Finanzgericht Hamburg Urteil, 27. Mai 2015 - 3 K 297/14

bei uns veröffentlicht am27.05.2015

Tatbestand

1

A. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte verpflichtet ist, Säumniszuschläge, die wegen einer verspäteten Zahlung auf Grunderwerbsteuerforderungen verwirkt wurden, wegen sachlicher Unbilligkeit in voller Höhe und nicht nur zur Hälfte zu erlassen.

I.

2

1. Mit notariellem Vertrag vom ... 08.2013 wurden jeweils 100 % der Geschäftsanteile an acht Kapitalgesellschaften im Wege der Abspaltung zur Aufnahme gemäß §§ 123 ff. Umwandlungsgesetz (UmwG) mit Wirkung zum selben Tag auf die Klägerin abgespalten, die hierdurch jeweils alleinige Gesellschafterin wurde. Jede der Kapitalgesellschaften war Eigentümerin eines Grundstücks.

3

2. Im Auftrag der Klägerin erstellte die Beratungsgesellschaft A GmbH in B (im Folgenden: A) die Erklärungen zur Feststellung der Grundbesitzwerte auf den Abspaltungsstichtag ... 08.2013.

4

3. Mit acht Grunderwerbsteuerbescheiden vom 19.03.2014 wurde für jeden Vorgang Grunderwerbsteuer festgesetzt (Anlagen K 1 bis K 8, Finanzgerichtsakten -FGA- Anlagenband). Die Grunderwerbsteuern in Höhe von insgesamt ... € wurden am 24.04.2014 fällig. Ebenfalls am 19.03.2014 ergingen die Feststellungsbescheide über die Grundbesitzwerte.

5

4. Die Steuerkasse Hamburg mahnte die Zahlung der Grunderwerbsteuern sowie der in Höhe von insgesamt ... € angefallenen Säumniszuschläge mit Mahnungen vom 15.05.2014, bei der Klägerin nach ihrem Vortrag am 19.05.2014 eingegangen, an (Anlagen K 9 bis K 16, FGA Anlagenband).

6

5. Die Klägerin überwies die Grunderwerbsteuern am 22.05.2014 (Kontoauszug, Anlage K 17, FGA Anlagenband). Die Beträge wurden am Folgetag auf dem Konto der Steuerkasse gutgeschrieben.

II.

7

1. Mit Schreiben vom 21.05.2014 beantragte die Klägerin den Erlass der entstandenen Säumniszuschläge aus Billigkeitsgründen mit der Begründung, dass sie die Grunderwerbsteuerbescheide aufgrund eines Büroversehens an A weitergeleitet habe, A aber stillschweigend von einer Überprüfung der Bescheide durch die allgemeine steuerliche Beraterin, die jetzige Prozessbevollmächtigte, ausgegangen sei. Dies sei erst mit Zugang der Mahnungen aufgefallen.

8

2. Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 27.05.2014 ab; es liege kein einen Erlass rechtfertigendes offenbares Versehen vor, da der Klägerin die Fälligkeitstermine bekannt gewesen seien und sie die Zahlungsfrist dennoch versäumt habe.

III.

9

1. Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 16.06.2014 Einspruch ein mit der Begründung, dass die Säumniszuschläge nach Ziff. 5 Abs. 2 Buchst. b des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung (AEAO) zu § 240 Abgabenordnung (AO) zu erlassen seien, weil es aufgrund eines offenbaren Versehens zu einer nur kurzfristigen Säumnis gekommen sei.

10

2. Mit Einspruchsentscheidung vom 05.11.2014 erließ der Beklagte die Säumniszuschläge in Höhe von 50 % (... €) und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Wegen der Einschaltung zweier Berater hätte es der Klägerin oblegen, Maßnahmen zu ergreifen, um eine fehlerhafte Weiterleitung von Schriftstücken, hier der Grunderwerbsteuerbescheide, zu verhindern. Zudem hätte die Klägerin die ihr bekannte Zahlungsfrist selbst überwachen und vor Ablauf einen der Steuerberater kontaktieren müssen. Dass sie nicht einmal die Zahlungsfrist notiert habe, sei ein mehr als nur leichter Verstoß gegen die gebotene Sorgfaltspflicht. Auch hätte A auf die Unzuständigkeit bzgl. der Prüfung der Grunderwerbsteuerbescheide hinweisen müssen; dieses Verschulden sei der Klägerin zuzurechnen.

11

Da es sich bei der Klägerin jedoch um eine pünktliche Steuerzahlerin handele und sie die Zahlung nach Erhalt der Mahnungen umgehend geleistet habe, sei ein Erlass in Höhe von 50 % (analog zu Stundungszinsen) gerechtfertigt.

IV.

12

Die Klägerin hat am 10.12.2014 Klage erhoben.

13

Sie trägt vor, dass die laufende Steuerberatung aufgrund eines Beratungsvertrages seit langem ihrer Prozessbevollmächtigten obliege. Die Prozessbevollmächtigte sei für sämtliche Steuerbescheide empfangsbevollmächtigt und weise sie, die Klägerin, stets rechtzeitig auf fällige Zahlungen hin. A sei ausschließlich mit der Erstellung der Feststellungserklärungen für die Grundbesitzwerte beauftragt worden. Bzgl. dieser Feststellungsbescheide und der Grunderwerbsteuerbescheide habe sie, die Klägerin, gegenüber dem Beklagten keine Empfangsvollmacht erteilt. Als sie die Feststellungs- und die Grunderwerbsteuerbescheide vom 19.03.2014 erhalten habe, habe sie sie per E-Mail am 25.03.2014 an A weitergeleitet mit der Bitte um kurzfristige Überprüfung (Anlage K 26, FGA Anlagenband). In einem anschließenden Telefonat sei vereinbart worden, dass A zunächst zur Fristwahrung Einsprüche gegen sämtliche Feststellungsbescheide einlegen solle, um eventuelle Abweichungen zu den von A vorbereiteten Erklärungen feststellen zu können. Einsprüche gegen die Grunderwerbsteuerbescheide als Folgebescheide seien nicht erforderlich gewesen und in dem Telefonat nicht thematisiert worden. Weder sie, die Klägerin, noch A hätten die Bescheide an die Prozessbevollmächtigte weitergeleitet. A sei stillschweigend davon ausgegangen, dass die Prozessbevollmächtigte als laufende steuerliche Beraterin die Grunderwerbsteuerbescheide überprüfen werde, und habe sie, die Klägerin, daher nicht an die Zahlungsfrist für die Grunderwerbsteuer erinnert. Dass sie die Grunderwerbsteuerbescheide versehentlich nur an A und nicht an die Prozessbevollmächtigte gesandt habe, sei ihr erst mit Eingang der Mahnungen am 19.05.2014 aufgefallen. Unmittelbar danach habe sie die Zahlungen geleistet.

14

Daher lägen die in dem AEAO geregelten Voraussetzungen für einen Erlass der Säumniszuschläge in voller Höhe vor, sodass die Ablehnung des Beklagten ermessensfehlerhaft sei. Die durch den AEAO bewirkte Selbstbindung der Finanzverwaltung gebiete, dass der Beklagte die hierin geregelte Ermessensbegrenzung beachte. Sie, die Klägerin, sei eine pünktliche Steuerzahlerin. Ein offenbares Versehen sei bei einem allenfalls leichten Verstoß gegen die gebotene Sorgfaltspflicht gegeben. Dieser sei in der versehentlichen Weiterleitung der Grunderwerbsteuerbescheide (nur) an A zu sehen. Das Versehen erkläre sich aus den im Rahmen der Kommunikation hervorgerufenen Missverständnissen. Diese könnten wiederum nicht als schuldhaftes Verhalten der Berater gewertet werden, das ihr, der Klägerin, zuzurechnen wäre, sondern ebenfalls nur als offenbares Versehen. A habe davon ausgehen können, dass die Prozessbevollmächtigte die Zahlungsfristen überwachen werde. Von ihr, der Klägerin, könne andererseits billigerweise nicht verlangt werden, für den einmaligen Vorgang der Grunderwerbsbesteuerung zusätzlich ein besonderes Überwachungssystem für die Zahlung der fälligen Steuern zu implementieren. Sie habe die Zahlung der fälligen Steuerbeträge weder bewusst noch grob fahrlässig hinausgeschoben.

15

Nach dem Urteil des FG Köln vom 14.11.2011 (7 K 6625/00, EFG 2002, 238) seien Säumniszuschläge nach Ziff. 5 Abs. 2 Buchst. b AEAO zu § 240 bei einem offenbaren Versehen eines ansonsten pünktlichen Steuerzahlers vollständig zu erlassen, wenn die Schonfrist nur kurz überschritten und die Steuer spätestens nach der ersten Mahnung unverzüglich gezahlt werde. Dies habe sie, die Klägerin, getan. Da sich die administrative Abwicklung des Mahnverfahrens durch die Finanzbehörden und die Übermittlung an die Steuerpflichtigen realistischerweise immer über mehrere Tage erstrecke, folge aus dem genannten Urteil, dass eine kurzfristige Überschreitung der Schonfrist nicht nur auf wenige Tage beschränkt sei. Als zeitlicher Maßstab sei vielmehr ein Monat anzusetzen, zumal die Verzinsung nach § 238 Abgabenordnung (AO) auch nur für volle Monate eintrete. Die Erhebung von Säumniszuschlägen als Ersatz für den Zinsschaden des Fiskus für angefangene und nicht vollendete Monate sei daher nicht sachgerecht. Der Gegenleistungscharakter der Säumniszuschläge sei bei einer Säumnis von weniger als einem Monat untergeordnet und die Säumniszuschläge seien daher in voller Höhe zu erlassen.

16

Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung der Ablehnungsbescheide vom 27.05.2014 jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05.11.2014 zu verpflichten, die angefallenen Säumniszuschläge in Höhe von ... € auf die mit acht Bescheiden vom 19.03.2014 festgesetzte Grunderwerbsteuer betreffend Anteilserwerbe vom ... 08.2013 in voller Höhe zu erlassen,

hilfsweise,
die Revision zuzulassen.

17

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

18

Der Beklagte nimmt zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung Bezug und trägt ergänzend vor, dass er sein Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt habe; ein vollständiger Erlass der Säumniszuschläge komme nicht in Betracht, weil die Einziehung der Hälfte der nach dem Gesetz entstandenen Säumniszuschläge nicht sachlich unbillig sei.

19

Entgegen der Auffassung der Klägerin sei ihr bzw. ihren Beratern nicht nur ein offenbares Versehen unterlaufen. Der Klägerin, der die Bescheide bekannt gegeben worden seien, sei es möglich und zumutbar gewesen, die Zahlungsfrist zu überwachen. Die Weiterleitung der Bescheide an nur einen von zwei Beratern ohne dessen ausdrückliche Zusicherung, diese zu überprüfen und alles Weitere zu veranlassen, genüge nicht, um die Bewirkung der fristgerechten Zahlung sicherzustellen, wie der Streitfall zeige. Bei einem großen Investitionsprojekt und Hinzuziehung weiterer Berater sei es mehr als eine bloße Obliegenheit, Zuständigkeiten zwischen allen Beteiligten zu klären; anderenfalls trage die Klägerin selbst die Verantwortung für die fristgerechte Zahlung der Steuern und müsse ggf. zumindest bei ihren Beratern nachfragen.

20

Zudem müsse sich die Klägerin ein mögliches Verschulden ihrer Berater zurechnen lassen. Wenn sie die Grunderwerbsteuerbescheide mit Prüfbitte an A gesandt habe, habe A nicht stillschweigend davon ausgehen dürfen, dass die Prozessbevollmächtigte die Bescheide überprüfen werde. Angesichts des nicht nur leichten Verschuldens komme es auf die nach dem Vortrag der Klägerin unverzügliche Zahlung nach Eingang der Mahnungen nicht mehr an.

21

Die Überschreitung der Schonfirst des § 240 Abs. 3 Satz 2 AO um fast einen Monat sei auch keine bloß kurze, sondern eine längerfristige Säumnis. Ein vollständiger Erlass der Säumniszuschläge in einem solchen Fall liefe der Wertung des Gesetzgebers zuwider.

22

Dass die Klägerin die Steuern unverzüglich nach Eingang der Mahnungen gezahlt habe und ansonsten eine pünktliche Steuerzahlerin sei, habe er, der Beklagte, bei dem hälftigen Erlass der Säumniszuschläge - analog zur Erhebung von Stundungszinsen - bereits hinreichend berücksichtigt.

V.

23

1. Der Senat hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 07.04.2015 (FGA Bl. 41) der Einzelrichterin übertragen.

24

2. Auf die Sitzungsniederschriften des Erörterungstermins am 02.04.2015 (FGA Bl. 37 ff.) und der mündlichen Verhandlung am 27.05.2015 (FGA Bl. 67 ff.) wird Bezug genommen.

25

3. Dem Gericht hat Band II der Grunderwerbsteuerakten vorgelegen (St.-Nr. .../.../..., -..., -..., -..., -..., -..., -... und -...).

Entscheidungsgründe

26

B. Die Entscheidung ergeht gemäß § 6 Finanzgerichtsordnung (FGO) durch die Einzelrichterin.

I.

27

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Ablehnung eines vollständigen Erlasses der entstandenen Säumniszuschläge durch den Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 FGO).

28

1. a) Nach § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Zu den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis gehören auch die Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen und damit die Säumniszuschläge gemäß § 240 AO37 Abs. 1 i. V. m. § 3 Abs. 4 AO).

29

b) Die Entscheidung über ein Erlassbegehren aus Billigkeitsgründen ist eine Ermessensentscheidung, die von den Gerichten nur in den von § 102 FGO gezogenen Grenzen überprüft werden kann. Nach dieser Vorschrift ist die gerichtliche Prüfung darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Nur ausnahmsweise kann das Gericht eine Verpflichtung zum Erlass aussprechen (§ 101 Satz 1 FGO), wenn der Ermessensspielraum derart eingeschränkt ist, dass nur eine einzige Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt (sog. Ermessensreduzierung auf null; BFH-Urteile vom 21.08.2012 IX R 39/10, BFH/NV 2013, 11; vom 14.07.2010 X R 34/08, BFHE 229, 502, BStBl II 2010, 916).

30

c) Der Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens wird durch den Begriff "unbillig" i. S. des § 227 AO abgegrenzt (vgl. Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19.10.1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). Die Unbilligkeit kann in der Sache selbst oder in der Person des Steuerpflichtigen begründet sein.

31

d) Sachliche Billigkeitsgründe sind gegeben, wenn die Besteuerung eines Sachverhalts, der unter einen gesetzlichen Besteuerungstatbestand fällt, im Einzelfall mit dem Sinn und Zweck des Steuergesetzes nicht vereinbar ist, wenn also ein Überhang des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers feststellbar ist (BFH-Beschluss vom 23.04.2012 I B 100/11, BFH/NV 2012, 1327). Dies setzt voraus, dass der Gesetzgeber die mit der Einziehung der Steuer verbundene Härte nicht bewusst in Kauf genommen hat. § 227 AO stellt keine Ermächtigung zur Korrektur des Gesetzes dar. Die Billigkeitsmaßnahme darf nicht auf Erwägungen gestützt werden, die die vorgesehene Besteuerung allgemein oder für bestimmte Fallgruppen außer Kraft setzen würde. Ein Erlass wegen sachlicher Unbilligkeit ist nur insoweit durch die Vorschrift gedeckt, wie angenommen werden kann, der Gesetzgeber würde die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage - hätte er sie geregelt - im Sinne des vorgesehenen Erlasses entscheiden (BFH-Urteile vom 21.01.2015 X R 40/12, BFH/NV 2015, 719; vom 20.09.2012 IV R 29/10, BFHE 238, 518, BFH/NV 2013, 103; vom 14.07.2010 X R 34/08, BFHE 229, 502, BStBl II 2010, 916).

32

2. Der Beklagte hat sich bei seiner Entscheidung im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens gehalten. Die Voraussetzungen für einen Erlass der Säumniszuschläge aus von der Klägerin allein geltend gemachten und auch nur in Betracht kommenden sachlichen Billigkeitsgründen liegen nicht vor. Die Erhebung der (hälftigen) Säumniszuschläge widerspricht den Wertungen des Gesetzes nicht.

33

a) aa) Nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO sind Säumniszuschläge in Höhe von einem Prozent für jeden angefangenen Monat zu entrichten, falls die Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt wird. Die Säumniszuschläge entstehen verschuldensunabhängig kraft Gesetzes ohne eine (Ermessens-) Entscheidung des Finanzamtes.

