Verwaltungsgericht Magdeburg Urteil, 28. März 2018 - 3 A 10/17

bei uns veröffentlicht am28.03.2018

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt vom Beklagten den teilweisen Erlass der ihm auferlegten Abwasserabgabe.

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Der Kläger betreibt in seinem Verbandsgebiet mehrere zentrale Abwasserbeseitigungsanlagen, u.a. in A-Stadt und K.. Des Weiteren beseitigt er in Kleinkläranlagen anfallende Klärschlämme und in abflusslosen Sammelgruben gesammelte Abwässer.

3

Mit Bescheid vom 18.12.2013 setzte der Beklagte gegen den Kläger eine Abwasserabgabenforderung für das Veranlagungsjahr 2009 in Höhe von 327.521,82 € fest. Zur Begründung der Abgabenhöhe wurde ausgeführt, die vom Kläger heraberklärten Werte seien nicht zugrundegelegt worden, weil sie mit einem nicht zugelassenen Analyseverfahren erzielt worden seien. Die Kleinkläranlage G. und die Kläranlage K. hätten nicht dem Stand der Technik entsprochen. Die hiergegen erhobene Klage wurde, nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit wegen eines Teilbetrages übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt hatten, überwiegend abgewiesen (VG Magdeburg, Urt. v. 21.10.2015 - 9 A 12/14 MD -). Die Abwasserabgabe sei insoweit rechtmäßig festgesetzt worden. Den Nachweis geringerer Grenzwerte habe der Kläger nicht erbracht, da er ein behördlich nicht zugelassenes Messverfahren verwendet habe. Die des Weiteren im Streit stehenden Anlagen hätten nicht über den gesamten Erhebungszeitraum dem Stand der Technik entsprochen. Das Urteil ist aufgrund des Beschlusses des OVG Sachsen-Anhalt v. 26.2.2016 - 4 L 210/15 - in Rechtskraft erwachsen.

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Am 21.12.2015 beantragte der Kläger beim Beklagten, ihm die Abwasserabgabenforderung für das Veranlagungsjahr 2009 teilweise in Höhe von 63.169,94 € zu erlassen. Dem Zweck des Abwasserrechts, die Belastung der Gewässer so gering wie möglich zu halten, habe er mit Anwendung des Küvettentestverfahrens Genüge getan und auf der Grundlage der so ermittelten Ergebnisse die Heraberklärung der Werte zur Vermeidung einer Abwasserabgabe in der festgesetzten Höhe beantragt. Die Kleinkläranlage G. entspreche dem Stand der Technik, denn sie habe die zusätzlichen Anschlussnehmer ohne Wertüberschreitungen verarbeitet, wie sich aus der Bauartzulassung, den Wartungsprotokollen und Analyseergebnissen ergebe. Der am 29.7.2009 festgestellte Defekt sei noch am selben Tag behoben worden. Auch die Kläranlage Könnern entspreche dem Stand der Technik. Wie im Verfahren 9 A 12/14 MD dargelegt, seien die Werte (bis auf eine Ausnahme im Phosphor) trotz der erhöhten Anschlusszahl eingehalten worden.

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Mit Bescheid vom 10.3.2016 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte der Beklagte aus, persönliche Billigkeitsgründe seien weder geltend gemacht noch ersichtlich. Die vorgetragenen Gründe rechtfertigten keine sachliche Billigkeitsentscheidung. Es sei vom Gesetzgeber gewollt, dass die Abwasserabgabe zu zahlen sei, wenn nicht durch ein behördlich zugelassenes Messverfahren nachgewiesen werde, dass die Schadstoff-Überwachungswerte eingehalten worden seien. Das vom Kläger verwendete Küvettenverfahren sei 2009 nicht behördlich zugelassen gewesen. Die Kleinkläranlage G. habe nicht dem Stand der Technik entsprochen, so dass Erlasserwägungen nicht in Betracht kämen. Sie sei lediglich für 12 Einwohner ausgelegt und nicht für die tatsächlich angeschlossenen 20. Auch habe sie während des Veranlagungszeitraums einen Defekt aufgewiesen. Dass der Mangel schnell beseitigt worden sei, sei unerheblich. Die Kläranlage K. sei mit einer erhöhten Zulauffracht gefahren worden und habe bis 2012 keine Phosphatfällung ermöglicht. 2009 sei der Wert Phosphor-gesamt überschritten worden. Damit sei der Stand der Technik nicht erreicht worden, so dass auch insoweit keine Billigkeitsgründe vorlägen, auf die Abwasserabgabe zu verzichten.

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Am 4.4.2016 hat der Kläger Klage erhoben.

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Der Kläger trägt vor: Es brauche keine persönliche Härte vorzuliegen, um Billigkeitsgründe geltend zu machen. Ihm stünden durchgreifende sachliche Billigkeitsgründe zur Seite. Der Beklagte habe sich mit dem Einzelfall nicht ausreichend auseinandergesetzt. Das von ihm, dem Kläger, zur Heraberklärung der Schadstoffwerte verwendete, deutschlandweit verbreitete Küvettentestverfahren sei als gleichwertig heranzuziehen. Es sei nach Sinn und Zweck des Abwasserabgabenrechts fortschrittlich und umweltfreundlich und werde in anderen Bundesländern anerkannt. Durch Erlass des MLU v. 5.3.2014 (MBL. LSA S.125) werde das Verfahren zum Nachweis geringerer Werte jetzt zugelassen. Dessen hätte es schon früher bedurft, auch rückwirkend für das Jahr 2009. Mit seiner Festlegung eines zugelassenen Analyseverfahrens habe der Gesetzgeber nur bedingt die praktische Fortentwicklung vorhergesehen. Dem Sinn nach gehe es schließlich um die Minimierung schädlicher Einleitungen und infolgedessen Absenkung der Abgabe, die eine lenkende Zwangsabgabe darstelle und die Abgabepflichtigen nur dazu anhalten solle, im Sinne des Umweltschutzes zu handeln. Der Beklagte habe darauf unter Zugrundelegung einer praxisnahen Betrachtung zu reagieren. Er habe auch nicht erst nach Ausschöpfen der 4-jährigen Festsetzungsfrist entscheiden dürfen. Hierdurch sei ihm, dem Kläger, eine entsprechende Reaktion unmöglich gemacht worden. Die obere Wasserbehörde sei gehalten, unter Einbeziehung aller relevanten Aspekte dafür zu sorgen, dass eine für alle Beteiligten günstige Situation geschaffen werde. Der Beklagte habe ihn, den Kläger, entgegen seiner Pflicht nicht darauf hingewiesen, dass ein Antrag auf Anerkennung des durchgeführten Analyseverfahrens als gleichwertig hätte gestellt werden können. Er habe im Rahmen seiner Fürsorgepflicht über zugelassene Verfahren und die Probleme von adäquaten Analysemethoden informieren müssen. Bezüglich der Kleinkläranlage G. sei gerade nicht unerheblich, dass unerheblich sei, seit wann und wie lange der Mangel bestanden habe und dass Mangelfreiheit und angeschlossene Einwohnerzahl nur kumulativ für die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik vorliegen könnten. Abgabefreiheit im Sinne der wasserrechtlichen Erlaubnis liege auch dann vor, wenn ein Mangel unverzüglich - wie hier am selben Tag (Wartungsprotokolle v. 29.7.2009 - Bl. 34 der Gerichtsakte - und 27.11.2009 - Bl. 35 der Gerichtsakte -) - behoben werde (Punkt II Nr. 2.15). Die Anlage entspreche ausweislich des Prüfberichts v. 7.4.2009 (Bl. 36 der Gerichtsakte) sehr wohl dem Stand der Technik, auch wenn praktisch mehr Einwohner angeschlossen seien, als in der wasserrechtlichen Erlaubnis vorgesehen sei. Dem Beklagten sei auch zum Stand der Technik der Kläranlage Könnern zu widersprechen. Das Gutachten des Instituts für Wasserwirtschaft H. vom 3….2011 belege, dass die Anlage (bis auf eine Ausnahme bei Phosphor) dem Stand der Technik entspreche. Im Rahmen der Eigenüberwachung habe die Einhaltung der Überwachungswerte (bis auf eine Ausnahme bei Phosphor) bestätigt werden können. Zur Phosphor-Problematik müsse es möglich sein, eine differenzierte praxisorientierte Verrechnung vorzunehmen. Es dürfe nicht nur an einer Formalie hängen, ob ein Verrechnungstatbestand oder kein Verrechnungstatbestand vorliege. Mit dem Anschluss der Ortsteile an die Kläranlage K. sei in jedem Fall eine Verminderung des Eintrags der Schadstoff-Parameter in die Gewässer durch Schmutzwasser erreicht worden. Diese Minderung sei auch nachvollziehbar größer als die geforderten 20 %, damit eine Verrechnung der Abwasserabgabe erfolgen könne.

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Der Kläger beantragt,

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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 10.3.2016 zu verpflichten, den Antrag des Klägers vom 21.12.2015 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Der Beklagte erwidert: Eine Verringerung der Abgabenforderung könne nur erfolgen, wenn der Nachweis über die Einhaltung des erklärten Wertes durch ein behördlich zugelassenes Messprogramm erfolge. Auch wenn der Kläger nach seiner Ansicht zum Nachweis der heraberklärten Werte umweltschonendere Verfahren verwendet habe, lasse der Wortlaut der hier einschlägigen Norm keine andere Auslegung zu. Er, der Beklagte, habe zudem genau das Verfahren zum Nachweis der heraberklärten Werte genehmigt, das der Kläger beantragt habe. Es habe kein Grund für weitergehende Hinweispflichten bestanden. Die Handhabe in anderen Bundesländern ändere daran nichts. Der vom Kläger erwähnte Erl. d. MLU v. 5.3.2014 sei erst ab April 2014 in Kraft getreten und nicht auf das Veranlagungsjahr 2009 anwendbar. Die Kleinkläranlage G. habe im Veranlagungszeitraum nachweislich den Stand der Technik nicht eingehalten (VG Magdeburg, Urt. v. 21.10.2015 - 9 A 12/14 MD -, zit. nach juris, Rn. 44), so dass sich die Frage eines Abgabenerlasses nicht stelle. Der klägerische Verweis auf die baulichen Anforderungen und Wartung der Abwasserbeseitigungsanlage G. (Punkt II. Nr. 2.15 der wasserrechtlichen Erlaubnis v. 25.6.1999, Bl. 12 der Beiakte) sei im Abwasserabgabenrecht irrelevant. Die ordnungsrechtliche Zulässigkeit des Baues und des Betriebes einer Kleinkläranlage lasse keinen Rückschluss zu auf die Behandlung in abgabenrechtlicher Hinsicht. Bezüglich der Kläranlage K. sehe er, der Beklagte, den Stand der Technik 2009 ebenfalls weiterhin als nicht erfüllt an. Die Ablehnung der Verrechnung von Aufwendungen für Maßnahmen der Kläranlage K. sei rechtmäßig und begründe keine Billigkeitsmaßnahmen. Dadurch, dass die Kläranlage mit einer erhöhten Zulauffracht beaufschlagt worden sei, gälten für sie die zusätzlichen Anforderungen der nächsthöheren Größenklasse mit einer zusätzlichen Reinigungsstufe (Phosphatfällung), die im Veranlagungszeitraum gefehlt habe. Der Kläger bestätige zudem selbst, dass der Phosphorwert nicht eingehalten worden sei. Nichts anderes gehe aus dem Gutachten des Sachverständigen Halbach hervor. Für die Beurteilung der Verrechenbarkeit von Aufwendungen könne nicht die tatsächliche Zulauffracht ausgeblendet und auf die günstigere Größenklasse abgestellt werden.

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Wegen der näheren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verfahrensakte, der Gerichtsakte 9 A 12/14 MD sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Die Unterlagen waren Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

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Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gem. § 101 Abs. 2 VwGO durch Urteil ohne mündliche Verhandlung.

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Die zulässige Klage ist unbegründet.

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Der Bescheid des Beklagten vom 10.3.2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten; der Kläger hat keinen Anspruch auf Neubescheidung seines Teilerlassantrags vom 21.12.2015 (§ 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 2 VwGO).

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Rechtsgrundlage für das klägerische Begehren ist § 11 a AG AbwAG LSA. Nach dieser Norm kann die obere Wasserbehörde nach Maßgabe der Landeshaushaltsordnung des Landes Sachsen-Anhalt die Abgabe stunden, erlassen oder niederschlagen. Hinsichtlich des vom Kläger beantragten Erlasses der Forderung bestimmt § 59 Abs. 1 Nr. 3 S. 1 LHO LSA, dass die zuständige oberste Landesbehörde Ansprüche nur erlassen darf, wenn die Einziehung nach Lage des einzelnen Falles für den Anspruchsgegner eine besondere Härte bedeuten würde.

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Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

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§ 59 LHO lockert die Bindung der Behörde an den Haushaltsplan, indem er das Gebot des § 34 Abs. 1 LHO, wonach Einnahmen rechtzeitig und vollständig zu erheben sind, durchbricht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.8.1986, NVwZ 1987, 55). Das Gebot der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung (vgl. § 85 Abs. 1 AO) bzw. Abgabenerhebung verpflichtet die Behörden, Abgaben nach Maßgabe des Gesetzes zu erheben (vgl. BVerfG, Urt. v. 27.6.1991, BVerfGE 84, 239, 271). Einen freien Verzicht auf Abgabenforderungen gibt es nicht. Der Erlass einer abgabenrechtlichen Zahlungsverpflichtung stellt eine Begünstigung des Einzelnen zu Lasten der Allgemeinheit dar. Daher sind bei der Entscheidung über einen Erlassantrag strenge Maßstäbe anzulegen.

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Gemäß VV Nr. 3.4 zu § 59 LHO ist eine besondere Härteinsbesondere dann anzunehmen, wenn sich der Anspruchsgegner in einer unverschuldeten wirtschaftlichen Notlage befindet und zu besorgen ist, dass die Weiterverfolgung des Anspruchs zu einer Existenzgefährdung führen würde. Derartige persönliche Billigkeitsgründe sind vom Kläger weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. "Insbesondere" bedeutet jedoch, dass die Aufzählung nicht abschließend ist und dass mithin auch sachliche Billigkeitsgründe bestehen können (vgl. BFH, GrS, Beschl. v. 28.11.2016 - GrS 1/15 -, zit. nach juris, Rn. 98 zum Erlass von Steuern gem. § 227 AO).

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Die Vorschrift des § 59 Abs. 1 Nr. 3 LHO LSA ermächtigt die Verwaltung, im Interesse der Einzelfallgerechtigkeit eine an sich mit den haushaltsrechtlichen Grundsätzen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit (s. § 7, § 34 LHO LSA) nicht zu vereinbarende Entscheidung zu treffen, nämlich auf eine Einnahme (fällige Forderung) zu verzichten. Als Rechtsfolge sieht die Vorschrift eine gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbare Ermessensentscheidung vor, wobei Inhalt und Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens durch den Maßstab der besonderen Härte bestimmt werden (vgl. Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes v. 19.10.1971 - GmS-OGB 3/70 -, zit. nach juris, Rn. 14 ff. zum Begriff der Unbilligkeit in § 227 AO; BVerwG, Urt. v. 23.8.1990 - 8 C 42.88 -, zit. nach juris, Rn. 19, 40 zu § 227 Abs. 1 AO).

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Billigkeitsmaßnahmen dienen der Anpassung des abgabenrechtlichen Ergebnisses an die Besonderheiten des Einzelfalls, um Rechtsfolgen auszugleichen, die das Ziel der typisierenden gesetzlichen Vorschrift verfehlen und deshalb ungerecht erscheinen. Sie gleichen Härten im Einzelfall aus, die der abgabenrechtlichen Wertentscheidung des Gesetzgebers nicht entsprechen und damit zu einem vom Gesetzgeber nicht gewollten Ergebnis führen (vgl. Rüsken, in: Klein, AO, Kommentar, 12. Aufl., § 163 Rn. 32 m.w.N.). Eine Regelung, die der Gesetzgeber abstrakt hätte treffen können, kann nicht Gegenstand von Billigkeitsmaßnahmen sein. Ein Erlass kommt grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn es sich um einen Ausnahmefall handelt und die die Gefährdung bildenden Umstände erst nachträglich eingetreten sind. Es darf sich bei den geltend gemachten und zu berücksichtigenden Erlassgründen, welche die besondere Härte ausmachen, nicht um dieselben Gründe handeln, die bereits im Abgabenfestsetzungsverfahren nicht verfangen haben und Gegenstand einer in Bestandskraft erwachsenen Abgabenfestsetzungsentscheidung gewesen sind, denn § 59 Abs. 1 Nr. 3 LHO LSA dient nicht dazu, eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung zur Abweisung der Klage eines Abgabenschuldners gegen den Bescheid über die Abgabenerhebung auszuhebeln (vgl. Rüsken, a.a.O., § 163 Rn. 41).

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In Anwendung der vorstehenden Grundsätze ist festzustellen, dass die Ablehnung des klägerischen Teilerlassantrages nicht unbillig ist.

24

Der Kläger beansprucht zu Unrecht einen Teilerlass dafür, dass nach seinem Vorbringen dem Zweck des Abwasserrechts, den Schadstoffgehalt dem Wasser zugeführter Stoffe gering zu halten, Genüge getan worden sei, was aber bezüglich der gem. § 4 Abs. 5 S. 1 AbwAG heraberklärten Überwachungswerte allein durch die Verwendung eines zum Nachweis dessen nicht zugelassenen Messverfahrens keine Berücksichtigung bei der Festsetzung der Abwasserabgabe habe finden können. Soweit der Kläger sich auf die Einhaltung einer geringeren als der in der wasserrechtlichen Erlaubnis zugrundegelegten Schadstofffracht beruft, bleibt er dafür beweisfällig und sein Vortrag hypothetisch, denn der Nachweis dazu ist nach § 4 Abs. 5 S. 5 Hs. 1 AbwAG zwingend mittels eines behördlich zugelassenen Messverfahrens zu führen, das jedoch der Kläger nicht verwendet hat. Dies ist bereits Gegenstand der Klage des Klägers gegen die Festsetzung der Abwasserabgabe gewesen und rechtskräftig entschieden (VG Magdeburg, Urt. v. 2.11.2015 - 9 A 12/14 MD -, OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 21.10.2015 - 4 L 210/15 -), so dass dieselbe Frage nicht zu einer erneuten Überprüfung im Billigkeitsverfahren führen kann. Sinn und Zweck der Vorschrift des § 4 Abs. 5 S. 5 Hs. 1 AbwAG ist es, unter Anwendung des Gleichheitssatzes die Messbarkeit und die Vergleichbarkeit der Überwachungswerte zu gewährleisten. Es entspricht daher nicht der Billigkeit, auf eine Abgabenforderung zu verzichten, die durch rechtsfehlerfreie Anwendung der Regelungen des Abwasserabgabengesetzes berechnet wurde und im Rahmen des vom Gesetzgeber konzipierten Sanktionssystems auch gewollt ist, um einen größtmöglichen Anreiz zur Verhinderung von Störfällen und Einleitungen mit hoher Schadstofffracht zu setzen.

25

Es ist nicht der Auffassung des Klägers zu folgen, ihm sei die Abwasserabgabenforderung zu erlassen, weil er mit dem von ihm verwendeten Mess- und Analyseverfahren umweltfreundlicher gehandelt und damit den Zweck des Abwasserabgabenrechts, die Schadstofffracht im Abwasser gering zu halten, besser verwirklicht habe als mit den behördlich zugelassenen DIN-Messverfahren nach § 4 Abs. 5 S. 5 Hs. 1 AbwAG, Anlage 3 zu § 3 AbwAG und Anlage 4 AbwV. Das allein rechtfertigt keine Heraberklärung der Überwachungswerte und keinen Erlass der Abwasserabgabenforderung, weil es um den Nachweis der Unterschreitung der im wasserrechtlichen Bescheid festgelegten Schadstoffwerte geht, den der Kläger mit einem behördlich nicht zugelassenen Verfahren jedoch nicht erbracht hat. § 4 Abs. 5 S. 5 Hs. 1 AbwAG zielt auf den Anreiz ab, weniger schädliches Abwasser einzuleiten und nicht nur darauf, ein weniger schädliches Messverfahren zu verwenden.

26

Ebenfalls rechtfertigt die Tatsache, dass der Beklagte über die Heraberklärung der Überwachungswerte des Klägers im Veranlagungsjahr erst durch Bescheid vom 18.12.2013 entschieden hat, keinen Billigkeitserlass der Abgabenforderung. Denn die Entscheidung erfolgte in Einklang mit der nach § 169 AO gesetzlich geregelten 4-jährigen Festsetzungsfrist.

27

Der Kläger kann auch nicht einen Billigkeitserlass der Abgabenforderung dafür beanspruchen, dass nach seinem Vorbringen die bisher von ihm abgegebenen Erklärungen zur Einhaltung niedrigerer als der im wasserrechtlichen Bescheid zugrundegelegten Schadstoffwerte in den Jahren 1993-2008 unbeanstandet geblieben seien und daraus für ihn ein Vertrauenstatbestand entstanden sei. Der Kläger vermag nicht darzulegen, dass der Beklagte das vom Kläger entgegen § 4 Abs. 5 S. 5 Hs. 1 AbwAG verwendete Mess- und Analyseverfahren (über längere Zeit) geduldet und damit bewusst anerkannt hat. Der Beklagte hat seine Kenntnis, dass der Kläger das Küvettenverfahren für die Heraberklärung niedrigerer Schadstoffwerte verwendet hat, bestritten und darauf verwiesen, der Kläger habe zuvor lediglich Angaben zu Messergebnissen (Konzentrationswerte) hergereicht und erst im Juni 2013 Angaben zu Abwasseruntersuchungsmethoden für die Veranlagungsjahre 2009 bis 2012 gemacht und dargelegt, dass bei der Durchführung der Abwasseruntersuchungen im Rahmen von Messprogrammen für die hier abgaberelevanten Schadparameter Küvettentests der Fa. H. verwendet worden seien (Schriftsatz des Beklagten vom 3.8.2015, S. 3, im Verfahren 9 A 12/14 MD, Bl. 101 der Akte 9 A 12/14 MD). Diese vom Kläger unwiderlegte Einlassung stimmt überein mit dem vom Kläger beim Beklagten eingereichten Formblatt Anlage 5 des Heraberklärungsantrags (Bl. 11, 12 der Beiakte des Verfahrens 9 A 12/14 MD). Dort hat der Kläger in Ziff. 4. erklärt, die Analysen seien nach den in der Anlage zu § 3 AbwAG aufgeführten Verfahren durchgeführt worden. Ein anderes Messprogramm hat der Kläger in dem Vordruck 5 nicht beantragt, obwohl ihm dies zumutbar gewesen wäre (vgl. hierzu OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 26.2.2016 – 4 L 210/15 -, S. 3). Bei dieser Sachlage ist nicht ersichtlich, dass das Verhalten des Beklagten unbillig war und einen Erlass der Abgabenforderung rechtfertigt. Verwendet ein Abwassereinleiter - wie vorliegend - zur Heraberklärung der zugrundegelegten Werte ein vorgegebenes Formblatt (Vordruck 5 des Heraberklärungsantrags mit Hinweis auf die behördlich zugelassenen Messprogramme nach der Anlage zu § 3 AbwAG und der Anlage zu § 4 AbwV), besteht für die Behörde keine Veranlassung, auf die Möglichkeit hinzuweisen, dass ein abweichendes, gleichwertiges Verfahren zur Zulassung beantragt werden könnte. Damit sind Gegenstand des vom Beklagten jeweils zugelassenen Messprogramms ausschließlich die Analyseverfahren geworden, die in der Anlage zu § 3 AbwAG aufgeführt sind. Der Kläger hat den Antrag auch nicht abgeändert und um weitere Verfahren ergänzt, wozu die Möglichkeit bestanden hätte (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 26.2.2016 - 4 L 210/15 -). Dass im Rahmen der (ordnungsrechtlichen) Eigenüberwachung nach der Eigenüberwachungsverordnung v. 25.10.2010 (GVBl. LSA S. 526) auch andere Mess- und Analyseverfahren Anwendung finden können und vom Kläger mit Kenntnis des Beklagten angewandt werden, ändert an dem gefundenen Ergebnis nichts, weil nicht die ordnungsrechtliche Eigenüberwachung in Rede steht, sondern ein abgabenrechtlich relevanter Nachweis der Einhaltung geringer erklärter Werte, der an die Durchführung eines gesondert von der Behörde zuzulassenden Messprogramms geknüpft ist. Entgegen der Auffassung des Klägers bestand angesichts der unzweideutigen exakten Aufführung der Analyseverfahren in den von den Zulassungsbescheiden in Bezug genommenen Vordrucken auch keine Aufklärungs- und Beratungspflicht hinsichtlich der im Rahmen der Messprogramme zugelassenen Analyseverfahren (vgl. VG B-Stadt, Urt. v. 23.2.2016 - 4 A 124/14 HAL, zit. nach juris, Rn. 46, rechtskräftig aufgrund d. Beschl. d. OVG Sachsen-Anhalt v. 7.6.2016 - 4 L 61/16 -). Es ist daher nicht ersichtlich, dass die Abgabenerhebung auf ein vorangegangenes fehlerhaftes Verwaltungshandeln des Abgabengläubigers oder etwa dessen Verstoß gegen Treu und Glauben herbeigeführt worden ist, was unbillig wäre (vgl. VG Magdeburg, Urt. v. 28.11.2013 - 9 A 166/12 -, zit. nach juris, Rn. 45). Erst durch das Schreiben des Klägers vom 3.5.2013 (Bl. 40 f. der Beiakte des Verfahrens 9 A 12/14 MD) hat der Kläger gegenüber dem Beklagten auf dessen Nachfrage vom 29.4.2013 erklärt, er habe als Messverfahren den Küvettentest verwendet. Auch der Erl. d. MLU v. 5.3.2014 (MBl. LSA S. 125), der am 1.4.2014 in Kraft trat und regelte, dass weitere Mess- und Analyseverfahren beim Vollzug des Abwasserabgabengesetzes zugelassen werden können, vermittelt mangels Rückwirkung dem Kläger für das Veranlagungsjahr 2009 keinen Anspruch auf Billigkeitserlass und lässt überdies auch nicht selbst andere Messverfahren unmittelbar bereits zu.

