Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Juni 2011 - 4 StR 643/10

bei uns veröffentlicht am07.06.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 643/10
vom
7. Juni 2011
in der Strafsache
gegen
wegen räuberischer Erpressung mit Todesfolge u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 7. Juni 2011 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 5. April 2002 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass von der verhängten Freiheitsstrafe sechs Monate als vollstreckt gelten.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.

1
Das Landgericht hat den Angeklagten am 5. April 2002 wegen räuberischer Erpressung mit Todesfolge in Tateinheit mit versuchtem Raub mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt.
2
Im Rahmen seiner Revision hat der Angeklagte mit der Verfahrensrüge geltend gemacht, dass er vor seiner polizeilichen Vernehmung nicht gemäß Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK belehrt worden sei.
3
Nach einer ersten Verwerfung der Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet durch Beschluss des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 29. Januar 2003 – 5 StR 475/02 – und der Aufhebung dieses Beschlusses sowie Zurückverweisung der Sache durch das Bundesverfassungsgericht mit Kammerbeschluss vom 19. September 2006 (2 BvR 2115/01 u.a., NJW 2007, 499) wegen Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) hat der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs die Revision mit Beschluss vom 25. September 2007 (veröffentlicht in BGHSt 52, 48) erneut verworfen, allerdings mit der Maßgabe, dass von der verhängten Freiheitsstrafe sechs Monate als vollstreckt gelten.
4
Auf die gegen diese Entscheidung wiederum erhobene Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers hat das Bundesverfassungsgericht mit Kammerbeschluss vom 8. Juli 2010 (2 BvR 2485/07 u.a., NJW 2011, 207) auch die zweite Revisionsentscheidung wegen eines Verstoßes gegen das Recht des Beschwerdeführers auf ein faires Verfahren aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an einen anderen Strafsenat des Bundesgerichtshofs zurückverwiesen.
5
Danach hat nunmehr der Senat über die Revision des Angeklagten zu entscheiden.

II.

6
Diese Entscheidung kann im Beschlusswege ergehen. Nach Aufhebung auch des zweiten die Revision des Angeklagten verwerfenden Beschlusses des 5. Strafsenats ist das Verfahren erneut in den Stand zurückversetzt worden, den es vor der ersten Revisionsentscheidung vom 29. Januar 2003 hatte. Die allein noch inmitten stehende Rechtsfrage nach den Auswirkungen eines Verstoßes gegen die Pflicht zur Belehrung aus Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK ist durch die Vorgaben nunmehr zweier bundesverfassungsgerichtlicher Entscheidungen klar umgrenzt; der Generalbundesanwalt und der Verteidiger des Angeklagten haben zu ihr nochmals ausführlich schriftlich Stellung genommen.
7
Die Rechtsfrage ist nach Auffassung des Senats auch zweifelsfrei zu beantworten. Die Durchführung der Hauptverhandlung lässt keine neuen Erkenntnisse tatsächlicher oder rechtlicher Art erwarten, die das gefundene Ergebnis in Zweifel ziehen könnten (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Oktober2000 – 5StR 414/99, BGHR StPO § 349 Abs. 2 Verwerfung 6; zur Bedeutung der Revisionshauptverhandlung vgl. Wohlers JZ 2011, 78, 80).

III.

8
Die Revision erzielt lediglich wegen einer während des Revisionsverfahrens eingetretenen Verfahrensverzögerung einen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
9
1. Die vom Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen sowie die Sachrüge dringen nicht durch. Der Erörterung bedarf lediglich die Verfahrensrüge, mit der ein Verstoß gegen Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK geltend gemacht wird.
10
a) Der Senat sieht mit Blick auf die Bindungswirkung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (§ 31 Abs. 1, § 93c Abs. 1 Satz 2 BVerfGG) davon ab, die Rüge gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO als unzulässig zu verwerfen, obwohl die Revision verschweigt, dass der Angeklagte sich am 20. November 2001 – nach Konsultation seines Verteidigers – erneut zur Sache eingelassen und die Richtigkeit seiner früheren Angaben bestätigt hat (Gerichtsakten Bl. 619-621). Diesem Umstand kommt, wie sich aus den nachstehenden Ausführungen ergibt, entscheidungserhebliche Bedeutung für die Frage nach einem Verwertungsverbot zu.
11
b) Die Rüge ist unbegründet. Allerdings liegt eine Gesetzesverletzung darin, dass der Angeklagte, der türkischer Staatsangehöriger ist, nach seiner Festnahme nicht durch die Polizeibeamten gemäß Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK über seine Rechte belehrt worden ist (vgl. jetzt auch § 114b Abs. 2 Satz 3 StPO).
12
aa) Das Wiener Konsularrechtsübereinkommen, dem die Bundesrepublik Deutschland und die Türkei beigetreten sind, steht in der deutschen Rechtsordnung im Range eines Bundesgesetzes, das deutsche Behörden und Gerichte wie anderes Gesetzesrecht im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden haben (BVerfG, Beschluss vom 19. September 2006 – 2 BvR 2115/01 u.a., NJW 2007, 499, 501; vgl. auch BGH, Beschluss vom 12. Mai 2010 – 4 StR 577/09, NStZ 2010, 567, zur Parallele bei der MRK). Nach dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes haben deutsche Gerichte dabei auch die Judikate der für Deutschland zuständigen internationalen Gerichte zur Kenntnis zu nehmen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen (BVerfG, Beschluss vom 19. September 2006 – 2 BvR 2115/01 u.a., NJW 2007, 499, 501; vgl. auch BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2365/09 u.a., Rn. 89 ff.). Sie haben – ungeachtet ihrer auf den Einzelfall beschränkten Bindungswirkung – normative Leitfunktion (BVerfG, Beschluss vom 19. September 2006 – 2 BvR 2115/01 u.a., NJW 2007, 499, 502).
13
bb) Nach Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK obliegt die Belehrungspflicht den zuständigen Behörden des Empfangsstaates und damit auch den festnehmenden Polizeibeamten, sofern sie Kenntnis von der ausländischen Staatsangehörigkeit erlangen oder Anhaltspunkte für eine solche bestehen (BVerfG, Beschluss vom 19. September 2006 – 2 BvR 2115/01 u.a., NJW 2007, 499, 503, unter Bezugnahme auf IGH, Avena and other Mexican Nationals , Mexico v. United States of America, Judgement of 31 March 2004, ICJ Re- ports 2004, p. 12, No. 88: „there is […] a duty upon the arresting authorities to give that information to an arrested person as soon as it is realized that the per- son is a foreign national, or once there are grounds to think that the person is probably a foreign national“).
14
c) Der Geltendmachung des Verstoßes gegen die Belehrungspflicht des Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK steht nicht entgegen, dass der Angeklagte keinen spezifisch auf die Verletzung des Art. 36 WÜK abstellenden Widerspruch erhoben, sondern der Verwertung seiner Angaben in der Beschuldigtenvernehmung vom 1. November 2001 durch zeugenschaftliche Vernehmung der Verhörspersonen mit Blick auf die nicht durchgreifende Beanstandung eines Verstoßes gegen §§ 136, 137 StPO widersprochen hat. Der 1. Strafsenat hat allerdings mit Beschluss vom 11. September 2007 (1 StR 273/07, BGHSt 52, 38) die von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelte „Wider- spruchslösung“ auch auf den Verstoß gegen die Belehrungspflicht aus Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK angewandt und generell verlangt, dass die den Prüfungsumfang für das Tatgericht begrenzende Begründung des Widerspruchs erkennen lässt, dass die Angriffsrichtung des Widerspruchs gerade auf eine Verletzung von Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK abzielt.
15
Der vorliegende Fall unterscheidet sich von dem jener Entscheidung zugrunde liegenden jedoch dadurch, dass hier eine Belehrung auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht erfolgt ist. Nach den maßgeblich zu beachtenden Grundsätzen des Internationalen Gerichtshofs im LaGrand-Urteil muss eine umfassende Überprüfung und Neubewertung von Schuld- und Strafausspruch unter Berücksichtigung des Konventionsverstoßes möglich sein (IGH, LaGrand, Germany v. United States of America, Judgement of 27 June 2001, ICJ Reports 2001, p. 466, No. 128 [nichtamtliche deutsche Übersetzung in EuGRZ 2001, 287]: „review and reconsideration of the conviction and sentence by ta- king account of the violation of the rights set forth in that Convention”). Diese Überprüfung darf nicht unter Berufung auf das Fehlen nach nationalem Pro- zessrecht erforderlicher Einwände ausgeschlossen werden (IGH, „LaGrand“, aaO, No. 90, zur US-amerikanischen „procedural default rule“), weshalb nach dem Internationalen Gerichtshof ein Verstoß gegen Art. 36 Abs. 2 WÜK jedenfalls dann vorliegt, wenn die Belehrung über die Rechte nach Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK – wie hier – solange nicht erfolgte, wie die Einwände nach nationalem Prozessrecht hätten erhoben werden müssen (IGH, „LaGrand“, aaO, No. 90 f.; IGH, „Avena“, aaO, No. 112 f., 134).
16
d) Das Fehlen der Belehrung nach Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK führt im vorliegenden Fall nicht zu einem Verwertungsverbot, weil dem Angeklagten hierdurch im weiteren Verfahren kein Nachteil erwachsen ist.
17
aa) Allerdings ist die Entstehung eines Beweisverwertungsverbotes aus einem Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK nicht von vornherein ausgeschlossen (BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 2010 – 2 BvR 2485/07 u.a., NJW 2011, 207, 209 f.; anders – gegen die Möglichkeit eines Verwertungsverbotes – noch BGH, Urteil vom 20. Dezember 2007 – 3StR 318/07, BGHSt 52, 110, 114; offen gelassen in BGH, Beschluss vom 11. September 2007 – 1 StR 273/07, BGHSt 52, 38, 41): Nach der Rechtspre- chung des Internationalen Gerichtshofs im Fall „Avena“ist vielmehr im Einzelfall zu untersuchen, ob dem Betroffenen aus dem Verstoß gegen Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK im weiteren Verfahrensverlauf tatsächlich ein Nachteil ent- standen ist („actual prejudice“, IGH, „Avena“, aaO, No. 121 ff.). Dieser Recht- sprechung ist – was im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung möglich ist (BVerfG, Beschlüsse vom 19. September 2006 – 2 BvR 2115/01 u.a., NJW 2007, 499, 503, und vom 8. Juli 2010 – 2 BvR 2485/07 u.a., NJW 2011, 207, 210) – dadurch Rechnung zu tragen, dass die vom Bundesgerichtshof für nicht speziell geregelte Beweisverwertungsverbote entwickelte Abwägungslehre zur Anwendung gebracht wird. Es hat eine Abwägung zwischen dem durch den Verfahrensverstoß bewirkten Eingriff in die Rechtsstellung des Beschuldigten einerseits und den Strafverfolgungsinteressen des Staates andererseits stattzufinden , wobei auf den Schutzzweck der verletzten Norm ebenso abzustellen ist wie auf die Umstände, Hintergründe und Auswirkungen der Rechtsverletzung im Einzelfall (BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 2010 – 2 BvR 2485/07 u.a., NJW 2011, 207, 210; vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juli 2010 – 1 StR 251/10; s. auch Gless/Peters StV 2011, 369, 376; Paulus/Müller StV 2009, 495, 498 ff.).
18
bb) Die hieran ausgerichtete Abwägung führt im Ergebnis nicht zur Unverwertbarkeit der Angaben des Angeklagten bei seiner polizeilichen Vernehmung am 1. November 2001.
19
(1) Zweck der Belehrung nach Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK ist die Verwirklichung des Rechts des Betroffenen auf konsularische Unterstützung bei der effektiven Wahrnehmung der eigenen Verteidigungsrechte (BVerfG, Beschluss vom 19. September 2006 – 2 BvR 2115/01 u.a., NJW 2007, 499, 502 f. unter Bezugnahme auf IGH, „LaGrand“ aaO und „Avena“ aaO). Im Zentrum der konsularischen Unterstützung steht die Vermittlung anwaltlichen Beistandes (BVerfG, Beschluss vom 19. September 2006 – 2 BvR 2115/01 u.a., NJW 2007, 499, 503: Überschneidung der Belehrung über das Recht auf Hinzuziehung eines Verteidigers mit der Funktion der Belehrung nach Art. 36 Abs. 1 WÜK, mit Hilfe des Konsulats einen Rechtsbeistand für den Beschuldigten zu beauftragen; Kreß GA 2007, 296, 305; Esser JR 2008, 271, 274; vgl. auch BGH, Beschluss vom 14. September 2010 – 3 StR 573/09, zum Inhalt der Hilfe für im Ausland inhaftierte deutsche Staatsangehörige durch deutsche Konsularbeamte nach § 7 KonsG). Dies gilt umso mehr, als nach der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs nicht vorgesehen ist, dass der Konsular- beamte selbst anwaltliche Aktivitäten entfaltet (IGH, „Avena“, aaO, No. 85: „It is not envisaged, either in Article 36, paragraph 1, or elsewhere in the Conven- tion, that consular functions entail a consular officer himself or herself acting as the legal representative or more directly engaging in the criminal justice process“ ; anders offenbar Gless/Peters aaO S. 372). Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK schützt dabei nicht speziell die Aussagefreiheit des Beschuldigten (ebenso Kreß aaO, S. 304), sondern allgemein das Recht auf effektive Verteidigung (so auch Esser aaO, S. 275); dies ergibt sich schon daraus, dass nach der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs im Fall „Avena“ Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK nicht verlangt, dass die Belehrung der ersten Vernehmung des Beschuldigten in jedem Fall vorausgehen muss (IGH, „Av- ena“, aaO, No. 87: „The court considers that the provision in Article 36, paragraph 1 (b), that the receiving State authorities „shall inform the person concerned without delay of his rights“ cannot be interpreted to signify that the pro- vision of such information must necessarily precede any interrogation, so that the commencement of interrogation before the information is given would be a breach of Article 36”; vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. September 2006 – 2 BvR 2115/01 u.a., NJW 2007, 499, 503).
20
(2) Vor dem Hintergrund dieses Schutzzwecks ist zunächst in die Abwägung einzustellen, dass der Angeklagte – was ihn freilich nicht vom persönlichen Schutzbereich des Art. 36 Abs. 1 WÜK ausnimmt (BVerfG, Beschluss vom 19. September 2006 – 2 BvR 2115/01 u.a., NJW 2007, 499, 503; BGH, Urteil vom 20. Dezember 2007 – 3 StR 318/07, BGHSt 52, 110) – in Deutschland geboren wurde und aufwuchs und nach den Feststellungen im Urteil keine sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten und keine Sozialisationsdefizite hatte, sondern insgesamt integriert in Deutschland lebte. Eine wegen ausländerspezifischer Verteidigungsdefizite konkret erhöhte Schutzbedürftigkeit des Angeklagten ist danach nicht erkennbar (vgl. dazu auch Esser aaO).
21
(3) Der – anlässlich seiner Festnahme sowohl von den Ermittlungsbeamten als auch dem Haftrichter mehrfach über seine Rechte nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO belehrte – Angeklagte war über seine Verteidigungsmöglichkeiten orientiert. Das zeigt sich unter anderem darin, dass er auch ohne die Belehrung über die Möglichkeit konsularischen Beistands in der Lage war, seine prozessualen Rechte – insbesondere sein Recht zu schweigen – wahrzunehmen. So hat er vor dem Ermittlungsrichter eine Aussage unter Hinweis darauf verweigert , zunächst einen Rechtsanwalt sprechen zu wollen, um dessen Beauftragung er im Folgenden seine Familie gebeten hat. Seine Einlassung in der Beschuldigtenvernehmung vom 1. November 2001 erfolgte, nachdem er ausführlich über sein Recht auf Hinzuziehung eines Verteidigers belehrt worden war.
22
(4) Am 20. November 2001, als der Angeklagte zwar noch immer nicht nach Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK belehrt, wohl aber verteidigt war,also – wenngleich mit einiger Verzögerung – der Zustand hergestellt war, den sicherzustellen Hauptzweck des Art. 36 Abs. 1 WÜK ist, hat der Angeklagte die Angaben aus seiner ersten polizeilichen Vernehmung bestätigt (vgl. auch Esser aaO; Kreß aaO S. 305). Die Verteidigervollmacht für Rechtsanwalt T. hatte der Angeklagte bereits am 2. November 2001 in der JVA Hannover unterzeichnet.
23
(5) Die Polizeibeamten unterließen weder bei der Festnahme noch im Vorfeld der Vernehmung vom 1. November 2000 die Belehrung nach Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK unter bewusster Umgehung dieser Vorschrift (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 2008 – 4 StR 455/08, BGHSt 53, 112; Beschlüsse vom 18. Oktober 2005 – 1 StR 114/05, NStZ 2006, 236, und vom 19. Oktober 2005 – 1 StR 117/05, NStZ-RR 2006, 181); nach damaliger in Deutschland verbreiteter Rechtsauffassung (vgl. BGH, Beschluss vom 7. No- vember 2001 – 5 StR 116/01, BGHR WÜK Art. 36 Unterrichtung 1) war nicht die Polizei, sondern der in §§ 115, 115 a, 128 StPO genannte Richter die für die Belehrung „zuständige Behörde“ im Sinne des Art. 36 Abs. 1 lit. b WÜK. Eine bewusste Umgehung der Belehrungspflicht nach Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK durch den Ermittlungsrichter hat der Angeklagte in der Revisionsbegründung schon nicht behauptet. Solches ist auch nicht erkennbar: Die ermittlungsrichterliche Vernehmung musste ausweislich des Protokolls des Amtsgerichts Lörrach vom 21. Oktober 2001 abgebrochen werden, da der Angeklagte „wegen eines heftigen Gefühlsausbruchs (krampfartiges Weinen) nicht in der Lage war, den Termin fortzusetzen.“
24
(6) Schließlich kommt dem öffentlichen Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung angesichts der Schwere der hier inmitten stehenden Straftat – eines Kapitalverbrechens – besondere Bedeutung zu (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31. Januar 1973 – 2 BvR 454/71, BVerfGE 34, 238, 248).
25
e) Dass das Urteil in sonstiger Weise auf der unterbliebenen Belehrung nach Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK beruht (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 20. Dezember 2007 – 3 StR 318/07, BGHSt 52, 110 m.w.N.), kann der Senat aus den bereits in die Abwägung eingestellten Gesichtspunkten zu den Umständen und Auswirkungen der Rechtsverletzung ausschließen. Für ein Beruhen ist nichts ersichtlich, und die Revision trägt hierzu auch nichts vor.
26
2. Von der verhängten Freiheitsstrafe sind sechs Monate für vollstreckt zu erklären.
27
a) Allerdings kommt eine Kompensation des Verstoßes gegen die Pflicht zur Belehrung nach Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK nach der sog. „Vollstre- ckungslösung“ (vgl. BGH – Großer Senat fürStrafsachen –, Beschluss vom 17. Januar 2008, BGHSt 52, 124) nicht in Betracht.
28
Die Entscheidung des 5. Strafsenats vom 25. September 2007, für den Verstoß gegen Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK eine Kompensation zu gewähren , bindet den Senat nicht; das Bundesverfassungsgericht hat diese Revisionsentscheidung in vollem Umfang aufgehoben (BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 2010 – 2 BvR 2485/07 u.a., NJW 2011, 207, 211), also keine Teilrechtskraft herbeigeführt (vgl. dazu BGH, Urteil vom 27. August 2009 – 3 StR 250/09, BGHSt 54, 135; Beschluss vom 21. Dezember 2010 – 2 StR 344/10). Der Senat neigt der Auffassung des 3. Strafsenats aus dem Urteil vom 20. Dezember 2007 (3 StR 318/07, BGHSt 52, 110, 118; vgl. auch BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2008 – 2 StR 489/08) zu, dass eine solche Kompensation generell ausscheidet. Dies braucht der Senat aber nicht zu entscheiden. Für eine Kompensation fehlt vorliegend bereits deshalb ein Anknüpfungspunkt, weil die Abwägung zur Frage nach einem Beweisverwertungsverbot und die Prüfung zum Beruhen im Übrigen ergeben haben, dass dem Angeklagten im konkreten Fall ein Nachteil im Sinne der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs nicht entstanden ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 2010 – 2 BvR 2485/07 u.a., NJW 2011, 207, 210 m.w.N.).
29
b) Eine Kompensation nach der „Vollstreckungslösung“ ist jedoch für eine – von Amts wegen zu beachtende (Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., Art. 6 MRK Rn. 9c m.w.N.) – der Justiz anzulastende Verfahrensverzögerung nach Erlass des tatrichterlichen Urteils zu gewähren.
30
aa) Eine solche sieht der Senat für den Zeitraum ab der zweiten Revisionsentscheidung des 5. Strafsenats vom 25. September 2007 als gegeben an. Dabei kann der Senat offen lassen, ob und inwieweit grundsätzlich die Dauer des – vorliegend ohne offensichtliche Verzögerung durchgeführten (BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 2010 – 2 BvR 2485/07 u.a., NJW 2011, 207, 208) – Rechtsmittelverfahrens sowie die Dauer eines Verfassungsbeschwerdever- fahrens bei der Bestimmung der für die Beurteilung einer Verzögerung maßgeblichen Verfahrensdauer mit einzubeziehen sind (zum Verfassungsbeschwerdeverfahren vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 2010 – 2 BvR2485/07 u.a., NJW 2011, 207, 208 m.w.N.). Im vorliegenden Fall ergibt sich eine Verfahrensverzögerung daraus, dass trotz der vom Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 19. September 2006 dargelegten Anforderungen bei der Prüfung der Folgen eines Verstoßes gegen die Belehrungspflicht aus Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK der Bundesgerichtshof die Reichweite des Gebotes zur Beachtung der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs erneut in einer die Grundrechte des Angeklagten beeinträchtigenden Weise unbeachtet gelassen hat. Diesen Umstand hat auch der Angeklagte in seiner Stellungnahme vom 17. Februar 2011 hervorgehoben. Die dadurch eingetretene Verzögerung des Verfahrens, die sich über das neuerliche Verfassungsbeschwerdeverfahren und das nach Aufhebung und Zurückverweisung erforderliche weitere Revisionsverfahren vor dem Senat erstreckt, begründet daher einen Kompensationsanspruch aus Art. 13 MRK (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2009 – 4 StR 537/08, StV 2009, 241, zur überlangen Verfahrensdauer bei zweimaliger Aufhebung des landgerichtlichen Urteils durch den Bundesgerichtshof).
31
bb) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Kompensation nicht mit dem Umfang der Verzögerung gleichzusetzen, sondern hat nach den Umständen des Einzelfalles grundsätzlich einen eher geringen Bruchteil der Strafe zu betragen (vgl. nur BGH, Urteil vom 9. Oktober 2008 – 1 StR 238/08, StV 2008, 633 m.w.N.). Danach ist vorliegend eine Kompensation von sechs Monaten insbesondere angesichts einer Verzögerung von etwa vier Jahren , die der Angeklagte nach seiner Entlassung aus der Haft am 10. Juni 2008 weitgehend in Freiheit verbracht hat, sowie angesichts der bei der Beurteilung der Verfahrensverzögerung zu berücksichtigenden besonderen Rolle des Bundesverfassungsgerichts im innerstaatlichen Rechtssystem (EGMR, Urteile vom 22. Januar 2009 – 45749/06 und 51115/06, StV 2009, 561, 562, und vom 25. Februar 2000 – 29357/95, NJW 2001, 211) an sich deutlich überhöht. An einer Kompensation in geringerem Umfang sieht sich der Senat jedoch durch das Verbot der reformatio in peius gehindert. Zwar gilt das Schlechterstellungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO für den Fall der Aufhebung einer Revisionsentscheidung durch das Bundesverfassungsgericht nicht unmittelbar; § 79 Abs. 1 BVerfGG sieht jedoch die Möglichkeit eines Wiederaufnahmeverfahrens gegen ein rechtskräftiges Urteil vor, das auf einer mit dem Grundgesetz für unvereinbar oder nach § 78 BVerfGG für nichtig erklärten Norm oder auf der Auslegung einer Norm beruht, die vom Bundesverfassungsgericht für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist. Zur Durchführung des Wiederaufnahmeverfahrens verweist § 79 Abs. 1 BVerfGG auf die Vorschriften der StPO, mithin auch auf das Schlechterstellungsverbot des § 373 Abs. 2 Satz 1 StPO. Wenn dieses Verbot aber schon dort gilt, wo das Bundesverfassungsgericht die dem Strafurteil die Grundlage entziehende Entscheidung in einem anderen Verfahren trifft, so muss es erst recht zum Tragen kommen, wenn das Bundesverfassungsgericht die fachgerichtliche Entscheidung unmittelbar aufhebt.
32
Das Verbot der reformatio in peius hindert den Senat nicht, eine Kompensation für den Verstoß gegen die Belehrungspflicht aus Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK nunmehr zu versagen. Es verhindert lediglich eine dem Angeklagten nachteilige Änderung in Art und Höhe der Rechtsfolgen, nicht jedoch eine Änderung der diesen zugrunde liegenden rechtlichen Beurteilung.
33
c) Eine neben die Kompensation wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung tretende Berücksichtigung der seit Tatbegehung vergangenen Zeit bei der Strafzumessung und infolge dessen die Aufhebung des Strafausspruchs ist vorliegend nicht geboten.
34
aa) Allerdings hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 16. Juni 2009 – 3 StR 173/09, StV 2009, 638) in einem Fall, in dem eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung von etwa drei Jahren im Revisionsverfahren durch Verlust der Akten aufgetreten war, die Sache nicht nur wegen einer vom Tatrichter vorzunehmenden Kompensation zurückverwiesen, sondern auch im – für sich genommen nicht rechtsfehlerhaften – Strafausspruch aufgehoben, weil der lange Zeitraum zwischen Tat und Urteil wegen der konkreten Belastungen für den Angeklagten bereits im Rahmen der Straffindung zu berücksichtigen sei. Mit Beschlüssen vom 15. März 2011 – 1 StR 260/09 und 1 StR 429/09 – hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in der durch ein Anfrage- und Vorlageverfahren nach § 132 GVG bestimmten, nicht rechtsstaatswidrig verzögerten Dauer des Revisionsverfahrens einen bestimmenden Strafzumessungsgrund erblickt und die vom Tatrichter rechtsfehlerfrei bemessenen Einzelstrafen wie auch die Gesamtstrafe aufgehoben.
35
bb) Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob er dieser – im Hinblick auf § 337 StPO nicht unbedenklichen – Auffassung folgt. Der vorliegend inmitten stehende Sachverhalt weicht von den den genannten Entscheidungen zugrunde liegenden Fallgestaltungen in wesentlichen Punkten erheblich ab. Zum einen betreffen jene Entscheidungen Fälle, in denen die Verzögerung im Rahmen des Revisionsverfahrens auftraten, während vorliegend die beiden – besonders zu beurteilenden (vgl. oben III. 2. b) bb)) – Verfassungsbeschwerdeverfahren etwa zwei Drittel der Verfahrensdauer ausmachen. In diesen Zeiträumen schwebte das Verfahren jeweils zunächst nicht mehr, sondern war rechtskräftig abgeschlossen, was u.a. im Hinblick auf die Haftsituation des insoweit nicht den Beschränkungen der Untersuchungshaft unterworfenen Ange- klagten von Belang ist. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die – von der Strafzumessung im engeren Sinne zu unterscheidende, aber mit ihr verschränkte (so auch BGH, Beschluss vom 16. Juni 2009 – 3 StR 173/09, aaO) – Kompensation für die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zu hoch bemessen ist. Nach Auffassung des Senats tritt daher das Zeitmoment im konkreten Fall eines schweren und vom Gesetzgeber in § 78 Abs. 3 Nr. 1 StGB mit einer 30jährigen Verjährungsfrist versehenen Kapitaldelikts als Strafzumessungsgesichtspunkt in den Hintergrund. Keinesfalls handelt es sich bei der hier gegebenen besonderen Sachlage um einen bestimmenden Strafzumessungsgrund.
36
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO. Angesichts des nur geringen Teilerfolges der Revision erscheint es nicht unbillig, den Angeklagten mit den vollen Kosten des Revisionsverfahrens zu belasten.
Ernemann Roggenbuck Cierniak Mutzbauer Bender

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Juni 2011 - 4 StR 643/10

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Juni 2011 - 4 StR 643/10

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Strafprozeßordnung - StPO | § 473 Kosten bei zurückgenommenem oder erfolglosem Rechtsmittel; Kosten der Wiedereinsetzung


(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Ansc

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R
Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Juni 2011 - 4 StR 643/10 zitiert 18 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Strafprozeßordnung - StPO | § 473 Kosten bei zurückgenommenem oder erfolglosem Rechtsmittel; Kosten der Wiedereinsetzung


(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Ansc

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafprozeßordnung - StPO | § 358 Bindung des Tatgerichts; Verbot der Schlechterstellung


(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen. (2) Das angefochtene Urte

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 93c


(1) Liegen die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 Buchstabe b vor und ist die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgebliche verfassungsrechtliche Frage durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, kann die Kammer der Verfassungsb

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 132


(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate. (2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Sena

Strafprozeßordnung - StPO | § 337 Revisionsgründe


(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe. (2) Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 31


(1) Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden. (2) In den Fällen des § 13 Nr. 6, 6a, 11, 12 und 14 hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Gese

Strafgesetzbuch - StGB | § 78 Verjährungsfrist


(1) Die Verjährung schließt die Ahndung der Tat und die Anordnung von Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8) aus. § 76a Absatz 2 bleibt unberührt. (2) Verbrechen nach § 211 (Mord) verjähren nicht. (3) Soweit die Verfolgung verjährt, beträgt die Verjäh

Strafprozeßordnung - StPO | § 136 Vernehmung


(1) Bei Beginn der Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zu Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen. Er ist darauf hinzuweisen, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 79


(1) Gegen ein rechtskräftiges Strafurteil, das auf einer mit dem Grundgesetz für unvereinbar oder nach § 78 für nichtig erklärten Norm oder auf der Auslegung einer Norm beruht, die vom Bundesverfassungsgericht für unvereinbar mit dem Grundgesetz erkl

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 78


Kommt das Bundesverfassungsgericht zu der Überzeugung, daß Bundesrecht mit dem Grundgesetz oder Landesrecht mit dem Grundgesetz oder dem sonstigen Bundesrecht unvereinbar ist, so erklärt es das Gesetz für nichtig. Sind weitere Bestimmungen des gleich

Strafprozeßordnung - StPO | § 137 Recht des Beschuldigten auf Hinzuziehung eines Verteidigers


(1) Der Beschuldigte kann sich in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers bedienen. Die Zahl der gewählten Verteidiger darf drei nicht übersteigen. (2) Hat der Beschuldigte einen gesetzlichen Vertreter, so kann auch dieser sel

Strafprozeßordnung - StPO | § 373 Urteil nach erneuter Hauptverhandlung; Verbot der Schlechterstellung


(1) In der erneuten Hauptverhandlung ist entweder das frühere Urteil aufrechtzuerhalten oder unter seiner Aufhebung anderweit in der Sache zu erkennen. (2) Das frühere Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Ve

Strafprozeßordnung - StPO | § 114b Belehrung des verhafteten Beschuldigten


(1) Der verhaftete Beschuldigte ist unverzüglich und schriftlich in einer für ihn verständlichen Sprache über seine Rechte zu belehren. Ist eine schriftliche Belehrung erkennbar nicht ausreichend, hat zudem eine mündliche Belehrung zu erfolgen. Entsp

Konsulargesetz - KonsG | § 7 Hilfe für Gefangene


Die Konsularbeamten sollen in ihrem Konsularbezirk deutsche Untersuchungs- und Strafgefangene auf deren Verlangen betreuen und ihnen insbesondere Rechtsschutz vermitteln.

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Juni 2011 - 4 StR 643/10 zitiert oder wird zitiert von 17 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Juni 2011 - 4 StR 643/10 zitiert 13 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 27. Aug. 2009 - 3 StR 250/09

bei uns veröffentlicht am 27.08.2009

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 3 StR 250/09 vom 27. August 2009 in der Strafsache gegen Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja Veröffentlichung: ja _________________________ MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1; StPO § 353 Abs. 1 Die Aufhebung eines t

Bundesgerichtshof Urteil, 20. Dez. 2007 - 3 StR 318/07

bei uns veröffentlicht am 20.12.2007

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 3 StR 318/07 vom 20. Dezember 2007 Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja Veröffentlichung: ja ___________________________________ WÜK Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 Zu den Folgen einer verspätet erteilte

Bundesgerichtshof Urteil, 18. Dez. 2008 - 4 StR 455/08

bei uns veröffentlicht am 18.12.2008

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES Urteil 4 StR 455/08 vom 18. Dezember 2008 in der Strafsache gegen Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja Veröffentlichung: ja StPO § 136 Abs. 1 Satz 2 1. Wird ein Tatverdächtiger zunächst zu Unrecht als Zeuge vernommen

Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Okt. 2005 - 1 StR 117/05

bei uns veröffentlicht am 19.10.2005

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 117/05 vom 19. Oktober 2005 in der Strafsache gegen wegen versuchten Mordes u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Oktober 2005 beschlossen : Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des L

Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Sept. 2007 - 1 StR 273/07

bei uns veröffentlicht am 11.09.2007

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 273/07 vom 11. September 2007 Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja (nur II) Veröffentlichung: ja WÜK Art. 36; StPO § 257 1. Die Widerspruchslösung findet auch bei einer zu spät erteilten Belehrung über das Recht a

Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Juni 2009 - 3 StR 173/09

bei uns veröffentlicht am 16.06.2009

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 173/09 vom 16. Juni 2009 in der Strafsache gegen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u. a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2.

Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Sept. 2007 - 5 StR 116/01

bei uns veröffentlicht am 25.09.2007

Nachschlagewerk: ja BGHSt : ja Veröffentlichung : ja WÜK Art. 36 1. Zur Belehrung eines Festgenommenen mit fremder Staatsangehörigkeit gemäß Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 des Wiener Konsularrechtsübereinkommens (WÜK) über sein subjektives Recht,

Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Jan. 2009 - 4 StR 537/08

bei uns veröffentlicht am 15.01.2009

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 537/08 vom 15. Januar 2009 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 15. Januar 2009 gemäß §

Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Jan. 2003 - 5 StR 475/02

bei uns veröffentlicht am 29.01.2003

5 StR 475/02 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 29. Januar 2003 in der Strafsache gegen 1. 2. 3. wegen räuberischer Erpressung mit Todesfolge u.a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. Januar 2003 beschlossen: Die Revisionen der

Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Mai 2010 - 4 StR 577/09

bei uns veröffentlicht am 12.05.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 577/09 vom 12. Mai 2010 in der Strafsache gegen wegen nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers

Bundesgerichtshof Urteil, 09. Okt. 2008 - 1 StR 238/08

bei uns veröffentlicht am 09.10.2008

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 238/08 vom 9. Oktober 2008 in der Strafsache gegen wegen Betruges Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Oktober 2008, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter

Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Juli 2010 - 1 StR 251/10

bei uns veröffentlicht am 13.07.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 251/10 vom 13. Juli 2010 in der Strafsache gegen wegen Mordes u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Juli 2010 beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kempt

Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Sept. 2010 - 3 StR 573/09

bei uns veröffentlicht am 14.09.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 573/09 vom 14. September 2010 Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja Veröffentlichung: ja ___________________________________ StPO § 136a KonsG § 7 1. Das Gespräch, das ein Konsularbeamter mit einem in ausländischer Ha
4 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Juni 2011 - 4 StR 643/10.

Bundesgerichtshof Beschluss, 08. März 2018 - 3 StR 63/15

bei uns veröffentlicht am 08.03.2018

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 63/15 vom 8. März 2018 in der Strafsache gegen wegen Totschlags ECLI:DE:BGH:2018:080318B3STR63.15.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts

Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Juni 2017 - GSSt 2/17

bei uns veröffentlicht am 12.06.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS GSSt 2/17 vom 12. Juni 2017 BGHSt: ja BGHR: ja Nachschlagewerk: ja Veröffentlichung: ja StGB § 78b Abs. 1 Nr. 1, § 46 Dem zeitlichen Abstand zwischen Tat und Urteil kommt im Rahmen der Strafzumessung bei

Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Mai 2016 - 1 ARs 5/16

bei uns veröffentlicht am 10.05.2016

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 ARs 5/16 vom 10. Mai 2016 in der Strafsache gegen wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes hier: Antwort auf den Anfragebeschluss des 3. Strafsenats vom 29. Oktober 2015 – 3 StR 342/15 ECLI:DE:BGH:2016:100516B1ARS5

Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Feb. 2015 - 4 StR 391/14

bei uns veröffentlicht am 12.02.2015

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR391/14 vom 12. Februar 2015 in der Strafsache gegen wegen Beihilfe zum Raub Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 12. Februar 2015 gemäß §

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

5 StR 475/02

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 29. Januar 2003
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen räuberischer Erpressung mit Todesfolge u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. Januar 2003

beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten S , D und Ö gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 5. April 2002 werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.
G r ü n d e Die Revisionen der Angeklagten haben aus den vom Generalbundes- anwalt in der Antragsschrift angegebenen Gründen keinen Erfolg.
Ergänzend bemerkt der Senat: Für die vom Angeklagten Ö erhobene Besetzungsrüge gelten die Ausführungen des Generalbundesanwalts im Antrag vom 13. November 2002 (B. I. 1.) entsprechend. Keinen Erfolg hat auch die Rüge des Angeklagten D , die polizeilichen Vernehmungsbeamten hätten ihm nach seiner Festnahme nicht vorenthalten dürfen, daß sich für ihn bereits ein Rechtsanwalt als möglicher Verteidiger gemeldet habe, mit der etwaigen Folge, daß seine damaligen Angaben nicht hätten verwertet werden dürfen (vgl. dazu BGH NStZ 1997, 502; Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl. § 136 Rdn. 10; Lüderssen in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 137 Rdn. 67). Die Verfahrensrüge genügt nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, da die Revision verschweigt, daß der Angeklagte sich am 20. November 2001 – nach Konsultation seines Verteidigers – er- neut zur Sache eingelassen und die Richtigkeit seiner früheren Angaben bestätigt hat (Sachakten Bl. 619-621).
Harms Häger Basdorf Gerhardt Raum

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden.

