 79 Abs. 2 Buchst. c AEUV) gestützt ist und die illegale Einwanderung bekämpfen soll, ergänzt die Migrationspolitik um eine wirksame Rückkehrpolitik mit klaren, transparenten und fairen Vorschriften (4. Erwägungsgrund). Die Richtlinie findet gemäß Art. 2 Abs. 1 - vorbehaltlich der Opt-out-Klausel in Absatz 2 der Vorschrift - Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige. Dabei kommt es nicht darauf an, ob diese die Voraussetzungen für die Einreise bzw. den Aufenthalt nicht oder nicht mehr erfüllen (5. Erwägungsgrund). Im Einklang mit allgemeinen Grundsätzen des EU-Rechts sollen Entscheidungen gemäß dieser Richtlinie auf Grundlage des Einzelfalls und anhand objektiver Kriterien getroffen werden (6. Erwägungsgrund). Um die Interessen der Betroffenen wirksam zu schützen, sollen für Entscheidungen in Bezug auf die Rückkehr eine Reihe gemeinsamer rechtlicher Mindestgarantien gelten (11. Erwägungsgrund). Die Wirkung der einzelstaatlichen Rückführungsmaßnahmen soll einen europäischen Zuschnitt erhalten (14. Erwägungsgrund). Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie definiert die Rückkehrentscheidung als die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird. Rückkehrentscheidungen gehen in den in Art. 11 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie genannten Fällen mit einem Einreiseverbot einher; gemäß Satz 2 der Vorschrift können sie in anderen Fällen mit einem Einreiseverbot einhergehen. Das Einreiseverbot definiert Art. 3 Nr. 6 der Richtlinie als die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und der dortige Aufenthalt für einen bestimmten Zeitraum untersagt werden und die mit einer Rückkehrentscheidung einhergeht. Die Dauer des Einreiseverbots wird gemäß Art. 11 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt und überschreitet grundsätzlich nicht fünf Jahre. Die Dauer des Einreiseverbots kann jedoch nach Satz 2 der Vorschrift fünf Jahre überschreiten, wenn der Drittstaatsangehörige eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellt. Verfahrensrechtlich garantiert Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie die Möglichkeit der Einlegung eines wirksamen Rechtsbehelfs gegen Entscheidungen nach Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie, also Rückkehrentscheidungen sowie ggf. Entscheidungen über ein Einreiseverbot oder eine Abschiebung.

36

Die Begründung des Gesetzentwurfs zum Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 geht davon aus, dass große Teile der in der Rückführungsrichtlinie enthaltenen Vorgaben durch die Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes zur Aufenthaltsbeendigung bereits erfüllt werden. Da die Richtlinie - anders als das geltende Aufenthaltsrecht mit der Differenzierung zwischen Ausreisepflichten kraft Verwaltungsakts und kraft Gesetzes - eine "Rückkehrentscheidung" verlange, an die unterschiedliche prozedurale bzw. formelle Garantien geknüpft würden, seien punktuelle gesetzliche Anpassungen erforderlich. Diese erfolgten jedoch innerhalb der geltenden Systematik, indem sie an den die Ausreisepflicht begründenden Verwaltungsakt (z.B. Ausweisung) oder an die Abschiebungsandrohung nach § 59 des Aufenthaltsgesetzes geknüpft würden. Die Umsetzung der Rückführungsrichtlinie erfordere darüber hinaus die Einführung einer Regelobergrenze von fünf Jahren für die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 AufenthG (BTDrucks 17/5470 S. 17).

37

Das macht deutlich, dass sich der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 11 AufenthG auch hinsichtlich der in Absatz 1 Satz 1 und 2 der Vorschrift genannten gesetzlichen Folgen der Ausweisung und deren Befristung an den unionsrechtlichen Vorgaben für eine Rückkehrentscheidung orientiert hat. Im Regelungsmodell der Richtlinie ist das Einreiseverbot jedoch als antragsunabhängige, mit einer Rückkehrentscheidung von Amts wegen einhergehende Einzelfallentscheidung ausgestaltet, in der die Dauer der befristeten Untersagung des Aufenthalts in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt wird (Art. 3 Nr. 6 i.V.m. Art. 11 Abs. 1 und 2 Satz 1 der Richtlinie). Aus der Absicht des Gesetzgebers, dieses Modell trotz der beibehaltenen systematischen Trennung von Ausweisung und Befristung nachzuvollziehen, ergeben sich zwei Konsequenzen: Zum einen gebietet § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. den gleichzeitigen Erlass von Ausweisung und Befristung. Zum anderen genügt für den in dieser Vorschrift vorgesehenen Antrag jede Form der Willensbekundung des Betroffenen, mit der dieser sich gegen eine Ausweisung wendet (anders noch zu § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990: Beschluss vom 14. Juli 2000 - BVerwG 1 B 40.00 - Buchholz 402.240 § 8 AuslG Nr. 18). Dieser Auslegungsbefund des einfachen Rechts trägt zugleich der besonderen Bedeutung der Befristung für die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK Rechnung. Denn der EGMR zieht die Frage der Befristung bei der Prüfung von Ausweisungen am Maßstab des Art. 8 Abs. 2 EMRK als ein wesentliches Kriterium heran (EGMR, Urteile vom 17. April 2003 - Nr. 52853/99, Yilmaz/Deutschland - NJW 2004, 2147; vom 27. Oktober 2005 - Nr. 32231/02, Keles/Deutschland - InfAuslR 2006, 3 <4>; vom 22. März 2007 - Nr. 1638/03, Maslov/Österreich - InfAuslR 2007, 221 <223> und vom 25. März 2010 - Nr. 40601/05, Mutlag/Deutschland - InfAuslR 2010, 325 <327>). Diese grund- und menschenrechtlichen Impulse verbunden mit der Absicht des Gesetzgebers, sich am Regelungsmodell der Rückführungsrichtlinie zu orientieren, führen in der Gesamtschau zu dem Ergebnis, dass der Erlass einer Entscheidung zur Befristung der Wirkungen einer Ausweisung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. nicht mehr die vorherige Ausreise des Ausländers voraussetzt.

38

Dagegen lässt sich nicht mit Erfolg einwenden, aus § 11 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ergebe sich, dass der Gesetzgeber nach wie vor von einer nachträglichen Befristung ausgehe. Nach dieser Vorschrift ist bei der Bemessung der Fristlänge zu berücksichtigen, ob der Ausländer rechtzeitig und freiwillig ausgereist ist. Es liegt auf der Hand, dass sich diese Umstände erst nach Erlass der Ausweisung feststellen lassen. Dennoch läuft die Vorschrift bei gleichzeitigem Erlass von Ausweisung und Befristung nicht leer. Denn die Ausländerbehörde hat ihre zusammen mit der Ausweisung getroffene Befristungsentscheidung, die sich u.a. auf eine Prognose des künftigen Verhaltens des Ausländers stützt und die Folgen der Ausweisung im Hinblick auf das zeitliche Übermaßverbot berücksichtigt, auf Antrag zu überprüfen und ggf. neu zu fassen, wenn einer der für die Fristbestimmung maßgeblichen Faktoren sich im Nachhinein ändert. Neben nachgewiesenen entscheidungserheblichen Änderungen der Sachlage kennzeichnet § 11 Abs. 1 Satz 5 AufenthG einen zusätzlichen Punkt, der von der Ausländerbehörde bei einer nachträglich beantragten Verkürzung der Frist zu berücksichtigen ist. Im Übrigen haben auch die Gerichte bei ihrer Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Befristungsentscheidung, die auch hinsichtlich der Bemessung der Fristdauer seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht mehr im Ermessen der Ausländerbehörde steht (Urteil vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 31), die rechtzeitige und freiwillige Ausreise des Betroffenen zu berücksichtigen.

39

2.2.2 Fehlt die notwendige Befristung der Wirkungen der Ausweisung, hat das aber auch nach Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht zur Folge, dass die - als solche rechtmäßige - Ausweisung aufzuheben ist. Vielmehr kann der Ausländer zugleich mit Anfechtung der Ausweisung seinen Anspruch auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gerichtlich durchsetzen (Urteil vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 30). Damit wird dem sich aus dem materiellen Recht ergebenden Anspruch des Betroffenen auf gleichzeitige Entscheidung über die Ausweisung und die Befristung ihrer Wirkungen Rechnung getragen und die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung im Ergebnis gewährleistet. Diese verfahrensrechtliche Ausgestaltung entspricht der gesetzlichen Systematik, die nach wie vor zwei getrennte Verwaltungsakte - die Ausweisung einerseits und die Befristung ihrer Wirkungen andererseits - vorsieht (s.o. Rn. 32). Prozessual wird dieses Ergebnis dadurch sichergestellt, dass in der Anfechtung der Ausweisung zugleich - als minus - für den Fall der Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ein (Hilfs-)Antrag auf Verpflichtung der Ausländerbehörde zu einer angemessenen Befristung ihrer Wirkungen gesehen wird, sofern eine solche nicht bereits von der Ausländerbehörde verfügt worden ist. Das Prozessrecht muss gewährleisten, dass der Ausländer gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. nicht auf ein eigenständiges neues Verfahren verwiesen wird. Daher ist im Fall der gerichtlichen Bestätigung der Ausweisung auf den Hilfsantrag zugleich eine Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung zu treffen.

40

Erachtet das Gericht die Ausweisung für rechtmäßig, hat es auf den Hilfsantrag des Betroffenen hin die Befristungsentscheidung der Ausländerbehörde vollumfänglich zu überprüfen. Hat eine Ausländerbehörde eine zu lange Frist festgesetzt oder fehlt - wie hier - eine behördliche Befristungsentscheidung, hat das Gericht über die konkrete Dauer einer angemessenen Frist selbst zu befinden und die Ausländerbehörde zu einer entsprechenden Befristung der Ausweisung zu verpflichten (Weiterentwicklung des Urteils vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 31).

41

2.2.3 Der Senat hält im vorliegenden Fall - bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts und auf der Grundlage von dessen tatsächlichen Feststellungen - eine Frist von sieben Jahren für angemessen.

42

Die allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzende Frist ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (zu der zuletzt genannten Voraussetzung vgl. Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/EG). Bei der Bestimmung der Länge der Frist sind das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr mit Blick auf die im vorliegenden Fall bedeutsame Gefahrenschwelle des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 zu tragen vermag. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Höchstfrist muss sich aber an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den Vorgaben aus Art. 7 GRCh, Art. 8 EMRK messen und ggf. relativieren lassen. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und den Verwaltungsgerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (vgl. Urteile vom 11. August 2000 - BVerwG 1 C 5.00 - BVerwGE 111, 369 <373> und vom 4. September 2007 - BVerwG 1 C 21.07 - BVerwGE 129, 243 Rn. 19 ff.). Dabei sind insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen. Die Abwägung ist nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles im Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorzunehmen bzw. von den Verwaltungsgerichten zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. Entscheidung des Gerichts zu überprüfen oder bei fehlender behördlicher Befristungsentscheidung - wie hier - durch eine eigene Abwägung als Grundlage des Verpflichtungsausspruchs zu ersetzen.

43

Die in § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG genannte Höchstfrist von fünf Jahren ist im vorliegenden Fall ohne Bedeutung, da von dem Kläger - im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts - eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht; das ergibt sich aus den Ausführungen zu den Ausweisungsvoraussetzungen. Wegen des Gewichts der gefährdeten Rechtsgüter und der vom Berufungsgericht festgestellten hohen Wiederholungsgefahr erachtet der Senat auch im Hinblick auf die familiären und persönlichen Bindungen des Klägers im Bundesgebiet einen Zeitraum von sieben Jahren für erforderlich, um dem hohen Gefahrenpotential in der Person des Klägers Rechnung tragen zu können. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Rückfallgefahr bei Delikten dieser Art, des Alters des Klägers, seines (Nach-)Tatverhaltens ohne therapeutische Auf- und Verarbeitung des Geschehens sowie seines familiären Umfelds ist nicht zu erwarten, dass er die hier maßgebliche Gefahrenschwelle des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vor Ablauf der festgesetzten Frist unterschreiten wird. Zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass der Beklagte auf den bei ihm während des Revisionsverfahrens gestellten Befristungsantrag auf aktueller Tatsachengrundlage zu prüfen hat, ob sich aus dem Vorbringen des Klägers zur Entwicklung seit dem 5. September 2008 Anhaltspunkte für eine Verkürzung der Frist ergeben.

44

3. Die Abschiebungsandrohung ist rechtmäßig. Der Kläger ist ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 1 AufenthG), da infolge der Ausweisung seine gemäß § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgeltende Aufenthaltsberechtigung erloschen ist (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Die im angefochtenen Bescheid vom Beklagten getroffene Festsetzung der Ausreisefrist von einem Monat legt der Senat in Übereinstimmung mit § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG n.F. zugunsten des Klägers dahingehend aus, dass ihm eine Frist von 31 Tagen für die freiwillige Ausreise zur Verfügung steht.

45

4. Die Frage, ob die Ausweisung, die Befristung ihrer Wirkungen und die Abschiebungsandrohung an den Bestimmungen der Rückführungsrichtlinie zu messen sind, kann im vorliegenden Fall offen bleiben. Der Senat ist bisher davon ausgegangen, dass die Rückführungsrichtlinie, die von den Mitgliedstaaten gemäß Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG bis zum 24. Dezember 2010 umzusetzen war, für davor erlassene und mit der Klage angegriffene Abschiebungsandrohungen keine Geltung beansprucht (Urteile vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 35 und vom 22. März 2012 a.a.O. Rn. 15; a.A. VGH Mannheim, Urteil vom 16. April 2012 - 11 S 4/12 - juris Rn. 49 ff.; vgl. auch VerwGH Wien, Urteile vom 16. Juni 2011 - Az. 2011/18/0064 - und vom 20. März 2012 - Az. 2011/21/0298). Für den sachlichen Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie ist zudem umstritten, ob die Ausweisung als Rückkehrentscheidung i.S.d. Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie 2008/115/EG angesehen werden kann (dafür: Basse/Burbaum/Richard, ZAR 2011, 361<364>; Hörich, ZAR 2011, 281 <284 Fn. 45>; dagegen: VGH Mannheim, Urteil vom 7. Dezember 2011 - 11 S 897/11 - NVwZ-RR 2012, 412; offen: OVG Münster, Urteil vom 22. März 2012 - 18 A 951/09 - juris Rn. 88). Das alles kann indes hier dahinstehen. Denn selbst wenn man die intertemporale Geltung und die sachliche Anwendbarkeit der Rückführungsrichtlinie auf die (Wirkungen der) Ausweisung und die Abschiebungsandrohung unterstellt, verhilft das der Revision im vorliegenden Fall nicht in weitergehendem Umfang zum Erfolg. Da der Kläger mit seinem Hilfsantrag die gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. gebotene Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung zusammen mit deren gerichtlicher Prüfung durchsetzen kann, wird den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie im Ergebnis Genüge getan. In dem hier vorliegenden Fall konnte die Dauer des Einreiseverbots auch die Regelfrist von fünf Jahren überschreiten, da der Kläger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung i.S.d. Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/EG darstellt.

46

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat gewichtet den gegen die Ausweisung und die Abschiebungsandrohung gerichteten Anfechtungsantrag mit 4/5 und den auf Befristung zielenden Verpflichtungsantrag mit 1/5. Nachdem der Kläger aber mit seinem Hilfsantrag nur zum Teil obsiegt hat, hat er 9/10 der Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

(1) Der Aufenthaltstitel wird für das Bundesgebiet erteilt. Seine Gültigkeit nach den Vorschriften des Schengener Durchführungsübereinkommens für den Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien bleibt unberührt.

(2) Das Visum und die Aufenthaltserlaubnis können mit Bedingungen erteilt und verlängert werden. Sie können, auch nachträglich, mit Auflagen, insbesondere einer räumlichen Beschränkung, verbunden werden. Insbesondere kann die Aufenthaltserlaubnis mit einer räumlichen Beschränkung versehen werden, wenn ein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 oder 1a besteht und dies erforderlich ist, um den Ausländer aus einem Umfeld zu lösen, welches die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten begünstigt.

(3) Ein Ausländer hat den Teil des Bundesgebiets, in dem er sich ohne Erlaubnis der Ausländerbehörde einer räumlichen Beschränkung zuwider aufhält, unverzüglich zu verlassen.

(4) Der Aufenthalt eines Ausländers, der keines Aufenthaltstitels bedarf, kann zeitlich und räumlich beschränkt sowie von Bedingungen und Auflagen abhängig gemacht werden.

(5) Die Ausländerbehörde kann dem Ausländer das Verlassen des auf der Grundlage dieses Gesetzes beschränkten Aufenthaltsbereichs erlauben. Die Erlaubnis ist zu erteilen, wenn hieran ein dringendes öffentliches Interesse besteht, zwingende Gründe es erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Der Ausländer kann Termine bei Behörden und Gerichten, bei denen sein persönliches Erscheinen erforderlich ist, ohne Erlaubnis wahrnehmen.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, daß die verletzte Person

1.
das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert,
2.
ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann oder
3.
in erheblicher Weise dauernd entstellt wird oder in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung verfällt,
so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(2) Verursacht der Täter eine der in Absatz 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn

1.
zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind,
2.
dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, und
3.
die verurteilte Person einwilligt.
Bei der Entscheidung sind insbesondere die Persönlichkeit der verurteilten Person, ihr Vorleben, die Umstände ihrer Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug, ihre Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für sie zu erwarten sind.

(2) Schon nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe, mindestens jedoch von sechs Monaten, kann das Gericht die Vollstreckung des Restes zur Bewährung aussetzen, wenn

1.
die verurteilte Person erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt und diese zwei Jahre nicht übersteigt oder
2.
die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, daß besondere Umstände vorliegen,
und die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind.

(3) Die §§ 56a bis 56e gelten entsprechend; die Bewährungszeit darf, auch wenn sie nachträglich verkürzt wird, die Dauer des Strafrestes nicht unterschreiten. Hat die verurteilte Person mindestens ein Jahr ihrer Strafe verbüßt, bevor deren Rest zur Bewährung ausgesetzt wird, unterstellt sie das Gericht in der Regel für die Dauer oder einen Teil der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin oder eines Bewährungshelfers.

(4) Soweit eine Freiheitsstrafe durch Anrechnung erledigt ist, gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne der Absätze 1 bis 3.

(5) Die §§ 56f und 56g gelten entsprechend. Das Gericht widerruft die Strafaussetzung auch dann, wenn die verurteilte Person in der Zeit zwischen der Verurteilung und der Entscheidung über die Strafaussetzung eine Straftat begangen hat, die von dem Gericht bei der Entscheidung über die Strafaussetzung aus tatsächlichen Gründen nicht berücksichtigt werden konnte und die im Fall ihrer Berücksichtigung zur Versagung der Strafaussetzung geführt hätte; als Verurteilung gilt das Urteil, in dem die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(6) Das Gericht kann davon absehen, die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, wenn die verurteilte Person unzureichende oder falsche Angaben über den Verbleib von Gegenständen macht, die der Einziehung von Taterträgen unterliegen.

(7) Das Gericht kann Fristen von höchstens sechs Monaten festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag der verurteilten Person, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.

Tenor

Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. September 2016 - 19 CS 16.1194 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 10.000 € (in Worten: zehntausend Euro) und für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf 5.000 € (in Worten: fünftausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

1. Der am 1. Januar 1989 geborene Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger. Er lebte zunächst in der Türkei. Im Alter von drei Jahren zog er zu seinem Vater und dessen neuer Ehefrau in die Bundesrepublik Deutschland. Nach der Scheidung von Vater und Stiefmutter lebte er mit der Stiefmutter und deren zwei Kindern in Nürnberg. Er besuchte eine Förderschule bis zur neunten Klasse und verließ diese 2004 ohne Schulabschluss. Am 18. Januar 2005 erteilte ihm die Ausländerbehörde eine Niederlassungserlaubnis nach § 35 AufenthG. In der Folge nahm er ohne Erfolg an mehreren Bildungs- und Berufsvorbereitungsmaßnahmen teil. Im Jahr 2008 erlangte er den Hauptschulabschluss.

2

2. Er wurde mehrfach strafgerichtlich verurteilt: Am 9. März 2006 wurde er vom Amtsgericht wegen Diebstahls in zwei Fällen zu Freizeitarrest verurteilt. Am 11. August 2006 verurteilte ihn das Amtsgericht zu einem Kurzarrest von zwei Tagen und einer Geldauflage, weil er gemeinsam mit einem Freund die Verpackungen von X-Box-Spielen im Wert von 200 Euro aufgebrochen und diese an sich genommen hatte. Am 18. Juni 2007 wurde er vom Amtsgericht wegen gemeinschaftlicher räuberischer Erpressung, gemeinschaftlichen Diebstahls in einem besonders schweren Fall und Beleidigung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt. Er befand sich vom 28. Februar 2007 bis zum Tag der Verurteilung in Untersuchungshaft; die ihm auferlegten 250 Arbeitsstunden leistete er ab. Am 2. Oktober 2008 verurteilte ihn das Amtsgericht unter Einbeziehung der Verurteilung vom 18. Juni 2007 wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten, nachdem er erneut X-Box-Spiele entwendet hatte. Er verbüßte im Anschluss einen Teil der Strafe. Mit Urteil vom 25. Juli 2011 wurde er vom Amtsgericht wegen des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt.

3

Am 7. Mai 2012 verurteilte ihn das Amtsgericht zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und 3 Monaten wegen Handeltreibens mit Marihuana in 74 Fällen. Er hatte im Zeitraum von Juli bis Oktober 2011 in seiner Wohnung Marihuana angebaut, dieses in kleinen Mengen an einen Bekannten verkauft und im Übrigen bei sich eingelagert. Die mit Beschluss des Amtsgerichts vom 14. Februar 2013 gewährte Haftentlassung auf Bewährung wurde widerrufen, nachdem er erneut Marihuana konsumiert und nicht ausreichend Kontakt zu seinem Bewährungshelfer gehalten hatte. Er verbüßte seine Haftstrafe ab dem 22. April 2014.

4

3. Die Ausländerbehörde leitete am 8. Januar 2014 ein Ausweisungsverfahren ein. Sein Verfahrensbevollmächtigter teilte unter anderem mit, der Beschwerdeführer beabsichtige, eine Suchtmitteltherapie anzutreten. Mit Bescheid vom 6. Mai 2015 wies die Ausländerbehörde den Beschwerdeführer aus der Bundesrepublik Deutschland aus, ordnete die sofortige Vollziehung an, forderte ihn zur Ausreise bis zum 1. Juni 2015 auf und drohte die Abschiebung an. Er erfülle die zwingenden Ausweisungstatbestände des § 53 Nr. 1 und 2 AufenthG. Allerdings sei er Assoziationsberechtigter, weshalb eine Ausweisung nur als Ermessensausweisung möglich sei; das Ausweisungsinteresse überwiege sein Bleibeinteresse. Er sei wiederholt und schwer, unter anderem wegen Drogendelikten, straffällig geworden. Auch mehrfache Verurteilungen und Inhaftierungen hätten ihn nicht zu einem straffreien Leben anhalten können. Die Strafaussetzung zur Bewährung sei widerrufen worden. Es bestehe Wiederholungsgefahr. Demgegenüber könne er sich zwar auf den Assoziationsstatus berufen und sei im Wesentlichen in Deutschland aufgewachsen. Er habe sich hier jedoch nie wirtschaftlich integriert, und die von ihm ausgehenden Gefahren für höchste Rechtsgüter rechtfertigten die Schwierigkeiten, die er bei einer Rückkehr in die Türkei hinzunehmen habe. Die sofortige Vollziehung werde angeordnet, da er aus spezialpräventiven Gründen ausgewiesen werde und ein langwieriges Gerichtsverfahren nicht abzuwarten sei.

5

4. Der Beschwerdeführer erhob Klage gegen diesen Bescheid und beantragte die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Zur Begründung führte er insbesondere aus, dass kein besonderes Vollzugsinteresse gegeben sei. Die Ausländerbehörde habe bei zahlreichen anderen spezialpräventiven Ausweisungen von der Anordnung des Sofortvollzugs abgesehen. Das Verwaltungsverfahren habe über ein Jahr gedauert, so dass eine besondere Eilbedürftigkeit nicht erkennbar sei. Die Begründung der sofortigen Vollziehung bestehe aus bloßen Worthülsen. Im Übrigen, so machte er mit der Klagebegründung von demselben Tag geltend, sei der Bescheid jedenfalls rechtswidrig.

6

Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag mit Beschluss vom 18. August 2015 ab. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei nicht zu beanstanden, da die Ausländerbehörde auf die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten abgestellt habe. Die Verfügung erweise sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig. Die Ausländerbehörde habe zutreffend festgestellt, dass der Beschwerdeführer schon seit seinem Jugendalter in sich steigerndem Maße straffällig geworden sei. Auch während laufender Bewährung habe er mehrfach weitere Straftaten begangen und gegen Bewährungsauflagen verstoßen. Die begonnene Drogentherapie habe er noch nicht erfolgreich abgeschlossen; im Übrigen bleibe die statistische Rückfallgefahr auch nach einer solchen hoch. Bei bedrohten Rechtsgütern von hervorgehobener Bedeutung gälten für die Feststellung einer Wiederholungsgefahr geringere Anforderungen. Es sei jedenfalls im Falle wiederholter Straffälligkeit nicht erforderlich gewesen, zur Frage der Wiederholungsgefahr ein Prognosegutachten einzuholen. Es sei dem Beschwerdeführer zumutbar, in die Türkei zurückzukehren, auch wenn er diese als Kleinkind verlassen habe. Auf Art. 6 GG könne er sich nicht berufen, da er erwachsen, unverheiratet und kinderlos sei. Ob die Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf fünf Jahre rechtmäßig sei, spiele im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO keine Rolle.

7

5. Der Beschwerdeführer legte gegen den Beschluss Beschwerde ein. Das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass der Sofortvollzug der Ausweisung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur bei einem das Ausweisungsinteresse übersteigenden Vollzugsinteresse angeordnet werden könne. Hierfür sei eine besondere Prognoseentscheidung zu treffen, die in der Entscheidung des Verwaltungsgerichts fehle. Dabei sei zu berücksichtigen gewesen, dass er die letzte abgeurteilte Straftat 2011 begangen habe und die letzte Verurteilung 2012 erfolgt sei. Die Grundinteressen der Gemeinschaft seien nicht bedroht. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass ein Handel mit Betäubungsmitteln erneut drohe, bestünden nicht. Der Erfolg der Klage sei offen, da es für die Rechtmäßigkeit der Ausweisungsentscheidung auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ankomme, im Eilverfahren deshalb eine Prognose über die Sachlage im Zeitpunkt dieser Verhandlung hätte getroffen werden müssen. Das Verwaltungsgericht habe außerdem die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu der Bedeutung seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland nicht hinreichend berücksichtigt.

8

Der Verwaltungsgerichtshof wies die Beschwerde zurück. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts sei sowohl bei ihrem Erlass - gestützt auf § 53 Nr. 1 und 2 AufenthG a. F. - als auch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nach den §§ 53 ff. AufenthG n. F. rechtmäßig gewesen. Der Beschwerdeführer habe nach altem Recht zwingende Ausweisungstatbestände verwirklicht, doch habe der assoziationsrechtliche Ausweisungsschutz zu einer Herabstufung als Ermessensausweisung geführt. Der Vortrag, es bestehe keine Wiederholungsgefahr, sei angesichts seiner regelmäßig und sich steigernden Straffälligkeit nicht ausreichend. Die keineswegs jugendtypische Delinquenz belege vielmehr die Wiederholungsgefahr. Da er vielfach auch Eigentumsdelikte, teilweise unter Gewaltanwendung, begangen habe, bestehe weiterhin die Gefahr, dass er in Anbetracht seiner Drogenabhängigkeit solche Taten wiederholen werde. Im Übrigen könne bei einem Drogenabhängigen vom Wegfall der Wiederholungsgefahr nicht gesprochen werden, solange nicht eine Therapie abgeschlossen worden sei, deren Erfolg durch eine längere Zeit straffreien Verhaltens bestätigt sei. Die Ausweisungsverfügung sei auch bei Zugrundelegung des neuen Rechts rechtmäßig, da dieses die Rechtslage nach der früheren Rechtsprechung im Wesentlichen kodifiziert habe. Auch bei Zugrundelegung seines besonders schwerwiegenden Bleibeinteresses gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG bleibe es aus den zuvor dargestellten Gründen bei einem Überwiegen des Ausweisungsinteresses. Die Anordnung des Sofortvollzugs sei angesichts der zu bekämpfenden akuten Gefahren erforderlich. Die bei Aufschub des Vollzugs eintretenden konkreten Nachteile überwögen schließlich das Bleibeinteresse des Antragstellers bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens.

9

6. Unter dem 14. April 2016 beantragte der Beschwerdeführer bei dem Verwaltungsgericht die Abänderung des Beschlusses gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO. Er habe sich vom 17. Dezember 2015 bis zum 7. April 2016 zur stationären Behandlung seiner Abhängigkeitserkrankung in einem Therapiezentrum befunden und sei regulär entlassen worden. Die Prognose sei nach Angaben der behandelnden Therapeutin aufgrund seiner deutlichen Entscheidung für Abstinenz, seiner hohen Selbstreflexionsfähigkeit sowie der guten kognitiven Fähigkeiten günstig. Laut der vorgelegten Bescheinigung hatte der Beschwerdeführer in der Therapieeinrichtung zunächst Schwierigkeiten mit der Eingewöhnung. Er habe jedoch in der Folge einen guten Kontakt zu den Therapeuten aufgebaut, sich engagiert und habe auch schwierige Situationen, insbesondere Rückfälle anderer Patienten, gut gemeistert.

10

Die Ausländerbehörde trat dem Antrag entgegen und meinte insbesondere, veränderte relevante Umstände lägen nicht vor. Auch die Vertreterin des öffentlichen Interesses beantragte, den Antrag abzulehnen. Demgegenüber wies der Beschwerdeführer darauf hin, dass das Amtsgericht mit Beschluss vom 6. Mai 2016 die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe gemäß § 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG unter Auflagen zur Bewährung ausgesetzt habe. Von der in dieser Entscheidung zum Ausdruck kommenden Einschätzung könne nur aufgrund eines negativen kriminalprognostischen Gutachtens abgewichen werden.

11

Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag mit Beschluss vom 25. Mai 2016 ab. Die abgeschlossene Drogentherapie führe nicht zum Wegfall einer gegenwärtigen schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Eine etwaige Verhaltensänderung müsse sich erst im Anschluss an den Therapieabschluss beweisen. Statistisch sei von einer erheblichen Rückfallquote auszugehen. Auch die Strafaussetzungsentscheidung binde im ausländerrechtlichen Verfahren nicht, da bei ersterer die Resozialisierung des Täters im Vordergrund stünde.

12

7. Der Beschwerdeführer legte hiergegen unter dem 11. Juni 2016 Beschwerde zum Verwaltungsgerichtshof ein. Insbesondere habe das Verwaltungsgericht zu Unrecht ein besonderes Vollzugsinteresse bejaht, da jedenfalls eine akute Wiederholungsgefahr nicht mehr bestehe.

13

Mit Beschluss vom 9. September 2016 wies der Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde zurück. Angesichts der tiefgreifenden und länger andauernden Suchtproblematik stelle die Therapie allenfalls einen Teilerfolg dar, der die Wiederholungsgefahr nicht entfallen lasse. Der Beschwerdeführer verfüge auch unabhängig von seiner Drogensucht über ein hohes Maß an krimineller Energie. Die Strafaussetzungsentscheidung nach § 36 BtMG, die wie eine Aussetzungsentscheidung nach § 57 StGB geringeres ausweisungsrechtliches Gewicht als eine Entscheidung nach § 56 StGB habe, stelle auf einen engeren strafvollzugsrechtlichen Prognosehorizont als die ausländerrechtliche Entscheidung ab. Der Sofortvollzug sei auch angesichts des schon einmal erfolgten Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung notwendig.

II.

14

Der Beschwerdeführer hat am 18. September 2016 Verfassungsbeschwerde erhoben und zugleich einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs verletze ihn in seinem Recht aus Art. 2 Abs. 1 GG, welches in Ausweisungssituationen angesichts der gravierenden Folgen für den Ausländer besonderen Schutz vermittle. Dabei sei das von Art. 8 EMRK gewährleistete Grundrecht auf Privatleben zu beachten. Die angegriffenen Entscheidungen hätten rechtsfehlerhaft eine Wiederholungsgefahr bejaht, da nach der erfolgten Strafaussetzung zumindest ein Gutachten hätte eingeholt werden müssen. Eine regelmäßige und sich steigernde Intensität von Straftaten des Beschwerdeführers liege nicht vor, der Bewährungswiderruf sei nur wegen des Verstoßes gegen Bewährungsauflagen und nicht wegen der Begehung von Straftaten erfolgt. Angesichts der vorgelegten Therapiebescheinigung sei die Prognose positiv gewesen; hierüber hätten sich die Gerichte nicht einfach hinwegsetzen dürfen. Schließlich sei der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt, da das Nachtatverhalten des Beschwerdeführers nicht ausreichend gewürdigt worden sei. In sich widersprüchlich sei dabei die Begründung, dass der Strafaussetzungsentscheidung ein kürzerer Prognosemaßstab als der ausländerrechtlichen Entscheidung zugrunde liege, da die Bewährungszeit wie die Befristung der Wirkung der Ausweisung auf fünf Jahre festgesetzt worden sei. Schließlich verstoße es gegen Art. 19 Abs. 4 GG, wenn die Gerichte Erlassinteresse und den Sofortvollzug nahezu wortgleich begründet hätten. Denn der Gesetzgeber habe gerade für Ausweisungen keinen Wegfall der aufschiebenden Wirkung von Gesetzes wegen angeordnet, so dass das Regel-Ausnahmeverhältnis verkannt worden sei. Das besondere, über das Erlassinteresse hinausgehende Vollzugsinteresse hätte die Ausländerbehörde darlegen und nicht etwa der Beschwerdeführer widerlegen müssen.

III.

15

Die Akten des Ausgangsverfahrens, die Ausländerakte und die Akten des Strafverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen. Der Freistaat Bayern hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.

IV.

16

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor. Die Annahme der Verfassungsbeschwer-de ist zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 GG angezeigt. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt. Die zulässige (1.) Verfassungsbeschwerde ist in einem die Entscheidungskompetenz der Kammer eröffnenden Sinn offensichtlich begründet (2.).

17

1. Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs über die Beschwerde gegen die Entscheidung nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO ist tauglicher Beschwerdegegenstand. Der Beschwerdeführer war insoweit, nachdem im Hinblick auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 21. März 2016 innerhalb der Verfassungsbeschwerdefrist geänderte Umstände aufgetreten waren, die den Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO eröffneten, aufgrund der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde gehalten, erst diesen Rechtsbehelf zu nutzen, bevor er Verfassungsbeschwerde einlegen konnte. Nachdem dieser Antrag von den Gerichten abgelehnt wurde, hat er innerhalb der Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG Verfassungsbeschwerde eingelegt.

18

2. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG. Die Beschränkung des Freizügigkeitsgrundrechts nach Art. 11 GG auf Deutsche schließt nicht aus, auf den Aufenthalt von Ausländern in der Bundesrepublik Deutschland Art. 2 Abs. 1 GG anzuwenden (vgl. BVerfGE 35, 382 <399>). Die Ausweisung ist ein Eingriff in das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit des sich im Bundesgebiet aufhaltenden Ausländers (zu den Merkmalen eines Grundrechtseingriffs im Allgemeinen vgl. BVerfGE 105, 279 <299 f.>). Der Eingriff liegt im Entzug des Aufenthaltsrechts und der daraus folgenden Verpflichtung zur Ausreise (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 5, § 50 Abs. 1 AufenthG); auf weitere mit der Ausweisung verbundene Rechtsnachteile kommt es daneben - für die Frage des Vorliegens eines Grundrechtseingriffs - nicht an. Ausweisungen oder sonstige Maßnahmen zum Entzug oder zur Verkürzung eines bereits gewährten Aufenthaltsrechts sind aufgrund gesetzlicher Vorschriften grundsätzlich möglich. In materieller Hinsicht markiert in diesem Zusammenhang allerdings - vorbehaltlich besonderer verfassungsrechtlicher Gewährleistungen - der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die verfassungsrechtliche Grenze für Einschränkungen des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 90, 145 <172>; vgl. auch BVerfGE 75, 108 <154 f.>; 80, 137 <153>).

19

Die einzelfallbezogene Würdigung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers sowie deren Abwägung gegeneinander ist den Verwaltungsgerichten übertragen. Das Bundesverfassungsgericht kann diese gerichtlichen Entscheidungen nicht in allen Einzelheiten, sondern nur auf die Beachtung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe überprüfen (vgl. BVerfGE 27, 211 <219>; 76, 363 <389>). Die verfassungsgerichtliche Überprüfung erstreckt sich darauf, ob die Verwaltungsgerichte die für die Abwägung wesentlichen Umstände erkannt und ermittelt haben und ob die vorgenommene Gewichtung der Umstände den Vorgaben der Verfassung entspricht. Hierbei sind auch die Vorgaben der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu berücksichtigen (vgl. BVerfGK 11, 153 <159 ff.>). Danach besteht zwar für faktische Inländer kein generelles Ausweisungsverbot. Bei der Ausweisung hier geborener beziehungsweise als Kleinkinder nach Deutschland gekommener Ausländer ist aber im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung der besonderen Härte, die eine Ausweisung für diese Personengruppe darstellt, in angemessenem Umfang Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGK 12, 37 <45>). Es ist im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung nicht ausreichend, wenn die Gerichte von der Begehung von Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz in jedem Fall ohne Weiteres auf die Gefährdung höchster Gemeinwohlgüter und auf eine kaum widerlegliche Rückfallgefahr schließen. Vielmehr ist der konkrete, der Verurteilung zugrundeliegende Sachverhalt ebenso zu berücksichtigen wie das Nachtatverhalten und der Verlauf von Haft und - gegebenenfalls - Therapie. Auch bei Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz darf ein allgemeines Erfahrungswissen nicht zu einer schematischen Gesetzesanwendung führen, die die im Einzelfall für den Ausländer sprechenden Umstände ausblendet (vgl. BVerfGK 12, 37 <41 f.>).

20

Diesen Maßstäben werden die gerichtlichen Entscheidungen ungeachtet des Umstands, dass im vorliegenden Fall starke Indizien für das Vorliegen hinreichender Gründe für eine Ausweisung und Abschiebung vorliegen dürften, nicht gerecht.

21

Zum einen hat der Verwaltungsgerichtshof im Verfahren über den Abänderungsantrag die Wiederholungsgefahr ausschließlich mit allgemeinen Erwägungen zur hohen Rückfallwahrscheinlichkeit bei Betäubungsmittelabhängigen begründet und die durchgeführte Drogentherapie sowie die Strafaussetzung zur Bewährung nach § 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG für nicht entscheidend gehalten. Zwar trifft es im Ausgangspunkt zu, dass Ausländerbehörde und Verwaltungsgerichte für die Frage der Wiederholungsgefahr nicht an die Strafaussetzungsentscheidung der Strafvollstreckungskammern gebunden sind. Solchen Entscheidungen kommt jedoch eine erhebliche indizielle Bedeutung zu. Jedenfalls soweit die Prognose der Wiederholungsgefahr Bedeutung im Rahmen einer grundrechtlich erforderlichen Abwägung hat, bedarf es einer substantiierten Begründung, wenn von der strafgerichtlichen Einschätzung abgewichen werden soll (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 27. August 2010 - 2 BvR 130/10 -, juris, Rn. 36 m.w.N.). Auch die eher negative Bewertung der Therapiebescheinigung vom 7. April 2016 beruht auf der pauschalen Annahme, eine derartige Bescheinigung gewinne angesichts der statistisch erwiesenen hohen Rückfallquote erst "längere Zeit nach Straf- bzw. Therapieende" Bedeutung.

22

Nicht ausreichend ist es zum anderen, eine positive Entwicklung des Verurteilten ohne aussagekräftige Indizien darauf zurückzuführen, der Ausländer habe sich erst unter dem Druck des Ausweisungsverfahrens zur Therapie - beziehungsweise allgemeiner zu einem rechtstreuen Verhalten - entschlossen. Denn mit einem solchen Verhalten während und nach der Inhaftierung sowie in laufender Bewährungszeit wird der Ausländer dem vom deutschen Strafvollzug bezweckten Resozialisierungsziel gerecht. Es ist mit dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung nicht zu vereinbaren, wenn ein solches im Strafvollzug erwartetes und während laufender Bewährung gefordertes Verhalten ausländerrechtlich gegen den Betroffenen gewertet wird. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn offensichtlich ist, dass die Bemühungen des Ausländers ausschließlich dem Ausweisungsverfahren geschuldet sind. Dies ist vorliegend jedoch nicht ersichtlich. Der Beschwerdeführer hatte sich vielmehr seit geraumer Zeit um eine Drogentherapie bemüht und hat diese nunmehr wie geplant abgeschlossen.

23

Schließlich fehlt es im angegriffenen Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs sowohl an einer individualisierten Auseinandersetzung mit dem Umstand, dass die nicht drogenbezogene Kriminalität des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Entscheidung acht Jahre zurückliegt, als auch an einer ernsthaften Berücksichtigung des Umstands, dass der 27-jährige Beschwerdeführer seit 24 Jahren in Deutschland lebt und - auch im Hinblick auf das Erreichen des Hauptschulabschlusses - möglicherweise als faktischer Inländer betrachtet werden muss, so dass der Vollzug der Ausweisung einen Grundrechtseingriff von erheblichem Gewicht darstellen dürfte (vgl. im Übrigen zur möglichen Unverhältnismäßigkeit einer Ausweisung auch beim Handeltreiben mit nicht geringen Mengen an Marihuana BVerfGK 12, 37 <42>).

24

Wiegt das Bleibeinteresse des Ausländers besonders schwer, so wird sich nach einer Strafaussetzungsentscheidung der Strafvollstreckungskammer eine relevante Wiederholungsgefahr nur dann bejahen lassen, wenn die ausländerrechtliche Entscheidung auf einer breiteren Tatsachengrundlage als derjenigen der Strafvollstreckungskammer getroffen wird, etwa wenn Ausländerbehörde oder Gericht ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben haben, welches eine Abweichung zulässt, oder wenn die vom Ausländer in der Vergangenheit begangenen Straftaten fortbestehende konkrete Gefahren für höchste Rechtsgüter erkennen lassen. Für eine derartige breitere Tatsachengrundlage ist vorliegend nichts ersichtlich. Ein Sachverständigengutachten haben Ausländerbehörde und Gerichte nicht eingeholt. Für die Annahme fortbestehender konkreter Gefahren für höchste Rechtsgüter hätte es konkreter Feststellungen zu den vom Beschwerdeführer drohenden Straftaten bedurft. Die vom Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 21. März 2016 gesehene Gefahr, dass zu befürchten sei, dass der Beschwerdeführer wieder Cannabis konsumieren werde und zur Finanzierung seiner Sucht weitere Straftaten begehen werde, entbehrt nach den eigenen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs einer Grundlage im Verhalten des Beschwerdeführers.

25

Haben damit die Gerichte schon das Ausweisungsinteresse fehlerhaft bewertet, so ist die weitere Begründung, angesichts dieses Interesses müsse das Bleibeinteresse des Beschwerdeführers zurückstehen, verfassungsrechtlich nicht haltbar. Die tatsächlichen Feststellungen der Gerichte genügen insoweit den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht, da sie eine Rückkehr des Beschwerdeführers schlicht für zumutbar halten, ohne Feststellungen zur Integrationsfähigkeit des Beschwerdeführers in der Türkei zu treffen, die er im Alter von drei Jahren verlassen hat.

26

3. Liegt mithin eine Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG vor, so bedarf es keiner Entscheidung, ob auch Art. 19 Abs. 4 GG verletzt worden ist.

V.

27

Mit der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Die Kammer geht davon aus, dass vor der erneuten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs keine Abschiebung stattfinden wird.


VI.

