Bundesgerichtshof Urteil, 22. Nov. 2016 - VI ZR 533/15

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:221116UVIZR533.15.0
bei uns veröffentlicht am22.11.2016
vorgehend
Landgericht Paderborn, 3 O 60/13, 08.10.2014
Oberlandesgericht Hamm, 11 U 186/14, 07.08.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 533/15 Verkündet am:
22. November 2016
Holmes
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Bei einem berührungslosen Unfall ist Voraussetzung für die Zurechnung des Betriebs
eines Kraftfahrzeugs zu einem schädigenden Ereignis, dass es über seine
bloße Anwesenheit an der Unfallstelle hinaus durch seine Fahrweise oder sonstige
Verkehrsbeeinflussung zu der Entstehung des Schadens beigetragen hat (Festhaltung
, Senatsurteil vom 21. September 2010 - VI ZR 263/09).
BGH, Urteil vom 22. November 2016 - VI ZR 533/15 - OLG Hamm
LG Paderborn
ECLI:DE:BGH:2016:221116UVIZR533.15.0

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 22. November 2016 durch den Vorsitzenden Richter Galke, den Richter Offenloch und die Richterinnen Dr. Oehler, Dr. Roloff und Müller
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 7. August 2015 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Kläger nimmt die Beklagten nach einem Verkehrsunfall auf Schmerzensgeld , Schadensersatz und Feststellung bei einer Haftungsquote von 75 % in Anspruch.
2
Am 10. April 2011 fuhr der Kläger auf seiner Ducati S 2 auf der B 83 von Beverungen Richtung Werden, wobei er dem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Motorrad der Beklagten zu 1 folgte. Die Beklagte zu 1 überholte unter Inanspruchnahme der Gegenfahrbahn den Pkw des Zeugen B. Der Kläger wollte sowohl die Beklagte zu 1 als auch den Pkw überholen. Er fuhr weiter außen auf der Gegenfahrbahn und geriet, ohne dass es zu einer Fahrzeugbe- rührung gekommen wäre, in das Bankett. Dort verlor er die Kontrolle, stürzte und verletzte sich schwer.
3
Der Kläger behauptet, er habe die noch hinter dem Pkw des Zeugen B. fahrende Beklagte zu 1 fast schon überholt gehabt, als diese plötzlich ohne Schulterblick und Blinksignal nach links ausgeschert sei, und den Kläger zu einem kontinuierlichen Ausweichen nach links gezwungen habe. Die Beklagten tragen vor, die Beklagte zu 1 habe ordnungsgemäß den Pkw des Zeugen B. überholt und sei kurz vor dem Einscheren nach rechts von dem Kläger in zweiter Reihe verkehrsordnungswidrig überholt worden. Dabei sei er dem linken Fahrbahnrand zu nahe gekommen, ohne dass die Fahrweise der Beklagten zu 1 dazu Veranlassung gegeben habe.
4
Das Landgericht hat durch Grund- und Teilurteil die Haftung der Beklagten dem Grunde nach zu 50 % festgestellt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Berufungsgericht hat das Urteil auf die Berufung der Beklagten aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen. Die Anschlussberufung des Klägers hat es zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Ansprüche weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

5
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt , der Kläger habe keinen Anspruch aus § 7 Abs. 1 StVG, weil sich nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen lasse, dass der ihm entstandene Schaden dem Betrieb des Motorrads der Beklagten zu 1 zuzurechnen sei. Ein offenes Beweisergebnis gehe hierbei zu Lasten des Klägers. Er habe nicht den Beweis geführt, dass ein Sach- und Personenschaden adäquat kausal "bei dem Betrieb" des Motorrads der Beklagten zu 1 entstanden sei.
6
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei das Haftungsmerkmal "bei dem Betrieb" zwar grundsätzlich weit auszulegen und umfasse alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe. Ausreichend sei, dass sich eine von dem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr verwirklicht habe und das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug mitgeprägt worden sei. Erforderlich sei aber stets, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt werde, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handele, hinsichtlich derer der Verkehr schadlos gehalten werden müsse. Die Schadensfolge müsse in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden sei. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr komme es damit maßgeblich darauf an, dass der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs stehe.
7
Ausgehend von diesen Grundsätzen könne die Betriebsgefahr des Motorrads der Beklagten zu 1 nicht dem Schadensereignis zugerechnet werden. Die Zurechnung scheitere zwar nicht schon daran, dass sich die beiden Motorräder nicht berührt hätten. Es lasse sich aber nicht feststellen, dass die Fahrweise der Beklagten zu 1 in einem engen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang auf die Schadensentstehung hingewirkt habe. Allein der Umstand, dass sich die Beklagte zu 1 wegen ihres eigenen Überholmanövers überhaupt auf der Gegenfahrbahn aufgehalten habe, habe keine Reaktion des Klägers im Sinne der angeführten Rechtsprechung ausgelöst.
8
Der Kläger habe nicht den Beweis geführt, dass er nur deshalb auf der Gegenfahrbahn weiter zum Fahrbahnrand geraten sei, weil er dabei auf eine Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung der Beklagten zu 1 reagiert und neben dem eigentlichen Überholmanöver eine zusätzliche Ausweich- oder Abwehrreaktion vorgenommen habe. Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Fahrlinie des Klägers allein auf seinem aktiven Entschluss beruht habe, die bereits im Gegenverkehr befindliche Beklagte zu 1 in einem Bogen zu umfahren, womit das Motorrad der Beklagten zu 1 ebenso wie das überholte Fahrzeug des Zeugen B. einfach nur auf der Straße gewesen wären. Die erstinstanzlich vernommenen Zeugen hätten weder die Darstellung des Klägers noch diejenige der Beklagten bestätigt. Sie hätten die beiden Motorräder erst zur Kenntnis genommen , als sie bereits nebeneinander auf Höhe des Fahrzeugs des Zeugen gewesen seien. Die Einleitung des jeweiligen Überholmanövers hätten sie daher nicht beschreiben können. Der vom Kläger behauptete Unfallhergang sei auch nicht durch das eingeholte schriftliche Sachverständigengutachten bewiesen. Die zeitliche Abfolge der Fahrmanöver habe sich mangels aussagekräftiger Unfallspuren nicht näher aufklären lassen, so dass sich zwar der Unfall dargestellt haben könne wie vom Kläger geschildert, aber die ebenfalls mögliche Unfallvariante der Beklagten nicht ausgeschlossen sei.

II.

9
Das hält den Rügen der Revision im Ergebnis nicht stand.
10
1. Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass die Halterhaftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG und die Haftung des Fahrers aus vermutetem Verschulden gemäß § 7 Abs. 1 i.V.m. § 18 StVG nicht eingreifen, wenn ein in Betrieb befindliches Kraftfahrzeug lediglich an der Unfallstelle anwesend ist, ohne dass es durch seine Fahrweise (oder sonstige Verkehrsbeeinflussung) zu der Entstehung des Schadens beigetragen hat.
11
a) Das Haftungsmerkmal "bei dem Betrieb" ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Vorschrift weit auszulegen. Die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG umfasst daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe. Es genügt, dass sich eine von dem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr ausgewirkt hat und das Schadensgeschehen in dieser Weise durch das Kraftfahrzeug mitgeprägt worden ist. Ob dies der Fall ist, muss mittels einer am Schutzzweck der Haftungsnorm orientierten wertenden Betrachtung beurteilt werden. An diesem auch im Rahmen der Gefährdungshaftung erforderlichen Zurechnungszusammenhang fehlt es, wenn die Schädigung nicht mehr eine spezifische Auswirkung derjenigen Gefahren ist, für die die Haftungsvorschrift den Verkehr schadlos halten will (Senatsurteil vom 26. April 2005 - VI ZR 168/04, VersR 2005, 992, 993 unter II 1 a mwN).
12
Für eine Zurechnung zur Betriebsgefahr kommt es maßgeblich darauf an, dass der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Kausalzusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht. Allerdings hängt die Haftung gemäß § 7 StVG nicht davon ab, ob sich der Führer des im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs verkehrswidrig verhalten hat, und auch nicht davon, dass es zu einer Kollision der Fahrzeuge gekommen ist (Senatsurteil vom 26. April 2005, aaO mwN).
13
Diese weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals "bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs" entspricht dem weiten Schutzzweck des § 7 Abs. 1 StVG und findet darin ihre innere Rechtfertigung. Die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist sozusagen der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kfz - erlaubterweise - eine Gefahrenquelle eröffnet wird, und will daher alle durch den KfzVerkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann "bei dem Betrieb" eines Kfz entstanden, wenn sich von einem Kfz ausgehende Gefahren ausgewirkt haben (Senatsurteil vom 26. April 2005, aaO mwN).
14
Allerdings reicht die bloße Anwesenheit eines im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs an der Unfallstelle für eine Haftung nicht aus. Insbesondere bei einem sogenannten "Unfall ohne Berührung" ist daher Voraussetzung für die Zurechnung des Betriebs des Kraftfahrzeugs zu einem schädigenden Ereignis, dass über seine bloße Anwesenheit an der Unfallstelle hinaus das Fahrverhalten seines Fahrers in irgendeiner Art und Weise das Fahrmanöver des Unfallgegners beeinflusst hat (Senatsurteile vom 22. Oktober 1968 - VI ZR 178/67, VersR 1969, 58; vom 29. Juni 1971 - VI ZR 271/69, VersR 1971, 1060; vom 11. Juli 1972 - VI ZR 86/71, NJW 1972, 1808 unter II 1 c), mithin, dass das Kraftfahrzeug durch seine Fahrweise (oder sonstige Verkehrsbeeinflussung) zu der Entstehung des Schadens beigetragen hat (Senatsurteile vom 19. April 1988 - VI ZR 96/87, VersR 1988, 641 unter 1 a; vom 21. September 2010 - VI ZR 263/09, VersR 2010, 1614 Rn. 5; Galke, zfs 2011, 2, 5, 63; Laws/Lohmeyer /Vinke in Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR 2016, § 7 StVG Rn. 37; Schwab, DAR 2011, 11, 13; Bachmeier in Lütkes/Bachmeier/Müller/Rebler, Straßenverkehr, Stand April 2016, § 7 StVG Rn. 173; Burmann in Burmann/ Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 24. Aufl., § 7 Rn. 13; Eggert in Ludovisy/Eggert/Burhoff, Praxis des Straßenverkehrsrechts, 6. Auflage, § 2 A Rn. 77 ff.; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., § 7 StVG Rn. 10).
15
b) So liegt es - jedenfalls nach den bisher von dem Berufungsgericht getroffenen Feststellungen - hier aber nicht. Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht - anders als das Berufungsgericht in der der Senatsentscheidung vom 21. September 2010 (VI ZR 263/09, aaO) zugrundeliegenden Fallgestaltung - nicht feststellen können, dass der Unfall - auch nur mittelbar - durch die Fahrweise (oder sonstige Verkehrsbeeinflussung) des Motorrads der Beklagten zu 1 verursacht worden ist. Entgegen der Ansicht der Revision genügt dafür der Umstand, dass die Beklagte zu 1 zeitlich parallel zu dem Unfallgeschehen ein Überholmanöver vorgenommen hat und der Kläger selbst nach dem Vorbringen der Beklagten einen Bogen gefahren ist, um in zweiter Reihe zu überholen, allein nicht.
16
aa) Jedes im Betrieb befindliche und an der Unfallstelle (lediglich) anwesende Fahrzeug nimmt parallel zu dem Unfallgeschehen ein - wie auch immer geartetes Fahrmanöver - vor. Aus diesem Grund kann der Unfall immer auch auf die Verkehrssituation in ihrer Gesamtheit zurückgeführt werden. Hier wäre der Unfall zwar auch nach dem Vorbringen der Beklagten ohne das Überholmanöver der Beklagten zu 1 nicht geschehen, weil die Fahrlinie des Klägers dann möglicherweise eine andere gewesen wäre. Das reicht indes für den gemäß § 7 Abs. 1 StVG erforderlichen Zurechnungszusammenhang nicht aus, weil die Zurechnung von dem Unfallgeschehen selbst nicht gelöst werden kann.
17
(1) Es ist im Straßenverkehrsrecht anerkannt, dass maßgeblicher Zeitpunkt für Ursächlichkeit und Zurechnungszusammenhang der Eintritt der konkreten kritischen Verkehrslage ist, die unmittelbar zum Schaden führt. Die kritische Verkehrslage beginnt für einen Verkehrsteilnehmer dann, wenn die ihm erkennbare Verkehrssituation konkreten Anhalt dafür bietet, dass eine Gefahrensituation unmittelbar entstehen kann (Senatsurteile vom 25. März 2003 - VI ZR 161/02, VersR 2003, 783, 784; vom 1. Dezember 2009 - VI ZR 221/08, VersR 2010, 642 Rn. 16, 21). Das gilt auch für die Gefährdungshaftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG (König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., Einleitung Rn. 101; § 7 StVG Rn. 13; § 17 Rn. 17).
18
(2) Nach diesen Grundsätzen war - den Vortrag der Beklagten zugrunde gelegt - eine kritische Verkehrslage durch den von der Beklagten zu 1 vorgenommenen Überholvorgang (allein) noch nicht eingetreten. Eine kritische Verkehrslage entstand frühestens dann, als der Kläger sich gleichzeitig mit ihr auf die Gegenfahrbahn begab. Auch dieser Umstand kann der Beklagten zu 1 indes nicht zugerechnet werden. Denn es stellt keine typische Gefahr eines Überholvorgangs dar, dass rückwärtiger Verkehr diesen seinerseits zum Überholen in zweiter Reihe nutzt und dabei - ohne dass eine Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung des Überholenden dazu Anlass gegeben hätte - ins Schlingern gerät. Allein der Umstand, dass die Beklagte zu 1 überholte, reicht daher nicht aus, um eine im Rahmen des § 7 Abs. 1 StVG relevante Ursächlichkeit ihrer Fahrweise (oder sonstigen Verkehrsbeeinflussung) für den Unfall zu bejahen.
19
Wäre dies anders, würde letztlich die bloße Anwesenheit eines in Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs in der Nähe der Unfallstelle für eine Haftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG genügen. Dies führte zudem zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten , weil nicht nur die das Überholmanöver vornehmende Beklagte zu 1, sondern auch der Zeuge B. mit seinem Kraftfahrzeug die Verkehrssituation gleichermaßen (mit-)geprägt hat. Auch diesem ist der Kläger - unter Zugrundelegung des Vortrags der Beklagten - durch sein Überholmanöver letztlich "ausgewichen".
20
bb) Insofern liegt es hier nach den (bisherigen) Feststellungen des Berufungsgerichts anders als in den bisher von dem Senat entschiedenen Fällen, in denen stets eine Verursachung des Unfalls durch eine wie auch immer geartete Verkehrsbeeinflussung des gegnerischen Fahrzeugs festgestellt war. So geht auf einer Bundesautobahn von einem verhältnismäßig sperrigen und langsam überholenden Fahrzeug oder auch nur einem Fahrverhalten, das als Beginn des Überholvorgangs oder seine Ankündigung aufgefasst werden kann, eine typische Gefahr für auf der Überholfahrbahn nachfolgende schnellere Verkehrsteilnehmer aus, die durch eine misslingende Abwehrreaktion zu Schaden kommen (Senatsurteil vom 29. Juni 1971, aaO). Eine typisch mit dem Betrieb eines Sattelschleppers verbundene Gefahr wirkt sich aus, wenn ein von diesem überholter Fahrer eines Motorfahrrades unsicher wird und deshalb stürzt (Senatsurteil vom 11. Juli 1972 - VI ZR 86/71, aaO unter II 1 c). In zurechenbarer Weise durch ein Kraftfahrzeug (mit-)veranlasst ist ein Unfall bei seinem Herannahen an entgegenkommenden Fahrradverkehr, wenn der Verkehrsraum zu eng zu werden droht und einer der Fahrradfahrer bei einem Ausweichmanöver stürzt (Senatsurteil vom 19. April 1988 - VI ZR 96/87, aaO unter 1 b). Selbst ein Unfall infolge einer voreiligen - also objektiv nicht erforderlichen - Abwehr- und Ausweichreaktion ist dem Betrieb des Kraftfahrzeugs zuzurechnen, das diese Reaktion - im Streitfall durch einen kleinen Schlenker aus seiner Fahrspur hinaus - ausgelöst hat (Senatsurteil vom 26. April 2005 - VI ZR 168/04, aaO unter II 1 b). Dagegen rechtfertigt die bloße Anwesenheit eines anderen im Betrieb befindlichen Fahrzeugs an der Unfallstelle für sich allein noch nicht die Annahme, dass ein in seinem Ablauf ungeklärter Unfall bei dem Betrieb dieses Fahrzeugs entstanden ist (Senatsurteil vom 22. Oktober 1968 - VI ZR 178/67, VersR 1969,

