Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 04. Nov. 2009 - 11 S 2472/08

bei uns veröffentlicht am04.11.2009

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 13. Juni 2008 - 5 K 1766/06 - geändert. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Regierungspräsidiums Freiburg vom 27. September 2006 verpflichtet, dessen Ausweisung in Nr. I der Verfügung vom 12. November 1998 zurückzunehmen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Rücknahme seiner 1998 verfügten Ausweisung.
Der am … 1977 in ... als Kind eines türkischen Arbeitnehmers geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Seine Mutter starb kurz nach seiner Geburt. Er wuchs zusammen mit seinen zwei älteren Geschwistern im Haushalt seines Vaters, der 1978 ein zweites Mal heiratete, auf. 1993 erlangte er den Hauptschulabschluss. Eine Berufsausbildung absolvierte er nicht. Er arbeitete gelegentlich jeweils für wenige Monate bei unterschiedlichen Arbeitgebern, unterbrochen von Zeiten der Arbeitslosigkeit. Bis zum 30.08.1997 war er im Besitz einer befristeten Aufenthaltserlaubnis, deren Verlängerung er am 27.08.1997 beantragt hatte.
Strafrechtlich trat der Kläger wie folgt in Erscheinung:
1. Amtsgericht ..., Urteil vom 22.06.1994: Hehlerei, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Bedrohung und Hausfriedensbruch.
Schuldspruch nach § 27 JGG, zwei Jahre Bewährungszeit.
Datum der letzten Tat: 25.12.1993
        
2. Amtsgericht ..., Urteil vom 08.03.1995: Diebstahl, Hehlerei, Sachbeschädigung.
Ein Jahr Jugendstrafe unter Einbeziehung von Nr. 1.
Datum der letzten Tat: 11.10.1994
        
3. Amtsgericht ..., Urteil vom 08.07.1998: Hausfriedensbruch in zwei Fällen, versuchter Diebstahl.
Ein Jahr und neun Monate Jugendstrafe unter Einbeziehung von 2.
Zur Finanzierung seiner Drogensucht hatte der Kläger in einer Gaststätte mit einer Nagelfeile die Tür zu einer Geldkassette an einem Tischfußballgerät geöffnet, um sich das darin befindliche Bargeld anzueignen. Dies wurde durch eine Überwachungskamera beobachtet und der Kläger wurde sofort zur Rede gestellt. Das daraufhin durch den Inhaber der Gaststätte ausgesprochene Hausverbot ignorierte er.
Datum der letzten Tat: 16.01.1998
Vom 03.04.1995 bis 01.12.1995 sowie vom 23.07.1998 bis zu seiner Abschiebung am 22.02.1999 befand sich der Kläger in Strafhaft. Mit Beschluss vom 22.12.2005 wurde ihm nach Ablauf der Bewährungsfrist die zuvor bereits zur Bewährung ausgesetzte Restjugendstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts ... vom 08.07.1998 erlassen.
Jedenfalls seit 1997 war der Kläger von harten Drogen abhängig. Im Juni 1998 unterzog er sich einer stationären Drogenentgiftung.
Mit Bescheid vom 12.11.1998 wies das Regierungspräsidium Freiburg den Kläger aus dem Bundesgebiet aus (I.), lehnte die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab (II.) und drohte ihm die Abschiebung in die Türkei an (III.). Zur Begründung wurde ausgeführt, die Voraussetzungen einer Ausweisung nach §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG lägen vor und der Kläger genieße keinen besonderen Ausweisungsschutz nach § 48 AuslG. Über die Ausweisung sei nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Das öffentliche Interesse an der Ausweisung und Entfernung aus dem Bundesgebiet überwiege, weil die weitere Anwesenheit des Klägers eine erhebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung darstelle. Durch sein Verhalten habe er gezeigt, dass er nicht bereit sei, das geltende Recht zu beachten. Im Alter von siebzehn Jahren sei er erstmals wegen Hehlerei, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Bedrohung und Hausfriedensbruchs strafrechtlich zur Verantwortung gezogen worden. In der Folgezeit sei er wegen weiterer Eigentumsdelikte in Form von Einbruchsdiebstählen straffällig geworden. Die Erlöse habe er mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Erwerb von Drogen verwendet, da er seit Jahren auch harte Drogen konsumiere. Zwar hätten zerrüttete Familienverhältnisse zu der Drogensucht geführt, in der Vergangenheit seien jedoch weder die Unterstützung durch Bewährungshelfer noch Therapieangebote wahrgenommen worden. Daher sei davon auszugehen, dass er aufgrund seiner Drogenabhängigkeit auch weiterhin Straftaten begehen werde. Die Häufigkeit der im Wege der Beschaffungskriminalität begangenen Straftaten zeige auch, dass die strafrechtlichen Sanktionen keinerlei Eindruck hinterlassen hätten. Die Ausweisung sei auch nicht unverhältnismäßig. Die Eltern des Klägers seien erst im Alter von 30 Jahren in das Bundesgebiet eingereist. Der Vater sei laut den Feststellungen des Amtsgerichts Rottweil überzeugter Moslem. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sei davon auszugehen, dass der Kläger und seine Geschwister im moslemischen Glauben und in türkischer Sprache erzogen worden seien. Selbst wenn der Kläger noch nicht in der Türkei gewesen sei, sei es ihm zuzumuten, sich dort einzugliedern. Aufgrund der zerrütteten Familienverhältnisse, die mitursächlich für seine Straffälligkeit seien, bestehe keine Aussicht auf seine Wiedereingliederung in die deutsche Gesellschaft. Da der Kläger selbst noch keine eigenen gefestigten Beziehungen aufgebaut habe, könne bei ihm nicht von einer günstigen Zukunftsprognose ausgegangen werden. Neben spezialpräventiven Erwägungen sprächen auch generalpräventive Gesichtspunkte für die Ausweisung. Art. 6 GG und Art. 8 EMRK stünden der Ausweisung nicht entgegen. Die Ausweisung verstoße auch nicht gegen Gemeinschaftsrecht. Ein besonderer Ausweisungsschutz nach Art. 14 ARB 1/80 bestehe nicht.
Der mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehene Bescheid wurde von dem Kläger nicht angefochten.
Am 22.02.1999 wurde der Kläger in die Türkei abgeschoben, wo er zunächst den Wehrdienst absolvierte.
10 
Mit Bescheid vom 09.07.2002 befristete das Regierungspräsidium Freiburg nach Vorlage eines türkischen Strafregisterauszugs und Begleichung der Abschiebungskosten in Höhe von 1.904,24 EUR die Wirkungen der am 12.11.1998 verfügten Ausweisung und der am 22.02.1999 erfolgten Abschiebung auf sofort.
11 
Am 20.06.2003 stellte der Kläger bei der Deutschen Botschaft in Ankara einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 16 AuslG (§ 37 AufenthG). Nach der Ablehnung dieses Antrags erhob er Klage vor dem Verwaltungsgericht Berlin, nahm diese jedoch nach einem Hinweis des Gerichts zu den fehlenden Erfolgsaussichten in der mündlichen Verhandlung vom 02.06.2005 zurück.
12 
Mit Schreiben vom 24.10.2005 beantragte der Kläger beim Regierungspräsidium Freiburg die Rücknahme der Ausweisungsverfügung vom 12.11.1998, hilfsweise das Wiederaufgreifen des Ausweisungsverfahrens. Zwar sei die Sperrwirkung befristet worden, er habe jedoch ein Interesse an der Rücknahme der materiell rechtswidrigen Entscheidung, da ihm sonst eine dauerhafte Rückkehr versagt sei.
13 
Mit Bescheid vom 27.09.2006 lehnte das Regierungspräsidium Freiburg die Anträge auf Rücknahme der Ausweisungsverfügung und Wiederaufgreifen des Verfahrens ab und führte zur Begründung unter anderem aus, ein Anspruch auf Rücknahme sei nur bei einer Ermessensreduzierung auf Null gegeben, die hier nicht vorliege. Im Hinblick auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit bestehe nur dann ein Anspruch auf Rücknahme eines bestandskräftigen Bescheids, wenn dessen Aufrechterhaltung „schlechthin unerträglich“ sei. Dies hänge von den Umständen des Einzelfalls ab. Auch das Gemeinschaftsrecht verlange grundsätzlich nicht die Rücknahme. Die Verpflichtung, einen bestandskräftigen Verwaltungsakt erneut zu überprüfen, könne bestehen, wenn sich zwischenzeitlich seine Unvereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht herausgestellt habe, sofern der Betroffene den Verwaltungsakt unter Berufung auf das Gemeinschaftsrecht angefochten habe, das Gericht die Klage aber - ohne die Herbeiführung einer nach Art. 234 EG gebotenen Vorabentscheidung - abgewiesen habe. Dies habe der Kläger versäumt, so dass auch gemeinschaftsrechtlich kein Rücknahmeanspruch bestehe. Auch bei der Ausübung des Ermessens nach § 48 LVwVfG sei zu berücksichtigen, dass der Kläger die Ausweisungsverfügung nicht mit Rechtsbehelfen angegriffen und sie so der Überprüfung einer Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht zugeführt habe. Demnach bestehe keine Veranlassung, die Ausweisungsentscheidung zurückzunehmen.
14 
Am 11 10.2008 hat der Kläger Klage erhoben mit dem Antrag, den Beklagten unter Aufhebung seiner Verfügung vom 27.09.2006 zu verpflichten, die Ausweisungsverfügung vom 12.11.1998 zurückzunehmen, hilfsweise den Beklagten zu verpflichten, das Ausweisungsverfahren wieder aufzugreifen und hierüber unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
15 
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat seine Ermessenserwägungen ergänzt. Er führt aus, es könne unterstellt werden, dass dem Kläger als Kind eines türkischen Arbeitnehmers ein besonderer Ausweisungsschutz zugestanden habe, so dass seine hilfsweise Ausweisung aus generalpräventiven Gründen unter Zugrundelegung der heutigen höchstrichterlichen Rechtsprechung als materiell rechtswidrig anzusehen sei. Eine formelle Rechtswidrigkeit liege hingegen nicht vor. Der Umstand, dass der Kläger trotz Befristung der Sperrwirkungen der Ausweisung und Abschiebung nur noch zu Besuchszwecken einreisen dürfe, könne zu keinem anderen Ergebnis führen. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass die Rechte aus Art. 6, 7 ARB 1/80 bei längerfristiger Ausreise erlöschen könnten. Es werde nicht verkannt, dass der in Deutschland geborene und aufgewachsene Kläger auch im Hinblick auf seine familiären Bindungen ein besonderes persönliches Interesse daran habe, sich dauerhaft hier aufhalten zu können. Entscheidend gegen eine Rücknahme spreche aber, dass die Ausweisungsentscheidung nicht offensichtlich rechtswidrig gewesen sei und dass selbst unter Anwendung der heutigen Maßstäbe der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine fehlerfreie Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen möglich gewesen wäre. Der Kläger habe über mehrere Jahre Straftaten von erheblicher Schwere begangen und sich frühere Verurteilungen nicht als Warnung dienen lassen. Die Straftaten könnten auch nicht als jugendliche Verfehlungen gesehen werden, zumal sie vor dem Hintergrund einer nicht unerheblichen langjährigen Drogenabhängigkeit zu sehen seien, so dass man im Ausweisungszeitpunkt von einer gesteigerten Wiederholungsgefahr habe ausgehen dürfen. Der Kläger sei damals bereits 21 Jahre alt gewesen und habe über keine besonderen Bindungen verfügt. Die Drogensucht und die Straffälligkeit des Klägers belegten seine fehlende Integration. Die entfallene Wiederholungsgefahr sei bereits im Rahmen der Befristungsentscheidung berücksichtigt worden. Das Festhalten an der Bestandskraft der Ausweisung sei auch unter Berücksichtigung der persönlichen Situation des Klägers mit Art. 8 EMRK vereinbar.
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Das Verwaltungsgericht Freiburg hat die Klage mit Urteil vom 13.06.2008 als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe weder einen Anspruch auf Rücknahme der Ausweisungsverfügung vom 12.11.1998, noch auf Neubescheidung seines Rücknahmebegehrens. Die Ausweisungsverfügung sei zwar zum Zeitpunkt ihres Erlasses materiell rechtswidrig gewesen, weil das Regierungspräsidium Freiburg zu Unrecht davon ausgegangen sei, das der Kläger wegen seiner Inhaftierung nicht mehr über die zuvor bestehende Rechtsposition aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 verfügt habe, weshalb kein besonderer Ausweisungsschutz nach Art. 14 ARB 1/80 angenommen und die Ausweisung auch generalpräventiv begründet worden sei. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des EuGH berühre indes auch eine längere Strafhaft die Rechte aus Art. 6 und 7 ARB 1/80 nicht, zudem lasse das Gemeinschaftsrecht nur eine Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen zu. Aus der Rechtswidrigkeit der Ausgangsverfügung folge jedoch kein Anspruch auf deren Rücknahme. Der Behörde sei insoweit Ermessen eingeräumt. Ein Anspruch bestehe nur bei einer Ermessensreduzierung auf Null, die hier nicht gegeben sei. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Neubescheidung seines Antrags auf Rücknahme der Ausweisungsentscheidung. Ermessensfehler seien nicht ersichtlich.
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Auf Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 01.09.2008 die Berufung zugelassen. Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger im Wesentlichen vor: Nach der Rechtsprechung des EGMR seien die seiner Ausweisung zugrunde liegenden Straftaten nicht als so gewichtig anzusehen, dass sie bei einem in Deutschland geborenen und bis zur Ausweisung in Deutschland aufgewachsenen jungen Erwachsenen als Grundlage für die Ausweisung herangezogen werden dürften. Die Drogenabhängigkeit sei nach Auffassung des EGMR vorrangig durch Therapie und nicht durch Ausweisung zu bekämpfen. Neben der formellen und materiellen Rechtswidrigkeit sei auch die dauerhafte Wirkung der Ausweisungsverfügung zu berücksichtigen. Diese stelle sich für ihn als eine lebenslängliche Entfernung aus dem als Heimat empfundenen Land dar. Die Befristung verhelfe ihm allenfalls zu Besuchsvisa, eine dauerhafte Rückkehr sei ihm verwehrt. Diese Aspekte machten das Ergebnis der angefochtenen Ermessensentscheidung schlechthin unerträglich. Sein Wohnort in der Türkei sei ein kleines Dorf, welches etwa 30 km von der Kreisstadt Pazarcik entfernt liege. Als Wohnraum stehe ihm ein Zimmer zur Verfügung. Er lebe allein. Nähere Familienangehörige habe er in der Türkei nicht. Nach seiner Abschiebung habe er zunächst den Wehrdienst absolviert. Danach sei er bis 2003 als Tagelöhner in der Landwirtschaft, auf Baustellen und für eine Saison auch als Kellner in einem der Touristikzentren beschäftigt gewesen. Krankenversichert sei er seit Oktober 2004, als er als Saisonarbeiter in einer Baumwollfabrik beschäftigt wurde. Arbeit in dieser Fabrik gebe es zwar nur für ein bis drei Monate im Jahr; die damit verbundene Krankenversicherung sei jedoch das ganze Jahr über gültig. In den übrigen Zeiten verdinge er sich weiterhin als Tagelöhner in der Landwirtschaft. Sein Einkommen genüge für eine sehr bescheidene Existenz. Unterstützt werde er zusätzlich durch gelegentliche Geldüberweisungen seines in Deutschland lebenden Bruders ... .... Er habe sich trotz seines inzwischen zehnjährigen Aufenthaltes in der Türkei nicht einleben können. Er denke und fühle wie seine in Deutschland verbliebenen Geschwister deutsch. Die türkische Kultur sei ihm fremd. Seine Grundstimmung sei depressiv. Drei Versuche, ein Besuchervisum zu erhalten, seien erfolglos geblieben. Aus Sicht der deutschen Auslandsvertretung habe wegen seiner fehlenden Verwurzelung in der Türkei keine hinreichende Rückkehrbereitschaft bestanden. Geschmerzt habe ihn insbesondere, dass er seinen Vater vor dessen Tod im Mai 2008 nicht mehr habe besuchen können.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 13.06.2008 - 5 K 1766/06 - zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Regierungspräsidiums Freiburg vom 27.09.2006 zu verpflichten, dessen Ausweisungsverfügung vom 12.11.1998 zurückzunehmen;
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
22 
Zur Begründung verweist er auf die angefochtene Verfügung vom 27.09.2006, sein bisheriges Vorbringen sowie das angefochtene Urteil und trägt ergänzend vor: Der Kläger sei nicht als Minderjähriger ausgewiesen und abgeschoben worden. Die letzte Verurteilung sei zwar nach Jugendstrafrecht erfolgt, der Kläger sei zum damaligen Zeitpunkt aber bereits erwachsen gewesen.
23 
Der Kläger ist in der Berufungsverhandlung angehört worden und hat ergänzend angegeben: Er lebe in der Türkei bei der Familie seines Onkels mütterlicherseits, der letztes Jahr verstorben sei. Er habe diese Leute kaum gekannt, weil er lediglich als Kleinkind dreimal im Urlaub dort gewesen sei. Sie hätten ihm in dem Dorf einen Abstellraum in einer Art Scheune als Schlafplatz zur Verfügung gestellt. Eine Freundin habe er nicht. Er sei in dem Dorf ein Außenseiter, auch gegenüber den Verwandten komme er sich wie ein Bittsteller vor. Die engsten Kontakte unterhalte er zu seinen älteren Brüdern, die in Deutschland lebten und zwischenzeitlich deutsche Staatsbürger seien. Nach dem Militärdienst sei er an Gelbsucht erkrankt und habe nicht angemessen behandelt werden können, weil er damals nicht krankenversichert gewesen sei. Bei einer Rückkehr nach Deutschland könne er bei seinem Bruder ... ... unterkommen. Er wolle sich auch Arbeit suchen, am liebsten in der Metallverarbeitung. In dem Dorf, in dem er gelebt habe, habe es keine Möglichkeit gegeben, einen Beruf zu erlernen. Anderswo in der Türkei habe er nicht Fuß fassen können. Er spreche neben deutsch einigermaßen kurdisch; sein türkisch sei nicht so gut. Für eine Saison sei er an der Südküste im Raum Antalya gewesen, um im Tourismus zu arbeiten. Er sei jedoch mit dem Geschäftsgebaren in der Tourismusbranche, welches nur darauf ausgerichtet sei, die Touristen zu übervorteilen und den größtmöglichen Profit zu erzielen, nicht zurechtgekommen. Dies habe ihn abgestoßen, so dass er es vorgezogen habe, bei der Verwandtschaft auf dem Dorf zu bleiben.
24 
Dem Senat liegen die einschlägigen Akten des Beklagten und des Verwaltungsgerichts Freiburg vor. Hierauf sowie auf die Gerichtsakten wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
I.
25 
Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO). Gegenstand der uneingeschränkt zugelassenen Berufung ist allein der in erster Instanz mit dem Hauptantrag verfolgte Anspruch auf Rücknahme der Ausweisung, nachdem der Kläger in der Berufungsverhandlung klargestellt hat, das vor dem Verwaltungsgericht hilfsweise geltend gemachte Begehren auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht weiter zu verfolgen.
II.
26 
Die Berufung ist auch begründet. Über die zulässige Verpflichtungsklage, für die dem Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis zur Seite steht (unten 1.), ist unter Zugrundelegung der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw., soweit es um die Frage der Rechtswidrigkeit der Ausweisung geht, unter Zugrundelegung der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung zu entscheiden (unten 2.). Die Ausweisung erweist sich als rechtswidrig, so dass das Rücknahmeermessen nach § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG eröffnet ist (unten 3.). Der Kläger hat einen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme der Ausweisung, weil deren Aufrechterhaltung ihn schwer und unerträglich hart trifft und daher das Rücknahmeermessen auf Null reduziert ist (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO; unten 4.).
27 
1. Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig. Insbesondere besteht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis, weil die Ausweisung trotz der bereits 2002 erfolgten Befristung ihrer gesetzlichen Wirkungen in Bezug auf das Recht des Klägers, in das Bundesgebiet einzureisen und sich darin aufzuhalten, weiterhin belastende Regelungswirkungen entfaltet. Wird sie rückwirkend aufgehoben, lebt die Rechtsstellung des Klägers aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 wieder auf und ihm ist auf entsprechenden Antrag eine Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 5 AufenthG auszustellen. Der Vater des Klägers hat dem regulären Arbeitsmarkt angehört. Der in Deutschland geborene Kläger, der bis zum 30.08.1997 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis war, deren Verlängerung er rechtzeitig beantragt hatte, hat mit seinem Vater mehr als fünf Jahre in häuslicher Gemeinschaft gelebt, so dass die Voraussetzungen des Art. 7 Satz 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80 erfüllt sind (vgl. zur Geltung des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 entsprechend für ein Kind, das im Mitgliedstaat geboren ist und stets dort gewohnt hat: EuGH, Urt. v. 11.11.2004 - C-467/02 - [Cetinkaya] - Slg. 2004, I-10895 = InfAuslR 2005, 13). Seine Volljährigkeit im Zeitpunkt der Ausweisung änderte an der unmittelbar aus dem ARB 1/80 folgenden Rechtsposition ebenso wenig etwas, wie die ab 23.07.1998 erfolgte Verbüßung von Strafhaft (zu diesen Einzelheiten des Aufenthaltsrechts nach Art. 7 ARB 1/80 vgl. EuGH, Urt. v. 07.07.2005 - C-373/03 [Aydinli] - Slg. 2005, I-6181 = InfAuslR 2005, 352; ferner EuGH, Urt. v. 16.01.2006 - C-502/04 [Torun] - Slg. 2006, I-1563 = InfAuslR 2006, 209). Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 vermittelt im Ergebnis ein Daueraufenthaltsrecht, da die Rechtsposition nach dieser Vorschrift nach der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften nur unter zwei Voraussetzungen beschränkt werden darf: Entweder stellt die Anwesenheit des Assoziationsberechtigten im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates wegen seines persönlichen Verhaltens eine tatsächliche und schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit im Sinne von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 dar, oder der Betroffene hat das Hoheitsgebiet dieses Staates für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen (vgl. EuGH, Urt. v. 16.03.2000 - C-329/97 [Ergat] - Slg. 2000, I-1487 Rn. 45, 46 und 48 und Urt. v. 18.12.2008 - C-337/07 [Altun] - NVwZ 2009, 235 Rn. 62). Dabei ist grundsätzlich vom abschließenden Charakter der beiden genannten Verlustgründe auszugehen (BVerwG, Urt. v. 09.08.2007 - 1 C 47.06 - BVerwGE 129, 162 Rn. 15 und Urt. v. 30.04.2009 - 1 C 6.08 - NVwZ 2009, 1162 Rn. 24). Daraus folgt, dass ein gemäß Art. 7 ARB 1/80 assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger sein Aufenthaltsrecht nicht allein deshalb verlieren kann, weil er wegen der Verurteilung zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe keine Beschäftigung ausgeübt hat und dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stand; denn die Rechtsstellung der in Art. 7 ARB 1/80 genannten Familienangehörigen hängt nicht von der Ausübung einer Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ab (EuGH, Urt. v. 25.09.2008 - C-453/07 [Er] - NVwZ 2008, 1337 Rn. 31 f.; BVerwG, Urt. v. 30.04.2009 - 1 C 6.08 - a.a.O.). Hier ist die Rechtsstellung durch das Verlassen des Bundesgebiets und den mittlerweile zehnjährigen Aufenthalt des Klägers in der Türkei nicht erloschen, weil er nicht freiwillig aus einem berechtigten Grund ausgereist ist, sondern aufgrund einer nicht vom Vorbehalt nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 gedeckten rechtswidrigen Ausweisung (siehe unten 3. c)) gegen seinen Willen abgeschoben wurde und nach Absolvierung des Militärdienstes kontinuierlich von allen rechtlich in Betracht kommenden Möglichkeiten zur Wiedererlangung seines Aufenthaltsrechts Gebrauch gemacht hat. Er hat konsequent seine Rückkehr nach Deutschland betrieben und zu keinem Zeitpunkt zu erkennen gegeben, dauerhaft in der Türkei bleiben zu wollen.
28 
2. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage des mit der Verpflichtungsklage geltend gemachten Anspruchs auf Rücknahme einer bestandskräftigen Ausweisungsverfügung ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. - wenn die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergeht - der Zeitpunkt, in dem die Entscheidung gefällt wird (BVerwG, Urteil v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367 = InfAuslR 2008, 116 = NVwZ 2008, 326 = EZAR NF 48 Nr. 9). Abweichend hiervon kommt es für die im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG entscheidungserhebliche Frage der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der bestandskräftig gewordenen Ausweisung auf den Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung an (siehe unten 3. b)).
29 
3. a) Die Rücknahme einer Ausweisung gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG ist neben der Befristung ihrer gesetzlichen Wirkungen gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 bis 6 AufenthG bzw. § 7 Abs. 2 Satz 2 und 3 FreizügG/EU möglich; denn die Rechtsgrundlagen von Rücknahme und Befristung unterscheiden sich sowohl in den Voraussetzungen als auch in den Rechtsfolgen (BVerwG, Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 - BVerwGE 110, 140 <143>; Senatsurteil vom 19.12.2008 - 11 S 1453/07 - VBlBW 2009, 274).
30 
b) Die Rücknahmevoraussetzung der Rechtswidrigkeit i.S.d. § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG ist grundsätzlich dann gegeben, wenn der Verwaltungsakt, um dessen Aufhebung gestritten wird, zum Zeitpunkt seines Erlasses einer Rechtsgrundlage entbehrte (BVerwG, Urt. v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367 = InfAuslR 2008, 116 = NVwZ 2008, 326 = EZAR NF 48 Nr. 9; Beschl. v. 07.07.2004 - 6 C 24.03 - BVerwGE 121, 226 <229> m.w.N.; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 24.01.2007 – 13 S 451/06 - InfAuslR 2007, 182 = EZAR NF 93 Nr. 3). Da der Kläger die Ausweisung nicht angefochten hatte, steht § 121 VwGO ihrer gerichtlichen Inzidentprüfung im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG nicht entgegen (vgl. dazu Senatsurteil vom 30.04.2008 - 11 S 759/06 - VBlBW 2009, 32).
31 
c) Die Ausweisung war zum Zeitpunkt ihres Erlasses sowohl formell als auch materiell rechtswidrig.
32 
aa) In formeller Hinsicht wurde die Verfahrensvorschrift des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG nicht beachtet. Diese Vorschrift ist vorliegend anzuwenden, da die Richtlinie 64/221/EWG durch die Richtlinie 2004/38/EG erst mit Wirkung vom 30.04.2006 (vgl. Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG) aufgehoben wurde. Die formelle Rechtmäßigkeit von Verfügungen gegen den von Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG erfassten Personenkreis ist nach dem Grundsatz des intertemporalen Verwaltungsverfahrensrechts, dass neues Verfahrensrecht auf abgeschlossene Verwaltungsverfahren keine Anwendung findet, nach der Rechtslage zur Zeit der letzten Behördenentscheidung zu prüfen (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 18.10.2006 – 13 S 192/06 – InfAuslR 2007, 49 = EZAR NF 19 Nr. 18).
33 
In Ausweisungsverfahren gegen Unionsbürger und assoziationsrechtlich privilegierte türkische Staatsangehörige wurde - außer in dringenden Fällen - Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG verletzt, wenn weder ein Widerspruchsverfahren stattfand noch sonst eine zweite zuständige Stelle im Sinne der Richtlinie im Verwaltungsverfahren eingeschaltet wurde (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.09.2005 – 1 C 7.04 – BVerwGE 124, 217 = InfAuslR 2006, 110 = NVwZ 2006, 472 = EZAR NF 40 Nr. 1). Die zweite Stelle musste dabei, wie sich aus der Rechtssprechung des EuGH ergibt, eine andere sein als diejenige, welche für die Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet zuständig ist (EuGH, Urt. v. 29.04.2004 – Rs. C-482/01 und C-493/01 [Orfanopoulos und Oliveri] – Slg. 2004, I-5257 = InfAuslR 2004, 268 = NVwZ 2004, 1099 = EZAR 810 Nr. 14; Senatsurteil vom 19.12.2008 - 11 S 1453/07 - a.a.O.). Daran hat es hier gefehlt, weil die Ausweisung vom Regierungspräsidium Freiburg ohne Einschaltung einer zweiten zuständigen Stelle verfügt wurde, so dass das in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG verankerte Vier-Augen-Prinzip nicht gewahrt war.
34 
Es lag auch kein dringender Fall vor, der die Einschaltung einer zweiten unabhängigen Stelle entbehrlich gemacht hätte. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 13.09.2005 - 1 C 7.04 -, a.a.O.) ist das Merkmal der Dringlichkeit als Ausnahme vom Grundsatz der Freizügigkeit „besonders eng auszulegen“; ein dringender Fall kann erst dann angenommen werden, wenn ein Zuwarten mit der Vollziehung der Ausweisung nicht zu verantworten ist, etwa weil die begründete Besorgnis besteht, die von dem Ausländer ausgehende erhebliche Gefahr werde sich schon vor Abschluss des „Hauptverfahrens“ realisieren. Die Verzögerung durch Einschaltung einer zweiten Behörde ist dann nicht hinnehmbar. Daher genügt für die Annahme eines dringenden Falles nicht, dass die Ausländerbehörde die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet hat. Vielmehr muss (vergleichbar den Anforderungen aus § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO für die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Ausweisung nach den Maßstäben der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts) ein besonderes öffentliches Interesse daran festgestellt werden, das „Hauptverfahren“ nicht abzuwarten, sondern die Ausweisung sofort zu vollziehen, um damit einer „weiteren, unmittelbar drohenden erheblichen Gefährdung“ der öffentlichen Ordnung durch den Ausländer zu begegnen. Daran gemessen lag kein dringender Fall vor. Der Kläger befand sich zum Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung in Haft, aus der heraus er später in die Türkei abgeschoben wurde. Zudem hatte die Ausländerbehörde nicht einmal - was im Übrigen nicht genügen würde - die sofortige Vollziehung angeordnet.
35 
bb) Materiell stand die Ausweisung nicht mit Art. 14 ARB 1/80 in Einklang. Da die in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehene Ausnahme der öffentlichen Ordnung ebenso auszulegen ist wie die gleiche Ausnahme im Bereich der Freizügigkeit von Unionsbürgern (EuGH, Urt. v. 20.02.2000 - C-340/97 [Nazli] - Slg. 2000, I-957 = InfAuslR 2000, 161; Urt. v. 11.11.2004 - C-467/02 [Cetinkaya] - Slg 2004, I-10895 = InfAuslR 2005, 13), durfte der Kläger als assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger nur ausgewiesen werden, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorlag, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. zu diesem Maßstab EuGH, Urt. v. 28.10.1975 - 36/75 [Rutili] - Slg. 1975, 1219 = DÖV 1976, 129; Urt. v. 18.05.1989 - 249/86 [Kommission/Deutschland] - Slg. 1989, 1263; Urt. v. 19.01.1999 - C-348/96 [Calfa] - Slg 1999, I-11 = InfAuslR 1999, 165), wobei eine strafrechtliche Verurteilung nur insoweit eine Ausweisung rechtfertigen kann, als die ihr zugrundeliegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefahr der öffentlichen Ordnung darstellt (z.B. EuGH, Urt. v. 20.02.2000 - C-340/97 [Nazli] - a.a.O.). Die Frage, ob die Begehung einer Straftat ein persönliches Verhalten erkennen lässt, das ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, lässt sich nur aufgrund der Umstände des Einzelfalls beurteilen. Das Erfordernis einer gegenwärtigen Gefährdung der öffentlichen Ordnung besagt nicht, dass eine "gegenwärtige Gefahr" im Sinne des deutschen Polizeirechts vorliegen müsste, die voraussetzt, dass der Eintritt des Schadens sofort und nahezu mit Gewissheit zu erwarten ist. Es verlangt vielmehr eine hinreichende - unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit nach dem Ausmaß des möglichen Schadens und dem Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts differenzierende - Wahrscheinlichkeit, dass der Ausländer künftig die öffentliche Ordnung beeinträchtigen wird. Für die Beantwortung der Frage, ob dies der Fall ist, sind insbesondere die einschlägigen strafrichterlichen Entscheidungen heranzuziehen, soweit sie für die Prüfung der Wiederholungsgefahr bedeutsam sind. Zu prüfen ist auch, ob eine Verbüßung der Strafe erwarten lässt, dass der Assoziationsberechtigte künftig keine die öffentliche Ordnung gefährdenden Straftaten mehr begehen wird (vgl. zu alledem BVerwG, Urt. v. 03.08.2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 = InfAuslR 2005, 18 m.w.N.). Dabei können und müssen das Maß der Einsicht in das begangene Unrecht und die Aufarbeitung der Tat in die vorzunehmende Prognoseentscheidung einfließen. Bei der Entscheidung ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren (EuGH vom 29.04.2004 - C-482/01 u. C-493/01 [Orfanopoulos und Oliveri] - Slg. 2004, I-5257 = InfAuslR 2004, 268 = NVwZ 2004, 1099 = EZAR 810 Nr. 14), der eine Einzelfallwürdigung insbesondere auch der durch Art. 8 EMRK geschützten Rechtspositionen verlangt.
36 
Dieser Maßstab wird hier durch Art. 28 RL 2004/38/EG ungeachtet der offenen Frage, ob diese Vorschrift auf assoziationsberechtigte Türken anwendbar ist (vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., Vorlagebeschluss vom 22.07.2008 - 13 S 1917/07 - InfAuslR 2008, 439; BVerwG, Vorlagebeschluss vom 25.08.2009 - 1 C 25.08 -), schon deshalb nicht modifiziert, weil die Ausweisung, um deren Rücknahme es geht, vor dem 01.05.2006 bestandskräftig wurde und daher das erhöhte Schutzniveau des Art. 28 Abs. 2 und 3 RL 2004/38/EG hier nicht zu beachten ist. Die erhöhten Anforderungen nach dieser Vorschrift sind nur bei Ausweisungen zu beachten, bei denen der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage nach dem 30.04.2006 liegt (vgl. EuGH, Urt. v. 04.10.2007 – C-349/06 [Polat] – Slg. 2007, I-08167 Rdn. 26 f. = InfAuslR 2007, 425 = NVwZ 2008, 59 = EZAR NF 19 Nr. 22; BVerwG, Urt. v. 03.12.2008 - 1 C 35.07 - NVwZ 2009, 326).
37 
Vorliegend war Anlass der Ausweisung die Verurteilung des Klägers zu einer Jugendstrafe wegen Hausfriedensbruchs in zwei Fällen und versuchten Diebstahls. Bei diesen Straftaten handelt es sich wie bei den vorangegangenen Verurteilungen um Fälle der mittleren Kriminalität, die sämtlich nach Jugendstrafrecht abgeurteilt worden sind. Nach der Rechtsprechung des Senats liegt bei den in Frage stehenden Delikten eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vor, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, wenn diese Delikte - insbesondere Diebstahl und Hehlerei - gehäuft auftreten und gewerbsmäßig begangen werden oder sonstige erschwerende Umstände vorliegen (Senatsurteile vom 10.09.2003 - 11 S 973/03 - EzAR 037 Nr. 8 und vom 23.07.2008 - 11 S 2889/07 - InfAuslR 2008, 429). Daran gemessen lag hier eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, nicht vor. Eine Häufung von der Beschaffungskriminalität zuzuordnenden Delikten vermag der Senat entgegen der Auffassung des Beklagten nicht festzustellen. Zwischen der letzten Tat und der zuvor begangenen lag ein - gemessen am damaligen Alter des Klägers - relativ langer straffreier Zeitraum von über drei Jahren. Bei den mit Urteilen vom 22.06.1994 und vom 08.03.1995 abgeurteilten Straftaten handelte es sich zudem um jugendtypische Verfehlungen, die nicht eindeutig mit dem Drogenkonsum des Klägers in Verbindung standen, da eine Drogenabhängigkeit nach den strafgerichtlichen Feststellungen zweifelsfrei erst ab 1997 vorlag. Insgesamt handelte es sich um Fälle des einfachen Diebstahls und der einfachen Hehlerei, die Schadenssummen waren nicht besonders hoch (vgl. zu diesem Aspekt BVerwG, Urt. v. 02.09.2009 - 1 C 2.09 - juris) und der Kläger war nicht derart gehäuft straffällig geworden, dass aus diesem Grund eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung hätte angenommen werden können. Zwar war mit Blick auf die damals unbewältigte Drogenproblematik eine gewisse Wiederholungsgefahr in Bezug auf die Begehung weiterer Eigentums- und/oder Vermögensdelikte nicht von der Hand zu weisen, doch war diese nicht derart hoch, dass die konkrete Gefahr weiterer schwerer Störungen der öffentlichen Ordnung hätte prognostiziert werden können.
38 
cc) War die Ausweisung bereits gemessen an Art. 14 ARB 1/80 materiell rechtswidrig, so gilt dies erst recht, wenn man Art. 8 EMRK mit in den Blick nimmt.
39 
(1) Die Ausweisung griff nicht nur in den Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens, sondern auch in den Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK ein. Bei Beziehungen zwischen nahen Verwandten außerhalb der klassischen Kleinfamilie kommt es darauf an, ob die tatsächlich bestehenden Bindungen hinreichend für die Annahme einer familiären Beziehung sind. Beziehungen zwischen Erwachsenen unterliegen nicht notwendig dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung des Familienlebens. Es müssen besondere zusätzliche Aspekte der Abhängigkeit hinzutreten, die weiter reichen als normale affektive Beziehungen (EGMR, Urt. v. 17.04.2003 - Nr. 52853/99 [Yilmaz] - NJW 2004, 2147 Rn. 44 m.w.N.; Urt. v. 15.07.2003 - Nr. 52206/99 [Mokrani] - InfAuslR 2004, 183; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Aufl., § 22 Rn. 18 m.w.N.). Art. 8 EMRK vermittelt insoweit grundsätzlich keinen weitergehenden Schutz als Art. 6 GG bei familiären Beziehungen unter Volljährigen. Bei jungen Erwachsenen, die nach Erreichen der Volljährigkeit weiterhin mit ihren Eltern in häuslicher Gemeinschaft leben, geht der EGMR allerdings davon aus, dass auch ihre Beziehung zu den Eltern und anderen nahen Familienmitgliedern Familienleben darstellt und aufenthaltsbeendende Maßnahmen daher auch in das Recht auf Achtung des Familienlebens eingreifen (Urt. v. 23.06.2008 - Nr. 1638/03 [Maslov II] - InfAuslR 2008, 333). Hier hat der Kläger bis zu seiner Inhaftierung mit seinem Vater und den älteren Geschwistern in häuslicher Gemeinschaft gelebt.
40 
(2) Das ebenfalls betroffene Recht auf Achtung des Privatlebens umfasst die Summe der persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind (vgl. EGMR, Urt. v. 09.10.2003 - 48321/99 [Slivenko] - EuGRZ 2006, 560 <561> Rn. 96) und denen angesichts der zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zukommt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.05.2007 – 2 BvR 304/07 – BVerfGK 11, 153 = InfAuslR 2007, 275 m.w.N.; Hoppe, ZAR 2006, 125 <130>). Die Gesamtheit der sozialen Beziehungen und der Gemeinschaft bildet einen Teil des Privatlebens i.S.v. Art. 8 EMRK.
41 
(3) Der Eingriff in die Rechte des Klägers aus Art. 8 Abs. 1 EMRK war unverhältnismäßig.
42 
Ein Eingriff in die Rechte aus Art. 8 Abs. 1 EMRK muss gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK eine in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahme darstellen, die durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und mit Blick auf das verfolgte legitime Ziel auch im engeren Sinne verhältnismäßig ist (vgl. EGMR, Urt. v. 18.02.1991 - 31/1989/191/291 [Moustaquim] - EuGRZ 1993, 552 <554>; BVerfG, Beschl. v. 10.05.2007 – 2 BvR 304/07 - BVerfGK 11, 153 = InfAuslR 2007, 275; BVerwG, Urt. v. 09.12.1997 - 1 C 19.96 - BVerwGE 106, 13 <21> m.w.N.). Dabei ist die Befristung der Ausweisungswirkungen nur eines von mehreren Kriterien im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.05.2007 – 2 BvR 304/07 - a.a.O.; EGMR, Urteil vom 22.03.2007 - 1638/03 [Maslov I] - InfAuslR 2007, 221). Vorrangig ist im Hinblick auf die konkreten Umstände des Einzelfalls zu prüfen, ob die Ausweisung überhaupt - unabhängig von einer Befristung - dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entspricht (BVerfG, Beschl. v. 10.05.2007 – 2 BvR 304/07 - a.a.O.). Dies gilt umso mehr, wenn die Ausweisung ein Daueraufenthaltsrecht vernichtet und - wie hier - dem Kläger auch bei einer Befristung der Wirkungen der Ausweisung eine dauerhafte Rückkehr versagt bleibt. Erforderlich ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Beachtung der vom EGMR entwickelten Kriterien, die im Wesentlichen in den Entscheidungen Boultif und Üner zusammengefasst worden sind (EGMR, Urt. v. 02.08.2001 - Nr. 54273/00 [Boultif] - InfAuslR 2001, 476; Urt. v. 05.07.2005 - Nr. 46410/99 [Üner] - InfAuslR 2005, 450 = DVBl 2006, 688). Dabei kommt es zunächst auf den jeweiligen Grad der „Verwurzelung“ an; je stärker der Betroffene im Aufenthaltsstaat integriert ist, desto schwerer müssen die öffentlichen Interessen wiegen. Weiter ist auf den Grad der „Entwurzelung“ abzustellen, d. h. auf die Möglichkeit und Zumutbarkeit der Reintegration im Herkunftsstaat, insbesondere aufgrund der Vertrautheit mit den dortigen Verhältnissen und den dort lebenden und aufnahmebereiten Verwandten. Schließlich können im Rahmen der Schrankenprüfung sonstige Faktoren Berücksichtigung finden, etwa ob der Aufenthalt des Betroffenen zumindest vorübergehend legal war und damit - i.S. einer „Handreichung des Staates“ - schutzwürdiges Vertrauen auf ein Hierbleibendürfen entwickelt werden konnte.
43 
Daran gemessen war die Ausweisung hier unverhältnismäßig. Bis zu seiner Abschiebung im Jahre 1999 verbrachte der Kläger sein gesamtes Leben in der Deutschland, er besuchte hier die Schule, erreichte den Hauptschulabschluss und verfügte über ein Daueraufenthaltsrecht. Sein gesamtes soziales Umfeld befand sich ebenfalls in Deutschland. Nähere Beziehungen zur Türkei, die über die eines Urlaubslandes hinausgingen, hatte er nicht. Die türkische Sprache beherrschte er kaum, da in seiner Familie deutsch und kurdisch gesprochen wurde. Auch wenn die Familienverhältnisse zerrüttet waren, so lebten die nächsten Familienangehörigen - neben seinem Vater auch seine Geschwister und Halbgeschwister - ebenfalls im Bundesgebiet und hatten - wie er - ein assoziationsrechtliches, verfestigtes Aufenthaltsrecht. Demnach war bei dem Kläger von einer weitreichenden „Verwurzelung“ einerseits und von einer vollständigen „Entwurzelung“ andererseits auszugehen.
44 
Bei Art und Schwere der der Ausweisung zugrunde liegenden Straftaten war zu berücksichtigen, dass der Kläger ausschließlich nach Jugendstrafrecht, zuletzt als Heranwachsender, verurteilt worden war (vgl. EGMR, Urt. v. 17.04.2003 - Nr. 52853/99 [Yilmaz] - NJW 2004, 2147 und Urt. v. 23.06.2008 - Nr. 1638/03 [Maslov II] - InfAuslR 2008, 333). Von Bedeutung ist auch, dass er nicht wegen Verbrechen, nicht wegen Betäubungsmitteldelikten und nicht wegen Gewaltdelikten verurteilt wurde (vgl. EGMR, Urt. v. 23.06.2008 - Nr. 1638/03 [Maslov II] - a.a.O.). Mit Blick darauf, dass der im Bundesgebiet geborene und aufgewachsene Kläger die für sein Familien- und Privatleben nach Art. 8 EMRK konstitutiven Bindungen und sein Daueraufenthaltsrecht unwiederbringlich verlor, war seine Ausweisung nicht gerechtfertigt. Den für eine Ausweisung sprechenden Gründe kam, selbst wenn man mit dem Beklagten von einer gewissen Wiederholungsgefahr ausgehen wollte, kein überragendes Gewicht zu (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 - a.a.O.; EGMR, Urt. v. 23.06.2008 - Nr. 1638/03 [Maslov II] - a.a.O.).
45 
4. Der Kläger hat einen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme der Ausweisung, weil deren Aufrechterhaltung ihn schwer und unerträglich hart trifft und daher das Rücknahmeermessen auf Null reduziert ist.
46 
Im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG besteht im Hinblick auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit einerseits und das der Rechtssicherheit andererseits nur ausnahmsweise ein Rücknahmeanspruch; die Aufrechterhaltung des Bescheides muss dann „schlechthin unerträglich“ sein. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Behörde durch unterschiedliche Ausübung der Rücknahmebefugnis in gleichen oder ähnlich gelagerten Fällen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt oder wenn Umstände gegeben sind, die die Berufung der Behörde auf die Unanfechtbarkeit als einen Verstoß gegen die guten Sitten oder das Gebot von Treu und Glauben erscheinen lassen. Darüber hinaus vermag die offensichtliche Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts, die sich zum Zeitpunkt des Erlasses beurteilt, die Annahme zu rechtfertigen, seine Aufrechterhaltung sei schlechthin unerträglich (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 - a.a.O. m.w.N.; Discher in GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. AufenthG Rn. 1773.7 m.w.N.). Auch außerhalb dieser Fallgruppen kommt eine Ermessensreduzierung auf Null in Betracht, wenn ein Aufrechterhalten des Verwaltungsakts schlechthin unerträglich ist (BVerwG, Urt. v. 30.01.1974 - VIII C 20.72 - BVerwGE 44, 333 <336>; BVerwG, Beschl. v. 22.10.1984 - 8 B 56.84 - NVwZ 1985, 265; BVerwG, Urt. v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 - a.a.O.; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 31.01.1989 - 9 S 1141/88 - NVwZ 1989, 882; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 48 Rn. 79; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 48 Rn. 85).
47 
a) Anhaltspunkte für eine gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoßende unterschiedliche Ausübung der Rücknahmebefugnis sind nicht ersichtlich. Der Vertreter des Beklagten hat in der Berufungsverhandlung dargelegt, dass in den übrigen vom Regierungspräsidium Freiburg in den vergangenen Jahren entschiedenen Fällen jeweils § 121 VwGO dem geltend gemachten Rücknahmeanspruch entgegenstand und dass es sich bei dem vorliegenden Fall um den einzigen handelt, bei dem es um eine ohne gerichtliche Überprüfung bestandskräftig gewordene Ausweisungsverfügung geht. Eine Verwaltungspraxis, an die der Beklagte über Art. 3 Abs. 1 GG gebunden wäre, existiert somit nicht.
48 
b) Es sind auch keine Umstände erkennbar, die die Berufung des Beklagten auf die Unanfechtbarkeit als einen Verstoß gegen die guten Sitten oder das Gebot von Treu und Glauben erscheinen lassen.
49 
c) Die Ausweisung war des weiteren nicht offensichtlich rechtswidrig. Eine offensichtliche Rechtswidrigkeit ist dann gegeben, wenn an dem Verstoß der streitigen Maßnahme gegen formelles oder materielles Recht vernünftigerweise kein Zweifel besteht und sich deshalb die Rechtswidrigkeit aufdrängt. Hierbei ist maßgeblich auf den Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisung abzustellen. Eine spätere Klärung der Rechtsfrage und die damit eintretende Evidenz desselben bleiben außer Betracht (BVerwG, Urt. v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 - a.a.O.; Urt. v. 17.01.2007 - 6 C 32.06 - NVwZ 2007, 709; Beschl. v. 07.07.2004 - 6 C 24/03 - BVerwGE 121, 226 <229 ff.> m.w.N.). Hier war zum damaligen Zeitpunkt in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt, dass die Verfahrensgarantien des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG auch auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige anwendbar sind. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht erst mit Urteil vom 13.09.2005 (- 1 C 7.04 - BVerwGE 124, 217) entschieden. Ebensowenig war geklärt, dass Ansprüche nach Art. 7 ARB 1/80 durch Strafhaft nicht verloren gehen. Dass auch eine längere Strafhaft die Rechte aus Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 nicht berührt, hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften erst 2004 entschieden (vgl. Urt. v. 11.11.2004 - C-467/02 - [Cetinkaya] - Slg. 2004, I-10895 = InfAuslR 2005, 13 und Urt. v. 07.07.2005 - C-373/03 [Aydinli] - Slg. 2005, I-6181 = InfAuslR 2005, 352). Es war daher nicht offensichtlich rechtswidrig, dass bei Erlass der Ausweisung eine Privilegierung des Klägers nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 verneint wurde. Die Maßstäbe für die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen des Art. 8 EMRK bei im Inland geborenen jungen Erwachsenen sind ebenfalls erst später hinreichend präzisiert worden (BVerfG, Beschl. v. 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 - a.a.O.; EGMR, Urt. v. 23.06.2008 - Nr. 1638/03 [Maslov II] - a.a.O.), so dass auch insoweit eine offensichtliche Rechtswidrigkeit zu verneinen ist.
50 
d) Der Verstoß gegen die materiellen Schutzbestimmungen der EMRK begründet nur dann einen Rücknahmeanspruch, wenn der EGMR im konkreten Fall einen Verstoß gegen die EMRK festgestellt hat (Discher in GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. Rn. 763.1; VG Freiburg, Urt. v. 01.10.2007 - 1 K 893/06 - InfAuslR 2008, 252). Liegt eine auf die konkrete Ausweisung bezogene Entscheidung des EGMR nicht vor, führt ein Verstoß gegen die EMRK nicht bereits als solcher zu einer Reduzierung des Rücknahmeermessens auf Null (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 28.06.2007 - 13 S 1045/07 - VBlBW 2008, 68; Discher, a.a.O., Rn. 763.3).
51 
e) Das Aufrechterhalten der Ausweisung ist jedoch bei Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls schlechthin unerträglich.
52 
Auf dem Gebiet des Ausländerrechts ist eine Ermessensreduzierung auf Null in Betracht zu ziehen, wenn es um eine nicht lediglich formell rechtswidrige Ausweisung eines Ausländers der zweiten Generation geht, der in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, sich rechtmäßig hier aufgehalten und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht erworben hat und bei dem die Befristung der Wirkungen der Ausweisung mangels Rückkehrrecht ohne praktische Wirkung bleibt (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 - a.a.O.). Dieser Personenkreis wird von einer Ausweisung besonders hart getroffen, was für sich genommen indes noch nicht zu einer Reduzierung des Rücknahmeermessens auf Null führen kann. Vielmehr müssen besondere Umstände des Einzelfalls hinzutreten, die die Aufrechterhaltung der Ausweisung als schlechthin unerträglich erscheinen lassen. Hierbei sind auch die aktuellen Lebensumstände des Ausländers mit in den Blick zu nehmen, soweit noch ein Ursachenzusammenhang mit der Ausweisung besteht. Ein solcher Kausalzusammenhang besteht nicht mehr, wenn einem ausgewiesenen Ausländer in seinem Herkunftsstaat zunächst die wirtschaftliche und soziale Wiedereingliederung gelingt und er später aus anderen Gründen - etwa einer schweren Wirtschaftskrise - in prekäre Lebensumstände gerät, die ihn veranlassen, seine Rückkehr nach Deutschland zu betreiben.
53 
Hier ist nach den Umständen des Einzelfalls die Aufrechterhaltung der Ausweisung schlechthin unerträglich, so dass das Rücknahmeermessen auf Null reduziert ist. Der Kläger ist ein in Deutschland geborener und aufgewachsener Ausländer der zweiten Generation, der sich durchgehend rechtmäßig in Deutschland aufgehalten, einen Schulabschluss erworben und ein Daueraufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 erlangt hat. Seine Ausweisung war nicht nur formell, sondern auch materiell rechtswidrig. Er wurde, wie oben ausgeführt wurde, unter Verstoß gegen Art. 14 ARB 1/80 und Art. 8 EMRK ausgewiesen. Entgegen der Auffassung des Beklagten wäre eine rechtsfehlerfreie Ausweisung nach den zwischenzeitlich in der Rechtsprechung entwickelten Maßstäben nicht möglich gewesen. Die Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist für den Kläger ohne jede praktische Wirkung geblieben. Sie hat er ihm nicht einmal ermöglicht, seine engsten Familienangehörigen, die inzwischen deutsche Staatsangehörige sind, hier besuchen können. Alle Anträge auf Besuchsvisa wurden abgelehnt, weil aufgrund seiner fehlenden Verwurzelung in der Türkei Zweifel an seiner Rückkehrwilligkeit bestanden. Trotz entsprechender Bemühungen ist dem Kläger in der Türkei eine Integration weder in wirtschaftlicher noch in gesellschaftlicher Hinsicht gelungen. Er hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat glaubhaft und in jeder Hinsicht überzeugend geschildert, dass er bei seinen Verwandten mütterlicherseits in sehr bescheidenen Verhältnissen ein Dasein am Rande des Existenzminimums fristet, ohne dort wirklich als gleichberechtigtes Familienmitglied aufgenommen worden zu sein, und dass es ihm auch außerhalb der Familie nicht gelungen ist, mehr als nur oberflächliche soziale Kontakte zu knüpfen. Seine engsten Bezugspersonen sind die in Deutschland lebenden Geschwister. Der Senat verkennt nicht, dass eine Vermutung dafür spricht, dass ein Ausländer nach einem zehnjährigen Aufenthalt in dem Staat seiner Staatsangehörigkeit dort gewisse, ein Privatleben begründende Bindungen aufgebaut hat, die die Aufrechterhaltung dieses Zustandes im Regelfall nicht als unerträglich erscheinen lassen. Der Kläger hat diese Vermutung mit seinen Angaben in der Berufungsverhandlung (siehe oben) indes eindrucksvoll widerlegt. Er hat glaubhaft gemacht, dass das im Vordergrund stehende Rückkehrmotiv seine durch die Trennung von seinen engsten Familienangehörigen ausgelöste emotionale Vereinsamung ist.
54 
Schließlich kann dem Kläger nicht vorgehalten werden, seine Rückkehr nach Deutschland nicht konsequent genug betrieben und andere rechtliche Möglichkeiten zur Behebung seiner unerträglichen Lage nicht ausgeschöpft zu haben. Insbesondere wäre ein Weiterbetreiben des auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 37 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 AufenthG gerichteten Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht Berlin nicht erfolgversprechend gewesen, weil es nach der insoweit sehr restriktiven Rechtsprechung des zuständigen Oberverwaltungsgerichts an einer besonderen Härte im Sinne von § 37 Abs. 2 Satz 1 AufenthG fehlt, wenn der Ausländer nicht alles ihm Mögliche und Zumutbare unternommen hat, um die aus seiner Sicht ungerechtfertigte aufenthaltsbeendende Maßnahme zu beseitigen. Als möglich und zumutbar wird dabei die Durchführung eines auf Wiederaufgreifen des Verfahrens und/oder Rücknahme gerichteten behördlichen und gerichtlichen Verfahrens angesehen (OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 30.04.2009 - 12 B 19.07 - juris). Es würde daher einen Zirkelschluss darstellen, wenn man umgekehrt im auf Rücknahme der Ausweisung gerichteten Verfahren das auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 37 AufenthG gerichtete Verfahren als vorgreiflich ansehen würde.
III.
55 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
56 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
57 
Beschluss vom 4. November 2009
58 
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
59 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
I.
25 
Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO). Gegenstand der uneingeschränkt zugelassenen Berufung ist allein der in erster Instanz mit dem Hauptantrag verfolgte Anspruch auf Rücknahme der Ausweisung, nachdem der Kläger in der Berufungsverhandlung klargestellt hat, das vor dem Verwaltungsgericht hilfsweise geltend gemachte Begehren auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht weiter zu verfolgen.
II.
26 
Die Berufung ist auch begründet. Über die zulässige Verpflichtungsklage, für die dem Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis zur Seite steht (unten 1.), ist unter Zugrundelegung der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw., soweit es um die Frage der Rechtswidrigkeit der Ausweisung geht, unter Zugrundelegung der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung zu entscheiden (unten 2.). Die Ausweisung erweist sich als rechtswidrig, so dass das Rücknahmeermessen nach § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG eröffnet ist (unten 3.). Der Kläger hat einen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme der Ausweisung, weil deren Aufrechterhaltung ihn schwer und unerträglich hart trifft und daher das Rücknahmeermessen auf Null reduziert ist (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO; unten 4.).
27 
1. Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig. Insbesondere besteht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis, weil die Ausweisung trotz der bereits 2002 erfolgten Befristung ihrer gesetzlichen Wirkungen in Bezug auf das Recht des Klägers, in das Bundesgebiet einzureisen und sich darin aufzuhalten, weiterhin belastende Regelungswirkungen entfaltet. Wird sie rückwirkend aufgehoben, lebt die Rechtsstellung des Klägers aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 wieder auf und ihm ist auf entsprechenden Antrag eine Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 5 AufenthG auszustellen. Der Vater des Klägers hat dem regulären Arbeitsmarkt angehört. Der in Deutschland geborene Kläger, der bis zum 30.08.1997 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis war, deren Verlängerung er rechtzeitig beantragt hatte, hat mit seinem Vater mehr als fünf Jahre in häuslicher Gemeinschaft gelebt, so dass die Voraussetzungen des Art. 7 Satz 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80 erfüllt sind (vgl. zur Geltung des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 entsprechend für ein Kind, das im Mitgliedstaat geboren ist und stets dort gewohnt hat: EuGH, Urt. v. 11.11.2004 - C-467/02 - [Cetinkaya] - Slg. 2004, I-10895 = InfAuslR 2005, 13). Seine Volljährigkeit im Zeitpunkt der Ausweisung änderte an der unmittelbar aus dem ARB 1/80 folgenden Rechtsposition ebenso wenig etwas, wie die ab 23.07.1998 erfolgte Verbüßung von Strafhaft (zu diesen Einzelheiten des Aufenthaltsrechts nach Art. 7 ARB 1/80 vgl. EuGH, Urt. v. 07.07.2005 - C-373/03 [Aydinli] - Slg. 2005, I-6181 = InfAuslR 2005, 352; ferner EuGH, Urt. v. 16.01.2006 - C-502/04 [Torun] - Slg. 2006, I-1563 = InfAuslR 2006, 209). Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 vermittelt im Ergebnis ein Daueraufenthaltsrecht, da die Rechtsposition nach dieser Vorschrift nach der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften nur unter zwei Voraussetzungen beschränkt werden darf: Entweder stellt die Anwesenheit des Assoziationsberechtigten im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates wegen seines persönlichen Verhaltens eine tatsächliche und schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit im Sinne von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 dar, oder der Betroffene hat das Hoheitsgebiet dieses Staates für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen (vgl. EuGH, Urt. v. 16.03.2000 - C-329/97 [Ergat] - Slg. 2000, I-1487 Rn. 45, 46 und 48 und Urt. v. 18.12.2008 - C-337/07 [Altun] - NVwZ 2009, 235 Rn. 62). Dabei ist grundsätzlich vom abschließenden Charakter der beiden genannten Verlustgründe auszugehen (BVerwG, Urt. v. 09.08.2007 - 1 C 47.06 - BVerwGE 129, 162 Rn. 15 und Urt. v. 30.04.2009 - 1 C 6.08 - NVwZ 2009, 1162 Rn. 24). Daraus folgt, dass ein gemäß Art. 7 ARB 1/80 assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger sein Aufenthaltsrecht nicht allein deshalb verlieren kann, weil er wegen der Verurteilung zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe keine Beschäftigung ausgeübt hat und dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stand; denn die Rechtsstellung der in Art. 7 ARB 1/80 genannten Familienangehörigen hängt nicht von der Ausübung einer Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ab (EuGH, Urt. v. 25.09.2008 - C-453/07 [Er] - NVwZ 2008, 1337 Rn. 31 f.; BVerwG, Urt. v. 30.04.2009 - 1 C 6.08 - a.a.O.). Hier ist die Rechtsstellung durch das Verlassen des Bundesgebiets und den mittlerweile zehnjährigen Aufenthalt des Klägers in der Türkei nicht erloschen, weil er nicht freiwillig aus einem berechtigten Grund ausgereist ist, sondern aufgrund einer nicht vom Vorbehalt nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 gedeckten rechtswidrigen Ausweisung (siehe unten 3. c)) gegen seinen Willen abgeschoben wurde und nach Absolvierung des Militärdienstes kontinuierlich von allen rechtlich in Betracht kommenden Möglichkeiten zur Wiedererlangung seines Aufenthaltsrechts Gebrauch gemacht hat. Er hat konsequent seine Rückkehr nach Deutschland betrieben und zu keinem Zeitpunkt zu erkennen gegeben, dauerhaft in der Türkei bleiben zu wollen.
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2. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage des mit der Verpflichtungsklage geltend gemachten Anspruchs auf Rücknahme einer bestandskräftigen Ausweisungsverfügung ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. - wenn die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergeht - der Zeitpunkt, in dem die Entscheidung gefällt wird (BVerwG, Urteil v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367 = InfAuslR 2008, 116 = NVwZ 2008, 326 = EZAR NF 48 Nr. 9). Abweichend hiervon kommt es für die im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG entscheidungserhebliche Frage der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der bestandskräftig gewordenen Ausweisung auf den Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung an (siehe unten 3. b)).
29 
3. a) Die Rücknahme einer Ausweisung gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG ist neben der Befristung ihrer gesetzlichen Wirkungen gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 bis 6 AufenthG bzw. § 7 Abs. 2 Satz 2 und 3 FreizügG/EU möglich; denn die Rechtsgrundlagen von Rücknahme und Befristung unterscheiden sich sowohl in den Voraussetzungen als auch in den Rechtsfolgen (BVerwG, Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 - BVerwGE 110, 140 <143>; Senatsurteil vom 19.12.2008 - 11 S 1453/07 - VBlBW 2009, 274).
30 
b) Die Rücknahmevoraussetzung der Rechtswidrigkeit i.S.d. § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG ist grundsätzlich dann gegeben, wenn der Verwaltungsakt, um dessen Aufhebung gestritten wird, zum Zeitpunkt seines Erlasses einer Rechtsgrundlage entbehrte (BVerwG, Urt. v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367 = InfAuslR 2008, 116 = NVwZ 2008, 326 = EZAR NF 48 Nr. 9; Beschl. v. 07.07.2004 - 6 C 24.03 - BVerwGE 121, 226 <229> m.w.N.; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 24.01.2007 – 13 S 451/06 - InfAuslR 2007, 182 = EZAR NF 93 Nr. 3). Da der Kläger die Ausweisung nicht angefochten hatte, steht § 121 VwGO ihrer gerichtlichen Inzidentprüfung im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG nicht entgegen (vgl. dazu Senatsurteil vom 30.04.2008 - 11 S 759/06 - VBlBW 2009, 32).
31 
c) Die Ausweisung war zum Zeitpunkt ihres Erlasses sowohl formell als auch materiell rechtswidrig.
32 
aa) In formeller Hinsicht wurde die Verfahrensvorschrift des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG nicht beachtet. Diese Vorschrift ist vorliegend anzuwenden, da die Richtlinie 64/221/EWG durch die Richtlinie 2004/38/EG erst mit Wirkung vom 30.04.2006 (vgl. Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG) aufgehoben wurde. Die formelle Rechtmäßigkeit von Verfügungen gegen den von Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG erfassten Personenkreis ist nach dem Grundsatz des intertemporalen Verwaltungsverfahrensrechts, dass neues Verfahrensrecht auf abgeschlossene Verwaltungsverfahren keine Anwendung findet, nach der Rechtslage zur Zeit der letzten Behördenentscheidung zu prüfen (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 18.10.2006 – 13 S 192/06 – InfAuslR 2007, 49 = EZAR NF 19 Nr. 18).
33 
In Ausweisungsverfahren gegen Unionsbürger und assoziationsrechtlich privilegierte türkische Staatsangehörige wurde - außer in dringenden Fällen - Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG verletzt, wenn weder ein Widerspruchsverfahren stattfand noch sonst eine zweite zuständige Stelle im Sinne der Richtlinie im Verwaltungsverfahren eingeschaltet wurde (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.09.2005 – 1 C 7.04 – BVerwGE 124, 217 = InfAuslR 2006, 110 = NVwZ 2006, 472 = EZAR NF 40 Nr. 1). Die zweite Stelle musste dabei, wie sich aus der Rechtssprechung des EuGH ergibt, eine andere sein als diejenige, welche für die Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet zuständig ist (EuGH, Urt. v. 29.04.2004 – Rs. C-482/01 und C-493/01 [Orfanopoulos und Oliveri] – Slg. 2004, I-5257 = InfAuslR 2004, 268 = NVwZ 2004, 1099 = EZAR 810 Nr. 14; Senatsurteil vom 19.12.2008 - 11 S 1453/07 - a.a.O.). Daran hat es hier gefehlt, weil die Ausweisung vom Regierungspräsidium Freiburg ohne Einschaltung einer zweiten zuständigen Stelle verfügt wurde, so dass das in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG verankerte Vier-Augen-Prinzip nicht gewahrt war.
34 
Es lag auch kein dringender Fall vor, der die Einschaltung einer zweiten unabhängigen Stelle entbehrlich gemacht hätte. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 13.09.2005 - 1 C 7.04 -, a.a.O.) ist das Merkmal der Dringlichkeit als Ausnahme vom Grundsatz der Freizügigkeit „besonders eng auszulegen“; ein dringender Fall kann erst dann angenommen werden, wenn ein Zuwarten mit der Vollziehung der Ausweisung nicht zu verantworten ist, etwa weil die begründete Besorgnis besteht, die von dem Ausländer ausgehende erhebliche Gefahr werde sich schon vor Abschluss des „Hauptverfahrens“ realisieren. Die Verzögerung durch Einschaltung einer zweiten Behörde ist dann nicht hinnehmbar. Daher genügt für die Annahme eines dringenden Falles nicht, dass die Ausländerbehörde die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet hat. Vielmehr muss (vergleichbar den Anforderungen aus § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO für die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Ausweisung nach den Maßstäben der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts) ein besonderes öffentliches Interesse daran festgestellt werden, das „Hauptverfahren“ nicht abzuwarten, sondern die Ausweisung sofort zu vollziehen, um damit einer „weiteren, unmittelbar drohenden erheblichen Gefährdung“ der öffentlichen Ordnung durch den Ausländer zu begegnen. Daran gemessen lag kein dringender Fall vor. Der Kläger befand sich zum Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung in Haft, aus der heraus er später in die Türkei abgeschoben wurde. Zudem hatte die Ausländerbehörde nicht einmal - was im Übrigen nicht genügen würde - die sofortige Vollziehung angeordnet.
35 
bb) Materiell stand die Ausweisung nicht mit Art. 14 ARB 1/80 in Einklang. Da die in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehene Ausnahme der öffentlichen Ordnung ebenso auszulegen ist wie die gleiche Ausnahme im Bereich der Freizügigkeit von Unionsbürgern (EuGH, Urt. v. 20.02.2000 - C-340/97 [Nazli] - Slg. 2000, I-957 = InfAuslR 2000, 161; Urt. v. 11.11.2004 - C-467/02 [Cetinkaya] - Slg 2004, I-10895 = InfAuslR 2005, 13), durfte der Kläger als assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger nur ausgewiesen werden, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorlag, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. zu diesem Maßstab EuGH, Urt. v. 28.10.1975 - 36/75 [Rutili] - Slg. 1975, 1219 = DÖV 1976, 129; Urt. v. 18.05.1989 - 249/86 [Kommission/Deutschland] - Slg. 1989, 1263; Urt. v. 19.01.1999 - C-348/96 [Calfa] - Slg 1999, I-11 = InfAuslR 1999, 165), wobei eine strafrechtliche Verurteilung nur insoweit eine Ausweisung rechtfertigen kann, als die ihr zugrundeliegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefahr der öffentlichen Ordnung darstellt (z.B. EuGH, Urt. v. 20.02.2000 - C-340/97 [Nazli] - a.a.O.). Die Frage, ob die Begehung einer Straftat ein persönliches Verhalten erkennen lässt, das ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, lässt sich nur aufgrund der Umstände des Einzelfalls beurteilen. Das Erfordernis einer gegenwärtigen Gefährdung der öffentlichen Ordnung besagt nicht, dass eine "gegenwärtige Gefahr" im Sinne des deutschen Polizeirechts vorliegen müsste, die voraussetzt, dass der Eintritt des Schadens sofort und nahezu mit Gewissheit zu erwarten ist. Es verlangt vielmehr eine hinreichende - unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit nach dem Ausmaß des möglichen Schadens und dem Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts differenzierende - Wahrscheinlichkeit, dass der Ausländer künftig die öffentliche Ordnung beeinträchtigen wird. Für die Beantwortung der Frage, ob dies der Fall ist, sind insbesondere die einschlägigen strafrichterlichen Entscheidungen heranzuziehen, soweit sie für die Prüfung der Wiederholungsgefahr bedeutsam sind. Zu prüfen ist auch, ob eine Verbüßung der Strafe erwarten lässt, dass der Assoziationsberechtigte künftig keine die öffentliche Ordnung gefährdenden Straftaten mehr begehen wird (vgl. zu alledem BVerwG, Urt. v. 03.08.2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 = InfAuslR 2005, 18 m.w.N.). Dabei können und müssen das Maß der Einsicht in das begangene Unrecht und die Aufarbeitung der Tat in die vorzunehmende Prognoseentscheidung einfließen. Bei der Entscheidung ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren (EuGH vom 29.04.2004 - C-482/01 u. C-493/01 [Orfanopoulos und Oliveri] - Slg. 2004, I-5257 = InfAuslR 2004, 268 = NVwZ 2004, 1099 = EZAR 810 Nr. 14), der eine Einzelfallwürdigung insbesondere auch der durch Art. 8 EMRK geschützten Rechtspositionen verlangt.
36 
Dieser Maßstab wird hier durch Art. 28 RL 2004/38/EG ungeachtet der offenen Frage, ob diese Vorschrift auf assoziationsberechtigte Türken anwendbar ist (vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., Vorlagebeschluss vom 22.07.2008 - 13 S 1917/07 - InfAuslR 2008, 439; BVerwG, Vorlagebeschluss vom 25.08.2009 - 1 C 25.08 -), schon deshalb nicht modifiziert, weil die Ausweisung, um deren Rücknahme es geht, vor dem 01.05.2006 bestandskräftig wurde und daher das erhöhte Schutzniveau des Art. 28 Abs. 2 und 3 RL 2004/38/EG hier nicht zu beachten ist. Die erhöhten Anforderungen nach dieser Vorschrift sind nur bei Ausweisungen zu beachten, bei denen der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage nach dem 30.04.2006 liegt (vgl. EuGH, Urt. v. 04.10.2007 – C-349/06 [Polat] – Slg. 2007, I-08167 Rdn. 26 f. = InfAuslR 2007, 425 = NVwZ 2008, 59 = EZAR NF 19 Nr. 22; BVerwG, Urt. v. 03.12.2008 - 1 C 35.07 - NVwZ 2009, 326).
37 
Vorliegend war Anlass der Ausweisung die Verurteilung des Klägers zu einer Jugendstrafe wegen Hausfriedensbruchs in zwei Fällen und versuchten Diebstahls. Bei diesen Straftaten handelt es sich wie bei den vorangegangenen Verurteilungen um Fälle der mittleren Kriminalität, die sämtlich nach Jugendstrafrecht abgeurteilt worden sind. Nach der Rechtsprechung des Senats liegt bei den in Frage stehenden Delikten eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vor, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, wenn diese Delikte - insbesondere Diebstahl und Hehlerei - gehäuft auftreten und gewerbsmäßig begangen werden oder sonstige erschwerende Umstände vorliegen (Senatsurteile vom 10.09.2003 - 11 S 973/03 - EzAR 037 Nr. 8 und vom 23.07.2008 - 11 S 2889/07 - InfAuslR 2008, 429). Daran gemessen lag hier eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, nicht vor. Eine Häufung von der Beschaffungskriminalität zuzuordnenden Delikten vermag der Senat entgegen der Auffassung des Beklagten nicht festzustellen. Zwischen der letzten Tat und der zuvor begangenen lag ein - gemessen am damaligen Alter des Klägers - relativ langer straffreier Zeitraum von über drei Jahren. Bei den mit Urteilen vom 22.06.1994 und vom 08.03.1995 abgeurteilten Straftaten handelte es sich zudem um jugendtypische Verfehlungen, die nicht eindeutig mit dem Drogenkonsum des Klägers in Verbindung standen, da eine Drogenabhängigkeit nach den strafgerichtlichen Feststellungen zweifelsfrei erst ab 1997 vorlag. Insgesamt handelte es sich um Fälle des einfachen Diebstahls und der einfachen Hehlerei, die Schadenssummen waren nicht besonders hoch (vgl. zu diesem Aspekt BVerwG, Urt. v. 02.09.2009 - 1 C 2.09 - juris) und der Kläger war nicht derart gehäuft straffällig geworden, dass aus diesem Grund eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung hätte angenommen werden können. Zwar war mit Blick auf die damals unbewältigte Drogenproblematik eine gewisse Wiederholungsgefahr in Bezug auf die Begehung weiterer Eigentums- und/oder Vermögensdelikte nicht von der Hand zu weisen, doch war diese nicht derart hoch, dass die konkrete Gefahr weiterer schwerer Störungen der öffentlichen Ordnung hätte prognostiziert werden können.
38 
cc) War die Ausweisung bereits gemessen an Art. 14 ARB 1/80 materiell rechtswidrig, so gilt dies erst recht, wenn man Art. 8 EMRK mit in den Blick nimmt.
39 
(1) Die Ausweisung griff nicht nur in den Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens, sondern auch in den Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK ein. Bei Beziehungen zwischen nahen Verwandten außerhalb der klassischen Kleinfamilie kommt es darauf an, ob die tatsächlich bestehenden Bindungen hinreichend für die Annahme einer familiären Beziehung sind. Beziehungen zwischen Erwachsenen unterliegen nicht notwendig dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung des Familienlebens. Es müssen besondere zusätzliche Aspekte der Abhängigkeit hinzutreten, die weiter reichen als normale affektive Beziehungen (EGMR, Urt. v. 17.04.2003 - Nr. 52853/99 [Yilmaz] - NJW 2004, 2147 Rn. 44 m.w.N.; Urt. v. 15.07.2003 - Nr. 52206/99 [Mokrani] - InfAuslR 2004, 183; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Aufl., § 22 Rn. 18 m.w.N.). Art. 8 EMRK vermittelt insoweit grundsätzlich keinen weitergehenden Schutz als Art. 6 GG bei familiären Beziehungen unter Volljährigen. Bei jungen Erwachsenen, die nach Erreichen der Volljährigkeit weiterhin mit ihren Eltern in häuslicher Gemeinschaft leben, geht der EGMR allerdings davon aus, dass auch ihre Beziehung zu den Eltern und anderen nahen Familienmitgliedern Familienleben darstellt und aufenthaltsbeendende Maßnahmen daher auch in das Recht auf Achtung des Familienlebens eingreifen (Urt. v. 23.06.2008 - Nr. 1638/03 [Maslov II] - InfAuslR 2008, 333). Hier hat der Kläger bis zu seiner Inhaftierung mit seinem Vater und den älteren Geschwistern in häuslicher Gemeinschaft gelebt.
40 
(2) Das ebenfalls betroffene Recht auf Achtung des Privatlebens umfasst die Summe der persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind (vgl. EGMR, Urt. v. 09.10.2003 - 48321/99 [Slivenko] - EuGRZ 2006, 560 <561> Rn. 96) und denen angesichts der zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zukommt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.05.2007 – 2 BvR 304/07 – BVerfGK 11, 153 = InfAuslR 2007, 275 m.w.N.; Hoppe, ZAR 2006, 125 <130>). Die Gesamtheit der sozialen Beziehungen und der Gemeinschaft bildet einen Teil des Privatlebens i.S.v. Art. 8 EMRK.
41 
(3) Der Eingriff in die Rechte des Klägers aus Art. 8 Abs. 1 EMRK war unverhältnismäßig.
42 
Ein Eingriff in die Rechte aus Art. 8 Abs. 1 EMRK muss gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK eine in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahme darstellen, die durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und mit Blick auf das verfolgte legitime Ziel auch im engeren Sinne verhältnismäßig ist (vgl. EGMR, Urt. v. 18.02.1991 - 31/1989/191/291 [Moustaquim] - EuGRZ 1993, 552 <554>; BVerfG, Beschl. v. 10.05.2007 – 2 BvR 304/07 - BVerfGK 11, 153 = InfAuslR 2007, 275; BVerwG, Urt. v. 09.12.1997 - 1 C 19.96 - BVerwGE 106, 13 <21> m.w.N.). Dabei ist die Befristung der Ausweisungswirkungen nur eines von mehreren Kriterien im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.05.2007 – 2 BvR 304/07 - a.a.O.; EGMR, Urteil vom 22.03.2007 - 1638/03 [Maslov I] - InfAuslR 2007, 221). Vorrangig ist im Hinblick auf die konkreten Umstände des Einzelfalls zu prüfen, ob die Ausweisung überhaupt - unabhängig von einer Befristung - dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entspricht (BVerfG, Beschl. v. 10.05.2007 – 2 BvR 304/07 - a.a.O.). Dies gilt umso mehr, wenn die Ausweisung ein Daueraufenthaltsrecht vernichtet und - wie hier - dem Kläger auch bei einer Befristung der Wirkungen der Ausweisung eine dauerhafte Rückkehr versagt bleibt. Erforderlich ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Beachtung der vom EGMR entwickelten Kriterien, die im Wesentlichen in den Entscheidungen Boultif und Üner zusammengefasst worden sind (EGMR, Urt. v. 02.08.2001 - Nr. 54273/00 [Boultif] - InfAuslR 2001, 476; Urt. v. 05.07.2005 - Nr. 46410/99 [Üner] - InfAuslR 2005, 450 = DVBl 2006, 688). Dabei kommt es zunächst auf den jeweiligen Grad der „Verwurzelung“ an; je stärker der Betroffene im Aufenthaltsstaat integriert ist, desto schwerer müssen die öffentlichen Interessen wiegen. Weiter ist auf den Grad der „Entwurzelung“ abzustellen, d. h. auf die Möglichkeit und Zumutbarkeit der Reintegration im Herkunftsstaat, insbesondere aufgrund der Vertrautheit mit den dortigen Verhältnissen und den dort lebenden und aufnahmebereiten Verwandten. Schließlich können im Rahmen der Schrankenprüfung sonstige Faktoren Berücksichtigung finden, etwa ob der Aufenthalt des Betroffenen zumindest vorübergehend legal war und damit - i.S. einer „Handreichung des Staates“ - schutzwürdiges Vertrauen auf ein Hierbleibendürfen entwickelt werden konnte.
43 
Daran gemessen war die Ausweisung hier unverhältnismäßig. Bis zu seiner Abschiebung im Jahre 1999 verbrachte der Kläger sein gesamtes Leben in der Deutschland, er besuchte hier die Schule, erreichte den Hauptschulabschluss und verfügte über ein Daueraufenthaltsrecht. Sein gesamtes soziales Umfeld befand sich ebenfalls in Deutschland. Nähere Beziehungen zur Türkei, die über die eines Urlaubslandes hinausgingen, hatte er nicht. Die türkische Sprache beherrschte er kaum, da in seiner Familie deutsch und kurdisch gesprochen wurde. Auch wenn die Familienverhältnisse zerrüttet waren, so lebten die nächsten Familienangehörigen - neben seinem Vater auch seine Geschwister und Halbgeschwister - ebenfalls im Bundesgebiet und hatten - wie er - ein assoziationsrechtliches, verfestigtes Aufenthaltsrecht. Demnach war bei dem Kläger von einer weitreichenden „Verwurzelung“ einerseits und von einer vollständigen „Entwurzelung“ andererseits auszugehen.
44 
Bei Art und Schwere der der Ausweisung zugrunde liegenden Straftaten war zu berücksichtigen, dass der Kläger ausschließlich nach Jugendstrafrecht, zuletzt als Heranwachsender, verurteilt worden war (vgl. EGMR, Urt. v. 17.04.2003 - Nr. 52853/99 [Yilmaz] - NJW 2004, 2147 und Urt. v. 23.06.2008 - Nr. 1638/03 [Maslov II] - InfAuslR 2008, 333). Von Bedeutung ist auch, dass er nicht wegen Verbrechen, nicht wegen Betäubungsmitteldelikten und nicht wegen Gewaltdelikten verurteilt wurde (vgl. EGMR, Urt. v. 23.06.2008 - Nr. 1638/03 [Maslov II] - a.a.O.). Mit Blick darauf, dass der im Bundesgebiet geborene und aufgewachsene Kläger die für sein Familien- und Privatleben nach Art. 8 EMRK konstitutiven Bindungen und sein Daueraufenthaltsrecht unwiederbringlich verlor, war seine Ausweisung nicht gerechtfertigt. Den für eine Ausweisung sprechenden Gründe kam, selbst wenn man mit dem Beklagten von einer gewissen Wiederholungsgefahr ausgehen wollte, kein überragendes Gewicht zu (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 - a.a.O.; EGMR, Urt. v. 23.06.2008 - Nr. 1638/03 [Maslov II] - a.a.O.).
45 
4. Der Kläger hat einen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme der Ausweisung, weil deren Aufrechterhaltung ihn schwer und unerträglich hart trifft und daher das Rücknahmeermessen auf Null reduziert ist.
46 
Im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG besteht im Hinblick auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit einerseits und das der Rechtssicherheit andererseits nur ausnahmsweise ein Rücknahmeanspruch; die Aufrechterhaltung des Bescheides muss dann „schlechthin unerträglich“ sein. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Behörde durch unterschiedliche Ausübung der Rücknahmebefugnis in gleichen oder ähnlich gelagerten Fällen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt oder wenn Umstände gegeben sind, die die Berufung der Behörde auf die Unanfechtbarkeit als einen Verstoß gegen die guten Sitten oder das Gebot von Treu und Glauben erscheinen lassen. Darüber hinaus vermag die offensichtliche Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts, die sich zum Zeitpunkt des Erlasses beurteilt, die Annahme zu rechtfertigen, seine Aufrechterhaltung sei schlechthin unerträglich (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 - a.a.O. m.w.N.; Discher in GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. AufenthG Rn. 1773.7 m.w.N.). Auch außerhalb dieser Fallgruppen kommt eine Ermessensreduzierung auf Null in Betracht, wenn ein Aufrechterhalten des Verwaltungsakts schlechthin unerträglich ist (BVerwG, Urt. v. 30.01.1974 - VIII C 20.72 - BVerwGE 44, 333 <336>; BVerwG, Beschl. v. 22.10.1984 - 8 B 56.84 - NVwZ 1985, 265; BVerwG, Urt. v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 - a.a.O.; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 31.01.1989 - 9 S 1141/88 - NVwZ 1989, 882; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 48 Rn. 79; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 48 Rn. 85).
47 
a) Anhaltspunkte für eine gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoßende unterschiedliche Ausübung der Rücknahmebefugnis sind nicht ersichtlich. Der Vertreter des Beklagten hat in der Berufungsverhandlung dargelegt, dass in den übrigen vom Regierungspräsidium Freiburg in den vergangenen Jahren entschiedenen Fällen jeweils § 121 VwGO dem geltend gemachten Rücknahmeanspruch entgegenstand und dass es sich bei dem vorliegenden Fall um den einzigen handelt, bei dem es um eine ohne gerichtliche Überprüfung bestandskräftig gewordene Ausweisungsverfügung geht. Eine Verwaltungspraxis, an die der Beklagte über Art. 3 Abs. 1 GG gebunden wäre, existiert somit nicht.
48 
b) Es sind auch keine Umstände erkennbar, die die Berufung des Beklagten auf die Unanfechtbarkeit als einen Verstoß gegen die guten Sitten oder das Gebot von Treu und Glauben erscheinen lassen.
49 
c) Die Ausweisung war des weiteren nicht offensichtlich rechtswidrig. Eine offensichtliche Rechtswidrigkeit ist dann gegeben, wenn an dem Verstoß der streitigen Maßnahme gegen formelles oder materielles Recht vernünftigerweise kein Zweifel besteht und sich deshalb die Rechtswidrigkeit aufdrängt. Hierbei ist maßgeblich auf den Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisung abzustellen. Eine spätere Klärung der Rechtsfrage und die damit eintretende Evidenz desselben bleiben außer Betracht (BVerwG, Urt. v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 - a.a.O.; Urt. v. 17.01.2007 - 6 C 32.06 - NVwZ 2007, 709; Beschl. v. 07.07.2004 - 6 C 24/03 - BVerwGE 121, 226 <229 ff.> m.w.N.). Hier war zum damaligen Zeitpunkt in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt, dass die Verfahrensgarantien des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG auch auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige anwendbar sind. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht erst mit Urteil vom 13.09.2005 (- 1 C 7.04 - BVerwGE 124, 217) entschieden. Ebensowenig war geklärt, dass Ansprüche nach Art. 7 ARB 1/80 durch Strafhaft nicht verloren gehen. Dass auch eine längere Strafhaft die Rechte aus Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 nicht berührt, hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften erst 2004 entschieden (vgl. Urt. v. 11.11.2004 - C-467/02 - [Cetinkaya] - Slg. 2004, I-10895 = InfAuslR 2005, 13 und Urt. v. 07.07.2005 - C-373/03 [Aydinli] - Slg. 2005, I-6181 = InfAuslR 2005, 352). Es war daher nicht offensichtlich rechtswidrig, dass bei Erlass der Ausweisung eine Privilegierung des Klägers nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 verneint wurde. Die Maßstäbe für die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen des Art. 8 EMRK bei im Inland geborenen jungen Erwachsenen sind ebenfalls erst später hinreichend präzisiert worden (BVerfG, Beschl. v. 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 - a.a.O.; EGMR, Urt. v. 23.06.2008 - Nr. 1638/03 [Maslov II] - a.a.O.), so dass auch insoweit eine offensichtliche Rechtswidrigkeit zu verneinen ist.
50 
d) Der Verstoß gegen die materiellen Schutzbestimmungen der EMRK begründet nur dann einen Rücknahmeanspruch, wenn der EGMR im konkreten Fall einen Verstoß gegen die EMRK festgestellt hat (Discher in GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. Rn. 763.1; VG Freiburg, Urt. v. 01.10.2007 - 1 K 893/06 - InfAuslR 2008, 252). Liegt eine auf die konkrete Ausweisung bezogene Entscheidung des EGMR nicht vor, führt ein Verstoß gegen die EMRK nicht bereits als solcher zu einer Reduzierung des Rücknahmeermessens auf Null (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 28.06.2007 - 13 S 1045/07 - VBlBW 2008, 68; Discher, a.a.O., Rn. 763.3).
51 
e) Das Aufrechterhalten der Ausweisung ist jedoch bei Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls schlechthin unerträglich.
52 
Auf dem Gebiet des Ausländerrechts ist eine Ermessensreduzierung auf Null in Betracht zu ziehen, wenn es um eine nicht lediglich formell rechtswidrige Ausweisung eines Ausländers der zweiten Generation geht, der in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, sich rechtmäßig hier aufgehalten und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht erworben hat und bei dem die Befristung der Wirkungen der Ausweisung mangels Rückkehrrecht ohne praktische Wirkung bleibt (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 - a.a.O.). Dieser Personenkreis wird von einer Ausweisung besonders hart getroffen, was für sich genommen indes noch nicht zu einer Reduzierung des Rücknahmeermessens auf Null führen kann. Vielmehr müssen besondere Umstände des Einzelfalls hinzutreten, die die Aufrechterhaltung der Ausweisung als schlechthin unerträglich erscheinen lassen. Hierbei sind auch die aktuellen Lebensumstände des Ausländers mit in den Blick zu nehmen, soweit noch ein Ursachenzusammenhang mit der Ausweisung besteht. Ein solcher Kausalzusammenhang besteht nicht mehr, wenn einem ausgewiesenen Ausländer in seinem Herkunftsstaat zunächst die wirtschaftliche und soziale Wiedereingliederung gelingt und er später aus anderen Gründen - etwa einer schweren Wirtschaftskrise - in prekäre Lebensumstände gerät, die ihn veranlassen, seine Rückkehr nach Deutschland zu betreiben.
53 
Hier ist nach den Umständen des Einzelfalls die Aufrechterhaltung der Ausweisung schlechthin unerträglich, so dass das Rücknahmeermessen auf Null reduziert ist. Der Kläger ist ein in Deutschland geborener und aufgewachsener Ausländer der zweiten Generation, der sich durchgehend rechtmäßig in Deutschland aufgehalten, einen Schulabschluss erworben und ein Daueraufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 erlangt hat. Seine Ausweisung war nicht nur formell, sondern auch materiell rechtswidrig. Er wurde, wie oben ausgeführt wurde, unter Verstoß gegen Art. 14 ARB 1/80 und Art. 8 EMRK ausgewiesen. Entgegen der Auffassung des Beklagten wäre eine rechtsfehlerfreie Ausweisung nach den zwischenzeitlich in der Rechtsprechung entwickelten Maßstäben nicht möglich gewesen. Die Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist für den Kläger ohne jede praktische Wirkung geblieben. Sie hat er ihm nicht einmal ermöglicht, seine engsten Familienangehörigen, die inzwischen deutsche Staatsangehörige sind, hier besuchen können. Alle Anträge auf Besuchsvisa wurden abgelehnt, weil aufgrund seiner fehlenden Verwurzelung in der Türkei Zweifel an seiner Rückkehrwilligkeit bestanden. Trotz entsprechender Bemühungen ist dem Kläger in der Türkei eine Integration weder in wirtschaftlicher noch in gesellschaftlicher Hinsicht gelungen. Er hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat glaubhaft und in jeder Hinsicht überzeugend geschildert, dass er bei seinen Verwandten mütterlicherseits in sehr bescheidenen Verhältnissen ein Dasein am Rande des Existenzminimums fristet, ohne dort wirklich als gleichberechtigtes Familienmitglied aufgenommen worden zu sein, und dass es ihm auch außerhalb der Familie nicht gelungen ist, mehr als nur oberflächliche soziale Kontakte zu knüpfen. Seine engsten Bezugspersonen sind die in Deutschland lebenden Geschwister. Der Senat verkennt nicht, dass eine Vermutung dafür spricht, dass ein Ausländer nach einem zehnjährigen Aufenthalt in dem Staat seiner Staatsangehörigkeit dort gewisse, ein Privatleben begründende Bindungen aufgebaut hat, die die Aufrechterhaltung dieses Zustandes im Regelfall nicht als unerträglich erscheinen lassen. Der Kläger hat diese Vermutung mit seinen Angaben in der Berufungsverhandlung (siehe oben) indes eindrucksvoll widerlegt. Er hat glaubhaft gemacht, dass das im Vordergrund stehende Rückkehrmotiv seine durch die Trennung von seinen engsten Familienangehörigen ausgelöste emotionale Vereinsamung ist.
54 
Schließlich kann dem Kläger nicht vorgehalten werden, seine Rückkehr nach Deutschland nicht konsequent genug betrieben und andere rechtliche Möglichkeiten zur Behebung seiner unerträglichen Lage nicht ausgeschöpft zu haben. Insbesondere wäre ein Weiterbetreiben des auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 37 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 AufenthG gerichteten Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht Berlin nicht erfolgversprechend gewesen, weil es nach der insoweit sehr restriktiven Rechtsprechung des zuständigen Oberverwaltungsgerichts an einer besonderen Härte im Sinne von § 37 Abs. 2 Satz 1 AufenthG fehlt, wenn der Ausländer nicht alles ihm Mögliche und Zumutbare unternommen hat, um die aus seiner Sicht ungerechtfertigte aufenthaltsbeendende Maßnahme zu beseitigen. Als möglich und zumutbar wird dabei die Durchführung eines auf Wiederaufgreifen des Verfahrens und/oder Rücknahme gerichteten behördlichen und gerichtlichen Verfahrens angesehen (OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 30.04.2009 - 12 B 19.07 - juris). Es würde daher einen Zirkelschluss darstellen, wenn man umgekehrt im auf Rücknahme der Ausweisung gerichteten Verfahren das auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 37 AufenthG gerichtete Verfahren als vorgreiflich ansehen würde.
III.
55 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
56 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
57 
Beschluss vom 4. November 2009
58 
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
59 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 04. Nov. 2009 - 11 S 2472/08

Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 04. Nov. 2009 - 11 S 2472/08

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 80


(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a). (2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur 1. bei der
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 04. Nov. 2009 - 11 S 2472/08 zitiert 19 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 3


(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (3) Ni

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 132


(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulas

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 152


(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochte

Gesetz


Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 63 Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren


(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anh

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 11 Einreise- und Aufenthaltsverbot


(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen n

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 6


(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. (2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinsc

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 8


(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. (2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 4 Erfordernis eines Aufenthaltstitels


(1) Ausländer bedürfen für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, sofern nicht durch Recht der Europäischen Union oder durch Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt ist oder auf Grund des Abkommens vom 12. September

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 121


Rechtskräftige Urteile binden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist,1.die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger und2.im Fall des § 65 Abs. 3 die Personen, die einen Antrag auf Beiladung nicht oder nicht fristgemäß gestellt haben.

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 37 Recht auf Wiederkehr


(1) Einem Ausländer, der als Minderjähriger rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte, ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn 1. der Ausländer sich vor seiner Ausreise acht Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten u

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 27 Voraussetzungen


Kann nach Erschöpfung der Ermittlungsmöglichkeiten nicht mit Sicherheit beurteilt werden, ob in der Straftat eines Jugendlichen schädliche Neigungen von einem Umfang hervorgetreten sind, daß eine Jugendstrafe erforderlich ist, so kann der Richter die

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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 04. Nov. 2009 - 11 S 2472/08 zitiert oder wird zitiert von 6 Urteil(en).

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 04. Nov. 2009 - 11 S 2472/08 zitiert 4 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 23. Juli 2008 - 11 S 2889/07

bei uns veröffentlicht am 23.07.2008

Tenor Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karls-ruhe vom 16. April 2007 - 3 K 2117/06 - geändert. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 26. Juli 2006 verpf

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 30. Apr. 2008 - 11 S 759/06

bei uns veröffentlicht am 30.04.2008

Tenor Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 2. Februar 2006 - 6 K 524/05 - wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die R

Verwaltungsgericht Freiburg Urteil, 01. Okt. 2007 - 1 K 893/06

bei uns veröffentlicht am 01.10.2007

Tenor Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Kläger die auf Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichtete Klage zurückgenommen hat.

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 24. Jan. 2007 - 13 S 451/06

bei uns veröffentlicht am 24.01.2007

Tenor Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12. Oktober 2005 - 6 K 3901/04 - abgeändert; der Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29. September 2004 wird aufgehoben und der Beklagte wird verpfl
2 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 04. Nov. 2009 - 11 S 2472/08.

Verwaltungsgericht Bayreuth Urteil, 28. März 2014 - 1 K 11.656

bei uns veröffentlicht am 28.03.2014

Tenor 1. Der Bescheid der Stadt Hof vom 16.09.2011 wird aufgehoben. 2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. 3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch den Kläger

Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 15. März 2012 - 7 A 11417/11

bei uns veröffentlicht am 15.03.2012

weitere Fundstellen ... Diese Entscheidung wird zitiert Tenor Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 25. Juli 2011 wird der Bescheid des Beklagten vom 19. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheide

Referenzen

Kann nach Erschöpfung der Ermittlungsmöglichkeiten nicht mit Sicherheit beurteilt werden, ob in der Straftat eines Jugendlichen schädliche Neigungen von einem Umfang hervorgetreten sind, daß eine Jugendstrafe erforderlich ist, so kann der Richter die Schuld des Jugendlichen feststellen, die Entscheidung über die Verhängung der Jugendstrafe aber für eine von ihm zu bestimmende Bewährungszeit aussetzen.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Einem Ausländer, der als Minderjähriger rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte, ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn

1.
der Ausländer sich vor seiner Ausreise acht Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten und sechs Jahre im Bundesgebiet eine Schule besucht hat,
2.
sein Lebensunterhalt aus eigener Erwerbstätigkeit oder durch eine Unterhaltsverpflichtung gesichert ist, die ein Dritter für die Dauer von fünf Jahren übernommen hat, und
3.
der Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach Vollendung des 15. und vor Vollendung des 21. Lebensjahres sowie vor Ablauf von fünf Jahren seit der Ausreise gestellt wird.

(2) Zur Vermeidung einer besonderen Härte kann von den in Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 bezeichneten Voraussetzungen abgewichen werden. Von den in Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 bezeichneten Voraussetzungen kann abgesehen werden, wenn der Ausländer im Bundesgebiet einen anerkannten Schulabschluss erworben hat.

(2a) Von den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 3 bezeichneten Voraussetzungen kann abgewichen werden, wenn der Ausländer rechtswidrig mit Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe genötigt und von der Rückkehr nach Deutschland abgehalten wurde, er den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis innerhalb von drei Monaten nach Wegfall der Zwangslage, spätestens jedoch vor Ablauf von fünf Jahren seit der Ausreise, stellt, und gewährleistet erscheint, dass er sich aufgrund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann. Erfüllt der Ausländer die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1, soll ihm eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er rechtswidrig mit Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe genötigt und von der Rückkehr nach Deutschland abgehalten wurde und er den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis innerhalb von drei Monaten nach Wegfall der Zwangslage, spätestens jedoch vor Ablauf von zehn Jahren seit der Ausreise, stellt. Absatz 2 bleibt unberührt.

(3) Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis kann versagt werden,

1.
wenn der Ausländer ausgewiesen worden war oder ausgewiesen werden konnte, als er das Bundesgebiet verließ,
2.
wenn ein Ausweisungsinteresse besteht oder
3.
solange der Ausländer minderjährig und seine persönliche Betreuung im Bundesgebiet nicht gewährleistet ist.

(4) Der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis steht nicht entgegen, dass der Lebensunterhalt nicht mehr aus eigener Erwerbstätigkeit gesichert oder die Unterhaltsverpflichtung wegen Ablaufs der fünf Jahre entfallen ist.♦

(5) Einem Ausländer, der von einem Träger im Bundesgebiet Rente bezieht, wird in der Regel eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, wenn er sich vor seiner Ausreise mindestens acht Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Ausländer bedürfen für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, sofern nicht durch Recht der Europäischen Union oder durch Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt ist oder auf Grund des Abkommens vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (BGBl. 1964 II S. 509) (Assoziationsabkommen EWG/Türkei) ein Aufenthaltsrecht besteht. Die Aufenthaltstitel werden erteilt als

1.
Visum im Sinne des § 6 Absatz 1 Nummer 1 und Absatz 3,
2.
Aufenthaltserlaubnis (§ 7),
2a.
Blaue Karte EU (§ 18b Absatz 2),
2b.
ICT-Karte (§ 19),
2c.
Mobiler-ICT-Karte (§ 19b),
3.
Niederlassungserlaubnis (§ 9) oder
4.
Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU (§ 9a).
Die für die Aufenthaltserlaubnis geltenden Rechtsvorschriften werden auch auf die Blaue Karte EU, die ICT-Karte und die Mobiler-ICT-Karte angewandt, sofern durch Gesetz oder Rechtsverordnung nichts anderes bestimmt ist.

(2) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht, ist verpflichtet, das Bestehen des Aufenthaltsrechts durch den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nachzuweisen, sofern er weder eine Niederlassungserlaubnis noch eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt. Die Aufenthaltserlaubnis wird auf Antrag ausgestellt.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12. Oktober 2005 - 6 K 3901/04 - abgeändert; der Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29. September 2004 wird aufgehoben und der Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Rücknahme der Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4. März 1998 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Im übrigen werden die Klage und die Berufung zurückgewiesen.

Von den Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Kläger 1/3 und der Beklagte 2/3.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger ist italienischer Staatsangehöriger und im Jahr 1973 in Deutschland geboren, wo auch seine italienische Mutter, der italienische Stiefvater und seine Halbschwester leben. Er hat einen Hauptschulabschluss, ist aber ohne Beruf; begonnene Lehren wurden nicht zu Ende geführt. 1993 bezog er mit seiner damaligen deutschen Freundin - die er später heiratete - eine Wohnung; aus der Beziehung sind zwei Kinder hervorgegangen (geboren 1990 und 1995), deren Vaterschaften er anerkannte. Die ihm zuletzt erteilte befristete Aufenthaltserlaubnis nach dem Ausländergesetz (nicht nach dem AufenthaltsG/EWG), erteilt von der Stadt Stuttgart am 22.4.1996, endete am 22.10.1997; eine Verlängerung wurde nicht beantragt.
Seit 1988 wurde der Kläger im Bundesgebiet mehrfach straffällig und verurteilt. Es handelt sich zunächst u.a. um zahlreiche Diebstahlsdelikte, Urkundenfälschungen, mehrfaches Fahren ohne Fahrerlaubnis, Körperverletzung und Betrugsversuche; später (ab 1992) kamen hinzu: gemeinschaftlicher schwerer Raub, unerlaubter Erwerb von Betäubungsmitteln, weitere Diebstähle und Fahren ohne Fahrerlaubnis, fahrlässige und vorsätzliche Straßenverkehrsgefährdung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und weitere Delikte (zuletzt Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten). Im Juli 1997 wurde der Kläger wegen gemeinschaftlichen Betrugs, gemeinschaftlicher Urkundenfälschung und zweier Diebstähle in besonders schwerem Fall zu einem Jahr und 3 Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Im Oktober 1996 wurde der Kläger festgenommen und war anschließend in Haft; er flüchtete im Juli 1997 aus der Haftanstalt und wurde im Oktober 1997 erneut in Haft genommen.
Im Juni 1998 wurde er aufgrund einer Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4.3.1998 (Regelausweisung aus schwerwiegenden spezial- und generalpräventiven Gründen und Abschiebungsandrohung) nach Italien abgeschoben. Vor Erlass dieser Ausweisungsverfügung hatte der Kläger mit Schreiben vom 15.2.1998 erklärt:
„Im Schreiben vom 12.1.1998 sieht die Staatsanwaltschaft von der weiteren Vollstreckung der Strafe ab dem 13.6.1998 ab, wenn ich von der Grenzpolizei abgeschoben werde. Darum beantrage ich nun selber meine Abschiebung aus der BRD und ziehe hiermit meine Beschwerde vom 2.2.1997 zurück. Ich habe in der BRD nichts mehr zu suchen, da meine Freundin und meine beiden Kinder mit mir nach Italien gehen ...“
In der Begründung der Ausweisungsverfügung, gegen die der Kläger keinen Widerspruch erhob, war das Regierungspräsidium Stuttgart davon ausgegangen, dass der Kläger mangels Arbeitnehmereigenschaft, ausreichender Krankenversicherung und Existenzmitteln sowie aufgrund seiner Erklärung vom Februar 1998 nicht zu den freiheitsberechtigten Unionsbürgern gehöre. Eine atypische Fallgestaltung wurde verneint; Ermessen wurde nicht (auch nicht hilfsweise) ausgeübt.
Im November 1998 kam der Kläger nach Deutschland zurück; am 13.9.1999 wurde er erneut nach Italien abgeschoben. Im November 1999 reiste er wiederum in das Bundesgebiet ein; am 18.3.2000 kam er wieder in Haft. Er war erneut straffällig geworden (Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 4.8.2000: Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren wegen Diebstahls in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit, wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort in zwei Fällen, wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs sowie wegen schwerer räuberischer Erpressung). Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB wurde angeordnet. Das Urteil wurde rechtskräftig. Der Maßregelvollzug (ab Juni 2001) in der ... in ... wurde abgebrochen, nachdem der Kläger im November 2001 mit zwei Mitpatienten von dort geflohen war; seit dem 19.12.2001 befindet er sich wieder in Strafhaft in der JVA Heilbronn.
Von 1993 bis ca. 2000 hatte der Kläger mit seinen Kindern und deren Mutter mit den oben genannten Unterbrechungen zusammengelebt; er heiratete die Mutter der Kinder im Jahr 1999 (19.8.1999) in der Strafhaft. Ab März 2000 bewohnte der Kläger mit zwei Mitbewohnern aus dem Drogenmilieu eine Zwei-Zimmer-Wohnung; er selbst war drogenabhängig und konsumierte Drogen aller Art, auch Heroin. Er ist mit HIV und Hepatitis C infiziert.
Der Sohn ... des Klägers (geb 1990) ist wegen Verhaltensauffälligkeit tagsüber in einem Heim untergebracht, die Tochter ... lebt bei der Mutter, zu der der Kläger keinen engen Kontakt mehr hat.
Der Kläger beantragte im April 2001 und erneut im Februar 2004, die Wirkungen seiner Ausweisung und Abschiebung zu befristen. Er machte geltend, er sei mit einer Deutschen verheiratet und habe auch zwei deutsche Kinder. Das Befristungsverfahren wurde im Einverständnis mit dem Kläger zunächst nicht betrieben, weil er erklärte, sich in Italien einer Drogentherapie unterziehen zu wollen. Im Mai 2004 beantragte der Kläger, die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4.3.1998 zurückzunehmen, hilfsweise die Wirkungen der Ausweisung und der Abschiebungen mit sofortiger Wirkung zu befristen.
10 
Mit Verfügung vom 29.9.2004 lehnte das Regierungspräsidium Stuttgart den Antrag auf Rücknahme der Ausweisungsverfügung vom 4.3.1998 und die weiteren Anträge auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung und der Abschiebungen ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 48 LVwVfG für den Erlass einer die Ausweisungsverfügung betreffenden Rücknahmeverfügung lägen nicht vor. Die Ausweisung sei rechtmäßig erlassen worden. Ihr Widerruf scheide aus, weil die Widerrufsvorschrift durch die Befristungsregelung im Ausländergesetz verdrängt sei. Eine Befristung der Wirkungen komme derzeit nicht in Betracht, weil der von § 8 Abs. 2 Satz 2 AuslG vorausgesetzte Regelfall nicht gegeben sei. Der Fall des Klägers sei atypisch, und es sei gegenwärtig nicht absehbar, dass der spezialpräventive Zweck der Ausweisung überhaupt erreicht werden könne. Auch eine Befristung der Wirkungen der Abschiebung komme derzeit nicht in Betracht, zumal der Kläger die angefallenen Kosten noch nicht bezahlt und im übrigen seine früheren Abschiebungen missachtend schon zweimal illegal nach Deutschland gekommen sei.
11 
Die am 1.10.2004 beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhobene Klage, mit der der Kläger beantragt hat,
12 
die Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.9.2004 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4.3.1998 zurückzunehmen, hilfsweise, den Beklagten zu verpflichten, die Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung zu befristen,
13 
ist durch Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.10.2005 - 16 K 3901/04 - abgewiesen worden. Das Verwaltungsgericht hat in den Gründen ausgeführt, die Ablehnungsverfügung vom 29.9.2004 verletze den Kläger nicht in seinen Rechten; eine Rücknahme komme nicht in Betracht, da die frühere Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums vom 4.3.1998 rechtmäßig sei. Die neuere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts ändere nichts daran, dass diese Verfügung rechtmäßig erlassen worden sei. Der Kläger sei zwar Unionsbürger, erfülle aber die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 1 der RL 90/364/EWG vom 28.6.1990 nicht, da das Erfordernis der Krankenversicherung und ausreichender Existenzmittel nicht erfüllt sei. Außerdem habe der Kläger vor Erlass der Ausweisungsverfügung im Anhörungsverfahren wirksam auf ein Freizügigkeitsrecht verzichtet, als er erklärt habe, er habe in der Bundesrepublik Deutschland nichts mehr zu suchen und wolle deshalb mit seiner Freundin und seinen beiden Kindern nach Italien übersiedeln. Auch der Hilfsantrag habe keinen Erfolg, da auf den Kläger nunmehr aufgrund der Ausweisungsverfügung nicht mehr das Freizügigkeitsgesetz/EU, sondern vielmehr das allgemeine Ausländerrecht anzuwenden sei. Ein Regelfall, der die Befristung nahe legen könne, sei hier nicht gegeben; das Regierungspräsidium habe zu Recht angenommen, hier liege ein Sonderfall vor. Auf die Begründung der Behörde werde Bezug genommen.
14 
Auf den rechtzeitig gestellten und begründeten Zulassungsantrag des Klägers hin hat der Senat mit Beschluss vom 20.2.2006 (Zustellung am 27.2.2006) die Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen; mit dem am 2.3.2006 eingegangenen Berufungsbegründungsschriftsatz, der auf das Vorbringen im Zulassungsverfahren Bezug genommen hat, beantragt der Kläger,
15 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.10.2005 - 16 K 3901/04 - abzuändern und den Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.9.2004 aufzuheben sowie den Beklagten zu verpflichten, die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4.3.1998 zurückzunehmen,
hilfsweise:
den Beklagten zu verpflichten, unter Aufhebung der Verfügung vom 29.9.2004 die Wirkungen der Ausweisung und der Abschiebung zu befristen.
16 
Zur Begründung des Berufungsantrags trägt der Kläger vor, sein Freizügigkeitsrecht könne nicht bestritten werden. Es ergebe sich aus Art. 7 Abs. 2 der RL 68/360/EWG, und das Freizügigkeitsrecht sei auch nicht wegen Fehlens von Unterhaltsgewährung nach Art. 10 der Verordnung 1612/68 untergegangen. Ein Verzicht auf das Freizügigkeitsrecht sei unwirksam und liege auch inhaltlich nicht vor. Das Verwaltungsgericht habe außerdem verkannt, dass auch seine Kinder neben der deutschen Staatsangehörigkeit die italienische Staatsangehörigkeit hätten, so dass er als Vater dieser Kinder ebenfalls ein Aufenthaltsrecht habe. Dass die damalige Ausweisungsverfügung gemeinschaftsrechtswidrig gewesen sei, liege auf der Hand. Einmal habe die Behörde zu Unrecht das Freizügigkeitsrecht verneint und allgemeines Ausländerrecht angewandt. Dies sei bei EU-Bürgern unzulässig. Außerdem habe der Europäische Gerichtshof inzwischen sogar die entsprechende Regelung des AufenthaltsG/EWG für gemeinschaftswidrig erklärt. Rechtswidrig sei die Ausweisung auch deswegen gewesen, weil sie unbefristet erfolgt sei; dies widerspreche mehreren Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Allgemein sei zu bemerken, dass die Europäischen Institutionen die Voraussetzungen der Ausweisung ohnehin enger fassten als die deutschen Behörden und Gerichte. Das der Behörde zustehende Ermessen sei hier wegen der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der Ausweisung auf die Rücknahme ex tunc reduziert; eine andere Lösung komme nicht in Betracht. Die Bestandskraft einer Verfügung sei geringer zu werten als die Rechtskraft, und der Europäische Gerichtshof habe mehrfach entschieden, dass bei gemeinschaftsrechtswidrigen Verfügungen entweder die Rechtsmittelfrist gehemmt sei oder eine Rücknahmepflicht bestehe. Teilweise werde auch angenommen, solche gemeinschaftsrechtswidrigen Verfügungen würden unwirksam. Jedenfalls sei die neuere Rechtsprechung der Europäischen Gerichte auch auf zurückliegende Sachverhalte anzuwenden. Da die Möglichkeit der Befristung einer Rücknahme ex nunc als Spezialregelung entgegenstehe, bleibe die Rücknahme ex tunc. Mindestens sei diese Rechtsfrage dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen.
17 
Der Beklagte beantragt,
18 
die Berufung zurückzuweisen.
19 
Er ist nach wie vor der Auffassung, dass der Kläger die Voraussetzungen des Freizügigkeitsrechts im Zeitpunkt der Ausweisung nicht mehr erfüllt habe und daher EU-Recht unbeachtlich sei. Seine Erklärung vom15.2.1998, er wolle mit Freundin und Kindern in Italien leben, belege dies ausreichend. Abgesehen davon seien aber die Voraussetzungen des § 12 AufenthG/EWG und des EU-Rechts für die Ausweisung gegeben gewesen, da der Kläger massiv strafrechtlich in Erscheinung getreten sei. Insofern handle es sich um einen Extremfall im Sinn des Urteils des EuGH vom 29.4.2004, und von einer unrichtigen Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch die Behörden könne keine Rede sein. Die bestehende Wiederholungsgefahr habe der Kläger selbst nach seiner Rückkehr in das Bundesgebiet nachhaltig bestätigt. Auch der Vollzug der Strafhaft sei nicht beanstandungsfrei. Die vom Kläger zitierten Urteile des EGMR insbesondere zur Befristungsfrage änderten daran nichts; zumutbar und erforderlich sei jedenfalls, dass ein Befristungsantrag gestellt werde. Die Befristungsvorschriften belegten geradezu, dass die Ausweisung nicht gewissermaßen lebenslänglich sei. Die Ausweisung habe auch nicht gegen Art. 9 der RL 64/221/EWG verstoßen, da der Kläger nach Italien habe zurückkehren wollen. Er habe außerdem keine Klage erhoben, habe sich also gerade nicht verteidigen wollen. Ein Rücknahmeermessen sei damit nicht gegeben; erst recht nicht sei es auf die Rücknahme der Ausweisung reduziert. Auf die Bedeutung der Rechts- und Bestandskraft habe der Europäische Gerichtshof im Urteil vom 16.3.2006 hingewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht gehe außerdem davon aus, dass eine Ermessensentscheidung auch nachgeholt werden könne. Eine Rücknahme sei regelmäßig ausgeschlossen, wenn ein Verwaltungsakt mit gleichem Inhalt (hier: Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt nach § 6 Freizügigkeitsgesetz/EU) neu erlassen werden müsse. Das sei hier der Fall. Neben dem nachhaltigen und massiven kriminellen Fehlverhalten sei darauf hinzuweisen, dass auch die Drogenproblematik nicht gelöst sei. Es sei daher nicht unverhältnismäßig, an der Ausweisung festzuhalten, sie als Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt anzusehen und dem Rücknahmeantrag nicht zu entsprechen. Es sei nicht ermessensfehlerhaft, den Kläger auf die Möglichkeit der Befristung zu verweisen für den Fall, dass die Wiederholungsgefahr nicht mehr gegeben sei. Mit den Kindern habe der Kläger im übrigen vor seiner Inhaftierung nicht in familiärer Lebensgemeinschaft zusammengewohnt. Möglicherweise werde er von ihnen und von seiner freizügigkeitsberechtigten Mutter noch regelmäßig besucht. Zur Mutter der Kinder habe er aber nur sporadischen und telefonischen Kontakt. Was Art. 8 EMRK angehe, so sei die hohe und konkrete Wiederholungsgefahr zu berücksichtigen; er sei nicht therapiert. Seine Erkrankung führe nicht dazu, dass sein Interesse an der Rücknahme der Ausweisung überwiege, da er erforderliche Medikamente auch in Italien bekommen könne. Für die ersten Tage nach einer Abschiebung nach Italien könnten ihm auch Medikamente mitgegeben werden. Jedenfalls habe der Kläger keinen Anspruch auf die beantragte Rücknahme, und eine am Zweck des § 48 LVwVfG orientierte Ermessensausübung ergebe, dass die Ablehnung des Antrags nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße. Soweit hilfsweise die Befristung beantragt werde, werde auf die angegriffene Verfügung vom 29.9.2004 (Fortbestand der Wiederholungsgefahr) verwiesen.
20 
Dem Senat liegen die den Kläger betreffenden Akten des Verwaltungsgerichts und der Behörden (jeweils 1 Heft Akten des RP Stuttgart und der Stadt Fellbach) vor; sie waren Gegenstand der Verhandlung und Beratung.