28

Ein Billigkeitserlass der Abwasserabgabenforderung kann vom Kläger auch nicht in Bezug auf die Kläranlage G. deshalb beansprucht werden, weil sie den Stand der Technik eingehalten habe und ein kurzzeitiger Defekt schnell behoben worden sei. Die Kleinkläranlage musste über den gesamten Erhebungszeitraum die technischen Anforderungen erfüllen und ist dem ausweislich des Prüfberichts vom 7.4.2009 (VG Magdeburg, Urt. v. 21.10.2015 - 9 A 12/14 MD -, zit. nach juris, Rn. 44) nicht nachgekommen. Ein Fall höherer Gewalt, der etwa die Erhebung der Abgabe unbillig erscheinen ließe (vgl. VG Koblenz, Urt. v. 16.11.2009 - 3 K 1436/08.KO -, zit. nach juris, Rn. 31), lag nicht vor.

29

Ebenso fehlt es an einer besonderen Härte in Bezug auf die Kläranlage K.. Das Vorbringen des Klägers, die Anlage habe dem Stand der Technik entsprochen und den Schadstoffgehalt des Abwassers gesenkt, blendet den Wert Phosphor-gesamt aus, bei dem das nicht der Fall war (3 A 7/17 MD -, S. 11 f. zur mehrfachen Überschreitung des Grenzwerts in der Kläranlage Könnern). Wegen der Einzelheiten nimmt die Kammer Bezug auf das den Beteiligten bekannte rechtskräftige Urteil vom 13.07.2017.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gem. § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

32

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung des sich aus dem Klageantrag ergebenden Interesses.


Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Magdeburg Urteil, 28. März 2018 - 3 A 10/17

Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht Magdeburg Urteil, 28. März 2018 - 3 A 10/17

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

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Verwaltungsgericht Magdeburg Urteil, 28. März 2018 - 3 A 10/17 zitiert 16 §§.

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Verwaltungsgericht Magdeburg Urteil, 28. Nov. 2013 - 9 A 166/12

bei uns veröffentlicht am 28.11.2013

Tatbestand 1 Die Klägerin begehrt den teilweisen Erlass der mit Bescheid des Beklagten vom 20.12.2011 festgesetzten Abwasserabgabe für das Veranlagungsjahr 2007. 2 Die Klägerin betreibt in A-Stadt u. a. eine Anlage zur Herstellung von Soda. Durc

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(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Die Finanzbehörden haben die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben. Insbesondere haben sie sicherzustellen, dass Steuern nicht verkürzt, zu Unrecht erhoben oder Steuererstattungen und Steuervergütungen nicht zu Unrecht gewährt oder versagt werden.

Tenor

Mit dem unter den Voraussetzungen des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen vom 27. März 2003 IV A 6 S 2140 8/03 (BStBl I 2003, 240; ergänzt durch das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 22. Dezember 2009 IV C 6 S 2140/07/10001-01, BStBl I 2010, 18; sog. Sanierungserlass) vorgesehenen Billigkeitserlass der auf einen Sanierungsgewinn entfallenden Steuer verstößt das Bundesministerium der Finanzen gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung.

Tatbestand

A.

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I. Vorgelegte Rechtsfrage

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Der X. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat mit Beschluss vom 25. März 2015 X R 23/13 (BFHE 249, 299, BStBl II 2015, 696) dem Großen Senat des BFH gemäß § 11 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:

3

"Verstößt das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 27. März 2003 IV A 6-S 2140-8/03 (BStBl I 2003, 240; ergänzt durch das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 22. Dezember 2009 IV C 6-S 2140/07/10001-01, BStBl I 2010, 18; sog. Sanierungserlass) gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung?"

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II. Sachverhalt und Ausgangsverfahren

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1. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betrieb ein Einzelunternehmen. Seine Gewinnermittlungen gemäß § 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ergaben für die Veranlagungszeiträume 2001 bis 2006 Verluste.

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Nach einer zwischen dem Kläger und einer Sparkasse im November 2005 getroffenen Vereinbarung, die fällige Zahlungsansprüche der Sparkasse sowie einer Bankengruppe gegen den Kläger betraf, erklärten jene, auf "die nicht bedienbaren Forderungen" verzichten zu wollen, falls der Kläger seinen Verpflichtungen aus der Vereinbarung ordnungsgemäß und termingerecht nachkomme. Nachdem der Kläger eine sog. Vergleichszahlung geleistet hatte, unterrichtete ihn die Sparkasse im Dezember 2007 über den seitens der Bankengruppe erklärten Verzicht auf die Restforderung.

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Der Veranlagung zur Einkommensteuer für das Jahr 2007 (Streitjahr) legte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb gemäß dem eingereichten Jahresabschluss zugrunde, der Erträge aus den genannten Forderungsverzichten der Banken enthielt, und setzte mit Steuerbescheid vom 17. Februar 2009 Einkommensteuer gegen den Kläger und seine mit ihm zusammen veranlagte Ehefrau fest.

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Hiergegen legte der Kläger Einspruch mit der Begründung ein, der sich aus den Forderungsverzichten ergebende Sanierungsgewinn müsse "steuerlich neutral behandelt werden". Auf Hinweis des FA beantragte der Kläger am 19. März 2009 den "Erlass der anfallenden Steuern auf den Sanierungsgewinn" und legte im September 2009 ein von ihm selbst erstelltes Konsolidierungskonzept vor, welches den Forderungsverzicht der Sparkasse und des FA voraussetzt.

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Für die Folgejahre 2008 und 2009 wies der Kläger in seinen Einkommensteuererklärungen wieder Verluste aus Gewerbebetrieb aus.

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Den Einspruch des Klägers gegen den inzwischen geänderten Einkommensteuerbescheid 2007 vom 29. April 2010, der Gegenstand des Einspruchsverfahrens geworden war und der gemäß dem zuletzt eingereichten Jahresabschluss Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von ca. 599.000 € (hierin enthalten Erträge aus den genannten Forderungsverzichten in Höhe von ca. 620.000 €) zugrunde legte, wies das FA mit der Begründung zurück, der Gewinn aus Gewerbebetrieb sei zutreffend ermittelt worden; über den Antrag nach § 163 der Abgabenordnung (AO), der nicht Gegenstand des Einspruchsverfahrens sei, werde in einem gesonderten Verfahren entschieden. Klage wurde insoweit nicht erhoben.

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Den Antrag "auf Erlass der Steuern für 2007 aus dem Sanierungsgewinn" lehnte das FA mit Bescheid vom 12. Juli 2010 ab. Den hiergegen erhobenen Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 18. April 2012 zurück. Die Voraussetzungen für die Annahme eines begünstigten Sanierungsgewinns i.S. des sog. Sanierungserlasses des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) lägen nicht vor. Es fehle die Sanierungseignung des Forderungsverzichts, weil der Kläger auch im Folgejahr einen Verlust erzielt habe. Zudem hätte der Kläger die Steuerfestsetzung für das Streitjahr auch ohne die begehrte Billigkeitsmaßnahme, nämlich durch Teilwertabschreibungen auf den betrieblichen Grundbesitz, vermeiden können.

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Die hiergegen erhobene Klage, mit der der Kläger geltend macht, die Voraussetzungen für einen Erlass der festgesetzten Einkommensteuer 2007 aus sachlichen Billigkeitsgründen gemäß dem sog. Sanierungserlass lägen vor, wies das Finanzgericht (FG) mit Urteil vom 24. April 2013  1 K 759/12 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2013, 1898) ab. Es könne offen bleiben, ob die Voraussetzungen des sog. Sanierungserlasses im Streitfall erfüllt seien, denn der Gesetzgeber habe mit der Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG in der vor dem Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997 --UntStRFoG-- (BGBl I 1997, 2590) geltenden Fassung (EStG a.F.) zum Ausdruck gebracht, Sanierungsgewinne unterschiedslos besteuern zu wollen. Mit dem sog. Sanierungserlass verstoße die Finanzverwaltung daher gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung.

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2. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Erlassbegehren weiter. Den Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des sog. Sanierungserlasses sei der X. Senat des BFH bereits mit Urteil vom 14. Juli 2010 X R 34/08 (BFHE 229, 502, BStBl II 2010, 916) entgegengetreten. Mit der Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. habe der Gesetzgeber nicht zum Ausdruck gebracht, es solle für Sanierungsgewinne keine Erlassmöglichkeit mehr geben. Für die nach Ansicht des FA möglichen Teilwertabschreibungen auf den betrieblichen Grundbesitz hätten die Voraussetzungen nicht vorgelegen.

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3. Das FA hält an der Ablehnung des Erlassantrags fest. Zur Ansicht des FG, mit dem sog. Sanierungserlass verstoße die Finanzverwaltung gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, äußert sich das FA nicht, sondern meint, das FG-Urteil sei aus anderen Gründen richtig (§ 126 Abs. 4 FGO), da die Voraussetzungen für den Steuererlass nicht vorlägen.

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4. Das BMF ist dem Verfahren beigetreten. Es teilt die vom vorlegenden Senat mit Urteil in BFHE 229, 502, BStBl II 2010, 916 vertretene Auffassung, der sog. Sanierungserlass tangiere nicht den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung.

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Mit der Abschaffung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. habe eine nach Einführung des zeitlich unbegrenzten Verlustvortrags mögliche Doppelbegünstigung vermieden werden sollen. Später sei aber der Verlustvortrag durch Einführung einer Mindestgewinnbesteuerung wieder beschränkt worden. Ein sorgfältiger Gesetzgeber hätte sich zu jenem Zeitpunkt der Verknüpfung von Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. mit zeitlich unbegrenztem Verlustvortrag erinnert und von der Mindestgewinnbesteuerung die Verlustverrechnung mit Sanierungsgewinnen ausgenommen. Dies habe der Gesetzgeber aber nicht getan, weil kurz zuvor im März 2003 der sog. Sanierungserlass die unbeschränkte Verlustverrechnung des Sanierungsgewinns vorgesehen habe. Der sog. Sanierungserlass reduziere die Besteuerung systemgerecht und dem Willen des Gesetzgebers bei Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. folgend auf den eigentlichen Fiskalzweck. Zu einer gesetzeswidrigen Doppelbegünstigung komme es nicht. Schon in der Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997 (gemeint ist offenbar die Begründung des Entwurfs eines Steuerreformgesetzes 1999 der CDU/CSU- und FDP-Fraktion vom 22. April 1997, BTDrucks 13/7480, 192) sei auf mögliche Billigkeitsmaßnahmen der Finanzverwaltung hingewiesen worden und auch später habe der Gesetzgeber erkennen lassen, dass der sog. Sanierungserlass eine taugliche Rechtsgrundlage für Billigkeitsmaßnahmen im Sanierungsfall sei.

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Darüber hinaus sei zum 1. Januar 1999 die Insolvenzordnung (InsO) in Kraft getreten, deren wesentliche Ziele die Förderung der außergerichtlichen Sanierung, die bessere Abstimmung von Sanierungsverfahren und die Restschuldbefreiung für den redlichen Schuldner seien. Die Abschaffung der Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen stehe mit diesen Zielen der InsO in einem "Zielkonflikt". Dieser Wertungswiderspruch werde durch den sog. Sanierungserlass in hinreichender Weise aufgehoben.

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Eine gesetzliche Regelung möglicher Billigkeitsmaßnahmen bei Sanierungsgewinnen wäre --wegen der erforderlichen Folgeänderungen im Bereich der Verlustverrechnungsbeschränkungen-- äußerst komplex und liefe den Bemühungen um eine Steuervereinfachung zuwider. Anders als eine starre gesetzliche Regelung sei die bestehende Verwaltungsanweisung flexibler zu handhaben und habe sich in der Praxis bewährt.

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III. Vorlagebeschluss des X. Senats

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Nach Ansicht des vorlegenden Senats verstößt der sog. Sanierungserlass nicht gegen den Vorbehalt des Gesetzes.

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§§ 163 und 227 AO seien die rechtlichen Grundlagen, die eine abweichende Steuerfestsetzung oder einen Steuererlass aus Billigkeitsgründen in das Ermessen der Finanzbehörden stellten. Mit dem sog. Sanierungserlass habe das BMF die entscheidenden Ermessenserwägungen der Finanzbehörden festgeschrieben und damit deren Ermessen auf Null reduziert. Dies sei im Interesse einer gleichmäßigen Festsetzung und Erhebung der Einkommen- und Körperschaftsteuer durch die Landesfinanzbehörden notwendig.

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Anders als das FG München im Urteil vom 12. Dezember 2007  1 K 4487/06 (EFG 2008, 615) meine, habe das BMF mit dem sog. Sanierungserlass die vor Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. bestehende Rechtslage nicht im Wege der Billigkeit wieder in Kraft gesetzt. Vielmehr unterscheide sich der sog. Sanierungserlass von der früheren gesetzlichen Regelung und der hierzu ergangenen Rechtsprechung insoweit, als er die vorrangige vollständige Verrechnung des Sanierungsgewinns mit Verlustvorträgen und negativen Einkünften auch anderer Einkunftsquellen fordere und die Stundung oder den Erlass der Steuer nur für den danach verbleibenden Sanierungsgewinn vorsehe. Außerdem werde im Gegensatz zur früheren Rechtslage grundsätzlich nur eine unternehmensbezogene, nicht aber eine unternehmerbezogene Sanierung steuerlich begünstigt.

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Des Weiteren sei zu berücksichtigen, dass die Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. mit der seinerzeit bestehenden Möglichkeit eines unbeschränkten Verlustvortrags begründet worden sei, die aber ab dem Veranlagungszeitraum 2004 wieder beschränkt worden sei.

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Der nach BMF-Auffassung bestehende Konflikt der Besteuerung von Sanierungsgewinnen mit den Zielen der InsO lasse sich nicht vorrangig durch insolvenzrechtliche Regelungen, sondern nur durch steuerliche Maßnahmen lösen. Der sog. Sanierungserlass trage zum Abbau grundlegender Konflikte zwischen Steuerrecht und InsO bei. Gläubiger eines angeschlagenen Unternehmens, die mit einem Forderungsverzicht einen Beitrag zu dessen "Überleben" leisteten, erwarteten regelmäßig, dass sich der Fiskus hieran beteilige und die beabsichtigte Sanierung nicht durch die Besteuerung eines Gewinns erschwere.

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Auch habe der Gesetzgeber im Zusammenhang mit mehreren gesetzlichen Regelungen zu erkennen gegeben, dass er den sog. Sanierungserlass des BMF billige und auch für erforderlich halte.

26

Billigkeitsmaßnahmen im Zusammenhang mit Sanierungsgewinnen seien zum Ausgleich sachlicher, nicht gewollter Härten unerlässlich. Unter den im sog. Sanierungserlass beschriebenen Voraussetzungen bestünden sachliche Billigkeitsgründe i.S. der §§ 163 und 227 AO.

27

Der sog. Sanierungserlass sei auch mit dem unionsrechtlichen Beihilferecht vereinbar.

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IV. Stellungnahme der Beteiligten

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Der Kläger und das FA haben sich zur Vorlage nicht geäußert. Das BMF hat allein zu den beihilferechtlichen Fragen ergänzend Stellung genommen.

Entscheidungsgründe

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B. Entscheidung des Großen Senats zu Verfahrensfragen

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I. Keine mündliche Verhandlung

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Der Große Senat entscheidet gemäß § 11 Abs. 7 Satz 2 FGO ohne mündliche Verhandlung, weil eine weitere Förderung der Entscheidung durch eine mündliche Verhandlung nicht zu erwarten ist. Die Vorlagefrage und die Auffassungen, die dazu in Rechtsprechung und Schrifttum vertreten werden, sind im Vorlagebeschluss eingehend dargestellt. Die Beteiligten hatten Gelegenheit, zur Vorlagefrage Stellung zu nehmen.

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II. Zulässigkeit der Vorlage

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1. Entscheidungsreife des Revisionsverfahrens

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Der vorlegende X. Senat war nicht gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO verpflichtet, die zusammen mit dem Kläger veranlagte Ehefrau, die im Einspruchsverfahren hinzugezogen war (§ 360 Abs. 3 AO), im Revisionsverfahren beizuladen oder die Sache an das FG zur Nachholung der Beiladung zurückzuverweisen, denn die Voraussetzungen des § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO liegen nicht vor, wenn einer der zusammen veranlagten Ehegatten die Steuerfestsetzung anficht oder --wie im Streitfall-- Verpflichtungsklage auf eine abweichende Steuerfestsetzung oder einen Steuererlass aus Billigkeitsgründen erhebt (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 7. Februar 2008 VI R 41/05, BFH/NV 2008, 1136, m.w.N.).

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2. Vorlagegrund

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Der vorlegende Senat hat eine Entscheidung des Großen Senats wegen grundsätzlicher Bedeutung der Vorlagefrage gemäß § 11 Abs. 4 FGO erbeten, weil diese Frage in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum unterschiedlich beantwortet werde und auch der VIII. Senat in einem Kostenbeschluss vom 28. Februar 2012 VIII R 2/08 (BFH/NV 2012, 1135) zu erkennen gegeben habe, er könnte hinsichtlich dieser Frage möglicherweise zu einer anderen Rechtsauffassung als der vorlegende X. Senat gelangen. An die Auffassung des vorlegenden Senats, die Vorlagefrage habe aus den genannten Gründen grundsätzliche Bedeutung (Rz 93 des Vorlagebeschlusses in BFHE 249, 299, BStBl II 2015, 696), ist der Große Senat gebunden (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 31. Januar 2013 GrS 1/10, BFHE 240, 162, BStBl II 2013, 317, m.w.N.).

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3. Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage

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Ob die vorgelegte Rechtsfrage entscheidungserheblich ist, hängt von der Vorfrage ab, welche Rechtswirkung der sog. Sanierungserlass im finanzgerichtlichen Verfahren entfaltet.

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a) Verwaltungsvorschriften, zu denen der sog. Sanierungserlass gehört, sind keine die Gerichte bindenden Rechtsnormen. Daran ändert auch der Umstand grundsätzlich nichts, dass der sog. Sanierungserlass --wie der vorlegende Senat meint-- eine Ermessensrichtlinie der Finanzverwaltung ist, mit der das BMF "die entscheidenden Ermessenserwägungen der Finanzbehörden festgeschrieben und damit deren Ermessen auf Null reduziert" hat (Rz 58 des Vorlagebeschlusses in BFHE 249, 299, BStBl II 2015, 696), denn sowohl im Fall einer Anfechtungs- als auch einer Verpflichtungsklage kann das angerufene Gericht die in Ermessensrichtlinien niedergelegten Regeln, unter welchen Umständen die Verwaltung das ihr eingeräumte Ermessen in welcher Weise ausüben soll, für ermessensfehlerhaft halten und die auf der Grundlage der Richtlinie ergangene Ermessensentscheidung im Fall der Anfechtungsklage aufheben und im Fall der Verpflichtungsklage die Behörde zur Neubescheidung verpflichten. An der dem Gericht nach § 102 Satz 1 FGO obliegenden Prüfung, ob die Behörde mit ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat, ändert sich also nichts, wenn die Behörde mit ihren Ermessenserwägungen und ihrer Entscheidung einer Ermessensrichtlinie gefolgt ist (vgl. BFH-Beschluss vom 27. Juli 2011 I R 44/10, BFH/NV 2011, 2005).

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Rechtliche Bedeutung können Ermessensrichtlinien im finanzgerichtlichen Verfahren allein insofern erlangen, als sie --soweit sie tatsächlich angewandt werden-- die Finanzverwaltung unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) binden (sog. Selbstbindung der Verwaltung, vgl. Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 11. Mai 1988  2 B 58.88, Neue Juristische Wochenschrift 1988, 2907). Den für die Entscheidung des Einzelfalls zuständigen Finanzbehörden ist es danach verwehrt, die Anwendung einer Ermessensrichtlinie in einem Fall, der von der Richtlinie gedeckt ist, ohne triftige Gründe abzulehnen. Nur insoweit hat der Steuerpflichtige einen auch von den Finanzgerichten zu beachtenden Rechtsanspruch, nach Maßgabe der Ermessensrichtlinie behandelt zu werden (z.B. BFH-Urteil vom 23. April 1991 VIII R 61/87, BFHE 164, 422, BStBl II 1991, 752, m.w.N.).

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Dies gilt wegen der Bindung der Gerichte an die gesetzlichen Vorschriften und der gemäß § 102 Satz 1 FGO in jedem Fall gebotenen Rechtsprüfung allerdings nur, soweit die Ermessensrichtlinie eine ausreichende Rechtsgrundlage hat und sie der Gesetzeslage nicht widerspricht (vgl. BFH-Beschluss vom 30. Januar 1991 IX B 58/89, BFH/NV 1992, 463; BFH-Urteil in BFHE 164, 422, BStBl II 1991, 752, jeweils m.w.N.). Art. 3 Abs. 1 GG vermittelt nach ständiger Rechtsprechung keinen Anspruch auf Anwendung einer rechtswidrigen Verwaltungspraxis (BFH-Urteil vom 7. Oktober 2010 V R 17/09, BFH/NV 2011, 865, m.w.N.).

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b) Der vorlegende Senat geht von einem Fall der Selbstbindung der Verwaltung durch das BMF-Schreiben vom 27. März 2003 (BStBl I 2003, 240) aus. Wie seine Ausführungen in Rz 59 bis 74 des Vorlagebeschlusses (BFHE 249, 299, BStBl II 2015, 696) deutlich machen, sieht er die Bejahung sachlicher Unbilligkeit unter den im sog. Sanierungserlass beschriebenen Voraussetzungen im Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften und meint, das BMF habe mit dem sog. Sanierungserlass die für den Fall des Billigkeitserlasses entscheidenden Ermessenserwägungen der Finanzbehörden festgeschrieben und damit deren Ermessen auf Null reduziert; deshalb sei die Steuer zu stunden, niedriger festzusetzen oder zu erlassen, wenn im Streitfall die im sog. Sanierungserlass genannten Voraussetzungen vorlägen, was allerdings in tatsächlicher Hinsicht noch der Klärung durch das FG bedürfe (Rz 58, 87 des Vorlagebeschlusses in BFHE 249, 299, BStBl II 2015, 696).

44

Darüber hinaus ist dem Vorlagebeschluss die Ansicht des vorlegenden Senats zu entnehmen, die Besteuerung eines Sanierungsgewinns sei nur unter den im sog. Sanierungserlass beschriebenen Voraussetzungen sachlich unbillig (so auch schon sein Urteil in BFHE 229, 502, BStBl II 2010, 916), denn nach seiner Ansicht müsse die Revision zurückgewiesen werden, wenn der Große Senat die Vorlagefrage bejahe. Andere Gründe sachlicher Unbilligkeit der Besteuerung sieht der vorlegende Senat im Streitfall offenbar nicht.

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c) Geht es um die Entscheidungserheblichkeit einer dem Großen Senat vorgelegten Rechtsfrage, ist die Beantwortung der hierfür maßgeblichen rechtlichen Vorfragen ausschließlich Sache des vorlegenden Senats. Der Große Senat muss daher über die Entscheidungserheblichkeit einer vorgelegten Rechtsfrage auf der Grundlage der Rechtsauffassung des vorlegenden Senats zu den Vorfragen befinden (Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 240, 162, BStBl II 2013, 317, m.w.N.).