58).

21
2. Zu Recht rügt aber die Revision, dass das Berufungsgericht seiner Entscheidung den von den Beklagten geschilderten Unfallhergang zugrunde gelegt hat, ohne sich mit den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen ausreichend auseinanderzusetzen, § 286 ZPO.
22
a) Die Würdigung der Beweise ist grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten , an dessen Feststellungen das Revisionsgericht gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden ist. Dieses kann lediglich nachprüfen, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr., Senatsurteil vom 16. April2013 - VI ZR 44/12, NJW 2014, 71 Rn. 13 mwN).
23
b) Einen solchen Fehler zeigt die Revisionsbegründung hier im Hinblick auf die Feststellungen des Berufungsgerichts auf. Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung den von den Beklagten geschilderten Unfallhergang zugrunde gelegt und gemeint, der insoweit darlegungs- und beweisbelastete (§ 7 Abs. 1 StVG) Kläger habe den von ihm behaupteten Geschehensablauf nicht beweisen können. Es ist daher davon ausgegangen, dass das Fahrverhalten des Klägers durch die Beklagte zu 1 in keiner Weise beeinflusst worden sei. Dabei hat es indes den Prozessstoff und die Beweisergebnisse nicht ausgeschöpft.
24
aa) Zwar hatte das Berufungsgericht entgegen der Ansicht der Revision keinen Anlass, die Zeugen gemäß § 398 Abs. 1 ZPO erneut zu vernehmen (vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 2006 - IV ZR 130/05, NJW 2007, 372, 374 mwN; Voit in Musielak, ZPO, 13. Aufl. 2016, § 529 Rn. 14 f.). Sowohl das Landgericht als auch das Berufungsgericht gehen davon aus, dass die Zeugenaussagen für die maßgebliche Frage, ob der Kläger aufgrund des Fahrverhaltens der Beklagten zu 1 ein Ausweichmanöver durchgeführt hatte, unergiebig sind.
25
bb) Das Berufungsgericht hat bei seiner Würdigung aber - wie die Revision zu Recht rügt - eine wesentliche Aussage des Sachverständigen unbeachtet gelassen. Der Sachverständige hat ausgeführt, die Spurenlage lasse ein Ausweichmanöver des Klägers aus dem linken Randbereich der linken Fahrbahn (Gegenfahrbahn) weiter nach links mit Einleitung einer Notbremsung erkennen. Das Landgericht hatte, ohne dies zu hinterfragen, festgestellt, der Kläger sei durch das Fahrzeug der Beklagten zu 1 zu einem Ausweichmanöver veranlasst worden.
26
Vor diesem Hintergrund durfte das Berufungsgericht nicht ohne ergänzende Beweisaufnahme wie etwa einer Anhörung des Sachverständigen und gegebenenfalls einer erneuten Anhörung der Parteien in Anwesenheit des Sachverständigen davon ausgehen, dass der Überholvorgang des Klägers durch den der Beklagten zu 1 in keiner Weise beeinflusst worden sei (vgl. Senatsurteil vom 21. September 2010 - VI ZR 263/09, aaO Rn. 8). Dies gilt umso mehr, als die aus der Sicht des Berufungsgerichts entscheidungserhebliche Frage des Vorliegens eines Ausweichmanövers in erster Instanz weder für den Sachverständigen noch für das Gericht von maßgeblicher Bedeutung gewesen ist.

III.

27
Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben, sondern ist aufzuheben und mangels Entscheidungsreife zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Galke Offenloch Oehler Roloff Müller
Vorinstanzen:
LG Paderborn, Entscheidung vom 08.10.2014 - 3 O 60/13 -
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(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen. (2) Das Berufungsgerich

Zivilprozessordnung - ZPO | § 562 Aufhebung des angefochtenen Urteils


(1) Insoweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Wird das Urteil wegen eines Mangels des Verfahrens aufgehoben, so ist zugleich das Verfahren insoweit aufzuheben, als es durch den Mangel betroffen

Zivilprozessordnung - ZPO | § 286 Freie Beweiswürdigung


(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei.
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(1) Das Prozessgericht kann nach seinem Ermessen die wiederholte Vernehmung eines Zeugen anordnen. (2) Hat ein beauftragter oder ersuchter Richter bei der Vernehmung die Stellung der von einer Partei angeregten Frage verweigert, so kann das Proze

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(1) Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.

(2) Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wird.

(3) Benutzt jemand das Kraftfahrzeug ohne Wissen und Willen des Fahrzeughalters, so ist er anstelle des Halters zum Ersatz des Schadens verpflichtet; daneben bleibt der Halter zum Ersatz des Schadens verpflichtet, wenn die Benutzung des Kraftfahrzeugs durch sein Verschulden ermöglicht worden ist. Satz 1 findet keine Anwendung, wenn der Benutzer vom Fahrzeughalter für den Betrieb des Kraftfahrzeugs angestellt ist oder wenn ihm das Kraftfahrzeug vom Halter überlassen worden ist.

(1) In den Fällen des § 7 Abs. 1 ist auch der Führer des Kraftfahrzeugs zum Ersatz des Schadens nach den Vorschriften der §§ 8 bis 15 verpflichtet. Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Schaden nicht durch ein Verschulden des Führers verursacht ist.

(2) Die Vorschrift des § 16 findet entsprechende Anwendung.

(3) Ist in den Fällen des § 17 auch der Führer eines Kraftfahrzeugs zum Ersatz des Schadens verpflichtet, so sind auf diese Verpflichtung in seinem Verhältnis zu den Haltern und Führern der anderen beteiligten Kraftfahrzeuge, zu dem Tierhalter oder Eisenbahnunternehmer die Vorschriften des § 17 entsprechend anzuwenden.

(1) Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.

(2) Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wird.

(3) Benutzt jemand das Kraftfahrzeug ohne Wissen und Willen des Fahrzeughalters, so ist er anstelle des Halters zum Ersatz des Schadens verpflichtet; daneben bleibt der Halter zum Ersatz des Schadens verpflichtet, wenn die Benutzung des Kraftfahrzeugs durch sein Verschulden ermöglicht worden ist. Satz 1 findet keine Anwendung, wenn der Benutzer vom Fahrzeughalter für den Betrieb des Kraftfahrzeugs angestellt ist oder wenn ihm das Kraftfahrzeug vom Halter überlassen worden ist.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 168/04 Verkündet am:
26. April 2005
Böhringer-Mangold,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Ein Schaden ist "bei dem Betrieb" eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich von
einem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahren ausgewirkt haben. Demgemäß kann
selbst ein Unfall infolge einer voreiligen - also objektiv nicht erforderlichen - Abwehroder
Ausweichreaktion dem Betrieb des Kraftfahrzeugs zugerechnet werden, das
diese Reaktion ausgelöst hat.
BGH, Urteil vom 26. April 2005 - VI ZR 168/04 - AG Berlin-Mitte
LG Berlin
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 26. April 2005 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller, den Richter
Wellner, die Richterin Diederichsen und die Richter Stöhr und Zoll

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 52. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 3. Mai 2004 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche aus einem Unfall in einer Tiefgarage geltend. Er und der Beklagte zu 1 besitzen dort jeweils einen Stellplatz. Der von dem Beklagten zu 1 gemietete Stellplatz befindet sich direkt rechts hinter der Ein- bzw. Ausfahrtsrampe zur Tiefgarage. Er muß auf der Rampe nach links ausholen, um dann rechtwinklig nach rechts in seine Parkbox einfahren zu können. Am 8. Januar 2003 fuhr der Beklagte zu 1 mit seinem VW-Bus die Abfahrt zu der Tiefgarage herunter. Der Kläger wollte diese mit seinem Fahrzeug verlassen und kam dem Beklagten zu 1 entgegengefahren. Als die Fahrzeuge
noch drei bis fünf Meter voneinander entfernt waren, lenkte er plötzlich nach rechts und sein PKW kollidierte mit der Wand der Tiefgarage. Die Ursache dieses Manövers ist zwischen den Parteien streitig. Nach der Darstellung des Klägers ist der Beklagte zu 1 plötzlich über die Trennlinie der beiden jeweils 2,90 m breiten Fahrspuren der Ab- bzw. Auffahrt gefahren, so daß er selbst nach rechts ausgewichen und deshalb an die Wand gefahren sei. Nach der Darstellung der Beklagten hat der Beklagte zu 1 lediglich einen kleinen Schlenker innerhalb seiner eigenen Fahrspur nach links gemacht, jedoch sofort nach rechts zurückgelenkt, nachdem er das klägerische Fahrzeug gesehen habe. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers blieb ohne Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht hat eine Haftung der Beklagten aus §§ 7, 17 StVG, § 3 PflVG, § 823 BGB verneint. Der Kläger habe weder den Beweis führen können , daß ein Fahrfehler des Beklagten zu 1 kausal für sein Ausweichen gegen die Garagenwand gewesen sei noch folge eine Haftung der Beklagten unter Zugrundelegung des unstreitigen Sachverhaltes aus der Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs. Auch wenn man davon ausgehe, daß der Beklagte zu 1 auf seiner Fahrspur zunächst nur einen kleinen Schlenker nach links gefahren sei, ohne die
Mittellinie zu überfahren, und danach sofort wieder auf die rechte Seite seiner Fahrspur zurückgelenkt habe, habe sich nicht die typische Betriebsgefahr seines Fahrzeugs verwirklicht. Den Beklagten sei nicht zuzurechnen, daß der Kläger beim Anblick des VW-Busses seinen eigenen PKW gegen die Wand der Tiefgarage gelenkt habe. Seine Ausweichlenkung sei als gravierender Fahrfehler infolge einer ungerechtfertigten Panikreaktion zu werten. Eine solche gänzlich überzogene Reaktion sei dem anderen Verkehrsteilnehmer nicht mehr nach § 7 StVG zuzurechnen. Bei wertender Betrachtung fehle es an einer "subjektiv vertretbaren Ausweichlenkung aufgrund der konkreten Verkehrssituation". Für eine Zurechnung sei jedoch mindestens erforderlich, daß der geschädigte Kraftfahrzeugführer objektiv nachvollziehbar von einer Gefährdung durch das entgegenkommende Fahrzeug ausgehen durfte. Daran fehle es hier.