Entscheidungsgründe

 
21 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig begründete Berufung (§ 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO) hat Erfolg, soweit der Kläger neben der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.9.2004 die Verpflichtung des beklagten Landes zur erneuten Entscheidung über den Antrag auf Rücknahme der Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4.3.1998 begehrt (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO); die darüber hinausgehende Klage auf Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme dieser Verfügung war allerdings abzuweisen, da dem Kläger kein entsprechender Rücknahmeanspruch zusteht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Da die Klage damit im Hauptantrag (teilweise) Erfolg hat und das erstinstanzliche Urteil insofern abzuändern war, braucht über den Hilfsantrag nicht entschieden zu werden (vgl. auch Sodan/Ziekow, VwGO, 2006, Rn 111 vor § 124).
22 
Gegenstand des mit der Berufung in erster Linie verfolgten Hauptantrags ist der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf Rücknahme der bestandskräftig gewordenen Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4.3.1998 nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG; die damit verbundene Abschiebungsandrohung ist von dem sich auf die “Ausweisungsanordnung“ beschränkenden Berufungsantrag nicht umfasst, und auch eine (zusätzliche) Klage auf Wiederaufgreifen des Verfahrens im Sinn von § 51 VwVfG ist nicht erhoben, da der anwaltlich vertretene Kläger sowohl bei der Behörde als auch beim Verwaltungsgericht ausdrücklich einen Rücknahmeantrag gestellt hat. Dieser Antrag umfasst allerdings bei sachdienlicher Auslegung (§§ 86 Abs. 3, 88 VwGO) nicht nur einen denkbaren Rücknahmeanspruch nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG wegen Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, sondern es ist auf diesen Antrag hin auch zu prüfen, ob der Beklagte deswegen zur „Rücknahme“ der bestandskräftig gewordenen Ausweisungsverfügung verpflichtet ist, weil diese rechtlich unwirksam ist. Die Unwirksamkeit der Verfügung hat der Kläger in Anlehnung an die Rechtsprechung des Hess. VGH und des OVG Berlin (im einzelnen siehe dazu unten) in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich als Klagegrund geltend gemacht, und es ist anerkannt, dass bei einem unwirksamen - oder: wie hier allenfalls unwirksam gewordenen - Verwaltungsakt eine (klarstellende) behördliche Rücknahme des Verwaltungsakts möglich und aus Gründen der Beseitigung des Rechtsscheins gegebenenfalls auch erforderlich ist (siehe dazu Kopp/Ramsauer, VwVfG, 2003, Rn 19a zu § 48; siehe auch Bay. VGH, Urteil vom 12.10.1989 - 26 B 86.02944 -, NVwZ-RR 1991, 117; Hess. VGH, Urteil vom 29.3.2006 - 6 UE 2874/04 - juris und BSG, Urteil vom 23.2.1989 - NVwZ 1989, 902). Bei einer solchen Fallgestaltung ist der Kläger nicht darauf verwiesen, Feststellungsklage nach § 43 Abs. 2 VwGO zu erheben (siehe dazu Sodan/Ziekow, a.a.O., Rn 63 und 71 zu § 43; BSG a.a.O.), was im vorliegenden Fall als Klageänderung im Berufungsverfahren ohnehin prozessual nicht unproblematisch wäre.
23 
Der mit der Berufung verfolgte Anspruch des Klägers auf Rücknahme der bestandskräftigen Ausweisungsverfügung hat jedoch nur teilweise Erfolg. Da diese Verfügung rechtswidrig war, war das Rücknahmeermessen der Behörde nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG eröffnet (1); es wurde allerdings weder in der Ablehnungsverfügung vom 29.9.2004 noch zu einem späteren Zeitpunkt ausgeübt, so dass der Beklagte zu einer entsprechenden Bescheidung nach der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten war (2). Ein darüber hinaus gehender unbedingter Rücknahmeanspruch besteht dagegen nicht (3).
24 
1. Der Kläger ist nicht bereits deswegen rechtlich daran gehindert, die nach seiner Auffassung bei Ergehen der Ausweisungsverfügung bestehende Rechtswidrigkeit geltend zu machen, weil er zuvor der Behörde gegenüber am 15.2.1998 erklärt hatte, er beantrage seine Abschiebung und habe in der Bundesrepublik Deutschland nichts mehr zu suchen, weil er mit Freundin und Kindern nach Italien gehe. Dies ergibt sich bereits daraus, dass das Rücknahmeverlangen nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG nicht darauf abstellt, auf welche Weise der Verwaltungsakt bestandskräftig geworden ist; selbst ein Verzicht auf einen Widerspruch schließt damit ein späteres Rücknahmebegehren nicht aus. Erst recht gilt dies in einem Fall wie dem vorliegenden: Die Einverständniserklärung des Klägers vor Erlass des Verwaltungsakts steht nämlich einem Widerspruchsverzicht nicht gleich (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 20.1.1967 - VII C 191.64 -, NJW 1967, 2027; Kopp/Schenke, VwGO, 2005, Rn 11 zu § 69 und Sodan/Ziekow, a.a.O., Rn 96 zu § 69 Fn 106). Die zur Bestandskraft des Verwaltungsakts führenden konkreten Umstände und insbesondere das Verhalten des Klägers der bevorstehenden Ausweisung gegenüber schließen eine Rücknahme also nicht aus; sie sind allenfalls Gesichtspunkte, die bei der Ausübung des Rücknahmeermessens von Bedeutung sind (siehe auch Senat, Beschluss vom 7.11.2005 - 13 S 1895/05 -; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 4.1.2006 - 11 S 1871/05 - und Kopp/Ramsauer, a.a.O., RN 52 f. zu § 48).
25 
Für die damit im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG entscheidungserhebliche Frage der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der bestandskräftig gewordenen Ausweisung des Klägers stellt der Senat auf den Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung ab; da der Kläger zu diesem Zeitpunkt freizügigkeitsberechtigt war, kann offen bleiben, inwieweit eine erst später eintretende Rechtswidrigkeit ein Rücknahmeverfahren eröffnen kann (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 28.10.2004 - 1 C 13.03 -, NVwZ-RR 2005, 341; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.9.2001 - 8 S 641/01 -, VBlBW 2002, 208, 209).
26 
Die Rechtswidrigkeit der bestandskräftig gewordenen Ausweisungsverfügung schon zum Zeitpunkt ihres Erlasses ergibt sich für den Senat allerdings nicht bereits aus den Vorschriften des damals geltenden Ausländergesetzes selbst - tatbestandlich lag ein Fall der Regelausweisung durchaus vor - und auch nicht aus den einfachrechtlichen Modifikationen der Ausweisung, die das damalige AufenthG/EWG insbesondere in § 12 enthielt; auch diese Vorschriften, insbesondere das Erfordernis einer Wiederholungsgefahr (§ 12 Abs. 3 und 4 AufenthG/EWG) sind eingehalten worden. Der Senat ist auch nicht der Auffassung, dass die Ausweisung des Klägers als eines Ausländers der sog. zweiten Generation aus Gründen des als Gesetzesrecht zu beachtenden Art. 8 Abs. 1 EMRK rechtswidrig war; angesichts der erheblichen Vorstrafen des Klägers und der jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt offen zu Tage liegenden Wiederholungsgefahr hinsichtlich gravierender Delikte war der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in das Schutzgut „Familienleben“ im Sinn des Art. 8 Abs. 1 EMRK für die öffentliche Sicherheit bzw. zur Verhütung von Straftaten im Sinn des Art. 8 Abs. 2 EMRK notwendig und verhältnismäßig (s. dazu Breitenmoser/Riemer/Seitz, Praxis des Europarechts - Grundrechtsschutz, 2006, S. 66, 67 m.w.N. und die Nachweise bei Grote/Marauhn, EMRK/GG, Konkordanzkommentar, 2006, Kap. 16 Rn 94 m.w.N.) In Fällen wie dem vorliegenden hätte auch nicht notwendigerweise mit der Ausweisung selbst schon über eine Befristung der Wirkungen entschieden werden müssen. Eine solche zusätzliche Entscheidung lag im Fall des Klägers zum damaligen Zeitpunkt bereits wegen dessen vorangegangener Erklärung, er habe in der Bundesrepublik Deutschland nichts mehr zu suchen, nicht nahe; sie war aber auch nicht nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) geboten. Zwar hat der EGMR in mehreren Entscheidungen eine Ausweisung eines Ausländers also unverhältnismäßig beurteilt, die keine Befristungsentscheidung enthielt (siehe Urteile vom 17.4.2003 - Yilmaz -, NJW 2004, 2147, 2149; Urteil vom 22.4.2004 - Radovanovic -, InfAuslR 2004, 374 und Urteil vom 27.10.2005 - Keles -, InfAuslR 2006, 3); das deutsche Recht wird dem dieser Rechtsprechung zugrunde liegenden Gedanken der Verhältnismäßigkeit aber dadurch gerecht, dass es im Regelfall einen Befristungsanspruch gewährt (siehe damals § 8 Abs. 2 AuslG und heute § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG und BVerwG, Beschluss vom 27.6.1997 - 1 B 126/97 -, Buchholz 402.240 § 8 AuslG 1990 Nr. 13).
27 
Letztlich kann diese Frage aber offen bleiben; ein im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG beachtlicher Verstoß der Ausweisungsverfügung gegen Rechtsvorschriften ergibt sich nämlich daraus, dass der Kläger zum damaligen Zeitpunkt freizügigkeitsberechtigt war und dass entsprechende gemeinschaftsrechtliche Bindungen zu beachten waren (1.1). Insbesondere durfte der Kläger nicht nach den Vorschriften der Regelausweisung ausgewiesen werden, sondern es war Ermessen auszuüben (1.2). Auf das Vorliegen weiterer gemeinschaftsrechtlicher Bindungen und die Frage, ob sie eingehalten sind, kommt es danach nicht mehr an (1.3).
28 
1.1. Ob der Kläger zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung aus eigenem Recht freizügigkeitsberechtigt war, ist zweifelhaft, kann letztlich aber offen bleiben. Mangels Arbeitnehmereigenschaft bzw. Arbeitssuche liegen die Voraussetzungen der Verordnungen Nr. 1612/68/EWG und 1251/70/EWG über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft nicht vor (siehe Art. 1 und Art. 2 VO 1612/68/EWG); daraus folgt auch das Fehlen eines Freizügigkeitsrechts entsprechend der RL 68/360/EWG (Art. 1 und Art. 4 Abs. 1). Unabhängig von der Frage der Arbeitnehmereigenschaft und Erwerbstätigkeit leitet der Europäische Gerichtshof (EuGH) allerdings ein allgemeines Freizügigkeitsrecht bereits aus der (bei dem Kläger als italienischem Staatsangehörigen bestehenden) Unionsbürgerschaft (Art. 18 EG) her; dies gilt jedenfalls seit der Entscheidung Baumbast (siehe EuGH, Urteil vom 17.9.2002 - C 413/99 -, InfAuslR 2002, 463, Rn 84/8Rn 84/85; zur früheren Rechtslage vgl. auch BVerwG, Vorlageentscheidung vom 18.9.2001 - 1 C 17/00 -, NVwZ 2002, 339 m.w.N.). In der Folgezeit hat der EuGH diese Rechtsprechung fortgeführt und bestärkt (siehe Urteil vom 29.4.2004 - Orfanopoulos und Oliveri -, - C 282/01 -, Rn 65, NVwZ 2004, 1099; Urteil vom 15.3.2005 - Bidar -, - C 209/03 -, Rn 36, NJW 2005, 2055; Urteil vom 23.3.2006 - Kommission -, - C 408/03 -, Rn 37, NVwZ 2006, 918), und Literatur und nationale Rechtsprechung sind dem weitgehend gefolgt (siehe Sander, DVBl. 2005, 1014 und Westphal/Stoppa, InfAuslR 2004, 133; Lenz/Borchardt, EU- und EGV, 2006, RN 2 zu Art. 18; siehe auch Hess. VGH, Beschluss vom 29.12.2004 - 12 TG 3212/04 -, AuAS 2005, 74). Allerdings hat der Europäische Gerichtshof in einer weiteren Entscheidung (Urteil vom 7.9.2004 - C 456/02 -, -Trojani-, Rn 36, InfAuslR 2004, 417) zu den „Beschränkungen und Bedingungen“ der Freizügigkeit im Sinn des Art. 18 Abs. 1 EG ausgeführt, bei Fehlen ausreichender Existenzmittel im Sinn der RL 90/364/EWG erwachse dem Unionsbürger kein Recht zum Aufenthalt; diese Formulierung legt den Schluss nahe, dass bei Nichterfüllung dieser Beschränkungen und Bedingungen die Unionsbürgerschaft allein zur Entstehung des Freizügigkeitsrechts noch nicht ausreicht. Dass im Fall des Klägers ausreichende Existenzmittel im Sinn der genannten Richtlinie im Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung nicht vorhanden waren, liegt für den Senat angesichts des Fehlens gesicherter Einkünfte und seiner schweren Erkrankung mehr als nahe; selbst wenn er in gewissem Umfang von seiner damaligen Ehefrau und/oder seinen italienischen Eltern unterstützt worden sein mag, dürfte es jedenfalls an ausreichender Krankheitsvorsorge gefehlt haben (vgl. dazu auch EuGH, Urteil vom 19.10.2004 - C 200/02 -, - Chen -, InfAuslR 2004, 413 und vom 23.3.2006, a.a.O.). Hiervon abgesehen geht der EuGH jedenfalls dann vom Fehlen bzw. Erlöschen des Freizügigkeitsrechts aus, wenn die Nichterfüllung der „Beschränkungen und Bedingungen“ der Freizügigkeit (siehe Art. 18 Abs. 1 EG) dem Betroffenen „entgegengehalten“ worden ist (siehe EuGH, Bidar, a.a.O., Rn 36). Eine derartige behördliche Entscheidung - zum neuen Recht siehe § 7 Abs. 1 FreizügG/EU - kann hier durchaus in der Ausweisungsverfügung selbst gesehen werden, die dem Kläger ausdrücklich wegen fehlender Existenzmittel und wegen fehlenden Krankenversicherungsschutzes gemeinschaftsrechtliche Freizügigkeit abgesprochen hat (S. 6 f. der Ausweisungsverfügung) und die der Kläger ebenso wie die Ausweisung selbst akzeptiert hat.
29 
Letztlich kann der Senat jedoch offen lassen, ob der Kläger sich zum damaligen Zeitpunkt auf ein Freizügigkeitsrecht aus eigenem Recht berufen konnte; er war jedenfalls aus abgeleitetem Recht als Familienangehöriger freizügigkeitsberechtigt. Ein solches Recht scheidet nicht bereits deswegen aus, weil der Kläger bereits im Bundesgebiet geboren wurde und es damit „an sich“ an dem erforderlichen grenzüberschreitenden Element fehlt (siehe dazu EuGH - Chen -, a.a.O. Rn 19/20). Ob der Kläger als Familienangehöriger von seiner italienischen Mutter oder von seinem italienischen Stiefvater (siehe dazu EuGH , Urteil vom 30.9.2004 - C 275/02 -, - Ayaz -, InfAuslR 2004, 416 und Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht, Rn 17 zu § 3 FreizügG) ein Freizügigkeitsrecht ableiten konnte, obwohl er über 21 Jahre alt war, insbesondere ob ausreichende Unterhaltsleistungen der Stammberechtigten vorlagen (siehe dazu EuGH, Chen, a.a.O., und Kommission, a.a.O.), ist angesichts der Einstellung der Eltern des Klägers zu seiner Drogenabhängigkeit fragwürdig; der Senat braucht diese Fragen jedoch nicht zu entscheiden, weil der Kläger jedenfalls von seinen Kindern als Stammberechtigte ein entsprechendes Freizügigkeitsrecht herleiten konnte. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
30 
Die Kinder des Klägers sind (auch) italienische Staatsangehörige (siehe Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Bd. 8 (Italien), S. 6 mit Hinweis auf Art. 1 des italienischen Gesetzes 91/1992 vom 5.2.1992). Die Tatsache, dass sie daneben die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, ändert an ihrer Eignung als „Stammberechtigte“ nichts (siehe EuGH, Urteil vom 7.7.1992 - C 369/90 -, - Micheletti -, InfAuslR 1992, 2). Kraft ihrer Rechtsstellung als Unionsbürger konnten die Kinder des Klägers diesem trotz ihrer Geburt in Deutschland ein Freizügigkeitsrecht vermitteln (siehe dazu EuGH - Chen -, a.a.O.), und sie selbst waren nach der oben wiedergegebenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unmittelbar aus Art. 18 Abs. 1 EG freizügigkeitsberechtigt. Dabei ist es ohne rechtliche Bedeutung, dass die maßgebende Rechtsprechung des EuGH sowohl zum Freizügigkeitsrecht unmittelbar aus Art. 18 EG als auch zur „Erstreckung“ des Freizügigkeitsrechts von Kindern auf Eltern (s. dazu unten) erst nach Erlass der Ausweisungsverfügung entwickelt worden ist; sie erfasst auch zurückliegende Tatbestände, die im Sinn der „geläuterten“ Rechtsprechung zu beurteilen sind (siehe dazu EuGH, Urteil vom 2.12.1997 - C 188/95 -, Fantask -, Slg I 06783, Rn 36,37; vgl. auch die Rechtsprechung des BVerwG zum Verständnis der RL 64/221/EWG, Urteile vom13.9.2005 - 1 C 7.04 -, InfAuslR 2006, 110, und vom 6.10.2005 - 1 C 5.04 -, InfAuslR 2006, 114 und Kopp/Ramsauer, a.a.O. Rn 35 zu § 48 m.w.N.). Dass die Kinder des Klägers ihrerseits die „Beschränkungen und Bedingungen“ der Freizügigkeit (siehe Art. 18 Abs. 1 EG) unter irgendeinem Gesichtspunkt (Existenzmittel, Krankheitsvorsorge) nicht erfüllt hätten, ist nicht ersichtlich; erst recht ist ihnen ein solcher Tatbestand im Sinn der Rechtsprechung des EuGH (Bidar, a.a.O.) auch nicht „entgegengehalten“ worden. Aus dieser Rechtsstellung folgt, dass nicht nur sie selbst im maßgebenden Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung freizügigkeitsberechtigt waren, sondern dass zusätzlich eine Gefährdung ihres Freizügigkeitsrechts durch eine Ausweisung ihres Vaters gemeinschaftsrechtlich zu vermeiden war (siehe EuGH, Baumbast, a.a.O. Rn 72 f. und Chen, a.a.O. Rn 45). In den genannten Entscheidungen hat der Europäische Gerichtshof nämlich ein den Kindern zustehendes Freizügigkeitsrecht in bestimmten Fällen auf die Eltern erstreckt; er hat sich dabei an der Überlegung orientiert, dass das einem Kind nach der Gemeinschaftsgesetzgebung zustehende Recht verloren gehen könnte, wenn den Eltern die Möglichkeit versagt würde, während der Schulausbildung ihrer Kinder im Aufnahmemitgliedstaat zu verbleiben. Dies gilt nach Auffassung des EuGH jedenfalls für solche Eltern, die die Personensorge tatsächlich wahrnehmen und sich bei dem Kind aufhalten (siehe EuGH, Baumbast, a.a.O., Rn 71 und 73; siehe auch EuGH - Chen -, a.a.O. Rn 45). Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser „Erstreckung“ des gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechts der Kinder auf die Eltern waren im Fall des Klägers auch gegeben:
31 
Zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung lagen - bezogen auf den Kläger, seine damalige Noch-Ehefrau und die beiden Kinder - die ein „Familienleben“ im Sinn der (auf Art. 8 Abs. 1 EMRK Bezug nehmenden) Rechtsprechung des EuGH begründenden Umstände vor; der Kläger wohnte mit seinen Familienangehörigen zusammen, und es ist auch davon auszugehen, dass die in den genannten Urteilen für eine Erstreckung der Freizügigkeit vorausgesetzte tatsächliche Personensorge für die Kinder (auch) von ihm wahrgenommen wurde (zu den Anforderungen des Art. 8 EMRK siehe Grote/Marauhn, a.a.O. Kap. 16 Rn 41 und Breitenmoser/Riemer/Seitz, a.a.O., S. 59 und 60). Der tatsächliche Kontakt, auf den es in diesem Zusammenhang ankommt, endete auch nicht in den Zeiträumen, in denen der Kläger inhaftiert war; es bestand regelmäßiger Besuchskontakt (alle zwei Wochen) mit seiner damaligen Ehefrau und den Kindern (RP-Akten S. 26), und auch sonst hatte - wie aus den Ausländerakten der Stadt Fellbach hervorgeht - keine Seite die Absicht, die familiäre Lebensgemeinschaft zu beenden (siehe etwa Vermerke vom 25.11.1997 und 16. und 18.12.1997). Die Inhaftierungszeiten haben damit den der Rechtsprechung des EuGH zur Erstreckung des Freizügigkeitsrechts auf Eltern zugrunde liegenden familienrechtlichen Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht berührt (vgl. dazu auch Grote/Maraun, a.a.O., Kap. 16 Rn 45 m.w.N.).
32 
Die dem Schutz des Freizügigkeitsrechts der Kinder dienende Erstreckung dieses Rechts auf ihren Vater scheitert im vorliegenden Fall auch nicht daran, dass die Kinder gleichzeitig deutsche Staatsangehörige sind. Zwar folgt hieraus, dass naturgemäß ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland zu keinem Zeitpunkt in Frage stand; die gegen den Kläger ergangene Ausweisung setzte aber gleichwohl die Familienangehörigen dem mittelbaren Druck aus, dem Kläger nach Italien zu folgen. Dass es im vorliegenden Fall hierzu nicht kam, weil die Kinder und ihre Mutter sich für den weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet entschieden, ändert daran nichts, zumal der weitere Zusammenhalt der Familienangehörigen in der illegalen Wiedereinreise des Klägers und in seinen (heimlichen) Besuchen bei der Familie zum Ausdruck kommt. Es spricht mehr dafür, dass die Familienangehörigen des Klägers die bevorstehende Trennung nicht durch ihre Nachreise nach Italien, sondern durch weiteren Kontakt in der Illegalität verhindern bzw. entschärfen wollten. Da die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Entscheidungen Baumbast und Chen, jeweils a.a.O.) eine für Kinder bei Ausweisung eines Elternteils entstehende Zwangslage vermeiden will, ist sie auch auf Fallgestaltungen wie die hier vorliegende anwendbar.
33 
Auf das aus seinen Kindern abgeleitete Freizügigkeitsrecht hat der Kläger schließlich auch nicht durch seine Erklärung vom 15.2.1998 verzichtet. Wie bereits ausgeführt worden ist, betraf diese Erklärung nur die konkret bevorstehende Abschiebung; mit ihr wollte der Kläger für die Behörde erkennbar eine vorzeitige Haftbeendigung in Deutschland erreichen. In der mündlichen Verhandlung hat er dazu glaubhaft angegeben, es sei ihm darum gegangen, möglichst früh in Italien wieder an Drogen zu kommen. Als Verzicht auf ein Freizügigkeitsrecht, das ihn auch zur Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland berechtigen würde, ist diese Erklärung nicht aufzufassen, ganz abgesehen davon, dass es insofern offenbar an einem verbindlichen rechtlichen Erklärungswillen - sozusagen für alle Zukunft - fehlte und ein wesentliches Element der Erklärung - die Mitausreise der Familienangehörigen - nicht Realität wurde. Insofern sind strenge Anforderungen zu stellen; sogar bei einer Ausreise „zum Sterben in der Heimat“ hat die Rechtsprechung die Annahme eines Freizügigkeitsverzichts abgelehnt (siehe dazu und zu den Voraussetzungen eines solchen Verzichts OVG Koblenz, Beschluss vom 17.6.1996 - 11 B 11155/96 -, InfAuslR 1996, 337 m.w.N.). Verzichtserklärungen im europäischen Recht sind auf die konkrete Handlung beschränkt und nicht mit Zukunftswirkung verbunden (siehe dazu Umbach/Clemens, GG, 2002, Rn 8 zu Art. 18). Insofern gilt nichts anderes als bei grundgesetzlich gewährleisteten Rechten (siehe dazu im einzelnen Jarass/Pieroth, GG, 2004, Vorbem. vor Art. 1, Rn 36 und Dreier, GG, 1996, Vorbem. 83, je m.w.N.). Auch ist zu bedenken, dass zum damaligen Zeitpunkt ein aus dem Unionsbürgerrecht selbst fließendes Aufenthaltsrecht noch nicht durch den Europäischen Gerichtshof anerkannt war; 1997 hatte der Europäische Gerichtshof noch entschieden, dass die Unionsbürgerschaft keine Ausdehnung der Rechtsstellung bewirken wolle (siehe dazu Lenz/Borchardt, a.a.O., Rn 2 zu Art. 18). Für einen entsprechenden Verzichtswille fehlt es daher zum damaligen Zeitpunkt an einer Grundlage.
34 
1.2. Konsequenz des dem Kläger nach diesen Ausführungen bei Erlass der Ausweisungsverfügung zustehenden Freizügigkeitsrechts war, dass entsprechende gemeinschaftsrechtliche Ausweisungsschranken anzuwenden waren; insbesondere schied im Fall des Klägers eine (nach nationalem Recht zutreffende) Regelausweisung aus und es war Ausweisungsermessen auszuüben. Der Europäische Gerichtshof hat - allerdings erst im Jahr 2004, aber gleichwohl mit Wirkung auch für frühere Ausweisungsfälle (siehe dazu oben 1.1) -entschieden, dass bei freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern die Tatbestände der zwingenden und der Regelausweisung als Rechtsgrundlagen ausscheiden; solche Ausländer dürfen nur aufgrund einer ausländerbehördlichen Ermessensentscheidung ausgewiesen werden (siehe dazu EuGH, Urteil vom 29.4.2004 - Rs C 482/01 - und C 493/01 - Orfanopoulos und Oliveri, DVBl. 2004, 876), und das Bundesverwaltungsgericht hat sich dem angeschlossen (Urteil vom 3.8.2004 - 1 C 30.02 -, NVwZ 2004, 1099). Die frühere - abweichende - Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist damit aufgegeben worden. Im Licht dieser - allerdings neueren - Rechtsprechung könnte die gegen den Kläger ergangene Ausweisungsverfügung im Verfahren über den Rücknahmeantrag nur dann als rechtmäßig beurteilt werden, wenn die Behörde die Ausweisung des Klägers nicht nur auf den Tatbestand der Regelausweisung gestützt, sondern hilfsweise Ermessen ausgeübt hätte. Dies ist hier aber nicht geschehen. Die Behörde ging ausdrücklich von einer sog. Ist-Ausweisung nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG aus, die wegen der ausländerrechtlichen Privilegierung des Klägers als Vater zweier deutscher Kinder in eine Regelausweisung nach § 47 Abs. 2 AuslG herabgestuft wurde (§ 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG); die Behörde hat danach lediglich noch geprüft, ob eine atypische Fallgestaltung vorliegt, die eine Ermessensausweisung gebietet (S. 9 ff. der Ausweisungsverfügung), und diese Frage verneint. Die Verfügung setzt sich zwar bei der Prüfung, ob eine atypischen Fallgestaltung gegeben ist, mit der bisherigen Lebensführung des Klägers im einzelnen auseinander; diese Gesichtspunkte können aber nicht in eine Ermessensausübung „umgedeutet“ werden, da Rechtserwägungen im Zusammenhang mit der Problematik der Atypik keine Ermessenserwägungen sind (so ausdrücklich BVerwG, Urteil vom 19.11.1996 - 1 C 25/94 -, InfAuslR 1997, 152). Die Tatsache, dass bei der Prüfung der Atypik alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (siehe BVerwG, Urteil vom 26.2.2002 - 1 C 21/00 -, NVwZ 2002, 1512), begründet daher nicht die Annahme einer Ermessensentscheidung; die Atypik führt erst tatbestandsmäßig zur Ermessensausübung (siehe BVerwG, Urteil vom 31.8.2004 - 1 C 25/03 -, NVwZ 2005, 229).
35 
1.3. Der Senat kann offen lassen, ob die Ausweisungsverfügung gegen den Kläger nicht nur wegen unterbliebener Ermessensausübung, sondern auch wegen Verletzung des Art. 9 RL 64/221/EWG als rechtswidrig anzusehen ist (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 13.9.2005, a.a.O. und vom 6.10.2005, a.a.O.), ob der in dieser Richtlinie gebotene verfahrensrechtliche Schutz wegen der Einwilligung des Klägers in seine Ausweisung bzw. Abschiebung entbehrlich war und ob ein gegebenenfalls vorliegender Rechtsverstoß durch den späteren Wegfall der Richtlinie gegenstandslos geworden ist (siehe dazu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18.10.2006 - 13 S 192/06 -). Offensichtlich fehlerhaft wäre allerdings die Annahme, es hätten im Weg der sog. Vorwirkung bereits damals (1998) die materiellen Ausweisungsvoraussetzungen der weitaus späteren RL 2004/38/EG gegolten.
36 
2. Aus der wegen Ermessensunterschreitung vorliegenden Rechtswidrigkeit der Ausweisungsverfügung ergibt sich, dass entgegen der Auffassung der Behörde tatbestandsmäßig eine Rücknahme nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG in Betracht kam; die Behörde war dementsprechend verpflichtet, über den Rücknahmeantrag nach Ermessen zu entscheiden. Die Behörde hat jedoch in der Verfügung vom 29.9.2004 den Antrag auf Rücknahme der Ausweisung aus Rechtsgründen, d.h. wegen fehlender Rechtswidrigkeit der Verfügung, abgelehnt (S. 3 der Verfügung); (wenigstens) hilfsweise Ermessensausübung liegt auch insofern nicht vor, zumal die weiteren Ausführungen der Behörde im Zusammenhang mit dem Hilfsantrag auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung bzw. Abschiebung nicht als Ermessensausführungen im Zusammenhang mit § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG aufgefasst werden können (siehe dazu auch oben). Das Rücknahme-Ermessen ist auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt worden; insbesondere liegt kein „Ergänzen“ im Sinn des § 114 Satz 2 VwGO vor. Im gerichtlichen Verfahren hat die Behörde an ihrer Auffassung zur Rechtmäßigkeit der Verfügung festgehalten. Sie hat zwar ausgeführt, ihr müsse noch die Möglichkeit der Nachholung des Ermessens gegeben werden, und sich insoweit auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 3.8.2004 (a.a.O.) bezogen; damit verkennt sie aber, dass diese Entscheidung die Anfechtungsklage gegen eine Ausweisungsverfügung und nicht - wie hier - eine Klage auf Rücknahme dieser Verfügung betrifft. Die Verweisung auf das Befristungsverfahren ist keine Ermessensbetätigung im Rücknahmeverfahren, und eine bestandskräftig gewordene „Alt-Ausweisung“ kann auch nicht in eine nach Voraussetzungen und Struktur unterschiedliche Feststellung nach § 6 FreizügG umgedeutet werden (siehe auch OLG Hamburg, Beschluss vom 21.11.2005 - 1 Ws 212/05 -, InfAuslR 2006, 118, 120). Im übrigen wäre wegen des ursprünglichen Fehlens von Ermessenserwägungen überhaupt eine bloße „Ergänzung“ im Sinn des § 114 Satz 2 VwGO nicht zulässig (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 5.9.2006 - 1 C 20.05 -, juris und VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.11.2006 - 13 S 1566/06 -). Die aufgrund der aktuellen EuGH-Rechtsprechung (Entscheidung Orfanopoulos a.a.O.) vom Bundesverwaltungsgericht über § 114 Satz 2 VwGO hinaus eingeräumte generelle Nachholmöglichkeit ist hier nicht geboten, da die Rechtswidrigkeit der Ausweisungsverfügung hier nicht auf neuen Erkenntnissen während des Anfechtungsverfahrens beruhte, sondern auf der bereits 2002 eingeleiteten Rechtsprechung zu Art. 18 EG und zur Erstreckung der Freizügigkeit auf Kinder (siehe oben), die ohne weiteres (wenigstens hilfsweise) im Ablehnungsbescheid von 2004 hätte berücksichtigt werden können.
37 
3. Die danach vorliegende Ermessensunterschreitung führt allerdings nur zu einer entsprechenden Bescheidungsverpflichtung des beklagten Landes nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO; eine darüber hinausgehende Verpflichtung des Beklagten zur unmittelbaren Rücknahmeentscheidung kam nicht in Betracht, so dass die auf dieses Ziel gerichtete Klage (teilweise) abzuweisen war. Einen direkt auf Rücknahme der Ausweisungsverfügung gerichteten Anspruch kann der Kläger nicht unter dem Gesichtspunkt der sog. Ermessensreduzierung auf die Rücknahme als einzig rechtlich zutreffende Entscheidung verlangen (3.1), und eine Pflicht der Behörde zur (in diesem Fall: deklaratorischen) Rücknahme besteht auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Unwirksamkeit der Ausweisungsverfügung (3.2).
38 
3.1. Weder nationales Recht noch Gemeinschaftsrecht gebieten es im vorliegenden Fall dem beklagten Land, die gegen den Kläger ergangene Ausweisungsverfügung zurückzunehmen.
39 
Für das nationale Recht folgt dies daraus, dass im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG im Hinblick auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit einerseits und das der Rechtssicherheit andererseits nur ausnahmsweise ein Rücknahmeanspruch besteht; die Aufrechterhaltung des Bescheides müsste dann „schlechthin unerträglich“ sein (siehe dazu z.B. BVerwG, Beschluss vom 15.3.2005 - 3 B 86/04 -, DÖV 2005, 651 m.w.N.). Eine solche Fallgestaltung ist hier nicht gegeben; einmal war der Kläger, was für die Ermessensausübung durchaus relevant sein kann, mit seiner Abschiebung zum damaligen Zeitpunkt einverstanden, und zum anderen erscheint die Aufrechterhaltung der Ausweisungsverfügung auch nicht deswegen im Sinn der oben angeführten Rechtsprechung „schlechthin unerträglich“, weil die zur Annahme der Rechtswidrigkeit führende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum abgeleiteten Freizügigkeitsrecht von Kindern und zum Unionsbürgerrecht erst Jahre nach dem Erlass der Ausweisungsverfügung entwickelt wurde. Auch ergibt sich eine Ermessensreduzierung nicht aus dem Verhalten der Behörde selbst oder daraus, dass das Rücknahmeinteresse des Betroffenen eindeutig und offensichtlich schwerer wiegen würde als das öffentliche Interesse an einer Rücknahme (zu diesen Kriterien siehe Kopp/Ramsauer, a.a.O., Rn 55 zu § 48). Im übrigen käme es in diesem Zusammenhang bei der Ermessensausübung auch auf die Frage an, ob der Kläger in der Tat zum Entscheidungszeitpunkt drogenfrei ist und wie die Rückfallprognose aussieht.
40 
Auch Gemeinschaftsrecht verpflichtet den Beklagten zur Rücknahme der Ausweisungsverfügung nicht. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
41 
Dass Gemeinschaftsrecht in Fällen der vorliegenden Art keinen unbedingten Rücknahmeanspruch begründet, hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in seiner bisherigen Rechtsprechung ausgeführt (siehe z.B. Beschluss vom 4.1.2006 - 11 S 1871/05 - und Beschluss vom 7.11.2005 - 13 S 1895/05 -), und dies entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 15.3.2005 - 3 B 86/04 - a.a.O.). Vom nationalen Recht vorgesehene Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung - mit der Folge der Bestandskraft bei Nichteinhaltung dieser Fristen - sind nämlich deswegen grundsätzlich mit Gemeinschaftsrecht vereinbar, weil sie ein Anwendungsfall des auch für das Gemeinschaftsrecht grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit sind (siehe EuGH, Urteil vom 2.12.1997 - C 188/95 -, Fantask, Slg I O6783, Rn 45; Urteil vom 13.1.2004 - C 453/00 -, Kühne und Heitz, DVBl. 2004, 373, Rn 24 und zuletzt Urteil vom 19.9.2006 - C 392/04 -und - C 422/0C 422/04 -, I 21, NVwZ 2006, 1277 Rn 51). Während die frühere Rechtsprechung des EuGH die Frage der Bestandskraft gemeinschaftsrechtswidriger Verwaltungsakte nicht problematisiert hatte (siehe dazu die Nachweise bei Gärditz, NWVBl. 2006, 442 Fn 34 f. und beispielhaft EuGH, Urteil vom 2.12.1997, a.a.O.), hat erstmals die Entscheidung Kühne und Heitz (a.a.O.) bestimmte Voraussetzungen für eine behördliche Pflicht zur Überprüfung bestandskräftiger gemeinschaftswidriger Verwaltungsakte formuliert (siehe dazu auch Epiney, NVwZ 2006, 410 f.). Diese Bedingungen sind im vorliegenden Fall nicht (kumulativ) erfüllt: Zwar ist die Behörde nach nationalem Recht (hier: § 48 VwVfG) zur Rücknahme befugt, die Bestandskraft der Entscheidung beruht aber nicht wie im Fall Kühne/Heitz auf einem nationalen Gerichtsurteil, das die Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EG verletzt hat, und der Betroffene hat sich auch nicht unmittelbar nach Kenntniserlangung von der Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung (hier: Urteile Baumbast und Chen, jeweils a.a.O.) an die Behörde gewandt und Rücknahme beantragt. Ganz unabhängig hiervon ist darauf hinzuweisen, dass Gegenstand der Entscheidung Kühne/Heitz nicht explizit die Frage der Rücknahmepflicht, sondern nur die Frage der Prüfungspflicht war (siehe dazu im einzelnen Gärditz a.a.O. S. 448). Eine Pflicht zur Überprüfung des bestandskräftigen, aber gemeinschaftswidrigen Verwaltungsakts bedeutet noch nicht die Pflicht zur Aufhebung (Gärditz a.a.O. Rn 105 m.w.N.). Die anlässlich der Entscheidung Kühne/Heitz in Literatur und Rechtsprechung aufgetretenen Unklarheiten (siehe dazu, Epiney a.a.O. S. 410 und Pache/Bieletz, DVBl. 2006, S. 331) sind im übrigen durch die weitere Rechtsprechung des EuGH im wesentlichen beseitigt worden. Die Entscheidung vom 16.3.2006 (- C 234/04 - Kapferer, DVBl. 2006, 569), die allerdings nicht (nur) bestandskräftige, sondern rechtskräftige Entscheidungen betrifft, hat bereits das vorangegangene Urteil Kühne/Heitz relativiert, und der EuGH hat im Urteil vom 19.9.2006 (I 21, a.a.O.) schließlich ausdrücklich ausgeführt, dass - von der Anerkennung der Bestandskraft ausgehend - (Rn 51) eine Überprüfungspflicht der Behörde bei Nichtausschöpfung des Rechtsbehelfsverfahrens grundsätzlich nicht besteht (Rn 53) und dass es Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung ist, die Modalitäten einer Rücknahme bzw. einer erneuten Überprüfung festzulegen. Die Überprüfungs- und Rücknahmepflicht nach nationalem Recht (hier: § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG) wird damit mit der gemeinschaftsrechtlichen Überprüfungs- und Rücknahmepflicht parallelisiert (EuGH, I 21, a.a.O. Rn 63 f. und Gärditz a.a.O. S. 446 f.); wo das nationale Recht keine Rücknahmepflicht ergibt, lässt sie sich also nicht zusätzlich aus Gemeinschaftsrecht herleiten. Bereits oben ist ausgeführt worden, dass unter dem Gesichtspunkt des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG die Aufrechterhaltung der gegen den Kläger ergangenen Ausweisung nicht „schlechthin unerträglich“ ist, eine Rücknahmepflicht insoweit also nicht besteht, und diese Überlegungen gelten auch im hier interessierenden Zusammenhang. Der Verzicht des Klägers auf Rechtsbehelfe und die Tatsache, dass der Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht keineswegs offensichtlich war - die die Freizügigkeit begründende Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs stammt wie ausgeführt aus einem Zeitraum nach Erlass der Ausweisungsverfügung - stehen auch hier der Annahme einer
Rechts verpflichtung entgegen. Von besonderer Gravität oder gar (zusätzlicher) Offensichtlichkeit eines Gemeinschaftsrechtsverstoßes kann unter diesen Gesichtspunkten ohnehin nicht ausgegangen werden. Nach den Grundsätzen der I 21-Entscheidung des EuGH (a.a.O.) ist es vielmehr auch gemeinschaftsrechtlich zu akzeptieren, wenn sich das nationale Recht (§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG) angesichts der hier widerstreitenden Interessen (Rechtssicherheit einerseits, materielle Rechtmäßigkeit andererseits) mit einer Ermessensentscheidung der Behörde begnügt.

42 
3.2 Der Kläger kann die Rücknahme der gegen ihn ergangenen Ausweisungsverfügung auch nicht unter dem Gesichtspunkt der (deklaratorischen) Aufhebung einer unwirksamen oder unwirksam gewordenen Verfügung erreichen; die Voraussetzungen eines solchen „Rücknahme“-Anspruchs (zur Zulässigkeit einer solchen Rücknahme siehe oben vor 1.) sind nämlich nicht gegeben.
43 
Bei Erlass der Ausweisungsverfügung und auch in der Folgezeit bis zum Inkrafttreten des FreizügG/EU lag kein Grund für die Annahme von Unwirksamkeit (siehe § 43 Abs. 1 und 2 VwVfG) oder gar von Nichtigkeit (§ 43 Abs. 3 i.V.m. § 44 VwVfG) der Ausweisungsverfügung vor; dies liegt für den Senat auf der Hand und bedarf keiner näheren Ausführungen; sie folgt insbesondere nicht aus dem vom Kläger in diesem Zusammenhang für sich in Anspruch genommenen Urteil des EuGH vom 29.4.1999 (- C 224/97 -, Ciola), das sich lediglich mit strafrechtlichen Folgen des Verstoßes gegen gemeinschaftsrechtswidrige Verfügungen auseinandersetzt. Die Ausweisungsverfügung ist aber auch nicht durch Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes zum 1.1.2005 unwirksam geworden. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
44 
Soweit in der Rechtsprechung angenommen wird, mit dem Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes hätten die nach früherem Recht ergangenen Ausweisungsverfügungen gegenüber Unionsbürgern ihre Rechtsgrundlage verloren (so für nicht bestandskräftig gewordene Ausweisungsverfügungen Hess. VGH, Beschluss vom 29.12.2004 - 12 TG 3212/04 -, NVwZ 2005, 837; für bestandskräftige Verfügungen OVG Berlin, Beschluss vom 15.3.2006 - 8 S 823/05 -, NVwZ 2006, 953), ist diese Rechtsprechung teilweise nicht einschlägig, da im vorliegenden Fall Bestandskraft gegeben ist; teilweise kann der Senat ihr aus anderen Gründen nicht folgen. Er schließt sich vielmehr der Gegenmeinung an, die die (fortdauernde) Wirksamkeit bestandskräftig gewordener Ausweisungen bejaht (siehe dazu OVG Hamburg, Urteil vom 22.3.2005 - 3 Bf 294/04 -, EzAR; OVG Lüneburg, Beschluss vom 30.6.2006 - 11 LA 147.05 -, AuAS 2006, 185, ebenso schon VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 7.11.2005 - 13 S 1885/05 - und Beschluss vom 4.1.2006 - 11 S 1871/05 -). Das bloße Fehlen einer für Verfügungen nach dem damaligen AufenthG/EWG ergangenen Ausweisung geltenden Übergangsvorschrift bzw. das Fehlen einer Verweisung auf § 102 Abs. 1 AufenthG in § 11 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU begründet fehlende Fortgeltung bereits deswegen nicht, weil sich im vorliegenden Fall die Fortdauer der Wirkungen der Ausweisung bereits unmittelbar aus § 102 Abs. 1 AufenthG ergibt. Die Vorschrift erfasst nämlich im Anwendungsbereich jedenfalls die auf das frühere Ausländergesetz gestützten Ausweisungsverfügungen, und um eine solche Verfügung handelt es sich im vorliegenden Fall, weil die Freizügigkeitsberechtigung und damit die Anwendung des AufenthG/EWG ausdrücklich verneint worden sind und Rechtsgrundlage der Ausweisung gerade das AuslG war. Außerdem ist der Anwendungsbereich des (späteren) FreizügG/EU und damit auch dessen § 11 Abs. 1 noch aus einem anderen Grund nicht gegeben; dieses Gesetz stellt durch die Bezugnahme auf § 1 FreizügG/EU auch in der Vorschrift des § 11 Abs. 1 auf die Freizügigkeitsberechtigung als Voraussetzung ab. Diese ist aber durch die Bestandskraft der auf das allgemeine Ausländergesetz gestützten Ausweisung entfallen (siehe auch Funke-Kaiser, Rn 2 zu § 102; OVG Hamburg, Beschluss vom 14.12.2005 - Bs 79/05 -, InfAuslR 2006, 305; Lüdke, InfAuslR 2005, S. 178; a.A. Gutmann, InfAuslR 2005, 125). Aus der fehlenden Verweisung auf § 102 AufenthG in § 11 Abs. 1 FreizügG/EU kann daher kein Argument zugunsten des Klägers hergeleitet werden. Im Übrigen hätte es wegen der bereits im Jahr 1998 eingetretenen Bestandskraft der Ausweisungsverfügung einer entsprechend klaren gesetzlichen Regelung bedurft, um die seit Bekanntgabe bestehende und durch die Bestandskraft verstärkte Wirksamkeit des Verwaltungsakts nach § 43 Abs. 2 VwVfG zu beseitigen; Die amtliche Begründung zum Entwurf des Freizügigkeitsgesetzes lässt eine so weitgehende Absicht nicht erkennen (BT-Drs. 15/420, S. 101 ff. S. 105 f.; siehe auch OVG Hamburg, Urteil vom 22.3.2005, a.a.O.).
45 
Die Bestandskraft und die damit eingetretene Wirkung der Ausweisungsverfügung ist auch nicht kraft Gemeinschaftsrechts entfallen; dies ergibt sich bereits daraus, dass das Gemeinschaftsrecht - wie oben ausgeführt - das Institut der Bestandskraft durchaus anerkennt und bei Gemeinschaftsrechtswidrigkeit eigene Instrumente - wie das Recht zur Überprüfung der Verfügung - entwickelt hat, um gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen gerecht zu werden. Dieser rechtlichen Instrumente hätte es nicht bedurft, wenn gemeinschaftsrechtlich sogar von der Unwirksamkeit (oder vom Unwirksamwerden) solcher Verfügungen auszugehen wäre. Dass in der Rechtsprechung der Strafgerichte bei Verstößen gegen solche Verfügungen unter Berufung auf den EuGH (Ciola a.a.O.) Strafbarkeit z.T. nicht mehr angenommen wird (siehe OLG Hamburg a.a.O. und OLG Karlsruhe, Beschluss vom 6.12.2006 3 Ws 346/05), steht dem nicht entgegen; insoweit handelt es sich um eine speziell strafrechtliche Fragestellung, die der Senat im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht zu beantworten braucht.
46 
4. Da der Kläger damit mit der Klage lediglich einen Teil seines mit dem Hauptantrag verfolgten Begehrens erreicht hat, waren ihm die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge teilweise aufzuerlegen (siehe § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO); der Senat geht dabei davon aus, dass der Kläger zu einem Drittel im Berufungsverfahren unterlegen ist.
47 
Die Revision war zuzulassen, da insbesondere die Frage der Wirksamkeit sog. altrechtlicher Ausweisungsverfügungen gegenüber Unionsbürgern in der obergerichtlichen Rechtsprechung strittig und noch nicht höchstrichterlich geklärt ist (siehe § 132 Abs. 2 Satz 1 VwGO).
48 
Beschluss
49 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
21 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig begründete Berufung (§ 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO) hat Erfolg, soweit der Kläger neben der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.9.2004 die Verpflichtung des beklagten Landes zur erneuten Entscheidung über den Antrag auf Rücknahme der Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4.3.1998 begehrt (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO); die darüber hinausgehende Klage auf Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme dieser Verfügung war allerdings abzuweisen, da dem Kläger kein entsprechender Rücknahmeanspruch zusteht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Da die Klage damit im Hauptantrag (teilweise) Erfolg hat und das erstinstanzliche Urteil insofern abzuändern war, braucht über den Hilfsantrag nicht entschieden zu werden (vgl. auch Sodan/Ziekow, VwGO, 2006, Rn 111 vor § 124).
22 
Gegenstand des mit der Berufung in erster Linie verfolgten Hauptantrags ist der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf Rücknahme der bestandskräftig gewordenen Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4.3.1998 nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG; die damit verbundene Abschiebungsandrohung ist von dem sich auf die “Ausweisungsanordnung“ beschränkenden Berufungsantrag nicht umfasst, und auch eine (zusätzliche) Klage auf Wiederaufgreifen des Verfahrens im Sinn von § 51 VwVfG ist nicht erhoben, da der anwaltlich vertretene Kläger sowohl bei der Behörde als auch beim Verwaltungsgericht ausdrücklich einen Rücknahmeantrag gestellt hat. Dieser Antrag umfasst allerdings bei sachdienlicher Auslegung (§§ 86 Abs. 3, 88 VwGO) nicht nur einen denkbaren Rücknahmeanspruch nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG wegen Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, sondern es ist auf diesen Antrag hin auch zu prüfen, ob der Beklagte deswegen zur „Rücknahme“ der bestandskräftig gewordenen Ausweisungsverfügung verpflichtet ist, weil diese rechtlich unwirksam ist. Die Unwirksamkeit der Verfügung hat der Kläger in Anlehnung an die Rechtsprechung des Hess. VGH und des OVG Berlin (im einzelnen siehe dazu unten) in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich als Klagegrund geltend gemacht, und es ist anerkannt, dass bei einem unwirksamen - oder: wie hier allenfalls unwirksam gewordenen - Verwaltungsakt eine (klarstellende) behördliche Rücknahme des Verwaltungsakts möglich und aus Gründen der Beseitigung des Rechtsscheins gegebenenfalls auch erforderlich ist (siehe dazu Kopp/Ramsauer, VwVfG, 2003, Rn 19a zu § 48; siehe auch Bay. VGH, Urteil vom 12.10.1989 - 26 B 86.02944 -, NVwZ-RR 1991, 117; Hess. VGH, Urteil vom 29.3.2006 - 6 UE 2874/04 - juris und BSG, Urteil vom 23.2.1989 - NVwZ 1989, 902). Bei einer solchen Fallgestaltung ist der Kläger nicht darauf verwiesen, Feststellungsklage nach § 43 Abs. 2 VwGO zu erheben (siehe dazu Sodan/Ziekow, a.a.O., Rn 63 und 71 zu § 43; BSG a.a.O.), was im vorliegenden Fall als Klageänderung im Berufungsverfahren ohnehin prozessual nicht unproblematisch wäre.
23 
Der mit der Berufung verfolgte Anspruch des Klägers auf Rücknahme der bestandskräftigen Ausweisungsverfügung hat jedoch nur teilweise Erfolg. Da diese Verfügung rechtswidrig war, war das Rücknahmeermessen der Behörde nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG eröffnet (1); es wurde allerdings weder in der Ablehnungsverfügung vom 29.9.2004 noch zu einem späteren Zeitpunkt ausgeübt, so dass der Beklagte zu einer entsprechenden Bescheidung nach der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten war (2). Ein darüber hinaus gehender unbedingter Rücknahmeanspruch besteht dagegen nicht (3).
24 
1. Der Kläger ist nicht bereits deswegen rechtlich daran gehindert, die nach seiner Auffassung bei Ergehen der Ausweisungsverfügung bestehende Rechtswidrigkeit geltend zu machen, weil er zuvor der Behörde gegenüber am 15.2.1998 erklärt hatte, er beantrage seine Abschiebung und habe in der Bundesrepublik Deutschland nichts mehr zu suchen, weil er mit Freundin und Kindern nach Italien gehe. Dies ergibt sich bereits daraus, dass das Rücknahmeverlangen nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG nicht darauf abstellt, auf welche Weise der Verwaltungsakt bestandskräftig geworden ist; selbst ein Verzicht auf einen Widerspruch schließt damit ein späteres Rücknahmebegehren nicht aus. Erst recht gilt dies in einem Fall wie dem vorliegenden: Die Einverständniserklärung des Klägers vor Erlass des Verwaltungsakts steht nämlich einem Widerspruchsverzicht nicht gleich (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 20.1.1967 - VII C 191.64 -, NJW 1967, 2027; Kopp/Schenke, VwGO, 2005, Rn 11 zu § 69 und Sodan/Ziekow, a.a.O., Rn 96 zu § 69 Fn 106). Die zur Bestandskraft des Verwaltungsakts führenden konkreten Umstände und insbesondere das Verhalten des Klägers der bevorstehenden Ausweisung gegenüber schließen eine Rücknahme also nicht aus; sie sind allenfalls Gesichtspunkte, die bei der Ausübung des Rücknahmeermessens von Bedeutung sind (siehe auch Senat, Beschluss vom 7.11.2005 - 13 S 1895/05 -; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 4.1.2006 - 11 S 1871/05 - und Kopp/Ramsauer, a.a.O., RN 52 f. zu § 48).
25 
Für die damit im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG entscheidungserhebliche Frage der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der bestandskräftig gewordenen Ausweisung des Klägers stellt der Senat auf den Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung ab; da der Kläger zu diesem Zeitpunkt freizügigkeitsberechtigt war, kann offen bleiben, inwieweit eine erst später eintretende Rechtswidrigkeit ein Rücknahmeverfahren eröffnen kann (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 28.10.2004 - 1 C 13.03 -, NVwZ-RR 2005, 341; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.9.2001 - 8 S 641/01 -, VBlBW 2002, 208, 209).
26 
Die Rechtswidrigkeit der bestandskräftig gewordenen Ausweisungsverfügung schon zum Zeitpunkt ihres Erlasses ergibt sich für den Senat allerdings nicht bereits aus den Vorschriften des damals geltenden Ausländergesetzes selbst - tatbestandlich lag ein Fall der Regelausweisung durchaus vor - und auch nicht aus den einfachrechtlichen Modifikationen der Ausweisung, die das damalige AufenthG/EWG insbesondere in § 12 enthielt; auch diese Vorschriften, insbesondere das Erfordernis einer Wiederholungsgefahr (§ 12 Abs. 3 und 4 AufenthG/EWG) sind eingehalten worden. Der Senat ist auch nicht der Auffassung, dass die Ausweisung des Klägers als eines Ausländers der sog. zweiten Generation aus Gründen des als Gesetzesrecht zu beachtenden Art. 8 Abs. 1 EMRK rechtswidrig war; angesichts der erheblichen Vorstrafen des Klägers und der jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt offen zu Tage liegenden Wiederholungsgefahr hinsichtlich gravierender Delikte war der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in das Schutzgut „Familienleben“ im Sinn des Art. 8 Abs. 1 EMRK für die öffentliche Sicherheit bzw. zur Verhütung von Straftaten im Sinn des Art. 8 Abs. 2 EMRK notwendig und verhältnismäßig (s. dazu Breitenmoser/Riemer/Seitz, Praxis des Europarechts - Grundrechtsschutz, 2006, S. 66, 67 m.w.N. und die Nachweise bei Grote/Marauhn, EMRK/GG, Konkordanzkommentar, 2006, Kap. 16 Rn 94 m.w.N.) In Fällen wie dem vorliegenden hätte auch nicht notwendigerweise mit der Ausweisung selbst schon über eine Befristung der Wirkungen entschieden werden müssen. Eine solche zusätzliche Entscheidung lag im Fall des Klägers zum damaligen Zeitpunkt bereits wegen dessen vorangegangener Erklärung, er habe in der Bundesrepublik Deutschland nichts mehr zu suchen, nicht nahe; sie war aber auch nicht nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) geboten. Zwar hat der EGMR in mehreren Entscheidungen eine Ausweisung eines Ausländers also unverhältnismäßig beurteilt, die keine Befristungsentscheidung enthielt (siehe Urteile vom 17.4.2003 - Yilmaz -, NJW 2004, 2147, 2149; Urteil vom 22.4.2004 - Radovanovic -, InfAuslR 2004, 374 und Urteil vom 27.10.2005 - Keles -, InfAuslR 2006, 3); das deutsche Recht wird dem dieser Rechtsprechung zugrunde liegenden Gedanken der Verhältnismäßigkeit aber dadurch gerecht, dass es im Regelfall einen Befristungsanspruch gewährt (siehe damals § 8 Abs. 2 AuslG und heute § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG und BVerwG, Beschluss vom 27.6.1997 - 1 B 126/97 -, Buchholz 402.240 § 8 AuslG 1990 Nr. 13).
27 
Letztlich kann diese Frage aber offen bleiben; ein im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG beachtlicher Verstoß der Ausweisungsverfügung gegen Rechtsvorschriften ergibt sich nämlich daraus, dass der Kläger zum damaligen Zeitpunkt freizügigkeitsberechtigt war und dass entsprechende gemeinschaftsrechtliche Bindungen zu beachten waren (1.1). Insbesondere durfte der Kläger nicht nach den Vorschriften der Regelausweisung ausgewiesen werden, sondern es war Ermessen auszuüben (1.2). Auf das Vorliegen weiterer gemeinschaftsrechtlicher Bindungen und die Frage, ob sie eingehalten sind, kommt es danach nicht mehr an (1.3).
28 
1.1. Ob der Kläger zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung aus eigenem Recht freizügigkeitsberechtigt war, ist zweifelhaft, kann letztlich aber offen bleiben. Mangels Arbeitnehmereigenschaft bzw. Arbeitssuche liegen die Voraussetzungen der Verordnungen Nr. 1612/68/EWG und 1251/70/EWG über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft nicht vor (siehe Art. 1 und Art. 2 VO 1612/68/EWG); daraus folgt auch das Fehlen eines Freizügigkeitsrechts entsprechend der RL 68/360/EWG (Art. 1 und Art. 4 Abs. 1). Unabhängig von der Frage der Arbeitnehmereigenschaft und Erwerbstätigkeit leitet der Europäische Gerichtshof (EuGH) allerdings ein allgemeines Freizügigkeitsrecht bereits aus der (bei dem Kläger als italienischem Staatsangehörigen bestehenden) Unionsbürgerschaft (Art. 18 EG) her; dies gilt jedenfalls seit der Entscheidung Baumbast (siehe EuGH, Urteil vom 17.9.2002 - C 413/99 -, InfAuslR 2002, 463, Rn 84/8Rn 84/85; zur früheren Rechtslage vgl. auch BVerwG, Vorlageentscheidung vom 18.9.2001 - 1 C 17/00 -, NVwZ 2002, 339 m.w.N.). In der Folgezeit hat der EuGH diese Rechtsprechung fortgeführt und bestärkt (siehe Urteil vom 29.4.2004 - Orfanopoulos und Oliveri -, - C 282/01 -, Rn 65, NVwZ 2004, 1099; Urteil vom 15.3.2005 - Bidar -, - C 209/03 -, Rn 36, NJW 2005, 2055; Urteil vom 23.3.2006 - Kommission -, - C 408/03 -, Rn 37, NVwZ 2006, 918), und Literatur und nationale Rechtsprechung sind dem weitgehend gefolgt (siehe Sander, DVBl. 2005, 1014 und Westphal/Stoppa, InfAuslR 2004, 133; Lenz/Borchardt, EU- und EGV, 2006, RN 2 zu Art. 18; siehe auch Hess. VGH, Beschluss vom 29.12.2004 - 12 TG 3212/04 -, AuAS 2005, 74). Allerdings hat der Europäische Gerichtshof in einer weiteren Entscheidung (Urteil vom 7.9.2004 - C 456/02 -, -Trojani-, Rn 36, InfAuslR 2004, 417) zu den „Beschränkungen und Bedingungen“ der Freizügigkeit im Sinn des Art. 18 Abs. 1 EG ausgeführt, bei Fehlen ausreichender Existenzmittel im Sinn der RL 90/364/EWG erwachse dem Unionsbürger kein Recht zum Aufenthalt; diese Formulierung legt den Schluss nahe, dass bei Nichterfüllung dieser Beschränkungen und Bedingungen die Unionsbürgerschaft allein zur Entstehung des Freizügigkeitsrechts noch nicht ausreicht. Dass im Fall des Klägers ausreichende Existenzmittel im Sinn der genannten Richtlinie im Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung nicht vorhanden waren, liegt für den Senat angesichts des Fehlens gesicherter Einkünfte und seiner schweren Erkrankung mehr als nahe; selbst wenn er in gewissem Umfang von seiner damaligen Ehefrau und/oder seinen italienischen Eltern unterstützt worden sein mag, dürfte es jedenfalls an ausreichender Krankheitsvorsorge gefehlt haben (vgl. dazu auch EuGH, Urteil vom 19.10.2004 - C 200/02 -, - Chen -, InfAuslR 2004, 413 und vom 23.3.2006, a.a.O.). Hiervon abgesehen geht der EuGH jedenfalls dann vom Fehlen bzw. Erlöschen des Freizügigkeitsrechts aus, wenn die Nichterfüllung der „Beschränkungen und Bedingungen“ der Freizügigkeit (siehe Art. 18 Abs. 1 EG) dem Betroffenen „entgegengehalten“ worden ist (siehe EuGH, Bidar, a.a.O., Rn 36). Eine derartige behördliche Entscheidung - zum neuen Recht siehe § 7 Abs. 1 FreizügG/EU - kann hier durchaus in der Ausweisungsverfügung selbst gesehen werden, die dem Kläger ausdrücklich wegen fehlender Existenzmittel und wegen fehlenden Krankenversicherungsschutzes gemeinschaftsrechtliche Freizügigkeit abgesprochen hat (S. 6 f. der Ausweisungsverfügung) und die der Kläger ebenso wie die Ausweisung selbst akzeptiert hat.
29 
Letztlich kann der Senat jedoch offen lassen, ob der Kläger sich zum damaligen Zeitpunkt auf ein Freizügigkeitsrecht aus eigenem Recht berufen konnte; er war jedenfalls aus abgeleitetem Recht als Familienangehöriger freizügigkeitsberechtigt. Ein solches Recht scheidet nicht bereits deswegen aus, weil der Kläger bereits im Bundesgebiet geboren wurde und es damit „an sich“ an dem erforderlichen grenzüberschreitenden Element fehlt (siehe dazu EuGH - Chen -, a.a.O. Rn 19/20). Ob der Kläger als Familienangehöriger von seiner italienischen Mutter oder von seinem italienischen Stiefvater (siehe dazu EuGH , Urteil vom 30.9.2004 - C 275/02 -, - Ayaz -, InfAuslR 2004, 416 und Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht, Rn 17 zu § 3 FreizügG) ein Freizügigkeitsrecht ableiten konnte, obwohl er über 21 Jahre alt war, insbesondere ob ausreichende Unterhaltsleistungen der Stammberechtigten vorlagen (siehe dazu EuGH, Chen, a.a.O., und Kommission, a.a.O.), ist angesichts der Einstellung der Eltern des Klägers zu seiner Drogenabhängigkeit fragwürdig; der Senat braucht diese Fragen jedoch nicht zu entscheiden, weil der Kläger jedenfalls von seinen Kindern als Stammberechtigte ein entsprechendes Freizügigkeitsrecht herleiten konnte. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
30 
Die Kinder des Klägers sind (auch) italienische Staatsangehörige (siehe Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Bd. 8 (Italien), S. 6 mit Hinweis auf Art. 1 des italienischen Gesetzes 91/1992 vom 5.2.1992). Die Tatsache, dass sie daneben die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, ändert an ihrer Eignung als „Stammberechtigte“ nichts (siehe EuGH, Urteil vom 7.7.1992 - C 369/90 -, - Micheletti -, InfAuslR 1992, 2). Kraft ihrer Rechtsstellung als Unionsbürger konnten die Kinder des Klägers diesem trotz ihrer Geburt in Deutschland ein Freizügigkeitsrecht vermitteln (siehe dazu EuGH - Chen -, a.a.O.), und sie selbst waren nach der oben wiedergegebenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unmittelbar aus Art. 18 Abs. 1 EG freizügigkeitsberechtigt. Dabei ist es ohne rechtliche Bedeutung, dass die maßgebende Rechtsprechung des EuGH sowohl zum Freizügigkeitsrecht unmittelbar aus Art. 18 EG als auch zur „Erstreckung“ des Freizügigkeitsrechts von Kindern auf Eltern (s. dazu unten) erst nach Erlass der Ausweisungsverfügung entwickelt worden ist; sie erfasst auch zurückliegende Tatbestände, die im Sinn der „geläuterten“ Rechtsprechung zu beurteilen sind (siehe dazu EuGH, Urteil vom 2.12.1997 - C 188/95 -, Fantask -, Slg I 06783, Rn 36,37; vgl. auch die Rechtsprechung des BVerwG zum Verständnis der RL 64/221/EWG, Urteile vom13.9.2005 - 1 C 7.04 -, InfAuslR 2006, 110, und vom 6.10.2005 - 1 C 5.04 -, InfAuslR 2006, 114 und Kopp/Ramsauer, a.a.O. Rn 35 zu § 48 m.w.N.). Dass die Kinder des Klägers ihrerseits die „Beschränkungen und Bedingungen“ der Freizügigkeit (siehe Art. 18 Abs. 1 EG) unter irgendeinem Gesichtspunkt (Existenzmittel, Krankheitsvorsorge) nicht erfüllt hätten, ist nicht ersichtlich; erst recht ist ihnen ein solcher Tatbestand im Sinn der Rechtsprechung des EuGH (Bidar, a.a.O.) auch nicht „entgegengehalten“ worden. Aus dieser Rechtsstellung folgt, dass nicht nur sie selbst im maßgebenden Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung freizügigkeitsberechtigt waren, sondern dass zusätzlich eine Gefährdung ihres Freizügigkeitsrechts durch eine Ausweisung ihres Vaters gemeinschaftsrechtlich zu vermeiden war (siehe EuGH, Baumbast, a.a.O. Rn 72 f. und Chen, a.a.O. Rn 45). In den genannten Entscheidungen hat der Europäische Gerichtshof nämlich ein den Kindern zustehendes Freizügigkeitsrecht in bestimmten Fällen auf die Eltern erstreckt; er hat sich dabei an der Überlegung orientiert, dass das einem Kind nach der Gemeinschaftsgesetzgebung zustehende Recht verloren gehen könnte, wenn den Eltern die Möglichkeit versagt würde, während der Schulausbildung ihrer Kinder im Aufnahmemitgliedstaat zu verbleiben. Dies gilt nach Auffassung des EuGH jedenfalls für solche Eltern, die die Personensorge tatsächlich wahrnehmen und sich bei dem Kind aufhalten (siehe EuGH, Baumbast, a.a.O., Rn 71 und 73; siehe auch EuGH - Chen -, a.a.O. Rn 45). Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser „Erstreckung“ des gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechts der Kinder auf die Eltern waren im Fall des Klägers auch gegeben:
31 
Zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung lagen - bezogen auf den Kläger, seine damalige Noch-Ehefrau und die beiden Kinder - die ein „Familienleben“ im Sinn der (auf Art. 8 Abs. 1 EMRK Bezug nehmenden) Rechtsprechung des EuGH begründenden Umstände vor; der Kläger wohnte mit seinen Familienangehörigen zusammen, und es ist auch davon auszugehen, dass die in den genannten Urteilen für eine Erstreckung der Freizügigkeit vorausgesetzte tatsächliche Personensorge für die Kinder (auch) von ihm wahrgenommen wurde (zu den Anforderungen des Art. 8 EMRK siehe Grote/Marauhn, a.a.O. Kap. 16 Rn 41 und Breitenmoser/Riemer/Seitz, a.a.O., S. 59 und 60). Der tatsächliche Kontakt, auf den es in diesem Zusammenhang ankommt, endete auch nicht in den Zeiträumen, in denen der Kläger inhaftiert war; es bestand regelmäßiger Besuchskontakt (alle zwei Wochen) mit seiner damaligen Ehefrau und den Kindern (RP-Akten S. 26), und auch sonst hatte - wie aus den Ausländerakten der Stadt Fellbach hervorgeht - keine Seite die Absicht, die familiäre Lebensgemeinschaft zu beenden (siehe etwa Vermerke vom 25.11.1997 und 16. und 18.12.1997). Die Inhaftierungszeiten haben damit den der Rechtsprechung des EuGH zur Erstreckung des Freizügigkeitsrechts auf Eltern zugrunde liegenden familienrechtlichen Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht berührt (vgl. dazu auch Grote/Maraun, a.a.O., Kap. 16 Rn 45 m.w.N.).
32 
Die dem Schutz des Freizügigkeitsrechts der Kinder dienende Erstreckung dieses Rechts auf ihren Vater scheitert im vorliegenden Fall auch nicht daran, dass die Kinder gleichzeitig deutsche Staatsangehörige sind. Zwar folgt hieraus, dass naturgemäß ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland zu keinem Zeitpunkt in Frage stand; die gegen den Kläger ergangene Ausweisung setzte aber gleichwohl die Familienangehörigen dem mittelbaren Druck aus, dem Kläger nach Italien zu folgen. Dass es im vorliegenden Fall hierzu nicht kam, weil die Kinder und ihre Mutter sich für den weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet entschieden, ändert daran nichts, zumal der weitere Zusammenhalt der Familienangehörigen in der illegalen Wiedereinreise des Klägers und in seinen (heimlichen) Besuchen bei der Familie zum Ausdruck kommt. Es spricht mehr dafür, dass die Familienangehörigen des Klägers die bevorstehende Trennung nicht durch ihre Nachreise nach Italien, sondern durch weiteren Kontakt in der Illegalität verhindern bzw. entschärfen wollten. Da die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Entscheidungen Baumbast und Chen, jeweils a.a.O.) eine für Kinder bei Ausweisung eines Elternteils entstehende Zwangslage vermeiden will, ist sie auch auf Fallgestaltungen wie die hier vorliegende anwendbar.
33 
Auf das aus seinen Kindern abgeleitete Freizügigkeitsrecht hat der Kläger schließlich auch nicht durch seine Erklärung vom 15.2.1998 verzichtet. Wie bereits ausgeführt worden ist, betraf diese Erklärung nur die konkret bevorstehende Abschiebung; mit ihr wollte der Kläger für die Behörde erkennbar eine vorzeitige Haftbeendigung in Deutschland erreichen. In der mündlichen Verhandlung hat er dazu glaubhaft angegeben, es sei ihm darum gegangen, möglichst früh in Italien wieder an Drogen zu kommen. Als Verzicht auf ein Freizügigkeitsrecht, das ihn auch zur Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland berechtigen würde, ist diese Erklärung nicht aufzufassen, ganz abgesehen davon, dass es insofern offenbar an einem verbindlichen rechtlichen Erklärungswillen - sozusagen für alle Zukunft - fehlte und ein wesentliches Element der Erklärung - die Mitausreise der Familienangehörigen - nicht Realität wurde. Insofern sind strenge Anforderungen zu stellen; sogar bei einer Ausreise „zum Sterben in der Heimat“ hat die Rechtsprechung die Annahme eines Freizügigkeitsverzichts abgelehnt (siehe dazu und zu den Voraussetzungen eines solchen Verzichts OVG Koblenz, Beschluss vom 17.6.1996 - 11 B 11155/96 -, InfAuslR 1996, 337 m.w.N.). Verzichtserklärungen im europäischen Recht sind auf die konkrete Handlung beschränkt und nicht mit Zukunftswirkung verbunden (siehe dazu Umbach/Clemens, GG, 2002, Rn 8 zu Art. 18). Insofern gilt nichts anderes als bei grundgesetzlich gewährleisteten Rechten (siehe dazu im einzelnen Jarass/Pieroth, GG, 2004, Vorbem. vor Art. 1, Rn 36 und Dreier, GG, 1996, Vorbem. 83, je m.w.N.). Auch ist zu bedenken, dass zum damaligen Zeitpunkt ein aus dem Unionsbürgerrecht selbst fließendes Aufenthaltsrecht noch nicht durch den Europäischen Gerichtshof anerkannt war; 1997 hatte der Europäische Gerichtshof noch entschieden, dass die Unionsbürgerschaft keine Ausdehnung der Rechtsstellung bewirken wolle (siehe dazu Lenz/Borchardt, a.a.O., Rn 2 zu Art. 18). Für einen entsprechenden Verzichtswille fehlt es daher zum damaligen Zeitpunkt an einer Grundlage.
34 
1.2. Konsequenz des dem Kläger nach diesen Ausführungen bei Erlass der Ausweisungsverfügung zustehenden Freizügigkeitsrechts war, dass entsprechende gemeinschaftsrechtliche Ausweisungsschranken anzuwenden waren; insbesondere schied im Fall des Klägers eine (nach nationalem Recht zutreffende) Regelausweisung aus und es war Ausweisungsermessen auszuüben. Der Europäische Gerichtshof hat - allerdings erst im Jahr 2004, aber gleichwohl mit Wirkung auch für frühere Ausweisungsfälle (siehe dazu oben 1.1) -entschieden, dass bei freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern die Tatbestände der zwingenden und der Regelausweisung als Rechtsgrundlagen ausscheiden; solche Ausländer dürfen nur aufgrund einer ausländerbehördlichen Ermessensentscheidung ausgewiesen werden (siehe dazu EuGH, Urteil vom 29.4.2004 - Rs C 482/01 - und C 493/01 - Orfanopoulos und Oliveri, DVBl. 2004, 876), und das Bundesverwaltungsgericht hat sich dem angeschlossen (Urteil vom 3.8.2004 - 1 C 30.02 -, NVwZ 2004, 1099). Die frühere - abweichende - Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist damit aufgegeben worden. Im Licht dieser - allerdings neueren - Rechtsprechung könnte die gegen den Kläger ergangene Ausweisungsverfügung im Verfahren über den Rücknahmeantrag nur dann als rechtmäßig beurteilt werden, wenn die Behörde die Ausweisung des Klägers nicht nur auf den Tatbestand der Regelausweisung gestützt, sondern hilfsweise Ermessen ausgeübt hätte. Dies ist hier aber nicht geschehen. Die Behörde ging ausdrücklich von einer sog. Ist-Ausweisung nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG aus, die wegen der ausländerrechtlichen Privilegierung des Klägers als Vater zweier deutscher Kinder in eine Regelausweisung nach § 47 Abs. 2 AuslG herabgestuft wurde (§ 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG); die Behörde hat danach lediglich noch geprüft, ob eine atypische Fallgestaltung vorliegt, die eine Ermessensausweisung gebietet (S. 9 ff. der Ausweisungsverfügung), und diese Frage verneint. Die Verfügung setzt sich zwar bei der Prüfung, ob eine atypischen Fallgestaltung gegeben ist, mit der bisherigen Lebensführung des Klägers im einzelnen auseinander; diese Gesichtspunkte können aber nicht in eine Ermessensausübung „umgedeutet“ werden, da Rechtserwägungen im Zusammenhang mit der Problematik der Atypik keine Ermessenserwägungen sind (so ausdrücklich BVerwG, Urteil vom 19.11.1996 - 1 C 25/94 -, InfAuslR 1997, 152). Die Tatsache, dass bei der Prüfung der Atypik alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (siehe BVerwG, Urteil vom 26.2.2002 - 1 C 21/00 -, NVwZ 2002, 1512), begründet daher nicht die Annahme einer Ermessensentscheidung; die Atypik führt erst tatbestandsmäßig zur Ermessensausübung (siehe BVerwG, Urteil vom 31.8.2004 - 1 C 25/03 -, NVwZ 2005, 229).
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1.3. Der Senat kann offen lassen, ob die Ausweisungsverfügung gegen den Kläger nicht nur wegen unterbliebener Ermessensausübung, sondern auch wegen Verletzung des Art. 9 RL 64/221/EWG als rechtswidrig anzusehen ist (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 13.9.2005, a.a.O. und vom 6.10.2005, a.a.O.), ob der in dieser Richtlinie gebotene verfahrensrechtliche Schutz wegen der Einwilligung des Klägers in seine Ausweisung bzw. Abschiebung entbehrlich war und ob ein gegebenenfalls vorliegender Rechtsverstoß durch den späteren Wegfall der Richtlinie gegenstandslos geworden ist (siehe dazu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18.10.2006 - 13 S 192/06 -). Offensichtlich fehlerhaft wäre allerdings die Annahme, es hätten im Weg der sog. Vorwirkung bereits damals (1998) die materiellen Ausweisungsvoraussetzungen der weitaus späteren RL 2004/38/EG gegolten.
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2. Aus der wegen Ermessensunterschreitung vorliegenden Rechtswidrigkeit der Ausweisungsverfügung ergibt sich, dass entgegen der Auffassung der Behörde tatbestandsmäßig eine Rücknahme nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG in Betracht kam; die Behörde war dementsprechend verpflichtet, über den Rücknahmeantrag nach Ermessen zu entscheiden. Die Behörde hat jedoch in der Verfügung vom 29.9.2004 den Antrag auf Rücknahme der Ausweisung aus Rechtsgründen, d.h. wegen fehlender Rechtswidrigkeit der Verfügung, abgelehnt (S. 3 der Verfügung); (wenigstens) hilfsweise Ermessensausübung liegt auch insofern nicht vor, zumal die weiteren Ausführungen der Behörde im Zusammenhang mit dem Hilfsantrag auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung bzw. Abschiebung nicht als Ermessensausführungen im Zusammenhang mit § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG aufgefasst werden können (siehe dazu auch oben). Das Rücknahme-Ermessen ist auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt worden; insbesondere liegt kein „Ergänzen“ im Sinn des § 114 Satz 2 VwGO vor. Im gerichtlichen Verfahren hat die Behörde an ihrer Auffassung zur Rechtmäßigkeit der Verfügung festgehalten. Sie hat zwar ausgeführt, ihr müsse noch die Möglichkeit der Nachholung des Ermessens gegeben werden, und sich insoweit auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 3.8.2004 (a.a.O.) bezogen; damit verkennt sie aber, dass diese Entscheidung die Anfechtungsklage gegen eine Ausweisungsverfügung und nicht - wie hier - eine Klage auf Rücknahme dieser Verfügung betrifft. Die Verweisung auf das Befristungsverfahren ist keine Ermessensbetätigung im Rücknahmeverfahren, und eine bestandskräftig gewordene „Alt-Ausweisung“ kann auch nicht in eine nach Voraussetzungen und Struktur unterschiedliche Feststellung nach § 6 FreizügG umgedeutet werden (siehe auch OLG Hamburg, Beschluss vom 21.11.2005 - 1 Ws 212/05 -, InfAuslR 2006, 118, 120). Im übrigen wäre wegen des ursprünglichen Fehlens von Ermessenserwägungen überhaupt eine bloße „Ergänzung“ im Sinn des § 114 Satz 2 VwGO nicht zulässig (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 5.9.2006 - 1 C 20.05 -, juris und VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.11.2006 - 13 S 1566/06 -). Die aufgrund der aktuellen EuGH-Rechtsprechung (Entscheidung Orfanopoulos a.a.O.) vom Bundesverwaltungsgericht über § 114 Satz 2 VwGO hinaus eingeräumte generelle Nachholmöglichkeit ist hier nicht geboten, da die Rechtswidrigkeit der Ausweisungsverfügung hier nicht auf neuen Erkenntnissen während des Anfechtungsverfahrens beruhte, sondern auf der bereits 2002 eingeleiteten Rechtsprechung zu Art. 18 EG und zur Erstreckung der Freizügigkeit auf Kinder (siehe oben), die ohne weiteres (wenigstens hilfsweise) im Ablehnungsbescheid von 2004 hätte berücksichtigt werden können.
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3. Die danach vorliegende Ermessensunterschreitung führt allerdings nur zu einer entsprechenden Bescheidungsverpflichtung des beklagten Landes nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO; eine darüber hinausgehende Verpflichtung des Beklagten zur unmittelbaren Rücknahmeentscheidung kam nicht in Betracht, so dass die auf dieses Ziel gerichtete Klage (teilweise) abzuweisen war. Einen direkt auf Rücknahme der Ausweisungsverfügung gerichteten Anspruch kann der Kläger nicht unter dem Gesichtspunkt der sog. Ermessensreduzierung auf die Rücknahme als einzig rechtlich zutreffende Entscheidung verlangen (3.1), und eine Pflicht der Behörde zur (in diesem Fall: deklaratorischen) Rücknahme besteht auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Unwirksamkeit der Ausweisungsverfügung (3.2).
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3.1. Weder nationales Recht noch Gemeinschaftsrecht gebieten es im vorliegenden Fall dem beklagten Land, die gegen den Kläger ergangene Ausweisungsverfügung zurückzunehmen.
39 
Für das nationale Recht folgt dies daraus, dass im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG im Hinblick auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit einerseits und das der Rechtssicherheit andererseits nur ausnahmsweise ein Rücknahmeanspruch besteht; die Aufrechterhaltung des Bescheides müsste dann „schlechthin unerträglich“ sein (siehe dazu z.B. BVerwG, Beschluss vom 15.3.2005 - 3 B 86/04 -, DÖV 2005, 651 m.w.N.). Eine solche Fallgestaltung ist hier nicht gegeben; einmal war der Kläger, was für die Ermessensausübung durchaus relevant sein kann, mit seiner Abschiebung zum damaligen Zeitpunkt einverstanden, und zum anderen erscheint die Aufrechterhaltung der Ausweisungsverfügung auch nicht deswegen im Sinn der oben angeführten Rechtsprechung „schlechthin unerträglich“, weil die zur Annahme der Rechtswidrigkeit führende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum abgeleiteten Freizügigkeitsrecht von Kindern und zum Unionsbürgerrecht erst Jahre nach dem Erlass der Ausweisungsverfügung entwickelt wurde. Auch ergibt sich eine Ermessensreduzierung nicht aus dem Verhalten der Behörde selbst oder daraus, dass das Rücknahmeinteresse des Betroffenen eindeutig und offensichtlich schwerer wiegen würde als das öffentliche Interesse an einer Rücknahme (zu diesen Kriterien siehe Kopp/Ramsauer, a.a.O., Rn 55 zu § 48). Im übrigen käme es in diesem Zusammenhang bei der Ermessensausübung auch auf die Frage an, ob der Kläger in der Tat zum Entscheidungszeitpunkt drogenfrei ist und wie die Rückfallprognose aussieht.
40 
Auch Gemeinschaftsrecht verpflichtet den Beklagten zur Rücknahme der Ausweisungsverfügung nicht. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
41 
Dass Gemeinschaftsrecht in Fällen der vorliegenden Art keinen unbedingten Rücknahmeanspruch begründet, hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in seiner bisherigen Rechtsprechung ausgeführt (siehe z.B. Beschluss vom 4.1.2006 - 11 S 1871/05 - und Beschluss vom 7.11.2005 - 13 S 1895/05 -), und dies entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 15.3.2005 - 3 B 86/04 - a.a.O.). Vom nationalen Recht vorgesehene Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung - mit der Folge der Bestandskraft bei Nichteinhaltung dieser Fristen - sind nämlich deswegen grundsätzlich mit Gemeinschaftsrecht vereinbar, weil sie ein Anwendungsfall des auch für das Gemeinschaftsrecht grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit sind (siehe EuGH, Urteil vom 2.12.1997 - C 188/95 -, Fantask, Slg I O6783, Rn 45; Urteil vom 13.1.2004 - C 453/00 -, Kühne und Heitz, DVBl. 2004, 373, Rn 24 und zuletzt Urteil vom 19.9.2006 - C 392/04 -und - C 422/0C 422/04 -, I 21, NVwZ 2006, 1277 Rn 51). Während die frühere Rechtsprechung des EuGH die Frage der Bestandskraft gemeinschaftsrechtswidriger Verwaltungsakte nicht problematisiert hatte (siehe dazu die Nachweise bei Gärditz, NWVBl. 2006, 442 Fn 34 f. und beispielhaft EuGH, Urteil vom 2.12.1997, a.a.O.), hat erstmals die Entscheidung Kühne und Heitz (a.a.O.) bestimmte Voraussetzungen für eine behördliche Pflicht zur Überprüfung bestandskräftiger gemeinschaftswidriger Verwaltungsakte formuliert (siehe dazu auch Epiney, NVwZ 2006, 410 f.). Diese Bedingungen sind im vorliegenden Fall nicht (kumulativ) erfüllt: Zwar ist die Behörde nach nationalem Recht (hier: § 48 VwVfG) zur Rücknahme befugt, die Bestandskraft der Entscheidung beruht aber nicht wie im Fall Kühne/Heitz auf einem nationalen Gerichtsurteil, das die Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EG verletzt hat, und der Betroffene hat sich auch nicht unmittelbar nach Kenntniserlangung von der Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung (hier: Urteile Baumbast und Chen, jeweils a.a.O.) an die Behörde gewandt und Rücknahme beantragt. Ganz unabhängig hiervon ist darauf hinzuweisen, dass Gegenstand der Entscheidung Kühne/Heitz nicht explizit die Frage der Rücknahmepflicht, sondern nur die Frage der Prüfungspflicht war (siehe dazu im einzelnen Gärditz a.a.O. S. 448). Eine Pflicht zur Überprüfung des bestandskräftigen, aber gemeinschaftswidrigen Verwaltungsakts bedeutet noch nicht die Pflicht zur Aufhebung (Gärditz a.a.O. Rn 105 m.w.N.). Die anlässlich der Entscheidung Kühne/Heitz in Literatur und Rechtsprechung aufgetretenen Unklarheiten (siehe dazu, Epiney a.a.O. S. 410 und Pache/Bieletz, DVBl. 2006, S. 331) sind im übrigen durch die weitere Rechtsprechung des EuGH im wesentlichen beseitigt worden. Die Entscheidung vom 16.3.2006 (- C 234/04 - Kapferer, DVBl. 2006, 569), die allerdings nicht (nur) bestandskräftige, sondern rechtskräftige Entscheidungen betrifft, hat bereits das vorangegangene Urteil Kühne/Heitz relativiert, und der EuGH hat im Urteil vom 19.9.2006 (I 21, a.a.O.) schließlich ausdrücklich ausgeführt, dass - von der Anerkennung der Bestandskraft ausgehend - (Rn 51) eine Überprüfungspflicht der Behörde bei Nichtausschöpfung des Rechtsbehelfsverfahrens grundsätzlich nicht besteht (Rn 53) und dass es Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung ist, die Modalitäten einer Rücknahme bzw. einer erneuten Überprüfung festzulegen. Die Überprüfungs- und Rücknahmepflicht nach nationalem Recht (hier: § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG) wird damit mit der gemeinschaftsrechtlichen Überprüfungs- und Rücknahmepflicht parallelisiert (EuGH, I 21, a.a.O. Rn 63 f. und Gärditz a.a.O. S. 446 f.); wo das nationale Recht keine Rücknahmepflicht ergibt, lässt sie sich also nicht zusätzlich aus Gemeinschaftsrecht herleiten. Bereits oben ist ausgeführt worden, dass unter dem Gesichtspunkt des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG die Aufrechterhaltung der gegen den Kläger ergangenen Ausweisung nicht „schlechthin unerträglich“ ist, eine Rücknahmepflicht insoweit also nicht besteht, und diese Überlegungen gelten auch im hier interessierenden Zusammenhang. Der Verzicht des Klägers auf Rechtsbehelfe und die Tatsache, dass der Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht keineswegs offensichtlich war - die die Freizügigkeit begründende Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs stammt wie ausgeführt aus einem Zeitraum nach Erlass der Ausweisungsverfügung - stehen auch hier der Annahme einer
Rechts verpflichtung entgegen. Von besonderer Gravität oder gar (zusätzlicher) Offensichtlichkeit eines Gemeinschaftsrechtsverstoßes kann unter diesen Gesichtspunkten ohnehin nicht ausgegangen werden. Nach den Grundsätzen der I 21-Entscheidung des EuGH (a.a.O.) ist es vielmehr auch gemeinschaftsrechtlich zu akzeptieren, wenn sich das nationale Recht (§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG) angesichts der hier widerstreitenden Interessen (Rechtssicherheit einerseits, materielle Rechtmäßigkeit andererseits) mit einer Ermessensentscheidung der Behörde begnügt.

42 
3.2 Der Kläger kann die Rücknahme der gegen ihn ergangenen Ausweisungsverfügung auch nicht unter dem Gesichtspunkt der (deklaratorischen) Aufhebung einer unwirksamen oder unwirksam gewordenen Verfügung erreichen; die Voraussetzungen eines solchen „Rücknahme“-Anspruchs (zur Zulässigkeit einer solchen Rücknahme siehe oben vor 1.) sind nämlich nicht gegeben.
43 
Bei Erlass der Ausweisungsverfügung und auch in der Folgezeit bis zum Inkrafttreten des FreizügG/EU lag kein Grund für die Annahme von Unwirksamkeit (siehe § 43 Abs. 1 und 2 VwVfG) oder gar von Nichtigkeit (§ 43 Abs. 3 i.V.m. § 44 VwVfG) der Ausweisungsverfügung vor; dies liegt für den Senat auf der Hand und bedarf keiner näheren Ausführungen; sie folgt insbesondere nicht aus dem vom Kläger in diesem Zusammenhang für sich in Anspruch genommenen Urteil des EuGH vom 29.4.1999 (- C 224/97 -, Ciola), das sich lediglich mit strafrechtlichen Folgen des Verstoßes gegen gemeinschaftsrechtswidrige Verfügungen auseinandersetzt. Die Ausweisungsverfügung ist aber auch nicht durch Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes zum 1.1.2005 unwirksam geworden. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
44 
Soweit in der Rechtsprechung angenommen wird, mit dem Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes hätten die nach früherem Recht ergangenen Ausweisungsverfügungen gegenüber Unionsbürgern ihre Rechtsgrundlage verloren (so für nicht bestandskräftig gewordene Ausweisungsverfügungen Hess. VGH, Beschluss vom 29.12.2004 - 12 TG 3212/04 -, NVwZ 2005, 837; für bestandskräftige Verfügungen OVG Berlin, Beschluss vom 15.3.2006 - 8 S 823/05 -, NVwZ 2006, 953), ist diese Rechtsprechung teilweise nicht einschlägig, da im vorliegenden Fall Bestandskraft gegeben ist; teilweise kann der Senat ihr aus anderen Gründen nicht folgen. Er schließt sich vielmehr der Gegenmeinung an, die die (fortdauernde) Wirksamkeit bestandskräftig gewordener Ausweisungen bejaht (siehe dazu OVG Hamburg, Urteil vom 22.3.2005 - 3 Bf 294/04 -, EzAR; OVG Lüneburg, Beschluss vom 30.6.2006 - 11 LA 147.05 -, AuAS 2006, 185, ebenso schon VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 7.11.2005 - 13 S 1885/05 - und Beschluss vom 4.1.2006 - 11 S 1871/05 -). Das bloße Fehlen einer für Verfügungen nach dem damaligen AufenthG/EWG ergangenen Ausweisung geltenden Übergangsvorschrift bzw. das Fehlen einer Verweisung auf § 102 Abs. 1 AufenthG in § 11 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU begründet fehlende Fortgeltung bereits deswegen nicht, weil sich im vorliegenden Fall die Fortdauer der Wirkungen der Ausweisung bereits unmittelbar aus § 102 Abs. 1 AufenthG ergibt. Die Vorschrift erfasst nämlich im Anwendungsbereich jedenfalls die auf das frühere Ausländergesetz gestützten Ausweisungsverfügungen, und um eine solche Verfügung handelt es sich im vorliegenden Fall, weil die Freizügigkeitsberechtigung und damit die Anwendung des AufenthG/EWG ausdrücklich verneint worden sind und Rechtsgrundlage der Ausweisung gerade das AuslG war. Außerdem ist der Anwendungsbereich des (späteren) FreizügG/EU und damit auch dessen § 11 Abs. 1 noch aus einem anderen Grund nicht gegeben; dieses Gesetz stellt durch die Bezugnahme auf § 1 FreizügG/EU auch in der Vorschrift des § 11 Abs. 1 auf die Freizügigkeitsberechtigung als Voraussetzung ab. Diese ist aber durch die Bestandskraft der auf das allgemeine Ausländergesetz gestützten Ausweisung entfallen (siehe auch Funke-Kaiser, Rn 2 zu § 102; OVG Hamburg, Beschluss vom 14.12.2005 - Bs 79/05 -, InfAuslR 2006, 305; Lüdke, InfAuslR 2005, S. 178; a.A. Gutmann, InfAuslR 2005, 125). Aus der fehlenden Verweisung auf § 102 AufenthG in § 11 Abs. 1 FreizügG/EU kann daher kein Argument zugunsten des Klägers hergeleitet werden. Im Übrigen hätte es wegen der bereits im Jahr 1998 eingetretenen Bestandskraft der Ausweisungsverfügung einer entsprechend klaren gesetzlichen Regelung bedurft, um die seit Bekanntgabe bestehende und durch die Bestandskraft verstärkte Wirksamkeit des Verwaltungsakts nach § 43 Abs. 2 VwVfG zu beseitigen; Die amtliche Begründung zum Entwurf des Freizügigkeitsgesetzes lässt eine so weitgehende Absicht nicht erkennen (BT-Drs. 15/420, S. 101 ff. S. 105 f.; siehe auch OVG Hamburg, Urteil vom 22.3.2005, a.a.O.).
45 
Die Bestandskraft und die damit eingetretene Wirkung der Ausweisungsverfügung ist auch nicht kraft Gemeinschaftsrechts entfallen; dies ergibt sich bereits daraus, dass das Gemeinschaftsrecht - wie oben ausgeführt - das Institut der Bestandskraft durchaus anerkennt und bei Gemeinschaftsrechtswidrigkeit eigene Instrumente - wie das Recht zur Überprüfung der Verfügung - entwickelt hat, um gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen gerecht zu werden. Dieser rechtlichen Instrumente hätte es nicht bedurft, wenn gemeinschaftsrechtlich sogar von der Unwirksamkeit (oder vom Unwirksamwerden) solcher Verfügungen auszugehen wäre. Dass in der Rechtsprechung der Strafgerichte bei Verstößen gegen solche Verfügungen unter Berufung auf den EuGH (Ciola a.a.O.) Strafbarkeit z.T. nicht mehr angenommen wird (siehe OLG Hamburg a.a.O. und OLG Karlsruhe, Beschluss vom 6.12.2006 3 Ws 346/05), steht dem nicht entgegen; insoweit handelt es sich um eine speziell strafrechtliche Fragestellung, die der Senat im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht zu beantworten braucht.
46 
4. Da der Kläger damit mit der Klage lediglich einen Teil seines mit dem Hauptantrag verfolgten Begehrens erreicht hat, waren ihm die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge teilweise aufzuerlegen (siehe § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO); der Senat geht dabei davon aus, dass der Kläger zu einem Drittel im Berufungsverfahren unterlegen ist.
47 
Die Revision war zuzulassen, da insbesondere die Frage der Wirksamkeit sog. altrechtlicher Ausweisungsverfügungen gegenüber Unionsbürgern in der obergerichtlichen Rechtsprechung strittig und noch nicht höchstrichterlich geklärt ist (siehe § 132 Abs. 2 Satz 1 VwGO).
48 
Beschluss
49 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Rechtskräftige Urteile binden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist,

1.
die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger und
2.
im Fall des § 65 Abs. 3 die Personen, die einen Antrag auf Beiladung nicht oder nicht fristgemäß gestellt haben.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 2. Februar 2006 - 6 K 524/05 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger, ein italienischer Staatsangehöriger, wurde 1975 im Bundesgebiet geboren. 1980 zog er mit seiner Mutter nach Italien. 1990 kehrte er in die Bundesrepublik Deutschland zurück. Hier arbeitete er bis 1994 als Gipser, musste diese Tätigkeit aber nach einem Sportunfall aufgeben. 1995 begann er, Kokain zu konsumieren. Der Kläger ist Vater des im Juni 1996 geborenen … und der im November 2001 geborenen …, für die er - anders als für seinen Sohn - gemeinsam mit der Kindesmutter die elterliche Sorge inne hat und ausübt.
1993 wurde der Kläger unter anderem wegen Diebstahls mit Waffen zu einer Jugendstrafe von sieben Monaten verurteilt, deren Vollstreckung für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Im Februar 1996 wurde der Kläger in Untersuchungshaft genommen und mit Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 09.04.1997 wegen gemeinschaftlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 16 Fällen zu einer Jugendstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Am 30.04.1998 wurde die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt.
Mit Bescheid vom 22.07.1997 wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Kläger nach § 47 Abs. 1 Nr. 3 AuslG aus dem Bundesgebiet aus. Der insbesondere mit einer Nachreifung während der Haft begründete Widerspruch wurde mit Bescheid vom 20.11.1997 zurückgewiesen. Die hiergegen erhobene Klage wurde vom Verwaltungsgericht Karlsruhe mit Urteil vom 17.02.1998 - 11 K 4683/97 - abgewiesen. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung wurde durch Beschluss des Senats vom 26.10.1998 - 11 S 996/98 - abgelehnt. Daraufhin reiste der Kläger im Dezember 1998 freiwillig nach Italien aus. Auf Antrag des Klägers befristete das Regierungspräsidium Karlsruhe mit Bescheid vom 15.09.1999 die Sperrwirkungen der Ausweisung auf den 06.12.2008. Die hiergegen mit dem Ziel einer Verkürzung der Sperrfrist erhobene Klage wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 09.05.2000 - 11 K 2951/99 - abgewiesen.
Nach seiner Ausreise hielt sich der Kläger mehrmals unerlaubt im Bundesgebiet auf. Aus diesem Grund wurde er mit Urteil des Amtsgerichts Rastatt vom 08.08.2002 zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 10,-- EUR und mit Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 10.07.2003 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Ein weiteres Verfahren wegen unerlaubter Einreise wurde vom Landgericht Baden-Baden am 27.07.2005 nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt. Für die zuvor vom 25.11.2004 bis zum 24.01.2005 vollzogene Untersuchungshaft wurde dem Kläger mit Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 06.12.2006 eine Entschädigung nach Billigkeit zugesprochen.
Am 05.11.2004 beantragte der Kläger die Rücknahme der Ausweisungsverfügung vom 22.07.1997. Das Bundesverwaltungsgericht habe mit Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 30/02 -, BVerwGE 121, 297 unter Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger nur auf der Grundlage einer ausländerbehördlichen Ermessensentscheidung ausgewiesen werden dürften und dass für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Tatsachengerichts abzustellen sei. Vor diesem Hintergrund stehe die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit seiner auf den zwingenden Ausweisungstatbestand des § 47 AuslG gestützten Ausweisung fest. Auch habe man bei der Ausweisung seiner Verwurzelung in die inländischen Lebensverhältnisse nicht hinreichend Rechnung getragen.
Hierauf befristete das Regierungspräsidium Karlsruhe mit Verfügung vom 22.02.2005 die Sperrwirkung der Ausweisung vom 22.07.1997 auf den Tag der Zustellung des Befristungsbescheides (23.02.2005).
Mit Bescheid vom 17.03.2005 lehnte das Regierungspräsidium Karlsruhe den "Antrag auf Wiederaufgreifen des Ausweisungsverfahrens" ab. Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 LVwVfG auch im Hinblick auf die geänderte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Beurteilungsmaßstab von Ausweisungen nicht zu, da in der Änderung der Rechtsprechung grundsätzlich keine Änderung der Rechtslage i. S. d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG zu sehen sei. Soweit daneben die Möglichkeit bestehe, das Verwaltungsverfahren nach pflichtgemäßem Ermessen wieder aufzugreifen, bestehe kein hinreichender Anlass dafür, erneut über die unanfechtbare Ausweisung sachlich zu entscheiden. Die Verfügung von 1997 sei rechtmäßig. Sie wäre auch erlassen worden, wenn damals die Maßstäbe des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom August 2004 angewendet worden wären. Denn vom Kläger sei eindeutig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgegangen.
Der Kläger hatte bereits am 04.03.2005 beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage auf Rücknahme der Ausweisung erhoben, die er nachträglich auf den Bescheid vom 17.03.2005 erstreckt hat. Trotz zwischenzeitlicher Befristung der Wirkungen der Ausweisung bestehe ein rechtlich schützenswertes Interesse an der Rücknahme. Sie werde benötigt, um die Wiederaufnahme des Strafverfahrens wegen unerlaubter Einreise und unerlaubten Aufenthalts zu erreichen, das zur rechtskräftigen Verurteilung durch das Landgericht Baden-Baden am 10.07.2003 geführt habe. Auch hätte er bei Rücknahme der Ausweisung den erhöhten Ausweisungsschutz nach Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG bzw. § 6 Abs. 5 FreizügG/EU. Schließlich sei die Rücknahme zur Rehabilitation und Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen erforderlich. Nach dem Urteil des EuGH vom 12.12.1997 (C-188/95 ) bestehe eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Rücknahme gemeinschaftswidriger Verwaltungsentscheidungen. Der Hinweis des Beklagten, dass die Ausweisung auch bei Beachtung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erlassen worden wäre, trage der besonderen Rechtstellung von Unionsbürgern nicht hinreichend Rechnung. Nach wie vor fehle eine Ermessensentscheidung über die Ausweisung und die Berücksichtigung seiner günstigen Entwicklung nach Erlass der Verfügung bis zur gerichtlichen Entscheidung. Daneben seien die familiären Bindungen und das Ausmaß der Schwierigkeiten außer Betracht geblieben, denen er, seine damalige Verlobte und sein damals neugeborenes Kind in der Folge der Ausweisung ausgesetzt gewesen seien und die dazu führten, dass die Ausweisung mit Art. 8 EMRK unvereinbar sei. Schließlich habe man nicht die in Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG enthaltenen Maßstäbe beachtet. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat erwidert, ein Anspruch auf Rücknahme der Ausweisung bestehe nicht. Zum einen sei die Rechtmäßigkeit dieser Verfügung festgestellt worden. Zum anderen lägen die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 LVwVfG nicht vor. Im Rahmen eines Anspruchs auf fehlerfreie Ermessensausübung hinsichtlich des Wiederaufgreifens sei zu berücksichtigen, dass sich die Ausweisung aus heutiger Sicht zwar deshalb als rechtswidrig darstelle, weil sie auf § 47 AuslG gestützt worden sei, dass der Kläger aber auch damals unter Beachtung der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hätte nach Ermessen ausgewiesen werden können.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 02.02.2006 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Der Kläger habe keinen Anspruch darauf, dass die Ausweisung rückwirkend zurückgenommen werde. Ein Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Ausweisungsverfahrens scheide aus, weil die Änderung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Anforderungen an die Rechtmäßigkeit einer Ausweisung von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern ebenso wenig einer Änderung der Rechtslage nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG gleichzustellen sei wie die Klärung der maßgeblichen Voraussetzungen für eine solche Ausweisung durch den EuGH in dessen Urteil vom 29.04.2004. Den Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG habe der Beklagte erfüllt, indem er die Rücknahme ohne Rechtsfehler abgelehnt habe. Das Rücknahmeermessen sei auch nicht auf Null reduziert. Die Aufrechterhaltung der Ausweisung sei nicht schlechthin unerträglich und habe für den Kläger auch keine unzumutbare Folgen. Insbesondere werde es dem Kläger nicht praktisch unmöglich gemacht, die ihm durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte wahrzunehmen. Dem Kläger stehe auch kein gemeinschaftsrechtlicher Rechtsanspruch auf Rücknahme der Ausweisung zu. Es sei im Rahmen der gerichtlichen Prüfungskompetenz nicht zu beanstanden, dass der Beklagte bei Ausübung seines Rücknahmeermessens dem öffentlichen Interesse an der Bestandskraft der verfügten Ausweisung gegenüber den privaten Interessen des Klägers den Vorrang eingeräumt habe.
10 
Am 24.03.2006 hat der Kläger die durch das Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt. Zur Begründung verweist er auf seinen Vortrag erster Instanz und trägt ergänzend vor: Die Ausweisung verstoße gegen Art. 8 Abs. 1 EMRK. Denn sie führe selbst im Falle einer Befristung zu einer faktischen Unmöglichkeit einer späteren Rückkehr nach Deutschland. Hieran ändere auch das den Unionsbürgern eingeräumte Freizügigkeitsrecht nichts, da die Rückkehr auch in diesen Fällen an Wohlstand oder an eine Beschäftigung geknüpft und beides schwer zu erreichen sei. Im Übrigen sei es gemeinschaftsrechtswidrig, weil diskriminierend, wenn Unionsbürger aufgrund des im Falle einer Befristung wieder auflebenden Freizügigkeitsrechts leichter ausgewiesen werden könnten, als Drittstaatsangehörige, denen ein Rückkehrrecht unter diesen Bedingungen nicht zukomme. Dies ergebe sich aus der Entscheidung des EuGH vom 17.04.1986 - C-59/85 - (Slg. 1986, I-1283 ).
11 
Der Kläger beantragt,
12 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.02.2006 - 6 K 524/05 - zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 17.03.2005 zu verpflichten, die Ausweisung in der Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.07.1997 rückwirkend aufzuheben.
13 
Der Beklagte beantragt,
14 
die Berufung zurückzuweisen.
15 
Zur Begründung verweist er auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe und führt ergänzend an, dass der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die Bestandskraft von Verwaltungsentscheidungen im Grundsatz anerkenne und an die Rücknahme solcher Entscheidungen eher restriktive Bedingungen knüpfe.
16 
Der Senat hat den Kläger in der Berufungsverhandlung angehört. Dabei hat er angegeben: Er lebe seit längerer Zeit in Straßburg, wo er als Profiboxer trainiere und - nach langer Krankheit - als solcher tätig werden wolle. Er sei nach seiner Ausreise nach Italien relativ bald nach Frankreich gezogen und habe sich von dort aus immer wieder vorübergehend zu seinen in Deutschland in Grenznähe lebenden Eltern oder zu seiner damaligen Verlobten begeben. Der Kontakt zu seinem Sohn … sei nach seiner Ausreise nach Italien schwächer geworden und seit 2005 gänzlich abgebrochen. Sein Sohn lebe bei dessen Mutter in der Nähe von Frankfurt. Seine Tochter … lebe bei ihrer Mutter, die mit ihm nicht mehr verlobt sei. Er übe jedoch nach wie vor gemeinsam mit der Mutter das Sorgerecht aus. Abgesehen von den Verurteilungen wegen unerlaubter Einreise und unerlaubten Aufenthalts im Bundesgebiet sei er im Jahr 2006 noch einmal wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt worden.
17 
Dem Senat liegen die Akten des Regierungspräsidiums Karlsruhe (2 Hefte) und die Akte der Ausländerbehörde der Stadt Rastatt (1 Heft) über den Kläger sowie ferner die den Kläger betreffenden Akten des Verwaltungsgerichts Karlsruhe (11 K 4683/97; 11 K 3675/97; 11 K 2951/99; 6 K 96/05) und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (11 S 996/98; 11 S 652/05) vor. Auf den Inhalt dieser Akten wird ergänzend ebenso verwiesen wie auf die wechselseitigen Schriftsätze in der Klageakte des Verwaltungsgerichts Karlsruhe in dem Verfahren 6 K 524/05 sowie in der Verfahrensakte des Senats.

Entscheidungsgründe

 
18 
Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl der Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war. Denn er wurde in der rechtzeitigen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 102 Abs. 2 VwGO).
I.
19 
Die Berufung ist nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründung wurde form- und fristgemäß vorgelegt (§ 124a Abs. 1 bis 3 VwGO). Für die mit der Berufung begehrte Verpflichtung des Beklagten zur rückwirkenden Aufhebung der Ausweisung vom 22.07.1997 besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis.
20 
Zwar entfaltet die Ausweisung aufgrund der Befristung ihrer gesetzlichen Wirkungen in Bezug auf das Recht des Klägers, ins Bundesgebiet einzureisen und sich dort aufzuhalten, gegenwärtig keine belastende Regelungswirkung. Gleiches gilt für die aktuelle aufenthaltsrechtliche Stellung des Klägers - etwa im Hinblick auf einen gesteigerten Ausweisungsschutz nach § 6 Abs. 5 Freizüg/EU (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 28.06.2007 - 13 S 1045/07 -, VBlBW 2008, 68). Denn der Kläger hat sich nach seiner Ausreise im Dezember 1998 bis heute überwiegend in Italien und Frankreich aufgehalten, sodass die rückwirkende Aufhebung der Ausweisung nicht zur Folge hätte, dass sich der Kläger auf einen hierfür notwendigen verlängerten rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet berufen könnte.
21 
Allerdings führt die Ausweisung dazu, dass die verschiedenen Aufenthalte des Klägers im Bundesgebiet in der Zeit vor der Befristung der Wirkungen der Ausweisung als unerlaubt anzusehen sind. Hierdurch ist der Kläger nach wie vor belastet, weil er mit Urteil des Amtsgerichts Raststatt vom 08.08.2002 und des Landgerichts Baden-Baden vom 10.07.2003 wegen unerlaubten Aufenthalts zu einer Geld- und einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Insoweit ergibt sich das Rechtschutzbedürfnis daraus, dass der Kläger einen Antrag auf Wiederaufnahme dieser Strafverfahren stellen und unter Hinweis auf das - bei rückwirkender Aufhebung der Ausweisung - auch in der Vergangenheit gegebene Freizügigkeitsrecht als Unionsbürger jeweils einen Freispruch erreichen möchte. Zwar wird nach der wohl herrschenden Auffassung (vgl. Meyer-Goßner, StPO, Kommentar, 50. Aufl. 2007, § 359 Rn. 17 und 21 m.w.N.) in der Rücknahme einer - die Strafbarkeit begründenden - Verwaltungsentscheidung kein Wiederaufnahmegrund nach § 359 StPO gesehen. Es reicht aber aus, dass der Erfolg des Wiederaufnahmeantrags im Strafverfahren und damit der Nutzen der vorliegenden Klage für den Kläger weder tatsächlich noch rechtlich außer Zweifel steht (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.04.2004 - 3 C 25/03 -, BVerwGE 121, 1 = DVBl 2004, 1184 = NVwZ-RR 2004, 855; Urt. v. 21.11.1996 - 4 C 13/95 -, NJW 1997, 1173 = BRS 58 Nr. 233). Dies ist der Fall. Zum einen wird die Auffassung des Klägers, dass die Aufhebung der Ausweisung einer Aufhebung eines Urteils und damit dem Wiederaufnahmegrund nach § 359 Nr. 4 StPO gleichzustellen oder zumindest als neue Tatsache im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO anzusehen ist, nicht nur in der Literatur, sondern auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geteilt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.08.1999 - 2 BvR 1322/97 -; Beschl. v. 23.05.1967 - 2 BvR 534/62 -, BVerfGE 22, 21 = NJW 1967, 1221; Schmidt in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl. 2003, § 359 Rn. 15; Schenke, JR 1970, 449; zur vergleichbaren Regelung des § 580 Nr. 6 ZPO vgl. BGH Urt. v. 21.01.1988 - III ZR 252/86 -, BGHZ 103, 121 = NJW 1988, 1914; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, Kommentar, 66. Aufl. 2008, § 580 Anm. 3 m.w.N.). Zum anderen ist die der herrschenden Auffassung zugrunde liegende Annahme, dass auch eine rückwirkende Aufhebung eines Verwaltungsakts die zuvor gegebene Strafbarkeit der Zuwiderhandlung gegen diesen nicht entfallen lässt (so ausdrücklich BGH, Beschl. v. 23.07.1969 - 4 StR 371/68 -, BGHSt 23, 86 = NJW 1969, 2023; OLG Karlsruhe, Urt. v. 28.04.1977 - 3 Ss 107/77 -, JZ 1977, 478 = NJW 1978, 116) jedenfalls für die Ausweisung von - anderenfalls freizügigkeitsberechtigten - Unionsbürgern durchaus umstritten (zum Meinungsstand vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 06.12.2006 - 3 Ws 346/05 -, InfAuslR 2007, 118 m.w.N.).
II.
22 
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen, denn der Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 17.03.2005 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
23 
Das Klagebegehren, das sich maßgebend nicht nur aus der Formulierung des Antrags, sondern auch aus dem Vortrag des Klägers, insbesondere der Klagebegründung ergibt (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.07.1976 - IV C 15.76 - Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 5; Rennert in: Eyermann, VwGO, Kommentar, 12. Aufl. 2006, § 88 Rn. 8 m.w.N.), zielt auf die rückwirkende Aufhebung der Ausweisung. Das ist sowohl durch Rücknahme nach § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG als auch durch eine neue Sachentscheidung nach Wiederaufgreifen des Ausweisungsverfahrens, etwa gemäß § 51 Abs. 1 LVwVfG, möglich (zum Verhältnis von Rücknahme und Wiederaufgreifen des Verfahrens vgl. Ruffert, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2005, § 25 Rn. 3; Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 10. Aufl. 2008, § 51 Rn. 9; Sachs in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Kommentar, 7. Aufl. 2008, § 51 Rn. 30; Baumeister, VerwArch 92 (2001), 374 m.w.N.; anders allerdings wohl BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21/07 -, BVerwGE 129, 243 = NVwZ 2008, 82 = DÖV 2008, 74 = InfAuslR 2008, 1, wonach das Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 LVwVfG der Rücknahme oder dem Widerruf vorgeschaltet sei; so auch Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl. 2006, § 11 Rn. 11).
24 
1. Der Kläger hat keinen Anspruch nach § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG darauf, dass seine Ausweisung vom 22.07.1997 rückwirkend zurückgenommen wird. Zwar ist die Rücknahme einer Ausweisung gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG neben der – hier bereits erfolgten - Befristung ihrer gesetzlichen Wirkungen gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 bis 6 AufenthG bzw. § 7 Abs. 2 Satz 2 und 3 FreizügG/EU grundsätzlich möglich, solange die Ausweisung - wie hier - noch Regelungswirkungen äußert (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 -, InfAuslR 2008, 116 = NVwZ 2008, 326 = DÖV 2008, 329 = DVBl 2008, 189 = ZAR 2008, 140). Der Kläger und der Beklagte - und damit auch der Senat - sind jedoch nach § 121 Nr. 1 VwGO gehindert, von der Rechtswidrigkeit der Ausweisung i. S. des § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG auszugehen.
25 
a) Zwar wurde die Ausweisung des freizügigkeitsberechtigten Klägers nach § 47 Abs. 1 AuslG i. V. m. § 12 Abs. 1 Satz 1 AufenthG/EWG verfügt, ohne dass der Beklagte das bei diesen Personen notwendige Ausweisungsermessen (hierzu BVerwG, Urt. v. 03.08.2004 - 1 C 30.02 -, BVerwGE 121, 297 = NVwZ 2005, 220 = DVBl. 2005, 122 = InfAuslR 2005, 18) betätigt hatte. Auch wurde die Rechtmäßigkeit der Ausweisung nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 20.11.1997 beurteilt und damit insbesondere die Entwicklung des Klägers bis zum Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 außer Betracht gelassen. Allerdings begründen diese Umstände für die Beteiligten keine Rechtswidrigkeit der Ausweisung i. S. d. § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG, weil sie aufgrund des abweisenden Urteils des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 - 11 K 4683/97 - davon ausgehen müssen, dass die Ausweisung rechtmäßig ist. Dies folgt aus § 121 Nr. 1 VwGO, wonach rechtskräftige Urteile die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger binden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist.
26 
Der Umfang der Bindungswirkung eines Urteils bestimmt sich nach der sich im Entscheidungssatz verkörpernden Schlussfolgerung des Gerichts aus der angewandten Rechtsnorm und dem festgestellten Lebenssachverhalt (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.05.1994 - 9 C 501/03 -, BVerwGE 96, 24 = DVBl 1994, 940 = DÖV 1994, 914 = NVwZ 1994, 1115 = VBlBW 1995, 8 m.w.N.). Dabei tritt die Bindungswirkung des Urteils nicht nur in den Fällen ein, in denen der identische Streitgegenstand erneut zur Entscheidung gestellt wird, sondern auch dann, wenn die rechtskräftige Zuerkennung oder Aberkennung eines prozessualen Anspruchs für einen anderen prozessualen Anspruch, der zwischen denselben Beteiligten streitig ist, vorgreiflich ist. Denn mit der Regelung des § 121 VwGO soll auch insoweit verhindert werden, dass die aus einem festgestellten Tatbestand hergeleitete Rechtsfolge, über die in einem Urteil entschieden worden ist, bei unveränderter Sach- und Rechtslage erneut - mit der Gefahr unterschiedlicher Ergebnisse - zum Gegenstand eines Verfahrens zwischen denselben Beteiligten gemacht wird (BVerwG, Urt. v. 24.11.1998 - 9 C 53/97 -, BVerwGE 108, 30 = NVwZ 1999, 302 = DVBl. 1999, 544 = InfAuslR 1999, 143; Urt. v. 10.05.1994, a.a.O.). Eine Vorgreiflichkeit der rechtskräftigen Vorentscheidung ist immer dann gegeben, wenn sie nach dem Umfang ihrer Rechtskraft ein Element liefert, das nach den einschlägigen materiell-rechtlichen Normen des zweiten Rechtsstreits notwendig ist, um die in diesem Prozess beanspruchte Rechtsfolge zu begründen (BVerwG, Urt. v. 31.01.2002 - 2 C 7.01 -, BVerwGE 116, 1 = NVwZ 2002, 853 = DVBl. 2002, 1219 = DÖV 2002, 864).
27 
Da der Streitgegenstand des dem Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 - 11 K 4683/97 - zugrunde liegenden Verfahrens in der Rechtsbehauptung des Klägers besteht, dass die Ausweisung vom 22.07.1997 rechtswidrig ist und ihn in seinen Rechten verletzt (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.01.2002, a.a.O.; Urt. v. 08.12.1992 - 1 C 12.92 -, BVerwGE 91, 256 = NVwZ 1993, 672 = DVBl. 1993, 258 = DÖV 1993, 718 = BayVBl 1993, 250; Rennert, a.a.O., § 121 Rn. 25 m.w.N.) und § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG gerade die Rechtswidrigkeit der Ausweisung voraussetzt, ist das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 für den Anspruch auf Rücknahme der Ausweisung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG vorgreiflich. Dementsprechend nimmt auch die in der Abweisung der Anfechtungsklage des Klägers liegende Feststellung in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 über die Rechtmäßigkeit der Ausweisung vom 22.07.1997 an der präjudiziellen Wirkung dieses Urteils für den Anspruch auf Rücknahme der Ausweisung teil. Zwar ergibt sich - anders als dies im Falle der Stattgabe in Bezug auf die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts der Fall ist - aus der Abweisung einer Anfechtungsklage nicht zwingend, dass der angefochtene Verwaltungsakt rechtmäßig ist. Vielmehr kann die Abweisung der Klage auch allein darin begründet sein, dass es an der Verletzung eines subjektiven Rechts oder gar an der Zulässigkeit der Klage fehlt. Dennoch ist es - trotz der damit gegebenen Notwendigkeit, den Umfang der Rechtskraft unter Heranziehung der die Abweisung der Klage tragenden Gründe zu bestimmen - anerkannt, dass sich die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts im Falle eines deshalb abweisenden Urteils nicht als bloße Vorfrage des Urteils darstellt, sondern an der Bindungswirkung eines abweisenden Urteils in einem Anfechtungsprozess teilhat (BVerwG, Beschl. v. 15.03.1968 - VII C 183.65 -, BVerwGE 29, 210 = GewArch 1969, 22; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 23.06.1988 - 2 BvR 260/88 -, NVwZ 1989, 141; BVerwG, Urt. v. 10.05.1994, a.a.O.; Urt. v. 28.07.1989 - 7 C 78/88 -, BVerwGE 82, 272 = DVBl. 1989, 1192 = NJW 1990, 199; Urt. v. 30.08.1988 - 9 C 47/87 -, NVwZ 1989, 161; ebenso Rennert, a.a.O., § 121 Rn. 27; Clausing, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Kommentar, § 121 Rn. 80; a.A. Schenke, VwGO, Kommentar, 15. Aufl. 2007, § 121 Rn. 21 sowie Hößlein, VerwArch 98 (2007), 127, 150).
28 
b) Einer Erstreckung der in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 enthaltenen Feststellung über die Rechtmäßigkeit der Ausweisung auf das Verfahren auf Rücknahme der Ausweisung steht nicht entgegen, dass sich dieses klageabweisende Urteil unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH zur Rechtmäßigkeit der Ausweisung freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger (Urt. v. 29.04.2004 - C-482/01 und C-493/01 -, Slg. I-5257 = DVBl 2004, 876 = InfAuslR 2004, 268 = NVwZ 2004, 1099, ) sowie der hierauf basierenden Änderung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Urt. v. Urt. v. 03.08.2004, a.a.O.) nachträglich als unrichtig erweist. Denn die materielle Bindungswirkung des § 121 VwGO tritt grundsätzlich unabhängig davon ein, ob das rechtskräftige Urteil die Sach- und Rechtslage zutreffend gewürdigt hat oder nicht (BVerwG, Urt. v. 24.11.1998, a.a.O.; Urt. v. 08.12.1992, a.a.O.; Urt. v. 05.11.1985 - 6 C 22.84 -, NVwZ 1986, 293). Auch begründet eine spätere gerichtliche - auch höchstrichterliche - Klärung einer Sach- oder Rechtsfrage abweichend von dem früheren rechtskräftigen Urteil keine Änderung der Sach- oder Rechtslage, die eine Lösung von der Rechtskraftbindung rechtfertigen könnte (BVerwG, Urt. v. 31.07.2002 - 1 C 7/02 -, NVwZ 2003, Beilage Nr. I 1, 1; Urt. v. 18.09.2001, - 1 C 7/01 -, BVerwGE 115, 118 = DVBl. 2002, 343 = NVwZ 2002, 345 = DÖV 2002, 301 = InfAuslR 2002, 207). Dies ist auch im Gemeinschaftsrecht grundsätzlich anerkannt (EuGH, Urt. v. 16.03.2006 - C-234/04 -, , Slg. I-2585 = DVBl 2006, 569 = NJW 2006, 1577; Urt. v. 30.09.2003 - C-224/01 -, , Slg. I-10239 = NJW 2003, 3539 = DVBl 2003, 1516 = NVwZ 2004, 79; Urt. v. 01.06.1999 - C-126/97 -, , Slg. I-3055).
29 
Sofern der in Art. 10 EG verankerte Grundsatz der Zusammenarbeit die nationalen Behörden und Gerichte bei Vorliegen bestimmter Umstände verpflichtet, eine infolge einer innerstaatlichen Erschöpfung des Rechtswegs bestandskräftige Verwaltungsentscheidung zu überprüfen, um einer später vom Gerichtshof vorgenommenen Auslegung einer einschlägigen Bestimmung des Gemeinschaftsrechts Rechnung zu tragen (EuGH, Urt. v. 12.02.2008, a.a.O. sowie Urt. v. 13.01.2004 - C-453/00 -, , Slg. I-837 = DVBl 2004, 373 = NVwZ 2004, 459 = InfAuslR 2004, 139 = DÖV 2004, 530), gilt diese Verpflichtung immer nur im Rahmen der insbesondere durch das nationale Prozessrecht bestimmten Grenzen der Auslegung einer Rechtsnorm (vgl. EuGH, Urt. v. 12.02.2008, a.a.O.; vgl. auch Urt. v. 07.06.2007 - C-222/05 u.a. -, , Slg. I-4233 sowie Urt. v. 14.12.1995 - C-430/93 -, , Slg. I-4705), sodass - ohne eine entsprechende Regelung im nationalen Recht - auch über eine solche Verpflichtung eine Einschränkung der Bindungswirkung des § 121 VwGO nicht erreicht werden kann.
30 
Eine solche Regelung des nationalen Rechts, über die die präjudizielle Bindungswirkung eines abweisenden Urteils - auf das Tatbestandsmerkmal der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts in § 48 Abs. 1 LVwVfG - entfallen würde, findet sich nicht in der anerkannten Befugnis einer Behörde, trotz der gerichtlichen Bestätigung eines Verwaltungsakts auf dessen Vollzug zu verzichten oder diesen Verwaltungsakt dennoch aufzuheben (zu dieser Befugnis vgl. BVerwG, Urt. v. 27.01.1994 - 2 C 12.92 -, BVerwGE 95, 86 = BayVBl. 1994, 632 = NVwZ 1995, 388; Urt. v. 08.12.1992, a.a.O., m.w.N.; Urt. v. 13.09.1984 - 2 C 22/83 -, BVerwGE 70, 110 = NJW 1985, 280 = DVBl. 1985, 527; Urt. v. 04.06.1970 - II C 39.68 -, BVerwGE 35, 234 = DÖV 1970, 821 = DVBl. 1971, 272; Rennert, a.a.O., Rn. 27; Clausing, a.a.O., § 121 Rn. 31; Nicolai in: Redecker/v.Oertzen, VwGO, Kommentar, 14. Aufl. 2004, § 121 Rn. 10a und b; Kilian in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 121 Rn. 70). Diese Befugnis wurde ursprünglich mit dem im Zivilprozess anerkannten Grundsatz begründet, dass ein Urteil immer nur zugunsten, nicht jedoch zu Ungunsten der obsiegenden Partei wirke, und einer im Anfechtungsprozess obsiegenden Behörde deshalb - ebenso wie der in einem Zivilrechtsstreit obsiegenden Partei - die Möglichkeit erhalten bleibe, sich außerprozessual abweichend von der rechtskräftigen Entscheidung zu verhalten. Danach bleibt die gesetzliche Bindungswirkung nach § 121 VwGO aber gerade unangetastet (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.06.1970, a.a.O.; Bachof, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Verfahrensrecht Bd. II, 1967 Nr. 206; Menger, VerwArch 49 (1958), 368, 373; Haueisen, NJW 1963, 1329, 1333; Bullinger, DÖV 1964, 381; vgl. auch Seibert, Die Bindungswirkung von Verwaltungsakten, 1988, S. 586 ff. sowie Clausing, a.a.O., § 121 Rn. 31). Nichts anderes gilt dann, wenn diese Befugnis der Behörde, zugunsten des unterlegenen Beteiligten von der gerichtlich bestätigten Entscheidung abzuweichen, aus den Regelungen zum Verwaltungsverfahren abgeleitet und damit - dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung entsprechend - auf eine notwendige (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.06.1988 - 2 BvR 260/88 -, NVwZ 1989, 141) gesetzliche Grundlage gestellt wird (so BVerwG, Urt. v. 13.09.1984, a.a.O. sowie insb. Urt. v. 28.07.1989 - 7 C 78/88 -, BVerwGE 82, 272 = DVBl. 1989, 1192 = NJW 1990, 199 = NVwZ 1990, 156; vgl. auch Maurer, JZ 1993, 574; Kopp/Kopp, NVwZ 1994, 1; Erfmeyer, DVBl. 1997, 27). Denn hiernach findet sie ihre normative Grundlage ausschließlich in den - von der Entscheidung nach § 48 Abs. 1 LVwVfG zu trennenden - Regelungen zum Wiederaufgreifen des Verfahrens, welches von vornherein nur zugunsten und auf Antrag des Betroffenen erfolgen kann (vgl. § 51 Abs. 1 LVwVfG) und - aufgrund der Bezogenheit auf eine neue Sachentscheidung - von der Bindungswirkung eines Urteils über den Erstbescheid nicht erfasst wird (hierzu BVerwG, Urt. v. 13.09.1984, v. 28.07.1989, v. 27.01.1994, jeweils a.a.O.; ebenso wohl Rennert, a.a.O., § 121 Rn. 33 f.).
31 
Der Auffassung, die Behörde sei im Rahmen des § 48 Abs. 1 LVwVfG hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts von der - und sei es präjudiziellen - Bindungswirkung des rechtskräftigen Urteils suspendiert, sofern sie eine belastende Verfügung aufheben wolle (vgl. etwa Sachs, a.a.O., § 48 Rn. 51; Meyer in: Knack, VwVfG, 8. Aufl. 2003, § 48 Rn. 57; Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 10. Aufl. 2008, § 48 Rn. 16; ebenso wohl Ziekow, VwVfG, 2006, § 48 Rn. 12), kann indes nicht gefolgt werden. Denn § 48 Abs. 1 LVwVfG differenziert hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts nicht danach, ob dessen Rücknahme zugunsten oder zulasten des Betroffenen erfolgt. Die Anerkennung einer normativ geregelten Abweichung von der Bindungswirkung des § 121 VwGO müsste anderenfalls auch zu der – abzulehnenden - Ermächtigung führen, einen gerichtlich bestätigten, aber nachträglich als rechtswidrig erkannten Verwaltungsakt auch zulasten des betroffenen Adressaten aufzuheben (so etwa Erfmeyer, a.a.O.; Maurer, a.a.O.; ähnlich auch Kopp/Kopp, a.a.O.).
32 
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte die Ausweisung durch eine neue Sachentscheidung nach Wiederaufgreifen des Ausweisungsverfahrens unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben für die Ausweisung freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger sowie der tatsächlichen Entwicklung des Klägers aufhebt.
33 
a) Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 LVwVfG.
34 
Nach dieser Regelung hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn bestimmte Wiederaufgreifensgründe zu einer dem Betroffenen begünstigenden Sachentscheidung geführt hätten. Solche Wiederaufgreifensgründe sind indessen nicht gegeben. Insbesondere liegt in der Änderung der Rechtsprechung zu den Anforderungen an die Ausweisung freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger, wie sie sich in dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2004 (- 1 C 30 .02 -, BVerwGE 121, 297) manifestiert, keine Änderung der Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG. Gleiches gilt für die - vom Kläger geltend gemachte - Verschärfung der Anforderungen des Art. 8 Abs. 2 EMRK an die Verhältnismäßigkeit der Ausweisung von faktischen Inländern in dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 - (InfAuslR 2007, 275 = ZAR 2007, 243 = NVwZ 2007, 946 = AuAS 2007, 242) und gemäß der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, etwa in dem Urteil vom 27.10.2005 (Individualbeschwerde Nr. 32231/02 - Keles ./. Deutschland, InfAuslR 2006, 3 = FamRZ 2006, 1351).
35 
Wenngleich § 51 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG insoweit weiter gefasst ist als § 49 Abs. 2 Nr. 4 LVwVfG, wo von einer Änderung der Rechtsvorschrift die Rede ist, so gilt auch hier, dass es sich um Änderungen des materiellen Rechts, dem eine allgemein verbindliche Außenwirkung zukommt, handeln muss. Dem entspricht die Änderung der Rechtsprechung - mit Ausnahme der über die Rechtsprechung dokumentierten Änderung von Gewohnheitsrecht oder allgemeiner Rechtsauffassungen (hierzu Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 51 Rn. 30) - deshalb nicht, weil sich die gerichtliche Entscheidungsfindung stets in der rechtlichen Würdigung eines Sachverhalts am Maßstab der vorgegebenen Rechtsordnung erschöpft (BVerwG, Beschl. v. 03.05.1996 - 6 B 82/95 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 366; Beschl. v. 24.05.1995 - 1 B 60.95 -, InfAuslR 1995, 355 = NVwZ 1995, 1097 = Buchholz 316 § 51 Nr. 32; Beschl. v. 16.02.1993 - 9 B 241.92 - Buchholz 316 § 51 Nr. 29; Beschl. v. 25.05.1981 - 8 B 89/80 und 93/80 - NJW 1981, 2595 = Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 9, jeweils zur Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung; vgl. auch Urt. v. 27.01.1994, a.a.O.; Urt. v. 08.12.1992, a.a.O. m.w.N.). Dies ist für die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte anerkannt (BVerwG, Beschl. v. 24.05.1995, a.a.O.; Beschl. v. 04.10.1993 - 6 B 35.93 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 319), gilt aber auch für die hier letztlich maßgebliche Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, der mit seinem Urteil vom 29.04.2004 (C-482/01 und C-493/01 -, , Slg. I-5257 = DVBl 2004, 876 = InfAuslR 2004, 268 = NVwZ 2004, 1099) die Änderung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Maßstäben für die Ausweisung freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger erst veranlasst hat. Denn die Rechtsprechung dieses Gerichtshofs ist auch nach dessen Selbstverständnis ebenfalls nur rein deklaratorischer Natur (vgl. hierzu etwa EuGH, Urt. v. 12.02.2008 - C-2/06 -, , NJW 2008, 1212 = DÖV 2008, 505 m.w.N.).
36 
Angesichts des eindeutigen Wortlauts und des grundsätzlich abschließenden Charakters dieser Regelung kann die Einbeziehung der Rechtsprechungsänderung in den Wiederaufgreifensgrund des § 51 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG auch nicht - ausnahmsweise - über die in Art. 10 EG verankerte Verpflichtung der nationalen Behörden und Gerichte begründet werden, bei Vorliegen bestimmter Umstände, eine infolge einer innerstaatlichen Erschöpfung des Rechtswegs bestandskräftige Verwaltungsentscheidung zu überprüfen, um einer später vom Gerichtshof vorgenommenen Auslegung einer einschlägigen Bestimmung des Gemeinschaftsrechts Rechnung zu tragen (vgl. EuGH, Urt. v. 12.02.2008, a.a.O. sowie Urt. v. 13.01.2004, a.a.O.). Abgesehen davon besteht für eine solche Einbeziehung auch unter dem Gesichtspunkt des gemeinschaftsrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes kein Bedürfnis.
37 
Eine Behörde ist nämlich auch dann, wenn kein Wiederaufgreifensgrund i. S. des § 51 Abs. 1 LVwVfG vorliegt, befugt, ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren nach pflichtgemäßem Ermessen zugunsten des Betroffenen wiederaufzugreifen, um unter Aufhebung oder Abänderung des Erstbescheids eine neue Sachentscheidung zu treffen (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.09.2000 - 2 C 5/99 -, BayVBl 2001, 216 = DVBl. 2001, 726; Beschl. v. 23.02.2004 - 5 B 104/03 -, juris; Beschl. v. 25.05.1981 - 8 B 89.80 -, NJW 1981, 2595 = Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 9 m.w.N; ebenso Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, 12. Aufl. 2007, § 51 VI 2 b), S. 602; so wohl auch Rennert, a.a.O., § 121 Rn. 34). Ein solche Befugnis war bereits vor Inkrafttreten der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder als ungeschriebener Rechtsgrundsatz des Verwaltungsverfahrensrechts anerkannt (vgl. BVerfG, Entsch. v. 17.12.1969 - 2 BvR 23/65 -, BVerfGE 27, 297 = DVBl. 1970, 270 = DÖV 1970, 231; BVerwG, Urt. v. 16.12.1971 - I C 31.68 -, BVerwGE 39, 197 = DÖV 1972, 419 = DVBl. 1972, 388; Urt. v. 30.01.1974 - VIII C 20.72 -, BVerwGE 44, 333; Urt. v. 28.07.1976 - 8 C 90.75 - Buchholz 412.3 § 16 Nr. 2; Urt. v. 14.12.1977 - 8 C 79.76 - Buchholz 316 § 36 Nr. 1) und wurde weder über die Regelung des § 51 LVwVfG noch über die neben dem Wiederaufgreifen des Verfahrens bestehenden Regelungen über die Rücknahme und den Widerruf eines Verwaltungsakts nach §§ 48, 49 LVwVfG verdrängt. Insofern ist die Kodifizierung der ungeschriebenen Rechtsgrundsätze des Verwaltungsverfahrens nur unvollständig und nicht abschließend erfolgt (hierzu auch Selmer, JuS 1987, 363, 366). Anders als unter Zugrundelegung der vom Senat nicht geteilten gegenteiligen Auffassung, die ein Wiederaufgreifen des Verfahrens außerhalb des § 51 LVwVfG allein nach den §§ 48, 49 LVwVfG für zulässig hält (etwa BVerwG, Beschl. v. 29.03.1999 - 1 DB 7/97 -, BVerwGE 113, 322 = DVBl. 1999, 931 = NVwZ 2000, 202; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 31.01.1989 - 9 S 1141/88 -, DVBl. 1989, 884 = NVwZ 1989, 882; Ruffert, a.a.O., § 25 IV Rn. 12; Ziekow, a.a.O., § 51 Rn. 27; Sachs, a.a.O., § 51 Rn. 16; speziell zur Überprüfung gemeinschaftsrechtswidriger Verwaltungsakte auch Britz/Richter, JuS 2005, 198), steht dieser Anspruch auch nicht im Konflikt mit der bundesrechtlichen Regelung zur Rechtskraft eines verwaltungsgerichtlichen Urteils über die Rechtmäßigkeit dieses Erstbescheids (hierzu BVerwG, Urt. v. 27.01.1994, - 2 C 12.92 - und Urt. v. 08.12.1992 - 1 C 12.92 -, jeweils a.a.O. m.w.N). Als unrichtig erkannte belastende Verwaltungsakte können bei Vorliegen eines - gemeinschaftsrechtlichen - Wiederaufgreifensgrundes daher trotz der Abweisung einer hiergegen gerichteten Anfechtungsklage auch rückwirkend aufgehoben oder durch eine gemeinschaftsrechtskonforme Regelung ersetzt werden. Hiermit wird auch der Verpflichtung Rechnung getragen, eine gemeinschaftsrechtlich notwendige Korrektur einer Regelung im Rahmen der Auslegung des nationalen Verfahrensrechts zu ermöglichen (zu dieser Verpflichtung vgl. EuGH, Urt. v. 13.03.2007 - C-432 -, , Slg. I-2271 = BayVBl 2007, 589 = NJW 2007, 3555 sowie Potacs, in: Bröhmer u.a., Internationale Gemeinschaft und Menschenrechte, Festschrift für Georg Ress, 2005, S. 729 und Gärditz, NWVBl 2006, 441).
38 
b) Allerdings kann der Kläger das Wiederaufgreifen des Verfahrens nach pflichtgemäßem Ermessen der Behörde - außerhalb des Anwendungsbereichs von § 51 Abs. 1 LVwVfG - mit dem Ziel einer erneuten Sachentscheidung über seine Ausweisung und damit auch eine Rücknahme der Ausweisung auf diesem Weg nicht (mehr) beanspruchen.
39 
Der Beklagte hat eine solche erneute Sachentscheidung über die Ausweisung des Klägers mit Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 17.03.2005 abgelehnt, ohne dass er hierbei die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hätte (vgl. § 114 Satz 1 VwGO).
40 
aa) Der Bescheid vom 17.03.2005 ist sowohl in seinem Tenor als auch in der Begründung ausdrücklich auf die Ablehnung eines Antrags auf „Wiederaufgreifen des Verfahrens“ bezogen. Dabei begründet es keinen nach § 114 Satz 1 VwGO relevanten Ermessensfehler, dass die Behörde ihre Ablehnung zunächst unter anderem mit der - sachlich unrichtigen Einlassung - begründet hat, die Ausweisung sei rechtmäßig. Denn der Beklagte hat die materielle Rechtswidrigkeit der Ausweisung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zugestanden und daraufhin die Ermessenserwägungen der Ablehnungsentscheidung gemäß § 114 Satz 2 VwGO mit dem Hinweis auf die Erfolglosigkeit der Klage gegen diese Ausweisung in zulässiger Weise ergänzt (zum Ergänzen von Ermessenserwägungen vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 114 Rn. 50; Rennert, a.a.O., § 114 Rn. 89 und Wolff in: Sodan/Ziekow, a.a.O., § 114 Rn. 208).
41 
bb) In der Form dieser Ergänzung begegnet die Ablehnung des Wiederaufgreifens des Verfahrens und der neuen Sachentscheidung über die Ausweisung des Klägers zunächst keinen gemeinschaftsrechtlichen Bedenken. Denn die Voraussetzungen für eine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung des Beklagten, die infolge der innerstaatlichen Erschöpfung des Rechtswegs bestandskräftige, aber materiell gemeinschaftsrechtswidrige Ausweisungsentscheidung zu überprüfen (zu dieser Pflicht vgl. EuGH, Urt. v. 13.01.2004 - C-453/00 -, a.a.O.; Urt. v. 12.02.2008 - C-2/06, , a.a.O. sowie Weiß, DÖV 2008, 477; Pache/Bielitz, DVBl 2006, 325; Britz/Richter, a.a.O.), liegen nicht vor.
42 
Zwar hat der Kläger mit der Stellung seines - erfolglosen - Antrags auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 den ihm nach nationalem Recht gegen die Ausweisung eröffneten Rechtsweg ausgeschöpft. Auch beruht das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 auf einer unrichtigen Auslegung des Gemeinschaftsrechts. Denn das Verwaltungsgericht hätte die Ausweisung sowie den sie bestätigenden Widerspruchsbescheid schon deshalb aufheben müssen, weil die Ausweisung unter Verstoß gegen Art. 39 EG und Art. 3 RL 64/221/EWG ohne Ermessen als zwingende Rechtsfolge verfügt worden war; außerdem hätte es die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Entscheidung zugrunde legen müssen. Insofern ist unerheblich, ob die Ausweisung hätte rechtsfehlerfrei nach Ermessen ausgesprochen werden können oder ob die Ausweisung - wie der Kläger vorgetragen hat - in jedem Fall gegen Art. 8 Abs. 1 EMRK verstoßen hätte. Schließlich hat der Kläger mit seinem Rücknahmeantrag den letztlich maßgeblichen Wiederaufgreifensgrund der Änderung der Rechtsprechung zur Rechtmäßigkeit der Ausweisung von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern auch zeitnah geltend gemacht. Jedoch hat der Senat bei der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung nicht gegen die Verpflichtung aus Art. 234 Abs. 3 EG zur Einholung einer Vorabentscheidung verstoßen. Denn der Senat war in diesem konkreten Verfahren weder berechtigt noch verpflichtet, die Vereinbarkeit des § 47 AuslG i. V. m. § 12 AufenthG/EWG mit Art. 39 EG und Art. 3 RL 64/221/EWG sowie die Frage der maßgeblichen Sach- und Rechtslage für die gerichtliche Überprüfung der Ausweisung eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers zu prüfen. Vielmehr war er nach § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO an die vom Kläger dargelegten Zulassungsgründe gebunden, die sich gerade nicht auf diese Rechtsfragen bezogen (zur Maßgeblichkeit der nach nationalem Recht zu bestimmenden Prüfungspflicht vgl. EuGH, Urt. v. 12.02.2008 - C-2/06, , a.a.O).
43 
Von dem Erfordernis des pflichtwidrig unterlassenen Vorabentscheidungsersuchens ist auch nicht deshalb abzusehen, weil die Anwendbarkeit des § 47 AuslG i.v.m. § 12 AufenthG/EWG auf die Ausweisung eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers ebenso wie die Maßgeblichkeit der Sach- und Rechtslage bei Erlass der letzten Behördenentscheidung zum Zeitpunkt des Antrags auf Zulassung der Berufung durch die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt schien und deshalb eine entsprechende Rüge im Zulassungsantrag voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte (zur damaligen Rechtsprechung vergleiche etwa BVerwG, Beschl. v. 29.09.1993 - 1 B 62.93 - Buchholz 402.240 § 48 AuslG 1990 Nr. 3; Urt. v. 27.10.1978 - 1 C 91.76 - BVerwGE 57, 61 und Urt. v. 11.06.1996 - 1 C 24.94 - BVerwGE 101, 247). Zwar dürften die Voraussetzungen für die Verpflichtung einer Behörde zur Berücksichtigung einer späteren Klärung einer gemeinschaftsrechtlichen Rechtsfrage durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in den Fällen, in denen die Verwaltungsentscheidung durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung bestätigt worden ist, mit den in den Rechtssachen "Kühne und Heitz" sowie "Kempter" formulierten Kriterien noch nicht in jeder Hinsicht abschießend bestimmt sein (vgl. Britz/Richter, a.a.O.; Frenz, DVBl. 2004, 374, 376). Allerdings erkennt das Gemeinschaftsrecht die Rechtskraft von gemeinschaftsrechtswidrigen Gerichtsentscheidungen grundsätzlich an (EuGH, Urt. v. 16.03.2006 - C-234/04 -, , Slg. I-2585 = DVBl 2006, 569 = NJW 2006, 1577; Urt. v. 30.09.2003 - C-224/01 -, , Slg. I-10239 = NJW 2003, 3539 = DVBl 2003, 1516 = NVwZ 2004, 79; Urt. v. 01.06.1999 - C-126/97 -, , Slg. I-3055) und fordert - außerhalb der nach nationalem Recht gegebenen Möglichkeiten einer Abweichung - eine Durchbrechung der Rechtskraft bislang allein bei einer Verletzung der Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EG (hierzu insb. Urt. v. 30.09.2003, a.a.O.; Ruffert, JZ 2004, 620, 621). Darüber hinaus ist es anerkannt, dass der Effektivitätsgrundsatz insoweit stets durch die nationalen prozessualen Regelungen zum Prüfungsumfang der zur Entscheidung befugten Gerichte beschränkt ist (EuGH, Urt. v. 07.06.2007 - C-222/05 u.a. -, , Slg. I-4233 sowie Urt. v. 14.12.1995 - C-430/93 -, , Slg. I-4705).
44 
cc) Die Ablehnung des Wiederaufgreifens des Verfahrens und damit auch einer Rücknahme der Ausweisung aufgrund neuer Sachentscheidung hält sich zudem in den Grenzen des nationalen Rechts.
45 
Eine Behörde handelt grundsätzlich nicht ermessensfehlerhaft, wenn sie eine erneute Sachentscheidung unter Hinweis auf die rechtskräftige gerichtliche Bestätigung ihrer Verwaltungsentscheidung ablehnt. Insoweit bedarf es regelmäßig keiner weiteren ins Einzelne gehenden Ermessenserwägungen. Ausnahmen bestehen nur dann, wenn im Einzelfall Umstände von einer den in § 51 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 VwVfG geregelten Fällen vergleichbaren Bedeutung und Gewicht vorliegen und die Aufrechterhaltung des Erstbescheides auch unter Berücksichtigung der Rechtskraft des diesen bestätigenden Urteils schlechthin unerträglich wäre (BVerwG, Urt. v. 27.01.1994, a.a.O., m.w.N.). Solche Umstände liegen hier jedoch nicht vor.
46 
Es besteht keine allgemeine Verwaltungspraxis, gegenüber der sich die Ablehnung des Wiederaufgreifens des Verfahrens als gleichheitswidrig erweisen würde. Vielmehr ist für den Beklagten maßgeblich, eine solche Verwaltungspraxis mit Blick auf den dann verbundenen Verwaltungsaufwand gerade zu vermeiden. Auch erscheint die Berufung der Behörde auf die Unanfechtbarkeit der Ausweisung und die Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 nicht vor dem Hintergrund der hiermit für den Kläger verbundenen Belastungen als treu- oder sittenwidrig. Denn die gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung sind auf den 23.02.2005 befristet worden, so dass der Kläger seitdem wieder ohne weitere Einschränkung nach Maßgabe des § 2 FreizügG/EU ins Bundesgebiet einreisen und sich dort aufhalten darf. Da sich der Kläger nach seiner Ausreise im Dezember 1998 bis heute überwiegend in Italien und Frankreich aufgehalten hat, führt die Verweigerung der in der Sache begehrten rückwirkenden Aufhebung der Ausweisung auch nicht dazu, dass dem Kläger eine über die Begründung eines verlängerten rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet verbesserte aufenthaltsrechtliche Stellung vorenthalten würde. Soweit dem Kläger über die Ablehnung des Wiederaufgreifens des Ausweisungsverfahrens die Möglichkeit genommen wird, mit einem - auf die Aufhebung der Ausweisung gestützten - Wiederaufnahmeantrag nach § 359 Nr. 4 oder 5 StPO in den mit rechtskräftigen Urteilen des Amtsgerichts Raststatt vom 08.08.2002 und des Landgerichts Baden-Baden vom 10.07.2003 abgeschlossenen Strafverfahren wegen unerlaubten Aufenthalts einen Freispruch zu erreichen, ist dies für ihn schon deshalb nicht schlechthin unerträglich, weil der Erfolg eines solchen Antrags durchaus nicht sicher ist und die strafgerichtliche Verurteilungen des Klägers nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt ihres Ergehens zu Recht erfolgt sind. Schließlich ist die Aufrechterhaltung der Ausweisung auch nicht deshalb schlechthin unerträglich, weil die Ausweisung und das sie bestätigende Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe offensichtlich rechtswidrig wären. Eine offensichtliche Rechtswidrigkeit in diesem Sinne ist dann gegeben, wenn an dem Verstoß der streitigen Maßnahme gegen formelles oder materielles Recht vernünftigerweise kein Zweifel besteht und sich deshalb die Rechtswidrigkeit aufdrängt. Hierbei ist maßgeblich auf den Zeitpunkt des Erlasses des die Ausweisung bestätigenden Urteils abzustellen. Eine spätere Klärung der Rechtsfrage und die damit eintretende Evidenz desselben bleiben außer Betracht (zur vergleichbaren Konstellation der Verpflichtung zur Rücknahme eines Verwaltungsakts nach § 48 Abs. 1 LVwVfG vgl. BVerwG Urt. v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 -, AuAS 2008, 28 = InfAuslR 2008, 116 = NVwZ 2008, 326 = DÖV 2008, 329 = DVBl 2008, 189; Urt. v. 17.01.2007 - 6 C 32.06 -, NVwZ 2007, 709; Beschl. v. 07.07.2004 - 6 C 24/03 -, BVerwGE 121, 226, 229 ff. m.w.N.). Zu dem damit erheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe am 17.02.1998 war die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit einer auf § 47 AuslG gestützten und damit ohne umfassende Ermessensentscheidung ausgesprochenen Ausweisung eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers ebenso wenig evident wie die Notwendigkeit, die Rechtmäßigkeit der Ausweisung nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts zu beurteilen. Vielmehr bestand eine ausdrücklich gegenteilige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa Beschl. v. 29.09.1993, a.a.O.; Urt. v. 11.06.1996, a.a.O.), die erst mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2004 (- 1 C 30/02 -, a.a.O.) aufgegeben wurde.
III.
47 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Senat sieht nach Ermessen davon ab, das Urteil hinsichtlich der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären (§ 167 Abs. 2 VwGO). Die Revision wird gemäß § 132 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, denn sie wirft die bisher höchstrichterlich noch nicht geklärte und für die Weiterentwicklung des Rechts bedeutsame Frage auf, ob die Bindung der Beteiligten nach § 121 VwGO an ein rechtskräftiges Urteil eines Verwaltungsgerichts, mit dem die Anfechtungsklage gegen einen belastenden Verwaltungsakt abgewiesen wurde, der Anwendbarkeit des § 48 Abs.1 Satz 1 (L)VwVfG entgegensteht.
48 
Beschluss vom 09.05.2008
        
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf
        
5.000,-- EUR
        
festgesetzt.
        