34

bb) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind Säumniszuschläge ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerschuldner zur rechtzeitigen Zahlung anhalten soll. Darüber hinaus verfolgt § 240 AO den Zweck, vom Steuerpflichtigen eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zu erhalten. Durch Säumniszuschläge werden schließlich auch die Verwaltungsaufwendungen abgegolten, die bei den verwaltenden Körperschaften dadurch entstehen, dass Steuerpflichtige eine fällige Steuer nicht oder nicht fristgemäß zahlen (BFH-Urteil vom 30.03.2006 V R 2/04, BFH/NV 2006, 1381). Sachlich unbillig ist die Erhebung von Säumniszuschlägen u. a. dann, wenn dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung der Steuern wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich ist und deshalb die Ausübung von Druck zur Zahlung ihren Sinn verliert (BFH-Urteil vom 16.07.1997 XI R 32/96, BFHE 184, 193, BStBl II 1998, 7). Ausgehend von den Wertungen des Gesetzgebers, wonach Säumniszuschläge auch als Gegenleistung für das Hinausschieben der Fälligkeit und zur Abgeltung des Verwaltungsaufwands dienen, sind Säumniszuschläge in diesen Fällen allerdings grundsätzlich nur zur Hälfte zu erlassen. Denn ein Säumiger soll grundsätzlich nicht besser stehen als ein Steuerpflichtiger, dem Aussetzung der Vollziehung oder Stundung gewährt wurde (BFH-Beschluss vom 18.03.2003 X B 66/02, BFH/NV 2003, 886; BFH-Urteil vom 16.07.1997 XI R 32/96, BFHE 184, 193, BStBl II 1998, 7).

35

b) Der Vortrag der Klägerin, es treffe sie lediglich ein leichtes Verschulden an der Versäumung der Zahlungsfrist und die Überschreitung sei auch nur geringfügig, begründet keine sachliche Unbilligkeit.

36

aa) Ein geringes und sogar ein fehlendes Verschulden des Steuerpflichtigen führt nicht zu einer sachlichen Unbilligkeit der Erhebung verwirkter Säumniszuschläge (FG Hamburg, Urteil vom 17.04.1985 II 335/82, EFG 1985, 591). Der Gesetzgeber hat die Verwirkung von Säumniszuschlägen bewusst nicht von einem Verschulden des Zahlungspflichtigen und einer Entscheidung des Finanzamtes abhängig gemacht, anders etwa als die Festsetzung von Verspätungszuschlägen (§ 152 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Abs. 2 Satz 2 AO).

37

bb) Eine nur kurzfristige Überschreitung der Zahlungsfrist führt ebenso wenig zu einem Überhang des Gesetzestatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers. Dies ergibt sich aus § 240 Abs. 3 Satz 1 AO, wonach ein Säumniszuschlag bei einer Säumnis von bis zu drei Tagen nicht erhoben wird; hierbei handelt es sich um eine gesetzliche Billigkeitsregelung. Die Annahme, der Gesetzgeber hätte auch darüber hinausgehende Zahlungsverzögerungen ausschließen wollen, ist danach nicht gerechtfertigt.

38

cc) Eine sachliche Unbilligkeit der Entscheidung des Beklagten ergibt sich auch nicht unter Einbeziehung der Regelung in Ziff. 5 Abs. 2 Buchst. b AEAO zu § 240. Nach dieser Verwaltungsvorschrift kommt ein Erlass von Säumniszuschlägen in Betracht bei einem bisher pünktlichen Steuerzahler, dem ein offenbares Versehen unterlaufen ist.

39

aaa) (1) Zwar binden Verwaltungsvorschriften die Gerichte grundsätzlich nicht. Jedoch können ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung der Verwaltung und damit der Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz -GG-) bei der gerichtlichen Überprüfung von Ermessensentscheidungen von Bedeutung sein. Sind Ermessensrichtlinien erlassen, überprüfen die Finanzgerichte, ob sich die Behörde an die Richtlinie gehalten hat, ob die erlassene Ermessensrichtlinie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einhält und ob hierdurch von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wird (BFH-Urteile vom 19.03.2009 V R 48/07, BFHE 225, 215, BStBl II 2010, 92; vom 11.04.2006 VI R 64/02, BFHE 213, 268, BStBl II 2006, 642).

40

(2) Maßgeblich für die Auslegung einer Verwaltungsvorschrift ist nicht, wie das Gericht eine solche Bestimmung verstünde, wenn sie Gesetz wäre, sondern wie die Verwaltung sie verstanden hat und verstanden wissen wollte. Das Gericht darf Verwaltungsanweisungen daher nicht selbst auslegen, sondern nur darauf überprüfen, ob die Auslegung durch die Behörde möglich ist (BFH-Urteil vom 24.10.2000 VI R 65/99, BFHE 193, 361, BStBl II 2001, 109). Das gilt auch für die Auslegung des Begriffs des offenbaren Versehens eines bisher pünktlichen Steuerzahlers in Ziff. 5 Abs. 2 Buchst. b AEAO zu § 240 (BFH-Beschluss vom 11.03.2003 VII B 208/02, BFH/NV 2003, 816).

41

bbb) Auch danach ist die Entscheidung des Beklagten nicht zu beanstanden.

42

(1) Der Beklagte hat das Verhalten der Klägerin, die von den Zahlungsfristen Kenntnis hatte, aber darauf vertraute, von A rechtzeitig an die Zahlung erinnert zu werden, und die Frist ohne weitere Nachfrage bei A oder der Prozessbevollmächtigten verstreichen ließ, nicht mehr als offenbares Versehen i. S. der Verwaltungsvorschrift eingeordnet. Zudem hat er das Verschulden von A, die die Grunderwerbsteuerbescheide mit Prüfbitte erhielt, aber stillschweigend von einer Überprüfung durch die Prozessbevollmächtigte ausging, der Klägerin zugerechnet und auch deshalb kein offenbares Versehen angenommen. Diese Auslegung des Begriffes "offenbares Versehen" ist möglich (vgl. zur unterlassenen Nachfrage beim Steuerberater in Kenntnis der Zahlungsfrist FG Köln, Urteil vom 14.11.2001 7 K 6625/00, EFG 2002, 238). Es ist keineswegs zwingend, das schuldhafte Verhalten der Klägerin als "offenbares Versehen" zu qualifizieren.

43

(2) Davon unabhängig ist die Entscheidung des Beklagten auch deshalb ermessensfehlerfrei, weil es vertretbar ist, im Streitfall von einer nicht nur geringfügigen Überschreitung der Zahlungsfrist auszugehen.

44

(a) Wenn nach Ziff. 5 Abs. 2 Buchst. b AEAO zu § 240 die Möglichkeit eines vollständigen und nicht nur hälftigen Erlasses der Säumniszuschläge als ermessensgerechte Entscheidung vorgesehen wird, ist das mit der gesetzlichen Voraussetzung der sachlichen Unbilligkeit i. S. des § 227 AO nur vereinbar, wenn lediglich eine geringfügige Überschreitung der Frist vorliegt, bei der der Gegenleistungscharakter des Säumniszuschlages von ganz untergeordneter Bedeutung ist (FG Köln, Urteil vom 14.11.2001 7 K 6625/00, EFG 2002, 238; Baum, BB 1994, 695). Nur bei diesem Verständnis hält die Verwaltungsvorschrift die durch den Begriff der Unbilligkeit in § 227 AO gezogene Grenze des Ermessens ein (s. oben aaa.(1)).

45

(b) In der Rechtsprechung wurde eine Überschreitung der Schonfrist des § 240 Abs. 3 Satz 1 AO um sechs Wochen als nicht mehr geringfügig angesehen (FG Köln, Urteil vom 14.11.2001 7 K 6625/00, EFG 2002, 238); eine Überschreitung um zwei Tage (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 11.06.2002 11 K 363/01, n. v., nachgehend BFH-Beschluss vom 11.03.2003 VII B 208/02, BFH/NV 2003, 816) bzw. einen Tag (FG Hamburg, Urteil vom 04.08.2004 IV 360/02, DStRE 2005, 176) hingegen schon.

46

(c) Im Streitfall hat die Klägerin die Zahlungsfrist bis zum 24.04.2014 um fast einen Monat überschritten; die Überweisung wurde am 23.05.2014 auf dem Konto der Steuerkasse gutgeschrieben. Es ist durchaus vertretbar, dies nicht mehr als kurze Überschreitung von untergeordneter Bedeutung zu qualifizieren. Der Beklagte hat seine Ermessenserwägungen diesbezüglich in zulässiger Weise gemäß § 102 Satz 2 FGO im Klageverfahren ergänzt.

47

(d) Die Klägerin kann sich zur Stützung ihrer Argumentation nicht auf die Auffassung von Baum (BB 1994, 695) berufen. Baum befürwortet zwar einen vollständigen Erlass von Säumniszuschlägen, wenn bei einer Stundung keine Stundungszinsen zu erheben wären, da entweder kein voller Monat erreicht wird oder die Zinsen weniger als 20 DM (inzwischen 50 €; § 238 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 AO) betragen, weil der Gegenleistungscharakter der Säumniszuschläge dann von untergeordneter Bedeutung sei.

48

Diese Auffassung ist jedoch nicht zwingend und das andere Verständnis des Beklagten bzgl. des ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals der geringfügigen Überschreitung der Zahlungsfrist durchaus vertretbar und damit für das Gericht maßgeblich (s. o. unter aaa.(2)). So dienen verwirkte Säumniszuschläge, wie dargelegt (s. oben unter 2.a.bb.), nach der Rechtsprechung pauschal in Höhe von je 50 % als Druckmittel für den Steuerpflichtigen und als Gegenleistung für den Zinsschaden und den Verwaltungsaufwand und sind daher ebenfalls pauschal in Höhe von 50 % zu erlassen, wenn die Druckfunktion nicht erfüllt werden kann. Es ist keineswegs genau zu prüfen, in welcher Höhe Stundungs- bzw. Aussetzungszinsen angefallen wären, und der Erlass in der übersteigenden Höhe auszusprechen (s. auch Ziff. 5 Abs. 2 Buchst. c bis e AEAO zu § 240). Säumniszuschläge werden gemäß § 240 Abs. 1 Satz 1 AO für jeden angefangenen Monat der Säumnis verwirkt und erfüllen sogleich beide Funktionen und nicht erst, wenn bei einer Stundung Zinsen entstanden wären (vgl. FG Köln, Urteil vom 14.11.2001 7 K 6625/00, EFG 2002, 238).

49

(3) Letztlich bleibt es selbst bei einem offenbaren Versehen eines ansonsten pünktlichen Steuerzahlers und einer nur kurzfristigen Überschreitung der Zahlungsfrist nach Ziff. 5 Abs. 2 Buchst. b AEAO zu § 240 bei dem Ermessen der Behörde; der (vollständige) Erlass kommt danach nur in Betracht, wird aber nicht vorgeschrieben. Eine Ermessensreduzierung auf null i. S. eines vollständigen Erlasses lässt sich hieraus nicht ableiten. Dass der Beklagte unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls, nämlich des (wenn auch nicht groben) Verschuldens der Klägerin und der Überschreitung der Zahlungsfrist um fast einen Monat, einen hälftigen Erlass der Säumniszuschläge ausgesprochen hat, verstößt schon deshalb nicht gegen die durch die Ermessensrichtlinie gesetzten Grenzen.

50

c) Im Ergebnis hat der Beklagte daher durch seine Entscheidung, dem Umstand, dass die Klägerin ansonsten eine pünktliche Steuerzahlerin und ihr kein grobes Verschulden bzgl. der Versäumung der Zahlungsfrist vorzuwerfen ist, durch einen hälftigen Erlass der Säumniszuschläge Rechnung zu tragen, den Erlass der anderen Hälfte wegen des verbleibenden Zinsschadens für den Fiskus für die Dauer von fast einem Monat sowie des entstandenen Verwaltungsaufwandes aber abzulehnen, die Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens nicht überschritten.

II.

51

1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

52

2. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.

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(1) Der Senat kann den Rechtsstreit einem seiner Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen, wenn 1. die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und2. die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeu

Abgabenordnung - AO 1977 | § 240 Säumniszuschläge


(1) Wird eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet, so ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 Prozent des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten; abzurunden ist auf den nächsten d

Abgabenordnung - AO 1977 | § 238 Höhe und Berechnung der Zinsen


(1) Die Zinsen betragen für jeden Monat einhalb Prozent. Sie sind von dem Tag an, an dem der Zinslauf beginnt, nur für volle Monate zu zahlen; angefangene Monate bleiben außer Ansatz. Erlischt der zu verzinsende Anspruch durch Aufrechnung, gilt der T

Abgabenordnung - AO 1977 | § 152 Verspätungszuschlag


(1) Gegen denjenigen, der seiner Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht oder nicht fristgemäß nachkommt, kann ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden. Von der Festsetzung eines Verspätungszuschlags ist abzusehen, wenn der Erklärungsp

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Tatbestand 1 A. Die Kläger, Revisionskläger und Revisionsbeklagten (Kläger) haben 1984 zusammen mit R als Miteigentümer das Grundstück E in K sowie 1988 das Grundstück "

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(1) Wird eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet, so ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 Prozent des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten; abzurunden ist auf den nächsten durch 50 Euro teilbaren Betrag. Das Gleiche gilt für zurückzuzahlende Steuervergütungen und Haftungsschulden, soweit sich die Haftung auf Steuern und zurückzuzahlende Steuervergütungen erstreckt. Die Säumnis nach Satz 1 tritt nicht ein, bevor die Steuer festgesetzt oder angemeldet worden ist. Wird die Festsetzung einer Steuer oder Steuervergütung aufgehoben, geändert oder nach § 129 berichtigt, so bleiben die bis dahin verwirkten Säumniszuschläge unberührt; das Gleiche gilt, wenn ein Haftungsbescheid zurückgenommen, widerrufen oder nach § 129 berichtigt wird. Erlischt der Anspruch durch Aufrechnung, bleiben Säumniszuschläge unberührt, die bis zur Fälligkeit der Schuld des Aufrechnenden entstanden sind.

(2) Säumniszuschläge entstehen nicht bei steuerlichen Nebenleistungen.

(3) Ein Säumniszuschlag wird bei einer Säumnis bis zu drei Tagen nicht erhoben. Dies gilt nicht bei Zahlung nach § 224 Abs. 2 Nr. 1.

(4) In den Fällen der Gesamtschuld entstehen Säumniszuschläge gegenüber jedem säumigen Gesamtschuldner. Insgesamt ist jedoch kein höherer Säumniszuschlag zu entrichten als verwirkt worden wäre, wenn die Säumnis nur bei einem Gesamtschuldner eingetreten wäre.

(1) Die Zinsen betragen für jeden Monat einhalb Prozent. Sie sind von dem Tag an, an dem der Zinslauf beginnt, nur für volle Monate zu zahlen; angefangene Monate bleiben außer Ansatz. Erlischt der zu verzinsende Anspruch durch Aufrechnung, gilt der Tag, an dem die Schuld des Aufrechnenden fällig wird, als Tag der Zahlung.

(1a) In den Fällen des § 233a betragen die Zinsen abweichend von Absatz 1 Satz 1 ab dem 1. Januar 2019 0,15 Prozent für jeden Monat, das heißt 1,8 Prozent für jedes Jahr.

(1b) Sind für einen Zinslauf unterschiedliche Zinssätze maßgeblich, ist der Zinslauf in Teilverzinsungszeiträume aufzuteilen. Die Zinsen für die Teilverzinsungszeiträume sind jeweils tageweise zu berechnen. Hierbei wird jeder Kalendermonat unabhängig von der tatsächlichen Anzahl der Kalendertage mit 30 Zinstagen und jedes Kalenderjahr mit 360 Tagen gerechnet.

(1c) Die Angemessenheit des Zinssatzes nach Absatz 1a ist unter Berücksichtigung der Entwicklung des Basiszinssatzes nach § 247 des Bürgerlichen Gesetzbuchs wenigstens alle zwei Jahre zu evaluieren. Die erste Evaluierung erfolgt spätestens zum 1. Januar 2024.

(2) Für die Berechnung der Zinsen wird der zu verzinsende Betrag jeder Steuerart auf den nächsten durch 50 Euro teilbaren Betrag abgerundet.

(1) Wird eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet, so ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 Prozent des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten; abzurunden ist auf den nächsten durch 50 Euro teilbaren Betrag. Das Gleiche gilt für zurückzuzahlende Steuervergütungen und Haftungsschulden, soweit sich die Haftung auf Steuern und zurückzuzahlende Steuervergütungen erstreckt. Die Säumnis nach Satz 1 tritt nicht ein, bevor die Steuer festgesetzt oder angemeldet worden ist. Wird die Festsetzung einer Steuer oder Steuervergütung aufgehoben, geändert oder nach § 129 berichtigt, so bleiben die bis dahin verwirkten Säumniszuschläge unberührt; das Gleiche gilt, wenn ein Haftungsbescheid zurückgenommen, widerrufen oder nach § 129 berichtigt wird. Erlischt der Anspruch durch Aufrechnung, bleiben Säumniszuschläge unberührt, die bis zur Fälligkeit der Schuld des Aufrechnenden entstanden sind.

(2) Säumniszuschläge entstehen nicht bei steuerlichen Nebenleistungen.

(3) Ein Säumniszuschlag wird bei einer Säumnis bis zu drei Tagen nicht erhoben. Dies gilt nicht bei Zahlung nach § 224 Abs. 2 Nr. 1.

(4) In den Fällen der Gesamtschuld entstehen Säumniszuschläge gegenüber jedem säumigen Gesamtschuldner. Insgesamt ist jedoch kein höherer Säumniszuschlag zu entrichten als verwirkt worden wäre, wenn die Säumnis nur bei einem Gesamtschuldner eingetreten wäre.