II.

Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. 1. a) Das Haftungsmerkmal "bei dem Betrieb" ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Vorschrift weit auszulegen. Die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG umfaßt daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflußten Schadensabläufe. Es genügt, daß sich eine von dem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr ausgewirkt hat und das Schadensgeschehen in dieser Weise durch das Kraftfahrzeug mitgeprägt worden ist (vgl. Senatsurteile BGHZ 105, 65, 66; 107, 359, 366; 115, 84, 86 und vom 18. Januar 2005 - VI ZR 115/04 – VersR 2005, 566, 567). Ob dies der Fall ist, muß mittels einer am Schutzzweck der Haftungsnorm orientierten wertenden Betrachtung beurteilt werden (vgl. Senatsurteile BGHZ 71, 212, 214; 115,
aaO und vom 18. Januar 2005 - VI ZR 115/04 - aaO). An diesem auch im Rahmen der Gefährdungshaftung erforderlichen Zurechnungszusammenhang fehlt es, wenn die Schädigung nicht mehr eine spezifische Auswirkung derjenigen Gefahren ist, für die die Haftungsvorschrift den Verkehr schadlos halten will (vgl. Senatsurteile BGHZ 79, 259, 263; 107, 359, 367; 115, 84, 86 f.). Für eine Zurechnung zur Betriebsgefahr kommt es maßgeblich darauf an, daß der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Kausalzusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht (vgl. Senatsurteile BGHZ 37, 311, 317 f.; 58, 162, 165; vom 11. Juli 1972 - VI ZR 86/71 - VersR 1972, 1074 f.; vom 10. Oktober 1972 - VI ZR 104/71 - VersR 1973, 83 f. und vom 10. Februar 2004 – VI ZR 218/03 - VersR 2004, 529, 531). Hiernach rechtfertigt die Anwesenheit eines im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs an der Unfallstelle allein zwar noch nicht die Annahme, der Unfall sei bei dem Betrieb dieses Fahrzeugs entstanden. Erforderlich ist vielmehr, daß die Fahrweise oder der Betrieb dieses Fahrzeugs zu dem Entstehen des Unfalls beigetragen hat (vgl. Senatsurteile vom 22. Oktober 1968 - VI ZR 178/67 - VersR 1969, 58, 59; vom 11. Juli 1972 - VI ZR 86/71 – aa0; vom 10. Oktober 1972 - VI ZR 104/71 – aaO und vom 19. April 1988 - VI ZR 96/87 - VersR 1988, 641). Andererseits hängt die Haftung gemäß § 7 StVG nicht davon ab, ob sich der Führer des im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs verkehrswidrig verhalten hat (vgl. Senatsurteile vom 29. Juni 1971 - VI ZR 271/69 - VersR 1971, 1060, 1061; vom 13. Juli 1971 - VI ZR 2/70 - VersR 1971, 1063, 1064 und vom 10. Oktober 1972 - VI ZR 104/71 - aaO), und auch nicht davon, daß es zu einer Kollision der Fahrzeuge gekommen ist (vgl. Senatsurteile vom 16. September 1986 - VI ZR 151/85 - VersR 1986, 1231, 1232 und vom 19. April 1988 - VI ZR 96/87 - aaO).
Diese weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ entspricht dem weiten Schutzzweck des § 7 Abs. 1 StVG und findet darin ihre innere Rechtfertigung. Die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist sozusagen der Preis dafür, daß durch die Verwendung eines Kfz - erlaubterweise – eine Gefahrenquelle eröffnet wird, und will daher alle durch den Kfz – Verkehr beeinflußten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann „bei dem Betrieb“ eines Kfz entstanden, wenn sich von einem Kfz ausgehende Gefahren ausgewirkt haben (vgl. Senatsurteil vom 19. April 1988 - VI ZR 96/87 – aaO mwN.)
b) Nach diesen Grundsätzen kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Die Auffassung des Berufungsgerichts, hier fehle der Zurechnungszusammenhang , weil der Kläger nicht objektiv nachvollziehbar von einer Gefährdung durch das entgegenkommende Fahrzeug habe ausgehen dürfen, steht mit dieser Rechtsprechung nicht in Einklang. Danach kann selbst ein Unfall infolge einer voreiligen - also objektiv nicht erforderlichen - Abwehr- oder Ausweichreaktion gegebenenfalls dem Betrieb des Kraftfahrzeugs zugerechnet werden, das diese Reaktion ausgelöst hat (vgl. Senatsurteile vom 29. Juni 1971 - VI ZR 271/69 - aaO und vom 19. April 1988 - VI ZR 96/87 - aaO). Daß der vom Beklagten zu 1 eingeräumte Schlenker nach links, von dem auch das Berufungsgericht ausgeht, die Ausweichbewegung des Klägers veranlaßt hat, liegt auf der Hand. Auch wenn das Berufungsgericht sie als Panikreaktion bezeichnet , ist sie doch durch das Verhalten des Beklagten verursacht worden, das vom entgegenkommenden Fahrer in der engen Ausfahrt als gefährlich empfunden werden konnte. Das reicht, wie der Senat in einem vergleichbaren Fall ausgeführt hat, für den Zurechnungszusammenhang aus (vgl. Senatsurteil vom 19. April 1988 - VI ZR 96/87 - aaO).
So hat der Senat auch in einem Fall, in dem eine Mofafahrerin unsicher wurde, als sie ein Sattelschlepper überholte, und deshalb stürzte, eine Auswirkung der Betriebsgefahr des LKWs angenommen (vgl. Senatsurteil vom 11. Juli 1972 - VI ZR 86/71 - aaO), ebenso als ein Fußgänger durch die Fahrweise des nach Hochziehen einer Schranke anfahrenden Kraftfahrzeugs unsicher wurde und deshalb stürzte (vgl. Senatsurteil vom 10. Oktober 1972 - VI ZR 104/71 – aaO). Das Merkmal "beim Betrieb" hat er auch bejaht, als ein LKW die voreilige Abwehrreaktion eines nachfolgenden Kraftfahrers auslöste, weil er andauernd blinkte und entweder nach links zog oder schon hart an die Mittellinie herangezogen war (vgl. Senatsurteil vom 29. Juni 1971 - VI ZR 271/69 - aaO). In all diesen Fällen kam es nicht darauf an, ob die Abwehr- oder Ausweichreaktion objektiv erforderlich war.
c) Die vom Berufungsgericht vorgenommene Einschränkung ist auch nicht erforderlich. Vielmehr ist das notwendige Korrektiv für eine sachgerechte Haftungsbegrenzung in den §§ 9, 17, 18 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 StVG enthalten. Nach diesen Vorschriften können die jeweiligen Verursachungsbeiträge sowie ein etwaiges Verschulden berücksichtigt werden, so daß der Schaden angemessen verteilt und gegebenenfalls sogar die Haftung einem Kraftfahrer allein auferlegt werden kann.

III.

Eine abschließende Entscheidung ist dem erkennenden Senat nicht möglich, weil das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt folgerichtig - die dazu erforderlichen Feststellungen nicht getroffen hat. Die Sache ist daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es sie nachholen kann.
Im weiteren Verfahren wird das Berufungsgericht feststellen müssen, ob sich eine etwaige Haftung des Beklagten zu 1 auch aus § 7 Abs. 1 StVG oder nur aus § 18 Abs. 1 StVG ergeben kann. Es wird gegebenenfalls eine Abwägung nach §§ 9, 17, 18 Abs. 3 StVG vornehmen müssen, wobei nur solche Umstände berücksichtigt werden dürfen, die feststehen, d.h. unstreitig, zugestanden oder nach § 286 ZPO bewiesen sind, und sich auf den Unfall ausgewirkt haben (vgl. Senatsurteile vom 10. Januar 1995 - VI ZR 247/94 - VersR 1995, 357 und vom 27. Juni 2000 – VI ZR 126/99 – VersR 2000, 1294, 1296).
Müller Wellner Diederichsen Stöhr Zoll

(1) Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.

(2) Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wird.

(3) Benutzt jemand das Kraftfahrzeug ohne Wissen und Willen des Fahrzeughalters, so ist er anstelle des Halters zum Ersatz des Schadens verpflichtet; daneben bleibt der Halter zum Ersatz des Schadens verpflichtet, wenn die Benutzung des Kraftfahrzeugs durch sein Verschulden ermöglicht worden ist. Satz 1 findet keine Anwendung, wenn der Benutzer vom Fahrzeughalter für den Betrieb des Kraftfahrzeugs angestellt ist oder wenn ihm das Kraftfahrzeug vom Halter überlassen worden ist.

5
1. Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass die Halterhaftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG und die Haftung des Fahrers aus vermutetem Verschulden gemäß § 7 Abs. 1 i.V.m. § 18 StVG auch dann eingreifen können, wenn es nicht zu einer Berührung zwischen den am Unfallgeschehen beteiligten Kraftfahrzeugen gekommen ist. Eine Haftung kommt grundsätzlich nämlich auch dann in Betracht, wenn der Unfall mittelbar durch das andere Kraftfahrzeug verursacht worden ist. Allerdings reicht die bloße Anwesenheit des Kraftfahrzeugs an der Unfallstelle dafür nicht aus. Vielmehr muss das Kraftfahrzeug durch seine Fahrweise (oder sonstige Verkehrsbeeinflussung) zu der Entstehung des Schadens beigetragen haben (Senatsurteile vom 11. Juli 1972 - VI ZR 86/71, VersR 1972, 1074, 1075; vom 4. Mai 1976 - VI ZR 193/74, VersR 1976, 927 und vom 19. April 1988 - VI ZR 96/87, VersR 1988, 641). Dieses kann etwa der Fall sein, wenn der Geschädigte durch den Betrieb eines Kraftfahrzeugs zu einer Reaktion wie z.B. zu einem Ausweichmanöver veranlasst wird und dadurch ein Schaden eintritt. In einem solchen Fall kann der für eine Haftung erforderliche Zurechnungszusammenhang je nach Lage des Falles zu bejahen sein.

(1) Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.

(2) Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wird.

(3) Benutzt jemand das Kraftfahrzeug ohne Wissen und Willen des Fahrzeughalters, so ist er anstelle des Halters zum Ersatz des Schadens verpflichtet; daneben bleibt der Halter zum Ersatz des Schadens verpflichtet, wenn die Benutzung des Kraftfahrzeugs durch sein Verschulden ermöglicht worden ist. Satz 1 findet keine Anwendung, wenn der Benutzer vom Fahrzeughalter für den Betrieb des Kraftfahrzeugs angestellt ist oder wenn ihm das Kraftfahrzeug vom Halter überlassen worden ist.

5
1. Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass die Halterhaftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG und die Haftung des Fahrers aus vermutetem Verschulden gemäß § 7 Abs. 1 i.V.m. § 18 StVG auch dann eingreifen können, wenn es nicht zu einer Berührung zwischen den am Unfallgeschehen beteiligten Kraftfahrzeugen gekommen ist. Eine Haftung kommt grundsätzlich nämlich auch dann in Betracht, wenn der Unfall mittelbar durch das andere Kraftfahrzeug verursacht worden ist. Allerdings reicht die bloße Anwesenheit des Kraftfahrzeugs an der Unfallstelle dafür nicht aus. Vielmehr muss das Kraftfahrzeug durch seine Fahrweise (oder sonstige Verkehrsbeeinflussung) zu der Entstehung des Schadens beigetragen haben (Senatsurteile vom 11. Juli 1972 - VI ZR 86/71, VersR 1972, 1074, 1075; vom 4. Mai 1976 - VI ZR 193/74, VersR 1976, 927 und vom 19. April 1988 - VI ZR 96/87, VersR 1988, 641). Dieses kann etwa der Fall sein, wenn der Geschädigte durch den Betrieb eines Kraftfahrzeugs zu einer Reaktion wie z.B. zu einem Ausweichmanöver veranlasst wird und dadurch ein Schaden eintritt. In einem solchen Fall kann der für eine Haftung erforderliche Zurechnungszusammenhang je nach Lage des Falles zu bejahen sein.

