Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Jan. 2015 - VI ZR 204/14

bei uns veröffentlicht am13.01.2015
vorgehend
Landgericht Hannover, 3 O 398/12, 25.07.2013
Oberlandesgericht Celle, 14 U 128/13, 26.03.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZR 204/14
vom
13. Januar 2015
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO § 286 (B, E, F)
Wenn es um die Beurteilung einer Fachwissen voraussetzenden Frage geht, darf der
Tatrichter auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur verzichten, wenn
er entsprechende eigene besondere Sachkunde auszuweisen vermag. Zudem muss
das Gericht, wenn es bei seiner Entscheidung eigene Sachkunde in Anspruch nehmen
will, den Parteien zuvor einen entsprechenden Hinweis erteilen.
BGH, Beschluss vom 13. Januar 2015 - VI ZR 204/14 - OLG Celle
LG Hannover
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Januar 2015 durch den
Vorsitzenden Richter Galke, die Richterin Diederichsen, die Richter Pauge und
Offenloch und die Richterin Dr. Oehler

beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 26. März 2014 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens derNichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Gegenstandswert: 184.211,72 €

Gründe:

1
1. Die Klägerin führte am 7. April 2009 ihr Dressur- und Reitpferd auf der rechten Seite eines nur für land- und forstwirtschaftlichen Verkehr freigegebenen Weges, wobei sie selbst auf dem Asphalt ging, während sich das Pferd auf dem Grünstreifen rechts neben dem Weg befand. Der Beklagte zu 2 befuhr den Weg mit seinem bei der Beklagten zu 1 haftpflichtversicherten Pkw. Er näherte sich der Klägerin von hinten und bog nach links auf ein Feld ab, um zu einem dort befindlichen Misthaufen zu gelangen. Ob er die Klägerin zuvor überholt hatte, ist streitig. Das Pferd brach aus und fügte der Klägerin schwere Verletzungen zu. Die Klägerin begehrt Ersatz materiellen und immateriellen Schadens. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Die Revision hat das Oberlandesgericht nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde. Sie möchte ihr Begehren mit der Revision in vollem Umfang weiterverfolgen.
2
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand und verletzt die Klägerin in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör.
3
a) Während das Landgericht eine Haftung der Beklagten aus § 7 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 VVG deswegen verneint hat, weil sich nicht feststellen lasse , dass die von dem Pkw ausgehende Betriebsgefahr für das Ausbrechen des Pferdes ursächlich gewesen sei, insbesondere deshalb nicht, weil nicht aufgeklärt werden könne, wo sich die Klägerin befunden habe, als das Pferd ausbrach , hat das Berufungsgericht dahinstehen lassen, ob nähere Feststellungen zur Position der Klägerin zum Zeitpunkt des Scheuens des Pferdes möglich seien und der Betrieb des Kraftfahrzeugs für das Ausbrechen des Pferdes ursächlich gewesen ist. Für die Revisionsinstanz ist deshalb zugunsten der Klägerin zu unterstellen, dass die Betriebsgefahr aufgrund der örtlichen Gegebenheiten für das Ausbrechen des Pferdes ursächlich war.
4
b) Die Nichtzulassungsbeschwerde wendet sich mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht die Haftung der Beklagten wegen eines überwiegenden Eigenverschuldens der Klägerin verneint hat.
5
aa) Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Recht, dass das Berufungsgericht der Klägerin ein unfallursächliches Fehlverhalten ohne Einholung des von ihr beantragten Sachverständigengutachtens allein auf der Grundlage angeblicher eigener Sachkunde der Senatsvorsitzenden angelastet hat. Das Berufungsgericht hat verkannt, dass der Tatrichter, wenn es um die Beurteilung einer Fachwissen voraussetzenden Frage geht, auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur verzichten darf, wenn er entsprechende eigene besondere Sachkunde auszuweisen vermag (vgl. BGH, Urteil vom 23. November 2006 - III ZR 65/06, NJW-RR 2007, 357 Rn. 14 mwN). Dies ist in dem angefochtenen Urteil nicht ausreichend dargetan. Zudem muss das Gericht, wenn es bei seiner Entscheidung eigene Sachkunde in Anspruch nehmen will, den Parteien zuvor einen entsprechenden Hinweis erteilen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1997 - VII ZR 231/95, NJW-RR 1997, 1108 mwN). Auch dies ist nicht geschehen.