28

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 17. Oktober 2008 - 5 K 2459/08 - mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
A.
Der 1983 geborene Antragsteller, ein indischer Staatsangehöriger, reiste im Juli 2001 als Asylbewerber in das Bundesgebiet. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte seinen Asylantrag mit Bescheid vom 17.08.2001 u. a. unter Bezugnahme auf § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass keine Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen, und drohte dem Antragsteller die Abschiebung nach Indien an, wenn er das Bundesgebiet nicht binnen einer Woche verlassen habe. Rechtsbehelfe des Antragstellers blieben erfolglos. Anschließend setzte das Regierungspräsidium Tübingen die Abschiebung des zur Wohnsitznahme in Mengen/Landkreis Sigmaringen verpflichteten Antragstellers wiederholt befristet aus, weil er eigenen Angaben zufolge keinen gültigen Pass besaß.
Im März 2006 reiste der Antragsteller nach Schweden, wo er am 20.03.2006 in Sundbyberg die Ehe mit der 1978 geborenen, in Balingen/Landkreis Zollernalbkreis wohnhaften deutschen Staatsangehörigen B. schloss. Anschließend kehrte er in das Bundesgebiet zurück und beantragte beim Landratsamt Sigmaringen die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen sowie seine "Umverteilung" zum Wohnort der Ehefrau. Im September 2006 stellte die Ehefrau einen Scheidungsantrag. Kurz darauf gab sie beim Landratsamt an, mit dem Antragsteller nichts mehr zu tun haben zu wollen. Bei einer weiteren Vorsprache Anfang Mai 2007 erklärte die zwischenzeitlich nach Tübingen verzogene Ehefrau, nach einer Aussprache mit dem Antragsteller wolle sie noch "einen Versuch starten“. Im Oktober 2007 bestätigte die Standesamtsaufsicht des Landratsamts, die vorgelegten schwedischen Heiratsdokumente mit Apostille seien für den deutschen Rechtsbereich wirksam. Anfang November legte der Antragsteller einen am 03.05.2001 auf seinen Namen und Geburtstag sowie mit seinem Lichtbild ausgestellten indischen Reisepass, gültig bis zum 02.05.2011, vor. Bei einer Vorsprache zusammen mit seiner Ehefrau auf dem Landratsamt am 06.02.2008 wurde er auf die Notwendigkeit hingewiesen, zur Nachholung des Visumverfahrens auszureisen; seine Ehefrau erklärte, sie würde ihn in diesem Falle begleiten und zusammen mit ihm auf der Deutschen Botschaft einen Visumantrag stellen. Im März 2008 nahm die Ehefrau den Scheidungsantrag zurück. Im April 2008 teilte die Stadt Tübingen dem Landratsamt mit, dass sie keine Vorabzustimmung zum Visum erteile, weil die Identität des Antragstellers nicht zweifelsfrei nachgewiesen sei. Hierauf beantragte der Antragsteller beim Landratsamt hilfsweise die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen wegen Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens.
Der Antragsteller beging im Bundesgebiet mehrfach Straftaten, die wie folgt geahndet wurden:
1. 30 Tagessätze Geldstrafe wegen wiederholter Verstöße gegen eine räumliche Beschränkung nach dem Aufenthaltsgesetz im Mai 2005 (AG Saulgau am 01.08.2005);
2. 90 Tagessätze Gesamtgeldstrafe wegen wiederholter Verstöße gegen eine räumliche Beschränkung nach dem Aufenthaltsgesetz im Januar und April 2006 sowie wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis im Januar 2006 (AG Saulgau vom 09.03., 13.03. und 30.05.2006, AG Nürtingen vom 15.03.2006);
3. 40 Tagessätze Geldstrafe wegen wiederholter Verstöße gegen eine räumliche Beschränkung nach dem Aufenthaltsgesetz im Februar 2006 (AG Saulgau vom 27.04.2006);
4. 2 Monate und 2 Wochen Freiheitsstrafe zur Bewährung wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tatmehrheit mit Urkundenfälschung im April 2006 (AG Albstadt vom 16.10.2006);
5. 30 Tagessätze Geldstrafe wegen Hausfriedensbruchs im Mai 2007 (AG Sigmaringen vom 19.06.2007);
6. 15 Tagessätze Geldstrafe wegen Erschleichens einer geringwertigen Leistung im März 2008 (AG Bad Saulgau vom 18.06.2008).
10 
Mit Bescheid vom 11.07.2008 lehnte das Landratsamt den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab. Eine Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen sei nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ausgeschlossen; die Anspruchsausnahme nach § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG scheitere an Ausweisungsgründen sowie der Nichterfüllung von Sprach- und Visum-Voraussetzungen. Eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG scheide aus, da die Ausreise weder rechtlich noch tatsächlich unmöglich sei. Über die nach erfolglosem Vorverfahren beim Verwaltungsgericht Sigmaringen erhobene Klage (5 K 2420/08) ist noch nicht entschieden. In seiner Klagebegründung trägt der Antragsteller unter Berufung auf Erfahrungen seines Prozessbevollmächtigten im Verkehr mit der Deutschen Botschaft in Neu Delhi vor, Visaverfahren dauerten dort „in der Regel zwischen sechs Monaten und einem Jahr“. Er verweist ferner auf den Fall des indischen Staatsangehörigen S., der zur Nachholung eines Visumverfahrens nach Indien ausgereist und dem es nicht in zumutbarer Zeit gelungen sei, ein Visum zur Familienzusammenführung zu erhalten.
11 
Nachdem dem Antragsteller die konkrete Absicht des Antragsgegners bekannt wurde, ihn nach Indien abzuschieben, hat er beim Verwaltungsgericht Sigmaringen sinngemäß beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, seinen Aufenthalt vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren 5 K 2420/08 zu dulden. Mit Beschluss vom 17.10.2008 hat das Verwaltungsgericht dem Antrag stattgegeben; die Abschiebung verstoße voraussichtlich gegen das Recht des Antragstellers auf Schutz seiner Ehe nach Art. 6 Abs. 1 GG, weil es ihm unmöglich wäre, in überschaubarer Zeit ein Visum zu erhalten, um zu seiner Ehefrau in das Bundesgebiet zurückzukehren. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners.
12 
Der Berichterstatter hat eine Auskunft der Deutschen Botschaft in Neu Delhi eingeholt; wegen der Einzelheiten wird auf das E-Mail der Botschaft vom 14.01.2009 verwiesen. Im übrigen wird auf die vorliegenden Verwaltungs- und Gerichtsakten sowie die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
B.
I.
13 
Die fristgerechte und formell hinreichend (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO) begründete Beschwerde ist zulässig und aus den vom Antragsgegner dargelegten Gründen (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Unrecht stattgegeben. Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch.
14 
Mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sollen in erster Linie die im Klageverfahren des Verwaltungsgerichts Sigmaringen 5 K 2420/08 gegenüber dem Antragsgegner verfolgten Ansprüche auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären, hilfsweise humanitären Gründen nach §§ 27, 28 Abs. 1 und § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG vorläufig gesichert werden. Soweit die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG einen zwingenden Duldungsgrund nach § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG voraussetzt, ist das Rechtsschutzziel des Eilantrags darüber hinaus sachdienlich (§ 122 Abs. 1 i. V. m. § 88 VwGO) dahin zu verstehen, dass hilfsweise zumindest der entsprechende Duldungsanspruch vorläufig gesichert oder geregelt werden soll. Weder in der einen noch in der anderen Hinsicht hat der Antragsteller jedoch Tatsachen glaubhaft gemacht, die den behaupteten Anordnungsanspruch schlüssig tragen (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 und § 294 ZPO).
15 
1. Es ist zunächst nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller in der Hauptsache die Verpflichtung des Antragsgegners zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären, hilfsweise humanitären Gründen oder zumindest eine erneute Bescheidung seines dahin zielenden Antrags beanspruchen kann.
16 
a) Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen richtet sich zum einen nach den dafür geltenden besonderen Erteilungsvoraussetzungen im sechsten Abschnitt des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes (§ 7 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) und zum anderen nach allgemeinen Vorschriften (§§ 3 ff. AufenthG). Ob der Antragsteller alle besonderen Erteilungsvoraussetzungen erfüllt, erscheint noch nicht abschließend gesichert. Zwar erfüllt er als ausländischer Ehegatte einer Deutschen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Bundesgebiet den Nachzugstatbestand nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Nach der Rücknahme des Scheidungsantrags seiner Ehefrau bestehen derzeit wohl auch keine begründeten Zweifel mehr, dass beide Ehegatten eine unter dem Schutz des Art. 6 GG stehende eheliche Lebensgemeinschaft tatsächlich herstellen wollen (siehe auch die Angaben der Ehefrau beim Landratsamt am 06.02.2008 und ihr im Beschwerdeverfahren vorgelegtes Schreiben an den Rechtsanwalt des Antragstellers vom 03.12.2008). Ebenso wenig sind Anhaltspunkte erkennbar, dass ein Grund für die Nichtzulassung des Familiennachzugs i. S. des § 27 Abs. 1a AufenthG vorliegt. Schließlich haben beide Ehegatten das 18. Lebensjahr vollendet (§ 28 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG). Nach Aktenlage nicht hinreichend geklärt erscheint allerdings, ob sich der Antragsteller i. S. des § 28 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann. Das Landratsamt hat das mit der Begründung verneint, der Antragsteller besitze kein Zertifikat des Goethe-Instituts über die Sprachprüfung A 1 "Start Deutsch". Der Antragsteller hält dem entgegen, das Landratsamt habe sich sicherlich "schon selbst davon überzeugt", dass er "gut Deutsch" spreche. Konkrete Tatsachen zu seinen Sprachfähigkeiten legt der Antragsteller indes nicht dar. Allerdings geht aus den beigezogenen Akten hervor, dass er sich bei verschiedenen Vorsprachen auf dem Landratsamt offenbar ohne Dolmetscher mit dem Sachbearbeiter der Ausländerbehörde verständigen konnte (siehe auch die Strafanzeige der Bundespolizeiinspektion Stralsund vom 15.03.2006, wonach die Verständigung mit dem Antragsteller in deutscher Sprache möglich gewesen sei, S. 217 der Ausländerakten). Ob dies allein als Nachweis für die vom Gesetz geforderte Befähigung genügt, erscheint jedoch fraglich. Insbesondere ergibt sich daraus nicht, dass der Antragsteller sowohl mündlich wie schriftlich über eine Sprachkompetenz i. S. der ersten Stufe A 1 des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens (vgl. http://www.goethe.de/z/50/commeuro/303.htm) verfügt, wie sie etwa durch ein Zertifikat des Goethe-Instituts über die Sprachprüfung A 1 "Start Deutsch" (vgl. http://www.goethe.de/lrn/prj/pba/bes/sd1/ deindex.htm) attestiert wird.
17 
Ungeachtet dessen ist die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen derzeit jedenfalls nach den allgemeinen Vorschriften (§§ 3 ff. AufenthG) ausgeschlossen. Danach darf ein Aufenthaltstitel für einen längerfristigen Aufenthalt zum einen nur erteilt werden, wenn die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG erfüllt sind, soweit von diesen nicht abgesehen werden muss, soll oder kann (z.B. gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 und 2, § 27 Abs. 3 Satz 2 und § 28 Abs. 1 Satz 2 bis 4 AufenthG). Zum anderen darf die Erteilung des Aufenthaltstitels weder nach § 10 Abs. 1 oder 3 noch nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ausgeschlossen sein.
18 
aa) Der Antragsteller erfüllt schon nicht alle allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG. Zum einen liegen Ausweisungsgründe i. S. des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG i. V. m. § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG vor. Der Antragsteller hat jedenfalls mit seinen Straftaten Nr. 1 bis 5 nicht nur vereinzelte oder geringfügige Verstöße gegen Rechtsvorschriften begangen und Anhaltspunkte für eine zur Unanwendbarkeit der Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG führende Atypik sind nicht erkennbar. Zum anderen erfüllt der Antragsteller die - auch für erfolglos gebliebene Asylbewerber geltende (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.06.1997 - 1 C 18.96 - NVwZ 1998, 198) - nationale Visumpflicht für längerfristige Aufenthalte gemäß § 6 Abs. 4 AufenthG nicht, da er - auch nach der Eheschließung in Schweden - nicht mit dem insoweit erforderlichen Visum zur Familienzusammenführung eingereist ist (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG). Er ist von dieser Visumpflicht auch nicht nach § 99 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG i. V. m. §§ 39 ff. AufenthV befreit. Insbesondere ist er weder Staatsangehöriger eines im Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 aufgeführten Staates (§ 39 Nr. 3 AufenthV) noch Staatsangehöriger eines Staates i. S. des § 41 AufenthV und eine Befreiung nach § 39 Nr. 5 AufenthV scheidet schon mangels Eheschließung im Bundesgebiet aus.
19 
Allerdings kann bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen gemäß § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (Nichtvorliegen eines Ausweisungsgrundes) nach Ermessen abgesehen werden. Zudem kann die Ausländerbehörde nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG von der Erfüllung der Visumpflicht absehen, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Zwar mag es sein, dass das behördliche Absehensermessen nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG im Fall des Antragstellers nach Ermittlung, Bewertung und Abwägung aller relevanten Gesichtspunkte, vor allem des Gewichts der Ausweisungsgründe und der Ehe des Antragstellers mit seiner deutschen Ehefrau, im Ergebnis in dem Sinne auf Null reduziert ist, dass vom Vorliegen der Ausweisungsgründe abgesehen werden muss, weil die mit einem Nichtabsehen verbundene e n d g ü l t i g e Versagung eines Aufenthaltsrechts aus familiären Gründen mit Art. 6 Abs. 1 GG oder Art. 8 Abs. 1 EMRK unvereinbar wäre. Darauf kommt es im vorliegenden Verfahren indes nicht an. Der Antragsteller könnte selbst dann nicht die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen beanspruchen, wenn das Ermessen nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG in diesem Sinne zu seinen Gunsten auf Null reduziert wäre. Denn jedenfalls die Voraussetzungen für ein Absehen von der Erfüllung der Visumpflicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG sind nicht erfüllt und die daraus resultierende Notwendigkeit, das Bundesgebiet zur Nachholung des Visumverfahrens zumindest v o r ü b e r g e h e n d zu verlassen, verstößt nicht gegen seine Rechte aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 6 Abs. 1 GG oder Art. 8 Abs. 1 EMRK.
20 
aaa) Im Fall des Antragstellers sind nicht i. S. des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG "die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt", da über seinen Aufenthaltserlaubnisantrag - ungeachtet dessen, dass seine Fähigkeit zur Verständigung in deutscher Sprache bislang nicht gesichert erscheint - jedenfalls wegen des Vorliegens von Ausweisungsgründen gemäß § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nach Ermessen zu entscheiden ist, selbst wenn das Ermessen im Ergebnis zugunsten des Antragstellers auf Null reduziert sein sollte. Denn unter einem Anspruch i. S. des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG ist nur ein gesetzlich gebundener Anspruch zu verstehen; die Vorschrift ist in Fällen der Ermessensreduktion auf Null nicht anwendbar (ebenso OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 04.07.2006 - 2 O 210/06 - juris; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 06.10.2006 - 7 s 32.06 - juris; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 18.06.2007 - 10 PA 65/07 - juris; Hailbronner, AuslR, § 5 AufenthG - Stand Juni 2008 - Rn. 64; Renner, AuslR, 8. Auflage, § 5 AufenthG Rn. 60; a. A. VG Freiburg, Urteil vom 12.04.2005 - 8 K 1275/03 - InfAuslR 2005, 388; Bäuerle in GK-AufenthG, § 5 Rn. 165 - Juni 2007 -; Jakober in Jakober/Welte, AktAR, § 5 AufenthG Rn. 127). Nach seiner Entstehungsgeschichte bezweckt § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG eine Ausnahme von der Visumpflicht "wie bisher" (Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drs. 15/420 S. 70). Die Vorschrift knüpft damit unmittelbar an die Ausnahmen von der Visumpflicht nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AuslG 1990 und deren Voraussetzung eines "Anspruchs auf Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung nach diesem Gesetz" an. Dies musste ein strikter Rechtsanspruch sein, nicht ein solcher, der seinerseits nur ein Ermessen eröffnet, selbst wenn im Einzelfall das Ermessen, etwa auf Grund von Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK, auf Null reduziert war, so dass sich hieraus faktisch ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ergab (BVerwG, Urteil vom 18. Juni 1996 - 1 C 17.95 - BVerwGE 101, 265 <272>; Beschluss vom 03.03.1998 - 1 B 27.98 - Buchholz 402.240 § 28 AuslG Nr. 9; Urteil vom 17.03.2004 - 1 C 11.03 - NVwZ-RR 2004, 687). § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG schreibt diese Rechtslage ohne sachliche Änderung fort. Für dieses enge Verständnis sprechen auch Sinn und Zweck des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, auf die Nachholung des Visumverfahrens zur Vermeidung unnötigen Verwaltungs- und Reiseaufwands zu verzichten, wenn sich alle Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels bereits im Inland ohne eine ins Detail gehende Einzelfallprüfung feststellen lassen. In solchen Fällen verliert der auf Zuwanderungskontrolle und -steuerung zielende Zweck des Visumverfahrens deutlich an Gewicht. Der Verweis auf die Nachholung dieses Verfahrens kann dann auf einen unverhältnismäßigen bloßen Formalismus hinauslaufen. Das wird bei einem strikten gesetzlichen Rechtsanspruch, der nicht durch besondere Umstände des Einzelfalls geprägt und ohne größeren Ermittlungs- und Bewertungsaufwand feststellbar ist, regelmäßig in Betracht kommen. Bei einem Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels auf Grund einer Ermessensreduktion auf Null liegt es im Regelfall anders. Ob das Ermessen von Rechts wegen nur zugunsten des Ausländers ausgeübt werden darf, ist erst nach Sammlung, Gewichtung und Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des jeweiligen Einzelfalles feststellbar, vor allem wenn - wie hier nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG - Straftaten als Ausweisungsgründe das Ermessen eröffnen. Insoweit behält das Visumverfahren, in dem die zuständige inländische Ausländerbehörde (vgl. § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthV) zu beteiligen ist, seinen eigenständigen Sinn, die Zuwanderung für einen längerfristigen Aufenthaltszweck vorrangig vom Ausland zu steuern. Verbleibende Härten, denen früher durch Erteilung einer humanitären Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 AuslG 1990 Rechnung zu tragen war (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.03.2004. a.a.O.), werden jetzt durch die weitere Verzichtsmöglichkeit bei einzelfallbedingter Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG aufgefangen (bbb)); der Erteilung eines humanitären Aufenthaltstitels (§ 25 Abs. 5 AufenthG) wegen solcher Härten bedarf es daher nicht mehr (siehe nachfolgend b).
21 
bbb) Der Antragsteller hat aber auch keine Tatsachen schlüssig glaubhaft gemacht, aus denen sich ergibt, dass es ihm i. S. des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalles nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen.
22 
Der Antragsteller beruft sich insoweit zum einen auf eine angeblich unverhältnismäßig lange Dauer des Visumverfahrens bei der Deutschen Botschaft in Neu Delhi, das nach den Erfahrungen seines Prozessbevollmächtigten „in der Regel zwischen sechs Monaten und einem Jahr“ dauere. Konkrete Tatsachen, die diese Behauptung stützen, hat er aber nicht glaubhaft gemacht. Der Fall des im Hauptsacheverfahren als Zeugen angebotenen indischen Staatsangehörigen S. ist dazu schon nach seinem eigenen Vortrag im Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 21.01.2009 ungeeignet, weil danach S. die Entscheidung über den - von ihm angeblich bei der Deutschen Botschaft in Neu Delhi gestellten - Visumantrag nicht abgewartet habe und bereits nach drei Monaten in das Bundesgebiet zurückgekehrt sei. Es kann deshalb auch dahinstehen, wie die Mitteilung der Deutschen Botschaft in ihrer Auskunft an den Senat vom 14.01.2009 zu würdigen ist, dass unter dem Namen und Geburtsdatum des Herrn S. im System der Botschaft kein Visumantrag zu finden sei. Entgegen der Ansicht des Antragstellers belegt die Auskunft der Botschaft auch nicht, dass Visaverfahren dort „in der Regel zwischen sechs Monaten und einem Jahr“ dauern, zumindest aber nicht, dass gerade der Antragsteller mit einer solchen Dauer des nachzuholenden Visumverfahrens ernsthaft zu rechnen hätte. Die Botschaft legt dar, Visumverfahren auf Familienzusammenführung dauerten "in der Regel zwischen 2 und 5 Monaten, bis sie entscheidungsreif" seien. Die unterschiedliche Dauer beruhe zumeist darauf, dass indische Unterlagen wie Heirats- und Geburtsurkunden überprüft werden müssten, denen wegen der Insuffizienz des indischen Personenstands- und Urkundenwesens nicht ohne weiteres Glauben geschenkt werden könne. Nach Anweisung des Auswärtigen Amtes sei daher das Legalisationsverfahren ausgesetzt. Stattdessen würden die Urkunden durch einen Vertrauensanwalt überprüft, was 6 bis 10 Wochen dauern könne. Wegen hoher Fälschungskriminalität verbunden mit hohem Anteil an Scheinehen und bigamen Eheschließungen, auf die die Botschaft meist erst im Laufe der Urkundenüberprüfungen stoße, könnten zudem DNA-Tests oder Vaterschaftsanerkennungen nötig werden. Der Senat hat keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser Auskunft zu zweifeln. Der von der Botschaft angegebene Zeitraum von 2 bis 5 Monaten bis zur "Entscheidungsreife" der Visaanträge ist unter Berücksichtigung des im Einzelfall gegebenenfalls notwendigen Aufwands zur Überprüfung aller Voraussetzungen für den Familiennachzug gemäß §§ 27 ff. AufenthG - in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht - auch unter Berücksichtigung des Schutzes von Ehe und Familienleben nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK zumutbar. Der Einwand des Antragstellers, "Entscheidungsreife" müsse in der Praxis nicht bedeuten, dass auch "sofort" entschieden werde, zwingt zu keiner anderen Bewertung. Der Senat geht nach der Auskunft der Botschaft davon aus, dass sie im Regelfall alsbald nach "Entscheidungsreife" und nicht erst - wie der Antragsteller vermutet - erst nach Ablauf "weiterer Monate" über Visaanträge entscheidet. Tatsachen, die einen gegenteiligen Schluss zulassen, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, insbesondere ergeben sich keine entsprechenden Indizien aus der eingeholten Auskunft. Dem vom Antragsteller angeführten Umstand, dass die Botschaft einen Monat gebraucht hat, um auf das Auskunftsersuchen des Berichterstatters vom 16.12.2008 zu antworten, kommt entgegen der Ansicht des Antragstellers insoweit kein gegenteiliger verallgemeinerungsfähiger Beweiswert zu. Zum einen lagen zwischen dem Ersuchen und der Auskunft zahlreiche Feiertage. Zum anderen hat die Botschaft erklärt, die verzögerte Beantwortung des Ersuchens sei urlaubs- und krankheitsbedingt. Unsubstantiiert ist im Übrigen der weitere Vortrag des Antragstellers, eine durchschnittliche Dauer der Visaverfahren von 6 bis 12 Monaten sei auch deshalb realitätsnah, weil die Deutsche Botschaft in Neu Delhi "fast routinemäßig" und in der Regel auch bei Vorliegen einer Vorabzustimmung von einer Scheinehe ausgehe. Beweismittel hat er insoweit nicht vorgelegt oder bezeichnet. Auch der Auskunft der Botschaft ist für eine solche Praxis nichts zu entnehmen. Die Botschaft spricht zwar von einem "relativ hohen Anteil von Scheinehen", legt aber zugleich dar, dass sie Ehegattenbefragungen, auf Grund derer sich das Visumverfahren auch „über längere Zeit hinstrecken“ könne, nur durchführe, wenn sich im Einzelfall erhebliche Zweifel an der Schutzwürdigkeit einer Ehe ergäben.
23 
Ungeachtet dessen kann aber jedenfalls nicht davon ausgegangen werden, dass gerade beim Antragsteller mit Überprüfungen der Botschaft von erheblicher zeitlicher Dauer ernsthaft zu rechnen wäre. Wie auch der Antragsgegner mittlerweile einräumt, ist der Verdacht einer Scheinehe im Fall des Antragstellers und seiner deutschen Ehefrau nicht zuletzt auf Grund des geringen Altersunterschiedes des Ehepaares eher fern liegend. Hinzu kommt, dass die Botschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Anlass zu einer langwierigen Überprüfung indischer Urkunden haben dürfte, nachdem der Kläger zwischenzeitlich seinen noch bis Mai 2011 gültigen indischen Reisepass vorgelegt und die Standesamtsaufsicht des Landratsamts Sigmaringen bereits festgestellt hat, dass die schwedischen Heiratsdokumente mit Apostille der zuständigen Behörde für den deutschen Rechtsbereich wirksam sind. Mit Vorlage des indischen Reisepasses dürfte der Antragsteller wohl auch seine Identität hinreichend nachgewiesen haben, zumal auf Seite 3 des Passes unter dem 01.10.2003 auch der von ihm gegenüber den deutschen Behörden verwendete Nachnamenszusatz "..." amtlich bestätigt wird. Schließlich werden DNA-Tests oder Vaterschaftsanerkennungen ebenfalls nicht nötig sein. Dem Visumverfahren vorbehaltener Überprüfungsbedarf besteht allerdings noch hinsichtlich der Fähigkeit des Antragstellers zur Verständigung in deutscher Sprache und der Entscheidung, ob gemäß § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von den Ausweisungsgründen insbesondere unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK abgesehen werden kann oder muss. Das dürfte mit Beteiligung der zuständigen inländischen Ausländerbehörde aber in dem von der Botschaft angegebenen Regelzeitraum - gegebenenfalls nach ergänzender Einholung einer aktuellen Auskunft aus dem Zentralregister - möglich sein. Sollte die Erteilung eines Visums versagt oder eine Entscheidung über den Antrag in einem zumutbaren Zeitraum unterlassen werden, stünde dem anwaltlich vertretenen Antragsteller auch der Rechtsweg zum Verwaltungsgericht Berlin offen (Art. 19 Abs. 4 GG, §§ 40 ff. VwGO). Dass die gerichtliche Durchsetzung eines Anspruchs auf Erteilung eines Visums bei diesem Gericht - wie das Verwaltungsgericht annimmt - "mehrere Jahre" dauern könnte, hält der Senat für unwahrscheinlich. Nach dem letzten Bericht der Präsidentin des Verwaltungsgerichts Berlin zur Geschäftslage des Verwaltungsgerichts Berlin im Geschäftsjahr 2007 vom 18.03.2008 betrug die durchschnittliche Verfahrensdauer der erledigten - von allen Kammern dieses Gerichts bearbeiteten - Visa-Klagen 9,9 Monate und die durchschnittliche Verfahrensdauer sämtlicher erledigten Eilverfahren 2,5 Monate (vgl. Pressemitteilung Nr. 11/2008 des VG Berlin, http://www.berlin.de/sen/justiz/gerichte/vg/presse/archiv/20080318. 1725.96611.html). Davon, dass der Antragsteller mit der Durchsetzung eines Rechtsanspruchs auf Erteilung des Visums - wie er meint - gegebenenfalls "bis zum St. Nimmerleinstag" warten müsste, kann daher wohl keine Rede sein. Jedenfalls hat er insoweit keine Tatsachen glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO), die das Absehen von der Erfüllung der Visumpflicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG erfordern.
24 
Soweit der Antragsteller in seiner Beschwerdeerwiderung ferner auf das Schreiben seiner Ehefrau an seinen Prozessbevollmächtigten vom 03.12.2008 verweist, sind ebenfalls keine die Unzumutbarkeit i. S. des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG begründenden Tatsachen glaubhaft gemacht. Seine Ehefrau legt darin als "Gründe, die gegen eine längere Ausreise" des Antragstellers sprechen, dar: (1) Die durch eine Wohnsitzauflage gegenüber dem Antragsteller bedingte langjährige Trennung im Bundesgebiet; (2) die Kosten einer Ausreise des Antragstellers; (3) die Kosten einer bereits angemieteten Ehewohnung; (4) den Umstand, dass sie nach der früheren Trennung vom Antragsteller psychisch erkrankt gewesen sei, es ihr jetzt aber ganz gut gehe und sie deshalb auf eine nur "kurzweilige Ausreise" ihres Ehemannes hoffe. Dabei handelt es sich jedoch zum einen nicht um ausreisebedingte Nachteile (1 und teilweise 4) und im übrigen (2-4) im Wesentlichen um Schwierigkeiten und Nachteile, die typischerweise und nicht lediglich im Einzelfall des Antragstellers mit einer vorübergehenden Ausreise zur Nachholung des Visumverfahrens verbunden und deshalb zumutbar sind. Dafür spricht nicht zuletzt auch die frühere Einlassung der Ehefrau bei ihrer gemeinsamen Vorsprache mit dem Antragsteller am 06.02.2008, sie sei bereit, gemeinsam mit dem Antragsteller zur Nachholung des Visumverfahrens auszureisen. Letztlich sind auch Tatsachen dafür, dass die Ehefrau für die Dauer des Visumverfahrens in gesundheitlicher Hinsicht auf eine Anwesenheit des Antragstellers im Bundesgebiet angewiesen oder eine ernsthafte Erkrankung der Ehefrau zu befürchten ist, nicht substantiiert dargetan.
25 
Bei dieser Sachlage verstößt die Versagung eines Aufenthaltstitels aus familiären Gründen auch nicht gegen Art. 6 GG. Denn mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie ist es grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen. Das Aufenthaltsgesetz trägt dem Gebot der Verhältnismäßigkeit dadurch Rechnung, dass es Befreiungen von der Visumpflicht nach § 99 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG i. V. m. §§ 39 ff. AufenthV ermöglicht sowie nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG erlaubt, von der Erfüllung der Visumpflicht abzusehen (vgl. BVerfG, 2. Kammer des Zweiten Senats, Beschluss vom 04.12.2007 - 2 BvR 2341/06 - InfAuslR 2008, 341; 3. Kammer des 2. Senats, Beschlüsse vom 10.05.2008 - 2 BvR 588/08 - InfAuslR 2008, 347 und vom 01.12.2008 - 2 BvR 1830/08 - juris). Für den menschenrechtlichen Schutz des Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK kann im Ergebnis nichts anderes gelten. Der mit der Durchführung eines Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist demzufolge regelmäßig hinzunehmen (BVerfG, 3. Kammer des 2. Senats, Beschluss vom 10.05.2008, a. a. O.). Anders kann es zwar liegen, wenn eine unverhältnismäßig lange, die übliche und bei der Eheschließung vorauszusetzende Dauer eines Visumverfahrens übersteigende Trennung der Eheleute droht (vgl. BVerfG, 2. Kammer des 2. en Senats, Beschluss vom 04.12.2007, a. a. O.). Dafür ist hier aber - wie darlegt - nichts glaubhaft gemacht.
26 
bb) Unabhängig vom Vorstehenden ist die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen nach Maßgabe des Abschnitts 6 des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes vor einer Ausreise des Antragstellers auch nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ausgeschlossen. Denn danach darf einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 erteilt werden. Diese Vorschrift findet zwar in Fällen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels keine Anwendung (§ 10 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 AufenthG). Für diese Ausnahme genügt aber nicht - ebenso wenig wie nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG (s. o. aa) aaa)) -, dass dem Antragsteller eine Aufenthaltserlaubnis im Ermessenswege erteilt werden kann, selbst wenn im Einzelfall das behördliche Ermessen zugunsten des Ausländers reduziert ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.12.2008 - 1 C 37.07 - Pressemitteilung Nr. 87/2008). Der Antragsteller ist nach bestandskräftigem Abschluss seines Asylverfahrens noch nicht i. S. des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ausgereist. Dies erforderte, dass er seine asylverfahrensrechtlich begründete Ausreisepflicht erfüllt hätte. Das ist bislang nicht der Fall. Die vorübergehende Ausreise nach Schweden dürfte dafür nicht genügt haben, weil nichts dargelegt oder sonst dafür ersichtlich ist, dass dem Antragsteller Einreise und Aufenthalt in Schweden erlaubt waren (§ 50 Abs. 4 AufenthG).
27 
b) Es ist auch nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller in der Hauptsache die Verpflichtung des Antragsgegners zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG oder zumindest eine erneute Bescheidung seines dahin zielenden Antrags beanspruchen kann. Zwar könnte insoweit von allen allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG ohne weitere Voraussetzung nach Ermessen abgesehen werden (§ 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG). Auch wäre die Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels nicht schon nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ausgeschlossen. Da der Asylantrag des Antragstellers unter Bezugnahme auf § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, könnte aber möglicherweise die Sperrwirkung nach § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eingreifen, sofern diese erst am 01.01.2005 in Kraft getretene Vorschrift auch in "Altfällen" wie dem des Antragstellers anwendbar wäre (str., vgl. Armbruster, HTK-AuslR / § 10 AufenthG / zu Abs. 3 12/2008 Nr. 5 m w. Nachw.). Das kann aber dahinstehen. Denn der Antragsteller hat schon nicht glaubhaft gemacht, dass die Tatbestandsvoraussetzungen nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG erfüllt sind.
28 
Nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Die Ausreise ist in diesem Sinne aus rechtlichen Gründen unmöglich, wenn sowohl der Abschiebung als auch der freiwilligen Ausreise rechtliche Hindernisse entgegenstehen, welche die Ausreise ausschließen oder als unzumutbar erscheinen lassen. Derartige Hindernisse können sich sowohl aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, zu denen u. a. auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa aus Art. 8 EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind, als auch aus zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG. Bei Bestehen solcher Abschiebungsverbote hat nach dem Gesetzeskonzept die zwangsweise Rückführung des betroffenen Ausländers zu unterbleiben. Dann aber ist ihm in aller Regel auch eine freiwillige Rückkehr in sein Heimatland aus denselben rechtlichen Gründen nicht zuzumuten und damit unmöglich im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG (BVerwG, Urteil vom 27.06.2006 - 1 C 14.05 - BVerwGE 126, 192). Der Antragsteller beruft sich insoweit ausschließlich auf ein aus dem Schutz seiner Ehe nach Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK ergebendes Abschiebungsverbot, weil die Abschiebung zu einer zeitlich nicht absehbaren, dauerhaften Trennung von seiner deutschen Ehefrau führe. Das behauptete Abschiebungsverbot liegt jedoch nicht vor.
29 
Der Antragsteller ist seit Ablauf der ihm im Bescheid des Bundesamts vom 17.08.2001 bestimmten Ausreisefrist von einer Woche vollziehbar ausreisepflichtig; die regelmäßig wiederholte Aussetzung der Abschiebung hat daran nichts geändert (§ 60 a Abs. 3 AufenthG). Die nunmehr vom Antragsgegner konkret beabsichtigte Abschiebung soll die fortbestehende Ausreisepflicht zwangsweise durchsetzen, weil der Antragsteller sich weigert, sie freiwillig zu erfüllen. Die Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen steht dem nicht entgegen. Art. 6 GG gewährt Ausländern keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt im Bundesgebiet. Das Grundgesetz überantwortet die Entscheidung, in welcher Zahl und unter welchen Voraussetzungen der Zugang zum Bundesgebiet ermöglicht werden soll, weitgehend der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat Ehe und Familie zu schützen und zu fördern hat, dazu, bestehende eheliche und familiäre Bindungen an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfGE 76, 1 <47 f., 49 ff.>). Für das Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK gilt im Ergebnis nichts anderes. Auch die Menschenrechtskonvention garantiert nicht das Recht eines Ausländers, in einen bestimmten Staat einzureisen oder sich dort aufzuhalten. Die Vertragsstaaten haben vielmehr das Recht, über Einreise und Aufenthalt fremder Staatsangehöriger unter Beachtung der in der Konvention geschützten Rechte zu entscheiden, wobei Art. 8 EMRK sie verpflichtet, einen angemessenen Ausgleich der berührten Rechte und der öffentlichen Interessen herzustellen (vgl. EGMR, Urteil vom 19.02.1996 - Nr. 53/1995/559/645 - Rn. 38, InfAuslR 1996, 245; Urteil vom 31.01.2006 - Nr. 50435/99 - - Rn. 39, EuGRZ 2006, 562). Diesen verfassungs- und menschenrechtlichen Schutzpflichten tragen die abgestuften gesetzlichen Regelungen über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen nach dem sechsten Abschnitt des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes nach Maßgabe der nach Fallgruppen gewichteten besonderen Schutzbedürftigkeit der Betroffenen grundsätzlich abschließend Rechnung (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.12.1997 - 1 C 19.96 - BVerwGE 106, 13 ff. zu den vergleichbaren Regelungen in §§ 17 ff. AuslG; siehe auch Eckertz-Höfer, ZAR 2008, 41 <42 f.> m. w. N.). Auch die allgemeinen Vorschriften (§§ 3 ff. AufenthG), soweit von diesen nicht nach §§ 27 ff. AufenthG abgesehen werden muss, soll oder kann, sind gegebenenfalls unter Beachtung der wertsetzenden Bedeutung des Art. 6 GG - verfassungskonform - auszulegen und anzuwenden (BVerfG, 2. Kammer des 2. Senats, Beschluss vom 11.05.2007 - 2 BvR 2483/06 - NVwZ 2007, 1302; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 04.09.2007 - 1 C 43.06 - NVwZ 2008, 333 § 11 abs. 1 satz 3 und 4 aufenthg>). Für aufenthaltsrechtliche Schutzpflichten aus Art. 8 EMRK gilt nichts Anderes. Ist die Versagung eines Aufenthaltsrechts aus familiären Gründen nach §§ 27 ff. AufenthG danach auch unter Beachtung der Schutzpflichten aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK rechtmäßig, verstoßen grundsätzlich weder die damit einhergehende Ausreisepflicht noch deren zwangsweise Durchsetzung gegen Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.06.1997, a. a. O.; Urteil vom 18.06.1996 - 1 C 17.95 - BVerwGE 101, 265). In solchen Fällen scheidet eine Legalisierung des Aufenthalts aus familiären Gründen unter Rückgriff auf die - dafür nicht bestimmten (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) - Vorschriften über die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen im fünften Abschnitt des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes, insbesondere nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG, schon aus systematischen Gründen aus (siehe zum Trennungsprinzip im Aufenthaltsrecht auch BVerwG, Urteil vom 04.09.2007 - 1 C 43.06 - NVwZ 2008, 333). Etwas Anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn zwar das Aufenthaltsrecht aus familiären Gründen ohne Verstoß gegen Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK versagt werden muss oder darf (z. B. gemäß § 5 Abs. 2, § 10 Abs. 3 Satz 1 oder 2 oder § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG), jedoch (nur) die zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht mit Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK unvereinbar wäre (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.06.1997 - 1 C 9.95 - BVerwGE 105, 35; Urteil vom 09.12.1997, a. a. O.). Das kann etwa der Fall sein, wenn dem Ausländer und seinen Angehörigen nicht zugemutet werden kann, ihre familiären Bindungen im Bundesgebiet auch nur vorübergehend durch Ausreise - z. B. zur Nachholung eines Visumverfahrens - zu unterbrechen (vgl. Funke-Kaiser in GK-AufenthG - Februar 2008 - § 60a AufenthG Rn. 134-136). Eine derartige Fallgestaltung liegt hier indes aus den oben (1.a)) dargelegten Gründen nicht vor.
30 
2. Es ist schließlich auch nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller vom Antragsgegner die Aussetzung der Abschiebung nach § 60 a Abs. 2 AufenthG (Duldung) oder eine dahingehende Ermessensentscheidung beanspruchen kann.
31 
Tatsachen für einen zwingenden Duldungsgrund nach § 60 a Abs. 2 Satz 1 oder 2 AufenthG hat der Antragsteller nicht schlüssig glaubhaft gemacht. Er beruft sich insoweit der Sache nach auf die selben Umstände wie zur Begründung der hilfsweise erstrebten Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG. Insoweit liegt jedoch - wie oben ausgeführt (I. 1.) - kein zwingender Duldungsgrund vor. Im übrigen sind auch Tatsachen, die eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach Ermessen gemäß § 60 a Abs. 2 Satz 3 AufenthG rechtfertigen, weder dargetan noch sonst ersichtlich.
II.
32 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG.
33 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

Die Ausländerbehörde ist an die Entscheidung des Bundesamtes oder des Verwaltungsgerichts über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes gebunden. Über den späteren Eintritt und Wegfall der Voraussetzungen des § 60 Abs. 4 des Aufenthaltsgesetzes entscheidet die Ausländerbehörde, ohne dass es einer Aufhebung der Entscheidung des Bundesamtes bedarf.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ein Asylantrag liegt vor, wenn sich dem schriftlich, mündlich oder auf andere Weise geäußerten Willen des Ausländers entnehmen lässt, dass er im Bundesgebiet Schutz vor politischer Verfolgung sucht oder dass er Schutz vor Abschiebung oder einer sonstigen Rückführung in einen Staat begehrt, in dem ihm eine Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 droht.

(2) Mit jedem Asylantrag wird die Anerkennung als Asylberechtigter sowie internationaler Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 beantragt. Der Ausländer kann den Asylantrag auf die Zuerkennung internationalen Schutzes beschränken. Er ist über die Folgen einer Beschränkung des Antrags zu belehren. § 24 Absatz 2 bleibt unberührt.

(3) Ein Ausländer, der nicht im Besitz der erforderlichen Einreisepapiere ist, hat an der Grenze um Asyl nachzusuchen (§ 18). Im Falle der unerlaubten Einreise hat er sich unverzüglich bei einer Aufnahmeeinrichtung zu melden (§ 22) oder bei der Ausländerbehörde oder der Polizei um Asyl nachzusuchen (§ 19). Der nachfolgende Asylantrag ist unverzüglich zu stellen.

(1) Die Entscheidung des Bundesamtes ergeht schriftlich. Sie ist schriftlich zu begründen. Entscheidungen, die der Anfechtung unterliegen, sind den Beteiligten unverzüglich zuzustellen. Wurde kein Bevollmächtigter für das Verfahren bestellt, ist eine Übersetzung der Entscheidungsformel und der Rechtsbehelfsbelehrung in einer Sprache beizufügen, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann. Das Bundesamt informiert mit der Entscheidung über die Rechte und Pflichten, die sich aus ihr ergeben.

(2) In Entscheidungen über zulässige Asylanträge und nach § 30 Absatz 5 ist ausdrücklich festzustellen, ob dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz zuerkannt wird und ob er als Asylberechtigter anerkannt wird. In den Fällen des § 13 Absatz 2 Satz 2 ist nur über den beschränkten Antrag zu entscheiden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 und in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge ist festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen. Davon kann abgesehen werden, wenn der Ausländer als Asylberechtigter anerkannt wird oder ihm internationaler Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 zuerkannt wird. Von der Feststellung nach Satz 1 kann auch abgesehen werden, wenn das Bundesamt in einem früheren Verfahren über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes entschieden hat und die Voraussetzungen des § 51 Absatz 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht vorliegen.

(4) Wird der Asylantrag nur nach § 26a als unzulässig abgelehnt, bleibt § 26 Absatz 5 in den Fällen des § 26 Absatz 1 bis 4 unberührt.

(5) Wird ein Ausländer nach § 26 Absatz 1 bis 3 als Asylberechtigter anerkannt oder wird ihm nach § 26 Absatz 5 internationaler Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 zuerkannt, soll von der Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen werden.

(6) Wird der Asylantrag nach § 29 Absatz 1 Nummer 1 als unzulässig abgelehnt, wird dem Ausländer in der Entscheidung mitgeteilt, welcher andere Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.

(7) In der Entscheidung des Bundesamtes ist die AZR-Nummer nach § 3 Absatz 1 Nummer 2 des Gesetzes über das Ausländerzentralregister zu nennen.

Tatbestand

1

Der Kläger erstrebt Abschiebungsschutz wegen ihm in Afghanistan drohender Gefahren.

2

Der 1970 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört zur Volksgruppe der Paschtunen und stammt aus der Provinz Kunar. Er reiste im April 2001 nach Deutschland ein und betrieb hier erfolglos ein Asylverfahren. Im Juni 2007 stellte er einen Asylfolgeantrag. Mit Bescheid vom 18. Juni 2007 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und eine Änderung seiner Feststellung zum Nichtvorliegen von Abschiebungshindernissen gemäß § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG 1990 ab. Das Verwaltungsgericht hat das Bundesamt im Mai 2008 zu der Feststellung verpflichtet, dass bei dem Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

3

Hiergegen hat nur die Beklagte Berufung eingelegt. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung im Juni 2009 zurückgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt: Das grundsätzlich vorrangige - europarechtlich begründete - Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG sei vorliegend nicht zu prüfen. Zwar sei im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in der Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes bereits in Kraft gewesen und der Kläger habe die Feststellung von Abschiebungsverboten "nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG" beantragt. Das Verwaltungsgericht habe über das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG aber - rechtsirrtümlich - nicht entschieden. Da es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass das Verwaltungsgericht bewusst nur über einen Teil des Streitgegenstandes entscheiden wollte, liege kein Teilurteil vor. Das Urteil sei vielmehr im Hinblick auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG fehlerhaft. Es verstoße gegen § 88 VwGO, weil es über das europarechtliche Abschiebungsverbot rechtsirrtümlich nicht vorrangig entschieden habe. Der Kläger habe jedoch keinen Zulassungsantrag gestellt und der Antrag des Bundesamts auf Zulassung der Berufung sei auf den stattgebenden Teil des angefochtenen Urteils, also das - nationale - Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begrenzt gewesen; nur insoweit sei die Berufung zugelassen worden. Wegen der Dispositionsbefugnis der Beteiligten sei der Streitgegenstand des Berufungsverfahrens damit hierauf beschränkt. Mit der rechtskräftigen Abweisung der Klage durch das Verwaltungsgericht im Übrigen sei die Rechtshängigkeit des unbeschieden gebliebenen europarechtlich begründeten Abschiebungsverbots des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entfallen.

4

Dem Kläger sei in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG Abschiebungsschutz zu gewähren. Er gehöre zu der Gruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen Staatsangehörigen, die bei einer Abschiebung nach Kabul ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte seien und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügten. Angehörige dieser Gruppe hätten kaum Aussicht, eine Arbeit zu finden und damit ihren eigenen Lebensunterhalt zu sichern. Unter diesen Umständen würden dem Kläger ausschließlich Tee und Brot als Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. Angesichts dieser Lebensbedingungen in Afghanistan, insbesondere der derzeit vorherrschenden katastrophalen Versorgungslage, aber auch der medizinischen Versorgung und der Sicherheitslage, bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger zwangsläufig in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten würde. Insbesondere die durch die Mangelernährung erhöhte Infektanfälligkeit werde in Verbindung mit dem ebenfalls ernährungsbedingten Eisenmangel zu schwerwiegenden Infektionen der Atmungs- und Verdauungsorgane führen.

5

Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision beanstandet die Beklagte vor allem, dass sich das Berufungsgericht im Hinblick auf die vom Kläger befürchteten allgemeinen Gefahren auf zu schmaler Tatsachengrundlage über die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG hinweggesetzt habe.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Berufungsurteil verletzt in mehrfacher Hinsicht Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil in der Sache nicht abschließend entscheiden kann, ist das Verfahren an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

7

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist zunächst das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes. Hierzu zählen in Umsetzung des subsidiären Schutzkonzepts nach Art. 15 und 17 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 - sog. Qualifikationsrichtlinie - die in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG aufgeführten Abschiebungsverbote. Dieses Begehren ist mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (BGBl I 2007, 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - im August 2007 Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens geworden und ist dies - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - nach wie vor. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist ferner das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Feststellung eines (nationalen) Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 und 3 AufenthG einschließlich der Feststellung eines Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG. Nicht mehr Gegenstand des Verfahrens ist der Folgeantrag des Klägers hinsichtlich der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung, über den das Verwaltungsgericht rechtskräftig (negativ) entschieden hat. Eine Abschiebungsandrohung ist ebenfalls nicht Gegenstand des Verfahrens. Denn das Bundesamt hat hierzu in seinem angefochtenen Bescheid keine Entscheidung getroffen.

8

Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht, weil es den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz nicht geprüft hat (1.). Es verletzt ferner Bundesrecht, weil es beim nationalen Abschiebungsschutz den Anforderungen an die verfassungskonforme Auslegung und Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG im Falle allgemeiner Gefahren nicht hinreichend Rechnung getragen hat (2.). Schließlich verletzt es Bundesrecht, weil seine Feststellungen zur Gefahrenprognose bei verfassungskonformer Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten (3.).

9

1. Das Berufungsgericht hätte nicht ungeprüft lassen dürfen, ob der Kläger die Voraussetzungen für die Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots erfüllt. Dieser Streitgegenstand ist in allen Übergangsfällen, in denen das Bundesamt über die Zuerkennung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG a.F. entschieden hat und hiergegen Klage erhoben wurde, mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes im August 2007 im gerichtlichen Verfahren angewachsen. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats gilt dies jedenfalls dann, wenn das Bundesamt in seinem Ablehnungsbescheid über sämtliche zielstaatsbezogenen aufenthaltsrechtlichen Abschiebungsverbote sachlich entschieden und der Kläger die neuen, auf Unionsrecht beruhenden subsidiären Abschiebungsverbote in das anhängige gerichtliche Verfahren einbezogen hat (vgl. Urteile vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 4.09 - BVerwGE 136, 360 <364 f.> und vom 29. Juni 2010 - BVerwG 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226 <228 f.>). An dieser (vorsorglichen) Einschränkung für ein Anwachsen des unionsrechtlich begründeten Abschiebungsschutzes in Übergangsfällen hält der Senat nicht fest; vielmehr wächst dieser Streitgegenstand kraft Gesetzes und unabhängig vom Verfahrenshandeln der Beteiligten an. Dies leitet der Senat - in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur gesetzlichen Erweiterung des Streitgegenstands der Asylklage um die Prüfung der Voraussetzungen des flüchtlingsrechtlichen Abschiebungsverbots nach § 51 Abs. 1 AuslG 1990 (vgl. u.a. Urteil vom 18. Februar 1992 - BVerwG 9 C 59.91 - Buchholz 402.25 § 7 AsylVfG Nr. 1 = DVBl 1992, 843) - aus folgenden verfahrensrechtlichen und materiellrechtlichen Gründen her:

10

Verfahrensrechtlich hat der Senat in ständiger Rechtsprechung die dem Asylverfahrensgesetz zugrunde liegende Konzentrations- und Beschleunigungsmaxime betont, die dafür streitet, möglichst alle Fragen, die sich typischerweise in einem Asylverfahren stellen, in einem Prozess abschließend zu klären und nicht weiteren Verfahren vorzubehalten (vgl. etwa Urteil vom 29. Juni 2010 a.a.O.). Denn das Asylverfahren ist auf eine alle Arten des Schutzes vor zielstaatsbezogenen Gefahren umfassende Entscheidung angelegt (vgl. Urteile vom 20. April 1999 - BVerwG 9 C 29.98 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 18 und vom 20. Oktober 2004 - BVerwG 1 C 15.03 - Buchholz a.a.O. Nr. 82). Würde man im vorliegenden Zusammenhang ein Anwachsen des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes verneinen, könnte und müsste der Kläger dieses Begehren in einem weiteren Verfahren verfolgen, was in aller Regel mit (zusätzlichen) Verzögerungen verbunden ist.

11

Materiellrechtlich ist ein Anwachsen des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes zunächst im Hinblick auf den nachrangigen nationalen Abschiebungsschutz geboten, soweit es die verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG betrifft. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kann die gesetzlich angeordnete Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei allgemeinen Gefahren nur dann im Wege einer verfassungskonformen Auslegung eingeschränkt werden, wenn für den Schutzsuchenden ansonsten eine verfassungswidrige Schutzlücke besteht. Eine Schutzlücke besteht für den Kläger indes nicht, falls er die Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots beanspruchen kann. Dies bedeutet im Verhältnis von unionsrechtlichem und nationalem Abschiebungsschutz, dass bei allgemeinen Gefahren ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung nicht in Betracht kommt, solange die Zuerkennung von subsidiärem unionsrechtlichen Schutz nicht ausgeschlossen ist (vgl. hierzu zuletzt Urteil vom 29. Juni 2010 a.a.O. m.w.N.). Eine bloße Inzidentprüfung des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes im Rahmen der Entscheidung über die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung wäre keine geeignete Alternative, weil das Ergebnis dieser Prüfung keine Bindungswirkung hätte.

12

Die gesetzliche Erweiterung des Streitgegenstandes ergibt sich ferner daraus, dass das Gesetz im Fall der Ablehnung des Schutzantrags in der Regel den Erlass einer Abschiebungsandrohung vorsieht. Nach § 34 AsylVfG erlässt das Bundesamt die Abschiebungsandrohung, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt und ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird und er keinen Aufenthaltstitel besitzt. Die Rechtmäßigkeit dieser Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatsbezeichnung gemäß § 59 Abs. 2 AufenthG kann im Gerichtsverfahren aber nur dann bestätigt werden, wenn das Vorliegen sämtlicher zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote geprüft und verneint worden ist. Würden im gerichtlichen Verfahren zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote - wie die des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes - zunächst ungeprüft bleiben, müsste auch die Überprüfung der Zielstaatsbezeichnung einem weiteren Verfahren vorbehalten bleiben.

13

Diese materiellrechtlichen Gründe überlagern in ihrer verfahrensrechtlichen Konsequenz das allgemeine Verwaltungsprozessrecht und bewirken, dass in den Fällen, in denen das Bundesamt vor Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes über das (Nicht-)Vorliegen von nationalen Abschiebungsverboten entschieden hat und hiergegen Klage erhoben worden ist, in den anhängigen gerichtlichen Verfahren der am 28. August 2007 neu hinzugetretene unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz automatisch anwächst und damit zwingend zu prüfen ist. Über dieses Prüfprogramm können die Verfahrensbeteiligten nicht disponieren und damit in Übergangsfällen das Anwachsen des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes während des gerichtlichen Verfahrens nicht verhindern. In diesen Fällen bedarf es keiner ausdrücklichen Einbeziehung des neuen, auf Unionsrecht beruhenden subsidiären Abschiebungsschutzes in das anhängige gerichtliche Verfahren durch einen der Verfahrensbeteiligten (so Urteil vom 29. Juni 2010 a.a.O.). Ist der unionsrechtliche Abschiebungsschutz - wie hier - im erstinstanzlichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren angewachsen, scheidet er allerdings dann aus dem gerichtlichen Verfahren aus, wenn das Verwaltungsgericht darüber ausdrücklich in der Sache entschieden hat und der unterlegene Beteiligte hiergegen kein Rechtsmittel eingelegt hat. Denn dann ist dieser Streitgegenstand durch eine rechtskräftige Entscheidung abgeschichtet worden. Entsprechendes gilt bei dem Anwachsen des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes im Berufungsverfahren im Falle einer unangefochten bleibenden und damit rechtskräftigen Sachentscheidung durch das Berufungsgericht.

14

Ein Nichtentscheiden oder irrtümliches Übergehen durch das Verwaltungsgericht reicht nicht aus, um den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz aus dem Verfahren ausscheiden zu lassen, und zwar auch dann nicht, wenn einer der Beteiligten den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz im Verfahren angesprochen hatte. Um Missverständnisse zu vermeiden, weist der Senat auf Folgendes hin: Falls eine gerichtliche Entscheidung, in der das Anwachsen des unionsrechtlich begründeten Abschiebungsschutzes in Übergangsfällen nicht berücksichtigt worden ist, rechtskräftig geworden ist, ist damit die Rechtshängigkeit dieses Teils des Streitgegenstandes entfallen (vgl. Urteil vom 22. März 1994 - BVerwG 9 C 529.93 - BVerwGE 95, 269 <274>). Der Betroffene kann dieses unbeschieden gebliebene Begehren daher beim Bundesamt geltend machen (Urteil vom 22. März 1994 a.a.O. S. 275).

15

Im Entscheidungsfall fehlt es an einer unanfechtbaren Sachentscheidung zum unionsrechtlichen Abschiebungsschutz. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zwar im Übrigen abgewiesen, diese Teilabweisung aber ersichtlich nicht auf den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz bezogen. Dass der unionsrechtliche Abschiebungsschutz während des gerichtlichen Verfahrens angewachsen ist, hat das Verwaltungsgericht irrtümlich verkannt. Auch das Berufungsgericht geht von einem rechtsirrtümlichen Nichtentscheiden des Verwaltungsgerichts über das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG aus (UA S. 6).

16

Vorliegend ist der unionsrechtliche Abschiebungsschutz demnach im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht angewachsen und entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Das Berufungsgericht muss sich daher in dem erneuten Berufungsverfahren mit diesem Begehren befassen. Nach der Rechtsprechung des Senats handelt es sich insoweit um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand, der eigenständig und vorrangig vor den sonstigen zielstaatsbezogenen ausländerrechtlichen Abschiebungsverboten zu prüfen ist (vgl. Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 11). Das Berufungsgericht muss deshalb alle entsprechenden Anspruchsgrundlagen in den Blick nehmen, aus denen sich ein Anspruch auf Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots in Bezug auf Afghanistan ergeben kann (§ 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG), wobei hier im Hinblick auf die allgemeinen Gefahren und den innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in Afghanistan § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG im Vordergrund stehen dürfte.

17

2. Das Berufungsurteil verletzt auch hinsichtlich des nationalen Abschiebungsschutzes Bundesrecht. Das Berufungsgericht wird sich im Falle der Ablehnung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots auch mit diesem Begehren nochmals befassen müssen. Bei dem nationalen Abschiebungsschutz handelt es sich nach dem Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes ebenfalls um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand mit mehreren Anspruchsgrundlagen (§ 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung). Eine Abschichtung einzelner nationaler Abschiebungsverbote im Laufe des gerichtlichen Verfahrens ist daher ungeachtet des materiellen Nachrangs des Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG nicht möglich. Soweit der Senat im Urteil vom 29. Juni 2010 - BVerwG 10 C 10.09 - (BVerwGE 137, 226 Rn. 6) davon ausgegangen ist, dass im dortigen Verfahren nur (noch) § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG und nicht (mehr) § 60 Abs. 5 AufenthG Gegenstand des Verfahrens war, handelt es sich um eine vor Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes erklärte Rücknahme, die nach der früher maßgeblichen Staffelung der Streitgegenstände des nationalen Abschiebungsschutzes (vgl. zur früheren Rechtslage Urteil vom 15. April 1997 - BVerwG 9 C 19.96 - BVerwGE 104, 260) noch zulässig und wirksam war.

18

Das Berufungsgericht ist an der Feststellung eines Abschiebungsschutzes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG entgegen der Auffassung der Beklagten allerdings nicht schon deshalb gehindert, weil der Schutzsuchende auch bei Vorliegen einer Extremgefahr auf die Anfechtung einer Abschiebungsandrohung bzw. der darin enthaltenen Zielstaatsbezeichnung beschränkt wäre. Bei Gewährung von Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG ersetzt die gerichtliche Schutzgewähr nicht im Einzelfall eine Anordnung nach § 60a Abs. 1 AufenthG; die gerichtliche Prüfung bleibt im System der positiven Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbots (s.a. § 59 Abs. 3 Satz 3 AufenthG). Über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG hat - wie bei anderen aufenthaltsrechtlichen Abschiebungsverboten auch - die Ausländerbehörde zu entscheiden.

19

Das Berufungsurteil ist aber insoweit mit Bundesrecht nicht vereinbar, als es dem Kläger Abschiebungsschutz nach nationalem Recht in verfassungskonformer Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG zugesprochen hat, ohne das Vorliegen des unionsrechtlich begründeten Abschiebungsschutzes (Abschiebungsverbote u.a. nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG) rechtsfehlerfrei zu prüfen und auszuschließen. Damit hat es sowohl den Vorrang des unionsrechtlichen gegenüber dem nationalen Abschiebungsschutz (vgl. Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 11) als auch die in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Voraussetzungen für die verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in Fällen einer allgemeinen Gefahr verfehlt.

20

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG sind Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Eine derartige Abschiebestopp-Anordnung besteht für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht (mehr). Mit seinem Hinweis insbesondere auf die unzureichende Versorgungslage in Afghanistan, die für Rückkehrer ohne Berufsausbildung und familiäre Unterstützung bestehe, macht der Kläger allgemeine Gefahren geltend, die aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht rechtfertigen können. Diese Sperrwirkung kann, wie ausgeführt, nur dann im Wege einer verfassungskonformen Auslegung eingeschränkt werden, wenn für den Schutzsuchenden ansonsten eine verfassungswidrige Schutzlücke besteht. Eine Schutzlücke besteht für den Kläger nicht, falls ihm unionsrechtlicher Abschiebungsschutz zusteht. Das Berufungsgericht hätte sich daher auch aus diesem Grund mit der Frage des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes befassen müssen, ehe es sich mittels verfassungskonformer Auslegung über die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG hinwegsetzt.

21

3. Schließlich ist die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch das Berufungsgericht auch deshalb mit Bundesrecht nicht vereinbar, weil seine Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr des Klägers nach Afghanistan einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten. Das Berufungsgericht hat zwar zutreffend erkannt, dass eine unmittelbare Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausscheidet, weil der Kläger keine individuellen, nur ihm drohenden Gefahren, sondern allgemeine Gefahren geltend macht. Es ist aber bei der verfassungskonformen Anwendung der Vorschrift hinter den maßgeblichen rechtlichen Anforderungen zurückgeblieben. So ist es zwar zutreffend von den rechtlichen Maßstäben ausgegangen, die der Senat zum Vorliegen einer extremen Gefahrenlage entwickelt hat. Es ist in diesem Zusammenhang aber den Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung nicht gerecht geworden und hat seine Entscheidung auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt.

22

Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die den Kläger in Afghanistan erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann er Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren.

23

Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde". Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. Urteil vom 29. Juni 2010 a.a.O. Rn. 15 m.w.N.).

24

Das Berufungsgericht hat sich ausdrücklich auf diesen hohen Wahrscheinlichkeitsmaßstab bezogen und in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung des Senats zitiert. Es spricht davon, dass der Kläger in Afghanistan mangels jeglicher Lebensgrundlage unausweichlich dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert wäre (UA S. 11). In einer Gesamtgefahrenschau müsse deshalb in seinem Falle eine extreme Gefahrenlage bejaht werden (UA S. 24). Diese rechtliche Schlussfolgerung ist durch die getroffenen tatsächlichen Feststellungen und deren Würdigung jedoch nicht gedeckt. Soweit das Berufungsgericht hierfür an der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Koblenz vom 6. Mai 2008 anknüpft, verweist der Senat auf seine dieses Urteil aufhebende Entscheidung vom 29. Juni 2010 - BVerwG 10 C 10.09 - (a.a.O.). Indes tragen auch die weitergehenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, das eine weitere Verschärfung der allgemeinen Lebensbedingungen in Afghanistan konstatiert und dies unter anderem mit der inzwischen landesweit schwierigen Sicherheitslage begründet (UA S. 18 ff. und 22 f.), die von ihm vorgenommene Gesamtentscheidung nicht.

25

Dies zeigt sich insbesondere im Hinblick auf die vom Berufungsgericht festgestellte drohende Mangelernährung und die damit verbundenen gesundheitlichen Risiken. Das Berufungsgericht geht zwar von einer - gegenüber den vom Oberverwaltungsgericht Koblenz beschriebenen Gegebenheiten - weiteren Zuspitzung der Versorgungslage in Afghanistan aus, bedingt vor allem durch die weiter verschlechterte Sicherheitslage. Das Gericht belegt dies mit der Feststellung, nur noch 37 % der afghanischen Bevölkerung gebe an, sich notwendige Lebensmittel leisten zu können. Jedenfalls für die Mehrheit der auf dem Land lebenden Afghanen gebe es keine Ernährungssicherheit. Die Hälfte aller Kinder bis zum Alter von fünf Jahren gelte als chronisch unterernährt (jeweils UA S. 20). Diese Feststellungen tragen indes nicht den Schluss des Berufungsgerichts, dass in Afghanistan eine derart extreme Gefahr besteht, dass das Leben jedes alleinstehenden jüngeren arbeitsfähigen Mannes - und damit das des Klägers - aufgrund der mangelhaften Versorgungslage akut gefährdet ist. Dies zeigt, dass sich das Berufungsgericht bei der Würdigung dieser zentralen Frage auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt und den erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeitsmaßstab verfehlt hat.

26

Entsprechendes gilt für die durch Mangelernährung ausgelösten gesundheitlichen Risiken. Die Feststellung des Berufungsgerichts, der Kläger würde bei einer Ernährung ausschließlich von Tee und Brot alsbald und unausweichlich in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten (UA S. 12), ist nicht durch hinreichend detaillierte Tatsachen belegt. Dies gilt für die Wahrscheinlichkeit des vom Berufungsgericht befürchteten Krankheitsverlaufs im Allgemeinen, aber auch für die zeitliche Perspektive der lebensbedrohlichen Folgen und die Unausweichlichkeit des prognostizierten Geschehensablaufs.

27

Bei der Gesamtprognose ist nicht erkennbar, aus welchen Gründen sich das Berufungsgericht davon überzeugt hat, dass sich die jeweils hohe Eintrittswahrscheinlichkeit bei den Teilkomplexen zu einer entsprechend hohen Eintrittswahrscheinlichkeit insgesamt zusammenfügt. Dies hat der Senat bereits bei der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Koblenz beanstandet. Das Berufungsgericht hat ebenfalls im Wesentlichen einzelne Risiken festgestellt und bewertet, sie aber nicht im Rahmen einer umfassenden Gesamtgefahrenprognose gewürdigt (vgl. hierzu Beschluss vom 25. Februar 2000 - BVerwG 9 B 77.00 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 31). Dies zeigt sich etwa daran, dass der Zusammenhang zwischen Versorgungslage und Sicherheitslage nicht hinreichend deutlich wird. Beide Teilkomplexe stehen weitgehend unvermittelt nebeneinander.

28

4. Bei seiner erneuten Befassung mit der Sache ist das Berufungsgericht gehalten, sich auch mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte auseinanderzusetzen (vgl. etwa Urteil des VGH München vom 3. Februar 2011 - 13 a B 10.30394 - juris, das sich seinerseits allerdings auch nicht mit der Rechtsprechung des Berufungsgerichts auseinandersetzt; vgl. dazu auch Urteil des Senats vom 29. Juni 2010 a.a.O. Rn. 22). Sollte es für die Entscheidung weiterhin entscheidungserheblich auf das Vorhandensein einer familiären Unterstützung ankommen, wird das Berufungsgericht ferner auch den familiären Verhältnissen des Klägers in Afghanistan nochmals nachzugehen haben. Der Kläger hat sich für sein Vorbringen, dass Angehörige getötet worden seien, auf einen Brief bezogen, den ein Landsmann Ende 2005 in Deutschland erhalten habe. Der Inhalt dieses Briefes ist aber offenbar unklar (vgl. in der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht die Einlassungen des Dolmetschers).

Tatbestand

1

Der Kläger erstrebt unionsrechtlich begründeten Abschiebungsschutz wegen Gefahren aufgrund eines bewaffneten innerstaatlichen Konflikts, hilfsweise nationalen Abschiebungsschutz wegen ihm drohender (extremer) Gefahr für Leib und Leben vor allem durch Mangelernährung.

2

Der 1981 geborene, ledige Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört zur Volksgruppe der Hazara und stammt aus der Provinz Ghazni. Er reiste im Februar 2003 nach Deutschland ein und betrieb hier erfolglos ein Asylverfahren. Im November 2006 stellte er einen Asylfolgeantrag. Mit Bescheid vom 21. Dezember 2006 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und eine Änderung seiner Feststellung zum Nichtvorliegen eines Abschiebungshindernisses ab. Im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht beschränkte der Kläger seine Klage auf die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Das Verwaltungsgericht hat der Klage im April 2007 stattgegeben.

3

Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt. Im Berufungsverfahren hat der Kläger geltend gemacht, dass auch die Voraussetzungen des Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG vorlägen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Beklagten im Mai 2008 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Dem Kläger sei in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG Abschiebungsschutz zu gewähren. Er sei zwar jung und gesund, verfüge aber nicht über eine Berufsausbildung. Angesichts der Lage auf dem Arbeitsmarkt in Afghanistan sei die Wahrscheinlichkeit gering, dass der Kläger auf Dauer eine Arbeit finden und damit seinen eigenen Lebensunterhalt sichern könne. Auf familiäre Unterstützung könne er nicht rechnen. Unter diesen Umständen würden dem Kläger ausschließlich Tee und Brot als Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. Diese Versorgungssituation werde durch Unterstützungsmaßnahmen der afghanischen Regierung oder internationaler Organisationen nicht wesentlich verbessert. Die Möglichkeit, eine winterfeste Unterkunft zu erlangen, sei für einen mittellosen Rückkehrer, der - wie der Kläger - nicht auf familiäre Hilfe zurückgreifen könne, minimal. Die medizinische Versorgung sei selbst in Kabul völlig unzureichend. Auch die hygienischen Verhältnisse, unter denen der Kläger als mittelloser Rückkehrer leben müsse, seien völlig unzulänglich. Angesichts dieser Lebensbedingungen bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger zwangsläufig in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten würde. Insbesondere die durch die Mangelernährung erhöhte Infektanfälligkeit werde in Verbindung mit dem ebenfalls ernährungsbedingten Eisenmangel zu schwerwiegenden Infektionen der Atmungs- und Verdauungsorgane führen. Den anderen Oberverwaltungsgerichten, die dies gegenteilig beurteilten, hätten die vom Berufungsgericht eingeholten Gutachten nicht vorgelegen. Angesichts dieser Einschätzung erübrige sich eine Entscheidung darüber, ob auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorlägen und dem Kläger deshalb gemeinschaftsrechtlicher subsidiärer Schutz zu gewähren sei.

4

Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision beanstandet die Beklagte vor allem, dass sich das Berufungsgericht im Hinblick auf die vom Kläger befürchteten allgemeinen Gefahren auf zu schmaler Tatsachengrundlage über die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG hinweggesetzt habe.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Berufungsurteil verletzt in mehrfacher Hinsicht Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil in der Sache nicht abschließend entscheiden kann, ist das Verfahren an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

6

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist zunächst das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Feststellung eines - unionsrechtlich begründeten - Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Dieses Begehren ist mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (BGBl I 2007, 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - im August 2007 Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Nach der Rechtsprechung des Senats gilt dies jedenfalls dann, wenn - wie hier - das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - in seinem Ablehnungsbescheid über sämtliche zielstaatsbezogenen ausländerrechtlichen Abschiebungsverbote sachlich entschieden und der Kläger die neuen, auf Unionsrecht beruhenden subsidiären Abschiebungsverbote in das anhängige gerichtliche Verfahren einbezogen hat (vgl. Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 4.09 -, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen). Gegenstand des Revisionsverfahrens ist ferner das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Feststellung eines (nationalen) Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Nicht mehr Gegenstand des Verfahrens ist die Frage eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG, nachdem der Kläger seine Klage insoweit - vor der gesetzlichen Neuordnung der Streitgegenstände durch das Richtlinienumsetzungsgesetz - zurückgenommen und den Ablehnungsbescheid des Bundesamts damit hat bestandskräftig werden lassen. Eine Abschiebungsandrohung ist ebenfalls nicht Gegenstand des Verfahrens. Auch insoweit hat der Kläger seine Klage zurückgenommen.

7

Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht, weil es den Vorrang des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes vor dem nationalen Abschiebungsschutz nicht berücksichtigt hat (1.). Es verletzt ferner Bundesrecht, weil es beim nationalen Abschiebungsschutz den Anforderungen an die verfassungskonforme Auslegung und Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG im Fall allgemeiner Gefahren nicht hinreichend Rechnung getragen hat (2.). Schließlich verletzt es Bundesrecht, weil seine Feststellungen zur Gefahrenprognose bei verfassungskonformer Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten (3.).

8

1. Das Berufungsgericht hätte nicht offenlassen dürfen, ob der Kläger die Voraussetzungen für die Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots erfüllt. Im Entscheidungsfall kommt in diesem Zusammenhang allein ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in Betracht. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 oder 3 AufenthG scheiden auch nach Auffassung des Klägers von vornherein aus.

9

Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, der die Regelung des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 - sog. Qualifikationsrichtlinie - umgesetzt hat, ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Nach der Rechtsprechung des Senats bildet dieser unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz gegenüber dem sonstigen (nationalen) Abschiebungsschutz einen selbstständigen Streitgegenstand. Die Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG wird nach der typischen Interessenlage des Schutzsuchenden vorrangig vor der Feststellung eines sonstigen zielstaatsbezogenen ausländerrechtlichen Abschiebungsverbots begehrt (vgl. Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 = Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 22, jeweils Rn. 10 ff.).