(2) In den Fällen des § 13 Nr. 6, 6a, 11, 12 und 14 hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Gesetzeskraft. Das gilt auch in den Fällen des § 13 Nr. 8a, wenn das Bundesverfassungsgericht ein Gesetz als mit dem Grundgesetz vereinbar oder unvereinbar oder für nichtig erklärt. Soweit ein Gesetz als mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht vereinbar oder unvereinbar oder für nichtig erklärt wird, ist die Entscheidungsformel durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen. Entsprechendes gilt für die Entscheidungsformel in den Fällen des § 13 Nr. 12 und 14.

(1) Liegen die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 Buchstabe b vor und ist die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgebliche verfassungsrechtliche Frage durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, kann die Kammer der Verfassungsbeschwerde stattgeben, wenn sie offensichtlich begründet ist. Der Beschluß steht einer Entscheidung des Senats gleich. Eine Entscheidung, die mit der Wirkung des § 31 Abs. 2 ausspricht, daß ein Gesetz mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht unvereinbar oder nichtig ist, bleibt dem Senat vorbehalten.

(2) Auf das Verfahren finden § 94 Abs. 2 und 3 und § 95 Abs. 1 und 2 Anwendung.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Der verhaftete Beschuldigte ist unverzüglich und schriftlich in einer für ihn verständlichen Sprache über seine Rechte zu belehren. Ist eine schriftliche Belehrung erkennbar nicht ausreichend, hat zudem eine mündliche Belehrung zu erfolgen. Entsprechend ist zu verfahren, wenn eine schriftliche Belehrung nicht möglich ist; sie soll jedoch nachgeholt werden, sofern dies in zumutbarer Weise möglich ist. Der Beschuldigte soll schriftlich bestätigen, dass er belehrt wurde; falls er sich weigert, ist dies zu dokumentieren.

(2) In der Belehrung nach Absatz 1 ist der Beschuldigte darauf hinzuweisen, dass er

1.
unverzüglich, spätestens am Tag nach der Ergreifung, dem Gericht vorzuführen ist, das ihn zu vernehmen und über seine weitere Inhaftierung zu entscheiden hat,
2.
das Recht hat, sich zur Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen,
3.
zu seiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen kann,
4.
jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger befragen kann; dabei sind ihm Informationen zur Verfügung zu stellen, die es ihm erleichtern, einen Verteidiger zu kontaktieren; auf bestehende anwaltliche Notdienste ist dabei hinzuweisen,
4a.
in den Fällen des § 140 die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Maßgabe des § 141 Absatz 1 und des § 142 Absatz 1 beantragen kann; dabei ist auf die mögliche Kostenfolge des § 465 hinzuweisen,
5.
das Recht hat, die Untersuchung durch einen Arzt oder eine Ärztin seiner Wahl zu verlangen,
6.
einen Angehörigen oder eine Person seines Vertrauens benachrichtigen kann, soweit der Zweck der Untersuchung dadurch nicht erheblich gefährdet wird,
7.
nach Maßgabe des § 147 Absatz 4 beantragen kann, die Akten einzusehen und unter Aufsicht amtlich verwahrte Beweisstücke zu besichtigen, soweit er keinen Verteidiger hat, und
8.
bei Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft nach Vorführung vor den zuständigen Richter
a)
eine Beschwerde gegen den Haftbefehl einlegen oder eine Haftprüfung (§ 117 Absatz 1 und 2) und eine mündliche Verhandlung (§ 118 Absatz 1 und 2) beantragen kann,
b)
bei Unstatthaftigkeit der Beschwerde eine gerichtliche Entscheidung nach § 119 Absatz 5 beantragen kann und
c)
gegen behördliche Entscheidungen und Maßnahmen im Untersuchungshaftvollzug eine gerichtliche Entscheidung nach § 119a Absatz 1 beantragen kann.
Der Beschuldigte ist auf das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers nach § 147 hinzuweisen. Ein Beschuldigter, der der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig ist, ist in einer ihm verständlichen Sprache darauf hinzuweisen, dass er nach Maßgabe des § 187 Absatz 1 bis 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes für das gesamte Strafverfahren die unentgeltliche Hinzuziehung eines Dolmetschers oder Übersetzers beanspruchen kann; ein hör- oder sprachbehinderter Beschuldigter ist auf sein Wahlrecht nach § 186 Absatz 1 und 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes hinzuweisen. Ein ausländischer Staatsangehöriger ist darüber zu belehren, dass er die Unterrichtung der konsularischen Vertretung seines Heimatstaates verlangen und dieser Mitteilungen zukommen lassen kann.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 577/09
vom
12. Mai 2010
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 12. Mai 2010 gemäß §§ 349
Abs. 4, 126 Abs. 3 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Betroffenen wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 17. Juli 2009 aufgehoben.
2. Der Antrag auf nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung wird zurückgewiesen.
3. Die Entscheidung über die Entschädigung des Betroffenen wegen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt dem Landgericht vorbehalten.
4. Der Unterbringungsbefehl des Landgerichts Saarbrücken vom 15. Juni 2007 wird aufgehoben. Der Betroffene ist in dieser Sache sofort auf freien Fuß zu setzen.
5. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der Rechtsmittelkosten und die notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:


1
Das Landgericht Saarbrücken hat mit Urteil vom 17. Juli 2009 gegen den Betroffenen (erneut) die nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwah- rung gemäß § 66 b Abs. 3 StGB angeordnet. Mit seiner Revision gegen dieses Urteil rügt er die Verletzung formellen und materiellen Rechts; das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg.

I.


2
Der wiederholt, unter anderem wegen Mordes und gefährlicher Körperverletzung vorbestrafte Betroffene war durch Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 28. September 1989 wegen vorsätzlichen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Zugleich hatte das Landgericht seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet. Der Verurteilte hatte nach Ansicht der damals erkennenden Strafkammer in einem Rausch jedenfalls die Tatbestände der Körperverletzung und des versuchten Totschlags durch Unterlassen verwirklicht. Die Anordnung der Maßregel hatte das Landgericht damit begründet, dass der Verurteilte auf Grund einer Persönlichkeitsstörung zur Begehung schwerster , sexuell motivierter Straftaten neige.
3
Durch Urteil des Landgerichts Trier vom 28. Februar 1991 wurde in einem Sicherungsverfahren erneut die Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB). Gegenstand dieses Verfahrens war eine gefährliche Körperverletzung, die der Verurteilte am 23. Februar 1990 während einer Flucht aus dem Maßregelvollzug begangen hatte.
4
Der Verurteilte befand sich anschließend nahezu ununterbrochen im Maßregelvollzug. Mit Beschluss vom 28. November 2005 erklärte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Saarbrücken gemäß § 67 d Abs. 6 Satz 1 StGB beide Unterbringungsanordnungen für erledigt, da ein Zustand im Sinne des § 20 StGB nicht (mehr) gegeben sei; gleichwohl sei der Verurteilte weiterhin als gefährlich für die Allgemeinheit einzustufen. Seit dem 23. Dezember 2005 befand sich der Verurteilte sodann in Strafhaft. Er verbüßte bis zum 22. Juni 2007 die Restfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten aus dem Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 28. September 1989. Seitdem ist er einstweilen untergebracht (§ 275 a Abs. 5 StPO).
5
Mit Urteil vom 4. April 2007 hatte das Landgericht Saarbrücken auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom 14. November 2006 im Hinblick auf die Verurteilung durch das Landgericht Saarbrücken vom 28. September 1989 gegen den Betroffenen gemäß § 66 b Abs. 3 StGB nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dieses Urteil hatte der Senat durch Beschluss vom 10. Februar 2009 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer zurückverwiesen. Aufhebungsgrund war, dass der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs mit Beschluss vom 7. Oktober 2008 - GSSt 1/08 - (BGHSt 52, 379) entschieden hatte, dass § 66 b Abs. 3 StGB nicht auf Fälle anwendbar ist, in denen der Betroffene nach Erklärung der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67 d Abs. 6 StGB) noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt worden ist.
6
Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Landgericht erneut die nachträgliche Unterbringung des Betroffenen in der Sicherungsverwahrung angeordnet und nunmehr die Anordnung der Unterbringung auf das Urteil des Landgerichts Trier vom 28. Februar 1991 gestützt, in der gegen den Betroffenen - weil schuldlos handelnd - nur auf die Unterbringung nach § 63 StGB erkannt worden war.

II.


7
Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung hat keinen Bestand. Zwar hat das Landgericht die Voraussetzungen des § 66 b Abs. 3 StGB rechtsfehlerfrei bejaht, jedoch ist diese Bestimmung gemäß § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK nicht auf Taten anwendbar, die vor ihrem Inkrafttreten begangen worden sind.
8
1. a) Nach dem Urteil der Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Fünfte Sektion) in der Rechtsache M. gegen Bundesrepublik Deutschland (Individualbeschwerde Nr. 19359/04) vom 17. Dezember 2009 (EuGRZ 2010, 25; auszugsweise auch abgedruckt in NStZ 2010, 263; vgl. hierzu auch Kinzig NStZ 2010, 233) ist die Sicherungsverwahrung - ungeachtet ihrer Bezeichnung im deutschen Recht als „Maßregel der Besserung und Sicherung“ - im Sinne der MRK als Strafe zu qualifizieren, für die das Rückwirkungsverbot des Art. 7 Abs. 1 MRK gilt (Rdnrn. 124 - 133). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat dies unter anderem damit begründet, dass die Sicherungsverwahrung wie eine Freiheitsstrafe mit Freiheitsentziehung verbunden sei und es in der Bundesrepublik Deutschland keine wesentlichen Unterschiede zwischen dem Vollzug einer Freiheitsstrafe und dem der Sicherungsverwahrung gebe (Rdnrn. 127 bis 130). Er hat daher in jenem Fall die Bundesrepublik Deutschland zur Zahlung von Schadensersatz an den dortigen Beschwerdeführer verurteilt, da die Anwendung des § 67 d StGB in der Fassung vom 26. Januar 1998 (BGBl. I 160), in welchem die Höchstfrist der Sicherungsverwahrung für Erstverwahrte von zehn Jahren in § 67 d Abs. 1 Satz 1 StGB a.F. abgeschafft worden war, auf Altfälle gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK verstoße (Rdnrn. 135 ff.). Diese Entscheidung ist endgültig, nachdem der Antrag der Bundesregierung auf Verweisung der Rechtsache an die Große Kammer am 10. Mai 2010 abgelehnt worden ist (Artt. 43 Abs. 2, 44 Abs. 2 Buchst. c MRK).
9
b) Nach Maßgabe dieses Urteils verstößt im vorliegenden Fall die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK, da das Tatzeitrecht für die Anlasstat nicht die Anordnung von Sicherungsverwahrung androhte.
10
Der Betroffene hat die Tat, die der Verurteilung durch das Landgericht Trier vom 28. Februar 1991 zugrunde liegt, am 23. Februar 1990 begangen. Nach der rechtlichen Würdigung des Landgerichts handelte er bei ihrer Begehung nicht ausschließbar im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB). Danach kam bereits aus diesem Grund eine Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht in Betracht. Denn § 66 Abs. 1 StGB, sowohl in der zum Tatzeitpunkt gültigen Fassung vom 10. März 1987 (BGBl. I 945) als auch in allen späteren Fassungen, setzte und setzt als Anlasstat die Begehung einer vorsätzlichen, d.h. schuldhaft begangenen, Tat voraus, für die zudem auf eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren erkannt worden sein muss.
11
Im Übrigen wären aber auch bei schuldhafter Tatbegehung die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht erfüllt gewesen, weil der Betroffene vor der (neuen) Tat nicht im Sinne dieser Bestimmung bereits zweimal wegen vorsätzlicher Straftaten jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist. Zwar war er - neben der Verurteilung durch das Landgericht Saarbrücken vom 28. September 1989 - weiterhin durch Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 9. Mai 1980 wegen einer am 30. Juli 1979 begangenen gefährlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Diese Tat wäre indes nach § 66 Abs. 3 Satz 3 und 4 StGB a.F. (= § 66 Abs. 4 Satz 3 und 4 StGB in der jetzt geltenden Fassung ) nicht berücksichtigungsfähig gewesen, da der Betroffene nach Verbüßung der damals erkannten Freiheitsstrafe für einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren nicht wieder straffällig geworden war.
12
Erstmals § 66 b Abs. 3 StGB, auf den das Landgericht die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung des Betroffenen gestützt hat, ermöglichte hier die Unterbringung des Betroffenen in der Sicherungsverwahrung. Diese Bestimmung ist jedoch erst nach Begehung der Anlasstat durch Gesetz vom 23. Juli 2004 (BGBl. I 1838) eingeführt worden und am 29. Juli 2004 in Kraft getreten. Ihrer Anwendung auf Altfälle steht nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 daher Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK entgegen.
13
c) Dass gegen den Betroffenen - anders als in dem vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entschiedenen Fall - bereits mit der Anlassverurteilung auf eine von vorneherein zeitlich nicht befristete Maßregel (vgl. § 67 d Abs. 1 Satz 1 StGB in der auch zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung) erkannt worden war, führt zu keiner anderen rechtlichen Bewertung (anders OLG Saarbrücken , Beschluss vom 7. April 2010 - 1 Ws 73/10). Insoweit ist zu berücksichtigen , dass schon vor Einführung des § 67 d Abs. 6 Satz 1 StGB nach der Rechtsprechung der Vollstreckungsgerichte die Erledigung der Maßregel bei Wegfall einer ihrer Voraussetzungen auch dann zu beschließen war, wenn die Gefährlichkeit des Untergebrachten fortbestand (vgl. OLG Hamm NStZ 1982, 300; OLG Karlsruhe MDR 1983, 151; OLG Frankfurt NStZ 1993, 252 sowie hierzu auch BVerfG NStZ 1995, 174, 175). Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber in § 67 d Abs. 6 StGB lediglich festschreiben wollen (vgl. BT-Drucks. 15/2887 S. 13 f.). Nach dem zum Zeitpunkt der Tat maßgeblichen Recht hätte somit die angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für erledigt erklärt werden und der Betroffene in Freiheit entlassen werden müssen, ohne dass an ihre Stelle die Sicherungsverwahrung treten konnte.
14
d) Die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind - ungeachtet ihrer auf den Einzelfall beschränkten Bindungswirkung (vgl. Art. 46 Abs. 1 MRK sowie hierzu Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. MRK Verfahren Rdnr. 76) - bei der Auslegung innerdeutschen Rechts zu berücksichtigen. Die Vorschrift des § 2 Abs. 6 StGB ist daher mit Blick auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 dahin auszulegen, dass § 66 b Abs. 3 StGB nicht rückwirkend auf vor seinem Inkrafttreten begangene Taten angewendet werden darf.
15
Zwar handelt es sich bei der Sicherungsverwahrung nach innerdeutschem Recht um eine Maßregel der Besserung und Sicherung, für die nach § 2 Abs. 6 StGB grundsätzlich das Recht zum Zeitpunkt der Entscheidung gilt. § 2 Abs. 6 StGB schreibt die Maßgeblichkeit des zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Rechts jedoch nur vor, „wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist“. Eine derartige andere Bestimmung stellt hier Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschrechte dar.
16
Bei der MRK handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag, der durch den Bundesgesetzgeber in das deutsche Recht transformiert worden ist. Innerhalb der deutschen Rechtsordnung steht die MRK im Range einfachen Bundesrechts. Deutsche Gerichte haben daher die Konvention wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden (BVerfGE 111, 307, 316 ff.; BVerfG EuGRZ 2010, 145, 147; Gollwitzer aaO Einführung Rdnrn. 39, 43 jeweils m.w.N.). Dabei sind auch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu berücksichtigen, weil sich in ihnen der aktuelle Entwicklungsstand der Konvention widerspiegelt. Das nationale Recht ist wegen des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes unabhängig vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens nach Möglichkeit im Einklang mit den Bestimmungen der MRK auszulegen (BVerfGE 111, 307, 324; Gollwitzer aaO).
17
Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist bei konventionsgemäßer Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB die Regelung des Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK als (einfach -) gesetzliche Ausnahmeregelung zu bewerten, die für die Anordnung der Sicherungsverwahrung die Maßgeblichkeit des Tatzeitrechts vorsieht. Nach dem zur Tatzeit geltenden Recht war jedoch - wie bereits ausgeführt - die Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Betroffenen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt möglich.
18
2. Der hier vorgenommenen Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB steht nicht die Bindungswirkung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Februar 2004 (BVerfGE 109, 133) zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Wegfalls der Höchstdauer der erstmaligen Sicherungsverwahrung entgegen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in jener Entscheidung ausgesprochen, dass die Sicherungsverwahrung keine Strafe darstellt und eine nachträgliche Änderung ihrer Höchstdauer nicht gegen das absolute Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG verstößt (BVerfGE 109, 133, 167 ff.). Bei der Frage, ob entsprechend dem Gesetzesvorbehalt in § 2 Abs. 6 StGB eine Maßregel der Besserung und Sicherung von der Maßgeblichkeit des Rechts des Zeitpunkts der Entscheidung auszunehmen ist, handelt es sich indes um eine solche einfachen Rechts. Dem Gesetzgeber steht es im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens frei, für einzelne Maßregeln der Besserung und Sicherung in Abweichung von dem Grundsatz des § 2 Abs. 6 StGB die Geltung des Tatzeitrechts anzuordnen; er hat hiervon in der Vergangenheit wiederholt Gebrauch gemacht (vgl. die Nachweise bei Fischer StGB 57. Aufl. § 2 Rdnr. 15 und speziell Art. 93 des 1. StrRG). Ebenso kann dies Folge der gebotenen Berücksichtigung einer ebenfalls im Range einfachen Bundesrechts stehenden Bestimmung der MRK sein. Der Rechtssatz des Bundesverfassungsgerichts, dass nach deutschem Verfassungsrecht die Sicherungsverwahrung nicht dem Rückwirkungsverbot unterfällt, wird dadurch nicht in Frage gestellt. Einfaches Recht hat zwar die Vorgaben des Grundgesetzes zu wahren, es kann aber im Einzelfall über die dort festgelegten Mindestanforderungen hinausgehen.
19
3. Rechtsprechung anderer Senate des Bundesgerichtshofs steht der getroffenen Entscheidung nicht entgegen. Die Frage, ob § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK einer Anwendung des § 66 b Abs. 3 StGB auf Altfälle entgegensteht, ist - soweit ersichtlich - vom Bundesgerichtshof noch nicht entschieden worden. Der 1. Strafsenat hat in seinem Beschluss vom 14. Januar 2010 - 1 StR 595/09 [zu § 66 b Abs. 2 StGB] mögliche Auswirkungen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 auf den zu entscheidenden Fall offen gelassen und dies mit der fehlenden Endgültigkeit der Entscheidung begründet. Soweit der 1. Strafsenat in seinem Urteil vom 9. März 2010 - 1 StR 554/09 die Auffassung vertreten hat, dass die Ausführungen in der - damals ebenfalls noch nicht endgültigen - Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 JGG auf einen Altfall nicht entgegenstehen, hat er dies mit hier nicht einschlägigen Besonderheiten des Jugendstrafrechts begründet. Im Übrigen ist, nachdem das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte am 10. Mai 2010 gemäß Art. 43 Abs. 2, Art. 44 Abs. 2 Buchst. c MRK endgültig gewor- den ist, eine neue Rechtslage gegeben, die eine etwaige Bindung an frühere entgegenstehende Rechtsprechung entfallen lassen würde (vgl. hierzu Hannich in KK 6. Aufl. § 132 GVG Rdnr. 8).
20
4. Die Maßregelanordnung war daher aufzuheben; gleichzeitig war in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO der Antrag der Staatsanwaltschaft zurückzuweisen und der Betroffene sofort auf freien Fuß zu setzen.
21
Die Entscheidung über die Entschädigung des Betroffenen wegen der seit Ende der Strafhaft erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt wegen der größeren Sachnähe dem Landgericht vorbehalten.
RiBGH Athing ist im Ernemann Solin-Stojanović Ruhestand und daher an der Unterschrift gehindert Ernemann Cierniak Franke

(1) Bei Beginn der Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zu Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen. Er ist darauf hinzuweisen, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen. Möchte der Beschuldigte vor seiner Vernehmung einen Verteidiger befragen, sind ihm Informationen zur Verfügung zu stellen, die es ihm erleichtern, einen Verteidiger zu kontaktieren. Auf bestehende anwaltliche Notdienste ist dabei hinzuweisen. Er ist ferner darüber zu belehren, daß er zu seiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen und unter den Voraussetzungen des § 140 die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Maßgabe des § 141 Absatz 1 und des § 142 Absatz 1 beantragen kann; zu Letzterem ist er dabei auf die Kostenfolge des § 465 hinzuweisen. In geeigneten Fällen soll der Beschuldigte auch darauf, dass er sich schriftlich äußern kann, sowie auf die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs hingewiesen werden.

(2) Die Vernehmung soll dem Beschuldigten Gelegenheit geben, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen.

(3) Bei der Vernehmung des Beschuldigten ist zugleich auf die Ermittlung seiner persönlichen Verhältnisse Bedacht zu nehmen.

(4) Die Vernehmung des Beschuldigten kann in Bild und Ton aufgezeichnet werden. Sie ist aufzuzeichnen, wenn

1.
dem Verfahren ein vorsätzlich begangenes Tötungsdelikt zugrunde liegt und der Aufzeichnung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen oder
2.
die schutzwürdigen Interessen von Beschuldigten, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden, durch die Aufzeichnung besser gewahrt werden können.
§ 58a Absatz 2 gilt entsprechend.

(5) § 58b gilt entsprechend.

(1) Der Beschuldigte kann sich in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers bedienen. Die Zahl der gewählten Verteidiger darf drei nicht übersteigen.

(2) Hat der Beschuldigte einen gesetzlichen Vertreter, so kann auch dieser selbständig einen Verteidiger wählen. Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 273/07
vom
11. September 2007
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja (nur II)
Veröffentlichung: ja
WÜK Art. 36; StPO § 257
1. Die Widerspruchslösung findet auch bei einer zu spät erteilten Belehrung
über das Recht auf konsularischen Beistand nach Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3
des Wiener Konsularrechtsübereinkommens (WÜK) Anwendung.
2. Zu den Anforderungen an einen solchen Widerspruch.
BGH, Beschl. vom 11. September 2007 - 1 StR 273/07 - LG Regensburg
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. September 2007 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 20. Dezember 2006 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


I.

1
1. Das Landgericht hat - für den Senat bindend - festgestellt:
2
In der Tatnacht kam es zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau D. B. , dem Tatopfer, im Wohnzimmer der gemeinsamen Wohnung zunächst zu einvernehmlichen sexuellen Handlungen. Dabei fesselte der Angeklagte seiner Ehefrau die Hände auf dem Rücken; dies gehörte zu den üblichen Praktiken des Ehepaars. Er riss hierzu Lautsprecherkabel der Heimkinoanlage ab, weil er die gewöhnlich benutzten Utensilien - wie Stofftücher oder Handschellen aus dem Erotikfachhandel - weggeworfen oder unauffindbar verlegt hatte. Seine Ehefrau war über die Verwendung des Kabels und die äußerst straffe Fesselung, die zu blasigen Hautabhebungen führte, verwundert. Der Angeklagte führte sodann mit seiner Ehefrau einvernehmlich - zuletzt bäuchlings übereinander auf dem Wohnzimmerteppich liegend - den Analverkehr bis zum Samenerguss durch. Als der Angeklagte ihrem anschließenden Begehren, von ihr "herunterzugehen" und sie loszubinden, keine Folge leistete, beschimpfte sie ihn.
3
Auf Grund dieser Unmutsäußerungen erregt, beschloss der Angeklagte nunmehr seine Ehefrau zu töten. Er hob ihren Slip vom Boden auf, zerriss ihn und band ihr damit die Fußgelenke zusammen. Weiterhin riss er ein zweites Lautsprecherkabel ab und verschnürte damit ihre Unterschenkel. Erst jetzt erkannte D. B. - zumal der Angeklagte auf Nachfrage entsprechende Andeutungen machte - die Gefahr für ihr Leben, war allerdings infolge der Fesselung widerstandsunfähig. Es gelang ihr nicht, den Angeklagten umzustimmen. In Ausführung seines Tötungsvorhabens schlang dieser ein weiteres Stück Lautsprecherkabel um den Hals seiner Ehefrau und zog bis zum Todeseintritt zu, wobei er im weiteren Verlauf noch einen Holzkochlöffel einsetzte, um damit durch Drehbewegungen die Zugkräfte und die drosselnde Wirkung des Kabels zu verstärken.
4
2. Das Landgericht hat die Tat als Heimtückemord bewertet und den Angeklagten zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, welche die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

II.

5
Die Verfahrensrügen dringen aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 12. Juni 2007 dargelegten Gründen nicht durch. Näherer Erörterung bedarf nur die Rüge, die Schwurgerichtskammer habe bei der Ur- teilsfindung rechtsfehlerhaft die Aussage des Angeklagten bei seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung verwertet, obwohl er bei dieser Vernehmung als irakischer Staatsangehöriger nicht über sein Recht auf konsularischen Beistand belehrt worden sei (Verstoß gegen Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 des Wiener Konsularrechtsübereinkommens [WÜK]).
6
1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
7
Nachdem der Angeklagte nach der Tat über Notruf mitgeteilt hatte, dass er soeben seine Ehefrau erdrosselt habe, wurde er von Polizeibeamten kurz nach deren Eintreffen vor seiner Wohnung festgenommen. Etwa fünf Stunden später, am Morgen des 12. September 2005, begann die gegenständliche Beschuldigtenvernehmung durch den kriminalpolizeilichen Sachbearbeiter, der den Angeklagten nach § 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 StPO, nicht jedoch nach Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK belehrte. Noch bevor der Angeklagte die Tat schilderte, wurde ein Dolmetscher hinzugezogen, der das gesamte bis dahin erstellte Protokoll einschließlich der Belehrung übersetzte. Sodann machte der Angeklagte geständige Angaben zum Tatgeschehen.
8
Bei der Haftbefehlseröffnung am nächsten Tag sagte der Angeklagte nicht mehr aus. Vom Ermittlungsrichter wurde er anschließend erstmals darüber belehrt, dass er die Unterrichtung seiner Auslandsvertretung verlangen könne. Von diesem Recht machte der Angeklagte Gebrauch; der Versuch einer sofortigen telefonischen Kontaktaufnahme mit der irakischen Botschaft scheiterte allerdings. Bei der Exploration durch den psychiatrischen Sachverständigen ca. ein halbes Jahr später wiederholte der Angeklagte im Wesentlichen seine Angaben bei der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits durch seinen derzeitigen Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Bo. vertreten.
9
Am 1. Hauptverhandlungstag, dem 9. Oktober 2006, widersprach der Verteidiger vor Einlassung des Angeklagten zur Sache der Verwertung von dessen Angaben bei der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung "insofern, als die Kammer aus dieser für … (den Angeklagten) negative Schlussfolgerungen ziehen möchte". Gerügt wurde folgendes: Der Angeklagte sei nicht auf die Möglichkeit der - kostenlosen - Beiordnung eines Pflichtverteidigers hingewiesen und es sei kein entsprechender Beiordnungsantrag gestellt worden; er sei nicht über die Existenz eines Strafverteidigernotrufs informiert worden; der Dolmetscher habe den kurdischen Dialekt des Angeklagten nicht beherrscht; es seien verbotene Vernehmungsmethoden infolge Ermüdung des Angeklagten angewandt worden. Anschließend gab der Verteidiger für den Angeklagten eine Erklärung zur Sache ab, die von den bisherigen Angaben abwich. Am 3. Verhandlungstag , dem 11. Oktober 2006, wurde der hinzugezogene Dolmetscher als Zeuge vernommen, zudem ein Beschluss verkündet, mit dem der Widerspruch in allen gerügten Punkten zurückgewiesen wurde. Am 4. Verhandlungstag, dem 13. Oktober 2006, wurde der kriminalpolizeiliche Sachbearbeiter zeugenschaftlich vernommen.
10
Am 8. Verhandlungstag, dem 29. November 2006, erhob der Verteidiger eine Gegenvorstellung und "erneuert(e) den Widerspruch … um eine weitere rechtliche Sichtweise". Unter Hinweis auf die Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. September 2006 - 2 BvR 2115/01 u.a. (NJW 2007, 499) machte er nunmehr zusätzlich ein Verwertungsverbot infolge der Verletzung der Belehrungspflicht nach Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK geltend. Am 9. Verhandlungstag, dem 7. Dezember 2006, verkündete der Vorsitzende einen Beschluss der Schwurgerichtskammer, mit dem sie die Gegenvorstellung zurückwies.
11
Die Feststellungen zur Tat basieren auf der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung ; die Angaben des Angeklagten gegenüber dem psychiatrischen Sachverständigen hat die Kammer (nur) "ergänzend" herangezogen (UA S. 16).
12
2. Die Verfahrensrüge ist - worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat - nicht zulässig erhoben. Die Revisionsbegründung teilt nicht mit (vgl. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), dass die Gegenvorstellung des Angeklagten vom 29. November 2006, mit der er den Verstoß gegen Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK erstmals beanstandete, mit Beschluss vom 7. Dezember 2006 zurückgewiesen wurde. Diese Tatsache ergibt sich zwar aus den Urteilsgründen, die das Revisionsgericht auf die Sachrüge ergänzend zu berücksichtigen hat (UA S. 33 f.). Der Inhalt des Beschlusses wird aber weder in der Revisionsbegründung noch im Urteil wiedergegeben.
13
Ein Zweck des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ist, das Revisionsgericht in die Lage zu versetzen, allein anhand der Revisionsbegründung über die Schlüssigkeit einer Verfahrensrüge zu befinden (BVerfGE 112, 185, 212). Der Revisionsführer muss daher die den Mangel enthaltenden Tatsachen so vollständig und genau angeben, dass das Revisionsgericht aufgrund der Rechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorläge, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen wären (vgl. BVerfG aaO 208 m. Nachw. zur st. Rspr. des BGH). Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung hier nicht gerecht. Auch unter ergänzender Heranziehung der Urteilsgründe ist für den Senat nicht erkennbar , aufgrund welcher Tatsachen und welcher Erwägungen das Landgericht von uneingeschränkter Verwertbarkeit der Beschuldigtenvernehmung ausgegangen ist. Dies wäre für ein im Wege der Abwägung zu beurteilendes Beweisverwertungsverbot relevant. Daher hätte die Revisionsbegründung den Beschluss mit seinem wesentlichen Inhalt mitteilen müssen. http://127.0.0.1:50000/Xaver/text.xav?SID=&skin=&bk=heymanns_bgh_ed_bghst&start=%2F%2F*%5B%40attr_id%3D'p-bghst-38-214'%5D&tf=heymanns_bgh_ed_bghst_mainFrame&hlf=heymanns_bgh_ed_bghst_mainFrame&qmf=heymanns_bgh_ed_bghst_mainFrame&tocf=heymanns_bgh_ed_bghst_tocFrame#xaverTitleAnchore [Link] http://127.0.0.1:50000/Xaver/text.xav?SID=&skin=&bk=heymanns_bgh_ed_bghst&start=%2F%2F*%5B%40attr_id%3D'p-bghst-42-15'%5D&tf=heymanns_bgh_ed_bghst_mainFrame&hlf=heymanns_bgh_ed_bghst_mainFrame&qmf=heymanns_bgh_ed_bghst_mainFrame&tocf=heymanns_bgh_ed_bghst_tocFrame#xaverTitleAnchore [Link] http://127.0.0.1:50000/Xaver/text.xav?SID=&skin=&bk=heymanns_bgh_ed_bghst&start=%2F%2F*%5B%40attr_id%3D'p-bghst-42-22'%5D&tf=heymanns_bgh_ed_bghst_mainFrame&hlf=heymanns_bgh_ed_bghst_mainFrame&qmf=heymanns_bgh_ed_bghst_mainFrame&tocf=heymanns_bgh_ed_bghst_tocFrame#xaverTitleAnchore - 7 -
14
3. Die Rüge wäre auch unbegründet. Zwar wurde die Belehrungspflicht nach Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK verletzt, indem der Angeklagte nicht "unverzüglich" nach seiner Festnahme auf sein Recht auf konsularischen Beistand hingewiesen wurde. Insoweit war der Widerspruch in der Hauptverhandlung jedoch verspätet, da diese Pflichtverletzung erst nach dem gemäß § 257 StPO maßgeblichen Zeitpunkt geltend gemacht wurde. Die Zeugenvernehmungen des Dolmetschers und des kriminalpolizeilichen Sachbearbeiters erfolgten bereits am 2. und 3. Verhandlungstag; die - den Verstoß gegen Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK erstmals beanstandende - Gegenvorstellung wurde erst am 8. Verhandlungstag erhoben. Daher kann dahinstehen, ob hier aus dem Verstoß gegen Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK ein Beweisverwertungsverbot zu folgern gewesen wäre.
15
a) Generell gilt, dass Angaben des Angeklagten, die im Ermittlungsverfahren unter Verstoß gegen die Verfahrensgrundsätze des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO (Schweigerecht sowie Recht zur Verteidigerkonsultation) oder sonstige Belehrungspflichten aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens nach Art. 20 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG erlangt wurden, gleichwohl verwertet werden können, wenn der (verteidigte) Angeklagte nicht bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt widersprochen hat (BGHSt 50, 272, 274; zur Widerspruchslösung vgl. BGHSt 38, 214; 39, 349, 352; 42, 15, 22 f.; BGH NJW 1997, 2893; NStZ 1997, 502; Gössel in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. Einl. Abschn. L Rdn. 28 f.). Dies ist ebenso der Fall, wenn eine Belehrung über das Recht auf konsularischen Beistand gemäß Art. 36 WÜK nicht rechtzeitig erfolgte; auch dieses Recht konkretisiert den Grundsatz des fairen Verfahrens (vgl. BVerfG [Kammer] NJW 2007, 499, 501). Inwieweit anderes anzunehmen wäre, wenn die Belehrung nach Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK nicht nachgeholt worden wäre, braucht der Senat hier nicht zu entscheiden. Denn insoweit könnte die fehlende Belehrung dafür verantwortlich sein, dass der - nicht informier- http://rsw.beck.de/bib/bin/reference.asp?Y=300&Z=JR&B=2006&S=300 - 8 - te - Herkunftsstaat außerstande ist, dem Angeklagten bei der Verteidigung behilflich zu sein, damit dieser den Belehrungsmangel rechtzeitig rügen kann (vgl. IGH, Urt. vom 27. Juni 2001 - Fall "LaGrand" - Rdn. 90 f., ICJ-Reports 2001, 464 = JZ 2002, 91, 92; BVerfG aaO 503).
16
b) Der Widerspruch des verteidigten Angeklagten bedarf regelmäßig einer Begründung, in der - zumindest in groben Zügen - anzugeben ist, unter welchem Gesichtspunkt der Angeklagte den zu erhebenden oder bereits erhobenen Beweis für unverwertbar hält. Die Begründung muss die Angriffsrichtung erkennen lassen, die den Prüfungsumfang durch das Tatgericht begrenzt (ausdrücklich offen gelassen in BVerfG aaO 504; vgl. in diesem Sinne zur Angriffsrichtung einer Verfahrensrüge im Revisionsverfahren BGH NStZ 2007, 161, 162; Cirener/Sander JR 2006, 300 jew. m.w.N.). Hierfür spricht namentlich:
17
Widerspricht der verteidigte Angeklagte etwa der Verwertung der Aussage einer Vernehmungsperson über seine Angaben im Ermittlungsverfahren, weil er nicht über sein Aussageverweigerungsrecht belehrt worden sei, wird das Tatgericht keine Veranlassung haben, möglichen anderen Verfahrensfehlern im Einzelnen nachzugehen. Das Gericht wird dann beispielsweise nicht - von sich aus - den seinerzeit hinzugezogenen Dolmetscher dazu hören, inwieweit er sich mit dem Angeklagten verständigen konnte und ob er den von diesem gesprochenen Dialekt hinreichend beherrscht; auch zu Ermittlungen und (freibeweislichen ) Beweiserhebungen im Zusammenhang mit der Belehrung über das Recht auf konsularischen Beistand - etwa dazu, ob der Angeklagte in einem früheren Verfahren schon einmal über dieses Recht unterrichtet worden war - ist das Gericht nicht gehalten. Müsste es alledem stets von Amts wegen nachgehen, würde dies auch dem verfassungsrechtlichen Gebot der straffen Durchführung der Hauptverhandlung zuwiderlaufen (vgl. nur BGH NJW 2007, 2501, 2504 m.w.N.). Dagegen dient der befristet zu erhebende Widerspruch - bis zum durch § 257 StPO bestimmten Zeitpunkt - der gebotenen Verfahrensförderung, ohne dem verteidigten Angeklagten unzumutbare Anforderungen aufzuerlegen (BGHSt 42, 15, 23).
18
c) Der Widerspruch des Angeklagten vom 9. Oktober 2006 bezog sich auf eine Reihe vermeintlicher - tatsächlich nicht vorliegender oder jedenfalls im Ergebnis unbeachtlicher - Verfahrensfehler, nicht jedoch auf eine Gesetzesverletzung im Zusammenhang mit dem Recht auf konsularischen Beistand. Insoweit war der - erst mit der Gegenvorstellung erhobene weitere - Widerspruch verspätet im Sinne von § 257 StPO.
19
Die verschiedenen Angriffsrichtungen des Widerspruchs vom 9. Oktober 2006 gehen aus dem Wortlaut des Verteidigerschriftsatzes eindeutig hervor. In diesen Punkten hat das Gericht den Widerspruch auch alsbald, am 11. Oktober 2006, verbeschieden. Dass es dem Angeklagten bei Erhebung dieses Widerspruchs nicht um den Verstoß gegen Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK ging, ergibt sich gerade daraus, dass er diese Angriffsrichtung deutlich später, am 29. November 2006, eigens mit einer Gegenvorstellung "nachgeschoben" hat. Dies geschah erst, als die an der gegenständlichen Beschuldigtenvernehmung beteiligten Zeugen schon längst entlassen waren und die Verfahrensbeteiligten sich hierzu hatten erklären können (§ 257 Abs. 1 und 2 StPO). Eine frühere Geltendmachung des Verstoßes war dem Angeklagten auch zumutbar, zumal er bereits am Tag nach der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung über sein Recht auf konsularischen Beistand belehrt worden war.
20
d) Der Beschwerdeführer hat weder im Rahmen der Gegenvorstellung noch im Rahmen der Revision vorgetragen, dass er gehindert war, auch im Hinblick auf den Verstoß gegen Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK rechtzeitig Widerspruch zu erheben. Unbeschadet dessen wäre eine späte Kenntnisnahme des Angeklagten oder des Verteidigers von der grundlegenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch ohne Relevanz (in vergleichbarem Sinne BGH NStZ 2005, 582; StV 2005, 373).