6
bb) Mit Erfolg beanstandet die Nichtzulassungsbeschwerde auch, dass sich das Berufungsgericht nicht hinreichend mit dem von der Klägerin vorgelegten Privatgutachten befasst habe, aus dem sich im Einzelnen ergebe, dass diese sich bei der Annäherung des Pkw völlig richtig verhalten und insbesondere ihr Pferd so ausgerichtet habe, dass es den herannahenden Pkw habe wahrnehmen können. Wenn das Gericht den auf eine privatgutachterliche Stellungnahme gestützten Vortrag einer Partei übergeht, kann deren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt sein (Senatsbeschluss vom 22. September 2009 - VI ZR 32/09, VersR 2010, 72). Dies ist hier der Fall. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, naheliegend und richtig wäre für die Klägerin ein Vorgehen dergestalt gewesen, das neben ihr auf dem Grünstreifen grasende Pferd unverzüglich möglichst weit nach rechts auf die dortige Grasfläche zu verbringen, mithin also so weit wie möglich aus dem Gefahrenbereich heraus. Dabei hätte das Pferd zugleich seitwärts zur Fahrbahn gedreht werden können, um es in die Lage zu versetzen, das herannahende Fahrzeug optisch wahrzunehmen. Wie die Privatgutachterin W. dargelegt hat, hätte die Klägerin, wenn sie auf der rechten Seite des Weges geblieben wäre und ihr Pferd dort gewendet hätte, mit ihrem Pferd abschüssig auf einen bepflanzten Acker und vor allem in einem größeren Bogen rechts außen um ihr Pferd herum gehen und damit weiter ausholen müssen. Sodann hätte sie nicht, wie es zweckmäßig gewesen wäre, zwischen Pferd und Verkehr, sondern, was gefährlich gewesen wäre, genau in der Fluchtrichtung des möglicherweise vor dem Auto scheuenden Pferdes gestanden. Stattdessen sei die Klägerin auf dem kürzesten Weg in Richtung einer größeren, für sie und ihr Pferd in diesem Moment sichereren Fläche gewechselt. Zudem habe sie ihr Pferd so ausgerichtet, dass es den herannahenden Pkw habe erkennen können. Die Klägerin habe deshalb gerade nicht in der Fluchtrichtung des Pferdes gestanden. Dieses Vorbringen hat das Berufungsgericht nicht hinreichend berücksichtigt.
7
cc) Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt auch mit Erfolg, dass das Berufungsgericht die Beweislastverteilung verkannt hat. Da die Beklagten für ein Mitverschulden der Klägerin beweisbelastet sind, darf für dessen Bejahung nur ein Sachverhalt zugrunde gelegt werden, den diese selbst vorgetragen hat oder der zu ihrem Nachteil bewiesen ist (vgl. Senatsurteil vom 24. September 2013 - VI ZR 255/12, VersR 2014, 80 mwN). Die Klägerin hat jedoch, wie ausgeführt, vorgetragen, sie sei von der rechten auf die linke Straßenseite gewechselt und habe auf dieser - etwas breiteren - Seite sich und ihr Pferd in die Richtung des Autos gedreht. Wenn dies zuträfe, hätte die Klägerin aber zwischen ihrem Pferd und dem Verkehr gestanden, so dass das Pferd im Falle des Fliehens von der Gefahr Weg - also vom Verkehr Weg - auch von ihr Weg zur anderen Seite, also in Richtung Misthaufen hätte fliehen können. Bei dieser Sachlage könnte der Klägerin kein unfallursächliches Mitverschulden angelastet werden. Zwar hat das Berufungsgericht ausgeführt, die Klägerin habe sich nach dem Überschrei- ten der Fahrbahn aus Sicht des Beklagten zu 2 hinter ihrem Pferd befunden. Diese Feststellung findet jedoch keine Grundlage in dem Sachvortrag der Klägerin und verletzt diese in ihrem verfahrensgrundrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG.
8
c) Das angefochtene Urteil war deshalb aufzuheben. Die Sache war an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird bei erneuter Befassung Gelegenheit haben, auch das weitere Vorbringen in der Revisionsinstanz zu berücksichtigen. Galke Diederichsen Pauge Offenloch Oehler
Vorinstanzen:
LG Hannover, Entscheidung vom 25.07.2013 - 3 O 398/12 -
OLG Celle, Entscheidung vom 26.03.2014 - 14 U 128/13 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Jan. 2015 - VI ZR 204/14