10

Dieses Rangverhältnis zwischen dem unionsrechtlichen und dem nationalen Abschiebungsschutz hat das Berufungsgericht nicht berücksichtigt. Es hätte das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG der Sache nach nicht als Hilfsantrag behandeln dürfen, sondern darüber vor dem Begehren auf nationalen Abschiebungsschutz befinden müssen. Zwar hat der Kläger bei seiner Antragstellung im Berufungsverfahren kein bestimmtes Rangverhältnis kenntlich gemacht. Er hat aber auch nicht erkennen lassen, dass der unionsrechtliche Abschiebungsschutz nicht oder erst nach dem nationalen Abschiebungsschutz geprüft werden soll. Bei dieser Verfahrenskonstellation hätte das Berufungsgericht - entsprechend der typischen Interessenlage des Schutzsuchenden - das Begehren des Klägers dahingehend auslegen müssen, dass primär über dessen Hauptantrag auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots in Bezug auf Afghanistan gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entschieden werden soll. Auf dieser rechtsfehlerhaften Behandlung der Anträge des Klägers beruht die Entscheidung des Berufungsgerichts. Daran ändert auch die hilfsweise angeführte Begründung des Berufungsgerichts nichts, dass die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG im Übrigen auch nicht erfüllt seien. Denn in dieser Begründung stellt das Berufungsgericht darauf ab, dass selbst bei Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in Afghanistan ein Abschiebungsverbot nach dieser Vorschrift wegen der auch in diesem Fall geltenden Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nur bei einer - hier offenbar nicht gegebenen - extremen Gefahr in Betracht komme. Diese Rechtsansicht ist nach dem inzwischen ergangenen Urteil des Senats vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - (a.a.O. Rn. 30 ff.) nicht mit Bundesrecht vereinbar, da § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG richtlinienkonform dahingehend auszulegen ist, dass er bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie bzw. des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG keine Sperrwirkung entfaltet. Mangels hinreichender Feststellungen im Berufungsurteil zum Vorliegen eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist es dem Senat verwehrt, sich selbst näher mit den Voraussetzungen eines derartigen Abschiebungsverbots zu befassen. Im erneuten Berufungsverfahren wird das Oberverwaltungsgericht vorrangig über diesen Hauptantrag zu entscheiden haben.

11

2. Indem das Berufungsgericht dem Kläger Abschiebungsschutz nach nationalem Recht in verfassungskonformer Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG zugesprochen hat, ohne das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG rechtsfehlerfrei zu prüfen und auszuschließen, hat es auch die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Voraussetzungen für die verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in Fällen einer allgemeinen Gefahr verkannt. Auch insofern ist das Berufungsurteil nicht mit Bundesrecht vereinbar.

12

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG sind Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Eine derartige Abschiebestopp-Anordnung besteht für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht (mehr). Mit seinem Hinweis auf die unzureichende Versorgungslage in Afghanistan, die für Rückkehrer ohne Berufsausbildung und familiäre Unterstützung besteht, macht der Kläger allgemeine Gefahren geltend, die aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht rechtfertigen können. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kann diese Sperrwirkung nur dann im Wege einer verfassungskonformen Auslegung eingeschränkt werden, wenn für den Schutzsuchenden ansonsten eine verfassungswidrige Schutzlücke besteht (vgl. Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - a.a.O. Rn. 32 m.w.N.). Eine Schutzlücke besteht für den Kläger indes nicht, falls er die Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG beanspruchen kann (vgl. hierzu nochmals Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - a.a.O. Rn. 32 m.w.N.). Das Berufungsgericht hätte sich daher auch aus diesem Grund mit der Frage des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes befassen müssen, ehe es sich mittels verfassungskonformer Auslegung über die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG hinwegsetzt.

13

3. Schließlich ist die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch das Berufungsgericht auch deshalb mit Bundesrecht nicht vereinbar, weil seine Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr des Klägers nach Afghanistan einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten. Das Berufungsgericht hat zwar zutreffend erkannt, dass eine unmittelbare Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausscheidet, weil der Kläger keine individuellen, nur ihm drohenden Gefahren, sondern allgemeine Gefahren geltend macht. Es ist aber bei der verfassungskonformen Anwendung der Vorschrift in mehrfacher Hinsicht hinter den maßgeblichen rechtlichen Anforderungen zurückgeblieben. So hat es die vom Senat zum Vorliegen einer extremen Gefahrenlage entwickelten rechtlichen Maßstäbe verfehlt. Es ist in diesem Zusammenhang auch den Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung nicht gerecht geworden und hat seine Entscheidung auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt.

14

Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die den Kläger in Afghanistan erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann er Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren.

15

Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde" (vgl. Urteil vom 12. Juli 2001 - BVerwG 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1 <9 f.> m.w.N.). Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. etwa Urteil vom 12. Juli 2001 - BVerwG 1 C 5.01 - a.a.O.).

16

Das Berufungsgericht hat diese rechtlichen Maßstäbe für die verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zwar im Wesentlichen zutreffend wiedergegeben. Seine rechtliche Subsumtion wird jedoch nicht von den getroffenen tatsächlichen Feststellungen getragen. Vor allem fehlt eine tatrichterliche Gesamtwürdigung der den Kläger betreffenden Lebensbedingungen in Afghanistan insbesondere im Hinblick auf die bei der verfassungskonformen Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gebotene erhöhte Wahrscheinlichkeit des Eintritts der extremen Gefahren.

17

Das Berufungsgericht hat sich zwar ausdrücklich auf diesen hohen Wahrscheinlichkeitsmaßstab bezogen und in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung des Senats zitiert (UA S. 7). Auch spricht es am Ende seiner Entscheidung zusammenfassend von der "hohen Wahrscheinlichkeit", dass der Kläger durch seine Abschiebung nach Afghanistan zwangsläufig in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten würde (UA S. 15). Diese rechtliche Schlussfolgerung ist durch die getroffenen tatsächlichen Feststellungen und deren Würdigung aber nicht gedeckt. So ist das Berufungsgericht maßgeblich davon ausgegangen, dass der Kläger sich ausschließlich von Tee und Brot ernähren müsste. Auf der Grundlage dieser Prämisse hat sich das Berufungsgericht von einer Ernährungsmedizinerin die gesundheitlichen Risiken dieser Mangelernährung schildern lassen. Gleichzeitig hat es sich auf Erkenntnisquellen bezogen, nach denen sich jeder zweite Einwohner von Kabul nur von Tee und Brot ernähren kann, 8,9 % der Bevölkerung von Kabul unter akuter Unterernährung leiden und "fast ein Viertel aller Haushalte" in Afghanistan die Grundversorgung an Nahrungsmitteln nicht selbstständig sichern kann (UA S. 11). Das Berufungsgericht hat weiter erwähnt, dass dem Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 7. März 2008 zufolge internationale Hilfsorganisationen Millionen von Afghanen mit Nahrungsmitteln und Hilfsgütern versorgen und sich die Versorgungslage in Kabul grundsätzlich verbessert hat. Es ist dem aber nicht hinreichend nachgegangen, sondern hat ohne nähere Prüfung gefolgert, dass die Versorgungssituation durch Unterstützungsmaßnahmen der afghanischen Regierung oder internationaler Organisationen nicht wesentlich verbessert werde (UA S. 11 und 12). All dies macht deutlich, dass sich das Berufungsgericht schon bei der Würdigung dieses zentralen Teilkomplexes auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt und den erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeitsmaßstab verfehlt hat.

18

Dies gilt auch für die Würdigung der anderen Teilkomplexe. Bei der Möglichkeit, sich eine wirtschaftliche Existenz aus eigener Kraft zu sichern, spricht das Berufungsgericht zwar von einer "hohen Wahrscheinlichkeit", dass dem Kläger diese Sicherung nicht gelingen werde. Es stützt sich dabei aber zum Teil auf Erkenntnisquellen, die sich mit den Chancen befassen, "auf Dauer" eine Arbeit zu finden bzw. eine berufliche "Wiedereingliederung" zu erreichen (UA S. 9).

19

Das Berufungsgericht hat seine Prognose, dass dem Kläger extreme Gefahren drohen, zudem in der Weise gewonnen, dass es bei der Beurteilung der Lebensbedingungen in Afghanistan die erwähnten und weitere sachliche Teilkomplexe u.a. zur Problematik einer winterfesten Unterkunft, medizinischer Versorgung und hygienischer Verhältnisse gebildet hat. Es hat damit die Gefahrenprognose in mehrere hintereinander geschaltete Teilprognosen aufgespalten, deren Schlussfolgerungen aufeinander aufbauen. Die bei dieser Vorgehensweise erforderliche Gesamtprognose, mit der die Lebensbedingungen und die sich daraus für den Kläger ergebenden Risiken anhand des hohen Wahrscheinlichkeitsmaßstabs insgesamt gewürdigt werden, ist nicht erfolgt. Der vom Berufungsgericht gezogene Gesamtschluss wäre selbst dann rechtsfehlerhaft, wenn dieses bei jedem der von ihm untersuchten Teilbereiche eine hohe Eintrittswahrscheinlichkeit festgestellt hätte. Denn eine hohe Wahrscheinlichkeit hinsichtlich der Verwirklichung jedes Einzelglieds einer Kausalkette rechtfertigt ohne wertende Gesamtbetrachtung nicht zwingend den Schluss, dass das am Ende stehende Ergebnis ebenfalls mit dem gleichen hohen Wahrscheinlichkeitsgrad eintritt. Unverzichtbar ist vielmehr eine Gesamtwürdigung dahingehend, dass die von der Ernährungsmedizinerin beschriebenen schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr des Klägers eintreten würden.

20

Dadurch, dass das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung den erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeitsmaßstab verfehlt hat, ist auch seine Aussage nicht tragfähig, dass der Kläger "alsbald" in eine extreme Gefahrenlage geraten würde. Im Übrigen spricht viel dafür, dass das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang einen zu weiten Maßstab angewendet hat. Denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts droht dem Kläger nicht der Hungertod, sondern ein körperlicher Verfallsprozess, der durch Mangelernährung und eine dadurch erhöhte Infektanfälligkeit ausgelöst werden kann. Dass die extreme Gefahr unter diesen Umständen mit hoher Wahrscheinlichkeit "alsbald" eintritt, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.

21

Dadurch, dass das Berufungsgericht die rechtlichen Maßstäbe fehlerhaft angewendet hat, hat es auch seine tatrichterliche Überzeugung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) fehlerhaft gebildet. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist der Überzeugungsgrundsatz dann verletzt, wenn die Überzeugungsbildung - wie hier - an inneren Mängeln leidet (vgl. etwa Beschluss vom 14. August 1998 - BVerwG 4 B 81.98 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 280). Ein Mangel bei der Überzeugungsbildung liegt zusätzlich auch insoweit vor, als das Berufungsgericht von fehlender familiärer Unterstützung für den Kläger in Afghanistan ausgegangen ist. Der Umstand, ob ein Rückkehrer auf eine derartige Unterstützung rechnen kann, ist für das Berufungsgericht von wesentlicher Bedeutung gewesen. So führt es beispielsweise aus, da in Afghanistan staatliche soziale Sicherungssysteme nicht vorhanden seien, werde die "soziale Absicherung ... (von) Familien und Stammesverbänden" übernommen (UA S. 11). Das Berufungsurteil lässt jedoch nicht erkennen, worauf sich die Überzeugung gründen lässt, dass im Entscheidungsfall eine familiäre Unterstützung fehlt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat der Kläger ausweislich des Sitzungsprotokolls erklärt, er habe in Afghanistan keine Verwandten und auch keine Bekannten mehr. Jedenfalls habe er "insoweit keinerlei Kontakte mehr". Der Bedeutung dieser Äußerung ist das Berufungsgericht nicht weiter nachgegangen. Das Berufungsgericht hat sich auch nicht damit befasst, von wem der Kläger als Minderjähriger nach dem Tod seiner Eltern bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan unterstützt worden ist. Auch zu denkbaren Unterstützungsmaßnahmen seitens seines Stammes verhält sich das Berufungsurteil nicht.

22

Bei der Überzeugungsbildung des Berufungsgerichts und der Darstellung der Gründe, die für seine Überzeugungsbildung leitend gewesen sind, ist schließlich zu beanstanden, dass sich das Berufungsgericht mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte nur unzureichend auseinandergesetzt hat. Vier - vom Berufungsgericht zitierte - Oberverwaltungsgerichte haben verneint, dass Rückkehrern wie dem Kläger extreme Gefahren in Afghanistan drohen. Sie haben insbesondere die Hilfsmaßnahmen internationaler Organisationen und auch die Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt in Afghanistan abweichend beurteilt. Zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung hat kein anderes Oberverwaltungsgericht die Einschätzung des Berufungsgerichts geteilt. Das Argument des Berufungsgerichts, den anderen Oberverwaltungsgerichten hätten die von ihm eingeholten Erkenntnismittel nicht vorgelegen, trägt jedenfalls insoweit nicht, als es um die für das Berufungsgericht zentralen Ausführungen der Ernährungsmedizinerin geht. Denn diese ist auf der Grundlage einer vom Berufungsgericht aus dem Gesamtzusammenhang herausgelösten (hypothetischen) Einzelprämisse gehört worden.

23

Bei der verfassungskonformen Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist ein Gericht gehalten, den Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung und die gebotene Auseinandersetzung mit abweichender Tatsachen- und Lagebeurteilung anderer (Ober-)Verwaltungsgerichte in besonderer Weise gerecht zu werden. Dies ist dem Berufungsgericht, wie ausgeführt, in mehrfacher Hinsicht nicht gelungen.

24

Für das erneute Berufungsverfahren weist der Senat darauf hin, dass es sich vorliegend um ein Asylfolgeverfahren handelt und deshalb zunächst die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens zu prüfen sind (vgl. Urteil vom 20. Oktober 2004 - BVerwG 1 C 15.03 - BVerwGE 122, 103 <105 ff.> m.w.N.). Diese Prüfung hat das Berufungsgericht bisher nicht durchgeführt.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus Deutschland. Hilfsweise erstrebt er eine neue Entscheidung des Beklagten über die Befristung des mit der Ausweisung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots.

2

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volkszugehörigkeit. Er wurde 1973 in der Türkei geboren, ist verheiratet und hat sieben Kinder. Er reiste 1997 nach Deutschland ein und beantragte hier Asyl, da er in der Türkei wegen seines Engagements in prokurdischen Vereinen und Parteien sowie verwandtschaftlichen Beziehungen zu Guerillakämpfern der sog. Arbeiterpartei Kurdistans - PKK - an Leib und Leben bedroht sei. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) vom 9. Oktober 1997 wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach dem damaligen § 51 Abs. 1 AuslG 1990 zuerkannt und zu seinen Gunsten ein Abschiebungsverbot wegen drohender Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK (damals § 53 Abs. 4 AuslG 1990) festgestellt. Der Kläger ist lediglich sporadisch und für kurze Zeiträume einer Erwerbstätigkeit nachgegangen, gleiches gilt für seine Ehefrau. Er bezieht mit seiner Familie Leistungen nach dem SGB II.

3

Vom 1. April 1998 bis zum 1. Dezember 2009 war der Kläger im Besitz jeweils befristeter Aufenthaltstitel. Am 13. März 2009 teilte das Bundesamt der Ausländerbehörde mit, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 73 Abs. 1 oder 2 AsylVfG nicht vorlägen. Im März 2009 stellte der Kläger bei der Ausländerbehörde der Stadt M. einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Auf Anfrage teilte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg der Ausländerbehörde im Mai 2009 mit, dass hinsichtlich der Person des Klägers "Erkenntnisse" vorlägen, über die das Innenministerium Baden-Württemberg gesondert informiert worden sei. Dessen ungeachtet wurde dem Kläger am 4. Dezember 2009 ohne weitere Mitteilung zum Stand der Sicherheitsüberprüfung eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG erteilt.

4

Das Regierungspräsidium K. teilte dem Kläger mit Schreiben vom 23. Juli 2010 mit, dass die Niederlassungserlaubnis in Unkenntnis der Sicherheitsbedenken erteilt worden sei und derzeit deren Rücknahme und eine Ausweisung geprüft werde. Hierzu werde dem Kläger die Möglichkeit eines Sicherheitsgesprächs zur weiteren Aufklärung gegeben. Dieses fand im Februar 2011 statt; allerdings verweigerte der Kläger mit Ausnahme eines durch ihn ausgefüllten Fragebogens die weitere Mitwirkung.

5

Mit Verfügung vom 10. Januar 2012 wies das Regierungspräsidium K. den Kläger aus (Ziffer 1) und stützte sich dabei auf § 54 Nr. 5, § 56 Abs. 1, § 55 AufenthG a.F. Zudem wurde der Kläger verpflichtet, sich zweimal wöchentlich unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapiers bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, und sein Aufenthalt wurde auf den Bereich der Stadt M. begrenzt (Ziffer 2).

6

Die Ausweisung sei gerechtfertigt, weil Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Kläger Vereinigungen unterstütze, die ihrerseits den Terrorismus unterstützten. So habe der Kläger nach den vorliegenden Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in den Jahren 2001 bis 2010 regelmäßig an näher bezeichneten Veranstaltungen und Demonstrationen der PKK-Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL teilgenommen und sei teilweise auch selbst als Redner bei derartigen Veranstaltungen aufgetreten. Von 2001 bis 2003/2004 sei er Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Kurdischer Kulturverein e.V." in L. gewesen. Außerdem sei er seit langem Vorstandsmitglied und nunmehr sogar zweiter Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM). Die Ausweisung sei trotz des dem Kläger als anerkanntem Flüchtling zustehenden besonderen Ausweisungsschutzes aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt und auch mit Blick auf die Bleibeinteressen des Klägers verhältnismäßig. Sie führe zudem nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung, vielmehr bleibe seine Abschiebung ausgesetzt, da ihr Abschiebungsverbote aufgrund der Rechtsstellung des Klägers als Flüchtling sowie nach § 60 Abs. 5 AufenthG entgegenstünden. Die angeordnete zweimalige wöchentliche Meldepflicht und die räumliche Beschränkung auf den Stadtbezirk M. beruhten auf § 54a AufenthG (a.F.) und seien mit Blick auf die gebotene Überwachung des Klägers und zur Eindämmung seiner gefahrbegründenden Aktivitäten erforderlich und angemessen.

7

Das Verwaltungsgericht hat die gegen die Verfügung gerichtete Klage mit Urteil vom 27. Januar 2015 abgewiesen, zugleich aber den Beklagten verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf acht Jahre nach Ausreise des Klägers zu befristen. Mit Urteil vom 13. Januar 2016 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung zurückgewiesen. Dabei hat er die angefochtene Ausweisungsverfügung an der seit dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung des AufenthG gemessen. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof insbesondere ausgeführt: Im Fall des Klägers liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, weil der Kläger in überwiegend herausgehobener Funktion die PKK und damit eine terroristische oder den Terrorismus unterstützende Vereinigung unterstützt habe. Dabei seien allerdings nur Aktivitäten nach Juli 2010 heranzuziehen, also nach der an den Kläger gerichteten Mitteilung, wegen seiner Aktivitäten werde die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft. Als tatbestandserhebliches Unterstützen sei hiernach jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirke. Nach diesem Maßstab seien die im Urteil im Einzelnen näher bezeichneten und durch den Kläger in der Sache eingeräumten Betätigungen als Teilnehmer, Mitglied, Redner und Versammlungsleiter bei diversen die PKK unterstützenden Veranstaltungen sowie als Vorstandsmitglied der die PKK unterstützenden YEK-KOM und deren Nachfolgeorganisation NAV-DEM als Unterstützungshandlung zu werten. Angesichts des Ablaufs der Veranstaltungen, der dort gehaltenen Reden und der klaren Ausrichtung auf den Führerkult um den PKK-Führer Öcalan sowie gefallene Märtyrer bestünden für das Berufungsgericht keine Zweifel daran, dass sich der Kläger den Zielen der PKK verpflichtet fühle und sie mit seinem Tun unterstützen wolle.

8

Die Ausweisungsverfügung werde auch dem erhöhten Ausweisungsschutz gerecht, der dem Kläger als anerkanntem Flüchtling nach § 53 Abs. 3 AufenthG zustehe. Denn es lägen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU vor, wonach ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel widerrufen werden könne.

9

Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse stehe ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber. Denn er habe eine Niederlassungserlaubnis besessen, die gerade durch die Ausweisungsverfügung betroffen sei. Er lebe mit deutschen Familienangehörigen (sechs seiner Kinder) in familiärer Lebensgemeinschaft und übe sein Personensorgerecht für seine minderjährigen Kinder aus. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung überwiege jedoch das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers.

10

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Revision und rügt in mehrfacher Hinsicht eine Verletzung von Bundesrecht. Zunächst habe das Berufungsgericht den Begriff des "Unterstützens" in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG fehlerhaft ausgelegt und angewandt. Der von ihm in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht angewandte Unterstützungsbegriff sei rechtsstaatlich nicht hinreichend konkret. Jedenfalls auf der Grundlage des neuen, seit Jahresanfang 2016 geltenden Ausweisungsrechts, das nach "schwerwiegenden" und "besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen" differenziere, sei dieser Unterstützungsbegriff nicht mehr als Abgrenzungskriterium geeignet. Notwendig sei ein gefahrenabwehrrechtlich ausgerichteter Unterstützungsbegriff, der sich etwa in Anlehnung an strafrechtliche Zurechnungskriterien wie Anstiftung oder Beihilfe oder die im Strafrecht für Organisationsdelikte entwickelten Zurechnungskriterien gewinnen lassen könne.

11

Fehlerhaft sei zudem die Auslegung und Anwendung von § 53 Abs. 3 AufenthG im Hinblick auf die sich aus Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie ergebenden Voraussetzungen. Denn das Berufungsgericht habe weder festgestellt, dass der Kläger unmittelbar der PKK angehöre, noch dass sich die YEK-KOM oder die NAV-DEM selbst terroristischer Methoden bedienten. Weiterhin verkenne das Berufungsgericht die durch den Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) aufgestellten Anforderungen an die festzustellenden Unterstützungshandlungen. Danach sei insbesondere zu prüfen, ob der Betroffene selbst terroristische Handlungen begangen habe, ob und in welchem Maße er an der Planung, an Entscheidungen oder an der Anleitung anderer Personen zum Zwecke der Begehung solcher Handlungen beteiligt war und ob und in welchem Umfang er solche Handlungen finanziert oder anderen Personen die Mittel für ihre Begehung verschafft habe. Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts habe der EuGH damit nicht lediglich beispielhaft die in den maßgeblichen Vorlagefragen des Ausgangsverfahrens vorgehaltenen Handlungen herausgegriffen, sondern in einem abschließenden Sinne bestimmte Kriterien vorgegeben.

12

Weiter setze der Gefahrenbegriff des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine "konkrete Gefahr" voraus. Weder der Wortlaut noch die der Vorschrift zugrunde liegende Entstehungsgeschichte rechtfertigten eine Absenkung dieser Gefahrenschwelle. Das Berufungsgericht hätte daher prüfen müssen, ob der Kläger die für die objektive Unterstützung zu Grunde gelegten Tatsachen und Umstände gekannt und eine zweckgerichtete Unterstützung auch gewollt habe.

13

Schließlich habe das Berufungsgericht verkannt, dass dem Kläger nach dem Urteil des EuGH vom 24. Juni 2015 selbst dann, wenn ihm der Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie entzogen werden dürfe, für die Zeit der Fortdauer seines Flüchtlingsstatus die Rechte nach Kapitel VII dieser Richtlinie erhalten bleiben. Deshalb beantragte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hilfsweise, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass ihm auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie.

14

Der Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und tritt der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bei.

15

Während des Revisionsverfahrens hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 20. Oktober 2016 die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes für den Kläger widerrufen und entschieden, ihm weder die Flüchtlingseigenschaft noch den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Gegen den Bescheid hat der Kläger Klage erhoben.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist im Wesentlichen unbegründet. Das Berufungsgericht hat die Ausweisung des Klägers und die ihm auferlegte Meldepflicht und Aufenthaltsbeschränkung im Ergebnis zu Recht als rechtmäßig eingestuft. Allerdings war auf der Grundlage der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG der Beklagte zu einer nunmehr gebotenen Ermessensentscheidung über die festzusetzende Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG zu verpflichten.

17

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren des Klägers auf Aufhebung der Ausweisung (Ziffer 1 des Bescheids) sowie der Meldeauflagen und Aufenthaltsbeschränkung (Ziffer 2 des Bescheids). Aber auch der Streit über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs - im Berufungsverfahren und anschließend im Revisionsverfahren angefallen. Denn das Befristungsbegehren ist als Minus notwendiger Bestandteil des Begehrens auf Aufhebung einer Ausweisung und kann daher von den Parteien nicht gesondert aus dem Verfahren ausgegliedert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 28 ff.). Hiervon sind im Übrigen vorliegend auch die Parteien übereinstimmend ausgegangen.

18

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der Meldepflicht und der Aufenthaltsbeschränkung sowie der vom Kläger hilfsweise begehrten Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 8 m.w.N.). Der Entscheidung sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162) zugrunde zu legen, zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155).

19

A. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG, weil der Kläger anerkannter Flüchtling ist.

20

1. Nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht ergibt sich der Grundtatbestand der Ausweisung aus § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

21

Das neue Ausweisungsrecht gibt das mit dem Ausländergesetz 1990 eingeführte dreistufige Konzept der Ist-, Regel- und Kann-Ausweisung auf. Stattdessen hat sich der Gesetzgeber für ein einheitliches System der rechtlich gebundenen Ausweisung entschieden ("wird ausgewiesen"), das vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. § 54 AufenthG benennt konkret die Gründe, wann das Ausweisungsinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt und knüpft damit an Tatbestände der früheren Ist- und Regelausweisung an. In § 55 AufenthG werden - spiegelbildlich hierzu - Tatbestände normiert, denen zufolge das Bleibeinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt, wobei auch die Aufzählung der "schwer" wiegenden Bleibeinteressen nicht abschließend ist. In § 53 Abs. 2 AufenthG werden Gesichtspunkte genannt, die bei der Abwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sind, insbesondere die Dauer des Aufenthalts, Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, Folgen der Ausweisung für Angehörige und Partner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat.

22

Die Rechtsprechung des Senats, die ihrerseits Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aufgreift (vgl. Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <301 ff.> und vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 14 ff.), hat bei der Entwicklung des neuen Ausweisungsrechts eine entscheidende Rolle gespielt (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 25. Februar 2015, BT-Drs. 18/4097 S. 49). Dabei griff der Gesetzgeber Vorschläge zur Neuregelung des Ausweisungsrechts auf, die Vertreter der Rechtsprechung unterbreitet haben (vgl. Dörig, NVwZ 2010, 921 <922>; Bergmann, ZAR 2013, 318 <322> sowie Gesetzesvorschlag Bergmann/Dörig vom Januar 2014, veröffentlicht in: Barwig u.a., Steht das europäische Migrationsrecht unter Druck?, 2014, S. 111 f.). Die Ausweisung setzt nunmehr nach § 53 Abs. 1 AufenthG eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Sofern nach dieser Gesamtabwägung das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib in Deutschland überwiegt, wird der Ausländer ausgewiesen, andernfalls kommt eine Aufenthaltsbeendigung nach § 53 Abs. 1 AufenthG nicht in Betracht.

23

Die Tatbestandsmerkmale der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" im ausweisungsrechtlichen Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG sind nach der Begründung des Gesetzgebers im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Auch die Gefährdung dieser Schutzgüter bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten wird. Mit Blick auf die verwendeten Begriffe sollte keine Ausweitung des Gefahrenbegriffs gegenüber dem bislang geltenden Recht erfolgen, vielmehr sollten lediglich die bislang verwandten unterschiedlichen Formulierungen aneinander angeglichen werden. Die von § 53 Abs. 1 AufenthG geforderte Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers in Deutschland erfolgt dabei nach der Intention des Gesetzgebers nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar.

24

Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" (Absatz 1) oder als "schwerwiegend" (Absatz 2). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sind neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Interessen aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Die Katalogisierung schließt demnach die Berücksichtigung weiterer Umstände im Rahmen der nach § 53 Abs. 2 AufenthG zu treffenden Abwägungsentscheidung nicht aus. Dies folgt bereits aus dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG, ist aber für die schwerwiegenden, aufgrund der Vielgestaltigkeit der Lebenssituationen bewusst nicht abschließend aufgezählten Bleibeinteressen in § 55 Abs. 2 AufenthG nochmals ausdrücklich normiert. Die nunmehr als schwerwiegend oder besonders schwerwiegend qualifizierten Ausweisungsinteressen im Sinne von § 54 AufenthG decken sich weitgehend - aber nicht vollständig - mit den früheren Gründen für eine Regel- und Ist-Ausweisung, die schwerwiegenden und besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen greifen Fälle des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 AufenthG a.F. auf.

25

Bei der Abwägung sind schließlich gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht ("Boultif/Üner-Kriterien"). Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen.

26

Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht.

27

2. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG festgestellt. Ein solches liegt dann vor, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wobei hiervon u.a. dann auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Ausländer einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er (jedenfalls) eine solche Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, er nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.

28

a) Der Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist dem Wortlaut nach weitgehend an den früheren Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung angelehnt, auf den die Ausweisungsverfügung auch ursprünglich gestützt war. Das Berufungsgericht hat für die Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu Recht dieselben rechtlichen Maßstäbe herangezogen, die der Senat zur Auslegung des früheren Regelausweisungstatbestandes nach § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung entwickelt hat.

29

In der Rechtsprechung des Senats war die Auslegung des Regelausweisungstatbestands des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung weitgehend geklärt. So ist anerkannt, dass eine Vereinigung den Terrorismus unterstützt, wenn sie sich selbst terroristisch betätigt oder wenn sie die Begehung terroristischer Taten durch Dritte veranlasst, fördert oder befürwortet. Die Schwelle der Strafbarkeit muss dabei nicht überschritten sein, da die Vorschrift der präventiven Gefahrenabwehr dient und auch die Vorfeldunterstützung durch sogenannte Sympathiewerbung erfasst. Der Tatbestand des Unterstützens des Terrorismus durch eine Vereinigung setzt allerdings voraus, dass die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung (auch) auf die Unterstützung des Terrorismus gerichtet sind; ein bloßes Ausnutzen der Strukturen einer Vereinigung durch Dritte in Einzelfällen reicht hierfür nicht aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 20 ff. und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 13 ff.).

30

Für den im Gesetz verwandten Begriff des Terrorismus sind Versuche, auf völkerrechtlicher Ebene eine allgemein anerkannte vertragliche Definition zu entwickeln, nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen. Jedoch können wesentliche Kriterien aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft im Beschluss des Rates Nr. 2002/475/JI vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (ABl. L 164 S. 3) sowie dem gemeinsamen Standpunkt des Rates 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001 (ABl. L 344 S. 93) gewonnen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die Aufnahme einer Organisation in die vom Rat der Europäischen Union angenommene Liste terroristischer Organisationen im Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93 - vgl. auch ABl. L 116 vom 3. Mai 2002, S. 75) ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass die Organisation terroristischer Art ist oder im Verdacht steht, eine solche zu sein (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 [ECLI:EU:C:2015:413], H.T./Land Baden-Württemberg - Rn. 83). Hier sind von den Tatsachengerichten ergänzende Feststellungen zu treffen. Dabei ist trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs anerkannt, dass als terroristisch jedenfalls der Einsatz gemeingefährlicher Waffen und Angriffe auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen sind (Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>, vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 19 und Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 10 C 48.07 - BVerwGE 132, 79 <87> m.w.N.).

31

Weiterhin ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass die individuelle Unterstützung einer terroristischen Vereinigung oder einer Vereinigung, die eine terroristische Vereinigung unterstützt, im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. alle Verhaltensweisen erfasst, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeit der Vereinigung auswirken. Darunter kann die Mitgliedschaft in der terroristischen oder in der unterstützenden Vereinigung ebenso zu verstehen sein wie eine Tätigkeit für eine solche Vereinigung ohne gleichzeitige Mitgliedschaft. Auch die bloße Teilnahme an Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen kann eine Unterstützung in diesem Sinne darstellen, wenn sie geeignet ist, eine positive Außenwirkung im Hinblick auf die durch § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. missbilligten Ziele zu entfalten. Auf einen nachweisbaren oder messbaren Nutzen für diese Ziele kommt es nicht an, ebenso wenig auf die subjektive Vorwerfbarkeit der Unterstützungshandlungen. Im Hinblick auf den Schutz der Meinungsfreiheit und das Gebot der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Betätigungsfreiheit des Einzelnen erfüllen allerdings solche Handlungen den Tatbestand der individuellen Unterstützung nicht, die erkennbar nur auf einzelne, mit terroristischen Zielen und Mitteln nicht im Zusammenhang stehende - etwa humanitäre oder politische - Ziele der Vereinigung gerichtet sind. Für den Ausländer muss schließlich die eine Unterstützung der Vereinigung, ihrer Bestrebungen oder ihrer Tätigkeit bezweckende Zielrichtung seines Handelns erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auf eine darüber hinaus gehende innere Einstellung des Ausländers kommt es hingegen nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 15 und 18 m.w.N.).

32

Diese vom Senat zur Auslegung von § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. entwickelten Grundsätze lassen sich entgegen dem Vorbringen der Revision auch auf den Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung nach dem neu gefassten § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG übertragen. Ein Vergleich der Textfassungen ergibt, dass der Gesetzgeber die früheren Regelausweisungstatbestände nach § 54 Nr. 5, 5a und 5b AufenthG a.F. in der neuen Vorschrift des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zusammengefasst hat, wobei unter den vorliegenden Umständen die Fälle staatsgefährdender Gewalttaten nach § 89a StGB außer Betracht bleiben können. Gegenüber dem früheren Recht ist der Hinweis entfallen, dass eine Ausweisung auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen nur gestützt werden kann, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Eine Änderung der materiellen Rechtslage ist damit aber nicht verbunden, da auch nach neuem Recht eine fortbestehende Gefahr erforderlich ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ("gefährdet") und ist implizit auch dem neuen Zusatz in § 54 Abs. 1 Nr. 2 letzter Halbsatz AufenthG zu entnehmen, wonach von einer Gefährdung nicht auszugehen ist, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt.

33

Den Gesetzgebungsmaterialien ist nichts dafür zu entnehmen, dass sich der Gesetzgeber hinsichtlich des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung für eine Abkehr von dem bisherigen Verständnis des Ausweisungstatbestandes hat entscheiden wollen. Zwar hat er in Satz 2 einen Halbsatz neu eingefügt, wonach ein Unterstützen nicht vorliegt, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt. Das stellt jedoch keine inhaltliche Änderung des Unterstützerbegriffs dar, sondern normiert lediglich ein in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits entwickeltes Kriterium zur individuellen Zurechnung eines Unterstützerverhaltens. Denn der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die objektive Tatsache der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in der Vergangenheit dem Ausländer dann nicht mehr zugerechnet werden kann, wenn er sich glaubhaft hiervon distanziert (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <131>, vom 30. April 2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 35 und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 17). Die nunmehr normierten Tatbestandsmerkmale lassen keine Abkehr von der Senatsrechtsprechung erkennen, denn ein "erkennbares Abstandnehmen" vom sicherheitsgefährdenden Handeln entspricht dem Distanzieren im Sinne der Senatsrechtsprechung. Allerdings findet sich in der Begründung zu dieser Neuregelung die Aussage, die Möglichkeit der "Exkulpation" zeige, dass der Betroffene Kenntnis davon gehabt haben müsse, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstütze, der "undolose Unterstützer" daher nicht unter die Regelung falle (BT-Drs. 18/4097 S. 51). Aus diesem Satz in der Gesetzesbegründung könnte man ableiten, der Gesetzgeber habe eine Regelung treffen wollen, nach der für die subjektive Seite des Unterstützens mehr erforderlich ist (Vorsatz) als nach dem bisherigen Verständnis (Erkennbarkeit). Wäre dies tatsächlich so Gesetz geworden, hätte dies eine nicht unerhebliche Einschränkung der Rechtsprechung zur subjektiven Zurechnung bedeutet, nach der es ausreicht, dass der Ausländer erkennen konnte, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstützt. Die Begründung hat jedoch im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden, denn nach diesem wird Vorsatz im Hinblick auf die terroristische Betätigung der unterstützten Vereinigung nicht verlangt. Es reicht somit auch für die Erfüllung des subjektiven Unterstützertatbestands weiterhin die Erkennbarkeit einer terroristischen Betätigung der Vereinigung aus. Vorsatz bleibt hingegen weiter erforderlich für das eigene Handeln des Ausländers, das von dem Ziel geleitet sein muss, die Vereinigung zu unterstützen. Für diese Auslegung spricht auch, dass der Gesetzgeber der Vorfeldunterstützung des Terrorismus durch die Gesetzesänderung erhöhte Bedeutung beimessen wollte, indem er den bisher als Tatbestand für eine Regelausweisung normierten Ausweisungsgrund zu einem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 AufenthG heraufstufte, was im bisherigen Recht dem Tatbestand einer zwingenden Ausweisung entsprochen hätte. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass das stärkere Gewicht, das der Gesetzgeber diesem Ausweisungsinteresse beimessen wollte (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 23), mit einer engeren Interpretation seiner Tatbestandsmerkmale einhergehen sollte.

34

Eine vom früheren Begriffsverständnis abweichende Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass dieser bisher eigenständige Tatbestand nunmehr in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG funktional mit einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verknüpft wird ("hiervon ist auszugehen, wenn"). Vielmehr ergibt eine systematische Auslegung der Vorschrift, dass der Inhalt des Ausweisungstatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung unverändert geblieben ist, während der Begriff der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland eine Erweiterung erfahren hat. Denn der Gesetzgeber hat mit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr kraft Gesetzes definiert, wann von einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen ist, nämlich (jedenfalls) dann, wenn eine der dort genannten Tatbestandsalternativen erfüllt ist. Die Auslegung des Begriffs der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland richtet sich daher (auch) nach diesen Tatbestandsalternativen, nicht umgekehrt. Anderes lässt sich hinsichtlich des Gefahrenmaßstabs auch nicht der Regelung des § 53 Abs. 1 AufenthG entnehmen. Denn anders als bei den übrigen Ausweisungsinteressen hat der Gesetzgeber in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG das Erfordernis einer Gefahr (nochmals) ausdrücklich aufgeführt, was unter systematischen Gesichtspunkten für eine gewisse Eigenständigkeit des Gefahrentatbestandes gegenüber § 53 Abs. 1 AufenthG fruchtbar gemacht werden kann. Es gilt damit nunmehr, dass das Gesetz bereits die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Bundesgebiet als eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ansieht, unabhängig davon ob die terroristische Vereinigung Gewaltakte auch auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland oder gegen deutsche Einrichtungen im Ausland begeht. Weiterhin gilt jedenfalls für die Fälle des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ein abgesenkter Gefahrenmaßstab, der auch Vorfeldmaßnahmen erfasst und keine von der Person des Unterstützers ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefahr erfordert. Die Rechtsprechung des Senats zur Unterstützung des Terrorismus durch Handlungen in dessen Vorfeld hat dem Rechnung zu tragen und dabei auch die Bedeutung zu berücksichtigen, die der Unionsgesetzgeber dieser Vorfeldunterstützung durch den Erwägungsgrund 37 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 S. 9) - EU-Anerkennungsrichtlinie - beimisst.

35

Ein Anlass für eine verfassungsrechtliche Neubewertung des Gefahrenmaßstabs besteht entgegen dem umfangreichen Revisionsvorbringen nicht. In der Rechtsprechung des Senats ist seit dem Urteil zum Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus - Terrorismusbekämpfungsgesetz - vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361, 3142) anerkannt, dass der Unterstützungsbegriff weit auszulegen und anzuwenden ist, um damit der auch völkerrechtlich begründeten Zielsetzung des Gesetzes gerecht zu werden, dem Terrorismus schon im Vorfeld die logistische Basis zu entziehen (BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <127 ff.>). Maßgeblich ist, inwieweit das festgestellte Verhalten des Einzelnen zu den latenten Gefahren der Vorfeldunterstützung des Terrorismus nicht nur ganz unwesentlich oder geringfügig beiträgt und deshalb selbst potenziell gefährlich erscheint. Wegen der tatbestandlichen Weite des Unterstützungsbegriffs ist allerdings bei der Anwendung der Vorschrift darauf zu achten, dass nicht unverhältnismäßig namentlich in das auch Ausländern zustehende Recht auf freie Meinungsäußerung jenseits der zumindest mittelbaren Billigung terroristischer Bestrebungen eingegriffen wird. Einen bislang nicht berücksichtigten verfassungsrechtlichen Rechtssatz, der den so umschriebenen Ausgleich zwischen dem legitimen und schon wegen seiner völkerrechtlichen Vorgaben besonders gewichtigen gesetzgeberischen Ziel der Terrorismusbekämpfung und den geschützten Grundrechtspositionen eines Ausländers infrage stellen würde, zeigt die Revision nicht auf. Insbesondere sprechen der Charakter der Ausweisung als Maßnahme der Gefahrenabwehr sowie die spezifische Zielsetzung der Terrorismusbekämpfung gegen eine Übertragung strafrechtlicher Rechtsprechungsgrundsätze, wie sie etwa für die Abgrenzung strafbarer und straffreier Meinungsäußerungen gelten. Der Senat hält auch unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an seiner bisherigen Rechtsprechung fest.

36

b) Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG angenommen. Dies gilt sowohl für die Qualifizierung der PKK als terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung (aa) als auch - jedenfalls im Ergebnis - für die Qualifizierung der Handlungen des Klägers als relevante Unterstützungshandlungen (bb). Ebenso wenig zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen hat (cc).

37

(aa) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Qualifizierung der PKK als eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Das Gericht legt seiner Entscheidung die in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze für die Definition einer terroristischen Vereinigung zugrunde (UA Bl. 27 f.) und geht damit von einem zutreffenden Maßstab aus. Für die Bewertung der PKK als eine solche Vereinigung hat das Gericht zunächst darauf abgestellt, dass sie auch noch aktuell auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist, ohne diesem Umstand eine über einen deutlichen Anhaltspunkt hinausgehende Bedeutung beizumessen (UA Bl. 31). Hieran anknüpfend hat das Berufungsgericht sodann auf der Grundlage der ihm vorliegenden Erkenntnismittel festgestellt, dass die PKK zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele in der Türkei weiterhin Gewalttaten gegen staatliche Einrichtungen und Amtsträger sowie die Zivilbevölkerung verübt und im Übrigen etwa zur Finanzierung ihrer Aktivitäten oder zur Bekämpfung von Kritikern auch nicht vor Verbrechen gegenüber ihren eigenen Anhängern und auch darüber hinaus gegenüber der kurdischstämmigen Bevölkerung insgesamt zurückschreckt. Insbesondere sei die zwischen dem türkischen Staat und der PKK ausgehandelte (relative) Waffenruhe seitens der PKK zuletzt Ende Juli 2015 ausdrücklich aufgekündigt worden (UA Bl. 32 f.). Diese tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts sind von der Revision nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen worden und daher für den Senat bindend. Sie erlauben dem Senat zudem eine eigene rechtliche Bewertung des Inhalts, dass die PKK eine terroristische Vereinigung darstellt und nicht lediglich eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung.

38

(bb) Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist auch die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, dass der Kläger die PKK in rechtserheblicher Weise individuell unterstützt hat. Allerdings ist das Gericht unter Verstoß gegen Bundesrecht davon ausgegangen, dass zu Lasten des Klägers nur solche Unterstützungshandlungen berücksichtigt werden dürfen, die in zeitlicher Hinsicht nach der Mitteilung des Regierungspräsidiums vom Juli 2010 lagen, wonach eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft würden.

39

Das Berufungsgericht ist insoweit rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass ein Ausweisungsinteresse bereits dann aus Gründen des Vertrauensschutzes verbraucht ist und nicht mehr zur Begründung einer Ausweisung herangezogen werden kann, wenn ein Aufenthaltstitel in Kenntnis oder dem Staat zuzurechnender Unkenntnis erteilt oder verlängert wurde (UA S. 34 f.). Zwar ist in der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich anerkannt ist, dass Ausweisungsgründe in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und so lange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind und die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <313> und vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <121 f.>). Aus der Ableitung dieser Kriterien aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt jedoch, dass die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Aus der Rechtsprechung des Senats ergibt sich zudem, dass ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers schützenswert sein muss. Hieran fehlt es, wenn die Ausländerbehörde - wie vorliegend - dem Kläger auf dessen Anfrage zum Stand des Verfahrens auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis lediglich mitteilt, dass gegenwärtig noch eine Sicherheitsüberprüfung stattfinde, und dann zu einem späteren Zeitpunkt ohne jegliche Erläuterung zum Ausgang der Sicherheitsüberprüfung die begehrte Niederlassungserlaubnis erteilt. Auf dieser Grundlage kann der Betroffene nämlich weder wissen, welchen konkreten Umständen die Ausländerbehörde im Rahmen ihrer Sicherheitsüberprüfung nachgegangen ist, noch zu welchen konkreten Erkenntnissen sie hierbei nach Abschluss der Überprüfung gelangt ist. Daher kann der Betroffene aus der Erteilung der Niederlassungserlaubnis billigerweise auch nicht schließen, dass die Ausländerbehörde bei ihrer Sicherheitsüberprüfung alle als potentielle Versagungsgründe in Betracht kommenden Umstände tatsächlich ermittelt und sodann als für die Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis unbeachtlich eingestuft hat.

40

Das angefochtene Urteil beruht jedoch nicht auf diesem Rechtsverstoß, weil das Berufungsgericht auch ohne Berücksichtigung der vor dem für maßgeblich erachteten Zeitpunkt liegenden Umstände von rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen des Klägers ausgegangen ist und die diesbezüglichen Feststellungen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sind. Im Übrigen wäre der Kläger durch die Nichtberücksichtigung weiterer, ihn belastender Umstände auch nicht beschwert. Im Einzelnen hat das Berufungsgericht für die Bestimmung der rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen zutreffend auf die in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäbe zu § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung abgestellt (UA Bl. 35 ff.). Keine abweichende Beurteilung ergibt sich aus dem Einwand des Klägers, die PKK nicht unmittelbar unterstützt zu haben, sondern sich in legalen Vereinigungen betätigt zu haben, die ihrerseits die PKK im Wissen um deren Charakter gewollt und gezielt unterstützen. Denn es stellt keine verminderte Gefahr der Vorfeldunterstützung des Terrorismus dar, wenn die Unterstützung terroristischer Vereinigungen nicht durch isolierte Einzelhandlungen, sondern in Vereinigung mit anderen erfolgt. Hierin liegt auch kein Fehlen der Unmittelbarkeit der Unterstützungshandlungen.

41

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht sodann nach Auswertung der ihm vorliegenden umfangreichen Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden festgestellt, dass der Kläger über mehrere Jahre in teils hervorgehobener Funktion als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter oder Redner regelmäßig an Veranstaltungen teilgenommen und mitgewirkt hat, bei denen offene Propaganda für die PKK betrieben worden ist (UA Bl. 39 - 42). Unter Einbeziehung der Aktivitäten des Klägers in der Zeit seit 2001, wie sie in der Ausweisungsverfügung (S. 3 - 9, 16 - 23) aufgelistet, vom Kläger nicht in Abrede gestellt und vom Berufungsgericht in Bezug genommen worden sind (UA S. 39 f.), stellt sich das Unterstützungshandeln des Klägers wie folgt dar: Der Kläger war von 2001 bis 2003/2004 Vorsitzender des "Kurdischen Kulturverein e.V." in L., der der KONGRA-GEL nahestand. Im Oktober 2004 wurde er in das 15-köpfige Führungskomitee der "Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland" (YEK-KOM) gewählt und gehörte diesem bis zur Auflösung der YEK-KOM im Jahr 2014 an, zeitweilig (bis 2011) war er der 2. Vorsitzende der Vereinigung. Er hat sich im Juni 2014 in den fünfköpfigen Vorstand der die PKK unterstützenden NAV-DEM wählen lassen und diese Vorstandstätigkeit bis zum Tage der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausgeübt (UA Bl. 43 - 45).

42

Der Kläger beteiligte sich seit Mitte 2003 regelmäßig an Kundgebungen und Demonstrationen in unterschiedlichen deutschen Städten (u.a. Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg, Frankfurt, Gelsenkirchen, Düsseldorf, Stuttgart) und in Straßburg/Frankreich, die sich unter anderem für eine Freilassung des inhaftierten PKK-Führers Öcalan aussprachen, des Gründungsjahrestags der PKK und/oder der "Märtyrer des kurdischen Freiheitskampfes" gedachten und Parolen auf die PKK ausriefen. Der Kläger hielt auf einigen dieser Veranstaltungen eine Rede, im Februar 2007 hob er dabei die Bedeutung der Gefallenen für die kurdische Sache hervor, im Januar 2009 sprach er zur aktuellen Lage der Kurden in ihrer Heimat, im März 2010 kritisierte er die Exekutivmaßnahmen der belgischen Polizei gegenüber dem kurdischen TV-Sender ROJ-TV, im November 2011 sprach er auf einer Kundgebung, die zum Thema u.a. die Verwendung von Napalmgas und chemischer Waffen gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei hatte, im Januar 2013 verurteilte er auf einer Kundgebung die Ermordung von drei PKK-Aktivisten in Paris, im Oktober 2015 hielt er anlässlich einer Protestaktion der NAV-DEM in Frankfurt eine Rede.

43

Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger nicht nur seine individuellen Unterstützungshandlungen, sondern sämtliche Aktionen der YEK-KOM und der NAV-DEM aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied persönlich zuzurechnen sind. Die YEK-KOM, der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK nach den gerichtlichen Feststellungen durch eine Vielzahl von Aktionen. Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen oder ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie "Freiheit für Öcalan" und "Frieden für Kurdistan". Im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die "logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans" verankert. Der Verein biete der PKK oder ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Für die NAV-DEM gilt nach den getroffenen Feststellungen nichts anderes. Der Verein sei keine Neugründung, sondern eine Umbenennung des Vereins YEK-KOM. Im Übrigen werde deutlich, dass die NAV-DEM ihre Veranstaltungen und Kundgebungen mit gleichem Ablauf und gleichen Themen durchführe wie zuvor schon unter dem Namen YEK-KOM. Diese zutreffende Würdigung bedeutet auch nicht, dass jeder Einsatz für die Interessen und Belange kurdischer Volkszugehöriger (oder eine Kritik an der Kurdenpolitik der Türkischen Republik) als eine Unterstützung der PKK und damit des Terrorismus einzuordnen wäre.

44

(cc) Soweit schließlich nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausscheidet, wenn der Ausländer ernsthaft und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt, hat das Berufungsgericht ebenfalls in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der Kläger ausweislich seines auch während des Ausweisungsverfahrens fortgesetzten Engagements als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter und Redner auch künftig an seiner Unterstützung der PKK festhalten wird. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Unterstützerverhalten des Klägers sind detailreich und stellen - entgegen der Auffassung der Revision - keine zu schmale Tatsachengrundlage für die getroffenen Feststellungen dar. Damit erfüllt der Kläger die gesetzlichen Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, und es liegt ein Ausweisungsinteresse vor, das besonders schwer wiegt.

45

3. Die angefochtene Verfügung des Beklagten erfüllt auch die besonderen Voraussetzungen, die nach § 53 Abs. 3 AufenthG an die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings zu stellen sind. Ein solcher darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

46

a) Diese den Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG ergänzende Vorschrift legt erhöhte Ausweisungsvoraussetzungen für mehrere rechtlich privilegierte Personengruppen fest, nämlich für Ausländer, die als Asylberechtigte anerkannt sind, die im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießen, die einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention besitzen, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder die eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU besitzen. Für all diese Personengruppen gilt der besondere aus Art. 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG abgeleitete Maßstab, den der Gerichtshof der Europäischen Union auch auf Ausländer erstreckt hat, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - C-371/08 [ECLI:EU:C:2011:809], Ziebell - Slg. 2011, I-12735 Rn. 79, 86). Der Senat folgt nicht der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, wonach die Voraussetzungen des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 53 Abs. 3 AufenthG von vornherein "bereichsspezifisch" gemäß dem durch das Unionsrecht für den jeweiligen Personenkreis bestimmten Ausweisungsschutz auszulegen sind. Vielmehr hat der Gesetzgeber den unionsrechtlichen Schutzstandard für daueraufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige für ausreichend befunden und dessen Geltung für alle genannten Personengruppen angeordnet. Dies entbindet freilich nicht davon, in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob für die jeweils betrachtete Personengruppe der so durch den nationalen Gesetzgeber definierte Ausweisungsschutz dem unionsrechtlichen Maßstab tatsächlich genügt. Nur wenn der unionsrechtliche Maßstab strenger ist als derjenige, der durch den Gesetzgeber in § 53 Abs. 3 AufenthG festgelegt worden ist, bedarf § 53 Abs. 3 AufenthG nach allgemeinen Grundsätzen einer unionsrechtskonformen Auslegung, die angesichts der Weite der Tatbestandsmerkmale und des erkennbaren gesetzgeberischen Willens, europarechtlichen Maßstäben zu genügen, auch möglich ist (so auch Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 54).

47

Im vorliegenden Fall ist § 53 Abs. 3 AufenthG unionsrechtskonform nach den Vorgaben der EU-Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU auszulegen. Die Richtlinie formuliert keine Vorgaben für eine Ausweisung im Sinne des deutschen Rechts, wohl aber für eine Zurückweisung in den Herkunftsstaat (Art. 21 Abs. 2 und 3) und für den Entzug des Aufenthaltstitels (Art. 24 Abs. 1).

48

b) Nach Art. 21 Abs. 3 der EU-Anerkennungsrichtlinie darf ein Mitgliedstaat den einem Flüchtling erteilten Aufenthaltstitel widerrufen, wenn die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 2 vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 2012 - 1 C 8.11 - BVerwGE 143, 138 Rn. 21). Fällt ein Flüchtling nicht in den Anwendungsbereich von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie, kann auch Abs. 3 dieser Vorschrift nicht zu Anwendung kommen (EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 - Rn. 44). Eine Zurückweisung ist nach Art. 21 Abs. 2 Buchst. a zulässig, wenn es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass der Flüchtling eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält. Es kann offenbleiben, ob vom Kläger eine Gefahr im Sinne dieser Vorschrift ausgeht, denn die Zurückweisung ist nur unter der weiteren Voraussetzung rechtmäßig, dass sie dem Mitgliedstaat nicht aufgrund seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen untersagt ist (Art. 21 Abs. 2). Dazu zählen die Verpflichtungen aus Art. 3 EMRK (vgl. Begründung der Kommission im Richtlinienvorschlag vom 12. September 2001 KOM (2001) 510 endg. S. 33 zu Art. 19). Dem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK kommt absoluter Charakter zu; es kann mithin - anders als das Refoulement-Verbot nach Art. 33 Abs. 1 GFK - nicht unter den Voraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 Richtlinie 2011/95/EU i.V.m. Art. 35 Abs. 2 GFK durchbrochen werden (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 5. April 2016 - C-404/15 und C-659/15 PPU [ECLI:EU:C:2016:198], Aranyosi und Căldăraru - Rn. 85 - 87; EGMR, Urteil vom 17. Dezember 1996 - Nr. 71/1995/577/663, Ahmed/Österreich - NVwZ 1997, 1100 Rn. 39 - 41). Für den Kläger besteht ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK. Denn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat im Anerkennungsbescheid vom 9. Oktober 1997 nicht nur die Flüchtlingseigenschaft des Klägers nach dem seinerzeit maßgeblichen § 51 Abs. 1 AuslG 1990, sondern auch ein Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990 hinsichtlich der Türkei festgestellt und dieses damit begründet, dass dem Kläger in der Türkei unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Diese Feststellung des Bundesamts begründet hier ein - absolutes - nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Insoweit kommt der Feststellung des Bundesamts im vorliegenden Verfahren über § 42 AsylG auch Bindungswirkung zu. Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU begrenzt damit den behördlichen Handlungsspielraum für eine Abschiebung in einen Verfolgerstaat oder einen Staat, in dem Gefahren nach Art. 3 EMRK drohen. Die Vorschrift setzt jedoch keine Maßstäbe für eine lediglich "inlandsbezogene" Ausweisung, die - wie hier - insbesondere den Verlust des Aufenthaltstitels zur Folge hat.

49

c) Unionsrechtliche Maßstäbe für eine zum Verlust des Aufenthaltstitels eines Flüchtlings führende inlandsbezogene Ausweisung lassen sich aus Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie gewinnen. Die Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten, einem Flüchtling so bald wie möglich nach der Anerkennung einen Aufenthaltstitel auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.

50

(aa) Der Inhalt dieser Norm wurde vom Gerichtshof der Europäischen Union in einem auf ein Vorlageersuchen des Berufungsgerichts ergangenen Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) näher bestimmt. Die Entscheidung bezieht sich zwar auf Art. 24 Abs. 1 der EG-Anerkennungsrichtlinie 2004/83/EG, ihre Aussagen sind aber uneingeschränkt auf die in der Sache unveränderte Vorschrift des Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU übertragbar. Danach kann einem Flüchtling nach Art. 24 Abs. 1 nicht nur die Erteilung eines Aufenthaltstitels versagt werden, sondern der erteilte Aufenthaltstitel auch nachträglich widerrufen werden, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen (a.a.O. Rn. 55). Soweit in der Neufassung der Vorschrift nunmehr von zwingenden Gründen der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung die Rede ist, ist damit keine inhaltliche Änderung verbunden. Diese Wirkung einer Entziehung des Aufenthaltstitels kommt der hier verfügten Ausweisung zu, die wegen des entgegenstehenden Abschiebungsverbots nach Art. 3 EMRK nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung führt. Entgegen einer am Wortlaut orientierten Auslegung von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie hat der darin verwendete Begriff der "zwingenden Gründe" nach dem EuGH-Urteil eine weitere Bedeutung als der Begriff der "stichhaltigen Gründe" in Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie. Das bedeutet, dass bestimmte Umstände, die nicht den Schweregrad aufweisen, um eine Zurückweisung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie verfügen zu können, den Mitgliedstaat gleichwohl dazu berechtigen können, auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie dem betroffenen Flüchtling seinen Aufenthaltstitel zu entziehen (a.a.O. Rn. 75).

51

Bei der Bestimmung des Bedeutungsgehalts der "zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" hat der EuGH zunächst Bezug auf seine Rechtsprechung zu den Begriffen der "öffentlichen Sicherheit" und der "öffentlichen Ordnung" in Art. 27 und 28 der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG genommen (a.a.O. Rn. 77 ff.). Danach umfasst der Begriff "öffentliche Sicherheit" im Sinne von Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats. Die öffentliche Sicherheit kann danach berührt sein, wenn das Funktionieren staatlicher Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste beeinträchtigt wird oder eine Gefahr für das Überleben der Bevölkerung oder einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker besteht oder militärische Interessen beeinträchtigt werden. Dabei deutet der Begriff der "zwingenden Gründe" auf einen besonders hohen Schweregrad der Beeinträchtigung hin (a.a.O. Rn. 78). Den Begriff der "öffentlichen Ordnung" hat der EuGH für die Unionsbürgerrichtlinie dahin ausgelegt, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliegen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (a.a.O. Rn. 79). Zugleich betont er, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, nach ihren nationalen Bedürfnissen, die je nach Mitgliedstaat und Zeitpunkt unterschiedlich sein können, zu bestimmen, was die öffentliche Ordnung und Sicherheit erfordern (a.a.O. Rn. 77).