(1) Der Senat kann den Rechtsstreit einem seiner Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen, wenn

1.
die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat.

(2) Der Rechtsstreit darf dem Einzelrichter nicht übertragen werden, wenn bereits vor dem Senat mündlich verhandelt worden ist, es sei denn, dass inzwischen ein Vorbehalts-, Teil- oder Zwischenurteil ergangen ist.

(3) Der Einzelrichter kann nach Anhörung der Beteiligten den Rechtsstreit auf den Senat zurückübertragen, wenn sich aus einer wesentlichen Änderung der Prozesslage ergibt, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist. Eine erneute Übertragung auf den Einzelrichter ist ausgeschlossen.

(4) Beschlüsse nach den Absätzen 1 und 3 sind unanfechtbar. Auf eine unterlassene Übertragung kann die Revision nicht gestützt werden.

Soweit die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Finanzbehörde aus, den begehrten Verwaltungsakt zu erlassen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Die Finanzbehörden können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden.

(1) Wird eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet, so ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 Prozent des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten; abzurunden ist auf den nächsten durch 50 Euro teilbaren Betrag. Das Gleiche gilt für zurückzuzahlende Steuervergütungen und Haftungsschulden, soweit sich die Haftung auf Steuern und zurückzuzahlende Steuervergütungen erstreckt. Die Säumnis nach Satz 1 tritt nicht ein, bevor die Steuer festgesetzt oder angemeldet worden ist. Wird die Festsetzung einer Steuer oder Steuervergütung aufgehoben, geändert oder nach § 129 berichtigt, so bleiben die bis dahin verwirkten Säumniszuschläge unberührt; das Gleiche gilt, wenn ein Haftungsbescheid zurückgenommen, widerrufen oder nach § 129 berichtigt wird. Erlischt der Anspruch durch Aufrechnung, bleiben Säumniszuschläge unberührt, die bis zur Fälligkeit der Schuld des Aufrechnenden entstanden sind.

(2) Säumniszuschläge entstehen nicht bei steuerlichen Nebenleistungen.

(3) Ein Säumniszuschlag wird bei einer Säumnis bis zu drei Tagen nicht erhoben. Dies gilt nicht bei Zahlung nach § 224 Abs. 2 Nr. 1.

(4) In den Fällen der Gesamtschuld entstehen Säumniszuschläge gegenüber jedem säumigen Gesamtschuldner. Insgesamt ist jedoch kein höherer Säumniszuschlag zu entrichten als verwirkt worden wäre, wenn die Säumnis nur bei einem Gesamtschuldner eingetreten wäre.

(1) Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis sind der Steueranspruch, der Steuervergütungsanspruch, der Haftungsanspruch, der Anspruch auf eine steuerliche Nebenleistung, der Erstattungsanspruch nach Absatz 2 sowie die in Einzelsteuergesetzen geregelten Steuererstattungsansprüche.

(2) Ist eine Steuer, eine Steuervergütung, ein Haftungsbetrag oder eine steuerliche Nebenleistung ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt worden, so hat derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, an den Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten oder zurückgezahlten Betrags. Dies gilt auch dann, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung oder Rückzahlung später wegfällt. Im Fall der Abtretung, Verpfändung oder Pfändung richtet sich der Anspruch auch gegen den Abtretenden, Verpfänder oder Pfändungsschuldner.

(1) Steuern sind Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft; die Erzielung von Einnahmen kann Nebenzweck sein.

(2) Realsteuern sind die Grundsteuer und die Gewerbesteuer.

(3) Einfuhr- und Ausfuhrabgaben nach Artikel 5 Nummer 20 und 21 des Zollkodex der Union sind Steuern im Sinne dieses Gesetzes. Zollkodex der Union bezeichnet die Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (ABl. L 269 vom 10.10.2013, S. 1, L 287, S. 90) in der jeweils geltenden Fassung.

(4) Steuerliche Nebenleistungen sind

1.
Verzögerungsgelder nach § 146 Absatz 2c,
2.
Verspätungszuschläge nach § 152,
3.
Zuschläge nach § 162 Absatz 4 und 4a,
3a.
Mitwirkungsverzögerungsgelder nach § 200a Absatz 2 und Zuschläge zum Mitwirkungsverzögerungsgeld nach § 200a Absatz 3,
4.
Zinsen nach den §§ 233 bis 237 sowie Zinsen nach den Steuergesetzen, auf die die §§ 238 und 239 anzuwenden sind, sowie Zinsen, die über die §§ 233 bis 237 und die Steuergesetze hinaus nach dem Recht der Europäischen Union auf zu erstattende Steuern zu leisten sind,
5.
Säumniszuschläge nach § 240,
6.
Zwangsgelder nach § 329,
7.
Kosten nach den §§ 89, 89a Absatz 7 sowie den §§ 178 und 337 bis 345,
8.
Zinsen auf Einfuhr- und Ausfuhrabgaben nach Artikel 5 Nummer 20 und 21 des Zollkodex der Union,
9.
Verspätungsgelder nach § 22a Absatz 5 des Einkommensteuergesetzes und
10.
Kosten nach § 10 Absatz 5 und § 11 Absatz 7 des Plattformen-Steuertransparenzgesetzes.

(5) Das Aufkommen der Zinsen auf Einfuhr- und Ausfuhrabgaben nach Artikel 5 Nummer 20 und 21 des Zollkodex der Union steht dem Bund zu. Das Aufkommen der übrigen Zinsen steht den jeweils steuerberechtigten Körperschaften zu. Das Aufkommen der Kosten im Sinne des § 89 steht jeweils der Körperschaft zu, deren Behörde für die Erteilung der verbindlichen Auskunft zuständig ist. Das Aufkommen der Kosten im Sinne des § 89a Absatz 7 steht dem Bund und dem jeweils betroffenen Land je zur Hälfte zu. Das Aufkommen der Kosten nach § 10 Absatz 5 und § 11 Absatz 7 des Plattformen-Steuertransparenzgesetzes steht dem Bund zu. Die übrigen steuerlichen Nebenleistungen fließen den verwaltenden Körperschaften zu.

Soweit die Finanzbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln oder zu entscheiden, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Finanzbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens ergänzen.

Soweit die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Finanzbehörde aus, den begehrten Verwaltungsakt zu erlassen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Die Finanzbehörden können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin), eine GmbH, schloss am 16. November 2007 mit ihrer alleinigen Gesellschafterin einen notariell beurkundeten Ergebnisabführungsvertrag (EAV), in dem sie sich verpflichtete, erstmals für das ab dem 1. Januar 2007 laufende Geschäftsjahr ihren ganzen Gewinn an ihre Gesellschafterin abzuführen. Der EAV wurde nebst Zustimmungsbeschlüssen der beteiligten Gesellschaften, Handelsregisteranmeldung und Begleitschreiben am 10. Dezember 2007 durch den beurkundenden Notar im Wege der elektronischen Registeranmeldung zur Eintragung in das Handelsregister des Amtsgerichts (AG) A übermittelt und ist dort am selben Tag auf dem Server des … Ministeriums der Justiz eingegangen. Aufgrund einer technischen Panne bei der Weiterverarbeitung der eingegangenen Daten wurden die Anmeldedokumente zunächst nicht an das zuständige Registergericht weitergeleitet. Erst am 7. Januar 2008 wurde der Abschluss des EAV schließlich im Handelsregister des AG A eingetragen. Die Eintragungsvoraussetzungen für den EAV lagen ausweislich eines ergänzenden Hinweises zum Handelsregistereintrag bereits am 13. Dezember 2007 vor.

2

Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) lehnte den Antrag der Klägerin auf Herabsetzung der Vorauszahlungen zur Körperschaftsteuer und des Gewerbesteuermessbetrags für Vorauszahlungszwecke für das Streitjahr (2007) auf 0 € ab. Als Begründung wurde angeführt, dass der EAV erst mit der Eintragung im Jahr 2008 wirksam geworden sei. Nachdem der Einspruch erfolglos geblieben war, erhob die Klägerin hiergegen Klage vor dem Finanzgericht Düsseldorf (FG). Erstmals im Klageverfahren hat die Klägerin hilfsweise auch einen Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen nach § 163 der Abgabenordnung (AO) gestellt. Dieser Antrag wurde vom FA ebenfalls abgelehnt. Die hiergegen zulässig erhobene Sprungklage wurde vom FG zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung mit dem bereits anhängigen Verfahren verbunden.

3

Das FG gab der Klage mit Urteil vom 17. Mai 2011 (Az. 6 K 3100/09 K,G,AO) statt. Es hat dabei offengelassen, ob es noch vor Ablauf des Streitjahres zu einer wirksamen Eintragung des EAV gekommen ist. Jedenfalls könne die Klägerin eine abweichende Steuerfestsetzung nach § 163 AO beanspruchen, da sie die verspätete Eintragung in das Handelsregister nicht zu vertreten habe und die Zurechnung der sich hierdurch ergebenden nachteiligen Rechtsfolgen den Wertungen des Gesetzgebers eindeutig widersprechen würde.

4

Mit der Beschwerde beantragt das FA, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) sowie zur Sicherung der einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) zuzulassen.

Entscheidungsgründe

5

II. Die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision des FA ist als unbegründet zurückzuweisen. Weder kommt der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zu (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), noch dient sie der Sicherung der Rechtseinheit (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO).

6

1. Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache verlangt substantiierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall voraussichtlich auch klärbar ist und deren Beurteilung von der Klärung einer zweifelhaften oder umstrittenen Rechtslage abhängig ist (so z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 4. März 2009 VI B 105/08, BFH/NV 2009, 1140). Die klärungsbedürftige Rechtsfrage kann jedoch nur dann zur Zulassung der Revision führen, wenn eine Aussage zu dieser Rechtsfrage erforderlich ist, um das Entscheidungsergebnis zu begründen; sie muss für die Entscheidung des Streitfalles rechtserheblich sein (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 15. März 2011 VI B 151/10, BFH/NV 2011, 1003; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 30; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 115 FGO Rz 53, m.w.N.). Daran fehlt es im Streitfall.

7

a) Wenn das FA die Rechtsfrage formuliert, es sei zu klären, ob bei der Frage der sachlichen Unbilligkeit das Fehlverhalten bzw. der Fehler einer anderen Behörde --außerhalb der Finanzverwaltung-- zugunsten des Steuerpflichtigen im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme berücksichtigt werden kann, ist diese Rechtsfrage für den zu entscheidenden Fall nicht rechtserheblich. Denn diese Rechtsfrage stellt sich in dieser Allgemeinheit im zu entscheidenden Streitfall nicht.

8

aa) Nach § 163 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Das FG ist davon ausgegangen, dass eine solche Situation dann gegeben sein kann, wenn die Finanzverwaltung steuerrechtliche Folgen an die Entscheidung anderer Behörden (hier des Registergerichts) knüpft und diese Entscheidung (hier Eintragung in das Handelsregister) für das betroffene Unternehmen zu einer höheren Steuerbelastung führt. Dies entspricht im Kern einer verbreiteten Auffassung, nach der sich die Unbilligkeit der Steuererhebung u.a. aus einem Fehlverhalten einer Behörde ergeben kann, wenn dieses ohne hinzutretendes Verschulden des Steuerpflichtigen zur Entstehung oder Erhöhung einer Steuer geführt hat (Senatsbeschluss vom 4. November 2004 I B 43/04, BFH/NV 2005, 707; Loose in Tipke/ Kruse, a.a.O., § 227 AO Rz 70, m.w.N.).

9

bb) Die Inanspruchnahme einer Billigkeitsmaßnahme hängt jedoch --worauf die Klägerin zutreffend hinweist-- nicht allein davon ab, ob ein behördliches Fehlverhalten vorliegt. Sachliche Billigkeitsgründe sind gegeben, wenn die Besteuerung eines Sachverhalts, der unter einen gesetzlichen Besteuerungstatbestand fällt, im Einzelfall mit dem Sinn und Zweck des Steuergesetzes nicht vereinbar ist, wenn also ein Überhang des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers feststellbar ist (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 25. November 1980 VII R 17/78, BFHE 132, 159, BStBl II 1981, 204; vom 12. Januar 1989 IV R 67/87, BFHE 155, 484, BStBl II 1990, 259; vom 21. Januar 1992 VIII R 51/88, BFHE 168, 500, BStBl II 1993, 3; Senatsurteil vom 8. März 1984 I R 44/80, BFHE 140, 421, BStBl II 1984, 415, m.w.N.; Klein/Rüsken, AO, 10. Aufl., § 163 Rz 32). Das FA geht in seiner Beschwerde insofern von einem Wertungswiderspruch aus, den die Vorinstanz unrichtig eingeschätzt habe. Der beschließende Senat lässt es dahinstehen, ob Letzteres zutrifft. Selbst wenn es sich so verhielte und das FA die Rechtsfrage auch hinreichend deutlich herausgestellt hätte, wäre die Revision nicht zuzulassen. Denn der von der Vorinstanz gewährte Billigkeitserweis trägt den besonderen tatsächlichen Gegebenheiten des Streitfalles --verspätete Weiterverarbeitung der eingegangenen Daten infolge einer technischen Panne beim Registergericht-- Rechnung. Diese Gegebenheiten sind ebenso wie der Billigkeitserweis nicht verallgemeinerungsfähig und die aufgeworfene Rechtsfrage ist deswegen nicht klärungsbedürftig.

10

b) Das FA kann sich insoweit auch nicht darauf berufen, dass auch das FG bei seiner Entscheidung weder auf die gesetzgeberische Wertung in § 14 des Körperschaftsteuergesetzes noch auf einen möglichen Schadensersatzanspruch aus § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuchs eingegangen ist. Mag der Einzelfall vom FG auch sachlich unrichtig entschieden worden sein, genügt dies allein noch nicht, um das für den Zulassungsgrund erforderliche Allgemeininteresse zu indizieren (BFH-Beschluss vom 22. Februar 2007 VI B 29/06, BFH/NV 2007, 969).

11

2. Gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO ist die Revision zuzulassen, wenn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert. Eine die Rechtseinheit gefährdende Abweichung liegt nur vor, wenn das FG bei gleichem oder vergleichbarem festgestellten Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Auffassung vertritt als der BFH oder ein anderes FG. Das FG muss seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit den tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung nicht übereinstimmt (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 53, m.w.N.).

12

Aus den Ausführungen des FA ist bereits nicht zu entnehmen, dass den genannten Entscheidungen abweichende Rechtssätze zugrunde liegen. Zudem wird nicht herausgearbeitet, dass es sich um vergleichbare Sachverhalte handelt. Die Beschwerde entspricht insoweit nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO und ist insoweit unzulässig.

13

3. Soweit die Beschwerdebegründung sich darüber hinaus gegen die materiell-rechtliche Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung des FG richtet, wird damit kein Zulassungsgrund geltend gemacht. Wegen etwaiger inhaltlicher Mängel der finanzgerichtlichen Entscheidung ist die Revision nur dann gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zuzulassen, wenn die angefochtene Entscheidung derart schwerwiegende Fehler bei der Auslegung des revisiblen Rechts aufweist, dass die Entscheidung des FG "objektiv willkürlich" erscheint oder auf sachfremden Erwägungen beruht und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 4. August 2010 X B 198/09, BFH/NV 2010, 2102). Dies ist weder vorgetragen noch erkennbar.

Die Finanzbehörden können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden.

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Oktober 2011  1 K 1040/11 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. In ihren Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1992 bis 1999 machten sie jeweils Schulgeldzahlungen als Sonderausgaben geltend, die dadurch entstanden waren, dass ihr Sohn eine Privatschule in Großbritannien besucht hatte. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) ließ die Aufwendungen nicht zum Abzug zu. Die nach erfolglosem Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1992 erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) durch Urteil vom 17. März 1995  3 K 1046/94 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1995, 747) mit der Begründung ab, Schulgeldzahlungen an Schulen im Ausland seien nicht nach § 10 Abs. 1 Nr. 9 des Einkommensteuergesetzes in der in den Streitjahren geltenden Fassung (EStG a.F.) abziehbar. Die hiergegen gerichtete Revision wies der erkennende Senat mit Urteil vom 11. Juni 1997 X R 74/95 (BFHE 183, 436, BStBl II 1997, 617) zurück. Die von den Klägern hinsichtlich der Veranlagungszeiträume 1994 bis 1997 erhobene Klage wies das FG mit Urteil vom 5. Juli 2000  1 K 2074/99 ebenfalls ab. Die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision wurde vom Bundesfinanzhof (BFH) durch Beschluss vom 11. März 2002 XI B 125/00 (BFH/NV 2002, 1037) als unzulässig verworfen. Die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1993, 1998 und 1999 wurden ohne Erschöpfung des Rechtswegs bestandskräftig.