46

Da der vorlegende Senat eine Selbstbindung der Finanzverwaltung durch den sog. Sanierungserlass bejaht und außerhalb des sog. Sanierungserlasses liegende Billigkeitsgründe im Streitfall verneint, ist die Sache --wie unter Rz 91 des Vorlagebeschlusses (BFHE 249, 299, BStBl II 2015, 696) ausgeführt-- an das FG zurückzuverweisen, falls die Vorlagefrage verneint wird, dagegen ist die Revision zurückzuweisen, falls die Vorlagefrage bejaht wird.

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Die Vorlagefrage ist somit entscheidungserheblich.

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C. Entscheidung des Großen Senats über die Vorlagefrage

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I. Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen - Gesetzeshistorie und Rechtsprechung

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1. Gesetzeshistorie

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Gesetzliche Regelungen zur ertragsteuerlichen Behandlung von Sanierungsgewinnen wurden durch die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) veranlasst, der mit Urteilen vom 30. Juni 1927 VI A 297/27 (RFHE 21, 263) und vom 12. Dezember 1928 VI A 1499/28 (RStBl 1929, 86) für die Einkommensteuer entschied, durch Forderungsverzicht der Gläubiger entstandene Mehrungen des Geschäftsvermögens seien nicht einkommensteuerpflichtig, weil die auf einer Vereinbarung zwischen den Gläubigern beruhende Vermögensmehrung außerhalb des Geschäftsbetriebs des Steuerpflichtigen liege. Allerdings werde ein ohne die Berücksichtigung des Sanierungsgewinns vorhandener Verlust beseitigt, soweit die Sanierung reiche (RFH-Urteil vom 21. Oktober 1931 VI A 968/31, RFHE 29, 315). Da der für die Körperschaftsteuer zuständige I. Senat eine andere Ansicht vertrat und lediglich die Möglichkeit eines Steuererlasses aus Billigkeitsgründen in Betracht zog (RFH-Urteil vom 5. Februar 1929 I A 394/27, RStBl 1929, 228), führte der Gesetzgeber 1934 mit § 11 Nr. 4 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) den Abzug des Sanierungsgewinns vom körperschaftsteuerlichen Einkommen ein (vgl. zur Entwicklung ausführlich: Seer, Insolvenz, Sanierung und Ertragsteuern, Finanz-Rundschau --FR-- 2014, 721, 725 ff.; Kahlert/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. 2011, Rz 2.2 ff.).

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Auch nach § 11 Abs. 1 Nr. 4 KStG i.d.F. vom 5. September 1949 (Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets 1949, 311), das nur für einige Bundesländer galt und durch Art. V Abs. 3 des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes vom 29. April 1950 (BGBl 1950, 95) auch in den übrigen Bundesländern in Kraft gesetzt wurde, waren Vermögensmehrungen, die dadurch entstehen, dass Schulden zum Zweck der Sanierung ganz oder teilweise erlassen werden, bei der Ermittlung des Einkommens abzuziehen.

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Diese Regelung wurde in den folgenden Jahren wortgleich beibehalten und fand sich zuletzt in § 11 Nr. 4 KStG i.d.F. vom 13. Oktober 1969 --KStG a.F.-- (BGBl I 1969, 1869).

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Die Neufassung des KStG --KStG 1977-- gemäß Art. 1 des Körperschaftsteuerreformgesetzes vom 31. August 1976 --KStRG-- (BGBl I 1976, 2597) enthielt keine solche Vorschrift. Stattdessen wurde durch Art. 2 Nr. 1 Buchst. b KStRG § 3 EStG um die Nr. 66 erweitert. Steuerfrei waren danach "Erhöhungen des Betriebsvermögens, die dadurch entstehen, dass Schulden zum Zweck der Sanierung ganz oder teilweise erlassen werden". Diese Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen galt über § 8 Abs. 1 KStG 1977 ebenso für die Körperschaftsteuer. Die Änderungen waren ab dem Veranlagungszeitraum 1977 anzuwenden.

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§ 3 Nr. 66 EStG a.F. wurde durch Art. 1 Nr. 1 UntStRFoG aufgehoben. Die Vorschrift war nach § 52 Abs. 2i EStG i.d.F. des Art. 2 des Gesetzes zur Finanzierung eines zusätzlichen Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung vom 19. Dezember 1997 (BGBl I 1997, 3121) letztmals auf Erhöhungen des Betriebsvermögens anzuwenden, die in dem Wirtschaftsjahr entstehen, das vor dem 1. Januar 1998 endet.

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2. BFH-Rechtsprechung zur Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen

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a) Obwohl bis zum Veranlagungszeitraum 1977 eine dem § 11 Nr. 4 KStG a.F. entsprechende Vorschrift für das Einkommensteuerrecht fehlte, führte der BFH die RFH-Rechtsprechung --wenn auch mit anderer Begründung-- fort und sah den Sanierungsgewinn nunmehr kraft Gewohnheitsrechts und wegen der sowohl im Körperschaft- als auch im Einkommensteuerrecht übereinstimmenden Grundsätze der Gewinnermittlung als nicht einkommensteuerpflichtig an (BFH-Urteile vom 25. Oktober 1963 I 359/60 S, BFHE 78, 308, BStBl III 1964, 122; vom 22. November 1963 VI 117/62 U, BFHE 78, 325, BStBl III 1964, 128, und vom 27. September 1968 VI R 41/66, BFHE 94, 186, BStBl II 1969, 102).

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Allerdings hielt der BFH zunächst auch an der Rechtsprechung des RFH fest, dass ein Sanierungsgewinn, der in die Jahre der Entstehung oder Absetzbarkeit eines betrieblichen Verlustes falle, diesen Verlust verbrauche. Es sei nicht gerechtfertigt, über die Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns hinaus einen Verlust, den der Steuerpflichtige wegen der Sanierung wirtschaftlich nicht zu tragen brauche, trotzdem beim Steuerpflichtigen abzuziehen (BFH-Urteile vom 4. August 1961 VI 35/61 U, BFHE 73, 685, BStBl III 1961, 516, und in BFHE 78, 325, BStBl III 1964, 128, m.w.N.).

59

Diese BFH-Rechtsprechung wurde für die Körperschaftsteuer mit Beschluss des Großen Senats vom 15. Juli 1968 GrS 2/67 (BFHE 93, 75, BStBl II 1968, 666) aufgegeben. Danach war ein nach § 11 Nr. 4 KStG a.F. körperschaftsteuerfreier Sanierungsgewinn weder mit einem ohne ihn in demselben Veranlagungszeitraum entstehenden Verlust noch mit einem abzugsfähigen Verlust aus einem früheren Veranlagungszeitraum zu verrechnen. Den Verlust oder Verlustabzug durch einen Sanierungsgewinn zu beseitigen, sei mit dem Wortlaut dieser Vorschrift nicht zu vereinbaren, denn der Sanierungsgewinn würde im Ergebnis besteuert, wenn man ihn mit einem Verlust des laufenden Veranlagungszeitraums oder einem Verlustabzug verrechne. Dass es mit dem Nebeneinander von steuerfreiem Sanierungsgewinn und Verlustausgleich oder Verlustabzug zu einer doppelten Vergünstigung für den Steuerpflichtigen kommen könne, sei ein vom Gesetzgeber gewolltes Ergebnis.

60

Für die Einkommensteuer schloss sich der VI. Senat mit Urteil in BFHE 94, 186, BStBl II 1969, 102 dieser Auffassung des Großen Senats an.

61

b) Für die Steuerfreiheit eines Sanierungsgewinns gemäß § 3 Nr. 66 EStG a.F. (ab dem Veranlagungszeitraum 1977) mussten nach ständiger Rechtsprechung des BFH folgende Voraussetzungen erfüllt sein: die Sanierungsbedürftigkeit des Unternehmens, der volle oder teilweise Erlass seiner Schulden, die insoweit bestehende Sanierungsabsicht der Gläubiger sowie die Sanierungseignung des Schuldenerlasses (BFH-Urteile vom 19. März 1991 VIII R 214/85, BFHE 164, 70, BStBl II 1991, 633; vom 19. März 1993 III R 79/91, BFH/NV 1993, 536; vom 6. März 1997 IV R 47/95, BFHE 183, 78, BStBl II 1997, 509, und vom 17. November 2004 I R 11/04, BFH/NV 2005, 1027, jeweils m.w.N.).

62

Die Sanierungsbedürftigkeit des Unternehmens war nach den Verhältnissen zu dem Zeitpunkt zu beurteilen, zu dem der Forderungsverzicht vereinbart wurde (BFH-Urteile vom 14. März 1990 I R 64/85, BFHE 161, 28, BStBl II 1990, 810, und in BFH/NV 1993, 536, jeweils m.w.N.). Maßgebend waren insoweit die Ertragslage und die Höhe des Betriebsvermögens vor und nach der Sanierung, die Kapitalverzinsung durch die Erträge des Unternehmens, die Möglichkeiten zur Zahlung von Steuern und sonstiger Schulden, d.h. das Verhältnis der flüssigen Mittel zur Höhe der Schuldenlast, die Gesamtleistungsfähigkeit des Unternehmens und die Höhe des Privatvermögens (BFH-Urteile in BFHE 161, 28, BStBl II 1990, 810, und in BFH/NV 1993, 536, jeweils m.w.N.). Die Sanierungsbedürftigkeit war zu vermuten, wenn sich mehrere Gläubiger an einer Sanierung beteiligten (BFH-Urteile vom 3. Dezember 1963 I 375/60 U, BFHE 78, 327, BStBl III 1964, 128, und in BFHE 161, 28, BStBl II 1990, 810).

63

Hinsichtlich der Sanierungseignung war zu prüfen, ob der Schuldenerlass allein oder zusammen mit anderen --auch nicht steuerbefreiten-- Maßnahmen das Überleben des Betriebs zu sichern geeignet war (vgl. BFH-Urteile vom 22. Januar 1985 VIII R 37/84, BFHE 143, 420, BStBl II 1985, 501; vom 20. Februar 1986 IV R 172/84, BFH/NV 1987, 493, und vom 19. Oktober 1993 VIII R 61/92, BFH/NV 1994, 790, m.w.N.). Aber auch die Aufgabe des Unternehmens hinderte die Annahme der Sanierungseignung nicht; vielmehr sollte es (unter Hinweis auf RFH-Rechtsprechung) insoweit genügen, wenn der Schuldenerlass einen Einzelunternehmer in den Stand versetzte, das von ihm betriebene Unternehmen aufzugeben, ohne von weiterbestehenden Schulden beeinträchtigt zu sein (BFH-Urteile in BFHE 161, 28, BStBl II 1990, 810; in BFHE 164, 70, BStBl II 1991, 633, und in BFH/NV 1993, 536, jeweils m.w.N.). Für die Annahme der Sanierungseignung war entscheidend, ob die Sanierung im Zeitpunkt des Schuldenerlasses zu erwarten war; nachträglich eingetretene Umstände, die das Gelingen der Sanierung verhinderten, rechtfertigten keine andere Beurteilung (BFH-Urteile in BFH/NV 1987, 493; in BFH/NV 1993, 536, und in BFH/NV 1994, 790, m.w.N.). Als ungeeignet wurden aber Maßnahmen angesehen, die von vornherein erkennbar nicht ausreichten, das wirtschaftliche Überleben des Unternehmens sicherzustellen (BFH-Urteil in BFH/NV 1993, 536, m.w.N.).

64

Zur Voraussetzung der Sanierungsabsicht der Gläubiger war die BFH-Rechtsprechung nicht einheitlich. Teilweise wurde vertreten, die Sanierungsabsicht sei zu verneinen, wenn der Gläubiger Schulden erlasse, weil er erkennbar besonders an der Fortführung seiner Geschäftsbeziehungen mit dem Schuldner interessiert sei oder er durch einen Teilerlass den Erhalt der Restforderung sichern wolle (BFH-Urteil in BFH/NV 1994, 790, m.w.N.). Demgegenüber hieß es in anderen Entscheidungen, an das Vorliegen der Sanierungsabsicht seien keine strengen Anforderungen zu stellen; vielmehr sei es ausreichend, wenn neben eigennützigen Motiven des Gläubigers wie etwa der Rettung eines Teils der Forderung oder des Erhalts der Geschäftsverbindungen die Sanierungsabsicht mitentscheidend gewesen sei (BFH-Urteile in BFH/NV 1987, 493; in BFH/NV 1993, 536, und vom 24. Februar 1994 IV R 71/92, BFH/NV 1995, 15, jeweils m.w.N.). Bei einem gemeinschaftlichen Erlass mehrerer Gläubiger sei die Sanierungsabsicht in der Regel zu unterstellen (BFH-Urteile in BFHE 161, 28, BStBl II 1990, 810; in BFH/NV 1993, 536, und in BFH/NV 2005, 1027, jeweils m.w.N.).

65

II. Billigkeitserlass der auf Sanierungsgewinne entfallenden Steuer - Rechtsprechung, Schrifttum und Verwaltungsauffassung

66

Seit Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. haben Erhöhungen des Betriebsvermögens, die dadurch entstehen, dass Schulden zum Zweck der Sanierung ganz oder teilweise erlassen werden, bei der Gewinnermittlung gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG keine Sonderstellung mehr. Eine Steuerbefreiung solcher Sanierungsgewinne kann nur durch Billigkeitsmaßnahmen im Einzelfall erreicht werden.

67

1. Rechtsprechung zum Billigkeitserlass bei Sanierungsgewinnen

68

a) Rechtsprechung des BFH

69

Der vorlegende Senat hat mit Urteil in BFHE 229, 502, BStBl II 2010, 916 die --jene Entscheidung allerdings nicht tragende-- Ansicht vertreten, die im sog. Sanierungserlass wiedergegebene Auffassung der Finanzverwaltung, Sanierungsgewinne könnten nach § 227 AO erlassen werden, tangiere nicht den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Der Ansicht des FG München (Urteil in EFG 2008, 615), die Finanzverwaltung habe mit dem BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240 eine Verwaltungspraxis contra legem eingeführt, könne "in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden". Auch für das Urteil des vorlegenden Senats vom 12. Dezember 2013 X R 39/10 (BFHE 244, 485, BStBl II 2014, 572) war die dort ebenfalls vertretene Auffassung, der sog. Sanierungserlass tangiere nicht den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, nicht tragend.

70

Der VIII. Senat des BFH hat es mit Beschluss in BFH/NV 2012, 1135 (Kostenentscheidung nach Erledigung der Hauptsache) als zweifelhaft angesehen, ob die Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen wegen sachlicher Unbilligkeit gemäß dem sog. Sanierungserlass beansprucht werden könne. Die von der Vorinstanz (FG München, Urteil in EFG 2008, 615) vertretene Auffassung, ein Erlass der Einkommensteuer auf Sanierungsgewinne wegen sachlicher Unbilligkeit komme wegen des durch die Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. zum Ausdruck gebrachten abweichenden Willens des Gesetzgebers nicht in Betracht, sei "nicht von vornherein abzulehnen".

71

Der I. Senat des BFH hat mit Urteil vom 25. April 2012 I R 24/11 (BFHE 237, 403) die Fragen, ob der Sanierungserlass den Erfordernissen des allgemeinen Gesetzesvorbehalts sowie des unionsrechtlichen Beihilfeverbots uneingeschränkt genügt, offen gelassen.

72

b) Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs

73

Auch der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem Haftungsfall, in dem der beklagte Steuerberater seinen Mandanten nicht auf die Möglichkeit eines Billigkeitserlasses nach dem sog. Sanierungserlass hingewiesen hatte, die Frage, "ob der Sanierungserlass gesetzeswidrig ist", offen gelassen, weil ein Steuerberater auch für Schäden einzustehen habe, die dem Mandanten entstanden sind, weil dieser sich durch schuldhaftes Handeln des Steuerberaters eine Behördenpraxis nicht hat zunutze machen können, die sich im Nachhinein als rechtswidrig erweist (BGH-Urteil vom 13. März 2014 IX ZR 23/10, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2014, 638).

74

c) Rechtsprechung der Finanzgerichte

75

Die im Vorlagebeschluss eingehend dargestellte Rechtsprechung der Finanzgerichte lässt sich wie folgt zusammenfassen:

76

Die im Streitfall vom 1. Senat des Sächsischen FG mit Urteil in EFG 2013, 1898 vertretene Auffassung, mit dem sog. Sanierungserlass werde gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstoßen, entspricht im Ergebnis derjenigen des 5. Senats des Sächsischen FG (Urteil vom 14. März 2013  5 K 1113/12, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2014, 190) sowie derjenigen des 6. Senats des Sächsischen FG (Urteil vom 15. Juli 2015  6 K 1145/12, EFG 2016, 1582). Diese Auffassung wird mit ähnlicher Wortwahl ("Verwaltungspraxis contra legem") vom FG München geteilt (Urteil in EFG 2008, 615).

77

Mit Beschluss vom 20. Januar 2014  4 V 1794/12 (juris) hat der 4. Senat des Sächsischen FG die Voraussetzungen des sog. Sanierungserlasses als in jenem Fall nicht glaubhaft gemacht angesehen und die Frage, ob der sog. Sanierungserlass überhaupt einen Rechtsanspruch auf Gewährung einer Billigkeitsmaßnahme begründen kann, offen gelassen. In gleicher Weise wird diese Frage mangels Entscheidungserheblichkeit offen gelassen vom FG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 7. Januar 2014 6 K 6209/11, EFG 2014, 975), vom FG Hamburg (Urteil vom 8. August 2012  2 K 104/11, juris), vom Hessischen FG (Urteil vom 11. Februar 2010  3 K 351/06, Steuerrecht kurzgefasst 2010, 345) sowie vom 13. Senat des FG Köln (Urteil vom 16. Juni 2016  13 K 984/11, EFG 2016, 1756).

78

Keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des sog. Sanierungserlasses haben der 6. Senat des FG Köln (Urteil vom 24. April 2008  6 K 2488/06, EFG 2008, 1555), das FG Düsseldorf (Urteil vom 16. März 2011  7 K 3831/10 AO, EFG 2011, 1685) und das FG des Landes Sachsen-Anhalt (Urteil vom 14. November 2013  6 K 1267/11, EFG 2014, 721). Das FG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 18. April 2012  12 K 12179/09, 12 K 12177/10, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst --DStRE-- 2013, 413) und das Niedersächsische FG (Urteil vom 31. Januar 2012  8 K 34/09, EFG 2012, 1523) wenden den sog. Sanierungserlass an, ohne die streitige Rechtsfrage zu erörtern. Das FG Münster hält unter den Voraussetzungen, die denjenigen des sog. Sanierungserlasses entsprechen, die Besteuerung eines Sanierungsgewinns für sachlich unbillig (Urteil vom 27. Mai 2004  2 K 1307/02 AO, EFG 2004, 1572).

79

d) Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichte

80

Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung ist uneinheitlich (vgl. dazu die Nachweise bei Krumm, Sanierungsgewinne und Gewerbesteuer, Der Betrieb --DB-- 2015, 2714). Zumeist wird der sog. Sanierungserlass als für die Gemeinden nicht verbindlich angesehen und eine Ermessensreduktion auf Null verneint (Sächsisches Oberverwaltungsgericht --OVG--, Beschluss vom 21. Oktober 2013  5 A 847/10, juris; Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 18. Juli 2012  5 A 293/12.Z, Zeitschrift für Kommunalfinanzen --ZKF-- 2013, 20). Das OVG Lüneburg hat es dagegen offen gelassen, ob der sog. Sanierungserlass die Verwaltung bindet; sein Inhalt sei aber bei der Entscheidung über den Erlassantrag zu beachten (Beschluss vom 1. April 2011  9 ME 216/10, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht-Rechtsprechungs-Report 2011, 508).

81

Das Verwaltungsgericht (VG) Magdeburg sieht ebenfalls keine Bindungswirkung des sog. Sanierungserlasses für die Gemeinden und hält die Ablehnung eines Steuererlasses aus Billigkeitsgründen unter Hinweis auf die Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. für ermessensfehlerfrei (Urteil vom 25. Februar 2014  2 A 193/12, juris). Dagegen berücksichtigt das VG Köln die Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. nicht (Urteil vom 27. August 2014  24 K 2780/13, juris). Das VG Halle verneint ebenfalls die Bindung der Gemeinde an den sog. Sanierungserlass, bejaht aber die sachliche Unbilligkeit der Besteuerung unter den dort beschriebenen Voraussetzungen (Urteil vom 22. Juni 2011  5 A 289/09, juris). Auch das VG Düsseldorf meint, die Gemeinde dürfe den Inhalt des sog. Sanierungserlasses bei der Ermessensausübung berücksichtigen, sie dürfe aber ermessensfehlerfrei auch weitere Erwägungen anstellen wie z.B. die regionalwirtschaftliche oder fiskalische Bedeutung eines Unternehmens, die Verhinderung städtebaulich unerwünschter Leerstände oder die Rettung von Arbeitsplätzen (Urteil vom 28. Juli 2014  25 K 6763/13, FR 2014, 942). Das VG Münster meint, die von der Gemeinde im Anschluss an das Urteil des FG München in EFG 2008, 615 vertretene Auffassung, nach Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. begründe ein Sanierungsgewinn als solcher keine sachliche Unbilligkeit und das BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240 sei deshalb mit höherrangigem Gesetzesrecht nicht vereinbar, sei nicht zu beanstanden (Urteil vom 21. Mai 2014  9 K 1251/11, DStRE 2015, 626).

82

2. Auffassungen im Schrifttum

83

a) Schon vor Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. hat Groh (Abschaffung des Sanierungsprivilegs?, DB 1996, 1890) die Besteuerung eines trotz Ausschöpfung der Verlustverrechnungsmöglichkeiten verbleibenden Sanierungsgewinns für sachgerecht gehalten. Ebenso hielt Kroschel die Aufhebung der Steuerfreiheit für richtig, allenfalls eine zeitweilige Zurückstellung des Steueranspruchs für gerechtfertigt, und sprach sich gegen einen Steuererlass im Billigkeitsweg aus (Rechtskritische Anmerkungen zur steuerlichen Behandlung von Sanierungsgewinnen, DStR 1999, 1383). Heinicke hat bereits anlässlich der Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. die Auffassung vertreten, wegen des ausdrücklich abweichenden Willens des Gesetzgebers entfalle nunmehr im Regelfall auch der vor Einführung der Vorschrift von Verwaltung und Rechtsprechung praktizierte Erlass der Steuer wegen sachlicher Unbilligkeit (in Schmidt, EStG, 17. Aufl., § 3, ABC "Sanierungsgewinn"). Er hält auch nach Bekanntgabe des sog. Sanierungserlasses an dieser Auffassung fest (in Schmidt, EStG, 35. Aufl., § 4 Rz 460 "Sanierungsgewinne"). Erhard (in Blümich, EStG, § 3 Nr. 66 a.F. Rz 3) sieht die gesetzliche Grundlage des sog. Sanierungserlasses ungeklärt. Bareis/Kaiser (Sanierung als Steuersparmodell?, DB 2004, 1841) sehen in dem sog. Sanierungserlass eine Kompetenzüberschreitung seitens des BMF und den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung tangiert. Maus meint, der Steuererlass habe den Zweck, im Einzelfall die Fehler des generalisierenden Gesetzgebers zu korrigieren; die explizite Abschaffung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. könne aber nicht als Fehler des Gesetzgebers gesehen werden, der durch die Finanzverwaltung zu korrigieren sei (Die Besteuerung des Sanierungsgewinns, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht --ZIP-- 2002, 589). In gleicher Weise sieht v. Groll im sog. Sanierungserlass eine gesetzesvertretende Verwaltungsvorschrift, die allgemein und abstrakt die Behandlung von Sanierungsgewinnen regele und eine aufgehobene gesetzliche Regelung teilweise ersetzen wolle (in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 227 AO Rz 32). Eine gesetzliche Regelung ebenfalls für erforderlich halten Diffring (Umwandlung von Forderungen zur Sanierung von Kapitalgesellschaften, Berlin 2012) sowie Kanzler (Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns durch Billigkeitserlass ..., FR 2003, 480), der jedenfalls 2003 noch feststellte, die eindeutige gesetzgeberische Entscheidung, das Sanierungsprivileg aufzuheben, werde durch den Sanierungserlass des BMF konterkariert.