52

Für den Fall der Unterstützung des Terrorismus hat der EuGH zudem auf den 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83/EG, heute 37. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95/EU hingewiesen, wonach der Begriff der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" auch für die Fälle gilt, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt. Dabei muss das nationale Gericht in einem ersten Schritt prüfen, ob die Handlungen der fraglichen Organisation die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedrohen. Wird eine vom Flüchtling unterstützte Vereinigung in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93) geführt, ist dies ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie entweder eine terroristische Organisation ist oder im Verdacht steht, eine solche Organisation zu sein (a.a.O. Rn. 83). Allein der Umstand, dass ein Flüchtling eine solche Organisation unterstützt hat, darf jedoch nicht automatisch zur Aufhebung seines Aufenthaltstitels führen. Vielmehr ist in einem zweiten Schritt einzelfallbezogen die Rolle zu prüfen, die der Betreffende im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt hat (a.a.O. Rn. 90), und auch der Schweregrad der Gefahr zu beurteilen, die von seinen Handlungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (a.a.O. Rn. 92).

53

(bb) Das Berufungsgericht hat die vom Kläger geleisteten und ihm zuzurechnenden Unterstützungshandlungen an dem vom EuGH präzisierten Maßstab für die Auslegung des Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie gemessen und ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass sich hieraus zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ergeben, die einen Entzug des Aufenthaltstitels gegenüber dem Kläger rechtfertigen. Das Gericht hat bereits im Rahmen seiner Prüfung des besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausführlich begründet, warum die PKK eine terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung darstellt (UA S. 27 - 34). Dabei hat es gewürdigt, dass die PKK auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist und auch weiterhin terroristische Aktivitäten entfaltet. In einem zweiten Schritt hat es näher dargelegt, warum die in Deutschland agierenden Vereinigungen YEK-KOM und NAV-DEM, für die der Kläger seit mehr als zwölf Jahren in hervorgehobenen Funktionen wirkte, und der Kläger auch individuell durch Anmeldung und Leitung von Versammlungen sowie Redebeiträge und weitere Aktivitäten die PKK unterstützt haben und weiter unterstützen (UA S. 55, 34 - 48). Die Bewertung des Berufungsgerichts, dass der Kläger damit die Voraussetzungen für den Entzug seines Aufenthaltstitels nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie erfüllt, steht mit der Rechtsprechung des EuGH in Einklang. Zwar hat er selbst keine terroristischen Handlungen begangen, auch nicht andere Personen hierzu angeleitet oder sich an der Planung oder Finanzierung terroristischer Aktionen beteiligt, wie das der EuGH als mögliches Unterstützerhandeln erwähnt (a.a.O. Rn. 90). Diese Aufzählung des Gerichtshofs ist jedoch nur beispielhaft, macht zugleich aber deutlich, dass der Betreffende eine gewichtige Rolle im Rahmen seiner Unterstützung der terroristischen Organisation gespielt haben muss.

54

Bei der Frage, was als gewichtig anzusehen ist, ist der 37. Erwägungsgrund der Richtlinie zu berücksichtigen, wonach auch die Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, und die Unterstützung einer derartigen Vereinigung als Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung anzusehen sind. Die abschließende Bewertung, ob die Unterstützungshandlung hinreichend gewichtig ist, um "zwingende Gründe" darzustellen, überlässt der Gerichtshof dem verantwortlichen nationalen Gericht und erkennt auch einen Einschätzungsspielraum der Mitgliedstaaten an, nach ihren nationalen Bedürfnissen zu bestimmen, was die nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung erfordern. Diese abschließende Bewertung hat das Berufungsgericht dahin getroffen, dass die Unterstützungshandlungen des Klägers dem von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie geforderten Gewicht entsprechen. Es hat dies auf der Grundlage der Gewichtungsvorgabe des nationalen Gesetzgebers in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nachvollziehbar mit dem mehr als zwölfjährigem Unterstützerhandeln des Klägers in hervorgehobener Position innerhalb zweier Vereinigungen begründet, in dessen Rahmen er an zahlreichen Veranstaltungen mitwirkte, an denen sich Akteure beteiligten, die offen für die PKK warben und deren Kurs vorbehaltlos befürworteten (Auftreten in Guerillauniform, Märtyrergedenken, Grußbotschaften an die Kämpfer an der Front usw.). Für das Gewicht seines Unterstützerhandelns durfte das Gericht auch berücksichtigen, dass der Kläger nach den tatrichterlichen Feststellungen in vollem Bewusstsein um dessen Bedeutung für den ideologischen Zusammenhalt der PKK und in dem Willen gehandelt hat, diese vorbehaltlos auch in Bezug auf deren terroristische Aktivitäten zu unterstützen (UA S. 55).

55

(cc) Der EuGH hat in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13 Rn. 95 ff.) aber hervorgehoben, dass ein Flüchtling, dessen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie aufgehoben wird, seinen Flüchtlingsstatus behält, sofern und solange ihm nicht dieser Status entzogen worden ist. Daher ist er auch nach dem Verlust seines Aufenthaltstitels weiterhin Flüchtling und hat in dieser Eigenschaft weiterhin Anspruch auf die Vergünstigungen, die das Kapitel VII der Richtlinie jedem Flüchtling gewährleistet, so insbesondere auf Schutz vor Zurückweisung, auf Wahrung des Familienverbands, auf Ausstellung von Reisedokumenten, auf Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung, zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie auf Zugang zu Integrationsmaßnahmen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift. Diese Rechte dürfen, auch soweit sie nach nationalem Recht an den Besitz eines Aufenthaltstitels anknüpfen, von den zuständigen Behörden daher nicht mit der Begründung versagt werden, dass der Aufenthalt des Flüchtlings infolge der Ausweisung rechtswidrig geworden ist. Allerdings darf die Ausstellung eines Reiseausweises nach Art. 25 EU-Anerkennungsrichtlinie versagt werden, wenn - etwa zur Begegnung der Gefahr terroristischen Unterstützungshandelns - zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung entgegenstehen. Ebenso dürfen nach Art. 33 der Richtlinie aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen verfügt werden, wenn diese aus Gründen der öffentlichen Sicherheit auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern zulässig sind.

56

Eventuelle Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der dem Flüchtling auch nach Entzug des Aufenthaltstitels weiter zustehenden Rechte nach Kapitel VII der EU-Anerkennungsrichtlinie infolge unzureichender Umsetzung der Richtlinie in den einschlägigen nationalen Fachgesetzen berühren nicht die Rechtmäßigkeit der verfügten Ausweisung. An die Beachtung der einen Flüchtling unmittelbar begünstigenden Vorschriften in Kapitel VII der Richtlinie und die hierzu ergangene Rechtsprechung des EuGH sind seit Ablauf der Umsetzungsfrist alle nationalen Behörden gebunden. Der Flüchtling hat seine Rechte gegenüber den jeweils zuständigen Behörden und erforderlichenfalls Gerichten geltend zu machen. Auch die Generalanwältin hat es insoweit als die Pflicht der nationalen Gerichte angesehen, für die volle Wirksamkeit der Bestimmungen der Richtlinie Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede entgegenstehende Vorschrift des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 11. September 2014 - C-373/13 - Rn. 114 letzter Absatz).

57

4. Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen gewichtige Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1, § 55 AufenthG gegenüber. Diese hat das Berufungsgericht zutreffend bestimmt (UA S. 59 f.). Es hat berücksichtigt, dass der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besessen hat, die durch die Ausweisungsverfügung betroffen ist, er mit deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und er sein Personensorgerecht für minderjährige ledige Deutsche ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG).

58

5. Das Berufungsgericht hat das öffentliche Ausweisungsinteresse gegen die Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG unter Berücksichtigung der den Einzelfall prägenden Umstände abgewogen und ist unter Beachtung des hierfür zentralen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass das Ausweisungsinteresse überwiegt (UA S. 60 - 64). Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Gericht hat berücksichtigt, dass der Kläger besonderen Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie genießt, hier allerdings auf absehbare Zeit keine Aufenthaltsbeendigung beabsichtigt ist, da ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht. Es hat seinen langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und seine familiären Bindungen im Sinne von Art. 6 GG, Art. 8 EMRK gewürdigt, diesen durch die Verfügung allerdings insoweit nicht als beeinträchtigt angesehen, als keine Aufenthaltsbeendigung erfolgt. Es hat bei seiner Abwägung berücksichtigt, dass der Kläger in seinen geschützten Bindungen dadurch betroffen ist, dass sein Aufenthalt auf das Gebiet der Stadt M. beschränkt und er Meldeauflagen unterworfen ist. Weitere schützenswerte Bindungen hat das Gericht nicht anerkannt und dies nachvollziehbar damit begründet, dass der Kläger ungeachtet seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland kaum deutsch spricht, nur sporadisch und für kürzere Zeiträume erwerbstätig war und seit längerem von Sozialleistungen abhängig ist. Schließlich hat das Berufungsgericht in die Abwägung eingestellt, dass es der Kläger in der Hand hat, durch eine glaubhafte Abkehr von seinem bisherigen Verhalten eine Aufhebung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu erreichen.

59

6. Ohne Rechtsverstoß wertet das Berufungsurteil die in Ziffer 2 der angefochtenen Verfügung angeordnete Aufenthaltsbeschränkung und die verfügten Meldeauflagen als rechtmäßig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliegt ein Ausländer, gegen den - wie hier - eine Ausweisungsverfügung aufgrund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG besteht, der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Gestützt auf diese Ermächtigung hat der Beklagte bestimmt, dass sich der Kläger zweimal wöchentlich zu melden hat. Ferner hat er den Aufenthalt des Klägers auf den Bereich der Stadt M. beschränkt, wie das § 56 Abs. 2 AufenthG vorsieht, wenn die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft. Diese aufenthaltsbeschränkenden Maßnahmen durften gegenüber dem Kläger trotz dessen Rechtsstellung als Flüchtling ergehen. Dadurch wird sein Recht auf Freizügigkeit gemäß Art. 33 EU-Anerkennungsrichtlinie nicht verletzt. Denn derartige Maßnahmen dürfen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, wie sie hier wegen des Erfordernisses der Abwehr von terrorismusfördernden Aktivitäten vorliegen, auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern verfügt werden (§ 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG).

60

7. Zutreffend ist das Berufungsgericht auch zu dem Ergebnis gekommen, dass die für die Ausweisung des Klägers anwendbaren Regelungen des Ausweisungsrechts nicht gegen assoziationsrechtliche Verschlechterungsverbote aus Art. 13 ARB 1/80, Art. 7 ARB 2/76 und Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen (BGBl. 1972 II S. 385) verstoßen. Dabei kann offenbleiben, ob hier überhaupt eines der Verschlechterungsverbote Anwendung findet. Denn der zum 1. Januar 2016 eingeführte Übergang von einer Ermessensentscheidung zu einer gebundenen Entscheidung stellt keine Verschlechterung der Rechtsstellung des betroffenen Ausländers dar (a). Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung bewirkte zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für betroffene Ausländer, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt (b).

61

a) Die zum 1. Januar 2016 eingeführte Neuregelung des Ausweisungsrechts, die die bisherige Ermessensausweisung durch eine am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte gebundene Ausweisung abgelöst hat, hat die Rechtsstellung der Ausländer in der hier gebotenen und auch unionsrechtlich statthaften Gesamtschau nicht verschlechtert, sondern jedenfalls teilweise verbessert. Denn bisher sah das Gesetz Tatbestände einer zwingenden Ausweisung (Ist-Ausweisung), regelmäßig erfolgenden Ausweisung (Soll-Ausweisung) und Ausweisung nach Ermessen (Kann-Ausweisung) vor. Die zwingende Ausweisung und die regelmäßig erfolgende Ausweisung widersprachen für den Personenkreis der unionsrechtlich privilegierten Ausländer der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach eine Ausweisung ausschließlich auf ein persönliches Verhalten des Ausländers gestützt werden darf, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 [ECLI:EU:C:2004:262], Orfanopoulos und Oliveri - Slg. 2004, I-5257 Rn. 66 f.). Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass eine Regelung gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, wonach eine Ausweisung automatisch aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung verfügt wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird (a.a.O. Rn. 70). Aber auch die nationale Bestimmung über die Regelausweisung hat für den Gerichtshof den Anschein erweckt, dass trotz der Berücksichtigung individueller Umstände ein gewisser Automatismus oder jedenfalls eine Vermutung besteht, dass der betreffende Staatsangehörige auszuweisen ist (a.a.O. Rn. 92).

62

Daraus hat das Bundesverwaltungsgericht die Schlussfolgerung gezogen, dass die gesetzliche Regelung zur zwingenden Ausweisung und Regelausweisung auf unionsrechtlich privilegierte Ausländer nicht mehr angewendet werden darf (BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <302> betreffend Unionsbürger und - 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <321> betreffend Assoziationsberechtigte nach ARB 1/80). Der Gesetzgeber hat daraus durch das zum 1. Januar 2016 in Kraft getretene neue Ausweisungsrecht die Konsequenzen gezogen. Insofern stellt die neue Rechtslage eine Verbesserung gegenüber der bisherigen dar. Eine Ausweisung nach neuem Recht hat eine einzelfallbezogene umfassende Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen und orientiert sich dabei strikt am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 53 Abs. 1 und 2 AufenthG). Damit setzt der Gesetzgeber Vorgaben um, die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 - Rn. 99) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR , Urteil vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 57 - 60) ergeben.

63

Es stellt keine Verschlechterung der Rechtslage für unionsrechtlich privilegierte Ausländer dar, dass ihre Ausweisung nach früherer Rechtslage im Wege einer Ermessensentscheidung erfolgte, nach neuem Recht hingegen im Wege einer rechtlich gebundenen Ausweisung, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Damit entfällt zwar die Möglichkeit, aus Gründen der Zweckmäßigkeit von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen. Auf ein solches Absehen von einer rechts- und ermessensfehlerfrei möglichen Ausweisung hatte der Ausländer aber zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch, auch die gerichtliche Kontrolle war insoweit durch § 114 VwGO eingeschränkt; durch die gesetzliche Neuregelung wird also keine individuelle Rechtsposition beeinträchtigt. Im Übrigen ist für die Beachtung des Verschlechterungsverbots auf die tatsächliche Praxis und nicht allein auf die abstrakte Rechtslage abzustellen. Die Rechtspraxis wurde maßgeblich durch die Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz des Bundesministeriums des Innern vom 26. Oktober 2009 gesteuert. Danach lag die Ausweisungsentscheidung im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde, bei der Ermessensausübung waren das schutzwürdige Interesse des Ausländers am weiteren Verbleib in Deutschland und das öffentliche Interesse an der Ausweisung gegeneinander abzuwägen (Ziffer 55.1.3). Das weist auf eine Rechtspraxis hin, die der heute normierten gebundenen Ausweisung entspricht, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Insofern hat sich die Rechtsstellung des Ausländers nicht verschlechtert.

64

b) Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung hat zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für die betroffenen Ausländer bewirkt, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Die seinerzeitige Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung (§ 54 Nr. 5 AufenthG a.F.) führte zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gegenüber der früheren Rechtslage, die allein den Tatbestand der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland kannte. Durch die Rechtsänderung wurde nun auch die Vorfeldunterstützung des Terrorismus erfasst. Diese ist jedoch mit Blick auf das Verschlechterungsverbot aus Art. 13 ARB 1/80 aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 14 ARB 1/80, jedenfalls aber durch ein zwingendes Allgemeininteresse, namentlich die völkerrechtlich gebotene Terrorismusbekämpfung auch bereits im Vorfeld unmittelbarer terroristischer Handlungen, gerechtfertigt.

65

8. Nach der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG ist über die Länge der Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach Ermessen zu entscheiden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Diese gesetzgeberische Entscheidung ist mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom gleichen Tage - 1 C 27.16 - Rn. 20 ff.). Das Urteil des Senats zur Vorläuferfassung des § 11 AufenthG a.F., wonach eine gebundene Entscheidung zu treffen war (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.), erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihm ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen. Eine solche Ermessensentscheidung hat der Beklagte hier noch nicht getroffen. Vielmehr hat bisher das Verwaltungsgericht das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach der seinerzeit geltenden Rechtslage im Wege einer gebundenen Entscheidung auf acht Jahre festgesetzt.

66

Der Beklagte hat die nach neuem Recht nunmehr gebotene Ermessensentscheidung nachzuholen. Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange.

67

B. Der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellte (weitere) Hilfsantrag, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass dem Kläger auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie, ist unzulässig. Er stellt eine unzulässige Klageerweiterung im Revisionsverfahren dar (§ 142 Abs. 1 VwGO). Im Übrigen bedarf es einer solchen behördlichen Feststellung auch nicht. Aus dem für alle nationalen Behörden verbindlichen EuGH-Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) ergibt sich bis zu einer dem Gesetzgeber vorbehaltenen Anpassung der einschlägigen Fachgesetze hinreichend deutlich, dass dem Kläger - solange er die Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der EU-Anerkennungsrichtlinie genießt - auch die mit dieser Rechtsstellung einhergehenden Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie zustehen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift (vgl. dazu auch die vorstehenden Ausführungen in Rn. 55 f. dieses Urteils).

68

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat gewichtet den gegen die Ausweisung, die Meldeauflage, die Aufenthaltsbeschränkung und die Abschiebungsandrohung gerichteten Anfechtungsantrag mit 4/5 und den auf Befristung zielenden Verpflichtungsantrag mit 1/5 (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 46).

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus Deutschland. Hilfsweise erstrebt er eine neue Entscheidung des Beklagten über die Befristung des mit der Ausweisung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots.

2

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volkszugehörigkeit. Er wurde 1973 in der Türkei geboren, ist verheiratet und hat sieben Kinder. Er reiste 1997 nach Deutschland ein und beantragte hier Asyl, da er in der Türkei wegen seines Engagements in prokurdischen Vereinen und Parteien sowie verwandtschaftlichen Beziehungen zu Guerillakämpfern der sog. Arbeiterpartei Kurdistans - PKK - an Leib und Leben bedroht sei. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) vom 9. Oktober 1997 wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach dem damaligen § 51 Abs. 1 AuslG 1990 zuerkannt und zu seinen Gunsten ein Abschiebungsverbot wegen drohender Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK (damals § 53 Abs. 4 AuslG 1990) festgestellt. Der Kläger ist lediglich sporadisch und für kurze Zeiträume einer Erwerbstätigkeit nachgegangen, gleiches gilt für seine Ehefrau. Er bezieht mit seiner Familie Leistungen nach dem SGB II.

3

Vom 1. April 1998 bis zum 1. Dezember 2009 war der Kläger im Besitz jeweils befristeter Aufenthaltstitel. Am 13. März 2009 teilte das Bundesamt der Ausländerbehörde mit, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 73 Abs. 1 oder 2 AsylVfG nicht vorlägen. Im März 2009 stellte der Kläger bei der Ausländerbehörde der Stadt M. einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Auf Anfrage teilte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg der Ausländerbehörde im Mai 2009 mit, dass hinsichtlich der Person des Klägers "Erkenntnisse" vorlägen, über die das Innenministerium Baden-Württemberg gesondert informiert worden sei. Dessen ungeachtet wurde dem Kläger am 4. Dezember 2009 ohne weitere Mitteilung zum Stand der Sicherheitsüberprüfung eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG erteilt.

4

Das Regierungspräsidium K. teilte dem Kläger mit Schreiben vom 23. Juli 2010 mit, dass die Niederlassungserlaubnis in Unkenntnis der Sicherheitsbedenken erteilt worden sei und derzeit deren Rücknahme und eine Ausweisung geprüft werde. Hierzu werde dem Kläger die Möglichkeit eines Sicherheitsgesprächs zur weiteren Aufklärung gegeben. Dieses fand im Februar 2011 statt; allerdings verweigerte der Kläger mit Ausnahme eines durch ihn ausgefüllten Fragebogens die weitere Mitwirkung.

5

Mit Verfügung vom 10. Januar 2012 wies das Regierungspräsidium K. den Kläger aus (Ziffer 1) und stützte sich dabei auf § 54 Nr. 5, § 56 Abs. 1, § 55 AufenthG a.F. Zudem wurde der Kläger verpflichtet, sich zweimal wöchentlich unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapiers bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, und sein Aufenthalt wurde auf den Bereich der Stadt M. begrenzt (Ziffer 2).

6

Die Ausweisung sei gerechtfertigt, weil Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Kläger Vereinigungen unterstütze, die ihrerseits den Terrorismus unterstützten. So habe der Kläger nach den vorliegenden Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in den Jahren 2001 bis 2010 regelmäßig an näher bezeichneten Veranstaltungen und Demonstrationen der PKK-Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL teilgenommen und sei teilweise auch selbst als Redner bei derartigen Veranstaltungen aufgetreten. Von 2001 bis 2003/2004 sei er Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Kurdischer Kulturverein e.V." in L. gewesen. Außerdem sei er seit langem Vorstandsmitglied und nunmehr sogar zweiter Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM). Die Ausweisung sei trotz des dem Kläger als anerkanntem Flüchtling zustehenden besonderen Ausweisungsschutzes aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt und auch mit Blick auf die Bleibeinteressen des Klägers verhältnismäßig. Sie führe zudem nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung, vielmehr bleibe seine Abschiebung ausgesetzt, da ihr Abschiebungsverbote aufgrund der Rechtsstellung des Klägers als Flüchtling sowie nach § 60 Abs. 5 AufenthG entgegenstünden. Die angeordnete zweimalige wöchentliche Meldepflicht und die räumliche Beschränkung auf den Stadtbezirk M. beruhten auf § 54a AufenthG (a.F.) und seien mit Blick auf die gebotene Überwachung des Klägers und zur Eindämmung seiner gefahrbegründenden Aktivitäten erforderlich und angemessen.

7

Das Verwaltungsgericht hat die gegen die Verfügung gerichtete Klage mit Urteil vom 27. Januar 2015 abgewiesen, zugleich aber den Beklagten verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf acht Jahre nach Ausreise des Klägers zu befristen. Mit Urteil vom 13. Januar 2016 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung zurückgewiesen. Dabei hat er die angefochtene Ausweisungsverfügung an der seit dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung des AufenthG gemessen. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof insbesondere ausgeführt: Im Fall des Klägers liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, weil der Kläger in überwiegend herausgehobener Funktion die PKK und damit eine terroristische oder den Terrorismus unterstützende Vereinigung unterstützt habe. Dabei seien allerdings nur Aktivitäten nach Juli 2010 heranzuziehen, also nach der an den Kläger gerichteten Mitteilung, wegen seiner Aktivitäten werde die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft. Als tatbestandserhebliches Unterstützen sei hiernach jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirke. Nach diesem Maßstab seien die im Urteil im Einzelnen näher bezeichneten und durch den Kläger in der Sache eingeräumten Betätigungen als Teilnehmer, Mitglied, Redner und Versammlungsleiter bei diversen die PKK unterstützenden Veranstaltungen sowie als Vorstandsmitglied der die PKK unterstützenden YEK-KOM und deren Nachfolgeorganisation NAV-DEM als Unterstützungshandlung zu werten. Angesichts des Ablaufs der Veranstaltungen, der dort gehaltenen Reden und der klaren Ausrichtung auf den Führerkult um den PKK-Führer Öcalan sowie gefallene Märtyrer bestünden für das Berufungsgericht keine Zweifel daran, dass sich der Kläger den Zielen der PKK verpflichtet fühle und sie mit seinem Tun unterstützen wolle.

8

Die Ausweisungsverfügung werde auch dem erhöhten Ausweisungsschutz gerecht, der dem Kläger als anerkanntem Flüchtling nach § 53 Abs. 3 AufenthG zustehe. Denn es lägen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU vor, wonach ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel widerrufen werden könne.

9

Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse stehe ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber. Denn er habe eine Niederlassungserlaubnis besessen, die gerade durch die Ausweisungsverfügung betroffen sei. Er lebe mit deutschen Familienangehörigen (sechs seiner Kinder) in familiärer Lebensgemeinschaft und übe sein Personensorgerecht für seine minderjährigen Kinder aus. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung überwiege jedoch das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers.

10

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Revision und rügt in mehrfacher Hinsicht eine Verletzung von Bundesrecht. Zunächst habe das Berufungsgericht den Begriff des "Unterstützens" in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG fehlerhaft ausgelegt und angewandt. Der von ihm in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht angewandte Unterstützungsbegriff sei rechtsstaatlich nicht hinreichend konkret. Jedenfalls auf der Grundlage des neuen, seit Jahresanfang 2016 geltenden Ausweisungsrechts, das nach "schwerwiegenden" und "besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen" differenziere, sei dieser Unterstützungsbegriff nicht mehr als Abgrenzungskriterium geeignet. Notwendig sei ein gefahrenabwehrrechtlich ausgerichteter Unterstützungsbegriff, der sich etwa in Anlehnung an strafrechtliche Zurechnungskriterien wie Anstiftung oder Beihilfe oder die im Strafrecht für Organisationsdelikte entwickelten Zurechnungskriterien gewinnen lassen könne.

11

Fehlerhaft sei zudem die Auslegung und Anwendung von § 53 Abs. 3 AufenthG im Hinblick auf die sich aus Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie ergebenden Voraussetzungen. Denn das Berufungsgericht habe weder festgestellt, dass der Kläger unmittelbar der PKK angehöre, noch dass sich die YEK-KOM oder die NAV-DEM selbst terroristischer Methoden bedienten. Weiterhin verkenne das Berufungsgericht die durch den Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) aufgestellten Anforderungen an die festzustellenden Unterstützungshandlungen. Danach sei insbesondere zu prüfen, ob der Betroffene selbst terroristische Handlungen begangen habe, ob und in welchem Maße er an der Planung, an Entscheidungen oder an der Anleitung anderer Personen zum Zwecke der Begehung solcher Handlungen beteiligt war und ob und in welchem Umfang er solche Handlungen finanziert oder anderen Personen die Mittel für ihre Begehung verschafft habe. Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts habe der EuGH damit nicht lediglich beispielhaft die in den maßgeblichen Vorlagefragen des Ausgangsverfahrens vorgehaltenen Handlungen herausgegriffen, sondern in einem abschließenden Sinne bestimmte Kriterien vorgegeben.

12

Weiter setze der Gefahrenbegriff des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine "konkrete Gefahr" voraus. Weder der Wortlaut noch die der Vorschrift zugrunde liegende Entstehungsgeschichte rechtfertigten eine Absenkung dieser Gefahrenschwelle. Das Berufungsgericht hätte daher prüfen müssen, ob der Kläger die für die objektive Unterstützung zu Grunde gelegten Tatsachen und Umstände gekannt und eine zweckgerichtete Unterstützung auch gewollt habe.

13

Schließlich habe das Berufungsgericht verkannt, dass dem Kläger nach dem Urteil des EuGH vom 24. Juni 2015 selbst dann, wenn ihm der Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie entzogen werden dürfe, für die Zeit der Fortdauer seines Flüchtlingsstatus die Rechte nach Kapitel VII dieser Richtlinie erhalten bleiben. Deshalb beantragte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hilfsweise, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass ihm auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie.

14

Der Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und tritt der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bei.

15

Während des Revisionsverfahrens hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 20. Oktober 2016 die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes für den Kläger widerrufen und entschieden, ihm weder die Flüchtlingseigenschaft noch den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Gegen den Bescheid hat der Kläger Klage erhoben.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist im Wesentlichen unbegründet. Das Berufungsgericht hat die Ausweisung des Klägers und die ihm auferlegte Meldepflicht und Aufenthaltsbeschränkung im Ergebnis zu Recht als rechtmäßig eingestuft. Allerdings war auf der Grundlage der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG der Beklagte zu einer nunmehr gebotenen Ermessensentscheidung über die festzusetzende Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG zu verpflichten.

17

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren des Klägers auf Aufhebung der Ausweisung (Ziffer 1 des Bescheids) sowie der Meldeauflagen und Aufenthaltsbeschränkung (Ziffer 2 des Bescheids). Aber auch der Streit über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs - im Berufungsverfahren und anschließend im Revisionsverfahren angefallen. Denn das Befristungsbegehren ist als Minus notwendiger Bestandteil des Begehrens auf Aufhebung einer Ausweisung und kann daher von den Parteien nicht gesondert aus dem Verfahren ausgegliedert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 28 ff.). Hiervon sind im Übrigen vorliegend auch die Parteien übereinstimmend ausgegangen.

18

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der Meldepflicht und der Aufenthaltsbeschränkung sowie der vom Kläger hilfsweise begehrten Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 8 m.w.N.). Der Entscheidung sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162) zugrunde zu legen, zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155).

19

A. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG, weil der Kläger anerkannter Flüchtling ist.

20

1. Nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht ergibt sich der Grundtatbestand der Ausweisung aus § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

21

Das neue Ausweisungsrecht gibt das mit dem Ausländergesetz 1990 eingeführte dreistufige Konzept der Ist-, Regel- und Kann-Ausweisung auf. Stattdessen hat sich der Gesetzgeber für ein einheitliches System der rechtlich gebundenen Ausweisung entschieden ("wird ausgewiesen"), das vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. § 54 AufenthG benennt konkret die Gründe, wann das Ausweisungsinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt und knüpft damit an Tatbestände der früheren Ist- und Regelausweisung an. In § 55 AufenthG werden - spiegelbildlich hierzu - Tatbestände normiert, denen zufolge das Bleibeinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt, wobei auch die Aufzählung der "schwer" wiegenden Bleibeinteressen nicht abschließend ist. In § 53 Abs. 2 AufenthG werden Gesichtspunkte genannt, die bei der Abwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sind, insbesondere die Dauer des Aufenthalts, Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, Folgen der Ausweisung für Angehörige und Partner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat.

22

Die Rechtsprechung des Senats, die ihrerseits Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aufgreift (vgl. Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <301 ff.> und vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 14 ff.), hat bei der Entwicklung des neuen Ausweisungsrechts eine entscheidende Rolle gespielt (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 25. Februar 2015, BT-Drs. 18/4097 S. 49). Dabei griff der Gesetzgeber Vorschläge zur Neuregelung des Ausweisungsrechts auf, die Vertreter der Rechtsprechung unterbreitet haben (vgl. Dörig, NVwZ 2010, 921 <922>; Bergmann, ZAR 2013, 318 <322> sowie Gesetzesvorschlag Bergmann/Dörig vom Januar 2014, veröffentlicht in: Barwig u.a., Steht das europäische Migrationsrecht unter Druck?, 2014, S. 111 f.). Die Ausweisung setzt nunmehr nach § 53 Abs. 1 AufenthG eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Sofern nach dieser Gesamtabwägung das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib in Deutschland überwiegt, wird der Ausländer ausgewiesen, andernfalls kommt eine Aufenthaltsbeendigung nach § 53 Abs. 1 AufenthG nicht in Betracht.

23

Die Tatbestandsmerkmale der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" im ausweisungsrechtlichen Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG sind nach der Begründung des Gesetzgebers im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Auch die Gefährdung dieser Schutzgüter bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten wird. Mit Blick auf die verwendeten Begriffe sollte keine Ausweitung des Gefahrenbegriffs gegenüber dem bislang geltenden Recht erfolgen, vielmehr sollten lediglich die bislang verwandten unterschiedlichen Formulierungen aneinander angeglichen werden. Die von § 53 Abs. 1 AufenthG geforderte Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers in Deutschland erfolgt dabei nach der Intention des Gesetzgebers nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar.

24

Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" (Absatz 1) oder als "schwerwiegend" (Absatz 2). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sind neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Interessen aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Die Katalogisierung schließt demnach die Berücksichtigung weiterer Umstände im Rahmen der nach § 53 Abs. 2 AufenthG zu treffenden Abwägungsentscheidung nicht aus. Dies folgt bereits aus dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG, ist aber für die schwerwiegenden, aufgrund der Vielgestaltigkeit der Lebenssituationen bewusst nicht abschließend aufgezählten Bleibeinteressen in § 55 Abs. 2 AufenthG nochmals ausdrücklich normiert. Die nunmehr als schwerwiegend oder besonders schwerwiegend qualifizierten Ausweisungsinteressen im Sinne von § 54 AufenthG decken sich weitgehend - aber nicht vollständig - mit den früheren Gründen für eine Regel- und Ist-Ausweisung, die schwerwiegenden und besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen greifen Fälle des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 AufenthG a.F. auf.

25

Bei der Abwägung sind schließlich gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht ("Boultif/Üner-Kriterien"). Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen.

26

Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht.

27

2. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG festgestellt. Ein solches liegt dann vor, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wobei hiervon u.a. dann auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Ausländer einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er (jedenfalls) eine solche Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, er nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.

28

a) Der Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist dem Wortlaut nach weitgehend an den früheren Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung angelehnt, auf den die Ausweisungsverfügung auch ursprünglich gestützt war. Das Berufungsgericht hat für die Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu Recht dieselben rechtlichen Maßstäbe herangezogen, die der Senat zur Auslegung des früheren Regelausweisungstatbestandes nach § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung entwickelt hat.

29

In der Rechtsprechung des Senats war die Auslegung des Regelausweisungstatbestands des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung weitgehend geklärt. So ist anerkannt, dass eine Vereinigung den Terrorismus unterstützt, wenn sie sich selbst terroristisch betätigt oder wenn sie die Begehung terroristischer Taten durch Dritte veranlasst, fördert oder befürwortet. Die Schwelle der Strafbarkeit muss dabei nicht überschritten sein, da die Vorschrift der präventiven Gefahrenabwehr dient und auch die Vorfeldunterstützung durch sogenannte Sympathiewerbung erfasst. Der Tatbestand des Unterstützens des Terrorismus durch eine Vereinigung setzt allerdings voraus, dass die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung (auch) auf die Unterstützung des Terrorismus gerichtet sind; ein bloßes Ausnutzen der Strukturen einer Vereinigung durch Dritte in Einzelfällen reicht hierfür nicht aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 20 ff. und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 13 ff.).

30

Für den im Gesetz verwandten Begriff des Terrorismus sind Versuche, auf völkerrechtlicher Ebene eine allgemein anerkannte vertragliche Definition zu entwickeln, nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen. Jedoch können wesentliche Kriterien aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft im Beschluss des Rates Nr. 2002/475/JI vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (ABl. L 164 S. 3) sowie dem gemeinsamen Standpunkt des Rates 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001 (ABl. L 344 S. 93) gewonnen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die Aufnahme einer Organisation in die vom Rat der Europäischen Union angenommene Liste terroristischer Organisationen im Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93 - vgl. auch ABl. L 116 vom 3. Mai 2002, S. 75) ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass die Organisation terroristischer Art ist oder im Verdacht steht, eine solche zu sein (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 [ECLI:EU:C:2015:413], H.T./Land Baden-Württemberg - Rn. 83). Hier sind von den Tatsachengerichten ergänzende Feststellungen zu treffen. Dabei ist trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs anerkannt, dass als terroristisch jedenfalls der Einsatz gemeingefährlicher Waffen und Angriffe auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen sind (Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>, vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 19 und Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 10 C 48.07 - BVerwGE 132, 79 <87> m.w.N.).

31

Weiterhin ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass die individuelle Unterstützung einer terroristischen Vereinigung oder einer Vereinigung, die eine terroristische Vereinigung unterstützt, im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. alle Verhaltensweisen erfasst, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeit der Vereinigung auswirken. Darunter kann die Mitgliedschaft in der terroristischen oder in der unterstützenden Vereinigung ebenso zu verstehen sein wie eine Tätigkeit für eine solche Vereinigung ohne gleichzeitige Mitgliedschaft. Auch die bloße Teilnahme an Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen kann eine Unterstützung in diesem Sinne darstellen, wenn sie geeignet ist, eine positive Außenwirkung im Hinblick auf die durch § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. missbilligten Ziele zu entfalten. Auf einen nachweisbaren oder messbaren Nutzen für diese Ziele kommt es nicht an, ebenso wenig auf die subjektive Vorwerfbarkeit der Unterstützungshandlungen. Im Hinblick auf den Schutz der Meinungsfreiheit und das Gebot der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Betätigungsfreiheit des Einzelnen erfüllen allerdings solche Handlungen den Tatbestand der individuellen Unterstützung nicht, die erkennbar nur auf einzelne, mit terroristischen Zielen und Mitteln nicht im Zusammenhang stehende - etwa humanitäre oder politische - Ziele der Vereinigung gerichtet sind. Für den Ausländer muss schließlich die eine Unterstützung der Vereinigung, ihrer Bestrebungen oder ihrer Tätigkeit bezweckende Zielrichtung seines Handelns erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auf eine darüber hinaus gehende innere Einstellung des Ausländers kommt es hingegen nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 15 und 18 m.w.N.).

32

Diese vom Senat zur Auslegung von § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. entwickelten Grundsätze lassen sich entgegen dem Vorbringen der Revision auch auf den Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung nach dem neu gefassten § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG übertragen. Ein Vergleich der Textfassungen ergibt, dass der Gesetzgeber die früheren Regelausweisungstatbestände nach § 54 Nr. 5, 5a und 5b AufenthG a.F. in der neuen Vorschrift des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zusammengefasst hat, wobei unter den vorliegenden Umständen die Fälle staatsgefährdender Gewalttaten nach § 89a StGB außer Betracht bleiben können. Gegenüber dem früheren Recht ist der Hinweis entfallen, dass eine Ausweisung auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen nur gestützt werden kann, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Eine Änderung der materiellen Rechtslage ist damit aber nicht verbunden, da auch nach neuem Recht eine fortbestehende Gefahr erforderlich ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ("gefährdet") und ist implizit auch dem neuen Zusatz in § 54 Abs. 1 Nr. 2 letzter Halbsatz AufenthG zu entnehmen, wonach von einer Gefährdung nicht auszugehen ist, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt.

33

Den Gesetzgebungsmaterialien ist nichts dafür zu entnehmen, dass sich der Gesetzgeber hinsichtlich des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung für eine Abkehr von dem bisherigen Verständnis des Ausweisungstatbestandes hat entscheiden wollen. Zwar hat er in Satz 2 einen Halbsatz neu eingefügt, wonach ein Unterstützen nicht vorliegt, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt. Das stellt jedoch keine inhaltliche Änderung des Unterstützerbegriffs dar, sondern normiert lediglich ein in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits entwickeltes Kriterium zur individuellen Zurechnung eines Unterstützerverhaltens. Denn der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die objektive Tatsache der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in der Vergangenheit dem Ausländer dann nicht mehr zugerechnet werden kann, wenn er sich glaubhaft hiervon distanziert (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <131>, vom 30. April 2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 35 und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 17). Die nunmehr normierten Tatbestandsmerkmale lassen keine Abkehr von der Senatsrechtsprechung erkennen, denn ein "erkennbares Abstandnehmen" vom sicherheitsgefährdenden Handeln entspricht dem Distanzieren im Sinne der Senatsrechtsprechung. Allerdings findet sich in der Begründung zu dieser Neuregelung die Aussage, die Möglichkeit der "Exkulpation" zeige, dass der Betroffene Kenntnis davon gehabt haben müsse, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstütze, der "undolose Unterstützer" daher nicht unter die Regelung falle (BT-Drs. 18/4097 S. 51). Aus diesem Satz in der Gesetzesbegründung könnte man ableiten, der Gesetzgeber habe eine Regelung treffen wollen, nach der für die subjektive Seite des Unterstützens mehr erforderlich ist (Vorsatz) als nach dem bisherigen Verständnis (Erkennbarkeit). Wäre dies tatsächlich so Gesetz geworden, hätte dies eine nicht unerhebliche Einschränkung der Rechtsprechung zur subjektiven Zurechnung bedeutet, nach der es ausreicht, dass der Ausländer erkennen konnte, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstützt. Die Begründung hat jedoch im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden, denn nach diesem wird Vorsatz im Hinblick auf die terroristische Betätigung der unterstützten Vereinigung nicht verlangt. Es reicht somit auch für die Erfüllung des subjektiven Unterstützertatbestands weiterhin die Erkennbarkeit einer terroristischen Betätigung der Vereinigung aus. Vorsatz bleibt hingegen weiter erforderlich für das eigene Handeln des Ausländers, das von dem Ziel geleitet sein muss, die Vereinigung zu unterstützen. Für diese Auslegung spricht auch, dass der Gesetzgeber der Vorfeldunterstützung des Terrorismus durch die Gesetzesänderung erhöhte Bedeutung beimessen wollte, indem er den bisher als Tatbestand für eine Regelausweisung normierten Ausweisungsgrund zu einem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 AufenthG heraufstufte, was im bisherigen Recht dem Tatbestand einer zwingenden Ausweisung entsprochen hätte. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass das stärkere Gewicht, das der Gesetzgeber diesem Ausweisungsinteresse beimessen wollte (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 23), mit einer engeren Interpretation seiner Tatbestandsmerkmale einhergehen sollte.

34

Eine vom früheren Begriffsverständnis abweichende Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass dieser bisher eigenständige Tatbestand nunmehr in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG funktional mit einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verknüpft wird ("hiervon ist auszugehen, wenn"). Vielmehr ergibt eine systematische Auslegung der Vorschrift, dass der Inhalt des Ausweisungstatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung unverändert geblieben ist, während der Begriff der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland eine Erweiterung erfahren hat. Denn der Gesetzgeber hat mit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr kraft Gesetzes definiert, wann von einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen ist, nämlich (jedenfalls) dann, wenn eine der dort genannten Tatbestandsalternativen erfüllt ist. Die Auslegung des Begriffs der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland richtet sich daher (auch) nach diesen Tatbestandsalternativen, nicht umgekehrt. Anderes lässt sich hinsichtlich des Gefahrenmaßstabs auch nicht der Regelung des § 53 Abs. 1 AufenthG entnehmen. Denn anders als bei den übrigen Ausweisungsinteressen hat der Gesetzgeber in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG das Erfordernis einer Gefahr (nochmals) ausdrücklich aufgeführt, was unter systematischen Gesichtspunkten für eine gewisse Eigenständigkeit des Gefahrentatbestandes gegenüber § 53 Abs. 1 AufenthG fruchtbar gemacht werden kann. Es gilt damit nunmehr, dass das Gesetz bereits die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Bundesgebiet als eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ansieht, unabhängig davon ob die terroristische Vereinigung Gewaltakte auch auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland oder gegen deutsche Einrichtungen im Ausland begeht. Weiterhin gilt jedenfalls für die Fälle des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ein abgesenkter Gefahrenmaßstab, der auch Vorfeldmaßnahmen erfasst und keine von der Person des Unterstützers ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefahr erfordert. Die Rechtsprechung des Senats zur Unterstützung des Terrorismus durch Handlungen in dessen Vorfeld hat dem Rechnung zu tragen und dabei auch die Bedeutung zu berücksichtigen, die der Unionsgesetzgeber dieser Vorfeldunterstützung durch den Erwägungsgrund 37 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 S. 9) - EU-Anerkennungsrichtlinie - beimisst.

35

Ein Anlass für eine verfassungsrechtliche Neubewertung des Gefahrenmaßstabs besteht entgegen dem umfangreichen Revisionsvorbringen nicht. In der Rechtsprechung des Senats ist seit dem Urteil zum Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus - Terrorismusbekämpfungsgesetz - vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361, 3142) anerkannt, dass der Unterstützungsbegriff weit auszulegen und anzuwenden ist, um damit der auch völkerrechtlich begründeten Zielsetzung des Gesetzes gerecht zu werden, dem Terrorismus schon im Vorfeld die logistische Basis zu entziehen (BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <127 ff.>). Maßgeblich ist, inwieweit das festgestellte Verhalten des Einzelnen zu den latenten Gefahren der Vorfeldunterstützung des Terrorismus nicht nur ganz unwesentlich oder geringfügig beiträgt und deshalb selbst potenziell gefährlich erscheint. Wegen der tatbestandlichen Weite des Unterstützungsbegriffs ist allerdings bei der Anwendung der Vorschrift darauf zu achten, dass nicht unverhältnismäßig namentlich in das auch Ausländern zustehende Recht auf freie Meinungsäußerung jenseits der zumindest mittelbaren Billigung terroristischer Bestrebungen eingegriffen wird. Einen bislang nicht berücksichtigten verfassungsrechtlichen Rechtssatz, der den so umschriebenen Ausgleich zwischen dem legitimen und schon wegen seiner völkerrechtlichen Vorgaben besonders gewichtigen gesetzgeberischen Ziel der Terrorismusbekämpfung und den geschützten Grundrechtspositionen eines Ausländers infrage stellen würde, zeigt die Revision nicht auf. Insbesondere sprechen der Charakter der Ausweisung als Maßnahme der Gefahrenabwehr sowie die spezifische Zielsetzung der Terrorismusbekämpfung gegen eine Übertragung strafrechtlicher Rechtsprechungsgrundsätze, wie sie etwa für die Abgrenzung strafbarer und straffreier Meinungsäußerungen gelten. Der Senat hält auch unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an seiner bisherigen Rechtsprechung fest.

36

b) Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG angenommen. Dies gilt sowohl für die Qualifizierung der PKK als terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung (aa) als auch - jedenfalls im Ergebnis - für die Qualifizierung der Handlungen des Klägers als relevante Unterstützungshandlungen (bb). Ebenso wenig zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen hat (cc).

37

(aa) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Qualifizierung der PKK als eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Das Gericht legt seiner Entscheidung die in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze für die Definition einer terroristischen Vereinigung zugrunde (UA Bl. 27 f.) und geht damit von einem zutreffenden Maßstab aus. Für die Bewertung der PKK als eine solche Vereinigung hat das Gericht zunächst darauf abgestellt, dass sie auch noch aktuell auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist, ohne diesem Umstand eine über einen deutlichen Anhaltspunkt hinausgehende Bedeutung beizumessen (UA Bl. 31). Hieran anknüpfend hat das Berufungsgericht sodann auf der Grundlage der ihm vorliegenden Erkenntnismittel festgestellt, dass die PKK zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele in der Türkei weiterhin Gewalttaten gegen staatliche Einrichtungen und Amtsträger sowie die Zivilbevölkerung verübt und im Übrigen etwa zur Finanzierung ihrer Aktivitäten oder zur Bekämpfung von Kritikern auch nicht vor Verbrechen gegenüber ihren eigenen Anhängern und auch darüber hinaus gegenüber der kurdischstämmigen Bevölkerung insgesamt zurückschreckt. Insbesondere sei die zwischen dem türkischen Staat und der PKK ausgehandelte (relative) Waffenruhe seitens der PKK zuletzt Ende Juli 2015 ausdrücklich aufgekündigt worden (UA Bl. 32 f.). Diese tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts sind von der Revision nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen worden und daher für den Senat bindend. Sie erlauben dem Senat zudem eine eigene rechtliche Bewertung des Inhalts, dass die PKK eine terroristische Vereinigung darstellt und nicht lediglich eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung.

38

(bb) Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist auch die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, dass der Kläger die PKK in rechtserheblicher Weise individuell unterstützt hat. Allerdings ist das Gericht unter Verstoß gegen Bundesrecht davon ausgegangen, dass zu Lasten des Klägers nur solche Unterstützungshandlungen berücksichtigt werden dürfen, die in zeitlicher Hinsicht nach der Mitteilung des Regierungspräsidiums vom Juli 2010 lagen, wonach eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft würden.

39

Das Berufungsgericht ist insoweit rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass ein Ausweisungsinteresse bereits dann aus Gründen des Vertrauensschutzes verbraucht ist und nicht mehr zur Begründung einer Ausweisung herangezogen werden kann, wenn ein Aufenthaltstitel in Kenntnis oder dem Staat zuzurechnender Unkenntnis erteilt oder verlängert wurde (UA S. 34 f.). Zwar ist in der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich anerkannt ist, dass Ausweisungsgründe in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und so lange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind und die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <313> und vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <121 f.>). Aus der Ableitung dieser Kriterien aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt jedoch, dass die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Aus der Rechtsprechung des Senats ergibt sich zudem, dass ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers schützenswert sein muss. Hieran fehlt es, wenn die Ausländerbehörde - wie vorliegend - dem Kläger auf dessen Anfrage zum Stand des Verfahrens auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis lediglich mitteilt, dass gegenwärtig noch eine Sicherheitsüberprüfung stattfinde, und dann zu einem späteren Zeitpunkt ohne jegliche Erläuterung zum Ausgang der Sicherheitsüberprüfung die begehrte Niederlassungserlaubnis erteilt. Auf dieser Grundlage kann der Betroffene nämlich weder wissen, welchen konkreten Umständen die Ausländerbehörde im Rahmen ihrer Sicherheitsüberprüfung nachgegangen ist, noch zu welchen konkreten Erkenntnissen sie hierbei nach Abschluss der Überprüfung gelangt ist. Daher kann der Betroffene aus der Erteilung der Niederlassungserlaubnis billigerweise auch nicht schließen, dass die Ausländerbehörde bei ihrer Sicherheitsüberprüfung alle als potentielle Versagungsgründe in Betracht kommenden Umstände tatsächlich ermittelt und sodann als für die Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis unbeachtlich eingestuft hat.

40

Das angefochtene Urteil beruht jedoch nicht auf diesem Rechtsverstoß, weil das Berufungsgericht auch ohne Berücksichtigung der vor dem für maßgeblich erachteten Zeitpunkt liegenden Umstände von rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen des Klägers ausgegangen ist und die diesbezüglichen Feststellungen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sind. Im Übrigen wäre der Kläger durch die Nichtberücksichtigung weiterer, ihn belastender Umstände auch nicht beschwert. Im Einzelnen hat das Berufungsgericht für die Bestimmung der rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen zutreffend auf die in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäbe zu § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung abgestellt (UA Bl. 35 ff.). Keine abweichende Beurteilung ergibt sich aus dem Einwand des Klägers, die PKK nicht unmittelbar unterstützt zu haben, sondern sich in legalen Vereinigungen betätigt zu haben, die ihrerseits die PKK im Wissen um deren Charakter gewollt und gezielt unterstützen. Denn es stellt keine verminderte Gefahr der Vorfeldunterstützung des Terrorismus dar, wenn die Unterstützung terroristischer Vereinigungen nicht durch isolierte Einzelhandlungen, sondern in Vereinigung mit anderen erfolgt. Hierin liegt auch kein Fehlen der Unmittelbarkeit der Unterstützungshandlungen.

41

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht sodann nach Auswertung der ihm vorliegenden umfangreichen Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden festgestellt, dass der Kläger über mehrere Jahre in teils hervorgehobener Funktion als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter oder Redner regelmäßig an Veranstaltungen teilgenommen und mitgewirkt hat, bei denen offene Propaganda für die PKK betrieben worden ist (UA Bl. 39 - 42). Unter Einbeziehung der Aktivitäten des Klägers in der Zeit seit 2001, wie sie in der Ausweisungsverfügung (S. 3 - 9, 16 - 23) aufgelistet, vom Kläger nicht in Abrede gestellt und vom Berufungsgericht in Bezug genommen worden sind (UA S. 39 f.), stellt sich das Unterstützungshandeln des Klägers wie folgt dar: Der Kläger war von 2001 bis 2003/2004 Vorsitzender des "Kurdischen Kulturverein e.V." in L., der der KONGRA-GEL nahestand. Im Oktober 2004 wurde er in das 15-köpfige Führungskomitee der "Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland" (YEK-KOM) gewählt und gehörte diesem bis zur Auflösung der YEK-KOM im Jahr 2014 an, zeitweilig (bis 2011) war er der 2. Vorsitzende der Vereinigung. Er hat sich im Juni 2014 in den fünfköpfigen Vorstand der die PKK unterstützenden NAV-DEM wählen lassen und diese Vorstandstätigkeit bis zum Tage der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausgeübt (UA Bl. 43 - 45).

42

Der Kläger beteiligte sich seit Mitte 2003 regelmäßig an Kundgebungen und Demonstrationen in unterschiedlichen deutschen Städten (u.a. Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg, Frankfurt, Gelsenkirchen, Düsseldorf, Stuttgart) und in Straßburg/Frankreich, die sich unter anderem für eine Freilassung des inhaftierten PKK-Führers Öcalan aussprachen, des Gründungsjahrestags der PKK und/oder der "Märtyrer des kurdischen Freiheitskampfes" gedachten und Parolen auf die PKK ausriefen. Der Kläger hielt auf einigen dieser Veranstaltungen eine Rede, im Februar 2007 hob er dabei die Bedeutung der Gefallenen für die kurdische Sache hervor, im Januar 2009 sprach er zur aktuellen Lage der Kurden in ihrer Heimat, im März 2010 kritisierte er die Exekutivmaßnahmen der belgischen Polizei gegenüber dem kurdischen TV-Sender ROJ-TV, im November 2011 sprach er auf einer Kundgebung, die zum Thema u.a. die Verwendung von Napalmgas und chemischer Waffen gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei hatte, im Januar 2013 verurteilte er auf einer Kundgebung die Ermordung von drei PKK-Aktivisten in Paris, im Oktober 2015 hielt er anlässlich einer Protestaktion der NAV-DEM in Frankfurt eine Rede.

43

Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger nicht nur seine individuellen Unterstützungshandlungen, sondern sämtliche Aktionen der YEK-KOM und der NAV-DEM aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied persönlich zuzurechnen sind. Die YEK-KOM, der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK nach den gerichtlichen Feststellungen durch eine Vielzahl von Aktionen. Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen oder ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie "Freiheit für Öcalan" und "Frieden für Kurdistan". Im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die "logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans" verankert. Der Verein biete der PKK oder ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Für die NAV-DEM gilt nach den getroffenen Feststellungen nichts anderes. Der Verein sei keine Neugründung, sondern eine Umbenennung des Vereins YEK-KOM. Im Übrigen werde deutlich, dass die NAV-DEM ihre Veranstaltungen und Kundgebungen mit gleichem Ablauf und gleichen Themen durchführe wie zuvor schon unter dem Namen YEK-KOM. Diese zutreffende Würdigung bedeutet auch nicht, dass jeder Einsatz für die Interessen und Belange kurdischer Volkszugehöriger (oder eine Kritik an der Kurdenpolitik der Türkischen Republik) als eine Unterstützung der PKK und damit des Terrorismus einzuordnen wäre.

44

(cc) Soweit schließlich nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausscheidet, wenn der Ausländer ernsthaft und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt, hat das Berufungsgericht ebenfalls in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der Kläger ausweislich seines auch während des Ausweisungsverfahrens fortgesetzten Engagements als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter und Redner auch künftig an seiner Unterstützung der PKK festhalten wird. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Unterstützerverhalten des Klägers sind detailreich und stellen - entgegen der Auffassung der Revision - keine zu schmale Tatsachengrundlage für die getroffenen Feststellungen dar. Damit erfüllt der Kläger die gesetzlichen Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, und es liegt ein Ausweisungsinteresse vor, das besonders schwer wiegt.

45

3. Die angefochtene Verfügung des Beklagten erfüllt auch die besonderen Voraussetzungen, die nach § 53 Abs. 3 AufenthG an die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings zu stellen sind. Ein solcher darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

46

a) Diese den Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG ergänzende Vorschrift legt erhöhte Ausweisungsvoraussetzungen für mehrere rechtlich privilegierte Personengruppen fest, nämlich für Ausländer, die als Asylberechtigte anerkannt sind, die im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießen, die einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention besitzen, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder die eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU besitzen. Für all diese Personengruppen gilt der besondere aus Art. 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG abgeleitete Maßstab, den der Gerichtshof der Europäischen Union auch auf Ausländer erstreckt hat, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - C-371/08 [ECLI:EU:C:2011:809], Ziebell - Slg. 2011, I-12735 Rn. 79, 86). Der Senat folgt nicht der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, wonach die Voraussetzungen des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 53 Abs. 3 AufenthG von vornherein "bereichsspezifisch" gemäß dem durch das Unionsrecht für den jeweiligen Personenkreis bestimmten Ausweisungsschutz auszulegen sind. Vielmehr hat der Gesetzgeber den unionsrechtlichen Schutzstandard für daueraufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige für ausreichend befunden und dessen Geltung für alle genannten Personengruppen angeordnet. Dies entbindet freilich nicht davon, in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob für die jeweils betrachtete Personengruppe der so durch den nationalen Gesetzgeber definierte Ausweisungsschutz dem unionsrechtlichen Maßstab tatsächlich genügt. Nur wenn der unionsrechtliche Maßstab strenger ist als derjenige, der durch den Gesetzgeber in § 53 Abs. 3 AufenthG festgelegt worden ist, bedarf § 53 Abs. 3 AufenthG nach allgemeinen Grundsätzen einer unionsrechtskonformen Auslegung, die angesichts der Weite der Tatbestandsmerkmale und des erkennbaren gesetzgeberischen Willens, europarechtlichen Maßstäben zu genügen, auch möglich ist (so auch Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 54).

47

Im vorliegenden Fall ist § 53 Abs. 3 AufenthG unionsrechtskonform nach den Vorgaben der EU-Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU auszulegen. Die Richtlinie formuliert keine Vorgaben für eine Ausweisung im Sinne des deutschen Rechts, wohl aber für eine Zurückweisung in den Herkunftsstaat (Art. 21 Abs. 2 und 3) und für den Entzug des Aufenthaltstitels (Art. 24 Abs. 1).

48

b) Nach Art. 21 Abs. 3 der EU-Anerkennungsrichtlinie darf ein Mitgliedstaat den einem Flüchtling erteilten Aufenthaltstitel widerrufen, wenn die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 2 vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 2012 - 1 C 8.11 - BVerwGE 143, 138 Rn. 21). Fällt ein Flüchtling nicht in den Anwendungsbereich von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie, kann auch Abs. 3 dieser Vorschrift nicht zu Anwendung kommen (EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 - Rn. 44). Eine Zurückweisung ist nach Art. 21 Abs. 2 Buchst. a zulässig, wenn es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass der Flüchtling eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält. Es kann offenbleiben, ob vom Kläger eine Gefahr im Sinne dieser Vorschrift ausgeht, denn die Zurückweisung ist nur unter der weiteren Voraussetzung rechtmäßig, dass sie dem Mitgliedstaat nicht aufgrund seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen untersagt ist (Art. 21 Abs. 2). Dazu zählen die Verpflichtungen aus Art. 3 EMRK (vgl. Begründung der Kommission im Richtlinienvorschlag vom 12. September 2001 KOM (2001) 510 endg. S. 33 zu Art. 19). Dem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK kommt absoluter Charakter zu; es kann mithin - anders als das Refoulement-Verbot nach Art. 33 Abs. 1 GFK - nicht unter den Voraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 Richtlinie 2011/95/EU i.V.m. Art. 35 Abs. 2 GFK durchbrochen werden (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 5. April 2016 - C-404/15 und C-659/15 PPU [ECLI:EU:C:2016:198], Aranyosi und Căldăraru - Rn. 85 - 87; EGMR, Urteil vom 17. Dezember 1996 - Nr. 71/1995/577/663, Ahmed/Österreich - NVwZ 1997, 1100 Rn. 39 - 41). Für den Kläger besteht ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK. Denn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat im Anerkennungsbescheid vom 9. Oktober 1997 nicht nur die Flüchtlingseigenschaft des Klägers nach dem seinerzeit maßgeblichen § 51 Abs. 1 AuslG 1990, sondern auch ein Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990 hinsichtlich der Türkei festgestellt und dieses damit begründet, dass dem Kläger in der Türkei unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Diese Feststellung des Bundesamts begründet hier ein - absolutes - nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Insoweit kommt der Feststellung des Bundesamts im vorliegenden Verfahren über § 42 AsylG auch Bindungswirkung zu. Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU begrenzt damit den behördlichen Handlungsspielraum für eine Abschiebung in einen Verfolgerstaat oder einen Staat, in dem Gefahren nach Art. 3 EMRK drohen. Die Vorschrift setzt jedoch keine Maßstäbe für eine lediglich "inlandsbezogene" Ausweisung, die - wie hier - insbesondere den Verlust des Aufenthaltstitels zur Folge hat.