2

Nachdem der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in seinen Urteilen vom 11. September 2007 C-76/05 --Schwarz/Gootjes-Schwarz-- (Slg. 2007, I-6849) und C-318/05 --Kommission/ Deutschland-- (Slg. 2007, I-6957) entschieden hatte, sowohl die in Art. 56 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union --AEUV-- (bis 2008 Art. 49 EG) gewährleistete Dienstleistungsfreiheit als auch die allgemeine Freizügigkeit gemäß Art. 21 AEUV (bis 2008 Art. 18 EG) würden durch die Beschränkung des Sonderausgabenabzugs für Schulgeldzahlungen an inländische Privatschulen beeinträchtigt, beantragten die Kläger im Oktober 2007, die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1992 bis 1999 dahingehend zu ändern, dass die von ihnen geleisteten Schulgeldzahlungen nunmehr gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG a.F. steuerlich berücksichtigt würden. Das FA lehnte diesen Antrag ab. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20. Januar 2010  1 K 1285/08, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst --DStRE-- 2011, 767). Die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision wies der erkennende Senat durch Beschluss vom 9. Juni 2010 X B 41/10 (BFH/NV 2010, 1783) als unbegründet zurück.

3

Im Juli 2010 beantragten die Kläger daraufhin gemäß § 227 der Abgabenordnung (AO) den Erlass der Einkommensteuerbeträge, soweit diese wegen Nichtanerkennung der Schulgeldzahlungen als Sonderausgaben in den Jahren 1992 bis 1999 festgesetzt worden waren. Sie trugen zur Begründung vor, es sei zwar grundsätzlich mit dem Sinn und Zweck der Bestandskraft von Steuerbescheiden nicht zu vereinbaren, eine bestandskräftig festgesetzte Steuer nur deshalb zu erlassen, weil die Festsetzung im Widerspruch zu einer später entwickelten oder geänderten Rechtsprechung stehe. Die Rechtsprechung des EuGH zur Abänderung bestandskräftiger Entscheidungen rechtfertige jedoch eine Ausnahme. Die Dienstleistungsfreiheit sei für die Mitgliedstaaten unmittelbar geltendes Recht. Werde sie verletzt, sei der betroffene Bürger darauf angewiesen, dass die nationalen Gerichte dem EuGH die Rechtsfragen vorlegten. Unterbleibe dies, obwohl eine Vorlagepflicht bestehe, habe die Bestandskraft dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben zu weichen. Der Vorrang des Unionsrechts verlange in diesem Fall eine Korrektur des nationalen Rechts.

4

Das FA lehnte den Antrag ab und wies den Einspruch der Kläger zurück. In dem sich anschließenden Klageverfahren trugen die Kläger weiter vor, in einem Billigkeitsverfahren, das die Bestandskraft der Steuerbescheide unberührt lasse, müsse dem EuGH-Urteil vom 13. Januar 2004 C-453/00 --Kühne & Heitz-- (Slg. 2004, I-837) in der Weise Geltung verschafft werden, dass eine Vorlage an den EuGH erfolge. Dessen Rechtsprechung beruhe auf dem Rechtsgedanken von Treu und Glauben. Wenn Rechtsuchende alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft hätten, um unionswidrige und damit rechtswidrige Entscheidungen von Behörden zu verhindern, sei es unbillig, den nach nationalem Recht möglichen Erlass der Steuerschuld mit der Begründung zu verweigern, die Bestandskraft des Steuerbescheids stehe einer Abänderung entgegen. Die Möglichkeit der nachträglichen Korrektur der nach nationalem Recht bestandskräftigen Bescheide sei die notwendige Folge und der angemessene Ausgleich dafür, dass der Rechtsuchende nicht selbst den EuGH anrufen könne, sondern insoweit von den nationalen Gerichten abhängig sei.

5

Das FG hat die Klage mit dem in EFG 2013, 578 veröffentlichten Urteil abgewiesen.

6

Zur Begründung ihrer --auf die Streitjahre 1992 und 1994 bis 1997 beschränkten-- Revision machen die Kläger in Ergänzung ihres bisherigen Vorbringens geltend, das FG habe keine am Gemeinschaftsrecht orientierte Auslegung des § 227 AO vorgenommen. Es habe nicht dargelegt, wie sich das Effektivitätsprinzip des Unionsrechts bei bestehender Bestandskraft eines Steuerbescheids auf die Billigkeitsentscheidung nach § 227 AO auswirke, wenn sich nach Erschöpfung des Rechtswegs herausstelle, dass der bestandskräftige Steuerbescheid das Gemeinschaftsrecht verletze und deswegen rechtswidrig sei. Das FG habe die Problematik, die sich aus dem EuGH-Urteil Kühne & Heitz in Slg. 2004, I-837 ergebe, dadurch umgangen, dass es auf sein früheres Urteil vom 20. Januar 2010 in DStRE 2011, 767 verwiesen habe. In dieser Entscheidung sei aber nicht berücksichtigt worden, dass im Streitfall der Steuerbescheid angefochten und der Rechtsweg vollständig --ebenso wie im Sachverhalt der Rechtssache Kühne & Heitz in Slg. 2004, I-837-- ausgeschöpft worden sei. Das sei die Besonderheit des konkreten Falles, die ihn von dem EuGH-Urteil vom 19. September 2006 C-392/04 und C-422/04 --i-21 Germany und Arcor-- (Slg. 2006, I-8559) sowie den BFH-Entscheidungen vom 29. Mai 2008 V R 45/06 (BFH/NV 2008, 1889) und vom 15. Juni 2009 I B 230/08 (BFH/NV 2009, 1779) unterscheide. Hinge die Anwendung des § 227 AO im Streitfall davon ab, dass die Steuerfestsetzung eindeutig und offenbar unrichtig sei --was nicht der Fall sei, wenn sie auf der BFH-Rechtsprechung beruhe--, sei dies mit der Kühne & Heitz-Rechtsprechung des EuGH unvereinbar, da sie in Fällen der vorliegenden Art praktisch leerlaufe, in denen der Steuerpflichtige alles unternommen habe, um die dem Gemeinschaftsrecht widersprechenden Steuerbescheide zu korrigieren.

7

Die Kläger sind der Auffassung, § 227 AO müsse aufgrund des gemeinschaftsrechtlichen Effektivitätsprinzips als Änderungsmöglichkeit im Sinne der ersten Voraussetzung der EuGH-Rechtsprechung in Kühne & Heitz angesehen werden. Der gesetzliche Tatbestand des Billigkeitsverfahrens nach § 227 AO enthalte keine Einschränkung und finde seinem Wortlaut nach auf jeden rechtswidrigen Steuerbescheid Anwendung.

8

Im Rahmen der Billigkeit müssten ergänzend die Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts zur Anwendung kommen, um den nach der EuGH-Rechtsprechung gebotenen Rechtsschutz zu gewährleisten. Zwar sei der Tatbestand des § 51 Abs. 1 Nr. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) bei einer Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich nicht erfüllt. Es sei aber zumindest vertretbar, die Verwaltungsbehörde für befugt zu halten, bei einer Verletzung der Vorlagepflicht des letztinstanzlichen nationalen Gerichts einen gemeinschaftswidrigen Verwaltungsakt abzuändern, da die besondere Bedeutung der EuGH-Rechtsprechung es nahelege, diese einer Änderung des materiellen Rechts gleichzustellen, damit die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts nicht beeinträchtigt werde. Die Auswirkungen des unionsrechtlich zu beachtenden Effektivitätsprinzips zeige sich insbesondere bei der Auslegung des § 48 VwVfG, der im Rahmen einer Ermessensentscheidung eine Aufhebung rechtswidriger Verwaltungsakte ermögliche. Das Ermessen der Behörde, den Bescheid aufzuheben, reduziere sich auf Null, weil in der vorliegenden besonderen Konstellation, in der den Belangen der Rechtssicherheit durch das Ausschöpfen des Rechtswegs und die Einhaltung angemessener Fristen ausreichend Rechnung getragen worden sei, das Prinzip der Effektivität des Gemeinschaftsrechts überwiege.

9

Das deutsche Recht erlaube die Rücknahme einer rechtskräftig gerichtlich bestätigten Verwaltungsentscheidung, ohne dabei die Rechtskraft des Urteils selbst zu berühren.

10

Der Senat habe zudem mit seinem Urteil in BFHE 183, 436, BStBl II 1997, 617 offenkundig und qualifiziert gegen das Unionsrecht und seine Vorlagepflicht aus Art. 234 Abs. 3 EG (jetzt Art. 267 Abs. 3 AEUV) verstoßen. Er habe --trotz eindeutiger Hinweise aus dem Schrifttum (vgl. z.B. Meilicke, Deutsche Steuerzeitung --DStZ-- 1996, 97)-- schon für das Streitjahr 1992 verkannt, dass nicht die Organisation der Privatschulen in Deutschland, sondern die passive Dienstleistungsfreiheit sowie die Freizügigkeit der Schüler gemäß Art. 8a EG (jetzt Art. 21 AEUV) entscheidend sei. Somit müssten auch aus diesem Grunde die zu Unrecht erhobenen Steuern erlassen werden.

11

Soweit die Steuerbescheide 1994 bis 1997 betroffen seien, gelte Entsprechendes. Es könne für die Erschöpfung des Rechtswegs gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV keinen Unterschied machen, dass die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nicht vorgelegen hätten und es deshalb nicht zu einem Revisionsverfahren gekommen sei.

12

Die Kläger beantragen,
1. das angefochtene Urteil des FG Rheinland-Pfalz abzuändern und das FA zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheids vom 23. Juli 2010 und seiner Einspruchsentscheidung vom 10. Dezember 2010 für die Steuerjahre 1992 und 1994 bis 1997 Steuerbeträge in Höhe von 4.500,88 € wegen Nichtberücksichtigung von Schulgeldzahlungen als Sonderausgaben zu erlassen sowie den Erlassbetrag ab Rechtshängigkeit mit eineinhalb Prozent für jeden Monat zu verzinsen;

13

hilfsweise,
die Sache in dem angefochtenen Umfang zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das erstinstanzliche Gericht zurückzuverweisen und die Kläger unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden;

14

2. dem EuGH zur Vorabentscheidung folgende Fragen vorzulegen:

15

a) Ist eine Vorschrift des nationalen Rechts geeignet, die erste Voraussetzung des EuGH-Urteils Kühne & Heitz in Slg. 2004, I-837 zu erfüllen, wenn die nationale Vorschrift der Behörde ein Ermessen einräumt und die Rechtsprechung diese Vorschrift nur anwendet, wenn die Verletzung des Unionsrechts offenkundig und eindeutig war?

16

b) Ist die dritte Voraussetzung des EuGH-Urteils Kühne & Heitz in Slg. 2004, I-837 dahin zu verstehen, dass die Verletzung der Vorlagepflicht vorwerfbar (schuldhaft) oder objektiv offenkundig und eindeutig war?

17

c) Verletzt ein letztinstanzliches Gericht bei der Auslegung des Gemeinschaftsrechts die Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV und beruht darauf der bestandskräftige und gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßende Steuerbescheid, ist dann aufgrund des EuGH-Urteils Kühne & Heitz in Slg. 2004, I-837 die Steuerbehörde in einem Billigkeitsverfahren (§ 227 AO), das der Behörde ein Ermessen einräumt, verpflichtet, die Steuerschuld zurück zu erstatten, die bei richtiger Auslegung des Gemeinschaftsrechts nicht geschuldet gewesen wäre?

18

d) Ist eine nationale Regelung mit der Kühne & Heitz-Rechtsprechung (Effektivitätsprinzip) vereinbar, wenn die Steuerfestsetzung, die gegen das Gemeinschaftsrecht verstieß, ohne behördliche Überprüfung endgültig und nicht abänderbar wird?

19

e) Sind die Urteile des EuGH Kühne & Heitz in Slg. 2004, I-837 sowie vom 12. Februar 2008 C-2/06 --Kempter-- (Slg. 2008, I-411) dahin auszulegen, dass die Verletzung der Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV eine grobe Verkennung durch das letztinstanzliche Gericht verlangt oder sind es die gleichen Voraussetzungen, die der Gerichtshof im Urteil vom 6. Oktober 1982 283/81 --C.I.L.F.I.T.-- (Slg. 1982, I-3415) aufgestellt hat?

20

f) Verstößt es gegen den Grundsatz der Effektivität, wenn ein nationales Verfahrensrecht die Möglichkeiten einer nachträglichen Korrektur bestandskräftiger und rechtskräftiger unionsrechtswidriger Bescheide auf die Fälle beschränkt, in denen die Rechtswidrigkeit im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids offenkundig war?

21

Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

22

II. Die Revision ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zutreffend erkannt, dass das FA den Erlassantrag der Kläger ermessensfehlerfrei abgelehnt hat. Es ist nicht unbillig i.S. des § 227 AO, den Klägern die Einkommensteuer nicht zu erstatten, die darauf beruht, dass ihnen der Sonderausgabenabzug des an die britische Privatschule gezahlten Schulgelds verwehrt wurde, obwohl dies vom Unionsrecht gefordert gewesen wäre.

23

1. Nach § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden. Die Unbilligkeit kann in der Sache liegen oder ihren Grund in der wirtschaftlichen Lage des Steuerpflichtigen haben. In der wirtschaftlichen Situation des Steuerpflichtigen liegende (persönliche) Billigkeitsgründe sind weder geltend gemacht noch erkennbar, so dass allein sachliche Unbilligkeit in Betracht kommen kann.

24

Sachliche Unbilligkeit liegt vor, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass er die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage --hätte er sie geregelt-- im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte oder wenn angenommen werden kann, dass die Einziehung der Steuer den Wertungen des Gesetzgebers widerspricht (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. jüngst Senatsurteil vom 19. Oktober 2010 X R 9/09, BFH/NV 2011, 561, unter II.1.a, m.w.N.). Dies wiederum kann seinen Grund entweder in Gerechtigkeitsgesichtspunkten oder in einem Widerspruch zu dem der gesetzlichen Regelung zu Grunde liegenden Zweck haben. § 227 AO ermächtigt allerdings nicht zur Korrektur des Gesetzes. Der Erlass ist daher nur zulässig, wenn die Einziehung der Steuer zwar dem Gesetz entspricht, aber infolge eines Gesetzesüberhangs den Wertungen des Gesetzgebers derart zuwiderläuft, dass sie unbillig erscheint (Senatsurteil in BFH/NV 2011, 561, unter II.1.a, m.w.N.).

25

Im vorliegenden Streitfall ist zu prüfen, ob das FA sein Ermessen zu Recht dahingehend ausgeübt hat, dass es den Erlass der auf der Nichtberücksichtigung des Schulgelds als Sonderausgaben beruhenden Steuerschuld abgelehnt hat. Da die zu Grunde liegenden Steuerbescheide zwar bestandskräftig und die Gerichtsentscheidungen rechtskräftig sind, sie aber materiell-rechtlich mit dem Unionsrecht nicht übereinstimmen, sind sowohl die Wertungen des deutschen Gesetzgebers (unter 2.) als auch die Anforderungen, die sich aus dem Unionsrecht ergeben (unter 3.), zu berücksichtigen.

26

2. Die Bindung an die Wertungen des deutschen Gesetzgebers bedeutet im Hinblick auf den Streitfall zweierlei:

27

a) Zunächst sind Reichweite und Grenzen der Änderungsvorschriften der §§ 172 ff. AO zu beachten. Ein Erlass darf nicht Änderungsmöglichkeiten schaffen, die diese Vorschriften nicht vorsehen und nach der gesetzgeberischen Konzeption nicht vorsehen sollten (so auch Senatsurteil in BFH/NV 2011, 561, unter II.1.b).

28

Ein Steuerbescheid kann nur aufgrund der §§ 172 ff. AO, die eine abschließende Regelung enthalten, geändert werden (vgl. Senatsbeschluss in BFH/NV 2010, 1783). Dies unterscheidet den Steuerbescheid von einem sonstigen Steuerverwaltungsakt, der --wenn er rechtswidrig ist-- gemäß § 130 AO, selbst nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden kann. Diese ausdrückliche gesetzliche Differenzierung erlaubt es daher nicht, im Rahmen des Billigkeitsverfahrens die Änderungsmöglichkeit nach § 130 AO heranzuziehen oder gar --wie von den Klägern vorgeschlagen-- auf die Regelungen des VwVfG zurückzugreifen.

29

b) Zum anderen und damit zusammenhängend sind die Grundsätze der Bestandskraft zu beachten. Bei Einwänden, die, wie hier, die materiell-rechtliche Richtigkeit der Steuerfestsetzung betreffen, ist ein Erlass aus Billigkeitsgründen nur möglich, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig falsch ist und dem Steuerpflichtigen nicht zuzumuten war, sich rechtzeitig gegen die Fehlerhaftigkeit zu wehren (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. Urteile vom 30. April 1981 VI R 169/78, BFHE 133, 255, BStBl II 1981, 611; vom 11. August 1987 VII R 121/84, BFHE 150, 502, BStBl II 1988, 512; Senatsurteil vom 21. Juli 1993 X R 104/91, BFH/NV 1994, 597; Urteil vom 14. November 2007 II R 3/06, BFH/NV 2008, 574, und Senatsurteil in BFH/NV 2011, 561; s. auch Stöcker in Beermann/Gosch, AO § 227 Rz 22).