84

b) Die Verwaltungsauffassung, die Besteuerung eines Sanierungsgewinns sei unter den Voraussetzungen des sog. Sanierungserlasses sachlich unbillig, wird geteilt von Frotscher (in Schwarz, AO, § 163 Rz 132), Musil (in Herrmann/Heuer/ Raupach --HHR--, § 4 EStG Rz 134), Seer (Der sog. Sanierungserlass vom 27.3.2003 als Rechtsgrundlage für Maßnahmen aus sachlichen Billigkeitsgründen, FR 2010, 306), derselbe (Insolvenz, Sanierung und Ertragsteuern ..., FR 2014, 721), Kahlert (Ertragsbesteuerung in Krise und Insolvenz, FR 2014, 731), Kahlert/Rühland (a.a.O., Rz 2.10 f.), Wiese/Lukas (Sanierungsgewinne und Gewerbesteuer, DStR 2015, 1222), Hageböke/ Hasbach (Gewerbesteuerliche Kompetenzfragen beim Sanierungserlass, DStR 2015, 1713), Sonnleitner/Strotkemper (Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen: Quo vadis?, Betriebs-Berater --BB-- 2015, 2395), Krumm (DB 2015, 2714), derselbe (in Blümich, § 5 EStG Rz 959), Keuthen/Hübner (Aktuelle steuerliche Fragen bei Sanierungsgewinnen, FR 2015, 865), Buschendorf/Vogel (Der Anspruch auf Billigkeitserlass bei Sanierungsgewinnen, DB 2016, 676), Kanzler --anders als 2003-- (Anmerkung zum Urteil des FG München vom 12. Dezember 2007  1 K 4487/06, FR 2008, 1114, 1117), Mitschke (Anmerkung zum BFH-Urteil vom 12. Dezember 2013 X R 39/10, FR 2014, 658, 661), Hoffmann-Theinert/Häublein (Die Besteuerung von Sanierungsgewinnen bei Forderungsverzichten, FU Berlin, online-Dokument). Weitere dem sog. Sanierungserlass zustimmende Autoren sind in Rz 50 des Vorlagebeschlusses in BFHE 249, 299, BStBl II 2015, 696 aufgeführt.

85

3. Auffassung der Verwaltung

86

Die Finanzverwaltung hält am sog. Sanierungserlass fest und meint, dieser verletze nicht den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung.

87

III. Auffassung des Großen Senats

88

Der Große Senat bejaht die Vorlagefrage. Die im sog. Sanierungserlass aufgestellten Voraussetzungen für einen Steuererlass aus Billigkeitsgründen beschreiben keinen Fall sachlicher Unbilligkeit i.S. der §§ 163, 227 AO. Soweit der sog. Sanierungserlass gleichwohl den Erlass der auf einen Sanierungsgewinn entfallenden Steuer vorsieht, liegt darin ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung.

89

1. Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung

90

a) Art. 20 Abs. 3 GG bindet die vollziehende Gewalt an Gesetz und Recht. Hieraus abgeleitet --zum Teil auch mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung synonym gebraucht-- wird das Prinzip des Vorrangs des Gesetzes, dem zufolge das Gesetzesrecht Vorrang hat gegenüber von der Exekutive gesetzten Normen und anderen Verwaltungsentscheidungen (Grzeszick in Maunz/Dürig, Komm. z. GG, Art. 20 V Rz 98, Art. 20 VI Rz 72); untergesetzliche Normen und andere Maßnahmen der Verwaltung dürfen gesetzlichen Rechtsnormen nicht widersprechen (Grzeszick, a.a.O., Art. 20 VI Rz 73; Schnapp, in: v. Münch/ Kunig, GGK, 6. Aufl., 2012, Rz 65 zu Art. 20). Ein Verstoß gegen dieses aus Art. 20 Abs. 3 GG folgende Verfassungsprinzip kommt danach in Betracht, wenn eine der Verwaltungsmaßnahme entgegenstehende gesetzliche Vorschrift existiert (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts -BVerfG- vom 28. Oktober 1975  2 BvR 883/73, 2 BvR 379/74, 2 BvR 497/74, 2 BvR 526/74, BVerfGE 40, 237, 247).

91

b) Im Abgabenrecht hat der vorgenannte Verfassungsgrundsatz seinen Niederschlag in § 85 Satz 1 AO gefunden. Nach dieser Vorschrift sind die Finanzbehörden verpflichtet, die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben. Dieser für das gesamte Verfahren geltende Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung ist der für das Steuerrecht einfachrechtlich formulierte Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung i.S. des Art. 20 Abs. 3 GG (vgl. Schmitz in Schwarz, a.a.O., § 85 Rz 8; Klein/Rätke, AO, 13. Aufl., § 85 Rz 1). § 85 Satz 1 AO enthält das im Steuerrecht geltende Legalitätsprinzip.

92

Die Finanzbehörden sind danach nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, die wegen Verwirklichung eines steuerrechtlichen Tatbestands entstandenen Steueransprüche (§ 38 AO) festzusetzen und die Steuer zu erheben. In dem von den Grundsätzen der Gleichheit und der Gesetzmäßigkeit geprägten Steuerschuldverhältnis entspricht der Pflicht des Schuldners zur gesetzmäßigen Steuerzahlung die Pflicht der Finanzbehörden zur gesetzmäßigen Steuererhebung (BVerfG-Urteil vom 27. Juni 1991  2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, 271). Die mit dem Vollzug der Steuergesetze beauftragte Finanzverwaltung hat die Besteuerungsvorgaben in strikter Legalität umzusetzen und so Belastungsgleichheit zu gewährleisten (BVerfG-Urteil in BVerfGE 84, 239, 271).

93

Die im Rahmen einer Ermessensausübung anzustellenden Zweckmäßigkeitserwägungen spielen daher bei der Steuerfestsetzung und -erhebung grundsätzlich keine Rolle. Einen im Belieben der Finanzverwaltung stehenden, freien Verzicht auf Steuerforderungen gibt es nicht. Auch im Wege von Verwaltungserlassen dürfen die Finanzbehörden Ausnahmen von der gesetzlich vorgeschriebenen Besteuerung nicht zulassen (Schmitz, a.a.O., § 85 Rz 10; Klein/Rätke, a.a.O., § 85 Rz 8), denn auch der Verzicht auf den Steuereingriff bedarf einer gesetzlichen Grundlage (Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 3 Rz 235 ff.; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 227 AO Rz 2; BVerwG-Urteil vom 18. April 1975 VII C 15.73, BVerwGE 48, 166, BStBl II 1975, 679). Fehlt diese, können die Finanzbehörden von der Festsetzung und Erhebung gemäß § 38 AO entstandener Steueransprüche nicht absehen. Anderenfalls verstoßen sie gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung (§ 85 Satz 1 AO) und damit gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG).

94

2. Gesetzliche Grundlagen für Billigkeitsmaßnahmen

95

Die rechtlichen Grundlagen für einen Steuererlass aus Billigkeitsgründen finden sich in den Vorschriften der §§ 163, 227 AO, auf die sich der sog. Sanierungserlass ausdrücklich bezieht.

96

Nach § 163 Satz 1 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Nach § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden.

97

Diese gesetzlichen Ermächtigungen der Finanzbehörden, das steuerliche Ergebnis im Einzelfall aus Gründen der Billigkeit zu korrigieren, sind aus der früher in nur einer Gesetzesvorschrift enthaltenen und nahezu gleichlautenden Billigkeitsregelung des § 131 der Reichsabgabenordnung (RAO) hervorgegangen. Wegen der durch die AO vorgegebenen Trennung von Steuerfestsetzungs- und Steuererhebungsverfahren finden sich mit dem im Vierten Teil des Gesetzes enthaltenen § 163 Satz 1 AO und mit dem im Fünften Teil enthaltenen § 227 AO zwei gleichartige Vorschriften, die es ermöglichen, die Steuer im Einzelfall abweichend festzusetzen oder Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis zu erlassen, wobei der in § 163 Satz 1 AO verwendete Begriff der "Unbilligkeit" mit dem in § 227 AO verwendeten identisch ist (BFH-Urteil vom 24. August 2011 I R 87/10, BFH/NV 2012, 161). Die Unbilligkeit der Erhebung der Steuer oder der Einziehung des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis kann daher sowohl im Festsetzungs- als auch im Erhebungsverfahren geltend gemacht werden und ist dementsprechend in beiden Verfahren zu prüfen.

98

a) Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme ist sowohl im Festsetzungs- als auch im Erhebungsverfahren eine Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung (§ 5 AO). Allerdings handelt es sich hierbei nicht um ein voraussetzungsloses Ermessen. Vielmehr setzen die abweichende Steuerfestsetzung nach § 163 Satz 1 AO und der Erlass nach § 227 AO voraus, dass die Erhebung bzw. Einziehung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Die Unbilligkeit der Besteuerung kann sich nach allgemeiner Auffassung aus persönlichen oder sachlichen Gründen ergeben (vgl. statt vieler: Klein/Rüsken, a.a.O., § 163 Rz 32, 36).

99

aa) Auf eine Vorlage des BVerwG hat der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmS-OGB) mit Beschluss vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70 (BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603) auf die ihm vorgelegte Frage geantwortet, die nach § 131 Abs. 1 Satz 1 RAO zu treffende Entscheidung der Finanzbehörde, ob die Einziehung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig ist, sei eine Ermessensentscheidung und von den Gerichten nach den für die Überprüfung von Ermessensentscheidungen geltenden Grundsätzen zu prüfen. Allerdings rage der Begriff "unbillig" in den Ermessensbereich hinein und bestimme damit zugleich Inhalt und Grenzen der Ermessensausübung.

100

bb) Die Auffassung des GmS-OGB wird in der Kommentarliteratur zur AO fast einhellig abgelehnt. Frotscher (in Schwarz, a.a.O., § 163 Rz 35) bezeichnet sie als fragwürdig, weil der unbestimmte Rechtsbegriff "Unbilligkeit" der Rechtsauslegung zugängig sei. V. Groll sieht die "Unbilligkeit" als Tatbestandsvoraussetzung und in § 163 und § 227 AO jeweils eine Koppelungsvorschrift mit einem unbestimmten Rechtsbegriff auf der Tatbestands- sowie einer Ermessensermächtigung auf der Rechtsfolgenseite (in HHSp, § 227 AO Rz 110, 115). Dem entspricht die Kommentierung von Krabbe (in Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl., § 227 Rz 8). Ähnlich formuliert es auch Oellerich (in Beermann/Gosch, AO, § 163 Rz 185). Ebenso meint Loose, der unbestimmte Rechtsbegriff "Unbilligkeit" sei Tatbestandsvoraussetzung; auf der Tatbestandsseite könne aber kein Verwaltungsermessen eingeräumt werden (Tipke/Kruse, a.a.O., § 227 Rz 22 bis 24). Rüsken teilt die Kritik und meint im Anschluss an Loose, die Auslegung und Anwendung des Begriffs "Billigkeit" seien nicht dem Ermessen der Finanzbehörde überlassen, sondern Rechtsanwendung (Klein/Rüsken, a.a.O., § 163 Rz 20). In gleicher Weise meint v. Wedelstädt, der Begriff "unbillig" sei ein unbestimmter Rechtsbegriff, der als Rechtsfolgevoraussetzung Rechtsentscheidung sei und vom Gericht ohne die Einschränkung des § 102 FGO überprüft werden könne (in: Kühn/ v. Wedelstädt, 21. Aufl., AO, § 163 Rz 6). Allein Cöster und Fritsch (beide in Koenig, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 163 Rz 16 bzw. § 227 Rz 11) geben die vom GmS-OGB vertretene Auffassung unkommentiert wieder.

101

cc) Die vorstehend beschriebenen unterschiedlichen Auffassungen führen allerdings nicht zu voneinander abweichenden Ergebnissen. Geht man mit der Formulierung des GmS-OGB davon aus, dass "der Begriff 'unbillig' in den Ermessensbereich hineinragt und damit zugleich Inhalt und Grenzen der pflichtgemäßen Ermessensausübung bestimmt", kann es sich nur um einen Rechtsbegriff handeln, welcher der Definition bedarf, und zwar in derselben Weise, wie es bei einem Tatbestandsmerkmal erforderlich ist. Daher kommt auch der GmS-OGB mit seiner Entscheidung in BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603 zu dem Schluss, es mache "vom Ergebnis her keinen bedeutsamen Unterschied", ob man von einem Tatbestandsmerkmal und einer Rechtsentscheidung ausgehe oder von einer Ermessensentscheidung, die auf ihre Vereinbarkeit mit den Grundsätzen der Billigkeit geprüft werde.

102

dd) Dem entspricht die ständige Rechtsprechung des BFH, der seinen Entscheidungen zu §§ 163 und 227 AO stets den Beschluss des GmS-OGB in BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603 zugrunde legt und dementsprechend davon ausgeht, dass die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme sowohl im Festsetzungs- als auch im Erhebungsverfahren eine Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung ist, bei der Inhalt und Grenzen des Ermessens durch den Begriff der Unbilligkeit bestimmt werden (vgl. aus jüngerer Zeit: BFH-Urteil vom 22. Oktober 2014 II R 4/14, BFHE 247, 170, BStBl II 2015, 237), und im Anschluss daran --wie im Schrifttum zutreffend vermerkt wird (vgl. v. Groll in HHSp, § 227 AO Rz 117; Klein/Rüsken, a.a.O., § 163 Rz 20)-- vollen Umfangs prüft, ob die Besteuerung im jeweiligen Streitfall unbillig ist. Bescheidungsurteile des BFH sind deshalb auf wenige Ausnahmefälle, in denen noch sachlicher Klärungsbedarf gesehen wurde, beschränkt geblieben (BFH-Urteile vom 6. Februar 1980 II R 7/76, BFHE 130, 186, BStBl II 1980, 363; vom 11. Juli 1996 V R 18/95, BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259, und vom 9. Juli 2003 V R 57/02, BFHE 203, 8, BStBl II 2003, 901).

103

Bestätigt der BFH die Behördenentscheidung und verneint er die Unbilligkeit der Besteuerung, weist er die Revision des Klägers zurück oder ändert auf die Revision der Finanzbehörde die Vorentscheidung (vgl. aus jüngerer Zeit: BFH-Urteile vom 17. April 2013 II R 13/11, BFH/NV 2013, 1383; vom 25. September 2013 VII R 7/12, BFH/NV 2014, 7; vom 17. Dezember 2013 VII R 8/12, BFHE 244, 184; vom 4. Juni 2014 I R 21/13, BFHE 246, 130, BStBl II 2015, 293; vom 21. Januar 2015 X R 40/12, BFHE 248, 485, BStBl II 2016, 117; BFH-Beschluss in BFH/NV 2011, 2005).

104

Bejaht der BFH dagegen die Unbilligkeit der Besteuerung, kommt er im zweiten Schritt durchweg dazu, eine Ermessensreduktion auf Null anzunehmen, oder er problematisiert die Frage des Ermessens nicht und weist entweder die Revision der Finanzbehörde zurück oder ändert auf die Revision des Klägers die Vorentscheidung und verpflichtet die Finanzbehörde zum Erlass (vgl. aus jüngerer Zeit: BFH-Urteile vom 21. August 2012 IX R 39/10, BFH/NV 2013, 11, und in BFHE 247, 170, BStBl II 2015, 237).

105

ee) In gleicher Weise geht die Rechtsprechung des BVerwG zu Billigkeitsmaßnahmen gemäß § 163 Abs. 1 Satz 1 oder § 227 AO von einer uneingeschränkten Überprüfbarkeit des Merkmals der "Unbilligkeit" aus. Mit den BVerwG-Urteilen vom 29. September 1982  8 C 48.82 (BStBl II 1984, 236) und vom 9. März 1984  8 C 43.82 (HFR 1985, 481) wurde die Entscheidung der Behörde, die geltend gemachte sachliche Unbilligkeit der Einziehung der Lohnsummensteuer sei nicht gegeben, voll überprüft. Mit seinen Urteilen vom 4. Juni 1982  8 C 90.81 (HFR 1984, 595), 8 C 126.81 (HFR 1984, 594) und 8 C 106.81 (ZKF 1982, 194) hat das BVerwG die sachliche Unbilligkeit der Einziehung der Grundsteuer in jenen Fällen verneint, ohne den Begriff des "Ermessens" zu erwähnen. Ebenso hat das BVerwG in einem aktuellen Urteil vom 19. Februar 2015  9 C 10.14 (BVerwGE 151, 255) die in jenem Fall geltend gemachte sachliche Unbilligkeit der Einziehung der Gewerbesteuer eingehend geprüft und verneint, ohne ein behördliches Ermessen und eine daraus folgende nur eingeschränkte gerichtliche Überprüfbarkeit der Behördenentscheidung zu erwähnen.

106

b) Ist somit nach den vorstehend beschriebenen Rechtsauffassungen in Literatur und Rechtsprechung das in §§ 163 und 227 AO verwendete Merkmal "unbillig" ein im gerichtlichen Verfahren überprüfbarer Rechtsbegriff oder mit anderen Worten --wie auch der vorlegende Senat mit Urteil in BFHE 248, 485, BStBl II 2016, 117 ausführt-- die "gesetzliche Voraussetzung" einer Ermessensentscheidung, kommt ein dieses Merkmal einschließendes behördliches Ermessen nicht in Betracht und deshalb auch keine durch eine ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift herbeigeführte Ermessensreduktion auf Null. Wäre die Bejahung oder Verneinung der Unbilligkeit der Erhebung und Einziehung der Steuer eine Ermessensentscheidung, läge der Steuererlass gänzlich im Ermessen der Finanzbehörden, was --wie ausgeführt-- mit dem in § 85 Satz 1 AO steuerrechtlich begründeten Legalitätsprinzip und dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nicht vereinbar wäre.

107

c) Soweit daher das BMF mit dem sog. Sanierungserlass die Auffassung vertritt, unter den dort beschriebenen Voraussetzungen sei die Erhebung der auf einen Sanierungsgewinn entfallenden Steuer sachlich unbillig i.S. des § 163 Abs. 1 Satz 1 und des § 227 AO, handelt es sich um eine norminterpretierende (nämlich das Merkmal sachlicher Unbilligkeit konkretisierende) Verwaltungsvorschrift, welche die gleichmäßige Auslegung und Anwendung des Rechts sichern soll. Norminterpretierende Verwaltungsvorschriften haben nach ständiger BFH-Rechtsprechung keine Bindungswirkung im gerichtlichen Verfahren. Sie stehen unter dem Vorbehalt einer abweichenden Auslegung der Norm durch die Rechtsprechung, der allein es obliegt zu entscheiden, ob die Auslegung der Rechtsnorm durch die Finanzverwaltung im Einzelfall Bestand hat (vgl. dazu aus jüngerer Zeit: BFH-Urteil vom 16. September 2015 XI R 27/13, BFH/NV 2016, 25, m.w.N.).

108

d) Nach alledem lässt sich der Steuererlass in Fällen, in denen die Unbilligkeit der Besteuerung i.S. der §§ 163 und 227 AO nicht gegeben ist, auch nicht mit einer durch Verwaltungsvorschrift geschaffenen Selbstbindung der Finanzverwaltung und einem darauf gestützten Anspruch des Steuerpflichtigen auf Gleichbehandlung begründen (so auch Loose in Tipke/Kruse, a.a.O., § 227 AO Rz 55, 62, 128), denn Art. 3 Abs. 1 GG vermittelt --wie ausgeführt-- nach ständiger Rechtsprechung keinen Anspruch auf Anwendung einer rechtswidrigen Verwaltungspraxis.

109

3. Voraussetzungen sachlicher Unbilligkeit

110

Für die Prüfung einer auf den sog. Sanierungserlass gestützten Billigkeitsmaßnahme kommt es danach allein darauf an, ob sich unter den dort genannten Voraussetzungen die sachliche Unbilligkeit der auf einen Sanierungsgewinn entfallenden Steuer bejahen lässt. Das ist jedoch nicht der Fall.

111

Die Voraussetzungen sachlicher Unbilligkeit der Besteuerung, um die es sowohl im Streitfall als auch im sog. Sanierungserlass allein geht, sind durch eine langjährige höchstrichterliche Rechtsprechung definiert worden, mit der sich der sog. Sanierungserlass nicht auseinandersetzt.

112

a) Eine sachliche Billigkeitsmaßnahme stellt immer auf den Einzelfall ab und ist atypischen Ausnahmefällen vorbehalten. Das bedeutet zwar nicht, dass sie allein für singulär auftretende Fälle vorgesehen ist; sie kann vielmehr auch in durch besondere Ausnahmevoraussetzungen gekennzeichneten Fallgruppen gewährt werden. Die Voraussetzungen einer Billigkeitsmaßnahme sind aber im Fall einer solchen Gruppenregelung dieselben wie bei einer Einzelfallentscheidung der Finanzbehörde: Die Erhebung oder Einziehung muss gemäß § 163 Satz 1 und § 227 AO "nach Lage des einzelnen Falls" unbillig sein. Eine Gruppe gleichgelagerter Einzelfälle kann daher mit dem Ziel einer einheitlichen Behandlung zusammenfassend beurteilt werden, doch müssen hinsichtlich all dieser Einzelfälle die Voraussetzungen der sachlichen Unbilligkeit vorliegen (BFH-Urteile vom 9. Juli 1970 IV R 34/69, BFHE 99, 448, BStBl II 1970, 696, und vom 25. November 1980 VII R 17/78, BFHE 132, 159, BStBl II 1981, 204). Typisierende Billigkeitsregelungen in Gestalt subsumierbarer Tatbestände kommen deshalb nicht in Betracht; sie können allein Bestandteil einer gesetzlichen Regelung sein (Frotscher in Schwarz, a.a.O., § 163 Rz 32; Klein/Rüsken, a.a.O., § 163 Rz 6 f.).

113

Billigkeitsmaßnahmen dienen der Anpassung des steuerrechtlichen Ergebnisses an die Besonderheiten des Einzelfalls, um Rechtsfolgen auszugleichen, die das Ziel der typisierenden gesetzlichen Vorschrift verfehlen und deshalb ungerecht erscheinen. Sie gleichen Härten im Einzelfall aus, die der steuerrechtlichen Wertentscheidung des Gesetzgebers nicht entsprechen und damit zu einem vom Gesetzgeber nicht gewollten Ergebnis führen (vgl. die Nachweise in Klein/Rüsken, a.a.O., § 163 Rz 32). Gründe außerhalb des Steuerrechts wie z.B. wirtschafts-, arbeits-, sozial- oder kulturpolitische Gründe können einen Billigkeitsentscheid somit nicht rechtfertigen (BFH-Urteile vom 19. Januar 1965 VII 22/62 S, BFHE 81, 572, BStBl III 1965, 206, und in BFHE 99, 448, BStBl II 1970, 696).

114

aa) Soweit der vorlegende Senat sowie Stimmen im Schrifttum Fälle eines durch Forderungsverzicht entstandenen Sanierungsgewinns für im vorgenannten Sinn atypische Einzelfälle halten, weil der Sanierungsgewinn nicht zu einem Liquiditätszufluss oder einem Zuwachs an Leistungsfähigkeit führe (Seer, FR 2014, 721, 727; Buschendorf/Vogel, DB 2016, 676, 679; ebenso Rz 62 des Vorlagebeschlusses in BFHE 249, 299, BStBl II 2015, 696), folgt der Große Senat dieser Ansicht nicht.

115

Ein aus betrieblichen Gründen erklärter Verzicht auf eine betriebliche Darlehensforderung ist --ungeachtet der Art der Gewinnermittlung und ungeachtet dessen, ob sie mit der Erhöhung der Liquidität oder der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verbunden ist-- als Betriebseinnahme zu erfassen (§ 4 Abs. 1 und 3 EStG; ggf. i.V.m. § 5 Abs. 1 EStG und § 8 Abs. 1 KStG); auch handelt es sich hierbei nicht um eine atypische, vom Gesetzgeber nicht gewollte Gewinnerhöhung oder Verlustminderung. Vielmehr zeigt sich gerade im Fall der Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich (§ 4 Abs. 1 EStG), dass die Besteuerung des durch einen solchen Forderungsverzicht entstandenen Gewinns die notwendige Folge der gesetzlich vorgegebenen Gewinnermittlungsart ist. Letztere umfasst die Forderungen und Verbindlichkeiten als Teil des positiven und negativen Betriebsvermögens mit der Folge, dass der mit dem Forderungsverzicht des Gläubigers ausgelöste und betrieblich veranlasste Wegfall der Schuld das Nettovermögen des Schuldners mehrt und damit seinen Gewinn sowie die hierdurch ausgedrückte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhöht. Hierbei ist unerheblich, dass der Forderungsverzicht als solcher die Liquidität des begünstigten Unternehmers nicht (unmittelbar) erhöht. Demgemäß ist es auch ausgeschlossen, eine hierauf beruhende Besteuerung als ungewollte und "überschießende" Folge einer typisierenden gesetzlichen Regelung zu qualifizieren.

116

Darüber hinaus trifft es nicht zu, dass der durch den Forderungsverzicht eines Gläubigers entstandene Gewinn nur bilanzieller Natur und nicht mit einer Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verbunden ist. Vielmehr ist eine solche Steigerung auf Seiten des Steuerpflichtigen faktisch bereits mit der ursprünglichen Leistung des Gläubigers eingetreten, die allerdings wegen des bilanziellen Ausweises einer Verbindlichkeit zunächst gewinnneutral blieb, weshalb nunmehr, nachdem der Steuerpflichtige die Leistung wegen des Forderungsverzichts endgültig behält, die frühere Steigerung seiner Leistungsfähigkeit in Gestalt einer Gewinnerhöhung ertragsteuerlich zu berücksichtigen ist.