III.

21
Die sachlich-rechtliche Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Auch das Mordmerkmal der Heimtücke hat das Landgericht zutreffend bejaht.
22
1. Heimtückisch im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Das Opfer muss gerade auf Grund seiner Arglosigkeit wehrlos sein, wobei für die Beurteilung die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs maßgebend ist (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ 2005, 688, 689; 2006, 502, 503; Urt. vom 20. Juli 2004 - 1 StR 145/04; Urt. vom 2. Februar 2005 - 1 StR 473/04). An dieser Ursächlichkeit der Arglosigkeit für die Wehrlosigkeit fehlt es, wenn sich das Opfer vom Täter verteidigungsunfähig machen ließ, bevor dieser den Entschluss zu dem Angriff fasste (vgl. BGHSt 32, 382; Eser in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 211 Rdn. 24a; Schneider in MüKo-StGB § 211 Rdn. 139).
23
2. Gemessen an diesen Maßstäben ist die Bewertung durch das Landgericht frei von Rechtsfehlern.
24
Freilich wäre das Mordmerkmal der Heimtücke nicht verwirklicht, wenn sich nach Beginn des mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs an der - so die Feststellungen des Landgerichts: undolos herbeigeführten - Lage von D. B. keine relevanten Änderungen mehr ergeben hätten. So liegt der Fall hier jedoch nicht. Zu dem Zeitpunkt, zu dem der Angeklagte den Tötungsentschluss fasste, waren die Verteidigungsmöglichkeiten seiner Ehefrau zwar infolge der einvernehmlichen Sexualpraktiken eingeschränkt. Die Hände waren auf ihrem Rücken gefesselt; sie lag bäuchlings auf dem Teppichboden.
25
Gleichwohl war D. B. infolge Arglosigkeit wehrlos. Denn bei rechtzeitigem Erkennen des Tötungsentschlusses wäre sie in dieser Situation zu wirksamerer Gegenwehr imstande gewesen, um den Anschlag auf ihr Leben wenigstens deutlich zu erschweren. Der Angeklagte musste noch ihren Slip aufheben und zerreißen, weiterhin ein zweites Lautsprecherkabel abreißen und mit beidem ihre Fußgelenke und Unterschenkel fesseln, bevor sie endgültig widerstandsunfähig war. Es liegt auf der Hand, dass D. B. in dieser Zeit geeignete Verteidigungsmaßnahmen - Tritte gegen den Angeklagten oder Versuche , aufzustehen und wegzulaufen - hätte ergreifen können. Derartiger hypothetischer Erwägungen im Urteil bedarf es hier daher nicht. Da die Wehrlosigkeit von D. B. also mit der Fesselung der unteren Extremitäten noch weiter vertieft wurde, ist entscheidend, dass sie währenddessen von dem kurz zuvor gefassten Tötungsentschluss nichts ahnte, die ihr drohende Gefahr vielmehr erst während des anschließenden Wortwechsels erkannte.
26
In diesem Sinne hat das Landgericht als Ursache für die Wehrlosigkeit nicht nur angesehen, "dass D. B. die zunächst beiderseits rein sexuell motivierte Fesselung ihrer Handgelenke freiwillig … vornehmen" ließ, sondern vor allem auch, dass sie "die vor Anlegung der Fußfesseln eingetretene Änderung der Motivlage des Angeklagten zu spät bemerkt(e) …, um effektiv intervenieren zu können" (UA S. 20). Das Urteil stellt ausdrücklich heraus: "Das Anlegen der Fußfesseln stellte den ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriff des Angeklagten dar. D. B. war davon zu überrascht, um sich zu wehren" (UA S. 34).
27
Die - weiteren - Ausführungen der Revision, die Arglosigkeit von D. B. könnte schon Tage vor der Tat allgemein "entfallen" gewesen sein, weil der Angeklagte ihr gegenüber geäußert habe, er werde sie töten, wenn sie schlechten Umgang habe und den gemeinsamen Sohn "da hineinziehe", und weil sie den Angeklagten seinerzeit - nicht ausschließbar - beleidigt habe, liegen angesichts der Feststellungen zur Tat neben der Sache. Nack Wahl Boetticher Kolz Elf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 251/10
vom
13. Juli 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Juli 2010 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kempten (Allg.) vom 30. Dezember 2009 wird als unbegründet verworfen , da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat: Entgegen der Auffassung der Revision führt der Umstand, dass der Angeklagte vor seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung nicht über sein Recht auf konsularischen Beistand nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 des Wiener Konsularrechtsabkommens (WÜK) belehrt worden ist, nicht zu einem Beweisverwertungsverbot.
Nicht jeder Verstoß gegen eine Verfahrensvorschrift, die eine Belehrungspflicht vorsieht, zieht ein Beweisverwertungsverbot nach sich. Die Entscheidung für oder gegen ein solches Verbot ist vielmehr aufgrund einer Abwägung der im Rechtsstaatsprinzip angelegten gegenläufigen Gebote und Ziele zu treffen (BGHSt 52, 110, 116). Die danach vorzunehmende Abwägung ergibt unter Berücksichtigung von Art und Gewicht des Verfahrensverstoßes (vgl. hierzu eingehend BGHSt 52, 110, 116), der wesentlichen Belange der Urteilsfindung im Strafverfahren und der Schwere der dem Angeklagten angelasteten Tat, eines Mordes, begangen aus niedrigen Beweggründen , dass die vor der Beschuldigtenvernehmung unterbliebene Belehrung des Angeklagten nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK vorliegend kein Beweisverwertungsverbot auszulösen vermag.

Im Übrigen schließt der Senat auch deshalb aus, dass das Urteil auf dem Verstoß beruhen könnte (§ 337 Abs. 1 StPO), weil der Angeklagte nach entsprechender Belehrung durch den Ermittlungsrichter auf eine Benachrichtigung der konsularischen Vertretung seines Heimatlandes ausdrücklich verzichtet hat (vgl. BGHSt 52, 110, 117).
Nack Elf Hebenstreit Jäger Sander

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 573/09
vom
14. September 2010
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________________
1. Das Gespräch, das ein Konsularbeamter mit einem in ausländischer Haft
befindlichen deutschen Beschuldigten in Erfüllung seiner Hilfspflicht nach
§ 7 KonsG führt, ist keine Vernehmung im Sinne von § 136a StPO.
2. Wird ein Beschuldigter in ausländischer Haft bei Vernehmungen geschlagen
, so führt dies nicht zur Unverwertbarkeit seiner Äußerungen im Rahmen
eines Gesprächs, das er während der Haft mit einem deutschen Konsularbeamten
führt, wenn hierbei die Misshandlungen keinen Einfluss auf den Inhalt
seiner Angaben mehr haben.
BGH, Beschluss vom 14. September 2010 - 3 StR 573/09 - OLG Koblenz
in der Strafsache
gegen
wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag und mit Zustimmung
des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am
14. September 2010 gemäß § 154a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2, § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird
a) die Strafverfolgung auf den Vorwurf der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung beschränkt,
b) das Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz vom 13. Juli 2009 im Schuldspruch dahin geändert, dass die Verurteilung wegen der "vorsätzlichen nach dem Außenwirtschaftsgesetz strafbaren Zuwiderhandlung gegen ein EGEmbargo" in acht tateinheitlichen Fällen entfällt.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten wegen "mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland in Tateinheit mit acht Fällen der vorsätzlichen nach dem Außenwirtschaftsgesetz strafbaren Zuwiderhandlung gegen ein EG-Embargo" zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit mehreren verfahrensrechtlichen Beanstandungen und der allgemeinen Sachbeschwerde.
2
Mit Zustimmung des Generalbundesanwalts hat der Senat gemäß § 154a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO die Verfolgung auf den Vorwurf der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung beschränkt und die Vorwürfe tateinheitlich begangener Verstöße gegen das Außenwirtschaftsgesetz von der Strafverfolgung ausgenommen. Dies führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs. Im verbleibenden Umfang hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
3
1. Der Schuldspruch nach § 129b Abs. 1 i.V.m. § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB hält rechtlicher Nachprüfung stand. Näherer Erörterung bedarf nur die im Zusammenhang mit der Verwertung der Aussage des Zeugen M. erhobene Verfahrensbeanstandung. Ihr liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
4
Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts beteiligte sich der in Pakistan geborene und 1992 in Deutschland eingebürgerte Angeklagte ab spätestens Sommer 2004 bis zum Februar 2008 als Mitglied in der ausländischen terroristischen Vereinigung Al Qaida. Er beschaffte in Deutschland Ausrüstungsgegenstände sowie größere Geldbeträge und verbrachte diese bei insge- samt acht Reisen in das pakistanisch-afghanische Grenzgebiet, wo er sie an andere Mitglieder der Organisation weitergab. Darüber hinaus bemühte er sich - teils erfolgreich - um die Rekrutierung von Kämpfern, warb um Unterstützer für Al Qaida, nahm an Ausbildungen der Vereinigung teil und stellte sich auch selbst als Kämpfer zur Verfügung. Am 18. Juni 2007 wurde er in Lahore vom pakistanischen Geheimdienst ISI festgenommen und an diesem sowie am Folgetag mehrfach vernommen. Er machte dabei auch Angaben zu seiner Tätigkeit in der Al Qaida. Bei diesen Verhören wurde der Angeklagte auf nicht näher feststellbare Weise - wahrscheinlich mit einem Schlaginstrument, das aus einem etwa 1 cm dicken, oval zugeschnittenen Gummistück aus einem Reifen mit Holzgriff bestand - geschlagen, als er danach befragt wurde, ob er in Pakistan oder in Deutschland Anschläge plane. Während das Oberlandesgericht insoweit von einer Misshandlung des Angeklagten durch die pakistanischen Behörden ausgeht, hat es hinsichtlich weiterer Verhöre in der Folgezeit nur nicht ausschließen können, dass der Angeklagte dabei erneut geschlagen worden ist.
5
Mitarbeiter des ISI unterrichteten den Verbindungsbeamten des Bundeskriminalamts in Islamabad am 19. Juni 2007 von den Angaben des Angeklagten und boten an, diesen über den ISI befragen zu lassen. Hiervon machte der Verbindungsbeamte keinen Gebrauch. Er teilte dem ISI auch keine Erkenntnisse über den Angeklagten mit, sondern unterrichtete die Deutsche Botschaft von dessen Verhaftung. Am 18. Juli 2007 konnte der Zeuge M. , Leiter der Rechts- und Konsularabteilung der Deutschen Botschaft in Islamabad, den Angeklagten besuchen. Alleiniger Grund für das Gespräch war die konsularische Betreuung des Gefangenen. Dem Zeugen war zuvor vom ISI mitgeteilt worden, dass dem Anklagten Kontakte zu Al Qaida angelastet würden und er sich beim Bombenbau am Arm verletzt habe. Weder der Verbindungsbeamte des Bundeskriminalamts noch andere Mitarbeiter deutscher Ermittlungs- oder Sicher- heitsbehörden oder Mitarbeiter des ISI waren an ihn mit dem Anliegen herangetreten , den Angeklagten über seine Betätigung für Al Qaida zu befragen oder auch nur das Gespräch in diese Richtung zu lenken. Das Treffen fand in einer Villa statt. Es wurde in entspannter Atmosphäre in deutscher Sprache und teilweise unter vier Augen geführt. Der Zeuge wollte abklären, ob der Angeklagte die Vermittlung eines Rechtsanwalts durch die deutsche Auslandsvertretung wünsche. Er fragte deshalb, seiner üblichen Vorgehensweise in solchen Fällen entsprechend, ob der Angeklagte wisse, was ihm vorgeworfen werde und ob die Vorwürfe stimmten. Dies bejahte der Angeklagte und erzählte nunmehr von sich aus von seiner langjährigen Tätigkeit für Al Qaida und von seiner Verletzung beim Versuch, in einem Trainingslager der Organisation einen Sprengkörper herzustellen. Er berichtete auch davon, in der Haft mehrmals gefragt worden zu sein, ob er Anschläge geplant habe; dies seien die einzigen Gelegenheiten gewesen, bei denen er geschlagen worden sei. Ansonsten sei er relativ vernünftig behandelt und nicht geschlagen worden.
6
Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache eingelassen. Seinen Erklärungen, die er nach einzelnen Beweiserhebungen abgegeben hat, hat das Oberlandesgericht entnommen, dass er den Tatvorwurf bestreite. Es hat Aussagen, die der Angeklagte bei seinen Vernehmungen durch den ISI getätigt hatte, nicht verwertet. Seine der Verurteilung zugrundeliegende Überzeugung beruht indes unter anderem auf den Bekundungen des Zeugen M. über die Angaben, die der Angeklagte ihm gegenüber bei dem Gespräch am 18. Juli 2007 über seine Tätigkeit für Al Qaida gemacht hatte. Diese Angaben sind - entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers - verwertbar.
7
a) Das Verbot des § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO steht einer Verwertung der Aussage des Zeugen M. nicht entgegen.
8
aa) Die Anhörung des Angeklagten durch den Zeugen M. war keine Vernehmung im Sinne von § 136a StPO. Der Zeuge M. ist erkennbar in Erfüllung seiner Pflichten aus dem Gesetz über die Konsularbeamten, ihre Aufgaben und Befugnisse (Konsulargesetz - KonsG) tätig geworden. Danach sind die Konsularbeamten u.a. dazu berufen, Deutschen nach pflichtgemäßem Ermessen Rat und Beistand zu gewähren (§ 1 KonsG; vgl. auch Art. 5 Buchst. e Wiener Übereinkommen über Konsularische Beziehungen - WÜK). Sie sollen in ihrem Konsularbezirk deutsche Untersuchungs- und Strafgefangene auf deren Verlangen betreuen und ihnen insbesondere Rechtsschutz vermitteln (§ 7 KonsG; vgl. auch Art. 36 Abs. 1 Buchst. c WÜK). Bei der ersten Kontaktaufnahme mit dem Inhaftierten soll der Konsularbeamte auch den Grund der Inhaftierung zu klären versuchen (vgl. Hoffmann, Konsularrecht, Band I, Stand: 1. April 1995, § 7 KonsG, Rn. 7.3.2). Damit er einen geeigneten Anwalt empfehlen kann, ist es erforderlich, dass er sich mit dem Inhaftierten auch über die ihm zur Last gelegten Straftaten unterhält (Wagner/Raasch/Pröpstl, WÜK, Kommentar für die Praxis, 2007, S. 261). Sowohl das Konsulargesetz als auch das Wiener Übereinkommen unterscheiden zwischen der Beistandsleistung, die der Konsularbeamte gegenüber einem deutschen Staatsbürger in seinem Zuständigkeitsbereich erbringt, und den Vernehmungen und Anhörungen, die er auf Ersuchen der Gerichte und Behörden des Entsendestaates durchführt (§ 15 KonsG; Art. 5 Buchst. j WÜK). Nur bei letzteren hat er die für die jeweilige Vernehmung geltenden deutschen verfahrensrechtlichen Vorschriften sinngemäß anzuwenden (§ 15 Abs. 3 KonsG).
9
Die Befragung hat aus Anlass der Beistandsleistung für den Inhaftierten stattgefunden. Sie war keine amtliche Befragung eines Beschuldigten in Bezug auf die "Beschuldigung" (§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO) oder den "Gegenstand der Untersuchung" (§ 69 Abs. 1 Satz 2, § 72 StPO) im Rahmen eines Strafverfahrens (vgl. Löwe/Rosenberg/Gleß, StPO, 26. Aufl., § 136a Rn. 15).
10
bb) Selbst wenn § 136a StPO auf das Gespräch zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen M. zumindest entsprechend Anwendung zu finden hätte, würde sich hieraus kein Verwertungsverbot für die Erklärungen des Angeklagten ergeben.
11
Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts haben die Misshandlungen des Angeklagten bei seinen Vernehmungen durch den ISI keinen Einfluss auf seine Angaben gegenüber dem Zeugen M. gehabt. Der Senat kann erneut offen lassen, ob er an diese - rechtsfehlerfrei getroffenen - Feststellungen gebunden (vgl. insoweit schon BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69 = NJW 2009, 3448, Rn. 73) oder insoweit zu eigener Prüfung im Freibeweisverfahren berufen ist (im letzteren Sinn BGH, Urteil vom 28. Juni 1961 - 2 StR 154/61, BGHSt 16, 164). Denn er kommt auch bei eigener Überprüfung anhand der vom Oberlandesgericht mitgeteilten, von der Revision als solche nicht in Zweifel gezogenen objektiven Umständen der Befragung zu demselben Ergebnis.
12
Gegen eine Fortwirkung spricht die vom Zeugen M. geschilderte Gesprächssituation. Er konnte sich in einer entspannten Atmosphäre durchgängig auf deutsch mit dem Angeklagten unterhalten. Ein - möglicherweise der deutschen Sprache mächtiger - Mitarbeiter des ISI verließ nach einiger Zeit den Raum. Der Angeklagte schilderte dem Zeugen, vereinzelt Schläge erhalten zu haben. Diese deutschem und internationalem Recht zuwiderlaufende Verfahrensweise würde er nicht geschildert haben, wenn er noch unter dem Eindruck von Schlägen gestanden und eine Überwachung des Gespräches befürchtet hätte.
13
cc) Bei dieser Sachlage kommt ein Verwertungsverbot nicht in Betracht; denn es besteht kein Anlass, den Anwendungsbereich von § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO weiter auszudehnen und eine Fernwirkung der vom Angeklagten erlittenen Misshandlungen in der Form anzunehmen, alles, was er während seiner Inhaftierung durch den ISI auch Dritten gegenüber geäußert hat, mit einem Verwertungsverbot zu belegen. Dies gilt auch in Ansehung der Verpflichtungen, die der Bundesrepublik aus Art. 15 des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (UNAntifolterkonvention ) erwachsen. Danach trägt jeder Vertragsstaat dafür Sorge, dass Aussagen, die nachweislich durch Folter herbeigeführt worden sind, nicht als Beweis in einem Verfahren verwendet werden, es sei denn gegen eine der Folter angeklagte Person als Beweis dafür, dass die Aussage gemacht wurde (Art. 15 UN-Antifolterkonvention). Weder ist der Wortlaut im Sinne einer Fernwirkung auszulegen, noch ist eine entsprechende Praxis der Vertragsstaaten erkennbar, so dass insoweit eine Fernwirkung des Verwertungsverbotes der unter Einsatz unzulässiger Vernehmungsmethoden erlangten Aussage nicht als elementares rechtsstaatliches Gebot des deutschen Strafverfahrensrechts angesehen werden kann (BVerfG [Kammer] Beschluss vom 29. Mai 1996 - 2 BvR 66/96, StV 1997, 361). Gleiches gilt bei Berücksichtigung der Verpflichtung aus Art. 3 EMRK, wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf (vgl. EGMR, Urteil vom 1. Juni 2010 - Nr. 22978/05, NJW 2010, 3145, Rn. 87 ff., 92).
14
b) Der Senat muss nicht entscheiden, ob einer Verwertung der Aussage des Zeugen M. der Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK) unter folgendem Gesichtspunkt entgegenstehen könnte: Der Konsularbeamte ist zu Belehrungen entsprechend der StPO nur verpflichtet, wenn er auf Ersuchen deutscher Gerichte und Behörden Vernehmungen oder Anhörungen durchführt (§ 15 Abs. 1, 3, 5 KonsG). In den Fällen konsularischer Betreuung besteht eine solche gesetzliche Verpflichtung nicht. Die im Rahmen dieser Aufgabe notwendigen Erkundigungen des Konsularbeamten nach dem Tatvorwurf sind indes durchaus geeignet, den Gefangenen dazu zu veranlassen, zu dem Tatvorwurf auch inhaltlich, das heißt entweder diesen bestreitend oder in Form eines Geständnisses Stellung zu nehmen. Die spezielle Situation des im Ausland Inhaftierten, der von einem Repräsentanten seines Heimatlandes besucht wird und Hilfe erwartet, mag insbesondere Anlass für eine offene Selbstbelastung geben. Dies gilt generell und ist unabhängig davon, welchen Vernehmungsmethoden und Haftbedingungen der Gefangene bis dahin ausgesetzt war. Es könnte deshalb Anlass bestehen, der besonderen Situation eines Inhaftierten dadurch Rechnung zu tragen, dass ihn der Konsularbeamte auch in den Fällen fürsorglicher Kontaktaufnahme darüber unterrichten muss, dass der Inhalt des nun folgenden Gesprächs regelmäßig innerhalb der Behörde und gegebenenfalls auch bei den Strafverfolgungsbehörden des Heimatlandes bekannt wird.
15
Eine Rüge mit dieser Stoßrichtung hat der Angeklagte indes nicht erhoben.
16
Die Revisionsbegründung durch Rechtsanwalt H. rügt ein "Beweisverwertungsverbot wegen Fortwirkung der Folter" und trägt vor, entgegen den Feststellungen des Oberlandesgerichts hätten die Misshandlungen bis zu dem Gespräch des Angeklagten mit dem Zeugen M. fortgewirkt. Sie hält § 136a StPO für verletzt. Die Frage, ob unabhängig von den Haft- und Vernehmungsbedingungen ein Hinweis des Konsularbeamten auf die mit einer Selbstbelastung bei dem Gespräch verbundenen Gefahren notwendig gewesen wäre, wird von der Revision nicht angesprochen. Selbst der von Rechtsanwalt H. in der Hauptverhandlung erklärte Widerspruch gegen eine Vernehmung des Zeugen M. , "da bei der Vernehmung des Zeugen" (gemeint ist erkennbar: bei der Vernehmung des Angeklagten durch den Zeugen) "kein Hinweis auf ein bestehendes Aussageverweigerungsrecht erteilt wurde" knüpft an das behauptete "Beweisverwertungsverbot gemäß § 136a StPO" an.
17
Gleiches gilt für die Revisionsbegründung von Rechtsanwalt N. . Auch sie stellt die Verletzung von § 136a StPO in den Vordergrund. Sie hält die Norm mangels einer Vernehmung des Angeklagten durch den Zeugen M. zwar nicht für direkt anwendbar, knüpft aber die Unverwertbarkeit, soweit sie aus dem Grundrecht auf Achtung der Menschenwürde sowie aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet wird, an die erfolgten Misshandlungen.
18
2. Auch der Strafausspruch hat Bestand. Das Oberlandesgericht hat die Strafe aus dem Rahmen des § 129b in Verbindung mit § 129a Abs. 1 StGB (Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zehn Jahre) entnommen und strafschärfend unter anderem die besondere Gefährlichkeit der Vereinigung Al Qaida, die mehrjährige Dauer der mitgliedschaftlichen Beteiligung und die Intensität der Beteiligungsakte gewertet, bei denen der Angeklagte insgesamt ca. 80.000 € sowie eine große Anzahl teilweise hochwertiger Ausrüstungsgegenstände an andere Mitglieder der Vereinigung weitergegeben hatte. Den Schuldgehalt der Weitergabe von Spendengeldern, durch die das Geld für Zwecke und die Tätigkeit von Al Qaida nutzbar wurde, hat das Oberlandesgericht vollständig in den mitgliedschaftlichen Betätigungsakten und demnach in der mitgliedschaftlichen Beteiligung in der terroristischen Vereinigung erfasst. Es hat deshalb den Unrechtsgehalt der Zuwiderhandlungen gegen ein EG-Embargo als reine Formalverstöße gewertet und diese bei der Strafzumessung nicht gesondert zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt. Der Senat schließt deshalb aus, dass sich die nunmehr vorgenommene Verfolgungsbeschränkung auf den Strafausspruch ausgewirkt hätte, wenn sie bereits im Verfahren vor dem Oberlandesgericht vorgenommen worden wäre.
19
3. Der allein in der Änderung des Schuldspruchs bestehende Erfolg des Rechtsmittels ist nicht derartig bedeutend, dass es unbillig wäre, den Angeklagten mit den vollen Kosten seines Rechtsmittels zu belasten, § 473 Abs. 4 StPO.
Becker Pfister von Lienen Schäfer RiBGH Mayer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker

Die Konsularbeamten sollen in ihrem Konsularbezirk deutsche Untersuchungs- und Strafgefangene auf deren Verlangen betreuen und ihnen insbesondere Rechtsschutz vermitteln.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 318/07
vom
20. Dezember 2007
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________________
WÜK Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3
Zu den Folgen einer verspätet erteilten Belehrung eines ausländischen Beschuldigten
über sein Recht auf Unterrichtung der konsularischen Vertretung seines Heimatstaates
(in Abgrenzung zu BGHSt [1 StR 273/07 und 5 StR 116/01 und 5 StR
475/02]).
BGH, Urt. vom 20. Dezember 2007 - 3 StR 318/07 - LG Lübeck
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. Dezember
2007, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Becker
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Miebach,
Pfister,
Hubert,
Dr. Schäfer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 2. April 2007 werden verworfen. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat es die Einziehung sichergestellten Kokains und zweier Mobiltelefone sowie den Verfall eines Geldbetrages angeordnet. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten bleiben erfolglos.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Die beiden Angeklagten reisten am 8. Oktober 2006 im Pkw des Angeklagten S. von Oslo nach Hamburg, trafen dort den aus Brüssel kommenden Betäubungsmittelkurier C. , der 1.485,4 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von 341,5 Gramm KHC mit sich führte, und fuhren sodann mit C.
nach Puttgarden, um mit ihm über den dortigen Fährhafen wieder nach Norwegen auszureisen. Vor der Ausreise wurde das Betäubungsmittel im Kofferraum des Fahrzeugs entdeckt. Die Angeklagten und C. wurden vorläufig festgenommen.

II.