30

Im Streitfall hat das FA unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung die Ablehnung des Erlassantrages u.a. damit begründet, im Zeitpunkt seiner letzten Entscheidung im Festsetzungsverfahren sei die Ablehnung des Abzugs der Schulgeldzahlungen nicht offensichtlich und eindeutig falsch gewesen, da sie der damaligen Rechtslage und den Grundsätzen der damaligen höchstrichterlichen Rechtsprechung entsprochen habe.

31

Diese Argumentation des FA ist überzeugend, sie entspricht den Grundsätzen der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung und wird auch insoweit von den Klägern nicht in Frage gestellt.

32

c) Ziel der Kläger im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme ist indes nicht nur die faktische Änderung eines bestandskräftigen Steuerbescheids. Sie wollen vielmehr auch die tatsächliche Rückgängigmachung einer ihnen gegenüber ergangenen letztinstanzlichen Entscheidung erreichen, da der Senat in seinem Urteil in BFHE 183, 436, BStBl II 1997, 617 das klageabweisende FG-Urteil bestätigt hat, so dass zwischen den Klägern und dem FA rechtskräftig entschieden ist, dass die Schulgeldzahlungen im Jahr 1992 nicht als Sonderausgaben abgezogen werden konnten. Entsprechendes gilt für die Schulgeldzahlungen der Jahre 1994 bis 1997, deren Nichtberücksichtigung durch den BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 1037 rechtskräftig wurde.

33

aa) Die Frage, ob ein Erlass aus Billigkeitsgründen gemäß § 227 AO auch möglich ist, wenn ein rechtskräftiges Urteil dem inhaltlich entgegensteht, wird in der BFH-Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet.

34

Nach Auffassung des VIII. Senats kommt ein Erlass aus Billigkeitsgründen nicht mehr in Betracht, soweit über die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung bereits rechtskräftig entschieden worden ist. Ein Erlass gemäß § 227 Abs. 1 AO bei bestandskräftiger Steuerfestsetzung setze nicht nur voraus, dass die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig falsch sei. Es müsse vielmehr hinzukommen, dass es für den Steuerpflichtigen nicht möglich und unzumutbar gewesen sei, sich gegen die Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zu wehren. Daraus ergebe sich im Umkehrschluss, dass in den Fällen ein Erlass aus Billigkeitsgründen nicht in Betracht komme, in denen über die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung bereits rechtskräftig entschieden worden sei. Insofern seien die Beteiligten gemäß § 110 Abs. 1 Nr. 1 FGO an die Rechtskraft des Urteils gebunden (s. BFH-Beschluss vom 11. Mai 2011 VIII B 156/10, BFH/NV 2011, 1537).

35

Soweit erkennbar, ist diese generelle Ablehnung einer Billigkeitsmaßnahme im Falle eines rechtskräftigen Urteils in der höchstrichterlichen Rechtsprechung eher die Ausnahme. Die Frage, ob und inwieweit die Rechtskraft eines Urteils einer Billigkeitsmaßnahme entgegensteht, wurde von anderen Senaten des BFH --soweit sie überhaupt als problematisch angesehen wurde-- ausdrücklich offengelassen, weil die Voraussetzungen des § 227 AO in den jeweiligen Sachverhalten schon aus anderen Gründen nicht gegeben waren (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 22. September 1976 I R 68/74, BFHE 120, 200, BStBl II 1977, 15, und vom 31. Oktober 1990 I R 3/86, BFHE 163, 478, BStBl II 1991, 610).

36

bb) Selbst wenn eine Billigkeitsmaßnahme, die sich über die Rechtskraft eines Urteils hinwegsetzen würde, grundsätzlich nicht ausgeschlossen sein sollte, dürfte sie nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht kommen, da bei der Prüfung der sachlichen Unbilligkeit berücksichtigt werden muss, welch hohen Stellenwert der Gesetzgeber der Rechtskraft beimisst.

37

(1) Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGO binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Die Vorschriften der AO über die Aufhebung und Änderung von Verwaltungsakten bleiben davon zwar unberührt, allerdings nur, soweit sich aus der Rechtskraftwirkung nichts anderes ergibt (§ 110 Abs. 2 FGO). Dieser Vorrang der Rechtskraft gegenüber den Änderungsvorschriften bedeutet, dass eine Änderung ausgeschlossen ist, falls sich dadurch ein Widerspruch zur rechtlichen Beurteilung des Gerichts im rechtskräftigen Urteil ergeben würde (vgl. BFH-Urteil vom 26. November 1998 IV R 66/97, BFH/NV 1999, 788, unter II.1.b).

38

Der hohe Stellenwert, den das deutsche Verfahrensrecht der Rechtskraft zubilligt, zeigt sich zudem darin, dass nach § 79 Abs. 2 Satz 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) vorbehaltlich der Vorschrift des § 95 Abs. 2 BVerfGG oder einer besonderen gesetzlichen Regelung die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen, die auf einer gemäß § 78 BVerfGG für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt bleiben. Der Gesetzgeber hat sich in verfassungskonformer Weise zwischen den im Rechtsstaatsprinzip gegründeten gleichrangigen Verfassungsgrundsätzen der Bestandskraft von Verwaltungsakten einerseits und der Gerechtigkeit im Einzelfall andererseits zu Gunsten der Rechtssicherheit entschieden (vgl. z.B. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 12. Dezember 1957  1 BvR 678/57, BVerfGE 7, 194, 195).

39

(2) Eine Billigkeitsmaßnahme kann daher nur bei einem Urteil in Betracht kommen, welches so offenbar unrichtig ist, dass dessen Fehlerhaftigkeit ohne Weiteres erkannt werden konnte.

40

Im Streitfall ist eine derartige offensichtliche inhaltliche Unrichtigkeit eines letztinstanzlichen Urteils nicht gegeben. Nicht nur im Zeitpunkt des Senatsurteils in BFHE 183, 436, BStBl II 1997, 617, sondern bis zur Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens durch die Europäische Kommission Anfang Januar 2004 wurde die Begrenzung der Abziehbarkeit von Schulgeldzahlungen auf inländische Privatschulen von der Rechtsprechung --trotz einiger kritischer Stimmen im Schrifttum (vgl. z.B. Meilicke, Der Betrieb 1994, 1011; ders., DStZ 1996, 97)-- als mit dem Unionsrecht vereinbar angesehen (neben dem FG Rheinland-Pfalz in den die Kläger betreffenden Verfahren auch FG Köln, Urteil vom 28. Juni 2001  7 K 8690/99, EFG 2004, 1044, und FG Münster, Urteil vom 26. Februar 2003  1 K 1545/01 E, EFG 2003, 1084). Selbst in seinem Vorlagebeschluss vom 27. Januar 2005  10 K 7404/01 (EFG 2005, 709, unter II.3.c) hat das FG Köln noch darauf hingewiesen, dass § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG a.F. nicht klar und eindeutig gegen Unionsrecht verstoße.

41

Bei einer solchen Lage kann nicht davon ausgegangen werden, dass die den Klägern gegenüber ergangenen gerichtlichen Entscheidungen, die der bis dahin bestehenden Rechtsprechung entsprachen, in einem solchen Maße fehlerhaft gewesen sein könnten, dass --sich über deren Rechtskraft hinwegsetzende-- Billigkeitsmaßnahmen gerechtfertigt wären.

42

3. Die vom FG bestätigte Auffassung des FA steht nicht im Widerspruch zu den Anforderungen, die sich aus dem Unionsrecht ergeben, das von allen Stellen der Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten einzuhalten ist (vgl. z.B. EuGH-Urteil vom 12. Juni 1990 C-8/88 --Deutschland/Kommission--, Slg. 1990, I-2321, Rz 13).

43

Zwar rügen die Kläger eine Verletzung des Unionsrechts, indem sie ausführen, der Senat habe nicht nur einen unionsrechtswidrigen Steuerbescheid bestätigt, sondern darüber hinaus als letztinstanzliches Gericht seine Vorlagepflicht an den EuGH offensichtlich verletzt, so dass im Rahmen einer Billigkeitsentscheidung die Bestands- bzw. Rechtskraft kein Grund sein dürfe, den Erlass der zu Unrecht festgesetzten Steuer zu verweigern.

44

Indes erfordert weder das Unionsrecht eine faktische Aufhebung oder Änderung rechtskräftiger unionsrechtswidriger Urteile (unter a) noch führt ein möglicher unionsrechtlicher Entschädigungsanspruch dazu, den Klägern die unionsrechtswidrig erhobenen Steuern zu erlassen (unter b).

45

a) Dem Unionsrecht kann nicht entnommen werden, dass eine unionsrechtswidrige, aber rechtskräftig festgesetzte Steuer erstattet werden müsste.

46

aa) Der EuGH hat ausdrücklich die Verpflichtung verneint, eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung zu überprüfen und aufzuheben, falls sich herausstellt, dass sie gegen Gemeinschaftsrecht verstößt. Dabei hat der EuGH die Bedeutung betont, die dem Grundsatz der Rechtskraft sowohl in der Gemeinschaftsrechtsordnung als auch in den nationalen Rechtsordnungen zukommt. Zur Gewährleistung des Rechtsfriedens und der Beständigkeit rechtlicher Beziehungen sowie einer geordneten Rechtspflege sollten nach Ausschöpfung des Rechtswegs oder nach Ablauf der entsprechenden Rechtsmittelfristen unanfechtbar gewordene Gerichtsentscheidungen nicht mehr in Frage gestellt werden können. Damit gebiete das Gemeinschaftsrecht einem nationalen Gericht nicht, von der Anwendung innerstaatlicher Verfahrensvorschriften, aufgrund derer eine Entscheidung Rechtskraft erlangt, abzusehen, selbst wenn dadurch ein Verstoß dieser Entscheidung gegen Gemeinschaftsrecht abgestellt werden könnte (EuGH-Urteile vom 1. Juni 1999 C-126/97 --Eco Swiss--, Slg. 1999, I-3055, Rz 47 f.; vom 30. September 2003 C-224/01 --Köbler--, Slg. 2003, I-10239, Rz 38; vom 16. März 2006 C-234/04 --Kapferer--, Slg. 2006, I-2585, Rz 20 f.; vom 3. September 2009 C-2/08 --Fallimento Olimpiclub--, Slg. 2009, I-7501, Rz 22, und vom 6. Oktober 2009 C-40/08 --Asturcom Telecomunicaciones--, Slg. 2009, I-9579, Rz 35 ff.).

47

bb) Da auf dem Gebiet des Verfahrensrechts gemeinschaftsrechtliche Vorschriften fehlen, ist es nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache der innerstaatlichen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, Umfang und Grenzen des Grundsatzes der Rechtskraft festzulegen (s. z.B. EuGH-Urteile Kempter in Slg. 2008, I-411, Rz 57; vom 4. Oktober 2012 C-249/11 --Byankov--, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2013, 273, Rz 69, jeweils m.w.N.).

48

Dabei haben die Mitgliedstaaten in ihren Verfahrensvorschriften den Effektivitätsgrundsatz sowie das Äquivalenzprinzip zu beachten (vgl. z.B. EuGH-Urteile Kapferer in Slg. 2006, I-2585, Rz 22, und Fallimento Olimpiclub in Slg. 2009, I-7501, Rz 24). Beide Prinzipien leiten sich aus Art. 4 Abs. 3 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) ab, aufgrund dessen die Union und die Mitgliedstaaten zur loyalen Zusammenarbeit und gegenseitigen Unterstützung aufgerufen sind. Die Mitgliedstaaten haben danach alle geeigneten Maßnahmen zur Erfüllung der Verpflichtungen zu ergreifen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben.

49

(1) Der Effektivitätsgrundsatz garantiert eine gerichtliche Rechtsschutzmöglichkeit in angemessener Frist. Er betrifft vor allem das Verfahren, weniger die Frage, ob es in der Sache schwierig ist, eine günstige Rechtsentwicklung vorherzusehen und durchzusetzen.

50

Der EuGH hat die deutschen Einspruchs- und Klagefristen und damit die nationalen verfahrensrechtlichen Regelungen zur Durchsetzung des Unionsrechts nicht beanstandet (EuGH-Urteil i-21 Germany und Arcor in Slg. 2006, I-8559, Rz 59 f.; ähnlich auch BFH-Urteil vom 16. September 2010 V R 57/09, BFHE 230, 504, BStBl II 2011, 151, unter II.5.c cc). Zwar können die Verfahrensvorschriften im Ergebnis dazu führen, dass Entscheidungen, die materiell dem Unionsrecht nicht entsprechen, bestands- und rechtskräftig werden. Dies ändert aber nichts daran, dass es dem Betroffenen weder unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird, die ihm durch das Unionsrecht vermittelten Rechte geltend zu machen (so auch Gundel, Festschrift für V. Götz, 2005, 191, 201).

51

Eine andere Ausprägung des Effektivitätsgrundsatzes ist die mitgliedstaatliche Haftung für Verstöße gegen Unionsrecht, wenn auf andere Weise die Durchsetzung des Unionsrechts nicht gesichert werden kann (vgl. EuGH-Urteil vom 19. November 1991 C-6/90, C-9/90 --Francovich--, Slg. 1991, I-5357, Rz 35; s. Gundel in Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, 2. Aufl., § 3 Rz 197). Auch diese Anforderung erfüllt das deutsche Recht, da ein unionsrechtlicher Entschädigungsanspruch vor den ordentlichen Gerichten geltend gemacht werden kann (s. unten II.3.b).

52

(2) Das Äquivalenzprinzip verlangt, bei der Anwendung sämtlicher für Rechtsbehelfe geltenden Vorschriften einschließlich der vorgesehenen Fristen nicht danach zu unterscheiden, ob ein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht oder gegen nationales Recht gerügt wird. Sollte ein nach innerstaatlichem Recht rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, zurückzunehmen sein, sofern seine Aufrechterhaltung "schlechthin unerträglich" wäre, muss eine solche Verpflichtung zur Rücknahme unter den gleichen Voraussetzungen im Fall eines Verwaltungsakts gelten, der gegen Gemeinschaftsrecht verstößt (EuGH-Urteil i-21 Germany und Arcor in Slg. 2006, I-8559, Rz 62 f.).

53

Da nach deutschem Verfahrensrecht ein Verstoß gegen deutsche Rechtsgrundsätze und Normen ebenfalls nur bei eindeutigen und offensichtlichen, im Streitfall nicht vorliegenden (vgl. oben II.2.c bb (2)) Fehlern eines rechtskräftigen, den Steuerbescheid bestätigenden Urteils zu einem Billigkeitserlass führen könnte, erfüllt das nationale Verfahrensrecht auch insoweit die unionsrechtlichen Anforderungen.

54

(3) Die auf europäischer Ebene anerkannte und mit besonderem Gewicht versehene Rechtskraft kann infolgedessen dazu führen, dass der Einwand der Unionsrechtswidrigkeit nach dem Eintritt der Rechtskraft nicht mehr möglich ist und damit ein unionsrechtswidriges Urteil zu Gunsten der Rechtssicherheit akzeptiert werden muss (so auch Baumann, Die Rechtsprechung des EuGH zum Vorrang von Gemeinschaftsrecht vor mitgliedstaatlichen Verwaltungsakten und Gerichtsurteilen, 2010, 160 f.). Insofern verstößt die Ablehnung des Erlassantrages nicht per se gegen Unionsrecht.

55

b) Eine Durchbrechung der Rechtskraft von rechtskräftigen Urteilen ist nach der Rechtsprechung des EuGH wegen des in Art. 4 EUV verankerten Grundsatzes der Zusammenarbeit indes in den Fällen geboten, in denen

56

–       

die Behörde nach nationalem Recht befugt ist, diese Entscheidung zurückzunehmen,

–       

die Entscheidung infolge eines Urteils eines in letzter Instanz entscheidenden nationalen Gerichts bestandskräftig geworden ist,

–       

das Urteil, wie eine nach seinem Erlass ergangene Entscheidung des EuGH zeigt, auf einer unrichtigen Auslegung des Gemeinschaftsrechts beruht, die erfolgt ist, ohne dass der EuGH um Vorabentscheidung ersucht worden ist, obwohl der Tatbestand des Art. 267 Abs. 3 AEUV erfüllt gewesen ist, und

–       

der Betroffene sich, unmittelbar nachdem er Kenntnis von der besagten Entscheidung des Gerichtshofs erlangt hat, an die Verwaltungsbehörde gewandt hat.

57

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, muss --so der EuGH-- eine Verwaltungsbehörde auf einen entsprechenden Antrag hin eine bestandskräftige Verwaltungsentscheidung überprüfen, um einer mittlerweile vom EuGH vorgenommenen Auslegung der einschlägigen Bestimmung Rechnung zu tragen (EuGH-Urteil Kühne & Heitz in Slg. 2004, I-837, Rz 28).

58

aa) Im Streitfall ist zwischen den Beteiligten bereits rechtskräftig festgestellt worden, dass eine Änderung der Steuerfestsetzung nicht möglich ist, da das deutsche Verfahrensrecht eine über die §§ 172 ff. AO hinausgehende Änderungsmöglichkeit für Steuerbescheide nicht kennt (Senatsbeschluss in BFH/NV 2010, 1783, s.a. oben unter II.2.a).