117

bb) Dies ist auch nicht anders zu beurteilen, wenn der Forderungsverzicht in Sanierungsabsicht erklärt wird. Der in der Literatur vertretenen Ansicht, der einem wirtschaftlich notleidenden Unternehmen in Sanierungsabsicht gewährte Schuldenerlass verhindere lediglich den endgültigen Zusammenbruch des Unternehmens und führe daher nicht zu einem Zuwachs an Leistungsfähigkeit (Seer, FR 2014, 721, 727; Krumm, DB 2015, 2714; Buschendorf/Vogel, DB 2016, 676, 679 ff.; Gondert/Büttner, Steuerbefreiung von Sanierungsgewinnen, DStR 2008, 1676), ist nicht zu folgen. Vielmehr verfolgt gerade der in Sanierungsabsicht gewährte Schuldenerlass den Zweck, dem angeschlagenen Unternehmen durch Steigerung seiner Leistungsfähigkeit wieder aufzuhelfen, indem z.B. erwirtschaftete Erträge nicht mehr für den Schuldendienst verwendet werden müssen, sondern für notwendige Investitionen verbleiben. Könnte hingegen ein seitens der Gläubiger gewährter Schuldenerlass nichts an der mangelnden Leistungsfähigkeit und der prekären Liquidität des in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckenden Unternehmens ändern, fehlte es schon an der Sanierungseignung des Forderungsverzichts, die der sog. Sanierungserlass (im Anschluss an die frühere BFH-Rechtsprechung zu § 3 Nr. 66 EStG a.F.) nach wie vor fordert. Unbeschadet der vorstehend unter aa) aufgeführten Gründe ist daher gerade im Fall eines in Sanierungsabsicht gewährten und für die Sanierung geeigneten Schuldenerlasses eine Steigerung der Leistungsfähigkeit des nunmehr ganz oder teilweise entschuldeten Unternehmens bereits mit dem Fortfall der Verbindlichkeit zu bejahen.

118

Soweit gleichwohl in Fällen eines in Sanierungsabsicht erklärten Forderungsverzichts die steuerliche Begünstigung des auf Seiten des Steuerpflichtigen entstehenden Gewinns für erforderlich gehalten wird, um die beabsichtigte (und für erstrebenswert erachtete) Sanierung eines notleidenden Unternehmens nicht zu hindern und die Gläubiger nicht vom Verzicht auf ihre Forderungen abzuhalten (vgl. statt vieler: Krumm, DB 2015, 2714, 2715; Gondert/Büttner, DStR 2008, 1676; Fritsche, Die Streichung von § 3 Nr. 66 EStG..., DStR 2000, 2171, 2172; vgl. auch Groh, DB 1996, 1890; Kroschel, DStR 1999, 1383; s.a. Rz 72 des Vorlagebeschlusses in BFHE 249, 299, BStBl II 2015, 696), liegen diese wirtschafts-, ggf. auch arbeitsmarktpolitischen Gründe außerhalb des Steuerrechts und können --wie ausgeführt-- keine Billigkeitsmaßnahme rechtfertigen.

119

Dass die Besteuerung des Sanierungsgewinns für das betroffene Unternehmen problematisch ist, weil der durch den Forderungsverzicht gewonnene wirtschaftliche Spielraum wieder eingeengt wird und die steuerliche Belastung das Unternehmen "zur Unzeit" trifft (so Krumm, DB 2015, 2714, 2715), führt ebenfalls nicht zu sachlicher Unbilligkeit, denn sachliche Gründe für eine Billigkeitsentscheidung sind unabhängig von den wirtschaftlichen Verhältnissen des Steuerpflichtigen zu beurteilen (BFH-Urteil vom 30. August 1963 III 112/60 U, BFHE 77, 522, BStBl III 1963, 511). Die Pflicht der Finanzverwaltung, Steueransprüche durchzusetzen, ist nicht schon deshalb sachlich unbillig, weil sie zu einer erheblichen wirtschaftlichen Beeinträchtigung des Steuerschuldners führt (BFH-Urteil vom 26. Oktober 2011 VII R 50/10, BFH/NV 2012, 552).

120

cc) Darüber hinaus sieht der sog. Sanierungserlass, soweit er gleichwohl Billigkeitsmaßnahmen nach §§ 163 und 227 AO für Sanierungsgewinne anordnet, keine Einzelfallprüfung vor, sondern enthält typisierende Regelungen, welche die sachliche Unbilligkeit unter den dort beschriebenen Voraussetzungen ohne Rücksicht auf die Höhe des Sanierungsgewinns und der darauf entfallenden Steuer sowie ungeachtet einer zu befürchtenden Gefährdung der Unternehmenssanierung als gegeben unterstellen.

121

Gerade bei der vom sog. Sanierungserlass unter Nr. III geforderten vorrangigen Verlustverrechnung kann der nach Verrechnung verbleibende Sanierungsgewinn so gering sein, dass seine Besteuerung eine Gefährdung der Unternehmenssanierung nicht befürchten lässt. Gleichwohl gewährt der sog. Sanierungserlass in jedem Fall eines verbleibenden Sanierungsgewinns den Steuererlass. Die auch in Fällen sog. Gruppenunbilligkeit erforderliche Prüfung der Unbilligkeit im Einzelfall (vgl. BFH-Urteil in BFHE 99, 448, BStBl II 1970, 696) unterbleibt.

122

Eine weitere Typisierung enthält das BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240, unter Nr. II, soweit die geforderten Voraussetzungen eines Sanierungsgewinns (Sanierungsbedürftigkeit und -fähigkeit des Unternehmens, Sanierungseignung des Schuldenerlasses und Sanierungsabsicht der Gläubiger) als gegeben angesehen werden, wenn ein Sanierungsplan vorliegt. Diese Typisierung geht auf die (bereits dargestellte) frühere BFH-Rechtsprechung zu § 3 Nr. 66 EStG a.F. zurück. Im Rahmen der damaligen gesetzlichen Regelung war sie zulässig; im Rahmen eines Steuererlasses aus Billigkeitsgründen ist sie es nicht.

123

b) Da eine Regelung, die der Gesetzgeber abstrakt hätte treffen können, nicht Gegenstand von Billigkeitsmaßnahmen sein kann (BFH-Urteil in BFHE 99, 448, BStBl II 1970, 696), spricht gegen die mit dem sog. Sanierungserlass angenommene sachliche Unbilligkeit des Weiteren, dass die Steuerfreiheit eines Sanierungsgewinns über viele Jahre hinweg --zunächst im KStG, dann im EStG-- auf einer gesetzlichen Regelung beruhte.

124

Vor allem aber kam mit der Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. der Wille des Gesetzgebers klar und deutlich zum Ausdruck, Sanierungsgewinne künftig nicht mehr steuerlich zu privilegieren. Ein Sanierungsgewinn ist danach steuerlich genauso zu behandeln wie jeder andere durch Vermögensvergleich ermittelte Gewinn. Damit sind Billigkeitsmaßnahmen in Einzelfällen nicht von vornherein ausgeschlossen (wie die Vorinstanz mit Urteil in EFG 2013, 1898 und das FG München mit Urteil in EFG 2008, 615 möglicherweise meinen), sondern kommen in Fällen sachlicher Unbilligkeit durchaus in Betracht. Dementsprechend heißt es in der Gesetzesbegründung zur Aufhebung von § 3 Nr. 66 EStG a.F. abschließend (vgl. BTDrucks 13/7480, 192): "Einzelnen persönlichen oder sachlichen Härtefällen kann im Stundungs- oder Erlasswege begegnet werden."

125

Gleichwohl lässt sich nicht annehmen, gerade diejenigen Voraussetzungen, die bisher nach langjähriger höchstrichterlicher Rechtsprechung zur Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns führten (Sanierungsbedürftigkeit des Unternehmens, Forderungsverzicht der Gläubiger in Sanierungsabsicht sowie Sanierungseignung des Forderungsverzichts) und die dem Gesetzgeber bei Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. bekannt waren, könnten nach Aufhebung dieser Vorschrift die sachliche Unbilligkeit der Besteuerung eines Sanierungsgewinns begründen. So hat auch der vorlegende Senat mit Urteil in BFHE 229, 502, BStBl II 2010, 916 sowie mit Beschluss vom 8. Juni 2011 X B 209/10 (BFH/NV 2011, 1828) zu Recht entschieden, Billigkeitsmaßnahmen könnten nicht nach den Kriterien einer Vorschrift beurteilt werden, die der Gesetzgeber bewusst aufgehoben habe.

126

c) Auch die nunmehr zusätzlich neben die früheren Voraussetzungen der Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 66 EStG a.F. tretenden Bedingungen, die der sog. Sanierungserlass stellt, können den Steuererlass aus Billigkeitsgründen nicht rechtfertigen.

127

aa) Soweit auf die vom sog. Sanierungserlass unter III. geforderte vorrangige und vollständige Verrechnung des Sanierungsgewinns mit Verlustvorträgen und negativen Einkünften verwiesen und vertreten wird, jedenfalls die Besteuerung eines solchen, nicht mehr durch Verlustverrechnung reduzierbaren Sanierungsgewinns sei als sachlich unbillig anzusehen, weil der zur Zeit der Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. unbegrenzt mögliche Verlustvortrag mittlerweile durch § 10d Abs. 2 EStG in Gestalt einer sog. Mindestbesteuerung wieder beschränkt worden sei (Krumm, DB 2015, 2714, 2716; Seer, FR 2014, 721, 727; Vorlagebeschluss in BFHE 249, 299, BStBl II 2015, 696, Rz 65), folgt der Große Senat dieser Auffassung aus mehreren Gründen nicht.

128

(1) Die Annahme, die Besteuerung eines nach vollständiger Verlustverrechnung verbleibenden Sanierungsgewinns laufe den Wertungen des Gesetzgebers zuwider, weil nach der Begründung des Entwurfs eines Steuerreformgesetzes 1999 der CDU/CSU- und FDP-Fraktion (BTDrucks 13/7480, 192) mit der Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. allein eine sog. "Doppelbegünstigung" (Steuerbegünstigung des Sanierungsgewinns bei zugleich unbegrenzt möglichem Verlustvortrag) habe vermieden werden sollen (vgl. z.B. Krumm, DB 2015, 2714, 2716; Gondert/Büttner, DStR 2008, 1676; Braun/Geist, Zur Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen, BB 2009, 2508; Vorlagebeschluss in BFHE 249, 299, BStBl II 2015, 696, Rz 60, 61, 65), trifft nicht zu. Vielmehr waren nach der Begründung des vorgenannten Gesetzentwurfs mehrere Motive für die Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. ausschlaggebend, wobei an erster Stelle hervorgehoben wurde, dass die Bemessungsgrundlage zu verbreitern und Steuervergünstigungen abzuschaffen seien und dass die Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns nach den Grundprinzipien des Einkommensteuerrechts systemwidrig sei, da der durch den Erlass der Verbindlichkeiten entstehende Gewinn entgegen den allgemeinen ertragsteuerlichen Regeln nicht besteuert werde. Anschließend wurde in der Begründung zwar auf den seinerzeit unbegrenzt möglichen Verlustvortrag verwiesen, daneben aber auch das Motiv der Steuervereinfachung genannt (vgl. BTDrucks 13/7480, 192). Dass darüber hinaus die Generierung eines höheren Steueraufkommens ein weiteres zentrales Motiv für die Streichung der Steuervergünstigung war, zeigt die damalige Schätzung der finanziellen Auswirkungen, in der die durch die Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. veranschlagten Mehreinnahmen für das Jahr 2001 mit 42 Mio. DM ausgewiesen wurden (BTDrucks 13/7480, 165; s.a. Bericht des Finanzausschusses vom 24. Juni 1997, BTDrucks 13/8023, 43). Der Vorschlag, § 3 Nr. 66 EStG a.F. aufzuheben, wurde schließlich vorgezogen und zur Gegenfinanzierung der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer in das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997 aufgenommen.

129

Es ist nicht zulässig, aus diesem Bündel gesetzgeberischer Motive für die Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. allein die Vermeidung einer sog. "Doppelbegünstigung" herauszulösen und als Begründung für eine angebliche sachliche Unbilligkeit der Besteuerung für solche Fälle zu verwenden, in denen Sanierungsgewinne trotz Verrechnung mit Verlusten verbleiben. Damit blieben zum einen die übrigen Motive des Gesetzgebers und infolgedessen zum anderen die ständige Rechtsprechung des BFH sowie des BVerwG unbeachtet, der zufolge eine steuerliche Belastung, die der Wertentscheidung des Gesetzgebers entspricht, weil er sie auch in Anbetracht der Umstände des betreffenden Einzelfalls in Kauf genommen hat, grundsätzlich hinzunehmen ist und nicht durch eine Billigkeitsmaßnahme beseitigt werden kann (BFH-Urteile vom 5. Oktober 1966 II 111/64, BFHE 88, 382, BStBl III 1967, 415; vom 26. April 1979 V R 67/74, BFHE 127, 556, BStBl II 1979, 539; vom 4. Februar 2010 II R 25/08, BFHE 228, 130, BStBl II 2010, 663, und vom 20. September 2012 IV R 29/10, BFHE 238, 518, BStBl II 2013, 505, jeweils m.w.N.; BVerwG-Urteile in HFR 1984, 595, und in HFR 1985, 481).

130

(2) Darüber hinaus gibt es im Hinblick auf die Zeitpunkte weder der Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. noch der Aufnahme einer Mindestbesteuerung in § 10d EStG Anhaltspunkte für die Annahme, der Gesetzgeber habe seinerzeit die Möglichkeit auch nach Verlustverrechnung gleichwohl verbleibender Sanierungsgewinne übersehen. Schon unter der Geltung sowohl des § 11 Nr. 4 KStG a.F. als auch des § 3 Nr. 66 EStG a.F. gab es nämlich bis zum Beschluss des Großen Senats in BFHE 93, 75, BStBl II 1968, 666 eine langjährige BFH-Rechtsprechung, der zufolge nur nach Verlustverrechnung verbleibende Sanierungsgewinne steuerlich begünstigt waren. Diese Rechtsprechung kann nicht übersehen worden sein.

131

Jedenfalls hätte mit der Neufassung des § 10d EStG das Problem trotz Verlustverrechnung verbleibender Sanierungsgewinne wieder in den Blick rücken müssen, denn spätestens zu jenem Zeitpunkt war klar, dass sich die bei Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. gegebene Möglichkeit eines uneingeschränkten Verlustvortrags geändert hatte und es vermehrt zu nicht verrechenbaren Sanierungsgewinnen kommen könnte. Gleichwohl wurden keine Sonderreglungen für Sanierungsgewinne geschaffen.

132

(3) Ob hierin zu Recht ein Versäumnis oder ein widersprüchliches Verhalten des Gesetzgebers gesehen wird (vgl. insoweit die Stellungnahme des beigetretenen BMF; ebenso Seer, FR 2010, 306, 308; Braun/Geist, BB 2009, 2508), bedarf keiner Entscheidung. Jedenfalls war und ist es vor dem Hintergrund einer nunmehr wieder beschränkten Verlustverrechnung allein Sache des Gesetzgebers, die aufgehobene Privilegierung von Sanierungsgewinnen neu zu überdenken. Es liegt hingegen nicht in der Kompetenz der Finanzverwaltung, vermeintlich unschlüssige Gesetzesänderungen durch Billigkeitsmaßnahmen zu korrigieren.

133

(4) Darüber hinaus wird ein den Billigkeitsvorschriften der §§ 163, 227 AO fremdes Motiv deutlich, soweit der sog. Sanierungserlass die vorrangige umfassende Verlustverrechnung sowie bei später auftretenden Verlusten den Verlustrücktrag zwingend vorsieht und für den Fall eines hiervon abweichenden Verhaltens des Steuerpflichtigen die Rücknahme seines Erlassantrags fingiert (Nr. III Abs. 2 des BMF-Schreibens in BStBl I 2003, 240), denn die sachliche Unbilligkeit der Besteuerung folgt --wie ausgeführt-- aus dem den Sinn und Zweck einer steuerrechtlichen Vorschrift verfehlenden Ergebnis in einem atypischen Einzelfall und kann nicht --wie es der sog. Sanierungserlass vorsieht-- von bestimmten dem Steuerpflichtigen abverlangten Handlungen und der Wahrnehmung anderer Möglichkeiten des Steuersparens abhängig sein.

134

Dies gilt umso mehr, als der sog. Sanierungserlass diese Maßnahmen zum Teil ohne Rücksicht auf entgegenstehende gesetzliche Verrechnungsbeschränkungen verlangt, was von Stimmen in der Literatur als "schlicht rechtswidrig" bezeichnet wird (Janssen, Erlass von Steuern auf Sanierungsgewinne, DStR 2003, 1055; kritisch auch Siebert/Lickert, Handels- und steuerrechtliche Behandlung eines Forderungsverzichts mit Besserungsschein und eines Rangrücktritts bei der GmbH, online-Dokument, S. 19). Daran zeigt sich, dass es beim sog. Sanierungserlass nicht um die Abwendung steuerlicher Unbilligkeit i.S. der §§ 163, 227 AO geht, sondern ein anderes Ziel verfolgt wird, nämlich die steuerliche Subventionierung der Sanierung notleidender Unternehmen. Eine solche Subvention kann von bestimmten Bedingungen wie der vorrangigen totalen Verlustverrechnung abhängig gemacht werden. Billigkeitsmaßnahmen mit solchen Bedingungen zu verknüpfen, kommt hingegen nicht in Betracht.

135

bb) Auch soweit der sog. Sanierungserlass unter Nr. I.1. nur unternehmensbezogene, nicht aber unternehmerbezogene Billigkeitsmaßnahmen vorsieht, unterscheidet er sich zwar von der früheren Rechtslage unter der Geltung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. Jedoch lässt sich auch hieraus kein die sachliche Unbilligkeit der Besteuerung rechtfertigender Grund herleiten. Vielmehr spricht gerade diese Voraussetzung gegen die im sog. Sanierungserlass liegende Billigkeitsregelung, denn es kann unter Annahme sachlicher Unbilligkeit der Erhebung oder Einziehung einer Steuer keinen Unterschied machen, wem die sich daraus ergebende Billigkeitsmaßnahme zugutekommt. Erweist sich die Besteuerung im Einzelfall als sachlich unbillig, sind die Voraussetzungen für einen Billigkeitserlass unabhängig davon gegeben, ob das Unternehmen oder der Unternehmer von diesem profitiert.

136

Gerade diese Beschränkung des Billigkeitserlasses auf das betroffene Unternehmen, indem der sog. Sanierungserlass (von einem Ausnahmefall abgesehen) verlangt, dass das Unternehmen fortgeführt wird (Nr. I.2. des BMF-Schreibens in BStBl I 2003, 240), zeigt wiederum deutlich, dass es nicht um steuerliche Unbilligkeit geht, sondern um das wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Ziel, die Sanierung eines wirtschaftlich notleidenden Unternehmens nicht zu erschweren und Arbeitsplätze zu erhalten (so auch Bareis/Kaiser, DB 2004, 1841; Hoffmann-Theinert/Häublein, a.a.O.). Ob es aber mit Blick auf wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Ziele geboten ist, sich seitens des Fiskus daran zu beteiligen, Unternehmen vor dem finanziellen Zusammenbruch zu bewahren und wieder ertragfähig zu machen, ist keine Entscheidung, welche die Finanzverwaltung ohne gesetzliche Grundlage im Wege eines Erlasses treffen kann. Diese politische Entscheidung obliegt dem Gesetzgeber.

137

cc) Sind nach alledem die neben die Erzielung eines Sanierungsgewinns tretenden Bedingungen, die der sog. Sanierungserlass für einen Billigkeitserlass zusätzlich fordert, nicht geeignet, die sachliche Unbilligkeit der Besteuerung zu begründen, verbleibt die Feststellung, dass die Finanzverwaltung mit dem sog. Sanierungserlass, der sowohl in inhaltlicher als auch zeitlicher Hinsicht ausdrücklich an die Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. anknüpft (Nr. IV des BMF-Schreibens in BStBl I 2003, 240), die vom Gesetzgeber aufgehobene Steuerbefreiung für Sanierungsgewinne jedenfalls im Ergebnis durch Verwaltungsvorschrift wieder eingeführt hat. Darin liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (vgl. dazu: BVerfG-Beschluss in BVerfGE 40, 237).

138

d) Daran ändert auch die im sog. Sanierungserlass unter Nr. III Abs. 1 vertretene Ansicht des BMF nichts, die Besteuerung von Sanierungsgewinnen nach Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. sei sachlich unbillig, weil sie mit den Zielen der InsO in Konflikt stehe (so auch statt vieler: Kahlert, FR 2014, 731, 733; ebenso Rz 71 des Vorlagebeschlusses in BFHE 249, 299, BStBl II 2015, 696).

139

aa) Das mit der InsO verfolgte Ziel, insolvente Unternehmen zu erhalten und die außergerichtliche Sanierung zu fördern, zwingt nicht zu der Folgerung, der Fiskus habe sich mit Steuersubventionen an Sanierungen zu beteiligen. Im Übrigen waren dem Gesetzgeber im Zeitpunkt der Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. im Jahr 1997 die Vorschriften der InsO und ihre Ziele bekannt, denn die InsO ist zwar erst am 1. Januar 1999 in Kraft getreten (Art. 110 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung vom 5. Oktober 1994, BGBl I 1994, 2911), war jedoch bereits 1994 verabschiedet und im BGBl I 1994, 2866 verkündet worden. Wenn aber der Gesetzgeber die Steuerbefreiung von Sanierungsgewinnen gemäß § 3 Nr. 66 EStG a.F. in Kenntnis des neuen Insolvenzrechts beseitigte, ist anzunehmen, dass er dessen Regelungen für ausreichend hielt, die Sanierung insolventer Unternehmen zu fördern.

140

bb) Darüber hinaus kann auch bei Annahme eines gesetzgeberischen Zielkonflikts, wie er im sog. Sanierungserlass beschrieben ist, nicht angenommen werden, er könne durch Billigkeitsmaßnahmen der Finanzverwaltung gelöst werden. Lassen sich gesetzgeberische Ziele nicht miteinander vereinbaren, kommen regelmäßig mehrere Möglichkeiten der Konfliktlösung in Betracht. Die Entscheidung, welcher Weg der Konfliktlösung zu beschreiten und welchem Ziel der Vorrang einzuräumen ist, ist allein vom Gesetzgeber zu treffen und kann nicht Gegenstand einer Verwaltungsvorschrift sein. Wenn in diesem Zusammenhang im Schrifttum zustimmend vermerkt wird, das BMF habe mit dem sog. Sanierungserlass den Zielkonflikt zugunsten der InsO gelöst (vgl. Kahlert, FR 2014, 731, 733), fehlt die Auseinandersetzung mit der Frage, ob diese Art der Konfliktlösung in der Kompetenz der Finanzverwaltung liegt.

141

e) Liegen somit in Fällen durch Schuldenerlass erzielter Sanierungsgewinne, wie sie der sog. Sanierungserlass beschreibt, die Voraussetzungen sachlicher Unbilligkeit i.S. der §§ 163, 227 AO nicht vor, lässt sich der nach dem BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240 vorgesehene Steuererlass aus Billigkeitsgründen auch nicht mit dem Vorbringen des dem Streitfall beigetretenen BMF rechtfertigen, solche Billigkeitsmaßnahmen entsprächen dem mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers, weil in verschiedenen Begründungen zu Gesetzentwürfen Billigkeitsmaßnahmen im Allgemeinen oder der sog. Sanierungserlass im Besonderen erwähnt würden (vgl. insoweit auch: Frotscher in Schwarz, a.a.O., § 163 Rz 132; HHR/Musil, § 4 EStG Rz 134; Kanzler, FR 2008, 1116, 1117; Geist, Die Besteuerung von Sanierungsgewinnen, BB 2008, 2658; Gondert/Büttner, DStR 2008, 1676; Hoffmann-Theinert/Häublein, a.a.O.; Buschendorf/Vogel, DB 2016, 676, 679 ff.; s.a. Rz 66 des Vorlagebeschlusses in BFHE 249, 299, BStBl II 2015, 696).

142

Diesen Auffassungen, die sich auf den Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vom 27. März 2007 (BTDrucks 16/4841, 76), auf die Empfehlungen der Ausschüsse zum Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung vom 23. März 2009 (BRDrucks 168/1/09, 33) und die diesbezügliche Stellungnahme des Bundesrates vom 22. April 2009 (BTDrucks 16/12674, 10) stützen, in denen Billigkeitsmaßnahmen bzw. die Möglichkeit der Steuerbefreiung von Sanierungsgewinnen gemäß dem sog. Sanierungserlass des BMF erwähnt werden, folgt der Große Senat nicht.