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
18 
Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl der Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war. Denn er wurde in der rechtzeitigen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 102 Abs. 2 VwGO).
I.
19 
Die Berufung ist nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründung wurde form- und fristgemäß vorgelegt (§ 124a Abs. 1 bis 3 VwGO). Für die mit der Berufung begehrte Verpflichtung des Beklagten zur rückwirkenden Aufhebung der Ausweisung vom 22.07.1997 besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis.
20 
Zwar entfaltet die Ausweisung aufgrund der Befristung ihrer gesetzlichen Wirkungen in Bezug auf das Recht des Klägers, ins Bundesgebiet einzureisen und sich dort aufzuhalten, gegenwärtig keine belastende Regelungswirkung. Gleiches gilt für die aktuelle aufenthaltsrechtliche Stellung des Klägers - etwa im Hinblick auf einen gesteigerten Ausweisungsschutz nach § 6 Abs. 5 Freizüg/EU (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 28.06.2007 - 13 S 1045/07 -, VBlBW 2008, 68). Denn der Kläger hat sich nach seiner Ausreise im Dezember 1998 bis heute überwiegend in Italien und Frankreich aufgehalten, sodass die rückwirkende Aufhebung der Ausweisung nicht zur Folge hätte, dass sich der Kläger auf einen hierfür notwendigen verlängerten rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet berufen könnte.
21 
Allerdings führt die Ausweisung dazu, dass die verschiedenen Aufenthalte des Klägers im Bundesgebiet in der Zeit vor der Befristung der Wirkungen der Ausweisung als unerlaubt anzusehen sind. Hierdurch ist der Kläger nach wie vor belastet, weil er mit Urteil des Amtsgerichts Raststatt vom 08.08.2002 und des Landgerichts Baden-Baden vom 10.07.2003 wegen unerlaubten Aufenthalts zu einer Geld- und einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Insoweit ergibt sich das Rechtschutzbedürfnis daraus, dass der Kläger einen Antrag auf Wiederaufnahme dieser Strafverfahren stellen und unter Hinweis auf das - bei rückwirkender Aufhebung der Ausweisung - auch in der Vergangenheit gegebene Freizügigkeitsrecht als Unionsbürger jeweils einen Freispruch erreichen möchte. Zwar wird nach der wohl herrschenden Auffassung (vgl. Meyer-Goßner, StPO, Kommentar, 50. Aufl. 2007, § 359 Rn. 17 und 21 m.w.N.) in der Rücknahme einer - die Strafbarkeit begründenden - Verwaltungsentscheidung kein Wiederaufnahmegrund nach § 359 StPO gesehen. Es reicht aber aus, dass der Erfolg des Wiederaufnahmeantrags im Strafverfahren und damit der Nutzen der vorliegenden Klage für den Kläger weder tatsächlich noch rechtlich außer Zweifel steht (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.04.2004 - 3 C 25/03 -, BVerwGE 121, 1 = DVBl 2004, 1184 = NVwZ-RR 2004, 855; Urt. v. 21.11.1996 - 4 C 13/95 -, NJW 1997, 1173 = BRS 58 Nr. 233). Dies ist der Fall. Zum einen wird die Auffassung des Klägers, dass die Aufhebung der Ausweisung einer Aufhebung eines Urteils und damit dem Wiederaufnahmegrund nach § 359 Nr. 4 StPO gleichzustellen oder zumindest als neue Tatsache im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO anzusehen ist, nicht nur in der Literatur, sondern auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geteilt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.08.1999 - 2 BvR 1322/97 -; Beschl. v. 23.05.1967 - 2 BvR 534/62 -, BVerfGE 22, 21 = NJW 1967, 1221; Schmidt in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl. 2003, § 359 Rn. 15; Schenke, JR 1970, 449; zur vergleichbaren Regelung des § 580 Nr. 6 ZPO vgl. BGH Urt. v. 21.01.1988 - III ZR 252/86 -, BGHZ 103, 121 = NJW 1988, 1914; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, Kommentar, 66. Aufl. 2008, § 580 Anm. 3 m.w.N.). Zum anderen ist die der herrschenden Auffassung zugrunde liegende Annahme, dass auch eine rückwirkende Aufhebung eines Verwaltungsakts die zuvor gegebene Strafbarkeit der Zuwiderhandlung gegen diesen nicht entfallen lässt (so ausdrücklich BGH, Beschl. v. 23.07.1969 - 4 StR 371/68 -, BGHSt 23, 86 = NJW 1969, 2023; OLG Karlsruhe, Urt. v. 28.04.1977 - 3 Ss 107/77 -, JZ 1977, 478 = NJW 1978, 116) jedenfalls für die Ausweisung von - anderenfalls freizügigkeitsberechtigten - Unionsbürgern durchaus umstritten (zum Meinungsstand vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 06.12.2006 - 3 Ws 346/05 -, InfAuslR 2007, 118 m.w.N.).
II.
22 
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen, denn der Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 17.03.2005 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
23 
Das Klagebegehren, das sich maßgebend nicht nur aus der Formulierung des Antrags, sondern auch aus dem Vortrag des Klägers, insbesondere der Klagebegründung ergibt (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.07.1976 - IV C 15.76 - Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 5; Rennert in: Eyermann, VwGO, Kommentar, 12. Aufl. 2006, § 88 Rn. 8 m.w.N.), zielt auf die rückwirkende Aufhebung der Ausweisung. Das ist sowohl durch Rücknahme nach § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG als auch durch eine neue Sachentscheidung nach Wiederaufgreifen des Ausweisungsverfahrens, etwa gemäß § 51 Abs. 1 LVwVfG, möglich (zum Verhältnis von Rücknahme und Wiederaufgreifen des Verfahrens vgl. Ruffert, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2005, § 25 Rn. 3; Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 10. Aufl. 2008, § 51 Rn. 9; Sachs in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Kommentar, 7. Aufl. 2008, § 51 Rn. 30; Baumeister, VerwArch 92 (2001), 374 m.w.N.; anders allerdings wohl BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21/07 -, BVerwGE 129, 243 = NVwZ 2008, 82 = DÖV 2008, 74 = InfAuslR 2008, 1, wonach das Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 LVwVfG der Rücknahme oder dem Widerruf vorgeschaltet sei; so auch Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl. 2006, § 11 Rn. 11).
24 
1. Der Kläger hat keinen Anspruch nach § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG darauf, dass seine Ausweisung vom 22.07.1997 rückwirkend zurückgenommen wird. Zwar ist die Rücknahme einer Ausweisung gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG neben der – hier bereits erfolgten - Befristung ihrer gesetzlichen Wirkungen gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 bis 6 AufenthG bzw. § 7 Abs. 2 Satz 2 und 3 FreizügG/EU grundsätzlich möglich, solange die Ausweisung - wie hier - noch Regelungswirkungen äußert (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 -, InfAuslR 2008, 116 = NVwZ 2008, 326 = DÖV 2008, 329 = DVBl 2008, 189 = ZAR 2008, 140). Der Kläger und der Beklagte - und damit auch der Senat - sind jedoch nach § 121 Nr. 1 VwGO gehindert, von der Rechtswidrigkeit der Ausweisung i. S. des § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG auszugehen.
25 
a) Zwar wurde die Ausweisung des freizügigkeitsberechtigten Klägers nach § 47 Abs. 1 AuslG i. V. m. § 12 Abs. 1 Satz 1 AufenthG/EWG verfügt, ohne dass der Beklagte das bei diesen Personen notwendige Ausweisungsermessen (hierzu BVerwG, Urt. v. 03.08.2004 - 1 C 30.02 -, BVerwGE 121, 297 = NVwZ 2005, 220 = DVBl. 2005, 122 = InfAuslR 2005, 18) betätigt hatte. Auch wurde die Rechtmäßigkeit der Ausweisung nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 20.11.1997 beurteilt und damit insbesondere die Entwicklung des Klägers bis zum Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 außer Betracht gelassen. Allerdings begründen diese Umstände für die Beteiligten keine Rechtswidrigkeit der Ausweisung i. S. d. § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG, weil sie aufgrund des abweisenden Urteils des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 - 11 K 4683/97 - davon ausgehen müssen, dass die Ausweisung rechtmäßig ist. Dies folgt aus § 121 Nr. 1 VwGO, wonach rechtskräftige Urteile die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger binden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist.
26 
Der Umfang der Bindungswirkung eines Urteils bestimmt sich nach der sich im Entscheidungssatz verkörpernden Schlussfolgerung des Gerichts aus der angewandten Rechtsnorm und dem festgestellten Lebenssachverhalt (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.05.1994 - 9 C 501/03 -, BVerwGE 96, 24 = DVBl 1994, 940 = DÖV 1994, 914 = NVwZ 1994, 1115 = VBlBW 1995, 8 m.w.N.). Dabei tritt die Bindungswirkung des Urteils nicht nur in den Fällen ein, in denen der identische Streitgegenstand erneut zur Entscheidung gestellt wird, sondern auch dann, wenn die rechtskräftige Zuerkennung oder Aberkennung eines prozessualen Anspruchs für einen anderen prozessualen Anspruch, der zwischen denselben Beteiligten streitig ist, vorgreiflich ist. Denn mit der Regelung des § 121 VwGO soll auch insoweit verhindert werden, dass die aus einem festgestellten Tatbestand hergeleitete Rechtsfolge, über die in einem Urteil entschieden worden ist, bei unveränderter Sach- und Rechtslage erneut - mit der Gefahr unterschiedlicher Ergebnisse - zum Gegenstand eines Verfahrens zwischen denselben Beteiligten gemacht wird (BVerwG, Urt. v. 24.11.1998 - 9 C 53/97 -, BVerwGE 108, 30 = NVwZ 1999, 302 = DVBl. 1999, 544 = InfAuslR 1999, 143; Urt. v. 10.05.1994, a.a.O.). Eine Vorgreiflichkeit der rechtskräftigen Vorentscheidung ist immer dann gegeben, wenn sie nach dem Umfang ihrer Rechtskraft ein Element liefert, das nach den einschlägigen materiell-rechtlichen Normen des zweiten Rechtsstreits notwendig ist, um die in diesem Prozess beanspruchte Rechtsfolge zu begründen (BVerwG, Urt. v. 31.01.2002 - 2 C 7.01 -, BVerwGE 116, 1 = NVwZ 2002, 853 = DVBl. 2002, 1219 = DÖV 2002, 864).
27 
Da der Streitgegenstand des dem Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 - 11 K 4683/97 - zugrunde liegenden Verfahrens in der Rechtsbehauptung des Klägers besteht, dass die Ausweisung vom 22.07.1997 rechtswidrig ist und ihn in seinen Rechten verletzt (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.01.2002, a.a.O.; Urt. v. 08.12.1992 - 1 C 12.92 -, BVerwGE 91, 256 = NVwZ 1993, 672 = DVBl. 1993, 258 = DÖV 1993, 718 = BayVBl 1993, 250; Rennert, a.a.O., § 121 Rn. 25 m.w.N.) und § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG gerade die Rechtswidrigkeit der Ausweisung voraussetzt, ist das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 für den Anspruch auf Rücknahme der Ausweisung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG vorgreiflich. Dementsprechend nimmt auch die in der Abweisung der Anfechtungsklage des Klägers liegende Feststellung in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 über die Rechtmäßigkeit der Ausweisung vom 22.07.1997 an der präjudiziellen Wirkung dieses Urteils für den Anspruch auf Rücknahme der Ausweisung teil. Zwar ergibt sich - anders als dies im Falle der Stattgabe in Bezug auf die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts der Fall ist - aus der Abweisung einer Anfechtungsklage nicht zwingend, dass der angefochtene Verwaltungsakt rechtmäßig ist. Vielmehr kann die Abweisung der Klage auch allein darin begründet sein, dass es an der Verletzung eines subjektiven Rechts oder gar an der Zulässigkeit der Klage fehlt. Dennoch ist es - trotz der damit gegebenen Notwendigkeit, den Umfang der Rechtskraft unter Heranziehung der die Abweisung der Klage tragenden Gründe zu bestimmen - anerkannt, dass sich die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts im Falle eines deshalb abweisenden Urteils nicht als bloße Vorfrage des Urteils darstellt, sondern an der Bindungswirkung eines abweisenden Urteils in einem Anfechtungsprozess teilhat (BVerwG, Beschl. v. 15.03.1968 - VII C 183.65 -, BVerwGE 29, 210 = GewArch 1969, 22; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 23.06.1988 - 2 BvR 260/88 -, NVwZ 1989, 141; BVerwG, Urt. v. 10.05.1994, a.a.O.; Urt. v. 28.07.1989 - 7 C 78/88 -, BVerwGE 82, 272 = DVBl. 1989, 1192 = NJW 1990, 199; Urt. v. 30.08.1988 - 9 C 47/87 -, NVwZ 1989, 161; ebenso Rennert, a.a.O., § 121 Rn. 27; Clausing, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Kommentar, § 121 Rn. 80; a.A. Schenke, VwGO, Kommentar, 15. Aufl. 2007, § 121 Rn. 21 sowie Hößlein, VerwArch 98 (2007), 127, 150).
28 
b) Einer Erstreckung der in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 enthaltenen Feststellung über die Rechtmäßigkeit der Ausweisung auf das Verfahren auf Rücknahme der Ausweisung steht nicht entgegen, dass sich dieses klageabweisende Urteil unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH zur Rechtmäßigkeit der Ausweisung freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger (Urt. v. 29.04.2004 - C-482/01 und C-493/01 -, Slg. I-5257 = DVBl 2004, 876 = InfAuslR 2004, 268 = NVwZ 2004, 1099, ) sowie der hierauf basierenden Änderung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Urt. v. Urt. v. 03.08.2004, a.a.O.) nachträglich als unrichtig erweist. Denn die materielle Bindungswirkung des § 121 VwGO tritt grundsätzlich unabhängig davon ein, ob das rechtskräftige Urteil die Sach- und Rechtslage zutreffend gewürdigt hat oder nicht (BVerwG, Urt. v. 24.11.1998, a.a.O.; Urt. v. 08.12.1992, a.a.O.; Urt. v. 05.11.1985 - 6 C 22.84 -, NVwZ 1986, 293). Auch begründet eine spätere gerichtliche - auch höchstrichterliche - Klärung einer Sach- oder Rechtsfrage abweichend von dem früheren rechtskräftigen Urteil keine Änderung der Sach- oder Rechtslage, die eine Lösung von der Rechtskraftbindung rechtfertigen könnte (BVerwG, Urt. v. 31.07.2002 - 1 C 7/02 -, NVwZ 2003, Beilage Nr. I 1, 1; Urt. v. 18.09.2001, - 1 C 7/01 -, BVerwGE 115, 118 = DVBl. 2002, 343 = NVwZ 2002, 345 = DÖV 2002, 301 = InfAuslR 2002, 207). Dies ist auch im Gemeinschaftsrecht grundsätzlich anerkannt (EuGH, Urt. v. 16.03.2006 - C-234/04 -, , Slg. I-2585 = DVBl 2006, 569 = NJW 2006, 1577; Urt. v. 30.09.2003 - C-224/01 -, , Slg. I-10239 = NJW 2003, 3539 = DVBl 2003, 1516 = NVwZ 2004, 79; Urt. v. 01.06.1999 - C-126/97 -, , Slg. I-3055).
29 
Sofern der in Art. 10 EG verankerte Grundsatz der Zusammenarbeit die nationalen Behörden und Gerichte bei Vorliegen bestimmter Umstände verpflichtet, eine infolge einer innerstaatlichen Erschöpfung des Rechtswegs bestandskräftige Verwaltungsentscheidung zu überprüfen, um einer später vom Gerichtshof vorgenommenen Auslegung einer einschlägigen Bestimmung des Gemeinschaftsrechts Rechnung zu tragen (EuGH, Urt. v. 12.02.2008, a.a.O. sowie Urt. v. 13.01.2004 - C-453/00 -, , Slg. I-837 = DVBl 2004, 373 = NVwZ 2004, 459 = InfAuslR 2004, 139 = DÖV 2004, 530), gilt diese Verpflichtung immer nur im Rahmen der insbesondere durch das nationale Prozessrecht bestimmten Grenzen der Auslegung einer Rechtsnorm (vgl. EuGH, Urt. v. 12.02.2008, a.a.O.; vgl. auch Urt. v. 07.06.2007 - C-222/05 u.a. -, , Slg. I-4233 sowie Urt. v. 14.12.1995 - C-430/93 -, , Slg. I-4705), sodass - ohne eine entsprechende Regelung im nationalen Recht - auch über eine solche Verpflichtung eine Einschränkung der Bindungswirkung des § 121 VwGO nicht erreicht werden kann.
30 
Eine solche Regelung des nationalen Rechts, über die die präjudizielle Bindungswirkung eines abweisenden Urteils - auf das Tatbestandsmerkmal der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts in § 48 Abs. 1 LVwVfG - entfallen würde, findet sich nicht in der anerkannten Befugnis einer Behörde, trotz der gerichtlichen Bestätigung eines Verwaltungsakts auf dessen Vollzug zu verzichten oder diesen Verwaltungsakt dennoch aufzuheben (zu dieser Befugnis vgl. BVerwG, Urt. v. 27.01.1994 - 2 C 12.92 -, BVerwGE 95, 86 = BayVBl. 1994, 632 = NVwZ 1995, 388; Urt. v. 08.12.1992, a.a.O., m.w.N.; Urt. v. 13.09.1984 - 2 C 22/83 -, BVerwGE 70, 110 = NJW 1985, 280 = DVBl. 1985, 527; Urt. v. 04.06.1970 - II C 39.68 -, BVerwGE 35, 234 = DÖV 1970, 821 = DVBl. 1971, 272; Rennert, a.a.O., Rn. 27; Clausing, a.a.O., § 121 Rn. 31; Nicolai in: Redecker/v.Oertzen, VwGO, Kommentar, 14. Aufl. 2004, § 121 Rn. 10a und b; Kilian in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 121 Rn. 70). Diese Befugnis wurde ursprünglich mit dem im Zivilprozess anerkannten Grundsatz begründet, dass ein Urteil immer nur zugunsten, nicht jedoch zu Ungunsten der obsiegenden Partei wirke, und einer im Anfechtungsprozess obsiegenden Behörde deshalb - ebenso wie der in einem Zivilrechtsstreit obsiegenden Partei - die Möglichkeit erhalten bleibe, sich außerprozessual abweichend von der rechtskräftigen Entscheidung zu verhalten. Danach bleibt die gesetzliche Bindungswirkung nach § 121 VwGO aber gerade unangetastet (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.06.1970, a.a.O.; Bachof, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Verfahrensrecht Bd. II, 1967 Nr. 206; Menger, VerwArch 49 (1958), 368, 373; Haueisen, NJW 1963, 1329, 1333; Bullinger, DÖV 1964, 381; vgl. auch Seibert, Die Bindungswirkung von Verwaltungsakten, 1988, S. 586 ff. sowie Clausing, a.a.O., § 121 Rn. 31). Nichts anderes gilt dann, wenn diese Befugnis der Behörde, zugunsten des unterlegenen Beteiligten von der gerichtlich bestätigten Entscheidung abzuweichen, aus den Regelungen zum Verwaltungsverfahren abgeleitet und damit - dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung entsprechend - auf eine notwendige (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.06.1988 - 2 BvR 260/88 -, NVwZ 1989, 141) gesetzliche Grundlage gestellt wird (so BVerwG, Urt. v. 13.09.1984, a.a.O. sowie insb. Urt. v. 28.07.1989 - 7 C 78/88 -, BVerwGE 82, 272 = DVBl. 1989, 1192 = NJW 1990, 199 = NVwZ 1990, 156; vgl. auch Maurer, JZ 1993, 574; Kopp/Kopp, NVwZ 1994, 1; Erfmeyer, DVBl. 1997, 27). Denn hiernach findet sie ihre normative Grundlage ausschließlich in den - von der Entscheidung nach § 48 Abs. 1 LVwVfG zu trennenden - Regelungen zum Wiederaufgreifen des Verfahrens, welches von vornherein nur zugunsten und auf Antrag des Betroffenen erfolgen kann (vgl. § 51 Abs. 1 LVwVfG) und - aufgrund der Bezogenheit auf eine neue Sachentscheidung - von der Bindungswirkung eines Urteils über den Erstbescheid nicht erfasst wird (hierzu BVerwG, Urt. v. 13.09.1984, v. 28.07.1989, v. 27.01.1994, jeweils a.a.O.; ebenso wohl Rennert, a.a.O., § 121 Rn. 33 f.).
31 
Der Auffassung, die Behörde sei im Rahmen des § 48 Abs. 1 LVwVfG hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts von der - und sei es präjudiziellen - Bindungswirkung des rechtskräftigen Urteils suspendiert, sofern sie eine belastende Verfügung aufheben wolle (vgl. etwa Sachs, a.a.O., § 48 Rn. 51; Meyer in: Knack, VwVfG, 8. Aufl. 2003, § 48 Rn. 57; Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 10. Aufl. 2008, § 48 Rn. 16; ebenso wohl Ziekow, VwVfG, 2006, § 48 Rn. 12), kann indes nicht gefolgt werden. Denn § 48 Abs. 1 LVwVfG differenziert hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts nicht danach, ob dessen Rücknahme zugunsten oder zulasten des Betroffenen erfolgt. Die Anerkennung einer normativ geregelten Abweichung von der Bindungswirkung des § 121 VwGO müsste anderenfalls auch zu der – abzulehnenden - Ermächtigung führen, einen gerichtlich bestätigten, aber nachträglich als rechtswidrig erkannten Verwaltungsakt auch zulasten des betroffenen Adressaten aufzuheben (so etwa Erfmeyer, a.a.O.; Maurer, a.a.O.; ähnlich auch Kopp/Kopp, a.a.O.).
32 
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte die Ausweisung durch eine neue Sachentscheidung nach Wiederaufgreifen des Ausweisungsverfahrens unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben für die Ausweisung freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger sowie der tatsächlichen Entwicklung des Klägers aufhebt.
33 
a) Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 LVwVfG.
34 
Nach dieser Regelung hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn bestimmte Wiederaufgreifensgründe zu einer dem Betroffenen begünstigenden Sachentscheidung geführt hätten. Solche Wiederaufgreifensgründe sind indessen nicht gegeben. Insbesondere liegt in der Änderung der Rechtsprechung zu den Anforderungen an die Ausweisung freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger, wie sie sich in dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2004 (- 1 C 30 .02 -, BVerwGE 121, 297) manifestiert, keine Änderung der Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG. Gleiches gilt für die - vom Kläger geltend gemachte - Verschärfung der Anforderungen des Art. 8 Abs. 2 EMRK an die Verhältnismäßigkeit der Ausweisung von faktischen Inländern in dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 - (InfAuslR 2007, 275 = ZAR 2007, 243 = NVwZ 2007, 946 = AuAS 2007, 242) und gemäß der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, etwa in dem Urteil vom 27.10.2005 (Individualbeschwerde Nr. 32231/02 - Keles ./. Deutschland, InfAuslR 2006, 3 = FamRZ 2006, 1351).
35 
Wenngleich § 51 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG insoweit weiter gefasst ist als § 49 Abs. 2 Nr. 4 LVwVfG, wo von einer Änderung der Rechtsvorschrift die Rede ist, so gilt auch hier, dass es sich um Änderungen des materiellen Rechts, dem eine allgemein verbindliche Außenwirkung zukommt, handeln muss. Dem entspricht die Änderung der Rechtsprechung - mit Ausnahme der über die Rechtsprechung dokumentierten Änderung von Gewohnheitsrecht oder allgemeiner Rechtsauffassungen (hierzu Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 51 Rn. 30) - deshalb nicht, weil sich die gerichtliche Entscheidungsfindung stets in der rechtlichen Würdigung eines Sachverhalts am Maßstab der vorgegebenen Rechtsordnung erschöpft (BVerwG, Beschl. v. 03.05.1996 - 6 B 82/95 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 366; Beschl. v. 24.05.1995 - 1 B 60.95 -, InfAuslR 1995, 355 = NVwZ 1995, 1097 = Buchholz 316 § 51 Nr. 32; Beschl. v. 16.02.1993 - 9 B 241.92 - Buchholz 316 § 51 Nr. 29; Beschl. v. 25.05.1981 - 8 B 89/80 und 93/80 - NJW 1981, 2595 = Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 9, jeweils zur Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung; vgl. auch Urt. v. 27.01.1994, a.a.O.; Urt. v. 08.12.1992, a.a.O. m.w.N.). Dies ist für die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte anerkannt (BVerwG, Beschl. v. 24.05.1995, a.a.O.; Beschl. v. 04.10.1993 - 6 B 35.93 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 319), gilt aber auch für die hier letztlich maßgebliche Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, der mit seinem Urteil vom 29.04.2004 (C-482/01 und C-493/01 -, , Slg. I-5257 = DVBl 2004, 876 = InfAuslR 2004, 268 = NVwZ 2004, 1099) die Änderung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Maßstäben für die Ausweisung freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger erst veranlasst hat. Denn die Rechtsprechung dieses Gerichtshofs ist auch nach dessen Selbstverständnis ebenfalls nur rein deklaratorischer Natur (vgl. hierzu etwa EuGH, Urt. v. 12.02.2008 - C-2/06 -, , NJW 2008, 1212 = DÖV 2008, 505 m.w.N.).
36 
Angesichts des eindeutigen Wortlauts und des grundsätzlich abschließenden Charakters dieser Regelung kann die Einbeziehung der Rechtsprechungsänderung in den Wiederaufgreifensgrund des § 51 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG auch nicht - ausnahmsweise - über die in Art. 10 EG verankerte Verpflichtung der nationalen Behörden und Gerichte begründet werden, bei Vorliegen bestimmter Umstände, eine infolge einer innerstaatlichen Erschöpfung des Rechtswegs bestandskräftige Verwaltungsentscheidung zu überprüfen, um einer später vom Gerichtshof vorgenommenen Auslegung einer einschlägigen Bestimmung des Gemeinschaftsrechts Rechnung zu tragen (vgl. EuGH, Urt. v. 12.02.2008, a.a.O. sowie Urt. v. 13.01.2004, a.a.O.). Abgesehen davon besteht für eine solche Einbeziehung auch unter dem Gesichtspunkt des gemeinschaftsrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes kein Bedürfnis.
37 
Eine Behörde ist nämlich auch dann, wenn kein Wiederaufgreifensgrund i. S. des § 51 Abs. 1 LVwVfG vorliegt, befugt, ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren nach pflichtgemäßem Ermessen zugunsten des Betroffenen wiederaufzugreifen, um unter Aufhebung oder Abänderung des Erstbescheids eine neue Sachentscheidung zu treffen (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.09.2000 - 2 C 5/99 -, BayVBl 2001, 216 = DVBl. 2001, 726; Beschl. v. 23.02.2004 - 5 B 104/03 -, juris; Beschl. v. 25.05.1981 - 8 B 89.80 -, NJW 1981, 2595 = Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 9 m.w.N; ebenso Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, 12. Aufl. 2007, § 51 VI 2 b), S. 602; so wohl auch Rennert, a.a.O., § 121 Rn. 34). Ein solche Befugnis war bereits vor Inkrafttreten der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder als ungeschriebener Rechtsgrundsatz des Verwaltungsverfahrensrechts anerkannt (vgl. BVerfG, Entsch. v. 17.12.1969 - 2 BvR 23/65 -, BVerfGE 27, 297 = DVBl. 1970, 270 = DÖV 1970, 231; BVerwG, Urt. v. 16.12.1971 - I C 31.68 -, BVerwGE 39, 197 = DÖV 1972, 419 = DVBl. 1972, 388; Urt. v. 30.01.1974 - VIII C 20.72 -, BVerwGE 44, 333; Urt. v. 28.07.1976 - 8 C 90.75 - Buchholz 412.3 § 16 Nr. 2; Urt. v. 14.12.1977 - 8 C 79.76 - Buchholz 316 § 36 Nr. 1) und wurde weder über die Regelung des § 51 LVwVfG noch über die neben dem Wiederaufgreifen des Verfahrens bestehenden Regelungen über die Rücknahme und den Widerruf eines Verwaltungsakts nach §§ 48, 49 LVwVfG verdrängt. Insofern ist die Kodifizierung der ungeschriebenen Rechtsgrundsätze des Verwaltungsverfahrens nur unvollständig und nicht abschließend erfolgt (hierzu auch Selmer, JuS 1987, 363, 366). Anders als unter Zugrundelegung der vom Senat nicht geteilten gegenteiligen Auffassung, die ein Wiederaufgreifen des Verfahrens außerhalb des § 51 LVwVfG allein nach den §§ 48, 49 LVwVfG für zulässig hält (etwa BVerwG, Beschl. v. 29.03.1999 - 1 DB 7/97 -, BVerwGE 113, 322 = DVBl. 1999, 931 = NVwZ 2000, 202; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 31.01.1989 - 9 S 1141/88 -, DVBl. 1989, 884 = NVwZ 1989, 882; Ruffert, a.a.O., § 25 IV Rn. 12; Ziekow, a.a.O., § 51 Rn. 27; Sachs, a.a.O., § 51 Rn. 16; speziell zur Überprüfung gemeinschaftsrechtswidriger Verwaltungsakte auch Britz/Richter, JuS 2005, 198), steht dieser Anspruch auch nicht im Konflikt mit der bundesrechtlichen Regelung zur Rechtskraft eines verwaltungsgerichtlichen Urteils über die Rechtmäßigkeit dieses Erstbescheids (hierzu BVerwG, Urt. v. 27.01.1994, - 2 C 12.92 - und Urt. v. 08.12.1992 - 1 C 12.92 -, jeweils a.a.O. m.w.N). Als unrichtig erkannte belastende Verwaltungsakte können bei Vorliegen eines - gemeinschaftsrechtlichen - Wiederaufgreifensgrundes daher trotz der Abweisung einer hiergegen gerichteten Anfechtungsklage auch rückwirkend aufgehoben oder durch eine gemeinschaftsrechtskonforme Regelung ersetzt werden. Hiermit wird auch der Verpflichtung Rechnung getragen, eine gemeinschaftsrechtlich notwendige Korrektur einer Regelung im Rahmen der Auslegung des nationalen Verfahrensrechts zu ermöglichen (zu dieser Verpflichtung vgl. EuGH, Urt. v. 13.03.2007 - C-432 -, , Slg. I-2271 = BayVBl 2007, 589 = NJW 2007, 3555 sowie Potacs, in: Bröhmer u.a., Internationale Gemeinschaft und Menschenrechte, Festschrift für Georg Ress, 2005, S. 729 und Gärditz, NWVBl 2006, 441).
38 
b) Allerdings kann der Kläger das Wiederaufgreifen des Verfahrens nach pflichtgemäßem Ermessen der Behörde - außerhalb des Anwendungsbereichs von § 51 Abs. 1 LVwVfG - mit dem Ziel einer erneuten Sachentscheidung über seine Ausweisung und damit auch eine Rücknahme der Ausweisung auf diesem Weg nicht (mehr) beanspruchen.
39 
Der Beklagte hat eine solche erneute Sachentscheidung über die Ausweisung des Klägers mit Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 17.03.2005 abgelehnt, ohne dass er hierbei die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hätte (vgl. § 114 Satz 1 VwGO).
40 
aa) Der Bescheid vom 17.03.2005 ist sowohl in seinem Tenor als auch in der Begründung ausdrücklich auf die Ablehnung eines Antrags auf „Wiederaufgreifen des Verfahrens“ bezogen. Dabei begründet es keinen nach § 114 Satz 1 VwGO relevanten Ermessensfehler, dass die Behörde ihre Ablehnung zunächst unter anderem mit der - sachlich unrichtigen Einlassung - begründet hat, die Ausweisung sei rechtmäßig. Denn der Beklagte hat die materielle Rechtswidrigkeit der Ausweisung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zugestanden und daraufhin die Ermessenserwägungen der Ablehnungsentscheidung gemäß § 114 Satz 2 VwGO mit dem Hinweis auf die Erfolglosigkeit der Klage gegen diese Ausweisung in zulässiger Weise ergänzt (zum Ergänzen von Ermessenserwägungen vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 114 Rn. 50; Rennert, a.a.O., § 114 Rn. 89 und Wolff in: Sodan/Ziekow, a.a.O., § 114 Rn. 208).
41 
bb) In der Form dieser Ergänzung begegnet die Ablehnung des Wiederaufgreifens des Verfahrens und der neuen Sachentscheidung über die Ausweisung des Klägers zunächst keinen gemeinschaftsrechtlichen Bedenken. Denn die Voraussetzungen für eine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung des Beklagten, die infolge der innerstaatlichen Erschöpfung des Rechtswegs bestandskräftige, aber materiell gemeinschaftsrechtswidrige Ausweisungsentscheidung zu überprüfen (zu dieser Pflicht vgl. EuGH, Urt. v. 13.01.2004 - C-453/00 -, a.a.O.; Urt. v. 12.02.2008 - C-2/06, , a.a.O. sowie Weiß, DÖV 2008, 477; Pache/Bielitz, DVBl 2006, 325; Britz/Richter, a.a.O.), liegen nicht vor.
42 
Zwar hat der Kläger mit der Stellung seines - erfolglosen - Antrags auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 den ihm nach nationalem Recht gegen die Ausweisung eröffneten Rechtsweg ausgeschöpft. Auch beruht das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 auf einer unrichtigen Auslegung des Gemeinschaftsrechts. Denn das Verwaltungsgericht hätte die Ausweisung sowie den sie bestätigenden Widerspruchsbescheid schon deshalb aufheben müssen, weil die Ausweisung unter Verstoß gegen Art. 39 EG und Art. 3 RL 64/221/EWG ohne Ermessen als zwingende Rechtsfolge verfügt worden war; außerdem hätte es die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Entscheidung zugrunde legen müssen. Insofern ist unerheblich, ob die Ausweisung hätte rechtsfehlerfrei nach Ermessen ausgesprochen werden können oder ob die Ausweisung - wie der Kläger vorgetragen hat - in jedem Fall gegen Art. 8 Abs. 1 EMRK verstoßen hätte. Schließlich hat der Kläger mit seinem Rücknahmeantrag den letztlich maßgeblichen Wiederaufgreifensgrund der Änderung der Rechtsprechung zur Rechtmäßigkeit der Ausweisung von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern auch zeitnah geltend gemacht. Jedoch hat der Senat bei der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung nicht gegen die Verpflichtung aus Art. 234 Abs. 3 EG zur Einholung einer Vorabentscheidung verstoßen. Denn der Senat war in diesem konkreten Verfahren weder berechtigt noch verpflichtet, die Vereinbarkeit des § 47 AuslG i. V. m. § 12 AufenthG/EWG mit Art. 39 EG und Art. 3 RL 64/221/EWG sowie die Frage der maßgeblichen Sach- und Rechtslage für die gerichtliche Überprüfung der Ausweisung eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers zu prüfen. Vielmehr war er nach § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO an die vom Kläger dargelegten Zulassungsgründe gebunden, die sich gerade nicht auf diese Rechtsfragen bezogen (zur Maßgeblichkeit der nach nationalem Recht zu bestimmenden Prüfungspflicht vgl. EuGH, Urt. v. 12.02.2008 - C-2/06, , a.a.O).
43 
Von dem Erfordernis des pflichtwidrig unterlassenen Vorabentscheidungsersuchens ist auch nicht deshalb abzusehen, weil die Anwendbarkeit des § 47 AuslG i.v.m. § 12 AufenthG/EWG auf die Ausweisung eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers ebenso wie die Maßgeblichkeit der Sach- und Rechtslage bei Erlass der letzten Behördenentscheidung zum Zeitpunkt des Antrags auf Zulassung der Berufung durch die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt schien und deshalb eine entsprechende Rüge im Zulassungsantrag voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte (zur damaligen Rechtsprechung vergleiche etwa BVerwG, Beschl. v. 29.09.1993 - 1 B 62.93 - Buchholz 402.240 § 48 AuslG 1990 Nr. 3; Urt. v. 27.10.1978 - 1 C 91.76 - BVerwGE 57, 61 und Urt. v. 11.06.1996 - 1 C 24.94 - BVerwGE 101, 247). Zwar dürften die Voraussetzungen für die Verpflichtung einer Behörde zur Berücksichtigung einer späteren Klärung einer gemeinschaftsrechtlichen Rechtsfrage durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in den Fällen, in denen die Verwaltungsentscheidung durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung bestätigt worden ist, mit den in den Rechtssachen "Kühne und Heitz" sowie "Kempter" formulierten Kriterien noch nicht in jeder Hinsicht abschießend bestimmt sein (vgl. Britz/Richter, a.a.O.; Frenz, DVBl. 2004, 374, 376). Allerdings erkennt das Gemeinschaftsrecht die Rechtskraft von gemeinschaftsrechtswidrigen Gerichtsentscheidungen grundsätzlich an (EuGH, Urt. v. 16.03.2006 - C-234/04 -, , Slg. I-2585 = DVBl 2006, 569 = NJW 2006, 1577; Urt. v. 30.09.2003 - C-224/01 -, , Slg. I-10239 = NJW 2003, 3539 = DVBl 2003, 1516 = NVwZ 2004, 79; Urt. v. 01.06.1999 - C-126/97 -, , Slg. I-3055) und fordert - außerhalb der nach nationalem Recht gegebenen Möglichkeiten einer Abweichung - eine Durchbrechung der Rechtskraft bislang allein bei einer Verletzung der Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EG (hierzu insb. Urt. v. 30.09.2003, a.a.O.; Ruffert, JZ 2004, 620, 621). Darüber hinaus ist es anerkannt, dass der Effektivitätsgrundsatz insoweit stets durch die nationalen prozessualen Regelungen zum Prüfungsumfang der zur Entscheidung befugten Gerichte beschränkt ist (EuGH, Urt. v. 07.06.2007 - C-222/05 u.a. -, , Slg. I-4233 sowie Urt. v. 14.12.1995 - C-430/93 -, , Slg. I-4705).
44 
cc) Die Ablehnung des Wiederaufgreifens des Verfahrens und damit auch einer Rücknahme der Ausweisung aufgrund neuer Sachentscheidung hält sich zudem in den Grenzen des nationalen Rechts.
45 
Eine Behörde handelt grundsätzlich nicht ermessensfehlerhaft, wenn sie eine erneute Sachentscheidung unter Hinweis auf die rechtskräftige gerichtliche Bestätigung ihrer Verwaltungsentscheidung ablehnt. Insoweit bedarf es regelmäßig keiner weiteren ins Einzelne gehenden Ermessenserwägungen. Ausnahmen bestehen nur dann, wenn im Einzelfall Umstände von einer den in § 51 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 VwVfG geregelten Fällen vergleichbaren Bedeutung und Gewicht vorliegen und die Aufrechterhaltung des Erstbescheides auch unter Berücksichtigung der Rechtskraft des diesen bestätigenden Urteils schlechthin unerträglich wäre (BVerwG, Urt. v. 27.01.1994, a.a.O., m.w.N.). Solche Umstände liegen hier jedoch nicht vor.
46 
Es besteht keine allgemeine Verwaltungspraxis, gegenüber der sich die Ablehnung des Wiederaufgreifens des Verfahrens als gleichheitswidrig erweisen würde. Vielmehr ist für den Beklagten maßgeblich, eine solche Verwaltungspraxis mit Blick auf den dann verbundenen Verwaltungsaufwand gerade zu vermeiden. Auch erscheint die Berufung der Behörde auf die Unanfechtbarkeit der Ausweisung und die Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 nicht vor dem Hintergrund der hiermit für den Kläger verbundenen Belastungen als treu- oder sittenwidrig. Denn die gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung sind auf den 23.02.2005 befristet worden, so dass der Kläger seitdem wieder ohne weitere Einschränkung nach Maßgabe des § 2 FreizügG/EU ins Bundesgebiet einreisen und sich dort aufhalten darf. Da sich der Kläger nach seiner Ausreise im Dezember 1998 bis heute überwiegend in Italien und Frankreich aufgehalten hat, führt die Verweigerung der in der Sache begehrten rückwirkenden Aufhebung der Ausweisung auch nicht dazu, dass dem Kläger eine über die Begründung eines verlängerten rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet verbesserte aufenthaltsrechtliche Stellung vorenthalten würde. Soweit dem Kläger über die Ablehnung des Wiederaufgreifens des Ausweisungsverfahrens die Möglichkeit genommen wird, mit einem - auf die Aufhebung der Ausweisung gestützten - Wiederaufnahmeantrag nach § 359 Nr. 4 oder 5 StPO in den mit rechtskräftigen Urteilen des Amtsgerichts Raststatt vom 08.08.2002 und des Landgerichts Baden-Baden vom 10.07.2003 abgeschlossenen Strafverfahren wegen unerlaubten Aufenthalts einen Freispruch zu erreichen, ist dies für ihn schon deshalb nicht schlechthin unerträglich, weil der Erfolg eines solchen Antrags durchaus nicht sicher ist und die strafgerichtliche Verurteilungen des Klägers nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt ihres Ergehens zu Recht erfolgt sind. Schließlich ist die Aufrechterhaltung der Ausweisung auch nicht deshalb schlechthin unerträglich, weil die Ausweisung und das sie bestätigende Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe offensichtlich rechtswidrig wären. Eine offensichtliche Rechtswidrigkeit in diesem Sinne ist dann gegeben, wenn an dem Verstoß der streitigen Maßnahme gegen formelles oder materielles Recht vernünftigerweise kein Zweifel besteht und sich deshalb die Rechtswidrigkeit aufdrängt. Hierbei ist maßgeblich auf den Zeitpunkt des Erlasses des die Ausweisung bestätigenden Urteils abzustellen. Eine spätere Klärung der Rechtsfrage und die damit eintretende Evidenz desselben bleiben außer Betracht (zur vergleichbaren Konstellation der Verpflichtung zur Rücknahme eines Verwaltungsakts nach § 48 Abs. 1 LVwVfG vgl. BVerwG Urt. v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 -, AuAS 2008, 28 = InfAuslR 2008, 116 = NVwZ 2008, 326 = DÖV 2008, 329 = DVBl 2008, 189; Urt. v. 17.01.2007 - 6 C 32.06 -, NVwZ 2007, 709; Beschl. v. 07.07.2004 - 6 C 24/03 -, BVerwGE 121, 226, 229 ff. m.w.N.). Zu dem damit erheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe am 17.02.1998 war die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit einer auf § 47 AuslG gestützten und damit ohne umfassende Ermessensentscheidung ausgesprochenen Ausweisung eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers ebenso wenig evident wie die Notwendigkeit, die Rechtmäßigkeit der Ausweisung nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts zu beurteilen. Vielmehr bestand eine ausdrücklich gegenteilige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa Beschl. v. 29.09.1993, a.a.O.; Urt. v. 11.06.1996, a.a.O.), die erst mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2004 (- 1 C 30/02 -, a.a.O.) aufgegeben wurde.
III.
47 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Senat sieht nach Ermessen davon ab, das Urteil hinsichtlich der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären (§ 167 Abs. 2 VwGO). Die Revision wird gemäß § 132 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, denn sie wirft die bisher höchstrichterlich noch nicht geklärte und für die Weiterentwicklung des Rechts bedeutsame Frage auf, ob die Bindung der Beteiligten nach § 121 VwGO an ein rechtskräftiges Urteil eines Verwaltungsgerichts, mit dem die Anfechtungsklage gegen einen belastenden Verwaltungsakt abgewiesen wurde, der Anwendbarkeit des § 48 Abs.1 Satz 1 (L)VwVfG entgegensteht.
48 
Beschluss vom 09.05.2008
        
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf
        
5.000,-- EUR
        
festgesetzt.
        
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karls-ruhe vom 16. April 2007 - 3 K 2117/06 - geändert. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 26. Juli 2006 verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Befristung der Wirkungen der Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 16. März 1999 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Kläger trägt zwei Drittel, der Beklagte ein Drittel der Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Befristung der Wirkungen seiner 1999 verfügten Ausweisung auf den heutigen Zeitpunkt.
Der 1981 in ... geborene Kläger ist italienischer Staatsangehöriger. Nach der Trennung der Eltern im Juli 1986 wuchs er zusammen mit seiner 1984 geborenen Schwester bei seiner Mutter auf, die seit 1998 die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Er ist mit einer in ... lebenden Deutschen verlobt.
Der Kläger besuchte für zwei Jahre die Grundschule und im Anschluss daran verschiedene Förderschulen. Seit der Mitte der 6. Klasse hat er überhaupt keine Schule mehr besucht. Einen Schulabschluss hat er nicht erlangt. Als Jugendlicher war er wiederholt stationär in Jugendhilfeeinrichtungen untergebracht.
Ab August 1999 war der Kläger für ein halbes Jahr als Helfer in der Landschaftspflege bei der Arbeiterwohlfahrt beschäftigt. Im Anschluss daran arbeitete er acht Monate für die Spedition S. in .... Wegen Unstimmigkeiten mit dem Arbeitgeber beendete er dieses Arbeitsverhältnis. Nach einem Jahr als ungelernter Arbeiter bei einer Dachdeckerei kehrte er zur Spedition S. zurück. Dort arbeitete er bis Ende 2002 als Möbelpacker. Danach lebte er - unterbrochen von einer einmonatigen Beschäftigung bei der Fa. H. W. GmbH im Dezember 2004 - bis zu seiner Festnahme am 11.04.2005 von Arbeitslosenunterstützung.
Bereits im Alter von 10 Jahren begann der Kläger damit, Haschisch zu rauchen. Sein Cannabiskonsum steigerte sich stetig. Im Alter von 14 Jahren kam er auch in Kontakt mit anderen Drogen wie Speed, LSD und Ecstasy. 1996 begann er zudem damit, Kokain zu konsumieren. Sein anfänglich seltener Kokainkonsum steigerte sich kontinuierlich. Ab 2002 nahm er wöchentlich und in dem Zeitraum vor seiner letzten Verhaftung im April 2005 täglich Kokain zu sich. Nach einem kalten Entzug in der Untersuchungshaft nahm er Kontakt mit der Drogenberatung auf. Trotz Therapiebereitschaft konnte der Kläger keine Therapie antreten, weil die Staatsanwaltschaft ... es mit Bescheid vom 29.03.2007 - 1 VRs 11 Js 1640/05 - abgelehnt hatte, die weitere Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG zurückzustellen.
Ein Aufenthaltstitel wurde dem Kläger nie erteilt oder ausgestellt. Ein am 17.11.1999 gestellter Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis-EG wurde nicht beschieden.
Strafrechtlich trat der Kläger als Jugendlicher insbesondere mit einer Vielzahl von Diebstahlsdelikten in Erscheinung. Zuletzt wurde er als Jugendlicher mit Urteil des Amtsgerichts ... - Bezirksjugendschöffengericht II - vom 08.10.1998 - 12 Ls 34 Js 2490/98 AK 115/98 - wegen Diebstahls in drei Fällen sowie versuchten Diebstahls in zwei Fällen unter Einbeziehung vorangegangener Urteile des Amtsgerichts ... - Jugendschöffengericht - vom 20.03.1997 und vom 27.11.1997 zu einer einheitlichen Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Kläger war in dieser Sache seit dem 26.01.1998 in Untersuchungshaft. Die Vollstreckung der Restjugendstrafe wurde mit Beschluss des Amtsgerichts ... vom 30.06.1999 gemäß § 88 JGG mit Wirkung ab dem 20.07.1999 zur Bewährung ausgesetzt.
Mit Verfügung vom 16.03.1999, bezüglich der Abschiebungsandrohung ergänzt durch Verfügung vom 10.08.1999, wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Kläger aus dem Bundesgebiet aus und drohte ihm die Abschiebung nach Italien an. Die Entscheidung wurde damit begründet, dass der Kläger die Voraussetzungen einer Regelausweisung nach § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG erfülle. Besonderen Ausweisungsschutz genieße er nicht, da ihm bisher noch keine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden sei. Es liege auch kein atypischer Sachverhalt vor, der es rechtfertige, von der Regelausweisung abzusehen. Die Ausweisung sei aus spezialpräventiven Gründen geboten. Auch die Anforderungen des § 12 AufenthG/EWG seien erfüllt.
Den gegen diese Verfügung eingelegten Widerspruch wies das Regierungspräsidium Karlsruhe mit Widerspruchsbescheid vom 14.05.1999 zurück.
10 
Mit Urteil vom 16.08.1999 - 12 K 1791/99 - hob das Verwaltungsgericht Karlsruhe die Verfügungen des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 16.03. und vom 10.08.1999 sowie dessen Widerspruchsbescheid vom 14.05.1999 auf. Es führte aus, die Ausweisung genüge nicht den erhöhten Anforderungen, die bei der Ausweisung eines Unionsbürgers und faktischen Inländers zu beachten seien. Sie verstoße gegen § 12 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 AufenthG/EWG, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung von einer lediglich geringen Wiederholungsgefahr auszugehen sei.
11 
Mit Urteil vom 17.08.2000 - Ls 23 Js 7950/99 Hw. AK 72/00 Hw. - verurteilte das Amtsgericht ... den Kläger wegen gemeinschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von sechs Monaten auf Bewährung. Der Kläger hatte am 08.02.1999 als Heranwachsender im Alter von 18 Jahren in der Vollzugsanstalt ... zusammen mit drei Mittätern einen Mithäftling zusammengeschlagen. Nach den strafgerichtlichen Feststellungen war Anlass der Tat, dass einer der Mittäter drei Tage zuvor von dem Geschädigten und einem weiteren Jugendstrafgefangenen zum Oralverkehr gezwungen worden war.
12 
Nach Zulassung der Berufung gegen das Urteil vom 16.08.1999 schlossen der Kläger und der Beklagte am 20.02.2002 vor dem erkennenden Senat einen Vergleich (11 S 253/01): Der Kläger nahm die Klage gegen die Ausweisungsverfügung zurück. Der Beklagte verpflichtete sich, der Erteilung einer Duldung und deren Verlängerung für jeweils drei Monate bis längstens 20.02.2004 zuzustimmen. Diese Zustimmung galt nur unter der Bedingung, dass der Kläger nicht erneut straffällig werde, keinen Ausweisungsgrund nach § 46 Nr. 2 AuslG erfülle und sein Arbeitsverhältnis nicht aus von ihm zu vertretenden Gründen beende. Ferner verpflichtete sich der Beklagte, bei ordnungsgemäßem und beanstandungsfreiem Ablauf der Duldungszeit auf Antrag des Klägers die Wirkungen der Ausweisung auf den 20.02.2004 zu befristen.
13 
In der Folgezeit wurde der Kläger erneut straffällig:
14 
- Mit Strafbefehl des Amtsgerichts ... vom 02.12.2002 - 5 Cs 12 Js 9542/02 - wurde gegen ihn eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen wegen Diebstahls verhängt. Der Kläger hatte in den Geschäftsräumen der Volksbank Geldscheine im Wert von 100 EUR an sich genommen, die eine andere Bankkundin am Automaten angefordert, aber versehentlich nicht entnommen hatte.
15 
- Mit Urteil des Landgerichts ... vom 17.10.2005 - 1 KLs 11 Js 1640/05 - wurde er wegen gemeinschaftlichen Diebstahls in 15 sowie gemeinschaftlichen versuchten Diebstahls in zwei Fällen und wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Haschisch, Marihuana, Kokain) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. In dem Zeitraum vom 04.06.2004 bis 22.03.2005 beging der Kläger zusammen mit einem Mittäter, mit dem er seit seiner Kindheit befreundet war, aufgrund eines zuvor gefassten Tatentschlusses 17 Einbrüche in Autohäuser, Kfz-Werkstätten und TÜV-Niederlassungen in den Landkreisen ..., ... und .... In allen Fällen stiegen der Kläger und sein Mittäter in die Räumlichkeiten ein oder brachen Fenster oder Türen auf, suchten in den Räumen gezielt nach Bargeld, nach dem Tresor oder sonstigen Wertsachenbehältnissen und entwendeten diese entweder ganz oder öffneten den Tresor mittels eines Winkelschleifers vor Ort. Neben dem entwendeten Bargeld nahmen sie in zahlreichen Fällen Wertgegenstände wie Notebooks, Digitalkameras und Mobiltelefone an sich, um diese für sich zu behalten oder später gegen Geld abzusetzen. Der Gesamtwert des entwendeten Bargelds sowie der Vermögensgegenstände belief sich auf ca. 70.000,-- EUR. Der Kläger gab seinen Beuteanteil im Wesentlichen für den Kauf von Drogen aus. Hinsichtlich des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hielt es die Strafkammer aufgrund des lediglich geringfügig überschrittenen Grenzwerts zur nicht geringen Menge und der Abhängigkeit des Klägers für angemessen, insoweit nur die Mindeststrafe zu verhängen. Die Kammer stimmte der Zurückstellung der Vollstreckung der Strafe nach § 35 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 BtMG zu. Die beantragte Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung zum Zweidrittelzeitpunkt wurde vom Landgericht ... - Strafvollstreckungskammer - mit Beschluss vom 21.09.2007 - 12 StVK 572/07 - abgelehnt. Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde wurde vom OLG Karlsruhe vom 23.11.2007 - 2 Ws 315/07 - als unbegründet verworfen: Zwar habe der Kläger im Strafvollzug eine gewisse Nachreifung erfahren. Doch bestehe derzeit keine ausreichende Chance dahin, dass er in Zukunft keine weiteren Straftaten begehen werde. Insbesondere die nicht aufgearbeitete Drogenproblematik wirke sich als ungünstiger destabilisierender Faktor aus.
16 
Bereits am 09.08.2004 hatte der Kläger die Befristung der Sperrwirkung der Ausweisung beantragt.
17 
Mit Bescheid vom 26.07.2006, zugestellt am 27.07.2006, befristete das Regierungspräsidium Karlsruhe - ohne den Kläger zuvor anzuhören - die Sperrwirkung der Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 auf vier Jahre nach der Ausreise und verfügte ferner, dass die Befristung unter der Bedingung erfolge, dass der Kläger im Befristungszeitraum nicht erneut straffällig werde und polizeiliche Führungszeugnisse, lückenlose Wohnsitznachweise sowie einen Nachweis über die erfolgreiche Durchführung einer Drogentherapie vorlege. Rechtsgrundlage für die Befristung sei § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU. Die Dauer der Sperrwirkung orientiere sich daran, wann der Ausweisungszweck voraussichtlich erfüllt sein werde. Art. 6 GG gebiete keine kürzere Befristung. Bei der Fristbemessung sei die Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums über die Bemessung der Sperrwirkung bei Befristungsentscheidungen nach § 8 Abs. 2 AuslG vom 25.01.2002 - VwV Befristung - berücksichtigt worden. Diese sehe bei EU-Bürgern einen Zeitraum zwischen sechs Monaten und fünf Jahren zuzüglich des festgesetzten Strafmaßes vor, wobei das Freizügigkeitsrecht des EU-Bürgers angemessen zu berücksichtigen sei. Der Ausweisung habe die Verurteilung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten zugrunde gelegen. Die Festsetzung der Wiedereinreisefrist am unteren Ende des zeitlichen Rahmens komme nicht in Betracht, weil der Kläger inzwischen erneut zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt worden sei. Die Befristung der Sperrwirkung auf vier Jahre nach Ausreise erscheine damit unter Würdigung aller Umstände als geeignet, erforderlich und auch verhältnismäßig.
18 
Am 28.08.2006 (Montag) hat der Kläger Klage erhoben mit dem Antrag, den Beklagten unter Aufhebung seiner Verfügung vom 26.07.2006 zu verpflichten, die Sperrwirkung der Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 auf den Zeitpunkt sofort nach der Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland zu befristen. Er äußert Zweifel daran, ob die Ausweisung überhaupt noch wirksam sei. Aufgrund der Nichtdurchführung eines Vorverfahrens und des damit vorliegenden Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG sei die Verfügung rechtswidrig. Die vom Beklagten aufgestellten Bedingungen seien mit § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU nicht vereinbar und führten ebenfalls zur Rechtswidrigkeit der Verfügung. Es sei davon auszugehen, dass seine Ausweisung aufgrund der geänderten Rechtslage, insbesondere Art. 28 der Richtlinie 2004/38/EG - Freizügigkeitsrichtlinie -, zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr in Betracht komme und die Sperrfrist von vier Jahren deshalb unverhältnismäßig sei. Auch gemessen an Art. 8 EMRK sei die Sperrfrist unverhältnismäßig. Er sei faktischer Inländer und spreche nur sehr rudimentär italienisch. Abgesehen von einem kurzen Urlaubsaufenthalt sei er nie in Italien gewesen. Nachdem seine in ... lebende Großmutter vor mehreren Jahren verstorben sei, bestünden nicht einmal familiäre Bande nach Italien. Zudem sei er mit einer Deutschen verlobt und beabsichtige, diese zu heiraten.
19 
Mit Urteil vom 16.04.2007 hat das Verwaltungsgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Für eine formelle Rechtswidrigkeit der Verfügung vom 26.07.2006 aufgrund eines Verstoßes gegen Art. 9 der RL 64/221/EG sei schon deshalb nichts ersichtlich, weil diese Richtlinie mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden sei. Die Verfügung sei auch materiell rechtmäßig. Die Ausweisung, die nach wie vor wirksam sei, habe zum Entfallen der Freizügigkeitsberechtigung des Klägers geführt. Entsprechend Nr. 1.5 der - über Art. 3 Abs. 1 GG Außenwirkung entfaltenden - VwV Befristung stehe Unionsbürgern ein Anspruch auf sofortige Befristung zu, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Befristungsantrag keine Gründe mehr vorlägen, die eine Einschränkung des Freizügigkeitsrechts nach dem FreizügG/EU und dem zugrunde liegenden Gemeinschaftsrecht rechtfertigten. Im Fall des Klägers seien solche Gründe indes unverändert gegeben. Es müsse davon ausgegangen werden, dass er nach seiner Entlassung aus der Haft mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit erneut Straftaten, schwere Straftaten eingeschlossen, begehen werde. Da gegen den Kläger Haftstrafen von zusammen sechs Jahren und drei Monaten verhängt worden seien, lägen auch zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit gemäß Art. 28 Abs. 3 lit. a RL 2004/38/EG vor. Auch die Dauer der Sperrfrist sowie die im Bescheid vom 26.07.2006 formulierten Bedingungen seien nicht zu beanstanden.
20 
Auf Antrag des Klägers hat der Senat die Berufung zugelassen. Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger im Wesentlichen vor: Bezüglich der Frage, ob er einen Anspruch auf sofortige Befristung der Wirkung der Ausweisung habe, sei auf das aktuell maßgebliche Recht, d.h. auf das FreizügG/EU in der Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19.08.2007, abzustellen. Danach habe er einen Rechtsanspruch auf Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt. Weder der Beklagte noch das Erstgericht hätten eine aktualisierte Prüfung vorgenommen, ob die Sperrfrist von vier Jahren für einen in Deutschland geborenen Unionsbürger, einen faktischen Inländer, der alle familiären und sonstigen Bindungen in Deutschland habe und mit einer in Waldshut lebenden deutschen Frau verlobt sei, noch angemessen sei. Der Beklagte habe einseitig die Straftaten in den Vordergrund seiner Ermessensentscheidung gestellt und damit das Abwägungsmaterial falsch zusammengestellt. Die besonderen persönlichen Verhältnisse des Klägers, insbesondere dessen Stellung als faktischer Inländer, seien nicht ausreichend gewürdigt worden. § 6 Abs. 5 FreizügG/EU und Art. 8 EMRK geböten eine Befristung auf Null.
21 
Der Kläger beantragt,
22 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 16. April 2007 - 3 K 2117/06 - zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 26. Juli 2006 zu verpflichten, die Sperrwirkung der Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 16. März 1999 auf den 23. Juli 2008 zu befristen.
23 
Der Beklagte beantragt,
24 
die Berufung zurückzuweisen.
25 
Er erwidert, maßgeblicher Gesichtspunkt für die Dauer der Befristung sei die von dem Kläger ausgehende Wiederholungsgefahr. Dass zum jetzigen Zeitpunkt nach § 6 Abs. 5 FreizügG/EU eine Verlustfeststellung nicht mehr verfügt werden könnte, könne bei der Bestimmung des Befristungszeitpunkts nicht die entscheidende Rolle spielen. Zum Zeitpunkt der Ausweisung sei die RL 2004/38/EG noch nicht in Kraft gewesen und die Bundesrepublik habe noch keine zwingenden Ausweisungsgründe definiert. Die VwV Befristung vom 25.01.2002 werde bei der Ausübung des Befristungsermessens nach wie vor zugrunde gelegt. Die Neuregelungen des § 5 FreizügG/EU (gemeint: § 6 FreizügG/EU) hätten erheblichen Einfluss auf den Umfang des noch verbleibenden Ermessens. Bei Durchschnittsfällen ohne weitere negative Aspekte sei es kaum möglich, den Ablauf der Frist auf einen deutlich späteren Zeitpunkt festzusetzen. Beim Kläger handele es sich aber gerade nicht um einen Durchschnittsfall. Er sei wiederholt straffällig geworden, sein gesamter Lebensweg sei durch fehlende Konstanz und Stabilität gekennzeichnet und auch die Justiz gehe von einer ungünstigen Sozialprognose aus.
26 
Ausweislich des unter dem 10.07.2008 vorgelegten Vollzugsberichts der Justizvollzugsanstalt ... wurde der Vollzugsplan vom 19.12.2007, der die Gewährung von Vollzugslockerungen vorgesehen hatte, mit Verfügung vom 25.02.2008 widerrufen, nachdem der Kläger die Abgabe einer Urinkontrolle verweigert habe. Mit Schreiben vom 20.04.2008 habe der Kläger mitgeteilt, auf Lockerungen bzw. eine Verlegung in den offenen Vollzug zu verzichten. Ansonsten sei der Vollzug, bis auf einen Verstoß gegen das Rauchverbot am 07.02.2008, unauffällig verlaufen.
27 
Der Kläger ist in der Berufungsverhandlung angehört worden und hat ergänzend angegeben: Er kenne seine Verlobte seit 15 Jahren; seit 5 ½ Jahren seien sie verlobt. Sie besuche ihn regelmäßig in der Haft; nach seiner Haftentlassung wollten sie heiraten. Er wolle nicht nach ... zurückkehren, sondern in ..., wo er einen Arbeitsplatz in einer Pizzeria in Aussicht habe, eine Wohnung suchen. Seine Verlobte sei bereit, nach ... umzuziehen. Im Vollzug habe er in der Schneiderei gearbeitet. Daneben habe er einen Deutschkurs belegt. Einen Italienischkurs habe er nach fünf Monaten aufgegeben, weil er damals damit gerechnet habe, eine Drogentherapie antreten zu dürfen. Als Kind sei er zwei- oder dreimal mit seinen Großeltern bei der Urgroßmutter in ... gewesen, die inzwischen verstorben sei. Zu Verwandten väterlicherseits habe er überhaupt keinen Kontakt. Eine längerfristige Ausreise nach Italien könne er sich nicht vorstellen. Seine Verlobte sei nicht bereit, ihn zu begleiten. Der Vorwurf, er habe die Abgabe einer Urinprobe verweigert, sei unzutreffend. Er habe zu dem fraglichen Zeitpunkt kein Wasser lassen können und eine Nachholung der Urinkontrolle sei ihm verwehrt worden. Nach seiner Haftentlassung wolle er eine ambulante Drogentherapie durchführen.
28 
Dem Senat liegen die einschlägigen Akten des Beklagten, der unteren Ausländerbehörde und des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vor. Hierauf sowie auf die Gerichtsakten wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
I.
29 
Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO).
30 
Soweit der Kläger über den erstinstanzlich gestellten Antrag hinausgehend nicht die Befristung „auf den Zeitpunkt sofort nach der Ausreise“, sondern auf den 23.07.2008, d.h. den Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, begehrt, stellt dies eine in der Berufungsinstanz zulässige Klageänderung in der Form der Erweiterung des Klageantrags (§ 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO) dar. Nach § 264 Nr. 2 ZPO ist es nicht als eine Klageänderung anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache oder in Bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird. Die Vorschrift regelt eine Antragsänderung, die rechtstechnisch als privilegierte Klageänderung behandelt wird. Die Formulierung „ist es nicht als eine Klageänderung anzusehen“ bedeutet nicht, dass in diesen Fällen keine Klageänderung vorliegt, sondern bewirkt, dass die genannten Erweiterungen bzw. Beschränkungen ohne Rücksicht auf ihre dogmatische Einordnung privilegiert werden. Dies ist ein gesetzlich geregelter Fall der Sachdienlichkeit, der ohne weiteres zur Zulässigkeit der Klageänderung führt (Kuntze in Bader u.a., VwGO, 4. Aufl., § 91 Rn. 5). Voraussetzung für die Anwendung von § 264 Nr. 2 ZPO ist, dass der Klagegrund sich nicht ändert und der Antrag nicht ersetzt wird. Es muss sich deswegen um ein Maius oder Minus handeln und nicht um ein Aliud (Schmid in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 91 Rn. 12). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Klagegrund, d.h. der Sachverhalt, aus dem sich die erstrebte Rechtsfolge ergeben soll, bleibt unverändert. Der Antrag wird nicht ersetzt, sondern - geringfügig - erweitert. Der Kläger begehrt eine Befristung auf den Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, d.h. ohne vorherige Ausreise.
31 
Die Berufung ist jedoch nur zum Teil begründet. Der Kläger muss die Wirkungen des § 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990 als Folge der Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 gegen sich gelten lassen (unten 1.). Über den geltend gemachten Befristungsanspruch ist nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU unter Zugrundelegung der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu entscheiden (unten 2.). Nach den für die Fristbemessung maßgeblichen Grundsätzen (unten 3.) kann der Kläger nicht verlangen, dass die Wirkungen der Ausweisung auf den 23.07.2008 - den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung - befristet werden (unten 4.). Er hat, da der Befristungsbescheid vom 26.07.2006 ungeachtet dessen an einem beachtlichen Verfahrensfehler und an Ermessensfehlern leidet, auf seinen als Minus im Verpflichtungsantrag enthaltenen Antrag aber einen Anspruch auf Aufhebung dieses Bescheides und auf Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO; unten 5.).
32 
1. Die Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 hat zur Folge, dass der Kläger nicht erneut ins Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990). Diese Wirkungen entfaltet die Ausweisung auch heute noch, so dass das Befristungsbegehren nicht etwa deshalb ins Leere geht und mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig ist, weil die Ausweisung gegenstandslos geworden wäre. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, ist geklärt, dass vor dem 01.01.2005 unter Geltung des AuslG 1990 und des AufenthG/EWG bestandskräftig gewordene Ausweisungen von Unionsbürgern nicht mit Inkrafttreten des FreizügG/EU gegenstandslos geworden, sondern weiterhin wirksam sind (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 – 1 C 21.07 – BVerwGE 129, 243 = NVwZ 2008, 82 = EZAR NF 10 Nr. 8; ebenso zuvor bereits VGH BW, Beschl. v. 18.08.2005 – 13 S 1253/05 – und Urt. v. 24.01.2007 – 13 S 451/06 – InfAuslR 2007, 182 = EZAR NF 93 Nr. 3; BayVGH, Beschl. v. 21.03.2006 – 19 CE 06.721 – juris; OVG RP, Urt. v. 08.02.2007 – 7 A 11318/06.OVG – InfAuslR 2007, 226; vgl. auch Epe in GK-AufenthG, IX-2 § 1 Rn. 21 m.w.N.; Harms in Storr u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 6 FreizügG/EU Rn. 32; Hailbronner, AuslR, Kommentar, D 1 § 7 Rn. 25; a.A. OVG B-Brb., B. v. 15.03.2006 – OVG 8 S 123.05 – InfAuslR 2006, 259 = NVwZ 2006, 953; Gutmann, InfAuslR 2005, 125 und InfAuslR 2008, 105).
33 
2. a) Grundlage des Befristungsanspruchs ist nicht etwa § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG, sondern § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU. Nach dieser Vorschrift wird das durch die Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU ausgelöste Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 7 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU) auf Antrag befristet. Mit Blick auf die in § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG getroffene Übergangsregelung werden von dieser Anspruchsgrundlage in sinngemäßer Anwendung auch die fortwirkenden Rechtsfolgen der vor Inkrafttreten des FreizügG/EU am 01.01.2005 bestandskräftig gewordenen Ausweisung eines Unionsbürgers erfasst. § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU betrifft als Sonderregelung im Sinne des § 11 Abs. 2 FreizügG/EU nicht (mehr) freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger, zu denen auch der Kläger zählt (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.).
34 
§ 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU gewährt Unionsbürgern - anders als die Regelbefristung des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG für Drittstaater - einen strikten Rechtsanspruch auf Befristung („ob“); nur über die Länge der Frist ist nach Ermessen zu entscheiden. Damit geht die Vorschrift über die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben in Art. 32 Abs. 1 der RL 2004/38/EG hinaus, die lediglich einen fristgebundenen Verbescheidungsanspruch vorsehen (umgesetzt in dem durch Gesetz vom 19.08.2007 [BGBl. I S. 1970] angefügten Satz 4 des § 7 Abs. 2 FreizügG/EU). Mit der Ausgestaltung der Befristung als gebundener Entscheidung und einem damit korrespondierenden Anspruch bringt der Gesetzgeber den hohen Rang zum Ausdruck, den er dem gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsrecht beimisst. Denn als Ausnahmen vom Grundprinzip der Freizügigkeit dürfen das an eine Verlustfeststellung bzw. Ausweisung anknüpfende Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht unbegrenzt gelten, sondern ein davon betroffener Unionsbürger hat nach angemessener Zeit Anspruch auf erneute Prüfung und Entscheidung nach Maßgabe der aktuellen Sachlage (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O. unter Hinweis auf EuGH, Urt. v. 17.06.1997 - Rs. C-65/95 u. C-111/95 [Shingara und Radiom] - Slg. 1997, I-3343 Rn. 40 ff. = EZAR 81 Nr. 34). Von einem solchen Rechtsanspruch ist der Beklagte zu Recht ausgegangen.
35 
b) Für die Prüfung des Befristungsanspruchs ist auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat abzustellen (BVerwG, Urt. v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367 = InfAuslR 2008, 116 = NVwZ 2008, 326 = EZAR NF 48 Nr. 9; BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Dies muss auch gelten, soweit - wie hier - die Behörde bereits eine Ermessensentscheidung über die Dauer der Sperrfrist getroffen hat und es um deren Überprüfung geht: Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 29.04.2004 - Rs. C-482/01 u. C-493/01 [Orfanopoulos u. Oliveri] - Slg. 2004, I-5257 Rn. 82 = InfAuslR 2004, 268) sind die innerstaatlichen Gerichte verpflichtet, bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der gegen einen Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats verfügten Ausweisung einen Sachvortrag zu berücksichtigen, der nach der letzten Behördenentscheidung erfolgt ist und der den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen kann, die das Verhalten des Betroffenen für die öffentliche Ordnung darstellen würde. Daran anknüpfend hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass das Erfordernis der Berücksichtigung neuer Tatsachen nicht nur für einen Sachvortrag gilt, der den Wegfall oder eine Verminderung der von dem Betroffenen für die öffentliche Ordnung ausgehenden Gefährdung mit sich bringen kann. Aus dem Erfordernis, dass eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung grundsätzlich zu dem Zeitpunkt bestehen muss, zu dem die Ausweisung erfolgt, ergebe sich darüber hinaus, dass entscheidungserhebliche neue Tatsachen umfassend zu berücksichtigen sind. Dies gelte auch für Tatsachen, die für die an den Grundrechten und am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu orientierende Interessenabwägung von Bedeutung sind. Daraus folge, dass die Tatsachengerichte verpflichtet sind zu prüfen, ob die behördliche Gefährdungsprognose und die Ermessensentscheidung bezogen auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung im Ergebnis auf einer zutreffenden tatsächlichen Grundlage beruhen (BVerwG, Urt. v. 03.08.2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 = InfAuslR 2005, 18). Diese Erwägungen sind uneingeschränkt auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU zu übertragen, da auch insoweit ähnlich wie bei der Ausweisung oder nunmehr bei der Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU zu prüfen ist, ob von dem Unionsbürger (noch) eine gegenwärtige Gefahr ausgeht (in diesem Sinne bereits Renner, ZAR 2004, 195<197>; siehe zu den für die Fristbemessung maßgeblichen Grundsätzen im Einzelnen unten 3.). Keiner Entscheidung bedarf vorliegend, ob dies, was im Anschluss an die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 15.11.2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156) zu bejahen sein könnte, auch für die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Befristungsentscheidungen nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gilt. Grundlage des Befristungsanspruchs ist daher § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU in der Fassung des am 28.08.2007 in Kraft getretenen Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970).
36 
3. Bei der im behördlichen Auswahlermessen verbleibenden Bestimmung der Länge der Frist sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.) in einem ersten Schritt das Gewicht des Grundes für die Verlustfeststellung bzw. Ausweisung sowie der mit der Maßnahme verfolgte spezialpräventive Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der Prüfung im Einzelfall, ob die vorliegenden Umstände auch jetzt noch das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen. Die Behörde hat dazu auch das Verhalten des Betroffenen nach der Ausweisung zu würdigen und im Wege einer Prognose auf der Grundlage einer aktualisierten Tatsachenbasis die (Höchst-)Frist nach dem mutmaßlichen Eintritt der Zweckerreichung zu bemessen. Im Falle einer langfristig fortbestehenden Rückfall- bzw. Gefährdungsprognose ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers aber auch bei Unionsbürgern ein langfristiger Ausschluss der Wiedereinreise nicht ausgeschlossen (BT-Drs. 15/420 S. 105). Die im Rahmen des ersten Schritts von der Behörde zu treffende Gefahrprognose muss - ebenso wie bei der Ausweisung (vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 16.10.1989 - I B 106.89 - EZAR 124 Nr. 11 = InfAuslR 1990, 4 <5> m.w.N.; Discher in GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. AufenthG Rn. 1711 ff.) - gerichtlich voll überprüfbar sein.
37 
In einem zweiten Schritt muss sich die an der Erreichung des Zwecks der Verlustfeststellung bzw. Ausweisung orientierende äußerste Frist an höherrangigem Recht, d.h. gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben und verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen messen und ggf. relativieren lassen (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde ein rechtsstaatliches Mittel dafür, fortwirkende einschneidende Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.08.2000 - 1 C 5.00 - BVerwGE 111, 369 <373> = InfAuslR 2000, 483 zur Regelbefristung). Dabei sind insbesondere die in § 6 Abs. 3 FreizügG/EU genannten schutzwürdigen Belange des Unionsbürgers in den Blick zu nehmen. Haben z.B. familiäre Belange des Betroffenen durch die Geburt eines Kindes im Bundesgebiet nach der Ausweisung an Gewicht gewonnen, folgt daraus eine Ermessensverdichtung in Richtung auf eine kürzere Frist. Die Abwägung nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, die auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles nach Gewichtung der jeweiligen Belange vorzunehmen ist, kann im Extremfall bis zu einer Ermessensreduzierung auf Null mit dem Ergebnis einer Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt, d.h. auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz, führen (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O. u. Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 - BVerwGE 110, 140 <150 f.> = InfAuslR 2000, 176). Kraft des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts muss in diesen Fällen die Befristung so erfolgen, dass sich das dem Unionsbürger zustehende Freizügigkeitsrecht sogleich entfalten kann. Der Anwendungsvorrang erfordert es, dass die Befristung nicht von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht wird, wie insbesondere der Regelung in § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU, wonach eine Frist erst mit der Ausreise beginnt (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 - a.a.O. zu § 8 Abs. 2 Satz 4 AuslG 1990). In den Fällen des Wegfalls der notwendigen qualifizierten Wiederholungsgefahr ist daher auch nach Ergehen einer Feststellungsentscheidung nach § 6 FreizügG/EU die Ausreise des ansonsten Freizügigkeitsberechtigten entgegen der Regelung in § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU nicht Voraussetzung für das erneute Entstehen des Aufenthaltsrechts.
38 
4. Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Beklagte nicht verpflichtet, die Befristung auf den heutigen Tag - d.h. ohne Einhaltung einer mit der Ausreise beginnenden angemessenen Frist - auszusprechen. Der Senat vermag nicht festzustellen, dass eine Befristung auf den heutigen Tag nach dem Zweck der Ermächtigung die allein rechtmäßige Ermessensbetätigung wäre (vgl. § 114 VwGO).
39 
a) Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der spezialpräventive Zweck der Ausweisung schon jetzt erreicht ist. Vielmehr geht von dem Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung für die öffentliche Ordnung aus, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
40 
Soweit das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 04.09.2007 , a.a.O.) ausgeführt hat, es bedürfe der Prüfung im Einzelfall, ob die vorliegenden Umstände „auch jetzt noch“ das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die hohen Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen, ist dies nach Auffassung des Senats nicht dahingehend zu verstehen, dass im Rahmen des Befristungsverfahrens nochmals geprüft werden muss, ob die der bestandskräftigen Ausweisung zugrunde liegenden Umstände diese gerechtfertigt haben. Die Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit der bestandskräftigen Ausweisung steht in diesem Verfahren nicht erneut zur Überprüfung. Es ist vielmehr eine Gefährdungsprognose auf heutiger Tatsachenbasis vorzunehmen, bei der bezogen auf den jetzigen Entscheidungszeitpunkt unabhängig von der Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Ausweisung zu prüfen ist, ob die Aufrechterhaltung der Sperrwirkungen gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU gerechtfertigt ist. Die vom Kläger nach der Ausweisung als Erwachsener begangenen Straftaten sind daher ebenso zu berücksichtigen wie seine zum Zeitpunkt der Ausweisung noch nicht so gravierende, unbewältigte Drogenproblematik.
41 
Die vom Regierungspräsidium Karlsruhe getroffene Prognose, die gerichtlich voll überprüfbar ist (vgl. oben 3.), ist danach nicht zu beanstanden: Die vom Kläger zwischen Juni 2004 und März 2005 begangenen Straftaten des gemeinschaftlichen Diebstahls in 15 sowie des gemeinschaftlichen versuchten Diebstahls in zwei Fällen sind der mittleren Kriminalität zuzuordnen. Es handelt sich um eine Häufung von Fällen mittlerer Kriminalität, bei denen der Senat jedenfalls aufgrund der gewerbsmäßigen Begehung (§ 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB) davon ausgeht, dass eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU). Auch zum heutigen Zeitpunkt ist bei dem Kläger insbesondere aufgrund der unbewältigten Drogenproblematik eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung gleichartiger Eigentums- und Vermögensdelikte nach Entlassung aus der Strafhaft weiterhin gegeben. Die bloße Therapiebereitschaft steht der Annahme der auch von den Strafvollstreckungsgerichten (vgl. die Beschlüsse des LG ... vom 21.09.2007 - 12 StVK 572/07 - und des OLG Karlsruhe vom 23.11.2007 - 2 Ws 315/07 -) bejahten Wiederholungsgefahr nicht entgegen. Die Gefahr, dass der Kläger, ebenso wie nach Verbüßung seiner Jugendstrafe, nach der Haftentlassung erneut Drogen konsumieren und zur Finanzierung des Drogenkonsums erhebliche Straftaten begehen wird, erscheint relativ hoch. Sie wird nicht dadurch gemindert, dass er einen Arbeitsplatz in Aussicht hat und seine Verlobte zu heiraten beabsichtigt. Insoweit spricht gegen eine günstige Prognose, dass der Kläger nie dauerhaft in den Arbeitsmarkt integriert war, er vielmehr wiederholt Arbeitsverhältnisse aus freien Stücken beendete und dass auch die Beziehung zu seiner Verlobten ihm nicht genügend Halt gegeben hat, um ihn von weiteren Straftaten abzuhalten. Er vermochte schließlich selbst unter dem Druck der Ausweisung, der erlittenen Jugendhaft und des 2002 geschlossenen Bewährungsvergleichs sein Verhalten nicht durchgreifend zu ändern. Die notwendige qualifizierte Wiederholungsgefahr besteht daher zur Überzeugung des Senats fort.
42 
b) Diese Wiederholungsgefahr wird nicht dadurch relativiert, dass der ursprüngliche Ausweisungsanlass - die vom Kläger als Jugendlicher begangenen Straftaten - weniger gewichtig war. Auch wenn das Verwaltungsgericht Karlsruhe (Urt. v. 16.08.1999 - 12 K 1791/99 -) zu Recht davon ausgegangen ist, dass es damals an einer tatsächlichen, gegenwärtigen und hinreichend schweren Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, gefehlt hat, so führt dies nur dazu, dass der Grund für die Ausweisung nur mit dem ihm zukommenden geringeren Gewicht bei der Ausübung des Befristungsermessens zu berücksichtigen ist, eine Ermessensreduzierung auf Null ergibt sich hieraus jedoch angesichts der heute bestehenden qualifizierten Wiederholungsgefahr nicht.
43 
c) Entgegen der Auffassung des Klägers folgt eine Ermessensreduktion auf Null auch nicht aus § 6 Abs. 5 FreizügG/EU, weil die Ausweisung, um deren Sperrwirkung es geht, vor dem 01.05.2006 bestandskräftig wurde und daher das erhöhte Schutzniveau dieser Vorschrift hier nicht zu beachten ist.
44 
aa) § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU i.d.F. des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970) setzen die zweite und dritte Stufe des durch Art. 28 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/38/EG eingeführten erhöhten Ausweisungsschutzes für bestimmte Personengruppen um. Nach § 6 Abs. 4 FreizügG/EU, der Art. 28 Abs. 2 RL 2004/38/EG umsetzt, ist die Verlustfeststellung nach Erwerb eines Rechts auf Daueraufenthalt (vgl. § 4 a FreizügG/EU) nur noch aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit zulässig. Nach zehnjährigem Aufenthalt darf eine Verlustfeststellung gemäß § 6 Abs. 5 FreizügG/EU, der Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG umsetzt, nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit verfügt werden. Diese Anforderungen beziehen sich nach ihrem Standort im Gesetz allein auf Verlustfeststellungen nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU, nicht aber auf Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU. Nach ihrem Sinn und Zweck müssen diese Anforderungen jedoch gewissermaßen spiegelbildlich auch für die Befristungsentscheidung gelten, wenn die Verlustfeststellung, deren Wirkungen befristet werden, unter Beachtung des erhöhten Ausweisungsschutzes gemäß Art. 28 Abs. 2 oder 3 der Richtlinie 2004/38/EG erlassen wurde oder hätte erlassen werden müssen. Letzteres trifft auf alle Verlustfeststellungen zu, die bei Ablauf der Umsetzungsfrist gemäß Art. 40 der RL 2004/38/EG am 30.04.2006 noch nicht bestandskräftig waren (zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 2 und 3 RL 2004/38/EG ab diesem Zeitpunkt vgl. Epe in GK-AufenthG, IX-2 Vor § 1 Rn. 35, 43 ff.). Wollte man im Rahmen des § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU auch in Fällen erhöhten Ausweisungsschutzes nur prüfen, ob auf heutiger Tatsachenbasis die Gefährdungsprognose gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU Bestand hat, würde dies zu dem widersinnigen Ergebnis führen, dass etwa trotz Wegfalls zwingender Gründe der öffentlichen Sicherheit bei einem Unionsbürger, der Ausweisungsschutz nach der dritten Stufe genießt, der Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht weiterhin gerechtfertigt wäre, sofern „nur“ noch eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung i.S.d. § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU vorliegt. Dies würde zu einer unzulässigen Aushöhlung des erhöhten Ausweisungsschutzes nach § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU führen.
45 
bb) Hier waren bei der bereits 2002 bestandskräftig gewordenen Ausweisung die Anforderungen des Art. 28 Abs. 2 und 3 der RL 2004/38/EG nicht zu beachten, so dass auch im Befristungsverfahren nur die Anforderungen des - dem bisherigen gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutz entsprechenden - Ausweisungsschutzes auf der ersten Stufe gemäß Art. 28 Abs. 1 der RL 2004/38/EG einzuhalten sind. Diese erste Stufe des gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutzes ist in § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU umgesetzt. Folgerichtig ist daher, soweit es um Altausweisungen geht, auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.) nicht zu prüfen, ob bei dem ausgewiesenen Unionsbürger aktuell nach der heutigen Rechtslage noch eine Verlustfeststellung getroffen werden könnte. Zu prüfen ist in diesen Übergangsfällen allein, ob die gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU noch aufrecht erhalten werden können. Auch gemeinschaftsrechtlich ist es nicht geboten, den mit der seit dem 01.05.2006 unmittelbar anwendbaren RL 2004/38/EG eingeführten erhöhten Ausweisungsschutz auch zu diesem Zeitpunkt bereits bestandskräftig ausgewiesenen Unionsbürgern zugute kommen zu lassen. Art. 28 RL 2004/38/EG bezieht sich auf Ausweisungen, nicht aber auf Befristungsentscheidungen. Die erhöhten Anforderungen nach dieser Vorschrift sind daher nur bei Ausweisungen/Verlustfeststellungen zu beachten, bei denen der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage nach dem 30.04.2006 liegt (vgl. EuGH, Urt. v. 04.10.2007 – Rs. C-349/06 [Polat] – Slg. 2007, I-08167 Rdn. 26 f. = InfAuslR 2007, 425 = NVwZ 2008, 59 = EZAR NF 19 Nr. 22, wobei der EuGH dort nach dem zugrundeliegenden Sachverhalt bei Beachtung seiner eigenen Rechtsprechung zum maßgeblichen Zeitpunkt wohl zu einer Anwendbarkeit der RL 2004/38/EG hätte kommen müssen). Nichts anderes ergibt sich aus Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG. Nach dieser Vorschrift können ausgewiesene Unionsbürger nach einem angemessenen Zeitraum, jedenfalls aber drei Jahre nach Vollstreckung des nach Gemeinschaftsrecht ordnungsgemäß erlassenen Aufenthaltsverbots dessen Aufhebung unter Hinweis darauf beantragen, dass eine „materielle Änderung der Umstände eingetreten ist, die das Aufenthaltsverbot gerechtfertigt haben“. Mit einer „materiellen Änderung der Umstände“ sind Änderungen des Sachverhalts, nicht hingegen Rechtsänderungen gemeint. Sowohl im ursprünglichen wie auch im geänderten Kommissionsvorschlag hieß es „Änderung des Sachverhalts“ (vgl. KOM (2001) 257 endg. und KOM (2003) 199 endg., jeweils Art. 30 Abs. 2). Die schließlich verabschiedete Formulierung findet sich erstmals im Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 6/2004 (ABl. EG C 54E/12 <23>). Zur Begründung heißt es dort, die Abänderungen machten den Text klarer. Zwar trifft das Gegenteil zu, doch ergibt sich aus den Materialien jedenfalls, dass nur eine redaktionelle Änderung beabsichtigt war. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach eine Gefährdungsprognose auf neuer Tatsachenbasis zu treffen ist, steht daher auch mit Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG im Einklang.
46 
d) Auch aus Nr. 1.5 der Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums über die Bemessung der Sperrwirkung bei Befristungsentscheidungen nach § 8 Abs. 2 AuslG vom 25.01.2002 - Az.: 1362/129 - (VwV Befristung), die nach Auskunft des Beklagten bei der Ausübung des Befristungsermessens nach wie vor zugrunde gelegt wird, ergibt sich - i.V.m. Art. 3 GG - keine Ermessensreduzierung auf Null in dem Sinne, dass der Kläger einen Anspruch auf sofortige Befristung hätte. Dort heißt es:
47 
„Es ist zu prüfen, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung noch Gründe vorliegen, die eine Einschränkung des Freizügigkeitsrechts nach § 12 AufenthG/EWG und dem zugrunde liegenden Gemeinschaftsrecht rechtfertigen. Liegen solche Gründe nicht mehr vor, darf die Befristung nicht von der vorherigen Ausreise des Betroffenen abhängig gemacht werden, so dass dem Betroffenen ein Anspruch auf sofortige Befristung zusteht.“
48 
Diese Verwaltungsvorschrift kann lediglich über eine gleichbleibende Verwaltungspraxis nach Art 3 Abs. 1 GG Außenwirkung zugunsten des Ausländers haben. Sie ist somit entsprechend dem wirklichen Willen des Erklärenden (hier: der obersten Landesbehörde) und ihrer tatsächlichen Handhabung auszulegen und anzuwenden, so dass der Wortlaut der Verwaltungsvorschrift erst über die ihm folgende ständige Verwaltungspraxis Außenwirkung für den Ausländer entfaltet (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.09.2000 - 1 C 19.99 - BVerwGE 112, 63 = InfAuslR 2001, 70; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.04.2002 - 13 S 314/02 - ESVGH 52, 200). In der Verwaltungspraxis wird diese Verwaltungsvorschrift nach Auskunft des Beklagten nicht in dem Sinne angewandt, dass bei einer Altausweisung, die den heutigen Anforderungen des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU nicht entspricht, stets eine Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt vorzunehmen ist. Dies gelte nur im Durchschnittsfall, sofern „keine weiteren negativen Aspekte gegen den EU-Bürger in das Ermessen eingestellt werden müssen“. Im Übrigen hätten die Neuregelungen des § 6 FreizügG/EU erhebliche Auswirkungen auf den Umfang des noch verbleibenden Ermessens, führten aber nicht zu einer Ermessensreduzierung auf Null. Vorliegend ist zu Lasten des Klägers insbesondere seine unbewältigte Drogenproblematik in das Ermessen einzustellen, so dass eine Ermessensreduzierung auf Null im Hinblick auf die tatsächliche Handhabung der VwV Befristung ausscheidet.
49 
e) Zutreffend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass der Kläger die in dem gerichtlichen Vergleich vom 20.02.2002 für eine Befristung der Ausweisung vorgesehenen Bedingungen nicht erfüllt hat und daher aus diesem Vergleich keinen Anspruch auf sofortige Befristung ableiten kann.
50 
f) Aus Art. 8 EMRK folgt ebenfalls keine zu einem Anspruch auf sofortige Befristung führende Ermessensreduzierung auf Null.
51 
Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens. Ein Eingriff in diese Rechte ist nach Abs. 2 der Vorschrift nur statthaft, soweit er gesetzlich vorgesehen ist, ein legitimes Ziel verfolgt und zur Erreichung dieses Ziels notwendig ist. Die Wirkungen der Ausweisung dürfen angesichts des Schutzgebots des Art. 8 EMRK nicht länger aufrecht erhalten werden, wenn von dem Ausländer keine konkrete und entsprechend schwere Gefahr für ein wichtiges Schutzgut mehr ausgeht und demgemäß die mit seiner Anwesenheit verbundene Beeinträchtigung von Belangen der Bundesrepublik Deutschland nicht so gewichtig ist, dass sie die Beeinträchtigung seiner Rechte auf Achtung des Privat- und/oder Familienlebens eindeutig überwiegt.
52 
aa) Der Schutzbereich von Art. 8 EMRK umfasst neben weiteren hier nicht einschlägigen Gewährleistungen zum einen das Familienleben, zum anderen das Privatleben. Vorliegend ist nicht der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens, wohl aber der des Rechts auf Achtung des Privatlebens eröffnet: Bei Beziehungen zwischen nahen Verwandten außerhalb der klassischen Kleinfamilie kommt es darauf an, ob die tatsächlich bestehenden Bindungen hinreichend für die Annahme einer familiären Beziehung sind. Beziehungen zwischen Erwachsenen unterliegen nicht notwendig dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung des Familienlebens. Es müssen besondere zusätzliche Aspekte der Abhängigkeit hinzutreten, die weiter reichen als normale affektive Beziehungen (EGMR, Urt. v. 17.04.2003 - Nr. 52853/99 [Yilmaz] - NJW 2004, 2147 Rn. 44 m.w.N.; Urt. v. 15.07.2003 - Nr. 52206/99 [Mokrani] - InfAuslR 2004, 183; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Aufl., § 22 Rn. 18 m.w.N.). Art. 8 EMRK vermittelt insoweit keinen weitergehenden Schutz als Art. 6 GG bei familiären Beziehungen unter Volljährigen. Die Beziehung des volljährigen Klägers zu seiner Mutter und zu seiner Schwester unterfallen danach nicht dem Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens. Anhaltspunkte für ein besonderes Angewiesensein des Klägers auf ein Zusammenleben mit seiner Mutter und/oder seiner Schwester sind nicht dargelegt worden und auch nicht ersichtlich. Gleiches gilt im Ergebnis für die Beziehung des Klägers zu seiner Verlobten. Zwar ist für das Vorliegen einer Familie i.S.v. Art. 8 EMRK nicht in jedem Fall notwendig, dass zwei Personen ihre Beziehung rechtlich formalisiert haben. Der EGMR unterscheidet nicht zwischen einer „ehelichen“ und einer „nichtehelichen“ Familie, sondern stellt auf ein tatsächlich bestehendes Familienleben ab, welches er aber grundsätzlich nur dann bejaht, wenn aus einer nichtehelichen Partnerschaft Kinder hervorgegangen sind (vgl. EGMR, Urt. v. 13.06.1979 [Marcks] - NJW 1979, 2449; Urt. v. 18.12.1986 - 6/1985/92/139 [Johnston u.a.] - EuGRZ 1987, 313; Urt. v. 26.05.1994 - 16/1993/411/490 [Keegan] - NJW 1995, 2153; Urt. v. 13.07.2000 - 25735/94 [Elsholz] - NJW 2001, 2315; Urt. v. 12.07.2001 - 25702/94 [K. u. T.] - NJW 2003, 809). Danach ist der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens auch insoweit nicht berührt.
53 
bb) Unzweifelhaft stellt die Ausweisung, die nach der nunmehr erfolgten Befristung ihrer Wirkungen ein vierjähriges Aufenthaltsverbot im Bundesgebiet zur Folge hat, einen Eingriff in das Recht des Klägers auf Achtung seines Privatlebens dar. Dieser Eingriff verfolgt indes legitime Ziele im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK, nämlich die Aufrechterhaltung der Ordnung und die Verhinderung von strafbaren Handlungen. Er ist darüber hinaus notwendig zur Erreichung dieser Ziele. Ein Eingriff ist nach der Rechtsprechung des EGMR notwendig, wenn ein dringendes soziales Bedürfnis besteht und er verhältnismäßig zum legitimen Ziel ist (Urt. v. 22.04.2004 - Nr. 42703/98 [Radovanovic] - InfAuslR 2004, 374). Es muss ein gerechter Ausgleich getroffen werden zwischen dem Recht des Klägers auf Achtung des Privatlebens auf der einen und den Interessen der öffentlichen Sicherheit und der Verhinderung von Straftaten auf der anderen Seite. Erforderlich ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Beachtung der vom EGMR entwickelten Kriterien, die im Wesentlichen in den Entscheidungen Boultif und Üner zusammengefasst worden sind (EGMR, Urt. v. 02.08.2001 - Nr. 54273/00 [Boultif] - InfAuslR 2001, 476; Urt. v. 05.07.2005 - Nr. 46410/99 [Üner] - InfAuslR 2005, 450 = DVBl 2006, 688). Nach diesen Entscheidungen sind zu berücksichtigen die Art und Schwere der begangenen Straftaten, die Dauer des Aufenthalts in dem Staat, aus dem der Betreffende ausgewiesen werden soll, die seit Begehen der Straftat vergangene Zeit und das Verhalten des Betroffenen seit der Tat, die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten, die familiäre Situation des Betroffenen und gegebenenfalls die Dauer seiner Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben hinweisen, ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte, ob der Verbindung Kinder entstammen und schließlich die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das der Betroffene ausgewiesen werden soll. Von Bedeutung ist ferner das Interesse und Wohl der Kinder sowie die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland oder zum Bestimmungsland. Bei Ausweisungen von Immigranten der zweiten Generation, zu denen der Kläger gehört, berücksichtigt der EGMR neben den genannten allgemeinen Kriterien die besonderen Bindungen, die diese Personen mit dem Aufenthaltsstaat eingegangen sind, in dem sie ihre Erziehung erhalten, den Großteil ihrer sozialen Kontakte geknüpft und folglich ihre eigene Identität entwickelt haben (EGMR, Urt. v. 26.09.1997 - 85/1996/704/896 [Mehemi] - InfAuslR 1997, 30 = NVwZ 1998, 164; Urt. v. 21.10.1997 - 122/1996/741/940 [Boujlifa] - InfAuslR 1998, 1). Demgemäß erachtet es der EGMR neben der Intensität der Bindung und dem Alter des Ausgewiesenen für maßgeblich, welche Sprache der Ausgewiesene spricht und ob es Verwandte oder andere soziale Beziehungen im Herkunftsstaat bzw. umgekehrt familiäre Bindungen oder Verwandte im Aufenthaltsstaat gibt (EGMR, Entsch. v. 04.10.2001 - 43359/98 [Adam] - EuGRZ 2002, 582 = NJW 2003, 2595).
54 
Daran gemessen gebietet Art. 8 Abs. 2 EMRK es nicht, von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen und die Wirkungen der Ausweisung auf sofort zu befristen:
55 
(1) Negativ fallen zunächst Art und Schwere der begangenen Straftaten ins Gewicht. Die vom Kläger zuletzt begangenen Einbruchdiebstähle, die zur Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten geführt haben, sind der mittleren Kriminalität zuzuordnen. Erschwerend ist zu berücksichtigen, dass es sich nicht um Jugendverfehlungen gehandelt hat und dass die Taten gewerbsmäßig begangen wurden. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass es sich „nur“ um Eigentumsdelikte ohne Gewaltanwendung gegenüber Personen gehandelt hat. Der Senat verkennt nicht, dass der EGMR bei derartigen Delikten vereinzelt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte aus Art. 8 Abs. 1 EMRK angenommen hat: In der Sache Beljoudi (Urt. v. 26.03.1992 - 55/1990/246/317 - InfAuslR 1993, 86) war der dortige algerische Beschwerdeführer wegen einer Vielzahl von Diebstahlsdelikten zu Freiheitsstrafen von insgesamt 12 Jahren und 5 Monaten verurteilt worden. Der EGMR sah seine Ausweisung aus Frankreich gleichwohl als unverhältnismäßig an. Der Fall ist allerdings durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass der Beschwerdeführer in Frankreich als Kind damals französischer Eltern geboren war und selbst die französische Staatsangehörigkeit nur deshalb verloren hatte, weil seine Eltern es versäumt hatten, innerhalb einer bestimmten Frist eine Beibehaltungserklärung abzugeben. Zudem war der Beschwerdeführer seit mehr als 20 Jahren mit einer Französin verheiratet. In der Sache Jakupovic (Urt. v. 06.02.2003 - Nr. 36757/97 - InfAuslR 2004, 184) ging es um Jugendstraftaten; zudem war für den EGMR entscheidend, dass der Beschwerdeführer im Alter von 16 Jahren alleine in das zum Zeitpunkt der Ausweisung noch von den Folgen des Bürgerkriegs geprägte Bosnien-Herzegowina abgeschoben werden sollte. Diesen Entscheidungen, die jeweils einige hier nicht vorliegende Besonderheiten aufweisen, lässt sich nach Auffassung des Senats nicht entnehmen, dass Einwanderer der zweiten Generation wegen Eigentumsdelikten grundsätzlich nicht ausgewiesen werden dürften, wenn bei ihnen - wie bei dem Kläger - die Gefahr der Begehung weiterer, gleichartiger Straftaten besteht.
56 
Bei der Würdigung der Vorgeschichte und des Nachtatverhaltens fällt negativ ins Gewicht, dass der Kläger sich die Verurteilung zu Jugendstrafen und die Ausweisung nicht hat zur Warnung dienen lassen und selbst die ihm in dem aufenthaltsrechtlichen Bewährungsvergleich im Februar 2002 eingeräumte Chance nicht genutzt hat, künftig ein straffreies Leben zu führen. Dass er seit der letzten Verurteilung keine weiteren Straftaten begangen hat, kann ebenfalls nicht zu seinen Gunsten gewertet werden, weil er die zuletzt verhängte Freiheitsstrafe immer noch verbüßt und daher noch keine Gelegenheit hatte, sich in Freiheit zu bewähren. Negativ schlägt auch die unbewältigte Drogenproblematik zu Buche, wenngleich insoweit die Therapiebereitschaft zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen ist.
57 
(2) Zu Gunsten des Klägers fällt ins Gewicht, dass er in Deutschland geboren und aufgewachsen ist und dementsprechend auch seine Schulzeit im Bundesgebiet verbracht hat. Des Weiteren ist von Bedeutung, dass seine Mutter inzwischen Deutsche ist. Gleichwohl ist - gemessen an der Aufenthaltsdauer - der Grad der Integration im Bundesgebiet nicht besonders ausgeprägt: Der Kläger hat weder einen Schulabschluss erlangt noch verfügt er über eine Berufsausbildung. Soweit er einer Erwerbstätigkeit nachging, handelte es sich um Aushilfstätigkeiten. Mehrfach hat er ein Arbeitsverhältnis von sich aus beendet. Besondere Integrationsleistungen (beispielsweise Aktivitäten in Parteien oder Vereinen, Teilnahme am gesellschaftlichen/kulturellen Leben) sind nicht feststellbar. Um eine Einbürgerung hat sich der Kläger offenbar nie bemüht. Er hat noch keine eigene Familie gegründet, sondern ist lediglich mit einer Deutschen verlobt. Von einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung kann derzeit nicht ausgegangen werden, so dass Art. 6 GG und Art. 8 EMRK in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung des Familienlebens insoweit keine Vorwirkung entfalten. Die Trennung von der Verlobten, die nach den Angaben des Klägers nicht bereit wäre, ihn nach Italien zu begleiten, stellt allerdings einen gravierenden Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens dar.
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(3) Bei der Würdigung des Grades der Entwurzelung im Herkunftsstaat ist zunächst davon auszugehen, dass der Kläger jedenfalls noch über Grundkenntnisse der italienischen Sprache verfügt. Ihm kann nicht geglaubt werden, dass in seiner Familie, insbesondere mit den Großeltern, ausschließlich deutsch gesprochen wurde. Auch wenn der Kläger, was der Senat ihm glaubt, über keine familiären Bindungen und sonstigen sozialen Kontakte nach Italien verfügt, ist zu berücksichtigen, dass die Kulturdifferenz zu Italien nicht besonders groß ist und die Lebensverhältnisse in Italien, welches ebenfalls Mitglied der EU und als führende Wirtschaftsmacht Mitglied der G8 ist, sich von denen in Deutschland nicht grundlegend unterscheiden. Die Schwierigkeiten, mit denen der Kläger dort konfrontiert wird, sind nicht unüberwindbar. Sie sind ihm als Mann im arbeitsfähigen Alter zuzumuten. Dass er in der Lage ist, seine rudimentären Italienischkenntnisse nötigenfalls auszubauen, hat er bereits durch die vorübergehende Teilnahme an einem Italienischkurs in der Strafhaft unter Beweis gestellt. Im Übrigen ist zu bedenken, dass der Kläger zur Ausübung einer der von ihm angestrebten Tätigkeit in einer Pizzeria in ... vergleichbaren Tätigkeit in Italien - selbst wenn man die Möglichkeit, eine solche in überwiegend deutschsprachigen Gebieten Südtirols zu suchen, außer Acht lässt - keiner vertieften Italienischkenntnisse bedarf.
59 
(4) Schließlich ist im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen, dass der Kläger infolge der ausgesprochenen Befristung eine konkrete Rückkehrperspektive hat. Als Unionsbürger kann er nach Ablauf der Frist bei Erfüllung der der Befristungsentscheidung beigefügten Bedingungen unter Berufung auf sein Freizügigkeitsrecht aus Art. 18 EG wieder in das Bundesgebiet einreisen. Diese Bedingungen sind rechtlich nicht zu beanstanden. Sie dienen dem Zweck des Verwaltungsakts in der Hauptsache, indem sie sicherstellen, dass der spezialpräventive Ausweisungszweck bei Wirksamwerden der Befristung erfüllt ist und von dem Kläger keine erhebliche Gefahr mehr ausgeht. Die Bedingung der Straffreiheit ist allerdings entsprechend den für die Verlustfeststellung bei Unionsbürgern geltenden Maßstäben einschränkend dahingehend auszulegen, dass nur solche Straftaten schädlich sind und den Eintritt der Bedingung hindern, die die weitere Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen. Bei einer solchen Auslegung sind die Bedingungen mit § 36 Abs. 3 LVwVfG vereinbar. Auch Gemeinschaftsrecht steht den Bedingungen nicht entgegen. Aus Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG folgt lediglich ein Bescheidungsanspruch; inhaltliche Vorgaben für die Befristung des Aufenthaltsverbots finden sich dort nicht. Auch dem primären Gemeinschaftsrecht lässt sich nicht entnehmen, dass bei Fortbestehen einer qualifizierten Wiederholungsgefahr gleichwohl die Wirkungen einer Ausweisung befristet werden müssten.
60 
5. Der Befristungsbescheid vom 26.07.2006 ist aber gleichwohl rechtswidrig, weil er an einem beachtlichen Verfahrensfehler und an Ermessensfehlern leidet. Der Kläger hat daher auf seinen als Minus im Verpflichtungsantrag enthaltenen Bescheidungsantrag einen Anspruch auf Aufhebung dieses Bescheides und auf Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
61 
a) Zwar war, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, Art. 9 der RL 64/221/EWG nicht zu beachten, weil zum einen diese Vorschrift auf Befristungsentscheidungen nicht anwendbar war und zum anderen die Richtlinie 64/221/EWG durch Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben wurde.
62 
b) Ein beachtlicher Verfahrensfehler liegt jedoch darin, dass das Regierungspräsidium vor Erlass des angefochtenen Verwaltungsakts die nach § 28 Abs. 1 LVwVfG gebotene Anhörung unterlassen hat. Diese war weder nach § 28 Abs. 2 LVwVfG noch nach § 82 AufenthG entbehrlich und der Anhörungsmangel ist auch nicht geheilt worden.
63 
aa) Eine Anhörung war nicht nach § 28 Abs. 2 LVwVfG entbehrlich. In Betracht zu ziehen ist insoweit allein der Tatbestand des § 28 Abs. 2 Nr. 3 LVwVfG, dessen Voraussetzungen jedoch nicht vorliegen. Nach dieser Vorschrift kann von der Anhörung abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, insbesondere wenn von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll. Diese Regelung betrifft die Fälle einer Entscheidung auf Grund eigener Angaben eines Beteiligten. Die Anhörung wird hier durch die eigenen Angaben des Betroffenen gewissermaßen vorweggenommen. Die Vorschrift ist jedoch einschränkend auszulegen: Eigene Angaben können eine Entscheidung ohne weitere Anhörung nur dann rechtfertigen, wenn nach Lage des konkreten Falles die Angaben des Beteiligten Entscheidungsgrundlage sind und die Möglichkeit auszuschließen ist, dass die Anhörung neue Gesichtspunkte ergeben könnte, die eine für den Antragsteller günstigere Entscheidung rechtfertigen könnten (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 28 Rn. 65). Diese Voraussetzungen liegen hier schon mit Blick auf den langen Zeitraum von nahezu zwei Jahren zwischen Antragstellung und Entscheidung nicht vor, der es nahelegt, dass zwischenzeitlich neue, bei Antragstellung noch nicht vorgetragene Umstände eingetreten sind, die für die Entscheidung erheblich sein können.
64 
bb) Die Anhörung war auch nicht im Hinblick auf § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG entbehrlich. Dabei kann offen bleiben, ob diese Vorschrift, auf die in § 11 Abs. 1 FreizügG/EU nicht verwiesen wird, auf den Kläger als Unionsbürger überhaupt anwendbar ist. Denn auch wenn man davon ausgeht, dass § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auf den Kläger als infolge der bestandskräftigen Ausweisung derzeit nicht freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger über eine analoge Anwendung des § 11 Abs. 2 FreizügG/EU, der nach seinem Wortlaut eine Nichtbestehens- oder Verlustfeststellung voraussetzt, anwendbar ist, folgt hieraus nicht, dass von der Anhörung abgesehen werden konnte. Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist der Ausländer u.a. verpflichtet, seine Belange und für ihn günstige Umstände, soweit sie nicht offenkundig oder bekannt sind, unter Angabe nachprüfbarer Umstände unverzüglich geltend zu machen. Die sich aus § 24 Abs. 1 LVwVfG ergebende Pflicht der Behörde zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen wird damit für den Anwendungsbereich des AufenthG in gewisser Weise begrenzt, aber nicht aufgehoben. Die Verpflichtung aus § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist durch die Anlassbezogenheit beschränkt, verlangt also nicht die permanente Offenlegung der Verhältnisse gegenüber der Ausländerbehörde (Albrecht in Storr u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 82 AufenthG Rn. 5; ebenso bereits zu § 70 AuslG 1990 OVG NRW, Beschl. v. 01.02.2000 - 18 B 1120/99 - InfAuslR 2000, 279 = NVwZ 2000, 1445). Vorliegend durfte der Kläger danach davon ausgehen, dass das Regierungspräsidium, welches über den Befristungsantrag auf aktualisierter Tatsachengrundlage zu entscheiden hatte, ihm vor einer Entscheidung zumindest nach § 82 Abs. 1 Satz 2 AufenthG eine Frist zur Geltendmachung der für ihn günstigen Umstände setzen würde.
65 
cc) Der Anhörungsmangel ist auch nicht geheilt worden. Eine Heilung nach § 46 LVwVfG scheidet schon deshalb aus, weil es sich bei der Befristungsentscheidung hinsichtlich der Bemessung der Frist nicht um einen gebundenen Verwaltungsakt handelt. Eine Heilung nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 LVwVfG ist nicht erfolgt. Nach dieser Vorschrift ist der Verstoß gegen § 28 Abs. 1 LVwVfG unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung nachgeholt wird. Eine Heilung tritt allerdings nur insoweit ein, als die Anhörung formell ordnungsgemäß erfolgt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht werden kann (funktionelle Äquivalenz). Dies setzt u.a. voraus, dass die Ergebnisse der Anhörung von der zur Entscheidung in der Sache berufenen Behörde nicht nur zur Kenntnis, sondern auch zum Anlass genommen werden, die Entscheidung selbst kritisch zu überdenken (Kopp/Ramsauer, a.a.O. § 45 Rn. 26). Nicht ausreichend ist die Anhörung durch das Gericht; sie stellt keine Nachholung durch die Behörde dar und führt deshalb nicht zur Heilung (Kopp/Ramsauer, a.a.O. § 45 Rn. 27). Nach diesen Maßstäben hat vorliegend keine Nachholung der Anhörung, die nach § 45 Abs. 2 LVwVfG bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat möglich gewesen wäre, stattgefunden. Es genügt nicht, dass der Kläger sich im Klageverfahren geäußert und das Regierungspräsidium dies zur Kenntnis genommen hat.
66 
c) Ein Ermessensfehler liegt darin, dass der Beklagte im Befristungsbescheid infolge des Anhörungsmangels bei Abwägung der gegenläufigen Interessen von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist, der eine rechtliche Fehlgewichtung zu Folge hat. Er hat die lediglich rudimentären italienischen Sprachkenntnisse des Klägers, seine vollständig fehlenden Bindungen nach Italien sowie die Beziehung zu seiner deutschen Verlobten infolge der unterbliebenen Anhörung nicht berücksichtigt und damit zu berücksichtigende wesentliche Gesichtspunkte bei der Ermessensausübung außer Acht gelassen.
67 
d) Ermessensfehlerhaft ist es des Weiteren, dass die Dauer der Haftstrafe, die Anlass für die Ausweisung war, maßgeblich in die Bemessung der Sperrfrist eingeflossen ist. Im Rahmen der bei Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU vorzunehmenden Prüfung, ob die Aufrechterhaltung der Sperrwirkungen gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU heute (noch) gerechtfertigt ist, ist die Dauer der Haftstrafen, die zur Ausweisung geführt haben, nur von begrenzter Aussagekraft. Inwieweit sich hier aus der 1998 erfolgten Verurteilung des Klägers zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten Rückschlüsse auf die aktuell von dem Kläger ausgehenden Gefahren ziehen lassen, ist nicht ersichtlich und wird auch in der angefochtenen Verfügung nicht erläutert. Die Begründung erschöpft sich insoweit in einem Hinweis auf die VwV Befristung und auf die Praktikabilität einer solchen Vorgehensweise.
68 
Nach 1.2.1 der vom Regierungspräsidium angewandten VwV Befristung wird bei der Berechnung des Befristungsrahmens das festgesetzte Strafmaß berücksichtigt. Zur Begründung heißt es dort, dies sei gerechtfertigt, weil sich die Strafbemessung des Strafrichters gemäß § 46 StGB nach der Schwere der Schuld des Täters richte. Nach dieser Vorschrift ist - im Erwachsenenstrafrecht - die Schuld des Täters Grundlage für die Strafzumessung. Das bedeutet, dass die Strafe zwar nicht allein nach der Schuld zu bemessen ist, wohl aber, dass die Schuld der Faktor ist, dem bei der Zumessung das größte Gewicht zukommt (vgl. Fischer, StGB, 55. Aufl., § 46 Rn. 19 m.w.N.). Bei der Befristungsentscheidung sind demgegenüber die mit der Ausweisung verfolgten präventiven Zwecke maßgeblich. Die Behörde hat auf der Grundlage einer aktualisierten Tatsachenbasis die Frist nach dem mutmaßlichen Eintritt der Zweckerreichung zu bemessen (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Die Berücksichtigung des Strafmaßes bei der Bemessung der Frist ist danach grundsätzlich sachwidrig. Das Strafmaß gibt zwar Anhaltspunkte für die Schwere des Delikts und kann mittelbar je nach Art der Straftat Anlass sein, bei besonders gefährlichen Delikten geringere Anforderungen an den Grad der Wiederholungsgefahr zu stellen. Es indiziert aber grundsätzlich keine fortdauernde Wiederholungsgefahr. So ist es denkbar, dass ein Täter wegen einer singulären Einzeltat auf Grund der Schwere des Delikts und der Schuld zu einer hohen Freiheitsstrafe verurteilt wird, von ihm aber gleichwohl nur eine geringe Wiederholungsgefahr ausgeht.
69 
Diese Überlegungen gelten uneingeschränkt nur für das Erwachsenenstrafrecht. Die Jugendstrafe ist demgegenüber nicht primär Schuldstrafe, sondern Erziehungsstrafe. Der Richter verhängt gemäß § 17 Abs. 2 JGG Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist. Wird die Jugendstrafe nicht mit der Schwere der Schuld, sondern mit schädlichen Neigungen begründet, so hat dies eine starke Indizwirkung auch für die im Ausweisungsrecht zu prüfende Wiederholungsgefahr. Erfolgt etwa zeitnah nach der Verurteilung zu einer Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen eine Ausweisung, so wird es in der Regel nicht zu beanstanden sein, wenn die Ausländerbehörde aus der Verurteilung auf eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung gleichartiger Delikte schließt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Indizwirkung eines solchen Strafurteils nicht durch zwischenzeitliche Vollstreckungsentscheidungen (vgl. § 88 JGG) in Frage gestellt ist. Im Befristungsverfahren liegt allerdings typischerweise - wie auch hier - die strafgerichtliche Verurteilung lange zurück und erlaubt schon aufgrund dessen keinen Schluss auf eine aktuelle Wiederholungsgefahr. Vorliegend ist die Heranziehung des Strafmaßes der 1998 verhängten Jugendstrafe daher sachwidrig. Sachgerecht wäre es demgegenüber, die jüngsten Strafvollstreckungsentscheidungen - hier die Beschlüsse des LG ... vom 21.09.2007, 20.03.2008 und 10.04.2008 sowie den Beschluss des OLG Karlsruhe vom 23.11.2007 - heranzuziehen und zu würdigen.
70 
e) Diese Ermessensfehler sind nicht nach § 114 Satz 2 VwGO geheilt worden. Voraussetzung für die Zulässigkeit der Ergänzung von Ermessenserwägungen nach § 114 Satz 2 VwGO ist u.a., dass durch die Ergänzung der Verwaltungsakt nicht in seinem gewollten Wesen oder Ausspruch verändert wird. Eine Wesensänderung ist anzunehmen, wenn sich durch die Ergänzung der Streitstoff ändert. Damit sind nur unwesentliche Korrekturen als zulässig anzusehen (Kuntze in Bader u.a., VwGO, 4. Aufl., § 114 Rn. 54; Nds. OVG, Beschl. v. 26.04.2007 - 5 ME 122/07 - juris). Nicht zulässig ist der Austausch maßgeblicher oder tragender Erwägungen (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 113 Rn. 72; Rennert in Eyermann, VwGO, 12. Aufl., § 114 Rn. 89; Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 114 Rn. 208). Es ist ein strenger Maßstab anzulegen, da die Ergänzung nur zur Aufrechterhaltung der getroffenen Entscheidung möglich ist und ohnehin eine Tendenz bestehen kann, eine getroffene Entscheidung zu halten, d.h. bei der Abwägung nicht frei und unvoreingenommen zu sein (Kuntze, a.a.O. Rn. 55). Daran gemessen wäre hier eine - im Übrigen nicht erfolgte - Ergänzung unzulässig gewesen, da infolge der unterbliebenen Anhörung gerade eine neue Ermessensbetätigung unter Einstellung der außer Acht gelassen, wesentlichen Gesichtspunkte geboten ist.
71 
f) Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass es für eine fehlerfreie Ermessensentscheidung geboten sein dürfte, die Strafvollstreckungsakten und die Gefangenenpersonalakten beizuziehen (vgl. - zur Ausweisung - Discher in GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. AufenthG Rn. 1261.1 m.w.N. und - zur Heranziehung der Strafakten - BVerfG, Beschl. v. 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - NVwZ 2007, 1300 = InfAuslR 2007, 443).
II.
72 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
73 
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
74 
Beschluss vom 23. Juli 2008
75 
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
76 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
I.
29 
Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO).
30 
Soweit der Kläger über den erstinstanzlich gestellten Antrag hinausgehend nicht die Befristung „auf den Zeitpunkt sofort nach der Ausreise“, sondern auf den 23.07.2008, d.h. den Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, begehrt, stellt dies eine in der Berufungsinstanz zulässige Klageänderung in der Form der Erweiterung des Klageantrags (§ 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO) dar. Nach § 264 Nr. 2 ZPO ist es nicht als eine Klageänderung anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache oder in Bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird. Die Vorschrift regelt eine Antragsänderung, die rechtstechnisch als privilegierte Klageänderung behandelt wird. Die Formulierung „ist es nicht als eine Klageänderung anzusehen“ bedeutet nicht, dass in diesen Fällen keine Klageänderung vorliegt, sondern bewirkt, dass die genannten Erweiterungen bzw. Beschränkungen ohne Rücksicht auf ihre dogmatische Einordnung privilegiert werden. Dies ist ein gesetzlich geregelter Fall der Sachdienlichkeit, der ohne weiteres zur Zulässigkeit der Klageänderung führt (Kuntze in Bader u.a., VwGO, 4. Aufl., § 91 Rn. 5). Voraussetzung für die Anwendung von § 264 Nr. 2 ZPO ist, dass der Klagegrund sich nicht ändert und der Antrag nicht ersetzt wird. Es muss sich deswegen um ein Maius oder Minus handeln und nicht um ein Aliud (Schmid in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 91 Rn. 12). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Klagegrund, d.h. der Sachverhalt, aus dem sich die erstrebte Rechtsfolge ergeben soll, bleibt unverändert. Der Antrag wird nicht ersetzt, sondern - geringfügig - erweitert. Der Kläger begehrt eine Befristung auf den Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, d.h. ohne vorherige Ausreise.
31 
Die Berufung ist jedoch nur zum Teil begründet. Der Kläger muss die Wirkungen des § 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990 als Folge der Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 gegen sich gelten lassen (unten 1.). Über den geltend gemachten Befristungsanspruch ist nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU unter Zugrundelegung der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu entscheiden (unten 2.). Nach den für die Fristbemessung maßgeblichen Grundsätzen (unten 3.) kann der Kläger nicht verlangen, dass die Wirkungen der Ausweisung auf den 23.07.2008 - den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung - befristet werden (unten 4.). Er hat, da der Befristungsbescheid vom 26.07.2006 ungeachtet dessen an einem beachtlichen Verfahrensfehler und an Ermessensfehlern leidet, auf seinen als Minus im Verpflichtungsantrag enthaltenen Antrag aber einen Anspruch auf Aufhebung dieses Bescheides und auf Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO; unten 5.).
32 
1. Die Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 hat zur Folge, dass der Kläger nicht erneut ins Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990). Diese Wirkungen entfaltet die Ausweisung auch heute noch, so dass das Befristungsbegehren nicht etwa deshalb ins Leere geht und mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig ist, weil die Ausweisung gegenstandslos geworden wäre. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, ist geklärt, dass vor dem 01.01.2005 unter Geltung des AuslG 1990 und des AufenthG/EWG bestandskräftig gewordene Ausweisungen von Unionsbürgern nicht mit Inkrafttreten des FreizügG/EU gegenstandslos geworden, sondern weiterhin wirksam sind (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 – 1 C 21.07 – BVerwGE 129, 243 = NVwZ 2008, 82 = EZAR NF 10 Nr. 8; ebenso zuvor bereits VGH BW, Beschl. v. 18.08.2005 – 13 S 1253/05 – und Urt. v. 24.01.2007 – 13 S 451/06 – InfAuslR 2007, 182 = EZAR NF 93 Nr. 3; BayVGH, Beschl. v. 21.03.2006 – 19 CE 06.721 – juris; OVG RP, Urt. v. 08.02.2007 – 7 A 11318/06.OVG – InfAuslR 2007, 226; vgl. auch Epe in GK-AufenthG, IX-2 § 1 Rn. 21 m.w.N.; Harms in Storr u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 6 FreizügG/EU Rn. 32; Hailbronner, AuslR, Kommentar, D 1 § 7 Rn. 25; a.A. OVG B-Brb., B. v. 15.03.2006 – OVG 8 S 123.05 – InfAuslR 2006, 259 = NVwZ 2006, 953; Gutmann, InfAuslR 2005, 125 und InfAuslR 2008, 105).
33 
2. a) Grundlage des Befristungsanspruchs ist nicht etwa § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG, sondern § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU. Nach dieser Vorschrift wird das durch die Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU ausgelöste Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 7 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU) auf Antrag befristet. Mit Blick auf die in § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG getroffene Übergangsregelung werden von dieser Anspruchsgrundlage in sinngemäßer Anwendung auch die fortwirkenden Rechtsfolgen der vor Inkrafttreten des FreizügG/EU am 01.01.2005 bestandskräftig gewordenen Ausweisung eines Unionsbürgers erfasst. § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU betrifft als Sonderregelung im Sinne des § 11 Abs. 2 FreizügG/EU nicht (mehr) freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger, zu denen auch der Kläger zählt (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.).
34 
§ 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU gewährt Unionsbürgern - anders als die Regelbefristung des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG für Drittstaater - einen strikten Rechtsanspruch auf Befristung („ob“); nur über die Länge der Frist ist nach Ermessen zu entscheiden. Damit geht die Vorschrift über die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben in Art. 32 Abs. 1 der RL 2004/38/EG hinaus, die lediglich einen fristgebundenen Verbescheidungsanspruch vorsehen (umgesetzt in dem durch Gesetz vom 19.08.2007 [BGBl. I S. 1970] angefügten Satz 4 des § 7 Abs. 2 FreizügG/EU). Mit der Ausgestaltung der Befristung als gebundener Entscheidung und einem damit korrespondierenden Anspruch bringt der Gesetzgeber den hohen Rang zum Ausdruck, den er dem gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsrecht beimisst. Denn als Ausnahmen vom Grundprinzip der Freizügigkeit dürfen das an eine Verlustfeststellung bzw. Ausweisung anknüpfende Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht unbegrenzt gelten, sondern ein davon betroffener Unionsbürger hat nach angemessener Zeit Anspruch auf erneute Prüfung und Entscheidung nach Maßgabe der aktuellen Sachlage (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O. unter Hinweis auf EuGH, Urt. v. 17.06.1997 - Rs. C-65/95 u. C-111/95 [Shingara und Radiom] - Slg. 1997, I-3343 Rn. 40 ff. = EZAR 81 Nr. 34). Von einem solchen Rechtsanspruch ist der Beklagte zu Recht ausgegangen.
35 
b) Für die Prüfung des Befristungsanspruchs ist auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat abzustellen (BVerwG, Urt. v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367 = InfAuslR 2008, 116 = NVwZ 2008, 326 = EZAR NF 48 Nr. 9; BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Dies muss auch gelten, soweit - wie hier - die Behörde bereits eine Ermessensentscheidung über die Dauer der Sperrfrist getroffen hat und es um deren Überprüfung geht: Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 29.04.2004 - Rs. C-482/01 u. C-493/01 [Orfanopoulos u. Oliveri] - Slg. 2004, I-5257 Rn. 82 = InfAuslR 2004, 268) sind die innerstaatlichen Gerichte verpflichtet, bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der gegen einen Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats verfügten Ausweisung einen Sachvortrag zu berücksichtigen, der nach der letzten Behördenentscheidung erfolgt ist und der den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen kann, die das Verhalten des Betroffenen für die öffentliche Ordnung darstellen würde. Daran anknüpfend hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass das Erfordernis der Berücksichtigung neuer Tatsachen nicht nur für einen Sachvortrag gilt, der den Wegfall oder eine Verminderung der von dem Betroffenen für die öffentliche Ordnung ausgehenden Gefährdung mit sich bringen kann. Aus dem Erfordernis, dass eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung grundsätzlich zu dem Zeitpunkt bestehen muss, zu dem die Ausweisung erfolgt, ergebe sich darüber hinaus, dass entscheidungserhebliche neue Tatsachen umfassend zu berücksichtigen sind. Dies gelte auch für Tatsachen, die für die an den Grundrechten und am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu orientierende Interessenabwägung von Bedeutung sind. Daraus folge, dass die Tatsachengerichte verpflichtet sind zu prüfen, ob die behördliche Gefährdungsprognose und die Ermessensentscheidung bezogen auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung im Ergebnis auf einer zutreffenden tatsächlichen Grundlage beruhen (BVerwG, Urt. v. 03.08.2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 = InfAuslR 2005, 18). Diese Erwägungen sind uneingeschränkt auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU zu übertragen, da auch insoweit ähnlich wie bei der Ausweisung oder nunmehr bei der Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU zu prüfen ist, ob von dem Unionsbürger (noch) eine gegenwärtige Gefahr ausgeht (in diesem Sinne bereits Renner, ZAR 2004, 195<197>; siehe zu den für die Fristbemessung maßgeblichen Grundsätzen im Einzelnen unten 3.). Keiner Entscheidung bedarf vorliegend, ob dies, was im Anschluss an die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 15.11.2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156) zu bejahen sein könnte, auch für die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Befristungsentscheidungen nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gilt. Grundlage des Befristungsanspruchs ist daher § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU in der Fassung des am 28.08.2007 in Kraft getretenen Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970).
36 
3. Bei der im behördlichen Auswahlermessen verbleibenden Bestimmung der Länge der Frist sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.) in einem ersten Schritt das Gewicht des Grundes für die Verlustfeststellung bzw. Ausweisung sowie der mit der Maßnahme verfolgte spezialpräventive Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der Prüfung im Einzelfall, ob die vorliegenden Umstände auch jetzt noch das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen. Die Behörde hat dazu auch das Verhalten des Betroffenen nach der Ausweisung zu würdigen und im Wege einer Prognose auf der Grundlage einer aktualisierten Tatsachenbasis die (Höchst-)Frist nach dem mutmaßlichen Eintritt der Zweckerreichung zu bemessen. Im Falle einer langfristig fortbestehenden Rückfall- bzw. Gefährdungsprognose ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers aber auch bei Unionsbürgern ein langfristiger Ausschluss der Wiedereinreise nicht ausgeschlossen (BT-Drs. 15/420 S. 105). Die im Rahmen des ersten Schritts von der Behörde zu treffende Gefahrprognose muss - ebenso wie bei der Ausweisung (vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 16.10.1989 - I B 106.89 - EZAR 124 Nr. 11 = InfAuslR 1990, 4 <5> m.w.N.; Discher in GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. AufenthG Rn. 1711 ff.) - gerichtlich voll überprüfbar sein.
37 
In einem zweiten Schritt muss sich die an der Erreichung des Zwecks der Verlustfeststellung bzw. Ausweisung orientierende äußerste Frist an höherrangigem Recht, d.h. gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben und verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen messen und ggf. relativieren lassen (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde ein rechtsstaatliches Mittel dafür, fortwirkende einschneidende Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.08.2000 - 1 C 5.00 - BVerwGE 111, 369 <373> = InfAuslR 2000, 483 zur Regelbefristung). Dabei sind insbesondere die in § 6 Abs. 3 FreizügG/EU genannten schutzwürdigen Belange des Unionsbürgers in den Blick zu nehmen. Haben z.B. familiäre Belange des Betroffenen durch die Geburt eines Kindes im Bundesgebiet nach der Ausweisung an Gewicht gewonnen, folgt daraus eine Ermessensverdichtung in Richtung auf eine kürzere Frist. Die Abwägung nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, die auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles nach Gewichtung der jeweiligen Belange vorzunehmen ist, kann im Extremfall bis zu einer Ermessensreduzierung auf Null mit dem Ergebnis einer Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt, d.h. auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz, führen (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O. u. Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 - BVerwGE 110, 140 <150 f.> = InfAuslR 2000, 176). Kraft des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts muss in diesen Fällen die Befristung so erfolgen, dass sich das dem Unionsbürger zustehende Freizügigkeitsrecht sogleich entfalten kann. Der Anwendungsvorrang erfordert es, dass die Befristung nicht von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht wird, wie insbesondere der Regelung in § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU, wonach eine Frist erst mit der Ausreise beginnt (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 - a.a.O. zu § 8 Abs. 2 Satz 4 AuslG 1990). In den Fällen des Wegfalls der notwendigen qualifizierten Wiederholungsgefahr ist daher auch nach Ergehen einer Feststellungsentscheidung nach § 6 FreizügG/EU die Ausreise des ansonsten Freizügigkeitsberechtigten entgegen der Regelung in § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU nicht Voraussetzung für das erneute Entstehen des Aufenthaltsrechts.
38 
4. Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Beklagte nicht verpflichtet, die Befristung auf den heutigen Tag - d.h. ohne Einhaltung einer mit der Ausreise beginnenden angemessenen Frist - auszusprechen. Der Senat vermag nicht festzustellen, dass eine Befristung auf den heutigen Tag nach dem Zweck der Ermächtigung die allein rechtmäßige Ermessensbetätigung wäre (vgl. § 114 VwGO).
39 
a) Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der spezialpräventive Zweck der Ausweisung schon jetzt erreicht ist. Vielmehr geht von dem Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung für die öffentliche Ordnung aus, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
40 
Soweit das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 04.09.2007 , a.a.O.) ausgeführt hat, es bedürfe der Prüfung im Einzelfall, ob die vorliegenden Umstände „auch jetzt noch“ das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die hohen Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen, ist dies nach Auffassung des Senats nicht dahingehend zu verstehen, dass im Rahmen des Befristungsverfahrens nochmals geprüft werden muss, ob die der bestandskräftigen Ausweisung zugrunde liegenden Umstände diese gerechtfertigt haben. Die Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit der bestandskräftigen Ausweisung steht in diesem Verfahren nicht erneut zur Überprüfung. Es ist vielmehr eine Gefährdungsprognose auf heutiger Tatsachenbasis vorzunehmen, bei der bezogen auf den jetzigen Entscheidungszeitpunkt unabhängig von der Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Ausweisung zu prüfen ist, ob die Aufrechterhaltung der Sperrwirkungen gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU gerechtfertigt ist. Die vom Kläger nach der Ausweisung als Erwachsener begangenen Straftaten sind daher ebenso zu berücksichtigen wie seine zum Zeitpunkt der Ausweisung noch nicht so gravierende, unbewältigte Drogenproblematik.
41 
Die vom Regierungspräsidium Karlsruhe getroffene Prognose, die gerichtlich voll überprüfbar ist (vgl. oben 3.), ist danach nicht zu beanstanden: Die vom Kläger zwischen Juni 2004 und März 2005 begangenen Straftaten des gemeinschaftlichen Diebstahls in 15 sowie des gemeinschaftlichen versuchten Diebstahls in zwei Fällen sind der mittleren Kriminalität zuzuordnen. Es handelt sich um eine Häufung von Fällen mittlerer Kriminalität, bei denen der Senat jedenfalls aufgrund der gewerbsmäßigen Begehung (§ 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB) davon ausgeht, dass eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU). Auch zum heutigen Zeitpunkt ist bei dem Kläger insbesondere aufgrund der unbewältigten Drogenproblematik eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung gleichartiger Eigentums- und Vermögensdelikte nach Entlassung aus der Strafhaft weiterhin gegeben. Die bloße Therapiebereitschaft steht der Annahme der auch von den Strafvollstreckungsgerichten (vgl. die Beschlüsse des LG ... vom 21.09.2007 - 12 StVK 572/07 - und des OLG Karlsruhe vom 23.11.2007 - 2 Ws 315/07 -) bejahten Wiederholungsgefahr nicht entgegen. Die Gefahr, dass der Kläger, ebenso wie nach Verbüßung seiner Jugendstrafe, nach der Haftentlassung erneut Drogen konsumieren und zur Finanzierung des Drogenkonsums erhebliche Straftaten begehen wird, erscheint relativ hoch. Sie wird nicht dadurch gemindert, dass er einen Arbeitsplatz in Aussicht hat und seine Verlobte zu heiraten beabsichtigt. Insoweit spricht gegen eine günstige Prognose, dass der Kläger nie dauerhaft in den Arbeitsmarkt integriert war, er vielmehr wiederholt Arbeitsverhältnisse aus freien Stücken beendete und dass auch die Beziehung zu seiner Verlobten ihm nicht genügend Halt gegeben hat, um ihn von weiteren Straftaten abzuhalten. Er vermochte schließlich selbst unter dem Druck der Ausweisung, der erlittenen Jugendhaft und des 2002 geschlossenen Bewährungsvergleichs sein Verhalten nicht durchgreifend zu ändern. Die notwendige qualifizierte Wiederholungsgefahr besteht daher zur Überzeugung des Senats fort.
42 
b) Diese Wiederholungsgefahr wird nicht dadurch relativiert, dass der ursprüngliche Ausweisungsanlass - die vom Kläger als Jugendlicher begangenen Straftaten - weniger gewichtig war. Auch wenn das Verwaltungsgericht Karlsruhe (Urt. v. 16.08.1999 - 12 K 1791/99 -) zu Recht davon ausgegangen ist, dass es damals an einer tatsächlichen, gegenwärtigen und hinreichend schweren Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, gefehlt hat, so führt dies nur dazu, dass der Grund für die Ausweisung nur mit dem ihm zukommenden geringeren Gewicht bei der Ausübung des Befristungsermessens zu berücksichtigen ist, eine Ermessensreduzierung auf Null ergibt sich hieraus jedoch angesichts der heute bestehenden qualifizierten Wiederholungsgefahr nicht.
43 
c) Entgegen der Auffassung des Klägers folgt eine Ermessensreduktion auf Null auch nicht aus § 6 Abs. 5 FreizügG/EU, weil die Ausweisung, um deren Sperrwirkung es geht, vor dem 01.05.2006 bestandskräftig wurde und daher das erhöhte Schutzniveau dieser Vorschrift hier nicht zu beachten ist.
44 
aa) § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU i.d.F. des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970) setzen die zweite und dritte Stufe des durch Art. 28 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/38/EG eingeführten erhöhten Ausweisungsschutzes für bestimmte Personengruppen um. Nach § 6 Abs. 4 FreizügG/EU, der Art. 28 Abs. 2 RL 2004/38/EG umsetzt, ist die Verlustfeststellung nach Erwerb eines Rechts auf Daueraufenthalt (vgl. § 4 a FreizügG/EU) nur noch aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit zulässig. Nach zehnjährigem Aufenthalt darf eine Verlustfeststellung gemäß § 6 Abs. 5 FreizügG/EU, der Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG umsetzt, nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit verfügt werden. Diese Anforderungen beziehen sich nach ihrem Standort im Gesetz allein auf Verlustfeststellungen nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU, nicht aber auf Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU. Nach ihrem Sinn und Zweck müssen diese Anforderungen jedoch gewissermaßen spiegelbildlich auch für die Befristungsentscheidung gelten, wenn die Verlustfeststellung, deren Wirkungen befristet werden, unter Beachtung des erhöhten Ausweisungsschutzes gemäß Art. 28 Abs. 2 oder 3 der Richtlinie 2004/38/EG erlassen wurde oder hätte erlassen werden müssen. Letzteres trifft auf alle Verlustfeststellungen zu, die bei Ablauf der Umsetzungsfrist gemäß Art. 40 der RL 2004/38/EG am 30.04.2006 noch nicht bestandskräftig waren (zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 2 und 3 RL 2004/38/EG ab diesem Zeitpunkt vgl. Epe in GK-AufenthG, IX-2 Vor § 1 Rn. 35, 43 ff.). Wollte man im Rahmen des § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU auch in Fällen erhöhten Ausweisungsschutzes nur prüfen, ob auf heutiger Tatsachenbasis die Gefährdungsprognose gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU Bestand hat, würde dies zu dem widersinnigen Ergebnis führen, dass etwa trotz Wegfalls zwingender Gründe der öffentlichen Sicherheit bei einem Unionsbürger, der Ausweisungsschutz nach der dritten Stufe genießt, der Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht weiterhin gerechtfertigt wäre, sofern „nur“ noch eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung i.S.d. § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU vorliegt. Dies würde zu einer unzulässigen Aushöhlung des erhöhten Ausweisungsschutzes nach § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU führen.
45 
bb) Hier waren bei der bereits 2002 bestandskräftig gewordenen Ausweisung die Anforderungen des Art. 28 Abs. 2 und 3 der RL 2004/38/EG nicht zu beachten, so dass auch im Befristungsverfahren nur die Anforderungen des - dem bisherigen gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutz entsprechenden - Ausweisungsschutzes auf der ersten Stufe gemäß Art. 28 Abs. 1 der RL 2004/38/EG einzuhalten sind. Diese erste Stufe des gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutzes ist in § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU umgesetzt. Folgerichtig ist daher, soweit es um Altausweisungen geht, auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.) nicht zu prüfen, ob bei dem ausgewiesenen Unionsbürger aktuell nach der heutigen Rechtslage noch eine Verlustfeststellung getroffen werden könnte. Zu prüfen ist in diesen Übergangsfällen allein, ob die gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU noch aufrecht erhalten werden können. Auch gemeinschaftsrechtlich ist es nicht geboten, den mit der seit dem 01.05.2006 unmittelbar anwendbaren RL 2004/38/EG eingeführten erhöhten Ausweisungsschutz auch zu diesem Zeitpunkt bereits bestandskräftig ausgewiesenen Unionsbürgern zugute kommen zu lassen. Art. 28 RL 2004/38/EG bezieht sich auf Ausweisungen, nicht aber auf Befristungsentscheidungen. Die erhöhten Anforderungen nach dieser Vorschrift sind daher nur bei Ausweisungen/Verlustfeststellungen zu beachten, bei denen der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage nach dem 30.04.2006 liegt (vgl. EuGH, Urt. v. 04.10.2007 – Rs. C-349/06 [Polat] – Slg. 2007, I-08167 Rdn. 26 f. = InfAuslR 2007, 425 = NVwZ 2008, 59 = EZAR NF 19 Nr. 22, wobei der EuGH dort nach dem zugrundeliegenden Sachverhalt bei Beachtung seiner eigenen Rechtsprechung zum maßgeblichen Zeitpunkt wohl zu einer Anwendbarkeit der RL 2004/38/EG hätte kommen müssen). Nichts anderes ergibt sich aus Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG. Nach dieser Vorschrift können ausgewiesene Unionsbürger nach einem angemessenen Zeitraum, jedenfalls aber drei Jahre nach Vollstreckung des nach Gemeinschaftsrecht ordnungsgemäß erlassenen Aufenthaltsverbots dessen Aufhebung unter Hinweis darauf beantragen, dass eine „materielle Änderung der Umstände eingetreten ist, die das Aufenthaltsverbot gerechtfertigt haben“. Mit einer „materiellen Änderung der Umstände“ sind Änderungen des Sachverhalts, nicht hingegen Rechtsänderungen gemeint. Sowohl im ursprünglichen wie auch im geänderten Kommissionsvorschlag hieß es „Änderung des Sachverhalts“ (vgl. KOM (2001) 257 endg. und KOM (2003) 199 endg., jeweils Art. 30 Abs. 2). Die schließlich verabschiedete Formulierung findet sich erstmals im Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 6/2004 (ABl. EG C 54E/12 <23>). Zur Begründung heißt es dort, die Abänderungen machten den Text klarer. Zwar trifft das Gegenteil zu, doch ergibt sich aus den Materialien jedenfalls, dass nur eine redaktionelle Änderung beabsichtigt war. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach eine Gefährdungsprognose auf neuer Tatsachenbasis zu treffen ist, steht daher auch mit Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG im Einklang.
46 
d) Auch aus Nr. 1.5 der Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums über die Bemessung der Sperrwirkung bei Befristungsentscheidungen nach § 8 Abs. 2 AuslG vom 25.01.2002 - Az.: 1362/129 - (VwV Befristung), die nach Auskunft des Beklagten bei der Ausübung des Befristungsermessens nach wie vor zugrunde gelegt wird, ergibt sich - i.V.m. Art. 3 GG - keine Ermessensreduzierung auf Null in dem Sinne, dass der Kläger einen Anspruch auf sofortige Befristung hätte. Dort heißt es:
47 
„Es ist zu prüfen, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung noch Gründe vorliegen, die eine Einschränkung des Freizügigkeitsrechts nach § 12 AufenthG/EWG und dem zugrunde liegenden Gemeinschaftsrecht rechtfertigen. Liegen solche Gründe nicht mehr vor, darf die Befristung nicht von der vorherigen Ausreise des Betroffenen abhängig gemacht werden, so dass dem Betroffenen ein Anspruch auf sofortige Befristung zusteht.“
48 
Diese Verwaltungsvorschrift kann lediglich über eine gleichbleibende Verwaltungspraxis nach Art 3 Abs. 1 GG Außenwirkung zugunsten des Ausländers haben. Sie ist somit entsprechend dem wirklichen Willen des Erklärenden (hier: der obersten Landesbehörde) und ihrer tatsächlichen Handhabung auszulegen und anzuwenden, so dass der Wortlaut der Verwaltungsvorschrift erst über die ihm folgende ständige Verwaltungspraxis Außenwirkung für den Ausländer entfaltet (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.09.2000 - 1 C 19.99 - BVerwGE 112, 63 = InfAuslR 2001, 70; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.04.2002 - 13 S 314/02 - ESVGH 52, 200). In der Verwaltungspraxis wird diese Verwaltungsvorschrift nach Auskunft des Beklagten nicht in dem Sinne angewandt, dass bei einer Altausweisung, die den heutigen Anforderungen des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU nicht entspricht, stets eine Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt vorzunehmen ist. Dies gelte nur im Durchschnittsfall, sofern „keine weiteren negativen Aspekte gegen den EU-Bürger in das Ermessen eingestellt werden müssen“. Im Übrigen hätten die Neuregelungen des § 6 FreizügG/EU erhebliche Auswirkungen auf den Umfang des noch verbleibenden Ermessens, führten aber nicht zu einer Ermessensreduzierung auf Null. Vorliegend ist zu Lasten des Klägers insbesondere seine unbewältigte Drogenproblematik in das Ermessen einzustellen, so dass eine Ermessensreduzierung auf Null im Hinblick auf die tatsächliche Handhabung der VwV Befristung ausscheidet.
49 
e) Zutreffend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass der Kläger die in dem gerichtlichen Vergleich vom 20.02.2002 für eine Befristung der Ausweisung vorgesehenen Bedingungen nicht erfüllt hat und daher aus diesem Vergleich keinen Anspruch auf sofortige Befristung ableiten kann.
50 
f) Aus Art. 8 EMRK folgt ebenfalls keine zu einem Anspruch auf sofortige Befristung führende Ermessensreduzierung auf Null.
51 
Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens. Ein Eingriff in diese Rechte ist nach Abs. 2 der Vorschrift nur statthaft, soweit er gesetzlich vorgesehen ist, ein legitimes Ziel verfolgt und zur Erreichung dieses Ziels notwendig ist. Die Wirkungen der Ausweisung dürfen angesichts des Schutzgebots des Art. 8 EMRK nicht länger aufrecht erhalten werden, wenn von dem Ausländer keine konkrete und entsprechend schwere Gefahr für ein wichtiges Schutzgut mehr ausgeht und demgemäß die mit seiner Anwesenheit verbundene Beeinträchtigung von Belangen der Bundesrepublik Deutschland nicht so gewichtig ist, dass sie die Beeinträchtigung seiner Rechte auf Achtung des Privat- und/oder Familienlebens eindeutig überwiegt.
52 
aa) Der Schutzbereich von Art. 8 EMRK umfasst neben weiteren hier nicht einschlägigen Gewährleistungen zum einen das Familienleben, zum anderen das Privatleben. Vorliegend ist nicht der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens, wohl aber der des Rechts auf Achtung des Privatlebens eröffnet: Bei Beziehungen zwischen nahen Verwandten außerhalb der klassischen Kleinfamilie kommt es darauf an, ob die tatsächlich bestehenden Bindungen hinreichend für die Annahme einer familiären Beziehung sind. Beziehungen zwischen Erwachsenen unterliegen nicht notwendig dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung des Familienlebens. Es müssen besondere zusätzliche Aspekte der Abhängigkeit hinzutreten, die weiter reichen als normale affektive Beziehungen (EGMR, Urt. v. 17.04.2003 - Nr. 52853/99 [Yilmaz] - NJW 2004, 2147 Rn. 44 m.w.N.; Urt. v. 15.07.2003 - Nr. 52206/99 [Mokrani] - InfAuslR 2004, 183; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Aufl., § 22 Rn. 18 m.w.N.). Art. 8 EMRK vermittelt insoweit keinen weitergehenden Schutz als Art. 6 GG bei familiären Beziehungen unter Volljährigen. Die Beziehung des volljährigen Klägers zu seiner Mutter und zu seiner Schwester unterfallen danach nicht dem Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens. Anhaltspunkte für ein besonderes Angewiesensein des Klägers auf ein Zusammenleben mit seiner Mutter und/oder seiner Schwester sind nicht dargelegt worden und auch nicht ersichtlich. Gleiches gilt im Ergebnis für die Beziehung des Klägers zu seiner Verlobten. Zwar ist für das Vorliegen einer Familie i.S.v. Art. 8 EMRK nicht in jedem Fall notwendig, dass zwei Personen ihre Beziehung rechtlich formalisiert haben. Der EGMR unterscheidet nicht zwischen einer „ehelichen“ und einer „nichtehelichen“ Familie, sondern stellt auf ein tatsächlich bestehendes Familienleben ab, welches er aber grundsätzlich nur dann bejaht, wenn aus einer nichtehelichen Partnerschaft Kinder hervorgegangen sind (vgl. EGMR, Urt. v. 13.06.1979 [Marcks] - NJW 1979, 2449; Urt. v. 18.12.1986 - 6/1985/92/139 [Johnston u.a.] - EuGRZ 1987, 313; Urt. v. 26.05.1994 - 16/1993/411/490 [Keegan] - NJW 1995, 2153; Urt. v. 13.07.2000 - 25735/94 [Elsholz] - NJW 2001, 2315; Urt. v. 12.07.2001 - 25702/94 [K. u. T.] - NJW 2003, 809). Danach ist der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens auch insoweit nicht berührt.
53 
bb) Unzweifelhaft stellt die Ausweisung, die nach der nunmehr erfolgten Befristung ihrer Wirkungen ein vierjähriges Aufenthaltsverbot im Bundesgebiet zur Folge hat, einen Eingriff in das Recht des Klägers auf Achtung seines Privatlebens dar. Dieser Eingriff verfolgt indes legitime Ziele im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK, nämlich die Aufrechterhaltung der Ordnung und die Verhinderung von strafbaren Handlungen. Er ist darüber hinaus notwendig zur Erreichung dieser Ziele. Ein Eingriff ist nach der Rechtsprechung des EGMR notwendig, wenn ein dringendes soziales Bedürfnis besteht und er verhältnismäßig zum legitimen Ziel ist (Urt. v. 22.04.2004 - Nr. 42703/98 [Radovanovic] - InfAuslR 2004, 374). Es muss ein gerechter Ausgleich getroffen werden zwischen dem Recht des Klägers auf Achtung des Privatlebens auf der einen und den Interessen der öffentlichen Sicherheit und der Verhinderung von Straftaten auf der anderen Seite. Erforderlich ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Beachtung der vom EGMR entwickelten Kriterien, die im Wesentlichen in den Entscheidungen Boultif und Üner zusammengefasst worden sind (EGMR, Urt. v. 02.08.2001 - Nr. 54273/00 [Boultif] - InfAuslR 2001, 476; Urt. v. 05.07.2005 - Nr. 46410/99 [Üner] - InfAuslR 2005, 450 = DVBl 2006, 688). Nach diesen Entscheidungen sind zu berücksichtigen die Art und Schwere der begangenen Straftaten, die Dauer des Aufenthalts in dem Staat, aus dem der Betreffende ausgewiesen werden soll, die seit Begehen der Straftat vergangene Zeit und das Verhalten des Betroffenen seit der Tat, die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten, die familiäre Situation des Betroffenen und gegebenenfalls die Dauer seiner Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben hinweisen, ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte, ob der Verbindung Kinder entstammen und schließlich die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das der Betroffene ausgewiesen werden soll. Von Bedeutung ist ferner das Interesse und Wohl der Kinder sowie die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland oder zum Bestimmungsland. Bei Ausweisungen von Immigranten der zweiten Generation, zu denen der Kläger gehört, berücksichtigt der EGMR neben den genannten allgemeinen Kriterien die besonderen Bindungen, die diese Personen mit dem Aufenthaltsstaat eingegangen sind, in dem sie ihre Erziehung erhalten, den Großteil ihrer sozialen Kontakte geknüpft und folglich ihre eigene Identität entwickelt haben (EGMR, Urt. v. 26.09.1997 - 85/1996/704/896 [Mehemi] - InfAuslR 1997, 30 = NVwZ 1998, 164; Urt. v. 21.10.1997 - 122/1996/741/940 [Boujlifa] - InfAuslR 1998, 1). Demgemäß erachtet es der EGMR neben der Intensität der Bindung und dem Alter des Ausgewiesenen für maßgeblich, welche Sprache der Ausgewiesene spricht und ob es Verwandte oder andere soziale Beziehungen im Herkunftsstaat bzw. umgekehrt familiäre Bindungen oder Verwandte im Aufenthaltsstaat gibt (EGMR, Entsch. v. 04.10.2001 - 43359/98 [Adam] - EuGRZ 2002, 582 = NJW 2003, 2595).
54 
Daran gemessen gebietet Art. 8 Abs. 2 EMRK es nicht, von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen und die Wirkungen der Ausweisung auf sofort zu befristen:
55 
(1) Negativ fallen zunächst Art und Schwere der begangenen Straftaten ins Gewicht. Die vom Kläger zuletzt begangenen Einbruchdiebstähle, die zur Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten geführt haben, sind der mittleren Kriminalität zuzuordnen. Erschwerend ist zu berücksichtigen, dass es sich nicht um Jugendverfehlungen gehandelt hat und dass die Taten gewerbsmäßig begangen wurden. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass es sich „nur“ um Eigentumsdelikte ohne Gewaltanwendung gegenüber Personen gehandelt hat. Der Senat verkennt nicht, dass der EGMR bei derartigen Delikten vereinzelt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte aus Art. 8 Abs. 1 EMRK angenommen hat: In der Sache Beljoudi (Urt. v. 26.03.1992 - 55/1990/246/317 - InfAuslR 1993, 86) war der dortige algerische Beschwerdeführer wegen einer Vielzahl von Diebstahlsdelikten zu Freiheitsstrafen von insgesamt 12 Jahren und 5 Monaten verurteilt worden. Der EGMR sah seine Ausweisung aus Frankreich gleichwohl als unverhältnismäßig an. Der Fall ist allerdings durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass der Beschwerdeführer in Frankreich als Kind damals französischer Eltern geboren war und selbst die französische Staatsangehörigkeit nur deshalb verloren hatte, weil seine Eltern es versäumt hatten, innerhalb einer bestimmten Frist eine Beibehaltungserklärung abzugeben. Zudem war der Beschwerdeführer seit mehr als 20 Jahren mit einer Französin verheiratet. In der Sache Jakupovic (Urt. v. 06.02.2003 - Nr. 36757/97 - InfAuslR 2004, 184) ging es um Jugendstraftaten; zudem war für den EGMR entscheidend, dass der Beschwerdeführer im Alter von 16 Jahren alleine in das zum Zeitpunkt der Ausweisung noch von den Folgen des Bürgerkriegs geprägte Bosnien-Herzegowina abgeschoben werden sollte. Diesen Entscheidungen, die jeweils einige hier nicht vorliegende Besonderheiten aufweisen, lässt sich nach Auffassung des Senats nicht entnehmen, dass Einwanderer der zweiten Generation wegen Eigentumsdelikten grundsätzlich nicht ausgewiesen werden dürften, wenn bei ihnen - wie bei dem Kläger - die Gefahr der Begehung weiterer, gleichartiger Straftaten besteht.
56 
Bei der Würdigung der Vorgeschichte und des Nachtatverhaltens fällt negativ ins Gewicht, dass der Kläger sich die Verurteilung zu Jugendstrafen und die Ausweisung nicht hat zur Warnung dienen lassen und selbst die ihm in dem aufenthaltsrechtlichen Bewährungsvergleich im Februar 2002 eingeräumte Chance nicht genutzt hat, künftig ein straffreies Leben zu führen. Dass er seit der letzten Verurteilung keine weiteren Straftaten begangen hat, kann ebenfalls nicht zu seinen Gunsten gewertet werden, weil er die zuletzt verhängte Freiheitsstrafe immer noch verbüßt und daher noch keine Gelegenheit hatte, sich in Freiheit zu bewähren. Negativ schlägt auch die unbewältigte Drogenproblematik zu Buche, wenngleich insoweit die Therapiebereitschaft zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen ist.
57 
(2) Zu Gunsten des Klägers fällt ins Gewicht, dass er in Deutschland geboren und aufgewachsen ist und dementsprechend auch seine Schulzeit im Bundesgebiet verbracht hat. Des Weiteren ist von Bedeutung, dass seine Mutter inzwischen Deutsche ist. Gleichwohl ist - gemessen an der Aufenthaltsdauer - der Grad der Integration im Bundesgebiet nicht besonders ausgeprägt: Der Kläger hat weder einen Schulabschluss erlangt noch verfügt er über eine Berufsausbildung. Soweit er einer Erwerbstätigkeit nachging, handelte es sich um Aushilfstätigkeiten. Mehrfach hat er ein Arbeitsverhältnis von sich aus beendet. Besondere Integrationsleistungen (beispielsweise Aktivitäten in Parteien oder Vereinen, Teilnahme am gesellschaftlichen/kulturellen Leben) sind nicht feststellbar. Um eine Einbürgerung hat sich der Kläger offenbar nie bemüht. Er hat noch keine eigene Familie gegründet, sondern ist lediglich mit einer Deutschen verlobt. Von einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung kann derzeit nicht ausgegangen werden, so dass Art. 6 GG und Art. 8 EMRK in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung des Familienlebens insoweit keine Vorwirkung entfalten. Die Trennung von der Verlobten, die nach den Angaben des Klägers nicht bereit wäre, ihn nach Italien zu begleiten, stellt allerdings einen gravierenden Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens dar.
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(3) Bei der Würdigung des Grades der Entwurzelung im Herkunftsstaat ist zunächst davon auszugehen, dass der Kläger jedenfalls noch über Grundkenntnisse der italienischen Sprache verfügt. Ihm kann nicht geglaubt werden, dass in seiner Familie, insbesondere mit den Großeltern, ausschließlich deutsch gesprochen wurde. Auch wenn der Kläger, was der Senat ihm glaubt, über keine familiären Bindungen und sonstigen sozialen Kontakte nach Italien verfügt, ist zu berücksichtigen, dass die Kulturdifferenz zu Italien nicht besonders groß ist und die Lebensverhältnisse in Italien, welches ebenfalls Mitglied der EU und als führende Wirtschaftsmacht Mitglied der G8 ist, sich von denen in Deutschland nicht grundlegend unterscheiden. Die Schwierigkeiten, mit denen der Kläger dort konfrontiert wird, sind nicht unüberwindbar. Sie sind ihm als Mann im arbeitsfähigen Alter zuzumuten. Dass er in der Lage ist, seine rudimentären Italienischkenntnisse nötigenfalls auszubauen, hat er bereits durch die vorübergehende Teilnahme an einem Italienischkurs in der Strafhaft unter Beweis gestellt. Im Übrigen ist zu bedenken, dass der Kläger zur Ausübung einer der von ihm angestrebten Tätigkeit in einer Pizzeria in ... vergleichbaren Tätigkeit in Italien - selbst wenn man die Möglichkeit, eine solche in überwiegend deutschsprachigen Gebieten Südtirols zu suchen, außer Acht lässt - keiner vertieften Italienischkenntnisse bedarf.
59 
(4) Schließlich ist im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen, dass der Kläger infolge der ausgesprochenen Befristung eine konkrete Rückkehrperspektive hat. Als Unionsbürger kann er nach Ablauf der Frist bei Erfüllung der der Befristungsentscheidung beigefügten Bedingungen unter Berufung auf sein Freizügigkeitsrecht aus Art. 18 EG wieder in das Bundesgebiet einreisen. Diese Bedingungen sind rechtlich nicht zu beanstanden. Sie dienen dem Zweck des Verwaltungsakts in der Hauptsache, indem sie sicherstellen, dass der spezialpräventive Ausweisungszweck bei Wirksamwerden der Befristung erfüllt ist und von dem Kläger keine erhebliche Gefahr mehr ausgeht. Die Bedingung der Straffreiheit ist allerdings entsprechend den für die Verlustfeststellung bei Unionsbürgern geltenden Maßstäben einschränkend dahingehend auszulegen, dass nur solche Straftaten schädlich sind und den Eintritt der Bedingung hindern, die die weitere Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen. Bei einer solchen Auslegung sind die Bedingungen mit § 36 Abs. 3 LVwVfG vereinbar. Auch Gemeinschaftsrecht steht den Bedingungen nicht entgegen. Aus Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG folgt lediglich ein Bescheidungsanspruch; inhaltliche Vorgaben für die Befristung des Aufenthaltsverbots finden sich dort nicht. Auch dem primären Gemeinschaftsrecht lässt sich nicht entnehmen, dass bei Fortbestehen einer qualifizierten Wiederholungsgefahr gleichwohl die Wirkungen einer Ausweisung befristet werden müssten.
60 
5. Der Befristungsbescheid vom 26.07.2006 ist aber gleichwohl rechtswidrig, weil er an einem beachtlichen Verfahrensfehler und an Ermessensfehlern leidet. Der Kläger hat daher auf seinen als Minus im Verpflichtungsantrag enthaltenen Bescheidungsantrag einen Anspruch auf Aufhebung dieses Bescheides und auf Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
61 
a) Zwar war, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, Art. 9 der RL 64/221/EWG nicht zu beachten, weil zum einen diese Vorschrift auf Befristungsentscheidungen nicht anwendbar war und zum anderen die Richtlinie 64/221/EWG durch Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben wurde.
62 
b) Ein beachtlicher Verfahrensfehler liegt jedoch darin, dass das Regierungspräsidium vor Erlass des angefochtenen Verwaltungsakts die nach § 28 Abs. 1 LVwVfG gebotene Anhörung unterlassen hat. Diese war weder nach § 28 Abs. 2 LVwVfG noch nach § 82 AufenthG entbehrlich und der Anhörungsmangel ist auch nicht geheilt worden.
63 
aa) Eine Anhörung war nicht nach § 28 Abs. 2 LVwVfG entbehrlich. In Betracht zu ziehen ist insoweit allein der Tatbestand des § 28 Abs. 2 Nr. 3 LVwVfG, dessen Voraussetzungen jedoch nicht vorliegen. Nach dieser Vorschrift kann von der Anhörung abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, insbesondere wenn von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll. Diese Regelung betrifft die Fälle einer Entscheidung auf Grund eigener Angaben eines Beteiligten. Die Anhörung wird hier durch die eigenen Angaben des Betroffenen gewissermaßen vorweggenommen. Die Vorschrift ist jedoch einschränkend auszulegen: Eigene Angaben können eine Entscheidung ohne weitere Anhörung nur dann rechtfertigen, wenn nach Lage des konkreten Falles die Angaben des Beteiligten Entscheidungsgrundlage sind und die Möglichkeit auszuschließen ist, dass die Anhörung neue Gesichtspunkte ergeben könnte, die eine für den Antragsteller günstigere Entscheidung rechtfertigen könnten (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 28 Rn. 65). Diese Voraussetzungen liegen hier schon mit Blick auf den langen Zeitraum von nahezu zwei Jahren zwischen Antragstellung und Entscheidung nicht vor, der es nahelegt, dass zwischenzeitlich neue, bei Antragstellung noch nicht vorgetragene Umstände eingetreten sind, die für die Entscheidung erheblich sein können.
64 
bb) Die Anhörung war auch nicht im Hinblick auf § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG entbehrlich. Dabei kann offen bleiben, ob diese Vorschrift, auf die in § 11 Abs. 1 FreizügG/EU nicht verwiesen wird, auf den Kläger als Unionsbürger überhaupt anwendbar ist. Denn auch wenn man davon ausgeht, dass § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auf den Kläger als infolge der bestandskräftigen Ausweisung derzeit nicht freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger über eine analoge Anwendung des § 11 Abs. 2 FreizügG/EU, der nach seinem Wortlaut eine Nichtbestehens- oder Verlustfeststellung voraussetzt, anwendbar ist, folgt hieraus nicht, dass von der Anhörung abgesehen werden konnte. Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist der Ausländer u.a. verpflichtet, seine Belange und für ihn günstige Umstände, soweit sie nicht offenkundig oder bekannt sind, unter Angabe nachprüfbarer Umstände unverzüglich geltend zu machen. Die sich aus § 24 Abs. 1 LVwVfG ergebende Pflicht der Behörde zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen wird damit für den Anwendungsbereich des AufenthG in gewisser Weise begrenzt, aber nicht aufgehoben. Die Verpflichtung aus § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist durch die Anlassbezogenheit beschränkt, verlangt also nicht die permanente Offenlegung der Verhältnisse gegenüber der Ausländerbehörde (Albrecht in Storr u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 82 AufenthG Rn. 5; ebenso bereits zu § 70 AuslG 1990 OVG NRW, Beschl. v. 01.02.2000 - 18 B 1120/99 - InfAuslR 2000, 279 = NVwZ 2000, 1445). Vorliegend durfte der Kläger danach davon ausgehen, dass das Regierungspräsidium, welches über den Befristungsantrag auf aktualisierter Tatsachengrundlage zu entscheiden hatte, ihm vor einer Entscheidung zumindest nach § 82 Abs. 1 Satz 2 AufenthG eine Frist zur Geltendmachung der für ihn günstigen Umstände setzen würde.
65 
cc) Der Anhörungsmangel ist auch nicht geheilt worden. Eine Heilung nach § 46 LVwVfG scheidet schon deshalb aus, weil es sich bei der Befristungsentscheidung hinsichtlich der Bemessung der Frist nicht um einen gebundenen Verwaltungsakt handelt. Eine Heilung nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 LVwVfG ist nicht erfolgt. Nach dieser Vorschrift ist der Verstoß gegen § 28 Abs. 1 LVwVfG unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung nachgeholt wird. Eine Heilung tritt allerdings nur insoweit ein, als die Anhörung formell ordnungsgemäß erfolgt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht werden kann (funktionelle Äquivalenz). Dies setzt u.a. voraus, dass die Ergebnisse der Anhörung von der zur Entscheidung in der Sache berufenen Behörde nicht nur zur Kenntnis, sondern auch zum Anlass genommen werden, die Entscheidung selbst kritisch zu überdenken (Kopp/Ramsauer, a.a.O. § 45 Rn. 26). Nicht ausreichend ist die Anhörung durch das Gericht; sie stellt keine Nachholung durch die Behörde dar und führt deshalb nicht zur Heilung (Kopp/Ramsauer, a.a.O. § 45 Rn. 27). Nach diesen Maßstäben hat vorliegend keine Nachholung der Anhörung, die nach § 45 Abs. 2 LVwVfG bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat möglich gewesen wäre, stattgefunden. Es genügt nicht, dass der Kläger sich im Klageverfahren geäußert und das Regierungspräsidium dies zur Kenntnis genommen hat.
66 
c) Ein Ermessensfehler liegt darin, dass der Beklagte im Befristungsbescheid infolge des Anhörungsmangels bei Abwägung der gegenläufigen Interessen von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist, der eine rechtliche Fehlgewichtung zu Folge hat. Er hat die lediglich rudimentären italienischen Sprachkenntnisse des Klägers, seine vollständig fehlenden Bindungen nach Italien sowie die Beziehung zu seiner deutschen Verlobten infolge der unterbliebenen Anhörung nicht berücksichtigt und damit zu berücksichtigende wesentliche Gesichtspunkte bei der Ermessensausübung außer Acht gelassen.
67 
d) Ermessensfehlerhaft ist es des Weiteren, dass die Dauer der Haftstrafe, die Anlass für die Ausweisung war, maßgeblich in die Bemessung der Sperrfrist eingeflossen ist. Im Rahmen der bei Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU vorzunehmenden Prüfung, ob die Aufrechterhaltung der Sperrwirkungen gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU heute (noch) gerechtfertigt ist, ist die Dauer der Haftstrafen, die zur Ausweisung geführt haben, nur von begrenzter Aussagekraft. Inwieweit sich hier aus der 1998 erfolgten Verurteilung des Klägers zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten Rückschlüsse auf die aktuell von dem Kläger ausgehenden Gefahren ziehen lassen, ist nicht ersichtlich und wird auch in der angefochtenen Verfügung nicht erläutert. Die Begründung erschöpft sich insoweit in einem Hinweis auf die VwV Befristung und auf die Praktikabilität einer solchen Vorgehensweise.
68 
Nach 1.2.1 der vom Regierungspräsidium angewandten VwV Befristung wird bei der Berechnung des Befristungsrahmens das festgesetzte Strafmaß berücksichtigt. Zur Begründung heißt es dort, dies sei gerechtfertigt, weil sich die Strafbemessung des Strafrichters gemäß § 46 StGB nach der Schwere der Schuld des Täters richte. Nach dieser Vorschrift ist - im Erwachsenenstrafrecht - die Schuld des Täters Grundlage für die Strafzumessung. Das bedeutet, dass die Strafe zwar nicht allein nach der Schuld zu bemessen ist, wohl aber, dass die Schuld der Faktor ist, dem bei der Zumessung das größte Gewicht zukommt (vgl. Fischer, StGB, 55. Aufl., § 46 Rn. 19 m.w.N.). Bei der Befristungsentscheidung sind demgegenüber die mit der Ausweisung verfolgten präventiven Zwecke maßgeblich. Die Behörde hat auf der Grundlage einer aktualisierten Tatsachenbasis die Frist nach dem mutmaßlichen Eintritt der Zweckerreichung zu bemessen (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Die Berücksichtigung des Strafmaßes bei der Bemessung der Frist ist danach grundsätzlich sachwidrig. Das Strafmaß gibt zwar Anhaltspunkte für die Schwere des Delikts und kann mittelbar je nach Art der Straftat Anlass sein, bei besonders gefährlichen Delikten geringere Anforderungen an den Grad der Wiederholungsgefahr zu stellen. Es indiziert aber grundsätzlich keine fortdauernde Wiederholungsgefahr. So ist es denkbar, dass ein Täter wegen einer singulären Einzeltat auf Grund der Schwere des Delikts und der Schuld zu einer hohen Freiheitsstrafe verurteilt wird, von ihm aber gleichwohl nur eine geringe Wiederholungsgefahr ausgeht.
69 
Diese Überlegungen gelten uneingeschränkt nur für das Erwachsenenstrafrecht. Die Jugendstrafe ist demgegenüber nicht primär Schuldstrafe, sondern Erziehungsstrafe. Der Richter verhängt gemäß § 17 Abs. 2 JGG Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist. Wird die Jugendstrafe nicht mit der Schwere der Schuld, sondern mit schädlichen Neigungen begründet, so hat dies eine starke Indizwirkung auch für die im Ausweisungsrecht zu prüfende Wiederholungsgefahr. Erfolgt etwa zeitnah nach der Verurteilung zu einer Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen eine Ausweisung, so wird es in der Regel nicht zu beanstanden sein, wenn die Ausländerbehörde aus der Verurteilung auf eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung gleichartiger Delikte schließt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Indizwirkung eines solchen Strafurteils nicht durch zwischenzeitliche Vollstreckungsentscheidungen (vgl. § 88 JGG) in Frage gestellt ist. Im Befristungsverfahren liegt allerdings typischerweise - wie auch hier - die strafgerichtliche Verurteilung lange zurück und erlaubt schon aufgrund dessen keinen Schluss auf eine aktuelle Wiederholungsgefahr. Vorliegend ist die Heranziehung des Strafmaßes der 1998 verhängten Jugendstrafe daher sachwidrig. Sachgerecht wäre es demgegenüber, die jüngsten Strafvollstreckungsentscheidungen - hier die Beschlüsse des LG ... vom 21.09.2007, 20.03.2008 und 10.04.2008 sowie den Beschluss des OLG Karlsruhe vom 23.11.2007 - heranzuziehen und zu würdigen.
70 
e) Diese Ermessensfehler sind nicht nach § 114 Satz 2 VwGO geheilt worden. Voraussetzung für die Zulässigkeit der Ergänzung von Ermessenserwägungen nach § 114 Satz 2 VwGO ist u.a., dass durch die Ergänzung der Verwaltungsakt nicht in seinem gewollten Wesen oder Ausspruch verändert wird. Eine Wesensänderung ist anzunehmen, wenn sich durch die Ergänzung der Streitstoff ändert. Damit sind nur unwesentliche Korrekturen als zulässig anzusehen (Kuntze in Bader u.a., VwGO, 4. Aufl., § 114 Rn. 54; Nds. OVG, Beschl. v. 26.04.2007 - 5 ME 122/07 - juris). Nicht zulässig ist der Austausch maßgeblicher oder tragender Erwägungen (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 113 Rn. 72; Rennert in Eyermann, VwGO, 12. Aufl., § 114 Rn. 89; Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 114 Rn. 208). Es ist ein strenger Maßstab anzulegen, da die Ergänzung nur zur Aufrechterhaltung der getroffenen Entscheidung möglich ist und ohnehin eine Tendenz bestehen kann, eine getroffene Entscheidung zu halten, d.h. bei der Abwägung nicht frei und unvoreingenommen zu sein (Kuntze, a.a.O. Rn. 55). Daran gemessen wäre hier eine - im Übrigen nicht erfolgte - Ergänzung unzulässig gewesen, da infolge der unterbliebenen Anhörung gerade eine neue Ermessensbetätigung unter Einstellung der außer Acht gelassen, wesentlichen Gesichtspunkte geboten ist.
71 
f) Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass es für eine fehlerfreie Ermessensentscheidung geboten sein dürfte, die Strafvollstreckungsakten und die Gefangenenpersonalakten beizuziehen (vgl. - zur Ausweisung - Discher in GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. AufenthG Rn. 1261.1 m.w.N. und - zur Heranziehung der Strafakten - BVerfG, Beschl. v. 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - NVwZ 2007, 1300 = InfAuslR 2007, 443).
II.
72 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
73 
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
74 
Beschluss vom 23. Juli 2008
75 
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
76 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Rechtskräftige Urteile binden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist,