59

bb) Das Billigkeitsverfahren gemäß § 227 AO stellt keine Änderungsmöglichkeit im Sinne der EuGH-Rechtsprechung dar.

60

(1) Der Erlass aus Billigkeitsgründen ist gegenüber der Steuerfestsetzung ein selbstständiges Verfahren (vgl. z.B. Beschluss des BVerfG vom 8. Juli 1987  1 BvR 623/86, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1988, 177), das von der Rechtsanwendung zu trennen ist. Sein Zweck ist es, durch Nichtberücksichtigung einer Norm Gerechtigkeit in einem Einzelfall zu schaffen, in welchem die konkrete Steuerbelastung, insbesondere mit Rücksicht auf den Zweck der Besteuerung, nicht mehr zu rechtfertigen ist. § 227 AO ist ebenso wie § 163 AO die Rechtsgrundlage für die Abweichung von einem allgemeinen Gesetzesbefehl. Eine solche ausdrückliche Grundlage wird durch den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gefordert (so auch von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 227 AO Rz 30; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 227 AO Rz 2 ff.). Da die Wertungen des Gesetzgebers bereits bei der Auslegung des gesetzlichen Steuertatbestands und bei der Frage der Tatbestandsmäßigkeit der Steuerfestsetzung zu berücksichtigen sind, kommen als sachliche Billigkeitsgründe nur solche Umstände in Betracht, die bei der Steuerfestsetzung durch Auslegung des Steuertatbestandes nach dem objektivierten Willen des Gesetzgebers nicht berücksichtigt werden (BFH-Urteil vom 24. März 1981 VIII R 117/78, BFHE 133, 60, BStBl II 1981, 505).

61

(2) Das Korrektursystem der §§ 172 ff. AO regelt die Durchsetzung der sich aus dem Unionsrecht ergebenden Ansprüche abschließend. Es ist ein sorgfältig austariertes System, das dem Grundsatz der Rechtssicherheit auf dem Gebiet des Steuerrechts, in dem Massenverfahren zu bewältigen sind, einen hohen Stellenwert einräumt. Weiter gehende Korrekturmöglichkeiten für Steuerbescheide muss das nationale Verfahrensrecht wegen des Grundsatzes der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten auch nach den Vorgaben des Unionsrechts nicht vorsehen (vgl. z.B. EuGH-Urteil i-21 Germany und Arcor in Slg. 2006, I-8559, Rz 57, m.w.N.; so wohl auch BFH-Urteil in BFHE 230, 504, BStBl II 2011, 151, unter II.5.c).

62

(3) Entgegen der Auffassung der Kläger ergibt sich aus der EuGH-Rechtsprechung Kühne & Heitz in Slg. 2004, I-837 kein Anspruch auf Erlass der auf der Nichtberücksichtigung des Schulgelds beruhenden Steuern aus Billigkeitsgründen gemäß § 227 AO. Diese Vorschrift räumt der Behörde --im Gegensatz zu § 48 VwVfG-- ein Ermessen, Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis zu erlassen, nur beim Vorliegen weiterer gesetzlicher Voraussetzungen ein, nämlich nur wenn auf der Tatbestandsseite eine Unbilligkeit im Einzelfall gegeben ist. Diese Voraussetzung ist im Streitfall indes, wie bereits oben dargestellt, nicht erfüllt.

63

(4) Mit dieser Auslegung des § 227 AO stimmt der erkennende Senat mit der bisherigen Finanzrechtsprechung überein. Sowohl andere Senate des BFH als auch verschiedene FG haben in § 227 AO keine Änderungsvorschrift im Sinne der oben aufgeführten EuGH-Rechtsprechung gesehen und dementsprechend den Erlass einer Steuerforderung abgelehnt, weil das innerstaatliche Recht keine Vorschrift zur Korrektur bestandskräftig gewordener Steuerbescheide wegen späterer Änderungen der Rechtsprechung kenne (s. BFH-Entscheidungen in BFH/NV 2008, 1889, unter II.3.a; in BFHE 230, 504, BStBl II 2011, 151, unter II.5.c aa; wohl auch vom 1. April 2011 XI B 75/10, BFH/NV 2011, 1372, und vom 14. Februar 2011 XI B 32/10, BFH/NV 2011, 746; ebenso FG Köln, Urteil vom 18. März 2009  7 K 2808/07, EFG 2009, 1168, unter 1.c; FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. Juni 2010  5 K 2292/06 B, EFG 2012, 206).

64

cc) Es besteht kein von einer nationalen Änderungsnorm losgelöster, genereller unionsrechtlicher Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens bzw. Änderung des Steuerbescheids nach Feststellung eines Verstoßes gegen das Unionsrecht. Dadurch würde die auch vom EuGH anerkannte Bestands- und Rechtskraft in Frage gestellt werden (ebenso Gundel, Festschrift für V. Götz, 205).

65

Um einer Verletzung der Vorlagepflicht gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV Rechnung zu tragen, ist es unionsrechtlich nicht geboten, den darauf beruhenden unionsrechtswidrigen Steuerbescheid bzw. seine Wirkungen aufzuheben (so auch Krönke, Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, 2013, 318). Es reicht vielmehr aus, wenn der Betroffene einen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch geltend machen kann, auch wenn auf diese Weise einfache Verstöße gegen die Vorlagepflicht unkorrigiert bleiben (so auch im Ergebnis Gundel, Festschrift für V. Götz, 205; Krönke, a.a.O., 316; Baumann, a.a.O., 166 f.).

66

c) Die Ablehnung des Erlassantrages der Kläger ist auch nicht im Hinblick auf einen möglichen Entschädigungsanspruch wegen eines qualifizierten Verstoßes gegen das Unionsrecht ermessenswidrig.

67

aa) In mehreren Urteilen prüft der V. Senat im Rahmen eines Steuererlasses gemäß § 227 AO, inwieweit ein unionsrechtlicher Entschädigungsanspruch gegeben sein könnte (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 13. Januar 2005 V R 35/03, BFHE 208, 398, BStBl II 2005, 460, unter II.2.a cc; vom 21. April 2005 V R 16/04, BFHE 210, 159, BStBl II 2006, 96, unter II.3.; in BFH/NV 2008, 1889, unter II.4., und in BFHE 230, 504, BStBl II 2011, 151, unter II.6.). Er geht dabei offensichtlich davon aus, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen eines unionsrechtlichen Entschädigungsanspruches eine sachliche Unbilligkeit der Steuererhebung anzunehmen sei. Soweit ersichtlich, hat diese Prüfung bislang jedoch noch in keinem Fall dazu geführt, einen Steuererlass aus Billigkeitsgründen auszusprechen.

68

bb) Es kann dahingestellt bleiben, ob das Bestehen eines unionsrechtlichen Erstattungsanspruchs einen Billigkeitserlass gemäß § 227 AO rechtfertigen könnte, da im Streitfall die Voraussetzungen eines solchen Erstattungsanspruchs nicht erfüllt sind.

69

(1) Nach der Rechtsprechung des EuGH (s. z.B. EuGH-Urteil Köbler in Slg. 2003, I-10239, Rz 51 bis 55) muss ein Mitgliedstaat Schäden ersetzen, die einem Einzelnen durch Verstöße gegen das Unionsrecht entstanden sind, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind: Die verletzte Rechtsnorm bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, der Verstoß ist hinreichend qualifiziert, und zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat obliegende Verpflichtung und dem den geschädigten Personen entstandenen Schaden besteht ein unmittelbarer Kausalzusammenhang.

70

Das gilt auch für die Haftung des Staates für Schäden, die durch eine unionsrechtswidrige Entscheidung eines nationalen letztinstanzlichen Gerichts verursacht wurden. Was des Näheren die zweite dieser Voraussetzungen und ihre Anwendung bei der Prüfung einer Haftung des Staates für eine Entscheidung eines nationalen letztinstanzlichen Gerichts angeht, so sind --nach Auffassung des EuGH-- die Besonderheiten der richterlichen Funktion sowie die berechtigten Belange der Rechtssicherheit zu berücksichtigen. Der Staat haftet für eine unionsrechtswidrige Entscheidung nur in dem Ausnahmefall, in dem das Gericht offenkundig gegen das geltende Recht verstoßen hat. Bei der Entscheidung darüber, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, muss das mit einer Schadensersatzklage befasste nationale Gericht alle Gesichtspunkte des Einzelfalls berücksichtigen. Zu diesen Gesichtspunkten gehören u.a. das Maß an Klarheit und Präzision der verletzten Vorschrift, die Vorsätzlichkeit des Verstoßes, die Entschuldbarkeit des Rechtsirrtums, ggf. die Stellungnahme eines Gemeinschaftsorgans sowie die Verletzung der Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV durch das in Rede stehende Gericht. Ein Verstoß gegen das Unionsrecht ist jedenfalls dann hinreichend qualifiziert, wenn die fragliche Entscheidung die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs offenkundig verkennt (zu dem Vorstehenden s. EuGH-Urteile Köbler in Slg. 2003, I-10239, Rz 51 ff.; vom 13. Juni 2006 C-173/03 --Traghetti del Mediterraneo--, Slg. 2006, I-5177, Rz 43).

71

(2) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Senat in seinem Urteil in BFHE 183, 436, BStBl II 1997, 617 die einschlägige Rechtsprechung des EuGH nicht offenkundig verkannt.

72

Vergleicht man die Gründe, die den Senat im Jahr 1997 dazu bewogen haben, in der Versagung des Sonderausgabenabzugs für an eine britische Privatschule gezahltes Schulgeld keine unionswidrige Diskriminierung zu sehen, mit den Urteilsgründen des EuGH in der Rechtssache Schwarz/Gootjes-Schwarz in Slg. 2007, I-6849, wird erkennbar, dass der Anwendungsbereich sowohl der Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 56 AEUV als auch der allgemeinen Freizügigkeit gemäß Art. 21 AEUV im Hinblick auf die fehlende Berücksichtigung des Schulgelds für Privatschulen anderer Mitgliedstaaten unterschiedlich beurteilt wurde. Hierin liegt indes kein offenkundiges Verkennen der EuGH-Rechtsprechung.

73

(a) § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG a.F. führte nach Auffassung des Senats deshalb zu keiner unzulässigen Diskriminierung, weil er meinte, Schulgelder für die Teilnahme am Unterricht eines nationalen staatlichen Bildungssystems stellten aufgrund der ständigen Rechtsprechung des EuGH kein Entgelt i.S. des Art. 57 AEUV dar. Der Senat führte dazu aus, obwohl die bisherigen EuGH-Entscheidungen nur zu staatlichen Schulen ergangen seien, beanspruchten diese Grundsätze auch für den Unterricht einer (privaten) Schule Geltung, die im Wesentlichen aus öffentlichen Mitteln finanziert werde. Werde hingegen eine Schule im Wesentlichen aus privaten Mitteln finanziert, sei ihr Unterrichtsangebot als Dienstleistung i.S. des Art. 56 AEUV anzusehen. Insoweit stimmen der EuGH und der Senat überein.

74

Im Unterschied zu dem zehn Jahre später ergangenen EuGH-Urteil Schwarz/Gootjes-Schwarz in Slg. 2007, I-6849 folgerte der Senat jedoch aus den bis dahin bekannten Vorgaben des EuGH, auch die inländischen privaten Ersatz- und Ergänzungsschulen seien aufgrund ihrer Einbindung in das nationale Bildungssystem mit ihrer Unterrichtstätigkeit in der Regel nicht erwerbswirtschaftlich tätig, zumal sie überwiegend aus dem Staatshaushalt finanziert würden. Demgegenüber spielt es nach Auffassung des EuGH in der Rechtssache Schwarz/Gootjes-Schwarz in Slg. 2007, I-6849 für die Frage der Anwendbarkeit von Art. 56 AEUV keine Rolle, ob die Schulen im Mitgliedstaat des Leistungsempfängers eine Dienstleistung i.S. des Art. 57 AEUV erbringen. Es komme vielmehr allein darauf an, dass die in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Privatschule als Erbringerin entgeltlicher Leistungen angesehen werden könne (EuGH-Urteil Schwarz/Gootjes-Schwarz in Slg. 2007, I-6849, Rz 44).

75

Diese unterschiedliche Sichtweise beruht auf einem Perspektivenwechsel in der Rechtsprechung des EuGH durch sein Urteil vom 16. Mai 2006 C-372/04 --Watts-- (Slg. 2006, I-4325, unter Rz 90), der für den Senat im Jahr 1997 weder erkennbar noch antizipierbar war (zu den Bedenken gegen diese Rechtsprechung s.a. die Schlussanträge der Generalanwältin Stix-Hackl vom 21. September 2006 C-76/05 --Schwarz/Gootjes-Schwarz--, Slg. 2007, I-6849). Ein offenkundiges Verkennen der EuGH-Rechtsprechung kann daher insoweit nicht angenommen werden.

76

(b) Für die Frage des Anwendungsbereichs der Dienstleistungsfreiheit sah es der Senat zudem als unerheblich an, dass einige inländische Privatschulen nur geringere Zuschüsse erhalten und daher ein höheres Schulgeld erhoben hatten, da derartige Sonderfälle an der grundsätzlichen Beurteilung nichts änderten. Hierzu berief sich der Senat u.a. auf den Schlussantrag des Generalanwalts Slynn vom 15. März 1988 in der Rechtssache 263/86 --Humbel und Edel-- (Slg. 1988, I-5365). In diesem Verfahren hat der EuGH entschieden, ein Unterricht an einer Fachschule, der innerhalb des nationalen Bildungswesens zum Sekundarunterricht gehörte, sei nicht als Dienstleistung i.S. des Art. 56 AEUV zu qualifizieren (Urteil in Slg. 1988, I-5365, Rz 14 ff.).

77

Die Auffassung des Senats ist zwar im Ergebnis vom EuGH im Jahr 2007 nicht geteilt worden. Liest man aber die vom Senat in Bezug genommene Passage des Generalanwalts Slynn in dem Verfahren Humbel und Edel, konnte sich daraus durchaus der Eindruck ergeben, dass sich an der Beurteilung von Schulleistungen als Dienstleistungen der Sozialpolitik --und damit an der Einordnung als nicht entgeltliche Dienstleistungen-- auch dann nichts ändere, wenn ausnahmsweise von einer Privatschule kostendeckendes Schulgeld erhoben werde. Die vom Senat daraus gezogene Schlussfolgerung, damit seien auch Privatschulen gemeint, lag nicht fern und kann kein offenkundiges Verkennen der EuGH-Rechtsprechung begründen.

78

(c) Aus denselben Gründen geht der Einwand der Kläger fehl, im Ausgangsrechtsstreit sei vom BFH verkannt worden, dass die passive Dienstleistungsfreiheit der Kläger verletzt worden sei. Der Senat hat in seinem Urteil in BFHE 183, 436, BStBl II 1997, 617, unter III.1. ausdrücklich unter Bezugnahme auf die einschlägige EuGH-Rechtsprechung dargelegt, der Empfänger einer Dienstleistung dürfe --auch steuerrechtlich-- nicht deshalb benachteiligt werden, weil er eine Dienstleistung in einem anderen Mitgliedstaat in Anspruch nehme. Der Senat hat aber --wie gerade dargestellt-- seine Beurteilung, ob überhaupt der Anwendungsbereich der durch den EG geschützten Dienstleistungsfreiheit betroffen ist, auf die Verhältnisse des Ansässigkeitsstaats des Dienstleistungsempfängers gestützt und nicht auf die des Staates, in dem der Dienstleistungserbringer ansässig ist.

79

(d) Der BFH hat auch nicht dadurch die EuGH-Rechtsprechung offenkundig verkannt, dass er die mögliche Verletzung der allgemeinen Freizügigkeit nicht geprüft hat, obwohl er den Anwendungsbereich der spezielleren Dienstleistungsfreiheit verneint hat.

80

Der Vertrag über die Europäische Union vom 7. Februar 1992 (BGBl II 1992, 1253), durch den die Unionsbürgerschaft in den EG-Vertrag aufgenommen wurde, ist erst am 1. November 1993 in Kraft getreten (BGBl II 1993, 1947), war im Streitjahr 1992 also noch nicht anzuwenden. Zudem wurde in dessen Dritten Teil in Titel VIII ein Kapitel 3 eingefügt, das sich mit der allgemeinen und beruflichen Bildung befasst. Bis zu dieser Erweiterung des Geltungsbereichs des Vertrages fielen nur Regelungen, die den Zugang zur Berufsausbildung betrafen, in dessen Anwendungsbereich, nicht jedoch Regelungen in Bezug auf allgemein bildende Schulen (vgl. dazu auch die Schlussanträge der Generalanwältin Stix-Hackl vom 21. September 2006 C-76/05, Slg. 2007, I-6849, Rz 91).