143

Zum einen sind derartige Äußerungen in deutlich späteren Begründungen zu Gesetzentwürfen von Parlamentsfraktionen oder in Stellungnahmen von Ausschüssen nicht geeignet, auf einen mutmaßlichen Willen des historischen Gesetzgebers zu schließen. Zum anderen ist der verfassungsrechtliche Aspekt des insbesondere im Steuerrecht geltenden Legalitätsprinzips zu beachten: Bedürfen Steuervergünstigungen für Sanierungsgewinne einer gesetzlichen Regelung, weil das Tatbestandsmerkmal sachlicher Unbilligkeit der §§ 163, 227 AO, auf das sich der sog. Sanierungserlass stützt, nicht vorliegt, ist es ohne Bedeutung, ob sich in bestimmten Gesetzesmaterialien Hinweise finden, dass der Gesetzgeber den sog. Sanierungserlass stillschweigend oder konkludent billigt. Die notwendige, aber fehlende rechtliche Grundlage für eine steuerrechtliche Begünstigung von Sanierungsgewinnen kann nicht durch die Erwägung ersetzt werden, dass der Gesetzgeber in Anbetracht einer vorhandenen Problemlösung durch Verwaltungsvorschrift keinen Anlass sieht, tätig zu werden.

144

4. Zusammenfassung und Ergebnis

145

Das von der Finanzverwaltung und von Teilen der Rechtsprechung sowie des Schrifttums als richtig erkannte Ziel, Sanierungsgewinne generell, jedenfalls aber nachdem sie mit Verlusten verrechnet worden sind, nicht zu besteuern, lässt sich mit einem Billigkeitserlass nach § 163 Satz 1 oder § 227 AO nicht erreichen. Die nach der BFH-Rechtsprechung für das Merkmal sachlicher Unbilligkeit maßgebenden Kriterien rechtfertigen keine Billigkeitsmaßnahmen für die im sog. Sanierungserlass beschriebenen Fälle. Auf besondere, außerhalb des sog. Sanierungserlasses liegende Gründe des Einzelfalls, insbesondere auf persönliche Billigkeitsgründe gestützte Billigkeitsmaßnahmen bleiben allerdings unberührt.

146

Der sog. Sanierungserlass gewährt in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindlichen Unternehmen eine steuerliche Begünstigung, die durch den Umstand veranlasst wird, dass die Gläubiger mit ihrem Forderungsverzicht zu erkennen gegeben haben, dass sie die Unternehmenssanierung für erforderlich und die ergriffenen Maßnahmen für erfolgversprechend halten. Das Bedürfnis für eine solche Begünstigung wird aus dem wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Interesse am Erfolg der eingeleiteten Unternehmenssanierung hergeleitet. Ob sich der Fiskus in Anbetracht eines solchen Interesses an der Sanierung von Unternehmen beteiligt und in welcher Weise er dies tut, d.h. welche der verschiedenen in Betracht kommenden steuerlichen Erleichterungen für Sanierungsgewinne gewährt werden (vgl. zu unterschiedlichen gesetzlichen Lösungen in anderen Ländern: Maus, ZIP 2002, 589), ist eine allein dem Gesetzgeber obliegende politische Entscheidung.

147

Indem das BMF durch sein Schreiben vom 27. März 2003 (BStBl I 2003, 240) mit im Rahmen von Billigkeitsmaßnahmen nicht zulässigen typisierenden Regelungen die vom Gesetzgeber aufgehobene Steuerbegünstigung von Sanierungsgewinnen unter (leicht) modifizierten Bedingungen wieder einführt, um (u.a.) einen angeblichen Zielkonflikt mit der InsO zu bereinigen, wird es in gesetzesvertretender Weise tätig. Mit der Schaffung typisierender Regelungen für einen Steuererlass außerhalb der nach §§ 163 und 227 AO im Einzelfall möglichen Billigkeitsmaßnahmen nimmt das BMF eine strukturelle Gesetzeskorrektur vor und verstößt damit gegen das sowohl verfassungsrechtlich (Art. 20 Abs. 3 GG) als auch einfachrechtlich (§ 85 Satz 1 AO) normierte Legalitätsprinzip.

148

D. Beantwortung der vorgelegten Rechtsfrage

149

Mit dem unter den Voraussetzungen des BMF-Schreibens vom 27. März 2003 IV A 6-S 2140-8/03 (BStBl I 2003, 240; ergänzt durch das BMF-Schreiben vom 22. Dezember 2009 IV C 6-S 2140/07/10001-01, BStBl I 2010, 18; sog. Sanierungserlass) vorgesehenen Billigkeitserlass der auf einen Sanierungsgewinn entfallenden Steuer verstößt das BMF gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung.

150

Damit bedarf es keiner Stellungnahme des Großen Senats zu sich im Zusammenhang mit dem sog. Sanierungserlass stellenden beihilferechtlichen Fragen.

Die Finanzbehörden können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden.

(1) Die der Ermittlung der Zahl der Schadeinheiten zugrunde zu legende Schadstofffracht errechnet sich außer bei Niederschlagswasser (§ 7) und bei Kleineinleitungen (§ 8) nach den Festlegungen des die Abwassereinleitung zulassenden Bescheides. Der Bescheid hat hierzu mindestens für die in der Anlage zu § 3 unter den Nummern 1 bis 5 genannten Schadstoffe und Schadstoffgruppen die in einem bestimmten Zeitraum im Abwasser einzuhaltende Konzentration und bei der Giftigkeit gegenüber Fischeiern den in einem bestimmten Zeitraum einzuhaltenden Verdünnungsfaktor zu begrenzen (Überwachungswerte) sowie die Jahresschmutzwassermenge festzulegen. Enthält der Bescheid für einen Schadstoff oder eine Schadstoffgruppe Überwachungswerte für verschiedene Zeiträume, ist der Abgabenberechnung der Überwachungswert für den längsten Zeitraum zugrunde zu legen; Jahres- und Monatsmittelwerte bleiben außer Betracht. Ist im Abwasser einer der in der Anlage zu § 3 genannten Schadstoffe oder Schadstoffgruppen nicht über den dort angegebenen Schwellenwerten zu erwarten, so kann insoweit von der Festlegung von Überwachungswerten abgesehen werden.

(2) In den Fällen des § 9 Abs. 3 (Flusskläranlagen) gilt Absatz 1 entsprechend.

(3) Weist das aus einem Gewässer unmittelbar entnommene Wasser vor seinem Gebrauch bereits eine Schädlichkeit nach § 3 Abs. 1 (Vorbelastung) auf, so ist auf Antrag des Abgabepflichtigen die Vorbelastung für die in § 3 Abs. 1 genannten Schadstoffe und Schadstoffgruppen zu schätzen und ihm die geschätzte Vorbelastung nicht zuzurechnen. Bei der Schätzung ist von der Schadstoffkonzentration im Mittel mehrerer Jahre auszugehen. Die Länder können für Gewässer oder Teile von ihnen die mittlere Schadstoffkonzentration einheitlich festlegen.

(4) Die Einhaltung des Bescheides ist im Rahmen der Gewässerüberwachung nach den wasserrechtlichen Vorschriften durch staatliche oder staatlich anerkannte Stellen zu überwachen; der staatlichen Anerkennung stehen gleichwertige Anerkennungen oder Anerkennungen, aus denen hervorgeht, dass die betreffenden Anforderungen erfüllt sind, aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum gleich. Ergibt die Überwachung, dass ein der Abgabenrechnung zugrunde zu legender Überwachungswert im Veranlagungszeitraum nicht eingehalten ist und auch nicht als eingehalten gilt, wird die Zahl der Schadeinheiten erhöht. Die Erhöhung richtet sich nach dem Vomhundertsatz, um den der höchste gemessene Einzelwert den Überwachungswert überschreitet. Wird der Überwachungswert einmal nicht eingehalten, so bestimmt sich die Erhöhung nach der Hälfte des Vomhundertsatzes, wird der Überwachungswert mehrfach nicht eingehalten, nach dem vollen Vomhundertsatz. Legt der die Abwassereinleitung zulassende Bescheid nach Absatz 1 Satz 4 einen Überwachungswert nicht fest und ergibt die Überwachung, dass die in der Anlage zu § 3 als Schwellenwert angegebene Konzentration überschritten ist, wird die sich rechnerisch bei Zugrundelegung des Schwellenwertes ergebende Zahl der Schadeinheiten um den Vomhundertsatz erhöht, der sich aus den Sätzen 3 und 4 ergibt. Enthält der Bescheid über die nach Absatz 1 zugrunde zu legenden Überwachungswerte hinaus auch Überwachungswerte für kürzere Zeiträume oder Festlegungen für die in einem bestimmten Zeitraum einzuhaltende Abwassermenge oder Schadstofffracht, so wird die Zahl der Schadeinheiten auch bei Überschreitung dieser Werte erhöht. Wird die festgelegte Abwassermenge nicht eingehalten, so wird die Zahl der Schadeinheiten für alle im Bescheid nach Absatz 1 begrenzten Überwachungswerte erhöht. Werden sowohl ein Überwachungswert nach Absatz 1 als auch ein Überwachungswert oder eine Festlegung nach Satz 6 nicht eingehalten, so bestimmt sich die Erhöhung der Zahl der Schadeinheiten nach dem höchsten anzuwendenden Vomhundertsatz.

(5) Erklärt der Einleiter gegenüber der zuständigen Behörde, dass er im Veranlagungszeitraum während eines bestimmten Zeitraumes, der nicht kürzer als drei Monate sein darf, einen niedrigeren Wert als den im Bescheid nach Absatz 1 festgelegten Überwachungswert oder eine geringere als die im Bescheid festgelegte Abwassermenge einhalten wird, so ist die Zahl der Schadeinheiten für diesen Zeitraum nach dem erklärten Wert zu ermitteln. Die Abweichung muss mindestens 20 vom Hundert betragen. Die Erklärung, in der die Umstände darzulegen sind, auf denen sie beruht, ist mindestens zwei Wochen vor dem beantragten Zeitraum abzugeben. Die Absätze 2 und 3 gelten entsprechend. Die Einhaltung des erklärten Wertes ist entsprechend den Festlegungen des Bescheides für den Überwachungswert durch ein behördlich zugelassenes Messprogramm nachzuweisen; die Messergebnisse der behördlichen Überwachung sind in die Auswertung des Messprogramms mit einzubeziehen. Wird die Einhaltung des erklärten Wertes nicht nachgewiesen oder ergibt die behördliche Überwachung, dass ein nach Absatz 1 der Abgabenberechnung zugrunde zu legender Überwachungswert oder eine Festlegung nach Absatz 4 Satz 6 nicht eingehalten ist oder nicht als eingehalten gilt, finden die Absätze 1 bis 4 Anwendung.

(1) Die Abwasserabgabe richtet sich nach der Schädlichkeit des Abwassers, die unter Zugrundelegung der oxidierbaren Stoffe, des Phosphors, des Stickstoffs, der organischen Halogenverbindungen, der Metalle Quecksilber, Cadmium, Chrom, Nickel, Blei, Kupfer und ihrer Verbindungen sowie der Giftigkeit des Abwassers gegenüber Fischeiern nach der Anlage zu diesem Gesetz in Schadeinheiten bestimmt wird. Eine Bewertung der Schädlichkeit entfällt außer bei Niederschlagswasser (§ 7) und Kleineinleitungen (§ 8), wenn die der Ermittlung der Zahl der Schadeinheiten zugrunde zu legende Schadstoffkonzentration oder Jahresmenge die in der Anlage angegebenen Schwellenwerte nicht überschreitet oder der VerdünnungsfaktorG(tief)EI nicht mehr als 2 beträgt.

(2) In den Fällen des § 9 Abs. 3 (Flusskläranlagen) richtet sich die Abgabe nach der Zahl der Schadeinheiten im Gewässer unterhalb der Flusskläranlage.

(3) Die Länder können bestimmen, dass die Schädlichkeit des Abwassers insoweit außer Ansatz bleibt, als sie in Nachklärteichen, die einer Abwasserbehandlungsanlage klärtechnisch unmittelbar zugeordnet sind, beseitigt wird.

(4) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die in der Anlage festgelegten Vorschriften über die Verfahren zur Bestimmung der Schädlichkeit dem jeweiligen Stand der Wissenschaft und Technik anzupassen, wenn dadurch die Bewertung der Schädlichkeit nicht wesentlich verändert wird.

(1) Eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung sind nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Dies gilt auch für die Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit nach § 129. Die Frist ist gewahrt, wenn vor Ablauf der Festsetzungsfrist

1.
der Steuerbescheid oder im Fall des § 122a die elektronische Benachrichtigung den Bereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde verlassen hat oder
2.
bei öffentlicher Zustellung nach § 10 des Verwaltungszustellungsgesetzes die Benachrichtigung bekannt gemacht oder veröffentlicht wird.

(2) Die Festsetzungsfrist beträgt:

1.
ein Jahrfür Verbrauchsteuern und Verbrauchsteuervergütungen,
2.
vier Jahrefür Steuern und Steuervergütungen, die keine Steuern oder Steuervergütungen im Sinne der Nummer 1 oder Einfuhr- und Ausfuhrabgaben nach Artikel 5 Nummer 20 und 21 des Zollkodex der Union sind.
Die Festsetzungsfrist beträgt zehn Jahre, soweit eine Steuer hinterzogen, und fünf Jahre, soweit sie leichtfertig verkürzt worden ist. Dies gilt auch dann, wenn die Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung nicht durch den Steuerschuldner oder eine Person begangen worden ist, deren er sich zur Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten bedient, es sei denn, der Steuerschuldner weist nach, dass er durch die Tat keinen Vermögensvorteil erlangt hat und dass sie auch nicht darauf beruht, dass er die im Verkehr erforderlichen Vorkehrungen zur Verhinderung von Steuerverkürzungen unterlassen hat.

(1) Die Abwasserabgabe richtet sich nach der Schädlichkeit des Abwassers, die unter Zugrundelegung der oxidierbaren Stoffe, des Phosphors, des Stickstoffs, der organischen Halogenverbindungen, der Metalle Quecksilber, Cadmium, Chrom, Nickel, Blei, Kupfer und ihrer Verbindungen sowie der Giftigkeit des Abwassers gegenüber Fischeiern nach der Anlage zu diesem Gesetz in Schadeinheiten bestimmt wird. Eine Bewertung der Schädlichkeit entfällt außer bei Niederschlagswasser (§ 7) und Kleineinleitungen (§ 8), wenn die der Ermittlung der Zahl der Schadeinheiten zugrunde zu legende Schadstoffkonzentration oder Jahresmenge die in der Anlage angegebenen Schwellenwerte nicht überschreitet oder der VerdünnungsfaktorG(tief)EI nicht mehr als 2 beträgt.

(2) In den Fällen des § 9 Abs. 3 (Flusskläranlagen) richtet sich die Abgabe nach der Zahl der Schadeinheiten im Gewässer unterhalb der Flusskläranlage.

(3) Die Länder können bestimmen, dass die Schädlichkeit des Abwassers insoweit außer Ansatz bleibt, als sie in Nachklärteichen, die einer Abwasserbehandlungsanlage klärtechnisch unmittelbar zugeordnet sind, beseitigt wird.

(4) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die in der Anlage festgelegten Vorschriften über die Verfahren zur Bestimmung der Schädlichkeit dem jeweiligen Stand der Wissenschaft und Technik anzupassen, wenn dadurch die Bewertung der Schädlichkeit nicht wesentlich verändert wird.

(1) Die Anforderungen in den Anhängen beziehen sich auf die Analyse- und Messverfahren gemäß der Anlage 1. Die in der Anlage 1 und den Anhängen genannten Deutschen Einheitsverfahren zur Wasser-, Abwasser- und Schlammuntersuchung (DEV), DIN-, DIN EN-, DIN ISO-, DIN EN ISO-Normen und technischen Regeln der Wasserchemische Gesellschaft werden vom Beuth Verlag GmbH, Berlin, und von der Wasserchemischen Gesellschaft in der Gesellschaft Deutscher Chemiker, Wiley-VCH Verlag, Weinheim (Bergstraße), herausgegeben. Die genannten Verfahrensvorschriften sind beim Deutschen Patentamt in München archivmäßig gesichert niedergelegt.

(2) In der wasserrechtlichen Zulassung können andere, gleichwertige Verfahren festgesetzt werden.

(1) Die Abwasserabgabe richtet sich nach der Schädlichkeit des Abwassers, die unter Zugrundelegung der oxidierbaren Stoffe, des Phosphors, des Stickstoffs, der organischen Halogenverbindungen, der Metalle Quecksilber, Cadmium, Chrom, Nickel, Blei, Kupfer und ihrer Verbindungen sowie der Giftigkeit des Abwassers gegenüber Fischeiern nach der Anlage zu diesem Gesetz in Schadeinheiten bestimmt wird. Eine Bewertung der Schädlichkeit entfällt außer bei Niederschlagswasser (§ 7) und Kleineinleitungen (§ 8), wenn die der Ermittlung der Zahl der Schadeinheiten zugrunde zu legende Schadstoffkonzentration oder Jahresmenge die in der Anlage angegebenen Schwellenwerte nicht überschreitet oder der VerdünnungsfaktorG(tief)EI nicht mehr als 2 beträgt.

(2) In den Fällen des § 9 Abs. 3 (Flusskläranlagen) richtet sich die Abgabe nach der Zahl der Schadeinheiten im Gewässer unterhalb der Flusskläranlage.

(3) Die Länder können bestimmen, dass die Schädlichkeit des Abwassers insoweit außer Ansatz bleibt, als sie in Nachklärteichen, die einer Abwasserbehandlungsanlage klärtechnisch unmittelbar zugeordnet sind, beseitigt wird.

(4) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die in der Anlage festgelegten Vorschriften über die Verfahren zur Bestimmung der Schädlichkeit dem jeweiligen Stand der Wissenschaft und Technik anzupassen, wenn dadurch die Bewertung der Schädlichkeit nicht wesentlich verändert wird.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt den teilweisen Erlass der mit Bescheid des Beklagten vom 20.12.2011 festgesetzten Abwasserabgabe für das Veranlagungsjahr 2007.

2

Die Klägerin betreibt in A-Stadt u. a. eine Anlage zur Herstellung von Soda. Durch wasserrechtliche Erlaubnis des Regierungspräsidiums D. vom 13.08.2003 in Gestalt des 11. Änderungsbescheides vom 30.03.2012 ist der Klägerin die widerrufliche Erlaubnis erteilt, das Abwasser des Standortes A-Stadt in die Saale einzuleiten. Die wasserrechtliche Erlaubnis vom 13.08.2003 in der Fassung des 2. Änderungsbescheides vom 09.11.2004 sah für den seinerzeit abgaberelevanten Parameter Giftigkeit gegenüber Fischen (GF) einen Wert von 12 vor. Durch Fußnote 3 wird darauf verwiesen, dass der Hinweis Nr. 505 des Anhangs der Abwasserverordnung (Anhang AbwV) zu beachten ist –Salzkorrektur – (Anlage K4). Mit Rundschreiben vom 02.02.2005 informierte der Beklagte die Klägerin über die durch das Fünfte Gesetz zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes vom 09.12.2004 (BGBl. I S. 3332) eingetretene Änderung der Rechtslage. Danach wurde der Parameter GF durch den Parameter GEi ersetzt. Die Umstellung erfolge aus Gründen des Tierschutzes und solle sich abgabenneutral auswirken.

3

Unter dem 10.05.2005 beantragte die Klägerin die Umstellung ihrer Erlaubnis vom Parameter GF auf den Parameter GEi. Sie beantragte in der Erwartung, dass entsprechend der bisherigen Vorgehensweise weiterhin eine Salzkorrektur vorgenommen werden würde, einen Überwachungswert von GEi = 2. Die sog. Salzkorrektur sieht vor, dass ein in einer wasserrechtlichen Erlaubnis festgesetzter GEi – Wert als eingehalten gilt, wenn die Überschreitung des festgesetzten Wertes auf den Gehalt an Sulfat und Chlorid beruht.

4

Im Juli 2005 übersandte der Beklagte der Klägerin den Entwurf des 3. Änderungsbescheides zur wasserrechtlichen Erlaubnis, der einen Überwachungswert von GEi = 24 vorsah und eine Salzkorrektur ausschloss. Hiergegen wendete sich die Klägerin. Zwischen den Beteiligten wurden in der Folgezeit hinsichtlich der Frage der Anwendbarkeit der Salzkorrektur Gespräche geführt, so dass der 3. Änderungsbescheid zur wasserrechtlichen Erlaubnis vom 23.01.2006 ohne Festsetzung eines GEi -Werts erfolgte. Mit Schreiben vom 25.01.2006 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass die behördeninterne Abstimmung ergeben habe, dass keine Möglichkeit der Anwendung der Salzkorrektur bestehe.

5

Mit 3. Änderungsbescheid vom 23.01.2006 änderte der Beklagte sodann die wasserrechtliche Erlaubnis ohne Veränderung des Parameters GF in GEi ab.

6

Bereits im November 2005 reichte die Klägerin beim Beklagten für das Veranlagungsjahr 2006 eine abwasserabgabenrechtliche Erklärung nach § 6 Abs. 1 AbwAG für den Parameter GEi mit einem Verdünnungsfaktor 2 ein (GA Bl. 195 ff – 9 A 27/12 MD –). Zwischen der Klägerin und dem Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt fanden im Februar und März 2006 zwei Besprechungen zur Frage der Anwendbarkeit der sog. „Salzkorrektur“ im wasserrechtlichen Erlaubnisverfahren statt. Eine Einigung wurde nicht erzielt.

7

Unter dem 12.04.2006 ergänzte die Klägerin ihren „Umstellungs-“Antrag vom 10.05.2005 und begehrte nunmehr – wie vom Beklagten vorgeschlagen – die Festsetzung eines GEi –Werts von 24. Daraufhin führte der Beklagte das Erlaubnisverfahren als förmliches Verfahren nach §§ 31g, 31a Abs. 2 und 4 WG LSA a.F. durch. So erfolgte in der Zeit vom 17.07. bis 16.08.2006 die Bekanntmachung und öffentliche Auslegung der Unterlagen. Einwendungen wurden nicht erhoben. Eine Erörterung erfolgte nicht.

8

Mit Anhörungsschreiben vom 20.11.2006 gab der Beklagte der Klägerin Gelegenheit, sich bis zum 04.12.2006 zum angefügten Entwurf des 4. Änderungsbescheides vom 20.11.2006 zur wasserrechtlichen Erlaubnis, der einen GEi –Wert von 24 vorsah, zu äußern. Hiervon machte die Klägerin mit E-Mail vom 01.12.2006 Gebrauch (Bl. 134 GA). Sie führte darin aus, dass im Hinblick auf die Abwasserabgabe für die Jahre 2005 und 2006 (und das beginnende Jahr 2007) sich die Frage stelle, ab wann der Wert gelten solle. Aus ihrer Sicht sei es richtig, die unterschiedlichen Sichtweisen für die Jahre 2005 und 2006 durch öffentlich-rechtlichen Vergleichsvertrag zu regeln, so dass die neuen Bescheidwerte für GEi erst ab 01.01.2007 (oder noch später) gelten würden. Zudem stellte sie ihre Auffassung zur Anwendbarkeit der Salzformel für die Sodaabwasser erneut dar und regte einen niedrigeren GEi –Wert von 16 an.

9

Zum abgaberechtlichen Erklärungstermin für das streitbefangene Veranlagungsjahr 2007 (30.11.2006) gab die Klägerin keine Erklärung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG hinsichtlich des Parameters GEi ab.

10

In Beantwortung des klägerischen Schreibens vom 01.12.2006 im Rahmen des Anhörungsverfahrens wies der Beklagte mit nicht näher datiertem Schreiben vom ….12.2006 (Bl. 135 GA), das laut Vermerk am 15.12.2006 zur Post gegeben wurde, darauf hin, dass die Festlegung GEi –Wertes von 24 im 4. Änderungsbescheid der wasserrechtlichen Erlaubnis auf der Grundlage des Antrags der Klägerin erfolgt sei. Dieser Wert entspreche den vorangegangenen Analyseergebnissen für die Zeiträume 2005/2006. Eine Festlegung auf 16 würde zu erheblichen Überschreitungen führen, die nicht nur abgaberelevant, sondern auch ordnungswidrig wäre. Hinsichtlich der Abwasserabgabe würden häufige Überschreitungen dazu führen, dass keine Ermäßigung bei der Abgabenberechnung erfolge und demnach für einen geringer festgelegten GEi bei Überschreitung eine höhere Abgabe zu zahlen sei. Im umgekehrten Fall sei bei Einhaltung eines höheren GEi –Werts eine Ermäßigung möglich, die zu einer Verringerung der Abgabe führe. Die im 4. Änderungsbescheid festgelegten Änderungen der wasserrechtlichen Erlaubnis würden mit Wirksamwerden des Bescheides gelten. Bis dahin seien die in der wasserrechtlichen Erlaubnis mit dem 1. bis 3. Änderungsbescheid festgelegten Parameter relevant.