1.
die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger und
2.
im Fall des § 65 Abs. 3 die Personen, die einen Antrag auf Beiladung nicht oder nicht fristgemäß gestellt haben.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Tenor

Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Kläger die auf Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichtete Klage zurückgenommen hat.

Im Übrigen wird der Bescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 17.07.2007 aufgehoben.

Das beklagte Land wird verpflichtet, die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Freiburg vom 22.01.1999 und seinen Widerspruchsbescheid vom 11.02.1999 zurückzunehmen.

Der Kläger trägt 1/4, das beklagte Land trägt 3/4 der Kosten des Verfahrens.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Verpflichtung des beklagten Landes zur Rücknahme seiner Ausweisung, deren Rechtswidrigkeit wegen Verstoßes gegen Art. 8 EMRK der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte festgestellt hat.
Der 1961 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er reiste 1972 zu seinen Eltern ins Bundesgebiet nach, die sich dort seit 1970 als türkische Arbeitnehmer aufhielten. Ihm wurden Aufenthaltserlaubnisse erteilt. Zuletzt war er im Besitz einer ihm am 14.03.1988 erteilten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. 1984 hatte er eine türkische Staatsangehörige geheiratet, mit der er 1986 einen Sohn bekam. Sie folgte ihm mit dem Sohn 1989 nach Deutschland. In den Jahren 1990, 1991 und 1993 wurden in Deutschland drei weitere gemeinsame eheliche Söhne geboren. Alle Familienmitglieder sind türkische Staatsangehörige, die Ehefrau des Klägers besitzt ihrerseits eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.
Nachdem der Kläger 1983 eine ausländerrechtliche Verwarnung im Hinblick auf frühere Verurteilungen erhalten hatte und in den Jahren 1989 bis 1996 wegen Beleidigung, Körperverletzung, Widerstand und mehrfacher Trunkenheit im Verkehr zu Geld- bzw. zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafen verurteilt worden war, wurde er vom Amtsgericht LXXXXX am 11.02.1998 zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, die er nach seiner Festnahme am 17.09.1998 und nach dem Widerruf einer früheren auf Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von weiteren vier Monaten verbüßte.
Vor seiner Festnahme war er aufgrund eines am 27.09.1998 unbefristet geschlossenen Arbeitsvertrags bei einer Personalleasingfirma in XXXXX beschäftigt. Vor diesem Hintergrund wies ihn das Regierungspräsidium Freiburg mit Bescheid vom 22.01.1999 aus dem Bundesgebiet aus, ohne diese Ausweisung zugleich zu befristen. Sein dagegen erhobener Widerspruch wurde vom Regierungspräsidium mit Bescheid vom 11.02.1999 zurückgewiesen.
Nachdem das Verwaltungsgericht einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die Ausweisung mit Beschluss vom 20.04.1999 (9 K 174/99) abgelehnt hatte, wurde der Kläger am 03.05.1999 in die Türkei abgeschoben. Bereits am 21.05.1999 reiste er wieder ins Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag.
Mit Urteil vom 02.11.1999 (9 K 307/99) wies das Verwaltungsgericht Freiburg seine Klage gegen die Ausweisungsverfügung ab. Sein Antrag auf Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil wurde vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Beschluss vom 28.05.2001 (11 S 2940/99) abgelehnt. Die beiden Gerichtsentscheidungen bestätigten die vom Regierungspräsidium mit der Ausweisungsverfügung getroffene Einschätzung, dass dem Kläger zwar ein besonderer Ausweisungsschutz zustehe und deshalb die Ausweisung nur nach Ermessen verfügt werden könne, dass jedoch im Rahmen der Ermessensabwägung das öffentliche Interesse an Abwehr der vom Kläger nach wie vor ausgehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesondere im Straßenverkehr und deren Abwehr durch seine Ausweisung sein privates Interesse am weiteren Verbleib im Bundesgebiet, in dem er seit 27 Jahren legal lebte, überwiege. Art. 6 GG und Art. 8 EMRK seien nicht verletzt, da seine Frau und Kinder türkische Staatsangehörige seien, die die türkische Sprache sprechen und mit der türkischen Mentalität vertraut seien, so dass ihnen die Wiederherstellung der Familieneinheit mit ihm in der Türkei zumutbar sei. Im Übrigen bestehe die Möglichkeit, im Wege der nachträglichen Befristung die Wirkung der Ausweisung einzuschränken, wenn der Kläger durch längeren Aufenthalt außerhalb der Bundesrepublik bewiesen habe, dass er sich künftig rechtstreu verhalten werde. Da das Arbeitsverhältnis des Klägers durch seine Inhaftierung unterbrochen worden sei, gehöre er seit der Inhaftierung nicht mehr dem regulären Arbeitsmarkt der Bundesrepublik an und zwar aus allein von ihm zu vertretenden Gründen, so dass er sich nicht auf besonderen Ausweisungsschutz nach Art. 14 des ARB I/80 berufen könne. Selbst wenn sein Arbeitsverhältnis trotz der Inhaftierung weiter bestehen würde und er zum privilegierten Personenkreis nach Art. 6 Abs. 1 ARB I/80 zähle, wäre seine Ausweisung zulässig. Selbst wenn man im günstigsten Fall eine Möglichkeit des Klägers sehe, sich über Art. 14 ARB 1/80 auf die eine Ausweisung einschränkenden Bestimmungen des § 12 AufenthG/EWG zu berufen, lägen die hier für eine Ausweisung erforderlichen schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor.
Das Bundesverfassungsgericht nahm mit Beschluss vom 15.02.2002 (2 BvR 1155/01) eine Verfassungsbeschwerde des Klägers gegen den Ausweisungsbescheid, den Widerspruchsbescheid und das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg sowie den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg nicht zur Entscheidung an (Die Verfassungsbeschwerde vom 04.07.2001 wurde am 05.07.2001 ans Bundesverfassungsgericht per Fax übermittelt, allerdings ohne die Seite 8 des Verfassungsbeschwerdeschriftsatzes. Diese fehlende Seite 8 wurde erst nach dem 06.07.2001, und damit nach Ablauf der einmonatigen Verfassungsbeschwerdeschrift per Post nachgereicht - siehe die Stellungnahme des Verfahrensbevollmächtigten der Bundesregierung vom 24.01.2005 gegenüber dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - AS. 263 der den Befristungsantrag des Klägers betreffenden Akte des Regierungspräsidiums - vorgelegt im Verfahren 1 K 1672/07. Diese Darstellung der Bundesregierung, wonach der Schriftsatz unvollständig beim Bundesverfassungsgericht eingegangen sein soll, hatte der Kläger aber bestritten und unter Vorlage des Sendeberichts dargelegt, dass die Beschwerde einschließlich der Seite 8 beim Bundesverfassungsgericht eingereicht worden ist. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat deshalb später in seiner Entscheidung vom 27.10.2005 festgestellt (Rdnr. 41), dass keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die Beschwerde nicht formgerecht beim Bundesverfassungsgericht eingelegt worden sei.).
Am 16.05.2002 stellte der Kläger einen Antrag auf Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung, der vom Regierungspräsidium allerdings bis zum Ende des vom Kläger eingeleiteten und noch nicht abgeschlossenen Asylverfahrens zurückgestellt wurde.
Nachdem das Asylverfahren des Klägers rechtskräftig negativ beendet worden war (vgl. Urt. v. 07.05.2002 - A 10 K 11012/00 -) wurde der Kläger am 12.08.2003 ein zweites Mal - diesmal endgültig - in die Türkei abgeschoben, wo er sich seither in Istanbul in einfachsten Verhältnissen lebend aufhält.
10 
Am 19.12.2003 erinnerte der Kläger-Vertreter das Regierungspräsidium an die noch ausstehende Bescheidung seines Antrags vom 16.05.2002 auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung und stellte zugleich einen Antrag auf nachträgliche Befristung der Wirkung der Abschiebung. Zur Begründung führte er wie schon zuvor aus, das Grundrecht aus Art. 6 GG rechtfertige es, die Befristung auf einen möglichst nahen Zeitpunkt vorzunehmen. Wie schon im Antrag auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung verwies er auch darauf, dass für eine Befristung nicht nur die familiäre Situation des Klägers spreche, sondern auch der Umstand, dass er im Alter von 11 Jahren ins Bundesgebiet eingereist sei und damit einen wesentlichen Teil seiner Kindheit und Jugend im Bundesgebiet verbracht habe und deshalb hier in Deutschland geprägt worden sei.
11 
Mit Urteil vom 27.10.2005 (Individualbeschwerde Nr. 32231/02) stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auf eine Individualbeschwerde des Klägers hin fest, dass die Ausweisung des Klägers Regel 8 der EMRK verletze. In den Gründen der Entscheidung führt der Gerichtshof aus, die Ausweisung des Klägers an sich zwar möglich gewesen wäre, in Anbetracht der familiären Umstände, insbesondere der Art vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten, der Dauer seines rechtmäßigen Aufenthalts in Deutschland, der Tatsache, dass er eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis vor der Ausweisung besessen habe und der Schwierigkeiten, mit denen seine Kinder voraussichtlich konfrontiert wären, wenn sie ihm in die Türkei folgen würden, sei der Gerichtshof jedoch der Ansicht, dass eine "unbefristete Versagung der Wiedereinreise in das Bundesgebiet" die Rechte des Beschwerdeführers auf sein Privat- und Familienleben aus Art. 8 EMRK verletze.
12 
Mit Schriftsatz vom 23.12.2005 stellte daraufhin der Kläger-Vertreter beim Regierungspräsidium in Freiburg den Antrag, die Ausweisungsverfügung vom 22.01.1999 und den Widerspruchsbescheid vom 11.02.1999 aufzuheben und dem Kläger die unverzügliche Wiedereinreise ins Bundesgebiet zu gestatten, sowie ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
13 
Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 28.03.2006 befristete das Regierungspräsidium daraufhin die Wirkungen der Ausweisung vom 22.01.1999 und der Abschiebungen der Klägers vom 03.05.1999 und 12.08.2003 jeweils auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Entscheidung. Dieser Bescheid wurde dem Kläger-Vertreter am 03.04.2006 zugestellt.
14 
Am 03.05.2006 erhob der Kläger beim Verwaltungsgericht Freiburg (Untätigkeits-)Klage, mit der Begründung, über seinen Antrag auf Aufhebung des Ausweisungsbescheids und des entsprechenden Widerspruchsbescheids vom 28.03.2006 sei ohne zureichenden Grund immer noch nicht entschieden.
15 
Mit dem hier angegriffenen Bescheid vom 17.07.2007 lehnte das Regierungspräsidium Freiburg sowohl eine Rücknahme, als auch einen Widerruf der Ausweisungsverfügung vom 22.01.1999 und des Widerspruchsbescheids vom 11.02.1999 sowie den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab. Zur Begründung führte es aus, eine Rücknahme nach § 48 LVwVfG scheide aus, da die Ausweisung nicht rechtswidrig sei. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe in seiner Entscheidung lediglich festgestellt, dass die Ausweisung als solche möglich gewesen sei, jedoch im Hinblick auf eine fehlende Befristungsentscheidung deren Unverhältnismäßigkeit und damit Unvereinbarkeit mit Art. 8 EMRK festgestellt. Mittlerweile habe das Regierungspräsidium jedoch durch die nachträgliche Befristung die Sperrwirkung der Ausweisung beseitigt, so dass damit dem Urteil des Gerichtshofs genüge getan sei. Auch ein Widerruf nach § 49 LVwVfG scheide aus, denn ein Widerruf setze die noch andauernde Wirksamkeit des zu widerrufenden Verwaltungsakt vor. Daran fehle es jedoch hier, da der Ausweisungsbescheid in Folge seiner Befristung seine Wirksamkeit verloren habe und somit nicht widerrufen werden könne. Seit der Befristung der Ausweisungsverfügung durch den Bescheid vom 28.03.2006 auf den Zeitpunkt seiner Bekanntgabe enthalte die Ausweisung keine Wirkung mehr, da ein Widerruf ins Leere laufen würde. Schließlich sei auch die vom Kläger begehrte Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis durch das Regierungspräsidium abzulehnen, da das Regierungspräsidium für die Erteilung eines Visums oder einer Aufenthaltserlaubnis gar nicht zuständig sei.
16 
Im Schriftsatz vom 15.08.2007 hat der Kläger-Vertreter die Einbeziehung dieses Ablehnungsbescheids in das anhängige Untätigkeitsklageverfahren erklärt und die Aufhebung dieses Bescheids beantragt.
17 
Eine parallel dazu fünf Tage später gegen den Bescheid vom 17.07.2007 eigenständig erhobene Klage beim Verwaltungsgericht (1 K 1672/07) hat der Kläger nach Hinweis des Gerichts zurückgenommen. Die in diesem späteren Verfahren vom Regierungspräsidium vorgelegten Akten wurden zum hier vorliegenden Verfahren beigezogen.
18 
In der mündlichen Verhandlung am 26.09.2007 hat der Kläger seinen Antrag auf Aufhebung der Ziff. 3 des Bescheids vom 17.07.2007 und auf Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis mit Blick auf die fehlende Zuständigkeit des Regierungspräsidiums Freiburg für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zurückgenommen. Zur Begründung seiner im Übrigen aufrechterhaltenen Klage trägt er vor, nach Art. 46 EMRK gelte für die Bundesrepublik und damit für das Land Baden-Württemberg und seine Behörden eine Befolgungspflicht. Dem Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs hinsichtlich der Verletzung des Art. 8 EMRK durch die unbefristete Ausweisung des Klägers sei auch durch die nachträglich verfügte Befristung der Ausweisungswirkungen nicht ausreichend Rechnung getragen worden. Erforderlich sei vielmehr eine Rücknahme der vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof als rechtswidrig bezeichneten Ausweisungsverfügung. Durch die Ausweisung sei dem Kläger nämlich ab Wirksamkeit der Ausweisungsverfügung mit rechtsvernichtender Wirkung seine unbefristete Aufenthaltserlaubnis und damit sein Status genommen worden, den er als ARB 1/80-Arbeitnehmer vor der Ausweisung gehabt habe. Die bloße Befristung der Ausweisungswirkungen lasse diesen Status nach Ablauf der Frist nicht etwa wieder aufleben, sondern beseitige lediglich die Sperre für eine Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Insofern sei hier aber allenfalls eine Aufenthaltserlaubnis nach § 29 AufenthG zum Zwecke des Familiennachzugs zu dem hier nach wie vor im Bundesgebiet mit gesicherten Aufenthaltsstatus lebenden Familienangehörigen (Ehefrau und minderjährige Söhne) denkbar. Einen solchen Antrag auf Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Familienzusammenführung habe er schon vor mehr als einem Jahr gestellt. Die im zugehörigen Visumsverfahren für die Erteilung der Zustimmung zuständige Ausländerbehörde, nämlich die Stadt LXXXXX, habe jedoch bisher die Zustimmungserteilung unter Hinweis darauf verweigert, dass der Versagungsgrund der Sozialhilfebedürftigkeit des Klägers vorliege. Daran habe weder der Hinweis des Klägers darauf etwas ändern können, dass er erneut bei der Personalleasingfirma, bei der er vor seiner Ausreise gearbeitet habe, ein - diesmal allerdings nur befristetes Arbeitsverhältnis - eingehen könne, noch dass seine Ehefrau, die teilerwerbstätig sei und in diesem Zusammenhang 700,-- EUR brutto verdiene zuzüglich der früheren Kindergeldzahlungen, im Übrigen krankheitsbedingt teilerwerbsunfähig sei. Es genüge seiner Rechtsstellung und dem Schutz seines Privatlebens aus Art. 8 EMRK auch nicht, wenn er sich im Rahmen einer Wiedererteilung allein auf einen abhängigen Aufenthaltsanspruch zum Zwecke des Familiennachzugs verweisen lassen müsse. Immerhin habe er vor der Ausweisung 27 Jahre lang legal im Bundesgebiet gelebt und gearbeitet und dort seit seinem 11. Lebensjahr seine prägenden Jugend- und auch die anschließenden Erwachsenenjahre verbracht. Eine Gefahr gehe von ihm für die öffentliche Sicherheit nicht mehr aus.
19 
Der Kläger beantragt,
20 
den Bescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 17.07.2007 aufzuheben und das beklagte Land zu verpflichten, den Ausweisungsbescheid vom 22.01.1999 und den Widerspruchsbescheid vom 11.02.1999 aufzuheben.
21 
Das beklagte Land beantragt,
22 
die Klage abzuweisen.
23 
Es verweist darauf, dass der Entscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs mit der nachträglichen Befristung der Wirkungen der Ausweisung des Klägers ausreichend Rechnung getragen worden sei. Einen darüber hinausgehenden Anspruch auf Rücknahme der Ausweisungsverfügung habe der Kläger nicht. Er müsse sich darauf verweisen lassen, im Wege des Familiennachzugs eine Wiedererteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu erlangen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe bei seiner Entscheidung ausweislich der Ziff. 65 der Entscheidungsgründe durchaus die Befristungsregelung des Deutschen Ausländerrechts (damals noch § 8 Abs. 2 AuslG, heute gleichlautend § 11 AufenthG) im Blick gehabt, als er auf die erforderliche Befristung der Ausweisung hingewiesen habe. Im Übrigen könne sich der Kläger auch nicht nach  Art. 8 EMRK ganz unabhängig von seinen familiären Bildungen allein auf den Schutz seines Privatlebens und einen daraus abgeleiteten Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zwecks Wiedereinreise und Wiederanknüpfung an sein vor der Ausweisung im Bundesgebiet begründetes Leben berufen. Er sei nämlich erst im Alter von 11 Jahren ins Bundesgebiet gekommen, habe also gerade die prägenden frühen Kindheitsjahre nicht im Bundesgebiet verbracht, spreche nach wie vor Türkisch und sei auch der türkischen Mentalität noch ausreichend verhaftet. Schließlich habe er immer wieder über Jahre hinweg erhebliche Verkehrsstraftaten und Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit begangen und auch nicht ununterbrochen gearbeitet. Zudem sei auch seine Familie ausweislich der Ausführungen des Urteils des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs nicht alleine in Deutschland verwurzelt, sondern habe durch die türkische Sprache und Kultur sowie den Bezug der Ehefrau, die erst später zum Kläger nachgereist sei und zeitweise von ihm getrennt gelebt habe ihre Wurzeln auch in der Türkei.
24 
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Behördenakten (5 Hefte Akten des Regierungspräsidiums Freiburg) und der Gerichtsakte (1 Heft) verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
25 
Das Gericht entscheidet durch den Berichterstatter, nachdem sich die Beteiligten übereinstimmend mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 87a Abs. 2 u. 3 VwGO).
26 
Soweit der Kläger seine Klage gegen das Land Baden-Württemberg - Regierungspräsidium Freiburg - hinsichtlich der Verpflichtung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zurückgenommen hat, ist das Verfahren einzustellen (§ 92 Abs. 3 VwGO).
27 
Im Übrigen ist die Klage auf Aufhebung des Bescheids des Regierungspräsidiums Freiburg vom 17.07.2007 (Ziff. 1 u. 2 des Bescheids) und auf Verpflichtung des Regierungspräsidiums zur Aufhebung (Rücknahme) des Ausweisungsbescheids vom 22.01.1999 und (deklaratorisch) der Aufhebung des entsprechenden Widerspruchsbescheids vom 11.02.1999 zulässig und begründet.
28 
Der Bescheid vom 17.07.2007 (Ziff. 1 und 2) ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, denn er hat Anspruch auf die Verpflichtung des Regierungspräsidiums zu der von ihm begehrten Rücknahme des Ausweisungsbescheids und des diesen bestätigenden Widerspruchsbescheids (§ 113 Abs. 1 Satz 1 u. Abs. 5 Satz 1 VwGO).
29 
Nach § 48 Abs. 1 LVwVfG kann eine rechtswidrige aber bestandskräftige Ausweisung ganz oder teilsweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.12.1999, BVerwGE 110, 140 = InfAuslR 2000, 176; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.03.1999, InfAuslR 1999, 338).
30 
Im vorliegenden Fall steht aufgrund der zur Individualbeschwerde des Klägers ergangenen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für die Beteiligten verbindlich fest, dass die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Freiburg vom 22.01.1999 (und damit auch der sie bestätigende Widerspruchsbescheid vom 11.02.1999) entgegen der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts Freiburg und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg, welche die Rechtmäßigkeit dieser Verfügungen in den vom Kläger zuvor angestrengten verwaltungsgerichtlichen Verfahren bestätigt hatten, tatsächlich rechtswidrig waren.
31 
Das Rücknahmeermessen des Regierungspräsidiums Freiburg (§ 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG) war damit eröffnet, ist aber vom Regierungspräsidium mit dem hier angegriffenen Bescheid vom 17.07.2007 nicht ermessensfehlerfrei (§ 40 LVwVfG und § 114 VwGO) ausgeübt wurden.
32 
Vielmehr hat der Kläger wegen einer Reduzierung dieses Rücknahmeermessens "auf Null" einen Rechtsanspruch auf die ihm bisher vom Regierungspräsidium versagte Rücknahme dieser Ausweisung und des Widerspruchsbescheids.
33 
Zwar steht nach einhelliger Rechtsprechung fest, dass eine solche Ermessensreduzierung auf Null hinsichtlich der Rücknahme eines rechtswidrigen bzw. auch gemeinschafts-rechtswidrigen, aber - wie im vorliegenden Fall - nach den nationalen Vorschriften bestandskräftig gewordenen Verwaltungsaktes nur dann anzunehmen ist, wenn die Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Verwaltungsaktes unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles und der Gewichtung der Einzelfallgerechtigkeit einerseits sowie dem verfassungsrechtlich verbürgten Prinzip der Bestandskraft andererseits "schlechthin unerträglich" ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.03.2005 - 3 B 86/04 -, DÖV 2005, 651 und Beschl. v. 07.07.2004 - 6 C 24/03 -, Urt. v. 17.01.2007 - 6 C 32.06 -juris, BVerwGE 121, 126 sowie VGH Bad.-Württ., Urt. v. 24.01.2007 - 13 S 451/06 -, InfAuslR 2007, 182 und Urt. v. 28.06.2007 - 13 S 1045/07 -, FamRZ 2007, 1555=VENSA; siehe dazu auch VG Freiburg, Urt. v. 24.07.2007 - 1 K 1505/06 -, VENSA und Urt. v. 28.03.2007 -1 K 505/06 -).
34 
Dieser Maßstab einer "unerträglichen Härte" als Voraussetzung für eine Ermessensreduzierung "auf Null" gilt jedoch im vorliegenden Fall deshalb nicht, weil es der Kläger nicht etwa dabei hat bewenden lassen, den nationalen Rechtsweg durch die Inanspruchnahme der Verwaltungsgerichte bzw. sogar die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde mit dem Ziel der Aufhebung der Ausweisungsverfügung in Anspruch zu nehmen, sondern einen Schritt darüber hinausgegangen ist und den Rechtsschutz des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Rahmen der Individualbeschwerde in Anspruch genommen hat und zwar mit Erfolg. In einer solchen Konstellation aber kann seinem Begehren nach Aufhebung des vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs als rechtswidrig qualifizierten Ausweisungsbescheid nicht dessen Bestandskraft entgegengehalten werden, die hier lediglich deshalb nach wie vor vorliegt, weil selbst der stattgebenden Entscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs als solcher hinsichtlich dieses Bescheids keine kassatorische Wirkung zukommt (vgl. dazu Mayer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention, Handkommentar, 2. Aufl., 2006, Rdnr. 21 zu Art. 46 EMRK). Das lediglich eine Verletzung der Konvention feststellende Urteil des Menschenrechtsgerichtshofs begründet allerdings unmittelbar nach Art. 46 Abs. 1 EMRK eine Befolgungspflicht der Vertragsparteien und ihrer Organe und Behörden, hier also des Regierungspräsidiums als Behörde des Landes Baden-Württemberg, das wiederum ein Gliedstaat der Vertragspartei Bundesrepublik Deutschland ist. Die Feststellung einer Konventionsverletzung begründet für den beklagten Staat die Verpflichtung, die Konventionsverletzung abzustellen und Ersatz für die Folgen zu leisten, wenn möglich im Wege der Naturalrestitution (der EGMR spricht hier von "restitutio in integrum"), nämlich die Lage vor der Verletzung soweit wie möglich wieder herzustellen (EGMR, Urt. v. 28.11.2002, 25701/94 Nr. 72=NJW 2003, 1721). Dabei hat der Vertragsstaat einen Beurteilungsspielraum, wie er seine Pflichten aus dem Urteil erfüllen will (vgl. dazu Mayer-Ladewig, Rdnr. 23, a.a.O.). Das Bundesverfassungsgericht hat sich in einer Grundsatzentscheidung ausführlich zu dieser Befolgungspflicht aus Art. 46 EMRK geäußert und ausgeführt, dass zu der Bindung an Gesetz und Recht, wie sie in Art. 20 Abs. 3 GG den deutschen Behörden und Gerichten vorgegeben ist, auch die Berücksichtigung der EMRK und der Entscheidungen des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs zählt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 - 2 BvR 1481/04 -, BVerfGE 111, 307 = NJW 2004, 3407). Danach gilt, dass dann, wenn eine vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof festgestellte Verletzung noch andauert - etwa im Fall eines Eingriffs in das Privat- und Familienleben unter Verstoß gegen Art. 8 EMRK-, die Vertragspartei verpflichtet ist, diesen Zustand zu beenden. Dabei ist es Sache des beklagten Staates jedes Hindernis im innerstaatlichen Recht zu beseitigen, das einer Wiedergutmachung der Situation des Beschwerdeführers entgegensteht. Die EMRK als solche verhält sich dabei grundsätzlich indifferent zur innerstaatlichen Rechtsordnung und soll anders als das Recht einer supranationalen Organisation nicht unmittelbar in die staatliche Rechtsordnung eingreifen. Zur Bindung um Gesetz und Recht aus Art. 20 Abs. 3 GG zählt vor diesem Hintergrund aber insbesondere, dass die Entscheidungen des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs von nationalen Behörden und Gerichten im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung zu berücksichtigen sind. Für das Strafprozessrecht ergibt sich beispielsweise aus dem speziellen Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 6 StPO, dass dann, wenn der Europäische Menschenrechtsgerichtshof eine Verletzung der EMRK festgestellt hat und ein Urteil eines deutschen Strafgerichts in dieser Sache bereits rechtskräftig geworden ist, dieses Verfahren wieder aufzunehmen ist und das zuständige Gericht somit die Gelegenheit erhält, sich auf Antrag erneut mit dem an sich abgeschlossenen Fall zu befassen. In anderen Verfahrensordnungen ist die Frage, wie die Bundesrepublik Deutschland im Fall ihrer Verurteilung durch den Gerichtshof reagieren soll, wenn nationale Gerichtsverfahren rechtskräftig abgeschlossen sind, nicht abschließend beantwortet. Das Bundesverfassungsgericht verweist unter diesem Aspekt jedoch darauf, dass es Sachlagen geben kann, in denen deutsche Gerichte zwar nicht über die bereits entschiedene Rechtssache erneut entscheiden können, jedoch eine erneute Befassung aufgrund eines neuen Antrags oder veränderter Umstände vorgesehen ist oder in einer anderen Konstellation eine Befassung mit der Sache noch einmal nötig ist. Besteht eine solche Möglichkeit zu einer weiteren erneuten Entscheidung in einem Rahmen eines erneuten eigenen Verfahrens, so ist das einschlägige Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs zu berücksichtigen. Dabei trifft die deutschen Gerichte die Pflicht, solange im Rahmen geltender methodischer Standards Auslegungs- und Abwägungsspielräume eröffnet sind, der konventionsgemäßen Auslegung den Vorrang zu geben. Die Entscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs ist zur Kenntnis zu nehmen und auf den Fall anzuwenden, soweit die Anwendung nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere gegen Verfassungsrecht verstößt. Die Bundesrepublik Deutschland ist dabei hinsichtlich der Wahl der Mittel, mit denen das Urteil innerstaatlich umgesetzt werden muss, frei, sofern diese Mittel mit den Schlussfolgerungen aus dem Urteil vereinbar sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004, a.a.O.).
35 
Im vorliegenden Fall ist eine solche Verfahrenskonstellation gegeben, in der für das Regierungspräsidium bzw. das Verwaltungsgericht als kontrollierende Instanz im Rahmen der Prüfung des vom Kläger durch seinen Antrag auf Rücknahme des Ausweisungsbescheids in Gang gesetzten neuerlichen Verwaltungs- und Prüfungsverfahrens eine erneute Befassung mit der Ausweisungsentscheidung möglich ist, die der Europäische Menschenrechtsgerichtshof als rechtswidrig, weil Art. 8 EMRK verletzend, eingestuft hat.
36 
In diesem Kontext ist im Rahmen der Ermessensausübung hinsichtlich der beantragten Rücknahme der Ausweisungsverfügung nach § 48 Abs. 1 LVwVfG nicht mehr zu prüfen, ob die Aufrechterhaltung dieser Ausweisung "unerträglich hart" im Sinne der oben genannten Rechtsprechung wäre, sondern lediglich zu prüfen, ob allein die begehrte Rücknahme der Ausweisung den Konventionsanstoß aus der Welt schaffen und den Kläger bislang in seine missachteten Rechte aus Art. 8 EMRK wieder einsetzen kann, oder aber ob dies mit der gleichen Wirkung im selben Umfang auch durch eine andere unterhalb der Schwelle der vollständigen Aufhebung des Ausweisungsbescheids durch dessen Rücknahme verbleibende Maßnahme geschehen kann. Im Grundsatz gilt dabei, dass dann, wenn der Konventionsverstoß im Erlass eines Verwaltungsaktes lag, dieser nach den Vorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts aufgehoben werden muss (Mayer-Ladewig, a.a.O., Rdnr. 25). Allerdings kann diese Verpflichtung angesichts des bestehenden Spielraums des Vertragsstaats hinsichtlich der Frage, wie er die Konventionsverletzung nach seinen innerstaatlichen Rechtsvorschriften beseitigt, dann entfallen, wenn es eine ebenso wirksame andere Verwaltungsmaßnahme gibt.
37 
Im vorliegenden Fall liegt die Besonderheit darin, dass der Europäische Menschenrechtsgerichtshof ausweislich der Begründung seines Urteils zur Individualbeschwerde des Klägers nicht die Ausweisung "an sich", sondern nur deren unbefristeten Erlass als den eigentlichen Konventionsverstoß bezeichnet hat.
38 
Durch die vor diesem Hintergrund vom Regierungspräsidium verfügte nachträgliche Befristung der rechtskräftigen Ausweisung hat es jedoch den Konventionsverstoß gegen Art. 8 EMRK nicht in einer den Anforderungen dieses Artikels und der Rechtsprechung und des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs ausreichend Rechnung tragenden Weise beseitigt und damit der Befolgungspflicht nicht vollständig Genüge getan. Aus den nachfolgend dargestellten Gründen ist nach den jetzt geltenden Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes auch keine andere Möglichkeit als die vollständige rückwirkende Aufhebung der Ausweisungsverfügung des Widerspruchsbescheids durch Rücknahme ab dem Zeitpunkt ihres Erlasses möglich. Im vorliegenden Fall hat der Europäische Menschenrechtsgerichtshof die Verletzung des Klägers in seinem Recht auf Privat- und Familienleben aus Art. 8 EMRK nicht in der Ausweisung aus dem Bundesgebiet als solcher, sondern darin gesehen, dass diese Ausweisung unbefristet erfolgte. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass im Einzelfall aus der "unbegrenzten Dauer eines Aufenthaltsverbots" die Unverhältnismäßigkeit und damit die Rechtswidrigkeit eines Eingriffs in die Rechte eines Ausländers resultieren kann, der sich in Folge langjähriger Integration und Verwurzelung und/oder insbesondere familiärer Bindungen an das Aufnahmeland auf Art. 8 EMRK berufen kann (vgl. zuletzt EGMR, Urt. v. 22.03.2007 - 1638/03 -, Maslov -, InfAuslR 2007, 221 mit einer Übersicht über diese Rechtsprechung unter Rdnr. 44 dieses Urteils). Dabei geht der Gerichtshof ersichtlich davon aus, dass in den Fällen einer aus Gründen der Verhältnismäßigkeit erfolgenden Befristung der Ausweisung oder des Aufenthaltsverbots im Anschluss an das Ende der Frist eine Wiedereinreise des betreffenden Ausländers und damit eine Anknüpfung an die durch die Ausweisung bzw. des Aufenthaltsverbots unterbrochenen familiären aber auch sonstigen Lebenszusammenhänge im Aufnahmestaat stattfindet, so dass dann gerade keine dauerhafte, lebenslange Trennung von der Familie bzw. eine lebenslange Entfernung vom Territorium des Aufenthaltsstaates stattfindet. In der den Kläger selbst betreffenden Entscheidung vom 27.10.2005 hat dies der Gerichtshof unter Ziff. 66 der Urteilsgründe zum Ausdruck gebracht, in dem er hier ausführt, er sei der Ansicht, dass eine unbefristete "Versagung der Wiedereinreise in das Bundesgebiet" die Rechte des Beschwerdeführers auf sein Privat- und Familienleben aus Art. 8 EMRK verletze (siehe insoweit auch die Urteilsanmerkung zu dieser Entscheidung von Gutmann, InfAuslR 2006, 4, wonach der EGMR ersichtlich von einer "realen Rückkehrmöglichkeit ins Bundesgebiet" ausgehe; siehe insoweit auch Kloesel/Christ, Kommentar zum Ausländerrecht, 54. Lieferung, August 2004, Rdnr. 52.10 zu Art. 8 EMRK, wonach nach der Rechtsprechung des EGMR die Dauer der Ausweisung und deren Folgen "im Hinblick auf die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit einer erneuten Einreise" in den die Ausweisung verfügenden Mitgliedstaat nach dessen nationalen Vorschriften für die Frage der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung im Hinblick auf Art. 8 EMRK relevant sei; ähnlich hat der Europäische Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zur Verhältnismäßigkeit aufenthaltsbeschränkender Maßnahmen ausgeführt, die beschränkende Maßnahme müsse geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten und sie dürfe nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (vgl. dazu Hailbronner, AuslR, Kommentar, 51. Lieferung, Februar 2007, Rdnr. 9 zu Art. 14 ARB 1/80). Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof geht also offenkundig davon aus, dass es aus Gründen der Abwehr einer drohenden Gefahr, die von einem Ausländer ausgeht, in Einzelfällen nur verhältnismäßig ist, diesen Ausländer zeitweise vom Territorium des Aufenthaltsstaats fernzuhalten, was im Umkehrschluss impliziert, dass nach Ablauf der befristeten Dauer der Entfernung eine Wiedereinreise und Wiederanknüpfung an den bisher bestehenden, durch die zeitweise Entfernung unterbrochenen legalen Aufenthaltsstatus im Aufenthaltsstaat stattfindet (in diesem Sinne auch VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 25.09.2002 - 11 S 862/02 -, AUAS 2003, 75=NVwZ-RR 2003, 307, wonach im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung eine Ausweisung mit Blick auf Art. 8 EMRK z. B. auch relevant sei, ob es in Folge sonstiger Abschiebungshindernisse tatsächlich überhaupt zum Vollzug einer Abschiebung zwecks Beendigung des durch die Ausweisung unrechtmäßig gewordenen Aufenthalts ankomme und wonach bedeutsam sei, dass die Ausweisung in der Regel keine Maßnahme sei, die den Ausländer "auf Dauer aus dem Bundesgebiet ausschließt", sondern deren Wirkung auch befristet werden könne; siehe auch VGH Bad.-Württ., Urt. v. 26.07.2001 - 13 S 2401/99 -, InfAuslR 2002, 2=NVwZ 2002, Beilage I 4, 51, wonach ein Ausländer auf die Möglichkeit einer Befristung der Wirkung der Ausweisungen im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung allenfalls dann verwiesen werden kann, wenn die Gewährung eines Daueraufenthaltsrechts nach Ablauf der Frist voraussichtlich rechtlich in Betracht kommt und wonach es nicht genüge, wenn eine Befristung der Ausweisung zwar eine rechtliche Möglichkeit eröffne, zu Besuchszwecken ins Bundesgebiet einzureisen, wenn dies aber mangels erkennbaren Anspruchs auf Einräumung eines auf Dauer angelegten Aufenthaltsrechts nichts daran ändere, dass der Ausländer "unter Aufgabe seiner im Bundesgebiet erzielten Integration" gezwungen wäre, seinen Lebensmittelpunkt ins Ausland zu verlegen).
39 
Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverfassungsgericht (Beschl. v. 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -) darauf hingewiesen, dass eine Ausweisung selbst im Falle ihrer Befristung unverhältnismäßig sein könne, wenn damit für den Betreffenden ein unwiderbringlicher Verlust seines Privat- oder Familienlebens verbunden sei, weil das Aufenthaltsrecht nach dem Wegfall der Bindungen an das Bundesgebiet eine Wiedereinreise grundsätzlich nicht vorsehe und deshalb der Wegfall des Aufenthaltsverbots gem. § 11 Abs. 1 AufenthG nach Ende der Sperrfrist "ohne praktische Wirkung" bleibe. Darauf, dass die Rechtsprechung des EGMR dahin zu verstehen sei, dass nur eine zeitweilige Fernhaltung vom Aufenthaltsgebiet für eine bestimmte Zeitdauer zulässig sei, im Anschluss daran, aber eine Wiederanknüpfung an die frühere aufenthaltsrechtliche Position im Rahmen eines Wiedereinreiseanspruchs aus Gründen der Verhältnismäßigkeit geboten sei, wird auch in der Literatur hingewiesen (vgl. Marx, InfAuslR 2003, 374, der darauf verweist, dass ungeklärt sei, ob Art. 8 Abs. 1 EMRK faktischen Inländern nach der Ausweisung einen Wiedereinreiseanspruch verschaffe, insbesondere in den Fällen, in denen das innerstaatlichen Recht einen solchen nicht gewähre, die Ausweisung aber nur wegen ihrer begrenzten Zeitdauer verhältnismäßig sei; so auch Discher, GK-AufenthG, Lieferung Januar 2007, Rdnr. 836 und 883 vor §§ 53 AufenthG ff.).
40 
Durch die bloße Befristung der Ausweisung ist dem Kläger im vorliegenden Fall keine solche Wiederanknüpfung möglich. Er hat durch die Ausweisung seine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die er zuletzt nach insgesamt 27jährigem legalem Aufenthalt als Kind türkischer Arbeitnehmer und auch selbst als Arbeitnehmer gem. Art. 6 und 7 ARB 1/80 erteilt bekommen hatte, endgültig verloren, denn in Folge einer Ausweisung erlischt die Aufenthaltsgenehmigung (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG a.F. bzw. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG). Zugleich bewirkte die Ausweisung ein Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie eine Sperre für die Wiedererteilung einer neuerlichen Aufenthaltserlaubnis (vgl. § 8 Abs. 2 Satz 1 u. Satz 2 AuslG a.F. bzw. § 11 Abs. 1 Satz 1 u. Satz 2 AufenthG). Mit der bloßen Befristung dieser Wirkungen der Ausweisung (und der zudem erfolgten Abschiebung) auf den 03.04.2006 durch den Bescheid des Regierungspräsidiums vom 28.03.2006 ist hingegen ein Wiederaufleben der erloschenen unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nicht verbunden gewesen. Denn allein der Fortfall der Ausweisungs- und Abschiebungswirkungen begründet kein Einreise- und Aufenthaltsrecht. Vielmehr bedarf ein Ausländer in einem solchen Fall einer neuen Aufenthaltsgenehmigung, über deren Antrag nach den üblichen Grundsätzen zu entscheiden ist (vgl. Walter, NVwZ 2000, 274 <278> unter Verweis auf BVerwGE 60, 133 <138> = NJW 1981, 242).
41 
Im vorliegenden Fall hat dies für den Kläger zur Folge, dass er trotz der Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung und seiner Abschiebung mangels Rechtsanspruch auf Erteilung einer neuerlichen Aufenthaltserlaubnis nicht wieder ins Bundesgebiet zurückkehren und dort an seine durch die Ausweisung und Abschiebung für einige Jahre unterbrochenen privaten und familiären Lebensverhältnisse wieder anknüpfen kann (siehe dazu im Einzelnen unten).
42 
Obwohl also nach der Entscheidung des EGMR der Ausschluss seines Aufenthalts auf deutschem Territorium aus Gründen der Abwehr der vom Kläger für die öffentliche Sicherheit ausgehenden Gefahren durch die vom EGMR geforderte Befristung der Ausweisung nur für einen vorübergehenden Zeitraum zulässig gewesen wäre, weil aus Verhältnismäßigkeitsgründen einem derart langjährig durch sein Privatleben und/oder seine familiären Bindungen im Bundesgebiet Verwurzelten nicht allein aus vorübergehenden Gründen der Gefahrenabwehr dauerhaft und für immer seine Heimat und seine gesamten Integrationsleistungen genommen werden sollen, ist der Kläger von der Wiedererlangung seines vor der Ausweisung innegehabten aufenthaltsrechtlichen Status hier gänzlich ausgeschlossen.
43 
Aus seiner assoziationsrechtlichen Rechtsstellung nach Art. 6 bzw. 7 ARB 1/80 kann er nämlich kein eigenständiges Einreise- und Aufenthaltsrecht ableiten, vielmehr ist er nach dem Ende der Wirkung der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG einem normalen türkischen Staatsangehörigen gleichgestellt, der in das Bundesgebiet erstmals einreisen will (vgl. Armbruster, in: HTK-AuslR/ARB 1/80 / Art. 1405/207 Nr. 2 und Nr. 9; so auch VG Freiburg, Urt. v. 24.07.2007 - 1 K 1505/06 -). Denn ein Freizügigkeitsrecht türkischer Staatsangehöriger in die Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft besteht nicht (vgl. Hailbronner, AuslR, 51. Lieferung, Februar 2007, Rdnr. 22 Art. 4 ARB 1/80).
44 
Auch ein Anspruch auf Wiederkehr nach § 37 AufenthG scheidet hier aus, da der Kläger vor seiner Ausreise aus dem Bundesgebiet nicht mehr minderjährig war. Zudem könnte eine Aufenthaltserlaubnis nach § 37 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG auch schon deshalb versagt werden, weil der Kläger als Ausländer ausgewiesen war, als er das Bundesgebiet verließ (vgl. etwa zum Fall einer Versagung eines solchen Wiederkehrrechts für einen Jugendlichen wegen zuvor erfolgter Ausweisung: OVG Berlin, Beschl. v. 12.09.2002 - 8 N 142.01 -, AUAS 2003, 16=juris zu der vergleichbaren Vorgängervorschrift des § 16 AuslG; so zu § 37 Abs. 3 Nr. 1 auch Discher, GK-AufenthG, Lieferung Januar 2007, Rdnr. 154 vor  § 53 AufenthG).
45 
Ein Recht auf einen erneuten Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet kann ihm auch nicht etwa gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK gewährt werden. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 kann in begründeten Fällen eine Aufenthaltserlaubnis auch für einen von diesem Gesetz nicht vorgesehenen Aufenthaltszweck erteilt werden. Aus Art. 8 EMRK folgt jedoch nicht, dass hier dem Kläger zwingend nach dieser Vorschrift zur Vermeidung einer Verletzung des Art. 8 EMRK ein Aufenthaltsrecht erteilt werden müsste. Zwar hat der EGMR in der Sisojeva -Entscheidung (Urt. v. 16.06.2005 - Behörden-Nr. 60654/00 -, InfAuslR 2005, 349) ausgeführt, dass auch die Verweigerung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis einen Eingriff in Art. 8 EMRK darstellen kann. In der Sisojeva-II-Entscheidung hat der EGMR allerdings ausgeführt, dass es grundsätzlich Sache der Signatarstaaten ist, innerhalb der Regelungssystem ihre nationalen Aufenthalts-bestimmungen das angemessene Mittel zur Wahrung der Konvention zu wählen (Urt. v. 15.01.2007 - Beschwerde-Nr. 60654/00 -, InfAuslR 2007, 140). Dabei hat der EGMR in der Sisojeva-I-Entscheidung auf seine ständige Rechtsprechung verwiesen, dass aus Art. 8 EMRK selbst direkt kein Recht auf Einreise und Aufenthalt folgt. Bei § 7 Abs. 1 Satz 2 handelt es sich aber nur um eine Auffangregelung für unvorhergesehene Fälle, die obendrein nicht von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5, wie unter anderem der Sicherung des Lebensunterhalts (§ 5 Abs. 1 AufenthG) entbindet (vgl. HTK-Ausländerrecht, 07/2004, Überblick zu § 7 AufenthG und vorläufige Anwendungshinweise (VAH) Ziff. 7.1.3 zu § 7 AufenthG). Diese Vorschrift lässt sich also nur dazu nutzen, etwa einem vermögenden ausländischen Rentner oder Zweitwohnungsbesitzer den Aufenthalt in Deutschland zu gewähren (vgl. Ziff. 7.1.3 der vorläufigen Anwendungshinweise), dient jedoch ersichtlich nicht dazu, als "unvorhergesehenen Fall" i.S.d. § 7 Abs. 1 Satz 2 AufenthG außerhalb des Systems des spezifische Vorschriften für einen Daueraufenthalt in Deutschland zu Erwerbszwecken enthaltenden Aufenthaltsgesetzes einem ausgewiesenen Ausländer nach Ablauf der Sperrwirkung der Ausweisung erneut eine unbefristete Daueraufenthaltserlaubnis zu erteilen, um ihm so - letztlich unmittelbar auf Art. 8 EMRK gestützt - eine Anknüpfung und Fortführung an seine persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zu ermöglichen.
46 
Solche aufenthaltsrechtlichen Konstruktionen unter Einbeziehung der unmittelbaren Wirkungen des Art. 8 EMRK sind deshalb bisher auch von der Rechtsprechung lediglich im Zusammenhang mit § 25 Abs. 5 AufenthG in Betracht gezogen bzw. bejaht worden, der es ermöglicht, auch einem ausgewiesenen Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, allerdings voraussetzt, dass der Betreffende - anders als hier der Kläger - sich nach wie vor in Folge eines sich aus Art. 8 EMRK ergebenden unmittelbaren Abschiebungshindernisses und eines daraus resultierenden Vollzugshindernisses im Bundesgebiet befindet (vgl. zu dieser Konstruktion mit weiteren Nachweisen der Rechtsprechung zur sogenannten "Verwurzelung" Thym, InfAuslR 2007, 133 <136 ff.> und Bergmann, ZAR 2007, 128 sowie zuletzt z. B. VG Münster, Urt. v. 11.09.2007 -5 K 347/06- juris m.w.N.).
47 
Vor diesem Hintergrund ergibt sich auch kein Rechtsanspruch des Klägers auf (Wieder-) Erteilung einer (unbefristeten) Aufenthaltserlaubnis aus Art. 12 Abs. 4 des UN-Paktes über bürgerliche und politische Rechte (BGBl. 1973 II, Seite 1534) i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 2 AufenthG. Nach dieser Vorschrift des UN-Paktes darf niemandem willkürlich das Recht entzogen werden, in sein eigenes Land einzureisen. Auch wenn der Menschenrechts-ausschuss der Vereinten Nationen in seiner generellen Anmerkung Nr. 27 zum Recht aus Art. 12 des Paktes (UN.Doc. CCPR/C/21/Rev.1/Add.9 (1999)) unter Ziff. 20 ausführt, der Wortlaut dieser Vorschrift ermögliche eine weite Interpretation, die auch long-term residents, also dauerhaft aufenthaltsberechtigte Ausländer umfassen könnte, die enge und dauerhafte Beziehungen zu dem Land ihres Aufenthalts begründet haben, folgt daraus noch nicht, dass im Falle einer Ausweisung und Abschiebung nach Ende einer Sperrfrist ein zwingender Rechtsanspruch auf Ermöglichung der Wiedereinreise durch Erteilung eines Aufenthaltstitels begründet wäre. Nach Sinn und Zweck dieser Vorschrift soll nämlich insbesondere verhindert werden, dass ein Staat durch Ausbürgerung oder willkürliche Abschiebung eine Person grundlos von ihrem Land bzw. dem Land ihres dauernden Aufenthalts fernhält. Für  Fälle der Abschiebung aber sieht Art. 13 des UN-Paktes eine spezielle Regelung vor, die Ausländer, welche sich rechtmäßig in einem Aufenthaltsstaat aufhalten, davor schützt, ohne gesetzliche Grundlage und gerichtliche Kontrolle ausgewiesen und abgeschoben zu werden. Ein unmittelbares "Recht auf Heimat", wie es sich etwa bei weiter Auslegung des Art. 8 EMRK mit Blick auf eine langjährige Verwurzelung in einem Aufenthaltsstaat unter dem Aspekt des Schutzes des Privatlebens nach der Rechtsprechung des EGMR ergeben kann, folgt daraus jedoch nicht (in der Literatur wird ohnedies schon der Ansatz des Menschenrechtsausschusses der UN bezweifelt, Art. 12 Abs. 4 auch auf Ausländer mit Daueraufenthaltsrecht anzuwenden: siehe Hailbronner, Kommentar zum Ausländerrecht, § 11 AufenthG, Rdnr. 16).
48 
Für das vergleichbare Verbot in Art. 3 des 4. Zusatzprotokolls zur EMRK vom 16.09.1963 (Neubekanntmachung: BGBl. 2002, II, S. 1054) ergibt sich dies schon aus dem Wortlaut. Nach dieser Vorschrift darf niemandem das Recht entzogen werden, in das Hoheitsgebiet des Staates einzureisen, dessen Angehöriger er ist. Daraus folgt, dass Art. 3 für Ausländer nicht gilt (so die Europäische Menschenrechtskommission in ihrer Entscheidung vom 24.05.1974, DR 46, 202 im Verfahren I.B. und der EGMR in der Sisojeva-I-Entscheidung [s.o., a.a.O.]).
49 
Selbst ein nur abgeleiteter Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs des Klägers zu seiner hier im Bundesgebiet mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis lebenden Ehefrau und seinen sich ebenfalls mit unbefristeter Aufenthaltserlaubnis hier aufhaltenden minderjährigen Kindern ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Nach § 27 Abs. 1 AufenthG wird zwar einem Ausländer zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft mit im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen zum Schutz von Ehe und Familie gem. Art. 6 GG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt und verlängert. Nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ist einem Ehegatten eines Ausländers eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn dieser Ausländer eine Niederlassungserlaubnis besitzt. Von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 (Sicherung des Lebensunterhaltes) entbinden diese Vorschriften jedoch nicht. Deshalb aber ist das vom Kläger vom Ausland aus betriebene Visumsverfahren zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bisher auch gescheitert, weil es ihm offenbar bislang nicht gelungen ist, entsprechende Nachweise der Sicherung des Lebensunterhalts bzw. der fehlenden Sozialhilfebedürftigkeit seiner Familienangehörigen (§ 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG) nachzuweisen.
50 
Im Ergebnis wird der Kläger also unter diesen Umständen dauerhaft vom Bundesgebiet ferngehalten, ohne dass es ihm erneut möglich ist, im Wege der Wiedereinreise und auf der Basis der Erteilung einer neuerlichen Aufenthaltserlaubnis sich wieder legal hier aufzuhalten und damit an seine durch die Ausweisung unterbrochenen privaten und auch familiären Beziehungen im Bundesgebiet anzuknüpfen, wie er sie während seines 27jährigen legalen Aufenthalts hier geknüpft hat.
51 
Das aber ist nach dem oben Gesagten mit der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 8 EMRK nicht zu vereinbaren. Die bloße Befristung der Wirkungen der Ausweisung geht hier vielmehr ins Leere. Dass der EGMR dies mit seiner Forderung nach einer befristeten Ausreise gebilligt hätte, lässt sich entgegen der Ansicht des Beklagten auch nicht daraus entnehmen, dass der EGMR in der stattgebenden Entscheidung zur Individualbeschwerde des Klägers die seinerzeit noch geltende Befristungsregelung nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG a.F. (bzw. heute § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) gesehen und erwähnt hat. Denn allein aus diesem Umstand folgt noch nicht, dass der EGMR tatsächlich im Einzelnen die Auswirkungen dieser Regel geprüft und gebilligt hätte. Vielmehr ist der Rechtsprechung des EGMR an vielen Stellen zu entnehmen, dass es der EGMR allein den Signatarstaaten überlässt, im Einzelnen ihre nationalen Regelungen auszulegen und anzuwenden, ohne sich hier etwa durch eine eigene Auslegung und Anwendung in innerstaatliches Recht und dessen Vollzug "einzumischen" (vgl. zu dieser "Subsidiarität" zuletzt Thym, InfAuslR 2007, 133 <135 ff.>). Auch in der vorliegenden Entscheidung zur Individualbeschwerde des Klägers hat der EGMR ersichtlich nicht weiter die Einwände der Bundesregierung im damaligen Beschwerdeverfahren geprüft, der Kläger selbst habe in dem antragsgebundenen Befristungsverfahren selbst noch gar keinen wirksamen Befristungsantrag gestellt bzw. über diese sei noch nicht zu entscheiden gewesen (siehe dazu Rdnr. 65 des Urteils vom 27.10.2005 - 32231/02 -; auch in der Entscheidung Yilmaz - Urt. v. 17.04.2003 - 52853/99 = NJW 2004, 2147 - dort Ziff. 47 und 48 - hat der EGMR zwar das Argument der Bundesregierung gesehen, dass der erforderliche Befristungsantrag gar nicht wirksam gestellt worden war, hat sich jedoch dadurch nicht daran gehindert gesehen, im nächst folgenden Abschnitt - Rdnr. 48 - gleichwohl die Ausweisung wegen ihrer fehlenden Befristung als unverhältnismäßig und damit als Verstoß gegen Art. 8 EMRK einzustufen). Der EGMR vertritt nach allem ganz offenkundig den Standpunkt, dass es Sache der nationalen Behörden und Gerichte bzw. dann wenn es die nationalen Rechtsvorschriften mangels anderweitiger Ermessens- bzw. Auslegungsspielräume nicht hergeben, Sache des Gesetzgebers ist, durch entsprechende Auslegung und Anwendung der nationalen Vorschriften bzw. durch deren Ergänzung und Änderung dafür Sorge zu tragen, dass den Verpflichtungen aus der Konvention Genüge getan wird (vgl. zur Verpflichtung aus Art. 46 EMRK zur Abhilfe bei strukturellen Mängeln der nationalen Rechtsordnung und ggf. zu einer Änderung der nationalen Rechtsnormen Mayer-Ladewig, a.a.O., Rdnr. 23 und Rdnr. 33 und 34 zu Art. 46 EMRK).
52 
Da das nationale Recht nach dem oben Gesagten dem Kläger keinen Anspruch (mehr) auf (Wieder-)Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Begründung eines neuerlichen Daueraufenthalts im Bundesgebiet gewährt, kommt im vorliegenden Fall zur (Wieder-) Herstellung des vom Kläger vor der Ausweisung innegehabten Rechtsstatus, der durch die Ausweisung erloschen ist und nach dem Gesagten durch die bloße Befristung der Ausweisungswirkungen auch nicht wieder auflebt, nach allem lediglich eine Rücknahme der Ausweisungsentscheidung in Betracht, um der Rechtssprechung des EGMR und seiner Forderung nach einer lediglich befristeten Wirkung der Ausweisung im Sinne eines nur vorläufigen befristeten Entzugs des Aufenthaltsrechts, zu genügen. Nicht zu verfangen vermag im vorliegenden Kontext der Hinweis darauf, dass jedenfalls dem sekundären Gemeinschaftsrecht die Aufspaltung in den Verlust des Freizügigkeitsrechts einerseits und in die nachfolgende Befristung dieser Wirkung andererseits nicht fremd ist, weil z. B. Art. 32 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG [Freizügigkeitsrichtlinie] vorsieht, dass ein Unionsbürger, der sein Aufenthaltsrecht aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verloren hat, einen Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbots unter Hinweis auf veränderte Umstände stellen und dann einen neuerlichen Anspruch auf Zuzug ins Bundesgebiet geltend machen kann (vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Urt. v. 28.06.2007 - 13 S 1045/07 - VENSA). Denn dem Kläger, als lediglich Assoziationsberechtigtem, steht anders als einem freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger ein solches Zuzugsrecht gerade nicht regelmäßig zu, weshalb es in seinem Fall durchaus eine Rolle spielt, dass er durch die Ausweisung sein Aufenthaltsrecht gänzlich verloren hat und es auch durch eine Befristung der Sperrwirkung für eine Wiedererteilung im Rahmen eines neuerlichen Antrags auf Aufenthaltserlaubnis nicht wieder erlangt, während dies bei einem grundsätzlich zuzugsberechtigten EU-Bürger nicht diese Folge hat.
53 
Der Kläger kann eine vollständige Rücknahme der Ausweisung ab dem Zeitpunkt ihres Erlasses verlangen.
54 
Geklärt ist in der Rechtsprechung, dass die rückwirkende Beseitigung einer bestandskräftigen Ausweisungsverfügung im Wege der Rücknahme gem. § 48 LVwVfG neben der Befristung der Ausweisungswirkungen nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG a.F. bzw. § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG zulässig ist, also anders als der Widerruf der Ausweisung nach § 49 LVwVfG nicht etwa durch die Befristungsregelungen im Wege der Spezialität verdrängt wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140 <143> = InfAuslR 2000, 176 und ebenso VGH Bad.-Württ., Urt. v. 10.03.1999 - 13 S 2208/97 - InfAuslR 1999, 338; siehe auch Discher, GK-AufenthG, Januar 2007, Rdnr. 155 ff. vor § 53 AufenthG).
55 
Grundsätzlich ist zwar nach § 48 Abs. 1 Satz 1 die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts auch nach Eintritt seiner Unanfechtbarkeit ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit möglich. Von daher wäre im Grundsatz denkbar, dass das beklagte Land die Ausweisungsverfügung gem. § 48 VwVfG rückwirkend, aber nicht bezogen auf den Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung, sondern bezogen auf den Zeitpunkt der Befristung ihrer Wirkung (hier den 03.04.2006) zurücknimmt, um so der Forderung des EGMR nach einer nur befristeten Dauer der Wirkung dieser Ausweisung Rechnung zu tragen. Diese Möglichkeit scheidet jedoch im vorliegenden Fall aufgrund der Systematik des Aufenthaltsgesetzes aus, welches eindeutig der Ausweisung die Gestaltungswirkung eines vollständigen Entzugs des zuvor vom betroffenen Ausländer innegehabten Aufenthaltsrechts beimisst (vgl. § 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG a.F. bzw. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) und kein Wiederaufleben dieser einmal durch die Ausweisung entzogenen Aufenthaltserlaubnis, sondern lediglich die (Wieder-)Erteilung einer neuen eigenständigen Aufenthaltserlaubnis aufgrund eines neuen eigenen Antrags nach Ablauf der Sperrwirkung für eine solche Wiedererteilung in Folge einer entsprechenden Befristung dieser Sperrwirkung vorsieht (siehe etwa die vergleichbare Situation im Fall der Wiedererteilung einer Gewerbe- oder Fahrerlaubnis nach vorangegangenem Entzug einer solchen Erlaubnis und Ablauf einer entsprechenden Sperrfrist). Im vorliegenden Fall des Entzugs einer Aufenthaltserlaubnis durch eine Ausweisung verbleibt in Folge der Gestaltungswirkung dieses Entzugs von der damit vollständig zum Erlöschen gebrachten Aufenthaltserlaubnis also nicht etwa ein des erneuten Wirksamwerdens fähiger Restbestand, der nach einer nur teilweise, das heißt nicht vollständig bis zum Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung rückwirkenden Rücknahme weiter besteht bzw. wieder auflebt (zur grundsätzlichen Zulässigkeit der Wahl eines jeden Zeitpunkts zwischen dem Rücknahmebescheid und dem Zeitpunkt des Erlasses des zurückgenommenen Bescheids im Rahmen des § 48 Abs. 1 ["Mit Wirkung für die Vergangenheit"]: Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, 6. Aufl. 2001, Rdnr. 113, § 48 unter Verweis auf Bayr. VGH, ZBR 1991, 380). Von daher ist es verfahrensrechtlich nach den Rücknahmeregeln ausgeschlossen, die Ausweisung nur für die Zeit ab Erlass des Befristungsbescheids zurückzunehmen und ihr somit bis dahin, aber auch nur bis dahin, die Wirkungen eines Entzugs der Aufenthaltserlaubnis zu belassen, um so die nach der Rechtsprechung des EGMR geforderte Befristung des Entzugs des Aufenthaltsrechts zu erzielen.
56 
Nach allem ist die Konstruktion eines lediglich zeitweise wirkenden Entzugs der Aufenthaltserlaubnis mit anschließendem Wiederaufleben derselben nach den Vorschriften des Deutschen Verwaltungsverfahrensrechts und des Aufenthaltsrecht nicht möglich. Deshalb bleibt hier als einzige Möglichkeit, der Rechtsprechung des EGMR im folgenden Fall Rechnung zu tragen, nur die vollständige Rücknahme der Ausweisung ab dem Zeitpunkt ihres Erlasses, womit die vom Kläger vor der Ausweisung innegehabte befristete Aufenthaltserlaubnis nahtlos weiter fortbesteht.
57 
Das führt im vorliegenden Fall zudem nicht zu einem unbilligen Ergebnis, da der Kläger in Folge des tatsächlichen Vollzugs der Ausweisung durch seine Abschiebung in die Türkei und durch den jahrelangen Aufenthalt dort tatsächlich längst für die durch die Befristung der Ausweisung vom Beklagten geforderte zulässige Übergangszeit vom Territorium des Bundesgebiets entfernt worden war, so dass der Gefahrenabwehrzweck der Ausweisung sich tatsächlich auch realisiert hat.
58 
Für zukünftige Fälle wird es zur Vermeidung unvertretbarer Ergebnisse erforderlich sein, dass der Gesetzgeber entweder ein ausdrückliches Wiederkehrrecht regelt oder eine Konstruktion der Ausweisungswirkungen dahin neu regelt, dass die Ausweisung, wenn sie - beispielsweise um den Anforderungen des Art. 8 EMRK zu genügen - nur befristet verfügt wird oder nachträglich befristet wird, dann auch nur zu einem zeitweiligen Entzug der Aufenthaltserlaubnis führt. Die aktuell gültige Konstruktion jedenfalls, die den betreffenden Ausländer nach seiner Ausweisung vollständig auf den Status eines sich neu und erstmals um die Einreise bewerbenden Ausländers zurückwirft wird, wie der vorliegende Fall augenfällig zeigt, Situationen offenkundig nicht gerecht, in denen der Ausländer sich jahrzehntelang legal im Bundesgebiet aufgehalten hat und dieser Aufenthalt aus Gefahrenabwehrgründen nur zeitweise ausgeschlossen werden darf ohne dass damit dem Betreffenden gänzlich oder gar bis ans Lebensende die in Deutschland gefundene Heimat, Verwurzelung oder gar die dort verbliebene Familie genommen werden, weil dies gemessen an dem bloßen Gefahrenabwehrzweck schlichtweg eine das Übermaßverbot verletzende Reaktion darstellen würde.
59 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO.
60 
Die Berufung wird nach §§ 124 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen. Es ist bislang obergerichtlich nicht geklärt, wie in Fällen eines fehlenden Wiedereinreiserechts der von der Rechtsprechung des EGMR geforderten Befristung einer Ausweisung Rechnung zu tragen ist.