4
Die Überprüfung des landgerichtlichen Urteils hat weder in materiellnoch in verfahrensrechtlicher Hinsicht einen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Näherer Erörterung bedarf nur die von beiden Angeklagten erhobene Verfahrensrüge, das Landgericht habe bei der Urteilsfindung rechtsfehlerhaft ihre Aussagen bei ihrer zollbehördlichen Beschuldigtenvernehmung und ihrer Vernehmung durch den Ermittlungsrichter verwertet , obwohl sie als Ausländer zuvor nicht über ihr Recht auf konsularischen Beistand nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen (WÜK) vom 24. April 1963 (BGBl II 1969, 1585) belehrt worden seien.
5
1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
6
Der Angeklagte M. hat die mazedonische, der Angeklagte S. die serbische Staatsangehörigkeit. Weder nach ihrer Festnahme am 8. Oktober 2006 noch anlässlich ihrer am Folgetag unter Zuziehung eines Dolmetschers von Zollbeamten durchgeführten Vernehmung wurden sie über ihr Recht auf Benachrichtigung der konsularischen Vertretung ihres jeweiligen Heimatstaates gemäß Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK belehrt; vor der Vernehmung am 9. Oktober 2006 wurden sie lediglich über ihr Recht zu schweigen und auf Befragung eines Verteidigers hingewiesen (§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO). Beide An- geklagte machten sodann Angaben zur Sache. Im Anschluss daran äußerten sie sich auch gegenüber dem Ermittlungsrichter, der Haftbefehl gegen sie erließ. Gegen Ende des Vorführungstermins wurden sie belehrt, dass sie die Benachrichtigung der konsularischen Vertretung ihres jeweiligen Heimatstaates verlangen könnten. Dies lehnten sie ab.
7
In der Hauptverhandlung haben sich die beiden Angeklagten nicht zum Tatvorwurf eingelassen. Das Landgericht hat die Angaben der Angeklagten im Ermittlungsverfahren durch Vernehmung der Verhörspersonen in die Hauptverhandlung eingeführt. Die Verteidigung hat der Verwertung dieser Aussagen unter Hinweis auf die unterbliebene Belehrung der Angeklagten über ihr Recht auf Benachrichtigung des jeweiligen Konsulats widersprochen. Das Landgericht hat die Angaben der Angeklagten bei ihren Vernehmungen durch die Zollbeamten gleichwohl im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt. Es hat sie ungeachtet der unterbliebenen Belehrung nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK für verwertbar erachtet, weil die Angeklagten bei ihrer Vorführung vor dem Ermittlungsrichter zu erkennen gegeben hatten, kein Interesse an der Unterstützung durch das Konsulat ihres jeweiligen Heimatstaats zu haben.
8
2. Die zulässig erhobene (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) Verfahrensrüge ist nicht begründet. Zwar liegt ein Verstoß gegen Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK vor (a), den die Angeklagten im Revisionsverfahren gelten machen können (b). Der Verfahrensverstoß führt jedoch nicht dazu, dass das Landgericht die Angaben der Angeklagten anlässlich ihrer Vernehmungen im Ermittlungsverfahren nicht verwerten durfte (c). Auch sonst beruht das Urteil nicht auf der unterlassenen Belehrung (d). Dieser ist auch nicht im Wege einer Kompensation Rechnung zu tragen (e).
9
a) Der Verstoß gegen Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK liegt darin, dass die beiden Angeklagten nicht unverzüglich nach ihrer Festnahme über ihr Konsultationsrecht belehrt worden sind.
10
aa) Sowohl der Angeklagte M. als mazedonischer als auch der Angeklagte S. als serbischer Staatsangehöriger unterfallen dem Schutzbereich des Konsularrechtsübereinkommens. Beide Staaten sind ebenso wie die Bundesrepublik Deutschland Vertragsstaaten dieses Übereinkommens. Dieses gilt in der deutschen Rechtsordnung im Range eines Bundesgesetzes und ist von den Strafverfolgungsbehörden unmittelbar anzuwenden (BVerfG [1. Kammer des Zweiten Senats] NJW 2007, 499, 501, 503).
11
bb) Um ausländischen konsularischen Vertretungen die Wahrnehmung ihrer Aufgaben in Bezug auf ihre Staatsangehörigen zu erleichtern, verpflichtet Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 1 WÜK die zuständigen Behörden der Bundesrepublik dazu, die konsularische Vertretung des Entsendestaates unverzüglich zu unterrichten, wenn im Konsularbezirk ein Angehöriger dieses Staates festgenommen , in Straf- oder Untersuchungshaft genommen oder ihm anderweitig die Freiheit entzogen ist und der Betroffene dies verlangt. Dieser Pflicht des Staates zur Unterrichtung der betreffenden konsularischen Vertretung steht nicht nur ein Recht des Entsendestaates gegenüber; Art. 36 WÜK schafft zugleich ein subjektives Recht des einzelnen Staatsangehörigen, über das er nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK von den zuständigen Behörden zu belehren (unterrichten ) ist. Diese Belehrungspflicht knüpft - standardisiert - an die fremde Staatsangehörigkeit des Betroffenen an. Sie gilt auch für den Fall, dass dieser seinen Lebensmittelpunkt in der Bundesrepublik Deutschland hat, und setzt keine ausländerspezifische oder situationsbedingte Hilflosigkeit voraus (BGH, Beschl. vom 25. September 2007 - 5 StR 116/01 und 5 StR 475/02, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt).
12
cc) Die Belehrung der Angeklagten durch den Ermittlungsrichter war verspätet und damit nicht ausreichend.
13
Die Belehrungspflicht nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK entsteht in dem Augenblick, in welchem dem ausländischen Betroffenen die Freiheit entzogen worden ist, sofern die zuständige Behörde Kenntnis von dessen Staatsangehörigkeit hat oder sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass es sich bei dem Betroffenen wahrscheinlich um einen Ausländer handelt (vgl. BVerfG NJW 2007, 499, 503 unter Berufung auf das "Avena"-Urteil des Internationalen Gerichtshofs [IGH] vom 31. März 2004, ILM 43 [2004], 581, 602 f.; Kreß GA 2007, 296, 301). Zur Belehrung ist daher nicht erst der Richter verpflichtet. Die Belehrungspflicht obliegt vielmehr allen zuständigen Strafverfolgungsorganen des Empfangsstaates einschließlich der festnehmenden Polizeibeamten (BVerfG NJW 2007, 499, 503 unter Berufung auf IGH, Urt. vom 27. Juni 2001, ICJReports 2001, 464 - "LaGrand" [nichtamtliche Übersetzung in EuGRZ 2001, 287] sowie vom 31. März 2004, ILM 43 [2004], 581 - "Avena").
14
Nach diesen Grundsätzen waren bereits die festnehmenden Zollbeamten verpflichtet, die Angeklagten über ihr Konsultationsrecht zu belehren. Dass es sich aus Sicht der Beamten bei den Angeklagten zumindest wahrscheinlich um Ausländer handelte, ergibt sich nicht nur aus den norwegischen Kennzeichen des vom Angeklagten S. geführten Fahrzeugs, sondern wird auch daraus deutlich, dass die Beamten den Angeklagten die Belehrung gemäß § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO auf Englisch erteilten.
15
dd) Der Umstand, dass die Angeklagten, nachdem sie vom Ermittlungsrichter auf ihr Recht auf Benachrichtigung des zuständigen Konsulats hingewiesen worden waren, eine konsularische Hilfe abgelehnt haben, macht den Verstoß nicht ungeschehen. Dieser ist unabhängig davon gegeben, ob der Betroffene die Hilfe seines Staates in Anspruch nehmen will (vgl. IGH, Urt. vom 27. Juni 2001 [nichtamtliche Übersetzung in EuGRZ 2001, 287, 290]).
16
b) Die Angeklagten können die Verletzung der Belehrungspflicht mit der Revision geltend machen. Sie haben sie vor dem Landgericht im Zusammenhang mit der Vernehmung der Verhörspersonen vor dem in § 257 StPO bestimmten Zeitpunkt geltend gemacht und hierauf gestützt der Verwertung ihrer durch diese Zeugen in die Hauptverhandlung eingeführten Angaben aus den Vernehmungen im Ermittlungsverfahren widersprochen. Damit liegt ein "spezifizierter Widerspruch" vor, von dem nach der - seine Entscheidung nicht tragenden - Auffassung des 1. Strafsenats jedenfalls in Fällen einer nachgeholten Belehrung die zulässige Geltendmachung eines Verstoßes gegen Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK im Revisionsverfahren abhängig sein soll (BGH NJW 2007, 3587, 3588 f., zum Abdruck in BGHSt bestimmt; vgl. BGH, Beschl. vom 25. September 2007 - 5 StR 116/01 und 5 StR 475/02: Notwendigkeit eines spezifizierten Widerspruchs offengelassen für den Fall völligen Unterlassens der Belehrung; s. auch BVerfG NJW 2007, 499, 504). Ob dieser Ansicht zu folgen ist, kann hier daher offen bleiben. Doch weist der Senat darauf hin, dass das Erfordernis eines derartigen Widerspruchs ohnehin nur dann zu erwägen wäre, wenn der Verstoß gegen Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK überhaupt zu einem Verwertungsverbot für Angaben des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren zum Tatvorwurf führen könnte; dies ist indessen gerade nicht der Fall (s. unten c). Für die eventuelle Rüge, das Urteil beruhe unabhängig von einem derartigen Verwertungsverbot auf dem Unterlassen der Belehrung, weil der An- geklagte hierdurch in sonstiger Weise in seinen Verteidigungsrechten eingeschränkt gewesen sei (s. unten d), ist ein derartiger Widerspruch nach Ansicht des Senats jedenfalls nicht Zulässigkeitsvoraussetzung.
17
c) Die Verletzung von Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK hat kein Beweisverwertungsverbot zur Folge. Die Annahme eines solchen Verwertungsverbots ist völker- und verfassungsrechtlich nicht geboten und auch sonst der Sache nach nicht gerechtfertigt (ebenso BGH, Beschl. vom 25. September 2007 - 5 StR 116/01 und 5 StR 475/02).
18
aa) Die Annahme eines Beweisverwertungsverbots in Fällen einer unterlassenen Belehrung über das Konsultationsrecht ergibt sich nicht aus der Rechtsprechung des IGH. In den von ihm zu Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK entschiedenen Fällen (siehe dazu Wagner/Raasch/Pröpstl, Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen vom 24. April 1963, S. 258 f.), in denen eine Belehrung nach dieser Vorschrift jeweils gänzlich unterblieben war, beanstandete der IGH, dass den Beschuldigten dort aufgrund des nationalen Verfahrensrechts des Empfangsstaats schon gar keine Möglichkeit zur Verfügung gestanden habe, die unterbliebene Belehrung zu rügen. Dem Beschuldigten müsse aber ein Verfahren offen stehen, in welchem er die Verletzung der Belehrungspflicht geltend machen und deren Auswirkung auf das Strafverfahren überprüfen lassen könne. Nach der Rechtsprechung des IGH ist die notwendige Konsequenz eines Verstoßes gegen die Belehrungspflicht nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK somit, dass das Strafurteil im Schuld- und Strafausspruch unter Berücksichtigung des Verstoßes gegen die Rechte aus dem Konsularrechtsübereinkommen überprüfbar sein müsse. Der IGH hat dazu in der LaGrand-Entscheidung ausgeführt, dass nach Verletzung der Belehrungspflicht "eine Entschuldigung in den Fällen nicht ausreichen würde, in denen die Betroffenen langjährigen Haftstrafen unterworfen oder verurteilt und mit schweren Strafen bestraft werden. In Fällen einer derartigen Verurteilung und Bestrafung würde es" dem Empfangsstaat (im Fall der LaGrand-Entscheidung: den Vereinigten Staaten) "obliegen, die Überprüfung und erneute Behandlung der Verurteilung und Bestrafung unter Berücksichtigung der Verletzung der Konventionsrechte zu ermöglichen. Diese Verpflichtung kann in unterschiedlicher Art und Weise erfüllt werden. Die Wahl der Mittel bleibt" dem Empfangsstaat "überlassen" (IGH, Urt. vom 27. Juni 2001 [nichtamtliche Übersetzung in EuGRZ 2001, 287, 294]; im amtlichen Text: "In the case of such a conviction and sentence , it would be incumbent upon the United States to allow the review and reconsideration of the conviction and sentence by taking account of the violation of the rights set forth in the Convention. This obligation can be carried out in various ways. The choice of means must be left to the United States" [LaGrand , Judgement, I.C.J. Reports 2001, 466, 514]). Konkrete Vorgaben, zu welchem Ergebnis diese Überprüfung des Urteils führen müsse, macht der IGH nicht und fordert dementsprechend insbesondere auch kein Beweisverwertungsverbot für Äußerungen des Beschuldigten im Falle unterlassener Belehrung nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK (so auch Burchard JZ 2007, 891, 893; Kreß GA 2007, 296, 304; Paulus StV 2003, 57, 58 f.).
19
bb) Auch verfassungsrechtlich ist die Annahme eines Beweisverwertungsverbots nicht geboten. So hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, die Rechtsprechung des IGH sei nicht dahin zu verstehen, dass im Falle eines Belehrungsfehlers nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK zwingend von der Unverwertbarkeit der zustande gekommenen Beweisergebnisse auszugehen sei; im Übrigen obliege es dem Bundesgerichtshof festzustellen, ob ein Verwer- tungsverbot anzunehmen sei oder welche Konsequenzen aus dem Verfahrensfehler sonst zu ziehen seien (BVerfG NJW 2007, 499, 503).
20
cc) Die Annahme eines Beweisverwertungsverbots ist auch in der Sache nicht gerechtfertigt. Insbesondere lässt sich die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Verstößen gegen die in § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO geregelten Belehrungspflichten nicht auf einen Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK übertragen.
21
Nicht jeder Verstoß gegen eine Verfahrensvorschrift, die eine Belehrungspflicht vorsieht, zieht ein Beweisverwertungsverbot nach sich. Die Entscheidung für oder gegen ein Verwertungsverbot ist vielmehr aufgrund einer Abwägung der im Rechtsstaatsprinzip angelegten gegenläufigen Gebote und Ziele zu treffen (vgl. BVerfG NJW 2007, 499, 503). Der Senat geht in Übereinstimmung mit dem 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschl. vom 25. September 2007 - 5 StR 116/01 und 5 StR 475/02; vgl. auch Kreß GA 2007, 296, 304 f.) davon aus, dass sich bei einem Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK die Rechtslage in Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich unter Berücksichtigung von Art und Gewicht des Verstoßes und der wesentlichen Belange der Urteilsfindung im Strafverfahren, anders darstellt als bei der in § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO vorgeschriebenen Belehrung über das Schweigerecht und das Verteidigerkonsultationsrecht. Die beiden Belehrungspflichten sind einander nicht ausreichend ähnlich ; sie unterscheiden sich sowohl im Hinblick auf ihre Voraussetzungen als auch auf ihre Bedeutung für ein mögliches Beweisergebnis zu Lasten des Beschuldigten. So setzt die Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO eine Vernehmungssituation voraus, kommt jedem Beschuldigten unabhängig von dessen Staatsangehörigkeit zugute und betrifft inhaltlich mit den Rechten des Be- schuldigten auf Selbstbelastungsfreiheit und auf effektive Verteidigung dessen zentrale Schutzrechte. Demgegenüber knüpft die Belehrung nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK an eine freiheitsentziehende Maßnahme und damit einen Umstand an, durch den die Aussagefreiheit des Beschuldigten jedenfalls dann nicht berührt wird, wenn die Festnahme erst erfolgt, nachdem der Beschuldigte vernommen worden ist. Eine Belehrungspflicht vor Beginn einer Vernehmung, an deren Ende möglicherweise eine Festnahme des Beschuldigten erfolgen wird, sieht der Wortlaut von Art. 36 WÜK nicht vor. Zudem kommt die Belehrungspflicht über das Konsultationsrecht nur Beschuldigten mit einer fremden Staatsangehörigkeit zugute. Schließlich handelt es sich bei dieser Belehrung inhaltlich lediglich um einen zusätzlichen Schutz; den betroffenen ausländischen Beschuldigten kommen jedoch alle sonstigen rechtsstaatlichen Verteidigungsstandards unvermindert zugute.
22
Das angefochtene Urteil erweist sich somit nicht deswegen als rechtsfehlerhaft , weil das Landgericht bei seiner Beweiswürdigung die Angaben der Angeklagten bei ihren Vernehmungen im Ermittlungsverfahren berücksichtigt hat.
23
d) Im Schrifttum wird darüber hinaus die Möglichkeit erörtert, dass sich der Verstoß gegen Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK selbst bei Verneinung eines Verwertungsverbots in anderer Weise zu Lasten des Beschuldigten und seiner Verteidigungsmöglichkeiten auswirken und als Folge hiervon das gegen ihn ergehende Urteil im Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch nachteilig beeinflussen könne (Kreß GA 2007, 296, 306; möglicherweise aA - Beruhensprüfung nur bei Annahme eines Beweisverwertungsverbots - BVerfG NJW 2007, 499, 504 [Rdn. 76]; siehe auch Burchard JZ 2007, 891, 893; Paulus StV 2003, 57, 60). Dem ist hier indessen nicht weiter nachzugehen. Dass sie durch die zunächst unterlassene Belehrung in ihren Verteidigungsmöglichkeiten in irgendei- ner Hinsicht entscheidungserheblich eingeschränkt gewesen wären, behaupten die Beschwerdeführer in ihrem Rügevorbringen schon selbst nicht. Im Übrigen wäre hier ohne weiteres auszuschließen, dass sich das Unterbleiben der Belehrung unmittelbar nach der vorläufigen Festnahme im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO auf das Urteil ausgewirkt haben könnte; denn die Angeklagten haben nach der Belehrung durch den Ermittlungsrichter über ihr Recht, die konsularische Vertretung ihrer Heimatstaaten benachrichtigen zu lassen, auf eine solche Benachrichtigung ausdrücklich verzichtet. Hieraus ist zu schließen, dass ein rechtsfehlerfreies Verfahren, bei dem die Angeklagten bereits bei ihrer Festnahme durch die Zollbeamten über ihr Recht aus Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK belehrt worden wären, zu keinem anderen Entschluss der Angeklagten geführt hätte und daher auch in diesem Falle eine Unterrichtung der zuständigen Konsulate unterblieben wäre.
24
e) Die Revisionen der Angeklagten sind daher zu verwerfen.
25
Allerdings hat es der 5. Strafsenat in seinem Beschluss vom 25. September 2007 (5 StR 116/01 und 5 StR 475/02) für angezeigt erachtet, in Fällen, in denen die Belehrung nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK völlig unterblieben ist, diesem Verstoß im Wege einer Kompensation dadurch Rechnung zu tragen, dass ein Teil der gegen den Angeklagten verhängten Strafe für vollstreckt erklärt wird. Dieser Ansicht vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Die Folgen, die Verstöße gegen das Verfahrensrecht (gleich, ob dieses nationalen oder völkervertragsrechtlichen Ursprungs ist) in der Revisionsinstanz nach sich ziehen, sind in den §§ 337, 338, 353, 354 StPO abschließend geregelt: Beruht ein Urteil ganz oder teilweise auf einem Verfahrensfehler, so ist es in dem entsprechenden Umfang aufzuheben; ist ein Beruhen dagegen auszuschließen , so ist die Revision zu verwerfen. Andere Möglichkeiten bestehen nicht. Insbesondere ist es dem Staat verwehrt, dem Angeklagten Verfahrensverstöße , die sich auf das Urteil ausgewirkt haben, durch einen Vollstreckungsrabatt gewissermaßen "abzuhandeln"; denn dies würde auf die Dauer zu einer nicht hinnehmbaren Relativierung des Verfahrensrechts führen.
26
Aus der Rechtsprechung zur Kompensation konventions- und damit gleichzeitig rechtsstaatswidriger Verstöße insbesondere gegen das Gebot zügiger Durchführung von Strafverfahren (Art. 5 Abs. 3 Satz 1, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK), kann nichts Gegenteiliges abgeleitet werden. Diese Rechtsprechung beruht auf den Besonderheiten der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, insbesondere dem Verständnis, das Art. 34 MRK in der Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gefunden hat; den dort formulierten Grundsatz, dass der Angeklagte für die besonderen immateriellen Belastungen, die er durch die Verfahrensverzögerung erlitten hat, durch eine ausdrückliche und bezifferte Kompensation zu entschädigen ist, hat das Bundesverfassungsgericht als auch aus der Rechtsstaatsgarantie verfassungsrechtlich abzuleitendes Erfordernis bestätigt (s. näher den Vorlagebeschluss des Senats NJW 2007, 3294 ff.). Hieran haben sich die Strafgerichte auszurichten. Dies ändert indes nichts daran, dass es sich bei dieser Kompensation um ein mit dem sonstigen Straf- und Strafverfahrensrecht nur schwerlich in Einklang zu bringendes Rechtsinstitut handelt. Es ist daher nicht auf Bereiche auszudehnen, in denen seine Anwendung durch entsprechende völkervertragsoder verfassungsrechtliche Vorgaben nicht geboten ist. So liegt es bei Verstößen gegen Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK. Weder das Konsularübereinkommen noch das Rechtsstaatsgebot schreiben vor, dass der Angeklagte für ein (zeitweiliges) Unterbleiben der Belehrung über das Konsultationsrecht zu entschädigen ist. Vielmehr muss allein gewährleistet sein, dass er den Verstoß im Strafverfahren geltend machen und dort zur Überprüfung stellen kann, ob dieser sich in maßgeblicher Weise auf seine Verteidigungsrechte und damit gegebenenfalls auf seine Verurteilung ausgewirkt hat (s. oben).
27
Die Auffassung des Senats weicht nicht in entscheidungserheblicher Weise von der Rechtsansicht des 5. Strafsenats ab; denn dieser hat ausdrücklich offen gelassen, ob im Falle einer alsbald nachgeholten Belehrung, wie sie hier durch den Ermittlungsrichter vorgenommen wurde, eine Kompensation nicht gänzlich entbehrlich ist (Beschl. vom 25. September 2007 - 5 StR 116/01 und 5 StR 475/02, Rdn. 30). Becker Miebach Pfister Hubert Schäfer

(1) Bei Beginn der Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zu Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen. Er ist darauf hinzuweisen, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen. Möchte der Beschuldigte vor seiner Vernehmung einen Verteidiger befragen, sind ihm Informationen zur Verfügung zu stellen, die es ihm erleichtern, einen Verteidiger zu kontaktieren. Auf bestehende anwaltliche Notdienste ist dabei hinzuweisen. Er ist ferner darüber zu belehren, daß er zu seiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen und unter den Voraussetzungen des § 140 die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Maßgabe des § 141 Absatz 1 und des § 142 Absatz 1 beantragen kann; zu Letzterem ist er dabei auf die Kostenfolge des § 465 hinzuweisen. In geeigneten Fällen soll der Beschuldigte auch darauf, dass er sich schriftlich äußern kann, sowie auf die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs hingewiesen werden.

(2) Die Vernehmung soll dem Beschuldigten Gelegenheit geben, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen.

(3) Bei der Vernehmung des Beschuldigten ist zugleich auf die Ermittlung seiner persönlichen Verhältnisse Bedacht zu nehmen.

(4) Die Vernehmung des Beschuldigten kann in Bild und Ton aufgezeichnet werden. Sie ist aufzuzeichnen, wenn

1.
dem Verfahren ein vorsätzlich begangenes Tötungsdelikt zugrunde liegt und der Aufzeichnung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen oder
2.
die schutzwürdigen Interessen von Beschuldigten, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden, durch die Aufzeichnung besser gewahrt werden können.
§ 58a Absatz 2 gilt entsprechend.

(5) § 58b gilt entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 455/08
vom
18. Dezember 2008
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
1. Wird ein Tatverdächtiger zunächst zu Unrecht als Zeuge vernommen, so ist
er wegen des Belehrungsverstoßes (§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO) bei Beginn
der nachfolgenden Vernehmung als Beschuldigter auf die Nichtverwertbarkeit
der früheren Angaben hinzuweisen („qualifizierte“ Belehrung).
2. Unterbleibt die „qualifizierte“ Belehrung, sind trotz rechtzeitigen Widerspruchs
die nach der Belehrung als Beschuldigter gemachten Angaben
nach Maßgabe einer Abwägung im Einzelfall verwertbar.
3. Neben dem in die Abwägung einzubeziehenden Gewicht des Verfahrensverstoßes
und des Sachaufklärungsinteresses ist maßgeblich darauf abzustellen
, ob der Betreffende nach erfolgter Beschuldigtenbelehrung davon
ausgegangen ist, von seinen früheren Angaben nicht mehr abrücken zu
können [im Anschluss an BGH, Urteil vom 3. Juli 2007 – 1 StR 3/07 = StV
2007, 450, 452].
BGH, Urteil vom 18. Dezember 2008 – 4 StR 455/08 – Landgericht Arnsberg
1.
2.
3.
4.
wegen zu 1. bis 3. versuchten schweren Raubes u.a.
zu 4. Beihilfe zum versuchten schweren Raub
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. Dezember
2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Prof. Dr. Kuckein,
Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger für den Angeklagten Sch. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger für den Angeklagten T. ,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin für den Angeklagten C. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger für den Angeklagten A. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 4. März 2008 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revisionen der Angeklagten T. und C. gegen das vorbezeichnete Urteil werden verworfen.
Es wird davon abgesehen, diesen Angeklagten die Kosten ihrer Rechtsmittel aufzuerlegen. Jedoch haben sie die durch ihre Rechtsmittel dem Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten Sch. , T. und C. jeweils des (gemeinschaftlich begangenen) versuchten schweren Raubes, den Angeklagten Sch. darüber hinaus der tateinheitlich begangenen gefährlichen Körperverletzung , für schuldig befunden. Den Angeklagten Sch. hat es zu einer Jugendstrafe von vier Jahren und sechs Monaten, den Angeklagten T. zu einer Jugendstrafe von vier Jahren und den Angeklagten C. zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Gegen den Angeklagten A. hat das Landgericht wegen Beihilfe zum (gemeinschaftlich begangenen) versuchten schweren Raub eine Jugendstrafe von einem Jahr verhängt, deren Vollstreckung es zur Bewäh- rung ausgesetzt hat. Ferner hat das Landgericht ein Messer und einen Kabelschlagstock eingezogen. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihren auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen, mit denen sie beanstandet, dass das Landgericht die Angeklagten nicht auch wegen eines versuchten Tötungsdelikts bzw. der Beteiligung daran für schuldig befunden hat. Die Angeklagten T. und C. rügen mit ihren Revisionen ebenfalls die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Der Angeklagte C. greift insoweit insbesondere die Beweiswürdigung und die Strafzumessung des angefochtenen Urteils an. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft haben Erfolg. Dagegen erweisen sich die Revisionen der Angeklagten T. und C. als offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Das Landgericht hat festgestellt:
3
Die Angeklagten Sch. , T. und C. fassten im Verlauf des 30. Mai 2007 den Entschluss, durch einen Überfall auf den Kiosk der Eheleute S. zu Geld zu kommen, um sich anschließend Kokain zu besorgen. Sie vereinbarten, dass ein Messer eingesetzt werden sollte, um damit den Kioskinhaber S. bedrohen zu können. In diesem Zusammenhang forderte der Angeklagte T. den Angeklagten Sch. auf, aus seiner Wohnung ein Messer zu holen, das lang und spitz sein müsse, weil das stark übergewichtige Opfer so dick sei. Dementsprechend holte der Angeklagte Sch. aus seiner Wohnung ein Steakmesser mit 12,5 cm langer, spitz zulaufender und einseitig gezahnt geschliffener Klinge. Sodann rief absprachegemäß der Angeklagte C. den mit ihm befreundeten Angeklagten A. an und bat ihn, mit dem Pkw zu ihnen zu kommen, was A. auch tat. Gemeinsam fuhren sie dann am Kiosk der Eheleute S. vorbei, wobei A. erst zu diesem Zeitpunkt in den Tatplan eingeweiht wurde. Ob dabei auch über das Messer und dessen geplante Verwendung gesprochen wurde, vermochte das Landgericht nicht festzustellen. Der Angeklagte A. stellte den Pkw in der Nähe des vorgesehenen Tatortes ab und verblieb beim Fahrzeug, während die drei anderen Angeklagten auf dem Weg zum Kiosk die konkreten Einzelheiten der bis dahin nur grob geplanten Tat besprachen. Der Angeklagte T. überredete den Angeklagten Sch. , den Kioskbetreiber S. mit dem Messer "in Schach zu halten" und ihm "auf die Ohren zu boxen", falls dieser anfange zu schreien. Der Angeklagte Sch. traf als erster auf den Kioskbetreiber S. , als dieser sich gerade vor seinem Kiosk befand. Kurz bevor der Angeklagte Sch. ihn erreichte, richtete sich S. auf und drehte sich mit dem Oberkörper in Richtung des Angeklagten. Dieser "stach - enthemmt von dem fortdauernden Verlangen nach weiteren Drogen und überrascht und überfordert davon, dass der Geschädigte sich plötzlich in seine Richtung drehte - ungezielt mit nicht erheblichem Kraftaufwand auf den Geschädigten ein. Er fühlte sich dabei 'wie im Film'". Der Stich drang knapp oberhalb der rechten Gesäßhälfte maximal 3 cm in dessen Rücken ein. "Aus Panik und Überforderung mit der Situation" stach der Angeklagte Sch. mindestens drei weitere Male ungezielt auf sein Opfer ein, das blutüberströmt zu Boden sank. S. erlitt eine mindestens 15cm tiefe Stichwunde im Epigastrium mit Penetration des Bauchfells sowie Eröffnung der Bauchhöhle mit linksseitiger Verletzung der Leber, ferner einen ca. 6 cm tiefen Stich in den rechten Brustkorb sowie einen ca. 3 cm tiefen Stich in den linken Unterbauch; er verlor noch am Tatort 1,5 bis 2 Liter Blut. "Bei sämtlichen Stichen hatte der Angeklagte Sch. nicht den Tod des Geschädigten gewollt und nicht billigend in Kauf genommen und auch diese Möglichkeiten nicht in sein Bewusstsein aufgenommen". Während dessen begab sich der Angeklagte T. durch die seitliche Eingangstür in den Kiosk, gefolgt von dem Angeklagten C. . Dabei trafen die Angeklagten auf die Ehefrau des Geschädigten, die auf die Hilferufe ihres Mannes aus ihrem Wohnhaus in den angrenzenden Kiosk geeilt war. Auf ihren Zuruf: "Was wollt ihr hier? Macht, dass ihr rauskommt!" flüchteten beide Angeklagte aus dem Kiosk und rannten mit dem Angeklagten Sch. weg. Der Angeklagte A. hatte das Geschehen aus der Nähe beobachtet. Ihm war bewusst, dass die Ausführung des Raubes gescheitert war. Deshalb rannte er zu seinem Pkw und fuhr davon; er erhielt aber kurz darauf einen Anruf des Angeklagten C. , holte ihn ab und fuhr ihn nach Hause. Der blutüberströmt vor dem Kiosk liegende Geschädigte wurde von der Fahrerin eines vorbeifahrenden Linienbusses bemerkt, die den Notarzt und die Polizei verständigte. Die Stichverletzungen waren nicht unmittelbar lebensbedrohlich.

II.


4
Revision der Staatsanwaltschaft
5
Die Beschwerdeführerin hat schon mit ihren Verfahrensbeschwerden Erfolg. Mit diesen beanstandet sie, dass das Landgericht entgegen den Anträgen der Staatsanwaltschaft die Kriminalbeamten Schu. und B. sowie den Richter am Amtsgericht J. nicht als Zeugen zu den Angaben der Angeklagten C. und A. bei ihren Vernehmungen am 21. Juni 2007 vernommen und diese Angaben auch nicht verwertet hat. Daraus hätte sich ergeben, dass unter den Angeklagten Sch. , T. und C. von vornherein abgesprochen worden war, das mitgeführte Tatmesser gegen den Geschädigten S. einzusetzen, und der Angeklagte A. hiervon auch wusste.
6
Das Landgericht hat insoweit ein Beweiserhebungsverbot angenommen, weil die Polizeibeamten die Angeklagten C. und A. trotz gegen sie bereits bestehenden Tatverdachts als Zeugen vernommen und deshalb nicht ordnungsgemäß nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO belehrt hätten. Auch habe der Kriminalbeamte Schu. den Angeklagten C. im späteren Verlauf der Vernehmung ebenso wie der Ermittlungsrichter die beiden Angeklagten zwar als Beschuldigte belehrt; die Vernehmungspersonen hätten dabei aber den Hinweis auf die Unverwertbarkeit der bei den Vernehmungen als Zeugen gemachten Angaben unterlassen ("qualifizierte" Belehrung; vgl. Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 136 Rdn. 9 m.N.).
7
Die deshalb unterbliebene Beweiserhebung zu den Angaben der Angeklagten C. und A. im Ermittlungsverfahren rügt die Beschwerdeführerin im Ergebnis zu Recht.
8
1. Allerdings ist die Strafkammer zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagte C. bereits auf Grund der Auswertung des von ihm noch in der Tatnacht mit dem Mitangeklagten T. geführten SMS-Verkehrs der Tatbeteiligung verdächtig war und er deshalb bereits zu Beginn seiner polizeilichen Vernehmung als Beschuldigter hätte belehrt werden müssen, auch wenn gegen ihn noch kein Ermittlungsverfahren eingeleitet war und er nicht die Stellung eines formell Beschuldigten hatte.
9
a) Zwar begründet nicht jeder Tatverdacht bereits die Beschuldigteneigenschaft mit der Folge einer entsprechenden Belehrungspflicht; vielmehr kommt es auf die Stärke des Tatverdachts an. Es obliegt der Strafverfolgungsbehörde , nach pflichtgemäßer Beurteilung darüber zu befinden, ob ein Tatverdacht sich bereits so verdichtet hat, dass die vernommene Person ernstlich als Täter oder Beteiligter der untersuchten Straftat in Betracht kommt (st. Rspr.; BGHSt 37, 48, 51 f.; 51, 367, 371; Senatsurteil vom 25. Februar 2004 - 4 StR 475/03). Falls der Tatverdacht aber so stark ist, dass die Strafverfolgungsbehörde anderenfalls willkürlich die Grenzen ihres Beurteilungsspielraums überschreiten würde, ist es verfahrensfehlerhaft, wenn der Betreffende dennoch als Zeuge und nicht als Beschuldigter vernommen wird (vgl. BGHSt aaO).
10
So verhält es sich hier hinsichtlich des Angeklagten C. . Denn aus der Auswertung der SMS-Nachrichten und der Erklärung des C. anlässlich der Durchsuchung am frühen Morgen noch vor Beginn seiner Zeugenvernehmung, er habe die fraglichen SMS-Nachrichten an den Mitangeklagten T. versandt, ergab sich bereits zweifelsfrei, dass außer T. auch der Angeklagte C. am Tatort gewesen war und sie dort gemeinsam hatten Beute machen wollen. Zu Recht hat deshalb das Landgericht – nach Widerspruch – ein Beweiserhebungs - und Verwertungsverbot jedenfalls hinsichtlich der Angaben des Angeklagten C. angenommen, die dieser bei seiner Vernehmung durch den Kriminalbeamten Schu. vor der Beschuldigtenbelehrung als Zeuge gemacht hat (st. Rspr.; BGHSt 38, 214, 224 f.; 47, 172, 173 a.E.). Denn der Verstoß gegen die Belehrungspflicht wurde nicht dadurch geheilt, dass der Angeklagte C. anschließend nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO belehrt wurde und danach erneut aussagte (BGHSt 51, 367, 376 m. Anm. Roxin JR 2008, 16 ff.).
11
b) Daraus folgt jedoch noch nicht ohne Weiteres, dass auch die Angaben , die der Angeklagte C. im Ermittlungsverfahren nach erfolgter Beschuldigtenbelehrung gemacht hat, einem Beweiserhebungs- und Verwertungsverbot unterlagen.
12
aa) Allerdings hätte der Angeklagte C. – was nicht erfolgt ist – bei Beginn der Beschuldigtenvernehmung zusammen mit der Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO darauf hingewiesen werden müssen, dass wegen der bisher unterbliebenen Belehrung als Beschuldigter die vorangehende Zeugenaussage unverwertbar sei (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 2007 – 1 StR 3/07, StV 2007, 450, 452, insoweit in BGHSt 51, 367 nicht abgedruckt; ferner BGH, Urteil vom 19. September 2000 – 1 StR 205/00 [der 1. Strafsenat ersichtlich unter Abweichung von seiner Entscheidung BGHSt 22, 129]; Diemer in KK-StPO 6. Aufl. § 136 Rdn. 27 m.w.N.; Gleß in Löwe-Rosenberg StPO 26. Aufl. § 136 Rdn. 106; Lesch in KMR StPO § 136, Rdn. 28; Roxin aaO S. 17; wohl auch Meyer-Goßner aaO § 136 Rdn. 9 m.w.N.).
13
Das Recht zu schweigen und das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen („nemo tenetur“-Grundsatz), gehören zum „Kernstück des von Art. 6 Abs. 1 EMRK garantierten fairen Verfahrens“ (EGMR NJW 2002, 499, 501; JR 2005, 423 m. Anm. Gaede; dazu weiter BGHSt – GS – 42, 139, 151 ff.). Gerade deshalb muss die rechtsstaatliche Ordnung Vorkehrungen in Form einer „qualifizierten“ Belehrung treffen, die verhindert, dass ein Beschuldigter auf sein Aussageverweigerungsrecht nur deshalb verzichtet, weil er möglicherweise glaubt, eine frühere, unter Verstoß gegen die Belehrungspflicht zustande gekommene Selbstbelastung nicht mehr aus der Welt schaffen zu können (Roxin aaO). Zwar ergibt sich ein gewisser Widerspruch insofern, als die Rechtsprechung bislang bei den – schwerer wiegenden – Verstößen nach § 136 a StPO eine solche „qualifizierte“ Belehrung nicht verlangt (vgl. Meyer-Goßner aaO § 136 a Rdn. 30 m.N.); ob daran festzuhalten ist, hat der Senat hier jedoch nicht zu entscheiden.
14
bb) Der Verstoß gegen die Pflicht zur "qualifizierten" Belehrung hat allerdings nicht dasselbe Gewicht wie der Verstoß gegen die Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO. Deshalb ist in einem solchen Fall die Verwertbarkeit der weiteren Aussagen nach erfolgter Beschuldigtenbelehrung nach neuerer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs durch Abwägung im Einzelfall zu ermitteln (BGH, Urteil vom 3. Juli 2007 – 1 StR 3/07, StV 2007, 450, 452; krit. dazu Roxin aaO S. 17; Meyer-Goßner aaO § 136 Rdn. 9 a.E.).
15
Bei einer solchen Abwägung ist zum einen auf das Gewicht des Verfahrensverstoßes abzustellen und dabei insbesondere zu berücksichtigen, ob die Vernehmung als Zeuge - wofür hier nichts spricht - in bewusster Umgehung der Belehrungspflichten erfolgt ist; weiter muss das Interesse an der Sachaufklärung Beachtung finden (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 2007 aaO; BGHSt 42, 139, 157 [Hörfalle]; 47, 172, 179 f.; BGH NJW 2007, 3138, 3142). Darüber hinaus ist maßgeblich darauf abzustellen, ob sich aus den Umständen des Falles ergibt, dass der Vernommene davon ausgegangen ist, von seinen vor der Beschuldigtenbelehrung gemachten Angaben als Zeuge bei seiner weiteren Vernehmung als Beschuldigter nicht mehr abrücken zu können. Dies wird insbesondere dann anzunehmen sein, wenn sich die Beschuldigtenvernehmung inhaltlich als bloße Wiederholung oder Fortsetzung der in der Zeugenvernehmung gemachten Angaben darstellt. So verhält es sich hier jedoch nicht. Denn der Angeklagte C. hat nach seiner Belehrung als Beschuldigter gerade nicht seine früheren Angaben lediglich im Wesentlichen wiederholt. Er hat auch nicht nur weiterhin – nunmehr allerdings detailliert – die Mitangeklagten Sch. und T. belastet. Vielmehr hat er erstmals auch sich selbst massiv belastende Angaben gemacht, denen zufolge Sch. das Opfer "auf jeden Fall abstechen" sollte und ihm, C. , "absolut klar (war), dass der Mann dabei sterben kann". Angesichts dessen liegt die Annahme eher fern, dass sich der Angeklagte C.
seiner Entscheidungsfreiheit nach ordnungsgemäßer Beschuldigtenbelehrung nicht bewusst war und dass deshalb der ursprüngliche Belehrungsverstoß fortwirkte. Jedenfalls spricht danach die – vom Landgericht unterlassene – Abwägung hier gegen das von der Jugendkammer angenommene Beweiserhebungsund -verwertungsverbot hinsichtlich der nach erfolgter Beschuldigtenbelehrung gemachten Angaben des Angeklagten C. ; das Gericht hätte deshalb den entsprechenden Anträgen der Staatsanwaltschaft auf Vernehmung des Kriminalbeamten Schu. und des Ermittlungsrichters stattgeben müssen.
16
2. Soweit die Beschwerdeführerin die unterbliebene Beweiserhebung und -verwertung hinsichtlich der Angaben des Angeklagten A. beanstandet, die dieser bei seinen Vernehmungen als Zeuge durch den Kriminalbeamten B. am 21. Juni 2006 und nachfolgend als Beschuldigter bei seiner richterlichen Vernehmung am selben Tage gemacht hat, dringt die Rüge schon deshalb durch, weil der vom Landgericht auch insoweit angenommene Belehrungsverstoß nicht vorliegt. Anders als bei dem Angeklagten C. bestand gegen ihn bei seiner zeugenschaftlichen Vernehmung noch kein solcher Verdacht der Beteiligung an dem Überfall auf den Kiosk, dass nach den aufgezeigten Maßstäben der vernehmende Beamte die Grenzen seines Beurteilungsspielraums willkürlich überschritt, indem er den Angeklagten A. nicht von vornherein als Beschuldigten vernahm (vgl. BGH NStZ 2008, 48). Denn bezüglich A. stand selbst nach Auswertung der zwischen den Angeklagten C. und T. ausgewerteten SMS-Nachrichten vom Tattag nur fest, dass er Anschlussinhaber des von dem Angeklagten C. benutzten Mobil-Telefons war. Das allein genügte jedoch nicht, um einen hinreichenden Tatverdacht der Beteiligung an dem Überfall gegen ihn zu begründen. Wie der Generalbundesanwalt zutreffend dargelegt hat, musste der Vernehmungsbeamte auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Strafbarkeit nach § 138 StGB zu einer Beschuldigtenvernehmung übergehen, nachdem der Angeklagte seine Anwesenheit am Tatort eingeräumt hatte. Denn A. hatte weiter angegeben, er habe mit der Sache nichts zu tun haben wollen und habe noch versucht, den Anderen die Tat auszureden. Insoweit war die erfolgte Belehrung nach § 55 StPO durch den Vernehmungsbeamten ausreichend, um den Angeklagten vor einer übereilten, sich selbst belastenden Aussage zu schützen (vgl. BGH aaO). Hinderungsgründe, die der Beweisaufnahme und der Verwertung seiner Angaben im Ermittlungsverfahren entgegengestanden hätten, lagen danach nicht vor.
17
3. Auf der unterbliebenen Beweiserhebung zu den Angaben des Angeklagten C. nach seiner Belehrung als Beschuldigter und denjenigen des Angeklagten A. im Ermittlungsverfahren beruht das angefochtene Urteil (§ 337 StPO). Denn es liegt nahe, dass der Tatrichter, hätte er die Vernehmungspersonen gehört und die betreffenden Angaben der Angeklagten verwertet, sich entgegen der Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil die Überzeugung verschafft hätte, dass es dem Plan der Angeklagten entsprach, dass der Angeklagte Sch. auf den Geschädigten S. auch um den Preis seines Todes einstechen sollte.
18
4. Dringen die Verfahrensbeschwerden der Staatsanwaltschaft somit schon deshalb durch, weil das Landgericht zu Unrecht Angaben der Angeklagten C. und A. im Ermittlungsverfahren für unverwertbar erachtet hat, braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob der Auffassung zu folgen ist, dass ein Verwertungsverbot wegen eines Verstoßes gegen die Belehrungspflicht jeweils nur zu Gunsten desjenigen Angeklagten wirkt, demgegenüber der Verstoß begangen wurde, nicht aber auch zu Gunsten von Mitbeschuldigten und Mitangeklagten (so aber BGH NStZ 1994, 595, 596; ebenso BGH wistra 2000, 311, 313; NJW 2002, 1279; zustimmend Diemer aaO § 136 Rdn. 26; Meyer-Goßner aaO § 136 Rdn. 20; a.A. Gleß in Löwe-Rosenberg aaO Rdn. 90 m.w.N.).

III.