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Jan. 2015 - VI ZR 204/14

Referenzen - Gesetze

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Zivilprozessordnung - ZPO | § 286 Freie Beweiswürdigung


(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 544 Nichtzulassungsbeschwerde


(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde). (2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn1.der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Eur
Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Jan. 2015 - VI ZR 204/14 zitiert 7 §§.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Zivilprozessordnung - ZPO | § 286 Freie Beweiswürdigung


(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 544 Nichtzulassungsbeschwerde


(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde). (2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn1.der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Eur

Straßenverkehrsgesetz - StVG | § 7 Haftung des Halters, Schwarzfahrt


(1) Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. (2) D

Versicherungsvertragsgesetz - VVG 2008 | § 115 Direktanspruch


(1) Der Dritte kann seinen Anspruch auf Schadensersatz auch gegen den Versicherer geltend machen, 1. wenn es sich um eine Haftpflichtversicherung zur Erfüllung einer nach dem Pflichtversicherungsgesetz bestehenden Versicherungspflicht handelt oder2.

Referenzen - Urteile

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Referenzen

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.

(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).

(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder
2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.

(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.

(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.

(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.

(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.

(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.

(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.

(1) Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.

(2) Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wird.

(3) Benutzt jemand das Kraftfahrzeug ohne Wissen und Willen des Fahrzeughalters, so ist er anstelle des Halters zum Ersatz des Schadens verpflichtet; daneben bleibt der Halter zum Ersatz des Schadens verpflichtet, wenn die Benutzung des Kraftfahrzeugs durch sein Verschulden ermöglicht worden ist. Satz 1 findet keine Anwendung, wenn der Benutzer vom Fahrzeughalter für den Betrieb des Kraftfahrzeugs angestellt ist oder wenn ihm das Kraftfahrzeug vom Halter überlassen worden ist.

(1) Der Dritte kann seinen Anspruch auf Schadensersatz auch gegen den Versicherer geltend machen,

1.
wenn es sich um eine Haftpflichtversicherung zur Erfüllung einer nach dem Pflichtversicherungsgesetz bestehenden Versicherungspflicht handelt oder
2.
wenn über das Vermögen des Versicherungsnehmers das Insolvenzverfahren eröffnet oder der Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen worden ist oder ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt worden ist oder
3.
wenn der Aufenthalt des Versicherungsnehmers unbekannt ist.
Der Anspruch besteht im Rahmen der Leistungspflicht des Versicherers aus dem Versicherungsverhältnis und, soweit eine Leistungspflicht nicht besteht, im Rahmen des § 117 Abs. 1 bis 4. Der Versicherer hat den Schadensersatz in Geld zu leisten. Der Versicherer und der ersatzpflichtige Versicherungsnehmer haften als Gesamtschuldner.