49

c) Unionsrechtliche Maßstäbe für eine zum Verlust des Aufenthaltstitels eines Flüchtlings führende inlandsbezogene Ausweisung lassen sich aus Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie gewinnen. Die Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten, einem Flüchtling so bald wie möglich nach der Anerkennung einen Aufenthaltstitel auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.

50

(aa) Der Inhalt dieser Norm wurde vom Gerichtshof der Europäischen Union in einem auf ein Vorlageersuchen des Berufungsgerichts ergangenen Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) näher bestimmt. Die Entscheidung bezieht sich zwar auf Art. 24 Abs. 1 der EG-Anerkennungsrichtlinie 2004/83/EG, ihre Aussagen sind aber uneingeschränkt auf die in der Sache unveränderte Vorschrift des Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU übertragbar. Danach kann einem Flüchtling nach Art. 24 Abs. 1 nicht nur die Erteilung eines Aufenthaltstitels versagt werden, sondern der erteilte Aufenthaltstitel auch nachträglich widerrufen werden, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen (a.a.O. Rn. 55). Soweit in der Neufassung der Vorschrift nunmehr von zwingenden Gründen der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung die Rede ist, ist damit keine inhaltliche Änderung verbunden. Diese Wirkung einer Entziehung des Aufenthaltstitels kommt der hier verfügten Ausweisung zu, die wegen des entgegenstehenden Abschiebungsverbots nach Art. 3 EMRK nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung führt. Entgegen einer am Wortlaut orientierten Auslegung von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie hat der darin verwendete Begriff der "zwingenden Gründe" nach dem EuGH-Urteil eine weitere Bedeutung als der Begriff der "stichhaltigen Gründe" in Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie. Das bedeutet, dass bestimmte Umstände, die nicht den Schweregrad aufweisen, um eine Zurückweisung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie verfügen zu können, den Mitgliedstaat gleichwohl dazu berechtigen können, auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie dem betroffenen Flüchtling seinen Aufenthaltstitel zu entziehen (a.a.O. Rn. 75).

51

Bei der Bestimmung des Bedeutungsgehalts der "zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" hat der EuGH zunächst Bezug auf seine Rechtsprechung zu den Begriffen der "öffentlichen Sicherheit" und der "öffentlichen Ordnung" in Art. 27 und 28 der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG genommen (a.a.O. Rn. 77 ff.). Danach umfasst der Begriff "öffentliche Sicherheit" im Sinne von Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats. Die öffentliche Sicherheit kann danach berührt sein, wenn das Funktionieren staatlicher Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste beeinträchtigt wird oder eine Gefahr für das Überleben der Bevölkerung oder einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker besteht oder militärische Interessen beeinträchtigt werden. Dabei deutet der Begriff der "zwingenden Gründe" auf einen besonders hohen Schweregrad der Beeinträchtigung hin (a.a.O. Rn. 78). Den Begriff der "öffentlichen Ordnung" hat der EuGH für die Unionsbürgerrichtlinie dahin ausgelegt, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliegen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (a.a.O. Rn. 79). Zugleich betont er, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, nach ihren nationalen Bedürfnissen, die je nach Mitgliedstaat und Zeitpunkt unterschiedlich sein können, zu bestimmen, was die öffentliche Ordnung und Sicherheit erfordern (a.a.O. Rn. 77).

52

Für den Fall der Unterstützung des Terrorismus hat der EuGH zudem auf den 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83/EG, heute 37. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95/EU hingewiesen, wonach der Begriff der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" auch für die Fälle gilt, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt. Dabei muss das nationale Gericht in einem ersten Schritt prüfen, ob die Handlungen der fraglichen Organisation die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedrohen. Wird eine vom Flüchtling unterstützte Vereinigung in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93) geführt, ist dies ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie entweder eine terroristische Organisation ist oder im Verdacht steht, eine solche Organisation zu sein (a.a.O. Rn. 83). Allein der Umstand, dass ein Flüchtling eine solche Organisation unterstützt hat, darf jedoch nicht automatisch zur Aufhebung seines Aufenthaltstitels führen. Vielmehr ist in einem zweiten Schritt einzelfallbezogen die Rolle zu prüfen, die der Betreffende im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt hat (a.a.O. Rn. 90), und auch der Schweregrad der Gefahr zu beurteilen, die von seinen Handlungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (a.a.O. Rn. 92).

53

(bb) Das Berufungsgericht hat die vom Kläger geleisteten und ihm zuzurechnenden Unterstützungshandlungen an dem vom EuGH präzisierten Maßstab für die Auslegung des Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie gemessen und ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass sich hieraus zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ergeben, die einen Entzug des Aufenthaltstitels gegenüber dem Kläger rechtfertigen. Das Gericht hat bereits im Rahmen seiner Prüfung des besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausführlich begründet, warum die PKK eine terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung darstellt (UA S. 27 - 34). Dabei hat es gewürdigt, dass die PKK auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist und auch weiterhin terroristische Aktivitäten entfaltet. In einem zweiten Schritt hat es näher dargelegt, warum die in Deutschland agierenden Vereinigungen YEK-KOM und NAV-DEM, für die der Kläger seit mehr als zwölf Jahren in hervorgehobenen Funktionen wirkte, und der Kläger auch individuell durch Anmeldung und Leitung von Versammlungen sowie Redebeiträge und weitere Aktivitäten die PKK unterstützt haben und weiter unterstützen (UA S. 55, 34 - 48). Die Bewertung des Berufungsgerichts, dass der Kläger damit die Voraussetzungen für den Entzug seines Aufenthaltstitels nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie erfüllt, steht mit der Rechtsprechung des EuGH in Einklang. Zwar hat er selbst keine terroristischen Handlungen begangen, auch nicht andere Personen hierzu angeleitet oder sich an der Planung oder Finanzierung terroristischer Aktionen beteiligt, wie das der EuGH als mögliches Unterstützerhandeln erwähnt (a.a.O. Rn. 90). Diese Aufzählung des Gerichtshofs ist jedoch nur beispielhaft, macht zugleich aber deutlich, dass der Betreffende eine gewichtige Rolle im Rahmen seiner Unterstützung der terroristischen Organisation gespielt haben muss.

54

Bei der Frage, was als gewichtig anzusehen ist, ist der 37. Erwägungsgrund der Richtlinie zu berücksichtigen, wonach auch die Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, und die Unterstützung einer derartigen Vereinigung als Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung anzusehen sind. Die abschließende Bewertung, ob die Unterstützungshandlung hinreichend gewichtig ist, um "zwingende Gründe" darzustellen, überlässt der Gerichtshof dem verantwortlichen nationalen Gericht und erkennt auch einen Einschätzungsspielraum der Mitgliedstaaten an, nach ihren nationalen Bedürfnissen zu bestimmen, was die nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung erfordern. Diese abschließende Bewertung hat das Berufungsgericht dahin getroffen, dass die Unterstützungshandlungen des Klägers dem von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie geforderten Gewicht entsprechen. Es hat dies auf der Grundlage der Gewichtungsvorgabe des nationalen Gesetzgebers in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nachvollziehbar mit dem mehr als zwölfjährigem Unterstützerhandeln des Klägers in hervorgehobener Position innerhalb zweier Vereinigungen begründet, in dessen Rahmen er an zahlreichen Veranstaltungen mitwirkte, an denen sich Akteure beteiligten, die offen für die PKK warben und deren Kurs vorbehaltlos befürworteten (Auftreten in Guerillauniform, Märtyrergedenken, Grußbotschaften an die Kämpfer an der Front usw.). Für das Gewicht seines Unterstützerhandelns durfte das Gericht auch berücksichtigen, dass der Kläger nach den tatrichterlichen Feststellungen in vollem Bewusstsein um dessen Bedeutung für den ideologischen Zusammenhalt der PKK und in dem Willen gehandelt hat, diese vorbehaltlos auch in Bezug auf deren terroristische Aktivitäten zu unterstützen (UA S. 55).

55

(cc) Der EuGH hat in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13 Rn. 95 ff.) aber hervorgehoben, dass ein Flüchtling, dessen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie aufgehoben wird, seinen Flüchtlingsstatus behält, sofern und solange ihm nicht dieser Status entzogen worden ist. Daher ist er auch nach dem Verlust seines Aufenthaltstitels weiterhin Flüchtling und hat in dieser Eigenschaft weiterhin Anspruch auf die Vergünstigungen, die das Kapitel VII der Richtlinie jedem Flüchtling gewährleistet, so insbesondere auf Schutz vor Zurückweisung, auf Wahrung des Familienverbands, auf Ausstellung von Reisedokumenten, auf Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung, zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie auf Zugang zu Integrationsmaßnahmen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift. Diese Rechte dürfen, auch soweit sie nach nationalem Recht an den Besitz eines Aufenthaltstitels anknüpfen, von den zuständigen Behörden daher nicht mit der Begründung versagt werden, dass der Aufenthalt des Flüchtlings infolge der Ausweisung rechtswidrig geworden ist. Allerdings darf die Ausstellung eines Reiseausweises nach Art. 25 EU-Anerkennungsrichtlinie versagt werden, wenn - etwa zur Begegnung der Gefahr terroristischen Unterstützungshandelns - zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung entgegenstehen. Ebenso dürfen nach Art. 33 der Richtlinie aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen verfügt werden, wenn diese aus Gründen der öffentlichen Sicherheit auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern zulässig sind.

56

Eventuelle Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der dem Flüchtling auch nach Entzug des Aufenthaltstitels weiter zustehenden Rechte nach Kapitel VII der EU-Anerkennungsrichtlinie infolge unzureichender Umsetzung der Richtlinie in den einschlägigen nationalen Fachgesetzen berühren nicht die Rechtmäßigkeit der verfügten Ausweisung. An die Beachtung der einen Flüchtling unmittelbar begünstigenden Vorschriften in Kapitel VII der Richtlinie und die hierzu ergangene Rechtsprechung des EuGH sind seit Ablauf der Umsetzungsfrist alle nationalen Behörden gebunden. Der Flüchtling hat seine Rechte gegenüber den jeweils zuständigen Behörden und erforderlichenfalls Gerichten geltend zu machen. Auch die Generalanwältin hat es insoweit als die Pflicht der nationalen Gerichte angesehen, für die volle Wirksamkeit der Bestimmungen der Richtlinie Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede entgegenstehende Vorschrift des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 11. September 2014 - C-373/13 - Rn. 114 letzter Absatz).

57

4. Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen gewichtige Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1, § 55 AufenthG gegenüber. Diese hat das Berufungsgericht zutreffend bestimmt (UA S. 59 f.). Es hat berücksichtigt, dass der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besessen hat, die durch die Ausweisungsverfügung betroffen ist, er mit deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und er sein Personensorgerecht für minderjährige ledige Deutsche ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG).

58

5. Das Berufungsgericht hat das öffentliche Ausweisungsinteresse gegen die Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG unter Berücksichtigung der den Einzelfall prägenden Umstände abgewogen und ist unter Beachtung des hierfür zentralen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass das Ausweisungsinteresse überwiegt (UA S. 60 - 64). Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Gericht hat berücksichtigt, dass der Kläger besonderen Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie genießt, hier allerdings auf absehbare Zeit keine Aufenthaltsbeendigung beabsichtigt ist, da ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht. Es hat seinen langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und seine familiären Bindungen im Sinne von Art. 6 GG, Art. 8 EMRK gewürdigt, diesen durch die Verfügung allerdings insoweit nicht als beeinträchtigt angesehen, als keine Aufenthaltsbeendigung erfolgt. Es hat bei seiner Abwägung berücksichtigt, dass der Kläger in seinen geschützten Bindungen dadurch betroffen ist, dass sein Aufenthalt auf das Gebiet der Stadt M. beschränkt und er Meldeauflagen unterworfen ist. Weitere schützenswerte Bindungen hat das Gericht nicht anerkannt und dies nachvollziehbar damit begründet, dass der Kläger ungeachtet seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland kaum deutsch spricht, nur sporadisch und für kürzere Zeiträume erwerbstätig war und seit längerem von Sozialleistungen abhängig ist. Schließlich hat das Berufungsgericht in die Abwägung eingestellt, dass es der Kläger in der Hand hat, durch eine glaubhafte Abkehr von seinem bisherigen Verhalten eine Aufhebung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu erreichen.

59

6. Ohne Rechtsverstoß wertet das Berufungsurteil die in Ziffer 2 der angefochtenen Verfügung angeordnete Aufenthaltsbeschränkung und die verfügten Meldeauflagen als rechtmäßig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliegt ein Ausländer, gegen den - wie hier - eine Ausweisungsverfügung aufgrund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG besteht, der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Gestützt auf diese Ermächtigung hat der Beklagte bestimmt, dass sich der Kläger zweimal wöchentlich zu melden hat. Ferner hat er den Aufenthalt des Klägers auf den Bereich der Stadt M. beschränkt, wie das § 56 Abs. 2 AufenthG vorsieht, wenn die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft. Diese aufenthaltsbeschränkenden Maßnahmen durften gegenüber dem Kläger trotz dessen Rechtsstellung als Flüchtling ergehen. Dadurch wird sein Recht auf Freizügigkeit gemäß Art. 33 EU-Anerkennungsrichtlinie nicht verletzt. Denn derartige Maßnahmen dürfen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, wie sie hier wegen des Erfordernisses der Abwehr von terrorismusfördernden Aktivitäten vorliegen, auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern verfügt werden (§ 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG).

60

7. Zutreffend ist das Berufungsgericht auch zu dem Ergebnis gekommen, dass die für die Ausweisung des Klägers anwendbaren Regelungen des Ausweisungsrechts nicht gegen assoziationsrechtliche Verschlechterungsverbote aus Art. 13 ARB 1/80, Art. 7 ARB 2/76 und Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen (BGBl. 1972 II S. 385) verstoßen. Dabei kann offenbleiben, ob hier überhaupt eines der Verschlechterungsverbote Anwendung findet. Denn der zum 1. Januar 2016 eingeführte Übergang von einer Ermessensentscheidung zu einer gebundenen Entscheidung stellt keine Verschlechterung der Rechtsstellung des betroffenen Ausländers dar (a). Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung bewirkte zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für betroffene Ausländer, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt (b).

61

a) Die zum 1. Januar 2016 eingeführte Neuregelung des Ausweisungsrechts, die die bisherige Ermessensausweisung durch eine am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte gebundene Ausweisung abgelöst hat, hat die Rechtsstellung der Ausländer in der hier gebotenen und auch unionsrechtlich statthaften Gesamtschau nicht verschlechtert, sondern jedenfalls teilweise verbessert. Denn bisher sah das Gesetz Tatbestände einer zwingenden Ausweisung (Ist-Ausweisung), regelmäßig erfolgenden Ausweisung (Soll-Ausweisung) und Ausweisung nach Ermessen (Kann-Ausweisung) vor. Die zwingende Ausweisung und die regelmäßig erfolgende Ausweisung widersprachen für den Personenkreis der unionsrechtlich privilegierten Ausländer der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach eine Ausweisung ausschließlich auf ein persönliches Verhalten des Ausländers gestützt werden darf, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 [ECLI:EU:C:2004:262], Orfanopoulos und Oliveri - Slg. 2004, I-5257 Rn. 66 f.). Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass eine Regelung gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, wonach eine Ausweisung automatisch aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung verfügt wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird (a.a.O. Rn. 70). Aber auch die nationale Bestimmung über die Regelausweisung hat für den Gerichtshof den Anschein erweckt, dass trotz der Berücksichtigung individueller Umstände ein gewisser Automatismus oder jedenfalls eine Vermutung besteht, dass der betreffende Staatsangehörige auszuweisen ist (a.a.O. Rn. 92).

62

Daraus hat das Bundesverwaltungsgericht die Schlussfolgerung gezogen, dass die gesetzliche Regelung zur zwingenden Ausweisung und Regelausweisung auf unionsrechtlich privilegierte Ausländer nicht mehr angewendet werden darf (BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <302> betreffend Unionsbürger und - 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <321> betreffend Assoziationsberechtigte nach ARB 1/80). Der Gesetzgeber hat daraus durch das zum 1. Januar 2016 in Kraft getretene neue Ausweisungsrecht die Konsequenzen gezogen. Insofern stellt die neue Rechtslage eine Verbesserung gegenüber der bisherigen dar. Eine Ausweisung nach neuem Recht hat eine einzelfallbezogene umfassende Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen und orientiert sich dabei strikt am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 53 Abs. 1 und 2 AufenthG). Damit setzt der Gesetzgeber Vorgaben um, die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 - Rn. 99) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR , Urteil vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 57 - 60) ergeben.

63

Es stellt keine Verschlechterung der Rechtslage für unionsrechtlich privilegierte Ausländer dar, dass ihre Ausweisung nach früherer Rechtslage im Wege einer Ermessensentscheidung erfolgte, nach neuem Recht hingegen im Wege einer rechtlich gebundenen Ausweisung, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Damit entfällt zwar die Möglichkeit, aus Gründen der Zweckmäßigkeit von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen. Auf ein solches Absehen von einer rechts- und ermessensfehlerfrei möglichen Ausweisung hatte der Ausländer aber zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch, auch die gerichtliche Kontrolle war insoweit durch § 114 VwGO eingeschränkt; durch die gesetzliche Neuregelung wird also keine individuelle Rechtsposition beeinträchtigt. Im Übrigen ist für die Beachtung des Verschlechterungsverbots auf die tatsächliche Praxis und nicht allein auf die abstrakte Rechtslage abzustellen. Die Rechtspraxis wurde maßgeblich durch die Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz des Bundesministeriums des Innern vom 26. Oktober 2009 gesteuert. Danach lag die Ausweisungsentscheidung im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde, bei der Ermessensausübung waren das schutzwürdige Interesse des Ausländers am weiteren Verbleib in Deutschland und das öffentliche Interesse an der Ausweisung gegeneinander abzuwägen (Ziffer 55.1.3). Das weist auf eine Rechtspraxis hin, die der heute normierten gebundenen Ausweisung entspricht, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Insofern hat sich die Rechtsstellung des Ausländers nicht verschlechtert.

64

b) Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung hat zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für die betroffenen Ausländer bewirkt, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Die seinerzeitige Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung (§ 54 Nr. 5 AufenthG a.F.) führte zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gegenüber der früheren Rechtslage, die allein den Tatbestand der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland kannte. Durch die Rechtsänderung wurde nun auch die Vorfeldunterstützung des Terrorismus erfasst. Diese ist jedoch mit Blick auf das Verschlechterungsverbot aus Art. 13 ARB 1/80 aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 14 ARB 1/80, jedenfalls aber durch ein zwingendes Allgemeininteresse, namentlich die völkerrechtlich gebotene Terrorismusbekämpfung auch bereits im Vorfeld unmittelbarer terroristischer Handlungen, gerechtfertigt.

65

8. Nach der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG ist über die Länge der Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach Ermessen zu entscheiden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Diese gesetzgeberische Entscheidung ist mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom gleichen Tage - 1 C 27.16 - Rn. 20 ff.). Das Urteil des Senats zur Vorläuferfassung des § 11 AufenthG a.F., wonach eine gebundene Entscheidung zu treffen war (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.), erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihm ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen. Eine solche Ermessensentscheidung hat der Beklagte hier noch nicht getroffen. Vielmehr hat bisher das Verwaltungsgericht das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach der seinerzeit geltenden Rechtslage im Wege einer gebundenen Entscheidung auf acht Jahre festgesetzt.

66

Der Beklagte hat die nach neuem Recht nunmehr gebotene Ermessensentscheidung nachzuholen. Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange.

67

B. Der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellte (weitere) Hilfsantrag, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass dem Kläger auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie, ist unzulässig. Er stellt eine unzulässige Klageerweiterung im Revisionsverfahren dar (§ 142 Abs. 1 VwGO). Im Übrigen bedarf es einer solchen behördlichen Feststellung auch nicht. Aus dem für alle nationalen Behörden verbindlichen EuGH-Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) ergibt sich bis zu einer dem Gesetzgeber vorbehaltenen Anpassung der einschlägigen Fachgesetze hinreichend deutlich, dass dem Kläger - solange er die Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der EU-Anerkennungsrichtlinie genießt - auch die mit dieser Rechtsstellung einhergehenden Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie zustehen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift (vgl. dazu auch die vorstehenden Ausführungen in Rn. 55 f. dieses Urteils).

68

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat gewichtet den gegen die Ausweisung, die Meldeauflage, die Aufenthaltsbeschränkung und die Abschiebungsandrohung gerichteten Anfechtungsantrag mit 4/5 und den auf Befristung zielenden Verpflichtungsantrag mit 1/5 (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 46).

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Aufhebung, hilfsweise die Befristung des mit seiner Ausweisung eingetretenen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf unter vier Jahre.

2

Der Kläger, ein 1977 geborener marokkanischer Staatsangehöriger, reiste 1997 zu Studienzwecken nach Deutschland ein. Nach Heirat einer deutschen Staatsangehörigen erhielt er eine Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug, die nach Trennung von seiner Ehefrau als Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG verlängert worden ist.

3

Mit Verfügung vom 24. August 2012 wies der Beklagte den Kläger für die Dauer von sieben Jahren aus dem Bundesgebiet aus (Ziffer 1), drohte ihm die Abschiebung an (Ziffer 3 und 4), verpflichtete ihn, sich regelmäßig bei der örtlichen Polizeiinspektion zu melden (Ziffer 5), beschränkte seinen Aufenthalt auf das Gebiet des Landkreises (Ziffer 6), drohte ihm Zwangsmittel an, wenn er den Verpflichtungen aus Ziffer 5 und 6 nicht nachkommt (Ziffer 7), und lehnte einen Antrag des Klägers auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis ab (Ziffer 9). Die Ausweisung wurde damit begründet, dass der Kläger durch Bezahlung von Telefonrechnungen für einen Terrorverdächtigen die Terrororganisation Al-Qaida unterstützt und in Sicherheitsgesprächen falsche oder unrichtige Angaben über seine Kontakte zu terrorverdächtigen Personen und Organisationen gemacht habe.

4

Die gegen diese Verfügung erhobene Klage hatte beim Verwaltungsgericht keinen Erfolg. Im Berufungsverfahren wandte sich der Kläger nur noch gegen die Regelungen in Ziffer 1 (Ausweisung und Befristung), 5, 6 und 7. In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht stellte der Beklagte die Ausweisung wegen eines zwischenzeitlich vom Kläger gestellten Asylantrags unter die Bedingung, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes abgeschlossen wird oder dass eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist. Nach Aufhebung der Regelungen Ziffer 5, 6 und 7 haben die Beteiligten den Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt.

5

Mit Urteil vom 10. Mai 2016 hat das Oberverwaltungsgericht auf den Hilfsantrag des Klägers die Befristung aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, insoweit unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden; im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Die Rechtmäßigkeit der Ausweisung hat es damit begründet, dass der Kläger die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährde und an seiner Ausweisung nach § 54 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG ein schwerwiegendes Interesse bestehe, weil er den der Unterstützung des Terrorismus verdächtigen "Ali" mehr als nur flüchtig kenne und diesen Umstand im Sicherheitsgespräch vom 31. Oktober 2011 bewusst verschwiegen habe. Für die Annahme eines gegenwärtigen Sicherheitsrisikos spreche, dass er nach wie vor nicht bereit sei, dies einzuräumen und zu erklären. Das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers überwiege dessen Bleibeinteresse, auch wenn er sich seit über 18 Jahren überwiegend rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, die deutsche Sprache spreche, hier unterschiedliche Erwerbstätigkeiten ausgeübt habe, strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei und unterstellt werde, dass er über Kontakte zu in Deutschland lebenden Personen verfüge. Er habe aber auch noch erhebliche Bindungen an seinen Heimatstaat Marokko, in dem er den überwiegenden Teil seines Lebens verbracht habe, dessen Sprache er beherrsche, in dem seine Eltern, fünf Geschwister und sein 2013 geborenes Kind lebten und in dem er sich angesichts seines bisherigen Werdegangs eine Existenzgrundlage aufbauen könne. Auch dem Umstand, dass er eine deutsche Staatsangehörige heiraten wolle, komme angesichts des überwiegenden Ausweisungsinteresses keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Bezüglich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bestehe ein Anspruch auf Neubescheidung, da die festgesetzte Frist von sieben Jahren zu lang sei. Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Aufhebung des Verbots nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG lägen nicht vor. Über die Länge der Frist sei nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen zu entscheiden. Dies sei mit höherrangigem Recht vereinbar. Die bei der Fristbestimmung einzuhaltenden unions-, verfassungs- und menschenrechtlichen Vorgaben stellten ebenso wie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine gesetzliche Ermessensgrenze dar, deren Einhaltung nach § 114 VwGO gerichtlich überprüfbar sei. Unerheblich sei, dass der Behörde bei der Ausweisung kein Ermessen zustehe. Auch der Richtlinie 2008/115/EG sei nicht zu entnehmen, dass ein Ermessensspielraum bei der Fristbemessung unionsrechtswidrig wäre. Für eine über fünf Jahre andauernde Frist fehle es aber an einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Der Kläger sei strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten, ihm sei nur eine vereinzelte Falschangabe anzulasten, die mehrere Jahre zurückliege und der kein gesteigertes Gewicht zukomme. Bei der Neubestimmung habe sich der Beklagte deshalb im Fristrahmen von bis zu fünf Jahren zu bewegen, wobei eine Frist von mehr als vier Jahren nach den Umständen des Falles kaum vertretbar sein dürfte. Im Übrigen seien das Gewicht des Ausweisungsinteresses und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Bei einer spezialpräventiv motivierten Ausweisung bedürfe es der prognostischen Einschätzung, wie lange das der Ausweisung zugrunde liegende Verhalten das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermöge. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Frist müsse sich an höherrangigem Recht messen und ggf. relativieren lassen. Dabei seien insbesondere die in § 53 Abs. 2, § 55 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange in den Blick zu nehmen. Die Abwägung sei nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls im Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorzunehmen und in einem sich anschließenden gerichtlichen Verfahren unter Kontrolle zu halten.

6

Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, soweit sich die Klage auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bezieht. Eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hinsichtlich der Ausweisung hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 10. August 2016 - 1 B 92.16 - verworfen.

7

Der Kläger begehrt mit seiner Revision die Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, hilfsweise zur Befristung auf unter vier Jahre. Das Berufungsgericht hätte nicht zur Neubescheidung verpflichten dürfen, sondern selbst eine kürzere Frist bestimmen müssen. Soweit § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Behörde einen Entscheidungsspielraum einräume, sei dies mit höherrangigem Recht, insbesondere mit dem Unionsrecht, nicht zu vereinbaren.

8

Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.

9

Der Kläger ist im Juli 2016 nach Marokko zurückgekehrt. Mit Bescheid vom 24. November 2016 hat der Beklagte das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf den 25. Juli 2020 befristet.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur die Frage, ob der Kläger hinsichtlich des mit seiner Ausweisung kraft Gesetzes eingetretenen Einreise- und Aufenthaltsverbots - über den Bescheidungsausspruch des Berufungsgerichts hinaus - einen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung, hilfsweise zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren hat. Dieses Begehren hat sich nicht dadurch erledigt, dass der Beklagte - in Umsetzung der vom Berufungsgericht ausgesprochenen Verpflichtung zur Neubescheidung - das Einreise- und Aufenthaltsverbot inzwischen auf vier Jahre seit der Ausreise festgesetzt hat.

11

Soweit der Kläger primär die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots erstrebt, ist die Revision mangels Zulassung nicht statthaft (1.). Hinsichtlich des auf Befristung gerichteten Hilfsantrags ist sie zwar zulässig, aber unbegründet. Das Berufungsurteil verstößt insoweit nicht gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Festsetzung einer bestimmten Frist von weniger als vier Jahren, da die Befristung im Ermessen der Ausländerbehörde liegt und die Voraussetzungen für eine Ermessensverdichtung zu seinen Gunsten nicht vorliegen (2.).

12

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der klägerischen Begehren ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. Urteil vom 6. März 2014 - 1 C 2.13 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 20 Rn. 6). Maßgeblich sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155). Durch die während des Revisionsverfahrens eingetretenen Gesetzesänderungen hat sich die Rechtslage hinsichtlich der hier maßgeblichen Regelungen in § 11 AufenthG aber nicht geändert.

13

1. Die Revision ist hinsichtlich der vom Kläger mit seinem Hauptantrag begehrten Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots mangels Zulassung nicht statthaft.

14

Das Berufungsgericht hat die Revision (nur) zugelassen, soweit sich die Klage auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bezieht. Begründet hat es dies mit den in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretenen unterschiedlichen Auffassungen zum Rechtscharakter der Befristungsentscheidung (UA S. 33). Damit bezieht sich die Zulassung nur auf die vom Kläger hilfsweise begehrte Befristung und nicht (auch) auf die vorrangig angestrebte Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots. Zwar bedarf es nach dem Gesetzeswortlaut des § 11 Abs. 4 AufenthG ("kann") auch bei der Aufhebung einer Ermessensentscheidung. Die Frage des Rechtscharakters war für das Berufungsgericht insoweit aber nicht entscheidungserheblich, da es schon das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für eine Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 4 AufenthG verneint hat.

15

Die Beschränkung der Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht ist wirksam, weil es sich bei der Aufhebung und der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots prozessual um unterschiedliche Streitgegenstände handelt. Nach § 11 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer, der - wie der Kläger - ausgewiesen worden ist, weder erneut in das Bundesgebiet einreisen, noch sich darin aufhalten, noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden (Einreise- und Aufenthaltsverbot). Dieses (gesetzliche) Verbot ist nach § 11 Abs. 2 AufenthG gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung von Amts wegen zu befristen und kann unter den Voraussetzungen des § 11 Abs. 4 AufenthG aufgehoben oder nachträglich verkürzt oder verlängert werden. Mit dieser durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (AufenthBeendBlReNG) vom 27. Juli 2015 (BGBl. I S. 1386) eingeführten Differenzierung hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung des Senats aufgegriffen, wonach unter engen Voraussetzungen eine vollständige Beseitigung der Wirkungen einer Ausweisung ohne vorherige Ausreise geboten sein kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. März 2014 - 1 C 2.13 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 20 Rn. 13 m.w.N.), und hierfür in § 11 Abs. 4 AufenthG eine spezielle Rechtsgrundlage geschaffen (BT-Drs. 18/4097 S. 36 f.). Seit dieser gesetzlichen Neuordnung der Regelungen zur Beseitigung der Wirkungen einer Ausweisung bedarf die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots einer eigenständigen, von der Befristung zu trennenden Entscheidung, die von der Ausländerbehörde nicht nur nachträglich, sondern zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers auch schon zusammen mit der Ausweisung getroffen werden kann.

16

2. Hinsichtlich des auf Befristung gerichteten Hilfsantrags ist die Revision zulässig, aber unbegründet.

17

Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass der Kläger insoweit - anstelle des im Berufungsverfahren gestellten Bescheidungsantrags - im Revisionsverfahren auf einen Verpflichtungsantrag übergegangen ist. Diese Neuformulierung des Klagebegehrens stellt keine nach § 142 Abs. 1 VwGO unzulässige Klageänderung dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. November 2004 - 1 C 23.03 - BVerwGE 122, 193 = juris Rn. 10). Der Kläger hat - über die vom Berufungsgericht ausgesprochene Verpflichtung der Behörde zur Neubescheidung hinaus - aber keinen Anspruch auf Verpflichtung zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren.

18

Nach § 11 Abs. 2 AufenthG ist das mit einer Ausweisung verbundene Einreise- und Aufenthaltsverbot von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise und ist gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung festzusetzen. Über die Länge der Frist wird nach § 11 Abs. 3 AufenthG nach Ermessen entschieden (Satz 1). Die Frist darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht (Satz 2), und soll zehn Jahre nicht überschreiten (Satz 3).

19

Damit hat der Ausländer einen Anspruch auf eine Befristungsentscheidung zusammen mit der Ausweisungsverfügung ("ob"). Hinsichtlich der Länge der festzusetzenden Frist ("wie") bestimmt § 11 Abs. 3 AufenthG in seiner aktuellen Fassung ausdrücklich, dass hierüber im Rahmen der gesetzlichen Vorgabe nach Ermessen zu entscheiden ist, dass die Frist nur unter bestimmten Voraussetzungen fünf Jahre überschreiten darf und zehn Jahre nicht überschreiten soll. Mit dieser durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung im Jahr 2015 eingeführten Regelung hat der Gesetzgeber auf die Rechtsprechung des Senats reagiert, wonach die Bemessung der Frist nach Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht mehr im Ermessen der Ausländerbehörde stand, es sich vielmehr um eine gebundene Entscheidung handelte. Dies hat der Senat vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift mit dessen unionsrechtlicher Prägung durch die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger - Rückführungsrichtlinie - (ABl. L 348 S. 98) und der Bedeutung der Befristung für die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK begründet (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.). Mit der Änderung in § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wollte der Gesetzgeber den früheren Rechtszustand wieder herstellen, indem er den bisher offenen Wortlaut der Vorschrift konkretisiert und damit klargestellt hat, dass über die Dauer der Sperrfrist im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörden zu entscheiden ist (BT-Drs. 18/4097 S. 36).

20

Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass diese gesetzgeberische Entscheidung mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren ist. Die - jedenfalls in Bezug auf die Rechtsfolgen einer Ausweisung - gegenteilige Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim (Urteil vom 9. Dezember 2015 - 11 S 1857/15 - InfAuslR 2016, 138 = juris Rn. 25 ff.) überzeugt im Ergebnis nicht (so im Ergebnis auch VGH München, Urteil vom 28. Juni 2016 - 10 B 15.1854 - juris Rn. 49; OVG Koblenz, Urteil vom 8. November 2016 - 7 A 11058/15 - juris Rn. 26; Hailbronner, AuslR, Stand Februar 2017, § 11 AufenthG Rn. 72 ff.). Die Entscheidung des Senats vom 14. Februar 2012 (BVerwG 1 C 7.11) zu § 11 AufenthG a.F. erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihr ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen.

21

Eine gebundene Entscheidung folgt zunächst nicht aus der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie), und zwar ungeachtet der vom Senat bislang offengelassenen Frage, ob die Befristung der gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung an den Bestimmungen dieser Richtlinie zu messen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 45). Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG enthält mit Ausnahme der grundsätzlich geltenden Fünfjahresfrist keine weiteren inhaltlichen Vorgaben bezüglich der Dauer der Frist, sondern schreibt nur die Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls vor. Hierzu bedarf es nicht zwingend einer gebundenen Entscheidung. Auch dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 13 der Richtlinie 2008/115/EG ist nicht zu entnehmen, dass der Ausländerbehörde vom nationalen Gesetzgeber kein Ermessensspielraum eingeräumt werden darf. Denn die Wirksamkeit eines Rechtsbehelfs bezieht sich auf die umfassende gerichtliche Überprüfung der normativ vorgegebenen Grenzen behördlichen Handelns.

22

Die vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim herangezogenen strukturellen Erwägungen stehen einer Ermessensregelung ebenfalls nicht zwingend entgegen. Der Umstand, dass es sich bei der Ausweisung nach § 53 Abs. 1 AufenthG inzwischen um eine gebundene Entscheidung mit einer tatbestandsbezogenen Abwägung handelt, zwingt den Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht zu einer Regelung, nach der dies auch in Bezug auf die Dauer der mit der Ausweisung verbundenen gesetzlichen Rechtsfolgen der Fall sein muss. Die Ausgestaltung der Ausweisung als gerichtlich voll überprüfbare Abwägungsentscheidung ist auf das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel zurückzuführen, eine "Beschleunigung des Verfahrens und schnellere Rechtssicherheit" zu erreichen (BT-Drs. 18/4097 S. 49 f.). Gleichzeitig wollte der Gesetzgeber, dass über die Dauer der Sperrfrist von der zuständigen Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden ist (BT-Drs. 18/4097 S. 36). Dieser gesetzgeberischen Entscheidung stehen auch die vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim herangezogenen verfassungs- und menschenrechtlichen Vorgaben nicht entgegen. Die Befristung der gesetzlichen Wirkungen einer Ausweisung wirkt sich zwar mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK auf die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 33 m.w.N. aus der Rechtsprechung des EGMR). Die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung kann aber nicht nur durch eine gebundene Befristungsentscheidung sichergestellt werden. Denn auch bei einer Ermessensentscheidung ist die Frage der Verhältnismäßigkeit (auf der Rechtsfolgenseite) zu beachten.

23

Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert auch nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG), sowie unions- und konventionsrechtlich den Vorgaben aus Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 12. Dezember 2007 (BGBl. 2008 II S. 1165) und Art. 8 EMRK gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange. Da für die gerichtliche Überprüfung der Befristungsentscheidung - wie oben dargelegt - auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist, trifft die Ausländerbehörde auch während des gerichtlichen Verfahrens - wie nach altem Recht bei der Ermessensausweisung (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 20 m.w.N.) - eine Pflicht zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Befristungsentscheidung und ggf. zur Ergänzung ihrer Ermessenserwägungen.

24

Die behördliche Befristungsentscheidung unterliegt auch als Ermessensentscheidung über § 114 Abs. 1 Satz 1 VwGO einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle. Zutreffend weist das Berufungsgericht darauf hin, dass bei der Ermessensausübung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für die Behörde eine gesetzliche Ermessensgrenze darstellt, ein Verstoß dagegen zu einer Ermessensüberschreitung führt und der gerichtlichen Überprüfung nach § 114 Abs. 1 Satz 1 VwGO unterliegt. Nichts anderes gilt in Bezug auf unionsrechtlich zu beachtende Vorgaben. Die Entscheidung des Gesetzgebers, der Ausländerbehörde bei der Bestimmung der Frist einen gewissen Spielraum einzuräumen, führt daher im Ergebnis nicht zu einer Verschlechterung der Rechtsstellung des Betroffenen, da die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens von dem im Einzelfall zulässigen Höchstmaß der Frist nicht zu Lasten des Ausländers abweichen darf. Die Einhaltung dieser Obergrenze unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle.

25

Bei einer Ermessensentscheidung obliegt die konkrete Festsetzung der Dauer der Frist grundsätzlich der Ausländerbehörde. Setzt sie ermessensfehlerhaft eine zu lange Frist fest, ist diese Entscheidung im gerichtlichen Verfahren aufzuheben und die Behörde zur Neubescheidung zu verpflichten. Dabei kann das Gericht in den Entscheidungsgründen eine sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebende absolute Obergrenze für die Dauer der Frist festlegen. Verpflichtet sind die Gerichte hierzu aber nicht. Allerdings dürfte bei einem hinreichend geklärten Sachverhalt eine grobe Eingrenzung des zulässigen Rahmens der Ausländerbehörde eine sachgerechte Ermessensausübung regelmäßig erheblich erleichtern.

26

Die von der Behörde bei einer Neubescheidung zu beachtenden gerichtlichen Vorgaben können auch den Kläger (materiell) beschweren, denn die in einem rechtskräftigen Bescheidungsurteil (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO) verbindlich zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung des Gerichts wirkt sich auf die Rechtskraft im Sinne des § 121 VwGO aus. Folglich beschwert ein stattgebendes Bescheidungsurteil nicht allein die Behörde, sondern auch den Kläger, wenn sich die vom Gericht als verbindlich erklärte Rechtsauffassung nicht mit der des Klägers deckt und für ihn ungünstiger ist, so dass bei der erneuten Bescheidung auf ihrer Grundlage mit einem ungünstigeren Ergebnis zu rechnen ist als bei Anwendung der vom Kläger für richtig gehaltenen Rechtsansicht. Auf Grund der in § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO angeordneten Bindung an die einem Bescheidungsurteil zugrunde liegende Rechtsauffassung führt ein Rechtsmittel gegen ein solches Urteil auch dann zu einer anderen Entscheidung, wenn sich die Rechtsauffassung, die bei der Neubescheidung maßgebend sein soll, als unzutreffend erweist. In diesem Fall hat das Rechtsmittelgericht das angefochtene Urteil aufzuheben und ggf. selbst ein Bescheidungsurteil zu erlassen, in dem es seine eigene bei der Neubescheidung zu beachtende Rechtsauffassung zum Ausdruck bringt (vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Januar 1995 - 8 C 8.93 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 70 = juris Rn. 13 und vom 18. Juli 2013 - 5 C 8.12 - BVerwGE 147, 216 Rn. 15 f., jeweils m.w.N.).

27

In Anwendung dieser Grundsätze ist das Berufungsurteil nicht zu beanstanden. Da die Entscheidung über die Länge des Einreise- und Aufenthaltsverbots im Ermessen der Ausländerbehörde liegt, hat der Kläger einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf die von ihm begehrte Verpflichtung des Beklagten zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren nur im Falle einer entsprechenden Ermessensverdichtung zu seinen Gunsten. Hierfür ist auf der Grundlage der vom Kläger nicht angegriffenen tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nichts ersichtlich. § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG bestimmt lediglich, unter welchen Voraussetzungen die Frist fünf Jahre überschreiten darf. Dies steht hier nicht (mehr) im Streit, nachdem das Berufungsgericht festgestellt hat, dass diese Voraussetzungen nicht vorliegen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet unter den gegebenen Umständen nicht die Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren. Auch ansonsten weisen die vom Berufungsgericht seinem Bescheidungsausspruch zugrunde gelegten Erwägungen keine Rechtsfehler zu Lasten des Klägers auf. Das Berufungsgericht hat den Beklagten zur Neubescheidung verpflichtet, weil es der Auffassung war, dass die zusammen mit der Ausweisung festgesetzte Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots von sieben Jahren zu lang und damit ermessensfehlerhaft ist. In diesem Zusammenhang hat es der Behörde keine über die gesetzliche Grenze des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG hinausgehende, der revisionsgerichtlichen Rechtskontrolle unterliegende Obergrenze verbindlich vorgegeben, sondern lediglich angemerkt, dass eine Frist von mehr als vier Jahren nach den Umständen des Falls kaum vertretbar sein dürfte. Ob die vom Beklagten inzwischen - in Umsetzung der gerichtlichen Verpflichtung zur Neubescheidung - mit Bescheid vom 24. November 2016 verfügte Befristung auf vier Jahre ermessensfehlerfrei ergangen ist, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

28

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Aufhebung, hilfsweise die Befristung des mit seiner Ausweisung eingetretenen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf unter vier Jahre.

2

Der Kläger, ein 1977 geborener marokkanischer Staatsangehöriger, reiste 1997 zu Studienzwecken nach Deutschland ein. Nach Heirat einer deutschen Staatsangehörigen erhielt er eine Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug, die nach Trennung von seiner Ehefrau als Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG verlängert worden ist.

3

Mit Verfügung vom 24. August 2012 wies der Beklagte den Kläger für die Dauer von sieben Jahren aus dem Bundesgebiet aus (Ziffer 1), drohte ihm die Abschiebung an (Ziffer 3 und 4), verpflichtete ihn, sich regelmäßig bei der örtlichen Polizeiinspektion zu melden (Ziffer 5), beschränkte seinen Aufenthalt auf das Gebiet des Landkreises (Ziffer 6), drohte ihm Zwangsmittel an, wenn er den Verpflichtungen aus Ziffer 5 und 6 nicht nachkommt (Ziffer 7), und lehnte einen Antrag des Klägers auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis ab (Ziffer 9). Die Ausweisung wurde damit begründet, dass der Kläger durch Bezahlung von Telefonrechnungen für einen Terrorverdächtigen die Terrororganisation Al-Qaida unterstützt und in Sicherheitsgesprächen falsche oder unrichtige Angaben über seine Kontakte zu terrorverdächtigen Personen und Organisationen gemacht habe.

4

Die gegen diese Verfügung erhobene Klage hatte beim Verwaltungsgericht keinen Erfolg. Im Berufungsverfahren wandte sich der Kläger nur noch gegen die Regelungen in Ziffer 1 (Ausweisung und Befristung), 5, 6 und 7. In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht stellte der Beklagte die Ausweisung wegen eines zwischenzeitlich vom Kläger gestellten Asylantrags unter die Bedingung, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes abgeschlossen wird oder dass eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist. Nach Aufhebung der Regelungen Ziffer 5, 6 und 7 haben die Beteiligten den Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt.

5

Mit Urteil vom 10. Mai 2016 hat das Oberverwaltungsgericht auf den Hilfsantrag des Klägers die Befristung aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, insoweit unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden; im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Die Rechtmäßigkeit der Ausweisung hat es damit begründet, dass der Kläger die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährde und an seiner Ausweisung nach § 54 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG ein schwerwiegendes Interesse bestehe, weil er den der Unterstützung des Terrorismus verdächtigen "Ali" mehr als nur flüchtig kenne und diesen Umstand im Sicherheitsgespräch vom 31. Oktober 2011 bewusst verschwiegen habe. Für die Annahme eines gegenwärtigen Sicherheitsrisikos spreche, dass er nach wie vor nicht bereit sei, dies einzuräumen und zu erklären. Das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers überwiege dessen Bleibeinteresse, auch wenn er sich seit über 18 Jahren überwiegend rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, die deutsche Sprache spreche, hier unterschiedliche Erwerbstätigkeiten ausgeübt habe, strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei und unterstellt werde, dass er über Kontakte zu in Deutschland lebenden Personen verfüge. Er habe aber auch noch erhebliche Bindungen an seinen Heimatstaat Marokko, in dem er den überwiegenden Teil seines Lebens verbracht habe, dessen Sprache er beherrsche, in dem seine Eltern, fünf Geschwister und sein 2013 geborenes Kind lebten und in dem er sich angesichts seines bisherigen Werdegangs eine Existenzgrundlage aufbauen könne. Auch dem Umstand, dass er eine deutsche Staatsangehörige heiraten wolle, komme angesichts des überwiegenden Ausweisungsinteresses keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Bezüglich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bestehe ein Anspruch auf Neubescheidung, da die festgesetzte Frist von sieben Jahren zu lang sei. Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Aufhebung des Verbots nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG lägen nicht vor. Über die Länge der Frist sei nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen zu entscheiden. Dies sei mit höherrangigem Recht vereinbar. Die bei der Fristbestimmung einzuhaltenden unions-, verfassungs- und menschenrechtlichen Vorgaben stellten ebenso wie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine gesetzliche Ermessensgrenze dar, deren Einhaltung nach § 114 VwGO gerichtlich überprüfbar sei. Unerheblich sei, dass der Behörde bei der Ausweisung kein Ermessen zustehe. Auch der Richtlinie 2008/115/EG sei nicht zu entnehmen, dass ein Ermessensspielraum bei der Fristbemessung unionsrechtswidrig wäre. Für eine über fünf Jahre andauernde Frist fehle es aber an einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Der Kläger sei strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten, ihm sei nur eine vereinzelte Falschangabe anzulasten, die mehrere Jahre zurückliege und der kein gesteigertes Gewicht zukomme. Bei der Neubestimmung habe sich der Beklagte deshalb im Fristrahmen von bis zu fünf Jahren zu bewegen, wobei eine Frist von mehr als vier Jahren nach den Umständen des Falles kaum vertretbar sein dürfte. Im Übrigen seien das Gewicht des Ausweisungsinteresses und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Bei einer spezialpräventiv motivierten Ausweisung bedürfe es der prognostischen Einschätzung, wie lange das der Ausweisung zugrunde liegende Verhalten das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermöge. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Frist müsse sich an höherrangigem Recht messen und ggf. relativieren lassen. Dabei seien insbesondere die in § 53 Abs. 2, § 55 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange in den Blick zu nehmen. Die Abwägung sei nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls im Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorzunehmen und in einem sich anschließenden gerichtlichen Verfahren unter Kontrolle zu halten.

6

Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, soweit sich die Klage auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bezieht. Eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hinsichtlich der Ausweisung hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 10. August 2016 - 1 B 92.16 - verworfen.

7

Der Kläger begehrt mit seiner Revision die Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, hilfsweise zur Befristung auf unter vier Jahre. Das Berufungsgericht hätte nicht zur Neubescheidung verpflichten dürfen, sondern selbst eine kürzere Frist bestimmen müssen. Soweit § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Behörde einen Entscheidungsspielraum einräume, sei dies mit höherrangigem Recht, insbesondere mit dem Unionsrecht, nicht zu vereinbaren.

8

Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.

9

Der Kläger ist im Juli 2016 nach Marokko zurückgekehrt. Mit Bescheid vom 24. November 2016 hat der Beklagte das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf den 25. Juli 2020 befristet.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur die Frage, ob der Kläger hinsichtlich des mit seiner Ausweisung kraft Gesetzes eingetretenen Einreise- und Aufenthaltsverbots - über den Bescheidungsausspruch des Berufungsgerichts hinaus - einen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung, hilfsweise zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren hat. Dieses Begehren hat sich nicht dadurch erledigt, dass der Beklagte - in Umsetzung der vom Berufungsgericht ausgesprochenen Verpflichtung zur Neubescheidung - das Einreise- und Aufenthaltsverbot inzwischen auf vier Jahre seit der Ausreise festgesetzt hat.

11

Soweit der Kläger primär die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots erstrebt, ist die Revision mangels Zulassung nicht statthaft (1.). Hinsichtlich des auf Befristung gerichteten Hilfsantrags ist sie zwar zulässig, aber unbegründet. Das Berufungsurteil verstößt insoweit nicht gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Festsetzung einer bestimmten Frist von weniger als vier Jahren, da die Befristung im Ermessen der Ausländerbehörde liegt und die Voraussetzungen für eine Ermessensverdichtung zu seinen Gunsten nicht vorliegen (2.).

12

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der klägerischen Begehren ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. Urteil vom 6. März 2014 - 1 C 2.13 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 20 Rn. 6). Maßgeblich sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155). Durch die während des Revisionsverfahrens eingetretenen Gesetzesänderungen hat sich die Rechtslage hinsichtlich der hier maßgeblichen Regelungen in § 11 AufenthG aber nicht geändert.

13

1. Die Revision ist hinsichtlich der vom Kläger mit seinem Hauptantrag begehrten Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots mangels Zulassung nicht statthaft.

14

Das Berufungsgericht hat die Revision (nur) zugelassen, soweit sich die Klage auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bezieht. Begründet hat es dies mit den in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretenen unterschiedlichen Auffassungen zum Rechtscharakter der Befristungsentscheidung (UA S. 33). Damit bezieht sich die Zulassung nur auf die vom Kläger hilfsweise begehrte Befristung und nicht (auch) auf die vorrangig angestrebte Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots. Zwar bedarf es nach dem Gesetzeswortlaut des § 11 Abs. 4 AufenthG ("kann") auch bei der Aufhebung einer Ermessensentscheidung. Die Frage des Rechtscharakters war für das Berufungsgericht insoweit aber nicht entscheidungserheblich, da es schon das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für eine Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 4 AufenthG verneint hat.

15

Die Beschränkung der Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht ist wirksam, weil es sich bei der Aufhebung und der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots prozessual um unterschiedliche Streitgegenstände handelt. Nach § 11 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer, der - wie der Kläger - ausgewiesen worden ist, weder erneut in das Bundesgebiet einreisen, noch sich darin aufhalten, noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden (Einreise- und Aufenthaltsverbot). Dieses (gesetzliche) Verbot ist nach § 11 Abs. 2 AufenthG gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung von Amts wegen zu befristen und kann unter den Voraussetzungen des § 11 Abs. 4 AufenthG aufgehoben oder nachträglich verkürzt oder verlängert werden. Mit dieser durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (AufenthBeendBlReNG) vom 27. Juli 2015 (BGBl. I S. 1386) eingeführten Differenzierung hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung des Senats aufgegriffen, wonach unter engen Voraussetzungen eine vollständige Beseitigung der Wirkungen einer Ausweisung ohne vorherige Ausreise geboten sein kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. März 2014 - 1 C 2.13 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 20 Rn. 13 m.w.N.), und hierfür in § 11 Abs. 4 AufenthG eine spezielle Rechtsgrundlage geschaffen (BT-Drs. 18/4097 S. 36 f.). Seit dieser gesetzlichen Neuordnung der Regelungen zur Beseitigung der Wirkungen einer Ausweisung bedarf die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots einer eigenständigen, von der Befristung zu trennenden Entscheidung, die von der Ausländerbehörde nicht nur nachträglich, sondern zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers auch schon zusammen mit der Ausweisung getroffen werden kann.

16

2. Hinsichtlich des auf Befristung gerichteten Hilfsantrags ist die Revision zulässig, aber unbegründet.

17

Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass der Kläger insoweit - anstelle des im Berufungsverfahren gestellten Bescheidungsantrags - im Revisionsverfahren auf einen Verpflichtungsantrag übergegangen ist. Diese Neuformulierung des Klagebegehrens stellt keine nach § 142 Abs. 1 VwGO unzulässige Klageänderung dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. November 2004 - 1 C 23.03 - BVerwGE 122, 193 = juris Rn. 10). Der Kläger hat - über die vom Berufungsgericht ausgesprochene Verpflichtung der Behörde zur Neubescheidung hinaus - aber keinen Anspruch auf Verpflichtung zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren.

18

Nach § 11 Abs. 2 AufenthG ist das mit einer Ausweisung verbundene Einreise- und Aufenthaltsverbot von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise und ist gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung festzusetzen. Über die Länge der Frist wird nach § 11 Abs. 3 AufenthG nach Ermessen entschieden (Satz 1). Die Frist darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht (Satz 2), und soll zehn Jahre nicht überschreiten (Satz 3).

19

Damit hat der Ausländer einen Anspruch auf eine Befristungsentscheidung zusammen mit der Ausweisungsverfügung ("ob"). Hinsichtlich der Länge der festzusetzenden Frist ("wie") bestimmt § 11 Abs. 3 AufenthG in seiner aktuellen Fassung ausdrücklich, dass hierüber im Rahmen der gesetzlichen Vorgabe nach Ermessen zu entscheiden ist, dass die Frist nur unter bestimmten Voraussetzungen fünf Jahre überschreiten darf und zehn Jahre nicht überschreiten soll. Mit dieser durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung im Jahr 2015 eingeführten Regelung hat der Gesetzgeber auf die Rechtsprechung des Senats reagiert, wonach die Bemessung der Frist nach Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht mehr im Ermessen der Ausländerbehörde stand, es sich vielmehr um eine gebundene Entscheidung handelte. Dies hat der Senat vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift mit dessen unionsrechtlicher Prägung durch die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger - Rückführungsrichtlinie - (ABl. L 348 S. 98) und der Bedeutung der Befristung für die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK begründet (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.). Mit der Änderung in § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wollte der Gesetzgeber den früheren Rechtszustand wieder herstellen, indem er den bisher offenen Wortlaut der Vorschrift konkretisiert und damit klargestellt hat, dass über die Dauer der Sperrfrist im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörden zu entscheiden ist (BT-Drs. 18/4097 S. 36).

20

Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass diese gesetzgeberische Entscheidung mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren ist. Die - jedenfalls in Bezug auf die Rechtsfolgen einer Ausweisung - gegenteilige Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim (Urteil vom 9. Dezember 2015 - 11 S 1857/15 - InfAuslR 2016, 138 = juris Rn. 25 ff.) überzeugt im Ergebnis nicht (so im Ergebnis auch VGH München, Urteil vom 28. Juni 2016 - 10 B 15.1854 - juris Rn. 49; OVG Koblenz, Urteil vom 8. November 2016 - 7 A 11058/15 - juris Rn. 26; Hailbronner, AuslR, Stand Februar 2017, § 11 AufenthG Rn. 72 ff.). Die Entscheidung des Senats vom 14. Februar 2012 (BVerwG 1 C 7.11) zu § 11 AufenthG a.F. erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihr ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen.

21

Eine gebundene Entscheidung folgt zunächst nicht aus der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie), und zwar ungeachtet der vom Senat bislang offengelassenen Frage, ob die Befristung der gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung an den Bestimmungen dieser Richtlinie zu messen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 45). Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG enthält mit Ausnahme der grundsätzlich geltenden Fünfjahresfrist keine weiteren inhaltlichen Vorgaben bezüglich der Dauer der Frist, sondern schreibt nur die Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls vor. Hierzu bedarf es nicht zwingend einer gebundenen Entscheidung. Auch dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 13 der Richtlinie 2008/115/EG ist nicht zu entnehmen, dass der Ausländerbehörde vom nationalen Gesetzgeber kein Ermessensspielraum eingeräumt werden darf. Denn die Wirksamkeit eines Rechtsbehelfs bezieht sich auf die umfassende gerichtliche Überprüfung der normativ vorgegebenen Grenzen behördlichen Handelns.

22

Die vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim herangezogenen strukturellen Erwägungen stehen einer Ermessensregelung ebenfalls nicht zwingend entgegen. Der Umstand, dass es sich bei der Ausweisung nach § 53 Abs. 1 AufenthG inzwischen um eine gebundene Entscheidung mit einer tatbestandsbezogenen Abwägung handelt, zwingt den Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht zu einer Regelung, nach der dies auch in Bezug auf die Dauer der mit der Ausweisung verbundenen gesetzlichen Rechtsfolgen der Fall sein muss. Die Ausgestaltung der Ausweisung als gerichtlich voll überprüfbare Abwägungsentscheidung ist auf das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel zurückzuführen, eine "Beschleunigung des Verfahrens und schnellere Rechtssicherheit" zu erreichen (BT-Drs. 18/4097 S. 49 f.). Gleichzeitig wollte der Gesetzgeber, dass über die Dauer der Sperrfrist von der zuständigen Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden ist (BT-Drs. 18/4097 S. 36). Dieser gesetzgeberischen Entscheidung stehen auch die vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim herangezogenen verfassungs- und menschenrechtlichen Vorgaben nicht entgegen. Die Befristung der gesetzlichen Wirkungen einer Ausweisung wirkt sich zwar mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK auf die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 33 m.w.N. aus der Rechtsprechung des EGMR). Die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung kann aber nicht nur durch eine gebundene Befristungsentscheidung sichergestellt werden. Denn auch bei einer Ermessensentscheidung ist die Frage der Verhältnismäßigkeit (auf der Rechtsfolgenseite) zu beachten.