(1) Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.

(2) Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wird.

(3) Benutzt jemand das Kraftfahrzeug ohne Wissen und Willen des Fahrzeughalters, so ist er anstelle des Halters zum Ersatz des Schadens verpflichtet; daneben bleibt der Halter zum Ersatz des Schadens verpflichtet, wenn die Benutzung des Kraftfahrzeugs durch sein Verschulden ermöglicht worden ist. Satz 1 findet keine Anwendung, wenn der Benutzer vom Fahrzeughalter für den Betrieb des Kraftfahrzeugs angestellt ist oder wenn ihm das Kraftfahrzeug vom Halter überlassen worden ist.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 161/02 Verkündet am:
25. März 2003
Holmes,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Nr. 2 c, 9 Abs. 3

a) Der rechtliche Ursachenzusammenhang zwischen einer Überschreitung der zulässigen
Höchstgeschwindigkeit und einem Verkehrsunfall ist zu bejahen, wenn bei
Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit zum Zeitpunkt des Eintritts der kritischen
Verkehrssituation der Unfall vermeidbar gewesen wäre.

b) Die kritische Verkehrssituation beginnt für einen Verkehrsteilnehmer dann, wenn
die ihm erkennbare Verkehrssituation konkreten Anhalt dafür bietet, daß eine Gefahrensituation
unmittelbar entstehen kann.

c) Gibt der Vorfahrtberechtigte dem Wartepflichtigen durch einen Verkehrsverstoß
Anlaß, die Wartepflicht - namentlich infolge einer Fehleinschätzung der Verkehrssituation
- zu verletzen, so kann die kritische Verkehrssituation bereits vor der eigentlichen
Vorfahrtsverletzung eintreten.

d) Der Vertrauensgrundsatz kommt regelmäßig demjenigen nicht zugute, der sich
selbst über Verkehrsregeln hinwegsetzt, die auch dem Schutz des unfallbeteiligten
Verkehrsteilnehmers dienen.
BGH, Urteil vom 25. März 2003 - VI ZR 161/02 - OLG Hamm
LG Siegen
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 25. März 2003 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller und die Richter
Dr. Greiner, Wellner, Pauge und Stöhr

für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 27. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 12. März 2002 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß sich der Feststellungsausspruch nur auf zukünftige Schäden des Klägers bezieht und die Klage im übrigen abgewiesen wird. Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger macht Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 19. Mai 1998 auf einer Landstraße im Bereich der Gemeinde D. geltend, bei dem er als Motorradfahrer von dem ihm entgegenkommenden Beklagten zu 1 (künftig: der Beklagte), der mit seinem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw nach links in eine Autobahnauffahrt abbiegen wollte, beim Abbiegevorgang erfaßt und schwer verletzt wurde. Vor der Annäherung an die Unfallstelle durchfuhr der Kläger eine ansteigende Linkskurve. Der Beklagte hatte sich vor dem Abbiegen auf eine hierzu bestimmte Linksabbiegespur eingeordnet. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, seine vom Sachverständigen ermittelte Geschwindigkeit von 120 bis 150 km/h sei für den Unfall nicht mitursächlich gewesen, weil er auch bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h den Unfall nicht mehr hätte vermeiden können, als die Vorfahrtsverletzung durch den Beklagten für ihn erkennbar geworden sei. Vorher habe er keine Veranlassung gehabt, seine Geschwindigkeit zu reduzieren, sondern darauf vertrauen können, daß der Beklagte sein Vorfahrtsrecht beachten werde. Vorprozessual bezahlte die Beklagte zu 2 an den Kläger 120.000 DM, von denen sie in der Klageerwiderung 80.000 DM auf den Schmerzensgeldanspruch und 40.000 DM auf die Sachschäden des Klägers verrechnete. Das Landgericht hat dem Kläger ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 DM zuerkannt, den Anspruch auf Ersatz der geltend gemachten Sachschäden dem Grunde nach zu 80 % für gerechtfertigt erklärt und festgestellt , daß die Beklagten dem Kläger zum Ersatz seiner zukünftigen immateriellen Schäden zu 100 % sowie seiner zukünftigen materiellen Schäden zu 80 %
verpflichtet sind, soweit kein Forderungsübergang auf Sozialversicherungsträger stattfindet. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat es das landgerichtliche Urteil unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung abgeändert und festgestellt, daß die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche materiellen Schäden zu 2/3 und sämtliche immateriellen Schäden unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 1/3 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter, soweit das Berufungsgericht zu seinem Nachteil erkannt hat.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht geht davon aus, daß der Verkehrsunfall vom 19. Mai 1998 von beiden Fahrzeugführern schuldhaft mitverursacht worden sei. Die unfallursächliche schuldhafte Vorfahrtsverletzung des Beklagten stehe zu Recht außer Streit. Aber auch den Kläger treffe ein Mitverschulden an der Entstehung des Unfalls, da er die an der Unfallstelle zugelassene Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um mindestens 20 km/h überschritten habe und dies als kausal für das Unfallgeschehen zu bewerten sei. Zwar sei nach dem eingeholten Gutachten der Unfall auch bei einer Geschwindigkeit von 100 km/h nicht zu vermeiden gewesen, wenn man eine Reaktion des Klägers erst zu dem Zeitpunkt verlange, in dem er habe erkennen können, daß der Unfallgegner ihm die Vorfahrt nicht gewähren und in seine Fahrspur hineinfahren werde. Jedoch sei im Hinblick auf das dem Kläger erkennbare Verkehrsgeschehen eine frühere Reaktion von ihm zu fordern gewesen. Im Regelfall dürfe der Vorfahrtbe-
rechtigte auf die Beachtung seines Vorfahrtsrechts vertrauen. In der konkreten Situation hätten jedoch besondere Umstände vorgelegen, aufgrund derer der Kläger schon im Zeitpunkt des ersten Sichtkontakts mit einer Vorfahrtsverletzung durch den Beklagten habe rechnen müssen, falls er seine überhöhte Geschwindigkeit beibehalte, so daß er schon aus diesem Grunde spätestens zu diesem Zeitpunkt seine Geschwindigkeit auf 100 km/h hätte reduzieren müssen. Er habe nämlich aufgrund der Besonderheiten der Unfallörtlichkeit damit rechnen müssen, daß er im Falle einer weiteren Annäherung mit seiner überhöhten Geschwindigkeit vom Beklagten nicht rechtzeitig wahrgenommen, dieser seine Geschwindigkeit falsch einschätzen und abbiegen werde. Ein frühzeitiges Verlangsamen sei vom Kläger umso mehr zu fordern gewesen, als er nach eigenem Bekunden die Stelle gekannt und gewußt habe, daß es dort schon viele gleichartige Unfälle gegeben habe. Deshalb könne er sich vorliegend nicht auf den Vertrauensgrundsatz berufen. Hätte der Kläger seine Geschwindigkeit beim ersten Sichtkontakt zum Pkw des Beklagten auf 100 km/h verringert, so wäre der Unfall bei der vom Sachverständigen angenommenen Abbiegegeschwindigkeit des Pkw des Beklagten von 18 km/h vermieden worden. Bei der Abwägung der Verursachungsanteile liege die entscheidende Unfallursache im Vorfahrtverstoß des Beklagten. Sein Verschulden wiege allerdings deshalb nicht allzu schwer, weil zu seinen Gunsten davon auszugehen sei, daß sich der Kläger mit 150 km/h der Unfallstelle genähert und deshalb erst direkt vor dem Anfahrtbeginn für den Beklagten sichtbar geworden sei. Da die Geschwindigkeit des Klägers für den Beklagten nicht sofort erkennbar gewesen sei, sei darin, daß er den begonnenen Abbiegevorgang nicht wieder abgebrochen habe, noch keine grobe Fahrlässigkeit zu sehen. Unter Berücksichtigung der erhöhten Betriebsgefahr beim Linksabbiegen sei eine Haftungsquote von 2/3 zu Lasten des Beklagten angemessen.
Auf dieser Grundlage sei bei Abwägung aller Gesichtspunkte, namentlich des beiderseitigen Ausmaßes der Unfallverursachung und der Schwere der vom Kläger erlittenen Unfallverletzungen, ein Schmerzensgeld von 80.000 DM angemessen. Die Zahlung der Beklagten zu 2 habe deshalb das Schmerzensgeld und alle vom Kläger geltend gemachten materiellen Schäden abgegolten, weshalb nur noch die Haftung beider Beklagten für zukünftige Schäden des Klägers im Raum stehe.

II.

Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision im Ergebnis stand. 1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Beklagte , für dessen Haftpflicht die Beklagte zu 2 einzustehen hat, den Verkehrsunfall und den daraus entstandenen Schaden des Klägers schuldhaft dadurch verursacht hat, daß er entgegen § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO nach links abbog, ohne den entgegenkommenden Kläger durchfahren zu lassen, der sein Vorrecht nicht deshalb verloren hatte, weil er mit überhöhter Geschwindigkeit fuhr (Senatsurteile vom 11. Januar 1977 - VI ZR 268/74 - VersR 1977, 524, 525 und vom 21. Januar 1986 - VI ZR 35/85 - VersR 1986, 579). 2. Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts , der Kläger habe durch Überschreiten der außerhalb geschlossener Ortschaften nach § 3 Abs. 3 Nr. 2 c StVO vorgeschriebenen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um mindestens 20 km/h den Unfall schuldhaft mitverursacht.