(2) Der Anspruch nach Absatz 1 unterliegt der gleichen Verjährung wie der Schadensersatzanspruch gegen den ersatzpflichtigen Versicherungsnehmer. Die Verjährung beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem die Verjährung des Schadensersatzanspruchs gegen den ersatzpflichtigen Versicherungsnehmer beginnt; sie endet jedoch spätestens nach zehn Jahren von dem Eintritt des Schadens an. Ist der Anspruch des Dritten bei dem Versicherer angemeldet worden, ist die Verjährung bis zu dem Zeitpunkt gehemmt, zu dem die Entscheidung des Versicherers dem Anspruchsteller in Textform zugeht. Die Hemmung, die Ablaufhemmung und der Neubeginn der Verjährung des Anspruchs gegen den Versicherer wirken auch gegenüber dem ersatzpflichtigen Versicherungsnehmer und umgekehrt.

14
Es ist zwar grundsätzlich dem pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters überlassen, ob er seine eigene Sachkunde für ausreichend erachtet und deshalb von der Einholung eines Sachverständigengutachtens absieht (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 21. März 2000 - VI ZR 158/99 - NJW 2000, 1946, 1947). Die Grenze seines Ermessens hat das Berufungsgericht jedoch nicht eingehalten. Die Würdigung eines nicht einfachen technischen Sachverhalts, wie die Beurteilung , in welcher Weise das auf dem Rechner des Beklagten vorgefundene Schadprogramm wirkt und ob es das umstrittene Entgeltaufkommen verursachen konnte, setzt besondere computertechnische Kenntnisse voraus und wird nicht schon durch die Kenntnis allgemeiner Erfahrungssätze ermöglicht (Ernst CR 2006, 590, 594). Der Tatrichter kann, wenn es um die Beurteilung einer Fachwissen voraussetzenden Frage geht, auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur verzichten, wenn er entsprechende eigene besondere Sachkunde auszuweisen vermag (z.B.: BGHZ 159, 254, 262; BGH, Urteile vom 17. Oktober 2001 - IV ZR 205/00 - NJW-RR 2002, 166, 167 und vom 14. Februar 1995 - VI ZR 106/94 - NJW 1995, 1619 jew. m.w.N.). Eigenes computer- technisches Fachwissen hat das Berufungsgericht jedoch weder in dem Urteil noch, wie es außerdem geboten gewesen wäre (vgl. MünchKommZPO/Damrau , ZPO, 2. Aufl., § 402 Rn. 7; Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 402 Rn. 7), in einem vorherigen Hinweis an die Parteien dargetan.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZR 32/09
vom
22. September 2009
in dem Rechtsstreit
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. September 2009 durch
den Vorsitzenden Richter Galke, den Richter Zoll, die Richterin Diederichsen,
den Richter Pauge und die Richterin von Pentz

beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 18. Dezember 2008 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Gegenstandswert: 163.866,60 €

Gründe:


1
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
2
1. Nicht zu beanstanden und von der Nichtzulassungsbeschwerde als ihr günstig nicht angegriffen ist allerdings die Annahme des Berufungsgerichts, dem Beklagten sei ein Behandlungsfehler unterlaufen, weil er den verstorbenen Ehemann der Klägerin nicht unverzüglich mit Notarztwagen in ein Krankenhaus eingewiesen hat. Das Berufungsgericht stützt sich insoweit rechtsfehlerfrei auf die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. K. . Nach dessen Ausführungen im Gutachten vom 10. Juli 2006, in der ergänzenden Stellungnahme vom 23. November 2006 und in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 12. April 2007 wies der verstorbene Ehemann der Klägerin ein Hochrisikoprofil mit fünf Risikofaktoren für eine koronare Herzerkrankung (Nikotinabusus, Bluthochdruck, familiäre Belastung, Adipositas und Blutzuckererhöhung ) auf. Angesichts dieser Risikofaktoren und der vom verstorbenen Ehemann der Klägerin am 11. März 2004 mitgeteilten Schmerzsymptomatik hätte die Veränderung in dem vom Beklagten an diesem Tag erstellten EKG im Vergleich zum Vor-EKG vom 18. Februar 2000 zu einer sofortigen Krankenhauseinweisung mit Notarztwagen führen müssen. Diese Einschätzung bestätigte der gerichtliche Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 27. November 2008. Er bejahte die Frage des Klägervertreters , ob ein Handlungsbedarf dringend gewesen sei, um Weiterungen zu vermeiden. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 12. April 2007 führte er aus, dass die Konsequenz einer unterlassenen Krankenhauseinweisung der Tod des Patienten sein könne.
3
2. Unter entscheidungserheblichem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist das Berufungsgericht jedoch zu der Ansicht gelangt, der dem Beklagten unterlaufene Behandlungsfehler sei nicht als grob zu qualifizieren.
4
a) Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Erfolg, dass das Berufungsgericht bei seiner Entscheidungsfindung den Vortrag der Klägerin in ihren Schriftsätzen vom 6. März und 23. August 2007 sowie die von ihr vorgelegte privatgutachterliche Stellungnahme des Dr. W. übergangen hat, wonach eine sofortige Einweisung des verstorbenen Ehemanns der Klägerin unabhän- gig von der Frage, ob das Zeitfenster für die Behandlung eines akuten Herzinfarkts bereits überschritten war, schon deshalb zwingend geboten war, um typischerweise nach einem Herzinfarkt auftretende lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen festzustellen und zu behandeln. Diesen Gesichtspunkt hatte auch der gerichtliche Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht hervorgehoben. Ist das Leben des Patienten aber durch möglicherweise infolge eines stattgefundenen Infarkts auftretende Herzrhythmusstörungen konkret gefährdet, so muss dieser Gesichtspunkt bei der Gewichtung des Behandlungsfehlers Berücksichtigung finden.
5
b) Das Berufungsgericht hat entscheidungserhebliches Vorbringen der Klägerin auch dadurch übergangen, dass es in keiner Weise auf die Aufklärung des zwischen der Stellungnahme des Dr. W. und den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen bestehenden Widerspruchs hinsichtlich der Frage hingewirkt hat, ob die Vorgehensweise des Beklagten als grob fehlerhaft zu bewerten ist. Nach der Stellungnahme des Dr. W. erscheint es nicht verständlich, dass der verstorbene Ehemann der Klägerin nicht stationär eingewiesen worden ist. Ein Patient mit EKG-Veränderungen, wie sie beim verstorbenen Ehemann der Klägerin aufgetreten seien, müsse unabhängig von Beschwerden intensiv medizinisch überwacht werden, da in einem subakuten Infarktstadium ein erhöhtes Risiko von Herzrhythmusstörungen besteht. Mit diesen Ausführungen hat sich das Berufungsgericht nicht auseinandergesetzt.
6