23

Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert auch nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG), sowie unions- und konventionsrechtlich den Vorgaben aus Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 12. Dezember 2007 (BGBl. 2008 II S. 1165) und Art. 8 EMRK gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange. Da für die gerichtliche Überprüfung der Befristungsentscheidung - wie oben dargelegt - auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist, trifft die Ausländerbehörde auch während des gerichtlichen Verfahrens - wie nach altem Recht bei der Ermessensausweisung (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 20 m.w.N.) - eine Pflicht zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Befristungsentscheidung und ggf. zur Ergänzung ihrer Ermessenserwägungen.

24

Die behördliche Befristungsentscheidung unterliegt auch als Ermessensentscheidung über § 114 Abs. 1 Satz 1 VwGO einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle. Zutreffend weist das Berufungsgericht darauf hin, dass bei der Ermessensausübung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für die Behörde eine gesetzliche Ermessensgrenze darstellt, ein Verstoß dagegen zu einer Ermessensüberschreitung führt und der gerichtlichen Überprüfung nach § 114 Abs. 1 Satz 1 VwGO unterliegt. Nichts anderes gilt in Bezug auf unionsrechtlich zu beachtende Vorgaben. Die Entscheidung des Gesetzgebers, der Ausländerbehörde bei der Bestimmung der Frist einen gewissen Spielraum einzuräumen, führt daher im Ergebnis nicht zu einer Verschlechterung der Rechtsstellung des Betroffenen, da die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens von dem im Einzelfall zulässigen Höchstmaß der Frist nicht zu Lasten des Ausländers abweichen darf. Die Einhaltung dieser Obergrenze unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle.

25

Bei einer Ermessensentscheidung obliegt die konkrete Festsetzung der Dauer der Frist grundsätzlich der Ausländerbehörde. Setzt sie ermessensfehlerhaft eine zu lange Frist fest, ist diese Entscheidung im gerichtlichen Verfahren aufzuheben und die Behörde zur Neubescheidung zu verpflichten. Dabei kann das Gericht in den Entscheidungsgründen eine sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebende absolute Obergrenze für die Dauer der Frist festlegen. Verpflichtet sind die Gerichte hierzu aber nicht. Allerdings dürfte bei einem hinreichend geklärten Sachverhalt eine grobe Eingrenzung des zulässigen Rahmens der Ausländerbehörde eine sachgerechte Ermessensausübung regelmäßig erheblich erleichtern.

26

Die von der Behörde bei einer Neubescheidung zu beachtenden gerichtlichen Vorgaben können auch den Kläger (materiell) beschweren, denn die in einem rechtskräftigen Bescheidungsurteil (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO) verbindlich zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung des Gerichts wirkt sich auf die Rechtskraft im Sinne des § 121 VwGO aus. Folglich beschwert ein stattgebendes Bescheidungsurteil nicht allein die Behörde, sondern auch den Kläger, wenn sich die vom Gericht als verbindlich erklärte Rechtsauffassung nicht mit der des Klägers deckt und für ihn ungünstiger ist, so dass bei der erneuten Bescheidung auf ihrer Grundlage mit einem ungünstigeren Ergebnis zu rechnen ist als bei Anwendung der vom Kläger für richtig gehaltenen Rechtsansicht. Auf Grund der in § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO angeordneten Bindung an die einem Bescheidungsurteil zugrunde liegende Rechtsauffassung führt ein Rechtsmittel gegen ein solches Urteil auch dann zu einer anderen Entscheidung, wenn sich die Rechtsauffassung, die bei der Neubescheidung maßgebend sein soll, als unzutreffend erweist. In diesem Fall hat das Rechtsmittelgericht das angefochtene Urteil aufzuheben und ggf. selbst ein Bescheidungsurteil zu erlassen, in dem es seine eigene bei der Neubescheidung zu beachtende Rechtsauffassung zum Ausdruck bringt (vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Januar 1995 - 8 C 8.93 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 70 = juris Rn. 13 und vom 18. Juli 2013 - 5 C 8.12 - BVerwGE 147, 216 Rn. 15 f., jeweils m.w.N.).

27

In Anwendung dieser Grundsätze ist das Berufungsurteil nicht zu beanstanden. Da die Entscheidung über die Länge des Einreise- und Aufenthaltsverbots im Ermessen der Ausländerbehörde liegt, hat der Kläger einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf die von ihm begehrte Verpflichtung des Beklagten zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren nur im Falle einer entsprechenden Ermessensverdichtung zu seinen Gunsten. Hierfür ist auf der Grundlage der vom Kläger nicht angegriffenen tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nichts ersichtlich. § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG bestimmt lediglich, unter welchen Voraussetzungen die Frist fünf Jahre überschreiten darf. Dies steht hier nicht (mehr) im Streit, nachdem das Berufungsgericht festgestellt hat, dass diese Voraussetzungen nicht vorliegen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet unter den gegebenen Umständen nicht die Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren. Auch ansonsten weisen die vom Berufungsgericht seinem Bescheidungsausspruch zugrunde gelegten Erwägungen keine Rechtsfehler zu Lasten des Klägers auf. Das Berufungsgericht hat den Beklagten zur Neubescheidung verpflichtet, weil es der Auffassung war, dass die zusammen mit der Ausweisung festgesetzte Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots von sieben Jahren zu lang und damit ermessensfehlerhaft ist. In diesem Zusammenhang hat es der Behörde keine über die gesetzliche Grenze des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG hinausgehende, der revisionsgerichtlichen Rechtskontrolle unterliegende Obergrenze verbindlich vorgegeben, sondern lediglich angemerkt, dass eine Frist von mehr als vier Jahren nach den Umständen des Falls kaum vertretbar sein dürfte. Ob die vom Beklagten inzwischen - in Umsetzung der gerichtlichen Verpflichtung zur Neubescheidung - mit Bescheid vom 24. November 2016 verfügte Befristung auf vier Jahre ermessensfehlerfrei ergangen ist, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

28

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Aufhebung, hilfsweise die Befristung des mit seiner Ausweisung eingetretenen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf unter vier Jahre.

2

Der Kläger, ein 1977 geborener marokkanischer Staatsangehöriger, reiste 1997 zu Studienzwecken nach Deutschland ein. Nach Heirat einer deutschen Staatsangehörigen erhielt er eine Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug, die nach Trennung von seiner Ehefrau als Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG verlängert worden ist.

3

Mit Verfügung vom 24. August 2012 wies der Beklagte den Kläger für die Dauer von sieben Jahren aus dem Bundesgebiet aus (Ziffer 1), drohte ihm die Abschiebung an (Ziffer 3 und 4), verpflichtete ihn, sich regelmäßig bei der örtlichen Polizeiinspektion zu melden (Ziffer 5), beschränkte seinen Aufenthalt auf das Gebiet des Landkreises (Ziffer 6), drohte ihm Zwangsmittel an, wenn er den Verpflichtungen aus Ziffer 5 und 6 nicht nachkommt (Ziffer 7), und lehnte einen Antrag des Klägers auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis ab (Ziffer 9). Die Ausweisung wurde damit begründet, dass der Kläger durch Bezahlung von Telefonrechnungen für einen Terrorverdächtigen die Terrororganisation Al-Qaida unterstützt und in Sicherheitsgesprächen falsche oder unrichtige Angaben über seine Kontakte zu terrorverdächtigen Personen und Organisationen gemacht habe.

4

Die gegen diese Verfügung erhobene Klage hatte beim Verwaltungsgericht keinen Erfolg. Im Berufungsverfahren wandte sich der Kläger nur noch gegen die Regelungen in Ziffer 1 (Ausweisung und Befristung), 5, 6 und 7. In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht stellte der Beklagte die Ausweisung wegen eines zwischenzeitlich vom Kläger gestellten Asylantrags unter die Bedingung, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes abgeschlossen wird oder dass eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist. Nach Aufhebung der Regelungen Ziffer 5, 6 und 7 haben die Beteiligten den Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt.

5

Mit Urteil vom 10. Mai 2016 hat das Oberverwaltungsgericht auf den Hilfsantrag des Klägers die Befristung aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, insoweit unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden; im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Die Rechtmäßigkeit der Ausweisung hat es damit begründet, dass der Kläger die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährde und an seiner Ausweisung nach § 54 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG ein schwerwiegendes Interesse bestehe, weil er den der Unterstützung des Terrorismus verdächtigen "Ali" mehr als nur flüchtig kenne und diesen Umstand im Sicherheitsgespräch vom 31. Oktober 2011 bewusst verschwiegen habe. Für die Annahme eines gegenwärtigen Sicherheitsrisikos spreche, dass er nach wie vor nicht bereit sei, dies einzuräumen und zu erklären. Das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers überwiege dessen Bleibeinteresse, auch wenn er sich seit über 18 Jahren überwiegend rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, die deutsche Sprache spreche, hier unterschiedliche Erwerbstätigkeiten ausgeübt habe, strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei und unterstellt werde, dass er über Kontakte zu in Deutschland lebenden Personen verfüge. Er habe aber auch noch erhebliche Bindungen an seinen Heimatstaat Marokko, in dem er den überwiegenden Teil seines Lebens verbracht habe, dessen Sprache er beherrsche, in dem seine Eltern, fünf Geschwister und sein 2013 geborenes Kind lebten und in dem er sich angesichts seines bisherigen Werdegangs eine Existenzgrundlage aufbauen könne. Auch dem Umstand, dass er eine deutsche Staatsangehörige heiraten wolle, komme angesichts des überwiegenden Ausweisungsinteresses keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Bezüglich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bestehe ein Anspruch auf Neubescheidung, da die festgesetzte Frist von sieben Jahren zu lang sei. Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Aufhebung des Verbots nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG lägen nicht vor. Über die Länge der Frist sei nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen zu entscheiden. Dies sei mit höherrangigem Recht vereinbar. Die bei der Fristbestimmung einzuhaltenden unions-, verfassungs- und menschenrechtlichen Vorgaben stellten ebenso wie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine gesetzliche Ermessensgrenze dar, deren Einhaltung nach § 114 VwGO gerichtlich überprüfbar sei. Unerheblich sei, dass der Behörde bei der Ausweisung kein Ermessen zustehe. Auch der Richtlinie 2008/115/EG sei nicht zu entnehmen, dass ein Ermessensspielraum bei der Fristbemessung unionsrechtswidrig wäre. Für eine über fünf Jahre andauernde Frist fehle es aber an einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Der Kläger sei strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten, ihm sei nur eine vereinzelte Falschangabe anzulasten, die mehrere Jahre zurückliege und der kein gesteigertes Gewicht zukomme. Bei der Neubestimmung habe sich der Beklagte deshalb im Fristrahmen von bis zu fünf Jahren zu bewegen, wobei eine Frist von mehr als vier Jahren nach den Umständen des Falles kaum vertretbar sein dürfte. Im Übrigen seien das Gewicht des Ausweisungsinteresses und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Bei einer spezialpräventiv motivierten Ausweisung bedürfe es der prognostischen Einschätzung, wie lange das der Ausweisung zugrunde liegende Verhalten das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermöge. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Frist müsse sich an höherrangigem Recht messen und ggf. relativieren lassen. Dabei seien insbesondere die in § 53 Abs. 2, § 55 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange in den Blick zu nehmen. Die Abwägung sei nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls im Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorzunehmen und in einem sich anschließenden gerichtlichen Verfahren unter Kontrolle zu halten.

6

Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, soweit sich die Klage auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bezieht. Eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hinsichtlich der Ausweisung hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 10. August 2016 - 1 B 92.16 - verworfen.

7

Der Kläger begehrt mit seiner Revision die Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, hilfsweise zur Befristung auf unter vier Jahre. Das Berufungsgericht hätte nicht zur Neubescheidung verpflichten dürfen, sondern selbst eine kürzere Frist bestimmen müssen. Soweit § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Behörde einen Entscheidungsspielraum einräume, sei dies mit höherrangigem Recht, insbesondere mit dem Unionsrecht, nicht zu vereinbaren.

8

Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.

9

Der Kläger ist im Juli 2016 nach Marokko zurückgekehrt. Mit Bescheid vom 24. November 2016 hat der Beklagte das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf den 25. Juli 2020 befristet.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur die Frage, ob der Kläger hinsichtlich des mit seiner Ausweisung kraft Gesetzes eingetretenen Einreise- und Aufenthaltsverbots - über den Bescheidungsausspruch des Berufungsgerichts hinaus - einen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung, hilfsweise zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren hat. Dieses Begehren hat sich nicht dadurch erledigt, dass der Beklagte - in Umsetzung der vom Berufungsgericht ausgesprochenen Verpflichtung zur Neubescheidung - das Einreise- und Aufenthaltsverbot inzwischen auf vier Jahre seit der Ausreise festgesetzt hat.

11

Soweit der Kläger primär die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots erstrebt, ist die Revision mangels Zulassung nicht statthaft (1.). Hinsichtlich des auf Befristung gerichteten Hilfsantrags ist sie zwar zulässig, aber unbegründet. Das Berufungsurteil verstößt insoweit nicht gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Festsetzung einer bestimmten Frist von weniger als vier Jahren, da die Befristung im Ermessen der Ausländerbehörde liegt und die Voraussetzungen für eine Ermessensverdichtung zu seinen Gunsten nicht vorliegen (2.).

12

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der klägerischen Begehren ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. Urteil vom 6. März 2014 - 1 C 2.13 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 20 Rn. 6). Maßgeblich sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155). Durch die während des Revisionsverfahrens eingetretenen Gesetzesänderungen hat sich die Rechtslage hinsichtlich der hier maßgeblichen Regelungen in § 11 AufenthG aber nicht geändert.

13

1. Die Revision ist hinsichtlich der vom Kläger mit seinem Hauptantrag begehrten Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots mangels Zulassung nicht statthaft.

14

Das Berufungsgericht hat die Revision (nur) zugelassen, soweit sich die Klage auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bezieht. Begründet hat es dies mit den in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretenen unterschiedlichen Auffassungen zum Rechtscharakter der Befristungsentscheidung (UA S. 33). Damit bezieht sich die Zulassung nur auf die vom Kläger hilfsweise begehrte Befristung und nicht (auch) auf die vorrangig angestrebte Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots. Zwar bedarf es nach dem Gesetzeswortlaut des § 11 Abs. 4 AufenthG ("kann") auch bei der Aufhebung einer Ermessensentscheidung. Die Frage des Rechtscharakters war für das Berufungsgericht insoweit aber nicht entscheidungserheblich, da es schon das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für eine Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 4 AufenthG verneint hat.

15

Die Beschränkung der Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht ist wirksam, weil es sich bei der Aufhebung und der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots prozessual um unterschiedliche Streitgegenstände handelt. Nach § 11 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer, der - wie der Kläger - ausgewiesen worden ist, weder erneut in das Bundesgebiet einreisen, noch sich darin aufhalten, noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden (Einreise- und Aufenthaltsverbot). Dieses (gesetzliche) Verbot ist nach § 11 Abs. 2 AufenthG gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung von Amts wegen zu befristen und kann unter den Voraussetzungen des § 11 Abs. 4 AufenthG aufgehoben oder nachträglich verkürzt oder verlängert werden. Mit dieser durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (AufenthBeendBlReNG) vom 27. Juli 2015 (BGBl. I S. 1386) eingeführten Differenzierung hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung des Senats aufgegriffen, wonach unter engen Voraussetzungen eine vollständige Beseitigung der Wirkungen einer Ausweisung ohne vorherige Ausreise geboten sein kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. März 2014 - 1 C 2.13 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 20 Rn. 13 m.w.N.), und hierfür in § 11 Abs. 4 AufenthG eine spezielle Rechtsgrundlage geschaffen (BT-Drs. 18/4097 S. 36 f.). Seit dieser gesetzlichen Neuordnung der Regelungen zur Beseitigung der Wirkungen einer Ausweisung bedarf die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots einer eigenständigen, von der Befristung zu trennenden Entscheidung, die von der Ausländerbehörde nicht nur nachträglich, sondern zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers auch schon zusammen mit der Ausweisung getroffen werden kann.

16

2. Hinsichtlich des auf Befristung gerichteten Hilfsantrags ist die Revision zulässig, aber unbegründet.

17

Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass der Kläger insoweit - anstelle des im Berufungsverfahren gestellten Bescheidungsantrags - im Revisionsverfahren auf einen Verpflichtungsantrag übergegangen ist. Diese Neuformulierung des Klagebegehrens stellt keine nach § 142 Abs. 1 VwGO unzulässige Klageänderung dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. November 2004 - 1 C 23.03 - BVerwGE 122, 193 = juris Rn. 10). Der Kläger hat - über die vom Berufungsgericht ausgesprochene Verpflichtung der Behörde zur Neubescheidung hinaus - aber keinen Anspruch auf Verpflichtung zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren.

18

Nach § 11 Abs. 2 AufenthG ist das mit einer Ausweisung verbundene Einreise- und Aufenthaltsverbot von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise und ist gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung festzusetzen. Über die Länge der Frist wird nach § 11 Abs. 3 AufenthG nach Ermessen entschieden (Satz 1). Die Frist darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht (Satz 2), und soll zehn Jahre nicht überschreiten (Satz 3).

19

Damit hat der Ausländer einen Anspruch auf eine Befristungsentscheidung zusammen mit der Ausweisungsverfügung ("ob"). Hinsichtlich der Länge der festzusetzenden Frist ("wie") bestimmt § 11 Abs. 3 AufenthG in seiner aktuellen Fassung ausdrücklich, dass hierüber im Rahmen der gesetzlichen Vorgabe nach Ermessen zu entscheiden ist, dass die Frist nur unter bestimmten Voraussetzungen fünf Jahre überschreiten darf und zehn Jahre nicht überschreiten soll. Mit dieser durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung im Jahr 2015 eingeführten Regelung hat der Gesetzgeber auf die Rechtsprechung des Senats reagiert, wonach die Bemessung der Frist nach Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht mehr im Ermessen der Ausländerbehörde stand, es sich vielmehr um eine gebundene Entscheidung handelte. Dies hat der Senat vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift mit dessen unionsrechtlicher Prägung durch die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger - Rückführungsrichtlinie - (ABl. L 348 S. 98) und der Bedeutung der Befristung für die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK begründet (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.). Mit der Änderung in § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wollte der Gesetzgeber den früheren Rechtszustand wieder herstellen, indem er den bisher offenen Wortlaut der Vorschrift konkretisiert und damit klargestellt hat, dass über die Dauer der Sperrfrist im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörden zu entscheiden ist (BT-Drs. 18/4097 S. 36).

20

Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass diese gesetzgeberische Entscheidung mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren ist. Die - jedenfalls in Bezug auf die Rechtsfolgen einer Ausweisung - gegenteilige Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim (Urteil vom 9. Dezember 2015 - 11 S 1857/15 - InfAuslR 2016, 138 = juris Rn. 25 ff.) überzeugt im Ergebnis nicht (so im Ergebnis auch VGH München, Urteil vom 28. Juni 2016 - 10 B 15.1854 - juris Rn. 49; OVG Koblenz, Urteil vom 8. November 2016 - 7 A 11058/15 - juris Rn. 26; Hailbronner, AuslR, Stand Februar 2017, § 11 AufenthG Rn. 72 ff.). Die Entscheidung des Senats vom 14. Februar 2012 (BVerwG 1 C 7.11) zu § 11 AufenthG a.F. erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihr ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen.

21

Eine gebundene Entscheidung folgt zunächst nicht aus der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie), und zwar ungeachtet der vom Senat bislang offengelassenen Frage, ob die Befristung der gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung an den Bestimmungen dieser Richtlinie zu messen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 45). Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG enthält mit Ausnahme der grundsätzlich geltenden Fünfjahresfrist keine weiteren inhaltlichen Vorgaben bezüglich der Dauer der Frist, sondern schreibt nur die Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls vor. Hierzu bedarf es nicht zwingend einer gebundenen Entscheidung. Auch dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 13 der Richtlinie 2008/115/EG ist nicht zu entnehmen, dass der Ausländerbehörde vom nationalen Gesetzgeber kein Ermessensspielraum eingeräumt werden darf. Denn die Wirksamkeit eines Rechtsbehelfs bezieht sich auf die umfassende gerichtliche Überprüfung der normativ vorgegebenen Grenzen behördlichen Handelns.

22

Die vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim herangezogenen strukturellen Erwägungen stehen einer Ermessensregelung ebenfalls nicht zwingend entgegen. Der Umstand, dass es sich bei der Ausweisung nach § 53 Abs. 1 AufenthG inzwischen um eine gebundene Entscheidung mit einer tatbestandsbezogenen Abwägung handelt, zwingt den Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht zu einer Regelung, nach der dies auch in Bezug auf die Dauer der mit der Ausweisung verbundenen gesetzlichen Rechtsfolgen der Fall sein muss. Die Ausgestaltung der Ausweisung als gerichtlich voll überprüfbare Abwägungsentscheidung ist auf das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel zurückzuführen, eine "Beschleunigung des Verfahrens und schnellere Rechtssicherheit" zu erreichen (BT-Drs. 18/4097 S. 49 f.). Gleichzeitig wollte der Gesetzgeber, dass über die Dauer der Sperrfrist von der zuständigen Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden ist (BT-Drs. 18/4097 S. 36). Dieser gesetzgeberischen Entscheidung stehen auch die vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim herangezogenen verfassungs- und menschenrechtlichen Vorgaben nicht entgegen. Die Befristung der gesetzlichen Wirkungen einer Ausweisung wirkt sich zwar mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK auf die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 33 m.w.N. aus der Rechtsprechung des EGMR). Die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung kann aber nicht nur durch eine gebundene Befristungsentscheidung sichergestellt werden. Denn auch bei einer Ermessensentscheidung ist die Frage der Verhältnismäßigkeit (auf der Rechtsfolgenseite) zu beachten.

23

Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert auch nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG), sowie unions- und konventionsrechtlich den Vorgaben aus Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 12. Dezember 2007 (BGBl. 2008 II S. 1165) und Art. 8 EMRK gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange. Da für die gerichtliche Überprüfung der Befristungsentscheidung - wie oben dargelegt - auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist, trifft die Ausländerbehörde auch während des gerichtlichen Verfahrens - wie nach altem Recht bei der Ermessensausweisung (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 20 m.w.N.) - eine Pflicht zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Befristungsentscheidung und ggf. zur Ergänzung ihrer Ermessenserwägungen.

24

Die behördliche Befristungsentscheidung unterliegt auch als Ermessensentscheidung über § 114 Abs. 1 Satz 1 VwGO einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle. Zutreffend weist das Berufungsgericht darauf hin, dass bei der Ermessensausübung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für die Behörde eine gesetzliche Ermessensgrenze darstellt, ein Verstoß dagegen zu einer Ermessensüberschreitung führt und der gerichtlichen Überprüfung nach § 114 Abs. 1 Satz 1 VwGO unterliegt. Nichts anderes gilt in Bezug auf unionsrechtlich zu beachtende Vorgaben. Die Entscheidung des Gesetzgebers, der Ausländerbehörde bei der Bestimmung der Frist einen gewissen Spielraum einzuräumen, führt daher im Ergebnis nicht zu einer Verschlechterung der Rechtsstellung des Betroffenen, da die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens von dem im Einzelfall zulässigen Höchstmaß der Frist nicht zu Lasten des Ausländers abweichen darf. Die Einhaltung dieser Obergrenze unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle.

25

Bei einer Ermessensentscheidung obliegt die konkrete Festsetzung der Dauer der Frist grundsätzlich der Ausländerbehörde. Setzt sie ermessensfehlerhaft eine zu lange Frist fest, ist diese Entscheidung im gerichtlichen Verfahren aufzuheben und die Behörde zur Neubescheidung zu verpflichten. Dabei kann das Gericht in den Entscheidungsgründen eine sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebende absolute Obergrenze für die Dauer der Frist festlegen. Verpflichtet sind die Gerichte hierzu aber nicht. Allerdings dürfte bei einem hinreichend geklärten Sachverhalt eine grobe Eingrenzung des zulässigen Rahmens der Ausländerbehörde eine sachgerechte Ermessensausübung regelmäßig erheblich erleichtern.

26

Die von der Behörde bei einer Neubescheidung zu beachtenden gerichtlichen Vorgaben können auch den Kläger (materiell) beschweren, denn die in einem rechtskräftigen Bescheidungsurteil (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO) verbindlich zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung des Gerichts wirkt sich auf die Rechtskraft im Sinne des § 121 VwGO aus. Folglich beschwert ein stattgebendes Bescheidungsurteil nicht allein die Behörde, sondern auch den Kläger, wenn sich die vom Gericht als verbindlich erklärte Rechtsauffassung nicht mit der des Klägers deckt und für ihn ungünstiger ist, so dass bei der erneuten Bescheidung auf ihrer Grundlage mit einem ungünstigeren Ergebnis zu rechnen ist als bei Anwendung der vom Kläger für richtig gehaltenen Rechtsansicht. Auf Grund der in § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO angeordneten Bindung an die einem Bescheidungsurteil zugrunde liegende Rechtsauffassung führt ein Rechtsmittel gegen ein solches Urteil auch dann zu einer anderen Entscheidung, wenn sich die Rechtsauffassung, die bei der Neubescheidung maßgebend sein soll, als unzutreffend erweist. In diesem Fall hat das Rechtsmittelgericht das angefochtene Urteil aufzuheben und ggf. selbst ein Bescheidungsurteil zu erlassen, in dem es seine eigene bei der Neubescheidung zu beachtende Rechtsauffassung zum Ausdruck bringt (vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Januar 1995 - 8 C 8.93 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 70 = juris Rn. 13 und vom 18. Juli 2013 - 5 C 8.12 - BVerwGE 147, 216 Rn. 15 f., jeweils m.w.N.).

27

In Anwendung dieser Grundsätze ist das Berufungsurteil nicht zu beanstanden. Da die Entscheidung über die Länge des Einreise- und Aufenthaltsverbots im Ermessen der Ausländerbehörde liegt, hat der Kläger einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf die von ihm begehrte Verpflichtung des Beklagten zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren nur im Falle einer entsprechenden Ermessensverdichtung zu seinen Gunsten. Hierfür ist auf der Grundlage der vom Kläger nicht angegriffenen tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nichts ersichtlich. § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG bestimmt lediglich, unter welchen Voraussetzungen die Frist fünf Jahre überschreiten darf. Dies steht hier nicht (mehr) im Streit, nachdem das Berufungsgericht festgestellt hat, dass diese Voraussetzungen nicht vorliegen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet unter den gegebenen Umständen nicht die Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren. Auch ansonsten weisen die vom Berufungsgericht seinem Bescheidungsausspruch zugrunde gelegten Erwägungen keine Rechtsfehler zu Lasten des Klägers auf. Das Berufungsgericht hat den Beklagten zur Neubescheidung verpflichtet, weil es der Auffassung war, dass die zusammen mit der Ausweisung festgesetzte Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots von sieben Jahren zu lang und damit ermessensfehlerhaft ist. In diesem Zusammenhang hat es der Behörde keine über die gesetzliche Grenze des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG hinausgehende, der revisionsgerichtlichen Rechtskontrolle unterliegende Obergrenze verbindlich vorgegeben, sondern lediglich angemerkt, dass eine Frist von mehr als vier Jahren nach den Umständen des Falls kaum vertretbar sein dürfte. Ob die vom Beklagten inzwischen - in Umsetzung der gerichtlichen Verpflichtung zur Neubescheidung - mit Bescheid vom 24. November 2016 verfügte Befristung auf vier Jahre ermessensfehlerfrei ergangen ist, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

28

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Aufhebung, hilfsweise die Befristung des mit seiner Ausweisung eingetretenen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf unter vier Jahre.

2

Der Kläger, ein 1977 geborener marokkanischer Staatsangehöriger, reiste 1997 zu Studienzwecken nach Deutschland ein. Nach Heirat einer deutschen Staatsangehörigen erhielt er eine Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug, die nach Trennung von seiner Ehefrau als Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG verlängert worden ist.

3

Mit Verfügung vom 24. August 2012 wies der Beklagte den Kläger für die Dauer von sieben Jahren aus dem Bundesgebiet aus (Ziffer 1), drohte ihm die Abschiebung an (Ziffer 3 und 4), verpflichtete ihn, sich regelmäßig bei der örtlichen Polizeiinspektion zu melden (Ziffer 5), beschränkte seinen Aufenthalt auf das Gebiet des Landkreises (Ziffer 6), drohte ihm Zwangsmittel an, wenn er den Verpflichtungen aus Ziffer 5 und 6 nicht nachkommt (Ziffer 7), und lehnte einen Antrag des Klägers auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis ab (Ziffer 9). Die Ausweisung wurde damit begründet, dass der Kläger durch Bezahlung von Telefonrechnungen für einen Terrorverdächtigen die Terrororganisation Al-Qaida unterstützt und in Sicherheitsgesprächen falsche oder unrichtige Angaben über seine Kontakte zu terrorverdächtigen Personen und Organisationen gemacht habe.

4

Die gegen diese Verfügung erhobene Klage hatte beim Verwaltungsgericht keinen Erfolg. Im Berufungsverfahren wandte sich der Kläger nur noch gegen die Regelungen in Ziffer 1 (Ausweisung und Befristung), 5, 6 und 7. In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht stellte der Beklagte die Ausweisung wegen eines zwischenzeitlich vom Kläger gestellten Asylantrags unter die Bedingung, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes abgeschlossen wird oder dass eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist. Nach Aufhebung der Regelungen Ziffer 5, 6 und 7 haben die Beteiligten den Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt.

5

Mit Urteil vom 10. Mai 2016 hat das Oberverwaltungsgericht auf den Hilfsantrag des Klägers die Befristung aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, insoweit unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden; im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Die Rechtmäßigkeit der Ausweisung hat es damit begründet, dass der Kläger die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährde und an seiner Ausweisung nach § 54 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG ein schwerwiegendes Interesse bestehe, weil er den der Unterstützung des Terrorismus verdächtigen "Ali" mehr als nur flüchtig kenne und diesen Umstand im Sicherheitsgespräch vom 31. Oktober 2011 bewusst verschwiegen habe. Für die Annahme eines gegenwärtigen Sicherheitsrisikos spreche, dass er nach wie vor nicht bereit sei, dies einzuräumen und zu erklären. Das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers überwiege dessen Bleibeinteresse, auch wenn er sich seit über 18 Jahren überwiegend rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, die deutsche Sprache spreche, hier unterschiedliche Erwerbstätigkeiten ausgeübt habe, strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei und unterstellt werde, dass er über Kontakte zu in Deutschland lebenden Personen verfüge. Er habe aber auch noch erhebliche Bindungen an seinen Heimatstaat Marokko, in dem er den überwiegenden Teil seines Lebens verbracht habe, dessen Sprache er beherrsche, in dem seine Eltern, fünf Geschwister und sein 2013 geborenes Kind lebten und in dem er sich angesichts seines bisherigen Werdegangs eine Existenzgrundlage aufbauen könne. Auch dem Umstand, dass er eine deutsche Staatsangehörige heiraten wolle, komme angesichts des überwiegenden Ausweisungsinteresses keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Bezüglich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bestehe ein Anspruch auf Neubescheidung, da die festgesetzte Frist von sieben Jahren zu lang sei. Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Aufhebung des Verbots nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG lägen nicht vor. Über die Länge der Frist sei nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen zu entscheiden. Dies sei mit höherrangigem Recht vereinbar. Die bei der Fristbestimmung einzuhaltenden unions-, verfassungs- und menschenrechtlichen Vorgaben stellten ebenso wie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine gesetzliche Ermessensgrenze dar, deren Einhaltung nach § 114 VwGO gerichtlich überprüfbar sei. Unerheblich sei, dass der Behörde bei der Ausweisung kein Ermessen zustehe. Auch der Richtlinie 2008/115/EG sei nicht zu entnehmen, dass ein Ermessensspielraum bei der Fristbemessung unionsrechtswidrig wäre. Für eine über fünf Jahre andauernde Frist fehle es aber an einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Der Kläger sei strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten, ihm sei nur eine vereinzelte Falschangabe anzulasten, die mehrere Jahre zurückliege und der kein gesteigertes Gewicht zukomme. Bei der Neubestimmung habe sich der Beklagte deshalb im Fristrahmen von bis zu fünf Jahren zu bewegen, wobei eine Frist von mehr als vier Jahren nach den Umständen des Falles kaum vertretbar sein dürfte. Im Übrigen seien das Gewicht des Ausweisungsinteresses und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Bei einer spezialpräventiv motivierten Ausweisung bedürfe es der prognostischen Einschätzung, wie lange das der Ausweisung zugrunde liegende Verhalten das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermöge. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Frist müsse sich an höherrangigem Recht messen und ggf. relativieren lassen. Dabei seien insbesondere die in § 53 Abs. 2, § 55 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange in den Blick zu nehmen. Die Abwägung sei nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls im Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorzunehmen und in einem sich anschließenden gerichtlichen Verfahren unter Kontrolle zu halten.

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Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, soweit sich die Klage auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bezieht. Eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hinsichtlich der Ausweisung hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 10. August 2016 - 1 B 92.16 - verworfen.

7

Der Kläger begehrt mit seiner Revision die Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, hilfsweise zur Befristung auf unter vier Jahre. Das Berufungsgericht hätte nicht zur Neubescheidung verpflichten dürfen, sondern selbst eine kürzere Frist bestimmen müssen. Soweit § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Behörde einen Entscheidungsspielraum einräume, sei dies mit höherrangigem Recht, insbesondere mit dem Unionsrecht, nicht zu vereinbaren.

8

Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.

9

Der Kläger ist im Juli 2016 nach Marokko zurückgekehrt. Mit Bescheid vom 24. November 2016 hat der Beklagte das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf den 25. Juli 2020 befristet.

Entscheidungsgründe

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Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur die Frage, ob der Kläger hinsichtlich des mit seiner Ausweisung kraft Gesetzes eingetretenen Einreise- und Aufenthaltsverbots - über den Bescheidungsausspruch des Berufungsgerichts hinaus - einen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung, hilfsweise zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren hat. Dieses Begehren hat sich nicht dadurch erledigt, dass der Beklagte - in Umsetzung der vom Berufungsgericht ausgesprochenen Verpflichtung zur Neubescheidung - das Einreise- und Aufenthaltsverbot inzwischen auf vier Jahre seit der Ausreise festgesetzt hat.

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Soweit der Kläger primär die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots erstrebt, ist die Revision mangels Zulassung nicht statthaft (1.). Hinsichtlich des auf Befristung gerichteten Hilfsantrags ist sie zwar zulässig, aber unbegründet. Das Berufungsurteil verstößt insoweit nicht gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Festsetzung einer bestimmten Frist von weniger als vier Jahren, da die Befristung im Ermessen der Ausländerbehörde liegt und die Voraussetzungen für eine Ermessensverdichtung zu seinen Gunsten nicht vorliegen (2.).

12

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der klägerischen Begehren ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. Urteil vom 6. März 2014 - 1 C 2.13 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 20 Rn. 6). Maßgeblich sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155). Durch die während des Revisionsverfahrens eingetretenen Gesetzesänderungen hat sich die Rechtslage hinsichtlich der hier maßgeblichen Regelungen in § 11 AufenthG aber nicht geändert.

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1. Die Revision ist hinsichtlich der vom Kläger mit seinem Hauptantrag begehrten Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots mangels Zulassung nicht statthaft.

14

Das Berufungsgericht hat die Revision (nur) zugelassen, soweit sich die Klage auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bezieht. Begründet hat es dies mit den in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretenen unterschiedlichen Auffassungen zum Rechtscharakter der Befristungsentscheidung (UA S. 33). Damit bezieht sich die Zulassung nur auf die vom Kläger hilfsweise begehrte Befristung und nicht (auch) auf die vorrangig angestrebte Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots. Zwar bedarf es nach dem Gesetzeswortlaut des § 11 Abs. 4 AufenthG ("kann") auch bei der Aufhebung einer Ermessensentscheidung. Die Frage des Rechtscharakters war für das Berufungsgericht insoweit aber nicht entscheidungserheblich, da es schon das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für eine Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 4 AufenthG verneint hat.

15

Die Beschränkung der Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht ist wirksam, weil es sich bei der Aufhebung und der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots prozessual um unterschiedliche Streitgegenstände handelt. Nach § 11 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer, der - wie der Kläger - ausgewiesen worden ist, weder erneut in das Bundesgebiet einreisen, noch sich darin aufhalten, noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden (Einreise- und Aufenthaltsverbot). Dieses (gesetzliche) Verbot ist nach § 11 Abs. 2 AufenthG gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung von Amts wegen zu befristen und kann unter den Voraussetzungen des § 11 Abs. 4 AufenthG aufgehoben oder nachträglich verkürzt oder verlängert werden. Mit dieser durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (AufenthBeendBlReNG) vom 27. Juli 2015 (BGBl. I S. 1386) eingeführten Differenzierung hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung des Senats aufgegriffen, wonach unter engen Voraussetzungen eine vollständige Beseitigung der Wirkungen einer Ausweisung ohne vorherige Ausreise geboten sein kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. März 2014 - 1 C 2.13 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 20 Rn. 13 m.w.N.), und hierfür in § 11 Abs. 4 AufenthG eine spezielle Rechtsgrundlage geschaffen (BT-Drs. 18/4097 S. 36 f.). Seit dieser gesetzlichen Neuordnung der Regelungen zur Beseitigung der Wirkungen einer Ausweisung bedarf die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots einer eigenständigen, von der Befristung zu trennenden Entscheidung, die von der Ausländerbehörde nicht nur nachträglich, sondern zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers auch schon zusammen mit der Ausweisung getroffen werden kann.

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2. Hinsichtlich des auf Befristung gerichteten Hilfsantrags ist die Revision zulässig, aber unbegründet.

17

Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass der Kläger insoweit - anstelle des im Berufungsverfahren gestellten Bescheidungsantrags - im Revisionsverfahren auf einen Verpflichtungsantrag übergegangen ist. Diese Neuformulierung des Klagebegehrens stellt keine nach § 142 Abs. 1 VwGO unzulässige Klageänderung dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. November 2004 - 1 C 23.03 - BVerwGE 122, 193 = juris Rn. 10). Der Kläger hat - über die vom Berufungsgericht ausgesprochene Verpflichtung der Behörde zur Neubescheidung hinaus - aber keinen Anspruch auf Verpflichtung zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren.

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Nach § 11 Abs. 2 AufenthG ist das mit einer Ausweisung verbundene Einreise- und Aufenthaltsverbot von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise und ist gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung festzusetzen. Über die Länge der Frist wird nach § 11 Abs. 3 AufenthG nach Ermessen entschieden (Satz 1). Die Frist darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht (Satz 2), und soll zehn Jahre nicht überschreiten (Satz 3).

19

Damit hat der Ausländer einen Anspruch auf eine Befristungsentscheidung zusammen mit der Ausweisungsverfügung ("ob"). Hinsichtlich der Länge der festzusetzenden Frist ("wie") bestimmt § 11 Abs. 3 AufenthG in seiner aktuellen Fassung ausdrücklich, dass hierüber im Rahmen der gesetzlichen Vorgabe nach Ermessen zu entscheiden ist, dass die Frist nur unter bestimmten Voraussetzungen fünf Jahre überschreiten darf und zehn Jahre nicht überschreiten soll. Mit dieser durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung im Jahr 2015 eingeführten Regelung hat der Gesetzgeber auf die Rechtsprechung des Senats reagiert, wonach die Bemessung der Frist nach Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht mehr im Ermessen der Ausländerbehörde stand, es sich vielmehr um eine gebundene Entscheidung handelte. Dies hat der Senat vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift mit dessen unionsrechtlicher Prägung durch die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger - Rückführungsrichtlinie - (ABl. L 348 S. 98) und der Bedeutung der Befristung für die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK begründet (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.). Mit der Änderung in § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wollte der Gesetzgeber den früheren Rechtszustand wieder herstellen, indem er den bisher offenen Wortlaut der Vorschrift konkretisiert und damit klargestellt hat, dass über die Dauer der Sperrfrist im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörden zu entscheiden ist (BT-Drs. 18/4097 S. 36).

20

Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass diese gesetzgeberische Entscheidung mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren ist. Die - jedenfalls in Bezug auf die Rechtsfolgen einer Ausweisung - gegenteilige Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim (Urteil vom 9. Dezember 2015 - 11 S 1857/15 - InfAuslR 2016, 138 = juris Rn. 25 ff.) überzeugt im Ergebnis nicht (so im Ergebnis auch VGH München, Urteil vom 28. Juni 2016 - 10 B 15.1854 - juris Rn. 49; OVG Koblenz, Urteil vom 8. November 2016 - 7 A 11058/15 - juris Rn. 26; Hailbronner, AuslR, Stand Februar 2017, § 11 AufenthG Rn. 72 ff.). Die Entscheidung des Senats vom 14. Februar 2012 (BVerwG 1 C 7.11) zu § 11 AufenthG a.F. erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihr ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen.

21

Eine gebundene Entscheidung folgt zunächst nicht aus der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie), und zwar ungeachtet der vom Senat bislang offengelassenen Frage, ob die Befristung der gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung an den Bestimmungen dieser Richtlinie zu messen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 45). Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG enthält mit Ausnahme der grundsätzlich geltenden Fünfjahresfrist keine weiteren inhaltlichen Vorgaben bezüglich der Dauer der Frist, sondern schreibt nur die Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls vor. Hierzu bedarf es nicht zwingend einer gebundenen Entscheidung. Auch dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 13 der Richtlinie 2008/115/EG ist nicht zu entnehmen, dass der Ausländerbehörde vom nationalen Gesetzgeber kein Ermessensspielraum eingeräumt werden darf. Denn die Wirksamkeit eines Rechtsbehelfs bezieht sich auf die umfassende gerichtliche Überprüfung der normativ vorgegebenen Grenzen behördlichen Handelns.

22

Die vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim herangezogenen strukturellen Erwägungen stehen einer Ermessensregelung ebenfalls nicht zwingend entgegen. Der Umstand, dass es sich bei der Ausweisung nach § 53 Abs. 1 AufenthG inzwischen um eine gebundene Entscheidung mit einer tatbestandsbezogenen Abwägung handelt, zwingt den Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht zu einer Regelung, nach der dies auch in Bezug auf die Dauer der mit der Ausweisung verbundenen gesetzlichen Rechtsfolgen der Fall sein muss. Die Ausgestaltung der Ausweisung als gerichtlich voll überprüfbare Abwägungsentscheidung ist auf das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel zurückzuführen, eine "Beschleunigung des Verfahrens und schnellere Rechtssicherheit" zu erreichen (BT-Drs. 18/4097 S. 49 f.). Gleichzeitig wollte der Gesetzgeber, dass über die Dauer der Sperrfrist von der zuständigen Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden ist (BT-Drs. 18/4097 S. 36). Dieser gesetzgeberischen Entscheidung stehen auch die vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim herangezogenen verfassungs- und menschenrechtlichen Vorgaben nicht entgegen. Die Befristung der gesetzlichen Wirkungen einer Ausweisung wirkt sich zwar mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK auf die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 33 m.w.N. aus der Rechtsprechung des EGMR). Die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung kann aber nicht nur durch eine gebundene Befristungsentscheidung sichergestellt werden. Denn auch bei einer Ermessensentscheidung ist die Frage der Verhältnismäßigkeit (auf der Rechtsfolgenseite) zu beachten.

23

Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert auch nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG), sowie unions- und konventionsrechtlich den Vorgaben aus Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 12. Dezember 2007 (BGBl. 2008 II S. 1165) und Art. 8 EMRK gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange. Da für die gerichtliche Überprüfung der Befristungsentscheidung - wie oben dargelegt - auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist, trifft die Ausländerbehörde auch während des gerichtlichen Verfahrens - wie nach altem Recht bei der Ermessensausweisung (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 20 m.w.N.) - eine Pflicht zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Befristungsentscheidung und ggf. zur Ergänzung ihrer Ermessenserwägungen.

24

Die behördliche Befristungsentscheidung unterliegt auch als Ermessensentscheidung über § 114 Abs. 1 Satz 1 VwGO einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle. Zutreffend weist das Berufungsgericht darauf hin, dass bei der Ermessensausübung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für die Behörde eine gesetzliche Ermessensgrenze darstellt, ein Verstoß dagegen zu einer Ermessensüberschreitung führt und der gerichtlichen Überprüfung nach § 114 Abs. 1 Satz 1 VwGO unterliegt. Nichts anderes gilt in Bezug auf unionsrechtlich zu beachtende Vorgaben. Die Entscheidung des Gesetzgebers, der Ausländerbehörde bei der Bestimmung der Frist einen gewissen Spielraum einzuräumen, führt daher im Ergebnis nicht zu einer Verschlechterung der Rechtsstellung des Betroffenen, da die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens von dem im Einzelfall zulässigen Höchstmaß der Frist nicht zu Lasten des Ausländers abweichen darf. Die Einhaltung dieser Obergrenze unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle.

25

Bei einer Ermessensentscheidung obliegt die konkrete Festsetzung der Dauer der Frist grundsätzlich der Ausländerbehörde. Setzt sie ermessensfehlerhaft eine zu lange Frist fest, ist diese Entscheidung im gerichtlichen Verfahren aufzuheben und die Behörde zur Neubescheidung zu verpflichten. Dabei kann das Gericht in den Entscheidungsgründen eine sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebende absolute Obergrenze für die Dauer der Frist festlegen. Verpflichtet sind die Gerichte hierzu aber nicht. Allerdings dürfte bei einem hinreichend geklärten Sachverhalt eine grobe Eingrenzung des zulässigen Rahmens der Ausländerbehörde eine sachgerechte Ermessensausübung regelmäßig erheblich erleichtern.

26

Die von der Behörde bei einer Neubescheidung zu beachtenden gerichtlichen Vorgaben können auch den Kläger (materiell) beschweren, denn die in einem rechtskräftigen Bescheidungsurteil (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO) verbindlich zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung des Gerichts wirkt sich auf die Rechtskraft im Sinne des § 121 VwGO aus. Folglich beschwert ein stattgebendes Bescheidungsurteil nicht allein die Behörde, sondern auch den Kläger, wenn sich die vom Gericht als verbindlich erklärte Rechtsauffassung nicht mit der des Klägers deckt und für ihn ungünstiger ist, so dass bei der erneuten Bescheidung auf ihrer Grundlage mit einem ungünstigeren Ergebnis zu rechnen ist als bei Anwendung der vom Kläger für richtig gehaltenen Rechtsansicht. Auf Grund der in § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO angeordneten Bindung an die einem Bescheidungsurteil zugrunde liegende Rechtsauffassung führt ein Rechtsmittel gegen ein solches Urteil auch dann zu einer anderen Entscheidung, wenn sich die Rechtsauffassung, die bei der Neubescheidung maßgebend sein soll, als unzutreffend erweist. In diesem Fall hat das Rechtsmittelgericht das angefochtene Urteil aufzuheben und ggf. selbst ein Bescheidungsurteil zu erlassen, in dem es seine eigene bei der Neubescheidung zu beachtende Rechtsauffassung zum Ausdruck bringt (vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Januar 1995 - 8 C 8.93 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 70 = juris Rn. 13 und vom 18. Juli 2013 - 5 C 8.12 - BVerwGE 147, 216 Rn. 15 f., jeweils m.w.N.).

27

In Anwendung dieser Grundsätze ist das Berufungsurteil nicht zu beanstanden. Da die Entscheidung über die Länge des Einreise- und Aufenthaltsverbots im Ermessen der Ausländerbehörde liegt, hat der Kläger einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf die von ihm begehrte Verpflichtung des Beklagten zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren nur im Falle einer entsprechenden Ermessensverdichtung zu seinen Gunsten. Hierfür ist auf der Grundlage der vom Kläger nicht angegriffenen tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nichts ersichtlich. § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG bestimmt lediglich, unter welchen Voraussetzungen die Frist fünf Jahre überschreiten darf. Dies steht hier nicht (mehr) im Streit, nachdem das Berufungsgericht festgestellt hat, dass diese Voraussetzungen nicht vorliegen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet unter den gegebenen Umständen nicht die Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren. Auch ansonsten weisen die vom Berufungsgericht seinem Bescheidungsausspruch zugrunde gelegten Erwägungen keine Rechtsfehler zu Lasten des Klägers auf. Das Berufungsgericht hat den Beklagten zur Neubescheidung verpflichtet, weil es der Auffassung war, dass die zusammen mit der Ausweisung festgesetzte Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots von sieben Jahren zu lang und damit ermessensfehlerhaft ist. In diesem Zusammenhang hat es der Behörde keine über die gesetzliche Grenze des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG hinausgehende, der revisionsgerichtlichen Rechtskontrolle unterliegende Obergrenze verbindlich vorgegeben, sondern lediglich angemerkt, dass eine Frist von mehr als vier Jahren nach den Umständen des Falls kaum vertretbar sein dürfte. Ob die vom Beklagten inzwischen - in Umsetzung der gerichtlichen Verpflichtung zur Neubescheidung - mit Bescheid vom 24. November 2016 verfügte Befristung auf vier Jahre ermessensfehlerfrei ergangen ist, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

28

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus Deutschland. Hilfsweise erstrebt er eine neue Entscheidung des Beklagten über die Befristung des mit der Ausweisung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots.

2

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volkszugehörigkeit. Er wurde 1973 in der Türkei geboren, ist verheiratet und hat sieben Kinder. Er reiste 1997 nach Deutschland ein und beantragte hier Asyl, da er in der Türkei wegen seines Engagements in prokurdischen Vereinen und Parteien sowie verwandtschaftlichen Beziehungen zu Guerillakämpfern der sog. Arbeiterpartei Kurdistans - PKK - an Leib und Leben bedroht sei. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) vom 9. Oktober 1997 wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach dem damaligen § 51 Abs. 1 AuslG 1990 zuerkannt und zu seinen Gunsten ein Abschiebungsverbot wegen drohender Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK (damals § 53 Abs. 4 AuslG 1990) festgestellt. Der Kläger ist lediglich sporadisch und für kurze Zeiträume einer Erwerbstätigkeit nachgegangen, gleiches gilt für seine Ehefrau. Er bezieht mit seiner Familie Leistungen nach dem SGB II.

3

Vom 1. April 1998 bis zum 1. Dezember 2009 war der Kläger im Besitz jeweils befristeter Aufenthaltstitel. Am 13. März 2009 teilte das Bundesamt der Ausländerbehörde mit, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 73 Abs. 1 oder 2 AsylVfG nicht vorlägen. Im März 2009 stellte der Kläger bei der Ausländerbehörde der Stadt M. einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Auf Anfrage teilte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg der Ausländerbehörde im Mai 2009 mit, dass hinsichtlich der Person des Klägers "Erkenntnisse" vorlägen, über die das Innenministerium Baden-Württemberg gesondert informiert worden sei. Dessen ungeachtet wurde dem Kläger am 4. Dezember 2009 ohne weitere Mitteilung zum Stand der Sicherheitsüberprüfung eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG erteilt.

4

Das Regierungspräsidium K. teilte dem Kläger mit Schreiben vom 23. Juli 2010 mit, dass die Niederlassungserlaubnis in Unkenntnis der Sicherheitsbedenken erteilt worden sei und derzeit deren Rücknahme und eine Ausweisung geprüft werde. Hierzu werde dem Kläger die Möglichkeit eines Sicherheitsgesprächs zur weiteren Aufklärung gegeben. Dieses fand im Februar 2011 statt; allerdings verweigerte der Kläger mit Ausnahme eines durch ihn ausgefüllten Fragebogens die weitere Mitwirkung.

5

Mit Verfügung vom 10. Januar 2012 wies das Regierungspräsidium K. den Kläger aus (Ziffer 1) und stützte sich dabei auf § 54 Nr. 5, § 56 Abs. 1, § 55 AufenthG a.F. Zudem wurde der Kläger verpflichtet, sich zweimal wöchentlich unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapiers bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, und sein Aufenthalt wurde auf den Bereich der Stadt M. begrenzt (Ziffer 2).

6

Die Ausweisung sei gerechtfertigt, weil Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Kläger Vereinigungen unterstütze, die ihrerseits den Terrorismus unterstützten. So habe der Kläger nach den vorliegenden Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in den Jahren 2001 bis 2010 regelmäßig an näher bezeichneten Veranstaltungen und Demonstrationen der PKK-Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL teilgenommen und sei teilweise auch selbst als Redner bei derartigen Veranstaltungen aufgetreten. Von 2001 bis 2003/2004 sei er Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Kurdischer Kulturverein e.V." in L. gewesen. Außerdem sei er seit langem Vorstandsmitglied und nunmehr sogar zweiter Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM). Die Ausweisung sei trotz des dem Kläger als anerkanntem Flüchtling zustehenden besonderen Ausweisungsschutzes aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt und auch mit Blick auf die Bleibeinteressen des Klägers verhältnismäßig. Sie führe zudem nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung, vielmehr bleibe seine Abschiebung ausgesetzt, da ihr Abschiebungsverbote aufgrund der Rechtsstellung des Klägers als Flüchtling sowie nach § 60 Abs. 5 AufenthG entgegenstünden. Die angeordnete zweimalige wöchentliche Meldepflicht und die räumliche Beschränkung auf den Stadtbezirk M. beruhten auf § 54a AufenthG (a.F.) und seien mit Blick auf die gebotene Überwachung des Klägers und zur Eindämmung seiner gefahrbegründenden Aktivitäten erforderlich und angemessen.

7

Das Verwaltungsgericht hat die gegen die Verfügung gerichtete Klage mit Urteil vom 27. Januar 2015 abgewiesen, zugleich aber den Beklagten verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf acht Jahre nach Ausreise des Klägers zu befristen. Mit Urteil vom 13. Januar 2016 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung zurückgewiesen. Dabei hat er die angefochtene Ausweisungsverfügung an der seit dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung des AufenthG gemessen. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof insbesondere ausgeführt: Im Fall des Klägers liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, weil der Kläger in überwiegend herausgehobener Funktion die PKK und damit eine terroristische oder den Terrorismus unterstützende Vereinigung unterstützt habe. Dabei seien allerdings nur Aktivitäten nach Juli 2010 heranzuziehen, also nach der an den Kläger gerichteten Mitteilung, wegen seiner Aktivitäten werde die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft. Als tatbestandserhebliches Unterstützen sei hiernach jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirke. Nach diesem Maßstab seien die im Urteil im Einzelnen näher bezeichneten und durch den Kläger in der Sache eingeräumten Betätigungen als Teilnehmer, Mitglied, Redner und Versammlungsleiter bei diversen die PKK unterstützenden Veranstaltungen sowie als Vorstandsmitglied der die PKK unterstützenden YEK-KOM und deren Nachfolgeorganisation NAV-DEM als Unterstützungshandlung zu werten. Angesichts des Ablaufs der Veranstaltungen, der dort gehaltenen Reden und der klaren Ausrichtung auf den Führerkult um den PKK-Führer Öcalan sowie gefallene Märtyrer bestünden für das Berufungsgericht keine Zweifel daran, dass sich der Kläger den Zielen der PKK verpflichtet fühle und sie mit seinem Tun unterstützen wolle.

8

Die Ausweisungsverfügung werde auch dem erhöhten Ausweisungsschutz gerecht, der dem Kläger als anerkanntem Flüchtling nach § 53 Abs. 3 AufenthG zustehe. Denn es lägen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU vor, wonach ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel widerrufen werden könne.

9

Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse stehe ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber. Denn er habe eine Niederlassungserlaubnis besessen, die gerade durch die Ausweisungsverfügung betroffen sei. Er lebe mit deutschen Familienangehörigen (sechs seiner Kinder) in familiärer Lebensgemeinschaft und übe sein Personensorgerecht für seine minderjährigen Kinder aus. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung überwiege jedoch das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers.

10

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Revision und rügt in mehrfacher Hinsicht eine Verletzung von Bundesrecht. Zunächst habe das Berufungsgericht den Begriff des "Unterstützens" in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG fehlerhaft ausgelegt und angewandt. Der von ihm in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht angewandte Unterstützungsbegriff sei rechtsstaatlich nicht hinreichend konkret. Jedenfalls auf der Grundlage des neuen, seit Jahresanfang 2016 geltenden Ausweisungsrechts, das nach "schwerwiegenden" und "besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen" differenziere, sei dieser Unterstützungsbegriff nicht mehr als Abgrenzungskriterium geeignet. Notwendig sei ein gefahrenabwehrrechtlich ausgerichteter Unterstützungsbegriff, der sich etwa in Anlehnung an strafrechtliche Zurechnungskriterien wie Anstiftung oder Beihilfe oder die im Strafrecht für Organisationsdelikte entwickelten Zurechnungskriterien gewinnen lassen könne.

11

Fehlerhaft sei zudem die Auslegung und Anwendung von § 53 Abs. 3 AufenthG im Hinblick auf die sich aus Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie ergebenden Voraussetzungen. Denn das Berufungsgericht habe weder festgestellt, dass der Kläger unmittelbar der PKK angehöre, noch dass sich die YEK-KOM oder die NAV-DEM selbst terroristischer Methoden bedienten. Weiterhin verkenne das Berufungsgericht die durch den Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) aufgestellten Anforderungen an die festzustellenden Unterstützungshandlungen. Danach sei insbesondere zu prüfen, ob der Betroffene selbst terroristische Handlungen begangen habe, ob und in welchem Maße er an der Planung, an Entscheidungen oder an der Anleitung anderer Personen zum Zwecke der Begehung solcher Handlungen beteiligt war und ob und in welchem Umfang er solche Handlungen finanziert oder anderen Personen die Mittel für ihre Begehung verschafft habe. Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts habe der EuGH damit nicht lediglich beispielhaft die in den maßgeblichen Vorlagefragen des Ausgangsverfahrens vorgehaltenen Handlungen herausgegriffen, sondern in einem abschließenden Sinne bestimmte Kriterien vorgegeben.

12

Weiter setze der Gefahrenbegriff des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine "konkrete Gefahr" voraus. Weder der Wortlaut noch die der Vorschrift zugrunde liegende Entstehungsgeschichte rechtfertigten eine Absenkung dieser Gefahrenschwelle. Das Berufungsgericht hätte daher prüfen müssen, ob der Kläger die für die objektive Unterstützung zu Grunde gelegten Tatsachen und Umstände gekannt und eine zweckgerichtete Unterstützung auch gewollt habe.