a) Allerdings kann ein späterer Unfall einer Geschwindigkeitsüberschreitung nicht allein schon deshalb zugerechnet werden, weil das Fahrzeug bei Einhaltung der vorgeschriebenen Geschwindigkeit erst später an die Unfallstelle gelangt wäre, vielmehr muß sich in dem Unfall gerade die auf das zu schnelle Fahren zurückzuführende erhöhte Gefahrenlage aktualisieren. Der rechtliche Ursachenzusammenhang zwischen Geschwindigkeitsüberschreitung und Unfall ist zu bejahen, wenn bei Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit zum Zeitpunkt des Eintritts der kritischen Verkehrssituation der Unfall vermeidbar gewesen wäre (vgl. Senatsurteile vom 22. Dezember 1959 - VI ZR 215/58 - VersR 1960, 183, 184; vom 27. November 1962 - VI ZR 240/61 - VersR 1963, 165, 166; vom 11. Januar 1977 - VI ZR 268/74 - aaO und vom 7. April 1987 - VI ZR 30/86 - VersR 1987, 821, 822; vgl. auch BGHSt 33, 61, 63 f. m.w.N.).
b) Die kritische Verkehrslage beginnt für einen Verkehrsteilnehmer dann, wenn die ihm erkennbare Verkehrssituation konkreten Anhalt dafür bietet, daß eine Gefahrensituation unmittelbar entstehen kann (vgl. Senatsurteile vom 27. November 1962 - VI ZR 240/61 - aaO; vom 11. Januar 1977 - VI ZR 268/74 - aaO; vom 25. September 1990 - VI ZR 19/90 - VersR 1990, 1366, 1367 und vom 5. Mai 1992 - VI ZR 262/91 - VersR 1992, 890; vgl. auch VGS BGHZ 14, 232, 239 = BGHSt 7, 118, 124; BGH, Urteil vom 26. Juli 1963 - 4 StR 258/63 - VRS 25, 262, 263 f.; BGHSt 24, 31, 34 m.w.N.; BGH, Urteil vom 21. März 1978 - 4 StR 683/77 - VRS 54, 436, 437; BGHSt 33, 61, 63 ff.; OLG Celle VRS 63, 72, 73; OLG Köln VRS 70, 373, 374 f.; OLG Frankfurt JR 1994, 77, 78 m. Anm. Lange; OLG Düsseldorf VRS 88, 268 f.; OLG Köln VersR 2001, 1577, 1578; OLG Karlsruhe VRS 100, 460, 461). Für einen vorfahrtsberechtigten Verkehrsteilnehmer ist dies in Bezug auf seinen Vorrang zwar nicht bereits der Fall, wenn nur die abstrakte, stets gegebene Gefahr eines Fehlverhaltens anderer besteht, vielmehr müssen erkennbare Umstände eine bevorstehende Verletzung seines Vorrechts nahelegen. Von Bedeutung sind hierbei neben der
Fahrweise des Wartepflichtigen alle Umstände, die sich auf dessen Fahrweise auswirken können, also auch die Fahrweise des Bevorrechtigten selbst. Gibt er dem Wartepflichtigen durch einen Verkehrsverstoß Anlaß, die Wartepflicht - namentlich infolge einer Fehleinschätzung der Verkehrslage - zu verletzen, so kann die kritische Verkehrslage bereits vor der eigentlichen Vorfahrtsverletzung eintreten.
c) Nach diesen Grundsätzen durfte das Berufungsgericht aufgrund der von ihm im vorliegenden Fall getroffenen Feststellungen ohne Rechtsfehler davon ausgehen, daß der Kläger bereits beim ersten möglichen Sichtkontakt zum Pkw des Beklagten konkret damit rechnen mußte, daß der Beklagte sein Vorfahrtsrecht verletzen könnte. Die überhöhte Geschwindigkeit des Klägers war auch im Hinblick auf die Besonderheit der Unfallörtlichkeit geeignet, den Beklagten die Verkehrslage falsch einschätzen zu lassen und ihn zu veranlassen, noch vor dem Kläger abzubiegen, obgleich ihm dies nicht mehr gefahrlos möglich war (vgl. VGS BGHZ 14, 232, 234 = BGHSt 7, 118, 120). Das Berufungsgericht hat sich verfahrensfehlerfrei aufgrund des eingeholten Sachverständigengutachtens und der diesem beigefügten Lichtbilder die Überzeugung gebildet, daß der vor einem Wald auf seinem Motorrad aus einer ansteigenden Kurve sich nähernde Kläger für den Beklagten als schmale Silhouette nur schwer erkennbar war. Zwar habe der Beklagte während der Entschlußdauer zum Anfahren den Kläger erstmals sehen, jedoch noch nicht dessen gefahrene Geschwindigkeit erkennen können, wofür er nochmals einige Sekunden benötigt habe. Dies hätte sich auch der Kläger sagen und deshalb damit rechnen müssen , daß der Pkw, der sich für ihn erkennbar auf der Linksabbiegerspur befand, den Abbiegevorgang einleiten und durchführen werde. Hiergegen ist aus Rechtsgründen auch deshalb nichts zu erinnern, weil der Kläger - worauf das Berufungsgericht mit Recht abhebt (vgl. BGHSt 15,
191, 193) - nach seinem eigenen Vortrag wußte, daß es an der späteren Unfall- stelle zuvor bereits viele Unfälle infolge falschen Linksabbiegens gegeben hatte.
d) Entgegen der Auffassung der Revision kann sich der Kläger vorliegend - was die Vermeidbarkeit des Verkehrsunfalls anbelangt - nicht auf den Vertrauensgrundsatz berufen. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf zwar ein Verkehrsteilnehmer, der sich selbst regelgerecht verhält, grundsätzlich darauf vertrauen, daß andere Verkehrsteilnehmer ebenfalls die Verkehrsregeln einhalten, z.B. sein Vorfahrtsrecht beachten (vgl. Senatsurteile vom 15. Mai 1973 - VI ZR 62/72 - VersR 1973, 765, 766 und vom 3. Dezember 1991 - VI ZR 98/91 - VersR 1992, 203, 204; VGS BGHZ 14, 232, 235 f. = BGHSt 7, 118, 122; BGH, Urteil vom 19. September 1974 - III ZR 73/72 - VersR 1975, 37, 38 m.w.N.; BGHSt 9, 92, 93 f.; BGHSt 12, 81, 83; BGHSt 13, 169, 172 f.). Der Vertrauensgrundsatz kommt jedoch regelmäßig demjenigen nicht zugute, der sich selbst über die Verkehrsregeln hinwegsetzt (Senatsurteil vom 15. November 1966 - VI ZR 57/65 - VersR 1967, 157, 158; vom 15. Mai 1973 - VI ZR 62/72 - aaO und vom 3. Dezember 1991 - VI ZR 98/91 - aaO; BGH, Urteile vom 19. September 1974 - III ZR 73/72 - aaO S. 38 f. m.w.N.; vom 21. Februar 1985 - III ZR 205/83 – VersR 1985, 637, 639 und vom 6. Februar 1958 - 4 StR 687/57 - bei juris; BGHSt 9, 92, 93 f.; BGHSt 13, 169, 172 f.; BGHSt 15, 191, 193; OLG Frankfurt JR 1994, 77 mit Anm. Lampe; OLG Karlsruhe VRS 100, 460, 461). Dies gilt freilich nicht uneingeschränkt. Dient eine Verkehrsregel nur dem Schutz vor bestimmten Gefahren des Straßenverkehrs, so zeigt ein Verkehrsverstoß gegen diese Regel nur die Vorhersehbarkeit derjenigen Gefahr an, zu deren Abwehr die verletzte Vorschrift bestimmt ist. Dem-
entsprechend büßt der Verletzer den Schutz des Vertrauensgrundsatzes nur gegenüber solchen Verkehrsteilnehmern ein, die an dem Verkehrsvorgang beteiligt sind, dessen typischen Gefahren die verletzte Vorschrift begegnen soll (BGH, Urteil vom 19. September 1974 - III ZR 73/72 - aaO m.w.N.). Die vom Kläger übertretene allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Landstraßen schützt jeden Verkehrsteilnehmer; sie dient insbesondere auch dazu, Quer- und Kreuzungsverkehr ohne die aus hohen Geschwindigkeiten drohenden besonderen Gefahren zu ermöglichen (vgl. Senatsurteile vom 11. Januar 1977 - VI ZR 268/74 - aaO; vom 14. Februar 1984 - VI ZR 229/82 - VersR 1984, 440 und vom 25. September 1990 - VI ZR 19/90 - aaO; vgl. auch VGS BGHZ 14, 232, 234 und 238 = BGHSt 7, 118, 120 f. und 126; BGHSt 33, 61, 65; OLG Koblenz VersR 1990, 1021 mit Nichtannahmebeschluß des Senats vom 20. März 1990 - VI ZR 204/89). Indem der Kläger die zulässige Höchstgeschwindigkeit an der ihm wegen einschlägiger Unfälle bekannten Stelle um - wovon insoweit zu seinen Gunsten auszugehen ist - 20 km/h überschritt, durfte er sich auf ein regelgerechtes Verkehrsverhalten des Beklagten nicht mehr verlassen.
c) Im Ergebnis mit Recht geht das Berufungsgericht ferner davon aus, daß der Kläger den Unfall bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit hätte vermeiden können. aa) Die Rüge der Revision, das Berufungsgericht sei ohne konkrete Feststellungen hinsichtlich der angenommenen Abbiegegeschwindigkeit des Beklagten verfahrensfehlerhaft von einem rechnerischen Mittelwert von 18 km/h ausgegangen, hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat diese Geschwindigkeit nicht lediglich unterstellt, sondern hat sich aufgrund der Angaben des Sachverständigen in Verbindung mit den sonstigen Umständen des vorliegen-
den Falles in tatrichterlicher Würdigung verfahrensfehlerfrei eine entsprechende Überzeugung gebildet, indem es darauf hinweist, daß es weder gegenteiligen Vortrag der Parteien, noch Spuren auf der Fahrbahn noch sonstige Anhaltspunkte für eine andere als die vom Sachverständigen angenommene mittlere Abbiegegeschwindigkeit gebe, etwa infolge eines Bremsvorgangs. bb) Darüber hinaus käme dem Kläger vorliegend entgegen der Annahme des Berufungsgerichts im Rahmen der Vermeidbarkeitsprüfung keine Zeit für eine Verringerung der Geschwindigkeit auf 100 km/h bei Beginn der kritischen Verkehrslage zugute. Anders als bei der Verletzung einer situationsbedingten Beschränkung der zulässigen Geschwindigkeit, etwa nach § 3 Abs. 2 a StVO, bei der erst das Vorliegen bestimmter Umstände eine Verminderung der Geschwindigkeit unter das bis dahin zulässige Maß gebietet (vgl. Senatsurteil vom 23. April 2002 - VI ZR 180/01 - VersR 2002, 911, 912 m.w.N.) und dem verkehrsgerecht Fahrenden deshalb bei Eintritt der kritischen Verkehrslage eine Reaktions- und Bremszeit zuzubilligen ist, ist der Verkehrsteilnehmer, der die allgemein zulässige Höchstgeschwindigkeit überschreitet, ständig gehalten, seine Geschwindigkeit auf das zulässige Maß zu reduzieren. Deswegen besteht für diesen das rechtmäßige Alternativverhalten, welches (fiktiv) der Kausalitätsprüfung zugrunde zu legen ist, nicht in einem sofortigen Abbremsen auf die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit, sondern in der Einhaltung dieser Geschwindigkeit bereits bei Beginn der kritischen Verkehrslage (vgl. Senatsurteil vom 11. Januar 1977 - VI ZR 268/74 - aaO; BGHSt 33, 61, 63 f.). Diese Betrachtungsweise ist auch deshalb geboten, weil ansonsten die haftungsrechtliche Zurechnung eines Schadens zu einer Geschwindigkeitsüberschreitung desto eher entfiele, je stärker die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten wurde. Hiernach folgt aus den Feststellungen des Berufungsgerichts für den vorliegenden Fall, daß der Kläger den Unfall erst recht hätte vermeiden können,
wenn er bereits zum Zeitpunkt des Eintritts der kritischen Verkehrslage nicht schneller als 100 km/h gefahren wäre. 3. Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist schließlich die vom Berufungsgericht vorgenommene Haftungsverteilung.
a) Die Entscheidung über eine Haftungsverteilung im Rahmen des § 254 BGB oder des § 17 StVG ist grundsätzlich Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob der Tatrichter alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt hat (vgl. Senatsurteile vom 12. Juli 1988 - VI ZR 283/87 - VersR 1988, 1373 und vom 5. März 2002 - VI ZR 398/00 - VersR 2002, 613, 615 f.; jeweils m.w.N.; BGH, Urteile vom 20. Juli 1999 - X ZR 139/96 - NJW 2000, 217, 219 m.w.N. und vom 14. September 1999 - X ZR 89/97 - NJW 2000, 280, 281 f.). In erster Linie ist hierbei nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; das beiderseitige Verschulden ist nur ein Faktor der Abwägung (Senatsurteil vom 20. Januar 1998 - VI ZR 59/97 - VersR 1998, 474, 475 m.w.N.). Die Abwägung kann nicht schematisch erfolgen. Sie ist aufgrund aller festgestellten Umstände des Einzelfalles vorzunehmen. Diese Maßstäbe hat das Berufungsgericht nicht verkannt.
b) Die Revision rügt insoweit erfolglos, das Berufungsgericht habe das Verhalten des Beklagten zu Unrecht nicht als grob fahrlässig gewertet. Die tatrichterliche Beurteilung, ob dem Schädiger der Vorwurf grober Fahrlässigkeit zu machen ist, ist mit der Revision ebenfalls nur beschränkt angreifbar. Der Nachprüfung unterliegt, ob der Tatrichter den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Verschuldensgrades wesentliche Umstände
außer Betracht gelassen hat (vgl. etwa Senatsurteil vom 30. Januar 2001 - VI ZR 49/00 - VersR 2001, 985; BGHZ 145, 337, 340 jeweils m.w.N.). Daß das Berufungsgericht nach den getroffenen Feststellungen ein grob fahrlässiges Verhalten des Beklagten verneint hat, läßt keinen Rechtsfehler erkennen. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet läßt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Zwar beging der Beklagte einen objektiv schweren Verkehrsverstoß, indem er abbog und dadurch das Vorrecht des Klägers verletzte, was bei verkehrsgerechtem Verhalten des Klägers angesichts des Schutzcharakters des § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO zugunsten des Gegenverkehrs ein starkes Anzeichen für ein schweres Verschulden ergeben hätte. Jedoch begegnet die Auffassung des Berufungsgerichts, der Beklagte könne die Verkehrslage diesbezüglich lediglich fahrlässig falsch eingeschätzt haben, nach den getroffenen Feststellungen keinen rechtlichen Bedenken. Insoweit konnte das Berufungsgericht im Rahmen der vom Sachverständigen im Bereich zwischen 120 bis 150 km/h angegebenen Geschwindigkeit des Klägers zugunsten des Beklagten ohne Rechtsfehler davon ausgehen, daß der Kläger mit einer Geschwindigkeit von 150 km/h fuhr, als der Beklagte seinen Abbiegevorgang einleitete. Denn die Tatsachen, aus denen sich eine grobe Fahrlässigkeit des Beklagten ergeben könnte, stehen zur Beweislast des Klägers. Eine Fehleinschätzung des Wartepflichtigen hat das Berufungsgericht angesichts einer derartigen Geschwindigkeitsüberschreitung nicht für ausgeschlossen erachten müssen.

III.