In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass auch den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Anhaltspunkte dafür zu entnehmen sind, dass es sich bei der unterlassenen Krankenhauseinweisung um einen eindeutigen Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse und damit um einen Fehler handeln könnte, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlech- terdings nicht unterlaufen darf (vgl. zum Begriff des groben Behandlungsfehlers: Senatsurteil vom 16. Juni 2009 - VI ZR 157/08 - z.V.b., m.w.N.). Der Sachverständige hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht ausgeführt, dass es ein unverzeihlicher Fehler gewesen wäre, wenn der Beklagte einen frischen Infarkt festgestellt und den verstorbenen Ehemann der Klägerin nicht ins Krankenhaus eingewiesen hätte, wobei er unter einem frischen Infarkt einen solchen verstehe, der nicht mehr als 48 Stunden zurückliege. Der Sachverständige hat weiter angegeben, dass das Ergebnis der Untersuchung am 11. März 2004 zu einer sofortigen Einweisung des Ehemanns der Klägerin mit Notarztwagen hätte führen müssen und dass die mögliche Konsequenz einer unterlassenen Einweisung der Tod des Patienten sei. Er hat diese Beurteilung zu keiner Zeit eingeschränkt oder relativiert und insbesondere daran festgehalten, dass eine sofortige Einweisung mit Notarztwagen geboten war. Auf Frage des Klägers hat er bestätigt, dass ein dringender Handlungsbedarf bestand, um Weiterungen zu vermeiden.
7
Bei dieser Sachlage hätte sich das Berufungsgericht nicht ohne Weiteres der Angabe des Sachverständigen anschließen dürfen, ein grober Behandlungsfehler sei nicht anzunehmen, weil der auf dem EKG erkennbare Infarkt mehr als 12 Stunden zurück gelegen habe und eine Behandlung des Gefäßverschlusses deshalb nicht mehr möglich gewesen sei. Wäre dies der Fall, so wäre nicht erklärlich, warum der verstorbene Ehemann der Klägerin sofort mit dem Notarztwagen in das Krankenhaus hätte eingewiesen werden müssen. Das Berufungsgericht hätte die Äußerungen des Sachverständigen zum Gewicht des Behandlungsfehlers vielmehr kritisch überprüfen und den soeben aufgezeigten Zweifeln an der Bewertung des Behandlungsgeschehens durch Erörterung sowohl des für eine solche Behandlung geltenden Sorgfaltsmaßstabs als auch des Begriffs des Behandlungsfehlers mit dem Sachverständigen, ggf. durch Einholung eines neuen Gutachtens, nachgehen müssen. Denn nach der stän- digen Rechtsprechung des erkennenden Senats muss der Tatrichter berücksichtigen , dass medizinische Sachverständige Behandlungsfehler nicht selten nur zurückhaltend ansprechen oder bewerten (vgl. BGHZ 172, 254, 259; Senatsbeschluss vom 9. Juni 2009 - VI ZR 261/08 - z.V.b., jeweils m.w.N.).
8
c) Die Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Berücksichtigung des Sachvortrags der Klägerin und der von ihr vorgelegten privatgutachterlichen Stellungnahme des Dr. W. zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre.
9
3. Bei der neuen Verhandlung wird das Berufungsgericht Gelegenheit haben, sich mit den von der Klägerin in der Nichtzulassungsbeschwerdebegründung im Einzelnen aufgezeigten Widersprüchen im Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. K. auseinanderzusetzen und auf die weitere Aufklärung des Sachverhalts hinzuwirken. Das Berufungsgericht wird darüber hinaus zu klären haben, ob es sich bei dem Behandlungsfehler des Beklagten tatsächlich - wie das Berufungsgericht angenommen hat - um einen Diagnosefehler oder nicht vielmehr um einen Befunderhebungsfehler wegen unterlassener Durchführung der gebotenen Anschlussdiagnostik (serielles EKG, Blutabnahme, Feststellung des Vorliegens von Herzrhythmusstörungen, etc.) gehandelt hat. Galke Zoll Diederichsen Pauge von Pentz
Vorinstanzen:
LG Braunschweig, Entscheidung vom 24.05.2007 - 4 O 2272/05 -
OLG Braunschweig, Entscheidung vom 18.12.2008 - 1 U 49/07 -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 255/12 Verkündet am:
24. September 2013
Holmes
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Bei einem Unfall zwischen einem Fußgänger und einem Kraftfahrzeug darf
bei der Abwägung der Verursachungsanteile im Rahmen des § 254 Abs. 1
BGB nur schuldhaftes Verhalten des Fußgängers verwertet werden, von dem
feststeht, dass es zu dem Schaden oder zu dem Schadensumfang beigetragen
hat.