Gründe

 
25 
Das Gericht entscheidet durch den Berichterstatter, nachdem sich die Beteiligten übereinstimmend mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 87a Abs. 2 u. 3 VwGO).
26 
Soweit der Kläger seine Klage gegen das Land Baden-Württemberg - Regierungspräsidium Freiburg - hinsichtlich der Verpflichtung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zurückgenommen hat, ist das Verfahren einzustellen (§ 92 Abs. 3 VwGO).
27 
Im Übrigen ist die Klage auf Aufhebung des Bescheids des Regierungspräsidiums Freiburg vom 17.07.2007 (Ziff. 1 u. 2 des Bescheids) und auf Verpflichtung des Regierungspräsidiums zur Aufhebung (Rücknahme) des Ausweisungsbescheids vom 22.01.1999 und (deklaratorisch) der Aufhebung des entsprechenden Widerspruchsbescheids vom 11.02.1999 zulässig und begründet.
28 
Der Bescheid vom 17.07.2007 (Ziff. 1 und 2) ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, denn er hat Anspruch auf die Verpflichtung des Regierungspräsidiums zu der von ihm begehrten Rücknahme des Ausweisungsbescheids und des diesen bestätigenden Widerspruchsbescheids (§ 113 Abs. 1 Satz 1 u. Abs. 5 Satz 1 VwGO).
29 
Nach § 48 Abs. 1 LVwVfG kann eine rechtswidrige aber bestandskräftige Ausweisung ganz oder teilsweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.12.1999, BVerwGE 110, 140 = InfAuslR 2000, 176; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.03.1999, InfAuslR 1999, 338).
30 
Im vorliegenden Fall steht aufgrund der zur Individualbeschwerde des Klägers ergangenen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für die Beteiligten verbindlich fest, dass die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Freiburg vom 22.01.1999 (und damit auch der sie bestätigende Widerspruchsbescheid vom 11.02.1999) entgegen der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts Freiburg und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg, welche die Rechtmäßigkeit dieser Verfügungen in den vom Kläger zuvor angestrengten verwaltungsgerichtlichen Verfahren bestätigt hatten, tatsächlich rechtswidrig waren.
31 
Das Rücknahmeermessen des Regierungspräsidiums Freiburg (§ 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG) war damit eröffnet, ist aber vom Regierungspräsidium mit dem hier angegriffenen Bescheid vom 17.07.2007 nicht ermessensfehlerfrei (§ 40 LVwVfG und § 114 VwGO) ausgeübt wurden.
32 
Vielmehr hat der Kläger wegen einer Reduzierung dieses Rücknahmeermessens "auf Null" einen Rechtsanspruch auf die ihm bisher vom Regierungspräsidium versagte Rücknahme dieser Ausweisung und des Widerspruchsbescheids.
33 
Zwar steht nach einhelliger Rechtsprechung fest, dass eine solche Ermessensreduzierung auf Null hinsichtlich der Rücknahme eines rechtswidrigen bzw. auch gemeinschafts-rechtswidrigen, aber - wie im vorliegenden Fall - nach den nationalen Vorschriften bestandskräftig gewordenen Verwaltungsaktes nur dann anzunehmen ist, wenn die Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Verwaltungsaktes unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles und der Gewichtung der Einzelfallgerechtigkeit einerseits sowie dem verfassungsrechtlich verbürgten Prinzip der Bestandskraft andererseits "schlechthin unerträglich" ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.03.2005 - 3 B 86/04 -, DÖV 2005, 651 und Beschl. v. 07.07.2004 - 6 C 24/03 -, Urt. v. 17.01.2007 - 6 C 32.06 -juris, BVerwGE 121, 126 sowie VGH Bad.-Württ., Urt. v. 24.01.2007 - 13 S 451/06 -, InfAuslR 2007, 182 und Urt. v. 28.06.2007 - 13 S 1045/07 -, FamRZ 2007, 1555=VENSA; siehe dazu auch VG Freiburg, Urt. v. 24.07.2007 - 1 K 1505/06 -, VENSA und Urt. v. 28.03.2007 -1 K 505/06 -).
34 
Dieser Maßstab einer "unerträglichen Härte" als Voraussetzung für eine Ermessensreduzierung "auf Null" gilt jedoch im vorliegenden Fall deshalb nicht, weil es der Kläger nicht etwa dabei hat bewenden lassen, den nationalen Rechtsweg durch die Inanspruchnahme der Verwaltungsgerichte bzw. sogar die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde mit dem Ziel der Aufhebung der Ausweisungsverfügung in Anspruch zu nehmen, sondern einen Schritt darüber hinausgegangen ist und den Rechtsschutz des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Rahmen der Individualbeschwerde in Anspruch genommen hat und zwar mit Erfolg. In einer solchen Konstellation aber kann seinem Begehren nach Aufhebung des vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs als rechtswidrig qualifizierten Ausweisungsbescheid nicht dessen Bestandskraft entgegengehalten werden, die hier lediglich deshalb nach wie vor vorliegt, weil selbst der stattgebenden Entscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs als solcher hinsichtlich dieses Bescheids keine kassatorische Wirkung zukommt (vgl. dazu Mayer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention, Handkommentar, 2. Aufl., 2006, Rdnr. 21 zu Art. 46 EMRK). Das lediglich eine Verletzung der Konvention feststellende Urteil des Menschenrechtsgerichtshofs begründet allerdings unmittelbar nach Art. 46 Abs. 1 EMRK eine Befolgungspflicht der Vertragsparteien und ihrer Organe und Behörden, hier also des Regierungspräsidiums als Behörde des Landes Baden-Württemberg, das wiederum ein Gliedstaat der Vertragspartei Bundesrepublik Deutschland ist. Die Feststellung einer Konventionsverletzung begründet für den beklagten Staat die Verpflichtung, die Konventionsverletzung abzustellen und Ersatz für die Folgen zu leisten, wenn möglich im Wege der Naturalrestitution (der EGMR spricht hier von "restitutio in integrum"), nämlich die Lage vor der Verletzung soweit wie möglich wieder herzustellen (EGMR, Urt. v. 28.11.2002, 25701/94 Nr. 72=NJW 2003, 1721). Dabei hat der Vertragsstaat einen Beurteilungsspielraum, wie er seine Pflichten aus dem Urteil erfüllen will (vgl. dazu Mayer-Ladewig, Rdnr. 23, a.a.O.). Das Bundesverfassungsgericht hat sich in einer Grundsatzentscheidung ausführlich zu dieser Befolgungspflicht aus Art. 46 EMRK geäußert und ausgeführt, dass zu der Bindung an Gesetz und Recht, wie sie in Art. 20 Abs. 3 GG den deutschen Behörden und Gerichten vorgegeben ist, auch die Berücksichtigung der EMRK und der Entscheidungen des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs zählt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 - 2 BvR 1481/04 -, BVerfGE 111, 307 = NJW 2004, 3407). Danach gilt, dass dann, wenn eine vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof festgestellte Verletzung noch andauert - etwa im Fall eines Eingriffs in das Privat- und Familienleben unter Verstoß gegen Art. 8 EMRK-, die Vertragspartei verpflichtet ist, diesen Zustand zu beenden. Dabei ist es Sache des beklagten Staates jedes Hindernis im innerstaatlichen Recht zu beseitigen, das einer Wiedergutmachung der Situation des Beschwerdeführers entgegensteht. Die EMRK als solche verhält sich dabei grundsätzlich indifferent zur innerstaatlichen Rechtsordnung und soll anders als das Recht einer supranationalen Organisation nicht unmittelbar in die staatliche Rechtsordnung eingreifen. Zur Bindung um Gesetz und Recht aus Art. 20 Abs. 3 GG zählt vor diesem Hintergrund aber insbesondere, dass die Entscheidungen des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs von nationalen Behörden und Gerichten im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung zu berücksichtigen sind. Für das Strafprozessrecht ergibt sich beispielsweise aus dem speziellen Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 6 StPO, dass dann, wenn der Europäische Menschenrechtsgerichtshof eine Verletzung der EMRK festgestellt hat und ein Urteil eines deutschen Strafgerichts in dieser Sache bereits rechtskräftig geworden ist, dieses Verfahren wieder aufzunehmen ist und das zuständige Gericht somit die Gelegenheit erhält, sich auf Antrag erneut mit dem an sich abgeschlossenen Fall zu befassen. In anderen Verfahrensordnungen ist die Frage, wie die Bundesrepublik Deutschland im Fall ihrer Verurteilung durch den Gerichtshof reagieren soll, wenn nationale Gerichtsverfahren rechtskräftig abgeschlossen sind, nicht abschließend beantwortet. Das Bundesverfassungsgericht verweist unter diesem Aspekt jedoch darauf, dass es Sachlagen geben kann, in denen deutsche Gerichte zwar nicht über die bereits entschiedene Rechtssache erneut entscheiden können, jedoch eine erneute Befassung aufgrund eines neuen Antrags oder veränderter Umstände vorgesehen ist oder in einer anderen Konstellation eine Befassung mit der Sache noch einmal nötig ist. Besteht eine solche Möglichkeit zu einer weiteren erneuten Entscheidung in einem Rahmen eines erneuten eigenen Verfahrens, so ist das einschlägige Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs zu berücksichtigen. Dabei trifft die deutschen Gerichte die Pflicht, solange im Rahmen geltender methodischer Standards Auslegungs- und Abwägungsspielräume eröffnet sind, der konventionsgemäßen Auslegung den Vorrang zu geben. Die Entscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs ist zur Kenntnis zu nehmen und auf den Fall anzuwenden, soweit die Anwendung nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere gegen Verfassungsrecht verstößt. Die Bundesrepublik Deutschland ist dabei hinsichtlich der Wahl der Mittel, mit denen das Urteil innerstaatlich umgesetzt werden muss, frei, sofern diese Mittel mit den Schlussfolgerungen aus dem Urteil vereinbar sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004, a.a.O.).
35 
Im vorliegenden Fall ist eine solche Verfahrenskonstellation gegeben, in der für das Regierungspräsidium bzw. das Verwaltungsgericht als kontrollierende Instanz im Rahmen der Prüfung des vom Kläger durch seinen Antrag auf Rücknahme des Ausweisungsbescheids in Gang gesetzten neuerlichen Verwaltungs- und Prüfungsverfahrens eine erneute Befassung mit der Ausweisungsentscheidung möglich ist, die der Europäische Menschenrechtsgerichtshof als rechtswidrig, weil Art. 8 EMRK verletzend, eingestuft hat.
36 
In diesem Kontext ist im Rahmen der Ermessensausübung hinsichtlich der beantragten Rücknahme der Ausweisungsverfügung nach § 48 Abs. 1 LVwVfG nicht mehr zu prüfen, ob die Aufrechterhaltung dieser Ausweisung "unerträglich hart" im Sinne der oben genannten Rechtsprechung wäre, sondern lediglich zu prüfen, ob allein die begehrte Rücknahme der Ausweisung den Konventionsanstoß aus der Welt schaffen und den Kläger bislang in seine missachteten Rechte aus Art. 8 EMRK wieder einsetzen kann, oder aber ob dies mit der gleichen Wirkung im selben Umfang auch durch eine andere unterhalb der Schwelle der vollständigen Aufhebung des Ausweisungsbescheids durch dessen Rücknahme verbleibende Maßnahme geschehen kann. Im Grundsatz gilt dabei, dass dann, wenn der Konventionsverstoß im Erlass eines Verwaltungsaktes lag, dieser nach den Vorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts aufgehoben werden muss (Mayer-Ladewig, a.a.O., Rdnr. 25). Allerdings kann diese Verpflichtung angesichts des bestehenden Spielraums des Vertragsstaats hinsichtlich der Frage, wie er die Konventionsverletzung nach seinen innerstaatlichen Rechtsvorschriften beseitigt, dann entfallen, wenn es eine ebenso wirksame andere Verwaltungsmaßnahme gibt.
37 
Im vorliegenden Fall liegt die Besonderheit darin, dass der Europäische Menschenrechtsgerichtshof ausweislich der Begründung seines Urteils zur Individualbeschwerde des Klägers nicht die Ausweisung "an sich", sondern nur deren unbefristeten Erlass als den eigentlichen Konventionsverstoß bezeichnet hat.
38 
Durch die vor diesem Hintergrund vom Regierungspräsidium verfügte nachträgliche Befristung der rechtskräftigen Ausweisung hat es jedoch den Konventionsverstoß gegen Art. 8 EMRK nicht in einer den Anforderungen dieses Artikels und der Rechtsprechung und des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs ausreichend Rechnung tragenden Weise beseitigt und damit der Befolgungspflicht nicht vollständig Genüge getan. Aus den nachfolgend dargestellten Gründen ist nach den jetzt geltenden Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes auch keine andere Möglichkeit als die vollständige rückwirkende Aufhebung der Ausweisungsverfügung des Widerspruchsbescheids durch Rücknahme ab dem Zeitpunkt ihres Erlasses möglich. Im vorliegenden Fall hat der Europäische Menschenrechtsgerichtshof die Verletzung des Klägers in seinem Recht auf Privat- und Familienleben aus Art. 8 EMRK nicht in der Ausweisung aus dem Bundesgebiet als solcher, sondern darin gesehen, dass diese Ausweisung unbefristet erfolgte. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass im Einzelfall aus der "unbegrenzten Dauer eines Aufenthaltsverbots" die Unverhältnismäßigkeit und damit die Rechtswidrigkeit eines Eingriffs in die Rechte eines Ausländers resultieren kann, der sich in Folge langjähriger Integration und Verwurzelung und/oder insbesondere familiärer Bindungen an das Aufnahmeland auf Art. 8 EMRK berufen kann (vgl. zuletzt EGMR, Urt. v. 22.03.2007 - 1638/03 -, Maslov -, InfAuslR 2007, 221 mit einer Übersicht über diese Rechtsprechung unter Rdnr. 44 dieses Urteils). Dabei geht der Gerichtshof ersichtlich davon aus, dass in den Fällen einer aus Gründen der Verhältnismäßigkeit erfolgenden Befristung der Ausweisung oder des Aufenthaltsverbots im Anschluss an das Ende der Frist eine Wiedereinreise des betreffenden Ausländers und damit eine Anknüpfung an die durch die Ausweisung bzw. des Aufenthaltsverbots unterbrochenen familiären aber auch sonstigen Lebenszusammenhänge im Aufnahmestaat stattfindet, so dass dann gerade keine dauerhafte, lebenslange Trennung von der Familie bzw. eine lebenslange Entfernung vom Territorium des Aufenthaltsstaates stattfindet. In der den Kläger selbst betreffenden Entscheidung vom 27.10.2005 hat dies der Gerichtshof unter Ziff. 66 der Urteilsgründe zum Ausdruck gebracht, in dem er hier ausführt, er sei der Ansicht, dass eine unbefristete "Versagung der Wiedereinreise in das Bundesgebiet" die Rechte des Beschwerdeführers auf sein Privat- und Familienleben aus Art. 8 EMRK verletze (siehe insoweit auch die Urteilsanmerkung zu dieser Entscheidung von Gutmann, InfAuslR 2006, 4, wonach der EGMR ersichtlich von einer "realen Rückkehrmöglichkeit ins Bundesgebiet" ausgehe; siehe insoweit auch Kloesel/Christ, Kommentar zum Ausländerrecht, 54. Lieferung, August 2004, Rdnr. 52.10 zu Art. 8 EMRK, wonach nach der Rechtsprechung des EGMR die Dauer der Ausweisung und deren Folgen "im Hinblick auf die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit einer erneuten Einreise" in den die Ausweisung verfügenden Mitgliedstaat nach dessen nationalen Vorschriften für die Frage der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung im Hinblick auf Art. 8 EMRK relevant sei; ähnlich hat der Europäische Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zur Verhältnismäßigkeit aufenthaltsbeschränkender Maßnahmen ausgeführt, die beschränkende Maßnahme müsse geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten und sie dürfe nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (vgl. dazu Hailbronner, AuslR, Kommentar, 51. Lieferung, Februar 2007, Rdnr. 9 zu Art. 14 ARB 1/80). Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof geht also offenkundig davon aus, dass es aus Gründen der Abwehr einer drohenden Gefahr, die von einem Ausländer ausgeht, in Einzelfällen nur verhältnismäßig ist, diesen Ausländer zeitweise vom Territorium des Aufenthaltsstaats fernzuhalten, was im Umkehrschluss impliziert, dass nach Ablauf der befristeten Dauer der Entfernung eine Wiedereinreise und Wiederanknüpfung an den bisher bestehenden, durch die zeitweise Entfernung unterbrochenen legalen Aufenthaltsstatus im Aufenthaltsstaat stattfindet (in diesem Sinne auch VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 25.09.2002 - 11 S 862/02 -, AUAS 2003, 75=NVwZ-RR 2003, 307, wonach im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung eine Ausweisung mit Blick auf Art. 8 EMRK z. B. auch relevant sei, ob es in Folge sonstiger Abschiebungshindernisse tatsächlich überhaupt zum Vollzug einer Abschiebung zwecks Beendigung des durch die Ausweisung unrechtmäßig gewordenen Aufenthalts ankomme und wonach bedeutsam sei, dass die Ausweisung in der Regel keine Maßnahme sei, die den Ausländer "auf Dauer aus dem Bundesgebiet ausschließt", sondern deren Wirkung auch befristet werden könne; siehe auch VGH Bad.-Württ., Urt. v. 26.07.2001 - 13 S 2401/99 -, InfAuslR 2002, 2=NVwZ 2002, Beilage I 4, 51, wonach ein Ausländer auf die Möglichkeit einer Befristung der Wirkung der Ausweisungen im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung allenfalls dann verwiesen werden kann, wenn die Gewährung eines Daueraufenthaltsrechts nach Ablauf der Frist voraussichtlich rechtlich in Betracht kommt und wonach es nicht genüge, wenn eine Befristung der Ausweisung zwar eine rechtliche Möglichkeit eröffne, zu Besuchszwecken ins Bundesgebiet einzureisen, wenn dies aber mangels erkennbaren Anspruchs auf Einräumung eines auf Dauer angelegten Aufenthaltsrechts nichts daran ändere, dass der Ausländer "unter Aufgabe seiner im Bundesgebiet erzielten Integration" gezwungen wäre, seinen Lebensmittelpunkt ins Ausland zu verlegen).
39 
Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverfassungsgericht (Beschl. v. 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -) darauf hingewiesen, dass eine Ausweisung selbst im Falle ihrer Befristung unverhältnismäßig sein könne, wenn damit für den Betreffenden ein unwiderbringlicher Verlust seines Privat- oder Familienlebens verbunden sei, weil das Aufenthaltsrecht nach dem Wegfall der Bindungen an das Bundesgebiet eine Wiedereinreise grundsätzlich nicht vorsehe und deshalb der Wegfall des Aufenthaltsverbots gem. § 11 Abs. 1 AufenthG nach Ende der Sperrfrist "ohne praktische Wirkung" bleibe. Darauf, dass die Rechtsprechung des EGMR dahin zu verstehen sei, dass nur eine zeitweilige Fernhaltung vom Aufenthaltsgebiet für eine bestimmte Zeitdauer zulässig sei, im Anschluss daran, aber eine Wiederanknüpfung an die frühere aufenthaltsrechtliche Position im Rahmen eines Wiedereinreiseanspruchs aus Gründen der Verhältnismäßigkeit geboten sei, wird auch in der Literatur hingewiesen (vgl. Marx, InfAuslR 2003, 374, der darauf verweist, dass ungeklärt sei, ob Art. 8 Abs. 1 EMRK faktischen Inländern nach der Ausweisung einen Wiedereinreiseanspruch verschaffe, insbesondere in den Fällen, in denen das innerstaatlichen Recht einen solchen nicht gewähre, die Ausweisung aber nur wegen ihrer begrenzten Zeitdauer verhältnismäßig sei; so auch Discher, GK-AufenthG, Lieferung Januar 2007, Rdnr. 836 und 883 vor §§ 53 AufenthG ff.).
40 
Durch die bloße Befristung der Ausweisung ist dem Kläger im vorliegenden Fall keine solche Wiederanknüpfung möglich. Er hat durch die Ausweisung seine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die er zuletzt nach insgesamt 27jährigem legalem Aufenthalt als Kind türkischer Arbeitnehmer und auch selbst als Arbeitnehmer gem. Art. 6 und 7 ARB 1/80 erteilt bekommen hatte, endgültig verloren, denn in Folge einer Ausweisung erlischt die Aufenthaltsgenehmigung (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG a.F. bzw. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG). Zugleich bewirkte die Ausweisung ein Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie eine Sperre für die Wiedererteilung einer neuerlichen Aufenthaltserlaubnis (vgl. § 8 Abs. 2 Satz 1 u. Satz 2 AuslG a.F. bzw. § 11 Abs. 1 Satz 1 u. Satz 2 AufenthG). Mit der bloßen Befristung dieser Wirkungen der Ausweisung (und der zudem erfolgten Abschiebung) auf den 03.04.2006 durch den Bescheid des Regierungspräsidiums vom 28.03.2006 ist hingegen ein Wiederaufleben der erloschenen unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nicht verbunden gewesen. Denn allein der Fortfall der Ausweisungs- und Abschiebungswirkungen begründet kein Einreise- und Aufenthaltsrecht. Vielmehr bedarf ein Ausländer in einem solchen Fall einer neuen Aufenthaltsgenehmigung, über deren Antrag nach den üblichen Grundsätzen zu entscheiden ist (vgl. Walter, NVwZ 2000, 274 <278> unter Verweis auf BVerwGE 60, 133 <138> = NJW 1981, 242).
41 
Im vorliegenden Fall hat dies für den Kläger zur Folge, dass er trotz der Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung und seiner Abschiebung mangels Rechtsanspruch auf Erteilung einer neuerlichen Aufenthaltserlaubnis nicht wieder ins Bundesgebiet zurückkehren und dort an seine durch die Ausweisung und Abschiebung für einige Jahre unterbrochenen privaten und familiären Lebensverhältnisse wieder anknüpfen kann (siehe dazu im Einzelnen unten).
42 
Obwohl also nach der Entscheidung des EGMR der Ausschluss seines Aufenthalts auf deutschem Territorium aus Gründen der Abwehr der vom Kläger für die öffentliche Sicherheit ausgehenden Gefahren durch die vom EGMR geforderte Befristung der Ausweisung nur für einen vorübergehenden Zeitraum zulässig gewesen wäre, weil aus Verhältnismäßigkeitsgründen einem derart langjährig durch sein Privatleben und/oder seine familiären Bindungen im Bundesgebiet Verwurzelten nicht allein aus vorübergehenden Gründen der Gefahrenabwehr dauerhaft und für immer seine Heimat und seine gesamten Integrationsleistungen genommen werden sollen, ist der Kläger von der Wiedererlangung seines vor der Ausweisung innegehabten aufenthaltsrechtlichen Status hier gänzlich ausgeschlossen.
43 
Aus seiner assoziationsrechtlichen Rechtsstellung nach Art. 6 bzw. 7 ARB 1/80 kann er nämlich kein eigenständiges Einreise- und Aufenthaltsrecht ableiten, vielmehr ist er nach dem Ende der Wirkung der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG einem normalen türkischen Staatsangehörigen gleichgestellt, der in das Bundesgebiet erstmals einreisen will (vgl. Armbruster, in: HTK-AuslR/ARB 1/80 / Art. 1405/207 Nr. 2 und Nr. 9; so auch VG Freiburg, Urt. v. 24.07.2007 - 1 K 1505/06 -). Denn ein Freizügigkeitsrecht türkischer Staatsangehöriger in die Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft besteht nicht (vgl. Hailbronner, AuslR, 51. Lieferung, Februar 2007, Rdnr. 22 Art. 4 ARB 1/80).
44 
Auch ein Anspruch auf Wiederkehr nach § 37 AufenthG scheidet hier aus, da der Kläger vor seiner Ausreise aus dem Bundesgebiet nicht mehr minderjährig war. Zudem könnte eine Aufenthaltserlaubnis nach § 37 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG auch schon deshalb versagt werden, weil der Kläger als Ausländer ausgewiesen war, als er das Bundesgebiet verließ (vgl. etwa zum Fall einer Versagung eines solchen Wiederkehrrechts für einen Jugendlichen wegen zuvor erfolgter Ausweisung: OVG Berlin, Beschl. v. 12.09.2002 - 8 N 142.01 -, AUAS 2003, 16=juris zu der vergleichbaren Vorgängervorschrift des § 16 AuslG; so zu § 37 Abs. 3 Nr. 1 auch Discher, GK-AufenthG, Lieferung Januar 2007, Rdnr. 154 vor  § 53 AufenthG).
45 
Ein Recht auf einen erneuten Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet kann ihm auch nicht etwa gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK gewährt werden. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 kann in begründeten Fällen eine Aufenthaltserlaubnis auch für einen von diesem Gesetz nicht vorgesehenen Aufenthaltszweck erteilt werden. Aus Art. 8 EMRK folgt jedoch nicht, dass hier dem Kläger zwingend nach dieser Vorschrift zur Vermeidung einer Verletzung des Art. 8 EMRK ein Aufenthaltsrecht erteilt werden müsste. Zwar hat der EGMR in der Sisojeva -Entscheidung (Urt. v. 16.06.2005 - Behörden-Nr. 60654/00 -, InfAuslR 2005, 349) ausgeführt, dass auch die Verweigerung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis einen Eingriff in Art. 8 EMRK darstellen kann. In der Sisojeva-II-Entscheidung hat der EGMR allerdings ausgeführt, dass es grundsätzlich Sache der Signatarstaaten ist, innerhalb der Regelungssystem ihre nationalen Aufenthalts-bestimmungen das angemessene Mittel zur Wahrung der Konvention zu wählen (Urt. v. 15.01.2007 - Beschwerde-Nr. 60654/00 -, InfAuslR 2007, 140). Dabei hat der EGMR in der Sisojeva-I-Entscheidung auf seine ständige Rechtsprechung verwiesen, dass aus Art. 8 EMRK selbst direkt kein Recht auf Einreise und Aufenthalt folgt. Bei § 7 Abs. 1 Satz 2 handelt es sich aber nur um eine Auffangregelung für unvorhergesehene Fälle, die obendrein nicht von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5, wie unter anderem der Sicherung des Lebensunterhalts (§ 5 Abs. 1 AufenthG) entbindet (vgl. HTK-Ausländerrecht, 07/2004, Überblick zu § 7 AufenthG und vorläufige Anwendungshinweise (VAH) Ziff. 7.1.3 zu § 7 AufenthG). Diese Vorschrift lässt sich also nur dazu nutzen, etwa einem vermögenden ausländischen Rentner oder Zweitwohnungsbesitzer den Aufenthalt in Deutschland zu gewähren (vgl. Ziff. 7.1.3 der vorläufigen Anwendungshinweise), dient jedoch ersichtlich nicht dazu, als "unvorhergesehenen Fall" i.S.d. § 7 Abs. 1 Satz 2 AufenthG außerhalb des Systems des spezifische Vorschriften für einen Daueraufenthalt in Deutschland zu Erwerbszwecken enthaltenden Aufenthaltsgesetzes einem ausgewiesenen Ausländer nach Ablauf der Sperrwirkung der Ausweisung erneut eine unbefristete Daueraufenthaltserlaubnis zu erteilen, um ihm so - letztlich unmittelbar auf Art. 8 EMRK gestützt - eine Anknüpfung und Fortführung an seine persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zu ermöglichen.
46 
Solche aufenthaltsrechtlichen Konstruktionen unter Einbeziehung der unmittelbaren Wirkungen des Art. 8 EMRK sind deshalb bisher auch von der Rechtsprechung lediglich im Zusammenhang mit § 25 Abs. 5 AufenthG in Betracht gezogen bzw. bejaht worden, der es ermöglicht, auch einem ausgewiesenen Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, allerdings voraussetzt, dass der Betreffende - anders als hier der Kläger - sich nach wie vor in Folge eines sich aus Art. 8 EMRK ergebenden unmittelbaren Abschiebungshindernisses und eines daraus resultierenden Vollzugshindernisses im Bundesgebiet befindet (vgl. zu dieser Konstruktion mit weiteren Nachweisen der Rechtsprechung zur sogenannten "Verwurzelung" Thym, InfAuslR 2007, 133 <136 ff.> und Bergmann, ZAR 2007, 128 sowie zuletzt z. B. VG Münster, Urt. v. 11.09.2007 -5 K 347/06- juris m.w.N.).
47 
Vor diesem Hintergrund ergibt sich auch kein Rechtsanspruch des Klägers auf (Wieder-) Erteilung einer (unbefristeten) Aufenthaltserlaubnis aus Art. 12 Abs. 4 des UN-Paktes über bürgerliche und politische Rechte (BGBl. 1973 II, Seite 1534) i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 2 AufenthG. Nach dieser Vorschrift des UN-Paktes darf niemandem willkürlich das Recht entzogen werden, in sein eigenes Land einzureisen. Auch wenn der Menschenrechts-ausschuss der Vereinten Nationen in seiner generellen Anmerkung Nr. 27 zum Recht aus Art. 12 des Paktes (UN.Doc. CCPR/C/21/Rev.1/Add.9 (1999)) unter Ziff. 20 ausführt, der Wortlaut dieser Vorschrift ermögliche eine weite Interpretation, die auch long-term residents, also dauerhaft aufenthaltsberechtigte Ausländer umfassen könnte, die enge und dauerhafte Beziehungen zu dem Land ihres Aufenthalts begründet haben, folgt daraus noch nicht, dass im Falle einer Ausweisung und Abschiebung nach Ende einer Sperrfrist ein zwingender Rechtsanspruch auf Ermöglichung der Wiedereinreise durch Erteilung eines Aufenthaltstitels begründet wäre. Nach Sinn und Zweck dieser Vorschrift soll nämlich insbesondere verhindert werden, dass ein Staat durch Ausbürgerung oder willkürliche Abschiebung eine Person grundlos von ihrem Land bzw. dem Land ihres dauernden Aufenthalts fernhält. Für  Fälle der Abschiebung aber sieht Art. 13 des UN-Paktes eine spezielle Regelung vor, die Ausländer, welche sich rechtmäßig in einem Aufenthaltsstaat aufhalten, davor schützt, ohne gesetzliche Grundlage und gerichtliche Kontrolle ausgewiesen und abgeschoben zu werden. Ein unmittelbares "Recht auf Heimat", wie es sich etwa bei weiter Auslegung des Art. 8 EMRK mit Blick auf eine langjährige Verwurzelung in einem Aufenthaltsstaat unter dem Aspekt des Schutzes des Privatlebens nach der Rechtsprechung des EGMR ergeben kann, folgt daraus jedoch nicht (in der Literatur wird ohnedies schon der Ansatz des Menschenrechtsausschusses der UN bezweifelt, Art. 12 Abs. 4 auch auf Ausländer mit Daueraufenthaltsrecht anzuwenden: siehe Hailbronner, Kommentar zum Ausländerrecht, § 11 AufenthG, Rdnr. 16).
48 
Für das vergleichbare Verbot in Art. 3 des 4. Zusatzprotokolls zur EMRK vom 16.09.1963 (Neubekanntmachung: BGBl. 2002, II, S. 1054) ergibt sich dies schon aus dem Wortlaut. Nach dieser Vorschrift darf niemandem das Recht entzogen werden, in das Hoheitsgebiet des Staates einzureisen, dessen Angehöriger er ist. Daraus folgt, dass Art. 3 für Ausländer nicht gilt (so die Europäische Menschenrechtskommission in ihrer Entscheidung vom 24.05.1974, DR 46, 202 im Verfahren I.B. und der EGMR in der Sisojeva-I-Entscheidung [s.o., a.a.O.]).
49 
Selbst ein nur abgeleiteter Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs des Klägers zu seiner hier im Bundesgebiet mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis lebenden Ehefrau und seinen sich ebenfalls mit unbefristeter Aufenthaltserlaubnis hier aufhaltenden minderjährigen Kindern ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Nach § 27 Abs. 1 AufenthG wird zwar einem Ausländer zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft mit im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen zum Schutz von Ehe und Familie gem. Art. 6 GG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt und verlängert. Nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ist einem Ehegatten eines Ausländers eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn dieser Ausländer eine Niederlassungserlaubnis besitzt. Von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 (Sicherung des Lebensunterhaltes) entbinden diese Vorschriften jedoch nicht. Deshalb aber ist das vom Kläger vom Ausland aus betriebene Visumsverfahren zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bisher auch gescheitert, weil es ihm offenbar bislang nicht gelungen ist, entsprechende Nachweise der Sicherung des Lebensunterhalts bzw. der fehlenden Sozialhilfebedürftigkeit seiner Familienangehörigen (§ 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG) nachzuweisen.
50 
Im Ergebnis wird der Kläger also unter diesen Umständen dauerhaft vom Bundesgebiet ferngehalten, ohne dass es ihm erneut möglich ist, im Wege der Wiedereinreise und auf der Basis der Erteilung einer neuerlichen Aufenthaltserlaubnis sich wieder legal hier aufzuhalten und damit an seine durch die Ausweisung unterbrochenen privaten und auch familiären Beziehungen im Bundesgebiet anzuknüpfen, wie er sie während seines 27jährigen legalen Aufenthalts hier geknüpft hat.
51 
Das aber ist nach dem oben Gesagten mit der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 8 EMRK nicht zu vereinbaren. Die bloße Befristung der Wirkungen der Ausweisung geht hier vielmehr ins Leere. Dass der EGMR dies mit seiner Forderung nach einer befristeten Ausreise gebilligt hätte, lässt sich entgegen der Ansicht des Beklagten auch nicht daraus entnehmen, dass der EGMR in der stattgebenden Entscheidung zur Individualbeschwerde des Klägers die seinerzeit noch geltende Befristungsregelung nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG a.F. (bzw. heute § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) gesehen und erwähnt hat. Denn allein aus diesem Umstand folgt noch nicht, dass der EGMR tatsächlich im Einzelnen die Auswirkungen dieser Regel geprüft und gebilligt hätte. Vielmehr ist der Rechtsprechung des EGMR an vielen Stellen zu entnehmen, dass es der EGMR allein den Signatarstaaten überlässt, im Einzelnen ihre nationalen Regelungen auszulegen und anzuwenden, ohne sich hier etwa durch eine eigene Auslegung und Anwendung in innerstaatliches Recht und dessen Vollzug "einzumischen" (vgl. zu dieser "Subsidiarität" zuletzt Thym, InfAuslR 2007, 133 <135 ff.>). Auch in der vorliegenden Entscheidung zur Individualbeschwerde des Klägers hat der EGMR ersichtlich nicht weiter die Einwände der Bundesregierung im damaligen Beschwerdeverfahren geprüft, der Kläger selbst habe in dem antragsgebundenen Befristungsverfahren selbst noch gar keinen wirksamen Befristungsantrag gestellt bzw. über diese sei noch nicht zu entscheiden gewesen (siehe dazu Rdnr. 65 des Urteils vom 27.10.2005 - 32231/02 -; auch in der Entscheidung Yilmaz - Urt. v. 17.04.2003 - 52853/99 = NJW 2004, 2147 - dort Ziff. 47 und 48 - hat der EGMR zwar das Argument der Bundesregierung gesehen, dass der erforderliche Befristungsantrag gar nicht wirksam gestellt worden war, hat sich jedoch dadurch nicht daran gehindert gesehen, im nächst folgenden Abschnitt - Rdnr. 48 - gleichwohl die Ausweisung wegen ihrer fehlenden Befristung als unverhältnismäßig und damit als Verstoß gegen Art. 8 EMRK einzustufen). Der EGMR vertritt nach allem ganz offenkundig den Standpunkt, dass es Sache der nationalen Behörden und Gerichte bzw. dann wenn es die nationalen Rechtsvorschriften mangels anderweitiger Ermessens- bzw. Auslegungsspielräume nicht hergeben, Sache des Gesetzgebers ist, durch entsprechende Auslegung und Anwendung der nationalen Vorschriften bzw. durch deren Ergänzung und Änderung dafür Sorge zu tragen, dass den Verpflichtungen aus der Konvention Genüge getan wird (vgl. zur Verpflichtung aus Art. 46 EMRK zur Abhilfe bei strukturellen Mängeln der nationalen Rechtsordnung und ggf. zu einer Änderung der nationalen Rechtsnormen Mayer-Ladewig, a.a.O., Rdnr. 23 und Rdnr. 33 und 34 zu Art. 46 EMRK).
52 
Da das nationale Recht nach dem oben Gesagten dem Kläger keinen Anspruch (mehr) auf (Wieder-)Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Begründung eines neuerlichen Daueraufenthalts im Bundesgebiet gewährt, kommt im vorliegenden Fall zur (Wieder-) Herstellung des vom Kläger vor der Ausweisung innegehabten Rechtsstatus, der durch die Ausweisung erloschen ist und nach dem Gesagten durch die bloße Befristung der Ausweisungswirkungen auch nicht wieder auflebt, nach allem lediglich eine Rücknahme der Ausweisungsentscheidung in Betracht, um der Rechtssprechung des EGMR und seiner Forderung nach einer lediglich befristeten Wirkung der Ausweisung im Sinne eines nur vorläufigen befristeten Entzugs des Aufenthaltsrechts, zu genügen. Nicht zu verfangen vermag im vorliegenden Kontext der Hinweis darauf, dass jedenfalls dem sekundären Gemeinschaftsrecht die Aufspaltung in den Verlust des Freizügigkeitsrechts einerseits und in die nachfolgende Befristung dieser Wirkung andererseits nicht fremd ist, weil z. B. Art. 32 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG [Freizügigkeitsrichtlinie] vorsieht, dass ein Unionsbürger, der sein Aufenthaltsrecht aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verloren hat, einen Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbots unter Hinweis auf veränderte Umstände stellen und dann einen neuerlichen Anspruch auf Zuzug ins Bundesgebiet geltend machen kann (vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Urt. v. 28.06.2007 - 13 S 1045/07 - VENSA). Denn dem Kläger, als lediglich Assoziationsberechtigtem, steht anders als einem freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger ein solches Zuzugsrecht gerade nicht regelmäßig zu, weshalb es in seinem Fall durchaus eine Rolle spielt, dass er durch die Ausweisung sein Aufenthaltsrecht gänzlich verloren hat und es auch durch eine Befristung der Sperrwirkung für eine Wiedererteilung im Rahmen eines neuerlichen Antrags auf Aufenthaltserlaubnis nicht wieder erlangt, während dies bei einem grundsätzlich zuzugsberechtigten EU-Bürger nicht diese Folge hat.
53 
Der Kläger kann eine vollständige Rücknahme der Ausweisung ab dem Zeitpunkt ihres Erlasses verlangen.
54 
Geklärt ist in der Rechtsprechung, dass die rückwirkende Beseitigung einer bestandskräftigen Ausweisungsverfügung im Wege der Rücknahme gem. § 48 LVwVfG neben der Befristung der Ausweisungswirkungen nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG a.F. bzw. § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG zulässig ist, also anders als der Widerruf der Ausweisung nach § 49 LVwVfG nicht etwa durch die Befristungsregelungen im Wege der Spezialität verdrängt wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140 <143> = InfAuslR 2000, 176 und ebenso VGH Bad.-Württ., Urt. v. 10.03.1999 - 13 S 2208/97 - InfAuslR 1999, 338; siehe auch Discher, GK-AufenthG, Januar 2007, Rdnr. 155 ff. vor § 53 AufenthG).
55 
Grundsätzlich ist zwar nach § 48 Abs. 1 Satz 1 die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts auch nach Eintritt seiner Unanfechtbarkeit ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit möglich. Von daher wäre im Grundsatz denkbar, dass das beklagte Land die Ausweisungsverfügung gem. § 48 VwVfG rückwirkend, aber nicht bezogen auf den Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung, sondern bezogen auf den Zeitpunkt der Befristung ihrer Wirkung (hier den 03.04.2006) zurücknimmt, um so der Forderung des EGMR nach einer nur befristeten Dauer der Wirkung dieser Ausweisung Rechnung zu tragen. Diese Möglichkeit scheidet jedoch im vorliegenden Fall aufgrund der Systematik des Aufenthaltsgesetzes aus, welches eindeutig der Ausweisung die Gestaltungswirkung eines vollständigen Entzugs des zuvor vom betroffenen Ausländer innegehabten Aufenthaltsrechts beimisst (vgl. § 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG a.F. bzw. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) und kein Wiederaufleben dieser einmal durch die Ausweisung entzogenen Aufenthaltserlaubnis, sondern lediglich die (Wieder-)Erteilung einer neuen eigenständigen Aufenthaltserlaubnis aufgrund eines neuen eigenen Antrags nach Ablauf der Sperrwirkung für eine solche Wiedererteilung in Folge einer entsprechenden Befristung dieser Sperrwirkung vorsieht (siehe etwa die vergleichbare Situation im Fall der Wiedererteilung einer Gewerbe- oder Fahrerlaubnis nach vorangegangenem Entzug einer solchen Erlaubnis und Ablauf einer entsprechenden Sperrfrist). Im vorliegenden Fall des Entzugs einer Aufenthaltserlaubnis durch eine Ausweisung verbleibt in Folge der Gestaltungswirkung dieses Entzugs von der damit vollständig zum Erlöschen gebrachten Aufenthaltserlaubnis also nicht etwa ein des erneuten Wirksamwerdens fähiger Restbestand, der nach einer nur teilweise, das heißt nicht vollständig bis zum Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung rückwirkenden Rücknahme weiter besteht bzw. wieder auflebt (zur grundsätzlichen Zulässigkeit der Wahl eines jeden Zeitpunkts zwischen dem Rücknahmebescheid und dem Zeitpunkt des Erlasses des zurückgenommenen Bescheids im Rahmen des § 48 Abs. 1 ["Mit Wirkung für die Vergangenheit"]: Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, 6. Aufl. 2001, Rdnr. 113, § 48 unter Verweis auf Bayr. VGH, ZBR 1991, 380). Von daher ist es verfahrensrechtlich nach den Rücknahmeregeln ausgeschlossen, die Ausweisung nur für die Zeit ab Erlass des Befristungsbescheids zurückzunehmen und ihr somit bis dahin, aber auch nur bis dahin, die Wirkungen eines Entzugs der Aufenthaltserlaubnis zu belassen, um so die nach der Rechtsprechung des EGMR geforderte Befristung des Entzugs des Aufenthaltsrechts zu erzielen.
56 
Nach allem ist die Konstruktion eines lediglich zeitweise wirkenden Entzugs der Aufenthaltserlaubnis mit anschließendem Wiederaufleben derselben nach den Vorschriften des Deutschen Verwaltungsverfahrensrechts und des Aufenthaltsrecht nicht möglich. Deshalb bleibt hier als einzige Möglichkeit, der Rechtsprechung des EGMR im folgenden Fall Rechnung zu tragen, nur die vollständige Rücknahme der Ausweisung ab dem Zeitpunkt ihres Erlasses, womit die vom Kläger vor der Ausweisung innegehabte befristete Aufenthaltserlaubnis nahtlos weiter fortbesteht.
57 
Das führt im vorliegenden Fall zudem nicht zu einem unbilligen Ergebnis, da der Kläger in Folge des tatsächlichen Vollzugs der Ausweisung durch seine Abschiebung in die Türkei und durch den jahrelangen Aufenthalt dort tatsächlich längst für die durch die Befristung der Ausweisung vom Beklagten geforderte zulässige Übergangszeit vom Territorium des Bundesgebiets entfernt worden war, so dass der Gefahrenabwehrzweck der Ausweisung sich tatsächlich auch realisiert hat.
58 
Für zukünftige Fälle wird es zur Vermeidung unvertretbarer Ergebnisse erforderlich sein, dass der Gesetzgeber entweder ein ausdrückliches Wiederkehrrecht regelt oder eine Konstruktion der Ausweisungswirkungen dahin neu regelt, dass die Ausweisung, wenn sie - beispielsweise um den Anforderungen des Art. 8 EMRK zu genügen - nur befristet verfügt wird oder nachträglich befristet wird, dann auch nur zu einem zeitweiligen Entzug der Aufenthaltserlaubnis führt. Die aktuell gültige Konstruktion jedenfalls, die den betreffenden Ausländer nach seiner Ausweisung vollständig auf den Status eines sich neu und erstmals um die Einreise bewerbenden Ausländers zurückwirft wird, wie der vorliegende Fall augenfällig zeigt, Situationen offenkundig nicht gerecht, in denen der Ausländer sich jahrzehntelang legal im Bundesgebiet aufgehalten hat und dieser Aufenthalt aus Gefahrenabwehrgründen nur zeitweise ausgeschlossen werden darf ohne dass damit dem Betreffenden gänzlich oder gar bis ans Lebensende die in Deutschland gefundene Heimat, Verwurzelung oder gar die dort verbliebene Familie genommen werden, weil dies gemessen an dem bloßen Gefahrenabwehrzweck schlichtweg eine das Übermaßverbot verletzende Reaktion darstellen würde.
59 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO.
60 
Die Berufung wird nach §§ 124 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen. Es ist bislang obergerichtlich nicht geklärt, wie in Fällen eines fehlenden Wiedereinreiserechts der von der Rechtsprechung des EGMR geforderten Befristung einer Ausweisung Rechnung zu tragen ist.

(1) Einem Ausländer, der als Minderjähriger rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte, ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn

1.
der Ausländer sich vor seiner Ausreise acht Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten und sechs Jahre im Bundesgebiet eine Schule besucht hat,
2.
sein Lebensunterhalt aus eigener Erwerbstätigkeit oder durch eine Unterhaltsverpflichtung gesichert ist, die ein Dritter für die Dauer von fünf Jahren übernommen hat, und
3.
der Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach Vollendung des 15. und vor Vollendung des 21. Lebensjahres sowie vor Ablauf von fünf Jahren seit der Ausreise gestellt wird.

(2) Zur Vermeidung einer besonderen Härte kann von den in Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 bezeichneten Voraussetzungen abgewichen werden. Von den in Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 bezeichneten Voraussetzungen kann abgesehen werden, wenn der Ausländer im Bundesgebiet einen anerkannten Schulabschluss erworben hat.

(2a) Von den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 3 bezeichneten Voraussetzungen kann abgewichen werden, wenn der Ausländer rechtswidrig mit Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe genötigt und von der Rückkehr nach Deutschland abgehalten wurde, er den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis innerhalb von drei Monaten nach Wegfall der Zwangslage, spätestens jedoch vor Ablauf von fünf Jahren seit der Ausreise, stellt, und gewährleistet erscheint, dass er sich aufgrund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann. Erfüllt der Ausländer die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1, soll ihm eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er rechtswidrig mit Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe genötigt und von der Rückkehr nach Deutschland abgehalten wurde und er den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis innerhalb von drei Monaten nach Wegfall der Zwangslage, spätestens jedoch vor Ablauf von zehn Jahren seit der Ausreise, stellt. Absatz 2 bleibt unberührt.

(3) Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis kann versagt werden,

1.
wenn der Ausländer ausgewiesen worden war oder ausgewiesen werden konnte, als er das Bundesgebiet verließ,
2.
wenn ein Ausweisungsinteresse besteht oder
3.
solange der Ausländer minderjährig und seine persönliche Betreuung im Bundesgebiet nicht gewährleistet ist.

(4) Der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis steht nicht entgegen, dass der Lebensunterhalt nicht mehr aus eigener Erwerbstätigkeit gesichert oder die Unterhaltsverpflichtung wegen Ablaufs der fünf Jahre entfallen ist.♦

(5) Einem Ausländer, der von einem Träger im Bundesgebiet Rente bezieht, wird in der Regel eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, wenn er sich vor seiner Ausreise mindestens acht Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.

(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.

(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Ausländer bedürfen für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, sofern nicht durch Recht der Europäischen Union oder durch Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt ist oder auf Grund des Abkommens vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (BGBl. 1964 II S. 509) (Assoziationsabkommen EWG/Türkei) ein Aufenthaltsrecht besteht. Die Aufenthaltstitel werden erteilt als

1.
Visum im Sinne des § 6 Absatz 1 Nummer 1 und Absatz 3,
2.
Aufenthaltserlaubnis (§ 7),
2a.
Blaue Karte EU (§ 18b Absatz 2),
2b.
ICT-Karte (§ 19),
2c.
Mobiler-ICT-Karte (§ 19b),
3.
Niederlassungserlaubnis (§ 9) oder
4.
Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU (§ 9a).
Die für die Aufenthaltserlaubnis geltenden Rechtsvorschriften werden auch auf die Blaue Karte EU, die ICT-Karte und die Mobiler-ICT-Karte angewandt, sofern durch Gesetz oder Rechtsverordnung nichts anderes bestimmt ist.

(2) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht, ist verpflichtet, das Bestehen des Aufenthaltsrechts durch den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nachzuweisen, sofern er weder eine Niederlassungserlaubnis noch eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt. Die Aufenthaltserlaubnis wird auf Antrag ausgestellt.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12. Oktober 2005 - 6 K 3901/04 - abgeändert; der Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29. September 2004 wird aufgehoben und der Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Rücknahme der Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4. März 1998 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Im übrigen werden die Klage und die Berufung zurückgewiesen.

Von den Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Kläger 1/3 und der Beklagte 2/3.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger ist italienischer Staatsangehöriger und im Jahr 1973 in Deutschland geboren, wo auch seine italienische Mutter, der italienische Stiefvater und seine Halbschwester leben. Er hat einen Hauptschulabschluss, ist aber ohne Beruf; begonnene Lehren wurden nicht zu Ende geführt. 1993 bezog er mit seiner damaligen deutschen Freundin - die er später heiratete - eine Wohnung; aus der Beziehung sind zwei Kinder hervorgegangen (geboren 1990 und 1995), deren Vaterschaften er anerkannte. Die ihm zuletzt erteilte befristete Aufenthaltserlaubnis nach dem Ausländergesetz (nicht nach dem AufenthaltsG/EWG), erteilt von der Stadt Stuttgart am 22.4.1996, endete am 22.10.1997; eine Verlängerung wurde nicht beantragt.
Seit 1988 wurde der Kläger im Bundesgebiet mehrfach straffällig und verurteilt. Es handelt sich zunächst u.a. um zahlreiche Diebstahlsdelikte, Urkundenfälschungen, mehrfaches Fahren ohne Fahrerlaubnis, Körperverletzung und Betrugsversuche; später (ab 1992) kamen hinzu: gemeinschaftlicher schwerer Raub, unerlaubter Erwerb von Betäubungsmitteln, weitere Diebstähle und Fahren ohne Fahrerlaubnis, fahrlässige und vorsätzliche Straßenverkehrsgefährdung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und weitere Delikte (zuletzt Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten). Im Juli 1997 wurde der Kläger wegen gemeinschaftlichen Betrugs, gemeinschaftlicher Urkundenfälschung und zweier Diebstähle in besonders schwerem Fall zu einem Jahr und 3 Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Im Oktober 1996 wurde der Kläger festgenommen und war anschließend in Haft; er flüchtete im Juli 1997 aus der Haftanstalt und wurde im Oktober 1997 erneut in Haft genommen.
Im Juni 1998 wurde er aufgrund einer Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4.3.1998 (Regelausweisung aus schwerwiegenden spezial- und generalpräventiven Gründen und Abschiebungsandrohung) nach Italien abgeschoben. Vor Erlass dieser Ausweisungsverfügung hatte der Kläger mit Schreiben vom 15.2.1998 erklärt:
„Im Schreiben vom 12.1.1998 sieht die Staatsanwaltschaft von der weiteren Vollstreckung der Strafe ab dem 13.6.1998 ab, wenn ich von der Grenzpolizei abgeschoben werde. Darum beantrage ich nun selber meine Abschiebung aus der BRD und ziehe hiermit meine Beschwerde vom 2.2.1997 zurück. Ich habe in der BRD nichts mehr zu suchen, da meine Freundin und meine beiden Kinder mit mir nach Italien gehen ...“
In der Begründung der Ausweisungsverfügung, gegen die der Kläger keinen Widerspruch erhob, war das Regierungspräsidium Stuttgart davon ausgegangen, dass der Kläger mangels Arbeitnehmereigenschaft, ausreichender Krankenversicherung und Existenzmitteln sowie aufgrund seiner Erklärung vom Februar 1998 nicht zu den freiheitsberechtigten Unionsbürgern gehöre. Eine atypische Fallgestaltung wurde verneint; Ermessen wurde nicht (auch nicht hilfsweise) ausgeübt.
Im November 1998 kam der Kläger nach Deutschland zurück; am 13.9.1999 wurde er erneut nach Italien abgeschoben. Im November 1999 reiste er wiederum in das Bundesgebiet ein; am 18.3.2000 kam er wieder in Haft. Er war erneut straffällig geworden (Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 4.8.2000: Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren wegen Diebstahls in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit, wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort in zwei Fällen, wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs sowie wegen schwerer räuberischer Erpressung). Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB wurde angeordnet. Das Urteil wurde rechtskräftig. Der Maßregelvollzug (ab Juni 2001) in der ... in ... wurde abgebrochen, nachdem der Kläger im November 2001 mit zwei Mitpatienten von dort geflohen war; seit dem 19.12.2001 befindet er sich wieder in Strafhaft in der JVA Heilbronn.
Von 1993 bis ca. 2000 hatte der Kläger mit seinen Kindern und deren Mutter mit den oben genannten Unterbrechungen zusammengelebt; er heiratete die Mutter der Kinder im Jahr 1999 (19.8.1999) in der Strafhaft. Ab März 2000 bewohnte der Kläger mit zwei Mitbewohnern aus dem Drogenmilieu eine Zwei-Zimmer-Wohnung; er selbst war drogenabhängig und konsumierte Drogen aller Art, auch Heroin. Er ist mit HIV und Hepatitis C infiziert.
Der Sohn ... des Klägers (geb 1990) ist wegen Verhaltensauffälligkeit tagsüber in einem Heim untergebracht, die Tochter ... lebt bei der Mutter, zu der der Kläger keinen engen Kontakt mehr hat.
Der Kläger beantragte im April 2001 und erneut im Februar 2004, die Wirkungen seiner Ausweisung und Abschiebung zu befristen. Er machte geltend, er sei mit einer Deutschen verheiratet und habe auch zwei deutsche Kinder. Das Befristungsverfahren wurde im Einverständnis mit dem Kläger zunächst nicht betrieben, weil er erklärte, sich in Italien einer Drogentherapie unterziehen zu wollen. Im Mai 2004 beantragte der Kläger, die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4.3.1998 zurückzunehmen, hilfsweise die Wirkungen der Ausweisung und der Abschiebungen mit sofortiger Wirkung zu befristen.
10 
Mit Verfügung vom 29.9.2004 lehnte das Regierungspräsidium Stuttgart den Antrag auf Rücknahme der Ausweisungsverfügung vom 4.3.1998 und die weiteren Anträge auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung und der Abschiebungen ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 48 LVwVfG für den Erlass einer die Ausweisungsverfügung betreffenden Rücknahmeverfügung lägen nicht vor. Die Ausweisung sei rechtmäßig erlassen worden. Ihr Widerruf scheide aus, weil die Widerrufsvorschrift durch die Befristungsregelung im Ausländergesetz verdrängt sei. Eine Befristung der Wirkungen komme derzeit nicht in Betracht, weil der von § 8 Abs. 2 Satz 2 AuslG vorausgesetzte Regelfall nicht gegeben sei. Der Fall des Klägers sei atypisch, und es sei gegenwärtig nicht absehbar, dass der spezialpräventive Zweck der Ausweisung überhaupt erreicht werden könne. Auch eine Befristung der Wirkungen der Abschiebung komme derzeit nicht in Betracht, zumal der Kläger die angefallenen Kosten noch nicht bezahlt und im übrigen seine früheren Abschiebungen missachtend schon zweimal illegal nach Deutschland gekommen sei.
11 
Die am 1.10.2004 beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhobene Klage, mit der der Kläger beantragt hat,
12 
die Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.9.2004 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4.3.1998 zurückzunehmen, hilfsweise, den Beklagten zu verpflichten, die Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung zu befristen,
13 
ist durch Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.10.2005 - 16 K 3901/04 - abgewiesen worden. Das Verwaltungsgericht hat in den Gründen ausgeführt, die Ablehnungsverfügung vom 29.9.2004 verletze den Kläger nicht in seinen Rechten; eine Rücknahme komme nicht in Betracht, da die frühere Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums vom 4.3.1998 rechtmäßig sei. Die neuere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts ändere nichts daran, dass diese Verfügung rechtmäßig erlassen worden sei. Der Kläger sei zwar Unionsbürger, erfülle aber die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 1 der RL 90/364/EWG vom 28.6.1990 nicht, da das Erfordernis der Krankenversicherung und ausreichender Existenzmittel nicht erfüllt sei. Außerdem habe der Kläger vor Erlass der Ausweisungsverfügung im Anhörungsverfahren wirksam auf ein Freizügigkeitsrecht verzichtet, als er erklärt habe, er habe in der Bundesrepublik Deutschland nichts mehr zu suchen und wolle deshalb mit seiner Freundin und seinen beiden Kindern nach Italien übersiedeln. Auch der Hilfsantrag habe keinen Erfolg, da auf den Kläger nunmehr aufgrund der Ausweisungsverfügung nicht mehr das Freizügigkeitsgesetz/EU, sondern vielmehr das allgemeine Ausländerrecht anzuwenden sei. Ein Regelfall, der die Befristung nahe legen könne, sei hier nicht gegeben; das Regierungspräsidium habe zu Recht angenommen, hier liege ein Sonderfall vor. Auf die Begründung der Behörde werde Bezug genommen.
14 
Auf den rechtzeitig gestellten und begründeten Zulassungsantrag des Klägers hin hat der Senat mit Beschluss vom 20.2.2006 (Zustellung am 27.2.2006) die Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen; mit dem am 2.3.2006 eingegangenen Berufungsbegründungsschriftsatz, der auf das Vorbringen im Zulassungsverfahren Bezug genommen hat, beantragt der Kläger,
15 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.10.2005 - 16 K 3901/04 - abzuändern und den Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.9.2004 aufzuheben sowie den Beklagten zu verpflichten, die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4.3.1998 zurückzunehmen,
hilfsweise:
den Beklagten zu verpflichten, unter Aufhebung der Verfügung vom 29.9.2004 die Wirkungen der Ausweisung und der Abschiebung zu befristen.
16 
Zur Begründung des Berufungsantrags trägt der Kläger vor, sein Freizügigkeitsrecht könne nicht bestritten werden. Es ergebe sich aus Art. 7 Abs. 2 der RL 68/360/EWG, und das Freizügigkeitsrecht sei auch nicht wegen Fehlens von Unterhaltsgewährung nach Art. 10 der Verordnung 1612/68 untergegangen. Ein Verzicht auf das Freizügigkeitsrecht sei unwirksam und liege auch inhaltlich nicht vor. Das Verwaltungsgericht habe außerdem verkannt, dass auch seine Kinder neben der deutschen Staatsangehörigkeit die italienische Staatsangehörigkeit hätten, so dass er als Vater dieser Kinder ebenfalls ein Aufenthaltsrecht habe. Dass die damalige Ausweisungsverfügung gemeinschaftsrechtswidrig gewesen sei, liege auf der Hand. Einmal habe die Behörde zu Unrecht das Freizügigkeitsrecht verneint und allgemeines Ausländerrecht angewandt. Dies sei bei EU-Bürgern unzulässig. Außerdem habe der Europäische Gerichtshof inzwischen sogar die entsprechende Regelung des AufenthaltsG/EWG für gemeinschaftswidrig erklärt. Rechtswidrig sei die Ausweisung auch deswegen gewesen, weil sie unbefristet erfolgt sei; dies widerspreche mehreren Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Allgemein sei zu bemerken, dass die Europäischen Institutionen die Voraussetzungen der Ausweisung ohnehin enger fassten als die deutschen Behörden und Gerichte. Das der Behörde zustehende Ermessen sei hier wegen der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der Ausweisung auf die Rücknahme ex tunc reduziert; eine andere Lösung komme nicht in Betracht. Die Bestandskraft einer Verfügung sei geringer zu werten als die Rechtskraft, und der Europäische Gerichtshof habe mehrfach entschieden, dass bei gemeinschaftsrechtswidrigen Verfügungen entweder die Rechtsmittelfrist gehemmt sei oder eine Rücknahmepflicht bestehe. Teilweise werde auch angenommen, solche gemeinschaftsrechtswidrigen Verfügungen würden unwirksam. Jedenfalls sei die neuere Rechtsprechung der Europäischen Gerichte auch auf zurückliegende Sachverhalte anzuwenden. Da die Möglichkeit der Befristung einer Rücknahme ex nunc als Spezialregelung entgegenstehe, bleibe die Rücknahme ex tunc. Mindestens sei diese Rechtsfrage dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen.
17 
Der Beklagte beantragt,
18 
die Berufung zurückzuweisen.
19 
Er ist nach wie vor der Auffassung, dass der Kläger die Voraussetzungen des Freizügigkeitsrechts im Zeitpunkt der Ausweisung nicht mehr erfüllt habe und daher EU-Recht unbeachtlich sei. Seine Erklärung vom15.2.1998, er wolle mit Freundin und Kindern in Italien leben, belege dies ausreichend. Abgesehen davon seien aber die Voraussetzungen des § 12 AufenthG/EWG und des EU-Rechts für die Ausweisung gegeben gewesen, da der Kläger massiv strafrechtlich in Erscheinung getreten sei. Insofern handle es sich um einen Extremfall im Sinn des Urteils des EuGH vom 29.4.2004, und von einer unrichtigen Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch die Behörden könne keine Rede sein. Die bestehende Wiederholungsgefahr habe der Kläger selbst nach seiner Rückkehr in das Bundesgebiet nachhaltig bestätigt. Auch der Vollzug der Strafhaft sei nicht beanstandungsfrei. Die vom Kläger zitierten Urteile des EGMR insbesondere zur Befristungsfrage änderten daran nichts; zumutbar und erforderlich sei jedenfalls, dass ein Befristungsantrag gestellt werde. Die Befristungsvorschriften belegten geradezu, dass die Ausweisung nicht gewissermaßen lebenslänglich sei. Die Ausweisung habe auch nicht gegen Art. 9 der RL 64/221/EWG verstoßen, da der Kläger nach Italien habe zurückkehren wollen. Er habe außerdem keine Klage erhoben, habe sich also gerade nicht verteidigen wollen. Ein Rücknahmeermessen sei damit nicht gegeben; erst recht nicht sei es auf die Rücknahme der Ausweisung reduziert. Auf die Bedeutung der Rechts- und Bestandskraft habe der Europäische Gerichtshof im Urteil vom 16.3.2006 hingewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht gehe außerdem davon aus, dass eine Ermessensentscheidung auch nachgeholt werden könne. Eine Rücknahme sei regelmäßig ausgeschlossen, wenn ein Verwaltungsakt mit gleichem Inhalt (hier: Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt nach § 6 Freizügigkeitsgesetz/EU) neu erlassen werden müsse. Das sei hier der Fall. Neben dem nachhaltigen und massiven kriminellen Fehlverhalten sei darauf hinzuweisen, dass auch die Drogenproblematik nicht gelöst sei. Es sei daher nicht unverhältnismäßig, an der Ausweisung festzuhalten, sie als Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt anzusehen und dem Rücknahmeantrag nicht zu entsprechen. Es sei nicht ermessensfehlerhaft, den Kläger auf die Möglichkeit der Befristung zu verweisen für den Fall, dass die Wiederholungsgefahr nicht mehr gegeben sei. Mit den Kindern habe der Kläger im übrigen vor seiner Inhaftierung nicht in familiärer Lebensgemeinschaft zusammengewohnt. Möglicherweise werde er von ihnen und von seiner freizügigkeitsberechtigten Mutter noch regelmäßig besucht. Zur Mutter der Kinder habe er aber nur sporadischen und telefonischen Kontakt. Was Art. 8 EMRK angehe, so sei die hohe und konkrete Wiederholungsgefahr zu berücksichtigen; er sei nicht therapiert. Seine Erkrankung führe nicht dazu, dass sein Interesse an der Rücknahme der Ausweisung überwiege, da er erforderliche Medikamente auch in Italien bekommen könne. Für die ersten Tage nach einer Abschiebung nach Italien könnten ihm auch Medikamente mitgegeben werden. Jedenfalls habe der Kläger keinen Anspruch auf die beantragte Rücknahme, und eine am Zweck des § 48 LVwVfG orientierte Ermessensausübung ergebe, dass die Ablehnung des Antrags nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße. Soweit hilfsweise die Befristung beantragt werde, werde auf die angegriffene Verfügung vom 29.9.2004 (Fortbestand der Wiederholungsgefahr) verwiesen.
20 
Dem Senat liegen die den Kläger betreffenden Akten des Verwaltungsgerichts und der Behörden (jeweils 1 Heft Akten des RP Stuttgart und der Stadt Fellbach) vor; sie waren Gegenstand der Verhandlung und Beratung.

Entscheidungsgründe

 
21 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig begründete Berufung (§ 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO) hat Erfolg, soweit der Kläger neben der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.9.2004 die Verpflichtung des beklagten Landes zur erneuten Entscheidung über den Antrag auf Rücknahme der Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4.3.1998 begehrt (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO); die darüber hinausgehende Klage auf Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme dieser Verfügung war allerdings abzuweisen, da dem Kläger kein entsprechender Rücknahmeanspruch zusteht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Da die Klage damit im Hauptantrag (teilweise) Erfolg hat und das erstinstanzliche Urteil insofern abzuändern war, braucht über den Hilfsantrag nicht entschieden zu werden (vgl. auch Sodan/Ziekow, VwGO, 2006, Rn 111 vor § 124).
22 
Gegenstand des mit der Berufung in erster Linie verfolgten Hauptantrags ist der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf Rücknahme der bestandskräftig gewordenen Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4.3.1998 nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG; die damit verbundene Abschiebungsandrohung ist von dem sich auf die “Ausweisungsanordnung“ beschränkenden Berufungsantrag nicht umfasst, und auch eine (zusätzliche) Klage auf Wiederaufgreifen des Verfahrens im Sinn von § 51 VwVfG ist nicht erhoben, da der anwaltlich vertretene Kläger sowohl bei der Behörde als auch beim Verwaltungsgericht ausdrücklich einen Rücknahmeantrag gestellt hat. Dieser Antrag umfasst allerdings bei sachdienlicher Auslegung (§§ 86 Abs. 3, 88 VwGO) nicht nur einen denkbaren Rücknahmeanspruch nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG wegen Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, sondern es ist auf diesen Antrag hin auch zu prüfen, ob der Beklagte deswegen zur „Rücknahme“ der bestandskräftig gewordenen Ausweisungsverfügung verpflichtet ist, weil diese rechtlich unwirksam ist. Die Unwirksamkeit der Verfügung hat der Kläger in Anlehnung an die Rechtsprechung des Hess. VGH und des OVG Berlin (im einzelnen siehe dazu unten) in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich als Klagegrund geltend gemacht, und es ist anerkannt, dass bei einem unwirksamen - oder: wie hier allenfalls unwirksam gewordenen - Verwaltungsakt eine (klarstellende) behördliche Rücknahme des Verwaltungsakts möglich und aus Gründen der Beseitigung des Rechtsscheins gegebenenfalls auch erforderlich ist (siehe dazu Kopp/Ramsauer, VwVfG, 2003, Rn 19a zu § 48; siehe auch Bay. VGH, Urteil vom 12.10.1989 - 26 B 86.02944 -, NVwZ-RR 1991, 117; Hess. VGH, Urteil vom 29.3.2006 - 6 UE 2874/04 - juris und BSG, Urteil vom 23.2.1989 - NVwZ 1989, 902). Bei einer solchen Fallgestaltung ist der Kläger nicht darauf verwiesen, Feststellungsklage nach § 43 Abs. 2 VwGO zu erheben (siehe dazu Sodan/Ziekow, a.a.O., Rn 63 und 71 zu § 43; BSG a.a.O.), was im vorliegenden Fall als Klageänderung im Berufungsverfahren ohnehin prozessual nicht unproblematisch wäre.
23 
Der mit der Berufung verfolgte Anspruch des Klägers auf Rücknahme der bestandskräftigen Ausweisungsverfügung hat jedoch nur teilweise Erfolg. Da diese Verfügung rechtswidrig war, war das Rücknahmeermessen der Behörde nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG eröffnet (1); es wurde allerdings weder in der Ablehnungsverfügung vom 29.9.2004 noch zu einem späteren Zeitpunkt ausgeübt, so dass der Beklagte zu einer entsprechenden Bescheidung nach der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten war (2). Ein darüber hinaus gehender unbedingter Rücknahmeanspruch besteht dagegen nicht (3).
24 
1. Der Kläger ist nicht bereits deswegen rechtlich daran gehindert, die nach seiner Auffassung bei Ergehen der Ausweisungsverfügung bestehende Rechtswidrigkeit geltend zu machen, weil er zuvor der Behörde gegenüber am 15.2.1998 erklärt hatte, er beantrage seine Abschiebung und habe in der Bundesrepublik Deutschland nichts mehr zu suchen, weil er mit Freundin und Kindern nach Italien gehe. Dies ergibt sich bereits daraus, dass das Rücknahmeverlangen nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG nicht darauf abstellt, auf welche Weise der Verwaltungsakt bestandskräftig geworden ist; selbst ein Verzicht auf einen Widerspruch schließt damit ein späteres Rücknahmebegehren nicht aus. Erst recht gilt dies in einem Fall wie dem vorliegenden: Die Einverständniserklärung des Klägers vor Erlass des Verwaltungsakts steht nämlich einem Widerspruchsverzicht nicht gleich (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 20.1.1967 - VII C 191.64 -, NJW 1967, 2027; Kopp/Schenke, VwGO, 2005, Rn 11 zu § 69 und Sodan/Ziekow, a.a.O., Rn 96 zu § 69 Fn 106). Die zur Bestandskraft des Verwaltungsakts führenden konkreten Umstände und insbesondere das Verhalten des Klägers der bevorstehenden Ausweisung gegenüber schließen eine Rücknahme also nicht aus; sie sind allenfalls Gesichtspunkte, die bei der Ausübung des Rücknahmeermessens von Bedeutung sind (siehe auch Senat, Beschluss vom 7.11.2005 - 13 S 1895/05 -; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 4.1.2006 - 11 S 1871/05 - und Kopp/Ramsauer, a.a.O., RN 52 f. zu § 48).
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Für die damit im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG entscheidungserhebliche Frage der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der bestandskräftig gewordenen Ausweisung des Klägers stellt der Senat auf den Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung ab; da der Kläger zu diesem Zeitpunkt freizügigkeitsberechtigt war, kann offen bleiben, inwieweit eine erst später eintretende Rechtswidrigkeit ein Rücknahmeverfahren eröffnen kann (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 28.10.2004 - 1 C 13.03 -, NVwZ-RR 2005, 341; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.9.2001 - 8 S 641/01 -, VBlBW 2002, 208, 209).
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Die Rechtswidrigkeit der bestandskräftig gewordenen Ausweisungsverfügung schon zum Zeitpunkt ihres Erlasses ergibt sich für den Senat allerdings nicht bereits aus den Vorschriften des damals geltenden Ausländergesetzes selbst - tatbestandlich lag ein Fall der Regelausweisung durchaus vor - und auch nicht aus den einfachrechtlichen Modifikationen der Ausweisung, die das damalige AufenthG/EWG insbesondere in § 12 enthielt; auch diese Vorschriften, insbesondere das Erfordernis einer Wiederholungsgefahr (§ 12 Abs. 3 und 4 AufenthG/EWG) sind eingehalten worden. Der Senat ist auch nicht der Auffassung, dass die Ausweisung des Klägers als eines Ausländers der sog. zweiten Generation aus Gründen des als Gesetzesrecht zu beachtenden Art. 8 Abs. 1 EMRK rechtswidrig war; angesichts der erheblichen Vorstrafen des Klägers und der jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt offen zu Tage liegenden Wiederholungsgefahr hinsichtlich gravierender Delikte war der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in das Schutzgut „Familienleben“ im Sinn des Art. 8 Abs. 1 EMRK für die öffentliche Sicherheit bzw. zur Verhütung von Straftaten im Sinn des Art. 8 Abs. 2 EMRK notwendig und verhältnismäßig (s. dazu Breitenmoser/Riemer/Seitz, Praxis des Europarechts - Grundrechtsschutz, 2006, S. 66, 67 m.w.N. und die Nachweise bei Grote/Marauhn, EMRK/GG, Konkordanzkommentar, 2006, Kap. 16 Rn 94 m.w.N.) In Fällen wie dem vorliegenden hätte auch nicht notwendigerweise mit der Ausweisung selbst schon über eine Befristung der Wirkungen entschieden werden müssen. Eine solche zusätzliche Entscheidung lag im Fall des Klägers zum damaligen Zeitpunkt bereits wegen dessen vorangegangener Erklärung, er habe in der Bundesrepublik Deutschland nichts mehr zu suchen, nicht nahe; sie war aber auch nicht nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) geboten. Zwar hat der EGMR in mehreren Entscheidungen eine Ausweisung eines Ausländers also unverhältnismäßig beurteilt, die keine Befristungsentscheidung enthielt (siehe Urteile vom 17.4.2003 - Yilmaz -, NJW 2004, 2147, 2149; Urteil vom 22.4.2004 - Radovanovic -, InfAuslR 2004, 374 und Urteil vom 27.10.2005 - Keles -, InfAuslR 2006, 3); das deutsche Recht wird dem dieser Rechtsprechung zugrunde liegenden Gedanken der Verhältnismäßigkeit aber dadurch gerecht, dass es im Regelfall einen Befristungsanspruch gewährt (siehe damals § 8 Abs. 2 AuslG und heute § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG und BVerwG, Beschluss vom 27.6.1997 - 1 B 126/97 -, Buchholz 402.240 § 8 AuslG 1990 Nr. 13).
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Letztlich kann diese Frage aber offen bleiben; ein im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG beachtlicher Verstoß der Ausweisungsverfügung gegen Rechtsvorschriften ergibt sich nämlich daraus, dass der Kläger zum damaligen Zeitpunkt freizügigkeitsberechtigt war und dass entsprechende gemeinschaftsrechtliche Bindungen zu beachten waren (1.1). Insbesondere durfte der Kläger nicht nach den Vorschriften der Regelausweisung ausgewiesen werden, sondern es war Ermessen auszuüben (1.2). Auf das Vorliegen weiterer gemeinschaftsrechtlicher Bindungen und die Frage, ob sie eingehalten sind, kommt es danach nicht mehr an (1.3).
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1.1. Ob der Kläger zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung aus eigenem Recht freizügigkeitsberechtigt war, ist zweifelhaft, kann letztlich aber offen bleiben. Mangels Arbeitnehmereigenschaft bzw. Arbeitssuche liegen die Voraussetzungen der Verordnungen Nr. 1612/68/EWG und 1251/70/EWG über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft nicht vor (siehe Art. 1 und Art. 2 VO 1612/68/EWG); daraus folgt auch das Fehlen eines Freizügigkeitsrechts entsprechend der RL 68/360/EWG (Art. 1 und Art. 4 Abs. 1). Unabhängig von der Frage der Arbeitnehmereigenschaft und Erwerbstätigkeit leitet der Europäische Gerichtshof (EuGH) allerdings ein allgemeines Freizügigkeitsrecht bereits aus der (bei dem Kläger als italienischem Staatsangehörigen bestehenden) Unionsbürgerschaft (Art. 18 EG) her; dies gilt jedenfalls seit der Entscheidung Baumbast (siehe EuGH, Urteil vom 17.9.2002 - C 413/99 -, InfAuslR 2002, 463, Rn 84/8Rn 84/85; zur früheren Rechtslage vgl. auch BVerwG, Vorlageentscheidung vom 18.9.2001 - 1 C 17/00 -, NVwZ 2002, 339 m.w.N.). In der Folgezeit hat der EuGH diese Rechtsprechung fortgeführt und bestärkt (siehe Urteil vom 29.4.2004 - Orfanopoulos und Oliveri -, - C 282/01 -, Rn 65, NVwZ 2004, 1099; Urteil vom 15.3.2005 - Bidar -, - C 209/03 -, Rn 36, NJW 2005, 2055; Urteil vom 23.3.2006 - Kommission -, - C 408/03 -, Rn 37, NVwZ 2006, 918), und Literatur und nationale Rechtsprechung sind dem weitgehend gefolgt (siehe Sander, DVBl. 2005, 1014 und Westphal/Stoppa, InfAuslR 2004, 133; Lenz/Borchardt, EU- und EGV, 2006, RN 2 zu Art. 18; siehe auch Hess. VGH, Beschluss vom 29.12.2004 - 12 TG 3212/04 -, AuAS 2005, 74). Allerdings hat der Europäische Gerichtshof in einer weiteren Entscheidung (Urteil vom 7.9.2004 - C 456/02 -, -Trojani-, Rn 36, InfAuslR 2004, 417) zu den „Beschränkungen und Bedingungen“ der Freizügigkeit im Sinn des Art. 18 Abs. 1 EG ausgeführt, bei Fehlen ausreichender Existenzmittel im Sinn der RL 90/364/EWG erwachse dem Unionsbürger kein Recht zum Aufenthalt; diese Formulierung legt den Schluss nahe, dass bei Nichterfüllung dieser Beschränkungen und Bedingungen die Unionsbürgerschaft allein zur Entstehung des Freizügigkeitsrechts noch nicht ausreicht. Dass im Fall des Klägers ausreichende Existenzmittel im Sinn der genannten Richtlinie im Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung nicht vorhanden waren, liegt für den Senat angesichts des Fehlens gesicherter Einkünfte und seiner schweren Erkrankung mehr als nahe; selbst wenn er in gewissem Umfang von seiner damaligen Ehefrau und/oder seinen italienischen Eltern unterstützt worden sein mag, dürfte es jedenfalls an ausreichender Krankheitsvorsorge gefehlt haben (vgl. dazu auch EuGH, Urteil vom 19.10.2004 - C 200/02 -, - Chen -, InfAuslR 2004, 413 und vom 23.3.2006, a.a.O.). Hiervon abgesehen geht der EuGH jedenfalls dann vom Fehlen bzw. Erlöschen des Freizügigkeitsrechts aus, wenn die Nichterfüllung der „Beschränkungen und Bedingungen“ der Freizügigkeit (siehe Art. 18 Abs. 1 EG) dem Betroffenen „entgegengehalten“ worden ist (siehe EuGH, Bidar, a.a.O., Rn 36). Eine derartige behördliche Entscheidung - zum neuen Recht siehe § 7 Abs. 1 FreizügG/EU - kann hier durchaus in der Ausweisungsverfügung selbst gesehen werden, die dem Kläger ausdrücklich wegen fehlender Existenzmittel und wegen fehlenden Krankenversicherungsschutzes gemeinschaftsrechtliche Freizügigkeit abgesprochen hat (S. 6 f. der Ausweisungsverfügung) und die der Kläger ebenso wie die Ausweisung selbst akzeptiert hat.
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Letztlich kann der Senat jedoch offen lassen, ob der Kläger sich zum damaligen Zeitpunkt auf ein Freizügigkeitsrecht aus eigenem Recht berufen konnte; er war jedenfalls aus abgeleitetem Recht als Familienangehöriger freizügigkeitsberechtigt. Ein solches Recht scheidet nicht bereits deswegen aus, weil der Kläger bereits im Bundesgebiet geboren wurde und es damit „an sich“ an dem erforderlichen grenzüberschreitenden Element fehlt (siehe dazu EuGH - Chen -, a.a.O. Rn 19/20). Ob der Kläger als Familienangehöriger von seiner italienischen Mutter oder von seinem italienischen Stiefvater (siehe dazu EuGH , Urteil vom 30.9.2004 - C 275/02 -, - Ayaz -, InfAuslR 2004, 416 und Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht, Rn 17 zu § 3 FreizügG) ein Freizügigkeitsrecht ableiten konnte, obwohl er über 21 Jahre alt war, insbesondere ob ausreichende Unterhaltsleistungen der Stammberechtigten vorlagen (siehe dazu EuGH, Chen, a.a.O., und Kommission, a.a.O.), ist angesichts der Einstellung der Eltern des Klägers zu seiner Drogenabhängigkeit fragwürdig; der Senat braucht diese Fragen jedoch nicht zu entscheiden, weil der Kläger jedenfalls von seinen Kindern als Stammberechtigte ein entsprechendes Freizügigkeitsrecht herleiten konnte. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
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Die Kinder des Klägers sind (auch) italienische Staatsangehörige (siehe Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Bd. 8 (Italien), S. 6 mit Hinweis auf Art. 1 des italienischen Gesetzes 91/1992 vom 5.2.1992). Die Tatsache, dass sie daneben die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, ändert an ihrer Eignung als „Stammberechtigte“ nichts (siehe EuGH, Urteil vom 7.7.1992 - C 369/90 -, - Micheletti -, InfAuslR 1992, 2). Kraft ihrer Rechtsstellung als Unionsbürger konnten die Kinder des Klägers diesem trotz ihrer Geburt in Deutschland ein Freizügigkeitsrecht vermitteln (siehe dazu EuGH - Chen -, a.a.O.), und sie selbst waren nach der oben wiedergegebenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unmittelbar aus Art. 18 Abs. 1 EG freizügigkeitsberechtigt. Dabei ist es ohne rechtliche Bedeutung, dass die maßgebende Rechtsprechung des EuGH sowohl zum Freizügigkeitsrecht unmittelbar aus Art. 18 EG als auch zur „Erstreckung“ des Freizügigkeitsrechts von Kindern auf Eltern (s. dazu unten) erst nach Erlass der Ausweisungsverfügung entwickelt worden ist; sie erfasst auch zurückliegende Tatbestände, die im Sinn der „geläuterten“ Rechtsprechung zu beurteilen sind (siehe dazu EuGH, Urteil vom 2.12.1997 - C 188/95 -, Fantask -, Slg I 06783, Rn 36,37; vgl. auch die Rechtsprechung des BVerwG zum Verständnis der RL 64/221/EWG, Urteile vom13.9.2005 - 1 C 7.04 -, InfAuslR 2006, 110, und vom 6.10.2005 - 1 C 5.04 -, InfAuslR 2006, 114 und Kopp/Ramsauer, a.a.O. Rn 35 zu § 48 m.w.N.). Dass die Kinder des Klägers ihrerseits die „Beschränkungen und Bedingungen“ der Freizügigkeit (siehe Art. 18 Abs. 1 EG) unter irgendeinem Gesichtspunkt (Existenzmittel, Krankheitsvorsorge) nicht erfüllt hätten, ist nicht ersichtlich; erst recht ist ihnen ein solcher Tatbestand im Sinn der Rechtsprechung des EuGH (Bidar, a.a.O.) auch nicht „entgegengehalten“ worden. Aus dieser Rechtsstellung folgt, dass nicht nur sie selbst im maßgebenden Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung freizügigkeitsberechtigt waren, sondern dass zusätzlich eine Gefährdung ihres Freizügigkeitsrechts durch eine Ausweisung ihres Vaters gemeinschaftsrechtlich zu vermeiden war (siehe EuGH, Baumbast, a.a.O. Rn 72 f. und Chen, a.a.O. Rn 45). In den genannten Entscheidungen hat der Europäische Gerichtshof nämlich ein den Kindern zustehendes Freizügigkeitsrecht in bestimmten Fällen auf die Eltern erstreckt; er hat sich dabei an der Überlegung orientiert, dass das einem Kind nach der Gemeinschaftsgesetzgebung zustehende Recht verloren gehen könnte, wenn den Eltern die Möglichkeit versagt würde, während der Schulausbildung ihrer Kinder im Aufnahmemitgliedstaat zu verbleiben. Dies gilt nach Auffassung des EuGH jedenfalls für solche Eltern, die die Personensorge tatsächlich wahrnehmen und sich bei dem Kind aufhalten (siehe EuGH, Baumbast, a.a.O., Rn 71 und 73; siehe auch EuGH - Chen -, a.a.O. Rn 45). Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser „Erstreckung“ des gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechts der Kinder auf die Eltern waren im Fall des Klägers auch gegeben:
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Zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung lagen - bezogen auf den Kläger, seine damalige Noch-Ehefrau und die beiden Kinder - die ein „Familienleben“ im Sinn der (auf Art. 8 Abs. 1 EMRK Bezug nehmenden) Rechtsprechung des EuGH begründenden Umstände vor; der Kläger wohnte mit seinen Familienangehörigen zusammen, und es ist auch davon auszugehen, dass die in den genannten Urteilen für eine Erstreckung der Freizügigkeit vorausgesetzte tatsächliche Personensorge für die Kinder (auch) von ihm wahrgenommen wurde (zu den Anforderungen des Art. 8 EMRK siehe Grote/Marauhn, a.a.O. Kap. 16 Rn 41 und Breitenmoser/Riemer/Seitz, a.a.O., S. 59 und 60). Der tatsächliche Kontakt, auf den es in diesem Zusammenhang ankommt, endete auch nicht in den Zeiträumen, in denen der Kläger inhaftiert war; es bestand regelmäßiger Besuchskontakt (alle zwei Wochen) mit seiner damaligen Ehefrau und den Kindern (RP-Akten S. 26), und auch sonst hatte - wie aus den Ausländerakten der Stadt Fellbach hervorgeht - keine Seite die Absicht, die familiäre Lebensgemeinschaft zu beenden (siehe etwa Vermerke vom 25.11.1997 und 16. und 18.12.1997). Die Inhaftierungszeiten haben damit den der Rechtsprechung des EuGH zur Erstreckung des Freizügigkeitsrechts auf Eltern zugrunde liegenden familienrechtlichen Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht berührt (vgl. dazu auch Grote/Maraun, a.a.O., Kap. 16 Rn 45 m.w.N.).
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Die dem Schutz des Freizügigkeitsrechts der Kinder dienende Erstreckung dieses Rechts auf ihren Vater scheitert im vorliegenden Fall auch nicht daran, dass die Kinder gleichzeitig deutsche Staatsangehörige sind. Zwar folgt hieraus, dass naturgemäß ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland zu keinem Zeitpunkt in Frage stand; die gegen den Kläger ergangene Ausweisung setzte aber gleichwohl die Familienangehörigen dem mittelbaren Druck aus, dem Kläger nach Italien zu folgen. Dass es im vorliegenden Fall hierzu nicht kam, weil die Kinder und ihre Mutter sich für den weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet entschieden, ändert daran nichts, zumal der weitere Zusammenhalt der Familienangehörigen in der illegalen Wiedereinreise des Klägers und in seinen (heimlichen) Besuchen bei der Familie zum Ausdruck kommt. Es spricht mehr dafür, dass die Familienangehörigen des Klägers die bevorstehende Trennung nicht durch ihre Nachreise nach Italien, sondern durch weiteren Kontakt in der Illegalität verhindern bzw. entschärfen wollten. Da die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Entscheidungen Baumbast und Chen, jeweils a.a.O.) eine für Kinder bei Ausweisung eines Elternteils entstehende Zwangslage vermeiden will, ist sie auch auf Fallgestaltungen wie die hier vorliegende anwendbar.
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Auf das aus seinen Kindern abgeleitete Freizügigkeitsrecht hat der Kläger schließlich auch nicht durch seine Erklärung vom 15.2.1998 verzichtet. Wie bereits ausgeführt worden ist, betraf diese Erklärung nur die konkret bevorstehende Abschiebung; mit ihr wollte der Kläger für die Behörde erkennbar eine vorzeitige Haftbeendigung in Deutschland erreichen. In der mündlichen Verhandlung hat er dazu glaubhaft angegeben, es sei ihm darum gegangen, möglichst früh in Italien wieder an Drogen zu kommen. Als Verzicht auf ein Freizügigkeitsrecht, das ihn auch zur Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland berechtigen würde, ist diese Erklärung nicht aufzufassen, ganz abgesehen davon, dass es insofern offenbar an einem verbindlichen rechtlichen Erklärungswillen - sozusagen für alle Zukunft - fehlte und ein wesentliches Element der Erklärung - die Mitausreise der Familienangehörigen - nicht Realität wurde. Insofern sind strenge Anforderungen zu stellen; sogar bei einer Ausreise „zum Sterben in der Heimat“ hat die Rechtsprechung die Annahme eines Freizügigkeitsverzichts abgelehnt (siehe dazu und zu den Voraussetzungen eines solchen Verzichts OVG Koblenz, Beschluss vom 17.6.1996 - 11 B 11155/96 -, InfAuslR 1996, 337 m.w.N.). Verzichtserklärungen im europäischen Recht sind auf die konkrete Handlung beschränkt und nicht mit Zukunftswirkung verbunden (siehe dazu Umbach/Clemens, GG, 2002, Rn 8 zu Art. 18). Insofern gilt nichts anderes als bei grundgesetzlich gewährleisteten Rechten (siehe dazu im einzelnen Jarass/Pieroth, GG, 2004, Vorbem. vor Art. 1, Rn 36 und Dreier, GG, 1996, Vorbem. 83, je m.w.N.). Auch ist zu bedenken, dass zum damaligen Zeitpunkt ein aus dem Unionsbürgerrecht selbst fließendes Aufenthaltsrecht noch nicht durch den Europäischen Gerichtshof anerkannt war; 1997 hatte der Europäische Gerichtshof noch entschieden, dass die Unionsbürgerschaft keine Ausdehnung der Rechtsstellung bewirken wolle (siehe dazu Lenz/Borchardt, a.a.O., Rn 2 zu Art. 18). Für einen entsprechenden Verzichtswille fehlt es daher zum damaligen Zeitpunkt an einer Grundlage.
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1.2. Konsequenz des dem Kläger nach diesen Ausführungen bei Erlass der Ausweisungsverfügung zustehenden Freizügigkeitsrechts war, dass entsprechende gemeinschaftsrechtliche Ausweisungsschranken anzuwenden waren; insbesondere schied im Fall des Klägers eine (nach nationalem Recht zutreffende) Regelausweisung aus und es war Ausweisungsermessen auszuüben. Der Europäische Gerichtshof hat - allerdings erst im Jahr 2004, aber gleichwohl mit Wirkung auch für frühere Ausweisungsfälle (siehe dazu oben 1.1) -entschieden, dass bei freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern die Tatbestände der zwingenden und der Regelausweisung als Rechtsgrundlagen ausscheiden; solche Ausländer dürfen nur aufgrund einer ausländerbehördlichen Ermessensentscheidung ausgewiesen werden (siehe dazu EuGH, Urteil vom 29.4.2004 - Rs C 482/01 - und C 493/01 - Orfanopoulos und Oliveri, DVBl. 2004, 876), und das Bundesverwaltungsgericht hat sich dem angeschlossen (Urteil vom 3.8.2004 - 1 C 30.02 -, NVwZ 2004, 1099). Die frühere - abweichende - Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist damit aufgegeben worden. Im Licht dieser - allerdings neueren - Rechtsprechung könnte die gegen den Kläger ergangene Ausweisungsverfügung im Verfahren über den Rücknahmeantrag nur dann als rechtmäßig beurteilt werden, wenn die Behörde die Ausweisung des Klägers nicht nur auf den Tatbestand der Regelausweisung gestützt, sondern hilfsweise Ermessen ausgeübt hätte. Dies ist hier aber nicht geschehen. Die Behörde ging ausdrücklich von einer sog. Ist-Ausweisung nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG aus, die wegen der ausländerrechtlichen Privilegierung des Klägers als Vater zweier deutscher Kinder in eine Regelausweisung nach § 47 Abs. 2 AuslG herabgestuft wurde (§ 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG); die Behörde hat danach lediglich noch geprüft, ob eine atypische Fallgestaltung vorliegt, die eine Ermessensausweisung gebietet (S. 9 ff. der Ausweisungsverfügung), und diese Frage verneint. Die Verfügung setzt sich zwar bei der Prüfung, ob eine atypischen Fallgestaltung gegeben ist, mit der bisherigen Lebensführung des Klägers im einzelnen auseinander; diese Gesichtspunkte können aber nicht in eine Ermessensausübung „umgedeutet“ werden, da Rechtserwägungen im Zusammenhang mit der Problematik der Atypik keine Ermessenserwägungen sind (so ausdrücklich BVerwG, Urteil vom 19.11.1996 - 1 C 25/94 -, InfAuslR 1997, 152). Die Tatsache, dass bei der Prüfung der Atypik alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (siehe BVerwG, Urteil vom 26.2.2002 - 1 C 21/00 -, NVwZ 2002, 1512), begründet daher nicht die Annahme einer Ermessensentscheidung; die Atypik führt erst tatbestandsmäßig zur Ermessensausübung (siehe BVerwG, Urteil vom 31.8.2004 - 1 C 25/03 -, NVwZ 2005, 229).
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1.3. Der Senat kann offen lassen, ob die Ausweisungsverfügung gegen den Kläger nicht nur wegen unterbliebener Ermessensausübung, sondern auch wegen Verletzung des Art. 9 RL 64/221/EWG als rechtswidrig anzusehen ist (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 13.9.2005, a.a.O. und vom 6.10.2005, a.a.O.), ob der in dieser Richtlinie gebotene verfahrensrechtliche Schutz wegen der Einwilligung des Klägers in seine Ausweisung bzw. Abschiebung entbehrlich war und ob ein gegebenenfalls vorliegender Rechtsverstoß durch den späteren Wegfall der Richtlinie gegenstandslos geworden ist (siehe dazu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18.10.2006 - 13 S 192/06 -). Offensichtlich fehlerhaft wäre allerdings die Annahme, es hätten im Weg der sog. Vorwirkung bereits damals (1998) die materiellen Ausweisungsvoraussetzungen der weitaus späteren RL 2004/38/EG gegolten.
36 
2. Aus der wegen Ermessensunterschreitung vorliegenden Rechtswidrigkeit der Ausweisungsverfügung ergibt sich, dass entgegen der Auffassung der Behörde tatbestandsmäßig eine Rücknahme nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG in Betracht kam; die Behörde war dementsprechend verpflichtet, über den Rücknahmeantrag nach Ermessen zu entscheiden. Die Behörde hat jedoch in der Verfügung vom 29.9.2004 den Antrag auf Rücknahme der Ausweisung aus Rechtsgründen, d.h. wegen fehlender Rechtswidrigkeit der Verfügung, abgelehnt (S. 3 der Verfügung); (wenigstens) hilfsweise Ermessensausübung liegt auch insofern nicht vor, zumal die weiteren Ausführungen der Behörde im Zusammenhang mit dem Hilfsantrag auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung bzw. Abschiebung nicht als Ermessensausführungen im Zusammenhang mit § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG aufgefasst werden können (siehe dazu auch oben). Das Rücknahme-Ermessen ist auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt worden; insbesondere liegt kein „Ergänzen“ im Sinn des § 114 Satz 2 VwGO vor. Im gerichtlichen Verfahren hat die Behörde an ihrer Auffassung zur Rechtmäßigkeit der Verfügung festgehalten. Sie hat zwar ausgeführt, ihr müsse noch die Möglichkeit der Nachholung des Ermessens gegeben werden, und sich insoweit auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 3.8.2004 (a.a.O.) bezogen; damit verkennt sie aber, dass diese Entscheidung die Anfechtungsklage gegen eine Ausweisungsverfügung und nicht - wie hier - eine Klage auf Rücknahme dieser Verfügung betrifft. Die Verweisung auf das Befristungsverfahren ist keine Ermessensbetätigung im Rücknahmeverfahren, und eine bestandskräftig gewordene „Alt-Ausweisung“ kann auch nicht in eine nach Voraussetzungen und Struktur unterschiedliche Feststellung nach § 6 FreizügG umgedeutet werden (siehe auch OLG Hamburg, Beschluss vom 21.11.2005 - 1 Ws 212/05 -, InfAuslR 2006, 118, 120). Im übrigen wäre wegen des ursprünglichen Fehlens von Ermessenserwägungen überhaupt eine bloße „Ergänzung“ im Sinn des § 114 Satz 2 VwGO nicht zulässig (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 5.9.2006 - 1 C 20.05 -, juris und VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.11.2006 - 13 S 1566/06 -). Die aufgrund der aktuellen EuGH-Rechtsprechung (Entscheidung Orfanopoulos a.a.O.) vom Bundesverwaltungsgericht über § 114 Satz 2 VwGO hinaus eingeräumte generelle Nachholmöglichkeit ist hier nicht geboten, da die Rechtswidrigkeit der Ausweisungsverfügung hier nicht auf neuen Erkenntnissen während des Anfechtungsverfahrens beruhte, sondern auf der bereits 2002 eingeleiteten Rechtsprechung zu Art. 18 EG und zur Erstreckung der Freizügigkeit auf Kinder (siehe oben), die ohne weiteres (wenigstens hilfsweise) im Ablehnungsbescheid von 2004 hätte berücksichtigt werden können.
37 
3. Die danach vorliegende Ermessensunterschreitung führt allerdings nur zu einer entsprechenden Bescheidungsverpflichtung des beklagten Landes nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO; eine darüber hinausgehende Verpflichtung des Beklagten zur unmittelbaren Rücknahmeentscheidung kam nicht in Betracht, so dass die auf dieses Ziel gerichtete Klage (teilweise) abzuweisen war. Einen direkt auf Rücknahme der Ausweisungsverfügung gerichteten Anspruch kann der Kläger nicht unter dem Gesichtspunkt der sog. Ermessensreduzierung auf die Rücknahme als einzig rechtlich zutreffende Entscheidung verlangen (3.1), und eine Pflicht der Behörde zur (in diesem Fall: deklaratorischen) Rücknahme besteht auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Unwirksamkeit der Ausweisungsverfügung (3.2).
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3.1. Weder nationales Recht noch Gemeinschaftsrecht gebieten es im vorliegenden Fall dem beklagten Land, die gegen den Kläger ergangene Ausweisungsverfügung zurückzunehmen.
39 
Für das nationale Recht folgt dies daraus, dass im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG im Hinblick auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit einerseits und das der Rechtssicherheit andererseits nur ausnahmsweise ein Rücknahmeanspruch besteht; die Aufrechterhaltung des Bescheides müsste dann „schlechthin unerträglich“ sein (siehe dazu z.B. BVerwG, Beschluss vom 15.3.2005 - 3 B 86/04 -, DÖV 2005, 651 m.w.N.). Eine solche Fallgestaltung ist hier nicht gegeben; einmal war der Kläger, was für die Ermessensausübung durchaus relevant sein kann, mit seiner Abschiebung zum damaligen Zeitpunkt einverstanden, und zum anderen erscheint die Aufrechterhaltung der Ausweisungsverfügung auch nicht deswegen im Sinn der oben angeführten Rechtsprechung „schlechthin unerträglich“, weil die zur Annahme der Rechtswidrigkeit führende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum abgeleiteten Freizügigkeitsrecht von Kindern und zum Unionsbürgerrecht erst Jahre nach dem Erlass der Ausweisungsverfügung entwickelt wurde. Auch ergibt sich eine Ermessensreduzierung nicht aus dem Verhalten der Behörde selbst oder daraus, dass das Rücknahmeinteresse des Betroffenen eindeutig und offensichtlich schwerer wiegen würde als das öffentliche Interesse an einer Rücknahme (zu diesen Kriterien siehe Kopp/Ramsauer, a.a.O., Rn 55 zu § 48). Im übrigen käme es in diesem Zusammenhang bei der Ermessensausübung auch auf die Frage an, ob der Kläger in der Tat zum Entscheidungszeitpunkt drogenfrei ist und wie die Rückfallprognose aussieht.
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Auch Gemeinschaftsrecht verpflichtet den Beklagten zur Rücknahme der Ausweisungsverfügung nicht. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
41 
Dass Gemeinschaftsrecht in Fällen der vorliegenden Art keinen unbedingten Rücknahmeanspruch begründet, hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in seiner bisherigen Rechtsprechung ausgeführt (siehe z.B. Beschluss vom 4.1.2006 - 11 S 1871/05 - und Beschluss vom 7.11.2005 - 13 S 1895/05 -), und dies entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 15.3.2005 - 3 B 86/04 - a.a.O.). Vom nationalen Recht vorgesehene Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung - mit der Folge der Bestandskraft bei Nichteinhaltung dieser Fristen - sind nämlich deswegen grundsätzlich mit Gemeinschaftsrecht vereinbar, weil sie ein Anwendungsfall des auch für das Gemeinschaftsrecht grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit sind (siehe EuGH, Urteil vom 2.12.1997 - C 188/95 -, Fantask, Slg I O6783, Rn 45; Urteil vom 13.1.2004 - C 453/00 -, Kühne und Heitz, DVBl. 2004, 373, Rn 24 und zuletzt Urteil vom 19.9.2006 - C 392/04 -und - C 422/0C 422/04 -, I 21, NVwZ 2006, 1277 Rn 51). Während die frühere Rechtsprechung des EuGH die Frage der Bestandskraft gemeinschaftsrechtswidriger Verwaltungsakte nicht problematisiert hatte (siehe dazu die Nachweise bei Gärditz, NWVBl. 2006, 442 Fn 34 f. und beispielhaft EuGH, Urteil vom 2.12.1997, a.a.O.), hat erstmals die Entscheidung Kühne und Heitz (a.a.O.) bestimmte Voraussetzungen für eine behördliche Pflicht zur Überprüfung bestandskräftiger gemeinschaftswidriger Verwaltungsakte formuliert (siehe dazu auch Epiney, NVwZ 2006, 410 f.). Diese Bedingungen sind im vorliegenden Fall nicht (kumulativ) erfüllt: Zwar ist die Behörde nach nationalem Recht (hier: § 48 VwVfG) zur Rücknahme befugt, die Bestandskraft der Entscheidung beruht aber nicht wie im Fall Kühne/Heitz auf einem nationalen Gerichtsurteil, das die Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EG verletzt hat, und der Betroffene hat sich auch nicht unmittelbar nach Kenntniserlangung von der Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung (hier: Urteile Baumbast und Chen, jeweils a.a.O.) an die Behörde gewandt und Rücknahme beantragt. Ganz unabhängig hiervon ist darauf hinzuweisen, dass Gegenstand der Entscheidung Kühne/Heitz nicht explizit die Frage der Rücknahmepflicht, sondern nur die Frage der Prüfungspflicht war (siehe dazu im einzelnen Gärditz a.a.O. S. 448). Eine Pflicht zur Überprüfung des bestandskräftigen, aber gemeinschaftswidrigen Verwaltungsakts bedeutet noch nicht die Pflicht zur Aufhebung (Gärditz a.a.O. Rn 105 m.w.N.). Die anlässlich der Entscheidung Kühne/Heitz in Literatur und Rechtsprechung aufgetretenen Unklarheiten (siehe dazu, Epiney a.a.O. S. 410 und Pache/Bieletz, DVBl. 2006, S. 331) sind im übrigen durch die weitere Rechtsprechung des EuGH im wesentlichen beseitigt worden. Die Entscheidung vom 16.3.2006 (- C 234/04 - Kapferer, DVBl. 2006, 569), die allerdings nicht (nur) bestandskräftige, sondern rechtskräftige Entscheidungen betrifft, hat bereits das vorangegangene Urteil Kühne/Heitz relativiert, und der EuGH hat im Urteil vom 19.9.2006 (I 21, a.a.O.) schließlich ausdrücklich ausgeführt, dass - von der Anerkennung der Bestandskraft ausgehend - (Rn 51) eine Überprüfungspflicht der Behörde bei Nichtausschöpfung des Rechtsbehelfsverfahrens grundsätzlich nicht besteht (Rn 53) und dass es Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung ist, die Modalitäten einer Rücknahme bzw. einer erneuten Überprüfung festzulegen. Die Überprüfungs- und Rücknahmepflicht nach nationalem Recht (hier: § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG) wird damit mit der gemeinschaftsrechtlichen Überprüfungs- und Rücknahmepflicht parallelisiert (EuGH, I 21, a.a.O. Rn 63 f. und Gärditz a.a.O. S. 446 f.); wo das nationale Recht keine Rücknahmepflicht ergibt, lässt sie sich also nicht zusätzlich aus Gemeinschaftsrecht herleiten. Bereits oben ist ausgeführt worden, dass unter dem Gesichtspunkt des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG die Aufrechterhaltung der gegen den Kläger ergangenen Ausweisung nicht „schlechthin unerträglich“ ist, eine Rücknahmepflicht insoweit also nicht besteht, und diese Überlegungen gelten auch im hier interessierenden Zusammenhang. Der Verzicht des Klägers auf Rechtsbehelfe und die Tatsache, dass der Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht keineswegs offensichtlich war - die die Freizügigkeit begründende Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs stammt wie ausgeführt aus einem Zeitraum nach Erlass der Ausweisungsverfügung - stehen auch hier der Annahme einer
Rechts verpflichtung entgegen. Von besonderer Gravität oder gar (zusätzlicher) Offensichtlichkeit eines Gemeinschaftsrechtsverstoßes kann unter diesen Gesichtspunkten ohnehin nicht ausgegangen werden. Nach den Grundsätzen der I 21-Entscheidung des EuGH (a.a.O.) ist es vielmehr auch gemeinschaftsrechtlich zu akzeptieren, wenn sich das nationale Recht (§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG) angesichts der hier widerstreitenden Interessen (Rechtssicherheit einerseits, materielle Rechtmäßigkeit andererseits) mit einer Ermessensentscheidung der Behörde begnügt.