11

Die Klägerin erklärte gegenüber dem Beklagten unter dem 07.12.2006 die Einhaltung des niedrigeren Wertes als den im Bescheid beabsichtigten GEi –Wert (16 statt 24) für den Zeitraum vom 01.01.2007 bis 31.03.2007 für drei von vier Einleitstellen gemäß § 4 Abs. 5 AbwAG (Bl. 59 Beiakte A zum Verfahren 9 A 27/12 MD). Die Erklärung ging am 13.12.2006 beim Beklagten ein. Mit E-Mail vom 21.12.2006 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass die Erklärung bezüglich des Messprogramms unvollständig und vorsorglich für den Fall abgegeben worden sei, dass bis zwei Wochen vor Jahresende der rechtskräftige Änderungsbescheid vorliege. Bisher sei es noch nicht gelungen, ein Labor zu finden (Bl. 69 Beiakte A zum Verfahren 9 A 27/12 MD).

12

Laut einer Telefonnotiz der Mitarbeiterin des Beklagten, Frau P., habe der Gewässerschutzbeauftragte der Klägerin, Herr K., telefonisch mitgeteilt, dass ein Problem bestehe, ein Labor für die Eigenüberwachung des GEi –Wertes zu finden. Laut des Vermerks solle die Zustellung des 4. Änderungsbescheides auf den 19.01.2007 gelegt werden.

13

Der 4. Änderungsbescheid zur wasserrechtlichen Erlaubnis vom 17.01.2007 wurde der Klägerin am 20.01.2007 bekannt gegeben. In der Begründung führt der Beklagte u.a. aus, dass die Anpassung des Überwachungswertes (GEi –Wert 24) abgabeneutral sei und zu keiner Mehrbelastung der Klägerin führe (Bl. 137ff. GA). Einen Widerspruch hiergegen legte die Klägerin nicht ein.

14

Mit Anhörungsschreiben vom 21.03.2011 übersandte der Beklagte der Klägerin den Entwurf des Bescheides zur Festsetzung und Erhebung der Abwasserabgabe für das Veranlagungsjahr 2007. Eine Ermäßigung nach § 9 Abs. 5 AbwAG für den GEi –Wert erfolgt danach nicht. Er begründete dies damit, dass der 4. Änderungsbescheid vom 17.01.2007 erst am 20.01.2007 bekanntgegeben und der GEi –Wert mangels angeordneter Rückwirkung erst zu diesem Zeitpunkt wirksam geworden sei. Da nicht im gesamten Veranlagungszeitraum 2007 ein Überwachungswert vorliege, sei eine Ermäßigung ausgeschlossen. Mit Schreiben vom 05.04.2011 nahm die Klägerin hierzu Stellung. Am 30.08.2011 erfolgte eine mündliche Erörterung der Problematik zwischen den Beteiligten (Bl. 141ff. GA).

15

Bereits unter dem 07.09.2011 machte die Klägerin geltend, dass die Festsetzung und Erhebung der Abwasserabgabe für den Parameter GEi zu 100% nach Treu und Glauben sowie aus Gründen des Vertrauensschutzes ausscheide.

16

Mit Bescheid vom 20.12.2011 setzte der Beklagte eine Abwasserabgabe von insgesamt 1.595.581,72 EUR gegenüber der Klägerin fest. Der Festsetzung legte der Beklagte für den abgaberelevanten Parameter GEi eine Abwasserabgabe in Höhe von 944.660,98 EUR zugrunde. Eine insoweitige Ermäßigung gemäß § 9 Abs. 5 AbwAG lehnte der Beklagte ab. Dieser Bescheid ist Gegenstand des parallel geführten Verfahrens der Beteiligten mit dem Aktenzeichen 9 A 27/12 MD, welches mit Beschluss der Kammer in der mündlichen Verhandlung vom 17.10.2013 ruhend gestellt wurde.

17

Bereits mit undatiertem Schreiben des Beklagten aus dem Januar 2012, welches bei der Klägerin am 16.01.2012 einging, wies der Beklagte darauf hin, dass ein Erlass nach § 59 Abs. 1 Nr. 3 LHO nur dann möglich sei, wenn eine besondere Härte vorliege, die insbesondere anzunehmen sei, wenn sich die Klägerin nicht nur vorübergehend in einer wirtschaftlichen Notlage befinde und die Weiterverfolgung des Anspruchs eine Existenzgefährdung mit sich bringe. Der Beklagte forderte entscheidungsbegründende Unterlagen wie Wirtschaftspläne, Jahresabschlüsse und Liquiditätsberichte an.

18

Ausdrücklich beantragte die Klägerin mit an den Beklagten gerichtetem Schreiben vom 23.01.2012 den teilweisen Erlass der für das Veranlagungsjahr 2007 festgesetzten Abwasserabgabe in Höhe von 472.330,49 EUR mit der Begründung, dass die Einziehung der Abgabe eine besondere Härte aus sachlichen Gründen darstelle. Sachliche Gründe seien insbesondere dann zu bejahen, wenn die Einziehung des Anspruchs dem Willkürverbot, dem Grundsatz von Treu und Glauben, dem Gebot des Vertrauensschutzes oder dem gesetzgeberischen Zweck der jeweiligen Vorschrift widerspreche. Die Verwaltungsvorschrift zu § 59 LHO führe lediglich beispielhaft die unverschuldete Notlage und die Besorgnis der Existenzgefährdung auf.

19

Den Antrag auf Teilerlass der Abwasserabgabe 2007 lehnte das Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt, als in diesem Zeitpunkt zuständige Behörde, mit der Klägerin am 16.07.2011 zugegangenem Bescheid vom Januar 2007 ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass sachliche Billigkeitsgründe nicht gegeben seien, denn es liege kein Überhang des gesetzlichen Tatbestandes vor, da die Klägerin es unterlassen habe, rechtzeitig eine Erklärung nach § 6 AbwAG abzugeben. Auch sei kein Ermessensausfall bei Erlass des 4. Änderungsbescheides zur wasserrechtlichen Erlaubnis gegeben, da die Erlaubnisbehörde aus Gründen der Rechtssicherheit von einer rückwirkenden Wirksamkeit abgesehen und die Klägerin den Bescheid auch nicht angefochten habe. Die Aussage, dass die Umstellung des GEi –Werts abgabenneutral erfolge, bedeute lediglich, dass den Abgabenpflichtigen keine Mehrbelastung drohe, nicht jedoch, dass die Umstellung unter Außerachtlassen der sonstigen Vorschriften, insbesondere der Regelung des § 9 Abs. 5 AbwAG erfolge.

20

Die Klägerin hat hiergegen am 07.08.2012 Klage beim erkennenden Gericht erhoben. Ausgehend von § 11a AG AbwAG, der am 28.03.2012 ohne Übergangsvorschriften in Kraft trat, sei die Zuständigkeit für Billigkeitsmaßnahmen nach dem Abwasserabgabengesetz vom Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt auf den Beklagten übergegangen, mithin ein vom Gericht von Amts wegen zu berücksichtigender gesetzlicher Parteiwechsel eingetreten.

21

Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin im Wesentlichen vor, eine besondere Härte aus sachlichen Gründen sei gegeben, da die Nichtgewährung der Ermäßigung gemäß § 9 Abs. 5 AbwAG ausschließlich auf dem behördlichen Fehlverhalten des Beklagten bei Erlass des 4. Änderungsbescheides vom 17.01.2007 zur wasserrechtlichen Erlaubnis beruhe. Hieraus folge eine Ermessensreduzierung auf Null, so dass die Abgabe in Höhe von 472.330,49 EUR zu erlassen sei.

22

Ein Überhang des gesetzlichen Tatbestandes liege vor, denn die behördliche Subsumtion habe nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprochen (Bindung an die Werte des Erlaubnisbescheides, Jährlichkeitsgrundsatz). Sachlich unbillig sei die Einziehung eines Anspruchs aus dem Abgabenverhältnis dann, wenn sie – obwohl der gesetzliche Tatbestand erfüllt sei – im atypischen Einzelfall aufgrund eines Überhangs des Gesetzes dessen Wertungen widerspreche. So sei sie sachlich unbillig, wenn sie dem Gebot des Vertrauensschutzes, dem Grundsatz von Treu und Glauben, dem der gesetzlichen Regelung zugrundeliegenden Zweck oder verfassungsrechtlichen Wertungen zuwiderlaufe.

23

Rechtswidriges Verwaltungshandeln sei gegeben, weil der Beklagte verpflichtet gewesen sei, dem klägerischen Interesse an der Erlangung der Ermäßigung nach § 9 Abs. 5 AbwAG in zeitlicher Hinsicht Rechnung zu tragen (BVerwGE 123, 132 (134)). Der Beklagte habe keinerlei Ermessenserwägungen zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens angestellt und dies dem Zufall überlassen. Die Möglichkeit einer Ermäßigung habe er damit zunichte gemacht. Hiervor habe sich die Klägerin nicht „vorsichtshalber“ durch Abgabe einer Erklärung nach § 6 Abs. 1 AbwAG schützen müssen. Tragfähige Gründe, die die unterjährige Wirksamkeit zum 20.01.2007 rechtfertigen würden, ergäben sich weder aus dem 4. Änderungsbescheid noch werden sie vom Beklagten behauptet. Soweit das MLU darauf verweise, dass aus Gründen der Rechtssicherheit von einer rückwirkenden Wirksamkeit des Änderungsbescheides vom Beklagten abgesehen worden sei, sei dies unzulässig und zudem rechtsirrig, denn der Beklagte habe sich für nicht ermächtigt gehalten, eine inhaltliche Rückwirkung anzuordnen. Dass eine rückwirkende Wirksamstellung des GEi –Werts rechtlich möglich sei, ergebe sich bereits aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BVerwGE 123, 132 (134); 13, 1 (7); 55, 212 (215)) und der Kommentarliteratur, da so dem Jährlichkeitsprinzip Rechnung getragen werde.

24

Die Würdigung der Gesamtumstände ergebe zudem, dass die Einziehung der Abgabe über die 50%-Schwelle hinaus, dem Gebot des Vertrauensschutzes widerspreche. Bereits am 10.05.2005 sei die Umstellung des Wertes beantragt worden. Dass es zur rechtzeitigen Umstellung über ein Jahr lang nicht gekommen sei, sei der rechtsirrigen Auffassung des Beklagten geschuldet gewesen, die Salzformel nicht anzuwenden. Diese Auffassung habe sie erst mit dem 11. Änderungsbescheid kürzlich aufgegeben. Am 12.04.2006 habe sie den vom Beklagten vorgeschlagenen Wert beantragt und das förmliche Verfahren am 16.08.2006 seinen Abschluss gefunden. Weshalb es fast drei Monate gedauert habe, bis der Bescheidentwurf der Klägerin eröffnet worden sei, sei unklar. Das Anhörungsschreiben vom 20.11.2006 sei in den Zeitraum gefallen, in dem die Klägerin über die Abgabe der Erklärung nach § 6 Abs. 1 AbwAG zu entscheiden gehabt habe. Das Schreiben habe nach dem objektiven Empfängerhorizont, insbesondere unter Berücksichtigung der Stellungnahmefrist bis zum 04.12.2006, den Eindruck erweckt, dass der Änderungsbescheid rechtzeitig erlassen werde, so dass von einer Erklärung nach § 6 Abs. 1 AbwAG Abstand genommen und bereits am 01.12.2006 Stellung genommen worden sei. Diese zeitlichen Zusammenhänge seien aus Sicht der Klägerin auch nicht nur „reiner Zufall“ gewesen. Das Anhörungsschreiben habe auch keinen Hinweis enthalten, dass ein rechtzeitiger Bescheiderlass nicht erfolge, auch sei keine Erklärung nach § 6 Abs. 1 AbwAG angeregt worden, so dass das klägerische Vertrauen an den rechtzeitigen Erlass noch bestärkt worden sei. Sie – die Klägerin – habe auch das ihr zu diesem Zeitpunkt Mögliche getan, insbesondere habe sie die Frage aufgeworfen, ab wann die neuen Werte Geltung beanspruchen würden. Ihre begründete Erwartung komme auch dadurch zum Ausdruck, dass sie am 07.12.2006 einen Antrag nach § 4 Abs. 5 AbwAG für den Zeitraum 01.01. bis 31.03.2007 gestellt habe, was einen Bescheidwert voraussetze. Es hätte eines Hinweises des Beklagten bedurft, dass die Erklärung nach § 6 Abs. 1 AbwAG verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand notwendig sei. Stattdessen habe die Beklagte mit Antwortschreiben vom 15.12.2006 das Vertrauen der Klägerin gestärkt, indem er die Möglichkeit der Ermäßigung im Fall der Einhaltung des avisierten Werts 24 betont habe. Grob irreführend sei insoweit der Hinweis des Beklagten gewesen, dass bis zum Wirksamwerden des Änderungsbescheides die in der wasserrechtlichen Erlaubnis mit dem 1.- 3. Änderungsbescheid festgelegten Parameter relevant seien. Entgegen der Auskunft des Beklagten sei der GF – Wert aber nicht mehr anzuwenden. Zugleich sei im Schreiben vom 15.12.2006 über ein Messprogramm für die klägerische Heraberklärung diskutiert worden, was gleichermaßen einen Bescheidwert voraussetze. Auch nach Bekanntgabe des 4. Änderungsbescheides am 20.01.2007 habe die Klägerin darauf vertraut, dass eine Ermäßigung erfolge, da in der Bescheidbegründung ausgeführt worden sei, dass die Umstellung abgabenneutral sei und zu keiner Mehrbelastung des klägerischen Unternehmens führe, dabei habe bereits festgestanden, dass eine signifikante Mehrbelastung drohe.

25

Die Einziehung der Abgabe verstoße auch gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, weil der Beklagte einen Anspruch durchsetzen wolle, der ausschließlich aus eigenem Fehlverhalten und unzutreffenden Rechtsauskünften herrühre.

26

Schließlich laufe die Einziehung der streitbefangenen Abwasserabgabe den Wertungen des Gesetzgebers (abgabenneutrale Umstellung) und dem der gesetzlichen Regelung zugrundeliegenden Zweck zuwider. Zweck der Ermäßigung sei, denjenigen zu privilegieren, der aufgrund von Investitionen den Stand der Technik erreicht habe und gleichwohl abwasserabgabenrechtlich relevante Schadstoffe einleite. Aus wasserrechtlichen Gründen sei eine Versagung der der Ermäßigung hier nicht angezeigt. Hier werde die gewässerschützende Anreizfunktion durch die Finanzierungsfunktion überlagert.

27

Die Klägerin beantragt,

28

den Beklagten zu verpflichten, die mit Bescheid des Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt vom 20.12.2011 (Gz.: 405.7.1-62673-20070-07) festgesetzte Abwasserabgabe für das Einleiten von Schmutzwasser über die Abläufe 2a, KA L., G. und L. H. für das Veranlagungsjahr 2007 in Höhe von 472.330,49 EUR zu erlassen und

29

hilfsweise, den Beklagten zu verpflichten, den Antrag der Klägerin vom 23.01.2012, die mit Bescheid des Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt vom 20.12.2011 (Gz.: 405.7.1-62673-20070-07) festgesetzte Abwasserabgabe für das Einleiten von Schmutzwasser über die Abläufe 2a, KA L., G. und L. H. für das Veranlagungsjahr 2007 in Höhe von 472.330,49 EUR zu erlassen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

30

Der Beklagte beantragt,

31

die Klage abzuweisen.

32

Er verteidigt den streitbefangenen ablehnenden Bescheid und trägt vor, dass sich unter keinem rechtlichen Aspekt die von der Klägerin behauptete sachliche Unbilligkeit ergebe.

33

Ein Überhang des gesetzlichen Tatbestandes liege nicht vor. Das Fehlen eines ganzjährigen Überwachungswertes schließe die Ermäßigung nach § 9 Abs. 5 AbwAG gesetzlich aus und sei auch vom Gesetzgeber so gewollt.

34

Der 4. Änderungsbescheid sei in Bestandskraft erwachsen, die Klägerin habe dagegen keinen Rechtsbehelf eingelegt. An diesem Verhalten müsse sie sich festhalten lassen. Die Einwände der Klägerin gegen den Geltungszeitpunkt der Erlaubnis seien mit Blick auf die Rechtbehelfsfristen verfristet. Der Beklagte sei an die Festlegungen der wasserrechtlichen Erlaubnis gebunden; dies schließe aus, dass im Rahmen der Erhebung der Abwasserabgabe Einwänden gegen die Bestimmungen in der wasserrechtlichen Erlaubnis nachzugeben und auf diesem Weg die wasserrechtliche Erlaubnis zu unterlaufen. Der Erlass würde zu Wertungswidersprüchen in der Rechtsordnung führen, wenn das Versäumnis des Einleiters, die wasserrechtliche Erlaubnis anzufechten, im abwasserabgabenrechtlichen Festsetzungsverfahren und sogar im Billigkeitsverfahren eliminiert werden könnte. Das präkludierte Vorbringen sei dem eigenen Versäumnis der Klägerin geschuldet, hieran müsse sie sich festhalten lassen.

35

Für die Klägerin sei es auch nicht unmöglich gewesen, einen ganzjährigen Überwachungswert zu erhalten. Sie habe eigene Handlungsalternativen gehabt, die sie von dem Beklagten unabhängig gemacht hätten. Sie hätte gemäß § 6 Abs. 1 AbwAG bis zum 30.11.2006 eine Erklärung abgeben müssen, welchen Überwachungswert sie im Veranlagungsjahr 2007 einhalten wolle; einerseits wegen der gesetzlichen Verpflichtung und anderseits wegen des noch nicht abgeschlossenen wasserrechtlichen Verfahrens. Die Klägerin habe die abgabenrechtliche Möglichkeit der Erklärung nach § 6 Abs. 1 AbwAG gekannt, dies habe sie durch ihr Handeln in den Vorjahren konkludent zum Ausdruck gebracht.

36

Auch nach den konkreten Umständen des Einzelfalls hätte die Klägerin die Erklärung abgeben müssen. Allein die Tatsache, dass bis zum 30.11.2006 kein geänderter Erlaubnisbescheid vorgelegen habe, sei ein ausreichender Grund, um präventiv eine Erklärung abzugeben, um eventuelle Nachteile zu vermeiden. Die Klägerin habe auch durch ihr Zutun den Abschluss des Erlaubnisverfahrens verzögert, indem sie in die Anhörungsmail vom 01.12.2006 den abweichenden Verdünnungswert 16 aufgenommen habe. Dies habe den Beklagten zur fachlichen Prüfung, welche Auswirkungen eine Reduzierung des Verdünnungsfaktors habe, veranlasst; dieses Ergebnis sei der Klägerin mit Schreiben vom 15.12.2006 übermittelt worden. Die Klägerin habe mit ihrer E-Mail vom 01.12.2006 kundgetan, dass sie eine Änderung der Bestimmungen im Erlaubnisbescheid für nötig, zumindest für möglich halte. Das bedeute, dass sich die Klägerin noch am Vortrag, also noch vor Ablauf der Erklärungsfrist (30.11.2006), mit einer von ihr veranlassten Verzögerung der Bescheiderstellung befasst habe. Aufgrund des Änderungswunsches habe sie nicht auf einen rechtzeitigen Bescheiderlass vertrauen dürfen; dies gelte auch wegen der Weihnachtsfeiertage und den damit verbundenen Urlaubstagen.

37

Einer Erklärung nach § 6 Abs. 1 AbwAG hätte es auch deshalb bedurft, weil die Klägerin die Heraberklärung nach § 4 Abs. 5 AbwAG vorgenommen habe. Eine solche Erklärung laufe jedoch ins Leere, wenn es an einem Bescheid- oder Erklärungswert fehle. Dass die Heraberklärung nicht habe greifen können, habe sich auch daraus ergeben, dass die Klägerin kein geeignetes Labor habe verpflichten können.

38

Am 09.01.2007 habe die Klägerin durch Herrn K. ausdrücklich darum gebeten, dass der Erlaubnisbescheid noch nicht zugestellt werde, obwohl die Festlegung des Überwachungswertes nicht vom Messprogramm berührt sei. Diese Bitte stelle sämtliche Ausführungen der Klägerin zum Vertrauen auf eine Zustellung des Bescheides vor Jahresbeginn in Frage.

39

Das Schreiben des Beklagten vom 15./18.12.2006 sei alleinige Reaktion auf die E-Mail der Klägerin vom 01.12.2006 und in diesem Kontext zu betrachten. Danach biete ein GEi –Wert von 24 die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Ermäßigung des Abgabensatzes. Diese allgemeinen Ausführungen haben als Entscheidungshilfe dienen sollen, ob die Klägerin an dem ursprünglich beantragten GEi –Wert von 24 festhalte. Eine klarstellende Reaktion der Klägerin, um den Bescheid endgültig abzufassen, sei ausgeblieben.

40

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte im anhängigen Verfahren sowie der Verfahrensakte 9 A 27/12 MD und den zum Verfahren 9 A 27/12 MD beigezogenen Unterlagen des Beklagten verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung.

Entscheidungsgründe

41

I. Die Klage hat Erfolg.

42

Die zulässige Verpflichtungsklage ist bereits hinsichtlich des gestellten Hauptantrags begründet, denn der den Teilerlass ablehnende Bescheid des Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt vom 12.07.2012 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf den von ihr mit Schreiben vom 23.01.2012 beantragten Teilerlass der Abwasserabgabe für das Veranlagungsjahr 2007 in Höhe von 472.330,49 EUR, denn das dem Beklagten eingeräumte Ermessen ist insoweit auf Null reduziert (§§ 113 Abs. 5 Satz 1, 114 VwGO).

43

Voranzustellen ist, dass gemäß § 11a AG AbwAG LSA in der Fassung der Änderung vom 21.03.2013, die mangels Überleitungsvorschriften bereits mit ihrem Inkrafttreten am 28.03.2013 Wirksamkeit beansprucht, die obere Wasserbehörde nach Maßgabe der Landeshaushaltsordnung des Landes Sachsen-Anhalt die Abgaben stunden, erlassen oder niederschlagen kann. Dies hat zur Folge, dass nicht mehr das Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt, das den Teilerlass mit Bescheid vom 12.07.2012 abgelehnt und dem gegenüber die Klägerin ursprünglich Klage erhoben hat, sondern der Beklagte als obere Wasserbehörde zur Entscheidung befugt ist, mithin entsprechend zu verpflichten ist. Demzufolge ist ein gesetzlicher Parteiwechsel zum 28.03.2013 eingetreten, den das Gericht von Amts wegen zu berücksichtigen hat. Denn der Wechsel in der behördlichen Zuständigkeit während eines anhängigen verwaltungsrechtlichen Verfahrens bewirkt einen von Amts wegen zu berücksichtigenden gesetzlichen Parteiwechsel im Sinne der gemäß § 173 VwGO entsprechend anwendbaren Regelungen der §§ 239 ff. ZPO (vgl. so bereits BVerwG, Urteil vom 02.11.1973 – IV C 55.70 –).

44

Bei der hier streitbefangenen Erlassentscheidung handelt es sich um eine Ermessensentscheidung des Beklagten, deren gerichtliche Nachprüfung darauf beschränkt ist, ob ein Ermessensfehler vorliegt (§ 114 VwGO). Rechtsgrundlage für den begehrten Teilerlass ist § 11a AG AbwAG LSA i.V.m. § 59 Abs. 1 Nr. 3 LHO. Denn mangels einer im AG AbwAG LSA enthaltenen Verweisungsnorm auf die in §§ 37 Abs. 1 und 227 AO für einen Erlass bestehenden Rechtsgrundlagen, kommt ein solcher nur gemäß § 59 Abs. 1 Nr. 3 LHO LSA in Betracht. Hiernach kann die obere Wasserbehörde Ansprüche nur erlassen, wenn die Einziehung nach Lage des einzelnen Falles für den Anspruchsgegner eine besondere Härte bedeuten würde. Das Gleiche gilt für die Erstattung oder Anrechnung von geleisteten Beträgen. Nach Nr. 3.4. zu § 59 LHO der Verwaltungsvorschrift zur Landeshaushaltsordnung (VV-LHO) ist eine besondere Härte insbesondere dann anzunehmen, wenn sich der Anspruchsgegner in einer unverschuldeten wirtschaftlichen Notlage befindet und zu besorgen ist, dass die Weiterverfolgung des Anspruchs zu einer Existenzgefährdung führen würde. Wie diese Verwaltungsvorschrift zeigt, wird nach § 59 Abs. 1 Nr. 3 LHO in erster Linie an einen Erlass wegen persönlicher Unbilligkeit gedacht. Dies schließt jedoch nicht aus, die in der LHO geregelt Erlassmöglichkeit auch auf sachliche Billigkeitsgründe zu stützen. Als besondere Härte "nach Lage des einzelnen Falles" lässt sich auch eine Härte (Unbilligkeit) in der Sache selbst begreifen (vgl. zu § 59 der LHO Hessen: HessVGH, Urteil vom 18.05.1995 – 5 UE 129/91 – juris). Kann sich damit eine besondere Härte i.S.d. § 59 Abs. 1 Nr. 3 LHO auch aus sachlichen Gründen ergeben, sind die von der Klägerin ausschließlich auf sachliche Erwägungen gestützten Billigkeitsgründe ohne weiteres berücksichtigungsfähig.