19
Revisionen der Angeklagten T. und C.
20
Die Überprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen der beiden Beschwerdeführer hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil dieser Angeklagten ergeben. Insoweit verweist der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seinen Antragsschriften vom 14. Oktober 2008 nach § 349 Abs. 2 StPO.
Tepperwien Maatz Kuckein
Solin-Stojanović Mutzbauer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 117/05
vom
19. Oktober 2005
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Oktober 2005 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
München II vom 6. Dezember 2004 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.

Gründe:


Der Angeklagte lebte seit längerer Zeit aus nichtigem Anlass mit seiner Ehefrau im Streit. Aus Verärgerung stach er plötzlich und für sie unerwartet mindestens fünf Mal mit einem Messer auf ihren Oberkörper ein. Sie konnte die Stiche allerdings weit gehend abwehren, zumal ihr Familienmitglieder zur Hilfe eilten und sich auch noch das Messer verformte. Sie war am Ende nur geringfügig an der Hand verletzt. Der Angeklagte hat geltend gemacht, er habe sie nur „so richtig erschrecken wollen“ und Stiche nur vorgetäuscht. Die Strafkammer hat dies nicht geglaubt. Der Angeklagte hat nämlich bei seiner polizeilichen Vernehmung „… eingeräumt, im Moment des Zustechens gedacht zu haben, dass er seine Frau jetzt umbringe… . In dem Moment, als er auf sie eingestochen habe, habe er gewollt, dass sie sterbe.“ Auf der Grundlage dieser Feststellungen wurde er wegen heimtückisch begangenen Mordversuchs in Tateinheit mit
de er wegen heimtückisch begangenen Mordversuchs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer zeitigen Freiheitsstrafe verurteilt.

I.

Die auf mehrere Verfahrensrügen und die Sachrüge gest ützte Revision des Angeklagten bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO). Der näheren Ausführung bedarf nur folgendes: 1. Die Revision wendet sich gegen die Verwertbarkeit de r genannten Angaben des Angeklagten bei der Polizei.
a) Bereits in der Hauptverhandlung war geltend gemach t worden, bei dieser Vernehmung sei gegen §§ 136, 136a StPO verstoßen worden. Nach der Belehrung , jederzeit einen Verteidiger zuziehen zu dürfen, sei ihm auf seine Frage nach einem Anwalt erklärt worden, einen Anspruch auf einen Anwalt hätte er nur, wenn er diesen auch bezahlen könne. Auf seine anschließende Frage nach einem Pflichtverteidiger sei ihm erklärt worden, auch hierauf habe er keinen Anspruch , wenn er nicht zahlen könne. „Kein Geld, kein Anwalt“. Die Strafkammer hat nach Einvernahme des kriminalpolizeilichen Vernehmungsbeamten H. festgestellt, dass diese Behauptungen nicht zutreffen. Vielmehr hat der Angeklagte nach ordnungsgemäßer Belehrung erklärt, er könne gegenwärtig keinen Rechtsanwalt bezahlen, wolle aber trotzdem Angaben zum Tatvorwurf machen. Eine vorherige anwaltliche Beratung hat er nicht verlangt.
b) In der Revisionsbegründung wird - nach wie vor - gel tend gemacht, der Wunsch des Angeklagten nach einem Anwalt sei im Hinblick auf die Äußerungen der Polizei „abgeblockt“ worden.

c) Da bei der genannten Vernehmung auch der Staatsanw alt L. anwesend war, hat der Senat vorsorglich eine dienstliche Äuße rung von ihm eingeholt. Der Staatsanwalt bestätigt die Angaben H. s, die auch der Niederschrift über die polizeiliche Vernehmung entsprechen und von denen die Strafkammer ausgegangen ist.
d) Zu der dienstlichen Erklärung angehört, hat die Re vision erwidert, die Behauptungen des Kriminalbeamten und des Staatsanwalts seien ein „lebensfremdes Konstrukt“, außerdem sei, so der Angeklagte, der Staatsanwalt bei dem in Rede stehenden Teil der Vernehmung überhaupt nicht anwesend gewesen. Selbst wenn aber, so die Revision weiter, von der Richtigkeit dieses Vorbringens auszugehen sei, hätte die Polizei ihre Pflichten verletzt, was zur Unverwertbarkeit der Aussage führe.
e) Mit alledem kann die Revision hier schon im Ansatz nich t gehört werden. Die Revision macht zwar insgesamt geltend, wegen Rechtsfehlern im Zusammenhang mit der Beschuldigtenbelehrung sei die anschließende Vernehmung unverwertbar; in tatsächlicher Hinsicht schließen sich jedoch das Vorbringen , - die Polizei habe die Realisierung des vom Angeklagten geäußerten Wunsch nach einem Verteidiger mit dem Hinweis auf seine fehlenden Geldmittel verhindert und das Vorbringen, - die Polizei habe nicht reagiert, als der Angeklagte erklärt habe, er könne keinen Rechtsanwalt bezahlen, wolle aber trotzdem Angaben machen einander aus.
Deshalb sind insoweit insgesamt die Anforderungen an ei nen zulässigen Revisionsvortrag (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) nicht erfüllt (vgl. BGHSt 17, 337; BGH NStZ 1998, 52; Kuckein in KK 5. Aufl. § 344 Rdn. 26; Meyer-Goßner StPO 48. Aufl. § 344 Rdn. 24).
f) An alledem ändert sich auch dann nichts, wenn vorgebr acht wird, der ursprüngliche Vortrag bleibe zwar aufrecht erhalten, hilfsweise werde ein Rechtsfehler auch für den Fall geltend gemacht, dass nicht von den selbst vorgetragenen Tatsachen auszugehen sei, sondern von denen, die die Strafkammer zu Grunde gelegt habe. (1) Der dem „Hauptantrag“ zu Grunde liegende Vortra g ist nicht bewiesen, wie dies für eine erfolgreiche Verfahrensrüge erforderlich wäre (vgl. MeyerGoßner aaO § 337 Rdn. 10, 12 m. w. N.). Der Senat hält das Vorbringen der Revision im Hinblick auf die jetzt zusätzlich durch die Angaben von Staatsanwalt L. bestätigte Vernehmungsniederschrift und die dementsprechenden Angaben des Kriminalbeamten ebenso wie die Strafkammer für widerlegt. (2) Hilfsweise erhobene Verfahrensrügen sind nicht zulässi g (vgl. MeyerGoßner aaO § 344 Rdn. 12; Sarstedt/Hamm, Revision in Strafsachen 6. Aufl. Rdn. 220).
g) Der Senat bemerkt jedoch zu alledem folgendes: Bei der ersten Vernehmung musste der Sachverhalt hinsichtlich des dringenden Tatverdachts eines Kapitalverbrechens erst noch abgeklärt werden (z.B. hinsichtlich der Abgrenzung zwischen bloßem Körperverletzungsvorsatz und Tötungsvorsatz sowie - bei Tötungsvorsatz - zwischen freiwilligem Rücktritt und gescheitertem Versuch ). Schon allein deshalb bestand, auch wenn ein Staatsanwalt anwesend war, keine Veranlassung, mit der Vernehmung des nach Belehrung aussagebe-
reiten Angeklagten bis zur Bestellung eines Pflichtverteidigers zuzuwarten (vgl. BGHSt 47, 172, 176; Senatsbeschluss vom 18. Oktober 2005 - 1 StR 114/05 m. N.). Allerdings ist davon auszugehen, dass sich der Angeklagte (d amals Beschuldigter ) erkennbar der Hilfe eines Verteidigers bedienen wollte, hierzu aber aus wirtschaftlichen Gründen keine Möglichkeit sah. Hierbei irrte er. Jedenfalls wenn die Möglichkeit eines Kapitaldelikts (und damit die häufig alsbald beantragte Bestellung zum Pflichtverteidiger) im Raum steht, gibt es erfahrungsgemäß Rechtsanwälte, die bereit sind, auch mittellosen Beschuldigten sofort beizustehen , sie zumindest telefonisch zu beraten. Die Kenntnis dieser dem Angeklagten damals unbekannten Praxis kann bei Kriminalbeamten, erst Recht einem Staatsanwalt, ohne weiteres vorausgesetzt werden. Es wäre unter den gegebenen Umständen nach Auffassung des Senats hier angezeigt gewesen, den Angeklagten (Beschuldigten) darauf hinzuweisen, dass ihm trotz seiner fehlenden Mittel Gelegenheit gegeben werden könne, bei einem Rechtsanwalt seines Vertrauens bzw. dem (ausweislich der dienstlichen Äußerung de s Staatsanwalts hier vorhandenen) anwaltlichen Notdienst anzurufen. Gleichwohl handelt es sich bei der kommentarlosen Hinnah me des aufgezeigten Irrtums des nach Maßgabe von § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO belehrten Beschuldigten nicht um eine Täuschung i. S. d. § 136a StPO (vgl. Meyer-Goßner aaO § 136a Rdn. 16 m. w. N.). Unabhängig davon, ob letztlich von einem Verfahrensverstoß auszugehen wäre, läge aber jedenfalls die Annahme eines daraus resultierenden Verwertungsverbots nicht nahe. Bei der Frage, ob ein Verfahrensverstoß im Zusammenhang mit einer Vernehmung zu einem Verwertungsverbot führt, ist sein Gewicht mit dem Interesse an der Aufklärung von, zumal wie hier schwerwiegenden, Straftaten abzuwägen (vgl. BGHSt 47, 172, 179 m.
w. N.). Hier liegt seitens der Strafverfolgungsbehörden kein aktives, zielgerichtet betriebenes Verhalten vor. Dies erscheint jedenfalls von geringerem Gewicht, als eine den Anforderungen von § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO nicht entsprechende Belehrung, die im Grundsatz zu einem Verwertungsverbot führt (vgl. zu alledem näher Senatsbeschluss vom 18. Oktober 2005 - 1 StR 114/05 m. w. N.). Einer Entscheidung hierzu bedarf es aber letztlich nicht, weil es aus den dargelegten Gründen (vgl. I 1 e und f) hier schon an einer zulässig erhobenen Verfahrensrüge fehlt. 2. Die Ehefrau des Angeklagten hat zwar (im Hauptverha ndlungstermin vom 24. November 2004) von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht (§ 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO) Gebrauch gemacht, sie hat aber "der Verwertung des Inhalts ihrer polizeilichen Vernehmung … ausdrücklich zugestimmt." Darauf hat die Strafkammer (im Termin vom 6. Dezember 2004) die Polizeibeamtin als Zeugin gehört , die damals die Ehefrau als Zeugin vernommen hatte. Die Revision bezweifelt nicht, dass ein solches Vorgehen gr undsätzlich möglich ist (vgl. BGHSt 45, 203; w. N, auch für die gegenteilige Ansicht b. Meyer -Goßner aaO § 252 Rdn. 16a). Sie macht aber geltend, die Polizeibeamtin hätte hier wegen Unwirksamkeit der Einverständniserklärung der Ehefrau nicht vernommen werden dürfen, da die Ehefrau diese Erklärung nicht in der Hauptverhandlung abgegeben habe. Die Strafkammer hätte sich nicht, so wie geschehen , auf eine von der Zeugin am 26. November 2004 abgegebene und im Hauptverhandlungstermin vom 6. Dezember 2004 verlesene schriftliche Einverständniserklärung mit der Verwertung ihrer polizeilichen Angaben stützen dürfen. Mit einer weiteren Verfahrensrüge macht die Revision g eltend, die Strafkammer hätte sich nicht damit begnügen dürfen, die Polizeibeamtin zum Inhalt
der Aussage der Ehefrau zu vernehmen, sie hätte auch den "Versuch unternehmen" müssen, die Niederschrift der polizeilichen Aussage zu verlesen. Eine Verlesung hätte zu entscheidungserheblichen neuen Erkenntnissen geführt.
a) Im Kern macht die Revision mit alledem geltend, di e Strafkammer hätte über den Inhalt der polizeilichen Aussage der Ehefrau keinen Beweis erheben dürfen und sie hätte über den Inhalt dieser Aussage zusätzlich weitere Beweise erheben müssen. Beides ist miteinander unvereinbar; darauf, dass es sich innerhalb der Revisionsbegründung um unterschiedliche Verfahrensrügen handelt , kommt es nicht an, Vorbringen zur Begründung einer Revision ist insgesamt als Einheit zu werten. Letztlich wird mit solchem Vorbringen nur ein Sachverhal t geschildert und das Revisionsgericht aufgefordert, zu prüfen, ob in irgendeiner Richtung - sei es, dass kein Beweis hätte erhoben werden dürfen, sei es, dass mehr Beweis hätte erhoben werden müssen - ein Rechtsfehler vorliege. Erforderlich ist jedoch die Behauptung eines bestimmten Verfahrensmangels (vgl. nur BGHSt 12, 33; Sarstedt /Hamm aaO m. w. N.).
b) Unabhängig davon gibt es aber auch keinen Rechtssatz, w onach ein Verzicht auf ein Zeugnisverweigerungsrecht - auch in der Form des Einverständnisses mit der Beweiserhebung über den Inhalt einer polizeilichen Vernehmung - nicht auch außerhalb einer Hauptverhandlung erklärt werden könnte (vgl. BGH Urteil vom 7. März 1995 - 1 StR 523/94; BGH NStZ 1986, 181 für den vergleichbaren Fall einer außerhalb der Hauptverhandlung abgegebenen Erklärung eines Zeugen, im Hinblick auf ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht keine Angaben machen zu wollen).

c) Der Generalbundesanwalt hat im Übrigen in seinem A ntrag aus der in der Hauptverhandlung verlesenen, zu den Akten genommenen Erklärung der Zeugin zitiert. Zu der insgesamt unbehelflichen Erwiderung der Revision (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO) hierauf ist lediglich zu bemerken, dass es gegebenenfalls ihre Sache gewesen wäre, diese Erklärung rechtzeitig (§ 345 StPO) und umfassend (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) vorzutragen. Die offenbar von ihr vertretene Auffassung, hieran ändere sich etwas, weil der Wortlaut dieser Erklärung nicht in das Protokoll aufgenommen worden sei, geht fehl. Gleiches gilt für die Auffassung , das Gericht hätte der Verteidigung - die offenbar keinerlei Wünsche in dieser Richtung geäußert hat, jedenfalls trägt die Revision dies nicht vor - die in ihrer Anwesenheit in der Hauptverhandlung verlesene Erklärung von sich aus übergeben müssen. Unabhängig von alledem vermag aber auch das Vorbringen, es bliebe "offen", ob die Erklärung der Ehefrau "zuzuordnen" sei, es sei auch nicht ersichtlich, wie die Erklärung zu Gericht gelangt sei und der Generalbundesanwalt habe von einer "eventuellen Grußformel" nichts mitgeteilt, Ansatzpunkte für mögliche Zweifel an Echtheit oder Wirksamkeit dieser Erklärung nicht zu verdeutlichen.
d) Was die unterbliebene Verlesung bzw. den Versuch hie rzu betrifft, fehlt schon entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO die Mitteilung über den Inhalt der Niederschrift, soweit er über die von der Strafkammer durch die Aussage der Polizeibeamtin festgestellten Inhalt der Aussage der Ehefrau hinausgehen soll.
e) Im Übrigen führt das wirksame Einverständnis eines aussa geverweigerungsberechtigten Zeugen mit der Verwertung einer früheren nichtrichterlichen Vernehmung dazu, dass - wie hier geschehen - die frühere Aussage durch die Vernehmung der Verhörsperson in die Hauptverhandlung eingeführt werden darf (Schlüchter in SK-StPO § 252 Rdn. 22 m.w.N.). Ob auch in anderer Weise Be-
weis über den Inhalt der früheren Aussage zu erheben ist, richtet sich nach allgemeinen Grundsätzen. Mit dem Vorbringen, die Strafkammer hätte den "Versuch" einer Verlesung der polizeilichen Vernehmung machen müssen, ist ersichtlich gemeint, die Strafkammer hätte eine Verlesung dieser Vernehmung im allseitigen Einvernehmen (§ 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO nF) anstreben sollen. Es erscheint im Ansatz fraglich, in wieweit das Gericht durch die Amtsaufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) zu dem Versuch einer Beweiserhebung gehalten sein kann, die von den Verfahrensbeteiligten ohne weiteres, nämlich durch Versagung der erforderlichen Zustimmung verhindert werden kann. Dies wird vorliegend besonders deutlich, weil in einer identischen Verfahrenssituation - auch die Schwiegermutter des Angeklagten hatte von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht, war aber mit der Verwertung ihrer polizeilichen Aussage einverstanden - die vom Gericht angeregte Verlesung von deren polizeilichen Aussage daran scheiterte, dass die Verteidigung ihre Zustimmung versagte. Unter diesen Umständen ist umso weniger erkennbar, warum die Strafkammer hinsichtlich der Aussage der Ehefrau einen erneuten Versuch hätte unternehmen sollen, auf ein Einverständnis i.S.d. § 251 Abs.1 Nr. 1 StPO nF hinzuwirken. Auch die Revision trägt hierzu nichts vor. Näher nachzugehen braucht der Senat aber alledem nicht, weil das Vorbringen der Revision im Zusammenhang mit der polizeilichen Aussage der Ehefrau schon aus den oben dargelegten Gründen (vgl. oben I 2 a bis d) scheitert.

II.

Auch im Übrigen hat die auf Grund des Revisionsvorbringe ns gebotene Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Senat nimmt insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts Bezug, die auch durch die Erwiderung der Revision nicht entkräftet werden. Nack Wahl Boetticher Kolz Elf
Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
WÜK Art. 36
1. Zur Belehrung eines Festgenommenen mit fremder Staatsangehörigkeit
gemäß Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 des Wiener Konsularrechtsübereinkommens
(WÜK) über sein subjektives Recht, die
unverzügliche Benachrichtigung seiner konsularischen Vertretung
zu verlangen, sind bereits die Polizeibeamten nach Festnahme
verpflichtet (BVerfG – Kammer – NJW 2007, 499 unter Aufhebung
von BGHR WÜK Art. 36 Unterrichtung 1).
2. Das Unterbleiben der gebotenen Belehrung über das Recht auf
konsularischen Beistand nach Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK
führt nicht zu einem Beweisverwertungsverbot.
3. Die Rechtsverletzung kann jedoch zu einer Kompensation derart
führen, dass ein bestimmter Teil der verhängten Freiheitsstrafe
als verbüßt anzurechnen ist.
BGH, Beschluss vom 25. September 2007 – 5 StR 116/01
5 StR 475/02
LG Braunschweig
LG Hamburg –
5 StR 475/02

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 25. September 2007
in den Strafsachen
I. gegen
1.
2.
3.
4.
wegen Mordes u. a.
II. gegen
wegen räuberischer Erpressung mit Todesfolge u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. September 2007

beschlossen:
1. Die Verfahren 5 StR 116/01 und 5 StR 475/02 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
2. Die Revisionen der Angeklagten S. , F. und Sa. gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 5. Juli 2000 werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen, die Revision des Angeklagten S. mit der Maßgabe (§ 349 Abs. 4 StPO), dass von der verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe sechs Monate als vollstreckt gelten.
Jeder dieser Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen, die Angeklagten S. , F. und Sa. zudem die den Nebenklägern entstandenen notwendigen Auslagen.
3. Die Revision des Angeklagten D. gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 5. April 2002 wird auf Kosten des Beschwerdeführers nach § 349 Abs. 2 StPO mit der Maßgabe (§ 349 Abs. 4 StPO) als unbegründet verworfen, dass von der verhängten Freiheitsstrafe sechs Monate als vollstreckt gelten.
4. Das Verfahren gegen den verstorbenen Angeklagten T. wird nach § 206a Abs. 1 StPO eingestellt.
Insofern fallen die Auslagen der Staatskasse dieser zur Last. Es wird davon abgesehen, die notwendigen Auslagen dieses Angeklagten der Staatskasse aufzuerlegen.
G r ü n d e

A


1
Die vorliegende Entscheidung ergeht in zwei zu verbindenden Verfahren jeweils im zweiten Verfahrensdurchgang, nachdem das Bundesverfassungsgericht in beiden Verfahren – nach § 349 Abs. 2 StPO ergangene – Beschlüsse des Senates aufgehoben hat.

I.


2
Das Landgericht Braunschweig hat am 5. Juli 2000 den Angeklagten S. wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Die Angeklagten F. und Sa. sowie den inzwischen verstorbenen T. hat es wegen Anstiftung zum Mord sowie wegen Nötigung, die Angeklagten F. und T. darüber hinaus wegen versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Nötigung und den Angeklagten Sa. zudem wegen unerlaubten Besitzes einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Betreffend die Angeklagten F. , Sa. und T. hat das Landgericht die besondere Schwere der Schuld festgestellt.
3
Mit ihren Revisionen haben die Angeklagten S. (türkischer Staatsangehöriger ), F. (deutscher Staatsangehöriger), Sa. und T. (beide serbisch-montenegrinische Staatsangehörige) mit der Verfahrensrüge beanstandet, dass der damals vorläufig festgenommene Beschuldigte S. vor seiner polizeilichen Vernehmung nicht gemäß Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen (WÜK) vom 24. April 1963 (BGBl II 1969 S. 1585) belehrt worden sei.
4
Der Senat hat durch Beschluss vom 7. November 2001 – 5 StR 116/01 (BGHR WÜK Art. 36 Unterrichtung 1, StV 2003, 57 m. Anm.
Paulus) die Revisionen der Angeklagten nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

II.


5
Das Landgericht Hamburg hat am 5. April 2002 den Angeklagten D. wegen räuberischer Erpressung mit Todesfolge in Tateinheit mit versuchtem Raub mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt.
6
Der Angeklagte D. (türkischer Staatsangehöriger) hat im Rahmen seiner Revision mit der Verfahrensrüge geltend gemacht, dass er vor seiner polizeilichen Vernehmung nicht gemäß Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK belehrt worden sei.
7
Der Senat hat durch Beschluss vom 29. Januar 2003 – 5 StR 475/02 – die Revision des Angeklagten D. nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

III.


8
Das Bundesverfassungsgericht – 1. Kammer des Zweiten Senats – hat durch Beschluss vom 19. September 2006 (NJW 2007, 499, m. Bespr. Walter JR 2007, 99 und Kreß GA 2007, 296 sowie Anm. Burchard JZ 2007, 891) die Verfahren über die Verfassungsbeschwerden der Angeklagten zur gemeinsamen Entscheidung verbunden, die Beschlüsse des Senats vom 7. November 2001 – 5 StR 116/01 – und vom 29. Januar 2003 – 5 StR 475/02 – betreffend die Beschwerdeführer wegen deren Verletzung in ihrem Recht auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) aufgehoben und die Sachen insoweit an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.

B


9
Danach hat der Senat über die Revisionen aller Angeklagten erneut zu entscheiden.

I.


10
Dies kann im Beschlusswege erfolgen.
11
1. Über die Revisionen der Angeklagten S. , F. , Sa. und D. kann im Verfahren nach § 349 Abs. 2 und Abs. 4 StPO befunden werden.
12
Durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. September 2006 sind beide Verfahren in denjenigen Stand zurückversetzt worden, den sie vor dem Senatsbeschluss vom 7. November 2001 – 5 StR 116/01 – und demjenigen vom 29. Januar 2003 – 5 StR 475/02 – hatten. Soweit durch die genannte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Rechtsfragen der Wirkung eines Verstoßes gegen die Belehrungspflicht aus Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK – hierauf konzentriert und auf die in Betracht kommenden Gesichtspunkte hinweisend – zur erneuten Entscheidung gestellt sind, haben der Generalbundesanwalt mit seinen Antragsschriften vom 12. Dezember 2006 in der Sache 5 StR 116/01 und vom 18. Dezember 2006 in der Sache 5 StR 475/02 sowie die Verteidiger aller Angeklagten und der Vertreter der Nebenkläger Stellung genommen.
13
Eine Entscheidung im Beschlussverfahren ist auch nicht deshalb ausgeschlossen , weil zur erneuten Senatsentscheidung eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts führt. Die hiernach unter notwendig revidierter Sicht erneut zu entscheidende Frage ist eng begrenzt und von den Verfahrensbeteiligten schriftsätzlich ausführlich behandelt worden. Sie ist auch unter Berücksichtigung der veränderten Vorgaben aus Sicht des Senats letzt- lich eindeutig zu beantworten. In der nach § 349 Abs. 2 und Abs. 4 StPO geforderten Einstimmigkeit, bei § 349 Abs. 2 StPO zudem im notwendigen Einklang mit dem Ergebnis des Antrags des Generalbundesanwalts finden sich ausreichende Korrektive (vgl. auch BGHR StPO § 349 Abs. 2 Verwerfung 6). Es ist daran zu erinnern, dass auch sonst höchstrichterlich umstrittene Fragen (§ 132 Abs. 2 GVG) und Fragen von grundsätzlicher Bedeutung (§ 132 Abs. 4 GVG) durch Beschluss entschieden werden können (§ 138 Abs. 1 Satz 2 GVG) und regelmäßig in dieser Verfahrensweise entschieden werden, ohne dass den Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme auch in einer Hauptverhandlung gegeben würde.
14
2. Die Entscheidung betreffend den verstorbenen Angeklagten T. hat nach § 206a Abs. 1 StPO durch Beschluss zu erfolgen.

II.


15
Die Revisionen der Angeklagten S. und D. sind weitgehend, die der Angeklagten F. und Sa. in vollem Umfang unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
16
1. Soweit die Revisionen jeweils mit der Verfahrensrüge eine Verletzung von Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK geltend machen, führt dies lediglich zu einem geringen Teilerfolg der Revisionen der Angeklagten S. und D. .
17
a) Allerdings liegt in jedem der beiden Fälle eine Gesetzesverletzung darin, dass der Angeklagte S. und der Angeklagte D. jeweils nach ihrer Festnahme nicht durch die Polizeibeamten über ihre Rechte gemäß Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK belehrt worden sind.
18
Die Bundesrepublik Deutschland und die Türkei sind Vertragsstaaten des genannten Übereinkommens (BGBl II 1969 S. 1585, 1671).
19
Zur Belehrung eines Festgenommenen mit fremder Staatsangehörigkeit gemäß Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK über sein subjektives Recht, die unverzügliche Benachrichtigung seiner konsularischen Vertretung zu verlangen , sind bereits die Polizeibeamten nach Festnahme verpflichtet (BVerfG – Kammer – NJW 2007, 499, 503 unter Berufung auf IGH, Urteil vom 27. Juni 2001, ICJ-Reports 2001, 464 – „LaGrand“ – [Übersetzung in EuGRZ 2001, 287] sowie vom 31. März 2004, ILM 43 [2004], 581 – „Avena“). Die durch den Senat vormals vorgenommene, an den nationalen Konkretisierungen im Haftrecht nach Art. 104 GG, §§ 115, 115a, 128 StPO orientierte Auslegung, welche die Pflicht auf den Richter beschränkt (BGHR WÜK Art. 36 Unterrichtung 1), erweist sich danach als zu eng und ist ausdrücklich zu revidieren. Die Belehrungspflicht knüpft – standardisiert – an die fremde Staatsangehörigkeit des Beschuldigten und an seine Festnahmesituation an. Sie gilt also auch für den Fall, dass der Beschuldigte seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland hat. Eine darüber hinausgehende ausländerspezifische oder situationsbedingte Hilflosigkeit ist nicht Voraussetzung für die sich aus Völkervertragsrecht im Range eines Bundesgesetzes ergebende Belehrungspflicht. Ebenso führt bei einem Beschuldigten, der nicht ausländischer Angehöriger eines Vertragsstaats des Wiener Übereinkommens ist, eine gleichgeartete besondere Hilflosigkeit in der Festnahmesituation nicht zu hieraus abzuleitenden entsprechenden Unterstützungspflichten.
20
Damit ist festzustellen, dass die Angeklagten D. und S. durch die unterbliebene Belehrung seitens der Polizeibeamten, die ihre erste Vernehmung durchgeführt haben, in ihren subjektiven Rechten auf konsularische Unterstützung bei der effektiven Wahrnehmung ihrer Verteidigungsrechte in der Haftsituation verletzt worden sind. Ein Beruhen der Beweiswürdigung in den angefochtenen Urteilen auf den Ergebnissen der in dieser Situation erfolgten Vernehmungen kann der Senat nicht ausschließen, wenn sie auch in beiden Fällen eher fernliegen mag.
21
b) Die Mitangeklagten des Angeklagten S. , die Beschwerdeführer Sa. (serbisch-montenegrinischer Staatsangehöriger) und F. (deutscher Staatsangehöriger), können aus dieser Verletzung des subjektiven Rechts ihres Mitbeschuldigten für sich von vornherein keine Verletzung eigener Verfahrensrechte herleiten. Die Belehrungspflicht aus Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK knüpft individuell an fremde Staatsangehörigkeit und Festnahmesituation des unmittelbar betroffenen Beschuldigten an. Seine Verletzung berührt noch weniger als eine Verletzung der Rechte aus § 136 Abs. 1 StPO (vgl. dazu BGHSt 47, 233, 234; BGHR StPO § 136 Belehrung 5; BGH wistra 2000, 311, 313; vgl. auch Nack StraFo 1998, 366, 372 f.) den Rechtskreis eines Mitbeschuldigten. Grundlegende generelle Belange der Prozessordnungsmäßigkeit des Verfahrens, die eine abweichende Betrachtung veranlassen könnten (vgl. BGHSt 33, 148, 154 m.w.N.), sind nicht berührt. Bei dieser Sachlage bedarf die Frage keiner Vertiefung, ob als Ergebnis der maßgeblichen Abwägung zwischen den Belangen rechtsstaatlich geforderter Wahrheitsfindung und effektiver Wahrung unverletzlicher Verfahrenspositionen schon die bislang vom Bundesgerichtshof anerkannten Drittwirkungen – namentlich bei so persönlich geprägten Rechtspositionen wie denen aus dem Bereich des § 52 StPO – als eher zu weitgehend angesehen werden müssen.
22
c) Die von den Verstößen gegen die Belehrungspflicht selbst betroffenen Beschwerdeführer S. und D. sind mit revisionsrechtlichen Beanstandungen gegen eine Verletzung des Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK nicht etwa in Ermangelung eines Widerspruchs ausgeschlossen. Sie haben in ihren Revisionsbegründungen jeweils vorgetragen, dass sie in der Hauptverhandlung bis zu dem in § 257 StPO bestimmten Zeitpunkt Widerspruch gegen die Verwertung ihrer Angaben in den Beschuldigtenvernehmungen, für die sie eine Verletzung von Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK geltend machen können, erhoben haben (hervorgehoben von BVerfG – Kammer – aaO S. 500; vgl. zum Widerspruchserfordernis BGH, Beschluss vom 11. September 2007 – 1 StR 273/07, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt). Aller- dings erfolgte dieser Widerspruch „generell“ (S. ) bzw. bezogen auf ganz andere, nicht durchgreifende Verfahrensbeanstandungen nach §§ 136, 137 StPO (D. ). Dies wird den Erfordernissen eines spezifizierten Widerspruchs , wie ihn der 1. Strafsenat in seinem Beschluss vom 11. September 2007 in Fortentwicklung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur „Widerspruchslösung“ verlangt hat, nicht gerecht. Das bleibt aber vorliegend für die unmittelbar von dem Verstoß gegen Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK betroffenen Beschwerdeführer S. und D. unschädlich. Denn anders als in dem vom 1. Strafsenat entschiedenen Fall ist die in Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK vorgesehene Belehrung hier in beiden Fällen nie nachgeholt, der Verstoß mithin nicht später geheilt worden. Unter diesen Voraussetzungen sieht sich der Senat nach den maßgeblich zu beachtenden Grundsätzen des „LaGrand“-Urteils des Internationalen Gerichtshofs (BVerfG – Kammer – aaO S. 501 ff.) außerstande, den im Fall der Heilung erwägenswerten, vom 1. Strafsenat verlangten spezifizierten Widerspruch als Rügevoraussetzung zu fordern. Denn der Internationale Gerichtshof hatte einen Ausschluss der Revisibilität („review und reconsideration“) einer Verletzung dieses Rechts mangels rechtzeitiger Erhebung von nach nationalem Recht verlangten Einwänden – dort betreffend die USamerikanische „procedural default rule“ – jedenfalls dann als Verstoß gegen Art. 36 Abs. 2 WÜK betrachtet und deswegen missbilligt, wenn die Unterrichtung über das sich aus Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK ergebende Recht solange nicht erfolgte, wie diese Einwände prozessrechtlich hätten erhoben werden müssen (IGH – „LaGrand“ – aaO S. 497 sowie – „Avena“ – aaO S. 613; vgl. hierzu auch Simma in Festschrift für Tomuschat S. 423, 428 ff.). Ob ohne Heilung des Verstoßes jeglicher Widerspruch entbehrlich wäre, bedarf angesichts des hier jeweils generell erfolgten Widerspruchs keiner Vertiefung.
23
d) Indes zieht der Verstoß gegen die Belehrungspflicht aus Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK kein Verwertungsverbot nach sich, das anzunehmen Völker- oder Verfassungsrecht nicht gebieten (BVerfG – Kammer – aaO S. 503 f.; vgl. auch Kreß GA 2007, 296, 304; Walter JR 2007, 99, 101; Paulus StV 2003, 57, 58 f.; ferner Burchard JZ 2007, 891, 893 f.). Insoweit stellt sich die Rechtslage in Abwägung der widerstreitenden Interessen namentlich unter Berücksichtigung von Art und Gewicht des Verstoßes und von wesentlichen Belangen der Urteilsfindung im Strafverfahren (vgl. BGHSt 44, 243, 249 m.w.N.; BGH NJW 2007, 2269, 2271, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt ) anders dar als bei der in § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO vorgeschriebenen Belehrung über das Schweigerecht und das Verteidigerkonsultationsrecht. Hierdurch werden die wesentlichen Rechte des Beschuldigten auf Selbstbelastungsfreiheit und effektive Verteidigung unmittelbar bezogen auf die Vernehmungssituation zentral geschützt. Die einem Beschuldigten aus Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK zu erteilende Belehrung ist diesen Belehrungspflichten hinsichtlich ihrer Voraussetzungen und – was für die Annahme eines Verwertungsverbots wesentlich sein kann – hinsichtlich ihrer Bedeutung für ein mögliches Beweisergebnis zu Lasten des Beschuldigten nicht ausreichend ähnlich. So knüpft die Belehrungspflicht des Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK schon nicht an den Beginn der Vernehmung an, sondern es wird allein auf die Inhaftierung abgestellt. Zudem wird durch das Unterrichtungsrecht nach Art. 36 Abs. 1 lit. b WÜK lediglich ein ergänzender Schutz für jeden inhaftierten Beschuldigten mit einer fremden Staatsangehörigkeit geboten, dem in der Haftsituation und unter deren besonderer Berücksichtigung eine allein staatsangehörigkeitsbezogene weitergehende Verbesserung seiner Verteidigungschancen eingeräumt werden soll. Durch diese standardisierte Rechtsposition wird, wie dargelegt, auch nicht etwa besonders auf eine mögliche ausländerspezifische Hilflosigkeit abgestellt. Liegt eine solche vor, ist dem eben nicht etwa durch eine hervorgehobene Bewertung oder weitergehende Ausgestaltung der Rechte aus Art. 36 Abs. 1 lit. b WÜK Rechnung zu tragen, sondern durch eine geeignete besondere Rücksicht auf die Wahrnehmung des Schweigerechts und des Verteidigerkonsultationsrechts, insbesondere bei der Ausgestaltung der nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO vorgeschriebenen Belehrung (vgl. BGHSt 42, 15). Den betroffenen ausländischen Beschuldigten kommen sonst unvermindert sämtliche rechtsstaatlichen Ver- teidigungsstandards zugute. An eine Verletzung des subjektiven Rechts aus Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK (vgl. IGH – „LaGrand“ – aaO S. 494), das zwar beachtlich ist, indes ein für die Ausgestaltung der Verteidigung nicht zentrales pauschales Sonderrecht darstellt, ist danach, anders als bei § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO möglich, kein Beweisverwertungsverbot zu knüpfen.
24
e) Jedoch erachtet der Senat es für angezeigt, die Rechtsverletzung zu kompensieren.
25
Trotz Ablehnung eines Beweisverwertungsverbots darf der festzustellende Verstoß gegen die völkerrechtlich verankerte Unterrichtungspflicht aus Art. 36 Abs. 1 lit. b WÜK grundsätzlich nicht folgenlos bleiben. Nach der vom Internationalen Gerichtshof geforderten Auslegung des Art. 36 Abs. 2 zweiter Halbsatz WÜK – die gemäß den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu beachten ist (BVerfG – Kammer – aaO S. 501) – muss es möglich sein, eine effektive Revisibiliät („full effect“, IGH – „La Grand“ – aaO S. 498) sicherzustellen. Daraus folgt zum einen, dass das Revisionsgericht auf eine Verfahrensrüge des betroffenen ausländischen Angeklagten eine Rechtsverletzung zu prüfen und gegebenenfalls festzustellen hat. Zudem ist zu beachten , dass die Angeklagten S. und D. in ihren persönlichen und prozessualen Rechten verletzt worden sind und die – dem deutschen Revisionsverfahren ohnehin fremde – alleinige Feststellung der Rechtsverletzung dies nicht stets angemessen auszugleichen vermag. Ähnlich wie in den Fällen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung (vgl. die Darstellung der Rechtsentwicklung im Vorlagebeschluss des 3. Strafsenats vom 23. August 2007 – 3 StR 50/07) und im Fall der Verleitung einer unverdächtigen und zunächst nicht tatgeneigten Person zu einer Straftat durch eine von einem Amtsträger geführte Vertrauensperson in einer dem Staat zuzurechnenden Weise (BGHSt 45, 321; 47, 44, 52) liegt ein Grund für eine Kompensation vor (vgl. hierzu Simma aaO S. 432). Damit wird sichergestellt, dass der Verletzte, sofern dies angemessen ist, eine Wiedergutmachung für die von ihm erlittene Beeinträchtigung seiner Rechtsposition aus Art. 36 WÜK im sachnächsten nationalen Verfahren erhalten kann.
26
Eine derartige Kompensation erscheint jedenfalls dann angezeigt und gar geboten, wenn der betroffene Angeklagte eine erhebliche Bestrafung erfährt und der Verstoß nicht – wie in dem vom 1. Strafsenat entschiedenen Fall angesichts alsbald anschließender Belehrung durch den Haftrichter – nur kurzfristig fortgewirkt hat. Beide Voraussetzungen sind vorliegend bei den unmittelbar betroffenen Beschwerdeführern S. und D. erfüllt.
27
f) Der Senat nimmt diese Kompensation nicht – wie die bisherige Rechtsprechung in den genannten Fällen – durch eine Herabsetzung der verhängten Strafe (Strafzumessungslösung) vor, sondern in Form des Ausspruchs , dass ein zahlenmäßig bestimmter Teil der verhängten Freiheitsstrafe als vollstreckt gilt (Vollstreckungslösung). Er sieht sich als befugt an, in der vorstehenden Weise zu entscheiden, ohne von bisheriger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abzuweichen, da bislang nicht entschieden worden ist, in welcher Form die Kompensation einer Verletzung von Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK und damit die angezeigte effektive Geltendmachung der Verletzung dieses Rechts vorzunehmen ist. Er orientiert sich an der auf eine analoge Anwendung des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB gestützten „Vollstreckungslösung“ , wie sie der 3. Strafsenat im Vorlagebeschluss vom 23. August 2007 – 3 StR 50/07 (vgl. auch Basdorf, Tagungsbericht zum Karlsruher Strafrechtsdialog 2007) nunmehr für Fälle überlanger Verfahrensdauer für vorzugswürdig hält. Diese Lösung ist – anders als die Strafzumessungslösung – nicht mit dem Widerspruch behaftet, durch eine Reduktion der schuldangemessenen Strafe Verfahrensfehler der Strafverfolgungsbehörden, die mit der Schuld des Angeklagten in keiner Beziehung stehen, hiermit in Korrelation zu setzen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juni 2007 – 5 StR 83/07, zur Veröffentlichung in BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 fair-trail 5 bestimmt). Sie entspricht vielmehr dem objektiv orientierten Modell des § 51 StGB. Damit ist auch eine höhere Transparenz der Rechtsfolgenentscheidung in dem Sinne gewährleistet, dass die Tatschuld im Strafausspruch zutreffend ausgewiesen wird und in dieser Weise unvermindert bei späteren Entscheidungen berücksichtigt werden kann.
28
Die neue Fallkonstellation erlaubt eine solche abweichende Methodik selbst für den Fall, dass sie sich – entgegen der Auffassung auch des 5. Strafsenats – bei auf überlanger Verfahrensdauer beruhenden Verstößen gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK nicht durchsetzen sollte. Jene Fälle haben einen weit größeren Anwendungsbereich und betreffen – im Gegensatz zu der hier zu entscheidenden Fallkonstellation mit regelmäßig nicht übermäßig schwerwiegenden Verstößen – Fälle unterschiedlichsten Gewichts mit einem ganz individuell zu bemessenden Ausmaß einer gebotenen Kompensation.
29
Die neue, vorliegend vom Senat bereits angewendete Methodik hat überdies den Vorteil, dass eine effektive Revisibilität auch einem zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Angeklagten zugute kommt, abweichend von der Lösung über die Strafzumessung, deren insoweit negative Konsequenz von der Rechtsprechung freilich gebilligt worden ist (BVerfG – Kammer – NStZ 2006, 680; BGH NStZ 2006, 346). So wird infolge der „Vollstreckungslösung“ hier der Angeklagte S. durch eine bezifferte Anrechnung eines als verbüßt geltenden Teils der Strafe analog § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB den Zeitpunkt der Mindestverbüßung nach § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB früher erreichen.
30
Der Senat lässt offen, ob in Fällen geringerer Schwere eine mittels Anwendung des nationalen Rechts mögliche Kompensation auch auf andere Weise, etwa durch Gewährung einer Entschädigung in analoger Anwendung des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) oder durch Kostennachlass, etwa analog § 465 Abs. 2 StPO, in Betracht zu ziehen wäre. Bei Strafen geringeren Gewichts und im Falle der späteren Heilung des Verfahrensverstoßes durch alsbald nachgeholte Belehrung gemäß Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Sep- tember 2007 – 1 StR 273/07, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt) mag eine Kompensation gänzlich entbehrlich sein.
31
g) Der Senat bestimmt das Maß der als vollstreckt geltenden Strafe angesichts des jeweiligen Gewichts des Verstoßes und seiner Auswirkungen sowie der jeweiligen Tatvorwürfe bei beiden Beschwerdeführern jeweils mit sechs Monaten.
32
2. Im Übrigen sind die Revisionen der Angeklagten S. , F. und Sa. aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 21. Juni 2001 sowie die Revision des Angeklagten D. aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 13. November 2002 unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
33
3. Irgendeine Herabsetzung oder weitergehende partielle Kompensation der gegen die Angeklagten S. , F. , Sa. und D. verhängten Strafen unter dem Gesichtspunkt der besonders langen Verfahrensdauer ist nicht vorzunehmen. Der Senat vermag eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung nicht zu konstatieren.
34
a) Soweit es etwa um die Behandlung der beiden Sachen zwischen der Erhebung der Verfassungsbeschwerden und dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. September 2006 gehen kann, neigt der Senat zu der Ansicht, dass einem Gericht grundsätzlich nicht die Möglichkeit eröffnet ist, einen durch ein höherrangiges Gericht begangenen Verstoß der genannten Art gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK festzustellen und zu berücksichtigen , wenn nicht etwa dieses Gericht entsprechende Hinweise gegeben hat. Dies dürfte bereits aus der Verfassung des Gesamtgefüges der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland folgen und findet zumindest seine verfahrenspraktische Bestätigung darin, dass dem Gericht geringeren Ranges Kenntnisse zum erfolgten Verfahrensgang beim höherrangigen Gericht fehlen.
35
b) Die Behandlung der Sachen beim Senat war nicht verzögerlich. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. September 2006 ist beim Senat am 26. Oktober 2006 eingegangen. Auf die Antragsschriften des Generalbundesanwalts vom 12. Dezember 2006 (in der Sache 5 StR 116/01) und vom 18. Dezember 2006 (in der Sache 5 StR 475/02) haben die Verfahrensbeteiligten bis zum 7. März 2007 Stellung genommen. Die gegen den Vorsitzenden, den Berichterstatter und ein weiteres Senatsmitglied gerichteten Ablehnungsgesuche des Angeklagten D. vom 17. Januar 2007 hat der Senat nach den gebotenen Anhörungen durch Beschluss vom 11. April 2007 zurückgewiesen. Darin, dass das Revisionsgericht in seiner sich erst aus jener Senatsentscheidung ergebenden Besetzung nicht schon früher entschieden hat, liegt keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung (vgl. zudem zur fehlenden Rechtsstaatswidrigkeit längerer Verfahrensdauer in umfänglichen und schwierigen Verfahren BGH NJW 2007, 853, 857).
36
c) Eine solche Verfahrensverzögerung findet sich auch nicht etwa darin , dass das Bundesverfassungsgericht hier zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs wegen Verletzung der Beschwerdeführer in ihrem Recht auf ein faires Verfahren aufgehoben hat, wodurch ein weiterer fast ein Jahr währender Verfahrensgang vor dem Bundesgerichtshof notwendig geworden ist. Anzuknüpfen ist an das Urteil des 3. Strafsenats vom 7. Februar 2006 – 3 StR 460/98 (NJW 2006, 1529), wonach eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung nicht allein deshalb vorliegt, weil das Revisionsgericht zur Korrektur eines dem Tatrichter unterlaufenen – nicht eklatanten – Rechtsfehlers dessen Urteil aufheben und die Sache zu neuer – zeitaufwändiger – Bearbeitung an die Vorinstanz zurückverweisen muss; denn solcher Verfahrensgang ist Ausfluss eines rechtsstaatlichen Rechtsmittelsystems. Die Grundsätze dieses Urteils, denen der Senat in vollem Umfang zustimmt, sind auf die vorliegende Konstellation der Aufhebung von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs durch das Bundesverfassungsgericht sinngemäß zu übertragen. Als eklatante Gesetzesverletzung, die eine abweichende Beurteilung erfordern könnte (vgl. BGH aaO S. 1532 m.w.N.), wertet der Senat sei- ne erste, nunmehr freilich nach Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts zu revidierende Entscheidung nicht.
37
4. Der Teilerfolg, den die Angeklagten S. und D. auf ihre unbeschränkten Revisionen mit der Anrechnung von sechs Monaten Freiheitsstrafe auf die verbüßten Strafen erzielen, ist derart gering, dass es unter den Billigkeitsgesichtspunkten des § 473 Abs. 4 StPO nicht angezeigt erscheint, eine Kostenteilung vorzunehmen.