Nach alledem muß der Revision der Erfolg versagt bleiben. Das Berufungsurteil ist lediglich nach § 319 Abs. 1 ZPO von Amts wegen durch den Senat (BGH, Urteil vom 10. Juli 1991 - IV ZR 155/90 - NJW-RR 1991, 1278 m.w.N.) entsprechend den diesbezüglich eindeutigen Entscheidungsgründen dahin zu berichtigen, daß sich der Feststellungsausspruch nur auf zukünftige materielle und immaterielle Schäden des Klägers bezieht und die Klage im übrigen abgewiesen wird.
Müller Greiner Wellner Pauge Stöhr
16
aa) Das Berufungsgericht geht aufgrund einer Würdigung der Angaben der vom Landgericht vernommenen Zeugen davon aus, das Warnblinklicht des Fahrzeugs des Beklagten habe im Unfallzeitpunkt, also im Moment der Kollision mit dem Motorrad, nicht geleuchtet. Das Berufungsgericht teilt auch nicht die Auffassung des Landgerichts, es lasse sich nicht ausschließen, dass es bereits im Moment des dem Unfallgeschehen vorausgegangenen Defekts des Fahrzeugs zum Ausfall der Warnblinkanlage gekommen sei. Demnach bezieht das Berufungsgericht in seine Abwägung den Umstand ein, ab dem Eintritt der kritischen Verkehrssituation bis zum Unfallzeitpunkt habe das in diesem Zeitraum noch funktionsfähige Warnblinklicht des Fahrzeugs des Beklagten deshalb nicht geleuchtet, weil dieser es nicht eingeschaltet gehabt habe.

(1) Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.

(2) Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wird.

(3) Benutzt jemand das Kraftfahrzeug ohne Wissen und Willen des Fahrzeughalters, so ist er anstelle des Halters zum Ersatz des Schadens verpflichtet; daneben bleibt der Halter zum Ersatz des Schadens verpflichtet, wenn die Benutzung des Kraftfahrzeugs durch sein Verschulden ermöglicht worden ist. Satz 1 findet keine Anwendung, wenn der Benutzer vom Fahrzeughalter für den Betrieb des Kraftfahrzeugs angestellt ist oder wenn ihm das Kraftfahrzeug vom Halter überlassen worden ist.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 168/04 Verkündet am:
26. April 2005
Böhringer-Mangold,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Ein Schaden ist "bei dem Betrieb" eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich von
einem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahren ausgewirkt haben. Demgemäß kann
selbst ein Unfall infolge einer voreiligen - also objektiv nicht erforderlichen - Abwehroder
Ausweichreaktion dem Betrieb des Kraftfahrzeugs zugerechnet werden, das
diese Reaktion ausgelöst hat.
BGH, Urteil vom 26. April 2005 - VI ZR 168/04 - AG Berlin-Mitte
LG Berlin
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 26. April 2005 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller, den Richter
Wellner, die Richterin Diederichsen und die Richter Stöhr und Zoll

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 52. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 3. Mai 2004 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche aus einem Unfall in einer Tiefgarage geltend. Er und der Beklagte zu 1 besitzen dort jeweils einen Stellplatz. Der von dem Beklagten zu 1 gemietete Stellplatz befindet sich direkt rechts hinter der Ein- bzw. Ausfahrtsrampe zur Tiefgarage. Er muß auf der Rampe nach links ausholen, um dann rechtwinklig nach rechts in seine Parkbox einfahren zu können. Am 8. Januar 2003 fuhr der Beklagte zu 1 mit seinem VW-Bus die Abfahrt zu der Tiefgarage herunter. Der Kläger wollte diese mit seinem Fahrzeug verlassen und kam dem Beklagten zu 1 entgegengefahren. Als die Fahrzeuge
noch drei bis fünf Meter voneinander entfernt waren, lenkte er plötzlich nach rechts und sein PKW kollidierte mit der Wand der Tiefgarage. Die Ursache dieses Manövers ist zwischen den Parteien streitig. Nach der Darstellung des Klägers ist der Beklagte zu 1 plötzlich über die Trennlinie der beiden jeweils 2,90 m breiten Fahrspuren der Ab- bzw. Auffahrt gefahren, so daß er selbst nach rechts ausgewichen und deshalb an die Wand gefahren sei. Nach der Darstellung der Beklagten hat der Beklagte zu 1 lediglich einen kleinen Schlenker innerhalb seiner eigenen Fahrspur nach links gemacht, jedoch sofort nach rechts zurückgelenkt, nachdem er das klägerische Fahrzeug gesehen habe. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers blieb ohne Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht hat eine Haftung der Beklagten aus §§ 7, 17 StVG, § 3 PflVG, § 823 BGB verneint. Der Kläger habe weder den Beweis führen können , daß ein Fahrfehler des Beklagten zu 1 kausal für sein Ausweichen gegen die Garagenwand gewesen sei noch folge eine Haftung der Beklagten unter Zugrundelegung des unstreitigen Sachverhaltes aus der Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs. Auch wenn man davon ausgehe, daß der Beklagte zu 1 auf seiner Fahrspur zunächst nur einen kleinen Schlenker nach links gefahren sei, ohne die
Mittellinie zu überfahren, und danach sofort wieder auf die rechte Seite seiner Fahrspur zurückgelenkt habe, habe sich nicht die typische Betriebsgefahr seines Fahrzeugs verwirklicht. Den Beklagten sei nicht zuzurechnen, daß der Kläger beim Anblick des VW-Busses seinen eigenen PKW gegen die Wand der Tiefgarage gelenkt habe. Seine Ausweichlenkung sei als gravierender Fahrfehler infolge einer ungerechtfertigten Panikreaktion zu werten. Eine solche gänzlich überzogene Reaktion sei dem anderen Verkehrsteilnehmer nicht mehr nach § 7 StVG zuzurechnen. Bei wertender Betrachtung fehle es an einer "subjektiv vertretbaren Ausweichlenkung aufgrund der konkreten Verkehrssituation". Für eine Zurechnung sei jedoch mindestens erforderlich, daß der geschädigte Kraftfahrzeugführer objektiv nachvollziehbar von einer Gefährdung durch das entgegenkommende Fahrzeug ausgehen durfte. Daran fehle es hier.

II.

Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. 1. a) Das Haftungsmerkmal "bei dem Betrieb" ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Vorschrift weit auszulegen. Die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG umfaßt daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflußten Schadensabläufe. Es genügt, daß sich eine von dem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr ausgewirkt hat und das Schadensgeschehen in dieser Weise durch das Kraftfahrzeug mitgeprägt worden ist (vgl. Senatsurteile BGHZ 105, 65, 66; 107, 359, 366; 115, 84, 86 und vom 18. Januar 2005 - VI ZR 115/04 – VersR 2005, 566, 567). Ob dies der Fall ist, muß mittels einer am Schutzzweck der Haftungsnorm orientierten wertenden Betrachtung beurteilt werden (vgl. Senatsurteile BGHZ 71, 212, 214; 115,
aaO und vom 18. Januar 2005 - VI ZR 115/04 - aaO). An diesem auch im Rahmen der Gefährdungshaftung erforderlichen Zurechnungszusammenhang fehlt es, wenn die Schädigung nicht mehr eine spezifische Auswirkung derjenigen Gefahren ist, für die die Haftungsvorschrift den Verkehr schadlos halten will (vgl. Senatsurteile BGHZ 79, 259, 263; 107, 359, 367; 115, 84, 86 f.). Für eine Zurechnung zur Betriebsgefahr kommt es maßgeblich darauf an, daß der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Kausalzusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht (vgl. Senatsurteile BGHZ 37, 311, 317 f.; 58, 162, 165; vom 11. Juli 1972 - VI ZR 86/71 - VersR 1972, 1074 f.; vom 10. Oktober 1972 - VI ZR 104/71 - VersR 1973, 83 f. und vom 10. Februar 2004 – VI ZR 218/03 - VersR 2004, 529, 531). Hiernach rechtfertigt die Anwesenheit eines im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs an der Unfallstelle allein zwar noch nicht die Annahme, der Unfall sei bei dem Betrieb dieses Fahrzeugs entstanden. Erforderlich ist vielmehr, daß die Fahrweise oder der Betrieb dieses Fahrzeugs zu dem Entstehen des Unfalls beigetragen hat (vgl. Senatsurteile vom 22. Oktober 1968 - VI ZR 178/67 - VersR 1969, 58, 59; vom 11. Juli 1972 - VI ZR 86/71 – aa0; vom 10. Oktober 1972 - VI ZR 104/71 – aaO und vom 19. April 1988 - VI ZR 96/87 - VersR 1988, 641). Andererseits hängt die Haftung gemäß § 7 StVG nicht davon ab, ob sich der Führer des im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs verkehrswidrig verhalten hat (vgl. Senatsurteile vom 29. Juni 1971 - VI ZR 271/69 - VersR 1971, 1060, 1061; vom 13. Juli 1971 - VI ZR 2/70 - VersR 1971, 1063, 1064 und vom 10. Oktober 1972 - VI ZR 104/71 - aaO), und auch nicht davon, daß es zu einer Kollision der Fahrzeuge gekommen ist (vgl. Senatsurteile vom 16. September 1986 - VI ZR 151/85 - VersR 1986, 1231, 1232 und vom 19. April 1988 - VI ZR 96/87 - aaO).
Diese weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ entspricht dem weiten Schutzzweck des § 7 Abs. 1 StVG und findet darin ihre innere Rechtfertigung. Die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist sozusagen der Preis dafür, daß durch die Verwendung eines Kfz - erlaubterweise – eine Gefahrenquelle eröffnet wird, und will daher alle durch den Kfz – Verkehr beeinflußten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann „bei dem Betrieb“ eines Kfz entstanden, wenn sich von einem Kfz ausgehende Gefahren ausgewirkt haben (vgl. Senatsurteil vom 19. April 1988 - VI ZR 96/87 – aaO mwN.)
b) Nach diesen Grundsätzen kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Die Auffassung des Berufungsgerichts, hier fehle der Zurechnungszusammenhang , weil der Kläger nicht objektiv nachvollziehbar von einer Gefährdung durch das entgegenkommende Fahrzeug habe ausgehen dürfen, steht mit dieser Rechtsprechung nicht in Einklang. Danach kann selbst ein Unfall infolge einer voreiligen - also objektiv nicht erforderlichen - Abwehr- oder Ausweichreaktion gegebenenfalls dem Betrieb des Kraftfahrzeugs zugerechnet werden, das diese Reaktion ausgelöst hat (vgl. Senatsurteile vom 29. Juni 1971 - VI ZR 271/69 - aaO und vom 19. April 1988 - VI ZR 96/87 - aaO). Daß der vom Beklagten zu 1 eingeräumte Schlenker nach links, von dem auch das Berufungsgericht ausgeht, die Ausweichbewegung des Klägers veranlaßt hat, liegt auf der Hand. Auch wenn das Berufungsgericht sie als Panikreaktion bezeichnet , ist sie doch durch das Verhalten des Beklagten verursacht worden, das vom entgegenkommenden Fahrer in der engen Ausfahrt als gefährlich empfunden werden konnte. Das reicht, wie der Senat in einem vergleichbaren Fall ausgeführt hat, für den Zurechnungszusammenhang aus (vgl. Senatsurteil vom 19. April 1988 - VI ZR 96/87 - aaO).
So hat der Senat auch in einem Fall, in dem eine Mofafahrerin unsicher wurde, als sie ein Sattelschlepper überholte, und deshalb stürzte, eine Auswirkung der Betriebsgefahr des LKWs angenommen (vgl. Senatsurteil vom 11. Juli 1972 - VI ZR 86/71 - aaO), ebenso als ein Fußgänger durch die Fahrweise des nach Hochziehen einer Schranke anfahrenden Kraftfahrzeugs unsicher wurde und deshalb stürzte (vgl. Senatsurteil vom 10. Oktober 1972 - VI ZR 104/71 – aaO). Das Merkmal "beim Betrieb" hat er auch bejaht, als ein LKW die voreilige Abwehrreaktion eines nachfolgenden Kraftfahrers auslöste, weil er andauernd blinkte und entweder nach links zog oder schon hart an die Mittellinie herangezogen war (vgl. Senatsurteil vom 29. Juni 1971 - VI ZR 271/69 - aaO). In all diesen Fällen kam es nicht darauf an, ob die Abwehr- oder Ausweichreaktion objektiv erforderlich war.
c) Die vom Berufungsgericht vorgenommene Einschränkung ist auch nicht erforderlich. Vielmehr ist das notwendige Korrektiv für eine sachgerechte Haftungsbegrenzung in den §§ 9, 17, 18 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 StVG enthalten. Nach diesen Vorschriften können die jeweiligen Verursachungsbeiträge sowie ein etwaiges Verschulden berücksichtigt werden, so daß der Schaden angemessen verteilt und gegebenenfalls sogar die Haftung einem Kraftfahrer allein auferlegt werden kann.

III.