13

Schließlich habe das Berufungsgericht verkannt, dass dem Kläger nach dem Urteil des EuGH vom 24. Juni 2015 selbst dann, wenn ihm der Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie entzogen werden dürfe, für die Zeit der Fortdauer seines Flüchtlingsstatus die Rechte nach Kapitel VII dieser Richtlinie erhalten bleiben. Deshalb beantragte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hilfsweise, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass ihm auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie.

14

Der Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und tritt der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bei.

15

Während des Revisionsverfahrens hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 20. Oktober 2016 die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes für den Kläger widerrufen und entschieden, ihm weder die Flüchtlingseigenschaft noch den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Gegen den Bescheid hat der Kläger Klage erhoben.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist im Wesentlichen unbegründet. Das Berufungsgericht hat die Ausweisung des Klägers und die ihm auferlegte Meldepflicht und Aufenthaltsbeschränkung im Ergebnis zu Recht als rechtmäßig eingestuft. Allerdings war auf der Grundlage der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG der Beklagte zu einer nunmehr gebotenen Ermessensentscheidung über die festzusetzende Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG zu verpflichten.

17

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren des Klägers auf Aufhebung der Ausweisung (Ziffer 1 des Bescheids) sowie der Meldeauflagen und Aufenthaltsbeschränkung (Ziffer 2 des Bescheids). Aber auch der Streit über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs - im Berufungsverfahren und anschließend im Revisionsverfahren angefallen. Denn das Befristungsbegehren ist als Minus notwendiger Bestandteil des Begehrens auf Aufhebung einer Ausweisung und kann daher von den Parteien nicht gesondert aus dem Verfahren ausgegliedert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 28 ff.). Hiervon sind im Übrigen vorliegend auch die Parteien übereinstimmend ausgegangen.

18

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der Meldepflicht und der Aufenthaltsbeschränkung sowie der vom Kläger hilfsweise begehrten Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 8 m.w.N.). Der Entscheidung sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162) zugrunde zu legen, zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155).

19

A. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG, weil der Kläger anerkannter Flüchtling ist.

20

1. Nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht ergibt sich der Grundtatbestand der Ausweisung aus § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

21

Das neue Ausweisungsrecht gibt das mit dem Ausländergesetz 1990 eingeführte dreistufige Konzept der Ist-, Regel- und Kann-Ausweisung auf. Stattdessen hat sich der Gesetzgeber für ein einheitliches System der rechtlich gebundenen Ausweisung entschieden ("wird ausgewiesen"), das vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. § 54 AufenthG benennt konkret die Gründe, wann das Ausweisungsinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt und knüpft damit an Tatbestände der früheren Ist- und Regelausweisung an. In § 55 AufenthG werden - spiegelbildlich hierzu - Tatbestände normiert, denen zufolge das Bleibeinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt, wobei auch die Aufzählung der "schwer" wiegenden Bleibeinteressen nicht abschließend ist. In § 53 Abs. 2 AufenthG werden Gesichtspunkte genannt, die bei der Abwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sind, insbesondere die Dauer des Aufenthalts, Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, Folgen der Ausweisung für Angehörige und Partner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat.

22

Die Rechtsprechung des Senats, die ihrerseits Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aufgreift (vgl. Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <301 ff.> und vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 14 ff.), hat bei der Entwicklung des neuen Ausweisungsrechts eine entscheidende Rolle gespielt (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 25. Februar 2015, BT-Drs. 18/4097 S. 49). Dabei griff der Gesetzgeber Vorschläge zur Neuregelung des Ausweisungsrechts auf, die Vertreter der Rechtsprechung unterbreitet haben (vgl. Dörig, NVwZ 2010, 921 <922>; Bergmann, ZAR 2013, 318 <322> sowie Gesetzesvorschlag Bergmann/Dörig vom Januar 2014, veröffentlicht in: Barwig u.a., Steht das europäische Migrationsrecht unter Druck?, 2014, S. 111 f.). Die Ausweisung setzt nunmehr nach § 53 Abs. 1 AufenthG eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Sofern nach dieser Gesamtabwägung das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib in Deutschland überwiegt, wird der Ausländer ausgewiesen, andernfalls kommt eine Aufenthaltsbeendigung nach § 53 Abs. 1 AufenthG nicht in Betracht.

23

Die Tatbestandsmerkmale der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" im ausweisungsrechtlichen Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG sind nach der Begründung des Gesetzgebers im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Auch die Gefährdung dieser Schutzgüter bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten wird. Mit Blick auf die verwendeten Begriffe sollte keine Ausweitung des Gefahrenbegriffs gegenüber dem bislang geltenden Recht erfolgen, vielmehr sollten lediglich die bislang verwandten unterschiedlichen Formulierungen aneinander angeglichen werden. Die von § 53 Abs. 1 AufenthG geforderte Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers in Deutschland erfolgt dabei nach der Intention des Gesetzgebers nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar.

24

Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" (Absatz 1) oder als "schwerwiegend" (Absatz 2). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sind neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Interessen aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Die Katalogisierung schließt demnach die Berücksichtigung weiterer Umstände im Rahmen der nach § 53 Abs. 2 AufenthG zu treffenden Abwägungsentscheidung nicht aus. Dies folgt bereits aus dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG, ist aber für die schwerwiegenden, aufgrund der Vielgestaltigkeit der Lebenssituationen bewusst nicht abschließend aufgezählten Bleibeinteressen in § 55 Abs. 2 AufenthG nochmals ausdrücklich normiert. Die nunmehr als schwerwiegend oder besonders schwerwiegend qualifizierten Ausweisungsinteressen im Sinne von § 54 AufenthG decken sich weitgehend - aber nicht vollständig - mit den früheren Gründen für eine Regel- und Ist-Ausweisung, die schwerwiegenden und besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen greifen Fälle des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 AufenthG a.F. auf.

25

Bei der Abwägung sind schließlich gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht ("Boultif/Üner-Kriterien"). Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen.

26

Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht.

27

2. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG festgestellt. Ein solches liegt dann vor, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wobei hiervon u.a. dann auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Ausländer einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er (jedenfalls) eine solche Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, er nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.

28

a) Der Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist dem Wortlaut nach weitgehend an den früheren Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung angelehnt, auf den die Ausweisungsverfügung auch ursprünglich gestützt war. Das Berufungsgericht hat für die Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu Recht dieselben rechtlichen Maßstäbe herangezogen, die der Senat zur Auslegung des früheren Regelausweisungstatbestandes nach § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung entwickelt hat.

29

In der Rechtsprechung des Senats war die Auslegung des Regelausweisungstatbestands des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung weitgehend geklärt. So ist anerkannt, dass eine Vereinigung den Terrorismus unterstützt, wenn sie sich selbst terroristisch betätigt oder wenn sie die Begehung terroristischer Taten durch Dritte veranlasst, fördert oder befürwortet. Die Schwelle der Strafbarkeit muss dabei nicht überschritten sein, da die Vorschrift der präventiven Gefahrenabwehr dient und auch die Vorfeldunterstützung durch sogenannte Sympathiewerbung erfasst. Der Tatbestand des Unterstützens des Terrorismus durch eine Vereinigung setzt allerdings voraus, dass die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung (auch) auf die Unterstützung des Terrorismus gerichtet sind; ein bloßes Ausnutzen der Strukturen einer Vereinigung durch Dritte in Einzelfällen reicht hierfür nicht aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 20 ff. und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 13 ff.).

30

Für den im Gesetz verwandten Begriff des Terrorismus sind Versuche, auf völkerrechtlicher Ebene eine allgemein anerkannte vertragliche Definition zu entwickeln, nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen. Jedoch können wesentliche Kriterien aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft im Beschluss des Rates Nr. 2002/475/JI vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (ABl. L 164 S. 3) sowie dem gemeinsamen Standpunkt des Rates 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001 (ABl. L 344 S. 93) gewonnen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die Aufnahme einer Organisation in die vom Rat der Europäischen Union angenommene Liste terroristischer Organisationen im Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93 - vgl. auch ABl. L 116 vom 3. Mai 2002, S. 75) ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass die Organisation terroristischer Art ist oder im Verdacht steht, eine solche zu sein (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 [ECLI:EU:C:2015:413], H.T./Land Baden-Württemberg - Rn. 83). Hier sind von den Tatsachengerichten ergänzende Feststellungen zu treffen. Dabei ist trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs anerkannt, dass als terroristisch jedenfalls der Einsatz gemeingefährlicher Waffen und Angriffe auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen sind (Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>, vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 19 und Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 10 C 48.07 - BVerwGE 132, 79 <87> m.w.N.).

31

Weiterhin ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass die individuelle Unterstützung einer terroristischen Vereinigung oder einer Vereinigung, die eine terroristische Vereinigung unterstützt, im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. alle Verhaltensweisen erfasst, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeit der Vereinigung auswirken. Darunter kann die Mitgliedschaft in der terroristischen oder in der unterstützenden Vereinigung ebenso zu verstehen sein wie eine Tätigkeit für eine solche Vereinigung ohne gleichzeitige Mitgliedschaft. Auch die bloße Teilnahme an Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen kann eine Unterstützung in diesem Sinne darstellen, wenn sie geeignet ist, eine positive Außenwirkung im Hinblick auf die durch § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. missbilligten Ziele zu entfalten. Auf einen nachweisbaren oder messbaren Nutzen für diese Ziele kommt es nicht an, ebenso wenig auf die subjektive Vorwerfbarkeit der Unterstützungshandlungen. Im Hinblick auf den Schutz der Meinungsfreiheit und das Gebot der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Betätigungsfreiheit des Einzelnen erfüllen allerdings solche Handlungen den Tatbestand der individuellen Unterstützung nicht, die erkennbar nur auf einzelne, mit terroristischen Zielen und Mitteln nicht im Zusammenhang stehende - etwa humanitäre oder politische - Ziele der Vereinigung gerichtet sind. Für den Ausländer muss schließlich die eine Unterstützung der Vereinigung, ihrer Bestrebungen oder ihrer Tätigkeit bezweckende Zielrichtung seines Handelns erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auf eine darüber hinaus gehende innere Einstellung des Ausländers kommt es hingegen nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 15 und 18 m.w.N.).

32

Diese vom Senat zur Auslegung von § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. entwickelten Grundsätze lassen sich entgegen dem Vorbringen der Revision auch auf den Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung nach dem neu gefassten § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG übertragen. Ein Vergleich der Textfassungen ergibt, dass der Gesetzgeber die früheren Regelausweisungstatbestände nach § 54 Nr. 5, 5a und 5b AufenthG a.F. in der neuen Vorschrift des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zusammengefasst hat, wobei unter den vorliegenden Umständen die Fälle staatsgefährdender Gewalttaten nach § 89a StGB außer Betracht bleiben können. Gegenüber dem früheren Recht ist der Hinweis entfallen, dass eine Ausweisung auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen nur gestützt werden kann, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Eine Änderung der materiellen Rechtslage ist damit aber nicht verbunden, da auch nach neuem Recht eine fortbestehende Gefahr erforderlich ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ("gefährdet") und ist implizit auch dem neuen Zusatz in § 54 Abs. 1 Nr. 2 letzter Halbsatz AufenthG zu entnehmen, wonach von einer Gefährdung nicht auszugehen ist, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt.

33

Den Gesetzgebungsmaterialien ist nichts dafür zu entnehmen, dass sich der Gesetzgeber hinsichtlich des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung für eine Abkehr von dem bisherigen Verständnis des Ausweisungstatbestandes hat entscheiden wollen. Zwar hat er in Satz 2 einen Halbsatz neu eingefügt, wonach ein Unterstützen nicht vorliegt, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt. Das stellt jedoch keine inhaltliche Änderung des Unterstützerbegriffs dar, sondern normiert lediglich ein in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits entwickeltes Kriterium zur individuellen Zurechnung eines Unterstützerverhaltens. Denn der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die objektive Tatsache der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in der Vergangenheit dem Ausländer dann nicht mehr zugerechnet werden kann, wenn er sich glaubhaft hiervon distanziert (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <131>, vom 30. April 2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 35 und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 17). Die nunmehr normierten Tatbestandsmerkmale lassen keine Abkehr von der Senatsrechtsprechung erkennen, denn ein "erkennbares Abstandnehmen" vom sicherheitsgefährdenden Handeln entspricht dem Distanzieren im Sinne der Senatsrechtsprechung. Allerdings findet sich in der Begründung zu dieser Neuregelung die Aussage, die Möglichkeit der "Exkulpation" zeige, dass der Betroffene Kenntnis davon gehabt haben müsse, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstütze, der "undolose Unterstützer" daher nicht unter die Regelung falle (BT-Drs. 18/4097 S. 51). Aus diesem Satz in der Gesetzesbegründung könnte man ableiten, der Gesetzgeber habe eine Regelung treffen wollen, nach der für die subjektive Seite des Unterstützens mehr erforderlich ist (Vorsatz) als nach dem bisherigen Verständnis (Erkennbarkeit). Wäre dies tatsächlich so Gesetz geworden, hätte dies eine nicht unerhebliche Einschränkung der Rechtsprechung zur subjektiven Zurechnung bedeutet, nach der es ausreicht, dass der Ausländer erkennen konnte, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstützt. Die Begründung hat jedoch im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden, denn nach diesem wird Vorsatz im Hinblick auf die terroristische Betätigung der unterstützten Vereinigung nicht verlangt. Es reicht somit auch für die Erfüllung des subjektiven Unterstützertatbestands weiterhin die Erkennbarkeit einer terroristischen Betätigung der Vereinigung aus. Vorsatz bleibt hingegen weiter erforderlich für das eigene Handeln des Ausländers, das von dem Ziel geleitet sein muss, die Vereinigung zu unterstützen. Für diese Auslegung spricht auch, dass der Gesetzgeber der Vorfeldunterstützung des Terrorismus durch die Gesetzesänderung erhöhte Bedeutung beimessen wollte, indem er den bisher als Tatbestand für eine Regelausweisung normierten Ausweisungsgrund zu einem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 AufenthG heraufstufte, was im bisherigen Recht dem Tatbestand einer zwingenden Ausweisung entsprochen hätte. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass das stärkere Gewicht, das der Gesetzgeber diesem Ausweisungsinteresse beimessen wollte (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 23), mit einer engeren Interpretation seiner Tatbestandsmerkmale einhergehen sollte.

34

Eine vom früheren Begriffsverständnis abweichende Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass dieser bisher eigenständige Tatbestand nunmehr in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG funktional mit einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verknüpft wird ("hiervon ist auszugehen, wenn"). Vielmehr ergibt eine systematische Auslegung der Vorschrift, dass der Inhalt des Ausweisungstatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung unverändert geblieben ist, während der Begriff der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland eine Erweiterung erfahren hat. Denn der Gesetzgeber hat mit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr kraft Gesetzes definiert, wann von einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen ist, nämlich (jedenfalls) dann, wenn eine der dort genannten Tatbestandsalternativen erfüllt ist. Die Auslegung des Begriffs der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland richtet sich daher (auch) nach diesen Tatbestandsalternativen, nicht umgekehrt. Anderes lässt sich hinsichtlich des Gefahrenmaßstabs auch nicht der Regelung des § 53 Abs. 1 AufenthG entnehmen. Denn anders als bei den übrigen Ausweisungsinteressen hat der Gesetzgeber in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG das Erfordernis einer Gefahr (nochmals) ausdrücklich aufgeführt, was unter systematischen Gesichtspunkten für eine gewisse Eigenständigkeit des Gefahrentatbestandes gegenüber § 53 Abs. 1 AufenthG fruchtbar gemacht werden kann. Es gilt damit nunmehr, dass das Gesetz bereits die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Bundesgebiet als eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ansieht, unabhängig davon ob die terroristische Vereinigung Gewaltakte auch auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland oder gegen deutsche Einrichtungen im Ausland begeht. Weiterhin gilt jedenfalls für die Fälle des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ein abgesenkter Gefahrenmaßstab, der auch Vorfeldmaßnahmen erfasst und keine von der Person des Unterstützers ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefahr erfordert. Die Rechtsprechung des Senats zur Unterstützung des Terrorismus durch Handlungen in dessen Vorfeld hat dem Rechnung zu tragen und dabei auch die Bedeutung zu berücksichtigen, die der Unionsgesetzgeber dieser Vorfeldunterstützung durch den Erwägungsgrund 37 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 S. 9) - EU-Anerkennungsrichtlinie - beimisst.

35

Ein Anlass für eine verfassungsrechtliche Neubewertung des Gefahrenmaßstabs besteht entgegen dem umfangreichen Revisionsvorbringen nicht. In der Rechtsprechung des Senats ist seit dem Urteil zum Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus - Terrorismusbekämpfungsgesetz - vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361, 3142) anerkannt, dass der Unterstützungsbegriff weit auszulegen und anzuwenden ist, um damit der auch völkerrechtlich begründeten Zielsetzung des Gesetzes gerecht zu werden, dem Terrorismus schon im Vorfeld die logistische Basis zu entziehen (BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <127 ff.>). Maßgeblich ist, inwieweit das festgestellte Verhalten des Einzelnen zu den latenten Gefahren der Vorfeldunterstützung des Terrorismus nicht nur ganz unwesentlich oder geringfügig beiträgt und deshalb selbst potenziell gefährlich erscheint. Wegen der tatbestandlichen Weite des Unterstützungsbegriffs ist allerdings bei der Anwendung der Vorschrift darauf zu achten, dass nicht unverhältnismäßig namentlich in das auch Ausländern zustehende Recht auf freie Meinungsäußerung jenseits der zumindest mittelbaren Billigung terroristischer Bestrebungen eingegriffen wird. Einen bislang nicht berücksichtigten verfassungsrechtlichen Rechtssatz, der den so umschriebenen Ausgleich zwischen dem legitimen und schon wegen seiner völkerrechtlichen Vorgaben besonders gewichtigen gesetzgeberischen Ziel der Terrorismusbekämpfung und den geschützten Grundrechtspositionen eines Ausländers infrage stellen würde, zeigt die Revision nicht auf. Insbesondere sprechen der Charakter der Ausweisung als Maßnahme der Gefahrenabwehr sowie die spezifische Zielsetzung der Terrorismusbekämpfung gegen eine Übertragung strafrechtlicher Rechtsprechungsgrundsätze, wie sie etwa für die Abgrenzung strafbarer und straffreier Meinungsäußerungen gelten. Der Senat hält auch unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an seiner bisherigen Rechtsprechung fest.

36

b) Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG angenommen. Dies gilt sowohl für die Qualifizierung der PKK als terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung (aa) als auch - jedenfalls im Ergebnis - für die Qualifizierung der Handlungen des Klägers als relevante Unterstützungshandlungen (bb). Ebenso wenig zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen hat (cc).

37

(aa) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Qualifizierung der PKK als eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Das Gericht legt seiner Entscheidung die in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze für die Definition einer terroristischen Vereinigung zugrunde (UA Bl. 27 f.) und geht damit von einem zutreffenden Maßstab aus. Für die Bewertung der PKK als eine solche Vereinigung hat das Gericht zunächst darauf abgestellt, dass sie auch noch aktuell auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist, ohne diesem Umstand eine über einen deutlichen Anhaltspunkt hinausgehende Bedeutung beizumessen (UA Bl. 31). Hieran anknüpfend hat das Berufungsgericht sodann auf der Grundlage der ihm vorliegenden Erkenntnismittel festgestellt, dass die PKK zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele in der Türkei weiterhin Gewalttaten gegen staatliche Einrichtungen und Amtsträger sowie die Zivilbevölkerung verübt und im Übrigen etwa zur Finanzierung ihrer Aktivitäten oder zur Bekämpfung von Kritikern auch nicht vor Verbrechen gegenüber ihren eigenen Anhängern und auch darüber hinaus gegenüber der kurdischstämmigen Bevölkerung insgesamt zurückschreckt. Insbesondere sei die zwischen dem türkischen Staat und der PKK ausgehandelte (relative) Waffenruhe seitens der PKK zuletzt Ende Juli 2015 ausdrücklich aufgekündigt worden (UA Bl. 32 f.). Diese tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts sind von der Revision nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen worden und daher für den Senat bindend. Sie erlauben dem Senat zudem eine eigene rechtliche Bewertung des Inhalts, dass die PKK eine terroristische Vereinigung darstellt und nicht lediglich eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung.

38

(bb) Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist auch die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, dass der Kläger die PKK in rechtserheblicher Weise individuell unterstützt hat. Allerdings ist das Gericht unter Verstoß gegen Bundesrecht davon ausgegangen, dass zu Lasten des Klägers nur solche Unterstützungshandlungen berücksichtigt werden dürfen, die in zeitlicher Hinsicht nach der Mitteilung des Regierungspräsidiums vom Juli 2010 lagen, wonach eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft würden.

39

Das Berufungsgericht ist insoweit rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass ein Ausweisungsinteresse bereits dann aus Gründen des Vertrauensschutzes verbraucht ist und nicht mehr zur Begründung einer Ausweisung herangezogen werden kann, wenn ein Aufenthaltstitel in Kenntnis oder dem Staat zuzurechnender Unkenntnis erteilt oder verlängert wurde (UA S. 34 f.). Zwar ist in der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich anerkannt ist, dass Ausweisungsgründe in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und so lange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind und die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <313> und vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <121 f.>). Aus der Ableitung dieser Kriterien aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt jedoch, dass die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Aus der Rechtsprechung des Senats ergibt sich zudem, dass ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers schützenswert sein muss. Hieran fehlt es, wenn die Ausländerbehörde - wie vorliegend - dem Kläger auf dessen Anfrage zum Stand des Verfahrens auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis lediglich mitteilt, dass gegenwärtig noch eine Sicherheitsüberprüfung stattfinde, und dann zu einem späteren Zeitpunkt ohne jegliche Erläuterung zum Ausgang der Sicherheitsüberprüfung die begehrte Niederlassungserlaubnis erteilt. Auf dieser Grundlage kann der Betroffene nämlich weder wissen, welchen konkreten Umständen die Ausländerbehörde im Rahmen ihrer Sicherheitsüberprüfung nachgegangen ist, noch zu welchen konkreten Erkenntnissen sie hierbei nach Abschluss der Überprüfung gelangt ist. Daher kann der Betroffene aus der Erteilung der Niederlassungserlaubnis billigerweise auch nicht schließen, dass die Ausländerbehörde bei ihrer Sicherheitsüberprüfung alle als potentielle Versagungsgründe in Betracht kommenden Umstände tatsächlich ermittelt und sodann als für die Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis unbeachtlich eingestuft hat.

40

Das angefochtene Urteil beruht jedoch nicht auf diesem Rechtsverstoß, weil das Berufungsgericht auch ohne Berücksichtigung der vor dem für maßgeblich erachteten Zeitpunkt liegenden Umstände von rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen des Klägers ausgegangen ist und die diesbezüglichen Feststellungen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sind. Im Übrigen wäre der Kläger durch die Nichtberücksichtigung weiterer, ihn belastender Umstände auch nicht beschwert. Im Einzelnen hat das Berufungsgericht für die Bestimmung der rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen zutreffend auf die in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäbe zu § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung abgestellt (UA Bl. 35 ff.). Keine abweichende Beurteilung ergibt sich aus dem Einwand des Klägers, die PKK nicht unmittelbar unterstützt zu haben, sondern sich in legalen Vereinigungen betätigt zu haben, die ihrerseits die PKK im Wissen um deren Charakter gewollt und gezielt unterstützen. Denn es stellt keine verminderte Gefahr der Vorfeldunterstützung des Terrorismus dar, wenn die Unterstützung terroristischer Vereinigungen nicht durch isolierte Einzelhandlungen, sondern in Vereinigung mit anderen erfolgt. Hierin liegt auch kein Fehlen der Unmittelbarkeit der Unterstützungshandlungen.

41

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht sodann nach Auswertung der ihm vorliegenden umfangreichen Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden festgestellt, dass der Kläger über mehrere Jahre in teils hervorgehobener Funktion als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter oder Redner regelmäßig an Veranstaltungen teilgenommen und mitgewirkt hat, bei denen offene Propaganda für die PKK betrieben worden ist (UA Bl. 39 - 42). Unter Einbeziehung der Aktivitäten des Klägers in der Zeit seit 2001, wie sie in der Ausweisungsverfügung (S. 3 - 9, 16 - 23) aufgelistet, vom Kläger nicht in Abrede gestellt und vom Berufungsgericht in Bezug genommen worden sind (UA S. 39 f.), stellt sich das Unterstützungshandeln des Klägers wie folgt dar: Der Kläger war von 2001 bis 2003/2004 Vorsitzender des "Kurdischen Kulturverein e.V." in L., der der KONGRA-GEL nahestand. Im Oktober 2004 wurde er in das 15-köpfige Führungskomitee der "Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland" (YEK-KOM) gewählt und gehörte diesem bis zur Auflösung der YEK-KOM im Jahr 2014 an, zeitweilig (bis 2011) war er der 2. Vorsitzende der Vereinigung. Er hat sich im Juni 2014 in den fünfköpfigen Vorstand der die PKK unterstützenden NAV-DEM wählen lassen und diese Vorstandstätigkeit bis zum Tage der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausgeübt (UA Bl. 43 - 45).

42

Der Kläger beteiligte sich seit Mitte 2003 regelmäßig an Kundgebungen und Demonstrationen in unterschiedlichen deutschen Städten (u.a. Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg, Frankfurt, Gelsenkirchen, Düsseldorf, Stuttgart) und in Straßburg/Frankreich, die sich unter anderem für eine Freilassung des inhaftierten PKK-Führers Öcalan aussprachen, des Gründungsjahrestags der PKK und/oder der "Märtyrer des kurdischen Freiheitskampfes" gedachten und Parolen auf die PKK ausriefen. Der Kläger hielt auf einigen dieser Veranstaltungen eine Rede, im Februar 2007 hob er dabei die Bedeutung der Gefallenen für die kurdische Sache hervor, im Januar 2009 sprach er zur aktuellen Lage der Kurden in ihrer Heimat, im März 2010 kritisierte er die Exekutivmaßnahmen der belgischen Polizei gegenüber dem kurdischen TV-Sender ROJ-TV, im November 2011 sprach er auf einer Kundgebung, die zum Thema u.a. die Verwendung von Napalmgas und chemischer Waffen gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei hatte, im Januar 2013 verurteilte er auf einer Kundgebung die Ermordung von drei PKK-Aktivisten in Paris, im Oktober 2015 hielt er anlässlich einer Protestaktion der NAV-DEM in Frankfurt eine Rede.

43

Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger nicht nur seine individuellen Unterstützungshandlungen, sondern sämtliche Aktionen der YEK-KOM und der NAV-DEM aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied persönlich zuzurechnen sind. Die YEK-KOM, der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK nach den gerichtlichen Feststellungen durch eine Vielzahl von Aktionen. Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen oder ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie "Freiheit für Öcalan" und "Frieden für Kurdistan". Im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die "logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans" verankert. Der Verein biete der PKK oder ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Für die NAV-DEM gilt nach den getroffenen Feststellungen nichts anderes. Der Verein sei keine Neugründung, sondern eine Umbenennung des Vereins YEK-KOM. Im Übrigen werde deutlich, dass die NAV-DEM ihre Veranstaltungen und Kundgebungen mit gleichem Ablauf und gleichen Themen durchführe wie zuvor schon unter dem Namen YEK-KOM. Diese zutreffende Würdigung bedeutet auch nicht, dass jeder Einsatz für die Interessen und Belange kurdischer Volkszugehöriger (oder eine Kritik an der Kurdenpolitik der Türkischen Republik) als eine Unterstützung der PKK und damit des Terrorismus einzuordnen wäre.

44

(cc) Soweit schließlich nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausscheidet, wenn der Ausländer ernsthaft und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt, hat das Berufungsgericht ebenfalls in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der Kläger ausweislich seines auch während des Ausweisungsverfahrens fortgesetzten Engagements als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter und Redner auch künftig an seiner Unterstützung der PKK festhalten wird. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Unterstützerverhalten des Klägers sind detailreich und stellen - entgegen der Auffassung der Revision - keine zu schmale Tatsachengrundlage für die getroffenen Feststellungen dar. Damit erfüllt der Kläger die gesetzlichen Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, und es liegt ein Ausweisungsinteresse vor, das besonders schwer wiegt.

45

3. Die angefochtene Verfügung des Beklagten erfüllt auch die besonderen Voraussetzungen, die nach § 53 Abs. 3 AufenthG an die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings zu stellen sind. Ein solcher darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

46

a) Diese den Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG ergänzende Vorschrift legt erhöhte Ausweisungsvoraussetzungen für mehrere rechtlich privilegierte Personengruppen fest, nämlich für Ausländer, die als Asylberechtigte anerkannt sind, die im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießen, die einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention besitzen, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder die eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU besitzen. Für all diese Personengruppen gilt der besondere aus Art. 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG abgeleitete Maßstab, den der Gerichtshof der Europäischen Union auch auf Ausländer erstreckt hat, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - C-371/08 [ECLI:EU:C:2011:809], Ziebell - Slg. 2011, I-12735 Rn. 79, 86). Der Senat folgt nicht der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, wonach die Voraussetzungen des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 53 Abs. 3 AufenthG von vornherein "bereichsspezifisch" gemäß dem durch das Unionsrecht für den jeweiligen Personenkreis bestimmten Ausweisungsschutz auszulegen sind. Vielmehr hat der Gesetzgeber den unionsrechtlichen Schutzstandard für daueraufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige für ausreichend befunden und dessen Geltung für alle genannten Personengruppen angeordnet. Dies entbindet freilich nicht davon, in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob für die jeweils betrachtete Personengruppe der so durch den nationalen Gesetzgeber definierte Ausweisungsschutz dem unionsrechtlichen Maßstab tatsächlich genügt. Nur wenn der unionsrechtliche Maßstab strenger ist als derjenige, der durch den Gesetzgeber in § 53 Abs. 3 AufenthG festgelegt worden ist, bedarf § 53 Abs. 3 AufenthG nach allgemeinen Grundsätzen einer unionsrechtskonformen Auslegung, die angesichts der Weite der Tatbestandsmerkmale und des erkennbaren gesetzgeberischen Willens, europarechtlichen Maßstäben zu genügen, auch möglich ist (so auch Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 54).

47

Im vorliegenden Fall ist § 53 Abs. 3 AufenthG unionsrechtskonform nach den Vorgaben der EU-Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU auszulegen. Die Richtlinie formuliert keine Vorgaben für eine Ausweisung im Sinne des deutschen Rechts, wohl aber für eine Zurückweisung in den Herkunftsstaat (Art. 21 Abs. 2 und 3) und für den Entzug des Aufenthaltstitels (Art. 24 Abs. 1).

48

b) Nach Art. 21 Abs. 3 der EU-Anerkennungsrichtlinie darf ein Mitgliedstaat den einem Flüchtling erteilten Aufenthaltstitel widerrufen, wenn die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 2 vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 2012 - 1 C 8.11 - BVerwGE 143, 138 Rn. 21). Fällt ein Flüchtling nicht in den Anwendungsbereich von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie, kann auch Abs. 3 dieser Vorschrift nicht zu Anwendung kommen (EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 - Rn. 44). Eine Zurückweisung ist nach Art. 21 Abs. 2 Buchst. a zulässig, wenn es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass der Flüchtling eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält. Es kann offenbleiben, ob vom Kläger eine Gefahr im Sinne dieser Vorschrift ausgeht, denn die Zurückweisung ist nur unter der weiteren Voraussetzung rechtmäßig, dass sie dem Mitgliedstaat nicht aufgrund seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen untersagt ist (Art. 21 Abs. 2). Dazu zählen die Verpflichtungen aus Art. 3 EMRK (vgl. Begründung der Kommission im Richtlinienvorschlag vom 12. September 2001 KOM (2001) 510 endg. S. 33 zu Art. 19). Dem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK kommt absoluter Charakter zu; es kann mithin - anders als das Refoulement-Verbot nach Art. 33 Abs. 1 GFK - nicht unter den Voraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 Richtlinie 2011/95/EU i.V.m. Art. 35 Abs. 2 GFK durchbrochen werden (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 5. April 2016 - C-404/15 und C-659/15 PPU [ECLI:EU:C:2016:198], Aranyosi und Căldăraru - Rn. 85 - 87; EGMR, Urteil vom 17. Dezember 1996 - Nr. 71/1995/577/663, Ahmed/Österreich - NVwZ 1997, 1100 Rn. 39 - 41). Für den Kläger besteht ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK. Denn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat im Anerkennungsbescheid vom 9. Oktober 1997 nicht nur die Flüchtlingseigenschaft des Klägers nach dem seinerzeit maßgeblichen § 51 Abs. 1 AuslG 1990, sondern auch ein Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990 hinsichtlich der Türkei festgestellt und dieses damit begründet, dass dem Kläger in der Türkei unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Diese Feststellung des Bundesamts begründet hier ein - absolutes - nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Insoweit kommt der Feststellung des Bundesamts im vorliegenden Verfahren über § 42 AsylG auch Bindungswirkung zu. Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU begrenzt damit den behördlichen Handlungsspielraum für eine Abschiebung in einen Verfolgerstaat oder einen Staat, in dem Gefahren nach Art. 3 EMRK drohen. Die Vorschrift setzt jedoch keine Maßstäbe für eine lediglich "inlandsbezogene" Ausweisung, die - wie hier - insbesondere den Verlust des Aufenthaltstitels zur Folge hat.

49

c) Unionsrechtliche Maßstäbe für eine zum Verlust des Aufenthaltstitels eines Flüchtlings führende inlandsbezogene Ausweisung lassen sich aus Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie gewinnen. Die Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten, einem Flüchtling so bald wie möglich nach der Anerkennung einen Aufenthaltstitel auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.

50

(aa) Der Inhalt dieser Norm wurde vom Gerichtshof der Europäischen Union in einem auf ein Vorlageersuchen des Berufungsgerichts ergangenen Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) näher bestimmt. Die Entscheidung bezieht sich zwar auf Art. 24 Abs. 1 der EG-Anerkennungsrichtlinie 2004/83/EG, ihre Aussagen sind aber uneingeschränkt auf die in der Sache unveränderte Vorschrift des Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU übertragbar. Danach kann einem Flüchtling nach Art. 24 Abs. 1 nicht nur die Erteilung eines Aufenthaltstitels versagt werden, sondern der erteilte Aufenthaltstitel auch nachträglich widerrufen werden, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen (a.a.O. Rn. 55). Soweit in der Neufassung der Vorschrift nunmehr von zwingenden Gründen der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung die Rede ist, ist damit keine inhaltliche Änderung verbunden. Diese Wirkung einer Entziehung des Aufenthaltstitels kommt der hier verfügten Ausweisung zu, die wegen des entgegenstehenden Abschiebungsverbots nach Art. 3 EMRK nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung führt. Entgegen einer am Wortlaut orientierten Auslegung von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie hat der darin verwendete Begriff der "zwingenden Gründe" nach dem EuGH-Urteil eine weitere Bedeutung als der Begriff der "stichhaltigen Gründe" in Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie. Das bedeutet, dass bestimmte Umstände, die nicht den Schweregrad aufweisen, um eine Zurückweisung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie verfügen zu können, den Mitgliedstaat gleichwohl dazu berechtigen können, auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie dem betroffenen Flüchtling seinen Aufenthaltstitel zu entziehen (a.a.O. Rn. 75).

51

Bei der Bestimmung des Bedeutungsgehalts der "zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" hat der EuGH zunächst Bezug auf seine Rechtsprechung zu den Begriffen der "öffentlichen Sicherheit" und der "öffentlichen Ordnung" in Art. 27 und 28 der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG genommen (a.a.O. Rn. 77 ff.). Danach umfasst der Begriff "öffentliche Sicherheit" im Sinne von Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats. Die öffentliche Sicherheit kann danach berührt sein, wenn das Funktionieren staatlicher Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste beeinträchtigt wird oder eine Gefahr für das Überleben der Bevölkerung oder einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker besteht oder militärische Interessen beeinträchtigt werden. Dabei deutet der Begriff der "zwingenden Gründe" auf einen besonders hohen Schweregrad der Beeinträchtigung hin (a.a.O. Rn. 78). Den Begriff der "öffentlichen Ordnung" hat der EuGH für die Unionsbürgerrichtlinie dahin ausgelegt, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliegen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (a.a.O. Rn. 79). Zugleich betont er, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, nach ihren nationalen Bedürfnissen, die je nach Mitgliedstaat und Zeitpunkt unterschiedlich sein können, zu bestimmen, was die öffentliche Ordnung und Sicherheit erfordern (a.a.O. Rn. 77).

52

Für den Fall der Unterstützung des Terrorismus hat der EuGH zudem auf den 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83/EG, heute 37. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95/EU hingewiesen, wonach der Begriff der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" auch für die Fälle gilt, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt. Dabei muss das nationale Gericht in einem ersten Schritt prüfen, ob die Handlungen der fraglichen Organisation die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedrohen. Wird eine vom Flüchtling unterstützte Vereinigung in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93) geführt, ist dies ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie entweder eine terroristische Organisation ist oder im Verdacht steht, eine solche Organisation zu sein (a.a.O. Rn. 83). Allein der Umstand, dass ein Flüchtling eine solche Organisation unterstützt hat, darf jedoch nicht automatisch zur Aufhebung seines Aufenthaltstitels führen. Vielmehr ist in einem zweiten Schritt einzelfallbezogen die Rolle zu prüfen, die der Betreffende im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt hat (a.a.O. Rn. 90), und auch der Schweregrad der Gefahr zu beurteilen, die von seinen Handlungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (a.a.O. Rn. 92).

53

(bb) Das Berufungsgericht hat die vom Kläger geleisteten und ihm zuzurechnenden Unterstützungshandlungen an dem vom EuGH präzisierten Maßstab für die Auslegung des Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie gemessen und ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass sich hieraus zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ergeben, die einen Entzug des Aufenthaltstitels gegenüber dem Kläger rechtfertigen. Das Gericht hat bereits im Rahmen seiner Prüfung des besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausführlich begründet, warum die PKK eine terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung darstellt (UA S. 27 - 34). Dabei hat es gewürdigt, dass die PKK auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist und auch weiterhin terroristische Aktivitäten entfaltet. In einem zweiten Schritt hat es näher dargelegt, warum die in Deutschland agierenden Vereinigungen YEK-KOM und NAV-DEM, für die der Kläger seit mehr als zwölf Jahren in hervorgehobenen Funktionen wirkte, und der Kläger auch individuell durch Anmeldung und Leitung von Versammlungen sowie Redebeiträge und weitere Aktivitäten die PKK unterstützt haben und weiter unterstützen (UA S. 55, 34 - 48). Die Bewertung des Berufungsgerichts, dass der Kläger damit die Voraussetzungen für den Entzug seines Aufenthaltstitels nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie erfüllt, steht mit der Rechtsprechung des EuGH in Einklang. Zwar hat er selbst keine terroristischen Handlungen begangen, auch nicht andere Personen hierzu angeleitet oder sich an der Planung oder Finanzierung terroristischer Aktionen beteiligt, wie das der EuGH als mögliches Unterstützerhandeln erwähnt (a.a.O. Rn. 90). Diese Aufzählung des Gerichtshofs ist jedoch nur beispielhaft, macht zugleich aber deutlich, dass der Betreffende eine gewichtige Rolle im Rahmen seiner Unterstützung der terroristischen Organisation gespielt haben muss.

54

Bei der Frage, was als gewichtig anzusehen ist, ist der 37. Erwägungsgrund der Richtlinie zu berücksichtigen, wonach auch die Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, und die Unterstützung einer derartigen Vereinigung als Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung anzusehen sind. Die abschließende Bewertung, ob die Unterstützungshandlung hinreichend gewichtig ist, um "zwingende Gründe" darzustellen, überlässt der Gerichtshof dem verantwortlichen nationalen Gericht und erkennt auch einen Einschätzungsspielraum der Mitgliedstaaten an, nach ihren nationalen Bedürfnissen zu bestimmen, was die nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung erfordern. Diese abschließende Bewertung hat das Berufungsgericht dahin getroffen, dass die Unterstützungshandlungen des Klägers dem von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie geforderten Gewicht entsprechen. Es hat dies auf der Grundlage der Gewichtungsvorgabe des nationalen Gesetzgebers in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nachvollziehbar mit dem mehr als zwölfjährigem Unterstützerhandeln des Klägers in hervorgehobener Position innerhalb zweier Vereinigungen begründet, in dessen Rahmen er an zahlreichen Veranstaltungen mitwirkte, an denen sich Akteure beteiligten, die offen für die PKK warben und deren Kurs vorbehaltlos befürworteten (Auftreten in Guerillauniform, Märtyrergedenken, Grußbotschaften an die Kämpfer an der Front usw.). Für das Gewicht seines Unterstützerhandelns durfte das Gericht auch berücksichtigen, dass der Kläger nach den tatrichterlichen Feststellungen in vollem Bewusstsein um dessen Bedeutung für den ideologischen Zusammenhalt der PKK und in dem Willen gehandelt hat, diese vorbehaltlos auch in Bezug auf deren terroristische Aktivitäten zu unterstützen (UA S. 55).

55

(cc) Der EuGH hat in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13 Rn. 95 ff.) aber hervorgehoben, dass ein Flüchtling, dessen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie aufgehoben wird, seinen Flüchtlingsstatus behält, sofern und solange ihm nicht dieser Status entzogen worden ist. Daher ist er auch nach dem Verlust seines Aufenthaltstitels weiterhin Flüchtling und hat in dieser Eigenschaft weiterhin Anspruch auf die Vergünstigungen, die das Kapitel VII der Richtlinie jedem Flüchtling gewährleistet, so insbesondere auf Schutz vor Zurückweisung, auf Wahrung des Familienverbands, auf Ausstellung von Reisedokumenten, auf Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung, zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie auf Zugang zu Integrationsmaßnahmen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift. Diese Rechte dürfen, auch soweit sie nach nationalem Recht an den Besitz eines Aufenthaltstitels anknüpfen, von den zuständigen Behörden daher nicht mit der Begründung versagt werden, dass der Aufenthalt des Flüchtlings infolge der Ausweisung rechtswidrig geworden ist. Allerdings darf die Ausstellung eines Reiseausweises nach Art. 25 EU-Anerkennungsrichtlinie versagt werden, wenn - etwa zur Begegnung der Gefahr terroristischen Unterstützungshandelns - zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung entgegenstehen. Ebenso dürfen nach Art. 33 der Richtlinie aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen verfügt werden, wenn diese aus Gründen der öffentlichen Sicherheit auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern zulässig sind.

56

Eventuelle Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der dem Flüchtling auch nach Entzug des Aufenthaltstitels weiter zustehenden Rechte nach Kapitel VII der EU-Anerkennungsrichtlinie infolge unzureichender Umsetzung der Richtlinie in den einschlägigen nationalen Fachgesetzen berühren nicht die Rechtmäßigkeit der verfügten Ausweisung. An die Beachtung der einen Flüchtling unmittelbar begünstigenden Vorschriften in Kapitel VII der Richtlinie und die hierzu ergangene Rechtsprechung des EuGH sind seit Ablauf der Umsetzungsfrist alle nationalen Behörden gebunden. Der Flüchtling hat seine Rechte gegenüber den jeweils zuständigen Behörden und erforderlichenfalls Gerichten geltend zu machen. Auch die Generalanwältin hat es insoweit als die Pflicht der nationalen Gerichte angesehen, für die volle Wirksamkeit der Bestimmungen der Richtlinie Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede entgegenstehende Vorschrift des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 11. September 2014 - C-373/13 - Rn. 114 letzter Absatz).

57

4. Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen gewichtige Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1, § 55 AufenthG gegenüber. Diese hat das Berufungsgericht zutreffend bestimmt (UA S. 59 f.). Es hat berücksichtigt, dass der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besessen hat, die durch die Ausweisungsverfügung betroffen ist, er mit deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und er sein Personensorgerecht für minderjährige ledige Deutsche ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG).

58

5. Das Berufungsgericht hat das öffentliche Ausweisungsinteresse gegen die Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG unter Berücksichtigung der den Einzelfall prägenden Umstände abgewogen und ist unter Beachtung des hierfür zentralen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass das Ausweisungsinteresse überwiegt (UA S. 60 - 64). Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Gericht hat berücksichtigt, dass der Kläger besonderen Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie genießt, hier allerdings auf absehbare Zeit keine Aufenthaltsbeendigung beabsichtigt ist, da ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht. Es hat seinen langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und seine familiären Bindungen im Sinne von Art. 6 GG, Art. 8 EMRK gewürdigt, diesen durch die Verfügung allerdings insoweit nicht als beeinträchtigt angesehen, als keine Aufenthaltsbeendigung erfolgt. Es hat bei seiner Abwägung berücksichtigt, dass der Kläger in seinen geschützten Bindungen dadurch betroffen ist, dass sein Aufenthalt auf das Gebiet der Stadt M. beschränkt und er Meldeauflagen unterworfen ist. Weitere schützenswerte Bindungen hat das Gericht nicht anerkannt und dies nachvollziehbar damit begründet, dass der Kläger ungeachtet seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland kaum deutsch spricht, nur sporadisch und für kürzere Zeiträume erwerbstätig war und seit längerem von Sozialleistungen abhängig ist. Schließlich hat das Berufungsgericht in die Abwägung eingestellt, dass es der Kläger in der Hand hat, durch eine glaubhafte Abkehr von seinem bisherigen Verhalten eine Aufhebung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu erreichen.

59

6. Ohne Rechtsverstoß wertet das Berufungsurteil die in Ziffer 2 der angefochtenen Verfügung angeordnete Aufenthaltsbeschränkung und die verfügten Meldeauflagen als rechtmäßig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliegt ein Ausländer, gegen den - wie hier - eine Ausweisungsverfügung aufgrund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG besteht, der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Gestützt auf diese Ermächtigung hat der Beklagte bestimmt, dass sich der Kläger zweimal wöchentlich zu melden hat. Ferner hat er den Aufenthalt des Klägers auf den Bereich der Stadt M. beschränkt, wie das § 56 Abs. 2 AufenthG vorsieht, wenn die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft. Diese aufenthaltsbeschränkenden Maßnahmen durften gegenüber dem Kläger trotz dessen Rechtsstellung als Flüchtling ergehen. Dadurch wird sein Recht auf Freizügigkeit gemäß Art. 33 EU-Anerkennungsrichtlinie nicht verletzt. Denn derartige Maßnahmen dürfen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, wie sie hier wegen des Erfordernisses der Abwehr von terrorismusfördernden Aktivitäten vorliegen, auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern verfügt werden (§ 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG).

60

7. Zutreffend ist das Berufungsgericht auch zu dem Ergebnis gekommen, dass die für die Ausweisung des Klägers anwendbaren Regelungen des Ausweisungsrechts nicht gegen assoziationsrechtliche Verschlechterungsverbote aus Art. 13 ARB 1/80, Art. 7 ARB 2/76 und Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen (BGBl. 1972 II S. 385) verstoßen. Dabei kann offenbleiben, ob hier überhaupt eines der Verschlechterungsverbote Anwendung findet. Denn der zum 1. Januar 2016 eingeführte Übergang von einer Ermessensentscheidung zu einer gebundenen Entscheidung stellt keine Verschlechterung der Rechtsstellung des betroffenen Ausländers dar (a). Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung bewirkte zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für betroffene Ausländer, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt (b).

61

a) Die zum 1. Januar 2016 eingeführte Neuregelung des Ausweisungsrechts, die die bisherige Ermessensausweisung durch eine am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte gebundene Ausweisung abgelöst hat, hat die Rechtsstellung der Ausländer in der hier gebotenen und auch unionsrechtlich statthaften Gesamtschau nicht verschlechtert, sondern jedenfalls teilweise verbessert. Denn bisher sah das Gesetz Tatbestände einer zwingenden Ausweisung (Ist-Ausweisung), regelmäßig erfolgenden Ausweisung (Soll-Ausweisung) und Ausweisung nach Ermessen (Kann-Ausweisung) vor. Die zwingende Ausweisung und die regelmäßig erfolgende Ausweisung widersprachen für den Personenkreis der unionsrechtlich privilegierten Ausländer der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach eine Ausweisung ausschließlich auf ein persönliches Verhalten des Ausländers gestützt werden darf, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 [ECLI:EU:C:2004:262], Orfanopoulos und Oliveri - Slg. 2004, I-5257 Rn. 66 f.). Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass eine Regelung gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, wonach eine Ausweisung automatisch aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung verfügt wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird (a.a.O. Rn. 70). Aber auch die nationale Bestimmung über die Regelausweisung hat für den Gerichtshof den Anschein erweckt, dass trotz der Berücksichtigung individueller Umstände ein gewisser Automatismus oder jedenfalls eine Vermutung besteht, dass der betreffende Staatsangehörige auszuweisen ist (a.a.O. Rn. 92).

62

Daraus hat das Bundesverwaltungsgericht die Schlussfolgerung gezogen, dass die gesetzliche Regelung zur zwingenden Ausweisung und Regelausweisung auf unionsrechtlich privilegierte Ausländer nicht mehr angewendet werden darf (BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <302> betreffend Unionsbürger und - 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <321> betreffend Assoziationsberechtigte nach ARB 1/80). Der Gesetzgeber hat daraus durch das zum 1. Januar 2016 in Kraft getretene neue Ausweisungsrecht die Konsequenzen gezogen. Insofern stellt die neue Rechtslage eine Verbesserung gegenüber der bisherigen dar. Eine Ausweisung nach neuem Recht hat eine einzelfallbezogene umfassende Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen und orientiert sich dabei strikt am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 53 Abs. 1 und 2 AufenthG). Damit setzt der Gesetzgeber Vorgaben um, die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 - Rn. 99) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR , Urteil vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 57 - 60) ergeben.

63

Es stellt keine Verschlechterung der Rechtslage für unionsrechtlich privilegierte Ausländer dar, dass ihre Ausweisung nach früherer Rechtslage im Wege einer Ermessensentscheidung erfolgte, nach neuem Recht hingegen im Wege einer rechtlich gebundenen Ausweisung, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Damit entfällt zwar die Möglichkeit, aus Gründen der Zweckmäßigkeit von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen. Auf ein solches Absehen von einer rechts- und ermessensfehlerfrei möglichen Ausweisung hatte der Ausländer aber zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch, auch die gerichtliche Kontrolle war insoweit durch § 114 VwGO eingeschränkt; durch die gesetzliche Neuregelung wird also keine individuelle Rechtsposition beeinträchtigt. Im Übrigen ist für die Beachtung des Verschlechterungsverbots auf die tatsächliche Praxis und nicht allein auf die abstrakte Rechtslage abzustellen. Die Rechtspraxis wurde maßgeblich durch die Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz des Bundesministeriums des Innern vom 26. Oktober 2009 gesteuert. Danach lag die Ausweisungsentscheidung im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde, bei der Ermessensausübung waren das schutzwürdige Interesse des Ausländers am weiteren Verbleib in Deutschland und das öffentliche Interesse an der Ausweisung gegeneinander abzuwägen (Ziffer 55.1.3). Das weist auf eine Rechtspraxis hin, die der heute normierten gebundenen Ausweisung entspricht, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Insofern hat sich die Rechtsstellung des Ausländers nicht verschlechtert.

64

b) Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung hat zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für die betroffenen Ausländer bewirkt, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Die seinerzeitige Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung (§ 54 Nr. 5 AufenthG a.F.) führte zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gegenüber der früheren Rechtslage, die allein den Tatbestand der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland kannte. Durch die Rechtsänderung wurde nun auch die Vorfeldunterstützung des Terrorismus erfasst. Diese ist jedoch mit Blick auf das Verschlechterungsverbot aus Art. 13 ARB 1/80 aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 14 ARB 1/80, jedenfalls aber durch ein zwingendes Allgemeininteresse, namentlich die völkerrechtlich gebotene Terrorismusbekämpfung auch bereits im Vorfeld unmittelbarer terroristischer Handlungen, gerechtfertigt.

65

8. Nach der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG ist über die Länge der Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach Ermessen zu entscheiden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Diese gesetzgeberische Entscheidung ist mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom gleichen Tage - 1 C 27.16 - Rn. 20 ff.). Das Urteil des Senats zur Vorläuferfassung des § 11 AufenthG a.F., wonach eine gebundene Entscheidung zu treffen war (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.), erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihm ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen. Eine solche Ermessensentscheidung hat der Beklagte hier noch nicht getroffen. Vielmehr hat bisher das Verwaltungsgericht das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach der seinerzeit geltenden Rechtslage im Wege einer gebundenen Entscheidung auf acht Jahre festgesetzt.

66

Der Beklagte hat die nach neuem Recht nunmehr gebotene Ermessensentscheidung nachzuholen. Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange.

67

B. Der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellte (weitere) Hilfsantrag, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass dem Kläger auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie, ist unzulässig. Er stellt eine unzulässige Klageerweiterung im Revisionsverfahren dar (§ 142 Abs. 1 VwGO). Im Übrigen bedarf es einer solchen behördlichen Feststellung auch nicht. Aus dem für alle nationalen Behörden verbindlichen EuGH-Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) ergibt sich bis zu einer dem Gesetzgeber vorbehaltenen Anpassung der einschlägigen Fachgesetze hinreichend deutlich, dass dem Kläger - solange er die Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der EU-Anerkennungsrichtlinie genießt - auch die mit dieser Rechtsstellung einhergehenden Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie zustehen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift (vgl. dazu auch die vorstehenden Ausführungen in Rn. 55 f. dieses Urteils).

68

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat gewichtet den gegen die Ausweisung, die Meldeauflage, die Aufenthaltsbeschränkung und die Abschiebungsandrohung gerichteten Anfechtungsantrag mit 4/5 und den auf Befristung zielenden Verpflichtungsantrag mit 1/5 (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 46).

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus Deutschland. Hilfsweise erstrebt er eine neue Entscheidung des Beklagten über die Befristung des mit der Ausweisung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots.

2

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volkszugehörigkeit. Er wurde 1973 in der Türkei geboren, ist verheiratet und hat sieben Kinder. Er reiste 1997 nach Deutschland ein und beantragte hier Asyl, da er in der Türkei wegen seines Engagements in prokurdischen Vereinen und Parteien sowie verwandtschaftlichen Beziehungen zu Guerillakämpfern der sog. Arbeiterpartei Kurdistans - PKK - an Leib und Leben bedroht sei. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) vom 9. Oktober 1997 wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach dem damaligen § 51 Abs. 1 AuslG 1990 zuerkannt und zu seinen Gunsten ein Abschiebungsverbot wegen drohender Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK (damals § 53 Abs. 4 AuslG 1990) festgestellt. Der Kläger ist lediglich sporadisch und für kurze Zeiträume einer Erwerbstätigkeit nachgegangen, gleiches gilt für seine Ehefrau. Er bezieht mit seiner Familie Leistungen nach dem SGB II.

3

Vom 1. April 1998 bis zum 1. Dezember 2009 war der Kläger im Besitz jeweils befristeter Aufenthaltstitel. Am 13. März 2009 teilte das Bundesamt der Ausländerbehörde mit, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 73 Abs. 1 oder 2 AsylVfG nicht vorlägen. Im März 2009 stellte der Kläger bei der Ausländerbehörde der Stadt M. einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Auf Anfrage teilte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg der Ausländerbehörde im Mai 2009 mit, dass hinsichtlich der Person des Klägers "Erkenntnisse" vorlägen, über die das Innenministerium Baden-Württemberg gesondert informiert worden sei. Dessen ungeachtet wurde dem Kläger am 4. Dezember 2009 ohne weitere Mitteilung zum Stand der Sicherheitsüberprüfung eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG erteilt.

4

Das Regierungspräsidium K. teilte dem Kläger mit Schreiben vom 23. Juli 2010 mit, dass die Niederlassungserlaubnis in Unkenntnis der Sicherheitsbedenken erteilt worden sei und derzeit deren Rücknahme und eine Ausweisung geprüft werde. Hierzu werde dem Kläger die Möglichkeit eines Sicherheitsgesprächs zur weiteren Aufklärung gegeben. Dieses fand im Februar 2011 statt; allerdings verweigerte der Kläger mit Ausnahme eines durch ihn ausgefüllten Fragebogens die weitere Mitwirkung.

5

Mit Verfügung vom 10. Januar 2012 wies das Regierungspräsidium K. den Kläger aus (Ziffer 1) und stützte sich dabei auf § 54 Nr. 5, § 56 Abs. 1, § 55 AufenthG a.F. Zudem wurde der Kläger verpflichtet, sich zweimal wöchentlich unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapiers bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, und sein Aufenthalt wurde auf den Bereich der Stadt M. begrenzt (Ziffer 2).

6

Die Ausweisung sei gerechtfertigt, weil Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Kläger Vereinigungen unterstütze, die ihrerseits den Terrorismus unterstützten. So habe der Kläger nach den vorliegenden Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in den Jahren 2001 bis 2010 regelmäßig an näher bezeichneten Veranstaltungen und Demonstrationen der PKK-Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL teilgenommen und sei teilweise auch selbst als Redner bei derartigen Veranstaltungen aufgetreten. Von 2001 bis 2003/2004 sei er Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Kurdischer Kulturverein e.V." in L. gewesen. Außerdem sei er seit langem Vorstandsmitglied und nunmehr sogar zweiter Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM). Die Ausweisung sei trotz des dem Kläger als anerkanntem Flüchtling zustehenden besonderen Ausweisungsschutzes aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt und auch mit Blick auf die Bleibeinteressen des Klägers verhältnismäßig. Sie führe zudem nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung, vielmehr bleibe seine Abschiebung ausgesetzt, da ihr Abschiebungsverbote aufgrund der Rechtsstellung des Klägers als Flüchtling sowie nach § 60 Abs. 5 AufenthG entgegenstünden. Die angeordnete zweimalige wöchentliche Meldepflicht und die räumliche Beschränkung auf den Stadtbezirk M. beruhten auf § 54a AufenthG (a.F.) und seien mit Blick auf die gebotene Überwachung des Klägers und zur Eindämmung seiner gefahrbegründenden Aktivitäten erforderlich und angemessen.