42 
3.2 Der Kläger kann die Rücknahme der gegen ihn ergangenen Ausweisungsverfügung auch nicht unter dem Gesichtspunkt der (deklaratorischen) Aufhebung einer unwirksamen oder unwirksam gewordenen Verfügung erreichen; die Voraussetzungen eines solchen „Rücknahme“-Anspruchs (zur Zulässigkeit einer solchen Rücknahme siehe oben vor 1.) sind nämlich nicht gegeben.
43 
Bei Erlass der Ausweisungsverfügung und auch in der Folgezeit bis zum Inkrafttreten des FreizügG/EU lag kein Grund für die Annahme von Unwirksamkeit (siehe § 43 Abs. 1 und 2 VwVfG) oder gar von Nichtigkeit (§ 43 Abs. 3 i.V.m. § 44 VwVfG) der Ausweisungsverfügung vor; dies liegt für den Senat auf der Hand und bedarf keiner näheren Ausführungen; sie folgt insbesondere nicht aus dem vom Kläger in diesem Zusammenhang für sich in Anspruch genommenen Urteil des EuGH vom 29.4.1999 (- C 224/97 -, Ciola), das sich lediglich mit strafrechtlichen Folgen des Verstoßes gegen gemeinschaftsrechtswidrige Verfügungen auseinandersetzt. Die Ausweisungsverfügung ist aber auch nicht durch Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes zum 1.1.2005 unwirksam geworden. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
44 
Soweit in der Rechtsprechung angenommen wird, mit dem Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes hätten die nach früherem Recht ergangenen Ausweisungsverfügungen gegenüber Unionsbürgern ihre Rechtsgrundlage verloren (so für nicht bestandskräftig gewordene Ausweisungsverfügungen Hess. VGH, Beschluss vom 29.12.2004 - 12 TG 3212/04 -, NVwZ 2005, 837; für bestandskräftige Verfügungen OVG Berlin, Beschluss vom 15.3.2006 - 8 S 823/05 -, NVwZ 2006, 953), ist diese Rechtsprechung teilweise nicht einschlägig, da im vorliegenden Fall Bestandskraft gegeben ist; teilweise kann der Senat ihr aus anderen Gründen nicht folgen. Er schließt sich vielmehr der Gegenmeinung an, die die (fortdauernde) Wirksamkeit bestandskräftig gewordener Ausweisungen bejaht (siehe dazu OVG Hamburg, Urteil vom 22.3.2005 - 3 Bf 294/04 -, EzAR; OVG Lüneburg, Beschluss vom 30.6.2006 - 11 LA 147.05 -, AuAS 2006, 185, ebenso schon VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 7.11.2005 - 13 S 1885/05 - und Beschluss vom 4.1.2006 - 11 S 1871/05 -). Das bloße Fehlen einer für Verfügungen nach dem damaligen AufenthG/EWG ergangenen Ausweisung geltenden Übergangsvorschrift bzw. das Fehlen einer Verweisung auf § 102 Abs. 1 AufenthG in § 11 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU begründet fehlende Fortgeltung bereits deswegen nicht, weil sich im vorliegenden Fall die Fortdauer der Wirkungen der Ausweisung bereits unmittelbar aus § 102 Abs. 1 AufenthG ergibt. Die Vorschrift erfasst nämlich im Anwendungsbereich jedenfalls die auf das frühere Ausländergesetz gestützten Ausweisungsverfügungen, und um eine solche Verfügung handelt es sich im vorliegenden Fall, weil die Freizügigkeitsberechtigung und damit die Anwendung des AufenthG/EWG ausdrücklich verneint worden sind und Rechtsgrundlage der Ausweisung gerade das AuslG war. Außerdem ist der Anwendungsbereich des (späteren) FreizügG/EU und damit auch dessen § 11 Abs. 1 noch aus einem anderen Grund nicht gegeben; dieses Gesetz stellt durch die Bezugnahme auf § 1 FreizügG/EU auch in der Vorschrift des § 11 Abs. 1 auf die Freizügigkeitsberechtigung als Voraussetzung ab. Diese ist aber durch die Bestandskraft der auf das allgemeine Ausländergesetz gestützten Ausweisung entfallen (siehe auch Funke-Kaiser, Rn 2 zu § 102; OVG Hamburg, Beschluss vom 14.12.2005 - Bs 79/05 -, InfAuslR 2006, 305; Lüdke, InfAuslR 2005, S. 178; a.A. Gutmann, InfAuslR 2005, 125). Aus der fehlenden Verweisung auf § 102 AufenthG in § 11 Abs. 1 FreizügG/EU kann daher kein Argument zugunsten des Klägers hergeleitet werden. Im Übrigen hätte es wegen der bereits im Jahr 1998 eingetretenen Bestandskraft der Ausweisungsverfügung einer entsprechend klaren gesetzlichen Regelung bedurft, um die seit Bekanntgabe bestehende und durch die Bestandskraft verstärkte Wirksamkeit des Verwaltungsakts nach § 43 Abs. 2 VwVfG zu beseitigen; Die amtliche Begründung zum Entwurf des Freizügigkeitsgesetzes lässt eine so weitgehende Absicht nicht erkennen (BT-Drs. 15/420, S. 101 ff. S. 105 f.; siehe auch OVG Hamburg, Urteil vom 22.3.2005, a.a.O.).
45 
Die Bestandskraft und die damit eingetretene Wirkung der Ausweisungsverfügung ist auch nicht kraft Gemeinschaftsrechts entfallen; dies ergibt sich bereits daraus, dass das Gemeinschaftsrecht - wie oben ausgeführt - das Institut der Bestandskraft durchaus anerkennt und bei Gemeinschaftsrechtswidrigkeit eigene Instrumente - wie das Recht zur Überprüfung der Verfügung - entwickelt hat, um gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen gerecht zu werden. Dieser rechtlichen Instrumente hätte es nicht bedurft, wenn gemeinschaftsrechtlich sogar von der Unwirksamkeit (oder vom Unwirksamwerden) solcher Verfügungen auszugehen wäre. Dass in der Rechtsprechung der Strafgerichte bei Verstößen gegen solche Verfügungen unter Berufung auf den EuGH (Ciola a.a.O.) Strafbarkeit z.T. nicht mehr angenommen wird (siehe OLG Hamburg a.a.O. und OLG Karlsruhe, Beschluss vom 6.12.2006 3 Ws 346/05), steht dem nicht entgegen; insoweit handelt es sich um eine speziell strafrechtliche Fragestellung, die der Senat im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht zu beantworten braucht.
46 
4. Da der Kläger damit mit der Klage lediglich einen Teil seines mit dem Hauptantrag verfolgten Begehrens erreicht hat, waren ihm die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge teilweise aufzuerlegen (siehe § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO); der Senat geht dabei davon aus, dass der Kläger zu einem Drittel im Berufungsverfahren unterlegen ist.
47 
Die Revision war zuzulassen, da insbesondere die Frage der Wirksamkeit sog. altrechtlicher Ausweisungsverfügungen gegenüber Unionsbürgern in der obergerichtlichen Rechtsprechung strittig und noch nicht höchstrichterlich geklärt ist (siehe § 132 Abs. 2 Satz 1 VwGO).
48 
Beschluss
49 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
21 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig begründete Berufung (§ 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO) hat Erfolg, soweit der Kläger neben der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29.9.2004 die Verpflichtung des beklagten Landes zur erneuten Entscheidung über den Antrag auf Rücknahme der Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4.3.1998 begehrt (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO); die darüber hinausgehende Klage auf Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme dieser Verfügung war allerdings abzuweisen, da dem Kläger kein entsprechender Rücknahmeanspruch zusteht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Da die Klage damit im Hauptantrag (teilweise) Erfolg hat und das erstinstanzliche Urteil insofern abzuändern war, braucht über den Hilfsantrag nicht entschieden zu werden (vgl. auch Sodan/Ziekow, VwGO, 2006, Rn 111 vor § 124).
22 
Gegenstand des mit der Berufung in erster Linie verfolgten Hauptantrags ist der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf Rücknahme der bestandskräftig gewordenen Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 4.3.1998 nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG; die damit verbundene Abschiebungsandrohung ist von dem sich auf die “Ausweisungsanordnung“ beschränkenden Berufungsantrag nicht umfasst, und auch eine (zusätzliche) Klage auf Wiederaufgreifen des Verfahrens im Sinn von § 51 VwVfG ist nicht erhoben, da der anwaltlich vertretene Kläger sowohl bei der Behörde als auch beim Verwaltungsgericht ausdrücklich einen Rücknahmeantrag gestellt hat. Dieser Antrag umfasst allerdings bei sachdienlicher Auslegung (§§ 86 Abs. 3, 88 VwGO) nicht nur einen denkbaren Rücknahmeanspruch nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG wegen Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, sondern es ist auf diesen Antrag hin auch zu prüfen, ob der Beklagte deswegen zur „Rücknahme“ der bestandskräftig gewordenen Ausweisungsverfügung verpflichtet ist, weil diese rechtlich unwirksam ist. Die Unwirksamkeit der Verfügung hat der Kläger in Anlehnung an die Rechtsprechung des Hess. VGH und des OVG Berlin (im einzelnen siehe dazu unten) in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich als Klagegrund geltend gemacht, und es ist anerkannt, dass bei einem unwirksamen - oder: wie hier allenfalls unwirksam gewordenen - Verwaltungsakt eine (klarstellende) behördliche Rücknahme des Verwaltungsakts möglich und aus Gründen der Beseitigung des Rechtsscheins gegebenenfalls auch erforderlich ist (siehe dazu Kopp/Ramsauer, VwVfG, 2003, Rn 19a zu § 48; siehe auch Bay. VGH, Urteil vom 12.10.1989 - 26 B 86.02944 -, NVwZ-RR 1991, 117; Hess. VGH, Urteil vom 29.3.2006 - 6 UE 2874/04 - juris und BSG, Urteil vom 23.2.1989 - NVwZ 1989, 902). Bei einer solchen Fallgestaltung ist der Kläger nicht darauf verwiesen, Feststellungsklage nach § 43 Abs. 2 VwGO zu erheben (siehe dazu Sodan/Ziekow, a.a.O., Rn 63 und 71 zu § 43; BSG a.a.O.), was im vorliegenden Fall als Klageänderung im Berufungsverfahren ohnehin prozessual nicht unproblematisch wäre.
23 
Der mit der Berufung verfolgte Anspruch des Klägers auf Rücknahme der bestandskräftigen Ausweisungsverfügung hat jedoch nur teilweise Erfolg. Da diese Verfügung rechtswidrig war, war das Rücknahmeermessen der Behörde nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG eröffnet (1); es wurde allerdings weder in der Ablehnungsverfügung vom 29.9.2004 noch zu einem späteren Zeitpunkt ausgeübt, so dass der Beklagte zu einer entsprechenden Bescheidung nach der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten war (2). Ein darüber hinaus gehender unbedingter Rücknahmeanspruch besteht dagegen nicht (3).
24 
1. Der Kläger ist nicht bereits deswegen rechtlich daran gehindert, die nach seiner Auffassung bei Ergehen der Ausweisungsverfügung bestehende Rechtswidrigkeit geltend zu machen, weil er zuvor der Behörde gegenüber am 15.2.1998 erklärt hatte, er beantrage seine Abschiebung und habe in der Bundesrepublik Deutschland nichts mehr zu suchen, weil er mit Freundin und Kindern nach Italien gehe. Dies ergibt sich bereits daraus, dass das Rücknahmeverlangen nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG nicht darauf abstellt, auf welche Weise der Verwaltungsakt bestandskräftig geworden ist; selbst ein Verzicht auf einen Widerspruch schließt damit ein späteres Rücknahmebegehren nicht aus. Erst recht gilt dies in einem Fall wie dem vorliegenden: Die Einverständniserklärung des Klägers vor Erlass des Verwaltungsakts steht nämlich einem Widerspruchsverzicht nicht gleich (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 20.1.1967 - VII C 191.64 -, NJW 1967, 2027; Kopp/Schenke, VwGO, 2005, Rn 11 zu § 69 und Sodan/Ziekow, a.a.O., Rn 96 zu § 69 Fn 106). Die zur Bestandskraft des Verwaltungsakts führenden konkreten Umstände und insbesondere das Verhalten des Klägers der bevorstehenden Ausweisung gegenüber schließen eine Rücknahme also nicht aus; sie sind allenfalls Gesichtspunkte, die bei der Ausübung des Rücknahmeermessens von Bedeutung sind (siehe auch Senat, Beschluss vom 7.11.2005 - 13 S 1895/05 -; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 4.1.2006 - 11 S 1871/05 - und Kopp/Ramsauer, a.a.O., RN 52 f. zu § 48).
25 
Für die damit im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG entscheidungserhebliche Frage der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der bestandskräftig gewordenen Ausweisung des Klägers stellt der Senat auf den Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung ab; da der Kläger zu diesem Zeitpunkt freizügigkeitsberechtigt war, kann offen bleiben, inwieweit eine erst später eintretende Rechtswidrigkeit ein Rücknahmeverfahren eröffnen kann (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 28.10.2004 - 1 C 13.03 -, NVwZ-RR 2005, 341; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.9.2001 - 8 S 641/01 -, VBlBW 2002, 208, 209).
26 
Die Rechtswidrigkeit der bestandskräftig gewordenen Ausweisungsverfügung schon zum Zeitpunkt ihres Erlasses ergibt sich für den Senat allerdings nicht bereits aus den Vorschriften des damals geltenden Ausländergesetzes selbst - tatbestandlich lag ein Fall der Regelausweisung durchaus vor - und auch nicht aus den einfachrechtlichen Modifikationen der Ausweisung, die das damalige AufenthG/EWG insbesondere in § 12 enthielt; auch diese Vorschriften, insbesondere das Erfordernis einer Wiederholungsgefahr (§ 12 Abs. 3 und 4 AufenthG/EWG) sind eingehalten worden. Der Senat ist auch nicht der Auffassung, dass die Ausweisung des Klägers als eines Ausländers der sog. zweiten Generation aus Gründen des als Gesetzesrecht zu beachtenden Art. 8 Abs. 1 EMRK rechtswidrig war; angesichts der erheblichen Vorstrafen des Klägers und der jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt offen zu Tage liegenden Wiederholungsgefahr hinsichtlich gravierender Delikte war der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in das Schutzgut „Familienleben“ im Sinn des Art. 8 Abs. 1 EMRK für die öffentliche Sicherheit bzw. zur Verhütung von Straftaten im Sinn des Art. 8 Abs. 2 EMRK notwendig und verhältnismäßig (s. dazu Breitenmoser/Riemer/Seitz, Praxis des Europarechts - Grundrechtsschutz, 2006, S. 66, 67 m.w.N. und die Nachweise bei Grote/Marauhn, EMRK/GG, Konkordanzkommentar, 2006, Kap. 16 Rn 94 m.w.N.) In Fällen wie dem vorliegenden hätte auch nicht notwendigerweise mit der Ausweisung selbst schon über eine Befristung der Wirkungen entschieden werden müssen. Eine solche zusätzliche Entscheidung lag im Fall des Klägers zum damaligen Zeitpunkt bereits wegen dessen vorangegangener Erklärung, er habe in der Bundesrepublik Deutschland nichts mehr zu suchen, nicht nahe; sie war aber auch nicht nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) geboten. Zwar hat der EGMR in mehreren Entscheidungen eine Ausweisung eines Ausländers also unverhältnismäßig beurteilt, die keine Befristungsentscheidung enthielt (siehe Urteile vom 17.4.2003 - Yilmaz -, NJW 2004, 2147, 2149; Urteil vom 22.4.2004 - Radovanovic -, InfAuslR 2004, 374 und Urteil vom 27.10.2005 - Keles -, InfAuslR 2006, 3); das deutsche Recht wird dem dieser Rechtsprechung zugrunde liegenden Gedanken der Verhältnismäßigkeit aber dadurch gerecht, dass es im Regelfall einen Befristungsanspruch gewährt (siehe damals § 8 Abs. 2 AuslG und heute § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG und BVerwG, Beschluss vom 27.6.1997 - 1 B 126/97 -, Buchholz 402.240 § 8 AuslG 1990 Nr. 13).
27 
Letztlich kann diese Frage aber offen bleiben; ein im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG beachtlicher Verstoß der Ausweisungsverfügung gegen Rechtsvorschriften ergibt sich nämlich daraus, dass der Kläger zum damaligen Zeitpunkt freizügigkeitsberechtigt war und dass entsprechende gemeinschaftsrechtliche Bindungen zu beachten waren (1.1). Insbesondere durfte der Kläger nicht nach den Vorschriften der Regelausweisung ausgewiesen werden, sondern es war Ermessen auszuüben (1.2). Auf das Vorliegen weiterer gemeinschaftsrechtlicher Bindungen und die Frage, ob sie eingehalten sind, kommt es danach nicht mehr an (1.3).
28 
1.1. Ob der Kläger zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung aus eigenem Recht freizügigkeitsberechtigt war, ist zweifelhaft, kann letztlich aber offen bleiben. Mangels Arbeitnehmereigenschaft bzw. Arbeitssuche liegen die Voraussetzungen der Verordnungen Nr. 1612/68/EWG und 1251/70/EWG über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft nicht vor (siehe Art. 1 und Art. 2 VO 1612/68/EWG); daraus folgt auch das Fehlen eines Freizügigkeitsrechts entsprechend der RL 68/360/EWG (Art. 1 und Art. 4 Abs. 1). Unabhängig von der Frage der Arbeitnehmereigenschaft und Erwerbstätigkeit leitet der Europäische Gerichtshof (EuGH) allerdings ein allgemeines Freizügigkeitsrecht bereits aus der (bei dem Kläger als italienischem Staatsangehörigen bestehenden) Unionsbürgerschaft (Art. 18 EG) her; dies gilt jedenfalls seit der Entscheidung Baumbast (siehe EuGH, Urteil vom 17.9.2002 - C 413/99 -, InfAuslR 2002, 463, Rn 84/8Rn 84/85; zur früheren Rechtslage vgl. auch BVerwG, Vorlageentscheidung vom 18.9.2001 - 1 C 17/00 -, NVwZ 2002, 339 m.w.N.). In der Folgezeit hat der EuGH diese Rechtsprechung fortgeführt und bestärkt (siehe Urteil vom 29.4.2004 - Orfanopoulos und Oliveri -, - C 282/01 -, Rn 65, NVwZ 2004, 1099; Urteil vom 15.3.2005 - Bidar -, - C 209/03 -, Rn 36, NJW 2005, 2055; Urteil vom 23.3.2006 - Kommission -, - C 408/03 -, Rn 37, NVwZ 2006, 918), und Literatur und nationale Rechtsprechung sind dem weitgehend gefolgt (siehe Sander, DVBl. 2005, 1014 und Westphal/Stoppa, InfAuslR 2004, 133; Lenz/Borchardt, EU- und EGV, 2006, RN 2 zu Art. 18; siehe auch Hess. VGH, Beschluss vom 29.12.2004 - 12 TG 3212/04 -, AuAS 2005, 74). Allerdings hat der Europäische Gerichtshof in einer weiteren Entscheidung (Urteil vom 7.9.2004 - C 456/02 -, -Trojani-, Rn 36, InfAuslR 2004, 417) zu den „Beschränkungen und Bedingungen“ der Freizügigkeit im Sinn des Art. 18 Abs. 1 EG ausgeführt, bei Fehlen ausreichender Existenzmittel im Sinn der RL 90/364/EWG erwachse dem Unionsbürger kein Recht zum Aufenthalt; diese Formulierung legt den Schluss nahe, dass bei Nichterfüllung dieser Beschränkungen und Bedingungen die Unionsbürgerschaft allein zur Entstehung des Freizügigkeitsrechts noch nicht ausreicht. Dass im Fall des Klägers ausreichende Existenzmittel im Sinn der genannten Richtlinie im Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung nicht vorhanden waren, liegt für den Senat angesichts des Fehlens gesicherter Einkünfte und seiner schweren Erkrankung mehr als nahe; selbst wenn er in gewissem Umfang von seiner damaligen Ehefrau und/oder seinen italienischen Eltern unterstützt worden sein mag, dürfte es jedenfalls an ausreichender Krankheitsvorsorge gefehlt haben (vgl. dazu auch EuGH, Urteil vom 19.10.2004 - C 200/02 -, - Chen -, InfAuslR 2004, 413 und vom 23.3.2006, a.a.O.). Hiervon abgesehen geht der EuGH jedenfalls dann vom Fehlen bzw. Erlöschen des Freizügigkeitsrechts aus, wenn die Nichterfüllung der „Beschränkungen und Bedingungen“ der Freizügigkeit (siehe Art. 18 Abs. 1 EG) dem Betroffenen „entgegengehalten“ worden ist (siehe EuGH, Bidar, a.a.O., Rn 36). Eine derartige behördliche Entscheidung - zum neuen Recht siehe § 7 Abs. 1 FreizügG/EU - kann hier durchaus in der Ausweisungsverfügung selbst gesehen werden, die dem Kläger ausdrücklich wegen fehlender Existenzmittel und wegen fehlenden Krankenversicherungsschutzes gemeinschaftsrechtliche Freizügigkeit abgesprochen hat (S. 6 f. der Ausweisungsverfügung) und die der Kläger ebenso wie die Ausweisung selbst akzeptiert hat.
29 
Letztlich kann der Senat jedoch offen lassen, ob der Kläger sich zum damaligen Zeitpunkt auf ein Freizügigkeitsrecht aus eigenem Recht berufen konnte; er war jedenfalls aus abgeleitetem Recht als Familienangehöriger freizügigkeitsberechtigt. Ein solches Recht scheidet nicht bereits deswegen aus, weil der Kläger bereits im Bundesgebiet geboren wurde und es damit „an sich“ an dem erforderlichen grenzüberschreitenden Element fehlt (siehe dazu EuGH - Chen -, a.a.O. Rn 19/20). Ob der Kläger als Familienangehöriger von seiner italienischen Mutter oder von seinem italienischen Stiefvater (siehe dazu EuGH , Urteil vom 30.9.2004 - C 275/02 -, - Ayaz -, InfAuslR 2004, 416 und Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht, Rn 17 zu § 3 FreizügG) ein Freizügigkeitsrecht ableiten konnte, obwohl er über 21 Jahre alt war, insbesondere ob ausreichende Unterhaltsleistungen der Stammberechtigten vorlagen (siehe dazu EuGH, Chen, a.a.O., und Kommission, a.a.O.), ist angesichts der Einstellung der Eltern des Klägers zu seiner Drogenabhängigkeit fragwürdig; der Senat braucht diese Fragen jedoch nicht zu entscheiden, weil der Kläger jedenfalls von seinen Kindern als Stammberechtigte ein entsprechendes Freizügigkeitsrecht herleiten konnte. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
30 
Die Kinder des Klägers sind (auch) italienische Staatsangehörige (siehe Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Bd. 8 (Italien), S. 6 mit Hinweis auf Art. 1 des italienischen Gesetzes 91/1992 vom 5.2.1992). Die Tatsache, dass sie daneben die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, ändert an ihrer Eignung als „Stammberechtigte“ nichts (siehe EuGH, Urteil vom 7.7.1992 - C 369/90 -, - Micheletti -, InfAuslR 1992, 2). Kraft ihrer Rechtsstellung als Unionsbürger konnten die Kinder des Klägers diesem trotz ihrer Geburt in Deutschland ein Freizügigkeitsrecht vermitteln (siehe dazu EuGH - Chen -, a.a.O.), und sie selbst waren nach der oben wiedergegebenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unmittelbar aus Art. 18 Abs. 1 EG freizügigkeitsberechtigt. Dabei ist es ohne rechtliche Bedeutung, dass die maßgebende Rechtsprechung des EuGH sowohl zum Freizügigkeitsrecht unmittelbar aus Art. 18 EG als auch zur „Erstreckung“ des Freizügigkeitsrechts von Kindern auf Eltern (s. dazu unten) erst nach Erlass der Ausweisungsverfügung entwickelt worden ist; sie erfasst auch zurückliegende Tatbestände, die im Sinn der „geläuterten“ Rechtsprechung zu beurteilen sind (siehe dazu EuGH, Urteil vom 2.12.1997 - C 188/95 -, Fantask -, Slg I 06783, Rn 36,37; vgl. auch die Rechtsprechung des BVerwG zum Verständnis der RL 64/221/EWG, Urteile vom13.9.2005 - 1 C 7.04 -, InfAuslR 2006, 110, und vom 6.10.2005 - 1 C 5.04 -, InfAuslR 2006, 114 und Kopp/Ramsauer, a.a.O. Rn 35 zu § 48 m.w.N.). Dass die Kinder des Klägers ihrerseits die „Beschränkungen und Bedingungen“ der Freizügigkeit (siehe Art. 18 Abs. 1 EG) unter irgendeinem Gesichtspunkt (Existenzmittel, Krankheitsvorsorge) nicht erfüllt hätten, ist nicht ersichtlich; erst recht ist ihnen ein solcher Tatbestand im Sinn der Rechtsprechung des EuGH (Bidar, a.a.O.) auch nicht „entgegengehalten“ worden. Aus dieser Rechtsstellung folgt, dass nicht nur sie selbst im maßgebenden Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung freizügigkeitsberechtigt waren, sondern dass zusätzlich eine Gefährdung ihres Freizügigkeitsrechts durch eine Ausweisung ihres Vaters gemeinschaftsrechtlich zu vermeiden war (siehe EuGH, Baumbast, a.a.O. Rn 72 f. und Chen, a.a.O. Rn 45). In den genannten Entscheidungen hat der Europäische Gerichtshof nämlich ein den Kindern zustehendes Freizügigkeitsrecht in bestimmten Fällen auf die Eltern erstreckt; er hat sich dabei an der Überlegung orientiert, dass das einem Kind nach der Gemeinschaftsgesetzgebung zustehende Recht verloren gehen könnte, wenn den Eltern die Möglichkeit versagt würde, während der Schulausbildung ihrer Kinder im Aufnahmemitgliedstaat zu verbleiben. Dies gilt nach Auffassung des EuGH jedenfalls für solche Eltern, die die Personensorge tatsächlich wahrnehmen und sich bei dem Kind aufhalten (siehe EuGH, Baumbast, a.a.O., Rn 71 und 73; siehe auch EuGH - Chen -, a.a.O. Rn 45). Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser „Erstreckung“ des gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechts der Kinder auf die Eltern waren im Fall des Klägers auch gegeben:
31 
Zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung lagen - bezogen auf den Kläger, seine damalige Noch-Ehefrau und die beiden Kinder - die ein „Familienleben“ im Sinn der (auf Art. 8 Abs. 1 EMRK Bezug nehmenden) Rechtsprechung des EuGH begründenden Umstände vor; der Kläger wohnte mit seinen Familienangehörigen zusammen, und es ist auch davon auszugehen, dass die in den genannten Urteilen für eine Erstreckung der Freizügigkeit vorausgesetzte tatsächliche Personensorge für die Kinder (auch) von ihm wahrgenommen wurde (zu den Anforderungen des Art. 8 EMRK siehe Grote/Marauhn, a.a.O. Kap. 16 Rn 41 und Breitenmoser/Riemer/Seitz, a.a.O., S. 59 und 60). Der tatsächliche Kontakt, auf den es in diesem Zusammenhang ankommt, endete auch nicht in den Zeiträumen, in denen der Kläger inhaftiert war; es bestand regelmäßiger Besuchskontakt (alle zwei Wochen) mit seiner damaligen Ehefrau und den Kindern (RP-Akten S. 26), und auch sonst hatte - wie aus den Ausländerakten der Stadt Fellbach hervorgeht - keine Seite die Absicht, die familiäre Lebensgemeinschaft zu beenden (siehe etwa Vermerke vom 25.11.1997 und 16. und 18.12.1997). Die Inhaftierungszeiten haben damit den der Rechtsprechung des EuGH zur Erstreckung des Freizügigkeitsrechts auf Eltern zugrunde liegenden familienrechtlichen Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht berührt (vgl. dazu auch Grote/Maraun, a.a.O., Kap. 16 Rn 45 m.w.N.).
32 
Die dem Schutz des Freizügigkeitsrechts der Kinder dienende Erstreckung dieses Rechts auf ihren Vater scheitert im vorliegenden Fall auch nicht daran, dass die Kinder gleichzeitig deutsche Staatsangehörige sind. Zwar folgt hieraus, dass naturgemäß ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland zu keinem Zeitpunkt in Frage stand; die gegen den Kläger ergangene Ausweisung setzte aber gleichwohl die Familienangehörigen dem mittelbaren Druck aus, dem Kläger nach Italien zu folgen. Dass es im vorliegenden Fall hierzu nicht kam, weil die Kinder und ihre Mutter sich für den weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet entschieden, ändert daran nichts, zumal der weitere Zusammenhalt der Familienangehörigen in der illegalen Wiedereinreise des Klägers und in seinen (heimlichen) Besuchen bei der Familie zum Ausdruck kommt. Es spricht mehr dafür, dass die Familienangehörigen des Klägers die bevorstehende Trennung nicht durch ihre Nachreise nach Italien, sondern durch weiteren Kontakt in der Illegalität verhindern bzw. entschärfen wollten. Da die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Entscheidungen Baumbast und Chen, jeweils a.a.O.) eine für Kinder bei Ausweisung eines Elternteils entstehende Zwangslage vermeiden will, ist sie auch auf Fallgestaltungen wie die hier vorliegende anwendbar.
33 
Auf das aus seinen Kindern abgeleitete Freizügigkeitsrecht hat der Kläger schließlich auch nicht durch seine Erklärung vom 15.2.1998 verzichtet. Wie bereits ausgeführt worden ist, betraf diese Erklärung nur die konkret bevorstehende Abschiebung; mit ihr wollte der Kläger für die Behörde erkennbar eine vorzeitige Haftbeendigung in Deutschland erreichen. In der mündlichen Verhandlung hat er dazu glaubhaft angegeben, es sei ihm darum gegangen, möglichst früh in Italien wieder an Drogen zu kommen. Als Verzicht auf ein Freizügigkeitsrecht, das ihn auch zur Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland berechtigen würde, ist diese Erklärung nicht aufzufassen, ganz abgesehen davon, dass es insofern offenbar an einem verbindlichen rechtlichen Erklärungswillen - sozusagen für alle Zukunft - fehlte und ein wesentliches Element der Erklärung - die Mitausreise der Familienangehörigen - nicht Realität wurde. Insofern sind strenge Anforderungen zu stellen; sogar bei einer Ausreise „zum Sterben in der Heimat“ hat die Rechtsprechung die Annahme eines Freizügigkeitsverzichts abgelehnt (siehe dazu und zu den Voraussetzungen eines solchen Verzichts OVG Koblenz, Beschluss vom 17.6.1996 - 11 B 11155/96 -, InfAuslR 1996, 337 m.w.N.). Verzichtserklärungen im europäischen Recht sind auf die konkrete Handlung beschränkt und nicht mit Zukunftswirkung verbunden (siehe dazu Umbach/Clemens, GG, 2002, Rn 8 zu Art. 18). Insofern gilt nichts anderes als bei grundgesetzlich gewährleisteten Rechten (siehe dazu im einzelnen Jarass/Pieroth, GG, 2004, Vorbem. vor Art. 1, Rn 36 und Dreier, GG, 1996, Vorbem. 83, je m.w.N.). Auch ist zu bedenken, dass zum damaligen Zeitpunkt ein aus dem Unionsbürgerrecht selbst fließendes Aufenthaltsrecht noch nicht durch den Europäischen Gerichtshof anerkannt war; 1997 hatte der Europäische Gerichtshof noch entschieden, dass die Unionsbürgerschaft keine Ausdehnung der Rechtsstellung bewirken wolle (siehe dazu Lenz/Borchardt, a.a.O., Rn 2 zu Art. 18). Für einen entsprechenden Verzichtswille fehlt es daher zum damaligen Zeitpunkt an einer Grundlage.
34 
1.2. Konsequenz des dem Kläger nach diesen Ausführungen bei Erlass der Ausweisungsverfügung zustehenden Freizügigkeitsrechts war, dass entsprechende gemeinschaftsrechtliche Ausweisungsschranken anzuwenden waren; insbesondere schied im Fall des Klägers eine (nach nationalem Recht zutreffende) Regelausweisung aus und es war Ausweisungsermessen auszuüben. Der Europäische Gerichtshof hat - allerdings erst im Jahr 2004, aber gleichwohl mit Wirkung auch für frühere Ausweisungsfälle (siehe dazu oben 1.1) -entschieden, dass bei freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern die Tatbestände der zwingenden und der Regelausweisung als Rechtsgrundlagen ausscheiden; solche Ausländer dürfen nur aufgrund einer ausländerbehördlichen Ermessensentscheidung ausgewiesen werden (siehe dazu EuGH, Urteil vom 29.4.2004 - Rs C 482/01 - und C 493/01 - Orfanopoulos und Oliveri, DVBl. 2004, 876), und das Bundesverwaltungsgericht hat sich dem angeschlossen (Urteil vom 3.8.2004 - 1 C 30.02 -, NVwZ 2004, 1099). Die frühere - abweichende - Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist damit aufgegeben worden. Im Licht dieser - allerdings neueren - Rechtsprechung könnte die gegen den Kläger ergangene Ausweisungsverfügung im Verfahren über den Rücknahmeantrag nur dann als rechtmäßig beurteilt werden, wenn die Behörde die Ausweisung des Klägers nicht nur auf den Tatbestand der Regelausweisung gestützt, sondern hilfsweise Ermessen ausgeübt hätte. Dies ist hier aber nicht geschehen. Die Behörde ging ausdrücklich von einer sog. Ist-Ausweisung nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG aus, die wegen der ausländerrechtlichen Privilegierung des Klägers als Vater zweier deutscher Kinder in eine Regelausweisung nach § 47 Abs. 2 AuslG herabgestuft wurde (§ 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG); die Behörde hat danach lediglich noch geprüft, ob eine atypische Fallgestaltung vorliegt, die eine Ermessensausweisung gebietet (S. 9 ff. der Ausweisungsverfügung), und diese Frage verneint. Die Verfügung setzt sich zwar bei der Prüfung, ob eine atypischen Fallgestaltung gegeben ist, mit der bisherigen Lebensführung des Klägers im einzelnen auseinander; diese Gesichtspunkte können aber nicht in eine Ermessensausübung „umgedeutet“ werden, da Rechtserwägungen im Zusammenhang mit der Problematik der Atypik keine Ermessenserwägungen sind (so ausdrücklich BVerwG, Urteil vom 19.11.1996 - 1 C 25/94 -, InfAuslR 1997, 152). Die Tatsache, dass bei der Prüfung der Atypik alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (siehe BVerwG, Urteil vom 26.2.2002 - 1 C 21/00 -, NVwZ 2002, 1512), begründet daher nicht die Annahme einer Ermessensentscheidung; die Atypik führt erst tatbestandsmäßig zur Ermessensausübung (siehe BVerwG, Urteil vom 31.8.2004 - 1 C 25/03 -, NVwZ 2005, 229).
35 
1.3. Der Senat kann offen lassen, ob die Ausweisungsverfügung gegen den Kläger nicht nur wegen unterbliebener Ermessensausübung, sondern auch wegen Verletzung des Art. 9 RL 64/221/EWG als rechtswidrig anzusehen ist (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 13.9.2005, a.a.O. und vom 6.10.2005, a.a.O.), ob der in dieser Richtlinie gebotene verfahrensrechtliche Schutz wegen der Einwilligung des Klägers in seine Ausweisung bzw. Abschiebung entbehrlich war und ob ein gegebenenfalls vorliegender Rechtsverstoß durch den späteren Wegfall der Richtlinie gegenstandslos geworden ist (siehe dazu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18.10.2006 - 13 S 192/06 -). Offensichtlich fehlerhaft wäre allerdings die Annahme, es hätten im Weg der sog. Vorwirkung bereits damals (1998) die materiellen Ausweisungsvoraussetzungen der weitaus späteren RL 2004/38/EG gegolten.
36 
2. Aus der wegen Ermessensunterschreitung vorliegenden Rechtswidrigkeit der Ausweisungsverfügung ergibt sich, dass entgegen der Auffassung der Behörde tatbestandsmäßig eine Rücknahme nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG in Betracht kam; die Behörde war dementsprechend verpflichtet, über den Rücknahmeantrag nach Ermessen zu entscheiden. Die Behörde hat jedoch in der Verfügung vom 29.9.2004 den Antrag auf Rücknahme der Ausweisung aus Rechtsgründen, d.h. wegen fehlender Rechtswidrigkeit der Verfügung, abgelehnt (S. 3 der Verfügung); (wenigstens) hilfsweise Ermessensausübung liegt auch insofern nicht vor, zumal die weiteren Ausführungen der Behörde im Zusammenhang mit dem Hilfsantrag auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung bzw. Abschiebung nicht als Ermessensausführungen im Zusammenhang mit § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG aufgefasst werden können (siehe dazu auch oben). Das Rücknahme-Ermessen ist auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt worden; insbesondere liegt kein „Ergänzen“ im Sinn des § 114 Satz 2 VwGO vor. Im gerichtlichen Verfahren hat die Behörde an ihrer Auffassung zur Rechtmäßigkeit der Verfügung festgehalten. Sie hat zwar ausgeführt, ihr müsse noch die Möglichkeit der Nachholung des Ermessens gegeben werden, und sich insoweit auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 3.8.2004 (a.a.O.) bezogen; damit verkennt sie aber, dass diese Entscheidung die Anfechtungsklage gegen eine Ausweisungsverfügung und nicht - wie hier - eine Klage auf Rücknahme dieser Verfügung betrifft. Die Verweisung auf das Befristungsverfahren ist keine Ermessensbetätigung im Rücknahmeverfahren, und eine bestandskräftig gewordene „Alt-Ausweisung“ kann auch nicht in eine nach Voraussetzungen und Struktur unterschiedliche Feststellung nach § 6 FreizügG umgedeutet werden (siehe auch OLG Hamburg, Beschluss vom 21.11.2005 - 1 Ws 212/05 -, InfAuslR 2006, 118, 120). Im übrigen wäre wegen des ursprünglichen Fehlens von Ermessenserwägungen überhaupt eine bloße „Ergänzung“ im Sinn des § 114 Satz 2 VwGO nicht zulässig (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 5.9.2006 - 1 C 20.05 -, juris und VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.11.2006 - 13 S 1566/06 -). Die aufgrund der aktuellen EuGH-Rechtsprechung (Entscheidung Orfanopoulos a.a.O.) vom Bundesverwaltungsgericht über § 114 Satz 2 VwGO hinaus eingeräumte generelle Nachholmöglichkeit ist hier nicht geboten, da die Rechtswidrigkeit der Ausweisungsverfügung hier nicht auf neuen Erkenntnissen während des Anfechtungsverfahrens beruhte, sondern auf der bereits 2002 eingeleiteten Rechtsprechung zu Art. 18 EG und zur Erstreckung der Freizügigkeit auf Kinder (siehe oben), die ohne weiteres (wenigstens hilfsweise) im Ablehnungsbescheid von 2004 hätte berücksichtigt werden können.
37 
3. Die danach vorliegende Ermessensunterschreitung führt allerdings nur zu einer entsprechenden Bescheidungsverpflichtung des beklagten Landes nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO; eine darüber hinausgehende Verpflichtung des Beklagten zur unmittelbaren Rücknahmeentscheidung kam nicht in Betracht, so dass die auf dieses Ziel gerichtete Klage (teilweise) abzuweisen war. Einen direkt auf Rücknahme der Ausweisungsverfügung gerichteten Anspruch kann der Kläger nicht unter dem Gesichtspunkt der sog. Ermessensreduzierung auf die Rücknahme als einzig rechtlich zutreffende Entscheidung verlangen (3.1), und eine Pflicht der Behörde zur (in diesem Fall: deklaratorischen) Rücknahme besteht auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Unwirksamkeit der Ausweisungsverfügung (3.2).
38 
3.1. Weder nationales Recht noch Gemeinschaftsrecht gebieten es im vorliegenden Fall dem beklagten Land, die gegen den Kläger ergangene Ausweisungsverfügung zurückzunehmen.
39 
Für das nationale Recht folgt dies daraus, dass im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG im Hinblick auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit einerseits und das der Rechtssicherheit andererseits nur ausnahmsweise ein Rücknahmeanspruch besteht; die Aufrechterhaltung des Bescheides müsste dann „schlechthin unerträglich“ sein (siehe dazu z.B. BVerwG, Beschluss vom 15.3.2005 - 3 B 86/04 -, DÖV 2005, 651 m.w.N.). Eine solche Fallgestaltung ist hier nicht gegeben; einmal war der Kläger, was für die Ermessensausübung durchaus relevant sein kann, mit seiner Abschiebung zum damaligen Zeitpunkt einverstanden, und zum anderen erscheint die Aufrechterhaltung der Ausweisungsverfügung auch nicht deswegen im Sinn der oben angeführten Rechtsprechung „schlechthin unerträglich“, weil die zur Annahme der Rechtswidrigkeit führende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum abgeleiteten Freizügigkeitsrecht von Kindern und zum Unionsbürgerrecht erst Jahre nach dem Erlass der Ausweisungsverfügung entwickelt wurde. Auch ergibt sich eine Ermessensreduzierung nicht aus dem Verhalten der Behörde selbst oder daraus, dass das Rücknahmeinteresse des Betroffenen eindeutig und offensichtlich schwerer wiegen würde als das öffentliche Interesse an einer Rücknahme (zu diesen Kriterien siehe Kopp/Ramsauer, a.a.O., Rn 55 zu § 48). Im übrigen käme es in diesem Zusammenhang bei der Ermessensausübung auch auf die Frage an, ob der Kläger in der Tat zum Entscheidungszeitpunkt drogenfrei ist und wie die Rückfallprognose aussieht.
40 
Auch Gemeinschaftsrecht verpflichtet den Beklagten zur Rücknahme der Ausweisungsverfügung nicht. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
41 
Dass Gemeinschaftsrecht in Fällen der vorliegenden Art keinen unbedingten Rücknahmeanspruch begründet, hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in seiner bisherigen Rechtsprechung ausgeführt (siehe z.B. Beschluss vom 4.1.2006 - 11 S 1871/05 - und Beschluss vom 7.11.2005 - 13 S 1895/05 -), und dies entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 15.3.2005 - 3 B 86/04 - a.a.O.). Vom nationalen Recht vorgesehene Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung - mit der Folge der Bestandskraft bei Nichteinhaltung dieser Fristen - sind nämlich deswegen grundsätzlich mit Gemeinschaftsrecht vereinbar, weil sie ein Anwendungsfall des auch für das Gemeinschaftsrecht grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit sind (siehe EuGH, Urteil vom 2.12.1997 - C 188/95 -, Fantask, Slg I O6783, Rn 45; Urteil vom 13.1.2004 - C 453/00 -, Kühne und Heitz, DVBl. 2004, 373, Rn 24 und zuletzt Urteil vom 19.9.2006 - C 392/04 -und - C 422/0C 422/04 -, I 21, NVwZ 2006, 1277 Rn 51). Während die frühere Rechtsprechung des EuGH die Frage der Bestandskraft gemeinschaftsrechtswidriger Verwaltungsakte nicht problematisiert hatte (siehe dazu die Nachweise bei Gärditz, NWVBl. 2006, 442 Fn 34 f. und beispielhaft EuGH, Urteil vom 2.12.1997, a.a.O.), hat erstmals die Entscheidung Kühne und Heitz (a.a.O.) bestimmte Voraussetzungen für eine behördliche Pflicht zur Überprüfung bestandskräftiger gemeinschaftswidriger Verwaltungsakte formuliert (siehe dazu auch Epiney, NVwZ 2006, 410 f.). Diese Bedingungen sind im vorliegenden Fall nicht (kumulativ) erfüllt: Zwar ist die Behörde nach nationalem Recht (hier: § 48 VwVfG) zur Rücknahme befugt, die Bestandskraft der Entscheidung beruht aber nicht wie im Fall Kühne/Heitz auf einem nationalen Gerichtsurteil, das die Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EG verletzt hat, und der Betroffene hat sich auch nicht unmittelbar nach Kenntniserlangung von der Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung (hier: Urteile Baumbast und Chen, jeweils a.a.O.) an die Behörde gewandt und Rücknahme beantragt. Ganz unabhängig hiervon ist darauf hinzuweisen, dass Gegenstand der Entscheidung Kühne/Heitz nicht explizit die Frage der Rücknahmepflicht, sondern nur die Frage der Prüfungspflicht war (siehe dazu im einzelnen Gärditz a.a.O. S. 448). Eine Pflicht zur Überprüfung des bestandskräftigen, aber gemeinschaftswidrigen Verwaltungsakts bedeutet noch nicht die Pflicht zur Aufhebung (Gärditz a.a.O. Rn 105 m.w.N.). Die anlässlich der Entscheidung Kühne/Heitz in Literatur und Rechtsprechung aufgetretenen Unklarheiten (siehe dazu, Epiney a.a.O. S. 410 und Pache/Bieletz, DVBl. 2006, S. 331) sind im übrigen durch die weitere Rechtsprechung des EuGH im wesentlichen beseitigt worden. Die Entscheidung vom 16.3.2006 (- C 234/04 - Kapferer, DVBl. 2006, 569), die allerdings nicht (nur) bestandskräftige, sondern rechtskräftige Entscheidungen betrifft, hat bereits das vorangegangene Urteil Kühne/Heitz relativiert, und der EuGH hat im Urteil vom 19.9.2006 (I 21, a.a.O.) schließlich ausdrücklich ausgeführt, dass - von der Anerkennung der Bestandskraft ausgehend - (Rn 51) eine Überprüfungspflicht der Behörde bei Nichtausschöpfung des Rechtsbehelfsverfahrens grundsätzlich nicht besteht (Rn 53) und dass es Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung ist, die Modalitäten einer Rücknahme bzw. einer erneuten Überprüfung festzulegen. Die Überprüfungs- und Rücknahmepflicht nach nationalem Recht (hier: § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG) wird damit mit der gemeinschaftsrechtlichen Überprüfungs- und Rücknahmepflicht parallelisiert (EuGH, I 21, a.a.O. Rn 63 f. und Gärditz a.a.O. S. 446 f.); wo das nationale Recht keine Rücknahmepflicht ergibt, lässt sie sich also nicht zusätzlich aus Gemeinschaftsrecht herleiten. Bereits oben ist ausgeführt worden, dass unter dem Gesichtspunkt des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG die Aufrechterhaltung der gegen den Kläger ergangenen Ausweisung nicht „schlechthin unerträglich“ ist, eine Rücknahmepflicht insoweit also nicht besteht, und diese Überlegungen gelten auch im hier interessierenden Zusammenhang. Der Verzicht des Klägers auf Rechtsbehelfe und die Tatsache, dass der Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht keineswegs offensichtlich war - die die Freizügigkeit begründende Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs stammt wie ausgeführt aus einem Zeitraum nach Erlass der Ausweisungsverfügung - stehen auch hier der Annahme einer
Rechts verpflichtung entgegen. Von besonderer Gravität oder gar (zusätzlicher) Offensichtlichkeit eines Gemeinschaftsrechtsverstoßes kann unter diesen Gesichtspunkten ohnehin nicht ausgegangen werden. Nach den Grundsätzen der I 21-Entscheidung des EuGH (a.a.O.) ist es vielmehr auch gemeinschaftsrechtlich zu akzeptieren, wenn sich das nationale Recht (§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG) angesichts der hier widerstreitenden Interessen (Rechtssicherheit einerseits, materielle Rechtmäßigkeit andererseits) mit einer Ermessensentscheidung der Behörde begnügt.

42 
3.2 Der Kläger kann die Rücknahme der gegen ihn ergangenen Ausweisungsverfügung auch nicht unter dem Gesichtspunkt der (deklaratorischen) Aufhebung einer unwirksamen oder unwirksam gewordenen Verfügung erreichen; die Voraussetzungen eines solchen „Rücknahme“-Anspruchs (zur Zulässigkeit einer solchen Rücknahme siehe oben vor 1.) sind nämlich nicht gegeben.
43 
Bei Erlass der Ausweisungsverfügung und auch in der Folgezeit bis zum Inkrafttreten des FreizügG/EU lag kein Grund für die Annahme von Unwirksamkeit (siehe § 43 Abs. 1 und 2 VwVfG) oder gar von Nichtigkeit (§ 43 Abs. 3 i.V.m. § 44 VwVfG) der Ausweisungsverfügung vor; dies liegt für den Senat auf der Hand und bedarf keiner näheren Ausführungen; sie folgt insbesondere nicht aus dem vom Kläger in diesem Zusammenhang für sich in Anspruch genommenen Urteil des EuGH vom 29.4.1999 (- C 224/97 -, Ciola), das sich lediglich mit strafrechtlichen Folgen des Verstoßes gegen gemeinschaftsrechtswidrige Verfügungen auseinandersetzt. Die Ausweisungsverfügung ist aber auch nicht durch Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes zum 1.1.2005 unwirksam geworden. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
44 
Soweit in der Rechtsprechung angenommen wird, mit dem Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes hätten die nach früherem Recht ergangenen Ausweisungsverfügungen gegenüber Unionsbürgern ihre Rechtsgrundlage verloren (so für nicht bestandskräftig gewordene Ausweisungsverfügungen Hess. VGH, Beschluss vom 29.12.2004 - 12 TG 3212/04 -, NVwZ 2005, 837; für bestandskräftige Verfügungen OVG Berlin, Beschluss vom 15.3.2006 - 8 S 823/05 -, NVwZ 2006, 953), ist diese Rechtsprechung teilweise nicht einschlägig, da im vorliegenden Fall Bestandskraft gegeben ist; teilweise kann der Senat ihr aus anderen Gründen nicht folgen. Er schließt sich vielmehr der Gegenmeinung an, die die (fortdauernde) Wirksamkeit bestandskräftig gewordener Ausweisungen bejaht (siehe dazu OVG Hamburg, Urteil vom 22.3.2005 - 3 Bf 294/04 -, EzAR; OVG Lüneburg, Beschluss vom 30.6.2006 - 11 LA 147.05 -, AuAS 2006, 185, ebenso schon VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 7.11.2005 - 13 S 1885/05 - und Beschluss vom 4.1.2006 - 11 S 1871/05 -). Das bloße Fehlen einer für Verfügungen nach dem damaligen AufenthG/EWG ergangenen Ausweisung geltenden Übergangsvorschrift bzw. das Fehlen einer Verweisung auf § 102 Abs. 1 AufenthG in § 11 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU begründet fehlende Fortgeltung bereits deswegen nicht, weil sich im vorliegenden Fall die Fortdauer der Wirkungen der Ausweisung bereits unmittelbar aus § 102 Abs. 1 AufenthG ergibt. Die Vorschrift erfasst nämlich im Anwendungsbereich jedenfalls die auf das frühere Ausländergesetz gestützten Ausweisungsverfügungen, und um eine solche Verfügung handelt es sich im vorliegenden Fall, weil die Freizügigkeitsberechtigung und damit die Anwendung des AufenthG/EWG ausdrücklich verneint worden sind und Rechtsgrundlage der Ausweisung gerade das AuslG war. Außerdem ist der Anwendungsbereich des (späteren) FreizügG/EU und damit auch dessen § 11 Abs. 1 noch aus einem anderen Grund nicht gegeben; dieses Gesetz stellt durch die Bezugnahme auf § 1 FreizügG/EU auch in der Vorschrift des § 11 Abs. 1 auf die Freizügigkeitsberechtigung als Voraussetzung ab. Diese ist aber durch die Bestandskraft der auf das allgemeine Ausländergesetz gestützten Ausweisung entfallen (siehe auch Funke-Kaiser, Rn 2 zu § 102; OVG Hamburg, Beschluss vom 14.12.2005 - Bs 79/05 -, InfAuslR 2006, 305; Lüdke, InfAuslR 2005, S. 178; a.A. Gutmann, InfAuslR 2005, 125). Aus der fehlenden Verweisung auf § 102 AufenthG in § 11 Abs. 1 FreizügG/EU kann daher kein Argument zugunsten des Klägers hergeleitet werden. Im Übrigen hätte es wegen der bereits im Jahr 1998 eingetretenen Bestandskraft der Ausweisungsverfügung einer entsprechend klaren gesetzlichen Regelung bedurft, um die seit Bekanntgabe bestehende und durch die Bestandskraft verstärkte Wirksamkeit des Verwaltungsakts nach § 43 Abs. 2 VwVfG zu beseitigen; Die amtliche Begründung zum Entwurf des Freizügigkeitsgesetzes lässt eine so weitgehende Absicht nicht erkennen (BT-Drs. 15/420, S. 101 ff. S. 105 f.; siehe auch OVG Hamburg, Urteil vom 22.3.2005, a.a.O.).
45 
Die Bestandskraft und die damit eingetretene Wirkung der Ausweisungsverfügung ist auch nicht kraft Gemeinschaftsrechts entfallen; dies ergibt sich bereits daraus, dass das Gemeinschaftsrecht - wie oben ausgeführt - das Institut der Bestandskraft durchaus anerkennt und bei Gemeinschaftsrechtswidrigkeit eigene Instrumente - wie das Recht zur Überprüfung der Verfügung - entwickelt hat, um gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen gerecht zu werden. Dieser rechtlichen Instrumente hätte es nicht bedurft, wenn gemeinschaftsrechtlich sogar von der Unwirksamkeit (oder vom Unwirksamwerden) solcher Verfügungen auszugehen wäre. Dass in der Rechtsprechung der Strafgerichte bei Verstößen gegen solche Verfügungen unter Berufung auf den EuGH (Ciola a.a.O.) Strafbarkeit z.T. nicht mehr angenommen wird (siehe OLG Hamburg a.a.O. und OLG Karlsruhe, Beschluss vom 6.12.2006 3 Ws 346/05), steht dem nicht entgegen; insoweit handelt es sich um eine speziell strafrechtliche Fragestellung, die der Senat im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht zu beantworten braucht.
46 
4. Da der Kläger damit mit der Klage lediglich einen Teil seines mit dem Hauptantrag verfolgten Begehrens erreicht hat, waren ihm die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge teilweise aufzuerlegen (siehe § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO); der Senat geht dabei davon aus, dass der Kläger zu einem Drittel im Berufungsverfahren unterlegen ist.
47 
Die Revision war zuzulassen, da insbesondere die Frage der Wirksamkeit sog. altrechtlicher Ausweisungsverfügungen gegenüber Unionsbürgern in der obergerichtlichen Rechtsprechung strittig und noch nicht höchstrichterlich geklärt ist (siehe § 132 Abs. 2 Satz 1 VwGO).
48 
Beschluss
49 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Rechtskräftige Urteile binden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist,

1.
die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger und
2.
im Fall des § 65 Abs. 3 die Personen, die einen Antrag auf Beiladung nicht oder nicht fristgemäß gestellt haben.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 2. Februar 2006 - 6 K 524/05 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger, ein italienischer Staatsangehöriger, wurde 1975 im Bundesgebiet geboren. 1980 zog er mit seiner Mutter nach Italien. 1990 kehrte er in die Bundesrepublik Deutschland zurück. Hier arbeitete er bis 1994 als Gipser, musste diese Tätigkeit aber nach einem Sportunfall aufgeben. 1995 begann er, Kokain zu konsumieren. Der Kläger ist Vater des im Juni 1996 geborenen … und der im November 2001 geborenen …, für die er - anders als für seinen Sohn - gemeinsam mit der Kindesmutter die elterliche Sorge inne hat und ausübt.
1993 wurde der Kläger unter anderem wegen Diebstahls mit Waffen zu einer Jugendstrafe von sieben Monaten verurteilt, deren Vollstreckung für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Im Februar 1996 wurde der Kläger in Untersuchungshaft genommen und mit Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 09.04.1997 wegen gemeinschaftlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 16 Fällen zu einer Jugendstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Am 30.04.1998 wurde die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt.
Mit Bescheid vom 22.07.1997 wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Kläger nach § 47 Abs. 1 Nr. 3 AuslG aus dem Bundesgebiet aus. Der insbesondere mit einer Nachreifung während der Haft begründete Widerspruch wurde mit Bescheid vom 20.11.1997 zurückgewiesen. Die hiergegen erhobene Klage wurde vom Verwaltungsgericht Karlsruhe mit Urteil vom 17.02.1998 - 11 K 4683/97 - abgewiesen. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung wurde durch Beschluss des Senats vom 26.10.1998 - 11 S 996/98 - abgelehnt. Daraufhin reiste der Kläger im Dezember 1998 freiwillig nach Italien aus. Auf Antrag des Klägers befristete das Regierungspräsidium Karlsruhe mit Bescheid vom 15.09.1999 die Sperrwirkungen der Ausweisung auf den 06.12.2008. Die hiergegen mit dem Ziel einer Verkürzung der Sperrfrist erhobene Klage wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 09.05.2000 - 11 K 2951/99 - abgewiesen.
Nach seiner Ausreise hielt sich der Kläger mehrmals unerlaubt im Bundesgebiet auf. Aus diesem Grund wurde er mit Urteil des Amtsgerichts Rastatt vom 08.08.2002 zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 10,-- EUR und mit Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 10.07.2003 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Ein weiteres Verfahren wegen unerlaubter Einreise wurde vom Landgericht Baden-Baden am 27.07.2005 nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt. Für die zuvor vom 25.11.2004 bis zum 24.01.2005 vollzogene Untersuchungshaft wurde dem Kläger mit Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 06.12.2006 eine Entschädigung nach Billigkeit zugesprochen.
Am 05.11.2004 beantragte der Kläger die Rücknahme der Ausweisungsverfügung vom 22.07.1997. Das Bundesverwaltungsgericht habe mit Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 30/02 -, BVerwGE 121, 297 unter Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger nur auf der Grundlage einer ausländerbehördlichen Ermessensentscheidung ausgewiesen werden dürften und dass für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Tatsachengerichts abzustellen sei. Vor diesem Hintergrund stehe die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit seiner auf den zwingenden Ausweisungstatbestand des § 47 AuslG gestützten Ausweisung fest. Auch habe man bei der Ausweisung seiner Verwurzelung in die inländischen Lebensverhältnisse nicht hinreichend Rechnung getragen.
Hierauf befristete das Regierungspräsidium Karlsruhe mit Verfügung vom 22.02.2005 die Sperrwirkung der Ausweisung vom 22.07.1997 auf den Tag der Zustellung des Befristungsbescheides (23.02.2005).
Mit Bescheid vom 17.03.2005 lehnte das Regierungspräsidium Karlsruhe den "Antrag auf Wiederaufgreifen des Ausweisungsverfahrens" ab. Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 LVwVfG auch im Hinblick auf die geänderte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Beurteilungsmaßstab von Ausweisungen nicht zu, da in der Änderung der Rechtsprechung grundsätzlich keine Änderung der Rechtslage i. S. d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG zu sehen sei. Soweit daneben die Möglichkeit bestehe, das Verwaltungsverfahren nach pflichtgemäßem Ermessen wieder aufzugreifen, bestehe kein hinreichender Anlass dafür, erneut über die unanfechtbare Ausweisung sachlich zu entscheiden. Die Verfügung von 1997 sei rechtmäßig. Sie wäre auch erlassen worden, wenn damals die Maßstäbe des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom August 2004 angewendet worden wären. Denn vom Kläger sei eindeutig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgegangen.
Der Kläger hatte bereits am 04.03.2005 beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage auf Rücknahme der Ausweisung erhoben, die er nachträglich auf den Bescheid vom 17.03.2005 erstreckt hat. Trotz zwischenzeitlicher Befristung der Wirkungen der Ausweisung bestehe ein rechtlich schützenswertes Interesse an der Rücknahme. Sie werde benötigt, um die Wiederaufnahme des Strafverfahrens wegen unerlaubter Einreise und unerlaubten Aufenthalts zu erreichen, das zur rechtskräftigen Verurteilung durch das Landgericht Baden-Baden am 10.07.2003 geführt habe. Auch hätte er bei Rücknahme der Ausweisung den erhöhten Ausweisungsschutz nach Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG bzw. § 6 Abs. 5 FreizügG/EU. Schließlich sei die Rücknahme zur Rehabilitation und Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen erforderlich. Nach dem Urteil des EuGH vom 12.12.1997 (C-188/95 ) bestehe eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Rücknahme gemeinschaftswidriger Verwaltungsentscheidungen. Der Hinweis des Beklagten, dass die Ausweisung auch bei Beachtung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erlassen worden wäre, trage der besonderen Rechtstellung von Unionsbürgern nicht hinreichend Rechnung. Nach wie vor fehle eine Ermessensentscheidung über die Ausweisung und die Berücksichtigung seiner günstigen Entwicklung nach Erlass der Verfügung bis zur gerichtlichen Entscheidung. Daneben seien die familiären Bindungen und das Ausmaß der Schwierigkeiten außer Betracht geblieben, denen er, seine damalige Verlobte und sein damals neugeborenes Kind in der Folge der Ausweisung ausgesetzt gewesen seien und die dazu führten, dass die Ausweisung mit Art. 8 EMRK unvereinbar sei. Schließlich habe man nicht die in Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG enthaltenen Maßstäbe beachtet. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat erwidert, ein Anspruch auf Rücknahme der Ausweisung bestehe nicht. Zum einen sei die Rechtmäßigkeit dieser Verfügung festgestellt worden. Zum anderen lägen die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 LVwVfG nicht vor. Im Rahmen eines Anspruchs auf fehlerfreie Ermessensausübung hinsichtlich des Wiederaufgreifens sei zu berücksichtigen, dass sich die Ausweisung aus heutiger Sicht zwar deshalb als rechtswidrig darstelle, weil sie auf § 47 AuslG gestützt worden sei, dass der Kläger aber auch damals unter Beachtung der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hätte nach Ermessen ausgewiesen werden können.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 02.02.2006 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Der Kläger habe keinen Anspruch darauf, dass die Ausweisung rückwirkend zurückgenommen werde. Ein Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Ausweisungsverfahrens scheide aus, weil die Änderung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Anforderungen an die Rechtmäßigkeit einer Ausweisung von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern ebenso wenig einer Änderung der Rechtslage nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG gleichzustellen sei wie die Klärung der maßgeblichen Voraussetzungen für eine solche Ausweisung durch den EuGH in dessen Urteil vom 29.04.2004. Den Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG habe der Beklagte erfüllt, indem er die Rücknahme ohne Rechtsfehler abgelehnt habe. Das Rücknahmeermessen sei auch nicht auf Null reduziert. Die Aufrechterhaltung der Ausweisung sei nicht schlechthin unerträglich und habe für den Kläger auch keine unzumutbare Folgen. Insbesondere werde es dem Kläger nicht praktisch unmöglich gemacht, die ihm durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte wahrzunehmen. Dem Kläger stehe auch kein gemeinschaftsrechtlicher Rechtsanspruch auf Rücknahme der Ausweisung zu. Es sei im Rahmen der gerichtlichen Prüfungskompetenz nicht zu beanstanden, dass der Beklagte bei Ausübung seines Rücknahmeermessens dem öffentlichen Interesse an der Bestandskraft der verfügten Ausweisung gegenüber den privaten Interessen des Klägers den Vorrang eingeräumt habe.
10 
Am 24.03.2006 hat der Kläger die durch das Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt. Zur Begründung verweist er auf seinen Vortrag erster Instanz und trägt ergänzend vor: Die Ausweisung verstoße gegen Art. 8 Abs. 1 EMRK. Denn sie führe selbst im Falle einer Befristung zu einer faktischen Unmöglichkeit einer späteren Rückkehr nach Deutschland. Hieran ändere auch das den Unionsbürgern eingeräumte Freizügigkeitsrecht nichts, da die Rückkehr auch in diesen Fällen an Wohlstand oder an eine Beschäftigung geknüpft und beides schwer zu erreichen sei. Im Übrigen sei es gemeinschaftsrechtswidrig, weil diskriminierend, wenn Unionsbürger aufgrund des im Falle einer Befristung wieder auflebenden Freizügigkeitsrechts leichter ausgewiesen werden könnten, als Drittstaatsangehörige, denen ein Rückkehrrecht unter diesen Bedingungen nicht zukomme. Dies ergebe sich aus der Entscheidung des EuGH vom 17.04.1986 - C-59/85 - (Slg. 1986, I-1283 ).
11 
Der Kläger beantragt,
12 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.02.2006 - 6 K 524/05 - zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 17.03.2005 zu verpflichten, die Ausweisung in der Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.07.1997 rückwirkend aufzuheben.
13 
Der Beklagte beantragt,
14 
die Berufung zurückzuweisen.
15 
Zur Begründung verweist er auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe und führt ergänzend an, dass der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die Bestandskraft von Verwaltungsentscheidungen im Grundsatz anerkenne und an die Rücknahme solcher Entscheidungen eher restriktive Bedingungen knüpfe.
16 
Der Senat hat den Kläger in der Berufungsverhandlung angehört. Dabei hat er angegeben: Er lebe seit längerer Zeit in Straßburg, wo er als Profiboxer trainiere und - nach langer Krankheit - als solcher tätig werden wolle. Er sei nach seiner Ausreise nach Italien relativ bald nach Frankreich gezogen und habe sich von dort aus immer wieder vorübergehend zu seinen in Deutschland in Grenznähe lebenden Eltern oder zu seiner damaligen Verlobten begeben. Der Kontakt zu seinem Sohn … sei nach seiner Ausreise nach Italien schwächer geworden und seit 2005 gänzlich abgebrochen. Sein Sohn lebe bei dessen Mutter in der Nähe von Frankfurt. Seine Tochter … lebe bei ihrer Mutter, die mit ihm nicht mehr verlobt sei. Er übe jedoch nach wie vor gemeinsam mit der Mutter das Sorgerecht aus. Abgesehen von den Verurteilungen wegen unerlaubter Einreise und unerlaubten Aufenthalts im Bundesgebiet sei er im Jahr 2006 noch einmal wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt worden.
17 
Dem Senat liegen die Akten des Regierungspräsidiums Karlsruhe (2 Hefte) und die Akte der Ausländerbehörde der Stadt Rastatt (1 Heft) über den Kläger sowie ferner die den Kläger betreffenden Akten des Verwaltungsgerichts Karlsruhe (11 K 4683/97; 11 K 3675/97; 11 K 2951/99; 6 K 96/05) und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (11 S 996/98; 11 S 652/05) vor. Auf den Inhalt dieser Akten wird ergänzend ebenso verwiesen wie auf die wechselseitigen Schriftsätze in der Klageakte des Verwaltungsgerichts Karlsruhe in dem Verfahren 6 K 524/05 sowie in der Verfahrensakte des Senats.

Entscheidungsgründe

 
18 
Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl der Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war. Denn er wurde in der rechtzeitigen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 102 Abs. 2 VwGO).
I.
19 
Die Berufung ist nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründung wurde form- und fristgemäß vorgelegt (§ 124a Abs. 1 bis 3 VwGO). Für die mit der Berufung begehrte Verpflichtung des Beklagten zur rückwirkenden Aufhebung der Ausweisung vom 22.07.1997 besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis.
20 
Zwar entfaltet die Ausweisung aufgrund der Befristung ihrer gesetzlichen Wirkungen in Bezug auf das Recht des Klägers, ins Bundesgebiet einzureisen und sich dort aufzuhalten, gegenwärtig keine belastende Regelungswirkung. Gleiches gilt für die aktuelle aufenthaltsrechtliche Stellung des Klägers - etwa im Hinblick auf einen gesteigerten Ausweisungsschutz nach § 6 Abs. 5 Freizüg/EU (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 28.06.2007 - 13 S 1045/07 -, VBlBW 2008, 68). Denn der Kläger hat sich nach seiner Ausreise im Dezember 1998 bis heute überwiegend in Italien und Frankreich aufgehalten, sodass die rückwirkende Aufhebung der Ausweisung nicht zur Folge hätte, dass sich der Kläger auf einen hierfür notwendigen verlängerten rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet berufen könnte.
21 
Allerdings führt die Ausweisung dazu, dass die verschiedenen Aufenthalte des Klägers im Bundesgebiet in der Zeit vor der Befristung der Wirkungen der Ausweisung als unerlaubt anzusehen sind. Hierdurch ist der Kläger nach wie vor belastet, weil er mit Urteil des Amtsgerichts Raststatt vom 08.08.2002 und des Landgerichts Baden-Baden vom 10.07.2003 wegen unerlaubten Aufenthalts zu einer Geld- und einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Insoweit ergibt sich das Rechtschutzbedürfnis daraus, dass der Kläger einen Antrag auf Wiederaufnahme dieser Strafverfahren stellen und unter Hinweis auf das - bei rückwirkender Aufhebung der Ausweisung - auch in der Vergangenheit gegebene Freizügigkeitsrecht als Unionsbürger jeweils einen Freispruch erreichen möchte. Zwar wird nach der wohl herrschenden Auffassung (vgl. Meyer-Goßner, StPO, Kommentar, 50. Aufl. 2007, § 359 Rn. 17 und 21 m.w.N.) in der Rücknahme einer - die Strafbarkeit begründenden - Verwaltungsentscheidung kein Wiederaufnahmegrund nach § 359 StPO gesehen. Es reicht aber aus, dass der Erfolg des Wiederaufnahmeantrags im Strafverfahren und damit der Nutzen der vorliegenden Klage für den Kläger weder tatsächlich noch rechtlich außer Zweifel steht (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.04.2004 - 3 C 25/03 -, BVerwGE 121, 1 = DVBl 2004, 1184 = NVwZ-RR 2004, 855; Urt. v. 21.11.1996 - 4 C 13/95 -, NJW 1997, 1173 = BRS 58 Nr. 233). Dies ist der Fall. Zum einen wird die Auffassung des Klägers, dass die Aufhebung der Ausweisung einer Aufhebung eines Urteils und damit dem Wiederaufnahmegrund nach § 359 Nr. 4 StPO gleichzustellen oder zumindest als neue Tatsache im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO anzusehen ist, nicht nur in der Literatur, sondern auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geteilt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.08.1999 - 2 BvR 1322/97 -; Beschl. v. 23.05.1967 - 2 BvR 534/62 -, BVerfGE 22, 21 = NJW 1967, 1221; Schmidt in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl. 2003, § 359 Rn. 15; Schenke, JR 1970, 449; zur vergleichbaren Regelung des § 580 Nr. 6 ZPO vgl. BGH Urt. v. 21.01.1988 - III ZR 252/86 -, BGHZ 103, 121 = NJW 1988, 1914; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, Kommentar, 66. Aufl. 2008, § 580 Anm. 3 m.w.N.). Zum anderen ist die der herrschenden Auffassung zugrunde liegende Annahme, dass auch eine rückwirkende Aufhebung eines Verwaltungsakts die zuvor gegebene Strafbarkeit der Zuwiderhandlung gegen diesen nicht entfallen lässt (so ausdrücklich BGH, Beschl. v. 23.07.1969 - 4 StR 371/68 -, BGHSt 23, 86 = NJW 1969, 2023; OLG Karlsruhe, Urt. v. 28.04.1977 - 3 Ss 107/77 -, JZ 1977, 478 = NJW 1978, 116) jedenfalls für die Ausweisung von - anderenfalls freizügigkeitsberechtigten - Unionsbürgern durchaus umstritten (zum Meinungsstand vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 06.12.2006 - 3 Ws 346/05 -, InfAuslR 2007, 118 m.w.N.).
II.
22 
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen, denn der Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 17.03.2005 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
23 
Das Klagebegehren, das sich maßgebend nicht nur aus der Formulierung des Antrags, sondern auch aus dem Vortrag des Klägers, insbesondere der Klagebegründung ergibt (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.07.1976 - IV C 15.76 - Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 5; Rennert in: Eyermann, VwGO, Kommentar, 12. Aufl. 2006, § 88 Rn. 8 m.w.N.), zielt auf die rückwirkende Aufhebung der Ausweisung. Das ist sowohl durch Rücknahme nach § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG als auch durch eine neue Sachentscheidung nach Wiederaufgreifen des Ausweisungsverfahrens, etwa gemäß § 51 Abs. 1 LVwVfG, möglich (zum Verhältnis von Rücknahme und Wiederaufgreifen des Verfahrens vgl. Ruffert, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2005, § 25 Rn. 3; Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 10. Aufl. 2008, § 51 Rn. 9; Sachs in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Kommentar, 7. Aufl. 2008, § 51 Rn. 30; Baumeister, VerwArch 92 (2001), 374 m.w.N.; anders allerdings wohl BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21/07 -, BVerwGE 129, 243 = NVwZ 2008, 82 = DÖV 2008, 74 = InfAuslR 2008, 1, wonach das Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 LVwVfG der Rücknahme oder dem Widerruf vorgeschaltet sei; so auch Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl. 2006, § 11 Rn. 11).
24 
1. Der Kläger hat keinen Anspruch nach § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG darauf, dass seine Ausweisung vom 22.07.1997 rückwirkend zurückgenommen wird. Zwar ist die Rücknahme einer Ausweisung gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG neben der – hier bereits erfolgten - Befristung ihrer gesetzlichen Wirkungen gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 bis 6 AufenthG bzw. § 7 Abs. 2 Satz 2 und 3 FreizügG/EU grundsätzlich möglich, solange die Ausweisung - wie hier - noch Regelungswirkungen äußert (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 -, InfAuslR 2008, 116 = NVwZ 2008, 326 = DÖV 2008, 329 = DVBl 2008, 189 = ZAR 2008, 140). Der Kläger und der Beklagte - und damit auch der Senat - sind jedoch nach § 121 Nr. 1 VwGO gehindert, von der Rechtswidrigkeit der Ausweisung i. S. des § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG auszugehen.
25 
a) Zwar wurde die Ausweisung des freizügigkeitsberechtigten Klägers nach § 47 Abs. 1 AuslG i. V. m. § 12 Abs. 1 Satz 1 AufenthG/EWG verfügt, ohne dass der Beklagte das bei diesen Personen notwendige Ausweisungsermessen (hierzu BVerwG, Urt. v. 03.08.2004 - 1 C 30.02 -, BVerwGE 121, 297 = NVwZ 2005, 220 = DVBl. 2005, 122 = InfAuslR 2005, 18) betätigt hatte. Auch wurde die Rechtmäßigkeit der Ausweisung nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 20.11.1997 beurteilt und damit insbesondere die Entwicklung des Klägers bis zum Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 außer Betracht gelassen. Allerdings begründen diese Umstände für die Beteiligten keine Rechtswidrigkeit der Ausweisung i. S. d. § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG, weil sie aufgrund des abweisenden Urteils des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 - 11 K 4683/97 - davon ausgehen müssen, dass die Ausweisung rechtmäßig ist. Dies folgt aus § 121 Nr. 1 VwGO, wonach rechtskräftige Urteile die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger binden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist.
26 
Der Umfang der Bindungswirkung eines Urteils bestimmt sich nach der sich im Entscheidungssatz verkörpernden Schlussfolgerung des Gerichts aus der angewandten Rechtsnorm und dem festgestellten Lebenssachverhalt (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.05.1994 - 9 C 501/03 -, BVerwGE 96, 24 = DVBl 1994, 940 = DÖV 1994, 914 = NVwZ 1994, 1115 = VBlBW 1995, 8 m.w.N.). Dabei tritt die Bindungswirkung des Urteils nicht nur in den Fällen ein, in denen der identische Streitgegenstand erneut zur Entscheidung gestellt wird, sondern auch dann, wenn die rechtskräftige Zuerkennung oder Aberkennung eines prozessualen Anspruchs für einen anderen prozessualen Anspruch, der zwischen denselben Beteiligten streitig ist, vorgreiflich ist. Denn mit der Regelung des § 121 VwGO soll auch insoweit verhindert werden, dass die aus einem festgestellten Tatbestand hergeleitete Rechtsfolge, über die in einem Urteil entschieden worden ist, bei unveränderter Sach- und Rechtslage erneut - mit der Gefahr unterschiedlicher Ergebnisse - zum Gegenstand eines Verfahrens zwischen denselben Beteiligten gemacht wird (BVerwG, Urt. v. 24.11.1998 - 9 C 53/97 -, BVerwGE 108, 30 = NVwZ 1999, 302 = DVBl. 1999, 544 = InfAuslR 1999, 143; Urt. v. 10.05.1994, a.a.O.). Eine Vorgreiflichkeit der rechtskräftigen Vorentscheidung ist immer dann gegeben, wenn sie nach dem Umfang ihrer Rechtskraft ein Element liefert, das nach den einschlägigen materiell-rechtlichen Normen des zweiten Rechtsstreits notwendig ist, um die in diesem Prozess beanspruchte Rechtsfolge zu begründen (BVerwG, Urt. v. 31.01.2002 - 2 C 7.01 -, BVerwGE 116, 1 = NVwZ 2002, 853 = DVBl. 2002, 1219 = DÖV 2002, 864).
27 
Da der Streitgegenstand des dem Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 - 11 K 4683/97 - zugrunde liegenden Verfahrens in der Rechtsbehauptung des Klägers besteht, dass die Ausweisung vom 22.07.1997 rechtswidrig ist und ihn in seinen Rechten verletzt (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.01.2002, a.a.O.; Urt. v. 08.12.1992 - 1 C 12.92 -, BVerwGE 91, 256 = NVwZ 1993, 672 = DVBl. 1993, 258 = DÖV 1993, 718 = BayVBl 1993, 250; Rennert, a.a.O., § 121 Rn. 25 m.w.N.) und § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG gerade die Rechtswidrigkeit der Ausweisung voraussetzt, ist das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 für den Anspruch auf Rücknahme der Ausweisung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG vorgreiflich. Dementsprechend nimmt auch die in der Abweisung der Anfechtungsklage des Klägers liegende Feststellung in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 über die Rechtmäßigkeit der Ausweisung vom 22.07.1997 an der präjudiziellen Wirkung dieses Urteils für den Anspruch auf Rücknahme der Ausweisung teil. Zwar ergibt sich - anders als dies im Falle der Stattgabe in Bezug auf die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts der Fall ist - aus der Abweisung einer Anfechtungsklage nicht zwingend, dass der angefochtene Verwaltungsakt rechtmäßig ist. Vielmehr kann die Abweisung der Klage auch allein darin begründet sein, dass es an der Verletzung eines subjektiven Rechts oder gar an der Zulässigkeit der Klage fehlt. Dennoch ist es - trotz der damit gegebenen Notwendigkeit, den Umfang der Rechtskraft unter Heranziehung der die Abweisung der Klage tragenden Gründe zu bestimmen - anerkannt, dass sich die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts im Falle eines deshalb abweisenden Urteils nicht als bloße Vorfrage des Urteils darstellt, sondern an der Bindungswirkung eines abweisenden Urteils in einem Anfechtungsprozess teilhat (BVerwG, Beschl. v. 15.03.1968 - VII C 183.65 -, BVerwGE 29, 210 = GewArch 1969, 22; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 23.06.1988 - 2 BvR 260/88 -, NVwZ 1989, 141; BVerwG, Urt. v. 10.05.1994, a.a.O.; Urt. v. 28.07.1989 - 7 C 78/88 -, BVerwGE 82, 272 = DVBl. 1989, 1192 = NJW 1990, 199; Urt. v. 30.08.1988 - 9 C 47/87 -, NVwZ 1989, 161; ebenso Rennert, a.a.O., § 121 Rn. 27; Clausing, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Kommentar, § 121 Rn. 80; a.A. Schenke, VwGO, Kommentar, 15. Aufl. 2007, § 121 Rn. 21 sowie Hößlein, VerwArch 98 (2007), 127, 150).
28 
b) Einer Erstreckung der in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 enthaltenen Feststellung über die Rechtmäßigkeit der Ausweisung auf das Verfahren auf Rücknahme der Ausweisung steht nicht entgegen, dass sich dieses klageabweisende Urteil unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH zur Rechtmäßigkeit der Ausweisung freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger (Urt. v. 29.04.2004 - C-482/01 und C-493/01 -, Slg. I-5257 = DVBl 2004, 876 = InfAuslR 2004, 268 = NVwZ 2004, 1099, ) sowie der hierauf basierenden Änderung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Urt. v. Urt. v. 03.08.2004, a.a.O.) nachträglich als unrichtig erweist. Denn die materielle Bindungswirkung des § 121 VwGO tritt grundsätzlich unabhängig davon ein, ob das rechtskräftige Urteil die Sach- und Rechtslage zutreffend gewürdigt hat oder nicht (BVerwG, Urt. v. 24.11.1998, a.a.O.; Urt. v. 08.12.1992, a.a.O.; Urt. v. 05.11.1985 - 6 C 22.84 -, NVwZ 1986, 293). Auch begründet eine spätere gerichtliche - auch höchstrichterliche - Klärung einer Sach- oder Rechtsfrage abweichend von dem früheren rechtskräftigen Urteil keine Änderung der Sach- oder Rechtslage, die eine Lösung von der Rechtskraftbindung rechtfertigen könnte (BVerwG, Urt. v. 31.07.2002 - 1 C 7/02 -, NVwZ 2003, Beilage Nr. I 1, 1; Urt. v. 18.09.2001, - 1 C 7/01 -, BVerwGE 115, 118 = DVBl. 2002, 343 = NVwZ 2002, 345 = DÖV 2002, 301 = InfAuslR 2002, 207). Dies ist auch im Gemeinschaftsrecht grundsätzlich anerkannt (EuGH, Urt. v. 16.03.2006 - C-234/04 -, , Slg. I-2585 = DVBl 2006, 569 = NJW 2006, 1577; Urt. v. 30.09.2003 - C-224/01 -, , Slg. I-10239 = NJW 2003, 3539 = DVBl 2003, 1516 = NVwZ 2004, 79; Urt. v. 01.06.1999 - C-126/97 -, , Slg. I-3055).
29 
Sofern der in Art. 10 EG verankerte Grundsatz der Zusammenarbeit die nationalen Behörden und Gerichte bei Vorliegen bestimmter Umstände verpflichtet, eine infolge einer innerstaatlichen Erschöpfung des Rechtswegs bestandskräftige Verwaltungsentscheidung zu überprüfen, um einer später vom Gerichtshof vorgenommenen Auslegung einer einschlägigen Bestimmung des Gemeinschaftsrechts Rechnung zu tragen (EuGH, Urt. v. 12.02.2008, a.a.O. sowie Urt. v. 13.01.2004 - C-453/00 -, , Slg. I-837 = DVBl 2004, 373 = NVwZ 2004, 459 = InfAuslR 2004, 139 = DÖV 2004, 530), gilt diese Verpflichtung immer nur im Rahmen der insbesondere durch das nationale Prozessrecht bestimmten Grenzen der Auslegung einer Rechtsnorm (vgl. EuGH, Urt. v. 12.02.2008, a.a.O.; vgl. auch Urt. v. 07.06.2007 - C-222/05 u.a. -, , Slg. I-4233 sowie Urt. v. 14.12.1995 - C-430/93 -, , Slg. I-4705), sodass - ohne eine entsprechende Regelung im nationalen Recht - auch über eine solche Verpflichtung eine Einschränkung der Bindungswirkung des § 121 VwGO nicht erreicht werden kann.
30 
Eine solche Regelung des nationalen Rechts, über die die präjudizielle Bindungswirkung eines abweisenden Urteils - auf das Tatbestandsmerkmal der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts in § 48 Abs. 1 LVwVfG - entfallen würde, findet sich nicht in der anerkannten Befugnis einer Behörde, trotz der gerichtlichen Bestätigung eines Verwaltungsakts auf dessen Vollzug zu verzichten oder diesen Verwaltungsakt dennoch aufzuheben (zu dieser Befugnis vgl. BVerwG, Urt. v. 27.01.1994 - 2 C 12.92 -, BVerwGE 95, 86 = BayVBl. 1994, 632 = NVwZ 1995, 388; Urt. v. 08.12.1992, a.a.O., m.w.N.; Urt. v. 13.09.1984 - 2 C 22/83 -, BVerwGE 70, 110 = NJW 1985, 280 = DVBl. 1985, 527; Urt. v. 04.06.1970 - II C 39.68 -, BVerwGE 35, 234 = DÖV 1970, 821 = DVBl. 1971, 272; Rennert, a.a.O., Rn. 27; Clausing, a.a.O., § 121 Rn. 31; Nicolai in: Redecker/v.Oertzen, VwGO, Kommentar, 14. Aufl. 2004, § 121 Rn. 10a und b; Kilian in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 121 Rn. 70). Diese Befugnis wurde ursprünglich mit dem im Zivilprozess anerkannten Grundsatz begründet, dass ein Urteil immer nur zugunsten, nicht jedoch zu Ungunsten der obsiegenden Partei wirke, und einer im Anfechtungsprozess obsiegenden Behörde deshalb - ebenso wie der in einem Zivilrechtsstreit obsiegenden Partei - die Möglichkeit erhalten bleibe, sich außerprozessual abweichend von der rechtskräftigen Entscheidung zu verhalten. Danach bleibt die gesetzliche Bindungswirkung nach § 121 VwGO aber gerade unangetastet (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.06.1970, a.a.O.; Bachof, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Verfahrensrecht Bd. II, 1967 Nr. 206; Menger, VerwArch 49 (1958), 368, 373; Haueisen, NJW 1963, 1329, 1333; Bullinger, DÖV 1964, 381; vgl. auch Seibert, Die Bindungswirkung von Verwaltungsakten, 1988, S. 586 ff. sowie Clausing, a.a.O., § 121 Rn. 31). Nichts anderes gilt dann, wenn diese Befugnis der Behörde, zugunsten des unterlegenen Beteiligten von der gerichtlich bestätigten Entscheidung abzuweichen, aus den Regelungen zum Verwaltungsverfahren abgeleitet und damit - dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung entsprechend - auf eine notwendige (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.06.1988 - 2 BvR 260/88 -, NVwZ 1989, 141) gesetzliche Grundlage gestellt wird (so BVerwG, Urt. v. 13.09.1984, a.a.O. sowie insb. Urt. v. 28.07.1989 - 7 C 78/88 -, BVerwGE 82, 272 = DVBl. 1989, 1192 = NJW 1990, 199 = NVwZ 1990, 156; vgl. auch Maurer, JZ 1993, 574; Kopp/Kopp, NVwZ 1994, 1; Erfmeyer, DVBl. 1997, 27). Denn hiernach findet sie ihre normative Grundlage ausschließlich in den - von der Entscheidung nach § 48 Abs. 1 LVwVfG zu trennenden - Regelungen zum Wiederaufgreifen des Verfahrens, welches von vornherein nur zugunsten und auf Antrag des Betroffenen erfolgen kann (vgl. § 51 Abs. 1 LVwVfG) und - aufgrund der Bezogenheit auf eine neue Sachentscheidung - von der Bindungswirkung eines Urteils über den Erstbescheid nicht erfasst wird (hierzu BVerwG, Urt. v. 13.09.1984, v. 28.07.1989, v. 27.01.1994, jeweils a.a.O.; ebenso wohl Rennert, a.a.O., § 121 Rn. 33 f.).
31 
Der Auffassung, die Behörde sei im Rahmen des § 48 Abs. 1 LVwVfG hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts von der - und sei es präjudiziellen - Bindungswirkung des rechtskräftigen Urteils suspendiert, sofern sie eine belastende Verfügung aufheben wolle (vgl. etwa Sachs, a.a.O., § 48 Rn. 51; Meyer in: Knack, VwVfG, 8. Aufl. 2003, § 48 Rn. 57; Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 10. Aufl. 2008, § 48 Rn. 16; ebenso wohl Ziekow, VwVfG, 2006, § 48 Rn. 12), kann indes nicht gefolgt werden. Denn § 48 Abs. 1 LVwVfG differenziert hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts nicht danach, ob dessen Rücknahme zugunsten oder zulasten des Betroffenen erfolgt. Die Anerkennung einer normativ geregelten Abweichung von der Bindungswirkung des § 121 VwGO müsste anderenfalls auch zu der – abzulehnenden - Ermächtigung führen, einen gerichtlich bestätigten, aber nachträglich als rechtswidrig erkannten Verwaltungsakt auch zulasten des betroffenen Adressaten aufzuheben (so etwa Erfmeyer, a.a.O.; Maurer, a.a.O.; ähnlich auch Kopp/Kopp, a.a.O.).
32 
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte die Ausweisung durch eine neue Sachentscheidung nach Wiederaufgreifen des Ausweisungsverfahrens unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben für die Ausweisung freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger sowie der tatsächlichen Entwicklung des Klägers aufhebt.
33 
a) Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 LVwVfG.
34 
Nach dieser Regelung hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn bestimmte Wiederaufgreifensgründe zu einer dem Betroffenen begünstigenden Sachentscheidung geführt hätten. Solche Wiederaufgreifensgründe sind indessen nicht gegeben. Insbesondere liegt in der Änderung der Rechtsprechung zu den Anforderungen an die Ausweisung freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger, wie sie sich in dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2004 (- 1 C 30 .02 -, BVerwGE 121, 297) manifestiert, keine Änderung der Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG. Gleiches gilt für die - vom Kläger geltend gemachte - Verschärfung der Anforderungen des Art. 8 Abs. 2 EMRK an die Verhältnismäßigkeit der Ausweisung von faktischen Inländern in dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 - (InfAuslR 2007, 275 = ZAR 2007, 243 = NVwZ 2007, 946 = AuAS 2007, 242) und gemäß der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, etwa in dem Urteil vom 27.10.2005 (Individualbeschwerde Nr. 32231/02 - Keles ./. Deutschland, InfAuslR 2006, 3 = FamRZ 2006, 1351).
35 
Wenngleich § 51 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG insoweit weiter gefasst ist als § 49 Abs. 2 Nr. 4 LVwVfG, wo von einer Änderung der Rechtsvorschrift die Rede ist, so gilt auch hier, dass es sich um Änderungen des materiellen Rechts, dem eine allgemein verbindliche Außenwirkung zukommt, handeln muss. Dem entspricht die Änderung der Rechtsprechung - mit Ausnahme der über die Rechtsprechung dokumentierten Änderung von Gewohnheitsrecht oder allgemeiner Rechtsauffassungen (hierzu Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 51 Rn. 30) - deshalb nicht, weil sich die gerichtliche Entscheidungsfindung stets in der rechtlichen Würdigung eines Sachverhalts am Maßstab der vorgegebenen Rechtsordnung erschöpft (BVerwG, Beschl. v. 03.05.1996 - 6 B 82/95 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 366; Beschl. v. 24.05.1995 - 1 B 60.95 -, InfAuslR 1995, 355 = NVwZ 1995, 1097 = Buchholz 316 § 51 Nr. 32; Beschl. v. 16.02.1993 - 9 B 241.92 - Buchholz 316 § 51 Nr. 29; Beschl. v. 25.05.1981 - 8 B 89/80 und 93/80 - NJW 1981, 2595 = Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 9, jeweils zur Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung; vgl. auch Urt. v. 27.01.1994, a.a.O.; Urt. v. 08.12.1992, a.a.O. m.w.N.). Dies ist für die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte anerkannt (BVerwG, Beschl. v. 24.05.1995, a.a.O.; Beschl. v. 04.10.1993 - 6 B 35.93 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 319), gilt aber auch für die hier letztlich maßgebliche Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, der mit seinem Urteil vom 29.04.2004 (C-482/01 und C-493/01 -, , Slg. I-5257 = DVBl 2004, 876 = InfAuslR 2004, 268 = NVwZ 2004, 1099) die Änderung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Maßstäben für die Ausweisung freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger erst veranlasst hat. Denn die Rechtsprechung dieses Gerichtshofs ist auch nach dessen Selbstverständnis ebenfalls nur rein deklaratorischer Natur (vgl. hierzu etwa EuGH, Urt. v. 12.02.2008 - C-2/06 -, , NJW 2008, 1212 = DÖV 2008, 505 m.w.N.).
36 
Angesichts des eindeutigen Wortlauts und des grundsätzlich abschließenden Charakters dieser Regelung kann die Einbeziehung der Rechtsprechungsänderung in den Wiederaufgreifensgrund des § 51 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG auch nicht - ausnahmsweise - über die in Art. 10 EG verankerte Verpflichtung der nationalen Behörden und Gerichte begründet werden, bei Vorliegen bestimmter Umstände, eine infolge einer innerstaatlichen Erschöpfung des Rechtswegs bestandskräftige Verwaltungsentscheidung zu überprüfen, um einer später vom Gerichtshof vorgenommenen Auslegung einer einschlägigen Bestimmung des Gemeinschaftsrechts Rechnung zu tragen (vgl. EuGH, Urt. v. 12.02.2008, a.a.O. sowie Urt. v. 13.01.2004, a.a.O.). Abgesehen davon besteht für eine solche Einbeziehung auch unter dem Gesichtspunkt des gemeinschaftsrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes kein Bedürfnis.
37 
Eine Behörde ist nämlich auch dann, wenn kein Wiederaufgreifensgrund i. S. des § 51 Abs. 1 LVwVfG vorliegt, befugt, ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren nach pflichtgemäßem Ermessen zugunsten des Betroffenen wiederaufzugreifen, um unter Aufhebung oder Abänderung des Erstbescheids eine neue Sachentscheidung zu treffen (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.09.2000 - 2 C 5/99 -, BayVBl 2001, 216 = DVBl. 2001, 726; Beschl. v. 23.02.2004 - 5 B 104/03 -, juris; Beschl. v. 25.05.1981 - 8 B 89.80 -, NJW 1981, 2595 = Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 9 m.w.N; ebenso Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, 12. Aufl. 2007, § 51 VI 2 b), S. 602; so wohl auch Rennert, a.a.O., § 121 Rn. 34). Ein solche Befugnis war bereits vor Inkrafttreten der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder als ungeschriebener Rechtsgrundsatz des Verwaltungsverfahrensrechts anerkannt (vgl. BVerfG, Entsch. v. 17.12.1969 - 2 BvR 23/65 -, BVerfGE 27, 297 = DVBl. 1970, 270 = DÖV 1970, 231; BVerwG, Urt. v. 16.12.1971 - I C 31.68 -, BVerwGE 39, 197 = DÖV 1972, 419 = DVBl. 1972, 388; Urt. v. 30.01.1974 - VIII C 20.72 -, BVerwGE 44, 333; Urt. v. 28.07.1976 - 8 C 90.75 - Buchholz 412.3 § 16 Nr. 2; Urt. v. 14.12.1977 - 8 C 79.76 - Buchholz 316 § 36 Nr. 1) und wurde weder über die Regelung des § 51 LVwVfG noch über die neben dem Wiederaufgreifen des Verfahrens bestehenden Regelungen über die Rücknahme und den Widerruf eines Verwaltungsakts nach §§ 48, 49 LVwVfG verdrängt. Insofern ist die Kodifizierung der ungeschriebenen Rechtsgrundsätze des Verwaltungsverfahrens nur unvollständig und nicht abschließend erfolgt (hierzu auch Selmer, JuS 1987, 363, 366). Anders als unter Zugrundelegung der vom Senat nicht geteilten gegenteiligen Auffassung, die ein Wiederaufgreifen des Verfahrens außerhalb des § 51 LVwVfG allein nach den §§ 48, 49 LVwVfG für zulässig hält (etwa BVerwG, Beschl. v. 29.03.1999 - 1 DB 7/97 -, BVerwGE 113, 322 = DVBl. 1999, 931 = NVwZ 2000, 202; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 31.01.1989 - 9 S 1141/88 -, DVBl. 1989, 884 = NVwZ 1989, 882; Ruffert, a.a.O., § 25 IV Rn. 12; Ziekow, a.a.O., § 51 Rn. 27; Sachs, a.a.O., § 51 Rn. 16; speziell zur Überprüfung gemeinschaftsrechtswidriger Verwaltungsakte auch Britz/Richter, JuS 2005, 198), steht dieser Anspruch auch nicht im Konflikt mit der bundesrechtlichen Regelung zur Rechtskraft eines verwaltungsgerichtlichen Urteils über die Rechtmäßigkeit dieses Erstbescheids (hierzu BVerwG, Urt. v. 27.01.1994, - 2 C 12.92 - und Urt. v. 08.12.1992 - 1 C 12.92 -, jeweils a.a.O. m.w.N). Als unrichtig erkannte belastende Verwaltungsakte können bei Vorliegen eines - gemeinschaftsrechtlichen - Wiederaufgreifensgrundes daher trotz der Abweisung einer hiergegen gerichteten Anfechtungsklage auch rückwirkend aufgehoben oder durch eine gemeinschaftsrechtskonforme Regelung ersetzt werden. Hiermit wird auch der Verpflichtung Rechnung getragen, eine gemeinschaftsrechtlich notwendige Korrektur einer Regelung im Rahmen der Auslegung des nationalen Verfahrensrechts zu ermöglichen (zu dieser Verpflichtung vgl. EuGH, Urt. v. 13.03.2007 - C-432 -, , Slg. I-2271 = BayVBl 2007, 589 = NJW 2007, 3555 sowie Potacs, in: Bröhmer u.a., Internationale Gemeinschaft und Menschenrechte, Festschrift für Georg Ress, 2005, S. 729 und Gärditz, NWVBl 2006, 441).
38 
b) Allerdings kann der Kläger das Wiederaufgreifen des Verfahrens nach pflichtgemäßem Ermessen der Behörde - außerhalb des Anwendungsbereichs von § 51 Abs. 1 LVwVfG - mit dem Ziel einer erneuten Sachentscheidung über seine Ausweisung und damit auch eine Rücknahme der Ausweisung auf diesem Weg nicht (mehr) beanspruchen.
39 
Der Beklagte hat eine solche erneute Sachentscheidung über die Ausweisung des Klägers mit Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 17.03.2005 abgelehnt, ohne dass er hierbei die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hätte (vgl. § 114 Satz 1 VwGO).
40 
aa) Der Bescheid vom 17.03.2005 ist sowohl in seinem Tenor als auch in der Begründung ausdrücklich auf die Ablehnung eines Antrags auf „Wiederaufgreifen des Verfahrens“ bezogen. Dabei begründet es keinen nach § 114 Satz 1 VwGO relevanten Ermessensfehler, dass die Behörde ihre Ablehnung zunächst unter anderem mit der - sachlich unrichtigen Einlassung - begründet hat, die Ausweisung sei rechtmäßig. Denn der Beklagte hat die materielle Rechtswidrigkeit der Ausweisung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zugestanden und daraufhin die Ermessenserwägungen der Ablehnungsentscheidung gemäß § 114 Satz 2 VwGO mit dem Hinweis auf die Erfolglosigkeit der Klage gegen diese Ausweisung in zulässiger Weise ergänzt (zum Ergänzen von Ermessenserwägungen vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 114 Rn. 50; Rennert, a.a.O., § 114 Rn. 89 und Wolff in: Sodan/Ziekow, a.a.O., § 114 Rn. 208).
41 
bb) In der Form dieser Ergänzung begegnet die Ablehnung des Wiederaufgreifens des Verfahrens und der neuen Sachentscheidung über die Ausweisung des Klägers zunächst keinen gemeinschaftsrechtlichen Bedenken. Denn die Voraussetzungen für eine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung des Beklagten, die infolge der innerstaatlichen Erschöpfung des Rechtswegs bestandskräftige, aber materiell gemeinschaftsrechtswidrige Ausweisungsentscheidung zu überprüfen (zu dieser Pflicht vgl. EuGH, Urt. v. 13.01.2004 - C-453/00 -, a.a.O.; Urt. v. 12.02.2008 - C-2/06, , a.a.O. sowie Weiß, DÖV 2008, 477; Pache/Bielitz, DVBl 2006, 325; Britz/Richter, a.a.O.), liegen nicht vor.
42 
Zwar hat der Kläger mit der Stellung seines - erfolglosen - Antrags auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 den ihm nach nationalem Recht gegen die Ausweisung eröffneten Rechtsweg ausgeschöpft. Auch beruht das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 auf einer unrichtigen Auslegung des Gemeinschaftsrechts. Denn das Verwaltungsgericht hätte die Ausweisung sowie den sie bestätigenden Widerspruchsbescheid schon deshalb aufheben müssen, weil die Ausweisung unter Verstoß gegen Art. 39 EG und Art. 3 RL 64/221/EWG ohne Ermessen als zwingende Rechtsfolge verfügt worden war; außerdem hätte es die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Entscheidung zugrunde legen müssen. Insofern ist unerheblich, ob die Ausweisung hätte rechtsfehlerfrei nach Ermessen ausgesprochen werden können oder ob die Ausweisung - wie der Kläger vorgetragen hat - in jedem Fall gegen Art. 8 Abs. 1 EMRK verstoßen hätte. Schließlich hat der Kläger mit seinem Rücknahmeantrag den letztlich maßgeblichen Wiederaufgreifensgrund der Änderung der Rechtsprechung zur Rechtmäßigkeit der Ausweisung von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern auch zeitnah geltend gemacht. Jedoch hat der Senat bei der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung nicht gegen die Verpflichtung aus Art. 234 Abs. 3 EG zur Einholung einer Vorabentscheidung verstoßen. Denn der Senat war in diesem konkreten Verfahren weder berechtigt noch verpflichtet, die Vereinbarkeit des § 47 AuslG i. V. m. § 12 AufenthG/EWG mit Art. 39 EG und Art. 3 RL 64/221/EWG sowie die Frage der maßgeblichen Sach- und Rechtslage für die gerichtliche Überprüfung der Ausweisung eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers zu prüfen. Vielmehr war er nach § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO an die vom Kläger dargelegten Zulassungsgründe gebunden, die sich gerade nicht auf diese Rechtsfragen bezogen (zur Maßgeblichkeit der nach nationalem Recht zu bestimmenden Prüfungspflicht vgl. EuGH, Urt. v. 12.02.2008 - C-2/06, , a.a.O).
43 
Von dem Erfordernis des pflichtwidrig unterlassenen Vorabentscheidungsersuchens ist auch nicht deshalb abzusehen, weil die Anwendbarkeit des § 47 AuslG i.v.m. § 12 AufenthG/EWG auf die Ausweisung eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers ebenso wie die Maßgeblichkeit der Sach- und Rechtslage bei Erlass der letzten Behördenentscheidung zum Zeitpunkt des Antrags auf Zulassung der Berufung durch die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt schien und deshalb eine entsprechende Rüge im Zulassungsantrag voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte (zur damaligen Rechtsprechung vergleiche etwa BVerwG, Beschl. v. 29.09.1993 - 1 B 62.93 - Buchholz 402.240 § 48 AuslG 1990 Nr. 3; Urt. v. 27.10.1978 - 1 C 91.76 - BVerwGE 57, 61 und Urt. v. 11.06.1996 - 1 C 24.94 - BVerwGE 101, 247). Zwar dürften die Voraussetzungen für die Verpflichtung einer Behörde zur Berücksichtigung einer späteren Klärung einer gemeinschaftsrechtlichen Rechtsfrage durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in den Fällen, in denen die Verwaltungsentscheidung durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung bestätigt worden ist, mit den in den Rechtssachen "Kühne und Heitz" sowie "Kempter" formulierten Kriterien noch nicht in jeder Hinsicht abschießend bestimmt sein (vgl. Britz/Richter, a.a.O.; Frenz, DVBl. 2004, 374, 376). Allerdings erkennt das Gemeinschaftsrecht die Rechtskraft von gemeinschaftsrechtswidrigen Gerichtsentscheidungen grundsätzlich an (EuGH, Urt. v. 16.03.2006 - C-234/04 -, , Slg. I-2585 = DVBl 2006, 569 = NJW 2006, 1577; Urt. v. 30.09.2003 - C-224/01 -, , Slg. I-10239 = NJW 2003, 3539 = DVBl 2003, 1516 = NVwZ 2004, 79; Urt. v. 01.06.1999 - C-126/97 -, , Slg. I-3055) und fordert - außerhalb der nach nationalem Recht gegebenen Möglichkeiten einer Abweichung - eine Durchbrechung der Rechtskraft bislang allein bei einer Verletzung der Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EG (hierzu insb. Urt. v. 30.09.2003, a.a.O.; Ruffert, JZ 2004, 620, 621). Darüber hinaus ist es anerkannt, dass der Effektivitätsgrundsatz insoweit stets durch die nationalen prozessualen Regelungen zum Prüfungsumfang der zur Entscheidung befugten Gerichte beschränkt ist (EuGH, Urt. v. 07.06.2007 - C-222/05 u.a. -, , Slg. I-4233 sowie Urt. v. 14.12.1995 - C-430/93 -, , Slg. I-4705).
44 
cc) Die Ablehnung des Wiederaufgreifens des Verfahrens und damit auch einer Rücknahme der Ausweisung aufgrund neuer Sachentscheidung hält sich zudem in den Grenzen des nationalen Rechts.
45 
Eine Behörde handelt grundsätzlich nicht ermessensfehlerhaft, wenn sie eine erneute Sachentscheidung unter Hinweis auf die rechtskräftige gerichtliche Bestätigung ihrer Verwaltungsentscheidung ablehnt. Insoweit bedarf es regelmäßig keiner weiteren ins Einzelne gehenden Ermessenserwägungen. Ausnahmen bestehen nur dann, wenn im Einzelfall Umstände von einer den in § 51 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 VwVfG geregelten Fällen vergleichbaren Bedeutung und Gewicht vorliegen und die Aufrechterhaltung des Erstbescheides auch unter Berücksichtigung der Rechtskraft des diesen bestätigenden Urteils schlechthin unerträglich wäre (BVerwG, Urt. v. 27.01.1994, a.a.O., m.w.N.). Solche Umstände liegen hier jedoch nicht vor.
46 
Es besteht keine allgemeine Verwaltungspraxis, gegenüber der sich die Ablehnung des Wiederaufgreifens des Verfahrens als gleichheitswidrig erweisen würde. Vielmehr ist für den Beklagten maßgeblich, eine solche Verwaltungspraxis mit Blick auf den dann verbundenen Verwaltungsaufwand gerade zu vermeiden. Auch erscheint die Berufung der Behörde auf die Unanfechtbarkeit der Ausweisung und die Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 nicht vor dem Hintergrund der hiermit für den Kläger verbundenen Belastungen als treu- oder sittenwidrig. Denn die gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung sind auf den 23.02.2005 befristet worden, so dass der Kläger seitdem wieder ohne weitere Einschränkung nach Maßgabe des § 2 FreizügG/EU ins Bundesgebiet einreisen und sich dort aufhalten darf. Da sich der Kläger nach seiner Ausreise im Dezember 1998 bis heute überwiegend in Italien und Frankreich aufgehalten hat, führt die Verweigerung der in der Sache begehrten rückwirkenden Aufhebung der Ausweisung auch nicht dazu, dass dem Kläger eine über die Begründung eines verlängerten rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet verbesserte aufenthaltsrechtliche Stellung vorenthalten würde. Soweit dem Kläger über die Ablehnung des Wiederaufgreifens des Ausweisungsverfahrens die Möglichkeit genommen wird, mit einem - auf die Aufhebung der Ausweisung gestützten - Wiederaufnahmeantrag nach § 359 Nr. 4 oder 5 StPO in den mit rechtskräftigen Urteilen des Amtsgerichts Raststatt vom 08.08.2002 und des Landgerichts Baden-Baden vom 10.07.2003 abgeschlossenen Strafverfahren wegen unerlaubten Aufenthalts einen Freispruch zu erreichen, ist dies für ihn schon deshalb nicht schlechthin unerträglich, weil der Erfolg eines solchen Antrags durchaus nicht sicher ist und die strafgerichtliche Verurteilungen des Klägers nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt ihres Ergehens zu Recht erfolgt sind. Schließlich ist die Aufrechterhaltung der Ausweisung auch nicht deshalb schlechthin unerträglich, weil die Ausweisung und das sie bestätigende Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe offensichtlich rechtswidrig wären. Eine offensichtliche Rechtswidrigkeit in diesem Sinne ist dann gegeben, wenn an dem Verstoß der streitigen Maßnahme gegen formelles oder materielles Recht vernünftigerweise kein Zweifel besteht und sich deshalb die Rechtswidrigkeit aufdrängt. Hierbei ist maßgeblich auf den Zeitpunkt des Erlasses des die Ausweisung bestätigenden Urteils abzustellen. Eine spätere Klärung der Rechtsfrage und die damit eintretende Evidenz desselben bleiben außer Betracht (zur vergleichbaren Konstellation der Verpflichtung zur Rücknahme eines Verwaltungsakts nach § 48 Abs. 1 LVwVfG vgl. BVerwG Urt. v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 -, AuAS 2008, 28 = InfAuslR 2008, 116 = NVwZ 2008, 326 = DÖV 2008, 329 = DVBl 2008, 189; Urt. v. 17.01.2007 - 6 C 32.06 -, NVwZ 2007, 709; Beschl. v. 07.07.2004 - 6 C 24/03 -, BVerwGE 121, 226, 229 ff. m.w.N.). Zu dem damit erheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe am 17.02.1998 war die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit einer auf § 47 AuslG gestützten und damit ohne umfassende Ermessensentscheidung ausgesprochenen Ausweisung eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers ebenso wenig evident wie die Notwendigkeit, die Rechtmäßigkeit der Ausweisung nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts zu beurteilen. Vielmehr bestand eine ausdrücklich gegenteilige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa Beschl. v. 29.09.1993, a.a.O.; Urt. v. 11.06.1996, a.a.O.), die erst mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2004 (- 1 C 30/02 -, a.a.O.) aufgegeben wurde.
III.
47 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Senat sieht nach Ermessen davon ab, das Urteil hinsichtlich der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären (§ 167 Abs. 2 VwGO). Die Revision wird gemäß § 132 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, denn sie wirft die bisher höchstrichterlich noch nicht geklärte und für die Weiterentwicklung des Rechts bedeutsame Frage auf, ob die Bindung der Beteiligten nach § 121 VwGO an ein rechtskräftiges Urteil eines Verwaltungsgerichts, mit dem die Anfechtungsklage gegen einen belastenden Verwaltungsakt abgewiesen wurde, der Anwendbarkeit des § 48 Abs.1 Satz 1 (L)VwVfG entgegensteht.
48 
Beschluss vom 09.05.2008
        
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf
        
5.000,-- EUR
        
festgesetzt.
        
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
18 
Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl der Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war. Denn er wurde in der rechtzeitigen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 102 Abs. 2 VwGO).
I.
19 
Die Berufung ist nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründung wurde form- und fristgemäß vorgelegt (§ 124a Abs. 1 bis 3 VwGO). Für die mit der Berufung begehrte Verpflichtung des Beklagten zur rückwirkenden Aufhebung der Ausweisung vom 22.07.1997 besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis.
20 
Zwar entfaltet die Ausweisung aufgrund der Befristung ihrer gesetzlichen Wirkungen in Bezug auf das Recht des Klägers, ins Bundesgebiet einzureisen und sich dort aufzuhalten, gegenwärtig keine belastende Regelungswirkung. Gleiches gilt für die aktuelle aufenthaltsrechtliche Stellung des Klägers - etwa im Hinblick auf einen gesteigerten Ausweisungsschutz nach § 6 Abs. 5 Freizüg/EU (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 28.06.2007 - 13 S 1045/07 -, VBlBW 2008, 68). Denn der Kläger hat sich nach seiner Ausreise im Dezember 1998 bis heute überwiegend in Italien und Frankreich aufgehalten, sodass die rückwirkende Aufhebung der Ausweisung nicht zur Folge hätte, dass sich der Kläger auf einen hierfür notwendigen verlängerten rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet berufen könnte.
21 
Allerdings führt die Ausweisung dazu, dass die verschiedenen Aufenthalte des Klägers im Bundesgebiet in der Zeit vor der Befristung der Wirkungen der Ausweisung als unerlaubt anzusehen sind. Hierdurch ist der Kläger nach wie vor belastet, weil er mit Urteil des Amtsgerichts Raststatt vom 08.08.2002 und des Landgerichts Baden-Baden vom 10.07.2003 wegen unerlaubten Aufenthalts zu einer Geld- und einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Insoweit ergibt sich das Rechtschutzbedürfnis daraus, dass der Kläger einen Antrag auf Wiederaufnahme dieser Strafverfahren stellen und unter Hinweis auf das - bei rückwirkender Aufhebung der Ausweisung - auch in der Vergangenheit gegebene Freizügigkeitsrecht als Unionsbürger jeweils einen Freispruch erreichen möchte. Zwar wird nach der wohl herrschenden Auffassung (vgl. Meyer-Goßner, StPO, Kommentar, 50. Aufl. 2007, § 359 Rn. 17 und 21 m.w.N.) in der Rücknahme einer - die Strafbarkeit begründenden - Verwaltungsentscheidung kein Wiederaufnahmegrund nach § 359 StPO gesehen. Es reicht aber aus, dass der Erfolg des Wiederaufnahmeantrags im Strafverfahren und damit der Nutzen der vorliegenden Klage für den Kläger weder tatsächlich noch rechtlich außer Zweifel steht (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.04.2004 - 3 C 25/03 -, BVerwGE 121, 1 = DVBl 2004, 1184 = NVwZ-RR 2004, 855; Urt. v. 21.11.1996 - 4 C 13/95 -, NJW 1997, 1173 = BRS 58 Nr. 233). Dies ist der Fall. Zum einen wird die Auffassung des Klägers, dass die Aufhebung der Ausweisung einer Aufhebung eines Urteils und damit dem Wiederaufnahmegrund nach § 359 Nr. 4 StPO gleichzustellen oder zumindest als neue Tatsache im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO anzusehen ist, nicht nur in der Literatur, sondern auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geteilt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.08.1999 - 2 BvR 1322/97 -; Beschl. v. 23.05.1967 - 2 BvR 534/62 -, BVerfGE 22, 21 = NJW 1967, 1221; Schmidt in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl. 2003, § 359 Rn. 15; Schenke, JR 1970, 449; zur vergleichbaren Regelung des § 580 Nr. 6 ZPO vgl. BGH Urt. v. 21.01.1988 - III ZR 252/86 -, BGHZ 103, 121 = NJW 1988, 1914; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, Kommentar, 66. Aufl. 2008, § 580 Anm. 3 m.w.N.). Zum anderen ist die der herrschenden Auffassung zugrunde liegende Annahme, dass auch eine rückwirkende Aufhebung eines Verwaltungsakts die zuvor gegebene Strafbarkeit der Zuwiderhandlung gegen diesen nicht entfallen lässt (so ausdrücklich BGH, Beschl. v. 23.07.1969 - 4 StR 371/68 -, BGHSt 23, 86 = NJW 1969, 2023; OLG Karlsruhe, Urt. v. 28.04.1977 - 3 Ss 107/77 -, JZ 1977, 478 = NJW 1978, 116) jedenfalls für die Ausweisung von - anderenfalls freizügigkeitsberechtigten - Unionsbürgern durchaus umstritten (zum Meinungsstand vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 06.12.2006 - 3 Ws 346/05 -, InfAuslR 2007, 118 m.w.N.).
II.
22 
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen, denn der Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 17.03.2005 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
23 
Das Klagebegehren, das sich maßgebend nicht nur aus der Formulierung des Antrags, sondern auch aus dem Vortrag des Klägers, insbesondere der Klagebegründung ergibt (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.07.1976 - IV C 15.76 - Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 5; Rennert in: Eyermann, VwGO, Kommentar, 12. Aufl. 2006, § 88 Rn. 8 m.w.N.), zielt auf die rückwirkende Aufhebung der Ausweisung. Das ist sowohl durch Rücknahme nach § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG als auch durch eine neue Sachentscheidung nach Wiederaufgreifen des Ausweisungsverfahrens, etwa gemäß § 51 Abs. 1 LVwVfG, möglich (zum Verhältnis von Rücknahme und Wiederaufgreifen des Verfahrens vgl. Ruffert, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2005, § 25 Rn. 3; Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 10. Aufl. 2008, § 51 Rn. 9; Sachs in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Kommentar, 7. Aufl. 2008, § 51 Rn. 30; Baumeister, VerwArch 92 (2001), 374 m.w.N.; anders allerdings wohl BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21/07 -, BVerwGE 129, 243 = NVwZ 2008, 82 = DÖV 2008, 74 = InfAuslR 2008, 1, wonach das Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 LVwVfG der Rücknahme oder dem Widerruf vorgeschaltet sei; so auch Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl. 2006, § 11 Rn. 11).
24 
1. Der Kläger hat keinen Anspruch nach § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG darauf, dass seine Ausweisung vom 22.07.1997 rückwirkend zurückgenommen wird. Zwar ist die Rücknahme einer Ausweisung gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG neben der – hier bereits erfolgten - Befristung ihrer gesetzlichen Wirkungen gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 bis 6 AufenthG bzw. § 7 Abs. 2 Satz 2 und 3 FreizügG/EU grundsätzlich möglich, solange die Ausweisung - wie hier - noch Regelungswirkungen äußert (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 -, InfAuslR 2008, 116 = NVwZ 2008, 326 = DÖV 2008, 329 = DVBl 2008, 189 = ZAR 2008, 140). Der Kläger und der Beklagte - und damit auch der Senat - sind jedoch nach § 121 Nr. 1 VwGO gehindert, von der Rechtswidrigkeit der Ausweisung i. S. des § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG auszugehen.
25 
a) Zwar wurde die Ausweisung des freizügigkeitsberechtigten Klägers nach § 47 Abs. 1 AuslG i. V. m. § 12 Abs. 1 Satz 1 AufenthG/EWG verfügt, ohne dass der Beklagte das bei diesen Personen notwendige Ausweisungsermessen (hierzu BVerwG, Urt. v. 03.08.2004 - 1 C 30.02 -, BVerwGE 121, 297 = NVwZ 2005, 220 = DVBl. 2005, 122 = InfAuslR 2005, 18) betätigt hatte. Auch wurde die Rechtmäßigkeit der Ausweisung nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 20.11.1997 beurteilt und damit insbesondere die Entwicklung des Klägers bis zum Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 außer Betracht gelassen. Allerdings begründen diese Umstände für die Beteiligten keine Rechtswidrigkeit der Ausweisung i. S. d. § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG, weil sie aufgrund des abweisenden Urteils des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 - 11 K 4683/97 - davon ausgehen müssen, dass die Ausweisung rechtmäßig ist. Dies folgt aus § 121 Nr. 1 VwGO, wonach rechtskräftige Urteile die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger binden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist.
26 
Der Umfang der Bindungswirkung eines Urteils bestimmt sich nach der sich im Entscheidungssatz verkörpernden Schlussfolgerung des Gerichts aus der angewandten Rechtsnorm und dem festgestellten Lebenssachverhalt (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.05.1994 - 9 C 501/03 -, BVerwGE 96, 24 = DVBl 1994, 940 = DÖV 1994, 914 = NVwZ 1994, 1115 = VBlBW 1995, 8 m.w.N.). Dabei tritt die Bindungswirkung des Urteils nicht nur in den Fällen ein, in denen der identische Streitgegenstand erneut zur Entscheidung gestellt wird, sondern auch dann, wenn die rechtskräftige Zuerkennung oder Aberkennung eines prozessualen Anspruchs für einen anderen prozessualen Anspruch, der zwischen denselben Beteiligten streitig ist, vorgreiflich ist. Denn mit der Regelung des § 121 VwGO soll auch insoweit verhindert werden, dass die aus einem festgestellten Tatbestand hergeleitete Rechtsfolge, über die in einem Urteil entschieden worden ist, bei unveränderter Sach- und Rechtslage erneut - mit der Gefahr unterschiedlicher Ergebnisse - zum Gegenstand eines Verfahrens zwischen denselben Beteiligten gemacht wird (BVerwG, Urt. v. 24.11.1998 - 9 C 53/97 -, BVerwGE 108, 30 = NVwZ 1999, 302 = DVBl. 1999, 544 = InfAuslR 1999, 143; Urt. v. 10.05.1994, a.a.O.). Eine Vorgreiflichkeit der rechtskräftigen Vorentscheidung ist immer dann gegeben, wenn sie nach dem Umfang ihrer Rechtskraft ein Element liefert, das nach den einschlägigen materiell-rechtlichen Normen des zweiten Rechtsstreits notwendig ist, um die in diesem Prozess beanspruchte Rechtsfolge zu begründen (BVerwG, Urt. v. 31.01.2002 - 2 C 7.01 -, BVerwGE 116, 1 = NVwZ 2002, 853 = DVBl. 2002, 1219 = DÖV 2002, 864).
27 
Da der Streitgegenstand des dem Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 - 11 K 4683/97 - zugrunde liegenden Verfahrens in der Rechtsbehauptung des Klägers besteht, dass die Ausweisung vom 22.07.1997 rechtswidrig ist und ihn in seinen Rechten verletzt (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.01.2002, a.a.O.; Urt. v. 08.12.1992 - 1 C 12.92 -, BVerwGE 91, 256 = NVwZ 1993, 672 = DVBl. 1993, 258 = DÖV 1993, 718 = BayVBl 1993, 250; Rennert, a.a.O., § 121 Rn. 25 m.w.N.) und § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG gerade die Rechtswidrigkeit der Ausweisung voraussetzt, ist das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 für den Anspruch auf Rücknahme der Ausweisung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG vorgreiflich. Dementsprechend nimmt auch die in der Abweisung der Anfechtungsklage des Klägers liegende Feststellung in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 über die Rechtmäßigkeit der Ausweisung vom 22.07.1997 an der präjudiziellen Wirkung dieses Urteils für den Anspruch auf Rücknahme der Ausweisung teil. Zwar ergibt sich - anders als dies im Falle der Stattgabe in Bezug auf die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts der Fall ist - aus der Abweisung einer Anfechtungsklage nicht zwingend, dass der angefochtene Verwaltungsakt rechtmäßig ist. Vielmehr kann die Abweisung der Klage auch allein darin begründet sein, dass es an der Verletzung eines subjektiven Rechts oder gar an der Zulässigkeit der Klage fehlt. Dennoch ist es - trotz der damit gegebenen Notwendigkeit, den Umfang der Rechtskraft unter Heranziehung der die Abweisung der Klage tragenden Gründe zu bestimmen - anerkannt, dass sich die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts im Falle eines deshalb abweisenden Urteils nicht als bloße Vorfrage des Urteils darstellt, sondern an der Bindungswirkung eines abweisenden Urteils in einem Anfechtungsprozess teilhat (BVerwG, Beschl. v. 15.03.1968 - VII C 183.65 -, BVerwGE 29, 210 = GewArch 1969, 22; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 23.06.1988 - 2 BvR 260/88 -, NVwZ 1989, 141; BVerwG, Urt. v. 10.05.1994, a.a.O.; Urt. v. 28.07.1989 - 7 C 78/88 -, BVerwGE 82, 272 = DVBl. 1989, 1192 = NJW 1990, 199; Urt. v. 30.08.1988 - 9 C 47/87 -, NVwZ 1989, 161; ebenso Rennert, a.a.O., § 121 Rn. 27; Clausing, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Kommentar, § 121 Rn. 80; a.A. Schenke, VwGO, Kommentar, 15. Aufl. 2007, § 121 Rn. 21 sowie Hößlein, VerwArch 98 (2007), 127, 150).
28 
b) Einer Erstreckung der in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 enthaltenen Feststellung über die Rechtmäßigkeit der Ausweisung auf das Verfahren auf Rücknahme der Ausweisung steht nicht entgegen, dass sich dieses klageabweisende Urteil unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH zur Rechtmäßigkeit der Ausweisung freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger (Urt. v. 29.04.2004 - C-482/01 und C-493/01 -, Slg. I-5257 = DVBl 2004, 876 = InfAuslR 2004, 268 = NVwZ 2004, 1099, ) sowie der hierauf basierenden Änderung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Urt. v. Urt. v. 03.08.2004, a.a.O.) nachträglich als unrichtig erweist. Denn die materielle Bindungswirkung des § 121 VwGO tritt grundsätzlich unabhängig davon ein, ob das rechtskräftige Urteil die Sach- und Rechtslage zutreffend gewürdigt hat oder nicht (BVerwG, Urt. v. 24.11.1998, a.a.O.; Urt. v. 08.12.1992, a.a.O.; Urt. v. 05.11.1985 - 6 C 22.84 -, NVwZ 1986, 293). Auch begründet eine spätere gerichtliche - auch höchstrichterliche - Klärung einer Sach- oder Rechtsfrage abweichend von dem früheren rechtskräftigen Urteil keine Änderung der Sach- oder Rechtslage, die eine Lösung von der Rechtskraftbindung rechtfertigen könnte (BVerwG, Urt. v. 31.07.2002 - 1 C 7/02 -, NVwZ 2003, Beilage Nr. I 1, 1; Urt. v. 18.09.2001, - 1 C 7/01 -, BVerwGE 115, 118 = DVBl. 2002, 343 = NVwZ 2002, 345 = DÖV 2002, 301 = InfAuslR 2002, 207). Dies ist auch im Gemeinschaftsrecht grundsätzlich anerkannt (EuGH, Urt. v. 16.03.2006 - C-234/04 -, , Slg. I-2585 = DVBl 2006, 569 = NJW 2006, 1577; Urt. v. 30.09.2003 - C-224/01 -, , Slg. I-10239 = NJW 2003, 3539 = DVBl 2003, 1516 = NVwZ 2004, 79; Urt. v. 01.06.1999 - C-126/97 -, , Slg. I-3055).
29 
Sofern der in Art. 10 EG verankerte Grundsatz der Zusammenarbeit die nationalen Behörden und Gerichte bei Vorliegen bestimmter Umstände verpflichtet, eine infolge einer innerstaatlichen Erschöpfung des Rechtswegs bestandskräftige Verwaltungsentscheidung zu überprüfen, um einer später vom Gerichtshof vorgenommenen Auslegung einer einschlägigen Bestimmung des Gemeinschaftsrechts Rechnung zu tragen (EuGH, Urt. v. 12.02.2008, a.a.O. sowie Urt. v. 13.01.2004 - C-453/00 -, , Slg. I-837 = DVBl 2004, 373 = NVwZ 2004, 459 = InfAuslR 2004, 139 = DÖV 2004, 530), gilt diese Verpflichtung immer nur im Rahmen der insbesondere durch das nationale Prozessrecht bestimmten Grenzen der Auslegung einer Rechtsnorm (vgl. EuGH, Urt. v. 12.02.2008, a.a.O.; vgl. auch Urt. v. 07.06.2007 - C-222/05 u.a. -, , Slg. I-4233 sowie Urt. v. 14.12.1995 - C-430/93 -, , Slg. I-4705), sodass - ohne eine entsprechende Regelung im nationalen Recht - auch über eine solche Verpflichtung eine Einschränkung der Bindungswirkung des § 121 VwGO nicht erreicht werden kann.
30 
Eine solche Regelung des nationalen Rechts, über die die präjudizielle Bindungswirkung eines abweisenden Urteils - auf das Tatbestandsmerkmal der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts in § 48 Abs. 1 LVwVfG - entfallen würde, findet sich nicht in der anerkannten Befugnis einer Behörde, trotz der gerichtlichen Bestätigung eines Verwaltungsakts auf dessen Vollzug zu verzichten oder diesen Verwaltungsakt dennoch aufzuheben (zu dieser Befugnis vgl. BVerwG, Urt. v. 27.01.1994 - 2 C 12.92 -, BVerwGE 95, 86 = BayVBl. 1994, 632 = NVwZ 1995, 388; Urt. v. 08.12.1992, a.a.O., m.w.N.; Urt. v. 13.09.1984 - 2 C 22/83 -, BVerwGE 70, 110 = NJW 1985, 280 = DVBl. 1985, 527; Urt. v. 04.06.1970 - II C 39.68 -, BVerwGE 35, 234 = DÖV 1970, 821 = DVBl. 1971, 272; Rennert, a.a.O., Rn. 27; Clausing, a.a.O., § 121 Rn. 31; Nicolai in: Redecker/v.Oertzen, VwGO, Kommentar, 14. Aufl. 2004, § 121 Rn. 10a und b; Kilian in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 121 Rn. 70). Diese Befugnis wurde ursprünglich mit dem im Zivilprozess anerkannten Grundsatz begründet, dass ein Urteil immer nur zugunsten, nicht jedoch zu Ungunsten der obsiegenden Partei wirke, und einer im Anfechtungsprozess obsiegenden Behörde deshalb - ebenso wie der in einem Zivilrechtsstreit obsiegenden Partei - die Möglichkeit erhalten bleibe, sich außerprozessual abweichend von der rechtskräftigen Entscheidung zu verhalten. Danach bleibt die gesetzliche Bindungswirkung nach § 121 VwGO aber gerade unangetastet (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.06.1970, a.a.O.; Bachof, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Verfahrensrecht Bd. II, 1967 Nr. 206; Menger, VerwArch 49 (1958), 368, 373; Haueisen, NJW 1963, 1329, 1333; Bullinger, DÖV 1964, 381; vgl. auch Seibert, Die Bindungswirkung von Verwaltungsakten, 1988, S. 586 ff. sowie Clausing, a.a.O., § 121 Rn. 31). Nichts anderes gilt dann, wenn diese Befugnis der Behörde, zugunsten des unterlegenen Beteiligten von der gerichtlich bestätigten Entscheidung abzuweichen, aus den Regelungen zum Verwaltungsverfahren abgeleitet und damit - dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung entsprechend - auf eine notwendige (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.06.1988 - 2 BvR 260/88 -, NVwZ 1989, 141) gesetzliche Grundlage gestellt wird (so BVerwG, Urt. v. 13.09.1984, a.a.O. sowie insb. Urt. v. 28.07.1989 - 7 C 78/88 -, BVerwGE 82, 272 = DVBl. 1989, 1192 = NJW 1990, 199 = NVwZ 1990, 156; vgl. auch Maurer, JZ 1993, 574; Kopp/Kopp, NVwZ 1994, 1; Erfmeyer, DVBl. 1997, 27). Denn hiernach findet sie ihre normative Grundlage ausschließlich in den - von der Entscheidung nach § 48 Abs. 1 LVwVfG zu trennenden - Regelungen zum Wiederaufgreifen des Verfahrens, welches von vornherein nur zugunsten und auf Antrag des Betroffenen erfolgen kann (vgl. § 51 Abs. 1 LVwVfG) und - aufgrund der Bezogenheit auf eine neue Sachentscheidung - von der Bindungswirkung eines Urteils über den Erstbescheid nicht erfasst wird (hierzu BVerwG, Urt. v. 13.09.1984, v. 28.07.1989, v. 27.01.1994, jeweils a.a.O.; ebenso wohl Rennert, a.a.O., § 121 Rn. 33 f.).
31 
Der Auffassung, die Behörde sei im Rahmen des § 48 Abs. 1 LVwVfG hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts von der - und sei es präjudiziellen - Bindungswirkung des rechtskräftigen Urteils suspendiert, sofern sie eine belastende Verfügung aufheben wolle (vgl. etwa Sachs, a.a.O., § 48 Rn. 51; Meyer in: Knack, VwVfG, 8. Aufl. 2003, § 48 Rn. 57; Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 10. Aufl. 2008, § 48 Rn. 16; ebenso wohl Ziekow, VwVfG, 2006, § 48 Rn. 12), kann indes nicht gefolgt werden. Denn § 48 Abs. 1 LVwVfG differenziert hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts nicht danach, ob dessen Rücknahme zugunsten oder zulasten des Betroffenen erfolgt. Die Anerkennung einer normativ geregelten Abweichung von der Bindungswirkung des § 121 VwGO müsste anderenfalls auch zu der – abzulehnenden - Ermächtigung führen, einen gerichtlich bestätigten, aber nachträglich als rechtswidrig erkannten Verwaltungsakt auch zulasten des betroffenen Adressaten aufzuheben (so etwa Erfmeyer, a.a.O.; Maurer, a.a.O.; ähnlich auch Kopp/Kopp, a.a.O.).
32 
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte die Ausweisung durch eine neue Sachentscheidung nach Wiederaufgreifen des Ausweisungsverfahrens unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben für die Ausweisung freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger sowie der tatsächlichen Entwicklung des Klägers aufhebt.
33 
a) Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 LVwVfG.
34 
Nach dieser Regelung hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn bestimmte Wiederaufgreifensgründe zu einer dem Betroffenen begünstigenden Sachentscheidung geführt hätten. Solche Wiederaufgreifensgründe sind indessen nicht gegeben. Insbesondere liegt in der Änderung der Rechtsprechung zu den Anforderungen an die Ausweisung freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger, wie sie sich in dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2004 (- 1 C 30 .02 -, BVerwGE 121, 297) manifestiert, keine Änderung der Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG. Gleiches gilt für die - vom Kläger geltend gemachte - Verschärfung der Anforderungen des Art. 8 Abs. 2 EMRK an die Verhältnismäßigkeit der Ausweisung von faktischen Inländern in dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 - (InfAuslR 2007, 275 = ZAR 2007, 243 = NVwZ 2007, 946 = AuAS 2007, 242) und gemäß der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, etwa in dem Urteil vom 27.10.2005 (Individualbeschwerde Nr. 32231/02 - Keles ./. Deutschland, InfAuslR 2006, 3 = FamRZ 2006, 1351).
35 
Wenngleich § 51 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG insoweit weiter gefasst ist als § 49 Abs. 2 Nr. 4 LVwVfG, wo von einer Änderung der Rechtsvorschrift die Rede ist, so gilt auch hier, dass es sich um Änderungen des materiellen Rechts, dem eine allgemein verbindliche Außenwirkung zukommt, handeln muss. Dem entspricht die Änderung der Rechtsprechung - mit Ausnahme der über die Rechtsprechung dokumentierten Änderung von Gewohnheitsrecht oder allgemeiner Rechtsauffassungen (hierzu Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 51 Rn. 30) - deshalb nicht, weil sich die gerichtliche Entscheidungsfindung stets in der rechtlichen Würdigung eines Sachverhalts am Maßstab der vorgegebenen Rechtsordnung erschöpft (BVerwG, Beschl. v. 03.05.1996 - 6 B 82/95 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 366; Beschl. v. 24.05.1995 - 1 B 60.95 -, InfAuslR 1995, 355 = NVwZ 1995, 1097 = Buchholz 316 § 51 Nr. 32; Beschl. v. 16.02.1993 - 9 B 241.92 - Buchholz 316 § 51 Nr. 29; Beschl. v. 25.05.1981 - 8 B 89/80 und 93/80 - NJW 1981, 2595 = Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 9, jeweils zur Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung; vgl. auch Urt. v. 27.01.1994, a.a.O.; Urt. v. 08.12.1992, a.a.O. m.w.N.). Dies ist für die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte anerkannt (BVerwG, Beschl. v. 24.05.1995, a.a.O.; Beschl. v. 04.10.1993 - 6 B 35.93 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 319), gilt aber auch für die hier letztlich maßgebliche Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, der mit seinem Urteil vom 29.04.2004 (C-482/01 und C-493/01 -, , Slg. I-5257 = DVBl 2004, 876 = InfAuslR 2004, 268 = NVwZ 2004, 1099) die Änderung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Maßstäben für die Ausweisung freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger erst veranlasst hat. Denn die Rechtsprechung dieses Gerichtshofs ist auch nach dessen Selbstverständnis ebenfalls nur rein deklaratorischer Natur (vgl. hierzu etwa EuGH, Urt. v. 12.02.2008 - C-2/06 -, , NJW 2008, 1212 = DÖV 2008, 505 m.w.N.).
36 
Angesichts des eindeutigen Wortlauts und des grundsätzlich abschließenden Charakters dieser Regelung kann die Einbeziehung der Rechtsprechungsänderung in den Wiederaufgreifensgrund des § 51 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG auch nicht - ausnahmsweise - über die in Art. 10 EG verankerte Verpflichtung der nationalen Behörden und Gerichte begründet werden, bei Vorliegen bestimmter Umstände, eine infolge einer innerstaatlichen Erschöpfung des Rechtswegs bestandskräftige Verwaltungsentscheidung zu überprüfen, um einer später vom Gerichtshof vorgenommenen Auslegung einer einschlägigen Bestimmung des Gemeinschaftsrechts Rechnung zu tragen (vgl. EuGH, Urt. v. 12.02.2008, a.a.O. sowie Urt. v. 13.01.2004, a.a.O.). Abgesehen davon besteht für eine solche Einbeziehung auch unter dem Gesichtspunkt des gemeinschaftsrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes kein Bedürfnis.
37 
Eine Behörde ist nämlich auch dann, wenn kein Wiederaufgreifensgrund i. S. des § 51 Abs. 1 LVwVfG vorliegt, befugt, ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren nach pflichtgemäßem Ermessen zugunsten des Betroffenen wiederaufzugreifen, um unter Aufhebung oder Abänderung des Erstbescheids eine neue Sachentscheidung zu treffen (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.09.2000 - 2 C 5/99 -, BayVBl 2001, 216 = DVBl. 2001, 726; Beschl. v. 23.02.2004 - 5 B 104/03 -, juris; Beschl. v. 25.05.1981 - 8 B 89.80 -, NJW 1981, 2595 = Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 9 m.w.N; ebenso Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, 12. Aufl. 2007, § 51 VI 2 b), S. 602; so wohl auch Rennert, a.a.O., § 121 Rn. 34). Ein solche Befugnis war bereits vor Inkrafttreten der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder als ungeschriebener Rechtsgrundsatz des Verwaltungsverfahrensrechts anerkannt (vgl. BVerfG, Entsch. v. 17.12.1969 - 2 BvR 23/65 -, BVerfGE 27, 297 = DVBl. 1970, 270 = DÖV 1970, 231; BVerwG, Urt. v. 16.12.1971 - I C 31.68 -, BVerwGE 39, 197 = DÖV 1972, 419 = DVBl. 1972, 388; Urt. v. 30.01.1974 - VIII C 20.72 -, BVerwGE 44, 333; Urt. v. 28.07.1976 - 8 C 90.75 - Buchholz 412.3 § 16 Nr. 2; Urt. v. 14.12.1977 - 8 C 79.76 - Buchholz 316 § 36 Nr. 1) und wurde weder über die Regelung des § 51 LVwVfG noch über die neben dem Wiederaufgreifen des Verfahrens bestehenden Regelungen über die Rücknahme und den Widerruf eines Verwaltungsakts nach §§ 48, 49 LVwVfG verdrängt. Insofern ist die Kodifizierung der ungeschriebenen Rechtsgrundsätze des Verwaltungsverfahrens nur unvollständig und nicht abschließend erfolgt (hierzu auch Selmer, JuS 1987, 363, 366). Anders als unter Zugrundelegung der vom Senat nicht geteilten gegenteiligen Auffassung, die ein Wiederaufgreifen des Verfahrens außerhalb des § 51 LVwVfG allein nach den §§ 48, 49 LVwVfG für zulässig hält (etwa BVerwG, Beschl. v. 29.03.1999 - 1 DB 7/97 -, BVerwGE 113, 322 = DVBl. 1999, 931 = NVwZ 2000, 202; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 31.01.1989 - 9 S 1141/88 -, DVBl. 1989, 884 = NVwZ 1989, 882; Ruffert, a.a.O., § 25 IV Rn. 12; Ziekow, a.a.O., § 51 Rn. 27; Sachs, a.a.O., § 51 Rn. 16; speziell zur Überprüfung gemeinschaftsrechtswidriger Verwaltungsakte auch Britz/Richter, JuS 2005, 198), steht dieser Anspruch auch nicht im Konflikt mit der bundesrechtlichen Regelung zur Rechtskraft eines verwaltungsgerichtlichen Urteils über die Rechtmäßigkeit dieses Erstbescheids (hierzu BVerwG, Urt. v. 27.01.1994, - 2 C 12.92 - und Urt. v. 08.12.1992 - 1 C 12.92 -, jeweils a.a.O. m.w.N). Als unrichtig erkannte belastende Verwaltungsakte können bei Vorliegen eines - gemeinschaftsrechtlichen - Wiederaufgreifensgrundes daher trotz der Abweisung einer hiergegen gerichteten Anfechtungsklage auch rückwirkend aufgehoben oder durch eine gemeinschaftsrechtskonforme Regelung ersetzt werden. Hiermit wird auch der Verpflichtung Rechnung getragen, eine gemeinschaftsrechtlich notwendige Korrektur einer Regelung im Rahmen der Auslegung des nationalen Verfahrensrechts zu ermöglichen (zu dieser Verpflichtung vgl. EuGH, Urt. v. 13.03.2007 - C-432 -, , Slg. I-2271 = BayVBl 2007, 589 = NJW 2007, 3555 sowie Potacs, in: Bröhmer u.a., Internationale Gemeinschaft und Menschenrechte, Festschrift für Georg Ress, 2005, S. 729 und Gärditz, NWVBl 2006, 441).
38 
b) Allerdings kann der Kläger das Wiederaufgreifen des Verfahrens nach pflichtgemäßem Ermessen der Behörde - außerhalb des Anwendungsbereichs von § 51 Abs. 1 LVwVfG - mit dem Ziel einer erneuten Sachentscheidung über seine Ausweisung und damit auch eine Rücknahme der Ausweisung auf diesem Weg nicht (mehr) beanspruchen.
39 
Der Beklagte hat eine solche erneute Sachentscheidung über die Ausweisung des Klägers mit Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 17.03.2005 abgelehnt, ohne dass er hierbei die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hätte (vgl. § 114 Satz 1 VwGO).
40 
aa) Der Bescheid vom 17.03.2005 ist sowohl in seinem Tenor als auch in der Begründung ausdrücklich auf die Ablehnung eines Antrags auf „Wiederaufgreifen des Verfahrens“ bezogen. Dabei begründet es keinen nach § 114 Satz 1 VwGO relevanten Ermessensfehler, dass die Behörde ihre Ablehnung zunächst unter anderem mit der - sachlich unrichtigen Einlassung - begründet hat, die Ausweisung sei rechtmäßig. Denn der Beklagte hat die materielle Rechtswidrigkeit der Ausweisung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zugestanden und daraufhin die Ermessenserwägungen der Ablehnungsentscheidung gemäß § 114 Satz 2 VwGO mit dem Hinweis auf die Erfolglosigkeit der Klage gegen diese Ausweisung in zulässiger Weise ergänzt (zum Ergänzen von Ermessenserwägungen vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 114 Rn. 50; Rennert, a.a.O., § 114 Rn. 89 und Wolff in: Sodan/Ziekow, a.a.O., § 114 Rn. 208).
41 
bb) In der Form dieser Ergänzung begegnet die Ablehnung des Wiederaufgreifens des Verfahrens und der neuen Sachentscheidung über die Ausweisung des Klägers zunächst keinen gemeinschaftsrechtlichen Bedenken. Denn die Voraussetzungen für eine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung des Beklagten, die infolge der innerstaatlichen Erschöpfung des Rechtswegs bestandskräftige, aber materiell gemeinschaftsrechtswidrige Ausweisungsentscheidung zu überprüfen (zu dieser Pflicht vgl. EuGH, Urt. v. 13.01.2004 - C-453/00 -, a.a.O.; Urt. v. 12.02.2008 - C-2/06, , a.a.O. sowie Weiß, DÖV 2008, 477; Pache/Bielitz, DVBl 2006, 325; Britz/Richter, a.a.O.), liegen nicht vor.
42 
Zwar hat der Kläger mit der Stellung seines - erfolglosen - Antrags auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 den ihm nach nationalem Recht gegen die Ausweisung eröffneten Rechtsweg ausgeschöpft. Auch beruht das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 auf einer unrichtigen Auslegung des Gemeinschaftsrechts. Denn das Verwaltungsgericht hätte die Ausweisung sowie den sie bestätigenden Widerspruchsbescheid schon deshalb aufheben müssen, weil die Ausweisung unter Verstoß gegen Art. 39 EG und Art. 3 RL 64/221/EWG ohne Ermessen als zwingende Rechtsfolge verfügt worden war; außerdem hätte es die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Entscheidung zugrunde legen müssen. Insofern ist unerheblich, ob die Ausweisung hätte rechtsfehlerfrei nach Ermessen ausgesprochen werden können oder ob die Ausweisung - wie der Kläger vorgetragen hat - in jedem Fall gegen Art. 8 Abs. 1 EMRK verstoßen hätte. Schließlich hat der Kläger mit seinem Rücknahmeantrag den letztlich maßgeblichen Wiederaufgreifensgrund der Änderung der Rechtsprechung zur Rechtmäßigkeit der Ausweisung von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern auch zeitnah geltend gemacht. Jedoch hat der Senat bei der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung nicht gegen die Verpflichtung aus Art. 234 Abs. 3 EG zur Einholung einer Vorabentscheidung verstoßen. Denn der Senat war in diesem konkreten Verfahren weder berechtigt noch verpflichtet, die Vereinbarkeit des § 47 AuslG i. V. m. § 12 AufenthG/EWG mit Art. 39 EG und Art. 3 RL 64/221/EWG sowie die Frage der maßgeblichen Sach- und Rechtslage für die gerichtliche Überprüfung der Ausweisung eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers zu prüfen. Vielmehr war er nach § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO an die vom Kläger dargelegten Zulassungsgründe gebunden, die sich gerade nicht auf diese Rechtsfragen bezogen (zur Maßgeblichkeit der nach nationalem Recht zu bestimmenden Prüfungspflicht vgl. EuGH, Urt. v. 12.02.2008 - C-2/06, , a.a.O).
43 
Von dem Erfordernis des pflichtwidrig unterlassenen Vorabentscheidungsersuchens ist auch nicht deshalb abzusehen, weil die Anwendbarkeit des § 47 AuslG i.v.m. § 12 AufenthG/EWG auf die Ausweisung eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers ebenso wie die Maßgeblichkeit der Sach- und Rechtslage bei Erlass der letzten Behördenentscheidung zum Zeitpunkt des Antrags auf Zulassung der Berufung durch die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt schien und deshalb eine entsprechende Rüge im Zulassungsantrag voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte (zur damaligen Rechtsprechung vergleiche etwa BVerwG, Beschl. v. 29.09.1993 - 1 B 62.93 - Buchholz 402.240 § 48 AuslG 1990 Nr. 3; Urt. v. 27.10.1978 - 1 C 91.76 - BVerwGE 57, 61 und Urt. v. 11.06.1996 - 1 C 24.94 - BVerwGE 101, 247). Zwar dürften die Voraussetzungen für die Verpflichtung einer Behörde zur Berücksichtigung einer späteren Klärung einer gemeinschaftsrechtlichen Rechtsfrage durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in den Fällen, in denen die Verwaltungsentscheidung durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung bestätigt worden ist, mit den in den Rechtssachen "Kühne und Heitz" sowie "Kempter" formulierten Kriterien noch nicht in jeder Hinsicht abschießend bestimmt sein (vgl. Britz/Richter, a.a.O.; Frenz, DVBl. 2004, 374, 376). Allerdings erkennt das Gemeinschaftsrecht die Rechtskraft von gemeinschaftsrechtswidrigen Gerichtsentscheidungen grundsätzlich an (EuGH, Urt. v. 16.03.2006 - C-234/04 -, , Slg. I-2585 = DVBl 2006, 569 = NJW 2006, 1577; Urt. v. 30.09.2003 - C-224/01 -, , Slg. I-10239 = NJW 2003, 3539 = DVBl 2003, 1516 = NVwZ 2004, 79; Urt. v. 01.06.1999 - C-126/97 -, , Slg. I-3055) und fordert - außerhalb der nach nationalem Recht gegebenen Möglichkeiten einer Abweichung - eine Durchbrechung der Rechtskraft bislang allein bei einer Verletzung der Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EG (hierzu insb. Urt. v. 30.09.2003, a.a.O.; Ruffert, JZ 2004, 620, 621). Darüber hinaus ist es anerkannt, dass der Effektivitätsgrundsatz insoweit stets durch die nationalen prozessualen Regelungen zum Prüfungsumfang der zur Entscheidung befugten Gerichte beschränkt ist (EuGH, Urt. v. 07.06.2007 - C-222/05 u.a. -, , Slg. I-4233 sowie Urt. v. 14.12.1995 - C-430/93 -, , Slg. I-4705).
44 
cc) Die Ablehnung des Wiederaufgreifens des Verfahrens und damit auch einer Rücknahme der Ausweisung aufgrund neuer Sachentscheidung hält sich zudem in den Grenzen des nationalen Rechts.
45 
Eine Behörde handelt grundsätzlich nicht ermessensfehlerhaft, wenn sie eine erneute Sachentscheidung unter Hinweis auf die rechtskräftige gerichtliche Bestätigung ihrer Verwaltungsentscheidung ablehnt. Insoweit bedarf es regelmäßig keiner weiteren ins Einzelne gehenden Ermessenserwägungen. Ausnahmen bestehen nur dann, wenn im Einzelfall Umstände von einer den in § 51 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 VwVfG geregelten Fällen vergleichbaren Bedeutung und Gewicht vorliegen und die Aufrechterhaltung des Erstbescheides auch unter Berücksichtigung der Rechtskraft des diesen bestätigenden Urteils schlechthin unerträglich wäre (BVerwG, Urt. v. 27.01.1994, a.a.O., m.w.N.). Solche Umstände liegen hier jedoch nicht vor.
46 
Es besteht keine allgemeine Verwaltungspraxis, gegenüber der sich die Ablehnung des Wiederaufgreifens des Verfahrens als gleichheitswidrig erweisen würde. Vielmehr ist für den Beklagten maßgeblich, eine solche Verwaltungspraxis mit Blick auf den dann verbundenen Verwaltungsaufwand gerade zu vermeiden. Auch erscheint die Berufung der Behörde auf die Unanfechtbarkeit der Ausweisung und die Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 nicht vor dem Hintergrund der hiermit für den Kläger verbundenen Belastungen als treu- oder sittenwidrig. Denn die gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung sind auf den 23.02.2005 befristet worden, so dass der Kläger seitdem wieder ohne weitere Einschränkung nach Maßgabe des § 2 FreizügG/EU ins Bundesgebiet einreisen und sich dort aufhalten darf. Da sich der Kläger nach seiner Ausreise im Dezember 1998 bis heute überwiegend in Italien und Frankreich aufgehalten hat, führt die Verweigerung der in der Sache begehrten rückwirkenden Aufhebung der Ausweisung auch nicht dazu, dass dem Kläger eine über die Begründung eines verlängerten rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet verbesserte aufenthaltsrechtliche Stellung vorenthalten würde. Soweit dem Kläger über die Ablehnung des Wiederaufgreifens des Ausweisungsverfahrens die Möglichkeit genommen wird, mit einem - auf die Aufhebung der Ausweisung gestützten - Wiederaufnahmeantrag nach § 359 Nr. 4 oder 5 StPO in den mit rechtskräftigen Urteilen des Amtsgerichts Raststatt vom 08.08.2002 und des Landgerichts Baden-Baden vom 10.07.2003 abgeschlossenen Strafverfahren wegen unerlaubten Aufenthalts einen Freispruch zu erreichen, ist dies für ihn schon deshalb nicht schlechthin unerträglich, weil der Erfolg eines solchen Antrags durchaus nicht sicher ist und die strafgerichtliche Verurteilungen des Klägers nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt ihres Ergehens zu Recht erfolgt sind. Schließlich ist die Aufrechterhaltung der Ausweisung auch nicht deshalb schlechthin unerträglich, weil die Ausweisung und das sie bestätigende Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe offensichtlich rechtswidrig wären. Eine offensichtliche Rechtswidrigkeit in diesem Sinne ist dann gegeben, wenn an dem Verstoß der streitigen Maßnahme gegen formelles oder materielles Recht vernünftigerweise kein Zweifel besteht und sich deshalb die Rechtswidrigkeit aufdrängt. Hierbei ist maßgeblich auf den Zeitpunkt des Erlasses des die Ausweisung bestätigenden Urteils abzustellen. Eine spätere Klärung der Rechtsfrage und die damit eintretende Evidenz desselben bleiben außer Betracht (zur vergleichbaren Konstellation der Verpflichtung zur Rücknahme eines Verwaltungsakts nach § 48 Abs. 1 LVwVfG vgl. BVerwG Urt. v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 -, AuAS 2008, 28 = InfAuslR 2008, 116 = NVwZ 2008, 326 = DÖV 2008, 329 = DVBl 2008, 189; Urt. v. 17.01.2007 - 6 C 32.06 -, NVwZ 2007, 709; Beschl. v. 07.07.2004 - 6 C 24/03 -, BVerwGE 121, 226, 229 ff. m.w.N.). Zu dem damit erheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe am 17.02.1998 war die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit einer auf § 47 AuslG gestützten und damit ohne umfassende Ermessensentscheidung ausgesprochenen Ausweisung eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers ebenso wenig evident wie die Notwendigkeit, die Rechtmäßigkeit der Ausweisung nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts zu beurteilen. Vielmehr bestand eine ausdrücklich gegenteilige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa Beschl. v. 29.09.1993, a.a.O.; Urt. v. 11.06.1996, a.a.O.), die erst mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2004 (- 1 C 30/02 -, a.a.O.) aufgegeben wurde.
III.
47 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Senat sieht nach Ermessen davon ab, das Urteil hinsichtlich der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären (§ 167 Abs. 2 VwGO). Die Revision wird gemäß § 132 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, denn sie wirft die bisher höchstrichterlich noch nicht geklärte und für die Weiterentwicklung des Rechts bedeutsame Frage auf, ob die Bindung der Beteiligten nach § 121 VwGO an ein rechtskräftiges Urteil eines Verwaltungsgerichts, mit dem die Anfechtungsklage gegen einen belastenden Verwaltungsakt abgewiesen wurde, der Anwendbarkeit des § 48 Abs.1 Satz 1 (L)VwVfG entgegensteht.
48 
Beschluss vom 09.05.2008
        
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf
        
5.000,-- EUR
        
festgesetzt.
        