Eine abschließende Entscheidung ist dem erkennenden Senat nicht möglich, weil das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt folgerichtig - die dazu erforderlichen Feststellungen nicht getroffen hat. Die Sache ist daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es sie nachholen kann.
Im weiteren Verfahren wird das Berufungsgericht feststellen müssen, ob sich eine etwaige Haftung des Beklagten zu 1 auch aus § 7 Abs. 1 StVG oder nur aus § 18 Abs. 1 StVG ergeben kann. Es wird gegebenenfalls eine Abwägung nach §§ 9, 17, 18 Abs. 3 StVG vornehmen müssen, wobei nur solche Umstände berücksichtigt werden dürfen, die feststehen, d.h. unstreitig, zugestanden oder nach § 286 ZPO bewiesen sind, und sich auf den Unfall ausgewirkt haben (vgl. Senatsurteile vom 10. Januar 1995 - VI ZR 247/94 - VersR 1995, 357 und vom 27. Juni 2000 – VI ZR 126/99 – VersR 2000, 1294, 1296).
Müller Wellner Diederichsen Stöhr Zoll

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.

(1) Der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegt nur dasjenige Parteivorbringen, das aus dem Berufungsurteil oder dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist. Außerdem können nur die in § 551 Abs. 3 Nr. 2 Buchstabe b erwähnten Tatsachen berücksichtigt werden.

(2) Hat das Berufungsgericht festgestellt, dass eine tatsächliche Behauptung wahr oder nicht wahr sei, so ist diese Feststellung für das Revisionsgericht bindend, es sei denn, dass in Bezug auf die Feststellung ein zulässiger und begründeter Revisionsangriff erhoben ist.

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.

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aa) Die Würdigung der Beweise ist grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten , an dessen Feststellungen das Revisionsgericht gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden ist. Dieses kann lediglich nachprüfen, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr. vgl. z.B. Senatsurteile vom 1. Oktober 1996 - VI ZR 10/96, VersR 1997, 362, 364 und vom 8. Juli 2008 - VI ZR 274/07, aaO; BGH, Urteil vom 5. Oktober 2004 - XI ZR 210/03, BGHZ 160, 308, 317 mwN). Einen solchen Fehler zeigt die Revision nicht auf.

(1) Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.

(2) Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wird.

(3) Benutzt jemand das Kraftfahrzeug ohne Wissen und Willen des Fahrzeughalters, so ist er anstelle des Halters zum Ersatz des Schadens verpflichtet; daneben bleibt der Halter zum Ersatz des Schadens verpflichtet, wenn die Benutzung des Kraftfahrzeugs durch sein Verschulden ermöglicht worden ist. Satz 1 findet keine Anwendung, wenn der Benutzer vom Fahrzeughalter für den Betrieb des Kraftfahrzeugs angestellt ist oder wenn ihm das Kraftfahrzeug vom Halter überlassen worden ist.

(1) Das Prozessgericht kann nach seinem Ermessen die wiederholte Vernehmung eines Zeugen anordnen.

(2) Hat ein beauftragter oder ersuchter Richter bei der Vernehmung die Stellung der von einer Partei angeregten Frage verweigert, so kann das Prozessgericht die nachträgliche Vernehmung des Zeugen über diese Frage anordnen.

(3) Bei der wiederholten oder der nachträglichen Vernehmung kann der Richter statt der nochmaligen Beeidigung den Zeugen die Richtigkeit seiner Aussage unter Berufung auf den früher geleisteten Eid versichern lassen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 130/05 Verkündetam:
18.Oktober2006
Fritz
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtin
derGeschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
_____________________
Der Beweis für das äußere Bild einer Entwendung eines Tresors erbringt nicht
zugleich das äußere Bild einer Entwendung der sich darin (nach Behauptung des
Versicherungsnehmers) befindlichen Gegenständen, denn die Entwendung des Tresors
lässt nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Schluss darauf zu, das sich
im Tresor Gegenstände befunden haben.
Dem Versicherungsnehmer obliegt es auch in einem solchen Fall darzulegen und zu
beweisen, dass vor dem Diebstahl die später als gestohlen gemeldeten Gegenstände
im Tresor vorhanden waren und danach nicht mehr aufgefunden wurden. Für die
Anwendung des § 287 ZPO ist insoweit kein Raum.
Hat das Berufungsgericht konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit der in
erster Instanz auf Grund der Vernehmung eines Zeugen getroffenen Feststellungen
und ordnet es deshalb die erneute Vernehmung dieses Zeugen an, ist ihm der Rück-
griff auf die erstinstanzlich protokollierte Aussage des Zeugen als Grundlage für eine
abweichende Würdigung der Glaubwürdigkeit des Zeugen verschlossen, wenn dieser
nunmehr berechtigt das Zeugnis verweigert.
BGH, Urteil vom 18. Oktober 2006 - IV ZR 130/05 - OLG Hamm
LG Bochum
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Wendt, Felsch und
Dr. Franke auf die mündliche Verhandlung vom 20. September 2006

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 20. April 2005 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zu deren Nachteil erkannt worden ist.
In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens , an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

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Die Beklagte wird vom Kläger auf Zahlung von 74.854,15 € wegen eines von ihm behaupteten Einbruchdiebstahls in Anspruch genommen.
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Der Kläger, der in seiner Wohnung unter anderem den gewerblichen An- und Verkauf von Schmuck betrieb, nahm dafür im Juni 2002 bei der Beklagten eine Geschäfts- und Transportversicherung sowie eine Betriebseinrichtungsversicherung, jeweils unter Einschluss des Einbruchdiebstahl -Risikos. Am 21. Oktober 2002 erstattete der Kläger bei der Polizei Strafanzeige gegen Unbekannt wegen eines Einbruchdiebstahls in seiner Wohnung und meldete den Schadensfall der Beklagten. Die Tat habe sich, so der Kläger, während seiner Urlaubsabwesenheit im Zeitraum zwischen dem 18. und 21. Oktober 2002 ereignet; ihm sei ein Tresor (Wert: 7.355,63 €) entwendet worden, in dem sich in seinem Eigentum stehender Schmuck im Gesamtwert von 49.385,83 € sowie Bargeld in Höhe von 13.480 € befunden hätten. Unstreitig waren an der Tür zur Wohnung des Klägers am 21. Oktober 2002 typische Aufbruchspuren vorhanden; der Fußbodenbelag wies Schäden auf, die durch das Abtransportieren des Tresors entstanden sein konnten. Die Sachschäden an Tür und Boden belaufen sich auf 4.632,59 €. Die Beklagte ist der Ansicht , sie sei leistungsfrei, da der Kläger den Einbruchdiebstahl vorgetäuscht habe. Der schwere Tresor hätte aus der Wohnung des Klägers nicht abtransportiert werden können, ohne die Aufmerksamkeit der Mitbewohner zu erregen. Zum Ankauf von Schmuck im Werte der Klageforderung sei der Kläger wirtschaftlich auch nicht in der Lage gewesen; sein Vortrag, die Mittel stammten aus zwei Darlehen, die ihm seine Eltern gewährt hätten, sei unzutreffend.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers ist die Beklagte unter teilweiser Abänderung des landgerichtlichen Urteils zur Zahlung von 61.374,05 € nebst Zinsen verurteilt worden; wegen der weiteren 13.480 € (Bargeld) ist die Berufung zurückgewiesen worden. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf volle Abweisung der Klage weiter.

Entscheidungsgründe:


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Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I. Das Berufungsgericht hält das äußere Bild eines Einbruchdiebstahls für gegeben. Die Wohnungstür habe typische Einbruchspuren aufgewiesen ; ein Diebstahl in der vom Kläger behaupteten Begehungsweise sei möglich gewesen. Es stehe zudem fest, dass sich der Tresor am 18. Oktober 2002 in der Wohnung befunden habe und dort am Morgen des 21. Oktober 2002 nicht mehr vorhanden gewesen sei. Die Spuren am Bodenbelag ergäben mit hinreichender Gewissheit, dass der Tresor aus der Wohnung geschafft worden sei. Diese Umstände genügten zur Feststellung des äußeren Bildes eines Einbruchdiebstahls.
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Dagegen betreffe die Frage, ob Schmuck und Bargeld im Tresor vorhanden waren, nicht die Voraussetzungen des äußeren Bildes, sondern allein die Schadenshöhe (§ 287 ZPO). Dabei könne dahingestellt bleiben, ob es für das äußere Bild eines Diebstahls allgemein ausreiche, wenn (nur) einer der als gestohlen behaupteten Gegenstände vor dem behaupteten Diebstahl vorhanden gewesen sei und danach nicht mehr aufgefunden werde, denn hier sei das äußere Bild allein durch das Wegschaffen des Tresors geprägt.
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Unstreitige oder von der Beklagten bewiesene Tatsachen, die mit erheblicher Wahrscheinlichkeit auf eine Vortäuschung des Einbruchdiebstahls schließen ließen, lägen nicht vor.

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Bei der Würdigung des Sachverhalts bestehe insoweit keine Bindung an die gegenteilige Feststellung des Landgerichts, denn es bestünden konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellung.
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danach Die neu vorzunehmende Würdigung erstrecke sich auch auf die Behauptung des Klägers, von seinen Eltern Darlehen erhalten zu haben. Da die Mutter des Klägers in zweiter Instanz das Zeugnis verweigert habe, sei der Senat hierbei, soweit es um ihre Angaben gehe, auf den Inhalt des landgerichtlichen Protokolls über ihre Zeugenvernehmung angewiesen. Dieses Protokoll bleibe verwertbar. Allein auf Grundlage der protokollierten Angaben der Mutter sowie der übrigen Umstände könne sich der Senat nicht die Überzeugung verschaffen, dass es die vom Kläger behaupteten Darlehen tatsächlich nicht gegeben habe. Zwar gebe es Widersprüche zwischen dem Klägervortrag und der erstinstanzlich protokollierten Zeugenaussage der Mutter; diese könnten aber als Indiz für die positiv festzustellende Unrichtigkeit des Klägervortrags nicht entscheidend ins Gewicht fallen, da sie lediglich Details beträfen.
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Auch die Würdigung aller übrigen tatsächlich feststehenden Umstände würde insgesamt nicht zu der Feststellung führen, dass der Diebstahl mit erheblicher Wahrscheinlichkeit nur vorgetäuscht worden sei.
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Dem Kläger stehe danach wegen der Schäden in der Wohnung ein Anspruch in Höhe von 4.632,59 €, wegen des Wertes des Tresors in Höhe von 7.355,63 € und wegen des in ihm befindlichen Schmucks in Höhe von 49.385,83 € zu. Auch hinsichtlich der Schmucks stehe mit überwie- gender Wahrscheinlichkeit (§ 287 ZPO) fest, dass dieser gestohlen worden sei.
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II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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1. Das Berufungsgericht hat, was den Nachweis anlangt, dem Kläger sei im Tresor befindlicher Schmuck entwendet worden, rechtsfehlerhaft das Beweismaß des § 287 ZPO zu Grunde gelegt.
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a) Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass dem Versicherungsnehmer bei einem behaupteten Diebstahl Beweiserleichterungen zugute kommen. Er genügt seiner Beweislast, wenn er das äußere Bild einer bedingungsgemäßen Entwendung beweist, also ein Mindestmaß an Tatsachen, die nach der Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Schluss auf die Entwendung zulassen (BGH, Urteile vom 5. November 1986 - IVa ZR 57/86 - VersR 1987, 146; vom 18. Oktober 1989 - IVa ZR 341/88 - VersR 1990, 45, jeweils m.w.N.). Zu dem Minimum an Tatsachen, die bei einem Einbruchdiebstahl - um den es nach Behauptung des Klägers geht - das äußere Bild ausmachen, gehört, dass die als gestohlen bezeichneten Sachen vor dem behaupteten Diebstahl am angegebenen Ort vorhanden und danach nicht mehr aufzufinden waren; zudem gehört dazu, dass Einbruchspuren vorhanden sind, wenn nicht ein Nachschlüsseldiebstahl in Betracht kommt.