III.


38
Auf die Revision des Angeklagten T. ist das Verfahren einzustellen. Dieser Angeklagte ist am 7. September 2004 verstorben. Da das Bundesverfassungsgericht den Beschluss des Senats vom 7. November 2001 auch betreffend den Angeklagten T. aufgehoben hat, stellt der Senat das Verfahren insoweit nach § 206a Abs. 1 StPO ein (vgl. BGHSt 45, 108).
39
Die Kostenentscheidung hat im Fall des Todes des Angeklagten nach denjenigen Grundsätzen zu erfolgen, die bei Einstellung wegen eines Verfahrenshindernisses allgemein anzuwenden sind (vgl. Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl. § 464 Rdn. 14, § 465 Rdn. 12). Deshalb fallen die Auslagen der Staatskasse dieser nach § 467 Abs. 1 StPO zur Last. Jedoch wird nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO davon abgesehen, die notwendigen Ausla- gen des Angeklagten T. der Staatskasse aufzuerlegen. Aus den obigen Ausführungen folgt, dass dieser Angeklagte nur deshalb nicht rechtskräftig verurteilt wird, weil mit seinem Tod ein Verfahrenshindernis eingetreten ist.
Basdorf RiBGH Häger ist erkrankt Gerhardt und daher verhindert zu unterschreiben Basdorf Brause Schaal

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 318/07
vom
20. Dezember 2007
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________________
WÜK Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3
Zu den Folgen einer verspätet erteilten Belehrung eines ausländischen Beschuldigten
über sein Recht auf Unterrichtung der konsularischen Vertretung seines Heimatstaates
(in Abgrenzung zu BGHSt [1 StR 273/07 und 5 StR 116/01 und 5 StR
475/02]).
BGH, Urt. vom 20. Dezember 2007 - 3 StR 318/07 - LG Lübeck
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. Dezember
2007, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Becker
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Miebach,
Pfister,
Hubert,
Dr. Schäfer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 2. April 2007 werden verworfen. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat es die Einziehung sichergestellten Kokains und zweier Mobiltelefone sowie den Verfall eines Geldbetrages angeordnet. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten bleiben erfolglos.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Die beiden Angeklagten reisten am 8. Oktober 2006 im Pkw des Angeklagten S. von Oslo nach Hamburg, trafen dort den aus Brüssel kommenden Betäubungsmittelkurier C. , der 1.485,4 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von 341,5 Gramm KHC mit sich führte, und fuhren sodann mit C.
nach Puttgarden, um mit ihm über den dortigen Fährhafen wieder nach Norwegen auszureisen. Vor der Ausreise wurde das Betäubungsmittel im Kofferraum des Fahrzeugs entdeckt. Die Angeklagten und C. wurden vorläufig festgenommen.

II.


4
Die Überprüfung des landgerichtlichen Urteils hat weder in materiellnoch in verfahrensrechtlicher Hinsicht einen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Näherer Erörterung bedarf nur die von beiden Angeklagten erhobene Verfahrensrüge, das Landgericht habe bei der Urteilsfindung rechtsfehlerhaft ihre Aussagen bei ihrer zollbehördlichen Beschuldigtenvernehmung und ihrer Vernehmung durch den Ermittlungsrichter verwertet , obwohl sie als Ausländer zuvor nicht über ihr Recht auf konsularischen Beistand nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen (WÜK) vom 24. April 1963 (BGBl II 1969, 1585) belehrt worden seien.
5
1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
6
Der Angeklagte M. hat die mazedonische, der Angeklagte S. die serbische Staatsangehörigkeit. Weder nach ihrer Festnahme am 8. Oktober 2006 noch anlässlich ihrer am Folgetag unter Zuziehung eines Dolmetschers von Zollbeamten durchgeführten Vernehmung wurden sie über ihr Recht auf Benachrichtigung der konsularischen Vertretung ihres jeweiligen Heimatstaates gemäß Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK belehrt; vor der Vernehmung am 9. Oktober 2006 wurden sie lediglich über ihr Recht zu schweigen und auf Befragung eines Verteidigers hingewiesen (§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO). Beide An- geklagte machten sodann Angaben zur Sache. Im Anschluss daran äußerten sie sich auch gegenüber dem Ermittlungsrichter, der Haftbefehl gegen sie erließ. Gegen Ende des Vorführungstermins wurden sie belehrt, dass sie die Benachrichtigung der konsularischen Vertretung ihres jeweiligen Heimatstaates verlangen könnten. Dies lehnten sie ab.
7
In der Hauptverhandlung haben sich die beiden Angeklagten nicht zum Tatvorwurf eingelassen. Das Landgericht hat die Angaben der Angeklagten im Ermittlungsverfahren durch Vernehmung der Verhörspersonen in die Hauptverhandlung eingeführt. Die Verteidigung hat der Verwertung dieser Aussagen unter Hinweis auf die unterbliebene Belehrung der Angeklagten über ihr Recht auf Benachrichtigung des jeweiligen Konsulats widersprochen. Das Landgericht hat die Angaben der Angeklagten bei ihren Vernehmungen durch die Zollbeamten gleichwohl im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt. Es hat sie ungeachtet der unterbliebenen Belehrung nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK für verwertbar erachtet, weil die Angeklagten bei ihrer Vorführung vor dem Ermittlungsrichter zu erkennen gegeben hatten, kein Interesse an der Unterstützung durch das Konsulat ihres jeweiligen Heimatstaats zu haben.
8
2. Die zulässig erhobene (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) Verfahrensrüge ist nicht begründet. Zwar liegt ein Verstoß gegen Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK vor (a), den die Angeklagten im Revisionsverfahren gelten machen können (b). Der Verfahrensverstoß führt jedoch nicht dazu, dass das Landgericht die Angaben der Angeklagten anlässlich ihrer Vernehmungen im Ermittlungsverfahren nicht verwerten durfte (c). Auch sonst beruht das Urteil nicht auf der unterlassenen Belehrung (d). Dieser ist auch nicht im Wege einer Kompensation Rechnung zu tragen (e).
9
a) Der Verstoß gegen Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK liegt darin, dass die beiden Angeklagten nicht unverzüglich nach ihrer Festnahme über ihr Konsultationsrecht belehrt worden sind.
10
aa) Sowohl der Angeklagte M. als mazedonischer als auch der Angeklagte S. als serbischer Staatsangehöriger unterfallen dem Schutzbereich des Konsularrechtsübereinkommens. Beide Staaten sind ebenso wie die Bundesrepublik Deutschland Vertragsstaaten dieses Übereinkommens. Dieses gilt in der deutschen Rechtsordnung im Range eines Bundesgesetzes und ist von den Strafverfolgungsbehörden unmittelbar anzuwenden (BVerfG [1. Kammer des Zweiten Senats] NJW 2007, 499, 501, 503).
11
bb) Um ausländischen konsularischen Vertretungen die Wahrnehmung ihrer Aufgaben in Bezug auf ihre Staatsangehörigen zu erleichtern, verpflichtet Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 1 WÜK die zuständigen Behörden der Bundesrepublik dazu, die konsularische Vertretung des Entsendestaates unverzüglich zu unterrichten, wenn im Konsularbezirk ein Angehöriger dieses Staates festgenommen , in Straf- oder Untersuchungshaft genommen oder ihm anderweitig die Freiheit entzogen ist und der Betroffene dies verlangt. Dieser Pflicht des Staates zur Unterrichtung der betreffenden konsularischen Vertretung steht nicht nur ein Recht des Entsendestaates gegenüber; Art. 36 WÜK schafft zugleich ein subjektives Recht des einzelnen Staatsangehörigen, über das er nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK von den zuständigen Behörden zu belehren (unterrichten ) ist. Diese Belehrungspflicht knüpft - standardisiert - an die fremde Staatsangehörigkeit des Betroffenen an. Sie gilt auch für den Fall, dass dieser seinen Lebensmittelpunkt in der Bundesrepublik Deutschland hat, und setzt keine ausländerspezifische oder situationsbedingte Hilflosigkeit voraus (BGH, Beschl. vom 25. September 2007 - 5 StR 116/01 und 5 StR 475/02, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt).
12
cc) Die Belehrung der Angeklagten durch den Ermittlungsrichter war verspätet und damit nicht ausreichend.
13
Die Belehrungspflicht nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK entsteht in dem Augenblick, in welchem dem ausländischen Betroffenen die Freiheit entzogen worden ist, sofern die zuständige Behörde Kenntnis von dessen Staatsangehörigkeit hat oder sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass es sich bei dem Betroffenen wahrscheinlich um einen Ausländer handelt (vgl. BVerfG NJW 2007, 499, 503 unter Berufung auf das "Avena"-Urteil des Internationalen Gerichtshofs [IGH] vom 31. März 2004, ILM 43 [2004], 581, 602 f.; Kreß GA 2007, 296, 301). Zur Belehrung ist daher nicht erst der Richter verpflichtet. Die Belehrungspflicht obliegt vielmehr allen zuständigen Strafverfolgungsorganen des Empfangsstaates einschließlich der festnehmenden Polizeibeamten (BVerfG NJW 2007, 499, 503 unter Berufung auf IGH, Urt. vom 27. Juni 2001, ICJReports 2001, 464 - "LaGrand" [nichtamtliche Übersetzung in EuGRZ 2001, 287] sowie vom 31. März 2004, ILM 43 [2004], 581 - "Avena").
14
Nach diesen Grundsätzen waren bereits die festnehmenden Zollbeamten verpflichtet, die Angeklagten über ihr Konsultationsrecht zu belehren. Dass es sich aus Sicht der Beamten bei den Angeklagten zumindest wahrscheinlich um Ausländer handelte, ergibt sich nicht nur aus den norwegischen Kennzeichen des vom Angeklagten S. geführten Fahrzeugs, sondern wird auch daraus deutlich, dass die Beamten den Angeklagten die Belehrung gemäß § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO auf Englisch erteilten.
15
dd) Der Umstand, dass die Angeklagten, nachdem sie vom Ermittlungsrichter auf ihr Recht auf Benachrichtigung des zuständigen Konsulats hingewiesen worden waren, eine konsularische Hilfe abgelehnt haben, macht den Verstoß nicht ungeschehen. Dieser ist unabhängig davon gegeben, ob der Betroffene die Hilfe seines Staates in Anspruch nehmen will (vgl. IGH, Urt. vom 27. Juni 2001 [nichtamtliche Übersetzung in EuGRZ 2001, 287, 290]).
16
b) Die Angeklagten können die Verletzung der Belehrungspflicht mit der Revision geltend machen. Sie haben sie vor dem Landgericht im Zusammenhang mit der Vernehmung der Verhörspersonen vor dem in § 257 StPO bestimmten Zeitpunkt geltend gemacht und hierauf gestützt der Verwertung ihrer durch diese Zeugen in die Hauptverhandlung eingeführten Angaben aus den Vernehmungen im Ermittlungsverfahren widersprochen. Damit liegt ein "spezifizierter Widerspruch" vor, von dem nach der - seine Entscheidung nicht tragenden - Auffassung des 1. Strafsenats jedenfalls in Fällen einer nachgeholten Belehrung die zulässige Geltendmachung eines Verstoßes gegen Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK im Revisionsverfahren abhängig sein soll (BGH NJW 2007, 3587, 3588 f., zum Abdruck in BGHSt bestimmt; vgl. BGH, Beschl. vom 25. September 2007 - 5 StR 116/01 und 5 StR 475/02: Notwendigkeit eines spezifizierten Widerspruchs offengelassen für den Fall völligen Unterlassens der Belehrung; s. auch BVerfG NJW 2007, 499, 504). Ob dieser Ansicht zu folgen ist, kann hier daher offen bleiben. Doch weist der Senat darauf hin, dass das Erfordernis eines derartigen Widerspruchs ohnehin nur dann zu erwägen wäre, wenn der Verstoß gegen Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK überhaupt zu einem Verwertungsverbot für Angaben des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren zum Tatvorwurf führen könnte; dies ist indessen gerade nicht der Fall (s. unten c). Für die eventuelle Rüge, das Urteil beruhe unabhängig von einem derartigen Verwertungsverbot auf dem Unterlassen der Belehrung, weil der An- geklagte hierdurch in sonstiger Weise in seinen Verteidigungsrechten eingeschränkt gewesen sei (s. unten d), ist ein derartiger Widerspruch nach Ansicht des Senats jedenfalls nicht Zulässigkeitsvoraussetzung.
17
c) Die Verletzung von Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK hat kein Beweisverwertungsverbot zur Folge. Die Annahme eines solchen Verwertungsverbots ist völker- und verfassungsrechtlich nicht geboten und auch sonst der Sache nach nicht gerechtfertigt (ebenso BGH, Beschl. vom 25. September 2007 - 5 StR 116/01 und 5 StR 475/02).
18
aa) Die Annahme eines Beweisverwertungsverbots in Fällen einer unterlassenen Belehrung über das Konsultationsrecht ergibt sich nicht aus der Rechtsprechung des IGH. In den von ihm zu Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK entschiedenen Fällen (siehe dazu Wagner/Raasch/Pröpstl, Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen vom 24. April 1963, S. 258 f.), in denen eine Belehrung nach dieser Vorschrift jeweils gänzlich unterblieben war, beanstandete der IGH, dass den Beschuldigten dort aufgrund des nationalen Verfahrensrechts des Empfangsstaats schon gar keine Möglichkeit zur Verfügung gestanden habe, die unterbliebene Belehrung zu rügen. Dem Beschuldigten müsse aber ein Verfahren offen stehen, in welchem er die Verletzung der Belehrungspflicht geltend machen und deren Auswirkung auf das Strafverfahren überprüfen lassen könne. Nach der Rechtsprechung des IGH ist die notwendige Konsequenz eines Verstoßes gegen die Belehrungspflicht nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK somit, dass das Strafurteil im Schuld- und Strafausspruch unter Berücksichtigung des Verstoßes gegen die Rechte aus dem Konsularrechtsübereinkommen überprüfbar sein müsse. Der IGH hat dazu in der LaGrand-Entscheidung ausgeführt, dass nach Verletzung der Belehrungspflicht "eine Entschuldigung in den Fällen nicht ausreichen würde, in denen die Betroffenen langjährigen Haftstrafen unterworfen oder verurteilt und mit schweren Strafen bestraft werden. In Fällen einer derartigen Verurteilung und Bestrafung würde es" dem Empfangsstaat (im Fall der LaGrand-Entscheidung: den Vereinigten Staaten) "obliegen, die Überprüfung und erneute Behandlung der Verurteilung und Bestrafung unter Berücksichtigung der Verletzung der Konventionsrechte zu ermöglichen. Diese Verpflichtung kann in unterschiedlicher Art und Weise erfüllt werden. Die Wahl der Mittel bleibt" dem Empfangsstaat "überlassen" (IGH, Urt. vom 27. Juni 2001 [nichtamtliche Übersetzung in EuGRZ 2001, 287, 294]; im amtlichen Text: "In the case of such a conviction and sentence , it would be incumbent upon the United States to allow the review and reconsideration of the conviction and sentence by taking account of the violation of the rights set forth in the Convention. This obligation can be carried out in various ways. The choice of means must be left to the United States" [LaGrand , Judgement, I.C.J. Reports 2001, 466, 514]). Konkrete Vorgaben, zu welchem Ergebnis diese Überprüfung des Urteils führen müsse, macht der IGH nicht und fordert dementsprechend insbesondere auch kein Beweisverwertungsverbot für Äußerungen des Beschuldigten im Falle unterlassener Belehrung nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK (so auch Burchard JZ 2007, 891, 893; Kreß GA 2007, 296, 304; Paulus StV 2003, 57, 58 f.).
19
bb) Auch verfassungsrechtlich ist die Annahme eines Beweisverwertungsverbots nicht geboten. So hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, die Rechtsprechung des IGH sei nicht dahin zu verstehen, dass im Falle eines Belehrungsfehlers nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK zwingend von der Unverwertbarkeit der zustande gekommenen Beweisergebnisse auszugehen sei; im Übrigen obliege es dem Bundesgerichtshof festzustellen, ob ein Verwer- tungsverbot anzunehmen sei oder welche Konsequenzen aus dem Verfahrensfehler sonst zu ziehen seien (BVerfG NJW 2007, 499, 503).
20
cc) Die Annahme eines Beweisverwertungsverbots ist auch in der Sache nicht gerechtfertigt. Insbesondere lässt sich die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Verstößen gegen die in § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO geregelten Belehrungspflichten nicht auf einen Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK übertragen.
21
Nicht jeder Verstoß gegen eine Verfahrensvorschrift, die eine Belehrungspflicht vorsieht, zieht ein Beweisverwertungsverbot nach sich. Die Entscheidung für oder gegen ein Verwertungsverbot ist vielmehr aufgrund einer Abwägung der im Rechtsstaatsprinzip angelegten gegenläufigen Gebote und Ziele zu treffen (vgl. BVerfG NJW 2007, 499, 503). Der Senat geht in Übereinstimmung mit dem 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschl. vom 25. September 2007 - 5 StR 116/01 und 5 StR 475/02; vgl. auch Kreß GA 2007, 296, 304 f.) davon aus, dass sich bei einem Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK die Rechtslage in Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich unter Berücksichtigung von Art und Gewicht des Verstoßes und der wesentlichen Belange der Urteilsfindung im Strafverfahren, anders darstellt als bei der in § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO vorgeschriebenen Belehrung über das Schweigerecht und das Verteidigerkonsultationsrecht. Die beiden Belehrungspflichten sind einander nicht ausreichend ähnlich ; sie unterscheiden sich sowohl im Hinblick auf ihre Voraussetzungen als auch auf ihre Bedeutung für ein mögliches Beweisergebnis zu Lasten des Beschuldigten. So setzt die Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO eine Vernehmungssituation voraus, kommt jedem Beschuldigten unabhängig von dessen Staatsangehörigkeit zugute und betrifft inhaltlich mit den Rechten des Be- schuldigten auf Selbstbelastungsfreiheit und auf effektive Verteidigung dessen zentrale Schutzrechte. Demgegenüber knüpft die Belehrung nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK an eine freiheitsentziehende Maßnahme und damit einen Umstand an, durch den die Aussagefreiheit des Beschuldigten jedenfalls dann nicht berührt wird, wenn die Festnahme erst erfolgt, nachdem der Beschuldigte vernommen worden ist. Eine Belehrungspflicht vor Beginn einer Vernehmung, an deren Ende möglicherweise eine Festnahme des Beschuldigten erfolgen wird, sieht der Wortlaut von Art. 36 WÜK nicht vor. Zudem kommt die Belehrungspflicht über das Konsultationsrecht nur Beschuldigten mit einer fremden Staatsangehörigkeit zugute. Schließlich handelt es sich bei dieser Belehrung inhaltlich lediglich um einen zusätzlichen Schutz; den betroffenen ausländischen Beschuldigten kommen jedoch alle sonstigen rechtsstaatlichen Verteidigungsstandards unvermindert zugute.
22
Das angefochtene Urteil erweist sich somit nicht deswegen als rechtsfehlerhaft , weil das Landgericht bei seiner Beweiswürdigung die Angaben der Angeklagten bei ihren Vernehmungen im Ermittlungsverfahren berücksichtigt hat.
23
d) Im Schrifttum wird darüber hinaus die Möglichkeit erörtert, dass sich der Verstoß gegen Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK selbst bei Verneinung eines Verwertungsverbots in anderer Weise zu Lasten des Beschuldigten und seiner Verteidigungsmöglichkeiten auswirken und als Folge hiervon das gegen ihn ergehende Urteil im Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch nachteilig beeinflussen könne (Kreß GA 2007, 296, 306; möglicherweise aA - Beruhensprüfung nur bei Annahme eines Beweisverwertungsverbots - BVerfG NJW 2007, 499, 504 [Rdn. 76]; siehe auch Burchard JZ 2007, 891, 893; Paulus StV 2003, 57, 60). Dem ist hier indessen nicht weiter nachzugehen. Dass sie durch die zunächst unterlassene Belehrung in ihren Verteidigungsmöglichkeiten in irgendei- ner Hinsicht entscheidungserheblich eingeschränkt gewesen wären, behaupten die Beschwerdeführer in ihrem Rügevorbringen schon selbst nicht. Im Übrigen wäre hier ohne weiteres auszuschließen, dass sich das Unterbleiben der Belehrung unmittelbar nach der vorläufigen Festnahme im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO auf das Urteil ausgewirkt haben könnte; denn die Angeklagten haben nach der Belehrung durch den Ermittlungsrichter über ihr Recht, die konsularische Vertretung ihrer Heimatstaaten benachrichtigen zu lassen, auf eine solche Benachrichtigung ausdrücklich verzichtet. Hieraus ist zu schließen, dass ein rechtsfehlerfreies Verfahren, bei dem die Angeklagten bereits bei ihrer Festnahme durch die Zollbeamten über ihr Recht aus Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK belehrt worden wären, zu keinem anderen Entschluss der Angeklagten geführt hätte und daher auch in diesem Falle eine Unterrichtung der zuständigen Konsulate unterblieben wäre.
24
e) Die Revisionen der Angeklagten sind daher zu verwerfen.
25
Allerdings hat es der 5. Strafsenat in seinem Beschluss vom 25. September 2007 (5 StR 116/01 und 5 StR 475/02) für angezeigt erachtet, in Fällen, in denen die Belehrung nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK völlig unterblieben ist, diesem Verstoß im Wege einer Kompensation dadurch Rechnung zu tragen, dass ein Teil der gegen den Angeklagten verhängten Strafe für vollstreckt erklärt wird. Dieser Ansicht vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Die Folgen, die Verstöße gegen das Verfahrensrecht (gleich, ob dieses nationalen oder völkervertragsrechtlichen Ursprungs ist) in der Revisionsinstanz nach sich ziehen, sind in den §§ 337, 338, 353, 354 StPO abschließend geregelt: Beruht ein Urteil ganz oder teilweise auf einem Verfahrensfehler, so ist es in dem entsprechenden Umfang aufzuheben; ist ein Beruhen dagegen auszuschließen , so ist die Revision zu verwerfen. Andere Möglichkeiten bestehen nicht. Insbesondere ist es dem Staat verwehrt, dem Angeklagten Verfahrensverstöße , die sich auf das Urteil ausgewirkt haben, durch einen Vollstreckungsrabatt gewissermaßen "abzuhandeln"; denn dies würde auf die Dauer zu einer nicht hinnehmbaren Relativierung des Verfahrensrechts führen.
26
Aus der Rechtsprechung zur Kompensation konventions- und damit gleichzeitig rechtsstaatswidriger Verstöße insbesondere gegen das Gebot zügiger Durchführung von Strafverfahren (Art. 5 Abs. 3 Satz 1, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK), kann nichts Gegenteiliges abgeleitet werden. Diese Rechtsprechung beruht auf den Besonderheiten der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, insbesondere dem Verständnis, das Art. 34 MRK in der Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gefunden hat; den dort formulierten Grundsatz, dass der Angeklagte für die besonderen immateriellen Belastungen, die er durch die Verfahrensverzögerung erlitten hat, durch eine ausdrückliche und bezifferte Kompensation zu entschädigen ist, hat das Bundesverfassungsgericht als auch aus der Rechtsstaatsgarantie verfassungsrechtlich abzuleitendes Erfordernis bestätigt (s. näher den Vorlagebeschluss des Senats NJW 2007, 3294 ff.). Hieran haben sich die Strafgerichte auszurichten. Dies ändert indes nichts daran, dass es sich bei dieser Kompensation um ein mit dem sonstigen Straf- und Strafverfahrensrecht nur schwerlich in Einklang zu bringendes Rechtsinstitut handelt. Es ist daher nicht auf Bereiche auszudehnen, in denen seine Anwendung durch entsprechende völkervertragsoder verfassungsrechtliche Vorgaben nicht geboten ist. So liegt es bei Verstößen gegen Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK. Weder das Konsularübereinkommen noch das Rechtsstaatsgebot schreiben vor, dass der Angeklagte für ein (zeitweiliges) Unterbleiben der Belehrung über das Konsultationsrecht zu entschädigen ist. Vielmehr muss allein gewährleistet sein, dass er den Verstoß im Strafverfahren geltend machen und dort zur Überprüfung stellen kann, ob dieser sich in maßgeblicher Weise auf seine Verteidigungsrechte und damit gegebenenfalls auf seine Verurteilung ausgewirkt hat (s. oben).
27
Die Auffassung des Senats weicht nicht in entscheidungserheblicher Weise von der Rechtsansicht des 5. Strafsenats ab; denn dieser hat ausdrücklich offen gelassen, ob im Falle einer alsbald nachgeholten Belehrung, wie sie hier durch den Ermittlungsrichter vorgenommen wurde, eine Kompensation nicht gänzlich entbehrlich ist (Beschl. vom 25. September 2007 - 5 StR 116/01 und 5 StR 475/02, Rdn. 30). Becker Miebach Pfister Hubert Schäfer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 250/09
vom
27. August 2009
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
_________________________
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1; StPO § 353 Abs. 1
Die Aufhebung eines tatrichterlichen Urteils durch das Revisionsgericht allein im
Strafausspruch erfasst grundsätzlich nicht die Frage der Kompensation einer bis zur
revisionsgerichtlichen Entscheidung eingetretenen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung.
BGH, Urt. vom 27. August 2009 - 3 StR 250/09 - LG Hannover
wegen besonders schwerer Vergewaltigung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27. August
2009, an der teilgenommen haben:
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als Vorsitzende,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Hubert,
Dr. Schäfer,
Mayer
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 16. Februar 2009 im Ausspruch über die Entschädigung für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung aufgehoben; der Ausspruch entfällt. Die Kosten des Rechtsmittels hat der Angeklagte zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten, der bereits rechtskräftig wegen besonders schwerer Vergewaltigung schuldig gesprochen worden war, zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und ausgesprochen, dass wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung von der verhängten Freiheitsstrafe neun Monate als verbüßt gelten. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten , auf die Sachrüge gestützten und vom Generalbundesanwalt vertretenen Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft, das Landgericht habe zu Unrecht einen Teil der verhängten Strafe als vollstreckt angesehen. Das trotz des umfassenden Aufhebungsantrags ausweislich der Revisionsbegründung wirksam auf den Kompensationsausspruch beschränkte (vgl. BGH, Urt. vom 18. Juni 2009 - 3 StR 89/09) Rechtsmittel hat Erfolg.
2
Die angefochtene Kompensationsentscheidung kann nicht bestehen bleiben; denn ihr steht die auch insoweit eingetretene Teilrechtskraft des in die- sem Verfahren zuvor ergangenen landgerichtlichen Urteils vom 15. Februar 2008 entgegen.
3
1. Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
4
Das Landgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom 15. Februar 2008 wegen besonders schwerer Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision hatte der Angeklagte unter anderem mit einer Verfahrensrüge einen Verstoß gegen Art. 6 MRK geltend gemacht, weil das Verfahren durch unzureichende Ermittlungen des Aufenthalts der Geschädigten durch die Polizeibehörden rechtsstaatswidrig verzögert worden sei; dies habe das Landgericht im Urteil feststellen und festlegen müssen, welcher Teil der Strafe zur Kompensation als vollstreckt gelte. Der Generalbundesanwalt hatte beantragt, die Revision als offensichtlich unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen, und ausgeführt , die dargestellte Verfahrensrüge sei weder in der erforderlichen Form erhoben noch in der Sache begründet. Mit einer weiteren verfahrensrechtlichen Beanstandung hatte der Angeklagte gerügt, dass ein auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Schuldfähigkeit gerichteter Beweisantrag rechtsfehlerhaft abgelehnt worden sei. Auf diese Rüge hatte der Senat mit Beschluss vom 7. August 2008 (3 StR 274/08) das Urteil mit den zugehörigen Feststellungen im Strafausspruch und soweit eine Entscheidung über eine Unterbringung des Angeklagten nach § 64 StGB unterblieben war aufgehoben sowie die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen; die weitergehende Revision hatte er verworfen.
5
Nach der Zurückverweisung hat das Landgericht das nunmehr von der Staatsanwaltschaft im Kompensationsausspruch angegriffene Urteil erlassen.
Die nach seiner Ansicht gegebene rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung hat es damit begründet, dass die Polizeibehörden während des Ermittlungsverfahrens den Aufenthaltsort der Geschädigten nicht intensiv genug ermittelt hätten.
6
2. Das Landgericht durfte die angefochtene Kompensationsentscheidung nicht treffen. Hierzu gilt:
7
Führt die Revision nur teilweise zur Urteilsaufhebung, erwächst der bestehen bleibende Teil in Rechtskraft; dieser ist im neuen Verfahren nicht mehr nachzuprüfen (vgl. Kuckein in KK 6. Aufl. § 353 Rdn. 32). Der neue Tatrichter, an den das Verfahren nach der Zurückverweisung gelangt, hat lediglich den noch offenen Verfahrensgegenstand neu zu verhandeln und zu entscheiden (vgl. Wohlers in SK-StPO § 354 Rdn. 87). Hieraus folgt etwa, dass der Schuldspruch rechtskräftig wird, wenn das angefochtene Urteil allein im Strafausspruch aufgehoben wird (sog. horizontale Teilrechtskraft). Auch innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs kann horizontale Teilrechtskraft bezüglich einzelner Tatfolgen eintreten, wenn lediglich der Strafausspruch aufgehoben wird und weitere Rechtsfolgen, auf die das Tatgericht erkannt hat, von Art und Höhe der Strafe unabhängig sind. Dies richtet sich nach den für die Rechtsmittelbschränkung geltenden Grundsätzen (vgl. Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 353 Rdn. 8) und kann etwa der Fall sein bei Einziehungs- (vgl. BGH, Beschl. vom 16. Dezember 1998 - 2 StR 536/98 Rdn. 5) sowie Unterbringungsanordnungen (vgl. BGH bei Holtz MDR 1980, 454 f.; NStZ 1982, 483) oder sonstigen Maßregeln wie der Entziehung der Fahrerlaubnis (vgl. BGH, Beschl. vom 8. Juli 1983 - 3 StR 215/83 Rdn. 4 ff.). Maßgebend für den Umfang der Aufhebung ist die Formulierung im Urteilstenor bzw. der Beschlussformel der revisionsgerichtlichen Entscheidung. Die Aufhebung des Strafausspruchs betrifft regelmäßig nur die Strafe, die Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs die gesamten Rechts- folgen der Tat (vgl. Kuckein aaO Rdn. 21 m. w. N.; weitergehend für § 76 a StGB aF noch BGHSt 14, 381, 382).
8
Nach diesen Maßstäben erfasst die Aufhebung allein des Strafausspruchs durch das Revisionsgericht grundsätzlich die Frage eines Ausgleichs für eine bis dahin eingetretene rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung nicht; vielmehr tritt insoweit horizontale (Teil-)Rechtskraft ein. Zwar wurde nach der früheren Rechtsprechung die übermäßige und von dem Angeklagten nicht zu vertretende Verzögerung des Verfahrens bei der Strafzumessung berücksichtigt. Demgemäß umfasste damals die Aufhebung eines tatgerichtlichen Urteils im Strafausspruch auch die Frage der Kompensation eines rechtsstaatswidrigen Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot. Jedoch hat der Große Senat für Strafsachen dieses sog. Strafabschlagsmodell mit seiner Entscheidung vom 17. Januar 2008 (BGHSt 52, 124) aufgegeben und es durch die sog. Vollstreckungslösung ersetzt. Danach ist der Ausgleich für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung nunmehr getrennt und unabhängig von der Strafzumessung vorzunehmen. Er lässt die Frage des Unrechts, der Schuld und der Strafhöhe unberührt und stellt eine rein am Entschädigungsgedanken orientierte eigene Rechtsfolge neben der Strafzumessung dar. Das Gewicht der Tat und das Maß der Schuld spielen weder für die Frage, ob das Verfahren rechtsstaatswidrig verzögert ist, noch für Art und Umfang der zu gewährenden Kompensation eine Rolle (vgl. Meyer-Goßner aaO Art. 6 MRK Rdn. 9 a). Deshalb sind der Strafausspruch und die Kompensationsentscheidung grundsätzlich je für sich auf Rechtsfehler überprüfbar (vgl. BGH, Urt. vom 18. Juni 2009 - 3 StR 89/09 Rdn. 27). Hieraus folgt im Einzelnen:
9
Enthält ein landgerichtliches Urteil - wie hier die ursprüngliche Entscheidung der Strafkammer vom 15. Februar 2008 - keine Kompensationsentscheidung für eine bis zur Urteilsverkündung eingetretene Verzögerung, kann der Angeklagte, wenn er dies für rechtsfehlerhaft hält, sich hiergegen mit seiner Revision wenden. Zu diesem Zweck muss er grundsätzlich - wenn sich die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung nicht bereits aus den Urteilsgründen ergibt und deshalb mit der Sachrüge zur Prüfung durch das Revisionsgericht gestellt werden kann (vgl. BGHSt 49, 342) - eine Verfahrensrüge erheben (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 50, 56). Dringt er wie hier mit seiner Beanstandung nicht durch, und hebt das Revisionsgericht das erstinstanzliche Urteil insoweit auch nicht wegen einer erheblichen Verletzung des Beschleunigungsgebotes nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist auf eine zulässige Revision von Amts wegen auf (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 320), steht rechtskräftig fest, dass der Angeklagte nicht wegen eines Verstoßes gegen Art. 6 MRK vor Ergehen der Revisionsentscheidung zu entschädigen ist. Gleiches gilt, wenn das Revisionsgericht das erstinstanzliche Urteil neben dem Strafausspruch aufhebt, soweit eine Entscheidung über eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB unterblieben ist; denn die Frage, ob eine solche Maßregel anzuordnen ist, berührt die Kompensation wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung aus den genannten Gründen ebenfalls nicht. Es liegt zudem nahe, dass die vorgenannten Grundsätze auch dann Anwendung finden, wenn der Angeklagte keine Verfahrensrüge erhoben hat und für das Revisionsgericht auch sonst kein Anlass besteht, die Frage der Verfahrensverzögerung ausdrücklich in den Blick zu nehmen; denn diese Umstände sind für den Eintritt und die Wirkungen der Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung grundsätzlich ohne Belang.
10
Dem neuen Tatrichter ist es deshalb verwehrt, dem Angeklagten nach der Teilaufhebung eines Urteils ausschließlich im Strafausspruch und soweit eine Entscheidung über eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB unterblieben ist allein wegen eines zeitlich vor der Entscheidung des Revisionsgerichts liegenden Verstoßes gegen Art. 6 MRK eine Entschädigung zuzusprechen; er hat vielmehr lediglich neu über die Strafzumessung und den Maßregelausspruch zu befinden. Daneben hat er, sofern hierzu Anlass besteht, allerdings zu prüfen und zu entscheiden, ob nach der Entscheidung des Revisionsgerichts eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung eingetreten und zu kompensieren ist; denn der Umstand, dass eine Entschädigungspflicht wegen eines bis zur revisionsgerichtlichen Entscheidung gegebenen Verstoßes gegen Art. 6 MRK nicht besteht, schließt es nicht aus, dass eine Kompensation aufgrund einer erst danach aufgetretenen Verzögerung ausgesprochen werden kann. Diese Frage hat das Tatgericht nach den insoweit allgemein geltenden Grundsätzen zu beurteilen (vgl. BGHSt 52, 124, 146 ff.); demgemäß hat es bei seiner Bewertung das gesamte Verfahren und damit auch diejenigen Teile in den Blick zu nehmen, die vor der revisionsgerichtlichen Entscheidung liegen. Diese Gesamtbetrachtung ist ihm nicht deshalb verschlossen, weil bereits rechtskräftig entschieden ist, dass dem Angeklagten allein aufgrund von Umständen, die zeitlich vor der revisionsgerichtlichen Entscheidung liegen, kein Ausgleich für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zu gewähren ist.
11
Aus alldem ergibt sich, dass die nach der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen zur sog. Vollstreckungslösung ergangene teilweise Aufhebung des landgerichtlichen Urteils durch den Beschluss des Senats vom 7. August 2008 die Frage der Entschädigung des Angeklagten für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung in der Zeit bis zur revisionsgerichtlichen Entscheidung nicht betroffen hat; insoweit ist vielmehr (Teil-)Rechtskraft eingetreten. Das Landgericht durfte deshalb nach der Zurückverweisung der Sache nicht einen - vermeintlichen - Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot im Ermittlungsverfahren kompensieren. Der entsprechende Ausspruch muss somit entfallen; dies hat der Senat in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO selbst entschieden.
12
3. Der Senat hat deshalb nicht mehr in der Sache zu entscheiden, ob die Feststellungen des Landgerichts die Annahme einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung tragen. Die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils geben jedoch Anlass zu bemerken, dass nicht jedes Versäumnis der Ermittlungsbehörden einen zu kompensierenden Verstoß gegen Art. 6 MRK zu begründen vermag. Dies gilt insbesondere dann, wenn diese wie hier nicht völlig untätig waren und der Vorwurf allein dahin geht, sie hätten möglicherweise noch intensiver ermitteln können. Der Senat neigt dazu, in solchen Fällen eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung - in Anlehnung an die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Kompensation von Verfahrensverzögerungen , die allein durch eine auf die Revision des Angeklagten erfolgte Aufhebung des tatgerichtlichen Urteils und Zurückverweisung der Sache entstehen (vgl. BGH NStZ 2009, 104) - allenfalls bei ganz erheblichen, kaum verständlichen Ermittlungsfehlern in Betracht zu ziehen. In diesem Sinne gravierende Versäumnisse hat das Landgericht nicht festgestellt. Sost-Scheible Pfister Hubert Schäfer Mayer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 318/07
vom
20. Dezember 2007
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________________
WÜK Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3
Zu den Folgen einer verspätet erteilten Belehrung eines ausländischen Beschuldigten
über sein Recht auf Unterrichtung der konsularischen Vertretung seines Heimatstaates
(in Abgrenzung zu BGHSt [1 StR 273/07 und 5 StR 116/01 und 5 StR
475/02]).
BGH, Urt. vom 20. Dezember 2007 - 3 StR 318/07 - LG Lübeck
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. Dezember
2007, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Becker
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Miebach,
Pfister,
Hubert,
Dr. Schäfer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 2. April 2007 werden verworfen. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat es die Einziehung sichergestellten Kokains und zweier Mobiltelefone sowie den Verfall eines Geldbetrages angeordnet. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten bleiben erfolglos.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Die beiden Angeklagten reisten am 8. Oktober 2006 im Pkw des Angeklagten S. von Oslo nach Hamburg, trafen dort den aus Brüssel kommenden Betäubungsmittelkurier C. , der 1.485,4 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von 341,5 Gramm KHC mit sich führte, und fuhren sodann mit C.
nach Puttgarden, um mit ihm über den dortigen Fährhafen wieder nach Norwegen auszureisen. Vor der Ausreise wurde das Betäubungsmittel im Kofferraum des Fahrzeugs entdeckt. Die Angeklagten und C. wurden vorläufig festgenommen.