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karls-ruhe vom 16. April 2007 - 3 K 2117/06 - geändert. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 26. Juli 2006 verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Befristung der Wirkungen der Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 16. März 1999 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Kläger trägt zwei Drittel, der Beklagte ein Drittel der Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Befristung der Wirkungen seiner 1999 verfügten Ausweisung auf den heutigen Zeitpunkt.
Der 1981 in ... geborene Kläger ist italienischer Staatsangehöriger. Nach der Trennung der Eltern im Juli 1986 wuchs er zusammen mit seiner 1984 geborenen Schwester bei seiner Mutter auf, die seit 1998 die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Er ist mit einer in ... lebenden Deutschen verlobt.
Der Kläger besuchte für zwei Jahre die Grundschule und im Anschluss daran verschiedene Förderschulen. Seit der Mitte der 6. Klasse hat er überhaupt keine Schule mehr besucht. Einen Schulabschluss hat er nicht erlangt. Als Jugendlicher war er wiederholt stationär in Jugendhilfeeinrichtungen untergebracht.
Ab August 1999 war der Kläger für ein halbes Jahr als Helfer in der Landschaftspflege bei der Arbeiterwohlfahrt beschäftigt. Im Anschluss daran arbeitete er acht Monate für die Spedition S. in .... Wegen Unstimmigkeiten mit dem Arbeitgeber beendete er dieses Arbeitsverhältnis. Nach einem Jahr als ungelernter Arbeiter bei einer Dachdeckerei kehrte er zur Spedition S. zurück. Dort arbeitete er bis Ende 2002 als Möbelpacker. Danach lebte er - unterbrochen von einer einmonatigen Beschäftigung bei der Fa. H. W. GmbH im Dezember 2004 - bis zu seiner Festnahme am 11.04.2005 von Arbeitslosenunterstützung.
Bereits im Alter von 10 Jahren begann der Kläger damit, Haschisch zu rauchen. Sein Cannabiskonsum steigerte sich stetig. Im Alter von 14 Jahren kam er auch in Kontakt mit anderen Drogen wie Speed, LSD und Ecstasy. 1996 begann er zudem damit, Kokain zu konsumieren. Sein anfänglich seltener Kokainkonsum steigerte sich kontinuierlich. Ab 2002 nahm er wöchentlich und in dem Zeitraum vor seiner letzten Verhaftung im April 2005 täglich Kokain zu sich. Nach einem kalten Entzug in der Untersuchungshaft nahm er Kontakt mit der Drogenberatung auf. Trotz Therapiebereitschaft konnte der Kläger keine Therapie antreten, weil die Staatsanwaltschaft ... es mit Bescheid vom 29.03.2007 - 1 VRs 11 Js 1640/05 - abgelehnt hatte, die weitere Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG zurückzustellen.
Ein Aufenthaltstitel wurde dem Kläger nie erteilt oder ausgestellt. Ein am 17.11.1999 gestellter Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis-EG wurde nicht beschieden.
Strafrechtlich trat der Kläger als Jugendlicher insbesondere mit einer Vielzahl von Diebstahlsdelikten in Erscheinung. Zuletzt wurde er als Jugendlicher mit Urteil des Amtsgerichts ... - Bezirksjugendschöffengericht II - vom 08.10.1998 - 12 Ls 34 Js 2490/98 AK 115/98 - wegen Diebstahls in drei Fällen sowie versuchten Diebstahls in zwei Fällen unter Einbeziehung vorangegangener Urteile des Amtsgerichts ... - Jugendschöffengericht - vom 20.03.1997 und vom 27.11.1997 zu einer einheitlichen Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Kläger war in dieser Sache seit dem 26.01.1998 in Untersuchungshaft. Die Vollstreckung der Restjugendstrafe wurde mit Beschluss des Amtsgerichts ... vom 30.06.1999 gemäß § 88 JGG mit Wirkung ab dem 20.07.1999 zur Bewährung ausgesetzt.
Mit Verfügung vom 16.03.1999, bezüglich der Abschiebungsandrohung ergänzt durch Verfügung vom 10.08.1999, wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Kläger aus dem Bundesgebiet aus und drohte ihm die Abschiebung nach Italien an. Die Entscheidung wurde damit begründet, dass der Kläger die Voraussetzungen einer Regelausweisung nach § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG erfülle. Besonderen Ausweisungsschutz genieße er nicht, da ihm bisher noch keine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden sei. Es liege auch kein atypischer Sachverhalt vor, der es rechtfertige, von der Regelausweisung abzusehen. Die Ausweisung sei aus spezialpräventiven Gründen geboten. Auch die Anforderungen des § 12 AufenthG/EWG seien erfüllt.
Den gegen diese Verfügung eingelegten Widerspruch wies das Regierungspräsidium Karlsruhe mit Widerspruchsbescheid vom 14.05.1999 zurück.
10 
Mit Urteil vom 16.08.1999 - 12 K 1791/99 - hob das Verwaltungsgericht Karlsruhe die Verfügungen des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 16.03. und vom 10.08.1999 sowie dessen Widerspruchsbescheid vom 14.05.1999 auf. Es führte aus, die Ausweisung genüge nicht den erhöhten Anforderungen, die bei der Ausweisung eines Unionsbürgers und faktischen Inländers zu beachten seien. Sie verstoße gegen § 12 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 AufenthG/EWG, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung von einer lediglich geringen Wiederholungsgefahr auszugehen sei.
11 
Mit Urteil vom 17.08.2000 - Ls 23 Js 7950/99 Hw. AK 72/00 Hw. - verurteilte das Amtsgericht ... den Kläger wegen gemeinschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von sechs Monaten auf Bewährung. Der Kläger hatte am 08.02.1999 als Heranwachsender im Alter von 18 Jahren in der Vollzugsanstalt ... zusammen mit drei Mittätern einen Mithäftling zusammengeschlagen. Nach den strafgerichtlichen Feststellungen war Anlass der Tat, dass einer der Mittäter drei Tage zuvor von dem Geschädigten und einem weiteren Jugendstrafgefangenen zum Oralverkehr gezwungen worden war.
12 
Nach Zulassung der Berufung gegen das Urteil vom 16.08.1999 schlossen der Kläger und der Beklagte am 20.02.2002 vor dem erkennenden Senat einen Vergleich (11 S 253/01): Der Kläger nahm die Klage gegen die Ausweisungsverfügung zurück. Der Beklagte verpflichtete sich, der Erteilung einer Duldung und deren Verlängerung für jeweils drei Monate bis längstens 20.02.2004 zuzustimmen. Diese Zustimmung galt nur unter der Bedingung, dass der Kläger nicht erneut straffällig werde, keinen Ausweisungsgrund nach § 46 Nr. 2 AuslG erfülle und sein Arbeitsverhältnis nicht aus von ihm zu vertretenden Gründen beende. Ferner verpflichtete sich der Beklagte, bei ordnungsgemäßem und beanstandungsfreiem Ablauf der Duldungszeit auf Antrag des Klägers die Wirkungen der Ausweisung auf den 20.02.2004 zu befristen.
13 
In der Folgezeit wurde der Kläger erneut straffällig:
14 
- Mit Strafbefehl des Amtsgerichts ... vom 02.12.2002 - 5 Cs 12 Js 9542/02 - wurde gegen ihn eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen wegen Diebstahls verhängt. Der Kläger hatte in den Geschäftsräumen der Volksbank Geldscheine im Wert von 100 EUR an sich genommen, die eine andere Bankkundin am Automaten angefordert, aber versehentlich nicht entnommen hatte.
15 
- Mit Urteil des Landgerichts ... vom 17.10.2005 - 1 KLs 11 Js 1640/05 - wurde er wegen gemeinschaftlichen Diebstahls in 15 sowie gemeinschaftlichen versuchten Diebstahls in zwei Fällen und wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Haschisch, Marihuana, Kokain) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. In dem Zeitraum vom 04.06.2004 bis 22.03.2005 beging der Kläger zusammen mit einem Mittäter, mit dem er seit seiner Kindheit befreundet war, aufgrund eines zuvor gefassten Tatentschlusses 17 Einbrüche in Autohäuser, Kfz-Werkstätten und TÜV-Niederlassungen in den Landkreisen ..., ... und .... In allen Fällen stiegen der Kläger und sein Mittäter in die Räumlichkeiten ein oder brachen Fenster oder Türen auf, suchten in den Räumen gezielt nach Bargeld, nach dem Tresor oder sonstigen Wertsachenbehältnissen und entwendeten diese entweder ganz oder öffneten den Tresor mittels eines Winkelschleifers vor Ort. Neben dem entwendeten Bargeld nahmen sie in zahlreichen Fällen Wertgegenstände wie Notebooks, Digitalkameras und Mobiltelefone an sich, um diese für sich zu behalten oder später gegen Geld abzusetzen. Der Gesamtwert des entwendeten Bargelds sowie der Vermögensgegenstände belief sich auf ca. 70.000,-- EUR. Der Kläger gab seinen Beuteanteil im Wesentlichen für den Kauf von Drogen aus. Hinsichtlich des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hielt es die Strafkammer aufgrund des lediglich geringfügig überschrittenen Grenzwerts zur nicht geringen Menge und der Abhängigkeit des Klägers für angemessen, insoweit nur die Mindeststrafe zu verhängen. Die Kammer stimmte der Zurückstellung der Vollstreckung der Strafe nach § 35 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 BtMG zu. Die beantragte Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung zum Zweidrittelzeitpunkt wurde vom Landgericht ... - Strafvollstreckungskammer - mit Beschluss vom 21.09.2007 - 12 StVK 572/07 - abgelehnt. Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde wurde vom OLG Karlsruhe vom 23.11.2007 - 2 Ws 315/07 - als unbegründet verworfen: Zwar habe der Kläger im Strafvollzug eine gewisse Nachreifung erfahren. Doch bestehe derzeit keine ausreichende Chance dahin, dass er in Zukunft keine weiteren Straftaten begehen werde. Insbesondere die nicht aufgearbeitete Drogenproblematik wirke sich als ungünstiger destabilisierender Faktor aus.
16 
Bereits am 09.08.2004 hatte der Kläger die Befristung der Sperrwirkung der Ausweisung beantragt.
17 
Mit Bescheid vom 26.07.2006, zugestellt am 27.07.2006, befristete das Regierungspräsidium Karlsruhe - ohne den Kläger zuvor anzuhören - die Sperrwirkung der Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 auf vier Jahre nach der Ausreise und verfügte ferner, dass die Befristung unter der Bedingung erfolge, dass der Kläger im Befristungszeitraum nicht erneut straffällig werde und polizeiliche Führungszeugnisse, lückenlose Wohnsitznachweise sowie einen Nachweis über die erfolgreiche Durchführung einer Drogentherapie vorlege. Rechtsgrundlage für die Befristung sei § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU. Die Dauer der Sperrwirkung orientiere sich daran, wann der Ausweisungszweck voraussichtlich erfüllt sein werde. Art. 6 GG gebiete keine kürzere Befristung. Bei der Fristbemessung sei die Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums über die Bemessung der Sperrwirkung bei Befristungsentscheidungen nach § 8 Abs. 2 AuslG vom 25.01.2002 - VwV Befristung - berücksichtigt worden. Diese sehe bei EU-Bürgern einen Zeitraum zwischen sechs Monaten und fünf Jahren zuzüglich des festgesetzten Strafmaßes vor, wobei das Freizügigkeitsrecht des EU-Bürgers angemessen zu berücksichtigen sei. Der Ausweisung habe die Verurteilung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten zugrunde gelegen. Die Festsetzung der Wiedereinreisefrist am unteren Ende des zeitlichen Rahmens komme nicht in Betracht, weil der Kläger inzwischen erneut zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt worden sei. Die Befristung der Sperrwirkung auf vier Jahre nach Ausreise erscheine damit unter Würdigung aller Umstände als geeignet, erforderlich und auch verhältnismäßig.
18 
Am 28.08.2006 (Montag) hat der Kläger Klage erhoben mit dem Antrag, den Beklagten unter Aufhebung seiner Verfügung vom 26.07.2006 zu verpflichten, die Sperrwirkung der Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 auf den Zeitpunkt sofort nach der Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland zu befristen. Er äußert Zweifel daran, ob die Ausweisung überhaupt noch wirksam sei. Aufgrund der Nichtdurchführung eines Vorverfahrens und des damit vorliegenden Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG sei die Verfügung rechtswidrig. Die vom Beklagten aufgestellten Bedingungen seien mit § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU nicht vereinbar und führten ebenfalls zur Rechtswidrigkeit der Verfügung. Es sei davon auszugehen, dass seine Ausweisung aufgrund der geänderten Rechtslage, insbesondere Art. 28 der Richtlinie 2004/38/EG - Freizügigkeitsrichtlinie -, zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr in Betracht komme und die Sperrfrist von vier Jahren deshalb unverhältnismäßig sei. Auch gemessen an Art. 8 EMRK sei die Sperrfrist unverhältnismäßig. Er sei faktischer Inländer und spreche nur sehr rudimentär italienisch. Abgesehen von einem kurzen Urlaubsaufenthalt sei er nie in Italien gewesen. Nachdem seine in ... lebende Großmutter vor mehreren Jahren verstorben sei, bestünden nicht einmal familiäre Bande nach Italien. Zudem sei er mit einer Deutschen verlobt und beabsichtige, diese zu heiraten.
19 
Mit Urteil vom 16.04.2007 hat das Verwaltungsgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Für eine formelle Rechtswidrigkeit der Verfügung vom 26.07.2006 aufgrund eines Verstoßes gegen Art. 9 der RL 64/221/EG sei schon deshalb nichts ersichtlich, weil diese Richtlinie mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben worden sei. Die Verfügung sei auch materiell rechtmäßig. Die Ausweisung, die nach wie vor wirksam sei, habe zum Entfallen der Freizügigkeitsberechtigung des Klägers geführt. Entsprechend Nr. 1.5 der - über Art. 3 Abs. 1 GG Außenwirkung entfaltenden - VwV Befristung stehe Unionsbürgern ein Anspruch auf sofortige Befristung zu, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Befristungsantrag keine Gründe mehr vorlägen, die eine Einschränkung des Freizügigkeitsrechts nach dem FreizügG/EU und dem zugrunde liegenden Gemeinschaftsrecht rechtfertigten. Im Fall des Klägers seien solche Gründe indes unverändert gegeben. Es müsse davon ausgegangen werden, dass er nach seiner Entlassung aus der Haft mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit erneut Straftaten, schwere Straftaten eingeschlossen, begehen werde. Da gegen den Kläger Haftstrafen von zusammen sechs Jahren und drei Monaten verhängt worden seien, lägen auch zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit gemäß Art. 28 Abs. 3 lit. a RL 2004/38/EG vor. Auch die Dauer der Sperrfrist sowie die im Bescheid vom 26.07.2006 formulierten Bedingungen seien nicht zu beanstanden.
20 
Auf Antrag des Klägers hat der Senat die Berufung zugelassen. Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger im Wesentlichen vor: Bezüglich der Frage, ob er einen Anspruch auf sofortige Befristung der Wirkung der Ausweisung habe, sei auf das aktuell maßgebliche Recht, d.h. auf das FreizügG/EU in der Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19.08.2007, abzustellen. Danach habe er einen Rechtsanspruch auf Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt. Weder der Beklagte noch das Erstgericht hätten eine aktualisierte Prüfung vorgenommen, ob die Sperrfrist von vier Jahren für einen in Deutschland geborenen Unionsbürger, einen faktischen Inländer, der alle familiären und sonstigen Bindungen in Deutschland habe und mit einer in Waldshut lebenden deutschen Frau verlobt sei, noch angemessen sei. Der Beklagte habe einseitig die Straftaten in den Vordergrund seiner Ermessensentscheidung gestellt und damit das Abwägungsmaterial falsch zusammengestellt. Die besonderen persönlichen Verhältnisse des Klägers, insbesondere dessen Stellung als faktischer Inländer, seien nicht ausreichend gewürdigt worden. § 6 Abs. 5 FreizügG/EU und Art. 8 EMRK geböten eine Befristung auf Null.
21 
Der Kläger beantragt,
22 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 16. April 2007 - 3 K 2117/06 - zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 26. Juli 2006 zu verpflichten, die Sperrwirkung der Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 16. März 1999 auf den 23. Juli 2008 zu befristen.
23 
Der Beklagte beantragt,
24 
die Berufung zurückzuweisen.
25 
Er erwidert, maßgeblicher Gesichtspunkt für die Dauer der Befristung sei die von dem Kläger ausgehende Wiederholungsgefahr. Dass zum jetzigen Zeitpunkt nach § 6 Abs. 5 FreizügG/EU eine Verlustfeststellung nicht mehr verfügt werden könnte, könne bei der Bestimmung des Befristungszeitpunkts nicht die entscheidende Rolle spielen. Zum Zeitpunkt der Ausweisung sei die RL 2004/38/EG noch nicht in Kraft gewesen und die Bundesrepublik habe noch keine zwingenden Ausweisungsgründe definiert. Die VwV Befristung vom 25.01.2002 werde bei der Ausübung des Befristungsermessens nach wie vor zugrunde gelegt. Die Neuregelungen des § 5 FreizügG/EU (gemeint: § 6 FreizügG/EU) hätten erheblichen Einfluss auf den Umfang des noch verbleibenden Ermessens. Bei Durchschnittsfällen ohne weitere negative Aspekte sei es kaum möglich, den Ablauf der Frist auf einen deutlich späteren Zeitpunkt festzusetzen. Beim Kläger handele es sich aber gerade nicht um einen Durchschnittsfall. Er sei wiederholt straffällig geworden, sein gesamter Lebensweg sei durch fehlende Konstanz und Stabilität gekennzeichnet und auch die Justiz gehe von einer ungünstigen Sozialprognose aus.
26 
Ausweislich des unter dem 10.07.2008 vorgelegten Vollzugsberichts der Justizvollzugsanstalt ... wurde der Vollzugsplan vom 19.12.2007, der die Gewährung von Vollzugslockerungen vorgesehen hatte, mit Verfügung vom 25.02.2008 widerrufen, nachdem der Kläger die Abgabe einer Urinkontrolle verweigert habe. Mit Schreiben vom 20.04.2008 habe der Kläger mitgeteilt, auf Lockerungen bzw. eine Verlegung in den offenen Vollzug zu verzichten. Ansonsten sei der Vollzug, bis auf einen Verstoß gegen das Rauchverbot am 07.02.2008, unauffällig verlaufen.
27 
Der Kläger ist in der Berufungsverhandlung angehört worden und hat ergänzend angegeben: Er kenne seine Verlobte seit 15 Jahren; seit 5 ½ Jahren seien sie verlobt. Sie besuche ihn regelmäßig in der Haft; nach seiner Haftentlassung wollten sie heiraten. Er wolle nicht nach ... zurückkehren, sondern in ..., wo er einen Arbeitsplatz in einer Pizzeria in Aussicht habe, eine Wohnung suchen. Seine Verlobte sei bereit, nach ... umzuziehen. Im Vollzug habe er in der Schneiderei gearbeitet. Daneben habe er einen Deutschkurs belegt. Einen Italienischkurs habe er nach fünf Monaten aufgegeben, weil er damals damit gerechnet habe, eine Drogentherapie antreten zu dürfen. Als Kind sei er zwei- oder dreimal mit seinen Großeltern bei der Urgroßmutter in ... gewesen, die inzwischen verstorben sei. Zu Verwandten väterlicherseits habe er überhaupt keinen Kontakt. Eine längerfristige Ausreise nach Italien könne er sich nicht vorstellen. Seine Verlobte sei nicht bereit, ihn zu begleiten. Der Vorwurf, er habe die Abgabe einer Urinprobe verweigert, sei unzutreffend. Er habe zu dem fraglichen Zeitpunkt kein Wasser lassen können und eine Nachholung der Urinkontrolle sei ihm verwehrt worden. Nach seiner Haftentlassung wolle er eine ambulante Drogentherapie durchführen.
28 
Dem Senat liegen die einschlägigen Akten des Beklagten, der unteren Ausländerbehörde und des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vor. Hierauf sowie auf die Gerichtsakten wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
I.
29 
Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO).
30 
Soweit der Kläger über den erstinstanzlich gestellten Antrag hinausgehend nicht die Befristung „auf den Zeitpunkt sofort nach der Ausreise“, sondern auf den 23.07.2008, d.h. den Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, begehrt, stellt dies eine in der Berufungsinstanz zulässige Klageänderung in der Form der Erweiterung des Klageantrags (§ 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO) dar. Nach § 264 Nr. 2 ZPO ist es nicht als eine Klageänderung anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache oder in Bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird. Die Vorschrift regelt eine Antragsänderung, die rechtstechnisch als privilegierte Klageänderung behandelt wird. Die Formulierung „ist es nicht als eine Klageänderung anzusehen“ bedeutet nicht, dass in diesen Fällen keine Klageänderung vorliegt, sondern bewirkt, dass die genannten Erweiterungen bzw. Beschränkungen ohne Rücksicht auf ihre dogmatische Einordnung privilegiert werden. Dies ist ein gesetzlich geregelter Fall der Sachdienlichkeit, der ohne weiteres zur Zulässigkeit der Klageänderung führt (Kuntze in Bader u.a., VwGO, 4. Aufl., § 91 Rn. 5). Voraussetzung für die Anwendung von § 264 Nr. 2 ZPO ist, dass der Klagegrund sich nicht ändert und der Antrag nicht ersetzt wird. Es muss sich deswegen um ein Maius oder Minus handeln und nicht um ein Aliud (Schmid in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 91 Rn. 12). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Klagegrund, d.h. der Sachverhalt, aus dem sich die erstrebte Rechtsfolge ergeben soll, bleibt unverändert. Der Antrag wird nicht ersetzt, sondern - geringfügig - erweitert. Der Kläger begehrt eine Befristung auf den Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, d.h. ohne vorherige Ausreise.
31 
Die Berufung ist jedoch nur zum Teil begründet. Der Kläger muss die Wirkungen des § 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990 als Folge der Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 gegen sich gelten lassen (unten 1.). Über den geltend gemachten Befristungsanspruch ist nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU unter Zugrundelegung der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu entscheiden (unten 2.). Nach den für die Fristbemessung maßgeblichen Grundsätzen (unten 3.) kann der Kläger nicht verlangen, dass die Wirkungen der Ausweisung auf den 23.07.2008 - den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung - befristet werden (unten 4.). Er hat, da der Befristungsbescheid vom 26.07.2006 ungeachtet dessen an einem beachtlichen Verfahrensfehler und an Ermessensfehlern leidet, auf seinen als Minus im Verpflichtungsantrag enthaltenen Antrag aber einen Anspruch auf Aufhebung dieses Bescheides und auf Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO; unten 5.).
32 
1. Die Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 hat zur Folge, dass der Kläger nicht erneut ins Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990). Diese Wirkungen entfaltet die Ausweisung auch heute noch, so dass das Befristungsbegehren nicht etwa deshalb ins Leere geht und mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig ist, weil die Ausweisung gegenstandslos geworden wäre. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, ist geklärt, dass vor dem 01.01.2005 unter Geltung des AuslG 1990 und des AufenthG/EWG bestandskräftig gewordene Ausweisungen von Unionsbürgern nicht mit Inkrafttreten des FreizügG/EU gegenstandslos geworden, sondern weiterhin wirksam sind (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 – 1 C 21.07 – BVerwGE 129, 243 = NVwZ 2008, 82 = EZAR NF 10 Nr. 8; ebenso zuvor bereits VGH BW, Beschl. v. 18.08.2005 – 13 S 1253/05 – und Urt. v. 24.01.2007 – 13 S 451/06 – InfAuslR 2007, 182 = EZAR NF 93 Nr. 3; BayVGH, Beschl. v. 21.03.2006 – 19 CE 06.721 – juris; OVG RP, Urt. v. 08.02.2007 – 7 A 11318/06.OVG – InfAuslR 2007, 226; vgl. auch Epe in GK-AufenthG, IX-2 § 1 Rn. 21 m.w.N.; Harms in Storr u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 6 FreizügG/EU Rn. 32; Hailbronner, AuslR, Kommentar, D 1 § 7 Rn. 25; a.A. OVG B-Brb., B. v. 15.03.2006 – OVG 8 S 123.05 – InfAuslR 2006, 259 = NVwZ 2006, 953; Gutmann, InfAuslR 2005, 125 und InfAuslR 2008, 105).
33 
2. a) Grundlage des Befristungsanspruchs ist nicht etwa § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG, sondern § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU. Nach dieser Vorschrift wird das durch die Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU ausgelöste Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 7 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU) auf Antrag befristet. Mit Blick auf die in § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG getroffene Übergangsregelung werden von dieser Anspruchsgrundlage in sinngemäßer Anwendung auch die fortwirkenden Rechtsfolgen der vor Inkrafttreten des FreizügG/EU am 01.01.2005 bestandskräftig gewordenen Ausweisung eines Unionsbürgers erfasst. § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU betrifft als Sonderregelung im Sinne des § 11 Abs. 2 FreizügG/EU nicht (mehr) freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger, zu denen auch der Kläger zählt (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.).
34 
§ 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU gewährt Unionsbürgern - anders als die Regelbefristung des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG für Drittstaater - einen strikten Rechtsanspruch auf Befristung („ob“); nur über die Länge der Frist ist nach Ermessen zu entscheiden. Damit geht die Vorschrift über die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben in Art. 32 Abs. 1 der RL 2004/38/EG hinaus, die lediglich einen fristgebundenen Verbescheidungsanspruch vorsehen (umgesetzt in dem durch Gesetz vom 19.08.2007 [BGBl. I S. 1970] angefügten Satz 4 des § 7 Abs. 2 FreizügG/EU). Mit der Ausgestaltung der Befristung als gebundener Entscheidung und einem damit korrespondierenden Anspruch bringt der Gesetzgeber den hohen Rang zum Ausdruck, den er dem gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsrecht beimisst. Denn als Ausnahmen vom Grundprinzip der Freizügigkeit dürfen das an eine Verlustfeststellung bzw. Ausweisung anknüpfende Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht unbegrenzt gelten, sondern ein davon betroffener Unionsbürger hat nach angemessener Zeit Anspruch auf erneute Prüfung und Entscheidung nach Maßgabe der aktuellen Sachlage (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O. unter Hinweis auf EuGH, Urt. v. 17.06.1997 - Rs. C-65/95 u. C-111/95 [Shingara und Radiom] - Slg. 1997, I-3343 Rn. 40 ff. = EZAR 81 Nr. 34). Von einem solchen Rechtsanspruch ist der Beklagte zu Recht ausgegangen.
35 
b) Für die Prüfung des Befristungsanspruchs ist auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat abzustellen (BVerwG, Urt. v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367 = InfAuslR 2008, 116 = NVwZ 2008, 326 = EZAR NF 48 Nr. 9; BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Dies muss auch gelten, soweit - wie hier - die Behörde bereits eine Ermessensentscheidung über die Dauer der Sperrfrist getroffen hat und es um deren Überprüfung geht: Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 29.04.2004 - Rs. C-482/01 u. C-493/01 [Orfanopoulos u. Oliveri] - Slg. 2004, I-5257 Rn. 82 = InfAuslR 2004, 268) sind die innerstaatlichen Gerichte verpflichtet, bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der gegen einen Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats verfügten Ausweisung einen Sachvortrag zu berücksichtigen, der nach der letzten Behördenentscheidung erfolgt ist und der den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen kann, die das Verhalten des Betroffenen für die öffentliche Ordnung darstellen würde. Daran anknüpfend hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass das Erfordernis der Berücksichtigung neuer Tatsachen nicht nur für einen Sachvortrag gilt, der den Wegfall oder eine Verminderung der von dem Betroffenen für die öffentliche Ordnung ausgehenden Gefährdung mit sich bringen kann. Aus dem Erfordernis, dass eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung grundsätzlich zu dem Zeitpunkt bestehen muss, zu dem die Ausweisung erfolgt, ergebe sich darüber hinaus, dass entscheidungserhebliche neue Tatsachen umfassend zu berücksichtigen sind. Dies gelte auch für Tatsachen, die für die an den Grundrechten und am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu orientierende Interessenabwägung von Bedeutung sind. Daraus folge, dass die Tatsachengerichte verpflichtet sind zu prüfen, ob die behördliche Gefährdungsprognose und die Ermessensentscheidung bezogen auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung im Ergebnis auf einer zutreffenden tatsächlichen Grundlage beruhen (BVerwG, Urt. v. 03.08.2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 = InfAuslR 2005, 18). Diese Erwägungen sind uneingeschränkt auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU zu übertragen, da auch insoweit ähnlich wie bei der Ausweisung oder nunmehr bei der Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU zu prüfen ist, ob von dem Unionsbürger (noch) eine gegenwärtige Gefahr ausgeht (in diesem Sinne bereits Renner, ZAR 2004, 195<197>; siehe zu den für die Fristbemessung maßgeblichen Grundsätzen im Einzelnen unten 3.). Keiner Entscheidung bedarf vorliegend, ob dies, was im Anschluss an die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 15.11.2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156) zu bejahen sein könnte, auch für die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Befristungsentscheidungen nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gilt. Grundlage des Befristungsanspruchs ist daher § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU in der Fassung des am 28.08.2007 in Kraft getretenen Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970).
36 
3. Bei der im behördlichen Auswahlermessen verbleibenden Bestimmung der Länge der Frist sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.) in einem ersten Schritt das Gewicht des Grundes für die Verlustfeststellung bzw. Ausweisung sowie der mit der Maßnahme verfolgte spezialpräventive Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der Prüfung im Einzelfall, ob die vorliegenden Umstände auch jetzt noch das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen. Die Behörde hat dazu auch das Verhalten des Betroffenen nach der Ausweisung zu würdigen und im Wege einer Prognose auf der Grundlage einer aktualisierten Tatsachenbasis die (Höchst-)Frist nach dem mutmaßlichen Eintritt der Zweckerreichung zu bemessen. Im Falle einer langfristig fortbestehenden Rückfall- bzw. Gefährdungsprognose ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers aber auch bei Unionsbürgern ein langfristiger Ausschluss der Wiedereinreise nicht ausgeschlossen (BT-Drs. 15/420 S. 105). Die im Rahmen des ersten Schritts von der Behörde zu treffende Gefahrprognose muss - ebenso wie bei der Ausweisung (vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 16.10.1989 - I B 106.89 - EZAR 124 Nr. 11 = InfAuslR 1990, 4 <5> m.w.N.; Discher in GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. AufenthG Rn. 1711 ff.) - gerichtlich voll überprüfbar sein.
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In einem zweiten Schritt muss sich die an der Erreichung des Zwecks der Verlustfeststellung bzw. Ausweisung orientierende äußerste Frist an höherrangigem Recht, d.h. gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben und verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen messen und ggf. relativieren lassen (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde ein rechtsstaatliches Mittel dafür, fortwirkende einschneidende Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.08.2000 - 1 C 5.00 - BVerwGE 111, 369 <373> = InfAuslR 2000, 483 zur Regelbefristung). Dabei sind insbesondere die in § 6 Abs. 3 FreizügG/EU genannten schutzwürdigen Belange des Unionsbürgers in den Blick zu nehmen. Haben z.B. familiäre Belange des Betroffenen durch die Geburt eines Kindes im Bundesgebiet nach der Ausweisung an Gewicht gewonnen, folgt daraus eine Ermessensverdichtung in Richtung auf eine kürzere Frist. Die Abwägung nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, die auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles nach Gewichtung der jeweiligen Belange vorzunehmen ist, kann im Extremfall bis zu einer Ermessensreduzierung auf Null mit dem Ergebnis einer Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt, d.h. auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz, führen (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O. u. Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 - BVerwGE 110, 140 <150 f.> = InfAuslR 2000, 176). Kraft des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts muss in diesen Fällen die Befristung so erfolgen, dass sich das dem Unionsbürger zustehende Freizügigkeitsrecht sogleich entfalten kann. Der Anwendungsvorrang erfordert es, dass die Befristung nicht von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht wird, wie insbesondere der Regelung in § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU, wonach eine Frist erst mit der Ausreise beginnt (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 - a.a.O. zu § 8 Abs. 2 Satz 4 AuslG 1990). In den Fällen des Wegfalls der notwendigen qualifizierten Wiederholungsgefahr ist daher auch nach Ergehen einer Feststellungsentscheidung nach § 6 FreizügG/EU die Ausreise des ansonsten Freizügigkeitsberechtigten entgegen der Regelung in § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU nicht Voraussetzung für das erneute Entstehen des Aufenthaltsrechts.
38 
4. Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Beklagte nicht verpflichtet, die Befristung auf den heutigen Tag - d.h. ohne Einhaltung einer mit der Ausreise beginnenden angemessenen Frist - auszusprechen. Der Senat vermag nicht festzustellen, dass eine Befristung auf den heutigen Tag nach dem Zweck der Ermächtigung die allein rechtmäßige Ermessensbetätigung wäre (vgl. § 114 VwGO).
39 
a) Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der spezialpräventive Zweck der Ausweisung schon jetzt erreicht ist. Vielmehr geht von dem Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung für die öffentliche Ordnung aus, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
40 
Soweit das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 04.09.2007 , a.a.O.) ausgeführt hat, es bedürfe der Prüfung im Einzelfall, ob die vorliegenden Umstände „auch jetzt noch“ das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die hohen Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen, ist dies nach Auffassung des Senats nicht dahingehend zu verstehen, dass im Rahmen des Befristungsverfahrens nochmals geprüft werden muss, ob die der bestandskräftigen Ausweisung zugrunde liegenden Umstände diese gerechtfertigt haben. Die Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit der bestandskräftigen Ausweisung steht in diesem Verfahren nicht erneut zur Überprüfung. Es ist vielmehr eine Gefährdungsprognose auf heutiger Tatsachenbasis vorzunehmen, bei der bezogen auf den jetzigen Entscheidungszeitpunkt unabhängig von der Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Ausweisung zu prüfen ist, ob die Aufrechterhaltung der Sperrwirkungen gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU gerechtfertigt ist. Die vom Kläger nach der Ausweisung als Erwachsener begangenen Straftaten sind daher ebenso zu berücksichtigen wie seine zum Zeitpunkt der Ausweisung noch nicht so gravierende, unbewältigte Drogenproblematik.
41 
Die vom Regierungspräsidium Karlsruhe getroffene Prognose, die gerichtlich voll überprüfbar ist (vgl. oben 3.), ist danach nicht zu beanstanden: Die vom Kläger zwischen Juni 2004 und März 2005 begangenen Straftaten des gemeinschaftlichen Diebstahls in 15 sowie des gemeinschaftlichen versuchten Diebstahls in zwei Fällen sind der mittleren Kriminalität zuzuordnen. Es handelt sich um eine Häufung von Fällen mittlerer Kriminalität, bei denen der Senat jedenfalls aufgrund der gewerbsmäßigen Begehung (§ 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB) davon ausgeht, dass eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU). Auch zum heutigen Zeitpunkt ist bei dem Kläger insbesondere aufgrund der unbewältigten Drogenproblematik eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung gleichartiger Eigentums- und Vermögensdelikte nach Entlassung aus der Strafhaft weiterhin gegeben. Die bloße Therapiebereitschaft steht der Annahme der auch von den Strafvollstreckungsgerichten (vgl. die Beschlüsse des LG ... vom 21.09.2007 - 12 StVK 572/07 - und des OLG Karlsruhe vom 23.11.2007 - 2 Ws 315/07 -) bejahten Wiederholungsgefahr nicht entgegen. Die Gefahr, dass der Kläger, ebenso wie nach Verbüßung seiner Jugendstrafe, nach der Haftentlassung erneut Drogen konsumieren und zur Finanzierung des Drogenkonsums erhebliche Straftaten begehen wird, erscheint relativ hoch. Sie wird nicht dadurch gemindert, dass er einen Arbeitsplatz in Aussicht hat und seine Verlobte zu heiraten beabsichtigt. Insoweit spricht gegen eine günstige Prognose, dass der Kläger nie dauerhaft in den Arbeitsmarkt integriert war, er vielmehr wiederholt Arbeitsverhältnisse aus freien Stücken beendete und dass auch die Beziehung zu seiner Verlobten ihm nicht genügend Halt gegeben hat, um ihn von weiteren Straftaten abzuhalten. Er vermochte schließlich selbst unter dem Druck der Ausweisung, der erlittenen Jugendhaft und des 2002 geschlossenen Bewährungsvergleichs sein Verhalten nicht durchgreifend zu ändern. Die notwendige qualifizierte Wiederholungsgefahr besteht daher zur Überzeugung des Senats fort.
42 
b) Diese Wiederholungsgefahr wird nicht dadurch relativiert, dass der ursprüngliche Ausweisungsanlass - die vom Kläger als Jugendlicher begangenen Straftaten - weniger gewichtig war. Auch wenn das Verwaltungsgericht Karlsruhe (Urt. v. 16.08.1999 - 12 K 1791/99 -) zu Recht davon ausgegangen ist, dass es damals an einer tatsächlichen, gegenwärtigen und hinreichend schweren Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, gefehlt hat, so führt dies nur dazu, dass der Grund für die Ausweisung nur mit dem ihm zukommenden geringeren Gewicht bei der Ausübung des Befristungsermessens zu berücksichtigen ist, eine Ermessensreduzierung auf Null ergibt sich hieraus jedoch angesichts der heute bestehenden qualifizierten Wiederholungsgefahr nicht.
43 
c) Entgegen der Auffassung des Klägers folgt eine Ermessensreduktion auf Null auch nicht aus § 6 Abs. 5 FreizügG/EU, weil die Ausweisung, um deren Sperrwirkung es geht, vor dem 01.05.2006 bestandskräftig wurde und daher das erhöhte Schutzniveau dieser Vorschrift hier nicht zu beachten ist.
44 
aa) § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU i.d.F. des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970) setzen die zweite und dritte Stufe des durch Art. 28 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/38/EG eingeführten erhöhten Ausweisungsschutzes für bestimmte Personengruppen um. Nach § 6 Abs. 4 FreizügG/EU, der Art. 28 Abs. 2 RL 2004/38/EG umsetzt, ist die Verlustfeststellung nach Erwerb eines Rechts auf Daueraufenthalt (vgl. § 4 a FreizügG/EU) nur noch aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit zulässig. Nach zehnjährigem Aufenthalt darf eine Verlustfeststellung gemäß § 6 Abs. 5 FreizügG/EU, der Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG umsetzt, nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit verfügt werden. Diese Anforderungen beziehen sich nach ihrem Standort im Gesetz allein auf Verlustfeststellungen nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU, nicht aber auf Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU. Nach ihrem Sinn und Zweck müssen diese Anforderungen jedoch gewissermaßen spiegelbildlich auch für die Befristungsentscheidung gelten, wenn die Verlustfeststellung, deren Wirkungen befristet werden, unter Beachtung des erhöhten Ausweisungsschutzes gemäß Art. 28 Abs. 2 oder 3 der Richtlinie 2004/38/EG erlassen wurde oder hätte erlassen werden müssen. Letzteres trifft auf alle Verlustfeststellungen zu, die bei Ablauf der Umsetzungsfrist gemäß Art. 40 der RL 2004/38/EG am 30.04.2006 noch nicht bestandskräftig waren (zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 2 und 3 RL 2004/38/EG ab diesem Zeitpunkt vgl. Epe in GK-AufenthG, IX-2 Vor § 1 Rn. 35, 43 ff.). Wollte man im Rahmen des § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU auch in Fällen erhöhten Ausweisungsschutzes nur prüfen, ob auf heutiger Tatsachenbasis die Gefährdungsprognose gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU Bestand hat, würde dies zu dem widersinnigen Ergebnis führen, dass etwa trotz Wegfalls zwingender Gründe der öffentlichen Sicherheit bei einem Unionsbürger, der Ausweisungsschutz nach der dritten Stufe genießt, der Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht weiterhin gerechtfertigt wäre, sofern „nur“ noch eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung i.S.d. § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU vorliegt. Dies würde zu einer unzulässigen Aushöhlung des erhöhten Ausweisungsschutzes nach § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU führen.
45 
bb) Hier waren bei der bereits 2002 bestandskräftig gewordenen Ausweisung die Anforderungen des Art. 28 Abs. 2 und 3 der RL 2004/38/EG nicht zu beachten, so dass auch im Befristungsverfahren nur die Anforderungen des - dem bisherigen gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutz entsprechenden - Ausweisungsschutzes auf der ersten Stufe gemäß Art. 28 Abs. 1 der RL 2004/38/EG einzuhalten sind. Diese erste Stufe des gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutzes ist in § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU umgesetzt. Folgerichtig ist daher, soweit es um Altausweisungen geht, auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.) nicht zu prüfen, ob bei dem ausgewiesenen Unionsbürger aktuell nach der heutigen Rechtslage noch eine Verlustfeststellung getroffen werden könnte. Zu prüfen ist in diesen Übergangsfällen allein, ob die gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU noch aufrecht erhalten werden können. Auch gemeinschaftsrechtlich ist es nicht geboten, den mit der seit dem 01.05.2006 unmittelbar anwendbaren RL 2004/38/EG eingeführten erhöhten Ausweisungsschutz auch zu diesem Zeitpunkt bereits bestandskräftig ausgewiesenen Unionsbürgern zugute kommen zu lassen. Art. 28 RL 2004/38/EG bezieht sich auf Ausweisungen, nicht aber auf Befristungsentscheidungen. Die erhöhten Anforderungen nach dieser Vorschrift sind daher nur bei Ausweisungen/Verlustfeststellungen zu beachten, bei denen der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage nach dem 30.04.2006 liegt (vgl. EuGH, Urt. v. 04.10.2007 – Rs. C-349/06 [Polat] – Slg. 2007, I-08167 Rdn. 26 f. = InfAuslR 2007, 425 = NVwZ 2008, 59 = EZAR NF 19 Nr. 22, wobei der EuGH dort nach dem zugrundeliegenden Sachverhalt bei Beachtung seiner eigenen Rechtsprechung zum maßgeblichen Zeitpunkt wohl zu einer Anwendbarkeit der RL 2004/38/EG hätte kommen müssen). Nichts anderes ergibt sich aus Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG. Nach dieser Vorschrift können ausgewiesene Unionsbürger nach einem angemessenen Zeitraum, jedenfalls aber drei Jahre nach Vollstreckung des nach Gemeinschaftsrecht ordnungsgemäß erlassenen Aufenthaltsverbots dessen Aufhebung unter Hinweis darauf beantragen, dass eine „materielle Änderung der Umstände eingetreten ist, die das Aufenthaltsverbot gerechtfertigt haben“. Mit einer „materiellen Änderung der Umstände“ sind Änderungen des Sachverhalts, nicht hingegen Rechtsänderungen gemeint. Sowohl im ursprünglichen wie auch im geänderten Kommissionsvorschlag hieß es „Änderung des Sachverhalts“ (vgl. KOM (2001) 257 endg. und KOM (2003) 199 endg., jeweils Art. 30 Abs. 2). Die schließlich verabschiedete Formulierung findet sich erstmals im Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 6/2004 (ABl. EG C 54E/12 <23>). Zur Begründung heißt es dort, die Abänderungen machten den Text klarer. Zwar trifft das Gegenteil zu, doch ergibt sich aus den Materialien jedenfalls, dass nur eine redaktionelle Änderung beabsichtigt war. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach eine Gefährdungsprognose auf neuer Tatsachenbasis zu treffen ist, steht daher auch mit Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG im Einklang.
46 
d) Auch aus Nr. 1.5 der Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums über die Bemessung der Sperrwirkung bei Befristungsentscheidungen nach § 8 Abs. 2 AuslG vom 25.01.2002 - Az.: 1362/129 - (VwV Befristung), die nach Auskunft des Beklagten bei der Ausübung des Befristungsermessens nach wie vor zugrunde gelegt wird, ergibt sich - i.V.m. Art. 3 GG - keine Ermessensreduzierung auf Null in dem Sinne, dass der Kläger einen Anspruch auf sofortige Befristung hätte. Dort heißt es:
47 
„Es ist zu prüfen, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung noch Gründe vorliegen, die eine Einschränkung des Freizügigkeitsrechts nach § 12 AufenthG/EWG und dem zugrunde liegenden Gemeinschaftsrecht rechtfertigen. Liegen solche Gründe nicht mehr vor, darf die Befristung nicht von der vorherigen Ausreise des Betroffenen abhängig gemacht werden, so dass dem Betroffenen ein Anspruch auf sofortige Befristung zusteht.“
48 
Diese Verwaltungsvorschrift kann lediglich über eine gleichbleibende Verwaltungspraxis nach Art 3 Abs. 1 GG Außenwirkung zugunsten des Ausländers haben. Sie ist somit entsprechend dem wirklichen Willen des Erklärenden (hier: der obersten Landesbehörde) und ihrer tatsächlichen Handhabung auszulegen und anzuwenden, so dass der Wortlaut der Verwaltungsvorschrift erst über die ihm folgende ständige Verwaltungspraxis Außenwirkung für den Ausländer entfaltet (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.09.2000 - 1 C 19.99 - BVerwGE 112, 63 = InfAuslR 2001, 70; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.04.2002 - 13 S 314/02 - ESVGH 52, 200). In der Verwaltungspraxis wird diese Verwaltungsvorschrift nach Auskunft des Beklagten nicht in dem Sinne angewandt, dass bei einer Altausweisung, die den heutigen Anforderungen des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU nicht entspricht, stets eine Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt vorzunehmen ist. Dies gelte nur im Durchschnittsfall, sofern „keine weiteren negativen Aspekte gegen den EU-Bürger in das Ermessen eingestellt werden müssen“. Im Übrigen hätten die Neuregelungen des § 6 FreizügG/EU erhebliche Auswirkungen auf den Umfang des noch verbleibenden Ermessens, führten aber nicht zu einer Ermessensreduzierung auf Null. Vorliegend ist zu Lasten des Klägers insbesondere seine unbewältigte Drogenproblematik in das Ermessen einzustellen, so dass eine Ermessensreduzierung auf Null im Hinblick auf die tatsächliche Handhabung der VwV Befristung ausscheidet.
49 
e) Zutreffend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass der Kläger die in dem gerichtlichen Vergleich vom 20.02.2002 für eine Befristung der Ausweisung vorgesehenen Bedingungen nicht erfüllt hat und daher aus diesem Vergleich keinen Anspruch auf sofortige Befristung ableiten kann.
50 
f) Aus Art. 8 EMRK folgt ebenfalls keine zu einem Anspruch auf sofortige Befristung führende Ermessensreduzierung auf Null.
51 
Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens. Ein Eingriff in diese Rechte ist nach Abs. 2 der Vorschrift nur statthaft, soweit er gesetzlich vorgesehen ist, ein legitimes Ziel verfolgt und zur Erreichung dieses Ziels notwendig ist. Die Wirkungen der Ausweisung dürfen angesichts des Schutzgebots des Art. 8 EMRK nicht länger aufrecht erhalten werden, wenn von dem Ausländer keine konkrete und entsprechend schwere Gefahr für ein wichtiges Schutzgut mehr ausgeht und demgemäß die mit seiner Anwesenheit verbundene Beeinträchtigung von Belangen der Bundesrepublik Deutschland nicht so gewichtig ist, dass sie die Beeinträchtigung seiner Rechte auf Achtung des Privat- und/oder Familienlebens eindeutig überwiegt.
52 
aa) Der Schutzbereich von Art. 8 EMRK umfasst neben weiteren hier nicht einschlägigen Gewährleistungen zum einen das Familienleben, zum anderen das Privatleben. Vorliegend ist nicht der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens, wohl aber der des Rechts auf Achtung des Privatlebens eröffnet: Bei Beziehungen zwischen nahen Verwandten außerhalb der klassischen Kleinfamilie kommt es darauf an, ob die tatsächlich bestehenden Bindungen hinreichend für die Annahme einer familiären Beziehung sind. Beziehungen zwischen Erwachsenen unterliegen nicht notwendig dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung des Familienlebens. Es müssen besondere zusätzliche Aspekte der Abhängigkeit hinzutreten, die weiter reichen als normale affektive Beziehungen (EGMR, Urt. v. 17.04.2003 - Nr. 52853/99 [Yilmaz] - NJW 2004, 2147 Rn. 44 m.w.N.; Urt. v. 15.07.2003 - Nr. 52206/99 [Mokrani] - InfAuslR 2004, 183; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Aufl., § 22 Rn. 18 m.w.N.). Art. 8 EMRK vermittelt insoweit keinen weitergehenden Schutz als Art. 6 GG bei familiären Beziehungen unter Volljährigen. Die Beziehung des volljährigen Klägers zu seiner Mutter und zu seiner Schwester unterfallen danach nicht dem Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens. Anhaltspunkte für ein besonderes Angewiesensein des Klägers auf ein Zusammenleben mit seiner Mutter und/oder seiner Schwester sind nicht dargelegt worden und auch nicht ersichtlich. Gleiches gilt im Ergebnis für die Beziehung des Klägers zu seiner Verlobten. Zwar ist für das Vorliegen einer Familie i.S.v. Art. 8 EMRK nicht in jedem Fall notwendig, dass zwei Personen ihre Beziehung rechtlich formalisiert haben. Der EGMR unterscheidet nicht zwischen einer „ehelichen“ und einer „nichtehelichen“ Familie, sondern stellt auf ein tatsächlich bestehendes Familienleben ab, welches er aber grundsätzlich nur dann bejaht, wenn aus einer nichtehelichen Partnerschaft Kinder hervorgegangen sind (vgl. EGMR, Urt. v. 13.06.1979 [Marcks] - NJW 1979, 2449; Urt. v. 18.12.1986 - 6/1985/92/139 [Johnston u.a.] - EuGRZ 1987, 313; Urt. v. 26.05.1994 - 16/1993/411/490 [Keegan] - NJW 1995, 2153; Urt. v. 13.07.2000 - 25735/94 [Elsholz] - NJW 2001, 2315; Urt. v. 12.07.2001 - 25702/94 [K. u. T.] - NJW 2003, 809). Danach ist der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens auch insoweit nicht berührt.
53 
bb) Unzweifelhaft stellt die Ausweisung, die nach der nunmehr erfolgten Befristung ihrer Wirkungen ein vierjähriges Aufenthaltsverbot im Bundesgebiet zur Folge hat, einen Eingriff in das Recht des Klägers auf Achtung seines Privatlebens dar. Dieser Eingriff verfolgt indes legitime Ziele im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK, nämlich die Aufrechterhaltung der Ordnung und die Verhinderung von strafbaren Handlungen. Er ist darüber hinaus notwendig zur Erreichung dieser Ziele. Ein Eingriff ist nach der Rechtsprechung des EGMR notwendig, wenn ein dringendes soziales Bedürfnis besteht und er verhältnismäßig zum legitimen Ziel ist (Urt. v. 22.04.2004 - Nr. 42703/98 [Radovanovic] - InfAuslR 2004, 374). Es muss ein gerechter Ausgleich getroffen werden zwischen dem Recht des Klägers auf Achtung des Privatlebens auf der einen und den Interessen der öffentlichen Sicherheit und der Verhinderung von Straftaten auf der anderen Seite. Erforderlich ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Beachtung der vom EGMR entwickelten Kriterien, die im Wesentlichen in den Entscheidungen Boultif und Üner zusammengefasst worden sind (EGMR, Urt. v. 02.08.2001 - Nr. 54273/00 [Boultif] - InfAuslR 2001, 476; Urt. v. 05.07.2005 - Nr. 46410/99 [Üner] - InfAuslR 2005, 450 = DVBl 2006, 688). Nach diesen Entscheidungen sind zu berücksichtigen die Art und Schwere der begangenen Straftaten, die Dauer des Aufenthalts in dem Staat, aus dem der Betreffende ausgewiesen werden soll, die seit Begehen der Straftat vergangene Zeit und das Verhalten des Betroffenen seit der Tat, die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten, die familiäre Situation des Betroffenen und gegebenenfalls die Dauer seiner Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben hinweisen, ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte, ob der Verbindung Kinder entstammen und schließlich die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das der Betroffene ausgewiesen werden soll. Von Bedeutung ist ferner das Interesse und Wohl der Kinder sowie die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland oder zum Bestimmungsland. Bei Ausweisungen von Immigranten der zweiten Generation, zu denen der Kläger gehört, berücksichtigt der EGMR neben den genannten allgemeinen Kriterien die besonderen Bindungen, die diese Personen mit dem Aufenthaltsstaat eingegangen sind, in dem sie ihre Erziehung erhalten, den Großteil ihrer sozialen Kontakte geknüpft und folglich ihre eigene Identität entwickelt haben (EGMR, Urt. v. 26.09.1997 - 85/1996/704/896 [Mehemi] - InfAuslR 1997, 30 = NVwZ 1998, 164; Urt. v. 21.10.1997 - 122/1996/741/940 [Boujlifa] - InfAuslR 1998, 1). Demgemäß erachtet es der EGMR neben der Intensität der Bindung und dem Alter des Ausgewiesenen für maßgeblich, welche Sprache der Ausgewiesene spricht und ob es Verwandte oder andere soziale Beziehungen im Herkunftsstaat bzw. umgekehrt familiäre Bindungen oder Verwandte im Aufenthaltsstaat gibt (EGMR, Entsch. v. 04.10.2001 - 43359/98 [Adam] - EuGRZ 2002, 582 = NJW 2003, 2595).
54 
Daran gemessen gebietet Art. 8 Abs. 2 EMRK es nicht, von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen und die Wirkungen der Ausweisung auf sofort zu befristen:
55 
(1) Negativ fallen zunächst Art und Schwere der begangenen Straftaten ins Gewicht. Die vom Kläger zuletzt begangenen Einbruchdiebstähle, die zur Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten geführt haben, sind der mittleren Kriminalität zuzuordnen. Erschwerend ist zu berücksichtigen, dass es sich nicht um Jugendverfehlungen gehandelt hat und dass die Taten gewerbsmäßig begangen wurden. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass es sich „nur“ um Eigentumsdelikte ohne Gewaltanwendung gegenüber Personen gehandelt hat. Der Senat verkennt nicht, dass der EGMR bei derartigen Delikten vereinzelt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte aus Art. 8 Abs. 1 EMRK angenommen hat: In der Sache Beljoudi (Urt. v. 26.03.1992 - 55/1990/246/317 - InfAuslR 1993, 86) war der dortige algerische Beschwerdeführer wegen einer Vielzahl von Diebstahlsdelikten zu Freiheitsstrafen von insgesamt 12 Jahren und 5 Monaten verurteilt worden. Der EGMR sah seine Ausweisung aus Frankreich gleichwohl als unverhältnismäßig an. Der Fall ist allerdings durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass der Beschwerdeführer in Frankreich als Kind damals französischer Eltern geboren war und selbst die französische Staatsangehörigkeit nur deshalb verloren hatte, weil seine Eltern es versäumt hatten, innerhalb einer bestimmten Frist eine Beibehaltungserklärung abzugeben. Zudem war der Beschwerdeführer seit mehr als 20 Jahren mit einer Französin verheiratet. In der Sache Jakupovic (Urt. v. 06.02.2003 - Nr. 36757/97 - InfAuslR 2004, 184) ging es um Jugendstraftaten; zudem war für den EGMR entscheidend, dass der Beschwerdeführer im Alter von 16 Jahren alleine in das zum Zeitpunkt der Ausweisung noch von den Folgen des Bürgerkriegs geprägte Bosnien-Herzegowina abgeschoben werden sollte. Diesen Entscheidungen, die jeweils einige hier nicht vorliegende Besonderheiten aufweisen, lässt sich nach Auffassung des Senats nicht entnehmen, dass Einwanderer der zweiten Generation wegen Eigentumsdelikten grundsätzlich nicht ausgewiesen werden dürften, wenn bei ihnen - wie bei dem Kläger - die Gefahr der Begehung weiterer, gleichartiger Straftaten besteht.
56 
Bei der Würdigung der Vorgeschichte und des Nachtatverhaltens fällt negativ ins Gewicht, dass der Kläger sich die Verurteilung zu Jugendstrafen und die Ausweisung nicht hat zur Warnung dienen lassen und selbst die ihm in dem aufenthaltsrechtlichen Bewährungsvergleich im Februar 2002 eingeräumte Chance nicht genutzt hat, künftig ein straffreies Leben zu führen. Dass er seit der letzten Verurteilung keine weiteren Straftaten begangen hat, kann ebenfalls nicht zu seinen Gunsten gewertet werden, weil er die zuletzt verhängte Freiheitsstrafe immer noch verbüßt und daher noch keine Gelegenheit hatte, sich in Freiheit zu bewähren. Negativ schlägt auch die unbewältigte Drogenproblematik zu Buche, wenngleich insoweit die Therapiebereitschaft zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen ist.
57 
(2) Zu Gunsten des Klägers fällt ins Gewicht, dass er in Deutschland geboren und aufgewachsen ist und dementsprechend auch seine Schulzeit im Bundesgebiet verbracht hat. Des Weiteren ist von Bedeutung, dass seine Mutter inzwischen Deutsche ist. Gleichwohl ist - gemessen an der Aufenthaltsdauer - der Grad der Integration im Bundesgebiet nicht besonders ausgeprägt: Der Kläger hat weder einen Schulabschluss erlangt noch verfügt er über eine Berufsausbildung. Soweit er einer Erwerbstätigkeit nachging, handelte es sich um Aushilfstätigkeiten. Mehrfach hat er ein Arbeitsverhältnis von sich aus beendet. Besondere Integrationsleistungen (beispielsweise Aktivitäten in Parteien oder Vereinen, Teilnahme am gesellschaftlichen/kulturellen Leben) sind nicht feststellbar. Um eine Einbürgerung hat sich der Kläger offenbar nie bemüht. Er hat noch keine eigene Familie gegründet, sondern ist lediglich mit einer Deutschen verlobt. Von einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung kann derzeit nicht ausgegangen werden, so dass Art. 6 GG und Art. 8 EMRK in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung des Familienlebens insoweit keine Vorwirkung entfalten. Die Trennung von der Verlobten, die nach den Angaben des Klägers nicht bereit wäre, ihn nach Italien zu begleiten, stellt allerdings einen gravierenden Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens dar.
58 
(3) Bei der Würdigung des Grades der Entwurzelung im Herkunftsstaat ist zunächst davon auszugehen, dass der Kläger jedenfalls noch über Grundkenntnisse der italienischen Sprache verfügt. Ihm kann nicht geglaubt werden, dass in seiner Familie, insbesondere mit den Großeltern, ausschließlich deutsch gesprochen wurde. Auch wenn der Kläger, was der Senat ihm glaubt, über keine familiären Bindungen und sonstigen sozialen Kontakte nach Italien verfügt, ist zu berücksichtigen, dass die Kulturdifferenz zu Italien nicht besonders groß ist und die Lebensverhältnisse in Italien, welches ebenfalls Mitglied der EU und als führende Wirtschaftsmacht Mitglied der G8 ist, sich von denen in Deutschland nicht grundlegend unterscheiden. Die Schwierigkeiten, mit denen der Kläger dort konfrontiert wird, sind nicht unüberwindbar. Sie sind ihm als Mann im arbeitsfähigen Alter zuzumuten. Dass er in der Lage ist, seine rudimentären Italienischkenntnisse nötigenfalls auszubauen, hat er bereits durch die vorübergehende Teilnahme an einem Italienischkurs in der Strafhaft unter Beweis gestellt. Im Übrigen ist zu bedenken, dass der Kläger zur Ausübung einer der von ihm angestrebten Tätigkeit in einer Pizzeria in ... vergleichbaren Tätigkeit in Italien - selbst wenn man die Möglichkeit, eine solche in überwiegend deutschsprachigen Gebieten Südtirols zu suchen, außer Acht lässt - keiner vertieften Italienischkenntnisse bedarf.
59 
(4) Schließlich ist im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen, dass der Kläger infolge der ausgesprochenen Befristung eine konkrete Rückkehrperspektive hat. Als Unionsbürger kann er nach Ablauf der Frist bei Erfüllung der der Befristungsentscheidung beigefügten Bedingungen unter Berufung auf sein Freizügigkeitsrecht aus Art. 18 EG wieder in das Bundesgebiet einreisen. Diese Bedingungen sind rechtlich nicht zu beanstanden. Sie dienen dem Zweck des Verwaltungsakts in der Hauptsache, indem sie sicherstellen, dass der spezialpräventive Ausweisungszweck bei Wirksamwerden der Befristung erfüllt ist und von dem Kläger keine erhebliche Gefahr mehr ausgeht. Die Bedingung der Straffreiheit ist allerdings entsprechend den für die Verlustfeststellung bei Unionsbürgern geltenden Maßstäben einschränkend dahingehend auszulegen, dass nur solche Straftaten schädlich sind und den Eintritt der Bedingung hindern, die die weitere Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen. Bei einer solchen Auslegung sind die Bedingungen mit § 36 Abs. 3 LVwVfG vereinbar. Auch Gemeinschaftsrecht steht den Bedingungen nicht entgegen. Aus Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG folgt lediglich ein Bescheidungsanspruch; inhaltliche Vorgaben für die Befristung des Aufenthaltsverbots finden sich dort nicht. Auch dem primären Gemeinschaftsrecht lässt sich nicht entnehmen, dass bei Fortbestehen einer qualifizierten Wiederholungsgefahr gleichwohl die Wirkungen einer Ausweisung befristet werden müssten.
60 
5. Der Befristungsbescheid vom 26.07.2006 ist aber gleichwohl rechtswidrig, weil er an einem beachtlichen Verfahrensfehler und an Ermessensfehlern leidet. Der Kläger hat daher auf seinen als Minus im Verpflichtungsantrag enthaltenen Bescheidungsantrag einen Anspruch auf Aufhebung dieses Bescheides und auf Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
61 
a) Zwar war, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, Art. 9 der RL 64/221/EWG nicht zu beachten, weil zum einen diese Vorschrift auf Befristungsentscheidungen nicht anwendbar war und zum anderen die Richtlinie 64/221/EWG durch Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben wurde.
62 
b) Ein beachtlicher Verfahrensfehler liegt jedoch darin, dass das Regierungspräsidium vor Erlass des angefochtenen Verwaltungsakts die nach § 28 Abs. 1 LVwVfG gebotene Anhörung unterlassen hat. Diese war weder nach § 28 Abs. 2 LVwVfG noch nach § 82 AufenthG entbehrlich und der Anhörungsmangel ist auch nicht geheilt worden.
63 
aa) Eine Anhörung war nicht nach § 28 Abs. 2 LVwVfG entbehrlich. In Betracht zu ziehen ist insoweit allein der Tatbestand des § 28 Abs. 2 Nr. 3 LVwVfG, dessen Voraussetzungen jedoch nicht vorliegen. Nach dieser Vorschrift kann von der Anhörung abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, insbesondere wenn von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll. Diese Regelung betrifft die Fälle einer Entscheidung auf Grund eigener Angaben eines Beteiligten. Die Anhörung wird hier durch die eigenen Angaben des Betroffenen gewissermaßen vorweggenommen. Die Vorschrift ist jedoch einschränkend auszulegen: Eigene Angaben können eine Entscheidung ohne weitere Anhörung nur dann rechtfertigen, wenn nach Lage des konkreten Falles die Angaben des Beteiligten Entscheidungsgrundlage sind und die Möglichkeit auszuschließen ist, dass die Anhörung neue Gesichtspunkte ergeben könnte, die eine für den Antragsteller günstigere Entscheidung rechtfertigen könnten (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 28 Rn. 65). Diese Voraussetzungen liegen hier schon mit Blick auf den langen Zeitraum von nahezu zwei Jahren zwischen Antragstellung und Entscheidung nicht vor, der es nahelegt, dass zwischenzeitlich neue, bei Antragstellung noch nicht vorgetragene Umstände eingetreten sind, die für die Entscheidung erheblich sein können.
64 
bb) Die Anhörung war auch nicht im Hinblick auf § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG entbehrlich. Dabei kann offen bleiben, ob diese Vorschrift, auf die in § 11 Abs. 1 FreizügG/EU nicht verwiesen wird, auf den Kläger als Unionsbürger überhaupt anwendbar ist. Denn auch wenn man davon ausgeht, dass § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auf den Kläger als infolge der bestandskräftigen Ausweisung derzeit nicht freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger über eine analoge Anwendung des § 11 Abs. 2 FreizügG/EU, der nach seinem Wortlaut eine Nichtbestehens- oder Verlustfeststellung voraussetzt, anwendbar ist, folgt hieraus nicht, dass von der Anhörung abgesehen werden konnte. Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist der Ausländer u.a. verpflichtet, seine Belange und für ihn günstige Umstände, soweit sie nicht offenkundig oder bekannt sind, unter Angabe nachprüfbarer Umstände unverzüglich geltend zu machen. Die sich aus § 24 Abs. 1 LVwVfG ergebende Pflicht der Behörde zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen wird damit für den Anwendungsbereich des AufenthG in gewisser Weise begrenzt, aber nicht aufgehoben. Die Verpflichtung aus § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist durch die Anlassbezogenheit beschränkt, verlangt also nicht die permanente Offenlegung der Verhältnisse gegenüber der Ausländerbehörde (Albrecht in Storr u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 82 AufenthG Rn. 5; ebenso bereits zu § 70 AuslG 1990 OVG NRW, Beschl. v. 01.02.2000 - 18 B 1120/99 - InfAuslR 2000, 279 = NVwZ 2000, 1445). Vorliegend durfte der Kläger danach davon ausgehen, dass das Regierungspräsidium, welches über den Befristungsantrag auf aktualisierter Tatsachengrundlage zu entscheiden hatte, ihm vor einer Entscheidung zumindest nach § 82 Abs. 1 Satz 2 AufenthG eine Frist zur Geltendmachung der für ihn günstigen Umstände setzen würde.
65 
cc) Der Anhörungsmangel ist auch nicht geheilt worden. Eine Heilung nach § 46 LVwVfG scheidet schon deshalb aus, weil es sich bei der Befristungsentscheidung hinsichtlich der Bemessung der Frist nicht um einen gebundenen Verwaltungsakt handelt. Eine Heilung nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 LVwVfG ist nicht erfolgt. Nach dieser Vorschrift ist der Verstoß gegen § 28 Abs. 1 LVwVfG unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung nachgeholt wird. Eine Heilung tritt allerdings nur insoweit ein, als die Anhörung formell ordnungsgemäß erfolgt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht werden kann (funktionelle Äquivalenz). Dies setzt u.a. voraus, dass die Ergebnisse der Anhörung von der zur Entscheidung in der Sache berufenen Behörde nicht nur zur Kenntnis, sondern auch zum Anlass genommen werden, die Entscheidung selbst kritisch zu überdenken (Kopp/Ramsauer, a.a.O. § 45 Rn. 26). Nicht ausreichend ist die Anhörung durch das Gericht; sie stellt keine Nachholung durch die Behörde dar und führt deshalb nicht zur Heilung (Kopp/Ramsauer, a.a.O. § 45 Rn. 27). Nach diesen Maßstäben hat vorliegend keine Nachholung der Anhörung, die nach § 45 Abs. 2 LVwVfG bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat möglich gewesen wäre, stattgefunden. Es genügt nicht, dass der Kläger sich im Klageverfahren geäußert und das Regierungspräsidium dies zur Kenntnis genommen hat.
66 
c) Ein Ermessensfehler liegt darin, dass der Beklagte im Befristungsbescheid infolge des Anhörungsmangels bei Abwägung der gegenläufigen Interessen von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist, der eine rechtliche Fehlgewichtung zu Folge hat. Er hat die lediglich rudimentären italienischen Sprachkenntnisse des Klägers, seine vollständig fehlenden Bindungen nach Italien sowie die Beziehung zu seiner deutschen Verlobten infolge der unterbliebenen Anhörung nicht berücksichtigt und damit zu berücksichtigende wesentliche Gesichtspunkte bei der Ermessensausübung außer Acht gelassen.
67 
d) Ermessensfehlerhaft ist es des Weiteren, dass die Dauer der Haftstrafe, die Anlass für die Ausweisung war, maßgeblich in die Bemessung der Sperrfrist eingeflossen ist. Im Rahmen der bei Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU vorzunehmenden Prüfung, ob die Aufrechterhaltung der Sperrwirkungen gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU heute (noch) gerechtfertigt ist, ist die Dauer der Haftstrafen, die zur Ausweisung geführt haben, nur von begrenzter Aussagekraft. Inwieweit sich hier aus der 1998 erfolgten Verurteilung des Klägers zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten Rückschlüsse auf die aktuell von dem Kläger ausgehenden Gefahren ziehen lassen, ist nicht ersichtlich und wird auch in der angefochtenen Verfügung nicht erläutert. Die Begründung erschöpft sich insoweit in einem Hinweis auf die VwV Befristung und auf die Praktikabilität einer solchen Vorgehensweise.
68 
Nach 1.2.1 der vom Regierungspräsidium angewandten VwV Befristung wird bei der Berechnung des Befristungsrahmens das festgesetzte Strafmaß berücksichtigt. Zur Begründung heißt es dort, dies sei gerechtfertigt, weil sich die Strafbemessung des Strafrichters gemäß § 46 StGB nach der Schwere der Schuld des Täters richte. Nach dieser Vorschrift ist - im Erwachsenenstrafrecht - die Schuld des Täters Grundlage für die Strafzumessung. Das bedeutet, dass die Strafe zwar nicht allein nach der Schuld zu bemessen ist, wohl aber, dass die Schuld der Faktor ist, dem bei der Zumessung das größte Gewicht zukommt (vgl. Fischer, StGB, 55. Aufl., § 46 Rn. 19 m.w.N.). Bei der Befristungsentscheidung sind demgegenüber die mit der Ausweisung verfolgten präventiven Zwecke maßgeblich. Die Behörde hat auf der Grundlage einer aktualisierten Tatsachenbasis die Frist nach dem mutmaßlichen Eintritt der Zweckerreichung zu bemessen (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Die Berücksichtigung des Strafmaßes bei der Bemessung der Frist ist danach grundsätzlich sachwidrig. Das Strafmaß gibt zwar Anhaltspunkte für die Schwere des Delikts und kann mittelbar je nach Art der Straftat Anlass sein, bei besonders gefährlichen Delikten geringere Anforderungen an den Grad der Wiederholungsgefahr zu stellen. Es indiziert aber grundsätzlich keine fortdauernde Wiederholungsgefahr. So ist es denkbar, dass ein Täter wegen einer singulären Einzeltat auf Grund der Schwere des Delikts und der Schuld zu einer hohen Freiheitsstrafe verurteilt wird, von ihm aber gleichwohl nur eine geringe Wiederholungsgefahr ausgeht.
69 
Diese Überlegungen gelten uneingeschränkt nur für das Erwachsenenstrafrecht. Die Jugendstrafe ist demgegenüber nicht primär Schuldstrafe, sondern Erziehungsstrafe. Der Richter verhängt gemäß § 17 Abs. 2 JGG Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist. Wird die Jugendstrafe nicht mit der Schwere der Schuld, sondern mit schädlichen Neigungen begründet, so hat dies eine starke Indizwirkung auch für die im Ausweisungsrecht zu prüfende Wiederholungsgefahr. Erfolgt etwa zeitnah nach der Verurteilung zu einer Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen eine Ausweisung, so wird es in der Regel nicht zu beanstanden sein, wenn die Ausländerbehörde aus der Verurteilung auf eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung gleichartiger Delikte schließt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Indizwirkung eines solchen Strafurteils nicht durch zwischenzeitliche Vollstreckungsentscheidungen (vgl. § 88 JGG) in Frage gestellt ist. Im Befristungsverfahren liegt allerdings typischerweise - wie auch hier - die strafgerichtliche Verurteilung lange zurück und erlaubt schon aufgrund dessen keinen Schluss auf eine aktuelle Wiederholungsgefahr. Vorliegend ist die Heranziehung des Strafmaßes der 1998 verhängten Jugendstrafe daher sachwidrig. Sachgerecht wäre es demgegenüber, die jüngsten Strafvollstreckungsentscheidungen - hier die Beschlüsse des LG ... vom 21.09.2007, 20.03.2008 und 10.04.2008 sowie den Beschluss des OLG Karlsruhe vom 23.11.2007 - heranzuziehen und zu würdigen.
70 
e) Diese Ermessensfehler sind nicht nach § 114 Satz 2 VwGO geheilt worden. Voraussetzung für die Zulässigkeit der Ergänzung von Ermessenserwägungen nach § 114 Satz 2 VwGO ist u.a., dass durch die Ergänzung der Verwaltungsakt nicht in seinem gewollten Wesen oder Ausspruch verändert wird. Eine Wesensänderung ist anzunehmen, wenn sich durch die Ergänzung der Streitstoff ändert. Damit sind nur unwesentliche Korrekturen als zulässig anzusehen (Kuntze in Bader u.a., VwGO, 4. Aufl., § 114 Rn. 54; Nds. OVG, Beschl. v. 26.04.2007 - 5 ME 122/07 - juris). Nicht zulässig ist der Austausch maßgeblicher oder tragender Erwägungen (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 113 Rn. 72; Rennert in Eyermann, VwGO, 12. Aufl., § 114 Rn. 89; Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 114 Rn. 208). Es ist ein strenger Maßstab anzulegen, da die Ergänzung nur zur Aufrechterhaltung der getroffenen Entscheidung möglich ist und ohnehin eine Tendenz bestehen kann, eine getroffene Entscheidung zu halten, d.h. bei der Abwägung nicht frei und unvoreingenommen zu sein (Kuntze, a.a.O. Rn. 55). Daran gemessen wäre hier eine - im Übrigen nicht erfolgte - Ergänzung unzulässig gewesen, da infolge der unterbliebenen Anhörung gerade eine neue Ermessensbetätigung unter Einstellung der außer Acht gelassen, wesentlichen Gesichtspunkte geboten ist.
71 
f) Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass es für eine fehlerfreie Ermessensentscheidung geboten sein dürfte, die Strafvollstreckungsakten und die Gefangenenpersonalakten beizuziehen (vgl. - zur Ausweisung - Discher in GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. AufenthG Rn. 1261.1 m.w.N. und - zur Heranziehung der Strafakten - BVerfG, Beschl. v. 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - NVwZ 2007, 1300 = InfAuslR 2007, 443).
II.
72 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
73 
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
74 
Beschluss vom 23. Juli 2008
75 
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
76 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
I.
29 
Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO).
30 
Soweit der Kläger über den erstinstanzlich gestellten Antrag hinausgehend nicht die Befristung „auf den Zeitpunkt sofort nach der Ausreise“, sondern auf den 23.07.2008, d.h. den Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, begehrt, stellt dies eine in der Berufungsinstanz zulässige Klageänderung in der Form der Erweiterung des Klageantrags (§ 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO) dar. Nach § 264 Nr. 2 ZPO ist es nicht als eine Klageänderung anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache oder in Bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird. Die Vorschrift regelt eine Antragsänderung, die rechtstechnisch als privilegierte Klageänderung behandelt wird. Die Formulierung „ist es nicht als eine Klageänderung anzusehen“ bedeutet nicht, dass in diesen Fällen keine Klageänderung vorliegt, sondern bewirkt, dass die genannten Erweiterungen bzw. Beschränkungen ohne Rücksicht auf ihre dogmatische Einordnung privilegiert werden. Dies ist ein gesetzlich geregelter Fall der Sachdienlichkeit, der ohne weiteres zur Zulässigkeit der Klageänderung führt (Kuntze in Bader u.a., VwGO, 4. Aufl., § 91 Rn. 5). Voraussetzung für die Anwendung von § 264 Nr. 2 ZPO ist, dass der Klagegrund sich nicht ändert und der Antrag nicht ersetzt wird. Es muss sich deswegen um ein Maius oder Minus handeln und nicht um ein Aliud (Schmid in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 91 Rn. 12). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Klagegrund, d.h. der Sachverhalt, aus dem sich die erstrebte Rechtsfolge ergeben soll, bleibt unverändert. Der Antrag wird nicht ersetzt, sondern - geringfügig - erweitert. Der Kläger begehrt eine Befristung auf den Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, d.h. ohne vorherige Ausreise.
31 
Die Berufung ist jedoch nur zum Teil begründet. Der Kläger muss die Wirkungen des § 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990 als Folge der Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 gegen sich gelten lassen (unten 1.). Über den geltend gemachten Befristungsanspruch ist nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU unter Zugrundelegung der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu entscheiden (unten 2.). Nach den für die Fristbemessung maßgeblichen Grundsätzen (unten 3.) kann der Kläger nicht verlangen, dass die Wirkungen der Ausweisung auf den 23.07.2008 - den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung - befristet werden (unten 4.). Er hat, da der Befristungsbescheid vom 26.07.2006 ungeachtet dessen an einem beachtlichen Verfahrensfehler und an Ermessensfehlern leidet, auf seinen als Minus im Verpflichtungsantrag enthaltenen Antrag aber einen Anspruch auf Aufhebung dieses Bescheides und auf Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO; unten 5.).
32 
1. Die Ausweisungsverfügung vom 16.03.1999 hat zur Folge, dass der Kläger nicht erneut ins Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990). Diese Wirkungen entfaltet die Ausweisung auch heute noch, so dass das Befristungsbegehren nicht etwa deshalb ins Leere geht und mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig ist, weil die Ausweisung gegenstandslos geworden wäre. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, ist geklärt, dass vor dem 01.01.2005 unter Geltung des AuslG 1990 und des AufenthG/EWG bestandskräftig gewordene Ausweisungen von Unionsbürgern nicht mit Inkrafttreten des FreizügG/EU gegenstandslos geworden, sondern weiterhin wirksam sind (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 – 1 C 21.07 – BVerwGE 129, 243 = NVwZ 2008, 82 = EZAR NF 10 Nr. 8; ebenso zuvor bereits VGH BW, Beschl. v. 18.08.2005 – 13 S 1253/05 – und Urt. v. 24.01.2007 – 13 S 451/06 – InfAuslR 2007, 182 = EZAR NF 93 Nr. 3; BayVGH, Beschl. v. 21.03.2006 – 19 CE 06.721 – juris; OVG RP, Urt. v. 08.02.2007 – 7 A 11318/06.OVG – InfAuslR 2007, 226; vgl. auch Epe in GK-AufenthG, IX-2 § 1 Rn. 21 m.w.N.; Harms in Storr u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 6 FreizügG/EU Rn. 32; Hailbronner, AuslR, Kommentar, D 1 § 7 Rn. 25; a.A. OVG B-Brb., B. v. 15.03.2006 – OVG 8 S 123.05 – InfAuslR 2006, 259 = NVwZ 2006, 953; Gutmann, InfAuslR 2005, 125 und InfAuslR 2008, 105).
33 
2. a) Grundlage des Befristungsanspruchs ist nicht etwa § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG, sondern § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU. Nach dieser Vorschrift wird das durch die Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU ausgelöste Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 7 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU) auf Antrag befristet. Mit Blick auf die in § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG getroffene Übergangsregelung werden von dieser Anspruchsgrundlage in sinngemäßer Anwendung auch die fortwirkenden Rechtsfolgen der vor Inkrafttreten des FreizügG/EU am 01.01.2005 bestandskräftig gewordenen Ausweisung eines Unionsbürgers erfasst. § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU betrifft als Sonderregelung im Sinne des § 11 Abs. 2 FreizügG/EU nicht (mehr) freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger, zu denen auch der Kläger zählt (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.).
34 
§ 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU gewährt Unionsbürgern - anders als die Regelbefristung des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG für Drittstaater - einen strikten Rechtsanspruch auf Befristung („ob“); nur über die Länge der Frist ist nach Ermessen zu entscheiden. Damit geht die Vorschrift über die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben in Art. 32 Abs. 1 der RL 2004/38/EG hinaus, die lediglich einen fristgebundenen Verbescheidungsanspruch vorsehen (umgesetzt in dem durch Gesetz vom 19.08.2007 [BGBl. I S. 1970] angefügten Satz 4 des § 7 Abs. 2 FreizügG/EU). Mit der Ausgestaltung der Befristung als gebundener Entscheidung und einem damit korrespondierenden Anspruch bringt der Gesetzgeber den hohen Rang zum Ausdruck, den er dem gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsrecht beimisst. Denn als Ausnahmen vom Grundprinzip der Freizügigkeit dürfen das an eine Verlustfeststellung bzw. Ausweisung anknüpfende Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht unbegrenzt gelten, sondern ein davon betroffener Unionsbürger hat nach angemessener Zeit Anspruch auf erneute Prüfung und Entscheidung nach Maßgabe der aktuellen Sachlage (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O. unter Hinweis auf EuGH, Urt. v. 17.06.1997 - Rs. C-65/95 u. C-111/95 [Shingara und Radiom] - Slg. 1997, I-3343 Rn. 40 ff. = EZAR 81 Nr. 34). Von einem solchen Rechtsanspruch ist der Beklagte zu Recht ausgegangen.
35 
b) Für die Prüfung des Befristungsanspruchs ist auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat abzustellen (BVerwG, Urt. v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367 = InfAuslR 2008, 116 = NVwZ 2008, 326 = EZAR NF 48 Nr. 9; BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Dies muss auch gelten, soweit - wie hier - die Behörde bereits eine Ermessensentscheidung über die Dauer der Sperrfrist getroffen hat und es um deren Überprüfung geht: Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 29.04.2004 - Rs. C-482/01 u. C-493/01 [Orfanopoulos u. Oliveri] - Slg. 2004, I-5257 Rn. 82 = InfAuslR 2004, 268) sind die innerstaatlichen Gerichte verpflichtet, bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der gegen einen Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats verfügten Ausweisung einen Sachvortrag zu berücksichtigen, der nach der letzten Behördenentscheidung erfolgt ist und der den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen kann, die das Verhalten des Betroffenen für die öffentliche Ordnung darstellen würde. Daran anknüpfend hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass das Erfordernis der Berücksichtigung neuer Tatsachen nicht nur für einen Sachvortrag gilt, der den Wegfall oder eine Verminderung der von dem Betroffenen für die öffentliche Ordnung ausgehenden Gefährdung mit sich bringen kann. Aus dem Erfordernis, dass eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung grundsätzlich zu dem Zeitpunkt bestehen muss, zu dem die Ausweisung erfolgt, ergebe sich darüber hinaus, dass entscheidungserhebliche neue Tatsachen umfassend zu berücksichtigen sind. Dies gelte auch für Tatsachen, die für die an den Grundrechten und am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu orientierende Interessenabwägung von Bedeutung sind. Daraus folge, dass die Tatsachengerichte verpflichtet sind zu prüfen, ob die behördliche Gefährdungsprognose und die Ermessensentscheidung bezogen auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung im Ergebnis auf einer zutreffenden tatsächlichen Grundlage beruhen (BVerwG, Urt. v. 03.08.2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 = InfAuslR 2005, 18). Diese Erwägungen sind uneingeschränkt auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU zu übertragen, da auch insoweit ähnlich wie bei der Ausweisung oder nunmehr bei der Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU zu prüfen ist, ob von dem Unionsbürger (noch) eine gegenwärtige Gefahr ausgeht (in diesem Sinne bereits Renner, ZAR 2004, 195<197>; siehe zu den für die Fristbemessung maßgeblichen Grundsätzen im Einzelnen unten 3.). Keiner Entscheidung bedarf vorliegend, ob dies, was im Anschluss an die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 15.11.2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156) zu bejahen sein könnte, auch für die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Befristungsentscheidungen nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gilt. Grundlage des Befristungsanspruchs ist daher § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU in der Fassung des am 28.08.2007 in Kraft getretenen Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970).
36 
3. Bei der im behördlichen Auswahlermessen verbleibenden Bestimmung der Länge der Frist sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.) in einem ersten Schritt das Gewicht des Grundes für die Verlustfeststellung bzw. Ausweisung sowie der mit der Maßnahme verfolgte spezialpräventive Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der Prüfung im Einzelfall, ob die vorliegenden Umstände auch jetzt noch das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen. Die Behörde hat dazu auch das Verhalten des Betroffenen nach der Ausweisung zu würdigen und im Wege einer Prognose auf der Grundlage einer aktualisierten Tatsachenbasis die (Höchst-)Frist nach dem mutmaßlichen Eintritt der Zweckerreichung zu bemessen. Im Falle einer langfristig fortbestehenden Rückfall- bzw. Gefährdungsprognose ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers aber auch bei Unionsbürgern ein langfristiger Ausschluss der Wiedereinreise nicht ausgeschlossen (BT-Drs. 15/420 S. 105). Die im Rahmen des ersten Schritts von der Behörde zu treffende Gefahrprognose muss - ebenso wie bei der Ausweisung (vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 16.10.1989 - I B 106.89 - EZAR 124 Nr. 11 = InfAuslR 1990, 4 <5> m.w.N.; Discher in GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. AufenthG Rn. 1711 ff.) - gerichtlich voll überprüfbar sein.
37 
In einem zweiten Schritt muss sich die an der Erreichung des Zwecks der Verlustfeststellung bzw. Ausweisung orientierende äußerste Frist an höherrangigem Recht, d.h. gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben und verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen messen und ggf. relativieren lassen (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde ein rechtsstaatliches Mittel dafür, fortwirkende einschneidende Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.08.2000 - 1 C 5.00 - BVerwGE 111, 369 <373> = InfAuslR 2000, 483 zur Regelbefristung). Dabei sind insbesondere die in § 6 Abs. 3 FreizügG/EU genannten schutzwürdigen Belange des Unionsbürgers in den Blick zu nehmen. Haben z.B. familiäre Belange des Betroffenen durch die Geburt eines Kindes im Bundesgebiet nach der Ausweisung an Gewicht gewonnen, folgt daraus eine Ermessensverdichtung in Richtung auf eine kürzere Frist. Die Abwägung nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, die auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles nach Gewichtung der jeweiligen Belange vorzunehmen ist, kann im Extremfall bis zu einer Ermessensreduzierung auf Null mit dem Ergebnis einer Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt, d.h. auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz, führen (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O. u. Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 - BVerwGE 110, 140 <150 f.> = InfAuslR 2000, 176). Kraft des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts muss in diesen Fällen die Befristung so erfolgen, dass sich das dem Unionsbürger zustehende Freizügigkeitsrecht sogleich entfalten kann. Der Anwendungsvorrang erfordert es, dass die Befristung nicht von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht wird, wie insbesondere der Regelung in § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU, wonach eine Frist erst mit der Ausreise beginnt (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 - a.a.O. zu § 8 Abs. 2 Satz 4 AuslG 1990). In den Fällen des Wegfalls der notwendigen qualifizierten Wiederholungsgefahr ist daher auch nach Ergehen einer Feststellungsentscheidung nach § 6 FreizügG/EU die Ausreise des ansonsten Freizügigkeitsberechtigten entgegen der Regelung in § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU nicht Voraussetzung für das erneute Entstehen des Aufenthaltsrechts.
38 
4. Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Beklagte nicht verpflichtet, die Befristung auf den heutigen Tag - d.h. ohne Einhaltung einer mit der Ausreise beginnenden angemessenen Frist - auszusprechen. Der Senat vermag nicht festzustellen, dass eine Befristung auf den heutigen Tag nach dem Zweck der Ermächtigung die allein rechtmäßige Ermessensbetätigung wäre (vgl. § 114 VwGO).
39 
a) Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der spezialpräventive Zweck der Ausweisung schon jetzt erreicht ist. Vielmehr geht von dem Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung für die öffentliche Ordnung aus, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
40 
Soweit das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 04.09.2007 , a.a.O.) ausgeführt hat, es bedürfe der Prüfung im Einzelfall, ob die vorliegenden Umstände „auch jetzt noch“ das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die hohen Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen, ist dies nach Auffassung des Senats nicht dahingehend zu verstehen, dass im Rahmen des Befristungsverfahrens nochmals geprüft werden muss, ob die der bestandskräftigen Ausweisung zugrunde liegenden Umstände diese gerechtfertigt haben. Die Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit der bestandskräftigen Ausweisung steht in diesem Verfahren nicht erneut zur Überprüfung. Es ist vielmehr eine Gefährdungsprognose auf heutiger Tatsachenbasis vorzunehmen, bei der bezogen auf den jetzigen Entscheidungszeitpunkt unabhängig von der Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Ausweisung zu prüfen ist, ob die Aufrechterhaltung der Sperrwirkungen gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU gerechtfertigt ist. Die vom Kläger nach der Ausweisung als Erwachsener begangenen Straftaten sind daher ebenso zu berücksichtigen wie seine zum Zeitpunkt der Ausweisung noch nicht so gravierende, unbewältigte Drogenproblematik.
41 
Die vom Regierungspräsidium Karlsruhe getroffene Prognose, die gerichtlich voll überprüfbar ist (vgl. oben 3.), ist danach nicht zu beanstanden: Die vom Kläger zwischen Juni 2004 und März 2005 begangenen Straftaten des gemeinschaftlichen Diebstahls in 15 sowie des gemeinschaftlichen versuchten Diebstahls in zwei Fällen sind der mittleren Kriminalität zuzuordnen. Es handelt sich um eine Häufung von Fällen mittlerer Kriminalität, bei denen der Senat jedenfalls aufgrund der gewerbsmäßigen Begehung (§ 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB) davon ausgeht, dass eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU). Auch zum heutigen Zeitpunkt ist bei dem Kläger insbesondere aufgrund der unbewältigten Drogenproblematik eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung gleichartiger Eigentums- und Vermögensdelikte nach Entlassung aus der Strafhaft weiterhin gegeben. Die bloße Therapiebereitschaft steht der Annahme der auch von den Strafvollstreckungsgerichten (vgl. die Beschlüsse des LG ... vom 21.09.2007 - 12 StVK 572/07 - und des OLG Karlsruhe vom 23.11.2007 - 2 Ws 315/07 -) bejahten Wiederholungsgefahr nicht entgegen. Die Gefahr, dass der Kläger, ebenso wie nach Verbüßung seiner Jugendstrafe, nach der Haftentlassung erneut Drogen konsumieren und zur Finanzierung des Drogenkonsums erhebliche Straftaten begehen wird, erscheint relativ hoch. Sie wird nicht dadurch gemindert, dass er einen Arbeitsplatz in Aussicht hat und seine Verlobte zu heiraten beabsichtigt. Insoweit spricht gegen eine günstige Prognose, dass der Kläger nie dauerhaft in den Arbeitsmarkt integriert war, er vielmehr wiederholt Arbeitsverhältnisse aus freien Stücken beendete und dass auch die Beziehung zu seiner Verlobten ihm nicht genügend Halt gegeben hat, um ihn von weiteren Straftaten abzuhalten. Er vermochte schließlich selbst unter dem Druck der Ausweisung, der erlittenen Jugendhaft und des 2002 geschlossenen Bewährungsvergleichs sein Verhalten nicht durchgreifend zu ändern. Die notwendige qualifizierte Wiederholungsgefahr besteht daher zur Überzeugung des Senats fort.
42 
b) Diese Wiederholungsgefahr wird nicht dadurch relativiert, dass der ursprüngliche Ausweisungsanlass - die vom Kläger als Jugendlicher begangenen Straftaten - weniger gewichtig war. Auch wenn das Verwaltungsgericht Karlsruhe (Urt. v. 16.08.1999 - 12 K 1791/99 -) zu Recht davon ausgegangen ist, dass es damals an einer tatsächlichen, gegenwärtigen und hinreichend schweren Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, gefehlt hat, so führt dies nur dazu, dass der Grund für die Ausweisung nur mit dem ihm zukommenden geringeren Gewicht bei der Ausübung des Befristungsermessens zu berücksichtigen ist, eine Ermessensreduzierung auf Null ergibt sich hieraus jedoch angesichts der heute bestehenden qualifizierten Wiederholungsgefahr nicht.
43 
c) Entgegen der Auffassung des Klägers folgt eine Ermessensreduktion auf Null auch nicht aus § 6 Abs. 5 FreizügG/EU, weil die Ausweisung, um deren Sperrwirkung es geht, vor dem 01.05.2006 bestandskräftig wurde und daher das erhöhte Schutzniveau dieser Vorschrift hier nicht zu beachten ist.
44 
aa) § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU i.d.F. des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970) setzen die zweite und dritte Stufe des durch Art. 28 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/38/EG eingeführten erhöhten Ausweisungsschutzes für bestimmte Personengruppen um. Nach § 6 Abs. 4 FreizügG/EU, der Art. 28 Abs. 2 RL 2004/38/EG umsetzt, ist die Verlustfeststellung nach Erwerb eines Rechts auf Daueraufenthalt (vgl. § 4 a FreizügG/EU) nur noch aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit zulässig. Nach zehnjährigem Aufenthalt darf eine Verlustfeststellung gemäß § 6 Abs. 5 FreizügG/EU, der Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG umsetzt, nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit verfügt werden. Diese Anforderungen beziehen sich nach ihrem Standort im Gesetz allein auf Verlustfeststellungen nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU, nicht aber auf Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU. Nach ihrem Sinn und Zweck müssen diese Anforderungen jedoch gewissermaßen spiegelbildlich auch für die Befristungsentscheidung gelten, wenn die Verlustfeststellung, deren Wirkungen befristet werden, unter Beachtung des erhöhten Ausweisungsschutzes gemäß Art. 28 Abs. 2 oder 3 der Richtlinie 2004/38/EG erlassen wurde oder hätte erlassen werden müssen. Letzteres trifft auf alle Verlustfeststellungen zu, die bei Ablauf der Umsetzungsfrist gemäß Art. 40 der RL 2004/38/EG am 30.04.2006 noch nicht bestandskräftig waren (zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 2 und 3 RL 2004/38/EG ab diesem Zeitpunkt vgl. Epe in GK-AufenthG, IX-2 Vor § 1 Rn. 35, 43 ff.). Wollte man im Rahmen des § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU auch in Fällen erhöhten Ausweisungsschutzes nur prüfen, ob auf heutiger Tatsachenbasis die Gefährdungsprognose gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU Bestand hat, würde dies zu dem widersinnigen Ergebnis führen, dass etwa trotz Wegfalls zwingender Gründe der öffentlichen Sicherheit bei einem Unionsbürger, der Ausweisungsschutz nach der dritten Stufe genießt, der Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht weiterhin gerechtfertigt wäre, sofern „nur“ noch eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung i.S.d. § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU vorliegt. Dies würde zu einer unzulässigen Aushöhlung des erhöhten Ausweisungsschutzes nach § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU führen.
45 
bb) Hier waren bei der bereits 2002 bestandskräftig gewordenen Ausweisung die Anforderungen des Art. 28 Abs. 2 und 3 der RL 2004/38/EG nicht zu beachten, so dass auch im Befristungsverfahren nur die Anforderungen des - dem bisherigen gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutz entsprechenden - Ausweisungsschutzes auf der ersten Stufe gemäß Art. 28 Abs. 1 der RL 2004/38/EG einzuhalten sind. Diese erste Stufe des gemeinschaftsrechtlichen Ausweisungsschutzes ist in § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU umgesetzt. Folgerichtig ist daher, soweit es um Altausweisungen geht, auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.) nicht zu prüfen, ob bei dem ausgewiesenen Unionsbürger aktuell nach der heutigen Rechtslage noch eine Verlustfeststellung getroffen werden könnte. Zu prüfen ist in diesen Übergangsfällen allein, ob die gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU noch aufrecht erhalten werden können. Auch gemeinschaftsrechtlich ist es nicht geboten, den mit der seit dem 01.05.2006 unmittelbar anwendbaren RL 2004/38/EG eingeführten erhöhten Ausweisungsschutz auch zu diesem Zeitpunkt bereits bestandskräftig ausgewiesenen Unionsbürgern zugute kommen zu lassen. Art. 28 RL 2004/38/EG bezieht sich auf Ausweisungen, nicht aber auf Befristungsentscheidungen. Die erhöhten Anforderungen nach dieser Vorschrift sind daher nur bei Ausweisungen/Verlustfeststellungen zu beachten, bei denen der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage nach dem 30.04.2006 liegt (vgl. EuGH, Urt. v. 04.10.2007 – Rs. C-349/06 [Polat] – Slg. 2007, I-08167 Rdn. 26 f. = InfAuslR 2007, 425 = NVwZ 2008, 59 = EZAR NF 19 Nr. 22, wobei der EuGH dort nach dem zugrundeliegenden Sachverhalt bei Beachtung seiner eigenen Rechtsprechung zum maßgeblichen Zeitpunkt wohl zu einer Anwendbarkeit der RL 2004/38/EG hätte kommen müssen). Nichts anderes ergibt sich aus Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG. Nach dieser Vorschrift können ausgewiesene Unionsbürger nach einem angemessenen Zeitraum, jedenfalls aber drei Jahre nach Vollstreckung des nach Gemeinschaftsrecht ordnungsgemäß erlassenen Aufenthaltsverbots dessen Aufhebung unter Hinweis darauf beantragen, dass eine „materielle Änderung der Umstände eingetreten ist, die das Aufenthaltsverbot gerechtfertigt haben“. Mit einer „materiellen Änderung der Umstände“ sind Änderungen des Sachverhalts, nicht hingegen Rechtsänderungen gemeint. Sowohl im ursprünglichen wie auch im geänderten Kommissionsvorschlag hieß es „Änderung des Sachverhalts“ (vgl. KOM (2001) 257 endg. und KOM (2003) 199 endg., jeweils Art. 30 Abs. 2). Die schließlich verabschiedete Formulierung findet sich erstmals im Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 6/2004 (ABl. EG C 54E/12 <23>). Zur Begründung heißt es dort, die Abänderungen machten den Text klarer. Zwar trifft das Gegenteil zu, doch ergibt sich aus den Materialien jedenfalls, dass nur eine redaktionelle Änderung beabsichtigt war. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach eine Gefährdungsprognose auf neuer Tatsachenbasis zu treffen ist, steht daher auch mit Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG im Einklang.
46 
d) Auch aus Nr. 1.5 der Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums über die Bemessung der Sperrwirkung bei Befristungsentscheidungen nach § 8 Abs. 2 AuslG vom 25.01.2002 - Az.: 1362/129 - (VwV Befristung), die nach Auskunft des Beklagten bei der Ausübung des Befristungsermessens nach wie vor zugrunde gelegt wird, ergibt sich - i.V.m. Art. 3 GG - keine Ermessensreduzierung auf Null in dem Sinne, dass der Kläger einen Anspruch auf sofortige Befristung hätte. Dort heißt es:
47 
„Es ist zu prüfen, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung noch Gründe vorliegen, die eine Einschränkung des Freizügigkeitsrechts nach § 12 AufenthG/EWG und dem zugrunde liegenden Gemeinschaftsrecht rechtfertigen. Liegen solche Gründe nicht mehr vor, darf die Befristung nicht von der vorherigen Ausreise des Betroffenen abhängig gemacht werden, so dass dem Betroffenen ein Anspruch auf sofortige Befristung zusteht.“
48 
Diese Verwaltungsvorschrift kann lediglich über eine gleichbleibende Verwaltungspraxis nach Art 3 Abs. 1 GG Außenwirkung zugunsten des Ausländers haben. Sie ist somit entsprechend dem wirklichen Willen des Erklärenden (hier: der obersten Landesbehörde) und ihrer tatsächlichen Handhabung auszulegen und anzuwenden, so dass der Wortlaut der Verwaltungsvorschrift erst über die ihm folgende ständige Verwaltungspraxis Außenwirkung für den Ausländer entfaltet (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.09.2000 - 1 C 19.99 - BVerwGE 112, 63 = InfAuslR 2001, 70; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.04.2002 - 13 S 314/02 - ESVGH 52, 200). In der Verwaltungspraxis wird diese Verwaltungsvorschrift nach Auskunft des Beklagten nicht in dem Sinne angewandt, dass bei einer Altausweisung, die den heutigen Anforderungen des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU nicht entspricht, stets eine Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt vorzunehmen ist. Dies gelte nur im Durchschnittsfall, sofern „keine weiteren negativen Aspekte gegen den EU-Bürger in das Ermessen eingestellt werden müssen“. Im Übrigen hätten die Neuregelungen des § 6 FreizügG/EU erhebliche Auswirkungen auf den Umfang des noch verbleibenden Ermessens, führten aber nicht zu einer Ermessensreduzierung auf Null. Vorliegend ist zu Lasten des Klägers insbesondere seine unbewältigte Drogenproblematik in das Ermessen einzustellen, so dass eine Ermessensreduzierung auf Null im Hinblick auf die tatsächliche Handhabung der VwV Befristung ausscheidet.
49 
e) Zutreffend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass der Kläger die in dem gerichtlichen Vergleich vom 20.02.2002 für eine Befristung der Ausweisung vorgesehenen Bedingungen nicht erfüllt hat und daher aus diesem Vergleich keinen Anspruch auf sofortige Befristung ableiten kann.
50 
f) Aus Art. 8 EMRK folgt ebenfalls keine zu einem Anspruch auf sofortige Befristung führende Ermessensreduzierung auf Null.
51 
Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens. Ein Eingriff in diese Rechte ist nach Abs. 2 der Vorschrift nur statthaft, soweit er gesetzlich vorgesehen ist, ein legitimes Ziel verfolgt und zur Erreichung dieses Ziels notwendig ist. Die Wirkungen der Ausweisung dürfen angesichts des Schutzgebots des Art. 8 EMRK nicht länger aufrecht erhalten werden, wenn von dem Ausländer keine konkrete und entsprechend schwere Gefahr für ein wichtiges Schutzgut mehr ausgeht und demgemäß die mit seiner Anwesenheit verbundene Beeinträchtigung von Belangen der Bundesrepublik Deutschland nicht so gewichtig ist, dass sie die Beeinträchtigung seiner Rechte auf Achtung des Privat- und/oder Familienlebens eindeutig überwiegt.
52 
aa) Der Schutzbereich von Art. 8 EMRK umfasst neben weiteren hier nicht einschlägigen Gewährleistungen zum einen das Familienleben, zum anderen das Privatleben. Vorliegend ist nicht der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens, wohl aber der des Rechts auf Achtung des Privatlebens eröffnet: Bei Beziehungen zwischen nahen Verwandten außerhalb der klassischen Kleinfamilie kommt es darauf an, ob die tatsächlich bestehenden Bindungen hinreichend für die Annahme einer familiären Beziehung sind. Beziehungen zwischen Erwachsenen unterliegen nicht notwendig dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung des Familienlebens. Es müssen besondere zusätzliche Aspekte der Abhängigkeit hinzutreten, die weiter reichen als normale affektive Beziehungen (EGMR, Urt. v. 17.04.2003 - Nr. 52853/99 [Yilmaz] - NJW 2004, 2147 Rn. 44 m.w.N.; Urt. v. 15.07.2003 - Nr. 52206/99 [Mokrani] - InfAuslR 2004, 183; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Aufl., § 22 Rn. 18 m.w.N.). Art. 8 EMRK vermittelt insoweit keinen weitergehenden Schutz als Art. 6 GG bei familiären Beziehungen unter Volljährigen. Die Beziehung des volljährigen Klägers zu seiner Mutter und zu seiner Schwester unterfallen danach nicht dem Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens. Anhaltspunkte für ein besonderes Angewiesensein des Klägers auf ein Zusammenleben mit seiner Mutter und/oder seiner Schwester sind nicht dargelegt worden und auch nicht ersichtlich. Gleiches gilt im Ergebnis für die Beziehung des Klägers zu seiner Verlobten. Zwar ist für das Vorliegen einer Familie i.S.v. Art. 8 EMRK nicht in jedem Fall notwendig, dass zwei Personen ihre Beziehung rechtlich formalisiert haben. Der EGMR unterscheidet nicht zwischen einer „ehelichen“ und einer „nichtehelichen“ Familie, sondern stellt auf ein tatsächlich bestehendes Familienleben ab, welches er aber grundsätzlich nur dann bejaht, wenn aus einer nichtehelichen Partnerschaft Kinder hervorgegangen sind (vgl. EGMR, Urt. v. 13.06.1979 [Marcks] - NJW 1979, 2449; Urt. v. 18.12.1986 - 6/1985/92/139 [Johnston u.a.] - EuGRZ 1987, 313; Urt. v. 26.05.1994 - 16/1993/411/490 [Keegan] - NJW 1995, 2153; Urt. v. 13.07.2000 - 25735/94 [Elsholz] - NJW 2001, 2315; Urt. v. 12.07.2001 - 25702/94 [K. u. T.] - NJW 2003, 809). Danach ist der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens auch insoweit nicht berührt.
53 
bb) Unzweifelhaft stellt die Ausweisung, die nach der nunmehr erfolgten Befristung ihrer Wirkungen ein vierjähriges Aufenthaltsverbot im Bundesgebiet zur Folge hat, einen Eingriff in das Recht des Klägers auf Achtung seines Privatlebens dar. Dieser Eingriff verfolgt indes legitime Ziele im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK, nämlich die Aufrechterhaltung der Ordnung und die Verhinderung von strafbaren Handlungen. Er ist darüber hinaus notwendig zur Erreichung dieser Ziele. Ein Eingriff ist nach der Rechtsprechung des EGMR notwendig, wenn ein dringendes soziales Bedürfnis besteht und er verhältnismäßig zum legitimen Ziel ist (Urt. v. 22.04.2004 - Nr. 42703/98 [Radovanovic] - InfAuslR 2004, 374). Es muss ein gerechter Ausgleich getroffen werden zwischen dem Recht des Klägers auf Achtung des Privatlebens auf der einen und den Interessen der öffentlichen Sicherheit und der Verhinderung von Straftaten auf der anderen Seite. Erforderlich ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Beachtung der vom EGMR entwickelten Kriterien, die im Wesentlichen in den Entscheidungen Boultif und Üner zusammengefasst worden sind (EGMR, Urt. v. 02.08.2001 - Nr. 54273/00 [Boultif] - InfAuslR 2001, 476; Urt. v. 05.07.2005 - Nr. 46410/99 [Üner] - InfAuslR 2005, 450 = DVBl 2006, 688). Nach diesen Entscheidungen sind zu berücksichtigen die Art und Schwere der begangenen Straftaten, die Dauer des Aufenthalts in dem Staat, aus dem der Betreffende ausgewiesen werden soll, die seit Begehen der Straftat vergangene Zeit und das Verhalten des Betroffenen seit der Tat, die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten, die familiäre Situation des Betroffenen und gegebenenfalls die Dauer seiner Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben hinweisen, ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte, ob der Verbindung Kinder entstammen und schließlich die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das der Betroffene ausgewiesen werden soll. Von Bedeutung ist ferner das Interesse und Wohl der Kinder sowie die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland oder zum Bestimmungsland. Bei Ausweisungen von Immigranten der zweiten Generation, zu denen der Kläger gehört, berücksichtigt der EGMR neben den genannten allgemeinen Kriterien die besonderen Bindungen, die diese Personen mit dem Aufenthaltsstaat eingegangen sind, in dem sie ihre Erziehung erhalten, den Großteil ihrer sozialen Kontakte geknüpft und folglich ihre eigene Identität entwickelt haben (EGMR, Urt. v. 26.09.1997 - 85/1996/704/896 [Mehemi] - InfAuslR 1997, 30 = NVwZ 1998, 164; Urt. v. 21.10.1997 - 122/1996/741/940 [Boujlifa] - InfAuslR 1998, 1). Demgemäß erachtet es der EGMR neben der Intensität der Bindung und dem Alter des Ausgewiesenen für maßgeblich, welche Sprache der Ausgewiesene spricht und ob es Verwandte oder andere soziale Beziehungen im Herkunftsstaat bzw. umgekehrt familiäre Bindungen oder Verwandte im Aufenthaltsstaat gibt (EGMR, Entsch. v. 04.10.2001 - 43359/98 [Adam] - EuGRZ 2002, 582 = NJW 2003, 2595).
54 
Daran gemessen gebietet Art. 8 Abs. 2 EMRK es nicht, von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen und die Wirkungen der Ausweisung auf sofort zu befristen:
55 
(1) Negativ fallen zunächst Art und Schwere der begangenen Straftaten ins Gewicht. Die vom Kläger zuletzt begangenen Einbruchdiebstähle, die zur Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten geführt haben, sind der mittleren Kriminalität zuzuordnen. Erschwerend ist zu berücksichtigen, dass es sich nicht um Jugendverfehlungen gehandelt hat und dass die Taten gewerbsmäßig begangen wurden. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass es sich „nur“ um Eigentumsdelikte ohne Gewaltanwendung gegenüber Personen gehandelt hat. Der Senat verkennt nicht, dass der EGMR bei derartigen Delikten vereinzelt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte aus Art. 8 Abs. 1 EMRK angenommen hat: In der Sache Beljoudi (Urt. v. 26.03.1992 - 55/1990/246/317 - InfAuslR 1993, 86) war der dortige algerische Beschwerdeführer wegen einer Vielzahl von Diebstahlsdelikten zu Freiheitsstrafen von insgesamt 12 Jahren und 5 Monaten verurteilt worden. Der EGMR sah seine Ausweisung aus Frankreich gleichwohl als unverhältnismäßig an. Der Fall ist allerdings durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass der Beschwerdeführer in Frankreich als Kind damals französischer Eltern geboren war und selbst die französische Staatsangehörigkeit nur deshalb verloren hatte, weil seine Eltern es versäumt hatten, innerhalb einer bestimmten Frist eine Beibehaltungserklärung abzugeben. Zudem war der Beschwerdeführer seit mehr als 20 Jahren mit einer Französin verheiratet. In der Sache Jakupovic (Urt. v. 06.02.2003 - Nr. 36757/97 - InfAuslR 2004, 184) ging es um Jugendstraftaten; zudem war für den EGMR entscheidend, dass der Beschwerdeführer im Alter von 16 Jahren alleine in das zum Zeitpunkt der Ausweisung noch von den Folgen des Bürgerkriegs geprägte Bosnien-Herzegowina abgeschoben werden sollte. Diesen Entscheidungen, die jeweils einige hier nicht vorliegende Besonderheiten aufweisen, lässt sich nach Auffassung des Senats nicht entnehmen, dass Einwanderer der zweiten Generation wegen Eigentumsdelikten grundsätzlich nicht ausgewiesen werden dürften, wenn bei ihnen - wie bei dem Kläger - die Gefahr der Begehung weiterer, gleichartiger Straftaten besteht.
56 
Bei der Würdigung der Vorgeschichte und des Nachtatverhaltens fällt negativ ins Gewicht, dass der Kläger sich die Verurteilung zu Jugendstrafen und die Ausweisung nicht hat zur Warnung dienen lassen und selbst die ihm in dem aufenthaltsrechtlichen Bewährungsvergleich im Februar 2002 eingeräumte Chance nicht genutzt hat, künftig ein straffreies Leben zu führen. Dass er seit der letzten Verurteilung keine weiteren Straftaten begangen hat, kann ebenfalls nicht zu seinen Gunsten gewertet werden, weil er die zuletzt verhängte Freiheitsstrafe immer noch verbüßt und daher noch keine Gelegenheit hatte, sich in Freiheit zu bewähren. Negativ schlägt auch die unbewältigte Drogenproblematik zu Buche, wenngleich insoweit die Therapiebereitschaft zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen ist.
57 
(2) Zu Gunsten des Klägers fällt ins Gewicht, dass er in Deutschland geboren und aufgewachsen ist und dementsprechend auch seine Schulzeit im Bundesgebiet verbracht hat. Des Weiteren ist von Bedeutung, dass seine Mutter inzwischen Deutsche ist. Gleichwohl ist - gemessen an der Aufenthaltsdauer - der Grad der Integration im Bundesgebiet nicht besonders ausgeprägt: Der Kläger hat weder einen Schulabschluss erlangt noch verfügt er über eine Berufsausbildung. Soweit er einer Erwerbstätigkeit nachging, handelte es sich um Aushilfstätigkeiten. Mehrfach hat er ein Arbeitsverhältnis von sich aus beendet. Besondere Integrationsleistungen (beispielsweise Aktivitäten in Parteien oder Vereinen, Teilnahme am gesellschaftlichen/kulturellen Leben) sind nicht feststellbar. Um eine Einbürgerung hat sich der Kläger offenbar nie bemüht. Er hat noch keine eigene Familie gegründet, sondern ist lediglich mit einer Deutschen verlobt. Von einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung kann derzeit nicht ausgegangen werden, so dass Art. 6 GG und Art. 8 EMRK in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung des Familienlebens insoweit keine Vorwirkung entfalten. Die Trennung von der Verlobten, die nach den Angaben des Klägers nicht bereit wäre, ihn nach Italien zu begleiten, stellt allerdings einen gravierenden Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens dar.
58 
(3) Bei der Würdigung des Grades der Entwurzelung im Herkunftsstaat ist zunächst davon auszugehen, dass der Kläger jedenfalls noch über Grundkenntnisse der italienischen Sprache verfügt. Ihm kann nicht geglaubt werden, dass in seiner Familie, insbesondere mit den Großeltern, ausschließlich deutsch gesprochen wurde. Auch wenn der Kläger, was der Senat ihm glaubt, über keine familiären Bindungen und sonstigen sozialen Kontakte nach Italien verfügt, ist zu berücksichtigen, dass die Kulturdifferenz zu Italien nicht besonders groß ist und die Lebensverhältnisse in Italien, welches ebenfalls Mitglied der EU und als führende Wirtschaftsmacht Mitglied der G8 ist, sich von denen in Deutschland nicht grundlegend unterscheiden. Die Schwierigkeiten, mit denen der Kläger dort konfrontiert wird, sind nicht unüberwindbar. Sie sind ihm als Mann im arbeitsfähigen Alter zuzumuten. Dass er in der Lage ist, seine rudimentären Italienischkenntnisse nötigenfalls auszubauen, hat er bereits durch die vorübergehende Teilnahme an einem Italienischkurs in der Strafhaft unter Beweis gestellt. Im Übrigen ist zu bedenken, dass der Kläger zur Ausübung einer der von ihm angestrebten Tätigkeit in einer Pizzeria in ... vergleichbaren Tätigkeit in Italien - selbst wenn man die Möglichkeit, eine solche in überwiegend deutschsprachigen Gebieten Südtirols zu suchen, außer Acht lässt - keiner vertieften Italienischkenntnisse bedarf.
59 
(4) Schließlich ist im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen, dass der Kläger infolge der ausgesprochenen Befristung eine konkrete Rückkehrperspektive hat. Als Unionsbürger kann er nach Ablauf der Frist bei Erfüllung der der Befristungsentscheidung beigefügten Bedingungen unter Berufung auf sein Freizügigkeitsrecht aus Art. 18 EG wieder in das Bundesgebiet einreisen. Diese Bedingungen sind rechtlich nicht zu beanstanden. Sie dienen dem Zweck des Verwaltungsakts in der Hauptsache, indem sie sicherstellen, dass der spezialpräventive Ausweisungszweck bei Wirksamwerden der Befristung erfüllt ist und von dem Kläger keine erhebliche Gefahr mehr ausgeht. Die Bedingung der Straffreiheit ist allerdings entsprechend den für die Verlustfeststellung bei Unionsbürgern geltenden Maßstäben einschränkend dahingehend auszulegen, dass nur solche Straftaten schädlich sind und den Eintritt der Bedingung hindern, die die weitere Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen. Bei einer solchen Auslegung sind die Bedingungen mit § 36 Abs. 3 LVwVfG vereinbar. Auch Gemeinschaftsrecht steht den Bedingungen nicht entgegen. Aus Art. 32 Abs. 1 RL 2004/38/EG folgt lediglich ein Bescheidungsanspruch; inhaltliche Vorgaben für die Befristung des Aufenthaltsverbots finden sich dort nicht. Auch dem primären Gemeinschaftsrecht lässt sich nicht entnehmen, dass bei Fortbestehen einer qualifizierten Wiederholungsgefahr gleichwohl die Wirkungen einer Ausweisung befristet werden müssten.
60 
5. Der Befristungsbescheid vom 26.07.2006 ist aber gleichwohl rechtswidrig, weil er an einem beachtlichen Verfahrensfehler und an Ermessensfehlern leidet. Der Kläger hat daher auf seinen als Minus im Verpflichtungsantrag enthaltenen Bescheidungsantrag einen Anspruch auf Aufhebung dieses Bescheides und auf Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
61 
a) Zwar war, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, Art. 9 der RL 64/221/EWG nicht zu beachten, weil zum einen diese Vorschrift auf Befristungsentscheidungen nicht anwendbar war und zum anderen die Richtlinie 64/221/EWG durch Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG mit Wirkung vom 30.04.2006 aufgehoben wurde.
62 
b) Ein beachtlicher Verfahrensfehler liegt jedoch darin, dass das Regierungspräsidium vor Erlass des angefochtenen Verwaltungsakts die nach § 28 Abs. 1 LVwVfG gebotene Anhörung unterlassen hat. Diese war weder nach § 28 Abs. 2 LVwVfG noch nach § 82 AufenthG entbehrlich und der Anhörungsmangel ist auch nicht geheilt worden.
63 
aa) Eine Anhörung war nicht nach § 28 Abs. 2 LVwVfG entbehrlich. In Betracht zu ziehen ist insoweit allein der Tatbestand des § 28 Abs. 2 Nr. 3 LVwVfG, dessen Voraussetzungen jedoch nicht vorliegen. Nach dieser Vorschrift kann von der Anhörung abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, insbesondere wenn von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll. Diese Regelung betrifft die Fälle einer Entscheidung auf Grund eigener Angaben eines Beteiligten. Die Anhörung wird hier durch die eigenen Angaben des Betroffenen gewissermaßen vorweggenommen. Die Vorschrift ist jedoch einschränkend auszulegen: Eigene Angaben können eine Entscheidung ohne weitere Anhörung nur dann rechtfertigen, wenn nach Lage des konkreten Falles die Angaben des Beteiligten Entscheidungsgrundlage sind und die Möglichkeit auszuschließen ist, dass die Anhörung neue Gesichtspunkte ergeben könnte, die eine für den Antragsteller günstigere Entscheidung rechtfertigen könnten (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 28 Rn. 65). Diese Voraussetzungen liegen hier schon mit Blick auf den langen Zeitraum von nahezu zwei Jahren zwischen Antragstellung und Entscheidung nicht vor, der es nahelegt, dass zwischenzeitlich neue, bei Antragstellung noch nicht vorgetragene Umstände eingetreten sind, die für die Entscheidung erheblich sein können.
64 
bb) Die Anhörung war auch nicht im Hinblick auf § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG entbehrlich. Dabei kann offen bleiben, ob diese Vorschrift, auf die in § 11 Abs. 1 FreizügG/EU nicht verwiesen wird, auf den Kläger als Unionsbürger überhaupt anwendbar ist. Denn auch wenn man davon ausgeht, dass § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auf den Kläger als infolge der bestandskräftigen Ausweisung derzeit nicht freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger über eine analoge Anwendung des § 11 Abs. 2 FreizügG/EU, der nach seinem Wortlaut eine Nichtbestehens- oder Verlustfeststellung voraussetzt, anwendbar ist, folgt hieraus nicht, dass von der Anhörung abgesehen werden konnte. Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist der Ausländer u.a. verpflichtet, seine Belange und für ihn günstige Umstände, soweit sie nicht offenkundig oder bekannt sind, unter Angabe nachprüfbarer Umstände unverzüglich geltend zu machen. Die sich aus § 24 Abs. 1 LVwVfG ergebende Pflicht der Behörde zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen wird damit für den Anwendungsbereich des AufenthG in gewisser Weise begrenzt, aber nicht aufgehoben. Die Verpflichtung aus § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist durch die Anlassbezogenheit beschränkt, verlangt also nicht die permanente Offenlegung der Verhältnisse gegenüber der Ausländerbehörde (Albrecht in Storr u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 82 AufenthG Rn. 5; ebenso bereits zu § 70 AuslG 1990 OVG NRW, Beschl. v. 01.02.2000 - 18 B 1120/99 - InfAuslR 2000, 279 = NVwZ 2000, 1445). Vorliegend durfte der Kläger danach davon ausgehen, dass das Regierungspräsidium, welches über den Befristungsantrag auf aktualisierter Tatsachengrundlage zu entscheiden hatte, ihm vor einer Entscheidung zumindest nach § 82 Abs. 1 Satz 2 AufenthG eine Frist zur Geltendmachung der für ihn günstigen Umstände setzen würde.
65 
cc) Der Anhörungsmangel ist auch nicht geheilt worden. Eine Heilung nach § 46 LVwVfG scheidet schon deshalb aus, weil es sich bei der Befristungsentscheidung hinsichtlich der Bemessung der Frist nicht um einen gebundenen Verwaltungsakt handelt. Eine Heilung nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 LVwVfG ist nicht erfolgt. Nach dieser Vorschrift ist der Verstoß gegen § 28 Abs. 1 LVwVfG unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung nachgeholt wird. Eine Heilung tritt allerdings nur insoweit ein, als die Anhörung formell ordnungsgemäß erfolgt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht werden kann (funktionelle Äquivalenz). Dies setzt u.a. voraus, dass die Ergebnisse der Anhörung von der zur Entscheidung in der Sache berufenen Behörde nicht nur zur Kenntnis, sondern auch zum Anlass genommen werden, die Entscheidung selbst kritisch zu überdenken (Kopp/Ramsauer, a.a.O. § 45 Rn. 26). Nicht ausreichend ist die Anhörung durch das Gericht; sie stellt keine Nachholung durch die Behörde dar und führt deshalb nicht zur Heilung (Kopp/Ramsauer, a.a.O. § 45 Rn. 27). Nach diesen Maßstäben hat vorliegend keine Nachholung der Anhörung, die nach § 45 Abs. 2 LVwVfG bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat möglich gewesen wäre, stattgefunden. Es genügt nicht, dass der Kläger sich im Klageverfahren geäußert und das Regierungspräsidium dies zur Kenntnis genommen hat.
66 
c) Ein Ermessensfehler liegt darin, dass der Beklagte im Befristungsbescheid infolge des Anhörungsmangels bei Abwägung der gegenläufigen Interessen von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist, der eine rechtliche Fehlgewichtung zu Folge hat. Er hat die lediglich rudimentären italienischen Sprachkenntnisse des Klägers, seine vollständig fehlenden Bindungen nach Italien sowie die Beziehung zu seiner deutschen Verlobten infolge der unterbliebenen Anhörung nicht berücksichtigt und damit zu berücksichtigende wesentliche Gesichtspunkte bei der Ermessensausübung außer Acht gelassen.
67 
d) Ermessensfehlerhaft ist es des Weiteren, dass die Dauer der Haftstrafe, die Anlass für die Ausweisung war, maßgeblich in die Bemessung der Sperrfrist eingeflossen ist. Im Rahmen der bei Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU vorzunehmenden Prüfung, ob die Aufrechterhaltung der Sperrwirkungen gemessen an § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU heute (noch) gerechtfertigt ist, ist die Dauer der Haftstrafen, die zur Ausweisung geführt haben, nur von begrenzter Aussagekraft. Inwieweit sich hier aus der 1998 erfolgten Verurteilung des Klägers zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten Rückschlüsse auf die aktuell von dem Kläger ausgehenden Gefahren ziehen lassen, ist nicht ersichtlich und wird auch in der angefochtenen Verfügung nicht erläutert. Die Begründung erschöpft sich insoweit in einem Hinweis auf die VwV Befristung und auf die Praktikabilität einer solchen Vorgehensweise.
68 
Nach 1.2.1 der vom Regierungspräsidium angewandten VwV Befristung wird bei der Berechnung des Befristungsrahmens das festgesetzte Strafmaß berücksichtigt. Zur Begründung heißt es dort, dies sei gerechtfertigt, weil sich die Strafbemessung des Strafrichters gemäß § 46 StGB nach der Schwere der Schuld des Täters richte. Nach dieser Vorschrift ist - im Erwachsenenstrafrecht - die Schuld des Täters Grundlage für die Strafzumessung. Das bedeutet, dass die Strafe zwar nicht allein nach der Schuld zu bemessen ist, wohl aber, dass die Schuld der Faktor ist, dem bei der Zumessung das größte Gewicht zukommt (vgl. Fischer, StGB, 55. Aufl., § 46 Rn. 19 m.w.N.). Bei der Befristungsentscheidung sind demgegenüber die mit der Ausweisung verfolgten präventiven Zwecke maßgeblich. Die Behörde hat auf der Grundlage einer aktualisierten Tatsachenbasis die Frist nach dem mutmaßlichen Eintritt der Zweckerreichung zu bemessen (BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21.07 - a.a.O.). Die Berücksichtigung des Strafmaßes bei der Bemessung der Frist ist danach grundsätzlich sachwidrig. Das Strafmaß gibt zwar Anhaltspunkte für die Schwere des Delikts und kann mittelbar je nach Art der Straftat Anlass sein, bei besonders gefährlichen Delikten geringere Anforderungen an den Grad der Wiederholungsgefahr zu stellen. Es indiziert aber grundsätzlich keine fortdauernde Wiederholungsgefahr. So ist es denkbar, dass ein Täter wegen einer singulären Einzeltat auf Grund der Schwere des Delikts und der Schuld zu einer hohen Freiheitsstrafe verurteilt wird, von ihm aber gleichwohl nur eine geringe Wiederholungsgefahr ausgeht.
69 
Diese Überlegungen gelten uneingeschränkt nur für das Erwachsenenstrafrecht. Die Jugendstrafe ist demgegenüber nicht primär Schuldstrafe, sondern Erziehungsstrafe. Der Richter verhängt gemäß § 17 Abs. 2 JGG Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist. Wird die Jugendstrafe nicht mit der Schwere der Schuld, sondern mit schädlichen Neigungen begründet, so hat dies eine starke Indizwirkung auch für die im Ausweisungsrecht zu prüfende Wiederholungsgefahr. Erfolgt etwa zeitnah nach der Verurteilung zu einer Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen eine Ausweisung, so wird es in der Regel nicht zu beanstanden sein, wenn die Ausländerbehörde aus der Verurteilung auf eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung gleichartiger Delikte schließt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Indizwirkung eines solchen Strafurteils nicht durch zwischenzeitliche Vollstreckungsentscheidungen (vgl. § 88 JGG) in Frage gestellt ist. Im Befristungsverfahren liegt allerdings typischerweise - wie auch hier - die strafgerichtliche Verurteilung lange zurück und erlaubt schon aufgrund dessen keinen Schluss auf eine aktuelle Wiederholungsgefahr. Vorliegend ist die Heranziehung des Strafmaßes der 1998 verhängten Jugendstrafe daher sachwidrig. Sachgerecht wäre es demgegenüber, die jüngsten Strafvollstreckungsentscheidungen - hier die Beschlüsse des LG ... vom 21.09.2007, 20.03.2008 und 10.04.2008 sowie den Beschluss des OLG Karlsruhe vom 23.11.2007 - heranzuziehen und zu würdigen.
70 
e) Diese Ermessensfehler sind nicht nach § 114 Satz 2 VwGO geheilt worden. Voraussetzung für die Zulässigkeit der Ergänzung von Ermessenserwägungen nach § 114 Satz 2 VwGO ist u.a., dass durch die Ergänzung der Verwaltungsakt nicht in seinem gewollten Wesen oder Ausspruch verändert wird. Eine Wesensänderung ist anzunehmen, wenn sich durch die Ergänzung der Streitstoff ändert. Damit sind nur unwesentliche Korrekturen als zulässig anzusehen (Kuntze in Bader u.a., VwGO, 4. Aufl., § 114 Rn. 54; Nds. OVG, Beschl. v. 26.04.2007 - 5 ME 122/07 - juris). Nicht zulässig ist der Austausch maßgeblicher oder tragender Erwägungen (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 113 Rn. 72; Rennert in Eyermann, VwGO, 12. Aufl., § 114 Rn. 89; Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 114 Rn. 208). Es ist ein strenger Maßstab anzulegen, da die Ergänzung nur zur Aufrechterhaltung der getroffenen Entscheidung möglich ist und ohnehin eine Tendenz bestehen kann, eine getroffene Entscheidung zu halten, d.h. bei der Abwägung nicht frei und unvoreingenommen zu sein (Kuntze, a.a.O. Rn. 55). Daran gemessen wäre hier eine - im Übrigen nicht erfolgte - Ergänzung unzulässig gewesen, da infolge der unterbliebenen Anhörung gerade eine neue Ermessensbetätigung unter Einstellung der außer Acht gelassen, wesentlichen Gesichtspunkte geboten ist.
71 
f) Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass es für eine fehlerfreie Ermessensentscheidung geboten sein dürfte, die Strafvollstreckungsakten und die Gefangenenpersonalakten beizuziehen (vgl. - zur Ausweisung - Discher in GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. AufenthG Rn. 1261.1 m.w.N. und - zur Heranziehung der Strafakten - BVerfG, Beschl. v. 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - NVwZ 2007, 1300 = InfAuslR 2007, 443).
II.
72 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
73 
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
74 
Beschluss vom 23. Juli 2008
75 
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
76 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Rechtskräftige Urteile binden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist,

1.
die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger und
2.
im Fall des § 65 Abs. 3 die Personen, die einen Antrag auf Beiladung nicht oder nicht fristgemäß gestellt haben.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Tenor

Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Kläger die auf Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichtete Klage zurückgenommen hat.