7

Das Verwaltungsgericht hat die gegen die Verfügung gerichtete Klage mit Urteil vom 27. Januar 2015 abgewiesen, zugleich aber den Beklagten verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf acht Jahre nach Ausreise des Klägers zu befristen. Mit Urteil vom 13. Januar 2016 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung zurückgewiesen. Dabei hat er die angefochtene Ausweisungsverfügung an der seit dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung des AufenthG gemessen. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof insbesondere ausgeführt: Im Fall des Klägers liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, weil der Kläger in überwiegend herausgehobener Funktion die PKK und damit eine terroristische oder den Terrorismus unterstützende Vereinigung unterstützt habe. Dabei seien allerdings nur Aktivitäten nach Juli 2010 heranzuziehen, also nach der an den Kläger gerichteten Mitteilung, wegen seiner Aktivitäten werde die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft. Als tatbestandserhebliches Unterstützen sei hiernach jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirke. Nach diesem Maßstab seien die im Urteil im Einzelnen näher bezeichneten und durch den Kläger in der Sache eingeräumten Betätigungen als Teilnehmer, Mitglied, Redner und Versammlungsleiter bei diversen die PKK unterstützenden Veranstaltungen sowie als Vorstandsmitglied der die PKK unterstützenden YEK-KOM und deren Nachfolgeorganisation NAV-DEM als Unterstützungshandlung zu werten. Angesichts des Ablaufs der Veranstaltungen, der dort gehaltenen Reden und der klaren Ausrichtung auf den Führerkult um den PKK-Führer Öcalan sowie gefallene Märtyrer bestünden für das Berufungsgericht keine Zweifel daran, dass sich der Kläger den Zielen der PKK verpflichtet fühle und sie mit seinem Tun unterstützen wolle.

8

Die Ausweisungsverfügung werde auch dem erhöhten Ausweisungsschutz gerecht, der dem Kläger als anerkanntem Flüchtling nach § 53 Abs. 3 AufenthG zustehe. Denn es lägen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU vor, wonach ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel widerrufen werden könne.

9

Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse stehe ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber. Denn er habe eine Niederlassungserlaubnis besessen, die gerade durch die Ausweisungsverfügung betroffen sei. Er lebe mit deutschen Familienangehörigen (sechs seiner Kinder) in familiärer Lebensgemeinschaft und übe sein Personensorgerecht für seine minderjährigen Kinder aus. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung überwiege jedoch das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers.

10

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Revision und rügt in mehrfacher Hinsicht eine Verletzung von Bundesrecht. Zunächst habe das Berufungsgericht den Begriff des "Unterstützens" in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG fehlerhaft ausgelegt und angewandt. Der von ihm in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht angewandte Unterstützungsbegriff sei rechtsstaatlich nicht hinreichend konkret. Jedenfalls auf der Grundlage des neuen, seit Jahresanfang 2016 geltenden Ausweisungsrechts, das nach "schwerwiegenden" und "besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen" differenziere, sei dieser Unterstützungsbegriff nicht mehr als Abgrenzungskriterium geeignet. Notwendig sei ein gefahrenabwehrrechtlich ausgerichteter Unterstützungsbegriff, der sich etwa in Anlehnung an strafrechtliche Zurechnungskriterien wie Anstiftung oder Beihilfe oder die im Strafrecht für Organisationsdelikte entwickelten Zurechnungskriterien gewinnen lassen könne.

11

Fehlerhaft sei zudem die Auslegung und Anwendung von § 53 Abs. 3 AufenthG im Hinblick auf die sich aus Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie ergebenden Voraussetzungen. Denn das Berufungsgericht habe weder festgestellt, dass der Kläger unmittelbar der PKK angehöre, noch dass sich die YEK-KOM oder die NAV-DEM selbst terroristischer Methoden bedienten. Weiterhin verkenne das Berufungsgericht die durch den Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) aufgestellten Anforderungen an die festzustellenden Unterstützungshandlungen. Danach sei insbesondere zu prüfen, ob der Betroffene selbst terroristische Handlungen begangen habe, ob und in welchem Maße er an der Planung, an Entscheidungen oder an der Anleitung anderer Personen zum Zwecke der Begehung solcher Handlungen beteiligt war und ob und in welchem Umfang er solche Handlungen finanziert oder anderen Personen die Mittel für ihre Begehung verschafft habe. Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts habe der EuGH damit nicht lediglich beispielhaft die in den maßgeblichen Vorlagefragen des Ausgangsverfahrens vorgehaltenen Handlungen herausgegriffen, sondern in einem abschließenden Sinne bestimmte Kriterien vorgegeben.

12

Weiter setze der Gefahrenbegriff des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine "konkrete Gefahr" voraus. Weder der Wortlaut noch die der Vorschrift zugrunde liegende Entstehungsgeschichte rechtfertigten eine Absenkung dieser Gefahrenschwelle. Das Berufungsgericht hätte daher prüfen müssen, ob der Kläger die für die objektive Unterstützung zu Grunde gelegten Tatsachen und Umstände gekannt und eine zweckgerichtete Unterstützung auch gewollt habe.

13

Schließlich habe das Berufungsgericht verkannt, dass dem Kläger nach dem Urteil des EuGH vom 24. Juni 2015 selbst dann, wenn ihm der Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie entzogen werden dürfe, für die Zeit der Fortdauer seines Flüchtlingsstatus die Rechte nach Kapitel VII dieser Richtlinie erhalten bleiben. Deshalb beantragte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hilfsweise, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass ihm auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie.

14

Der Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und tritt der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bei.

15

Während des Revisionsverfahrens hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 20. Oktober 2016 die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes für den Kläger widerrufen und entschieden, ihm weder die Flüchtlingseigenschaft noch den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Gegen den Bescheid hat der Kläger Klage erhoben.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist im Wesentlichen unbegründet. Das Berufungsgericht hat die Ausweisung des Klägers und die ihm auferlegte Meldepflicht und Aufenthaltsbeschränkung im Ergebnis zu Recht als rechtmäßig eingestuft. Allerdings war auf der Grundlage der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG der Beklagte zu einer nunmehr gebotenen Ermessensentscheidung über die festzusetzende Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG zu verpflichten.

17

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren des Klägers auf Aufhebung der Ausweisung (Ziffer 1 des Bescheids) sowie der Meldeauflagen und Aufenthaltsbeschränkung (Ziffer 2 des Bescheids). Aber auch der Streit über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs - im Berufungsverfahren und anschließend im Revisionsverfahren angefallen. Denn das Befristungsbegehren ist als Minus notwendiger Bestandteil des Begehrens auf Aufhebung einer Ausweisung und kann daher von den Parteien nicht gesondert aus dem Verfahren ausgegliedert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 28 ff.). Hiervon sind im Übrigen vorliegend auch die Parteien übereinstimmend ausgegangen.

18

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der Meldepflicht und der Aufenthaltsbeschränkung sowie der vom Kläger hilfsweise begehrten Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 8 m.w.N.). Der Entscheidung sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162) zugrunde zu legen, zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155).

19

A. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG, weil der Kläger anerkannter Flüchtling ist.

20

1. Nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht ergibt sich der Grundtatbestand der Ausweisung aus § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

21

Das neue Ausweisungsrecht gibt das mit dem Ausländergesetz 1990 eingeführte dreistufige Konzept der Ist-, Regel- und Kann-Ausweisung auf. Stattdessen hat sich der Gesetzgeber für ein einheitliches System der rechtlich gebundenen Ausweisung entschieden ("wird ausgewiesen"), das vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. § 54 AufenthG benennt konkret die Gründe, wann das Ausweisungsinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt und knüpft damit an Tatbestände der früheren Ist- und Regelausweisung an. In § 55 AufenthG werden - spiegelbildlich hierzu - Tatbestände normiert, denen zufolge das Bleibeinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt, wobei auch die Aufzählung der "schwer" wiegenden Bleibeinteressen nicht abschließend ist. In § 53 Abs. 2 AufenthG werden Gesichtspunkte genannt, die bei der Abwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sind, insbesondere die Dauer des Aufenthalts, Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, Folgen der Ausweisung für Angehörige und Partner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat.

22

Die Rechtsprechung des Senats, die ihrerseits Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aufgreift (vgl. Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <301 ff.> und vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 14 ff.), hat bei der Entwicklung des neuen Ausweisungsrechts eine entscheidende Rolle gespielt (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 25. Februar 2015, BT-Drs. 18/4097 S. 49). Dabei griff der Gesetzgeber Vorschläge zur Neuregelung des Ausweisungsrechts auf, die Vertreter der Rechtsprechung unterbreitet haben (vgl. Dörig, NVwZ 2010, 921 <922>; Bergmann, ZAR 2013, 318 <322> sowie Gesetzesvorschlag Bergmann/Dörig vom Januar 2014, veröffentlicht in: Barwig u.a., Steht das europäische Migrationsrecht unter Druck?, 2014, S. 111 f.). Die Ausweisung setzt nunmehr nach § 53 Abs. 1 AufenthG eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Sofern nach dieser Gesamtabwägung das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib in Deutschland überwiegt, wird der Ausländer ausgewiesen, andernfalls kommt eine Aufenthaltsbeendigung nach § 53 Abs. 1 AufenthG nicht in Betracht.

23

Die Tatbestandsmerkmale der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" im ausweisungsrechtlichen Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG sind nach der Begründung des Gesetzgebers im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Auch die Gefährdung dieser Schutzgüter bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten wird. Mit Blick auf die verwendeten Begriffe sollte keine Ausweitung des Gefahrenbegriffs gegenüber dem bislang geltenden Recht erfolgen, vielmehr sollten lediglich die bislang verwandten unterschiedlichen Formulierungen aneinander angeglichen werden. Die von § 53 Abs. 1 AufenthG geforderte Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers in Deutschland erfolgt dabei nach der Intention des Gesetzgebers nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar.

24

Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" (Absatz 1) oder als "schwerwiegend" (Absatz 2). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sind neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Interessen aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Die Katalogisierung schließt demnach die Berücksichtigung weiterer Umstände im Rahmen der nach § 53 Abs. 2 AufenthG zu treffenden Abwägungsentscheidung nicht aus. Dies folgt bereits aus dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG, ist aber für die schwerwiegenden, aufgrund der Vielgestaltigkeit der Lebenssituationen bewusst nicht abschließend aufgezählten Bleibeinteressen in § 55 Abs. 2 AufenthG nochmals ausdrücklich normiert. Die nunmehr als schwerwiegend oder besonders schwerwiegend qualifizierten Ausweisungsinteressen im Sinne von § 54 AufenthG decken sich weitgehend - aber nicht vollständig - mit den früheren Gründen für eine Regel- und Ist-Ausweisung, die schwerwiegenden und besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen greifen Fälle des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 AufenthG a.F. auf.

25

Bei der Abwägung sind schließlich gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht ("Boultif/Üner-Kriterien"). Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen.

26

Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht.

27

2. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG festgestellt. Ein solches liegt dann vor, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wobei hiervon u.a. dann auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Ausländer einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er (jedenfalls) eine solche Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, er nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.

28

a) Der Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist dem Wortlaut nach weitgehend an den früheren Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung angelehnt, auf den die Ausweisungsverfügung auch ursprünglich gestützt war. Das Berufungsgericht hat für die Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu Recht dieselben rechtlichen Maßstäbe herangezogen, die der Senat zur Auslegung des früheren Regelausweisungstatbestandes nach § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung entwickelt hat.

29

In der Rechtsprechung des Senats war die Auslegung des Regelausweisungstatbestands des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung weitgehend geklärt. So ist anerkannt, dass eine Vereinigung den Terrorismus unterstützt, wenn sie sich selbst terroristisch betätigt oder wenn sie die Begehung terroristischer Taten durch Dritte veranlasst, fördert oder befürwortet. Die Schwelle der Strafbarkeit muss dabei nicht überschritten sein, da die Vorschrift der präventiven Gefahrenabwehr dient und auch die Vorfeldunterstützung durch sogenannte Sympathiewerbung erfasst. Der Tatbestand des Unterstützens des Terrorismus durch eine Vereinigung setzt allerdings voraus, dass die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung (auch) auf die Unterstützung des Terrorismus gerichtet sind; ein bloßes Ausnutzen der Strukturen einer Vereinigung durch Dritte in Einzelfällen reicht hierfür nicht aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 20 ff. und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 13 ff.).

30

Für den im Gesetz verwandten Begriff des Terrorismus sind Versuche, auf völkerrechtlicher Ebene eine allgemein anerkannte vertragliche Definition zu entwickeln, nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen. Jedoch können wesentliche Kriterien aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft im Beschluss des Rates Nr. 2002/475/JI vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (ABl. L 164 S. 3) sowie dem gemeinsamen Standpunkt des Rates 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001 (ABl. L 344 S. 93) gewonnen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die Aufnahme einer Organisation in die vom Rat der Europäischen Union angenommene Liste terroristischer Organisationen im Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93 - vgl. auch ABl. L 116 vom 3. Mai 2002, S. 75) ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass die Organisation terroristischer Art ist oder im Verdacht steht, eine solche zu sein (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 [ECLI:EU:C:2015:413], H.T./Land Baden-Württemberg - Rn. 83). Hier sind von den Tatsachengerichten ergänzende Feststellungen zu treffen. Dabei ist trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs anerkannt, dass als terroristisch jedenfalls der Einsatz gemeingefährlicher Waffen und Angriffe auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen sind (Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>, vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 19 und Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 10 C 48.07 - BVerwGE 132, 79 <87> m.w.N.).

31

Weiterhin ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass die individuelle Unterstützung einer terroristischen Vereinigung oder einer Vereinigung, die eine terroristische Vereinigung unterstützt, im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. alle Verhaltensweisen erfasst, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeit der Vereinigung auswirken. Darunter kann die Mitgliedschaft in der terroristischen oder in der unterstützenden Vereinigung ebenso zu verstehen sein wie eine Tätigkeit für eine solche Vereinigung ohne gleichzeitige Mitgliedschaft. Auch die bloße Teilnahme an Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen kann eine Unterstützung in diesem Sinne darstellen, wenn sie geeignet ist, eine positive Außenwirkung im Hinblick auf die durch § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. missbilligten Ziele zu entfalten. Auf einen nachweisbaren oder messbaren Nutzen für diese Ziele kommt es nicht an, ebenso wenig auf die subjektive Vorwerfbarkeit der Unterstützungshandlungen. Im Hinblick auf den Schutz der Meinungsfreiheit und das Gebot der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Betätigungsfreiheit des Einzelnen erfüllen allerdings solche Handlungen den Tatbestand der individuellen Unterstützung nicht, die erkennbar nur auf einzelne, mit terroristischen Zielen und Mitteln nicht im Zusammenhang stehende - etwa humanitäre oder politische - Ziele der Vereinigung gerichtet sind. Für den Ausländer muss schließlich die eine Unterstützung der Vereinigung, ihrer Bestrebungen oder ihrer Tätigkeit bezweckende Zielrichtung seines Handelns erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auf eine darüber hinaus gehende innere Einstellung des Ausländers kommt es hingegen nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 15 und 18 m.w.N.).

32

Diese vom Senat zur Auslegung von § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. entwickelten Grundsätze lassen sich entgegen dem Vorbringen der Revision auch auf den Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung nach dem neu gefassten § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG übertragen. Ein Vergleich der Textfassungen ergibt, dass der Gesetzgeber die früheren Regelausweisungstatbestände nach § 54 Nr. 5, 5a und 5b AufenthG a.F. in der neuen Vorschrift des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zusammengefasst hat, wobei unter den vorliegenden Umständen die Fälle staatsgefährdender Gewalttaten nach § 89a StGB außer Betracht bleiben können. Gegenüber dem früheren Recht ist der Hinweis entfallen, dass eine Ausweisung auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen nur gestützt werden kann, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Eine Änderung der materiellen Rechtslage ist damit aber nicht verbunden, da auch nach neuem Recht eine fortbestehende Gefahr erforderlich ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ("gefährdet") und ist implizit auch dem neuen Zusatz in § 54 Abs. 1 Nr. 2 letzter Halbsatz AufenthG zu entnehmen, wonach von einer Gefährdung nicht auszugehen ist, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt.

33

Den Gesetzgebungsmaterialien ist nichts dafür zu entnehmen, dass sich der Gesetzgeber hinsichtlich des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung für eine Abkehr von dem bisherigen Verständnis des Ausweisungstatbestandes hat entscheiden wollen. Zwar hat er in Satz 2 einen Halbsatz neu eingefügt, wonach ein Unterstützen nicht vorliegt, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt. Das stellt jedoch keine inhaltliche Änderung des Unterstützerbegriffs dar, sondern normiert lediglich ein in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits entwickeltes Kriterium zur individuellen Zurechnung eines Unterstützerverhaltens. Denn der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die objektive Tatsache der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in der Vergangenheit dem Ausländer dann nicht mehr zugerechnet werden kann, wenn er sich glaubhaft hiervon distanziert (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <131>, vom 30. April 2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 35 und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 17). Die nunmehr normierten Tatbestandsmerkmale lassen keine Abkehr von der Senatsrechtsprechung erkennen, denn ein "erkennbares Abstandnehmen" vom sicherheitsgefährdenden Handeln entspricht dem Distanzieren im Sinne der Senatsrechtsprechung. Allerdings findet sich in der Begründung zu dieser Neuregelung die Aussage, die Möglichkeit der "Exkulpation" zeige, dass der Betroffene Kenntnis davon gehabt haben müsse, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstütze, der "undolose Unterstützer" daher nicht unter die Regelung falle (BT-Drs. 18/4097 S. 51). Aus diesem Satz in der Gesetzesbegründung könnte man ableiten, der Gesetzgeber habe eine Regelung treffen wollen, nach der für die subjektive Seite des Unterstützens mehr erforderlich ist (Vorsatz) als nach dem bisherigen Verständnis (Erkennbarkeit). Wäre dies tatsächlich so Gesetz geworden, hätte dies eine nicht unerhebliche Einschränkung der Rechtsprechung zur subjektiven Zurechnung bedeutet, nach der es ausreicht, dass der Ausländer erkennen konnte, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstützt. Die Begründung hat jedoch im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden, denn nach diesem wird Vorsatz im Hinblick auf die terroristische Betätigung der unterstützten Vereinigung nicht verlangt. Es reicht somit auch für die Erfüllung des subjektiven Unterstützertatbestands weiterhin die Erkennbarkeit einer terroristischen Betätigung der Vereinigung aus. Vorsatz bleibt hingegen weiter erforderlich für das eigene Handeln des Ausländers, das von dem Ziel geleitet sein muss, die Vereinigung zu unterstützen. Für diese Auslegung spricht auch, dass der Gesetzgeber der Vorfeldunterstützung des Terrorismus durch die Gesetzesänderung erhöhte Bedeutung beimessen wollte, indem er den bisher als Tatbestand für eine Regelausweisung normierten Ausweisungsgrund zu einem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 AufenthG heraufstufte, was im bisherigen Recht dem Tatbestand einer zwingenden Ausweisung entsprochen hätte. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass das stärkere Gewicht, das der Gesetzgeber diesem Ausweisungsinteresse beimessen wollte (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 23), mit einer engeren Interpretation seiner Tatbestandsmerkmale einhergehen sollte.

34

Eine vom früheren Begriffsverständnis abweichende Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass dieser bisher eigenständige Tatbestand nunmehr in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG funktional mit einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verknüpft wird ("hiervon ist auszugehen, wenn"). Vielmehr ergibt eine systematische Auslegung der Vorschrift, dass der Inhalt des Ausweisungstatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung unverändert geblieben ist, während der Begriff der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland eine Erweiterung erfahren hat. Denn der Gesetzgeber hat mit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr kraft Gesetzes definiert, wann von einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen ist, nämlich (jedenfalls) dann, wenn eine der dort genannten Tatbestandsalternativen erfüllt ist. Die Auslegung des Begriffs der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland richtet sich daher (auch) nach diesen Tatbestandsalternativen, nicht umgekehrt. Anderes lässt sich hinsichtlich des Gefahrenmaßstabs auch nicht der Regelung des § 53 Abs. 1 AufenthG entnehmen. Denn anders als bei den übrigen Ausweisungsinteressen hat der Gesetzgeber in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG das Erfordernis einer Gefahr (nochmals) ausdrücklich aufgeführt, was unter systematischen Gesichtspunkten für eine gewisse Eigenständigkeit des Gefahrentatbestandes gegenüber § 53 Abs. 1 AufenthG fruchtbar gemacht werden kann. Es gilt damit nunmehr, dass das Gesetz bereits die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Bundesgebiet als eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ansieht, unabhängig davon ob die terroristische Vereinigung Gewaltakte auch auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland oder gegen deutsche Einrichtungen im Ausland begeht. Weiterhin gilt jedenfalls für die Fälle des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ein abgesenkter Gefahrenmaßstab, der auch Vorfeldmaßnahmen erfasst und keine von der Person des Unterstützers ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefahr erfordert. Die Rechtsprechung des Senats zur Unterstützung des Terrorismus durch Handlungen in dessen Vorfeld hat dem Rechnung zu tragen und dabei auch die Bedeutung zu berücksichtigen, die der Unionsgesetzgeber dieser Vorfeldunterstützung durch den Erwägungsgrund 37 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 S. 9) - EU-Anerkennungsrichtlinie - beimisst.

35

Ein Anlass für eine verfassungsrechtliche Neubewertung des Gefahrenmaßstabs besteht entgegen dem umfangreichen Revisionsvorbringen nicht. In der Rechtsprechung des Senats ist seit dem Urteil zum Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus - Terrorismusbekämpfungsgesetz - vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361, 3142) anerkannt, dass der Unterstützungsbegriff weit auszulegen und anzuwenden ist, um damit der auch völkerrechtlich begründeten Zielsetzung des Gesetzes gerecht zu werden, dem Terrorismus schon im Vorfeld die logistische Basis zu entziehen (BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <127 ff.>). Maßgeblich ist, inwieweit das festgestellte Verhalten des Einzelnen zu den latenten Gefahren der Vorfeldunterstützung des Terrorismus nicht nur ganz unwesentlich oder geringfügig beiträgt und deshalb selbst potenziell gefährlich erscheint. Wegen der tatbestandlichen Weite des Unterstützungsbegriffs ist allerdings bei der Anwendung der Vorschrift darauf zu achten, dass nicht unverhältnismäßig namentlich in das auch Ausländern zustehende Recht auf freie Meinungsäußerung jenseits der zumindest mittelbaren Billigung terroristischer Bestrebungen eingegriffen wird. Einen bislang nicht berücksichtigten verfassungsrechtlichen Rechtssatz, der den so umschriebenen Ausgleich zwischen dem legitimen und schon wegen seiner völkerrechtlichen Vorgaben besonders gewichtigen gesetzgeberischen Ziel der Terrorismusbekämpfung und den geschützten Grundrechtspositionen eines Ausländers infrage stellen würde, zeigt die Revision nicht auf. Insbesondere sprechen der Charakter der Ausweisung als Maßnahme der Gefahrenabwehr sowie die spezifische Zielsetzung der Terrorismusbekämpfung gegen eine Übertragung strafrechtlicher Rechtsprechungsgrundsätze, wie sie etwa für die Abgrenzung strafbarer und straffreier Meinungsäußerungen gelten. Der Senat hält auch unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an seiner bisherigen Rechtsprechung fest.

36

b) Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG angenommen. Dies gilt sowohl für die Qualifizierung der PKK als terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung (aa) als auch - jedenfalls im Ergebnis - für die Qualifizierung der Handlungen des Klägers als relevante Unterstützungshandlungen (bb). Ebenso wenig zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen hat (cc).

37

(aa) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Qualifizierung der PKK als eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Das Gericht legt seiner Entscheidung die in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze für die Definition einer terroristischen Vereinigung zugrunde (UA Bl. 27 f.) und geht damit von einem zutreffenden Maßstab aus. Für die Bewertung der PKK als eine solche Vereinigung hat das Gericht zunächst darauf abgestellt, dass sie auch noch aktuell auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist, ohne diesem Umstand eine über einen deutlichen Anhaltspunkt hinausgehende Bedeutung beizumessen (UA Bl. 31). Hieran anknüpfend hat das Berufungsgericht sodann auf der Grundlage der ihm vorliegenden Erkenntnismittel festgestellt, dass die PKK zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele in der Türkei weiterhin Gewalttaten gegen staatliche Einrichtungen und Amtsträger sowie die Zivilbevölkerung verübt und im Übrigen etwa zur Finanzierung ihrer Aktivitäten oder zur Bekämpfung von Kritikern auch nicht vor Verbrechen gegenüber ihren eigenen Anhängern und auch darüber hinaus gegenüber der kurdischstämmigen Bevölkerung insgesamt zurückschreckt. Insbesondere sei die zwischen dem türkischen Staat und der PKK ausgehandelte (relative) Waffenruhe seitens der PKK zuletzt Ende Juli 2015 ausdrücklich aufgekündigt worden (UA Bl. 32 f.). Diese tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts sind von der Revision nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen worden und daher für den Senat bindend. Sie erlauben dem Senat zudem eine eigene rechtliche Bewertung des Inhalts, dass die PKK eine terroristische Vereinigung darstellt und nicht lediglich eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung.

38

(bb) Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist auch die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, dass der Kläger die PKK in rechtserheblicher Weise individuell unterstützt hat. Allerdings ist das Gericht unter Verstoß gegen Bundesrecht davon ausgegangen, dass zu Lasten des Klägers nur solche Unterstützungshandlungen berücksichtigt werden dürfen, die in zeitlicher Hinsicht nach der Mitteilung des Regierungspräsidiums vom Juli 2010 lagen, wonach eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft würden.

39

Das Berufungsgericht ist insoweit rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass ein Ausweisungsinteresse bereits dann aus Gründen des Vertrauensschutzes verbraucht ist und nicht mehr zur Begründung einer Ausweisung herangezogen werden kann, wenn ein Aufenthaltstitel in Kenntnis oder dem Staat zuzurechnender Unkenntnis erteilt oder verlängert wurde (UA S. 34 f.). Zwar ist in der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich anerkannt ist, dass Ausweisungsgründe in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und so lange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind und die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <313> und vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <121 f.>). Aus der Ableitung dieser Kriterien aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt jedoch, dass die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Aus der Rechtsprechung des Senats ergibt sich zudem, dass ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers schützenswert sein muss. Hieran fehlt es, wenn die Ausländerbehörde - wie vorliegend - dem Kläger auf dessen Anfrage zum Stand des Verfahrens auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis lediglich mitteilt, dass gegenwärtig noch eine Sicherheitsüberprüfung stattfinde, und dann zu einem späteren Zeitpunkt ohne jegliche Erläuterung zum Ausgang der Sicherheitsüberprüfung die begehrte Niederlassungserlaubnis erteilt. Auf dieser Grundlage kann der Betroffene nämlich weder wissen, welchen konkreten Umständen die Ausländerbehörde im Rahmen ihrer Sicherheitsüberprüfung nachgegangen ist, noch zu welchen konkreten Erkenntnissen sie hierbei nach Abschluss der Überprüfung gelangt ist. Daher kann der Betroffene aus der Erteilung der Niederlassungserlaubnis billigerweise auch nicht schließen, dass die Ausländerbehörde bei ihrer Sicherheitsüberprüfung alle als potentielle Versagungsgründe in Betracht kommenden Umstände tatsächlich ermittelt und sodann als für die Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis unbeachtlich eingestuft hat.

40

Das angefochtene Urteil beruht jedoch nicht auf diesem Rechtsverstoß, weil das Berufungsgericht auch ohne Berücksichtigung der vor dem für maßgeblich erachteten Zeitpunkt liegenden Umstände von rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen des Klägers ausgegangen ist und die diesbezüglichen Feststellungen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sind. Im Übrigen wäre der Kläger durch die Nichtberücksichtigung weiterer, ihn belastender Umstände auch nicht beschwert. Im Einzelnen hat das Berufungsgericht für die Bestimmung der rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen zutreffend auf die in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäbe zu § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung abgestellt (UA Bl. 35 ff.). Keine abweichende Beurteilung ergibt sich aus dem Einwand des Klägers, die PKK nicht unmittelbar unterstützt zu haben, sondern sich in legalen Vereinigungen betätigt zu haben, die ihrerseits die PKK im Wissen um deren Charakter gewollt und gezielt unterstützen. Denn es stellt keine verminderte Gefahr der Vorfeldunterstützung des Terrorismus dar, wenn die Unterstützung terroristischer Vereinigungen nicht durch isolierte Einzelhandlungen, sondern in Vereinigung mit anderen erfolgt. Hierin liegt auch kein Fehlen der Unmittelbarkeit der Unterstützungshandlungen.

41

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht sodann nach Auswertung der ihm vorliegenden umfangreichen Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden festgestellt, dass der Kläger über mehrere Jahre in teils hervorgehobener Funktion als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter oder Redner regelmäßig an Veranstaltungen teilgenommen und mitgewirkt hat, bei denen offene Propaganda für die PKK betrieben worden ist (UA Bl. 39 - 42). Unter Einbeziehung der Aktivitäten des Klägers in der Zeit seit 2001, wie sie in der Ausweisungsverfügung (S. 3 - 9, 16 - 23) aufgelistet, vom Kläger nicht in Abrede gestellt und vom Berufungsgericht in Bezug genommen worden sind (UA S. 39 f.), stellt sich das Unterstützungshandeln des Klägers wie folgt dar: Der Kläger war von 2001 bis 2003/2004 Vorsitzender des "Kurdischen Kulturverein e.V." in L., der der KONGRA-GEL nahestand. Im Oktober 2004 wurde er in das 15-köpfige Führungskomitee der "Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland" (YEK-KOM) gewählt und gehörte diesem bis zur Auflösung der YEK-KOM im Jahr 2014 an, zeitweilig (bis 2011) war er der 2. Vorsitzende der Vereinigung. Er hat sich im Juni 2014 in den fünfköpfigen Vorstand der die PKK unterstützenden NAV-DEM wählen lassen und diese Vorstandstätigkeit bis zum Tage der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausgeübt (UA Bl. 43 - 45).

42

Der Kläger beteiligte sich seit Mitte 2003 regelmäßig an Kundgebungen und Demonstrationen in unterschiedlichen deutschen Städten (u.a. Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg, Frankfurt, Gelsenkirchen, Düsseldorf, Stuttgart) und in Straßburg/Frankreich, die sich unter anderem für eine Freilassung des inhaftierten PKK-Führers Öcalan aussprachen, des Gründungsjahrestags der PKK und/oder der "Märtyrer des kurdischen Freiheitskampfes" gedachten und Parolen auf die PKK ausriefen. Der Kläger hielt auf einigen dieser Veranstaltungen eine Rede, im Februar 2007 hob er dabei die Bedeutung der Gefallenen für die kurdische Sache hervor, im Januar 2009 sprach er zur aktuellen Lage der Kurden in ihrer Heimat, im März 2010 kritisierte er die Exekutivmaßnahmen der belgischen Polizei gegenüber dem kurdischen TV-Sender ROJ-TV, im November 2011 sprach er auf einer Kundgebung, die zum Thema u.a. die Verwendung von Napalmgas und chemischer Waffen gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei hatte, im Januar 2013 verurteilte er auf einer Kundgebung die Ermordung von drei PKK-Aktivisten in Paris, im Oktober 2015 hielt er anlässlich einer Protestaktion der NAV-DEM in Frankfurt eine Rede.

43

Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger nicht nur seine individuellen Unterstützungshandlungen, sondern sämtliche Aktionen der YEK-KOM und der NAV-DEM aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied persönlich zuzurechnen sind. Die YEK-KOM, der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK nach den gerichtlichen Feststellungen durch eine Vielzahl von Aktionen. Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen oder ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie "Freiheit für Öcalan" und "Frieden für Kurdistan". Im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die "logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans" verankert. Der Verein biete der PKK oder ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Für die NAV-DEM gilt nach den getroffenen Feststellungen nichts anderes. Der Verein sei keine Neugründung, sondern eine Umbenennung des Vereins YEK-KOM. Im Übrigen werde deutlich, dass die NAV-DEM ihre Veranstaltungen und Kundgebungen mit gleichem Ablauf und gleichen Themen durchführe wie zuvor schon unter dem Namen YEK-KOM. Diese zutreffende Würdigung bedeutet auch nicht, dass jeder Einsatz für die Interessen und Belange kurdischer Volkszugehöriger (oder eine Kritik an der Kurdenpolitik der Türkischen Republik) als eine Unterstützung der PKK und damit des Terrorismus einzuordnen wäre.

44

(cc) Soweit schließlich nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausscheidet, wenn der Ausländer ernsthaft und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt, hat das Berufungsgericht ebenfalls in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der Kläger ausweislich seines auch während des Ausweisungsverfahrens fortgesetzten Engagements als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter und Redner auch künftig an seiner Unterstützung der PKK festhalten wird. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Unterstützerverhalten des Klägers sind detailreich und stellen - entgegen der Auffassung der Revision - keine zu schmale Tatsachengrundlage für die getroffenen Feststellungen dar. Damit erfüllt der Kläger die gesetzlichen Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, und es liegt ein Ausweisungsinteresse vor, das besonders schwer wiegt.

45

3. Die angefochtene Verfügung des Beklagten erfüllt auch die besonderen Voraussetzungen, die nach § 53 Abs. 3 AufenthG an die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings zu stellen sind. Ein solcher darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

46

a) Diese den Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG ergänzende Vorschrift legt erhöhte Ausweisungsvoraussetzungen für mehrere rechtlich privilegierte Personengruppen fest, nämlich für Ausländer, die als Asylberechtigte anerkannt sind, die im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießen, die einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention besitzen, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder die eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU besitzen. Für all diese Personengruppen gilt der besondere aus Art. 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG abgeleitete Maßstab, den der Gerichtshof der Europäischen Union auch auf Ausländer erstreckt hat, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - C-371/08 [ECLI:EU:C:2011:809], Ziebell - Slg. 2011, I-12735 Rn. 79, 86). Der Senat folgt nicht der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, wonach die Voraussetzungen des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 53 Abs. 3 AufenthG von vornherein "bereichsspezifisch" gemäß dem durch das Unionsrecht für den jeweiligen Personenkreis bestimmten Ausweisungsschutz auszulegen sind. Vielmehr hat der Gesetzgeber den unionsrechtlichen Schutzstandard für daueraufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige für ausreichend befunden und dessen Geltung für alle genannten Personengruppen angeordnet. Dies entbindet freilich nicht davon, in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob für die jeweils betrachtete Personengruppe der so durch den nationalen Gesetzgeber definierte Ausweisungsschutz dem unionsrechtlichen Maßstab tatsächlich genügt. Nur wenn der unionsrechtliche Maßstab strenger ist als derjenige, der durch den Gesetzgeber in § 53 Abs. 3 AufenthG festgelegt worden ist, bedarf § 53 Abs. 3 AufenthG nach allgemeinen Grundsätzen einer unionsrechtskonformen Auslegung, die angesichts der Weite der Tatbestandsmerkmale und des erkennbaren gesetzgeberischen Willens, europarechtlichen Maßstäben zu genügen, auch möglich ist (so auch Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 54).

47

Im vorliegenden Fall ist § 53 Abs. 3 AufenthG unionsrechtskonform nach den Vorgaben der EU-Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU auszulegen. Die Richtlinie formuliert keine Vorgaben für eine Ausweisung im Sinne des deutschen Rechts, wohl aber für eine Zurückweisung in den Herkunftsstaat (Art. 21 Abs. 2 und 3) und für den Entzug des Aufenthaltstitels (Art. 24 Abs. 1).

48

b) Nach Art. 21 Abs. 3 der EU-Anerkennungsrichtlinie darf ein Mitgliedstaat den einem Flüchtling erteilten Aufenthaltstitel widerrufen, wenn die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 2 vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 2012 - 1 C 8.11 - BVerwGE 143, 138 Rn. 21). Fällt ein Flüchtling nicht in den Anwendungsbereich von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie, kann auch Abs. 3 dieser Vorschrift nicht zu Anwendung kommen (EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 - Rn. 44). Eine Zurückweisung ist nach Art. 21 Abs. 2 Buchst. a zulässig, wenn es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass der Flüchtling eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält. Es kann offenbleiben, ob vom Kläger eine Gefahr im Sinne dieser Vorschrift ausgeht, denn die Zurückweisung ist nur unter der weiteren Voraussetzung rechtmäßig, dass sie dem Mitgliedstaat nicht aufgrund seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen untersagt ist (Art. 21 Abs. 2). Dazu zählen die Verpflichtungen aus Art. 3 EMRK (vgl. Begründung der Kommission im Richtlinienvorschlag vom 12. September 2001 KOM (2001) 510 endg. S. 33 zu Art. 19). Dem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK kommt absoluter Charakter zu; es kann mithin - anders als das Refoulement-Verbot nach Art. 33 Abs. 1 GFK - nicht unter den Voraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 Richtlinie 2011/95/EU i.V.m. Art. 35 Abs. 2 GFK durchbrochen werden (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 5. April 2016 - C-404/15 und C-659/15 PPU [ECLI:EU:C:2016:198], Aranyosi und Căldăraru - Rn. 85 - 87; EGMR, Urteil vom 17. Dezember 1996 - Nr. 71/1995/577/663, Ahmed/Österreich - NVwZ 1997, 1100 Rn. 39 - 41). Für den Kläger besteht ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK. Denn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat im Anerkennungsbescheid vom 9. Oktober 1997 nicht nur die Flüchtlingseigenschaft des Klägers nach dem seinerzeit maßgeblichen § 51 Abs. 1 AuslG 1990, sondern auch ein Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990 hinsichtlich der Türkei festgestellt und dieses damit begründet, dass dem Kläger in der Türkei unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Diese Feststellung des Bundesamts begründet hier ein - absolutes - nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Insoweit kommt der Feststellung des Bundesamts im vorliegenden Verfahren über § 42 AsylG auch Bindungswirkung zu. Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU begrenzt damit den behördlichen Handlungsspielraum für eine Abschiebung in einen Verfolgerstaat oder einen Staat, in dem Gefahren nach Art. 3 EMRK drohen. Die Vorschrift setzt jedoch keine Maßstäbe für eine lediglich "inlandsbezogene" Ausweisung, die - wie hier - insbesondere den Verlust des Aufenthaltstitels zur Folge hat.

49

c) Unionsrechtliche Maßstäbe für eine zum Verlust des Aufenthaltstitels eines Flüchtlings führende inlandsbezogene Ausweisung lassen sich aus Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie gewinnen. Die Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten, einem Flüchtling so bald wie möglich nach der Anerkennung einen Aufenthaltstitel auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.

50

(aa) Der Inhalt dieser Norm wurde vom Gerichtshof der Europäischen Union in einem auf ein Vorlageersuchen des Berufungsgerichts ergangenen Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) näher bestimmt. Die Entscheidung bezieht sich zwar auf Art. 24 Abs. 1 der EG-Anerkennungsrichtlinie 2004/83/EG, ihre Aussagen sind aber uneingeschränkt auf die in der Sache unveränderte Vorschrift des Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU übertragbar. Danach kann einem Flüchtling nach Art. 24 Abs. 1 nicht nur die Erteilung eines Aufenthaltstitels versagt werden, sondern der erteilte Aufenthaltstitel auch nachträglich widerrufen werden, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen (a.a.O. Rn. 55). Soweit in der Neufassung der Vorschrift nunmehr von zwingenden Gründen der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung die Rede ist, ist damit keine inhaltliche Änderung verbunden. Diese Wirkung einer Entziehung des Aufenthaltstitels kommt der hier verfügten Ausweisung zu, die wegen des entgegenstehenden Abschiebungsverbots nach Art. 3 EMRK nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung führt. Entgegen einer am Wortlaut orientierten Auslegung von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie hat der darin verwendete Begriff der "zwingenden Gründe" nach dem EuGH-Urteil eine weitere Bedeutung als der Begriff der "stichhaltigen Gründe" in Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie. Das bedeutet, dass bestimmte Umstände, die nicht den Schweregrad aufweisen, um eine Zurückweisung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie verfügen zu können, den Mitgliedstaat gleichwohl dazu berechtigen können, auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie dem betroffenen Flüchtling seinen Aufenthaltstitel zu entziehen (a.a.O. Rn. 75).

51

Bei der Bestimmung des Bedeutungsgehalts der "zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" hat der EuGH zunächst Bezug auf seine Rechtsprechung zu den Begriffen der "öffentlichen Sicherheit" und der "öffentlichen Ordnung" in Art. 27 und 28 der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG genommen (a.a.O. Rn. 77 ff.). Danach umfasst der Begriff "öffentliche Sicherheit" im Sinne von Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats. Die öffentliche Sicherheit kann danach berührt sein, wenn das Funktionieren staatlicher Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste beeinträchtigt wird oder eine Gefahr für das Überleben der Bevölkerung oder einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker besteht oder militärische Interessen beeinträchtigt werden. Dabei deutet der Begriff der "zwingenden Gründe" auf einen besonders hohen Schweregrad der Beeinträchtigung hin (a.a.O. Rn. 78). Den Begriff der "öffentlichen Ordnung" hat der EuGH für die Unionsbürgerrichtlinie dahin ausgelegt, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliegen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (a.a.O. Rn. 79). Zugleich betont er, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, nach ihren nationalen Bedürfnissen, die je nach Mitgliedstaat und Zeitpunkt unterschiedlich sein können, zu bestimmen, was die öffentliche Ordnung und Sicherheit erfordern (a.a.O. Rn. 77).

52

Für den Fall der Unterstützung des Terrorismus hat der EuGH zudem auf den 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83/EG, heute 37. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95/EU hingewiesen, wonach der Begriff der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" auch für die Fälle gilt, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt. Dabei muss das nationale Gericht in einem ersten Schritt prüfen, ob die Handlungen der fraglichen Organisation die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedrohen. Wird eine vom Flüchtling unterstützte Vereinigung in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93) geführt, ist dies ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie entweder eine terroristische Organisation ist oder im Verdacht steht, eine solche Organisation zu sein (a.a.O. Rn. 83). Allein der Umstand, dass ein Flüchtling eine solche Organisation unterstützt hat, darf jedoch nicht automatisch zur Aufhebung seines Aufenthaltstitels führen. Vielmehr ist in einem zweiten Schritt einzelfallbezogen die Rolle zu prüfen, die der Betreffende im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt hat (a.a.O. Rn. 90), und auch der Schweregrad der Gefahr zu beurteilen, die von seinen Handlungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (a.a.O. Rn. 92).

53

(bb) Das Berufungsgericht hat die vom Kläger geleisteten und ihm zuzurechnenden Unterstützungshandlungen an dem vom EuGH präzisierten Maßstab für die Auslegung des Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie gemessen und ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass sich hieraus zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ergeben, die einen Entzug des Aufenthaltstitels gegenüber dem Kläger rechtfertigen. Das Gericht hat bereits im Rahmen seiner Prüfung des besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausführlich begründet, warum die PKK eine terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung darstellt (UA S. 27 - 34). Dabei hat es gewürdigt, dass die PKK auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist und auch weiterhin terroristische Aktivitäten entfaltet. In einem zweiten Schritt hat es näher dargelegt, warum die in Deutschland agierenden Vereinigungen YEK-KOM und NAV-DEM, für die der Kläger seit mehr als zwölf Jahren in hervorgehobenen Funktionen wirkte, und der Kläger auch individuell durch Anmeldung und Leitung von Versammlungen sowie Redebeiträge und weitere Aktivitäten die PKK unterstützt haben und weiter unterstützen (UA S. 55, 34 - 48). Die Bewertung des Berufungsgerichts, dass der Kläger damit die Voraussetzungen für den Entzug seines Aufenthaltstitels nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie erfüllt, steht mit der Rechtsprechung des EuGH in Einklang. Zwar hat er selbst keine terroristischen Handlungen begangen, auch nicht andere Personen hierzu angeleitet oder sich an der Planung oder Finanzierung terroristischer Aktionen beteiligt, wie das der EuGH als mögliches Unterstützerhandeln erwähnt (a.a.O. Rn. 90). Diese Aufzählung des Gerichtshofs ist jedoch nur beispielhaft, macht zugleich aber deutlich, dass der Betreffende eine gewichtige Rolle im Rahmen seiner Unterstützung der terroristischen Organisation gespielt haben muss.

54

Bei der Frage, was als gewichtig anzusehen ist, ist der 37. Erwägungsgrund der Richtlinie zu berücksichtigen, wonach auch die Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, und die Unterstützung einer derartigen Vereinigung als Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung anzusehen sind. Die abschließende Bewertung, ob die Unterstützungshandlung hinreichend gewichtig ist, um "zwingende Gründe" darzustellen, überlässt der Gerichtshof dem verantwortlichen nationalen Gericht und erkennt auch einen Einschätzungsspielraum der Mitgliedstaaten an, nach ihren nationalen Bedürfnissen zu bestimmen, was die nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung erfordern. Diese abschließende Bewertung hat das Berufungsgericht dahin getroffen, dass die Unterstützungshandlungen des Klägers dem von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie geforderten Gewicht entsprechen. Es hat dies auf der Grundlage der Gewichtungsvorgabe des nationalen Gesetzgebers in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nachvollziehbar mit dem mehr als zwölfjährigem Unterstützerhandeln des Klägers in hervorgehobener Position innerhalb zweier Vereinigungen begründet, in dessen Rahmen er an zahlreichen Veranstaltungen mitwirkte, an denen sich Akteure beteiligten, die offen für die PKK warben und deren Kurs vorbehaltlos befürworteten (Auftreten in Guerillauniform, Märtyrergedenken, Grußbotschaften an die Kämpfer an der Front usw.). Für das Gewicht seines Unterstützerhandelns durfte das Gericht auch berücksichtigen, dass der Kläger nach den tatrichterlichen Feststellungen in vollem Bewusstsein um dessen Bedeutung für den ideologischen Zusammenhalt der PKK und in dem Willen gehandelt hat, diese vorbehaltlos auch in Bezug auf deren terroristische Aktivitäten zu unterstützen (UA S. 55).

55

(cc) Der EuGH hat in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13 Rn. 95 ff.) aber hervorgehoben, dass ein Flüchtling, dessen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie aufgehoben wird, seinen Flüchtlingsstatus behält, sofern und solange ihm nicht dieser Status entzogen worden ist. Daher ist er auch nach dem Verlust seines Aufenthaltstitels weiterhin Flüchtling und hat in dieser Eigenschaft weiterhin Anspruch auf die Vergünstigungen, die das Kapitel VII der Richtlinie jedem Flüchtling gewährleistet, so insbesondere auf Schutz vor Zurückweisung, auf Wahrung des Familienverbands, auf Ausstellung von Reisedokumenten, auf Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung, zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie auf Zugang zu Integrationsmaßnahmen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift. Diese Rechte dürfen, auch soweit sie nach nationalem Recht an den Besitz eines Aufenthaltstitels anknüpfen, von den zuständigen Behörden daher nicht mit der Begründung versagt werden, dass der Aufenthalt des Flüchtlings infolge der Ausweisung rechtswidrig geworden ist. Allerdings darf die Ausstellung eines Reiseausweises nach Art. 25 EU-Anerkennungsrichtlinie versagt werden, wenn - etwa zur Begegnung der Gefahr terroristischen Unterstützungshandelns - zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung entgegenstehen. Ebenso dürfen nach Art. 33 der Richtlinie aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen verfügt werden, wenn diese aus Gründen der öffentlichen Sicherheit auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern zulässig sind.

56

Eventuelle Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der dem Flüchtling auch nach Entzug des Aufenthaltstitels weiter zustehenden Rechte nach Kapitel VII der EU-Anerkennungsrichtlinie infolge unzureichender Umsetzung der Richtlinie in den einschlägigen nationalen Fachgesetzen berühren nicht die Rechtmäßigkeit der verfügten Ausweisung. An die Beachtung der einen Flüchtling unmittelbar begünstigenden Vorschriften in Kapitel VII der Richtlinie und die hierzu ergangene Rechtsprechung des EuGH sind seit Ablauf der Umsetzungsfrist alle nationalen Behörden gebunden. Der Flüchtling hat seine Rechte gegenüber den jeweils zuständigen Behörden und erforderlichenfalls Gerichten geltend zu machen. Auch die Generalanwältin hat es insoweit als die Pflicht der nationalen Gerichte angesehen, für die volle Wirksamkeit der Bestimmungen der Richtlinie Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede entgegenstehende Vorschrift des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 11. September 2014 - C-373/13 - Rn. 114 letzter Absatz).

57

4. Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen gewichtige Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1, § 55 AufenthG gegenüber. Diese hat das Berufungsgericht zutreffend bestimmt (UA S. 59 f.). Es hat berücksichtigt, dass der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besessen hat, die durch die Ausweisungsverfügung betroffen ist, er mit deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und er sein Personensorgerecht für minderjährige ledige Deutsche ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG).

58

5. Das Berufungsgericht hat das öffentliche Ausweisungsinteresse gegen die Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG unter Berücksichtigung der den Einzelfall prägenden Umstände abgewogen und ist unter Beachtung des hierfür zentralen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass das Ausweisungsinteresse überwiegt (UA S. 60 - 64). Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Gericht hat berücksichtigt, dass der Kläger besonderen Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie genießt, hier allerdings auf absehbare Zeit keine Aufenthaltsbeendigung beabsichtigt ist, da ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht. Es hat seinen langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und seine familiären Bindungen im Sinne von Art. 6 GG, Art. 8 EMRK gewürdigt, diesen durch die Verfügung allerdings insoweit nicht als beeinträchtigt angesehen, als keine Aufenthaltsbeendigung erfolgt. Es hat bei seiner Abwägung berücksichtigt, dass der Kläger in seinen geschützten Bindungen dadurch betroffen ist, dass sein Aufenthalt auf das Gebiet der Stadt M. beschränkt und er Meldeauflagen unterworfen ist. Weitere schützenswerte Bindungen hat das Gericht nicht anerkannt und dies nachvollziehbar damit begründet, dass der Kläger ungeachtet seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland kaum deutsch spricht, nur sporadisch und für kürzere Zeiträume erwerbstätig war und seit längerem von Sozialleistungen abhängig ist. Schließlich hat das Berufungsgericht in die Abwägung eingestellt, dass es der Kläger in der Hand hat, durch eine glaubhafte Abkehr von seinem bisherigen Verhalten eine Aufhebung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu erreichen.

59

6. Ohne Rechtsverstoß wertet das Berufungsurteil die in Ziffer 2 der angefochtenen Verfügung angeordnete Aufenthaltsbeschränkung und die verfügten Meldeauflagen als rechtmäßig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliegt ein Ausländer, gegen den - wie hier - eine Ausweisungsverfügung aufgrund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG besteht, der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Gestützt auf diese Ermächtigung hat der Beklagte bestimmt, dass sich der Kläger zweimal wöchentlich zu melden hat. Ferner hat er den Aufenthalt des Klägers auf den Bereich der Stadt M. beschränkt, wie das § 56 Abs. 2 AufenthG vorsieht, wenn die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft. Diese aufenthaltsbeschränkenden Maßnahmen durften gegenüber dem Kläger trotz dessen Rechtsstellung als Flüchtling ergehen. Dadurch wird sein Recht auf Freizügigkeit gemäß Art. 33 EU-Anerkennungsrichtlinie nicht verletzt. Denn derartige Maßnahmen dürfen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, wie sie hier wegen des Erfordernisses der Abwehr von terrorismusfördernden Aktivitäten vorliegen, auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern verfügt werden (§ 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG).

60

7. Zutreffend ist das Berufungsgericht auch zu dem Ergebnis gekommen, dass die für die Ausweisung des Klägers anwendbaren Regelungen des Ausweisungsrechts nicht gegen assoziationsrechtliche Verschlechterungsverbote aus Art. 13 ARB 1/80, Art. 7 ARB 2/76 und Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen (BGBl. 1972 II S. 385) verstoßen. Dabei kann offenbleiben, ob hier überhaupt eines der Verschlechterungsverbote Anwendung findet. Denn der zum 1. Januar 2016 eingeführte Übergang von einer Ermessensentscheidung zu einer gebundenen Entscheidung stellt keine Verschlechterung der Rechtsstellung des betroffenen Ausländers dar (a). Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung bewirkte zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für betroffene Ausländer, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt (b).

61

a) Die zum 1. Januar 2016 eingeführte Neuregelung des Ausweisungsrechts, die die bisherige Ermessensausweisung durch eine am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte gebundene Ausweisung abgelöst hat, hat die Rechtsstellung der Ausländer in der hier gebotenen und auch unionsrechtlich statthaften Gesamtschau nicht verschlechtert, sondern jedenfalls teilweise verbessert. Denn bisher sah das Gesetz Tatbestände einer zwingenden Ausweisung (Ist-Ausweisung), regelmäßig erfolgenden Ausweisung (Soll-Ausweisung) und Ausweisung nach Ermessen (Kann-Ausweisung) vor. Die zwingende Ausweisung und die regelmäßig erfolgende Ausweisung widersprachen für den Personenkreis der unionsrechtlich privilegierten Ausländer der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach eine Ausweisung ausschließlich auf ein persönliches Verhalten des Ausländers gestützt werden darf, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 [ECLI:EU:C:2004:262], Orfanopoulos und Oliveri - Slg. 2004, I-5257 Rn. 66 f.). Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass eine Regelung gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, wonach eine Ausweisung automatisch aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung verfügt wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird (a.a.O. Rn. 70). Aber auch die nationale Bestimmung über die Regelausweisung hat für den Gerichtshof den Anschein erweckt, dass trotz der Berücksichtigung individueller Umstände ein gewisser Automatismus oder jedenfalls eine Vermutung besteht, dass der betreffende Staatsangehörige auszuweisen ist (a.a.O. Rn. 92).

62

Daraus hat das Bundesverwaltungsgericht die Schlussfolgerung gezogen, dass die gesetzliche Regelung zur zwingenden Ausweisung und Regelausweisung auf unionsrechtlich privilegierte Ausländer nicht mehr angewendet werden darf (BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <302> betreffend Unionsbürger und - 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <321> betreffend Assoziationsberechtigte nach ARB 1/80). Der Gesetzgeber hat daraus durch das zum 1. Januar 2016 in Kraft getretene neue Ausweisungsrecht die Konsequenzen gezogen. Insofern stellt die neue Rechtslage eine Verbesserung gegenüber der bisherigen dar. Eine Ausweisung nach neuem Recht hat eine einzelfallbezogene umfassende Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen und orientiert sich dabei strikt am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 53 Abs. 1 und 2 AufenthG). Damit setzt der Gesetzgeber Vorgaben um, die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 - Rn. 99) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR , Urteil vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 57 - 60) ergeben.

63

Es stellt keine Verschlechterung der Rechtslage für unionsrechtlich privilegierte Ausländer dar, dass ihre Ausweisung nach früherer Rechtslage im Wege einer Ermessensentscheidung erfolgte, nach neuem Recht hingegen im Wege einer rechtlich gebundenen Ausweisung, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Damit entfällt zwar die Möglichkeit, aus Gründen der Zweckmäßigkeit von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen. Auf ein solches Absehen von einer rechts- und ermessensfehlerfrei möglichen Ausweisung hatte der Ausländer aber zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch, auch die gerichtliche Kontrolle war insoweit durch § 114 VwGO eingeschränkt; durch die gesetzliche Neuregelung wird also keine individuelle Rechtsposition beeinträchtigt. Im Übrigen ist für die Beachtung des Verschlechterungsverbots auf die tatsächliche Praxis und nicht allein auf die abstrakte Rechtslage abzustellen. Die Rechtspraxis wurde maßgeblich durch die Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz des Bundesministeriums des Innern vom 26. Oktober 2009 gesteuert. Danach lag die Ausweisungsentscheidung im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde, bei der Ermessensausübung waren das schutzwürdige Interesse des Ausländers am weiteren Verbleib in Deutschland und das öffentliche Interesse an der Ausweisung gegeneinander abzuwägen (Ziffer 55.1.3). Das weist auf eine Rechtspraxis hin, die der heute normierten gebundenen Ausweisung entspricht, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Insofern hat sich die Rechtsstellung des Ausländers nicht verschlechtert.

64

b) Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung hat zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für die betroffenen Ausländer bewirkt, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Die seinerzeitige Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung (§ 54 Nr. 5 AufenthG a.F.) führte zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gegenüber der früheren Rechtslage, die allein den Tatbestand der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland kannte. Durch die Rechtsänderung wurde nun auch die Vorfeldunterstützung des Terrorismus erfasst. Diese ist jedoch mit Blick auf das Verschlechterungsverbot aus Art. 13 ARB 1/80 aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 14 ARB 1/80, jedenfalls aber durch ein zwingendes Allgemeininteresse, namentlich die völkerrechtlich gebotene Terrorismusbekämpfung auch bereits im Vorfeld unmittelbarer terroristischer Handlungen, gerechtfertigt.

65

8. Nach der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG ist über die Länge der Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach Ermessen zu entscheiden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Diese gesetzgeberische Entscheidung ist mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom gleichen Tage - 1 C 27.16 - Rn. 20 ff.). Das Urteil des Senats zur Vorläuferfassung des § 11 AufenthG a.F., wonach eine gebundene Entscheidung zu treffen war (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.), erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihm ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen. Eine solche Ermessensentscheidung hat der Beklagte hier noch nicht getroffen. Vielmehr hat bisher das Verwaltungsgericht das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach der seinerzeit geltenden Rechtslage im Wege einer gebundenen Entscheidung auf acht Jahre festgesetzt.

66

Der Beklagte hat die nach neuem Recht nunmehr gebotene Ermessensentscheidung nachzuholen. Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange.

67

B. Der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellte (weitere) Hilfsantrag, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass dem Kläger auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie, ist unzulässig. Er stellt eine unzulässige Klageerweiterung im Revisionsverfahren dar (§ 142 Abs. 1 VwGO). Im Übrigen bedarf es einer solchen behördlichen Feststellung auch nicht. Aus dem für alle nationalen Behörden verbindlichen EuGH-Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) ergibt sich bis zu einer dem Gesetzgeber vorbehaltenen Anpassung der einschlägigen Fachgesetze hinreichend deutlich, dass dem Kläger - solange er die Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der EU-Anerkennungsrichtlinie genießt - auch die mit dieser Rechtsstellung einhergehenden Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie zustehen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift (vgl. dazu auch die vorstehenden Ausführungen in Rn. 55 f. dieses Urteils).

68

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat gewichtet den gegen die Ausweisung, die Meldeauflage, die Aufenthaltsbeschränkung und die Abschiebungsandrohung gerichteten Anfechtungsantrag mit 4/5 und den auf Befristung zielenden Verpflichtungsantrag mit 1/5 (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 46).

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) Gegen den Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühren festgesetzt worden ist (§ 63 Absatz 2), findet die Beschwerde statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt. Die Beschwerde findet auch statt, wenn sie das Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zulässt. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb der in § 63 Absatz 3 Satz 2 bestimmten Frist eingelegt wird; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Im Fall der formlosen Mitteilung gilt der Beschluss mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gemacht. § 66 Absatz 3, 4, 5 Satz 1, 2 und 5 sowie Absatz 6 ist entsprechend anzuwenden. Die weitere Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung des Beschwerdegerichts einzulegen.

(2) War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden. Gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung findet die Beschwerde statt. Sie ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von zwei Wochen eingelegt wird. Die Frist beginnt mit der Zustellung der Entscheidung. § 66 Absatz 3 Satz 1 bis 3, Absatz 5 Satz 1, 2 und 5 sowie Absatz 6 ist entsprechend anzuwenden.

(3) Die Verfahren sind gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.