II.


4
Die Überprüfung des landgerichtlichen Urteils hat weder in materiellnoch in verfahrensrechtlicher Hinsicht einen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Näherer Erörterung bedarf nur die von beiden Angeklagten erhobene Verfahrensrüge, das Landgericht habe bei der Urteilsfindung rechtsfehlerhaft ihre Aussagen bei ihrer zollbehördlichen Beschuldigtenvernehmung und ihrer Vernehmung durch den Ermittlungsrichter verwertet , obwohl sie als Ausländer zuvor nicht über ihr Recht auf konsularischen Beistand nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen (WÜK) vom 24. April 1963 (BGBl II 1969, 1585) belehrt worden seien.
5
1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
6
Der Angeklagte M. hat die mazedonische, der Angeklagte S. die serbische Staatsangehörigkeit. Weder nach ihrer Festnahme am 8. Oktober 2006 noch anlässlich ihrer am Folgetag unter Zuziehung eines Dolmetschers von Zollbeamten durchgeführten Vernehmung wurden sie über ihr Recht auf Benachrichtigung der konsularischen Vertretung ihres jeweiligen Heimatstaates gemäß Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK belehrt; vor der Vernehmung am 9. Oktober 2006 wurden sie lediglich über ihr Recht zu schweigen und auf Befragung eines Verteidigers hingewiesen (§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO). Beide An- geklagte machten sodann Angaben zur Sache. Im Anschluss daran äußerten sie sich auch gegenüber dem Ermittlungsrichter, der Haftbefehl gegen sie erließ. Gegen Ende des Vorführungstermins wurden sie belehrt, dass sie die Benachrichtigung der konsularischen Vertretung ihres jeweiligen Heimatstaates verlangen könnten. Dies lehnten sie ab.
7
In der Hauptverhandlung haben sich die beiden Angeklagten nicht zum Tatvorwurf eingelassen. Das Landgericht hat die Angaben der Angeklagten im Ermittlungsverfahren durch Vernehmung der Verhörspersonen in die Hauptverhandlung eingeführt. Die Verteidigung hat der Verwertung dieser Aussagen unter Hinweis auf die unterbliebene Belehrung der Angeklagten über ihr Recht auf Benachrichtigung des jeweiligen Konsulats widersprochen. Das Landgericht hat die Angaben der Angeklagten bei ihren Vernehmungen durch die Zollbeamten gleichwohl im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt. Es hat sie ungeachtet der unterbliebenen Belehrung nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK für verwertbar erachtet, weil die Angeklagten bei ihrer Vorführung vor dem Ermittlungsrichter zu erkennen gegeben hatten, kein Interesse an der Unterstützung durch das Konsulat ihres jeweiligen Heimatstaats zu haben.
8
2. Die zulässig erhobene (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) Verfahrensrüge ist nicht begründet. Zwar liegt ein Verstoß gegen Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK vor (a), den die Angeklagten im Revisionsverfahren gelten machen können (b). Der Verfahrensverstoß führt jedoch nicht dazu, dass das Landgericht die Angaben der Angeklagten anlässlich ihrer Vernehmungen im Ermittlungsverfahren nicht verwerten durfte (c). Auch sonst beruht das Urteil nicht auf der unterlassenen Belehrung (d). Dieser ist auch nicht im Wege einer Kompensation Rechnung zu tragen (e).
9
a) Der Verstoß gegen Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK liegt darin, dass die beiden Angeklagten nicht unverzüglich nach ihrer Festnahme über ihr Konsultationsrecht belehrt worden sind.
10
aa) Sowohl der Angeklagte M. als mazedonischer als auch der Angeklagte S. als serbischer Staatsangehöriger unterfallen dem Schutzbereich des Konsularrechtsübereinkommens. Beide Staaten sind ebenso wie die Bundesrepublik Deutschland Vertragsstaaten dieses Übereinkommens. Dieses gilt in der deutschen Rechtsordnung im Range eines Bundesgesetzes und ist von den Strafverfolgungsbehörden unmittelbar anzuwenden (BVerfG [1. Kammer des Zweiten Senats] NJW 2007, 499, 501, 503).
11
bb) Um ausländischen konsularischen Vertretungen die Wahrnehmung ihrer Aufgaben in Bezug auf ihre Staatsangehörigen zu erleichtern, verpflichtet Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 1 WÜK die zuständigen Behörden der Bundesrepublik dazu, die konsularische Vertretung des Entsendestaates unverzüglich zu unterrichten, wenn im Konsularbezirk ein Angehöriger dieses Staates festgenommen , in Straf- oder Untersuchungshaft genommen oder ihm anderweitig die Freiheit entzogen ist und der Betroffene dies verlangt. Dieser Pflicht des Staates zur Unterrichtung der betreffenden konsularischen Vertretung steht nicht nur ein Recht des Entsendestaates gegenüber; Art. 36 WÜK schafft zugleich ein subjektives Recht des einzelnen Staatsangehörigen, über das er nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK von den zuständigen Behörden zu belehren (unterrichten ) ist. Diese Belehrungspflicht knüpft - standardisiert - an die fremde Staatsangehörigkeit des Betroffenen an. Sie gilt auch für den Fall, dass dieser seinen Lebensmittelpunkt in der Bundesrepublik Deutschland hat, und setzt keine ausländerspezifische oder situationsbedingte Hilflosigkeit voraus (BGH, Beschl. vom 25. September 2007 - 5 StR 116/01 und 5 StR 475/02, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt).
12
cc) Die Belehrung der Angeklagten durch den Ermittlungsrichter war verspätet und damit nicht ausreichend.
13
Die Belehrungspflicht nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK entsteht in dem Augenblick, in welchem dem ausländischen Betroffenen die Freiheit entzogen worden ist, sofern die zuständige Behörde Kenntnis von dessen Staatsangehörigkeit hat oder sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass es sich bei dem Betroffenen wahrscheinlich um einen Ausländer handelt (vgl. BVerfG NJW 2007, 499, 503 unter Berufung auf das "Avena"-Urteil des Internationalen Gerichtshofs [IGH] vom 31. März 2004, ILM 43 [2004], 581, 602 f.; Kreß GA 2007, 296, 301). Zur Belehrung ist daher nicht erst der Richter verpflichtet. Die Belehrungspflicht obliegt vielmehr allen zuständigen Strafverfolgungsorganen des Empfangsstaates einschließlich der festnehmenden Polizeibeamten (BVerfG NJW 2007, 499, 503 unter Berufung auf IGH, Urt. vom 27. Juni 2001, ICJReports 2001, 464 - "LaGrand" [nichtamtliche Übersetzung in EuGRZ 2001, 287] sowie vom 31. März 2004, ILM 43 [2004], 581 - "Avena").
14
Nach diesen Grundsätzen waren bereits die festnehmenden Zollbeamten verpflichtet, die Angeklagten über ihr Konsultationsrecht zu belehren. Dass es sich aus Sicht der Beamten bei den Angeklagten zumindest wahrscheinlich um Ausländer handelte, ergibt sich nicht nur aus den norwegischen Kennzeichen des vom Angeklagten S. geführten Fahrzeugs, sondern wird auch daraus deutlich, dass die Beamten den Angeklagten die Belehrung gemäß § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO auf Englisch erteilten.
15
dd) Der Umstand, dass die Angeklagten, nachdem sie vom Ermittlungsrichter auf ihr Recht auf Benachrichtigung des zuständigen Konsulats hingewiesen worden waren, eine konsularische Hilfe abgelehnt haben, macht den Verstoß nicht ungeschehen. Dieser ist unabhängig davon gegeben, ob der Betroffene die Hilfe seines Staates in Anspruch nehmen will (vgl. IGH, Urt. vom 27. Juni 2001 [nichtamtliche Übersetzung in EuGRZ 2001, 287, 290]).
16
b) Die Angeklagten können die Verletzung der Belehrungspflicht mit der Revision geltend machen. Sie haben sie vor dem Landgericht im Zusammenhang mit der Vernehmung der Verhörspersonen vor dem in § 257 StPO bestimmten Zeitpunkt geltend gemacht und hierauf gestützt der Verwertung ihrer durch diese Zeugen in die Hauptverhandlung eingeführten Angaben aus den Vernehmungen im Ermittlungsverfahren widersprochen. Damit liegt ein "spezifizierter Widerspruch" vor, von dem nach der - seine Entscheidung nicht tragenden - Auffassung des 1. Strafsenats jedenfalls in Fällen einer nachgeholten Belehrung die zulässige Geltendmachung eines Verstoßes gegen Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK im Revisionsverfahren abhängig sein soll (BGH NJW 2007, 3587, 3588 f., zum Abdruck in BGHSt bestimmt; vgl. BGH, Beschl. vom 25. September 2007 - 5 StR 116/01 und 5 StR 475/02: Notwendigkeit eines spezifizierten Widerspruchs offengelassen für den Fall völligen Unterlassens der Belehrung; s. auch BVerfG NJW 2007, 499, 504). Ob dieser Ansicht zu folgen ist, kann hier daher offen bleiben. Doch weist der Senat darauf hin, dass das Erfordernis eines derartigen Widerspruchs ohnehin nur dann zu erwägen wäre, wenn der Verstoß gegen Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK überhaupt zu einem Verwertungsverbot für Angaben des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren zum Tatvorwurf führen könnte; dies ist indessen gerade nicht der Fall (s. unten c). Für die eventuelle Rüge, das Urteil beruhe unabhängig von einem derartigen Verwertungsverbot auf dem Unterlassen der Belehrung, weil der An- geklagte hierdurch in sonstiger Weise in seinen Verteidigungsrechten eingeschränkt gewesen sei (s. unten d), ist ein derartiger Widerspruch nach Ansicht des Senats jedenfalls nicht Zulässigkeitsvoraussetzung.
17
c) Die Verletzung von Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK hat kein Beweisverwertungsverbot zur Folge. Die Annahme eines solchen Verwertungsverbots ist völker- und verfassungsrechtlich nicht geboten und auch sonst der Sache nach nicht gerechtfertigt (ebenso BGH, Beschl. vom 25. September 2007 - 5 StR 116/01 und 5 StR 475/02).
18
aa) Die Annahme eines Beweisverwertungsverbots in Fällen einer unterlassenen Belehrung über das Konsultationsrecht ergibt sich nicht aus der Rechtsprechung des IGH. In den von ihm zu Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK entschiedenen Fällen (siehe dazu Wagner/Raasch/Pröpstl, Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen vom 24. April 1963, S. 258 f.), in denen eine Belehrung nach dieser Vorschrift jeweils gänzlich unterblieben war, beanstandete der IGH, dass den Beschuldigten dort aufgrund des nationalen Verfahrensrechts des Empfangsstaats schon gar keine Möglichkeit zur Verfügung gestanden habe, die unterbliebene Belehrung zu rügen. Dem Beschuldigten müsse aber ein Verfahren offen stehen, in welchem er die Verletzung der Belehrungspflicht geltend machen und deren Auswirkung auf das Strafverfahren überprüfen lassen könne. Nach der Rechtsprechung des IGH ist die notwendige Konsequenz eines Verstoßes gegen die Belehrungspflicht nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK somit, dass das Strafurteil im Schuld- und Strafausspruch unter Berücksichtigung des Verstoßes gegen die Rechte aus dem Konsularrechtsübereinkommen überprüfbar sein müsse. Der IGH hat dazu in der LaGrand-Entscheidung ausgeführt, dass nach Verletzung der Belehrungspflicht "eine Entschuldigung in den Fällen nicht ausreichen würde, in denen die Betroffenen langjährigen Haftstrafen unterworfen oder verurteilt und mit schweren Strafen bestraft werden. In Fällen einer derartigen Verurteilung und Bestrafung würde es" dem Empfangsstaat (im Fall der LaGrand-Entscheidung: den Vereinigten Staaten) "obliegen, die Überprüfung und erneute Behandlung der Verurteilung und Bestrafung unter Berücksichtigung der Verletzung der Konventionsrechte zu ermöglichen. Diese Verpflichtung kann in unterschiedlicher Art und Weise erfüllt werden. Die Wahl der Mittel bleibt" dem Empfangsstaat "überlassen" (IGH, Urt. vom 27. Juni 2001 [nichtamtliche Übersetzung in EuGRZ 2001, 287, 294]; im amtlichen Text: "In the case of such a conviction and sentence , it would be incumbent upon the United States to allow the review and reconsideration of the conviction and sentence by taking account of the violation of the rights set forth in the Convention. This obligation can be carried out in various ways. The choice of means must be left to the United States" [LaGrand , Judgement, I.C.J. Reports 2001, 466, 514]). Konkrete Vorgaben, zu welchem Ergebnis diese Überprüfung des Urteils führen müsse, macht der IGH nicht und fordert dementsprechend insbesondere auch kein Beweisverwertungsverbot für Äußerungen des Beschuldigten im Falle unterlassener Belehrung nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK (so auch Burchard JZ 2007, 891, 893; Kreß GA 2007, 296, 304; Paulus StV 2003, 57, 58 f.).
19
bb) Auch verfassungsrechtlich ist die Annahme eines Beweisverwertungsverbots nicht geboten. So hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, die Rechtsprechung des IGH sei nicht dahin zu verstehen, dass im Falle eines Belehrungsfehlers nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK zwingend von der Unverwertbarkeit der zustande gekommenen Beweisergebnisse auszugehen sei; im Übrigen obliege es dem Bundesgerichtshof festzustellen, ob ein Verwer- tungsverbot anzunehmen sei oder welche Konsequenzen aus dem Verfahrensfehler sonst zu ziehen seien (BVerfG NJW 2007, 499, 503).
20
cc) Die Annahme eines Beweisverwertungsverbots ist auch in der Sache nicht gerechtfertigt. Insbesondere lässt sich die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Verstößen gegen die in § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO geregelten Belehrungspflichten nicht auf einen Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK übertragen.
21
Nicht jeder Verstoß gegen eine Verfahrensvorschrift, die eine Belehrungspflicht vorsieht, zieht ein Beweisverwertungsverbot nach sich. Die Entscheidung für oder gegen ein Verwertungsverbot ist vielmehr aufgrund einer Abwägung der im Rechtsstaatsprinzip angelegten gegenläufigen Gebote und Ziele zu treffen (vgl. BVerfG NJW 2007, 499, 503). Der Senat geht in Übereinstimmung mit dem 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschl. vom 25. September 2007 - 5 StR 116/01 und 5 StR 475/02; vgl. auch Kreß GA 2007, 296, 304 f.) davon aus, dass sich bei einem Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK die Rechtslage in Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich unter Berücksichtigung von Art und Gewicht des Verstoßes und der wesentlichen Belange der Urteilsfindung im Strafverfahren, anders darstellt als bei der in § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO vorgeschriebenen Belehrung über das Schweigerecht und das Verteidigerkonsultationsrecht. Die beiden Belehrungspflichten sind einander nicht ausreichend ähnlich ; sie unterscheiden sich sowohl im Hinblick auf ihre Voraussetzungen als auch auf ihre Bedeutung für ein mögliches Beweisergebnis zu Lasten des Beschuldigten. So setzt die Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO eine Vernehmungssituation voraus, kommt jedem Beschuldigten unabhängig von dessen Staatsangehörigkeit zugute und betrifft inhaltlich mit den Rechten des Be- schuldigten auf Selbstbelastungsfreiheit und auf effektive Verteidigung dessen zentrale Schutzrechte. Demgegenüber knüpft die Belehrung nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK an eine freiheitsentziehende Maßnahme und damit einen Umstand an, durch den die Aussagefreiheit des Beschuldigten jedenfalls dann nicht berührt wird, wenn die Festnahme erst erfolgt, nachdem der Beschuldigte vernommen worden ist. Eine Belehrungspflicht vor Beginn einer Vernehmung, an deren Ende möglicherweise eine Festnahme des Beschuldigten erfolgen wird, sieht der Wortlaut von Art. 36 WÜK nicht vor. Zudem kommt die Belehrungspflicht über das Konsultationsrecht nur Beschuldigten mit einer fremden Staatsangehörigkeit zugute. Schließlich handelt es sich bei dieser Belehrung inhaltlich lediglich um einen zusätzlichen Schutz; den betroffenen ausländischen Beschuldigten kommen jedoch alle sonstigen rechtsstaatlichen Verteidigungsstandards unvermindert zugute.
22
Das angefochtene Urteil erweist sich somit nicht deswegen als rechtsfehlerhaft , weil das Landgericht bei seiner Beweiswürdigung die Angaben der Angeklagten bei ihren Vernehmungen im Ermittlungsverfahren berücksichtigt hat.
23
d) Im Schrifttum wird darüber hinaus die Möglichkeit erörtert, dass sich der Verstoß gegen Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK selbst bei Verneinung eines Verwertungsverbots in anderer Weise zu Lasten des Beschuldigten und seiner Verteidigungsmöglichkeiten auswirken und als Folge hiervon das gegen ihn ergehende Urteil im Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch nachteilig beeinflussen könne (Kreß GA 2007, 296, 306; möglicherweise aA - Beruhensprüfung nur bei Annahme eines Beweisverwertungsverbots - BVerfG NJW 2007, 499, 504 [Rdn. 76]; siehe auch Burchard JZ 2007, 891, 893; Paulus StV 2003, 57, 60). Dem ist hier indessen nicht weiter nachzugehen. Dass sie durch die zunächst unterlassene Belehrung in ihren Verteidigungsmöglichkeiten in irgendei- ner Hinsicht entscheidungserheblich eingeschränkt gewesen wären, behaupten die Beschwerdeführer in ihrem Rügevorbringen schon selbst nicht. Im Übrigen wäre hier ohne weiteres auszuschließen, dass sich das Unterbleiben der Belehrung unmittelbar nach der vorläufigen Festnahme im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO auf das Urteil ausgewirkt haben könnte; denn die Angeklagten haben nach der Belehrung durch den Ermittlungsrichter über ihr Recht, die konsularische Vertretung ihrer Heimatstaaten benachrichtigen zu lassen, auf eine solche Benachrichtigung ausdrücklich verzichtet. Hieraus ist zu schließen, dass ein rechtsfehlerfreies Verfahren, bei dem die Angeklagten bereits bei ihrer Festnahme durch die Zollbeamten über ihr Recht aus Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK belehrt worden wären, zu keinem anderen Entschluss der Angeklagten geführt hätte und daher auch in diesem Falle eine Unterrichtung der zuständigen Konsulate unterblieben wäre.
24
e) Die Revisionen der Angeklagten sind daher zu verwerfen.
25
Allerdings hat es der 5. Strafsenat in seinem Beschluss vom 25. September 2007 (5 StR 116/01 und 5 StR 475/02) für angezeigt erachtet, in Fällen, in denen die Belehrung nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK völlig unterblieben ist, diesem Verstoß im Wege einer Kompensation dadurch Rechnung zu tragen, dass ein Teil der gegen den Angeklagten verhängten Strafe für vollstreckt erklärt wird. Dieser Ansicht vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Die Folgen, die Verstöße gegen das Verfahrensrecht (gleich, ob dieses nationalen oder völkervertragsrechtlichen Ursprungs ist) in der Revisionsinstanz nach sich ziehen, sind in den §§ 337, 338, 353, 354 StPO abschließend geregelt: Beruht ein Urteil ganz oder teilweise auf einem Verfahrensfehler, so ist es in dem entsprechenden Umfang aufzuheben; ist ein Beruhen dagegen auszuschließen , so ist die Revision zu verwerfen. Andere Möglichkeiten bestehen nicht. Insbesondere ist es dem Staat verwehrt, dem Angeklagten Verfahrensverstöße , die sich auf das Urteil ausgewirkt haben, durch einen Vollstreckungsrabatt gewissermaßen "abzuhandeln"; denn dies würde auf die Dauer zu einer nicht hinnehmbaren Relativierung des Verfahrensrechts führen.
26
Aus der Rechtsprechung zur Kompensation konventions- und damit gleichzeitig rechtsstaatswidriger Verstöße insbesondere gegen das Gebot zügiger Durchführung von Strafverfahren (Art. 5 Abs. 3 Satz 1, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK), kann nichts Gegenteiliges abgeleitet werden. Diese Rechtsprechung beruht auf den Besonderheiten der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, insbesondere dem Verständnis, das Art. 34 MRK in der Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gefunden hat; den dort formulierten Grundsatz, dass der Angeklagte für die besonderen immateriellen Belastungen, die er durch die Verfahrensverzögerung erlitten hat, durch eine ausdrückliche und bezifferte Kompensation zu entschädigen ist, hat das Bundesverfassungsgericht als auch aus der Rechtsstaatsgarantie verfassungsrechtlich abzuleitendes Erfordernis bestätigt (s. näher den Vorlagebeschluss des Senats NJW 2007, 3294 ff.). Hieran haben sich die Strafgerichte auszurichten. Dies ändert indes nichts daran, dass es sich bei dieser Kompensation um ein mit dem sonstigen Straf- und Strafverfahrensrecht nur schwerlich in Einklang zu bringendes Rechtsinstitut handelt. Es ist daher nicht auf Bereiche auszudehnen, in denen seine Anwendung durch entsprechende völkervertragsoder verfassungsrechtliche Vorgaben nicht geboten ist. So liegt es bei Verstößen gegen Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK. Weder das Konsularübereinkommen noch das Rechtsstaatsgebot schreiben vor, dass der Angeklagte für ein (zeitweiliges) Unterbleiben der Belehrung über das Konsultationsrecht zu entschädigen ist. Vielmehr muss allein gewährleistet sein, dass er den Verstoß im Strafverfahren geltend machen und dort zur Überprüfung stellen kann, ob dieser sich in maßgeblicher Weise auf seine Verteidigungsrechte und damit gegebenenfalls auf seine Verurteilung ausgewirkt hat (s. oben).
27
Die Auffassung des Senats weicht nicht in entscheidungserheblicher Weise von der Rechtsansicht des 5. Strafsenats ab; denn dieser hat ausdrücklich offen gelassen, ob im Falle einer alsbald nachgeholten Belehrung, wie sie hier durch den Ermittlungsrichter vorgenommen wurde, eine Kompensation nicht gänzlich entbehrlich ist (Beschl. vom 25. September 2007 - 5 StR 116/01 und 5 StR 475/02, Rdn. 30). Becker Miebach Pfister Hubert Schäfer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 537/08
vom
15. Januar 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 15. Januar 2009 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 7. Juli 2008 aufgehoben, soweit eine Entscheidung über die Kompensation wegen einer der Justiz anzulastenden Verfahrensverzögerung unterblieben ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht Stralsund hatte den Angeklagten durch Urteil vom 10. März 2006 wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in zwei Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in vier weiteren Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Nötigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Auf seine Revision hob der Senat dieses Urteil durch Beschluss vom 26. September 2006 - 4 StR 353/06 (NStZ 2007, 352 = StV 2007, 22) wegen Vorliegens des absoluten Revisionsgrundes des § 338 Nr. 5 StPO auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Stralsund zurück. Dieses verurteilte den Angeklagten sodann am 12. April 2007 erneut wegen aller sechs dem Angeklagten bereits im ersten Urteil zur Last gelegten Sexualstraftaten und verhängte dieselben Einzelstrafen und auch dieselbe Gesamtfreiheitsstrafe wie in dem ersten Urteil. Die hiergegen eingelegte Revision des Angeklagten hatte wiederum mit einer Verfahrensbeschwerde Erfolg. Gerügt war die Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes des § 250 StPO. Der Senat stellte durch Beschluss vom 29. Januar 2008 - 4 StR 449/07 (BGHSt 52, 148 = NJW 2008, 1010 = StV 2008, 170) das Verfahren in drei der abgeurteilten Fälle ein (dadurch entfielen Einzelfreiheitsstrafen von zwei Jahren sechs Monaten und zweimal zwei Jahren), bestätigte die Verurteilung wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in zwei Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in einem weiteren Fall sowie die zugehörigen Einzelfreiheitsstrafen von drei Jahren, zwei Jahren sechs Monaten und zwei Jahren und wies unter Verwerfung der weiter gehenden Revision die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung über die Gesamtstrafe an das Landgericht Stralsund zurück. Dieses verurteilte den Angeklagten auf der Grundlage des rechtskräftigen Schuldspruchs und der rechtskräftig festgesetzten Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten. Hiergegen wendet sich der Angeklagte wiederum mit seiner Revision, mit der er insbesondere die fehlende Berücksichtigung einer der Justiz anzulastenden Verfahrensverzögerung durch das Landgericht beanstandet. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen den Gesamtstrafenausspruch wendet, ist das Rechtsmittel offensichtlich unbegründet. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts unter Ziff. 1. seiner Antragsschrift vom 18. Dezember 2008. Die Ausfüh- rungen in der Gegenerklärung des Verteidigers vom 13. Januar 2009 führen zu keinem anderen Ergebnis.
3
2. Dagegen macht der Beschwerdeführer zu Recht einen Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK geltend, der bei der Rechtsfolgenbemessung hätte berücksichtigt werden müssen. Dies lässt zwar den Gesamtstrafenausspruch unberührt, führt aber zur Aufhebung des Urteils, soweit das Landgericht unterlassen hat, nach den Grundsätzen des Beschlusses des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07 (BGHSt 52, 124 = NJW 2008, 860; sog. Vollstreckungsmodell ) eine Kompensation vorzunehmen.
4
a) Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die durch Aufhebung eines Urteils im Rechtsmittelzug auf Grund eines Verfahrensfehlers erforderliche neue Verhandlung der Sache und die dadurch bedingte Dauer des Verfahrens generell als Konventionsverstoß zu werten und deshalb der in Folge der Durchführung des Rechtsmittelverfahrens verstrichene Zeitraum der Überlänge eines Verfahrens hinzuzurechnen ist (vgl. die Nachweise bei Fischer StGB 56. Aufl. § 46 Rdn. 125). Hier sind jedoch im selben Verfahren mehrmals Urteile wegen allein von dem Gericht zu verantwortenden Verfahrensfehlern aufgehoben worden und musste die Sache deshalb wiederholt neu verhandelt werden. Die dadurch eingetretene Verzögerung des Abschlusses des Verfahrens und die damit für den Angeklagten verbundene besondere Belastung begründet daher einen Kompensationsanspruch aus Art. 13 EMRK. Das gilt hier umso mehr, als seit der Anklageerhebung mittlerweile über drei Jahre verstrichen sind und das Verfahren in Folge der zweifach notwendig gewordenen Neuverhandlung - gerechnet von der ersten in dieser Sache ergangenen Revisionsentscheidung - allein bis zu dem an- gefochtenen Urteil annähernd zwei Jahre gedauert hat. Dabei kommt es nicht mehr entscheidend darauf an, dass sich zuletzt das Verfahren noch einmal um über zwei Monate verzögert hat, weil die Verteidigung mit Erfolg den Besetzungseinwand nach § 222 b StPO erhoben hat.
5
b) Die im angefochtenen Urteil unterbliebene, wegen des Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK gebotene Kompensation für die der Justiz anzulastende Verfahrensverzögerung hat der neue Tatrichter im Wege des Vollstreckungsmodells (BGHSt - GS - 52, 124 = NJW 2008, 860) nachzuholen. Er wird zunächst festzustellen haben, welcher Zeitraum zwischen der Eröffnung des Tatvorwurfs und dem Urteil bei zeitlich angemessener Verfahrensgestaltung als erforderlich anzusehen ist; dieser Zeitraum ist bei der Berechnung der Dauer der in den Verantwortungsbereich der Justiz fallenden Verfahrensverzögerung nicht zu berücksichtigen. Sodann wird das Gericht – da angesichts des Ausmaßes der Verzögerung deren bloße ausdrückliche Feststellung in den Entscheidungsgründen zur Kompensation ersichtlich nicht genügt – festzulegen haben, welcher bezifferte Teil der Gesamtstrafe zur Kompensation der Verzögerung als vollstreckt gilt. Bei der Bemessung sind vor allem das Gewicht der Verfahrensfehler , die zur wiederholten Aufhebung der Urteile in diesem Verfahren geführt haben, sowie die Auswirkungen der Verzögerungen auf den Angeklagten zu berücksichtigen (vgl. BGHSt - GS - aaO 146 = NJW aaO S. 866; BGH, Beschluss vom 26. November 2008 - 5 StR 450/08 - m.w.N.). Dagegen bleiben die mit der Verfahrensdauer als solcher verbundenen Belastungen bei der Kompensation außer Ansatz, da sie vom Landgericht in dem angefochtenen Urteil zu Recht bei der Gesamtstrafbemessung zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt worden sind (BGH - GS - aaO 147; BGH, Beschluss vom 14. Mai 2008 – 3 StR 75/08). Hingegen wird der neue Tatrichter bei dem Maß der Kompensa- tion auch die weitere Verzögerung zu bedenken haben, die nunmehr bis zur wiederholten Neuverhandlung der Sache eintritt.
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Mutzbauer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 238/08
vom
9. Oktober 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Oktober
2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Prof. Dr. Sander,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 5. November 2007 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen, soweit es die Angeklagte betrifft, aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die - im Übrigen freigesprochene - Angeklagte wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Hiergegen wendet sich die zu Ungunsten der Angeklagten eingelegte, wirksam auf den Strafausspruch und die zugehörigen Feststellungen - soweit es die Angeklagte betrifft - beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt. Die Revision beanstandet insbesondere die von der Kammer angenommene rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung sowie das Maß der darauf beruhenden Kompensation. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg und führt zur Aufhebung des Strafausspruchs.