b) Die Beweislast für den unfallursächlichen Mitverschuldensanteil des Fußgängers
trägt regelmäßig der Halter des Kraftfahrzeugs.
BGH, Urteil vom 24. September 2013 - VI ZR 255/12 - OLG Celle
LG Hildesheim
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 24. September 2013 durch den Vorsitzenden Richter Galke, den Richter
Zoll, die Richterin Diederichsen und die Richter Pauge und Stöhr

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 3. Mai 2012 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Klägerin begehrt von den Beklagten wegen der Folgen eines Verkehrsunfalls Schmerzensgeld und Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung zukünftiger Schäden vorbehaltlich des Anspruchsübergangs auf Dritte, wobei sie eine Mithaftung von 75% hinnimmt.
2
Die Klägerin wurde am 6. Februar 2009 gegen 20.11 Uhr als Fußgängerin beim Überqueren einer innerörtlichen Straße von dem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten PKW erfasst, dessen Halterin und Fahrerin die Beklag- te zu 1 war. Dabei wurde die Klägerin schwer verletzt. Bei der ihr entnommenen Blutprobe wurde eine BAK von 1,75 Promille festgestellt.
3
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

4
Das Berufungsgericht verneint einen Schmerzensgeldanspruch der Klägerin gegen die Beklagten gemäß § 7 Abs. 1, § 11 Satz 2 StVG, § 115 Abs. 1 VVG. Zwar habe sich der Unfall beim Betrieb des Fahrzeugs der Beklagten zu 1 ereignet, doch habe die Klägerin ein Verschulden der Beklagten zu 1 am Zustandekommen des Unfalls nicht bewiesen. Das von der Klägerin angebotene unfallanalytische Sachverständigengutachten scheide als Beweismittel aus, weil die notwendigen ausreichend konkreten Anknüpfungstatsachen, insbesondere Entfernungen, Abstände, Endlagen und Geschwindigkeiten für die Erstellung eines unfallanalytischen Gutachtens nicht gegeben seien. Zwar könnten die Beklagten auch nicht den Unabwendbarkeitsbeweis führen, doch treffe die Klägerin ein überwiegendes Mitverschulden am Zustandekommen des Unfalls. Sie habe in erheblich alkoholisiertem Zustand unter Verstoß gegen § 25 Abs. 3 StVO die Straße überquert, ohne auf den Fahrzeugverkehr zu achten. Das Verschulden der Klägerin überwiege dermaßen, dass die Betriebsgefahr dahinter zurücktrete.

II.