81

Bezüglich der Streitjahre 1994 bis 1997 hat der BFH mit seiner Entscheidung, eine Revision der Kläger nicht zuzulassen, das Unionsrecht ebenfalls nicht verkannt. In der Begründung ihrer Nichtzulassungsbeschwerde hatten die Kläger nicht einmal ansatzweise eine mögliche Verletzung des damaligen Gemeinschaftsrechts als Grund für die Zulassung der Revision geltend gemacht. Vielmehr hatten sie sich ausschließlich auf die Rüge der Verletzung nationalen Verfassungsrechts beschränkt. Gegenstand der Prüfung des BFH im Rahmen des Beschwerdeverfahrens gemäß §§ 115, 116 FGO sind jedoch grundsätzlich nur die ausdrücklich und ordnungsgemäß gerügten Zulassungsgründe (s. BFH-Beschluss vom 27. November 2001 XI B 123/01, BFH/NV 2002, 542; Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 116 FGO Rz 30; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 Rz 55).

82

(e) Eine offenkundige Verkennung der EuGH-Rechtsprechung kann sich auch nicht daraus ergeben, dass der BFH seine Vorlagepflicht gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV offenkundig verletzt hätte.

83

Wie sich im Bereich der Staatshaftung wegen Verletzung von Unionsrecht durch die Judikative die Verletzung des materiellen Rechts und die Verletzung der Vorlagepflicht zueinander verhalten, ist zwar bislang nicht vollkommen geklärt, bedarf im Streitfall aber keiner weiteren Klärung. Es ist zunächst davon auszugehen, dass im Ausgangspunkt der Primärverstoß gegen die im jeweiligen Ausgangsstreit umstrittene unionsrechtliche Regelung entscheidend ist (vgl. Kokott/Henze/Sobotta, Juristenzeitung --JZ-- 2006, 633, 637). Welche Auswirkungen dann ein Verstoß gegen die Vorlagepflicht haben könnte, ist bislang vom EuGH insoweit entschieden worden, dass die Voraussetzungen eines unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs dann nicht vorliegen, wenn weder bei der Auslegung des Primärrechts noch bei der Vorlagepflicht offenkundig die EuGH-Rechtsprechung missachtet wurde (s. EuGH-Urteil Köbler in Slg. 2003, I-10239; ebenso Kokott/Henze/Sobotta, JZ 2006, 633, 637).

84

Ein solcher Fall ist vorliegend gegeben. Ein offenkundiger Verstoß gegen Art. 56 und Art 21 AEUV ist --wie gerade dargestellt-- nicht erkennbar. Ebenso wenig hat der Senat seine Vorlagepflicht offenkundig verletzt. Er hat seine Entscheidung, das Verfahren in BFHE 183, 436, BStBl II 1997, 617 nicht dem EuGH vorzulegen, darauf gestützt, dass eine gesicherte Rechtsprechung des EuGH auch dann vorliege, wenn die streitigen Fragen nicht vollkommen mit den vom EuGH bereits entschiedenen Fragen identisch seien und insoweit das EuGH-Urteil C.I.L.F.I.T. in Slg. 1982, I-3415 angewendet. Der Senat hat die Voraussetzungen dieses EuGH-Urteils bejaht, weil er die EuGH-Rechtsprechung, nach der Schulgelder für die Teilnahme am Unterricht staatlicher Bildungssysteme kein Entgelt für eine Dienstleistung sind und dies auch für den Unterricht einer im Wesentlichen aus öffentlichen Mitteln finanzierten Schule gilt, dahingehend ausgelegt hat, dass damit auch die Frage beantwortet werden könne, unter welchen Umständen der Unterricht an einer privaten Schule als Dienstleistung anzusehen sei. Dass der EuGH zehn Jahre später eine andere Auffassung vertreten hat, bedeutet nicht, dass der Senat die im Zeitpunkt seiner Entscheidung bekannte EuGH-Rechtsprechung zur Vorlagepflicht offenkundig verkannt hat.

85

4. Da der Billigkeitserlass eine Ermessensentscheidung der Behörde ist (Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603), unterliegt er gemäß § 102 FGO lediglich einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Zu prüfen ist daher bei einer Erlassablehnung nur, ob die Finanzbehörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von ihrem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Unter Berücksichtigung der vorstehenden Begründung unter 2. und 3. ist ein Ermessensfehler des FA nicht erkennbar.

86

5. Der Senat ist --im Gegensatz zur Auffassung und den Anträgen der Kläger-- nicht verpflichtet, eine Vorabentscheidung des EuGH gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV herbeizuführen.

87

a) Die entscheidungsrelevante Rechtsfrage des Streitfalls ist, ob das FA bei der Ablehnung des Billigkeitsantrages der Kläger sein Ermessen gemäß § 227 AO ordnungsgemäß ausgeübt hat, d.h. ob es bei seiner Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.

88

Die Überprüfung dieser behördlichen Ermessensentscheidung, in der die rechtskräftige Versagung des Sonderausgabenabzugs nicht als so offenkundig unionsrechtswidrig und der EuGH-Rechtsprechung widersprechend angesehen wird, dass sie unbillig wäre, obliegt dem nationalen Gericht. Es ist --auch nach der EuGH-Rechtsprechung (s. EuGH-Urteil i-21 und Arcor in Slg. 2006, I-8559, Rz 71)-- seine Aufgabe zu beurteilen, ob eine mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbare Entscheidung offensichtlich rechtswidrig im Sinne des betreffenden nationalen Rechts ist.

89

b) Die von den Klägern formulierten Vorlagefragen sind entweder nicht entscheidungserheblich oder sie können durch die Rechtsprechung des EuGH beantwortet werden.

90

aa) Der ersten, zweiten sowie fünften Vorlagefrage fehlt die Entscheidungserheblichkeit.

91

§ 227 AO beschränkt sich --anders als § 48 VwVfG-- nicht darauf, der Behörde ein Ermessen einzuräumen, sondern enthält zusätzlich als gesetzliche Voraussetzung die Unbilligkeit der Einziehung der Steuer. Damit stellt sich die erste Vorlagefrage im Streitfall gar nicht.

92

Da bereits die erste Voraussetzung der Kühne & Heitz-Rechtsprechung vorliegend nicht erfüllt wurde, bedarf es auch keiner Erläuterungen, wie deren dritte Voraussetzung zu verstehen wäre.

93

Den beiden von den Klägern in der fünften Vorlagefrage genannten EuGH-Urteilen liegen Sachverhalte zugrunde, in denen nach nationalem Verfahrensrecht eine Änderung eines unionsrechtswidrigen Verwaltungsaktes möglich war. Eine solche Änderungsmöglichkeit sieht jedoch die AO für Steuerbescheide nicht vor (vgl. dazu oben unter II.2.a).

94

bb) Die dritte Vorlagefrage der Kläger kann unter Berücksichtigung und Auslegung der langjährigen Rechtsprechung des EuGH zur Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten sowie zur Rechts- und Bestandskraft behördlicher und gerichtlicher Entscheidungen und deren Begrenzung durch das Effektivitäts- und Äquivalenzprinzip beantwortet werden; insofern wird auf die Ausführungen unter II.3. verwiesen.

95

cc) Die Vereinbarkeit einer nationalen Regelung, nach der die gegen das Unionsrecht verstoßende Steuerfestsetzung ohne behördliche Überprüfung endgültig und nicht abänderbar ist, mit dem Effektivitätsprinzip hat der EuGH bereits bejaht, so dass auch die vierte Frage nicht zur Vorlage führen kann. In der Rechtssache Kapferer in Slg. 2006, I-2585 hatte das vorlegende Gericht ausdrücklich gefragt, ob der in Art. 10 EG (jetzt Art. 4 Abs. 3 EUV) verankerte Grundsatz der Zusammenarbeit, der das Effektivitätsprinzip umfasst, dahingehend auszulegen sei, dass auch ein nationales Gericht nach den in der Rechtssache Kühne & Heitz dargelegten Voraussetzungen verpflichtet sei, eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung zu überprüfen und aufzuheben, wenn diese gegen das Unionsrecht verstoße. Die Antwort des EuGH lautete, das Unionsrecht gebiete es einem nationalen Gericht nicht, von der Anwendung innerstaatlicher Vorschriften, aufgrund deren eine Entscheidung Rechtskraft erlange, abzusehen, selbst wenn dadurch ein Verstoß gegen das Unionsrecht abgestellt werden könne. Die Mitgliedstaaten hätten jedoch dafür zu sorgen, dass die Grundsätze der Gleichwertigkeit und der Effektivität gewährleistet blieben. Dieser Beurteilung stehe auch das Urteil Kühne & Heitz nicht entgegen (Urteil Kapferer in Slg. 2006, I-2585, Rz 21 und 23).

96

dd) Es dürfte unstreitig sein, dass zur effektiven Rechtsschutzgewährung durch das nationale Recht auch gehört, es dem Betroffenen zu ermöglichen, einen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch geltend zu machen. Dessen unionsrechtliche Anforderungen, insbesondere die Notwendigkeit eines "offenkundigen" Verstoßes gegen Unionsrecht bei einer richterlichen Entscheidung, wurden vom EuGH vor allem in seinem Urteil Köbler in Slg. 2003, I-10239, Rz 51 ff. herausgearbeitet, so dass der Senat auch die sechste Frage dem EuGH nicht vorlegen musste.

97

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH & Co. KG, die mit notariellem Vertrag vom 16. September 1999 errichtet wurde und ein bestimmtes Grundstück in Berlin entwickeln sollte. Nachdem sich dieses Projekt nicht durchführen ließ, wurde "der Erwerb, die Entwicklung, die Vermietung, die Verwaltung und die Veräußerung von Immobilien jeder Art" zum Zweck der Klägerin erklärt; der Gesellschaftsvertrag wurde mit Vereinbarung vom 13. Februar 2002 entsprechend neu gefasst. In diesem Zusammenhang kam es auch zum Wechsel von Gesellschaftern. Komplementärin war von Anfang an eine nicht an Kapital, Vermögen und Ergebnis beteiligte GmbH. Neben der C-AG trat am 13. Februar 2002 die A-Bank der Klägerin als Kommanditistin bei. Diese wandelte ihre Kapitaleinlage mit Vereinbarung vom 23. Dezember 2002 in ein Mezzanine-Darlehen um und verkaufte gleichzeitig ihren Gesellschaftsanteil an die C-AG. Mit Beschluss vom 22. Dezember 2004 wurde die Klägerin aufgelöst; Liquidatorin ist die C-AG.

2

Mit Kaufvertrag vom 26. Oktober 2001 erwarb die Klägerin das Grundstück X. Sie plante, die aufstehenden Gebäude zu modernisieren und das Objekt anschließend zu verkaufen.

3

Nachdem sich Ende 2003 das Scheitern des Plans abgezeichnet hatte, schloss die Klägerin am 17. Februar 2004 einen Aufhebungsvertrag, durch den der Grundstückskauf mit sofortiger Wirkung rückabgewickelt wurde. Danach verfügte sie nicht mehr über Aktivvermögen. Um die Insolvenz zu vermeiden, bat die Klägerin mit Schreiben vom 20. Februar 2004 die A-Bank als Gläubigerin um einen Forderungsverzicht. Am 2. Juli 2004 verzichtete die A-Bank (mit Besserungsabrede) auf sämtliche Forderungen gegen die Klägerin. Außerdem verzichteten weitere Gläubiger, darunter die C-AG, auf ihre Forderungen. Die Klägerin buchte die Verbindlichkeiten im Erhebungszeitraum 2004 gewinnerhöhend aus. Hierdurch ergab sich für 2004 ein Jahresüberschuss von 1.862.924 €.

4

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) stellte zum 31. Dezember 2003 einen vortragsfähigen Gewerbeverlust in Höhe von 2.656.561 € fest. Für das Streitjahr 2004 ging das FA von einem Gewinn aus Gewerbebetrieb in Höhe von 1.862.924 € aus. Davon zog es einen Gewerbeverlust in Höhe von 1.517.754 € ab. Diesen Betrag ermittelte das FA nach § 10a Sätze 1 und 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) in der ab 1. Januar 2004 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes und anderer Gesetze vom 23. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2922, BStBl I 2004, 20) in der Weise, dass es den festgestellten vortragsfähigen Gewerbeverlust bis zur Höhe von 1 Mio. € in voller Höhe sowie von dem übersteigenden Betrag (862.924 €) 60 % (= 517.754 €) berücksichtigte. Danach verblieb ein gerundeter Gewerbeertrag von 345.100 €, woraus sich ein Gewerbesteuermessbetrag von 14.830 € und eine festgesetzte Gewerbesteuer für 2004 in Höhe von 60.803 € ergaben. Außerdem stellte das FA den vortragsfähigen Gewerbeverlust zum 31. Dezember 2004 mit 1.138.807 € fest.

5

Gegen die Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag 2004 und die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes zum 31. Dezember 2004 legte die Klägerin Einspruch ein und rügte einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot. Gleichzeitig beantragte sie sinngemäß, die Gewerbesteuer für 2004 gemäß § 163 der Abgabenordnung (AO) auf 0 € festzusetzen bzw. nach § 227 AO zu erlassen.

6

Das FA lehnte eine Billigkeitsmaßnahme ab. Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein.

7

Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück. Die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags und der Gewerbesteuer stehe im Einklang mit der Regelung des § 10a GewStG. Eine Billigkeitsfestsetzung nach § 163 AO komme nicht in Betracht. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 31. März 2004 X R 25/03 (BFH/NV 2004, 1212), das die Nichtberücksichtigung von Verlusten nach § 10d des Einkommensteuergesetzes (EStG) betreffe, sei die Erhebung einer Steuer unbillig, wenn sie im Einzelfall nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes nicht zu rechtfertigen sei und dessen Wertungen zuwiderlaufe. Der Gesetzgeber habe die mit der Beschränkung des Verlustabzugs verbundenen Härten ersichtlich in Kauf genommen, so dass eine Billigkeitsmaßnahme die generelle Geltungsanordnung des Steuergesetzes unterlaufen würde. Die Grundsätze des BFH-Urteils in BFH/NV 2004, 1212 ließen sich auf die Neuregelung des § 10a GewStG zum 1. Januar 2004 und die damit verbundene Einführung der Mindestbesteuerung übertragen.

8

Mit der daraufhin erhobenen Klage begehrte die Klägerin, den Gewerbesteuermessbetrag bzw. die Gewerbesteuer aus sachlichen Billigkeitsgründen nach § 163 AO auf 0 € festzusetzen oder die Gewerbesteuer nach § 227 AO zu erlassen. Das Finanzgericht (FG) hob die Einspruchsentscheidung auf und verpflichtete das FA, den Antrag der Klägerin auf Billigkeitsfestsetzung nach § 163 Satz 1 AO bzw. Billigkeitserlass nach § 227 AO bezüglich des Gewerbesteuermessbetrags 2004 und der Gewerbesteuer 2004 neu zu bescheiden. Das FA habe bei seiner Ermessensentscheidung nicht hinreichend berücksichtigt, dass im Streitfall bereits am Ende des Erhebungszeitraums 2004 und damit auch bei der Wirksamkeit des Gewerbesteuermess- und Gewerbesteuerbescheids 2004 erkennbar gewesen sei, dass der Verlustausgleich von gerundet 345.100 € aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen sein werde. Die Beteiligten seien übereinstimmend davon ausgegangen, dass die Klägerin ihre Tätigkeit nicht mehr aufnehmen werde und eine Entstehung von künftigen Gewinnen ausgeschlossen sei. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2010, 1576 veröffentlicht.

9

Dagegen richtet sich die Revision des FA. Der Umstand, dass die Klägerin die wirtschaftliche Tätigkeit beendet habe und der Gewerbeverlust endgültig untergehe, könne zwar im Rahmen der Billigkeitsentscheidung in Betracht gezogen werden. Aufgrund der Gesetzesfassung des § 10a GewStG sei davon auszugehen, dass es dem Willen des Gesetzgebers entspreche, dass ein vortragsfähiger Gewerbeverlust bei Beendigung eines Unternehmens nicht mehr genutzt werden könne und dass es ggf. im Jahr der Beendigung der gewerblichen Tätigkeit aufgrund der Mindestbesteuerung zur Festsetzung eines Gewerbesteuermessbetrags und von Gewerbesteuer kommen könne. Der Gesetzgeber habe von seiner weitgehenden Befugnis zur Vereinfachung und Typisierung Gebrauch gemacht und keine Sonderregelung für den Fall eines endgültigen Untergangs des bei Anwendung der Mindestbesteuerung verbleibenden Verlustvortrags vorgesehen. Zwar treffe es zu, dass im vorliegenden Fall bei Aufgabe des Gewerbebetriebs im Ergebnis ein wirtschaftlich nicht entstandener Totalgewinn versteuert werden müsse. Der Gesetzgeber sei jedoch nicht verpflichtet, einseitig zu Gunsten des Nettoprinzips den Wertungswiderspruch zwischen dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung und dem Grundsatz des Nettoprinzips zu lösen (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 22. Juli 1991  1 BvR 313/88, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1992, 423). Der Grundsatz der Rechtssicherheit müsse der Forderung nach Gerechtigkeit im Einzelfall allenfalls dann weichen, wenn ihm angesichts der Besonderheiten des vom Gesetzgeber geregelten Sachverhalts jede Tauglichkeit abzusprechen wäre. Das sei vorliegend nicht der Fall.