I.


2
Die vom Landgericht für die Verletzung des Gebots einer zügigen Verfahrenserledigung gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG vorgenommene Kompensation begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
3
1. Die Strafkammer hat an sich eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten als verwirkt angesehen. Sie hat sodann zum Ausgleich für eine von ihr bejahte rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung von vier Monaten von der eigentlich als schuldangemessen erachteten Freiheitsstrafe einen bezifferten Strafabschlag von sechs Monaten vorgenommen und gegen die zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens inhaftierte Angeklagte eine Freiheitsstrafe von einem Jahr verhängt.
4
2. Dies hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung schon deshalb nicht stand, weil das Landgericht der Kompensation in rechtsfehlerhafter Weise nur unzureichende Feststellungen zu Grunde gelegt hat. Der Senat kann offenlassen, ob ein sachlich-rechtlicher Fehler schon allein darin liegt, dass das Landgericht bei der Frage, ob eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung vorliegt, auf einen Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 19. Dezember 2006 verwiesen hat, der eine Entscheidung über die weitere Haftfortdauer betreffend den früheren Mitangeklagten K. W. zum Gegenstand hat. Jedenfalls genügt diese bloße Bezugnahme hier nicht, weil das Landgericht bei der Beurteilung des Vorliegens einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung einen anderen Maßstab anzulegen und eine andere Abwägung zu treffen hatte als das Oberlandesgericht. http://rsw.beck.de/bib/bin/reference.asp?Y=300&Z=BGHSt&B=30&S=225 [Link] http://rsw.beck.de/bib/bin/reference.asp?Y=300&Z=BGHSt&B=30&S=225&I=227 - 5 -
5
a) Nach den Grundsätzen der Rechtsprechung sind als Grundlage der Kompensation Art, Ausmaß und Ursachen der Verfahrensverzögerung zu ermitteln und im Urteil konkret festzustellen. Diese Feststellungen dienen zunächst als Grundlage für die Strafzumessung. Insofern hat der Tatrichter in wertender Betrachtung zu entscheiden, ob und in welchem Umfang der zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil sowie die besonderen Belastungen, denen die Angeklagte wegen der überlangen Verfahrensdauer ausgesetzt war, bei der Festsetzung der Strafe mildernd zu berücksichtigen sind. Die entsprechenden Erörterungen sind als bestimmende Strafzumessungsfaktoren in den Urteilsgründen kenntlich zu machen, § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO (st. Rspr.; vgl. nur BGH - GS - NJW 2008, 860, 866; BGH, Beschl. vom 9. April 2008 - 3 StR 71/08; Beschl. vom 11. März 2008 - 3 StR 54/08). Dabei muss grundsätzlich jedes Strafurteil aus sich heraus verständlich sein (st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 30, 225, 227; BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Bezugnahme 1; BGH NStZ-RR 2007, 22). Gebotene eigene Urteilsfeststellungen oder Würdigungen dürfen deshalb in der Regel nicht durch Bezugnahmen ersetzt werden, da es ansonsten sachlichrechtlich an der Möglichkeit einer Nachprüfung durch das Revisionsgericht fehlt (BGH NStZ-RR 2007, 22 m.w.N.).
6
b) Gemessen an diesen Maßstäben erscheinen die Ausführungen des landgerichtlichen Urteils nicht unbedenklich. Die Kammer führt lediglich pauschal aus, ohne nähere Einzelheiten zu den jeweiligen Verfahrensschritten festzustellen , die Tat liege vier Jahre zurück, die Abschlussverfügung der Staatsanwaltschaft und die Anklage datierten vom 20. Oktober 2005. Am 2. März 2006 habe die Kammer über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden, die Hauptverhandlung habe am 4. Oktober 2006 begonnen und über ein Jahr gedauert. Weiter legt sie dar, dass „nach den Feststellungen des OLG Bamberg im Beschluss vom 19.12.2006“ (in dem wiederum auf den hinsichtlich des frü- heren Mitangeklagten K. W. ergangenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Oktober 2006, StV 2007, 254, verwiesen wird) „es zu einer vermeidbaren Verfahrensverzögerung von 4 Monaten gekommen“ sei, „da der ursprünglich bestimmte Hauptverhandlungstermin vom 17.05.2006 aufgehoben“ worden sei (UA S. 82/83).
7
aa) Damit beschränkt sich das Landgericht auf die bloße Aneinanderreihung der zeitlichen Abläufe und die Wiedergabe einer wertenden Beurteilung eines anderen Gerichts in einer Entscheidung über die weitere Haftfortdauer betreffend den früheren Mitangeklagten K. W. . Die gebotenen konkreten Feststellungen zum Vorliegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung in Bezug auf die Angeklagte H. W. hat es damit jedoch nicht getroffen.
8
(1) Insbesondere hat die Strafkammer weder die Gründe für die Neuterminierung mitgeteilt, noch die zur Vorbereitung und Terminierung des neuen, zudem nach einem Wechsel des Kammervorsitzes und des Berichterstatters in neuer Gerichtsbesetzung stattfindenden Hauptverhandlungstermins erforderlichen Zeitspannen erkennbar berücksichtigt (vgl. BGH, Beschl. vom 6. März 2008 - 3 StR 514/07). Es wäre aber festzustellen gewesen, welcher Zeitraum bei zeitlich angemessener Verfahrensgestaltung für die Erledigung der entsprechenden Maßnahmen in der vorliegenden umfangreichen Wirtschaftstrafsache, die wegen mehrerer Tatkomplexe gegen zwei Angeklagte geführt wurde, beansprucht werden durfte. Denn dieser ist bei der Berechnung der Dauer der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung nicht einzubeziehen (vgl. BGH, Beschl. vom 27. Mai 2008 - 3 StR 157/08; zur Vorbereitung und Terminierung in Wirtschaftsstrafsachen vgl. BGH NJW 2008, 2451, 2453 f.).
9
(2) Außerdem hat sich das Landgericht nicht damit auseinandergesetzt, dass der Umstand, dass das Strafverfahren während eines einzelnen Verfahrensabschnitts verzögert betrieben wurde, für sich allein keinen Verstoß gegen das Rechtsstaatsgebot des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK begründet, wenn das Strafverfahren insgesamt in angemessener Zeit abgeschlossen wurde (BGH NStZ 2004, 504; NStZ-RR 2007, 150, 151; vgl. auch EGMR, Urt. vom 15. Juli 2005 - 57019/00). Bei der Prüfung, ob eine Strafsache insgesamt in angemessener Frist (im verbindlichen englischen Originaltext „…within a reasonable time…“) i.S.v. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK verhandelt worden ist, sind neben der gesamten Dauer von dem Zeitpunkt an, in dem die Beschuldigte von den Ermittlungen in Kenntnis gesetzt wurde, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens die Art und die Schwere des Tatvorwurfs, der Umfang und die Schwierigkeit des Verfahrens, die Art und Weise der Ermittlungen, das Verhalten der Beschuldigten sowie das Ausmaß der mit dem andauernden Verfahren verbundenen Belastungen für die Beschuldigte als maßgebende Kriterien festzustellen und zu berücksichtigen (BGH NStZ 2004, 504).
10
bb) Der Senat lässt - wie oben dargelegt - offen, ob für die Beurteilung dieser an sich notwendigen eigenen Darlegungen im Urteil der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg, auf den das landgerichtliche Urteil verweist, und der dort enthaltene Hinweis auf die veröffentlichte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG StV 2007, 254) ergänzend herangezogen werden können. Die bloße Bezugnahme auf diese Entscheidungen verbietet sich vorliegend jedenfalls deshalb, weil das Tatgericht bei der Bewertung des Bestehens einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung einen anderen Maßstab anzulegen und eine andere Abwägung zu treffen hatte, als dies im Rahmen der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Oberlandes- gerichts betreffend die Haftfortdauer des früheren Mitangeklagten K. W. der Fall war.
11
(1) Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG garantieren das Recht eines jeden Angeklagten auf gerichtliche Entscheidung innerhalb angemessener Frist. Dieser Grundsatz gilt für die gesamte Dauer des Strafverfahrens vom Zeitpunkt der Kenntnis des Beschuldigten von den gegen ihn gerichteten Ermittlungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens (BGH StV 2002, 598; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. Art. 6 MRK Rdn. 80 ff. m.w.N.). Unabhängig davon besteht der Anspruch des aus Gründen der Prozesssicherheit inhaftierten Angeklagten „auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist oder auf Entlassung“ aus der Haft, Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 MRK, Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Der für die Beurteilung der insoweit angemessenen Dauer maßgebende Fristbeginn ist hierbei zunächst der tatsächliche Beginn der Freiheitsentziehung, das maßgebliche Fristende der Erlass des erstinstanzlichen Urteils (Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. Art. 5 MRK Rdn. 116, 117).
12
(2) Die „angemessene Frist“ für die Untersuchungshaft ist dabei wesentlich kürzer bemessen und unterliegt strengeren Anforderungen als die Frist, binnen der das Strafverfahren durchgeführt sein muss. Während für die Unangemessenheit der Verfahrensdauer als Maßstab der Zeitraum gilt, der für die sachgerechte Erledigung des jeweiligen Verfahrens bei ordnungsgemäßer Bearbeitung im normalen Verfahrensbetrieb notwendig ist, ist bei der Frage der weiteren Haftfortdauer regelmäßig nur die bei größtmöglicher Beschleunigung erreichbare Minimaldauer hinnehmbar (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. Art. 5 MRK Rdn. 114; Schlothauer/Weider, Untersuchungshaft, 3. Aufl. Rdn. 828). Damit können die Fristen für die Verfahrenserledigung nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG länger sein als die von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 MRK, Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gesetzten , in denen über eine Freiheitsentziehung zu entscheiden ist.
13
(3) Hinzukommt, dass - anders als bei der Frage der Angemessenheit der Dauer des gesamten Strafverfahrens - die Angemessenheit der Dauer der Haft nicht rückblickend zu beurteilen ist, sondern ex ante von der jeweils gegebenen , aktuellen Verfahrenslage aus (Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. Art. 5 MRK Rdn. 115).
14
(4) Eine Verletzung von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 MRK, Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ist demnach nicht zwangsweise zugleich auch ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG (so bereits EGMR, Matznetter/Österreich, Urt. vom 10. November 1969 - 2178/64; vgl. auch Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. Art. 6 MRK Rdn. 76; Paeffgen in SK-StPO 57. Lfg. Art. 5 MRK Rdn. 61). Dies gilt erst recht in einem Verfahren , das - wie gegenständlich - gegen mehrere Angeklagte geführt wird: Während ein bestimmter Verfahrensablauf für einen, noch dazu inhaftierten Mitangeklagten einen Verstoß gegen das in Haftsachen gebotene Beschleunigungsgebot darstellen kann, muss dies für die andere, nicht in Haft befindliche Angeklagte keineswegs zwangsläufig eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK begründen. Ob eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung vorliegt ist vielmehr nach den individuellen Umständen des Einzelfalles - insbesondere unter Berücksichtigung der persönlichen Auswirkungen der Verfahrensdauer für den jeweiligen Betroffenen - für jeden Angeklagten eigenständig zu beurteilen (vgl. BGH, Beschl. vom 21. Juli 2005 - 1 StR 78/05). Dies hat die Strafkammer verkannt.
15
3. Die verhängte Freiheitsstrafe kann aber auch deshalb keinen Bestand haben, weil das Landgericht für die von ihm angenommene Verfahrensverzögerung von vier Monaten einen Strafabschlag von sechs Monaten gewährt hat. Dies überschreitet die Grenzen des dem Tatrichter insoweit zuzubilligenden Beurteilungsspielraums und erweist sich daher als rechtsfehlerhaft.
16
a) Allgemeine Kriterien für die Festlegung der für erforderlich erachteten Kompensation lassen sich zwar nicht aufstellen. Entscheidend sind stets die Umstände des Einzelfalles. Jedoch ist im Auge zu behalten, dass die Verfahrensdauer als solche sowie die damit verbundenen Belastungen der Angeklagten - wie auch vorliegend - bereits strafmildernd in die Strafzumessung eingeflossen sind. In diesem Punkt der Rechtsfolgenbestimmung geht es daher nur mehr um einen Ausgleich für die rechtsstaatswidrige Verursachung dieser Verzögerung. Dies schließt es regelmäßig aus, etwa den Anrechnungsmaßstab des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB heranzuziehen und das Maß der Anrechnung mit dem Umfang der Verzögerung gleichzusetzen. Vielmehr wird sich die Anrechnung häufig auf einen eher geringen Bruchteil der Strafe zu beschränken haben (BGH - GS - NJW 2008, 860, 866; BGH, Beschl. vom 6. März 2008 - 3 StR 50/07; Beschl. vom 11. März 2008 - 3 StR 54/08).
17
b) Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte liegt die vom Landgericht vorgenommene Reduzierung der ohne die angenommene Verfahrensverzögerung von vier Monaten als verwirkt erachteten Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten um sechs Monate nicht mehr im Rahmen des tatrichterlichen Ermessens. Das Landgericht hat damit nicht nur eine Anrechnung entsprechend dem Maßstab des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB vorgenommen, sondern eine solche in Höhe des eineinhalbfachen der von ihm bejahten Verzögerung und somit einen Abschlag von einem Drittel der eigentlich als tat- und schuld- angemessen angesehenen Freiheitsstrafe gewährt. Damit hat das Landgericht der Angeklagten eine Strafreduzierung zugebilligt, die zu einer Verkürzung der gegebenenfalls noch zu vollstreckenden Strafe in einem Umfang führt, der nicht einmal durch eine viermonatige inländische Untersuchungshaft hätte erreicht werden können (vgl. § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB; BGH StV 2008, 299). Ein derart hohes Maß an Kompensation könnte nur ausnahmsweise durch deutlich gravierendere individuelle Belastungen der zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens inhaftierten Angeklagten infolge der Verfahrensverzögerung als der hier festgestellten gerechtfertigt sein (vgl. BGH StV 2007, 461, 462).
18
4. Schließlich entspricht das vom Landgericht angewandte Kompensationsverfahren („Strafabschlagslösung“) nicht der - nach dem angefochtenen Urteil - geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Kompensation des Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK („Vollstreckungsmodell“; vgl. BGH - GS - NJW 2008, 860 ff.).

II.


19
Der Strafausspruch sowie die zugehörigen Feststellungen waren deshalb - soweit es die Angeklagte betrifft - aufzuheben, um dem neuen Tatrichter Gelegenheit zu geben, insoweit einheitlich neue, ausreichend konkrete Feststellungen zu treffen. Damit entfällt auch die Grundlage der Entscheidung des Landgerichts über die Strafaussetzung zur Bewährung.

III.


20
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
21
1. Das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht wird die für eine mögliche Verletzung des Gebots einer zügigen Verfahrenserledigung maßgeblichen Umstände als gerichtskundige Tatsachen zu behandeln haben und sich diese Kundigkeit im Freibeweisverfahren verschaffen können (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 11).
22
2. Es wird zu bedenken haben, dass nicht jede geringfügige Verzögerung - zumal in einer komplexen Wirtschaftsstrafsache mit nicht nur einer Angeklagten - bereits unangemessen und rechtsstaatswidrig ist (vgl. BGH, Beschl. vom 23. Juli 2008 - 2 StR 283/08). Insbesondere führt ein lediglich vorübergehender Engpass in der Arbeits- und Verhandlungskapazität der Strafverfolgungsbehörden nicht zu einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK (BGH StraFo 2005, 24).
23
3. Für den Fall, dass auch das neue Tatgericht nach den neu zu treffenden Feststellungen zu der Überzeugung gelangt, dass ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK vorliegt, so erscheint eine durch die Neuterminierung eingetretene Verfahrensverzögerung von - wie bisher festgestellt - vier Monaten jedoch denkbar gering. Insofern wird auch der Umstand Bedeutung erlangen, dass nach dem Vortrag der Revision als (Mit-)Ursache für die lange Dauer der Hauptverhandlung das Prozessverhalten der Angeklagten (vgl. RB S. 11) ebenfalls in Betracht kommt. Bei diesen Gegebenheiten ist zu berücksichtigen, dass zur Kompensation der eingetretenen Verfahrensverzögerung die bloße ausdrückliche Feststellung des Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK ausreichen kann und ein darüber hinaus gehender Ausgleich nach der „Vollstreckungslösung“ nicht in jedem Fall geboten ist (vgl. BGH - GS - NJW 2008, 860, 866; BGH, Beschl. vom 21. Februar 2008 - 4 StR 666/07). Dies gilt umso mehr, als dem Abstand zwischen Tat und Aburteilung sowie dem wegen der Verfah- rensdauer vom Landgericht angenommenen - an sich aber fern liegenden und jedenfalls konkret nicht belegten - psychischen Druck auf die nicht inhaftierte Angeklagte bereits im Rahmen der Strafzumessung Rechnung zu tragen ist.
Nack Wahl Elf Graf Sander

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.

(1) Gegen ein rechtskräftiges Strafurteil, das auf einer mit dem Grundgesetz für unvereinbar oder nach § 78 für nichtig erklärten Norm oder auf der Auslegung einer Norm beruht, die vom Bundesverfassungsgericht für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist, ist die Wiederaufnahme des Verfahrens nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung zulässig.

(2) Im übrigen bleiben vorbehaltlich der Vorschrift des § 95 Abs. 2 oder einer besonderen gesetzlichen Regelung die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen, die auf einer gemäß § 78 für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt. Die Vollstreckung aus einer solchen Entscheidung ist unzulässig. Soweit die Zwangsvollstreckung nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung durchzuführen ist, gilt die Vorschrift des § 767 der Zivilprozeßordnung entsprechend. Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung sind ausgeschlossen.

Kommt das Bundesverfassungsgericht zu der Überzeugung, daß Bundesrecht mit dem Grundgesetz oder Landesrecht mit dem Grundgesetz oder dem sonstigen Bundesrecht unvereinbar ist, so erklärt es das Gesetz für nichtig. Sind weitere Bestimmungen des gleichen Gesetzes aus denselben Gründen mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht unvereinbar, so kann sie das Bundesverfassungsgericht gleichfalls für nichtig erklären.

(1) Gegen ein rechtskräftiges Strafurteil, das auf einer mit dem Grundgesetz für unvereinbar oder nach § 78 für nichtig erklärten Norm oder auf der Auslegung einer Norm beruht, die vom Bundesverfassungsgericht für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist, ist die Wiederaufnahme des Verfahrens nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung zulässig.

(2) Im übrigen bleiben vorbehaltlich der Vorschrift des § 95 Abs. 2 oder einer besonderen gesetzlichen Regelung die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen, die auf einer gemäß § 78 für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt. Die Vollstreckung aus einer solchen Entscheidung ist unzulässig. Soweit die Zwangsvollstreckung nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung durchzuführen ist, gilt die Vorschrift des § 767 der Zivilprozeßordnung entsprechend. Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung sind ausgeschlossen.

(1) In der erneuten Hauptverhandlung ist entweder das frühere Urteil aufrechtzuerhalten oder unter seiner Aufhebung anderweit in der Sache zu erkennen.

(2) Das frühere Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Verurteilten geändert werden, wenn lediglich der Verurteilte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt hat. Diese Vorschrift steht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt nicht entgegen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 173/09
vom
16. Juni 2009
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 16. Juni
2009 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 14. November 2005 im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 13 Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in zwei Fällen zur Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
Der Rechtsfolgenausspruch kann hingegen nicht bestehen bleiben, weil das Verfahren nach Erlass des angefochtenen Urteils in rechtsstaatswidriger Weise verzögert worden ist.
3
1. Zur Erforderlichkeit einer deshalb zu treffenden Kompensationsentscheidung hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift Folgendes ausgeführt: "Das Verfahren ist nach Erlass des angefochtenen Urteils … unter Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK dadurch in rechtsstaatswidriger Weise verzögert worden, dass die Originalakten seit dem 15. Mai 2006 in Verlust geraten sind … und erst im Februar/März 2009 rekonstruiert werden konnten, obwohl sich der Verteidiger bereits mehrfach nach dem Stand des Revisionsverfahrens erkundigt hatte … . Nachdem der Verteidiger die Revision mit Schriftsatz vom 30. Januar 2006 begründet hatte, hätten die Akten dem Generalbundesanwalt bei ordnungsgemäßem Verfahrensgang alsbald danach vorgelegt werden müssen. Tatsächlich sind die Akten dort erst am 15. April 2009 eingegangen , wobei die Originalakten zwischenzeitlich wieder aufgefunden und nachgesandt wurden. Dadurch hat sich eine Verfahrensverzögerung von nahezu drei Jahren ergeben. Diese nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist eingetretene Verzögerung ist auf die Sachrüge hin von Amts wegen zu berücksichtigen (BGH NStZ 2004, 52). Wegen des Ausmaßes der Verfahrensverzögerung sowie des damit verbundenen Zeitablaufs und der Notwendigkeit der Feststellung ihrer Auswirkungen auf den Angeklagten ist die Entscheidung über eine Kompensation des Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK dem Tatrichter vorbehalten."
4
Dem schließt sich der Senat an.
5
2. Wegen der nach Erlass des angefochtenen Urteils eingetretenen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung kann unter den gegebenen Umständen aber auch der gesamte Strafausspruch nicht bestehen bleiben. Zwar stellt die im Wege der Anrechnung vorzunehmende Kompensation (Vollstre- ckungslösung) einen an dem Entschädigungsgedanken orientierten eigenen rechtlichen Weg neben der Strafzumessung im engeren Sinn dar, so dass der Strafausspruch und die Kompensationsentscheidung grundsätzlich selbständig nebeneinander stehen und auch getrennt voneinander zu beurteilen sind (so inzwischen auch BGH, Urt. vom 18. Juni 2009 - 3 StR 89/09). Allerdings wird der (überlangen) Verfahrensdauer dadurch nicht ihre Bedeutung als Strafzumessungsgrund genommen. Sie bleibt als solcher zunächst bedeutsam deswegen , weil allein schon durch einen besonders langen Zeitraum, der zwischen der Tat und dem Urteil liegt, das Strafbedürfnis allgemein abnimmt. Sie behält ihre Relevanz aber gerade auch wegen der konkreten Belastungen, die für den Angeklagten mit dem gegen ihn geführten Verfahren verbunden sind und die sich generell um so stärker mildernd auswirken, je mehr Zeit zwischen dem Zeitpunkt, in dem er von den gegen ihn laufenden Ermittlungen erfährt, und dem Verfahrensabschluss verstreicht; diese sind bei der Straffindung unabhängig davon zu berücksichtigen, ob die Verfahrensdauer durch eine rechtsstaatswidrige Verzögerung mitbedingt ist. Lediglich der hiermit zwar faktisch eng verschränkte, rechtlich jedoch gesondert zu bewertende und zu entschädigende Gesichtspunkt, dass eine überlange Verfahrensdauer (teilweise) auf einem konventions- und rechtsstaatswidrigen Verhalten der Strafverfolgungsbehörden beruht, wird aus dem Vorgang der Strafzumessung, dem er wesensfremd ist, herausgelöst und durch die bezifferte Anrechnung auf die im Sinne des § 46 StGB angemessene Strafe gesondert ausgeglichen (vgl. BGH - GS - NJW 2008, 860, 865 m. w. N.; zum Abdruck in BGHSt 52, 124 bestimmt).
6
Dies führt jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden, in denen der Abschluss des Verfahrens rechtsstaatswidrig um mehrere Jahre verzögert worden ist, dazu, dass auch der gesamte Strafausspruch, also alle Einzelstrafen und die Gesamtstrafe, neu zu bemessen sind. Dies obliegt dem neuen Tatrichter.
Er hat insofern in wertender Betrachtung zu entscheiden, ob und in welchem Umfang der zeitliche Abstand zwischen Tat und dem (neuen) Urteil sowie die besonderen Belastungen, denen der Angeklagte wegen der (überlangen) Verfahrensdauer ausgesetzt war, bei der Straffestsetzung in den Grenzen des gesetzlich eröffneten Strafrahmens mildernd zu berücksichtigen sind. Die entsprechenden Erörterungen sind als bestimmende Zumessungsfaktoren in den Urteilsgründen kenntlich zu machen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO); einer Bezifferung des Maßes der Strafmilderung bedarf es hingegen nicht (vgl. BGH aaO 866).
Becker Pfister von Lienen
Hubert Schäfer

(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate.

(2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen, so entscheiden der Große Senat für Zivilsachen, wenn ein Zivilsenat von einem anderen Zivilsenat oder von dem Großen Zivilsenat, der Große Senat für Strafsachen, wenn ein Strafsenat von einem anderen Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen, die Vereinigten Großen Senate, wenn ein Zivilsenat von einem Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen oder ein Strafsenat von einem Zivilsenat oder von dem Großen Senat für Zivilsachen oder ein Senat von den Vereinigten Großen Senaten abweichen will.

(3) Eine Vorlage an den Großen Senat oder die Vereinigten Großen Senate ist nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, daß er an seiner Rechtsauffassung festhält. Kann der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit der Rechtsfrage nicht mehr befaßt werden, tritt der Senat an seine Stelle, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für den Fall, in dem abweichend entschieden wurde, zuständig wäre. Über die Anfrage und die Antwort entscheidet der jeweilige Senat durch Beschluß in der für Urteile erforderlichen Besetzung; § 97 Abs. 2 Satz 1 des Steuerberatungsgesetzes und § 74 Abs. 2 Satz 1 der Wirtschaftsprüferordnung bleiben unberührt.

(4) Der erkennende Senat kann eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

(5) Der Große Senat für Zivilsachen besteht aus dem Präsidenten und je einem Mitglied der Zivilsenate, der Große Senate für Strafsachen aus dem Präsidenten und je zwei Mitgliedern der Strafsenate. Legt ein anderer Senat vor oder soll von dessen Entscheidung abgewichen werden, ist auch ein Mitglied dieses Senats im Großen Senat vertreten. Die Vereinigten Großen Senate bestehen aus dem Präsidenten und den Mitgliedern der Großen Senate.

(6) Die Mitglieder und die Vertreter werden durch das Präsidium für ein Geschäftsjahr bestellt. Dies gilt auch für das Mitglied eines anderen Senats nach Absatz 5 Satz 2 und für seinen Vertreter. Den Vorsitz in den Großen Senaten und den Vereinigten Großen Senaten führt der Präsident, bei Verhinderung das dienstälteste Mitglied. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.

(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe.

(2) Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 173/09
vom
16. Juni 2009
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 16. Juni
2009 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 14. November 2005 im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 13 Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in zwei Fällen zur Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
Der Rechtsfolgenausspruch kann hingegen nicht bestehen bleiben, weil das Verfahren nach Erlass des angefochtenen Urteils in rechtsstaatswidriger Weise verzögert worden ist.
3
1. Zur Erforderlichkeit einer deshalb zu treffenden Kompensationsentscheidung hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift Folgendes ausgeführt: "Das Verfahren ist nach Erlass des angefochtenen Urteils … unter Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK dadurch in rechtsstaatswidriger Weise verzögert worden, dass die Originalakten seit dem 15. Mai 2006 in Verlust geraten sind … und erst im Februar/März 2009 rekonstruiert werden konnten, obwohl sich der Verteidiger bereits mehrfach nach dem Stand des Revisionsverfahrens erkundigt hatte … . Nachdem der Verteidiger die Revision mit Schriftsatz vom 30. Januar 2006 begründet hatte, hätten die Akten dem Generalbundesanwalt bei ordnungsgemäßem Verfahrensgang alsbald danach vorgelegt werden müssen. Tatsächlich sind die Akten dort erst am 15. April 2009 eingegangen , wobei die Originalakten zwischenzeitlich wieder aufgefunden und nachgesandt wurden. Dadurch hat sich eine Verfahrensverzögerung von nahezu drei Jahren ergeben. Diese nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist eingetretene Verzögerung ist auf die Sachrüge hin von Amts wegen zu berücksichtigen (BGH NStZ 2004, 52). Wegen des Ausmaßes der Verfahrensverzögerung sowie des damit verbundenen Zeitablaufs und der Notwendigkeit der Feststellung ihrer Auswirkungen auf den Angeklagten ist die Entscheidung über eine Kompensation des Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK dem Tatrichter vorbehalten."
4
Dem schließt sich der Senat an.
5
2. Wegen der nach Erlass des angefochtenen Urteils eingetretenen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung kann unter den gegebenen Umständen aber auch der gesamte Strafausspruch nicht bestehen bleiben. Zwar stellt die im Wege der Anrechnung vorzunehmende Kompensation (Vollstre- ckungslösung) einen an dem Entschädigungsgedanken orientierten eigenen rechtlichen Weg neben der Strafzumessung im engeren Sinn dar, so dass der Strafausspruch und die Kompensationsentscheidung grundsätzlich selbständig nebeneinander stehen und auch getrennt voneinander zu beurteilen sind (so inzwischen auch BGH, Urt. vom 18. Juni 2009 - 3 StR 89/09). Allerdings wird der (überlangen) Verfahrensdauer dadurch nicht ihre Bedeutung als Strafzumessungsgrund genommen. Sie bleibt als solcher zunächst bedeutsam deswegen , weil allein schon durch einen besonders langen Zeitraum, der zwischen der Tat und dem Urteil liegt, das Strafbedürfnis allgemein abnimmt. Sie behält ihre Relevanz aber gerade auch wegen der konkreten Belastungen, die für den Angeklagten mit dem gegen ihn geführten Verfahren verbunden sind und die sich generell um so stärker mildernd auswirken, je mehr Zeit zwischen dem Zeitpunkt, in dem er von den gegen ihn laufenden Ermittlungen erfährt, und dem Verfahrensabschluss verstreicht; diese sind bei der Straffindung unabhängig davon zu berücksichtigen, ob die Verfahrensdauer durch eine rechtsstaatswidrige Verzögerung mitbedingt ist. Lediglich der hiermit zwar faktisch eng verschränkte, rechtlich jedoch gesondert zu bewertende und zu entschädigende Gesichtspunkt, dass eine überlange Verfahrensdauer (teilweise) auf einem konventions- und rechtsstaatswidrigen Verhalten der Strafverfolgungsbehörden beruht, wird aus dem Vorgang der Strafzumessung, dem er wesensfremd ist, herausgelöst und durch die bezifferte Anrechnung auf die im Sinne des § 46 StGB angemessene Strafe gesondert ausgeglichen (vgl. BGH - GS - NJW 2008, 860, 865 m. w. N.; zum Abdruck in BGHSt 52, 124 bestimmt).
6
Dies führt jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden, in denen der Abschluss des Verfahrens rechtsstaatswidrig um mehrere Jahre verzögert worden ist, dazu, dass auch der gesamte Strafausspruch, also alle Einzelstrafen und die Gesamtstrafe, neu zu bemessen sind. Dies obliegt dem neuen Tatrichter.
Er hat insofern in wertender Betrachtung zu entscheiden, ob und in welchem Umfang der zeitliche Abstand zwischen Tat und dem (neuen) Urteil sowie die besonderen Belastungen, denen der Angeklagte wegen der (überlangen) Verfahrensdauer ausgesetzt war, bei der Straffestsetzung in den Grenzen des gesetzlich eröffneten Strafrahmens mildernd zu berücksichtigen sind. Die entsprechenden Erörterungen sind als bestimmende Zumessungsfaktoren in den Urteilsgründen kenntlich zu machen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO); einer Bezifferung des Maßes der Strafmilderung bedarf es hingegen nicht (vgl. BGH aaO 866).
Becker Pfister von Lienen
Hubert Schäfer

(1) Die Verjährung schließt die Ahndung der Tat und die Anordnung von Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8) aus. § 76a Absatz 2 bleibt unberührt.

(2) Verbrechen nach § 211 (Mord) verjähren nicht.

(3) Soweit die Verfolgung verjährt, beträgt die Verjährungsfrist

1.
dreißig Jahre bei Taten, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind,
2.
zwanzig Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als zehn Jahren bedroht sind,
3.
zehn Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als fünf Jahren bis zu zehn Jahren bedroht sind,
4.
fünf Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als einem Jahr bis zu fünf Jahren bedroht sind,
5.
drei Jahre bei den übrigen Taten.

(4) Die Frist richtet sich nach der Strafdrohung des Gesetzes, dessen Tatbestand die Tat verwirklicht, ohne Rücksicht auf Schärfungen oder Milderungen, die nach den Vorschriften des Allgemeinen Teils oder für besonders schwere oder minder schwere Fälle vorgesehen sind.

(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.

(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.

(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.

(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.

(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.

(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag

1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder
2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
verursacht worden sind.

(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.