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Für diese Tatsachen, die erst zusammen das äußere Bild eines Einbruchdiebstahls ausmachen, muss der Versicherungsnehmer den Vollbeweis führen.
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Davon geht auch das Berufungsgericht im Grundsatz zutreffend aus, soweit seine Erwägungen den behaupteten Diebstahl des Tresors selbst - nicht von dessen Inhalt - betreffen. Denn es stellt insoweit auf der Grundlage seiner Tatsachenwürdigung fest, dass Einbruchspuren vorhanden waren, ein Diebstahl in der vom Kläger behaupteten Art möglich , der Tresor vor dem Diebstahl vorhanden war und danach nicht mehr aufgefunden werden konnte. Damit hat es mit Blick auf den Tresor das äußere Bild eines Einbruchdiebstahls festgestellt, nämlich ein Mindestmaß an Tatsachen, die nach der Lebenserfahrung den Schluss auf die versicherte Entwendung zulassen.
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Wenn b) das Berufungsgericht vor diesem Hintergrund aber gemeint hat, was den als gestohlen behaupteten Inhalt des Tresors anlange , gehe es allein noch um die Schadenshöhe, die in Anwendung des Beweismaßes des § 287 ZPO festzustellen sei, ist ihm nicht zu folgen. Der Senat hat mit Urteil vom 14. Juni 1995 (IV ZR 116/94 - VersR 1995, 956 unter 3 a) in einem Fall, in dem bei einem Einbruch in Räume eines Pelzgroßhandels Felle und Pelze in einem Gesamtwert von 652.199 DM entwendet worden sein sollten, ausgesprochen, es gehöre auch zum äußeren Bild, für das der Versicherungsnehmer den Vollbeweis führen müsse, dass die Felle und Pelze vor dem behaupteten Diebstahl im Wesentlichen in der angegebenen Menge vorhanden waren. Der Senat hat damit zunächst den Grundsatz bestätigt, dass das Vorhandensein der als gestohlen gemeldeten Sachen und deren Nichtwiederauffinden vom Ver- sicherungsnehmer voll zu beweisen ist, denn gerade darin findet sich - unabhängig von den Einbruchsmerkmalen - das äußere Bild der Entwendung selbst. Soweit der Senat zudem angemerkt hat, es sei vom Versicherungsnehmer (voll) zu beweisen, dass die Felle und Pelze "im wesentlichen in der angegebenen Menge" vorhanden waren, stellt das den vorgenannten Grundsatz nicht infrage, sondern trägt vielmehr dem Umstand Rechnung, dass in jenem Falle fast der gesamte Lagerbestand, mithin eine Vielzahl von Einzelstücken, entwendet worden war. Vor diesem Hintergrund ist es gerechtfertigt, dem Versicherungsnehmer zwar nicht den Vollbeweis für das Vorhandensein und Nichtwiederauffinden jedes Einzelstücks abzuverlangen, aber doch den Nachweis zu fordern, dass jedenfalls Sachen vorhanden waren, die der angegebenen Menge in etwa ("im wesentlichen") entsprechen (vgl. OLG Saarbrücken VersR 1999, 750, 751; OLG Düsseldorf RuS 1999, 514, 515; NVersZ 2000, 182, 183; OLG Hamm VersR 1998, 316, 317; NVersZ 2000, 186; Kollhosser in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 49 Rdn. 53; Römer/Langheid, VVG 2. Aufl. § 49 Rdn. 21; a.A.: Lücke, VersR 1996, 785, 793; BK/Schauer, VVG Vorbem. §§ 49-68 a Rdn. 91). Erbringt er - beim Vorhandensein von Einbruchspuren - diesen Nachweis, steht das äußere Bild einer versicherten Entwendung der (insgesamt) als gestohlen gemeldeten Sachen fest; danach ist mit Blick auf die Schadenshöhe Raum für die Anwendung des Beweismaßes des § 287 ZPO.
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Daran hält der Senat fest. Es besteht kein Anlass, dem Versicherungsnehmer hier weitere Beweiserleichterungen zuzubilligen. Denn hinsichtlich des Vorhandenseins der als gestohlen gemeldeten Sachen befindet er sich nicht in einer typischen Beweisnot, die eine solche Beweiserleichterung rechtfertigen könnte. Jedenfalls kommt es vor diesem Hin- tergrund - wie vom Berufungsgericht erwogen, aber letztlich offen gelassen - nicht in Betracht, den Beweis für das äußere Bild der Entwendung einer Vielzahl von Gegenständen schon dann als geführt anzusehen, wenn der Versicherungsnehmer allein zu beweisen vermag, dass einer dieser Gegenstände vor dem (behaupteten) Diebstahl vorhanden war und danach nicht wieder aufgefunden wurde (Rüther, Versicherungsrechts -Handbuch § 23 Rdn. 211 a). Das gilt auch dann, wenn - wie das Berufungsgericht meint - das Wegschaffen eines Gegenstandes, hier des Tresors, das äußere Bild des Diebstahls "prägt".
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c) Zwar ist der vorliegende Fall durch die Besonderheit gekennzeichnet , dass es um den Nachweis der Entwendung von Gegenständen geht, die der (nach Behauptung des Klägers) gestohlene Tresor zum Inhalt hatte. Das rechtfertigt indessen keine Abkehr von den zuvor näher dargelegten Grundsätzen. Den Versicherungsnehmer trifft auch hier die (volle) Beweislast dafür, dass und welche Gegenstände sich vor dessen Diebstahl im Tresor befanden; handelt es sich um eine Vielzahl von Einzelgegenständen (Schmuckstücken), kann es ausreichen, wenn er beweist , dass diese im Wesentlichen vorhanden waren.
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Steht lediglich das äußere Bild einer Entwendung des Tresors fest, besagt das noch nichts darüber, dass über den Tresor selbst hinaus überhaupt etwas entwendet worden ist. Die Entwendung des Tresors allein lässt also nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Schluss darauf zu, dass sich im Tresor überhaupt Gegenstände befunden haben und (mit-)gestohlen worden sind; das äußere Bild der Entwendung des Tresors erbringt nicht zugleich das äußere Bild der Entwendung seines (nach Behauptung des Klägers) darin befindlichen Schmucks. Dem Ver- sicherungsnehmer obliegt es vielmehr auch in einem solchen Fall darzulegen und zu beweisen, dass sich vor dem Diebstahl die später als gestohlen gemeldeten Gegenstände im Tresor befunden haben; erst dann lässt das äußere Bild der Entwendung des Tresors mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auch den Schluss auf deren Entwendung zu. Für Beweiserleichterungen ist auch insoweit schon mangels typischer Beweisnot des Versicherungsnehmers kein Raum.
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Das Berufungsgericht wird daher nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen festzustellen haben, ob der Kläger auch mit Blick auf den Schmuck den (Voll-)Beweis dafür erbracht hat, dass dieser vor der behaupteten Entwendung im Tresor vorhanden und danach nicht wieder aufzufinden war.
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2. Soweit das Berufungsgericht bei der unter Berücksichtigung der in erster Instanz protokollierten Angaben der Mutter des Klägers vorgenommenen Würdigung angenommen hat, dass die Beklagte keine Tatsachen bewiesen hat, die mit erheblicher Wahrscheinlichkeit auf eine Vortäuschung des Einbruchdiebstahls schließen lassen, leidet seine Tatsachenfeststellung an einem Verfahrensmangel und kann deshalb keinen Bestand haben.
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a) Bestehen aus Sicht des Berufungsgerichts Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen, sind die Eingangsvoraussetzungen des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gegeben. Es sind erneute Feststellungen geboten, wobei die eigenständige Würdigung der in erster Instanz erhobenen Beweise durch das Berufungsgericht bereits eine solche erneute Tatsachenfeststellung darstellt. Die Frage, ob und inwieweit das Berufungsgericht im Zuge dieser erneuten Tatsachenfeststellung zu einer Wiederholung der erstinstanzlichen Beweisaufnahme verpflichtet ist, beantwortet sich nach den von der Rechtsprechung schon zum bisherigen Recht entwickelten Grundsätzen (BGHZ 158, 269, 272 f., 274 f.). Danach ist es erforderlich, Zeugen erneut zu vernehmen, wenn das Berufungsgericht eine protokollierte Aussage anders als die Vorinstanz verstehen oder werten will (BGH, Urteile vom 22. Mai 2002 - VIII ZR 337/00 - NJW-RR 2002, 1500 unter II 1; vom Dezember 2002 - XI ZR 290/01 - BGH-Report 2003, 453 unter II 1 a und b; vom 28. November 1995 - XI ZR 37/95 - WM 1996, 196 unter III 3). Die nochmalige Vernehmung eines Zeugen kann nur dann unterbleiben, wenn sich das Rechtsmittelgericht auf solche Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit seiner Aussage betreffen (BGH, Urteil vom 19. Juni 1991 - VIII ZR 116/90 - NJW 1991, 3285 unter II 2 b aa). Hat also das erstinstanzliche Gericht über streitige Äußerungen und die Umstände, unter denen sie gemacht worden sind, Zeugen vernommen und ist es aufgrund einer Würdigung der Aussagen zu einem bestimmten Ergebnis gekommen, so kann das Berufungsgericht diese Auslegung nicht verwerfen und zum gegenteiligen Ergebnis kommen, ohne zuvor die Zeugen gemäß § 398 Abs. 1 ZPO selbst vernommen zu haben (Senatsbeschluss vom 5. April 2006 - IV ZR 253/05 - VersR 2002, 649 unter 1).
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b) Dem hat das Berufungsgericht nicht ausreichend Rechnung getragen.

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Landgericht Das hat nach durchgeführter Beweisaufnahme die Überzeugung gewonnen, der Kläger habe von seinen Eltern keine Darlehen zur Finanzierung der Schmuckkäufe erhalten. Die gegenteiligen Angaben der Mutter des Klägers, die von der Beklagten als Zeugin benannt worden war, hat es für "nicht lebensnah", "wenig plausibel" und "nicht nachvollziehbar" gehalten. Dies gelte nicht nur für deren Aussage, die ihrem Sohn gewährten Darlehen stammten aus einem seit 1975 aus Misstrauen gegenüber Banken in ihrer Wohnung aufbewahrten Bargeldbetrag in Höhe von etwa 115.000,00 DM, sondern auch für die Schilderung der näheren Umstände der Übergabe einer so beträchtlichen Geldsumme an den Kläger. Ferner bestünden Widersprüche zwischen dem Vortrag des Klägers und den Bekundungen seiner Mutter. Der Senat entnimmt dieser Würdigung des Landgerichts in einer Gesamtbetrachtung, dass es der Aussage der Zeugin keinen Glauben schenken konnte, sie für unglaubwürdig erachtet hat. Danach hätte das Berufungsgericht nach den oben näher dargelegten Grundsätzen diese Würdigung des Landgerichts nicht verwerfen dürfen und zum gegenteiligen Ergebnis kommen können, ohne zuvor die Mutter des Klägers erneut als Zeugin selbst vernommen zu haben. Dass dies das Berufungsgericht letztlich ebenso gesehen hat, belegt dessen Ladung der Zeugin zu dem Beweisthema "Einzelheiten der Darlehensverträge mit dem Kläger". Wenn die Zeugin daraufhin bei der Vernehmung von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat, eröffnet allein dieser Umstand dem Berufungsgericht bei der Würdigung ihrer erstinstanzlich protokollierten Aussage keinen anderweitigen Beurteilungsspielraum; ihm war auch danach eine vom erstinstanzlichen Urteil abweichende Würdigung der Glaubwürdigkeit der Zeugin verschlossen. Ob in Fällen berechtigter Zeugnisverweigerung, hier gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, in entsprechender Anwendung von § 252 StPO schlechthin ein Verwertungsverbot anzunehmen ist (mit dem Berufungsgericht verneinend OLG Braunschweig NdsRPfl 1960, 162; OLG Köln VersR 1993, 335, 336; a.A. OLG Frankfurt am Main MDR 1987, vgl. auch Zöller/Greger, ZPO 25. Aufl. § 383 Rdn. 6; Chr. Berger in Stein/Jonas/ Leipold, ZPO [Stand 1999] § 383 Rdn. 20), kann daher auf sich beruhen.
Terno Dr. Schlichting Wendt
Felsch Dr. Franke
Vorinstanzen:
LG Bochum, Entscheidung vom 06.10.2004 - 4 O 1/04 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 20.04.2005 - 20 U 239/04 -
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1. Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass die Halterhaftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG und die Haftung des Fahrers aus vermutetem Verschulden gemäß § 7 Abs. 1 i.V.m. § 18 StVG auch dann eingreifen können, wenn es nicht zu einer Berührung zwischen den am Unfallgeschehen beteiligten Kraftfahrzeugen gekommen ist. Eine Haftung kommt grundsätzlich nämlich auch dann in Betracht, wenn der Unfall mittelbar durch das andere Kraftfahrzeug verursacht worden ist. Allerdings reicht die bloße Anwesenheit des Kraftfahrzeugs an der Unfallstelle dafür nicht aus. Vielmehr muss das Kraftfahrzeug durch seine Fahrweise (oder sonstige Verkehrsbeeinflussung) zu der Entstehung des Schadens beigetragen haben (Senatsurteile vom 11. Juli 1972 - VI ZR 86/71, VersR 1972, 1074, 1075; vom 4. Mai 1976 - VI ZR 193/74, VersR 1976, 927 und vom 19. April 1988 - VI ZR 96/87, VersR 1988, 641). Dieses kann etwa der Fall sein, wenn der Geschädigte durch den Betrieb eines Kraftfahrzeugs zu einer Reaktion wie z.B. zu einem Ausweichmanöver veranlasst wird und dadurch ein Schaden eintritt. In einem solchen Fall kann der für eine Haftung erforderliche Zurechnungszusammenhang je nach Lage des Falles zu bejahen sein.

(1) Insoweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Wird das Urteil wegen eines Mangels des Verfahrens aufgehoben, so ist zugleich das Verfahren insoweit aufzuheben, als es durch den Mangel betroffen wird.

(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen.

(2) Das Berufungsgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(3) Das Revisionsgericht hat jedoch in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist.

(4) Kommt im Fall des Absatzes 3 für die in der Sache selbst zu erlassende Entscheidung die Anwendbarkeit von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, in Frage, so kann die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.