Im Übrigen wird der Bescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 17.07.2007 aufgehoben.

Das beklagte Land wird verpflichtet, die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Freiburg vom 22.01.1999 und seinen Widerspruchsbescheid vom 11.02.1999 zurückzunehmen.

Der Kläger trägt 1/4, das beklagte Land trägt 3/4 der Kosten des Verfahrens.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Verpflichtung des beklagten Landes zur Rücknahme seiner Ausweisung, deren Rechtswidrigkeit wegen Verstoßes gegen Art. 8 EMRK der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte festgestellt hat.
Der 1961 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er reiste 1972 zu seinen Eltern ins Bundesgebiet nach, die sich dort seit 1970 als türkische Arbeitnehmer aufhielten. Ihm wurden Aufenthaltserlaubnisse erteilt. Zuletzt war er im Besitz einer ihm am 14.03.1988 erteilten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. 1984 hatte er eine türkische Staatsangehörige geheiratet, mit der er 1986 einen Sohn bekam. Sie folgte ihm mit dem Sohn 1989 nach Deutschland. In den Jahren 1990, 1991 und 1993 wurden in Deutschland drei weitere gemeinsame eheliche Söhne geboren. Alle Familienmitglieder sind türkische Staatsangehörige, die Ehefrau des Klägers besitzt ihrerseits eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.
Nachdem der Kläger 1983 eine ausländerrechtliche Verwarnung im Hinblick auf frühere Verurteilungen erhalten hatte und in den Jahren 1989 bis 1996 wegen Beleidigung, Körperverletzung, Widerstand und mehrfacher Trunkenheit im Verkehr zu Geld- bzw. zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafen verurteilt worden war, wurde er vom Amtsgericht LXXXXX am 11.02.1998 zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, die er nach seiner Festnahme am 17.09.1998 und nach dem Widerruf einer früheren auf Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von weiteren vier Monaten verbüßte.
Vor seiner Festnahme war er aufgrund eines am 27.09.1998 unbefristet geschlossenen Arbeitsvertrags bei einer Personalleasingfirma in XXXXX beschäftigt. Vor diesem Hintergrund wies ihn das Regierungspräsidium Freiburg mit Bescheid vom 22.01.1999 aus dem Bundesgebiet aus, ohne diese Ausweisung zugleich zu befristen. Sein dagegen erhobener Widerspruch wurde vom Regierungspräsidium mit Bescheid vom 11.02.1999 zurückgewiesen.
Nachdem das Verwaltungsgericht einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die Ausweisung mit Beschluss vom 20.04.1999 (9 K 174/99) abgelehnt hatte, wurde der Kläger am 03.05.1999 in die Türkei abgeschoben. Bereits am 21.05.1999 reiste er wieder ins Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag.
Mit Urteil vom 02.11.1999 (9 K 307/99) wies das Verwaltungsgericht Freiburg seine Klage gegen die Ausweisungsverfügung ab. Sein Antrag auf Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil wurde vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Beschluss vom 28.05.2001 (11 S 2940/99) abgelehnt. Die beiden Gerichtsentscheidungen bestätigten die vom Regierungspräsidium mit der Ausweisungsverfügung getroffene Einschätzung, dass dem Kläger zwar ein besonderer Ausweisungsschutz zustehe und deshalb die Ausweisung nur nach Ermessen verfügt werden könne, dass jedoch im Rahmen der Ermessensabwägung das öffentliche Interesse an Abwehr der vom Kläger nach wie vor ausgehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesondere im Straßenverkehr und deren Abwehr durch seine Ausweisung sein privates Interesse am weiteren Verbleib im Bundesgebiet, in dem er seit 27 Jahren legal lebte, überwiege. Art. 6 GG und Art. 8 EMRK seien nicht verletzt, da seine Frau und Kinder türkische Staatsangehörige seien, die die türkische Sprache sprechen und mit der türkischen Mentalität vertraut seien, so dass ihnen die Wiederherstellung der Familieneinheit mit ihm in der Türkei zumutbar sei. Im Übrigen bestehe die Möglichkeit, im Wege der nachträglichen Befristung die Wirkung der Ausweisung einzuschränken, wenn der Kläger durch längeren Aufenthalt außerhalb der Bundesrepublik bewiesen habe, dass er sich künftig rechtstreu verhalten werde. Da das Arbeitsverhältnis des Klägers durch seine Inhaftierung unterbrochen worden sei, gehöre er seit der Inhaftierung nicht mehr dem regulären Arbeitsmarkt der Bundesrepublik an und zwar aus allein von ihm zu vertretenden Gründen, so dass er sich nicht auf besonderen Ausweisungsschutz nach Art. 14 des ARB I/80 berufen könne. Selbst wenn sein Arbeitsverhältnis trotz der Inhaftierung weiter bestehen würde und er zum privilegierten Personenkreis nach Art. 6 Abs. 1 ARB I/80 zähle, wäre seine Ausweisung zulässig. Selbst wenn man im günstigsten Fall eine Möglichkeit des Klägers sehe, sich über Art. 14 ARB 1/80 auf die eine Ausweisung einschränkenden Bestimmungen des § 12 AufenthG/EWG zu berufen, lägen die hier für eine Ausweisung erforderlichen schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor.
Das Bundesverfassungsgericht nahm mit Beschluss vom 15.02.2002 (2 BvR 1155/01) eine Verfassungsbeschwerde des Klägers gegen den Ausweisungsbescheid, den Widerspruchsbescheid und das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg sowie den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg nicht zur Entscheidung an (Die Verfassungsbeschwerde vom 04.07.2001 wurde am 05.07.2001 ans Bundesverfassungsgericht per Fax übermittelt, allerdings ohne die Seite 8 des Verfassungsbeschwerdeschriftsatzes. Diese fehlende Seite 8 wurde erst nach dem 06.07.2001, und damit nach Ablauf der einmonatigen Verfassungsbeschwerdeschrift per Post nachgereicht - siehe die Stellungnahme des Verfahrensbevollmächtigten der Bundesregierung vom 24.01.2005 gegenüber dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - AS. 263 der den Befristungsantrag des Klägers betreffenden Akte des Regierungspräsidiums - vorgelegt im Verfahren 1 K 1672/07. Diese Darstellung der Bundesregierung, wonach der Schriftsatz unvollständig beim Bundesverfassungsgericht eingegangen sein soll, hatte der Kläger aber bestritten und unter Vorlage des Sendeberichts dargelegt, dass die Beschwerde einschließlich der Seite 8 beim Bundesverfassungsgericht eingereicht worden ist. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat deshalb später in seiner Entscheidung vom 27.10.2005 festgestellt (Rdnr. 41), dass keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die Beschwerde nicht formgerecht beim Bundesverfassungsgericht eingelegt worden sei.).
Am 16.05.2002 stellte der Kläger einen Antrag auf Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung, der vom Regierungspräsidium allerdings bis zum Ende des vom Kläger eingeleiteten und noch nicht abgeschlossenen Asylverfahrens zurückgestellt wurde.
Nachdem das Asylverfahren des Klägers rechtskräftig negativ beendet worden war (vgl. Urt. v. 07.05.2002 - A 10 K 11012/00 -) wurde der Kläger am 12.08.2003 ein zweites Mal - diesmal endgültig - in die Türkei abgeschoben, wo er sich seither in Istanbul in einfachsten Verhältnissen lebend aufhält.
10 
Am 19.12.2003 erinnerte der Kläger-Vertreter das Regierungspräsidium an die noch ausstehende Bescheidung seines Antrags vom 16.05.2002 auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung und stellte zugleich einen Antrag auf nachträgliche Befristung der Wirkung der Abschiebung. Zur Begründung führte er wie schon zuvor aus, das Grundrecht aus Art. 6 GG rechtfertige es, die Befristung auf einen möglichst nahen Zeitpunkt vorzunehmen. Wie schon im Antrag auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung verwies er auch darauf, dass für eine Befristung nicht nur die familiäre Situation des Klägers spreche, sondern auch der Umstand, dass er im Alter von 11 Jahren ins Bundesgebiet eingereist sei und damit einen wesentlichen Teil seiner Kindheit und Jugend im Bundesgebiet verbracht habe und deshalb hier in Deutschland geprägt worden sei.
11 
Mit Urteil vom 27.10.2005 (Individualbeschwerde Nr. 32231/02) stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auf eine Individualbeschwerde des Klägers hin fest, dass die Ausweisung des Klägers Regel 8 der EMRK verletze. In den Gründen der Entscheidung führt der Gerichtshof aus, die Ausweisung des Klägers an sich zwar möglich gewesen wäre, in Anbetracht der familiären Umstände, insbesondere der Art vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten, der Dauer seines rechtmäßigen Aufenthalts in Deutschland, der Tatsache, dass er eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis vor der Ausweisung besessen habe und der Schwierigkeiten, mit denen seine Kinder voraussichtlich konfrontiert wären, wenn sie ihm in die Türkei folgen würden, sei der Gerichtshof jedoch der Ansicht, dass eine "unbefristete Versagung der Wiedereinreise in das Bundesgebiet" die Rechte des Beschwerdeführers auf sein Privat- und Familienleben aus Art. 8 EMRK verletze.
12 
Mit Schriftsatz vom 23.12.2005 stellte daraufhin der Kläger-Vertreter beim Regierungspräsidium in Freiburg den Antrag, die Ausweisungsverfügung vom 22.01.1999 und den Widerspruchsbescheid vom 11.02.1999 aufzuheben und dem Kläger die unverzügliche Wiedereinreise ins Bundesgebiet zu gestatten, sowie ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
13 
Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 28.03.2006 befristete das Regierungspräsidium daraufhin die Wirkungen der Ausweisung vom 22.01.1999 und der Abschiebungen der Klägers vom 03.05.1999 und 12.08.2003 jeweils auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Entscheidung. Dieser Bescheid wurde dem Kläger-Vertreter am 03.04.2006 zugestellt.
14 
Am 03.05.2006 erhob der Kläger beim Verwaltungsgericht Freiburg (Untätigkeits-)Klage, mit der Begründung, über seinen Antrag auf Aufhebung des Ausweisungsbescheids und des entsprechenden Widerspruchsbescheids vom 28.03.2006 sei ohne zureichenden Grund immer noch nicht entschieden.
15 
Mit dem hier angegriffenen Bescheid vom 17.07.2007 lehnte das Regierungspräsidium Freiburg sowohl eine Rücknahme, als auch einen Widerruf der Ausweisungsverfügung vom 22.01.1999 und des Widerspruchsbescheids vom 11.02.1999 sowie den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab. Zur Begründung führte es aus, eine Rücknahme nach § 48 LVwVfG scheide aus, da die Ausweisung nicht rechtswidrig sei. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe in seiner Entscheidung lediglich festgestellt, dass die Ausweisung als solche möglich gewesen sei, jedoch im Hinblick auf eine fehlende Befristungsentscheidung deren Unverhältnismäßigkeit und damit Unvereinbarkeit mit Art. 8 EMRK festgestellt. Mittlerweile habe das Regierungspräsidium jedoch durch die nachträgliche Befristung die Sperrwirkung der Ausweisung beseitigt, so dass damit dem Urteil des Gerichtshofs genüge getan sei. Auch ein Widerruf nach § 49 LVwVfG scheide aus, denn ein Widerruf setze die noch andauernde Wirksamkeit des zu widerrufenden Verwaltungsakt vor. Daran fehle es jedoch hier, da der Ausweisungsbescheid in Folge seiner Befristung seine Wirksamkeit verloren habe und somit nicht widerrufen werden könne. Seit der Befristung der Ausweisungsverfügung durch den Bescheid vom 28.03.2006 auf den Zeitpunkt seiner Bekanntgabe enthalte die Ausweisung keine Wirkung mehr, da ein Widerruf ins Leere laufen würde. Schließlich sei auch die vom Kläger begehrte Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis durch das Regierungspräsidium abzulehnen, da das Regierungspräsidium für die Erteilung eines Visums oder einer Aufenthaltserlaubnis gar nicht zuständig sei.
16 
Im Schriftsatz vom 15.08.2007 hat der Kläger-Vertreter die Einbeziehung dieses Ablehnungsbescheids in das anhängige Untätigkeitsklageverfahren erklärt und die Aufhebung dieses Bescheids beantragt.
17 
Eine parallel dazu fünf Tage später gegen den Bescheid vom 17.07.2007 eigenständig erhobene Klage beim Verwaltungsgericht (1 K 1672/07) hat der Kläger nach Hinweis des Gerichts zurückgenommen. Die in diesem späteren Verfahren vom Regierungspräsidium vorgelegten Akten wurden zum hier vorliegenden Verfahren beigezogen.
18 
In der mündlichen Verhandlung am 26.09.2007 hat der Kläger seinen Antrag auf Aufhebung der Ziff. 3 des Bescheids vom 17.07.2007 und auf Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis mit Blick auf die fehlende Zuständigkeit des Regierungspräsidiums Freiburg für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zurückgenommen. Zur Begründung seiner im Übrigen aufrechterhaltenen Klage trägt er vor, nach Art. 46 EMRK gelte für die Bundesrepublik und damit für das Land Baden-Württemberg und seine Behörden eine Befolgungspflicht. Dem Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs hinsichtlich der Verletzung des Art. 8 EMRK durch die unbefristete Ausweisung des Klägers sei auch durch die nachträglich verfügte Befristung der Ausweisungswirkungen nicht ausreichend Rechnung getragen worden. Erforderlich sei vielmehr eine Rücknahme der vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof als rechtswidrig bezeichneten Ausweisungsverfügung. Durch die Ausweisung sei dem Kläger nämlich ab Wirksamkeit der Ausweisungsverfügung mit rechtsvernichtender Wirkung seine unbefristete Aufenthaltserlaubnis und damit sein Status genommen worden, den er als ARB 1/80-Arbeitnehmer vor der Ausweisung gehabt habe. Die bloße Befristung der Ausweisungswirkungen lasse diesen Status nach Ablauf der Frist nicht etwa wieder aufleben, sondern beseitige lediglich die Sperre für eine Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Insofern sei hier aber allenfalls eine Aufenthaltserlaubnis nach § 29 AufenthG zum Zwecke des Familiennachzugs zu dem hier nach wie vor im Bundesgebiet mit gesicherten Aufenthaltsstatus lebenden Familienangehörigen (Ehefrau und minderjährige Söhne) denkbar. Einen solchen Antrag auf Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Familienzusammenführung habe er schon vor mehr als einem Jahr gestellt. Die im zugehörigen Visumsverfahren für die Erteilung der Zustimmung zuständige Ausländerbehörde, nämlich die Stadt LXXXXX, habe jedoch bisher die Zustimmungserteilung unter Hinweis darauf verweigert, dass der Versagungsgrund der Sozialhilfebedürftigkeit des Klägers vorliege. Daran habe weder der Hinweis des Klägers darauf etwas ändern können, dass er erneut bei der Personalleasingfirma, bei der er vor seiner Ausreise gearbeitet habe, ein - diesmal allerdings nur befristetes Arbeitsverhältnis - eingehen könne, noch dass seine Ehefrau, die teilerwerbstätig sei und in diesem Zusammenhang 700,-- EUR brutto verdiene zuzüglich der früheren Kindergeldzahlungen, im Übrigen krankheitsbedingt teilerwerbsunfähig sei. Es genüge seiner Rechtsstellung und dem Schutz seines Privatlebens aus Art. 8 EMRK auch nicht, wenn er sich im Rahmen einer Wiedererteilung allein auf einen abhängigen Aufenthaltsanspruch zum Zwecke des Familiennachzugs verweisen lassen müsse. Immerhin habe er vor der Ausweisung 27 Jahre lang legal im Bundesgebiet gelebt und gearbeitet und dort seit seinem 11. Lebensjahr seine prägenden Jugend- und auch die anschließenden Erwachsenenjahre verbracht. Eine Gefahr gehe von ihm für die öffentliche Sicherheit nicht mehr aus.
19 
Der Kläger beantragt,
20 
den Bescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 17.07.2007 aufzuheben und das beklagte Land zu verpflichten, den Ausweisungsbescheid vom 22.01.1999 und den Widerspruchsbescheid vom 11.02.1999 aufzuheben.
21 
Das beklagte Land beantragt,
22 
die Klage abzuweisen.
23 
Es verweist darauf, dass der Entscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs mit der nachträglichen Befristung der Wirkungen der Ausweisung des Klägers ausreichend Rechnung getragen worden sei. Einen darüber hinausgehenden Anspruch auf Rücknahme der Ausweisungsverfügung habe der Kläger nicht. Er müsse sich darauf verweisen lassen, im Wege des Familiennachzugs eine Wiedererteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu erlangen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe bei seiner Entscheidung ausweislich der Ziff. 65 der Entscheidungsgründe durchaus die Befristungsregelung des Deutschen Ausländerrechts (damals noch § 8 Abs. 2 AuslG, heute gleichlautend § 11 AufenthG) im Blick gehabt, als er auf die erforderliche Befristung der Ausweisung hingewiesen habe. Im Übrigen könne sich der Kläger auch nicht nach  Art. 8 EMRK ganz unabhängig von seinen familiären Bildungen allein auf den Schutz seines Privatlebens und einen daraus abgeleiteten Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zwecks Wiedereinreise und Wiederanknüpfung an sein vor der Ausweisung im Bundesgebiet begründetes Leben berufen. Er sei nämlich erst im Alter von 11 Jahren ins Bundesgebiet gekommen, habe also gerade die prägenden frühen Kindheitsjahre nicht im Bundesgebiet verbracht, spreche nach wie vor Türkisch und sei auch der türkischen Mentalität noch ausreichend verhaftet. Schließlich habe er immer wieder über Jahre hinweg erhebliche Verkehrsstraftaten und Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit begangen und auch nicht ununterbrochen gearbeitet. Zudem sei auch seine Familie ausweislich der Ausführungen des Urteils des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs nicht alleine in Deutschland verwurzelt, sondern habe durch die türkische Sprache und Kultur sowie den Bezug der Ehefrau, die erst später zum Kläger nachgereist sei und zeitweise von ihm getrennt gelebt habe ihre Wurzeln auch in der Türkei.
24 
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Behördenakten (5 Hefte Akten des Regierungspräsidiums Freiburg) und der Gerichtsakte (1 Heft) verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
25 
Das Gericht entscheidet durch den Berichterstatter, nachdem sich die Beteiligten übereinstimmend mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 87a Abs. 2 u. 3 VwGO).
26 
Soweit der Kläger seine Klage gegen das Land Baden-Württemberg - Regierungspräsidium Freiburg - hinsichtlich der Verpflichtung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zurückgenommen hat, ist das Verfahren einzustellen (§ 92 Abs. 3 VwGO).
27 
Im Übrigen ist die Klage auf Aufhebung des Bescheids des Regierungspräsidiums Freiburg vom 17.07.2007 (Ziff. 1 u. 2 des Bescheids) und auf Verpflichtung des Regierungspräsidiums zur Aufhebung (Rücknahme) des Ausweisungsbescheids vom 22.01.1999 und (deklaratorisch) der Aufhebung des entsprechenden Widerspruchsbescheids vom 11.02.1999 zulässig und begründet.
28 
Der Bescheid vom 17.07.2007 (Ziff. 1 und 2) ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, denn er hat Anspruch auf die Verpflichtung des Regierungspräsidiums zu der von ihm begehrten Rücknahme des Ausweisungsbescheids und des diesen bestätigenden Widerspruchsbescheids (§ 113 Abs. 1 Satz 1 u. Abs. 5 Satz 1 VwGO).
29 
Nach § 48 Abs. 1 LVwVfG kann eine rechtswidrige aber bestandskräftige Ausweisung ganz oder teilsweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.12.1999, BVerwGE 110, 140 = InfAuslR 2000, 176; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.03.1999, InfAuslR 1999, 338).
30 
Im vorliegenden Fall steht aufgrund der zur Individualbeschwerde des Klägers ergangenen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für die Beteiligten verbindlich fest, dass die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Freiburg vom 22.01.1999 (und damit auch der sie bestätigende Widerspruchsbescheid vom 11.02.1999) entgegen der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts Freiburg und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg, welche die Rechtmäßigkeit dieser Verfügungen in den vom Kläger zuvor angestrengten verwaltungsgerichtlichen Verfahren bestätigt hatten, tatsächlich rechtswidrig waren.
31 
Das Rücknahmeermessen des Regierungspräsidiums Freiburg (§ 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG) war damit eröffnet, ist aber vom Regierungspräsidium mit dem hier angegriffenen Bescheid vom 17.07.2007 nicht ermessensfehlerfrei (§ 40 LVwVfG und § 114 VwGO) ausgeübt wurden.
32 
Vielmehr hat der Kläger wegen einer Reduzierung dieses Rücknahmeermessens "auf Null" einen Rechtsanspruch auf die ihm bisher vom Regierungspräsidium versagte Rücknahme dieser Ausweisung und des Widerspruchsbescheids.
33 
Zwar steht nach einhelliger Rechtsprechung fest, dass eine solche Ermessensreduzierung auf Null hinsichtlich der Rücknahme eines rechtswidrigen bzw. auch gemeinschafts-rechtswidrigen, aber - wie im vorliegenden Fall - nach den nationalen Vorschriften bestandskräftig gewordenen Verwaltungsaktes nur dann anzunehmen ist, wenn die Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Verwaltungsaktes unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles und der Gewichtung der Einzelfallgerechtigkeit einerseits sowie dem verfassungsrechtlich verbürgten Prinzip der Bestandskraft andererseits "schlechthin unerträglich" ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.03.2005 - 3 B 86/04 -, DÖV 2005, 651 und Beschl. v. 07.07.2004 - 6 C 24/03 -, Urt. v. 17.01.2007 - 6 C 32.06 -juris, BVerwGE 121, 126 sowie VGH Bad.-Württ., Urt. v. 24.01.2007 - 13 S 451/06 -, InfAuslR 2007, 182 und Urt. v. 28.06.2007 - 13 S 1045/07 -, FamRZ 2007, 1555=VENSA; siehe dazu auch VG Freiburg, Urt. v. 24.07.2007 - 1 K 1505/06 -, VENSA und Urt. v. 28.03.2007 -1 K 505/06 -).
34 
Dieser Maßstab einer "unerträglichen Härte" als Voraussetzung für eine Ermessensreduzierung "auf Null" gilt jedoch im vorliegenden Fall deshalb nicht, weil es der Kläger nicht etwa dabei hat bewenden lassen, den nationalen Rechtsweg durch die Inanspruchnahme der Verwaltungsgerichte bzw. sogar die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde mit dem Ziel der Aufhebung der Ausweisungsverfügung in Anspruch zu nehmen, sondern einen Schritt darüber hinausgegangen ist und den Rechtsschutz des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Rahmen der Individualbeschwerde in Anspruch genommen hat und zwar mit Erfolg. In einer solchen Konstellation aber kann seinem Begehren nach Aufhebung des vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs als rechtswidrig qualifizierten Ausweisungsbescheid nicht dessen Bestandskraft entgegengehalten werden, die hier lediglich deshalb nach wie vor vorliegt, weil selbst der stattgebenden Entscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs als solcher hinsichtlich dieses Bescheids keine kassatorische Wirkung zukommt (vgl. dazu Mayer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention, Handkommentar, 2. Aufl., 2006, Rdnr. 21 zu Art. 46 EMRK). Das lediglich eine Verletzung der Konvention feststellende Urteil des Menschenrechtsgerichtshofs begründet allerdings unmittelbar nach Art. 46 Abs. 1 EMRK eine Befolgungspflicht der Vertragsparteien und ihrer Organe und Behörden, hier also des Regierungspräsidiums als Behörde des Landes Baden-Württemberg, das wiederum ein Gliedstaat der Vertragspartei Bundesrepublik Deutschland ist. Die Feststellung einer Konventionsverletzung begründet für den beklagten Staat die Verpflichtung, die Konventionsverletzung abzustellen und Ersatz für die Folgen zu leisten, wenn möglich im Wege der Naturalrestitution (der EGMR spricht hier von "restitutio in integrum"), nämlich die Lage vor der Verletzung soweit wie möglich wieder herzustellen (EGMR, Urt. v. 28.11.2002, 25701/94 Nr. 72=NJW 2003, 1721). Dabei hat der Vertragsstaat einen Beurteilungsspielraum, wie er seine Pflichten aus dem Urteil erfüllen will (vgl. dazu Mayer-Ladewig, Rdnr. 23, a.a.O.). Das Bundesverfassungsgericht hat sich in einer Grundsatzentscheidung ausführlich zu dieser Befolgungspflicht aus Art. 46 EMRK geäußert und ausgeführt, dass zu der Bindung an Gesetz und Recht, wie sie in Art. 20 Abs. 3 GG den deutschen Behörden und Gerichten vorgegeben ist, auch die Berücksichtigung der EMRK und der Entscheidungen des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs zählt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 - 2 BvR 1481/04 -, BVerfGE 111, 307 = NJW 2004, 3407). Danach gilt, dass dann, wenn eine vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof festgestellte Verletzung noch andauert - etwa im Fall eines Eingriffs in das Privat- und Familienleben unter Verstoß gegen Art. 8 EMRK-, die Vertragspartei verpflichtet ist, diesen Zustand zu beenden. Dabei ist es Sache des beklagten Staates jedes Hindernis im innerstaatlichen Recht zu beseitigen, das einer Wiedergutmachung der Situation des Beschwerdeführers entgegensteht. Die EMRK als solche verhält sich dabei grundsätzlich indifferent zur innerstaatlichen Rechtsordnung und soll anders als das Recht einer supranationalen Organisation nicht unmittelbar in die staatliche Rechtsordnung eingreifen. Zur Bindung um Gesetz und Recht aus Art. 20 Abs. 3 GG zählt vor diesem Hintergrund aber insbesondere, dass die Entscheidungen des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs von nationalen Behörden und Gerichten im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung zu berücksichtigen sind. Für das Strafprozessrecht ergibt sich beispielsweise aus dem speziellen Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 6 StPO, dass dann, wenn der Europäische Menschenrechtsgerichtshof eine Verletzung der EMRK festgestellt hat und ein Urteil eines deutschen Strafgerichts in dieser Sache bereits rechtskräftig geworden ist, dieses Verfahren wieder aufzunehmen ist und das zuständige Gericht somit die Gelegenheit erhält, sich auf Antrag erneut mit dem an sich abgeschlossenen Fall zu befassen. In anderen Verfahrensordnungen ist die Frage, wie die Bundesrepublik Deutschland im Fall ihrer Verurteilung durch den Gerichtshof reagieren soll, wenn nationale Gerichtsverfahren rechtskräftig abgeschlossen sind, nicht abschließend beantwortet. Das Bundesverfassungsgericht verweist unter diesem Aspekt jedoch darauf, dass es Sachlagen geben kann, in denen deutsche Gerichte zwar nicht über die bereits entschiedene Rechtssache erneut entscheiden können, jedoch eine erneute Befassung aufgrund eines neuen Antrags oder veränderter Umstände vorgesehen ist oder in einer anderen Konstellation eine Befassung mit der Sache noch einmal nötig ist. Besteht eine solche Möglichkeit zu einer weiteren erneuten Entscheidung in einem Rahmen eines erneuten eigenen Verfahrens, so ist das einschlägige Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs zu berücksichtigen. Dabei trifft die deutschen Gerichte die Pflicht, solange im Rahmen geltender methodischer Standards Auslegungs- und Abwägungsspielräume eröffnet sind, der konventionsgemäßen Auslegung den Vorrang zu geben. Die Entscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs ist zur Kenntnis zu nehmen und auf den Fall anzuwenden, soweit die Anwendung nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere gegen Verfassungsrecht verstößt. Die Bundesrepublik Deutschland ist dabei hinsichtlich der Wahl der Mittel, mit denen das Urteil innerstaatlich umgesetzt werden muss, frei, sofern diese Mittel mit den Schlussfolgerungen aus dem Urteil vereinbar sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004, a.a.O.).
35 
Im vorliegenden Fall ist eine solche Verfahrenskonstellation gegeben, in der für das Regierungspräsidium bzw. das Verwaltungsgericht als kontrollierende Instanz im Rahmen der Prüfung des vom Kläger durch seinen Antrag auf Rücknahme des Ausweisungsbescheids in Gang gesetzten neuerlichen Verwaltungs- und Prüfungsverfahrens eine erneute Befassung mit der Ausweisungsentscheidung möglich ist, die der Europäische Menschenrechtsgerichtshof als rechtswidrig, weil Art. 8 EMRK verletzend, eingestuft hat.
36 
In diesem Kontext ist im Rahmen der Ermessensausübung hinsichtlich der beantragten Rücknahme der Ausweisungsverfügung nach § 48 Abs. 1 LVwVfG nicht mehr zu prüfen, ob die Aufrechterhaltung dieser Ausweisung "unerträglich hart" im Sinne der oben genannten Rechtsprechung wäre, sondern lediglich zu prüfen, ob allein die begehrte Rücknahme der Ausweisung den Konventionsanstoß aus der Welt schaffen und den Kläger bislang in seine missachteten Rechte aus Art. 8 EMRK wieder einsetzen kann, oder aber ob dies mit der gleichen Wirkung im selben Umfang auch durch eine andere unterhalb der Schwelle der vollständigen Aufhebung des Ausweisungsbescheids durch dessen Rücknahme verbleibende Maßnahme geschehen kann. Im Grundsatz gilt dabei, dass dann, wenn der Konventionsverstoß im Erlass eines Verwaltungsaktes lag, dieser nach den Vorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts aufgehoben werden muss (Mayer-Ladewig, a.a.O., Rdnr. 25). Allerdings kann diese Verpflichtung angesichts des bestehenden Spielraums des Vertragsstaats hinsichtlich der Frage, wie er die Konventionsverletzung nach seinen innerstaatlichen Rechtsvorschriften beseitigt, dann entfallen, wenn es eine ebenso wirksame andere Verwaltungsmaßnahme gibt.
37 
Im vorliegenden Fall liegt die Besonderheit darin, dass der Europäische Menschenrechtsgerichtshof ausweislich der Begründung seines Urteils zur Individualbeschwerde des Klägers nicht die Ausweisung "an sich", sondern nur deren unbefristeten Erlass als den eigentlichen Konventionsverstoß bezeichnet hat.
38 
Durch die vor diesem Hintergrund vom Regierungspräsidium verfügte nachträgliche Befristung der rechtskräftigen Ausweisung hat es jedoch den Konventionsverstoß gegen Art. 8 EMRK nicht in einer den Anforderungen dieses Artikels und der Rechtsprechung und des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs ausreichend Rechnung tragenden Weise beseitigt und damit der Befolgungspflicht nicht vollständig Genüge getan. Aus den nachfolgend dargestellten Gründen ist nach den jetzt geltenden Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes auch keine andere Möglichkeit als die vollständige rückwirkende Aufhebung der Ausweisungsverfügung des Widerspruchsbescheids durch Rücknahme ab dem Zeitpunkt ihres Erlasses möglich. Im vorliegenden Fall hat der Europäische Menschenrechtsgerichtshof die Verletzung des Klägers in seinem Recht auf Privat- und Familienleben aus Art. 8 EMRK nicht in der Ausweisung aus dem Bundesgebiet als solcher, sondern darin gesehen, dass diese Ausweisung unbefristet erfolgte. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass im Einzelfall aus der "unbegrenzten Dauer eines Aufenthaltsverbots" die Unverhältnismäßigkeit und damit die Rechtswidrigkeit eines Eingriffs in die Rechte eines Ausländers resultieren kann, der sich in Folge langjähriger Integration und Verwurzelung und/oder insbesondere familiärer Bindungen an das Aufnahmeland auf Art. 8 EMRK berufen kann (vgl. zuletzt EGMR, Urt. v. 22.03.2007 - 1638/03 -, Maslov -, InfAuslR 2007, 221 mit einer Übersicht über diese Rechtsprechung unter Rdnr. 44 dieses Urteils). Dabei geht der Gerichtshof ersichtlich davon aus, dass in den Fällen einer aus Gründen der Verhältnismäßigkeit erfolgenden Befristung der Ausweisung oder des Aufenthaltsverbots im Anschluss an das Ende der Frist eine Wiedereinreise des betreffenden Ausländers und damit eine Anknüpfung an die durch die Ausweisung bzw. des Aufenthaltsverbots unterbrochenen familiären aber auch sonstigen Lebenszusammenhänge im Aufnahmestaat stattfindet, so dass dann gerade keine dauerhafte, lebenslange Trennung von der Familie bzw. eine lebenslange Entfernung vom Territorium des Aufenthaltsstaates stattfindet. In der den Kläger selbst betreffenden Entscheidung vom 27.10.2005 hat dies der Gerichtshof unter Ziff. 66 der Urteilsgründe zum Ausdruck gebracht, in dem er hier ausführt, er sei der Ansicht, dass eine unbefristete "Versagung der Wiedereinreise in das Bundesgebiet" die Rechte des Beschwerdeführers auf sein Privat- und Familienleben aus Art. 8 EMRK verletze (siehe insoweit auch die Urteilsanmerkung zu dieser Entscheidung von Gutmann, InfAuslR 2006, 4, wonach der EGMR ersichtlich von einer "realen Rückkehrmöglichkeit ins Bundesgebiet" ausgehe; siehe insoweit auch Kloesel/Christ, Kommentar zum Ausländerrecht, 54. Lieferung, August 2004, Rdnr. 52.10 zu Art. 8 EMRK, wonach nach der Rechtsprechung des EGMR die Dauer der Ausweisung und deren Folgen "im Hinblick auf die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit einer erneuten Einreise" in den die Ausweisung verfügenden Mitgliedstaat nach dessen nationalen Vorschriften für die Frage der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung im Hinblick auf Art. 8 EMRK relevant sei; ähnlich hat der Europäische Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zur Verhältnismäßigkeit aufenthaltsbeschränkender Maßnahmen ausgeführt, die beschränkende Maßnahme müsse geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten und sie dürfe nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (vgl. dazu Hailbronner, AuslR, Kommentar, 51. Lieferung, Februar 2007, Rdnr. 9 zu Art. 14 ARB 1/80). Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof geht also offenkundig davon aus, dass es aus Gründen der Abwehr einer drohenden Gefahr, die von einem Ausländer ausgeht, in Einzelfällen nur verhältnismäßig ist, diesen Ausländer zeitweise vom Territorium des Aufenthaltsstaats fernzuhalten, was im Umkehrschluss impliziert, dass nach Ablauf der befristeten Dauer der Entfernung eine Wiedereinreise und Wiederanknüpfung an den bisher bestehenden, durch die zeitweise Entfernung unterbrochenen legalen Aufenthaltsstatus im Aufenthaltsstaat stattfindet (in diesem Sinne auch VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 25.09.2002 - 11 S 862/02 -, AUAS 2003, 75=NVwZ-RR 2003, 307, wonach im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung eine Ausweisung mit Blick auf Art. 8 EMRK z. B. auch relevant sei, ob es in Folge sonstiger Abschiebungshindernisse tatsächlich überhaupt zum Vollzug einer Abschiebung zwecks Beendigung des durch die Ausweisung unrechtmäßig gewordenen Aufenthalts ankomme und wonach bedeutsam sei, dass die Ausweisung in der Regel keine Maßnahme sei, die den Ausländer "auf Dauer aus dem Bundesgebiet ausschließt", sondern deren Wirkung auch befristet werden könne; siehe auch VGH Bad.-Württ., Urt. v. 26.07.2001 - 13 S 2401/99 -, InfAuslR 2002, 2=NVwZ 2002, Beilage I 4, 51, wonach ein Ausländer auf die Möglichkeit einer Befristung der Wirkung der Ausweisungen im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung allenfalls dann verwiesen werden kann, wenn die Gewährung eines Daueraufenthaltsrechts nach Ablauf der Frist voraussichtlich rechtlich in Betracht kommt und wonach es nicht genüge, wenn eine Befristung der Ausweisung zwar eine rechtliche Möglichkeit eröffne, zu Besuchszwecken ins Bundesgebiet einzureisen, wenn dies aber mangels erkennbaren Anspruchs auf Einräumung eines auf Dauer angelegten Aufenthaltsrechts nichts daran ändere, dass der Ausländer "unter Aufgabe seiner im Bundesgebiet erzielten Integration" gezwungen wäre, seinen Lebensmittelpunkt ins Ausland zu verlegen).
39 
Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverfassungsgericht (Beschl. v. 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -) darauf hingewiesen, dass eine Ausweisung selbst im Falle ihrer Befristung unverhältnismäßig sein könne, wenn damit für den Betreffenden ein unwiderbringlicher Verlust seines Privat- oder Familienlebens verbunden sei, weil das Aufenthaltsrecht nach dem Wegfall der Bindungen an das Bundesgebiet eine Wiedereinreise grundsätzlich nicht vorsehe und deshalb der Wegfall des Aufenthaltsverbots gem. § 11 Abs. 1 AufenthG nach Ende der Sperrfrist "ohne praktische Wirkung" bleibe. Darauf, dass die Rechtsprechung des EGMR dahin zu verstehen sei, dass nur eine zeitweilige Fernhaltung vom Aufenthaltsgebiet für eine bestimmte Zeitdauer zulässig sei, im Anschluss daran, aber eine Wiederanknüpfung an die frühere aufenthaltsrechtliche Position im Rahmen eines Wiedereinreiseanspruchs aus Gründen der Verhältnismäßigkeit geboten sei, wird auch in der Literatur hingewiesen (vgl. Marx, InfAuslR 2003, 374, der darauf verweist, dass ungeklärt sei, ob Art. 8 Abs. 1 EMRK faktischen Inländern nach der Ausweisung einen Wiedereinreiseanspruch verschaffe, insbesondere in den Fällen, in denen das innerstaatlichen Recht einen solchen nicht gewähre, die Ausweisung aber nur wegen ihrer begrenzten Zeitdauer verhältnismäßig sei; so auch Discher, GK-AufenthG, Lieferung Januar 2007, Rdnr. 836 und 883 vor §§ 53 AufenthG ff.).
40 
Durch die bloße Befristung der Ausweisung ist dem Kläger im vorliegenden Fall keine solche Wiederanknüpfung möglich. Er hat durch die Ausweisung seine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die er zuletzt nach insgesamt 27jährigem legalem Aufenthalt als Kind türkischer Arbeitnehmer und auch selbst als Arbeitnehmer gem. Art. 6 und 7 ARB 1/80 erteilt bekommen hatte, endgültig verloren, denn in Folge einer Ausweisung erlischt die Aufenthaltsgenehmigung (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG a.F. bzw. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG). Zugleich bewirkte die Ausweisung ein Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie eine Sperre für die Wiedererteilung einer neuerlichen Aufenthaltserlaubnis (vgl. § 8 Abs. 2 Satz 1 u. Satz 2 AuslG a.F. bzw. § 11 Abs. 1 Satz 1 u. Satz 2 AufenthG). Mit der bloßen Befristung dieser Wirkungen der Ausweisung (und der zudem erfolgten Abschiebung) auf den 03.04.2006 durch den Bescheid des Regierungspräsidiums vom 28.03.2006 ist hingegen ein Wiederaufleben der erloschenen unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nicht verbunden gewesen. Denn allein der Fortfall der Ausweisungs- und Abschiebungswirkungen begründet kein Einreise- und Aufenthaltsrecht. Vielmehr bedarf ein Ausländer in einem solchen Fall einer neuen Aufenthaltsgenehmigung, über deren Antrag nach den üblichen Grundsätzen zu entscheiden ist (vgl. Walter, NVwZ 2000, 274 <278> unter Verweis auf BVerwGE 60, 133 <138> = NJW 1981, 242).
41 
Im vorliegenden Fall hat dies für den Kläger zur Folge, dass er trotz der Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung und seiner Abschiebung mangels Rechtsanspruch auf Erteilung einer neuerlichen Aufenthaltserlaubnis nicht wieder ins Bundesgebiet zurückkehren und dort an seine durch die Ausweisung und Abschiebung für einige Jahre unterbrochenen privaten und familiären Lebensverhältnisse wieder anknüpfen kann (siehe dazu im Einzelnen unten).
42 
Obwohl also nach der Entscheidung des EGMR der Ausschluss seines Aufenthalts auf deutschem Territorium aus Gründen der Abwehr der vom Kläger für die öffentliche Sicherheit ausgehenden Gefahren durch die vom EGMR geforderte Befristung der Ausweisung nur für einen vorübergehenden Zeitraum zulässig gewesen wäre, weil aus Verhältnismäßigkeitsgründen einem derart langjährig durch sein Privatleben und/oder seine familiären Bindungen im Bundesgebiet Verwurzelten nicht allein aus vorübergehenden Gründen der Gefahrenabwehr dauerhaft und für immer seine Heimat und seine gesamten Integrationsleistungen genommen werden sollen, ist der Kläger von der Wiedererlangung seines vor der Ausweisung innegehabten aufenthaltsrechtlichen Status hier gänzlich ausgeschlossen.
43 
Aus seiner assoziationsrechtlichen Rechtsstellung nach Art. 6 bzw. 7 ARB 1/80 kann er nämlich kein eigenständiges Einreise- und Aufenthaltsrecht ableiten, vielmehr ist er nach dem Ende der Wirkung der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG einem normalen türkischen Staatsangehörigen gleichgestellt, der in das Bundesgebiet erstmals einreisen will (vgl. Armbruster, in: HTK-AuslR/ARB 1/80 / Art. 1405/207 Nr. 2 und Nr. 9; so auch VG Freiburg, Urt. v. 24.07.2007 - 1 K 1505/06 -). Denn ein Freizügigkeitsrecht türkischer Staatsangehöriger in die Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft besteht nicht (vgl. Hailbronner, AuslR, 51. Lieferung, Februar 2007, Rdnr. 22 Art. 4 ARB 1/80).
44 
Auch ein Anspruch auf Wiederkehr nach § 37 AufenthG scheidet hier aus, da der Kläger vor seiner Ausreise aus dem Bundesgebiet nicht mehr minderjährig war. Zudem könnte eine Aufenthaltserlaubnis nach § 37 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG auch schon deshalb versagt werden, weil der Kläger als Ausländer ausgewiesen war, als er das Bundesgebiet verließ (vgl. etwa zum Fall einer Versagung eines solchen Wiederkehrrechts für einen Jugendlichen wegen zuvor erfolgter Ausweisung: OVG Berlin, Beschl. v. 12.09.2002 - 8 N 142.01 -, AUAS 2003, 16=juris zu der vergleichbaren Vorgängervorschrift des § 16 AuslG; so zu § 37 Abs. 3 Nr. 1 auch Discher, GK-AufenthG, Lieferung Januar 2007, Rdnr. 154 vor  § 53 AufenthG).
45 
Ein Recht auf einen erneuten Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet kann ihm auch nicht etwa gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK gewährt werden. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 kann in begründeten Fällen eine Aufenthaltserlaubnis auch für einen von diesem Gesetz nicht vorgesehenen Aufenthaltszweck erteilt werden. Aus Art. 8 EMRK folgt jedoch nicht, dass hier dem Kläger zwingend nach dieser Vorschrift zur Vermeidung einer Verletzung des Art. 8 EMRK ein Aufenthaltsrecht erteilt werden müsste. Zwar hat der EGMR in der Sisojeva -Entscheidung (Urt. v. 16.06.2005 - Behörden-Nr. 60654/00 -, InfAuslR 2005, 349) ausgeführt, dass auch die Verweigerung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis einen Eingriff in Art. 8 EMRK darstellen kann. In der Sisojeva-II-Entscheidung hat der EGMR allerdings ausgeführt, dass es grundsätzlich Sache der Signatarstaaten ist, innerhalb der Regelungssystem ihre nationalen Aufenthalts-bestimmungen das angemessene Mittel zur Wahrung der Konvention zu wählen (Urt. v. 15.01.2007 - Beschwerde-Nr. 60654/00 -, InfAuslR 2007, 140). Dabei hat der EGMR in der Sisojeva-I-Entscheidung auf seine ständige Rechtsprechung verwiesen, dass aus Art. 8 EMRK selbst direkt kein Recht auf Einreise und Aufenthalt folgt. Bei § 7 Abs. 1 Satz 2 handelt es sich aber nur um eine Auffangregelung für unvorhergesehene Fälle, die obendrein nicht von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5, wie unter anderem der Sicherung des Lebensunterhalts (§ 5 Abs. 1 AufenthG) entbindet (vgl. HTK-Ausländerrecht, 07/2004, Überblick zu § 7 AufenthG und vorläufige Anwendungshinweise (VAH) Ziff. 7.1.3 zu § 7 AufenthG). Diese Vorschrift lässt sich also nur dazu nutzen, etwa einem vermögenden ausländischen Rentner oder Zweitwohnungsbesitzer den Aufenthalt in Deutschland zu gewähren (vgl. Ziff. 7.1.3 der vorläufigen Anwendungshinweise), dient jedoch ersichtlich nicht dazu, als "unvorhergesehenen Fall" i.S.d. § 7 Abs. 1 Satz 2 AufenthG außerhalb des Systems des spezifische Vorschriften für einen Daueraufenthalt in Deutschland zu Erwerbszwecken enthaltenden Aufenthaltsgesetzes einem ausgewiesenen Ausländer nach Ablauf der Sperrwirkung der Ausweisung erneut eine unbefristete Daueraufenthaltserlaubnis zu erteilen, um ihm so - letztlich unmittelbar auf Art. 8 EMRK gestützt - eine Anknüpfung und Fortführung an seine persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zu ermöglichen.
46 
Solche aufenthaltsrechtlichen Konstruktionen unter Einbeziehung der unmittelbaren Wirkungen des Art. 8 EMRK sind deshalb bisher auch von der Rechtsprechung lediglich im Zusammenhang mit § 25 Abs. 5 AufenthG in Betracht gezogen bzw. bejaht worden, der es ermöglicht, auch einem ausgewiesenen Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, allerdings voraussetzt, dass der Betreffende - anders als hier der Kläger - sich nach wie vor in Folge eines sich aus Art. 8 EMRK ergebenden unmittelbaren Abschiebungshindernisses und eines daraus resultierenden Vollzugshindernisses im Bundesgebiet befindet (vgl. zu dieser Konstruktion mit weiteren Nachweisen der Rechtsprechung zur sogenannten "Verwurzelung" Thym, InfAuslR 2007, 133 <136 ff.> und Bergmann, ZAR 2007, 128 sowie zuletzt z. B. VG Münster, Urt. v. 11.09.2007 -5 K 347/06- juris m.w.N.).
47 
Vor diesem Hintergrund ergibt sich auch kein Rechtsanspruch des Klägers auf (Wieder-) Erteilung einer (unbefristeten) Aufenthaltserlaubnis aus Art. 12 Abs. 4 des UN-Paktes über bürgerliche und politische Rechte (BGBl. 1973 II, Seite 1534) i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 2 AufenthG. Nach dieser Vorschrift des UN-Paktes darf niemandem willkürlich das Recht entzogen werden, in sein eigenes Land einzureisen. Auch wenn der Menschenrechts-ausschuss der Vereinten Nationen in seiner generellen Anmerkung Nr. 27 zum Recht aus Art. 12 des Paktes (UN.Doc. CCPR/C/21/Rev.1/Add.9 (1999)) unter Ziff. 20 ausführt, der Wortlaut dieser Vorschrift ermögliche eine weite Interpretation, die auch long-term residents, also dauerhaft aufenthaltsberechtigte Ausländer umfassen könnte, die enge und dauerhafte Beziehungen zu dem Land ihres Aufenthalts begründet haben, folgt daraus noch nicht, dass im Falle einer Ausweisung und Abschiebung nach Ende einer Sperrfrist ein zwingender Rechtsanspruch auf Ermöglichung der Wiedereinreise durch Erteilung eines Aufenthaltstitels begründet wäre. Nach Sinn und Zweck dieser Vorschrift soll nämlich insbesondere verhindert werden, dass ein Staat durch Ausbürgerung oder willkürliche Abschiebung eine Person grundlos von ihrem Land bzw. dem Land ihres dauernden Aufenthalts fernhält. Für  Fälle der Abschiebung aber sieht Art. 13 des UN-Paktes eine spezielle Regelung vor, die Ausländer, welche sich rechtmäßig in einem Aufenthaltsstaat aufhalten, davor schützt, ohne gesetzliche Grundlage und gerichtliche Kontrolle ausgewiesen und abgeschoben zu werden. Ein unmittelbares "Recht auf Heimat", wie es sich etwa bei weiter Auslegung des Art. 8 EMRK mit Blick auf eine langjährige Verwurzelung in einem Aufenthaltsstaat unter dem Aspekt des Schutzes des Privatlebens nach der Rechtsprechung des EGMR ergeben kann, folgt daraus jedoch nicht (in der Literatur wird ohnedies schon der Ansatz des Menschenrechtsausschusses der UN bezweifelt, Art. 12 Abs. 4 auch auf Ausländer mit Daueraufenthaltsrecht anzuwenden: siehe Hailbronner, Kommentar zum Ausländerrecht, § 11 AufenthG, Rdnr. 16).
48 
Für das vergleichbare Verbot in Art. 3 des 4. Zusatzprotokolls zur EMRK vom 16.09.1963 (Neubekanntmachung: BGBl. 2002, II, S. 1054) ergibt sich dies schon aus dem Wortlaut. Nach dieser Vorschrift darf niemandem das Recht entzogen werden, in das Hoheitsgebiet des Staates einzureisen, dessen Angehöriger er ist. Daraus folgt, dass Art. 3 für Ausländer nicht gilt (so die Europäische Menschenrechtskommission in ihrer Entscheidung vom 24.05.1974, DR 46, 202 im Verfahren I.B. und der EGMR in der Sisojeva-I-Entscheidung [s.o., a.a.O.]).
49 
Selbst ein nur abgeleiteter Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs des Klägers zu seiner hier im Bundesgebiet mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis lebenden Ehefrau und seinen sich ebenfalls mit unbefristeter Aufenthaltserlaubnis hier aufhaltenden minderjährigen Kindern ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Nach § 27 Abs. 1 AufenthG wird zwar einem Ausländer zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft mit im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen zum Schutz von Ehe und Familie gem. Art. 6 GG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt und verlängert. Nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ist einem Ehegatten eines Ausländers eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn dieser Ausländer eine Niederlassungserlaubnis besitzt. Von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 (Sicherung des Lebensunterhaltes) entbinden diese Vorschriften jedoch nicht. Deshalb aber ist das vom Kläger vom Ausland aus betriebene Visumsverfahren zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bisher auch gescheitert, weil es ihm offenbar bislang nicht gelungen ist, entsprechende Nachweise der Sicherung des Lebensunterhalts bzw. der fehlenden Sozialhilfebedürftigkeit seiner Familienangehörigen (§ 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG) nachzuweisen.
50 
Im Ergebnis wird der Kläger also unter diesen Umständen dauerhaft vom Bundesgebiet ferngehalten, ohne dass es ihm erneut möglich ist, im Wege der Wiedereinreise und auf der Basis der Erteilung einer neuerlichen Aufenthaltserlaubnis sich wieder legal hier aufzuhalten und damit an seine durch die Ausweisung unterbrochenen privaten und auch familiären Beziehungen im Bundesgebiet anzuknüpfen, wie er sie während seines 27jährigen legalen Aufenthalts hier geknüpft hat.
51 
Das aber ist nach dem oben Gesagten mit der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 8 EMRK nicht zu vereinbaren. Die bloße Befristung der Wirkungen der Ausweisung geht hier vielmehr ins Leere. Dass der EGMR dies mit seiner Forderung nach einer befristeten Ausreise gebilligt hätte, lässt sich entgegen der Ansicht des Beklagten auch nicht daraus entnehmen, dass der EGMR in der stattgebenden Entscheidung zur Individualbeschwerde des Klägers die seinerzeit noch geltende Befristungsregelung nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG a.F. (bzw. heute § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) gesehen und erwähnt hat. Denn allein aus diesem Umstand folgt noch nicht, dass der EGMR tatsächlich im Einzelnen die Auswirkungen dieser Regel geprüft und gebilligt hätte. Vielmehr ist der Rechtsprechung des EGMR an vielen Stellen zu entnehmen, dass es der EGMR allein den Signatarstaaten überlässt, im Einzelnen ihre nationalen Regelungen auszulegen und anzuwenden, ohne sich hier etwa durch eine eigene Auslegung und Anwendung in innerstaatliches Recht und dessen Vollzug "einzumischen" (vgl. zu dieser "Subsidiarität" zuletzt Thym, InfAuslR 2007, 133 <135 ff.>). Auch in der vorliegenden Entscheidung zur Individualbeschwerde des Klägers hat der EGMR ersichtlich nicht weiter die Einwände der Bundesregierung im damaligen Beschwerdeverfahren geprüft, der Kläger selbst habe in dem antragsgebundenen Befristungsverfahren selbst noch gar keinen wirksamen Befristungsantrag gestellt bzw. über diese sei noch nicht zu entscheiden gewesen (siehe dazu Rdnr. 65 des Urteils vom 27.10.2005 - 32231/02 -; auch in der Entscheidung Yilmaz - Urt. v. 17.04.2003 - 52853/99 = NJW 2004, 2147 - dort Ziff. 47 und 48 - hat der EGMR zwar das Argument der Bundesregierung gesehen, dass der erforderliche Befristungsantrag gar nicht wirksam gestellt worden war, hat sich jedoch dadurch nicht daran gehindert gesehen, im nächst folgenden Abschnitt - Rdnr. 48 - gleichwohl die Ausweisung wegen ihrer fehlenden Befristung als unverhältnismäßig und damit als Verstoß gegen Art. 8 EMRK einzustufen). Der EGMR vertritt nach allem ganz offenkundig den Standpunkt, dass es Sache der nationalen Behörden und Gerichte bzw. dann wenn es die nationalen Rechtsvorschriften mangels anderweitiger Ermessens- bzw. Auslegungsspielräume nicht hergeben, Sache des Gesetzgebers ist, durch entsprechende Auslegung und Anwendung der nationalen Vorschriften bzw. durch deren Ergänzung und Änderung dafür Sorge zu tragen, dass den Verpflichtungen aus der Konvention Genüge getan wird (vgl. zur Verpflichtung aus Art. 46 EMRK zur Abhilfe bei strukturellen Mängeln der nationalen Rechtsordnung und ggf. zu einer Änderung der nationalen Rechtsnormen Mayer-Ladewig, a.a.O., Rdnr. 23 und Rdnr. 33 und 34 zu Art. 46 EMRK).
52 
Da das nationale Recht nach dem oben Gesagten dem Kläger keinen Anspruch (mehr) auf (Wieder-)Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Begründung eines neuerlichen Daueraufenthalts im Bundesgebiet gewährt, kommt im vorliegenden Fall zur (Wieder-) Herstellung des vom Kläger vor der Ausweisung innegehabten Rechtsstatus, der durch die Ausweisung erloschen ist und nach dem Gesagten durch die bloße Befristung der Ausweisungswirkungen auch nicht wieder auflebt, nach allem lediglich eine Rücknahme der Ausweisungsentscheidung in Betracht, um der Rechtssprechung des EGMR und seiner Forderung nach einer lediglich befristeten Wirkung der Ausweisung im Sinne eines nur vorläufigen befristeten Entzugs des Aufenthaltsrechts, zu genügen. Nicht zu verfangen vermag im vorliegenden Kontext der Hinweis darauf, dass jedenfalls dem sekundären Gemeinschaftsrecht die Aufspaltung in den Verlust des Freizügigkeitsrechts einerseits und in die nachfolgende Befristung dieser Wirkung andererseits nicht fremd ist, weil z. B. Art. 32 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG [Freizügigkeitsrichtlinie] vorsieht, dass ein Unionsbürger, der sein Aufenthaltsrecht aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verloren hat, einen Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbots unter Hinweis auf veränderte Umstände stellen und dann einen neuerlichen Anspruch auf Zuzug ins Bundesgebiet geltend machen kann (vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Urt. v. 28.06.2007 - 13 S 1045/07 - VENSA). Denn dem Kläger, als lediglich Assoziationsberechtigtem, steht anders als einem freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger ein solches Zuzugsrecht gerade nicht regelmäßig zu, weshalb es in seinem Fall durchaus eine Rolle spielt, dass er durch die Ausweisung sein Aufenthaltsrecht gänzlich verloren hat und es auch durch eine Befristung der Sperrwirkung für eine Wiedererteilung im Rahmen eines neuerlichen Antrags auf Aufenthaltserlaubnis nicht wieder erlangt, während dies bei einem grundsätzlich zuzugsberechtigten EU-Bürger nicht diese Folge hat.
53 
Der Kläger kann eine vollständige Rücknahme der Ausweisung ab dem Zeitpunkt ihres Erlasses verlangen.
54 
Geklärt ist in der Rechtsprechung, dass die rückwirkende Beseitigung einer bestandskräftigen Ausweisungsverfügung im Wege der Rücknahme gem. § 48 LVwVfG neben der Befristung der Ausweisungswirkungen nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG a.F. bzw. § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG zulässig ist, also anders als der Widerruf der Ausweisung nach § 49 LVwVfG nicht etwa durch die Befristungsregelungen im Wege der Spezialität verdrängt wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140 <143> = InfAuslR 2000, 176 und ebenso VGH Bad.-Württ., Urt. v. 10.03.1999 - 13 S 2208/97 - InfAuslR 1999, 338; siehe auch Discher, GK-AufenthG, Januar 2007, Rdnr. 155 ff. vor § 53 AufenthG).
55 
Grundsätzlich ist zwar nach § 48 Abs. 1 Satz 1 die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts auch nach Eintritt seiner Unanfechtbarkeit ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit möglich. Von daher wäre im Grundsatz denkbar, dass das beklagte Land die Ausweisungsverfügung gem. § 48 VwVfG rückwirkend, aber nicht bezogen auf den Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung, sondern bezogen auf den Zeitpunkt der Befristung ihrer Wirkung (hier den 03.04.2006) zurücknimmt, um so der Forderung des EGMR nach einer nur befristeten Dauer der Wirkung dieser Ausweisung Rechnung zu tragen. Diese Möglichkeit scheidet jedoch im vorliegenden Fall aufgrund der Systematik des Aufenthaltsgesetzes aus, welches eindeutig der Ausweisung die Gestaltungswirkung eines vollständigen Entzugs des zuvor vom betroffenen Ausländer innegehabten Aufenthaltsrechts beimisst (vgl. § 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG a.F. bzw. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) und kein Wiederaufleben dieser einmal durch die Ausweisung entzogenen Aufenthaltserlaubnis, sondern lediglich die (Wieder-)Erteilung einer neuen eigenständigen Aufenthaltserlaubnis aufgrund eines neuen eigenen Antrags nach Ablauf der Sperrwirkung für eine solche Wiedererteilung in Folge einer entsprechenden Befristung dieser Sperrwirkung vorsieht (siehe etwa die vergleichbare Situation im Fall der Wiedererteilung einer Gewerbe- oder Fahrerlaubnis nach vorangegangenem Entzug einer solchen Erlaubnis und Ablauf einer entsprechenden Sperrfrist). Im vorliegenden Fall des Entzugs einer Aufenthaltserlaubnis durch eine Ausweisung verbleibt in Folge der Gestaltungswirkung dieses Entzugs von der damit vollständig zum Erlöschen gebrachten Aufenthaltserlaubnis also nicht etwa ein des erneuten Wirksamwerdens fähiger Restbestand, der nach einer nur teilweise, das heißt nicht vollständig bis zum Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung rückwirkenden Rücknahme weiter besteht bzw. wieder auflebt (zur grundsätzlichen Zulässigkeit der Wahl eines jeden Zeitpunkts zwischen dem Rücknahmebescheid und dem Zeitpunkt des Erlasses des zurückgenommenen Bescheids im Rahmen des § 48 Abs. 1 ["Mit Wirkung für die Vergangenheit"]: Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, 6. Aufl. 2001, Rdnr. 113, § 48 unter Verweis auf Bayr. VGH, ZBR 1991, 380). Von daher ist es verfahrensrechtlich nach den Rücknahmeregeln ausgeschlossen, die Ausweisung nur für die Zeit ab Erlass des Befristungsbescheids zurückzunehmen und ihr somit bis dahin, aber auch nur bis dahin, die Wirkungen eines Entzugs der Aufenthaltserlaubnis zu belassen, um so die nach der Rechtsprechung des EGMR geforderte Befristung des Entzugs des Aufenthaltsrechts zu erzielen.
56 
Nach allem ist die Konstruktion eines lediglich zeitweise wirkenden Entzugs der Aufenthaltserlaubnis mit anschließendem Wiederaufleben derselben nach den Vorschriften des Deutschen Verwaltungsverfahrensrechts und des Aufenthaltsrecht nicht möglich. Deshalb bleibt hier als einzige Möglichkeit, der Rechtsprechung des EGMR im folgenden Fall Rechnung zu tragen, nur die vollständige Rücknahme der Ausweisung ab dem Zeitpunkt ihres Erlasses, womit die vom Kläger vor der Ausweisung innegehabte befristete Aufenthaltserlaubnis nahtlos weiter fortbesteht.
57 
Das führt im vorliegenden Fall zudem nicht zu einem unbilligen Ergebnis, da der Kläger in Folge des tatsächlichen Vollzugs der Ausweisung durch seine Abschiebung in die Türkei und durch den jahrelangen Aufenthalt dort tatsächlich längst für die durch die Befristung der Ausweisung vom Beklagten geforderte zulässige Übergangszeit vom Territorium des Bundesgebiets entfernt worden war, so dass der Gefahrenabwehrzweck der Ausweisung sich tatsächlich auch realisiert hat.
58 
Für zukünftige Fälle wird es zur Vermeidung unvertretbarer Ergebnisse erforderlich sein, dass der Gesetzgeber entweder ein ausdrückliches Wiederkehrrecht regelt oder eine Konstruktion der Ausweisungswirkungen dahin neu regelt, dass die Ausweisung, wenn sie - beispielsweise um den Anforderungen des Art. 8 EMRK zu genügen - nur befristet verfügt wird oder nachträglich befristet wird, dann auch nur zu einem zeitweiligen Entzug der Aufenthaltserlaubnis führt. Die aktuell gültige Konstruktion jedenfalls, die den betreffenden Ausländer nach seiner Ausweisung vollständig auf den Status eines sich neu und erstmals um die Einreise bewerbenden Ausländers zurückwirft wird, wie der vorliegende Fall augenfällig zeigt, Situationen offenkundig nicht gerecht, in denen der Ausländer sich jahrzehntelang legal im Bundesgebiet aufgehalten hat und dieser Aufenthalt aus Gefahrenabwehrgründen nur zeitweise ausgeschlossen werden darf ohne dass damit dem Betreffenden gänzlich oder gar bis ans Lebensende die in Deutschland gefundene Heimat, Verwurzelung oder gar die dort verbliebene Familie genommen werden, weil dies gemessen an dem bloßen Gefahrenabwehrzweck schlichtweg eine das Übermaßverbot verletzende Reaktion darstellen würde.
59 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO.
60 
Die Berufung wird nach §§ 124 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen. Es ist bislang obergerichtlich nicht geklärt, wie in Fällen eines fehlenden Wiedereinreiserechts der von der Rechtsprechung des EGMR geforderten Befristung einer Ausweisung Rechnung zu tragen ist.

Gründe

 
25 
Das Gericht entscheidet durch den Berichterstatter, nachdem sich die Beteiligten übereinstimmend mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 87a Abs. 2 u. 3 VwGO).
26 
Soweit der Kläger seine Klage gegen das Land Baden-Württemberg - Regierungspräsidium Freiburg - hinsichtlich der Verpflichtung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zurückgenommen hat, ist das Verfahren einzustellen (§ 92 Abs. 3 VwGO).
27 
Im Übrigen ist die Klage auf Aufhebung des Bescheids des Regierungspräsidiums Freiburg vom 17.07.2007 (Ziff. 1 u. 2 des Bescheids) und auf Verpflichtung des Regierungspräsidiums zur Aufhebung (Rücknahme) des Ausweisungsbescheids vom 22.01.1999 und (deklaratorisch) der Aufhebung des entsprechenden Widerspruchsbescheids vom 11.02.1999 zulässig und begründet.
28 
Der Bescheid vom 17.07.2007 (Ziff. 1 und 2) ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, denn er hat Anspruch auf die Verpflichtung des Regierungspräsidiums zu der von ihm begehrten Rücknahme des Ausweisungsbescheids und des diesen bestätigenden Widerspruchsbescheids (§ 113 Abs. 1 Satz 1 u. Abs. 5 Satz 1 VwGO).
29 
Nach § 48 Abs. 1 LVwVfG kann eine rechtswidrige aber bestandskräftige Ausweisung ganz oder teilsweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.12.1999, BVerwGE 110, 140 = InfAuslR 2000, 176; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.03.1999, InfAuslR 1999, 338).
30 
Im vorliegenden Fall steht aufgrund der zur Individualbeschwerde des Klägers ergangenen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für die Beteiligten verbindlich fest, dass die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Freiburg vom 22.01.1999 (und damit auch der sie bestätigende Widerspruchsbescheid vom 11.02.1999) entgegen der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts Freiburg und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg, welche die Rechtmäßigkeit dieser Verfügungen in den vom Kläger zuvor angestrengten verwaltungsgerichtlichen Verfahren bestätigt hatten, tatsächlich rechtswidrig waren.
31 
Das Rücknahmeermessen des Regierungspräsidiums Freiburg (§ 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG) war damit eröffnet, ist aber vom Regierungspräsidium mit dem hier angegriffenen Bescheid vom 17.07.2007 nicht ermessensfehlerfrei (§ 40 LVwVfG und § 114 VwGO) ausgeübt wurden.
32 
Vielmehr hat der Kläger wegen einer Reduzierung dieses Rücknahmeermessens "auf Null" einen Rechtsanspruch auf die ihm bisher vom Regierungspräsidium versagte Rücknahme dieser Ausweisung und des Widerspruchsbescheids.
33 
Zwar steht nach einhelliger Rechtsprechung fest, dass eine solche Ermessensreduzierung auf Null hinsichtlich der Rücknahme eines rechtswidrigen bzw. auch gemeinschafts-rechtswidrigen, aber - wie im vorliegenden Fall - nach den nationalen Vorschriften bestandskräftig gewordenen Verwaltungsaktes nur dann anzunehmen ist, wenn die Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Verwaltungsaktes unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles und der Gewichtung der Einzelfallgerechtigkeit einerseits sowie dem verfassungsrechtlich verbürgten Prinzip der Bestandskraft andererseits "schlechthin unerträglich" ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.03.2005 - 3 B 86/04 -, DÖV 2005, 651 und Beschl. v. 07.07.2004 - 6 C 24/03 -, Urt. v. 17.01.2007 - 6 C 32.06 -juris, BVerwGE 121, 126 sowie VGH Bad.-Württ., Urt. v. 24.01.2007 - 13 S 451/06 -, InfAuslR 2007, 182 und Urt. v. 28.06.2007 - 13 S 1045/07 -, FamRZ 2007, 1555=VENSA; siehe dazu auch VG Freiburg, Urt. v. 24.07.2007 - 1 K 1505/06 -, VENSA und Urt. v. 28.03.2007 -1 K 505/06 -).
34 
Dieser Maßstab einer "unerträglichen Härte" als Voraussetzung für eine Ermessensreduzierung "auf Null" gilt jedoch im vorliegenden Fall deshalb nicht, weil es der Kläger nicht etwa dabei hat bewenden lassen, den nationalen Rechtsweg durch die Inanspruchnahme der Verwaltungsgerichte bzw. sogar die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde mit dem Ziel der Aufhebung der Ausweisungsverfügung in Anspruch zu nehmen, sondern einen Schritt darüber hinausgegangen ist und den Rechtsschutz des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Rahmen der Individualbeschwerde in Anspruch genommen hat und zwar mit Erfolg. In einer solchen Konstellation aber kann seinem Begehren nach Aufhebung des vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs als rechtswidrig qualifizierten Ausweisungsbescheid nicht dessen Bestandskraft entgegengehalten werden, die hier lediglich deshalb nach wie vor vorliegt, weil selbst der stattgebenden Entscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs als solcher hinsichtlich dieses Bescheids keine kassatorische Wirkung zukommt (vgl. dazu Mayer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention, Handkommentar, 2. Aufl., 2006, Rdnr. 21 zu Art. 46 EMRK). Das lediglich eine Verletzung der Konvention feststellende Urteil des Menschenrechtsgerichtshofs begründet allerdings unmittelbar nach Art. 46 Abs. 1 EMRK eine Befolgungspflicht der Vertragsparteien und ihrer Organe und Behörden, hier also des Regierungspräsidiums als Behörde des Landes Baden-Württemberg, das wiederum ein Gliedstaat der Vertragspartei Bundesrepublik Deutschland ist. Die Feststellung einer Konventionsverletzung begründet für den beklagten Staat die Verpflichtung, die Konventionsverletzung abzustellen und Ersatz für die Folgen zu leisten, wenn möglich im Wege der Naturalrestitution (der EGMR spricht hier von "restitutio in integrum"), nämlich die Lage vor der Verletzung soweit wie möglich wieder herzustellen (EGMR, Urt. v. 28.11.2002, 25701/94 Nr. 72=NJW 2003, 1721). Dabei hat der Vertragsstaat einen Beurteilungsspielraum, wie er seine Pflichten aus dem Urteil erfüllen will (vgl. dazu Mayer-Ladewig, Rdnr. 23, a.a.O.). Das Bundesverfassungsgericht hat sich in einer Grundsatzentscheidung ausführlich zu dieser Befolgungspflicht aus Art. 46 EMRK geäußert und ausgeführt, dass zu der Bindung an Gesetz und Recht, wie sie in Art. 20 Abs. 3 GG den deutschen Behörden und Gerichten vorgegeben ist, auch die Berücksichtigung der EMRK und der Entscheidungen des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs zählt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 - 2 BvR 1481/04 -, BVerfGE 111, 307 = NJW 2004, 3407). Danach gilt, dass dann, wenn eine vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof festgestellte Verletzung noch andauert - etwa im Fall eines Eingriffs in das Privat- und Familienleben unter Verstoß gegen Art. 8 EMRK-, die Vertragspartei verpflichtet ist, diesen Zustand zu beenden. Dabei ist es Sache des beklagten Staates jedes Hindernis im innerstaatlichen Recht zu beseitigen, das einer Wiedergutmachung der Situation des Beschwerdeführers entgegensteht. Die EMRK als solche verhält sich dabei grundsätzlich indifferent zur innerstaatlichen Rechtsordnung und soll anders als das Recht einer supranationalen Organisation nicht unmittelbar in die staatliche Rechtsordnung eingreifen. Zur Bindung um Gesetz und Recht aus Art. 20 Abs. 3 GG zählt vor diesem Hintergrund aber insbesondere, dass die Entscheidungen des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs von nationalen Behörden und Gerichten im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung zu berücksichtigen sind. Für das Strafprozessrecht ergibt sich beispielsweise aus dem speziellen Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 6 StPO, dass dann, wenn der Europäische Menschenrechtsgerichtshof eine Verletzung der EMRK festgestellt hat und ein Urteil eines deutschen Strafgerichts in dieser Sache bereits rechtskräftig geworden ist, dieses Verfahren wieder aufzunehmen ist und das zuständige Gericht somit die Gelegenheit erhält, sich auf Antrag erneut mit dem an sich abgeschlossenen Fall zu befassen. In anderen Verfahrensordnungen ist die Frage, wie die Bundesrepublik Deutschland im Fall ihrer Verurteilung durch den Gerichtshof reagieren soll, wenn nationale Gerichtsverfahren rechtskräftig abgeschlossen sind, nicht abschließend beantwortet. Das Bundesverfassungsgericht verweist unter diesem Aspekt jedoch darauf, dass es Sachlagen geben kann, in denen deutsche Gerichte zwar nicht über die bereits entschiedene Rechtssache erneut entscheiden können, jedoch eine erneute Befassung aufgrund eines neuen Antrags oder veränderter Umstände vorgesehen ist oder in einer anderen Konstellation eine Befassung mit der Sache noch einmal nötig ist. Besteht eine solche Möglichkeit zu einer weiteren erneuten Entscheidung in einem Rahmen eines erneuten eigenen Verfahrens, so ist das einschlägige Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs zu berücksichtigen. Dabei trifft die deutschen Gerichte die Pflicht, solange im Rahmen geltender methodischer Standards Auslegungs- und Abwägungsspielräume eröffnet sind, der konventionsgemäßen Auslegung den Vorrang zu geben. Die Entscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs ist zur Kenntnis zu nehmen und auf den Fall anzuwenden, soweit die Anwendung nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere gegen Verfassungsrecht verstößt. Die Bundesrepublik Deutschland ist dabei hinsichtlich der Wahl der Mittel, mit denen das Urteil innerstaatlich umgesetzt werden muss, frei, sofern diese Mittel mit den Schlussfolgerungen aus dem Urteil vereinbar sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004, a.a.O.).
35 
Im vorliegenden Fall ist eine solche Verfahrenskonstellation gegeben, in der für das Regierungspräsidium bzw. das Verwaltungsgericht als kontrollierende Instanz im Rahmen der Prüfung des vom Kläger durch seinen Antrag auf Rücknahme des Ausweisungsbescheids in Gang gesetzten neuerlichen Verwaltungs- und Prüfungsverfahrens eine erneute Befassung mit der Ausweisungsentscheidung möglich ist, die der Europäische Menschenrechtsgerichtshof als rechtswidrig, weil Art. 8 EMRK verletzend, eingestuft hat.
36 
In diesem Kontext ist im Rahmen der Ermessensausübung hinsichtlich der beantragten Rücknahme der Ausweisungsverfügung nach § 48 Abs. 1 LVwVfG nicht mehr zu prüfen, ob die Aufrechterhaltung dieser Ausweisung "unerträglich hart" im Sinne der oben genannten Rechtsprechung wäre, sondern lediglich zu prüfen, ob allein die begehrte Rücknahme der Ausweisung den Konventionsanstoß aus der Welt schaffen und den Kläger bislang in seine missachteten Rechte aus Art. 8 EMRK wieder einsetzen kann, oder aber ob dies mit der gleichen Wirkung im selben Umfang auch durch eine andere unterhalb der Schwelle der vollständigen Aufhebung des Ausweisungsbescheids durch dessen Rücknahme verbleibende Maßnahme geschehen kann. Im Grundsatz gilt dabei, dass dann, wenn der Konventionsverstoß im Erlass eines Verwaltungsaktes lag, dieser nach den Vorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts aufgehoben werden muss (Mayer-Ladewig, a.a.O., Rdnr. 25). Allerdings kann diese Verpflichtung angesichts des bestehenden Spielraums des Vertragsstaats hinsichtlich der Frage, wie er die Konventionsverletzung nach seinen innerstaatlichen Rechtsvorschriften beseitigt, dann entfallen, wenn es eine ebenso wirksame andere Verwaltungsmaßnahme gibt.
37 
Im vorliegenden Fall liegt die Besonderheit darin, dass der Europäische Menschenrechtsgerichtshof ausweislich der Begründung seines Urteils zur Individualbeschwerde des Klägers nicht die Ausweisung "an sich", sondern nur deren unbefristeten Erlass als den eigentlichen Konventionsverstoß bezeichnet hat.
38 
Durch die vor diesem Hintergrund vom Regierungspräsidium verfügte nachträgliche Befristung der rechtskräftigen Ausweisung hat es jedoch den Konventionsverstoß gegen Art. 8 EMRK nicht in einer den Anforderungen dieses Artikels und der Rechtsprechung und des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs ausreichend Rechnung tragenden Weise beseitigt und damit der Befolgungspflicht nicht vollständig Genüge getan. Aus den nachfolgend dargestellten Gründen ist nach den jetzt geltenden Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes auch keine andere Möglichkeit als die vollständige rückwirkende Aufhebung der Ausweisungsverfügung des Widerspruchsbescheids durch Rücknahme ab dem Zeitpunkt ihres Erlasses möglich. Im vorliegenden Fall hat der Europäische Menschenrechtsgerichtshof die Verletzung des Klägers in seinem Recht auf Privat- und Familienleben aus Art. 8 EMRK nicht in der Ausweisung aus dem Bundesgebiet als solcher, sondern darin gesehen, dass diese Ausweisung unbefristet erfolgte. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass im Einzelfall aus der "unbegrenzten Dauer eines Aufenthaltsverbots" die Unverhältnismäßigkeit und damit die Rechtswidrigkeit eines Eingriffs in die Rechte eines Ausländers resultieren kann, der sich in Folge langjähriger Integration und Verwurzelung und/oder insbesondere familiärer Bindungen an das Aufnahmeland auf Art. 8 EMRK berufen kann (vgl. zuletzt EGMR, Urt. v. 22.03.2007 - 1638/03 -, Maslov -, InfAuslR 2007, 221 mit einer Übersicht über diese Rechtsprechung unter Rdnr. 44 dieses Urteils). Dabei geht der Gerichtshof ersichtlich davon aus, dass in den Fällen einer aus Gründen der Verhältnismäßigkeit erfolgenden Befristung der Ausweisung oder des Aufenthaltsverbots im Anschluss an das Ende der Frist eine Wiedereinreise des betreffenden Ausländers und damit eine Anknüpfung an die durch die Ausweisung bzw. des Aufenthaltsverbots unterbrochenen familiären aber auch sonstigen Lebenszusammenhänge im Aufnahmestaat stattfindet, so dass dann gerade keine dauerhafte, lebenslange Trennung von der Familie bzw. eine lebenslange Entfernung vom Territorium des Aufenthaltsstaates stattfindet. In der den Kläger selbst betreffenden Entscheidung vom 27.10.2005 hat dies der Gerichtshof unter Ziff. 66 der Urteilsgründe zum Ausdruck gebracht, in dem er hier ausführt, er sei der Ansicht, dass eine unbefristete "Versagung der Wiedereinreise in das Bundesgebiet" die Rechte des Beschwerdeführers auf sein Privat- und Familienleben aus Art. 8 EMRK verletze (siehe insoweit auch die Urteilsanmerkung zu dieser Entscheidung von Gutmann, InfAuslR 2006, 4, wonach der EGMR ersichtlich von einer "realen Rückkehrmöglichkeit ins Bundesgebiet" ausgehe; siehe insoweit auch Kloesel/Christ, Kommentar zum Ausländerrecht, 54. Lieferung, August 2004, Rdnr. 52.10 zu Art. 8 EMRK, wonach nach der Rechtsprechung des EGMR die Dauer der Ausweisung und deren Folgen "im Hinblick auf die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit einer erneuten Einreise" in den die Ausweisung verfügenden Mitgliedstaat nach dessen nationalen Vorschriften für die Frage der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung im Hinblick auf Art. 8 EMRK relevant sei; ähnlich hat der Europäische Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zur Verhältnismäßigkeit aufenthaltsbeschränkender Maßnahmen ausgeführt, die beschränkende Maßnahme müsse geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten und sie dürfe nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (vgl. dazu Hailbronner, AuslR, Kommentar, 51. Lieferung, Februar 2007, Rdnr. 9 zu Art. 14 ARB 1/80). Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof geht also offenkundig davon aus, dass es aus Gründen der Abwehr einer drohenden Gefahr, die von einem Ausländer ausgeht, in Einzelfällen nur verhältnismäßig ist, diesen Ausländer zeitweise vom Territorium des Aufenthaltsstaats fernzuhalten, was im Umkehrschluss impliziert, dass nach Ablauf der befristeten Dauer der Entfernung eine Wiedereinreise und Wiederanknüpfung an den bisher bestehenden, durch die zeitweise Entfernung unterbrochenen legalen Aufenthaltsstatus im Aufenthaltsstaat stattfindet (in diesem Sinne auch VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 25.09.2002 - 11 S 862/02 -, AUAS 2003, 75=NVwZ-RR 2003, 307, wonach im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung eine Ausweisung mit Blick auf Art. 8 EMRK z. B. auch relevant sei, ob es in Folge sonstiger Abschiebungshindernisse tatsächlich überhaupt zum Vollzug einer Abschiebung zwecks Beendigung des durch die Ausweisung unrechtmäßig gewordenen Aufenthalts ankomme und wonach bedeutsam sei, dass die Ausweisung in der Regel keine Maßnahme sei, die den Ausländer "auf Dauer aus dem Bundesgebiet ausschließt", sondern deren Wirkung auch befristet werden könne; siehe auch VGH Bad.-Württ., Urt. v. 26.07.2001 - 13 S 2401/99 -, InfAuslR 2002, 2=NVwZ 2002, Beilage I 4, 51, wonach ein Ausländer auf die Möglichkeit einer Befristung der Wirkung der Ausweisungen im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung allenfalls dann verwiesen werden kann, wenn die Gewährung eines Daueraufenthaltsrechts nach Ablauf der Frist voraussichtlich rechtlich in Betracht kommt und wonach es nicht genüge, wenn eine Befristung der Ausweisung zwar eine rechtliche Möglichkeit eröffne, zu Besuchszwecken ins Bundesgebiet einzureisen, wenn dies aber mangels erkennbaren Anspruchs auf Einräumung eines auf Dauer angelegten Aufenthaltsrechts nichts daran ändere, dass der Ausländer "unter Aufgabe seiner im Bundesgebiet erzielten Integration" gezwungen wäre, seinen Lebensmittelpunkt ins Ausland zu verlegen).
39 
Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverfassungsgericht (Beschl. v. 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -) darauf hingewiesen, dass eine Ausweisung selbst im Falle ihrer Befristung unverhältnismäßig sein könne, wenn damit für den Betreffenden ein unwiderbringlicher Verlust seines Privat- oder Familienlebens verbunden sei, weil das Aufenthaltsrecht nach dem Wegfall der Bindungen an das Bundesgebiet eine Wiedereinreise grundsätzlich nicht vorsehe und deshalb der Wegfall des Aufenthaltsverbots gem. § 11 Abs. 1 AufenthG nach Ende der Sperrfrist "ohne praktische Wirkung" bleibe. Darauf, dass die Rechtsprechung des EGMR dahin zu verstehen sei, dass nur eine zeitweilige Fernhaltung vom Aufenthaltsgebiet für eine bestimmte Zeitdauer zulässig sei, im Anschluss daran, aber eine Wiederanknüpfung an die frühere aufenthaltsrechtliche Position im Rahmen eines Wiedereinreiseanspruchs aus Gründen der Verhältnismäßigkeit geboten sei, wird auch in der Literatur hingewiesen (vgl. Marx, InfAuslR 2003, 374, der darauf verweist, dass ungeklärt sei, ob Art. 8 Abs. 1 EMRK faktischen Inländern nach der Ausweisung einen Wiedereinreiseanspruch verschaffe, insbesondere in den Fällen, in denen das innerstaatlichen Recht einen solchen nicht gewähre, die Ausweisung aber nur wegen ihrer begrenzten Zeitdauer verhältnismäßig sei; so auch Discher, GK-AufenthG, Lieferung Januar 2007, Rdnr. 836 und 883 vor §§ 53 AufenthG ff.).
40 
Durch die bloße Befristung der Ausweisung ist dem Kläger im vorliegenden Fall keine solche Wiederanknüpfung möglich. Er hat durch die Ausweisung seine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die er zuletzt nach insgesamt 27jährigem legalem Aufenthalt als Kind türkischer Arbeitnehmer und auch selbst als Arbeitnehmer gem. Art. 6 und 7 ARB 1/80 erteilt bekommen hatte, endgültig verloren, denn in Folge einer Ausweisung erlischt die Aufenthaltsgenehmigung (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG a.F. bzw. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG). Zugleich bewirkte die Ausweisung ein Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie eine Sperre für die Wiedererteilung einer neuerlichen Aufenthaltserlaubnis (vgl. § 8 Abs. 2 Satz 1 u. Satz 2 AuslG a.F. bzw. § 11 Abs. 1 Satz 1 u. Satz 2 AufenthG). Mit der bloßen Befristung dieser Wirkungen der Ausweisung (und der zudem erfolgten Abschiebung) auf den 03.04.2006 durch den Bescheid des Regierungspräsidiums vom 28.03.2006 ist hingegen ein Wiederaufleben der erloschenen unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nicht verbunden gewesen. Denn allein der Fortfall der Ausweisungs- und Abschiebungswirkungen begründet kein Einreise- und Aufenthaltsrecht. Vielmehr bedarf ein Ausländer in einem solchen Fall einer neuen Aufenthaltsgenehmigung, über deren Antrag nach den üblichen Grundsätzen zu entscheiden ist (vgl. Walter, NVwZ 2000, 274 <278> unter Verweis auf BVerwGE 60, 133 <138> = NJW 1981, 242).
41 
Im vorliegenden Fall hat dies für den Kläger zur Folge, dass er trotz der Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung und seiner Abschiebung mangels Rechtsanspruch auf Erteilung einer neuerlichen Aufenthaltserlaubnis nicht wieder ins Bundesgebiet zurückkehren und dort an seine durch die Ausweisung und Abschiebung für einige Jahre unterbrochenen privaten und familiären Lebensverhältnisse wieder anknüpfen kann (siehe dazu im Einzelnen unten).
42 
Obwohl also nach der Entscheidung des EGMR der Ausschluss seines Aufenthalts auf deutschem Territorium aus Gründen der Abwehr der vom Kläger für die öffentliche Sicherheit ausgehenden Gefahren durch die vom EGMR geforderte Befristung der Ausweisung nur für einen vorübergehenden Zeitraum zulässig gewesen wäre, weil aus Verhältnismäßigkeitsgründen einem derart langjährig durch sein Privatleben und/oder seine familiären Bindungen im Bundesgebiet Verwurzelten nicht allein aus vorübergehenden Gründen der Gefahrenabwehr dauerhaft und für immer seine Heimat und seine gesamten Integrationsleistungen genommen werden sollen, ist der Kläger von der Wiedererlangung seines vor der Ausweisung innegehabten aufenthaltsrechtlichen Status hier gänzlich ausgeschlossen.
43 
Aus seiner assoziationsrechtlichen Rechtsstellung nach Art. 6 bzw. 7 ARB 1/80 kann er nämlich kein eigenständiges Einreise- und Aufenthaltsrecht ableiten, vielmehr ist er nach dem Ende der Wirkung der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG einem normalen türkischen Staatsangehörigen gleichgestellt, der in das Bundesgebiet erstmals einreisen will (vgl. Armbruster, in: HTK-AuslR/ARB 1/80 / Art. 1405/207 Nr. 2 und Nr. 9; so auch VG Freiburg, Urt. v. 24.07.2007 - 1 K 1505/06 -). Denn ein Freizügigkeitsrecht türkischer Staatsangehöriger in die Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft besteht nicht (vgl. Hailbronner, AuslR, 51. Lieferung, Februar 2007, Rdnr. 22 Art. 4 ARB 1/80).
44 
Auch ein Anspruch auf Wiederkehr nach § 37 AufenthG scheidet hier aus, da der Kläger vor seiner Ausreise aus dem Bundesgebiet nicht mehr minderjährig war. Zudem könnte eine Aufenthaltserlaubnis nach § 37 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG auch schon deshalb versagt werden, weil der Kläger als Ausländer ausgewiesen war, als er das Bundesgebiet verließ (vgl. etwa zum Fall einer Versagung eines solchen Wiederkehrrechts für einen Jugendlichen wegen zuvor erfolgter Ausweisung: OVG Berlin, Beschl. v. 12.09.2002 - 8 N 142.01 -, AUAS 2003, 16=juris zu der vergleichbaren Vorgängervorschrift des § 16 AuslG; so zu § 37 Abs. 3 Nr. 1 auch Discher, GK-AufenthG, Lieferung Januar 2007, Rdnr. 154 vor  § 53 AufenthG).
45 
Ein Recht auf einen erneuten Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet kann ihm auch nicht etwa gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK gewährt werden. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 kann in begründeten Fällen eine Aufenthaltserlaubnis auch für einen von diesem Gesetz nicht vorgesehenen Aufenthaltszweck erteilt werden. Aus Art. 8 EMRK folgt jedoch nicht, dass hier dem Kläger zwingend nach dieser Vorschrift zur Vermeidung einer Verletzung des Art. 8 EMRK ein Aufenthaltsrecht erteilt werden müsste. Zwar hat der EGMR in der Sisojeva -Entscheidung (Urt. v. 16.06.2005 - Behörden-Nr. 60654/00 -, InfAuslR 2005, 349) ausgeführt, dass auch die Verweigerung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis einen Eingriff in Art. 8 EMRK darstellen kann. In der Sisojeva-II-Entscheidung hat der EGMR allerdings ausgeführt, dass es grundsätzlich Sache der Signatarstaaten ist, innerhalb der Regelungssystem ihre nationalen Aufenthalts-bestimmungen das angemessene Mittel zur Wahrung der Konvention zu wählen (Urt. v. 15.01.2007 - Beschwerde-Nr. 60654/00 -, InfAuslR 2007, 140). Dabei hat der EGMR in der Sisojeva-I-Entscheidung auf seine ständige Rechtsprechung verwiesen, dass aus Art. 8 EMRK selbst direkt kein Recht auf Einreise und Aufenthalt folgt. Bei § 7 Abs. 1 Satz 2 handelt es sich aber nur um eine Auffangregelung für unvorhergesehene Fälle, die obendrein nicht von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5, wie unter anderem der Sicherung des Lebensunterhalts (§ 5 Abs. 1 AufenthG) entbindet (vgl. HTK-Ausländerrecht, 07/2004, Überblick zu § 7 AufenthG und vorläufige Anwendungshinweise (VAH) Ziff. 7.1.3 zu § 7 AufenthG). Diese Vorschrift lässt sich also nur dazu nutzen, etwa einem vermögenden ausländischen Rentner oder Zweitwohnungsbesitzer den Aufenthalt in Deutschland zu gewähren (vgl. Ziff. 7.1.3 der vorläufigen Anwendungshinweise), dient jedoch ersichtlich nicht dazu, als "unvorhergesehenen Fall" i.S.d. § 7 Abs. 1 Satz 2 AufenthG außerhalb des Systems des spezifische Vorschriften für einen Daueraufenthalt in Deutschland zu Erwerbszwecken enthaltenden Aufenthaltsgesetzes einem ausgewiesenen Ausländer nach Ablauf der Sperrwirkung der Ausweisung erneut eine unbefristete Daueraufenthaltserlaubnis zu erteilen, um ihm so - letztlich unmittelbar auf Art. 8 EMRK gestützt - eine Anknüpfung und Fortführung an seine persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zu ermöglichen.
46 
Solche aufenthaltsrechtlichen Konstruktionen unter Einbeziehung der unmittelbaren Wirkungen des Art. 8 EMRK sind deshalb bisher auch von der Rechtsprechung lediglich im Zusammenhang mit § 25 Abs. 5 AufenthG in Betracht gezogen bzw. bejaht worden, der es ermöglicht, auch einem ausgewiesenen Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, allerdings voraussetzt, dass der Betreffende - anders als hier der Kläger - sich nach wie vor in Folge eines sich aus Art. 8 EMRK ergebenden unmittelbaren Abschiebungshindernisses und eines daraus resultierenden Vollzugshindernisses im Bundesgebiet befindet (vgl. zu dieser Konstruktion mit weiteren Nachweisen der Rechtsprechung zur sogenannten "Verwurzelung" Thym, InfAuslR 2007, 133 <136 ff.> und Bergmann, ZAR 2007, 128 sowie zuletzt z. B. VG Münster, Urt. v. 11.09.2007 -5 K 347/06- juris m.w.N.).
47 
Vor diesem Hintergrund ergibt sich auch kein Rechtsanspruch des Klägers auf (Wieder-) Erteilung einer (unbefristeten) Aufenthaltserlaubnis aus Art. 12 Abs. 4 des UN-Paktes über bürgerliche und politische Rechte (BGBl. 1973 II, Seite 1534) i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 2 AufenthG. Nach dieser Vorschrift des UN-Paktes darf niemandem willkürlich das Recht entzogen werden, in sein eigenes Land einzureisen. Auch wenn der Menschenrechts-ausschuss der Vereinten Nationen in seiner generellen Anmerkung Nr. 27 zum Recht aus Art. 12 des Paktes (UN.Doc. CCPR/C/21/Rev.1/Add.9 (1999)) unter Ziff. 20 ausführt, der Wortlaut dieser Vorschrift ermögliche eine weite Interpretation, die auch long-term residents, also dauerhaft aufenthaltsberechtigte Ausländer umfassen könnte, die enge und dauerhafte Beziehungen zu dem Land ihres Aufenthalts begründet haben, folgt daraus noch nicht, dass im Falle einer Ausweisung und Abschiebung nach Ende einer Sperrfrist ein zwingender Rechtsanspruch auf Ermöglichung der Wiedereinreise durch Erteilung eines Aufenthaltstitels begründet wäre. Nach Sinn und Zweck dieser Vorschrift soll nämlich insbesondere verhindert werden, dass ein Staat durch Ausbürgerung oder willkürliche Abschiebung eine Person grundlos von ihrem Land bzw. dem Land ihres dauernden Aufenthalts fernhält. Für  Fälle der Abschiebung aber sieht Art. 13 des UN-Paktes eine spezielle Regelung vor, die Ausländer, welche sich rechtmäßig in einem Aufenthaltsstaat aufhalten, davor schützt, ohne gesetzliche Grundlage und gerichtliche Kontrolle ausgewiesen und abgeschoben zu werden. Ein unmittelbares "Recht auf Heimat", wie es sich etwa bei weiter Auslegung des Art. 8 EMRK mit Blick auf eine langjährige Verwurzelung in einem Aufenthaltsstaat unter dem Aspekt des Schutzes des Privatlebens nach der Rechtsprechung des EGMR ergeben kann, folgt daraus jedoch nicht (in der Literatur wird ohnedies schon der Ansatz des Menschenrechtsausschusses der UN bezweifelt, Art. 12 Abs. 4 auch auf Ausländer mit Daueraufenthaltsrecht anzuwenden: siehe Hailbronner, Kommentar zum Ausländerrecht, § 11 AufenthG, Rdnr. 16).
48 
Für das vergleichbare Verbot in Art. 3 des 4. Zusatzprotokolls zur EMRK vom 16.09.1963 (Neubekanntmachung: BGBl. 2002, II, S. 1054) ergibt sich dies schon aus dem Wortlaut. Nach dieser Vorschrift darf niemandem das Recht entzogen werden, in das Hoheitsgebiet des Staates einzureisen, dessen Angehöriger er ist. Daraus folgt, dass Art. 3 für Ausländer nicht gilt (so die Europäische Menschenrechtskommission in ihrer Entscheidung vom 24.05.1974, DR 46, 202 im Verfahren I.B. und der EGMR in der Sisojeva-I-Entscheidung [s.o., a.a.O.]).
49 
Selbst ein nur abgeleiteter Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs des Klägers zu seiner hier im Bundesgebiet mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis lebenden Ehefrau und seinen sich ebenfalls mit unbefristeter Aufenthaltserlaubnis hier aufhaltenden minderjährigen Kindern ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Nach § 27 Abs. 1 AufenthG wird zwar einem Ausländer zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft mit im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen zum Schutz von Ehe und Familie gem. Art. 6 GG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt und verlängert. Nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ist einem Ehegatten eines Ausländers eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn dieser Ausländer eine Niederlassungserlaubnis besitzt. Von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 (Sicherung des Lebensunterhaltes) entbinden diese Vorschriften jedoch nicht. Deshalb aber ist das vom Kläger vom Ausland aus betriebene Visumsverfahren zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bisher auch gescheitert, weil es ihm offenbar bislang nicht gelungen ist, entsprechende Nachweise der Sicherung des Lebensunterhalts bzw. der fehlenden Sozialhilfebedürftigkeit seiner Familienangehörigen (§ 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG) nachzuweisen.
50 
Im Ergebnis wird der Kläger also unter diesen Umständen dauerhaft vom Bundesgebiet ferngehalten, ohne dass es ihm erneut möglich ist, im Wege der Wiedereinreise und auf der Basis der Erteilung einer neuerlichen Aufenthaltserlaubnis sich wieder legal hier aufzuhalten und damit an seine durch die Ausweisung unterbrochenen privaten und auch familiären Beziehungen im Bundesgebiet anzuknüpfen, wie er sie während seines 27jährigen legalen Aufenthalts hier geknüpft hat.
51 
Das aber ist nach dem oben Gesagten mit der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 8 EMRK nicht zu vereinbaren. Die bloße Befristung der Wirkungen der Ausweisung geht hier vielmehr ins Leere. Dass der EGMR dies mit seiner Forderung nach einer befristeten Ausreise gebilligt hätte, lässt sich entgegen der Ansicht des Beklagten auch nicht daraus entnehmen, dass der EGMR in der stattgebenden Entscheidung zur Individualbeschwerde des Klägers die seinerzeit noch geltende Befristungsregelung nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG a.F. (bzw. heute § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) gesehen und erwähnt hat. Denn allein aus diesem Umstand folgt noch nicht, dass der EGMR tatsächlich im Einzelnen die Auswirkungen dieser Regel geprüft und gebilligt hätte. Vielmehr ist der Rechtsprechung des EGMR an vielen Stellen zu entnehmen, dass es der EGMR allein den Signatarstaaten überlässt, im Einzelnen ihre nationalen Regelungen auszulegen und anzuwenden, ohne sich hier etwa durch eine eigene Auslegung und Anwendung in innerstaatliches Recht und dessen Vollzug "einzumischen" (vgl. zu dieser "Subsidiarität" zuletzt Thym, InfAuslR 2007, 133 <135 ff.>). Auch in der vorliegenden Entscheidung zur Individualbeschwerde des Klägers hat der EGMR ersichtlich nicht weiter die Einwände der Bundesregierung im damaligen Beschwerdeverfahren geprüft, der Kläger selbst habe in dem antragsgebundenen Befristungsverfahren selbst noch gar keinen wirksamen Befristungsantrag gestellt bzw. über diese sei noch nicht zu entscheiden gewesen (siehe dazu Rdnr. 65 des Urteils vom 27.10.2005 - 32231/02 -; auch in der Entscheidung Yilmaz - Urt. v. 17.04.2003 - 52853/99 = NJW 2004, 2147 - dort Ziff. 47 und 48 - hat der EGMR zwar das Argument der Bundesregierung gesehen, dass der erforderliche Befristungsantrag gar nicht wirksam gestellt worden war, hat sich jedoch dadurch nicht daran gehindert gesehen, im nächst folgenden Abschnitt - Rdnr. 48 - gleichwohl die Ausweisung wegen ihrer fehlenden Befristung als unverhältnismäßig und damit als Verstoß gegen Art. 8 EMRK einzustufen). Der EGMR vertritt nach allem ganz offenkundig den Standpunkt, dass es Sache der nationalen Behörden und Gerichte bzw. dann wenn es die nationalen Rechtsvorschriften mangels anderweitiger Ermessens- bzw. Auslegungsspielräume nicht hergeben, Sache des Gesetzgebers ist, durch entsprechende Auslegung und Anwendung der nationalen Vorschriften bzw. durch deren Ergänzung und Änderung dafür Sorge zu tragen, dass den Verpflichtungen aus der Konvention Genüge getan wird (vgl. zur Verpflichtung aus Art. 46 EMRK zur Abhilfe bei strukturellen Mängeln der nationalen Rechtsordnung und ggf. zu einer Änderung der nationalen Rechtsnormen Mayer-Ladewig, a.a.O., Rdnr. 23 und Rdnr. 33 und 34 zu Art. 46 EMRK).
52 
Da das nationale Recht nach dem oben Gesagten dem Kläger keinen Anspruch (mehr) auf (Wieder-)Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Begründung eines neuerlichen Daueraufenthalts im Bundesgebiet gewährt, kommt im vorliegenden Fall zur (Wieder-) Herstellung des vom Kläger vor der Ausweisung innegehabten Rechtsstatus, der durch die Ausweisung erloschen ist und nach dem Gesagten durch die bloße Befristung der Ausweisungswirkungen auch nicht wieder auflebt, nach allem lediglich eine Rücknahme der Ausweisungsentscheidung in Betracht, um der Rechtssprechung des EGMR und seiner Forderung nach einer lediglich befristeten Wirkung der Ausweisung im Sinne eines nur vorläufigen befristeten Entzugs des Aufenthaltsrechts, zu genügen. Nicht zu verfangen vermag im vorliegenden Kontext der Hinweis darauf, dass jedenfalls dem sekundären Gemeinschaftsrecht die Aufspaltung in den Verlust des Freizügigkeitsrechts einerseits und in die nachfolgende Befristung dieser Wirkung andererseits nicht fremd ist, weil z. B. Art. 32 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG [Freizügigkeitsrichtlinie] vorsieht, dass ein Unionsbürger, der sein Aufenthaltsrecht aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verloren hat, einen Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbots unter Hinweis auf veränderte Umstände stellen und dann einen neuerlichen Anspruch auf Zuzug ins Bundesgebiet geltend machen kann (vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Urt. v. 28.06.2007 - 13 S 1045/07 - VENSA). Denn dem Kläger, als lediglich Assoziationsberechtigtem, steht anders als einem freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger ein solches Zuzugsrecht gerade nicht regelmäßig zu, weshalb es in seinem Fall durchaus eine Rolle spielt, dass er durch die Ausweisung sein Aufenthaltsrecht gänzlich verloren hat und es auch durch eine Befristung der Sperrwirkung für eine Wiedererteilung im Rahmen eines neuerlichen Antrags auf Aufenthaltserlaubnis nicht wieder erlangt, während dies bei einem grundsätzlich zuzugsberechtigten EU-Bürger nicht diese Folge hat.
53 
Der Kläger kann eine vollständige Rücknahme der Ausweisung ab dem Zeitpunkt ihres Erlasses verlangen.
54 
Geklärt ist in der Rechtsprechung, dass die rückwirkende Beseitigung einer bestandskräftigen Ausweisungsverfügung im Wege der Rücknahme gem. § 48 LVwVfG neben der Befristung der Ausweisungswirkungen nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG a.F. bzw. § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG zulässig ist, also anders als der Widerruf der Ausweisung nach § 49 LVwVfG nicht etwa durch die Befristungsregelungen im Wege der Spezialität verdrängt wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140 <143> = InfAuslR 2000, 176 und ebenso VGH Bad.-Württ., Urt. v. 10.03.1999 - 13 S 2208/97 - InfAuslR 1999, 338; siehe auch Discher, GK-AufenthG, Januar 2007, Rdnr. 155 ff. vor § 53 AufenthG).
55 
Grundsätzlich ist zwar nach § 48 Abs. 1 Satz 1 die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts auch nach Eintritt seiner Unanfechtbarkeit ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit möglich. Von daher wäre im Grundsatz denkbar, dass das beklagte Land die Ausweisungsverfügung gem. § 48 VwVfG rückwirkend, aber nicht bezogen auf den Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung, sondern bezogen auf den Zeitpunkt der Befristung ihrer Wirkung (hier den 03.04.2006) zurücknimmt, um so der Forderung des EGMR nach einer nur befristeten Dauer der Wirkung dieser Ausweisung Rechnung zu tragen. Diese Möglichkeit scheidet jedoch im vorliegenden Fall aufgrund der Systematik des Aufenthaltsgesetzes aus, welches eindeutig der Ausweisung die Gestaltungswirkung eines vollständigen Entzugs des zuvor vom betroffenen Ausländer innegehabten Aufenthaltsrechts beimisst (vgl. § 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG a.F. bzw. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) und kein Wiederaufleben dieser einmal durch die Ausweisung entzogenen Aufenthaltserlaubnis, sondern lediglich die (Wieder-)Erteilung einer neuen eigenständigen Aufenthaltserlaubnis aufgrund eines neuen eigenen Antrags nach Ablauf der Sperrwirkung für eine solche Wiedererteilung in Folge einer entsprechenden Befristung dieser Sperrwirkung vorsieht (siehe etwa die vergleichbare Situation im Fall der Wiedererteilung einer Gewerbe- oder Fahrerlaubnis nach vorangegangenem Entzug einer solchen Erlaubnis und Ablauf einer entsprechenden Sperrfrist). Im vorliegenden Fall des Entzugs einer Aufenthaltserlaubnis durch eine Ausweisung verbleibt in Folge der Gestaltungswirkung dieses Entzugs von der damit vollständig zum Erlöschen gebrachten Aufenthaltserlaubnis also nicht etwa ein des erneuten Wirksamwerdens fähiger Restbestand, der nach einer nur teilweise, das heißt nicht vollständig bis zum Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung rückwirkenden Rücknahme weiter besteht bzw. wieder auflebt (zur grundsätzlichen Zulässigkeit der Wahl eines jeden Zeitpunkts zwischen dem Rücknahmebescheid und dem Zeitpunkt des Erlasses des zurückgenommenen Bescheids im Rahmen des § 48 Abs. 1 ["Mit Wirkung für die Vergangenheit"]: Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, 6. Aufl. 2001, Rdnr. 113, § 48 unter Verweis auf Bayr. VGH, ZBR 1991, 380). Von daher ist es verfahrensrechtlich nach den Rücknahmeregeln ausgeschlossen, die Ausweisung nur für die Zeit ab Erlass des Befristungsbescheids zurückzunehmen und ihr somit bis dahin, aber auch nur bis dahin, die Wirkungen eines Entzugs der Aufenthaltserlaubnis zu belassen, um so die nach der Rechtsprechung des EGMR geforderte Befristung des Entzugs des Aufenthaltsrechts zu erzielen.
56 
Nach allem ist die Konstruktion eines lediglich zeitweise wirkenden Entzugs der Aufenthaltserlaubnis mit anschließendem Wiederaufleben derselben nach den Vorschriften des Deutschen Verwaltungsverfahrensrechts und des Aufenthaltsrecht nicht möglich. Deshalb bleibt hier als einzige Möglichkeit, der Rechtsprechung des EGMR im folgenden Fall Rechnung zu tragen, nur die vollständige Rücknahme der Ausweisung ab dem Zeitpunkt ihres Erlasses, womit die vom Kläger vor der Ausweisung innegehabte befristete Aufenthaltserlaubnis nahtlos weiter fortbesteht.
57 
Das führt im vorliegenden Fall zudem nicht zu einem unbilligen Ergebnis, da der Kläger in Folge des tatsächlichen Vollzugs der Ausweisung durch seine Abschiebung in die Türkei und durch den jahrelangen Aufenthalt dort tatsächlich längst für die durch die Befristung der Ausweisung vom Beklagten geforderte zulässige Übergangszeit vom Territorium des Bundesgebiets entfernt worden war, so dass der Gefahrenabwehrzweck der Ausweisung sich tatsächlich auch realisiert hat.
58 
Für zukünftige Fälle wird es zur Vermeidung unvertretbarer Ergebnisse erforderlich sein, dass der Gesetzgeber entweder ein ausdrückliches Wiederkehrrecht regelt oder eine Konstruktion der Ausweisungswirkungen dahin neu regelt, dass die Ausweisung, wenn sie - beispielsweise um den Anforderungen des Art. 8 EMRK zu genügen - nur befristet verfügt wird oder nachträglich befristet wird, dann auch nur zu einem zeitweiligen Entzug der Aufenthaltserlaubnis führt. Die aktuell gültige Konstruktion jedenfalls, die den betreffenden Ausländer nach seiner Ausweisung vollständig auf den Status eines sich neu und erstmals um die Einreise bewerbenden Ausländers zurückwirft wird, wie der vorliegende Fall augenfällig zeigt, Situationen offenkundig nicht gerecht, in denen der Ausländer sich jahrzehntelang legal im Bundesgebiet aufgehalten hat und dieser Aufenthalt aus Gefahrenabwehrgründen nur zeitweise ausgeschlossen werden darf ohne dass damit dem Betreffenden gänzlich oder gar bis ans Lebensende die in Deutschland gefundene Heimat, Verwurzelung oder gar die dort verbliebene Familie genommen werden, weil dies gemessen an dem bloßen Gefahrenabwehrzweck schlichtweg eine das Übermaßverbot verletzende Reaktion darstellen würde.
59 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO.
60 
Die Berufung wird nach §§ 124 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen. Es ist bislang obergerichtlich nicht geklärt, wie in Fällen eines fehlenden Wiedereinreiserechts der von der Rechtsprechung des EGMR geforderten Befristung einer Ausweisung Rechnung zu tragen ist.

(1) Einem Ausländer, der als Minderjähriger rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte, ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn

1.
der Ausländer sich vor seiner Ausreise acht Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten und sechs Jahre im Bundesgebiet eine Schule besucht hat,
2.
sein Lebensunterhalt aus eigener Erwerbstätigkeit oder durch eine Unterhaltsverpflichtung gesichert ist, die ein Dritter für die Dauer von fünf Jahren übernommen hat, und
3.
der Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach Vollendung des 15. und vor Vollendung des 21. Lebensjahres sowie vor Ablauf von fünf Jahren seit der Ausreise gestellt wird.

(2) Zur Vermeidung einer besonderen Härte kann von den in Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 bezeichneten Voraussetzungen abgewichen werden. Von den in Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 bezeichneten Voraussetzungen kann abgesehen werden, wenn der Ausländer im Bundesgebiet einen anerkannten Schulabschluss erworben hat.

(2a) Von den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 3 bezeichneten Voraussetzungen kann abgewichen werden, wenn der Ausländer rechtswidrig mit Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe genötigt und von der Rückkehr nach Deutschland abgehalten wurde, er den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis innerhalb von drei Monaten nach Wegfall der Zwangslage, spätestens jedoch vor Ablauf von fünf Jahren seit der Ausreise, stellt, und gewährleistet erscheint, dass er sich aufgrund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann. Erfüllt der Ausländer die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1, soll ihm eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er rechtswidrig mit Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe genötigt und von der Rückkehr nach Deutschland abgehalten wurde und er den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis innerhalb von drei Monaten nach Wegfall der Zwangslage, spätestens jedoch vor Ablauf von zehn Jahren seit der Ausreise, stellt. Absatz 2 bleibt unberührt.

(3) Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis kann versagt werden,

1.
wenn der Ausländer ausgewiesen worden war oder ausgewiesen werden konnte, als er das Bundesgebiet verließ,
2.
wenn ein Ausweisungsinteresse besteht oder
3.
solange der Ausländer minderjährig und seine persönliche Betreuung im Bundesgebiet nicht gewährleistet ist.

(4) Der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis steht nicht entgegen, dass der Lebensunterhalt nicht mehr aus eigener Erwerbstätigkeit gesichert oder die Unterhaltsverpflichtung wegen Ablaufs der fünf Jahre entfallen ist.♦

(5) Einem Ausländer, der von einem Träger im Bundesgebiet Rente bezieht, wird in der Regel eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, wenn er sich vor seiner Ausreise mindestens acht Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.

(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.

(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.