45

Sinn und Zweck des Erlasses ist es, im Wege einer Einzelfallentscheidung eine Rechtsfolge herbeizuführen, die dem Willen des Gesetzgebers – und deshalb dem eigentlichen Regelungsgehalt der Norm für den Einzelfall – deshalb entspricht, weil die Anwendung des Gesetzes auf diesen konkreten Einzelfall zu einem unbilligen, mithin vom Gesetzgeber nicht gewollten Ergebnis führt. Anders gewendet: Hätte der Gesetzgeber diesen Fall zu regeln gehabt, wäre dies aller Voraussicht nach im Sinne des Erlassbegehrens geschehen. So liegt der Fall auch hier, so dass ein Ermessensfehlgebrauch zu attestieren ist, der in eine Ermessensreduzierung auf Null mündet. Denn zur Überzeugung der Kammer steht fest, dass der Beklagte als Abgabengläubiger durch sein Verhalten im Verfahren den 4. Änderungsbescheides der wasserrechtlichen Erlaubnis betreffend die unterjährige Wirksamkeit und damit das Ausscheren aus dem insbesondere im Abwasserabgabenrecht maßgebenden Jährlichkeitsprinzip bewirkt und darüber hinausgehende Umstände geschaffen hat, die ein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin am Erhalt der nunmehr im Erlasswege begehrten Ermäßigung der Abwasserabgabe nach § 9 Abs. 5 AbwAG begründen. Die insoweitige Einziehung der Abwasserabgabe stellt sich als Verstoß gegen Treu und Glauben dar. Die Abwasserabgabe ist in Höhe der hier begehrten Ermäßigung der Abwasserabgabe nach § 9 Abs. 5 AbwAG durch den Beklagten zu erlassen. Ihre Einziehung ist im diesem allein zur Entscheidung stehenden Einzelfall mit Blick auf ihren Zweck, nämlich den Abgabepflichtigen als Einleiter zu einer dem Stand der Technik entsprechenden Einleitung anzuhalten und ihn dafür mit einer Ermäßigung zu belohnen, nicht mehr zu rechtfertigen. Denn in diesem konkreten Fall läuft die Ablehnung der Ermäßigung der Abwasserabgabe – obwohl der Sachverhalt den gesetzlichen Tatbestand erfüllt – den Wertungen des Gesetzgebers zuwider (vgl. bspw. zu Säumniszuschlägen, BVerwG, Urteil vom 8. Juli 1998, 8 C 31.96, NVwZ-RR 1999, S. 193 f.; VG Magdeburg, Urteil vom 10. Dezember 2007, 9 A 220/06 MD; Urteil vom 27.11.2008 – 9 A 170/07 –). Die Festsetzung der streitbefangenen Abgabe ist maßgebend auf ein vorangegangenes fehlerhaftes Verwaltungshandeln des Abgabengläubigers zurückzuführen und der Einleiter hat im Übrigen alles Erforderliche getan, um ermäßigungsberechtigt zu sein. Denn knüpfen die – im Wege eines Erlasses zu korrigierenden – Rechtsfolgen – wie hier – u. a. an die schlichte zeitliche Geltung eines Verwaltungsakts an, können die für eine Korrektur im Einzelfall sprechenden Besonderheiten auch darin liegen, dass die Unbilligkeit durch ein fehlerhaftes Verwaltungshandeln herbeigeführt worden ist, dessen Korrektur vom Abgabenschuldner deshalb nicht im Primärrechtsschutz verlangt werden kann, weil die Behörde durch ihr Verhalten im Verwaltungsverfahren den Eindruck erweckt hat, die nunmehr im Wege der Billigkeit herbeizuführende Rechtsfolge trete bereits kraft Gesetzes ein bzw. werde im konkreten Fall so behandelt.

46

Dies ergibt sich aus Folgendem:

47

Zuvorderst ist festzustellen, dass die Klägerin – entgegen der vom Beklagten insbesondere in den Parallelverfahren (9 A 27/12 MD, 9 A 143/12 MD) beharrlich vertretenen Auffassung – einen Anspruch auf rückwirkenden Erlass des 4. Änderungsbescheides zum 01.01.2007 gehabt hätte, so dass der Beklagte mit dem unterjährigen Erlass des 4. Änderungsbescheides der wasserrechtlichen Erlaubnis, der sich Wirkung ab seiner Bekanntgabe am 20.01.2007 zumisst, gegen den Grundsatz rechtmäßigen Verwaltungshandeln verstoßen hat. Denn der Beklagte hat sein ihm insoweit zustehendes Ermessen dadurch nicht pflichtgemäß ausgeübt, dass er das für die Ermäßigung der Abwasserabgabe nach § 9 Abs. 5 AbwAG notwendige rückwirkende Inkrafttreten des Überwachungswertes für den Parameter GEi zum Jahresbeginn ausschloss. Dies wird insbesondere dadurch deutlich, dass er im Festsetzungsverfahren (9 A 27/12 MD) vorträgt, aus Rechtsgründen gehindert gewesen zu sein, der wasserrechtlichen Erlaubnis – hier des 4. Änderungsbescheides vom 17.01.2007 – eine rückwirkende Wirksamkeit auf den 01.01.2007 beizumessen. Aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich jedoch zweifellos, dass die für den Erlass oder die Anpassung des die Abwassereinleitung zulassenden Bescheids (§ 4 Abs. 1 AbwAG) zuständige Behörde den Grundsatz der Jährlichkeit zu beachten, sich mithin von diesem hat leiten zu lassen, so dass der Einleiter bei entsprechender Antragstellung selbst darauf hinwirken kann, dass derartige Bescheide u. a. – bei Zustimmung des Einleiters – rückwirkend zum Beginn des laufenden Jahres wirksam werden. Dies schließt zwar Änderungen von Amts wegen, die zu einem anderen Zeitpunkt wirksam werden, nicht aus. Es ist aber nicht erkennbar, dass sich eine solche Entscheidung als ermessenfehlerfrei erweisen könnte, wenn sie dem Interesse des Einleiters an der Erlangung der Ermäßigung nach § 9 Abs. 5 AbwAG nicht in zeitlicher Hinsicht Rechnung trägt (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.03.2005 – 9 C 7.04 – juris).

48

Dies übertragen auf den hier vorliegenden Fall, wäre der Beklagte verpflichtet gewesen, den streitbefangenen Überwachungswert zum 01.01.2007 zu bestimmen, zumal der Rückwirkungszeitraum nur wenige Tage beträgt. Die vom Beklagten hierzu im Verfahren 9 A 27/12 MD vorgetragenen Erwägungen, hinsichtlich des 4. Änderungsbescheides handele es sich um einen belastenden Verwaltungsakt, der nicht rückwirkend erlassen werden dürfe, da es hierfür an einer Rechtsgrundlage mangele, greifen ausgehend von der bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung nicht. Denn der die Abwassereinleitung zulassenden Bescheid ist kein ausschließlich belastender, da er die unter Erlaubnisvorbehalt stehende Einleitung erlaubt. Die Klägerin ist ohne einen solchen nicht berechtigt, Einleitungen vorzunehmen. Denn wie der Beklagte selbst vorträgt, darf die Wasserbehörde eine Abwassereinleitung, für die – wie hier – keine Mindestanforderungen in der AbwV enthalten sind, nur erlauben, wenn sie dem Stand der Technik entspricht, so dass ein Bescheidwert insoweit regelmäßig aufgenommen wird. Fehlt ein solcher jedoch, weil die Umstellung des Überwachungswertes Giftigkeit gegenüber Fischen auf Giftigkeit gegenüber Fischeiern erst zum 20.01.2007 vollzogen wurde, mithin insoweit ein Vollzugsdefizit im Raum steht, kann die nunmehrige Anpassung eines Wertes keine belastende Wirkung als solche entfalten. Denn der Wert ist zum einen weder gänzlich neu noch führt dessen Umstellung auf den Parameter GEi zu einer anderen abwasserabgabenrechtlichen Beurteilung. Die Umstellung des Parameter GF auf den Parameter GEi erfolgt nach der gesetzgeberischen Zielrichtung, die auch der Beklagte nicht in Abrede stellt, abgabeneutral. Dass die Festsetzung eines höheren Überwachungswertes durchaus belastenden Charakter haben kann, ist unbestreitbar; um einen solchen Fall geht es hier jedoch ersichtlich nicht. Von der Zustimmung der Klägerin, den die Abwassereinleitung zulassenden Bescheid in Gestalt des 4. Änderungsbescheid zum 01.01.2007 wirksam werden zu lassen, ist vor dem Hintergrund der rechtzeitigen Beantragung und dem klägerischen Interesse an der damit verbundenen Abgabenermäßigung ohne weiteres auszugehen. Schließlich war die Klägerin sogar bereit, den Bescheidwert 16 einzuhalten oder dahingehend eine Heraberklärung zu erreichen. Diese Sichtweise der Rechtsprechung wird auch in der Kommentarliteratur bestätigt, aus der sich ergibt, dass der Einleiter eine rückwirkende Bescheidanpassung erwirken müsse (vgl. Köhler/Meyer, § 9 Rdnr. 53 a.E., 91, § 4 Rdnr. 42f.; Dahme in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG und AbwAG, § 9 AbwAG Rdnr. 49). So gibt bspw. auch § 9 Abs. 6 AbwAG einen Anreiz für eine dem Interesse der Gewässerreinhaltung dienende Bescheidanpassung (Köhler/Meyer, § 9 Rdnr. 92 f.).

49

Der Klägerin kann insoweit auch nicht entgegengehalten werden, sie hätte den 4. Änderungsbescheid vom 17.01.2007 trotz fehlender Rückwirkung auf den 01.01.2007 nicht angefochten, sei in der Folge mit ihrem Vortrag präkludiert und müsse sich an der vollständigen Abgabenfestsetzung festhalten lassen. Zwar ist dem Beklagten insoweit zuzugeben, dass die Klägerin grundsätzlich an die Festlegungen der bestandskräftigen wasserrechtlichen Erlaubnis gebunden ist, was es in der Regel ausschließt, Einwänden gegen die Bestimmungen in der wasserrechtlichen Erlaubnis nachzugeben und auf diesem Weg die wasserrechtliche Erlaubnis zu unterlaufen (vgl. VG Potsdam, Urteil vom 14.03.2012 – 8 K 3131/09 – juris). Darum geht es vorliegend jedoch gar nicht, da die materiellen Regelungen des 4. Änderungsbescheides als solche nicht angegriffen werden. Entscheidungsrelevant sind hier allein folgende besondere Umstände im Zusammenhang mit dem Erlass des 4. Änderungsbescheides:

50

(1) Zum einen durfte die Klägerin vor dem Hintergrund des undatierten Schreibens des Beklagten vom ….12.2006 darauf vertrauen, dass eine Abgabenermäßigung für das Veranlagungsjahr 2007 bei der (bloßen) Einhaltung des Überwachungswertes 24 für den Parameter GEi gewährt wird. Die mit Schreiben des Beklagten vom ….12.2006 getroffene Aussage ist vor der auch im öffentlichen Rechts entsprechend anwendbaren Regel des § 133 BGB auszulegen. Maßgebend ist danach der erklärte Wille, wie ihn der Empfänger bei Würdigung des objektiven Erklärungswerts und der weiteren Begleitumstände, insbesondere des Zwecks der Erklärung verstehen konnte (vgl. u.a. BVerwG, Beschluss vom 10.11.2006 – 9 B 17/06 – juris, m.w.N.). Der Beklagte teilte in seinem Schreiben insoweit mit:

51

„Zum Bescheidwert GEi = 24 ist anzumerken, dass die Festlegung im 4. Änderungsbescheid der wasserrechtlichen Erlaubnis auf der Grundlage Ihres Antrags erfolgte. Die vorliegenden Analyseergebnisse für die Zeiträume 2005/2006 zeigen, dass dieser Wert mehrheitlich als eingehalten gilt und demnach der tatsächlich eingeleiteten Giftigkeit weitestgehend entspricht. Die Festlegung von GEi = 16 würde nach jetzigem Kenntnisstand zu teilweise erheblichen Überschreitungen führen, die nicht nur abgaberelevant, sondern auch ordnungswidrig wären. Hinsichtlich der Abwasserabgabe würden häufige Überschreitungen dazu führen, dass keine Ermäßigung bei der Abgabenberechnung erfolgt und demnach für einen geringer festgelegten GEi bei Überschreitung eine höhere Abgabe zu zahlen ist. Im ungekehrten Fall ist bei der Einhaltung eines höheren GEi eine Ermäßigung möglich, die zu einer Verringerung der Abgabe führt. (…) Die im 4. Änderungsbescheid festgelegten Änderungen der wasserrechtlichen Erlaubnis gelten mit Wirksamwerden des Bescheides. Bis dahin sind die in der wasserrechtlichen Erlaubnis mit dem 1.-3. Änderungsbescheid festgelegten Parameter relevant.“

52

Dies zugrunde gelegt, hat der Beklagte in Reaktion auf die E-Mail der Klägerin vom 01.12.2006, mit der sie sich fristgerecht zum Entwurf des 4. Änderungsbescheid äußerte und zugleich die Regelung vorgeschlagen hat, den GEi – Wert auf 16 zu bestimmen, zum Ausdruck gebracht, dass mit der beabsichtigten bescheidmäßigen Bestimmung des GEi – Wertes auf 24 die Abgabenermäßigung möglich ist, ohne dass es auf das Annuitätsprinzip bzw. der vorherigen Abgabe einer Erklärung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG ankommt. Denn fest stand zu diesem Zeitpunkt schließlich auch, dass die Erklärungsfrist nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG (30.11.2006) verstrichen war und der Beklagte sich (rechtsirrig) nicht berechtigt sah, einen rückwirkenden Erlass der geänderten wasserrechtlichen Erlaubnis zum 01.01.2007 für den Fall des späteren Bekanntgabe auszusprechen. Der Beklagte hat weder einschränkend mitgeteilt, dass diese Tatsachen nur Geltung beanspruchen, wenn dem Änderungsbescheid Wirksamkeit ab dem 01.01.2007 zukommt bzw. eine Erklärung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG abgegeben wurde. Dann wäre vor dem Hintergrund der Ausführungen des Beklagten im maßgebenden Schreiben auch zu erwarten gewesen, dass er zum Ausdruck bringt, dass dem Annuitätsprinzips vor dem Hintergrund des Abwasserabgabenrechts Rechnung zu tragen ist. Dass die Klägerin in Kenntnis dieser Sachlage einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt und die Erklärung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG nachgeholt, mithin ihr Verhalten darauf ausgerichtet hätte, kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden. Zumal sie im Fall, dass sie einen solchen nicht gestellt, die Rückwirkung des 4. Änderungsbescheides auf den 01.01.2007 auf dem Rechtsweg erstritten hätte. Schließlich war dem Beklagten auch aus den Vorjahren bekannt, dass die klägerischen Einleitungen den GEi – Wert 24 wahrten und die Abgabenermäßigung vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen Zielrichtung (Gewässerschutz) hieraus folgt.

53

Soweit der Beklagte insoweit einwendet, die Erläuterungen im undatierten Schreiben vom ….12.2006 seien nur allgemeiner Natur und nicht für den konkreten Einzelfall getroffen worden und sollten keine Zusage der Abgabenermäßigung erfassen, vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Zwar ist der Verweis auf die Abgabeneutralität der Umstellung der Bescheidwerte nicht als eine solche konkrete Zusage anzusehen. Gleichwohl hat der Beklagte trotz des Ablaufes der Erklärungsfrist am 30.11.2006 mitgeteilt, dass bei Einhaltung des höheren Wertes (hier: GEi -Wert: 24 anstatt der angeregten 16) die Ermäßigung erlangt werden kann, so dass nach dem hier maßgebenden objektiven Empfängerhorizont und unter Berücksichtigung der näheren Begleitumstände das Schreiben durch die Klägerin nicht anders verstanden werden konnte. Die Klägerin als rechtstreu verhaltenden Einleiter nicht vollständig aufzuklären und die überschießende Einnahmeerzielung in Kauf zu nehmen, steht einer oberen Landesbehörde nicht an.

54

(2) Zum anderen hat die Klägerin stetig und zugleich konstruktiv am Erlaubnisverfahren mitgewirkt und ist ihren sich danach ergebenden Pflichten unzweifelhaft nachgekommen. Sie hat darüber hinaus mit der fristgerechten Abgabe einer Heraberklärung nach § 4 Abs. 5 AbwAG am 07.01.2006 für den Zeitraum 01.01.2007 bis 31.03.2007 und damit für den vakanten Zeitraum vom 01.01. bis 19.01.2007 ihre Bereitschaft zum Ausdruck gebracht, den GEi – Wert von (nur) 16 einhalten zu wollen. Dass dies neben dem Fehlen eines Bescheids- oder Erklärungswertes für den Zeitraum bis zum 19.01.2007 an der rechtzeitigen Verpflichtung eines geeigneten Labors zwecks Eigenüberwachung scheiterte, ist als solches richtig. Jedoch ändert dies nichts an dem nach objektiven Maßstäben ermittelbaren Willen der Klägerin, jedenfalls den Überwachungswert 24 einhalten zu wollen. Dies hätte auch für den Beklagten gleichsam auf der Hand liegen und vor dem Hintergrund seines undatierten Schreibens vom ….12.2006 ihn auch anhalten müssen, die rechtliche Situation bezogen auf die Abgabenermäßigung nach § 9 Abs. 5 AbwAG rechtzeitig gegenüber der Klägerin widerspruchsfrei und insbesondere vollständig darzustellen, damit diese ihr Handeln darauf hätte ausrichten können.

55

Soweit der Beklagte der Klägerin entgegenhält, sie allein habe den Abschluss des wasserrechtlichen Erlaubnisverfahrens verzögert und damit selbst die Ursache für die unterjährige Bekanntgabe des 4. Änderungsbescheides gesetzt, vermag das Gericht dem weder in dieser Schärfe zu folgen noch ist es – ausgehend von den übrigen Begleitumständen – von entscheidender Relevanz. Denn wie bereits dargestellt, hat die Klägerin unabhängig vom Zeitpunkt der Bekanntgabe des 4. Änderungsbescheides jedenfalls mit einer Ermäßigung der Abwasserabgabe aufgrund des 4. Änderungsbescheides rechnen dürfen. Darüber hinaus war der Beklagte auch zur Rückwirkungsanordnung verpflichtet (s.o.), so dass etwaige geringfügige Verzögerungen – hier: lediglich 19 Tage – ohne weiteres durch den Beklagten nach pflichtgemäßen Ermessen mittels Rückwirkungsanordnung hätten aufgefangen werden können. Der Klägerin ist jedenfalls zuzugeben, dass trotz ihrer Anregung in der E-Mail vom 01.12.2006, den Bescheidwert für den Parameter GEi auf 16 zu bestimmen, mit Antwortschreiben des Beklagten vom ….12.2006 das Verfahren im Wesentlichen seinen Abschluss gefunden hatte. Denn weitere für das Zulassungsverfahren maßgebende Erwägungen haben den Beklagten im Nachgang nicht erreicht. Dies gilt insbesondere soweit der Beklagte auf die klägerische Heraberklärung vom 07.12.2006 und eine E-Mail der Klägerin vom 21.12.2006 Bezug nimmt. Denn diese Schreiben betreffen allesamt andere Verfahren, nämlich die rechtliche Vorgehensweise der Veranlagungsjahre 2005 und 2006 und die Herabsetzung für die Monate Januar bis März 2007 gemäß § 4 Abs. 5 AbwAG, so dass sie nicht geeignet sind, das hier maßgebende Verfahren zu beeinflussen.

56

Auch der Vorhalt, die Klägerin habe in der E-Mail vom 21.12.2006 selbst eingeräumt, Probleme bei der Eigenkontrolle zu haben, führt nicht weiter, sondern erklärt allenfalls das Absehen von der Erklärungsabgabe nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG. Diese Eigenkontrolle bezog sich ausgehend von der vorliegenden Korrespondenz auf die Herabsetzungserklärung für das erste Vierteljahr des Jahres 2007 und führte zu keinem Mehraufwand bezogen auf das Verfahren den wasserrechtlichen Zulassungsbescheid betreffend. Dass in der klägerischen E-Mail vom 01.12.2006 von einem Erlass des Bescheides zum „01.01.2007 (oder noch später)“ die Rede ist, muss vor dem Hintergrund der angeregten vergleichsweisen Einigung durch öffentlich-rechtlichen Vertrag für die Veranlagungsjahre 2005, 2006 und das beginnende 2007 betrachtet werden. Hierdurch nahm die Klägerin jedenfalls nicht ohne Vergleichsregelung vom Wirksamkeitszeitpunkt 01.01.2007 Abstand.

57

Dass die Klägerin dem (jederzeit möglichen) Vollzugsdefizit nicht durch die rechtzeitige Abgabe einer Erklärung gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG Rechnung getragen hat, ist ebenfalls unerheblich. Richtig ist zwar, dass eine entsprechende Verpflichtung zur Erklärung besteht (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24.02.2011 – 9 A 2200/99 – juris) und die Klägerin für die Veranlagungsjahre 2005 und 2006 ihrer Erklärungspflicht auch nachgekommen ist, mithin dessen Notwendigkeit ihr bekannt gewesen sein dürfte. Dem Beklagten dürfte auch zuzugeben sein, dass sich die Klägerin zwar bereits im fortgeschrittenen Stadium des wasserrechtlichen Erlaubnisverfahrens befunden hat, ihr Vertrauen in einen rechtzeitigen, vor Jahresende liegenden Bescheiderlass jedoch noch nicht in der Weise verdichtet haben dürfte, dass sie ohne Zweifel von einer rechtzeitigen Bekanntgabe des 4. Änderungsbescheides ausgehen durfte. Gleichwohl scheidet allein durch das Fehlen eines Erklärungswertes nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG die Ermäßigung gemäß § 9 Abs. 5 AbwAG nicht aus. Hinzu muss das Fehlen eines ganzjährigen Bescheidwertes für das Veranlagungsjahr 2007 treten. Dieser konnte jedoch – wie die obige Darstellung zeigt – auch nach Ablauf der Erklärungsfrist noch ohne weiteres erreicht werden und ist nur durch rechtsirriges Unterlassen der Rückwirkungsanordnung ausgeblieben und durch das vom Beklagten aufgebaute Vertrauen nicht angefochten worden.

58

Soweit zwischen den Beteiligten im Streit steht, was Inhalt des Telefonats zwischen dem Gewässerbeauftragten der Klägerin, Herrn K., und der sachbearbeitenden Angestellten des Beklagten, Frau P., am 09.01.2007 gewesen ist, kommt es darauf nicht streitentscheidend an. Denn dass Herr K. einen Ermäßigungsverzicht aussprechen wollte, ist vor dem Hintergrund der obigen Darstellung auszuschließen. Vielmehr dürfte sein Vorbringen vor dem Hintergrund der klägerischen Heraberklärung und des Fehlens eines geeigneten Labors zur Eigenkontrolle zu verstehen sein.

59

(3) Schließlich hat der Beklagte im 4. Änderungsbescheid vom 17.01.2007 erneut zur Abgabenneutralität der Parameteranpassung ausgeführt. Dass die Klägerin vor dem Hintergrund des vorangegangenen Geschehens die Notwendigkeit eines Rechtsbehelfsverfahrens sodann nicht gesehen hat, ist nur verständlich.

60

Diese Darstellungen zugrunde gelegt, durfte die Klägerin darauf vertrauen, dass sie die Ermäßigung erlangen wird, ohne dass es einer Anfechtung des wasserrechtlichen Zulassungsbescheides bedarf. Dieser sachliche Grund gebietet den begehrten Erlass in vollem Umfang. Das Ermessen des Beklagten ist insoweit auf Null reduziert, denn nur der beantragte Erlass im Umfang der Ermäßigung nach § 9 Abs. 5 AbwAG kann die durch das Handeln des Beklagten verursachte Unbilligkeit der allein nach den „Buchstaben des Gesetzes“ zu rechtfertigenden Abgabenerhebung auffangen.

61

Hat die Klägerin mit ihrem Hauptantrag obsiegt, musste über ihr hilfsweise geäußertes Begehren nicht entschieden werden.

62

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beurteilt sich nach § 167Abs. 1, 2 VwGO i.V.m. §§ 708Nr. 10 und 11, 711 ZPO.

63

III. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 GKG i.V.m. Nr. 3.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Stand: 2013).


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.