5
Das Berufungsurteil hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
6
1. Im Ansatz geht das Berufungsgericht allerdings zutreffend davon aus, dass die Beklagten auch ohne den Beweis eines Verschuldens der Beklagten zu 1 grundsätzlich aufgrund der Betriebsgefahr des Fahrzeuges für den unfallbedingten Schaden gemäß § 7 Abs. 1, § 11 Satz 2 StVG, § 115 Abs. 1 VVG einzustehen haben, weil sie nicht den Beweis der Verursachung durch höhere Gewalt gemäß § 7 Abs. 2 StVG führen können.
7
2. Das Berufungsurteil kann jedoch keinen Bestand haben, soweit es die Haftung der Beklagten wegen des überwiegenden Verschuldens der Klägerin verneint. Da die Klägerin weder Halterin noch Führerin eines beteiligten Fahrzeuges war, kommt eine Anspruchskürzung nach den §§ 17, 18 StVG nicht in Betracht. Die Beklagten zu 1 und 2 haften der Klägerin grundsätzlich als Gesamtschuldner in vollem Umfang. Die Gefährdungshaftung kann allerdings im Rahmen der Abwägung nach § 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB entfallen, wenn die im Vordergrund stehende Schadensursache ein grob verkehrswidriges Verhalten des Geschädigten darstellt (st. Rspr., vgl. Senatsurteile vom 21. Dezember 1955 - VI ZR 63/55, VersR 1956, 238 f.; vom 12. Oktober 1965 - VI ZR 81/64, VersR 1966, 39 f.; vom 18. März 1969 - VI ZR 242/67, VersR 1969, 571, 572 und vom 13. Februar 1990 - VI ZR 128/89, VersR 1990, 535, 536). Die Abwägung nach § 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB setzt jedoch stets die Feststellung eines haftungsbegründenden Tatbestandes auf der Seite des Geschädigten voraus. Die für die Abwägung maßgebenden Umstände müssen feststehen, d.h. unstreitig, zugestanden oder nach § 286 ZPO bewiesen und für die Entstehung des Schadens ursächlich geworden sein (vgl. Senatsurteile vom 15. November 1960 - VI ZR 30/60, VersR 1961, 249, 250; vom 8. Januar 1963 - VI ZR 35/62, VersR 1963, 285, 286; vom 29. November 1977 - VI ZR 51/76, VersR 1978, 183, 185; vom 10. Januar 1995 - VI ZR 247/94, VersR 1995, 357, 358 und vom 21. November 2006 - VI ZR 115/05, VersR 2007, 263 Rn. 15 ff.; BGH, Urteil vom 20. Februar 2013 - VIII ZR 339/11, NJW 2013, 2018 Rn. 34). Nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung aufgrund geschaffener Gefährdungslage haben außer Betracht zu bleiben (vgl. Senatsurteil vom 20. März 2012 - VI ZR 3/11, VersR 2012, 865 Rn. 12). Für die Abwägung der Verursachungsanteile im Rahmen des § 254 Abs. 1 BGB ist mithin nur das Verhalten der Klägerin maßgebend, das sich erwiesenermaßen als Gefahrenmoment in dem Unfall ursächlich niedergeschlagen hat (vgl. Senatsurteil vom 10. Januar 1995 - VI ZR 247/94 aaO).
8
Nach diesen Grundsätzen durfte das Berufungsgericht auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht annehmen, das Verschulden der Klägerin überwiege gegenüber der nicht ausgeräumten Betriebsgefahr des Fahrzeugs der Beklagten dermaßen, dass die Betriebsgefahr hinter dem Verschulden der Klägerin zurücktrete. Mangels ausreichender Feststellungen zum Unfallhergang ergibt sich ein derart überwiegendes Mitverschulden der Klägerin am Zustandekommen des Unfalls nicht bereits daraus, dass diese in erheblich alkoholisiertem Zustand unter Verstoß gegen § 25 Abs. 3 StVO die Straße überquerte, ohne auf den Fahrzeugverkehr zu achten. Insoweit erweist sich das Berufungsurteil als widersprüchlich zu der Begründung, mit der das Berufungsgericht die Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens abgelehnt hat. Dazu heißt es in dem angefochtenen Urteil, dass sich weder aus der Ermittlungsakte noch aus der Aussage des Zeugen M. oder der Anhörung der Parteien konkrete Anknüpfungstatsachen, insbesondere Entfernungen, Abstände, Endlagen und Geschwindigkeiten entnehmen ließen, die ausreichten, um einen Sachverständigen mit der Erstellung eines unfallanalytischen Gutachtens über den Hergang des Unfalls zu beauftragen. Mithin stand für das Berufungsgericht weder fest, welche Wegstrecke die Klägerin auf der Fahrbahn bis zum Erreichen des Kollisionsorts zurückgelegt hat, noch dass sie für die Beklagte zu 1 nicht erkennbar gewesen ist und der Unfall durch eine sofortige Reaktion der Beklagten zu 1 nicht hätte vermieden werden können.
9
Das Berufungsgericht hat außerdem verkannt, dass bei einer Nichtbeweisbarkeit des Unfallhergangs die Beweislast für den unfallursächlichen Mitverschuldensanteil der Klägerin nach allgemeinen Beweisgrundsätzen (vgl. Baumgärtel/Helling, Handbuch der Beweislast 3. Aufl. § 254 Rn. 6 f.) die Beklagten tragen und nicht die Klägerin.

III.

10
Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Dabei wird sich das Berufungsgericht erforderlichenfalls auch mit der von der Revision erhobenen Verfahrensrüge zu befassen haben. Galke Zoll Diederichsen
Pauge Stöhr

Vorinstanzen:
LG Hildesheim, Entscheidung vom 20.09.2011 - 3 O 417/10 -
OLG Celle, Entscheidung vom 03.05.2012 - 5 U 185/11 -

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.