10

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

11

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

12

Im Streitfall führe die Mindestbesteuerung endgültig zum Ausschluss des Verlustausgleichs. Dies habe bereits im Verlustabzugsjahr festgestanden, denn der Gewinn erhöhende Forderungsverzicht seitens der Gläubiger sei gerade zu dem Zweck erfolgt, der Klägerin die geordnete Liquidation zu ermöglichen. Mindestbesteuerung und Ausschluss des Verlustabzugs stünden damit im ursächlichen Zusammenhang. Der BFH habe an der Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG verfassungsrechtliche Zweifel geäußert, wenn die spätere Verlustverrechnung endgültig ausgeschlossen sei (BFH-Beschluss vom 26. August 2010 I B 49/10, BFHE 230, 445, BStBl II 2011, 826). Solche Bedenken äußere auch das Hessische FG im Hinblick auf § 10a Satz 2 GewStG, wenn dessen Anwendung gegen das objektive Nettoprinzip verstoße (Beschluss vom 26. Juli 2010  8 V 938/10, EFG 2010, 1811). Diese Erwägungen müssten auch im Billigkeitsverfahren gelten. Vorliegend komme verschärfend hinzu, dass der steuerbelastete Ertrag nicht auf einem erwirtschafteten Gewinn, sondern auf einem reinen Buchgewinn beruhe.

13

Das Bundesministerium der Finanzen ist dem Verfahren beigetreten.

14

Es führt aus, § 227 AO stelle keine Ermächtigung zur Korrektur des Gesetzes dar. Die Billigkeitsmaßnahme dürfe nicht auf Erwägungen gestützt werden, die die vorgesehene Besteuerung allgemein oder für bestimmte Fallgruppen außer Kraft setzen würde. Ein Erlass wegen sachlicher Unbilligkeit sei nur insoweit durch die Vorschrift gedeckt, wie angenommen werden könne, der Gesetzgeber würde die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage --hätte er sie geregelt-- im Sinne des vorgesehenen Erlasses entscheiden (vgl. BFH-Urteil vom 23. März 1998 II R 41/96, BFHE 185, 270, BStBl II 1998, 396).

15

Der Umstand, dass im Streitfall eine volle Verrechnung der festgestellten Fehlbeträge unterbleibe, sei unmittelbare Folge der Änderung des § 10a GewStG. Es sei nicht Sache der Finanzverwaltung, diese gesetzgeberische Folge mittels Billigkeitsregelungen zu unterlaufen. Die Besteuerung widerspreche auch nicht dem Willen des Gesetzgebers. Dieser sei sich bei der Abfassung des Gesetzes bewusst gewesen, dass es im Einzelfall zur nicht vollständigen Verrechnung festgestellter Fehlbeträge kommen könne (BTDrucks 15/481, S. 5, rechte Spalte, zweiter Absatz). Die Anhebung des Sockelbetrags in der endgültig Gesetz gewordenen Fassung und die Diskussion um den Prozentsatz einer möglichen Verlustverrechnung zeigten, dass dem Gesetzgeber die Wirkung der Einschränkungen bewusst gewesen sei; eine Regelungslücke liege deshalb nicht vor.

16

Eine Billigkeitsmaßnahme sei nicht von Verfassungs wegen geboten. Der Gesetzgeber sei nicht verpflichtet, den Wertungswiderspruch zwischen dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung und dem Nettoprinzip einseitig zu Gunsten des Nettoprinzips zu lösen (BVerfG-Beschluss in HFR 1992, 423). In Fällen, in denen ein Fehlbetrag nicht vollständig verrechenbar sei, könne ein Verfassungsverstoß nicht einseitig auf das Gebot des objektiven Nettoprinzips gestützt werden.

Entscheidungsgründe

17

II. Die Revision des FA ist begründet. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Klage abgewiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass das FA die Voraussetzungen der §§ 163 Satz 1, 227 AO ermessensfehlerhaft verneint habe, weil es nicht hinreichend berücksichtigt habe, dass die Klägerin ihre wirtschaftliche Tätigkeit beendet habe und damit der vortragsfähige Gewerbeverlust endgültig untergehe.

18

1. Nach § 163 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, können bei der Festsetzung der Steuern unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Nach § 227 AO können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.

19

a) Der Zweck der §§ 163, 227 AO liegt darin, sachlichen und persönlichen Besonderheiten des Einzelfalles, die der Gesetzgeber in der Besteuerungsnorm nicht berücksichtigt hat, durch eine nicht den Steuerbescheid selbst ändernde Korrektur des Steuerbetrags insoweit Rechnung zu tragen, als sie die steuerliche Belastung als unbillig erscheinen lassen (BFH-Urteile vom 26. Mai 1994 IV R 51/93, BFHE 174, 482, BStBl II 1994, 833, unter 1. der Gründe; vom 4. Juli 1972 VII R 103/69, BFHE 106, 268, BStBl II 1972, 806).

20

b) Die Erlassentscheidung ist eine Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung (§ 5 AO), die gemäß § 102 FGO i.V.m. § 121 FGO grundsätzlich nur eingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung unterliegt (Beschluss des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). Stellt das Gericht eine Ermessensüberschreitung oder einen Ermessensfehler fest, ist es grundsätzlich auf die Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung beschränkt. Nur wenn der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeengt ist, dass nur eine Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt (sog. Ermessensreduzierung auf Null), ist es befugt, seine Entscheidung an die Stelle der Ermessensentscheidung der Verwaltungsbehörde zu setzen und eine Verpflichtung zum Erlass auszusprechen (BFH-Urteile vom 6. September 2011 VIII R 55/10, BFH/NV 2012, 269, unter II.1. der Gründe, m.w.N.; vom 26. Oktober 1994 X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297, unter II.2. der Gründe, m.w.N.).

21

c) Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer Steuer, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Steuer als unbillig erscheint. So verhält es sich, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage --wenn er sie als regelungsbedürftig erkannt hätte-- im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 174, 482, BStBl II 1994, 833, unter 2. der Gründe, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 12. September 2007 X B 18/03, BFH/NV 2008, 102, unter II.5.b der Gründe, m.w.N.). Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt dagegen keine Billigkeitsmaßnahme (BFH-Urteile vom 7. Oktober 2010 V R 17/09, BFH/NV 2011, 865, unter II.2. der Gründe; vom 4. Februar 2010 II R 25/08, BFHE 228, 130, BStBl II 2010, 663, jeweils m.w.N.). Bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit von generalisierenden und typisierenden Normen des Steuerrechts fällt allerdings die Möglichkeit des Steuererlasses zur Milderung unbilliger Härten besonders ins Gewicht (BVerfG-Beschluss vom 5. April 1978  1 BvR 117/73, BVerfGE 48, 102; BFH-Urteile vom 6. Februar 1976 III R 24/71, BFHE 118, 151; in BFHE 185, 270, BStBl II 1998, 396; vom 27. Mai 2004 IV R 55/02, BFH/NV 2004, 1555). Deshalb ist im Rahmen einer Billigkeitsentscheidung zu berücksichtigen, ob die vom Gesetzgeber gewählte Typisierung gerade deshalb für zulässig erachtet wird, weil im Zusammenhang mit der Anwendung des typisierenden Gesetzes auftretende Härten durch Billigkeitsmaßnahmen beseitigt werden können. Das ist etwa dann der Fall, wenn der Gesetzgeber Zahl und Intensität der von der typisierenden Regelung nachteilig betroffenen Fälle mit zumutbarem Aufwand nicht ermitteln kann. Die Billigkeitsmaßnahme erweist sich in diesem Zusammenhang als eine flankierende Maßnahme zur Typisierung (vgl. BFH-Urteil vom 20. September 2012 IV R 36/10, BFHE 234, 542).

22

d) Die Billigkeitsprüfung muss sich je nach Fallgestaltung nicht nur auf allgemeine Rechtsgrundsätze und verfassungsmäßige Wertungen erstrecken; sie verlangt vielmehr eine Gesamtbeurteilung aller Normen, die für die Verwirklichung des in Frage stehenden Steueranspruchs im konkreten Fall maßgeblich sind (BFH-Urteil in BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297, unter II.4. der Gründe, m.w.N.). In eine solche Würdigung müssen nicht nur die Vorschriften einbezogen werden, aus denen der Anspruch dem Grunde und der Höhe nach hergeleitet wird, sondern auch die Regelungen, die im zu entscheidenden Fall für die Konkretisierung des materiellen Rechts und seine verfahrensrechtliche Durchsetzung sorgen. Nur auf diese Weise lassen sich Wertungswidersprüche aufdecken und im Billigkeitswege beseitigen, die bei isolierter Betrachtungsweise als typischer Nebeneffekt der Anwendung einzelner steuerrechtlicher Normen hinnehmbar erscheinen, insgesamt aber in ihrem Zusammenwirken in einem atypischen Einzelfall eine Rechtslage herbeiführen, welche die Durchsetzung des Steueranspruchs als sachlich unbillig erscheinen lässt (BFH-Urteil in BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297, unter II.4. der Gründe).

23

e) Grundsätzlich kann im Rahmen der Prüfung, ob eine sachliche Unbilligkeit vorliegt, die Richtigkeit eines unanfechtbar gewordenen Steuerbescheids nicht mehr untersucht werden. Eine Ausnahme hat die Rechtsprechung für die Einwendungen zugelassen, die sich im konkreten Steuerrechtsverhältnis aus den Grundsätzen von Treu und Glauben ergeben (BFH-Urteile vom 31. Oktober 1990 I R 3/86, BFHE 163, 478, BStBl II 1991, 610, unter II.B.3. der Gründe; vom 10. Juni 1975 VIII R 50/72, BFHE 116, 103, BStBl II 1975, 789). Die Verdrängung gesetzten Rechts durch den Grundsatz von Treu und Glauben kann jedoch nur in Betracht kommen, wenn das Vertrauen des Steuerpflichtigen in ein bestimmtes Verhalten der Verwaltung nach allgemeinem Rechtsgefühl in einem so hohen Maß schutzwürdig ist, dass demgegenüber die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zurücktreten (BFH-Urteile in BFHE 163, 478, BStBl II 1991, 610, unter II.B.3.a der Gründe; vom 5. Februar 1980 VII R 101/77, BFHE 130, 90, unter 2. der Gründe).

24

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen war dem FA nicht aufzugeben, eine erneute Prüfung der Billigkeitsgründe vorzunehmen. Selbst wenn das FA die Bedeutung der endgültigen Nichtverwertbarkeit der Verluste und der dadurch eintretenden Verletzung des objektiven Nettoprinzips nicht ausreichend bei seinen Ermessenserwägungen berücksichtigt haben sollte, wie das FG meint, konnte doch keine andere Entscheidung als die vom FA getroffene ergehen, da eine Unbilligkeit im Streitfall nicht vorlag.

25

a) Der Antrag der Klägerin auf Erlass einer Billigkeitsmaßnahme ist allerdings nicht bereits deshalb zurückzuweisen, weil sie davon abgesehen hat, Klage auch gegen die Festsetzungsverwaltungsakte zu erheben. Sie durfte sich darauf beschränken, nur die Entscheidung des FA über die beantragten Billigkeitsmaßnahmen mit der Klage anzugreifen.

26

Zwar kann sich ein Steuerpflichtiger grundsätzlich nicht auf die sachliche Unbilligkeit einer Steuerfestsetzung berufen, wenn er zuvor nicht alle Rechtsmittel gegen die Steuerfestsetzung ausgeschöpft hat. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH können bestandskräftig festgesetzte Steuern im Billigkeitsverfahren u.a. nur dann sachlich überprüft werden, wenn es dem Steuerpflichtigen nicht möglich oder nicht zumutbar war, sich gegen die Fehlerhaftigkeit der Festsetzung rechtzeitig zu wehren (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 30. April 1981 VI R 169/78, BFHE 133, 255, BStB1 II 1981, 611; vom 11. August 1987 VII R 121/84, BFHE 150, 502, BStB1 II 1988, 512; vom 29. Mai 2008 V R 45/06, BFH/NV 2008, 1889).

27

Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht, wenn der Steuerpflichtige sich darauf beruft, von einer von ihm grundsätzlich als verfassungskonform angesehenen typisierenden Norm unverhältnismäßig nachteilig betroffen zu sein. Hält der Steuerpflichtige die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers in Bezug auf die in Frage stehende Norm für gegeben, sieht er die Besteuerung aber in seinem Einzelfall als unbillig an, weil er von der Typisierung unverhältnismäßig nachteilig betroffen wird, ist ihm die Anfechtung der Steuerfestsetzung nicht zuzumuten. Er kann sich vielmehr darauf beschränken, lediglich eine Billigkeitsmaßnahme zu beantragen.

28

b) Im Streitfall kann offenbleiben, in welchen Fällen allgemein die Festsetzung eines Gewerbesteuermessbetrags trotz vortragsfähiger Verluste mindestens in Höhe des Gewerbeertrags zu einer auch durch die allgemeine Typisierungsbefugnis nicht mehr gedeckten unverhältnismäßigen Belastung eines einzelnen Steuerpflichtigen durch § 10a Sätze 1 und 2 GewStG führen kann und inwieweit die fehlende Möglichkeit zur künftigen Verrechnung gestreckter vortragsfähiger Verluste wegen der Einstellung der werbenden Tätigkeit auf Besonderheiten des Gewerbesteuerrechts beruht, die eine unverhältnismäßige Belastung des Steuerpflichtigen ausgeschlossen erscheinen lassen. Die Festsetzungen eines Gewerbesteuermessbetrags und der Gewerbesteuer gegenüber der Klägerin sind nämlich bereits deshalb nicht unbillig, weil die Klägerin durch ihr eigenes Verhalten dazu beigetragen hat, dass ein Gewerbeertrag entstanden ist, der nach § 10a Sätze 1 und 2 GewStG nicht vollständig mit vortragsfähigen Verlusten verrechnet werden konnte.

29

Der positive Gewerbeertrag im streitigen Erhebungszeitraum beruht ausschließlich darauf, dass Gläubiger der Klägerin auf ihre Forderungen gegenüber der Klägerin verzichtet haben. Der Verzicht wurde auf Betreiben der Klägerin erklärt, obwohl die Forderungen angesichts der Mittellosigkeit der Klägerin ohnehin schon wertlos geworden waren. Wäre der Verzicht nicht erklärt worden, hätte die Klägerin künftig keinen Gewinn mehr erzielt. Auch der Ausfall von gegen die Klägerin gerichteten Forderungen in einem Insolvenzverfahren hätte keine Gewinnauswirkung gehabt. Weder für den streitigen Erhebungszeitraum noch für spätere Erhebungszeiträume wären danach Gewerbesteuermessbeträge festzusetzen gewesen.

30

Anhaltspunkte dafür, dass es ohne Initiative der Klägerin zu dem Forderungsverzicht hätte kommen können, sind nicht ersichtlich. Die Klägerin hat deshalb selbst die Ursache für das Eintreten der Mindestbesteuerung gesetzt, obwohl sie die Besteuerungsfolgen kennen musste. Unter diesem Aspekt kann die Besteuerung nicht als unbillig angesehen werden.

31

3. Die Ablehnung einer Billigkeitsmaßnahme durch das FA ist danach im Streitfall nicht zu beanstanden. Das FG ist von anderen Maßstäben ausgegangen. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO).

Tatbestand

1

A. Die Kläger, Revisionskläger und Revisionsbeklagten (Kläger) haben 1984 zusammen mit R als Miteigentümer das Grundstück E in K sowie 1988 das Grundstück "Haus L" in B erworben. Sie gründeten für jedes Objekt eine GbR, bauten die Objekte als Tagungshotels um und führten dort gegen Entgelt verschiedenste Aus- und Fortbildungsmaßnahmen durch.

2

Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) stellte die Einkünfte der beiden GbR jeweils einheitlich und gesondert fest und veranlagte die Kläger gemeinsam zur Einkommensteuer. Seit 1990 erwirtschaftete die L-GbR durchgehend Verluste. Dies führte bei der Einkommensteuer der Kläger zu Verlustvorträgen.

3

Das Haus L wurde 1995 unter Fortführung des Gewerbebetriebs verpachtet. Das Objekt E wurde 1996/1997 veräußert. Diese GbR wurde aufgelöst. Nach Beendigung ihrer aktiven Tätigkeit in den beiden GbR führten die Kläger Teile des Angebots im eigenen Namen weiter. Mit den daraus erzielten Einnahmen aus selbständiger und nichtselbständiger Arbeit sowie Gewinnen aus der Auflösung der E-GbR wurde der Verlustvortrag verrechnet. Ende 1997 verblieb den Klägern ein Verlustvortrag in Höhe von 72.905 DM.

4

1998 wurde die L-GbR aufgelöst und 1999 das Haus L zwangsversteigert. Die L-GbR war mit 2 Mio. DM bilanziell überschuldet. Hauptgläubiger waren die Volksbank R und die Eheleute C, die Erwerb und Umbau des Objekts Haus L finanziert hatten. Von den 4 Mio. DM Verbindlichkeiten konnten 1,4 Mio. DM durch den Versteigerungserlös getilgt werden. Der Versteigerungserlös unterschritt den Buchwert des Grundstücks (1,9 Mio. DM) deutlich. In der Folgezeit schlossen die Kläger und R mit den beiden Hauptgläubigern der L-GbR Vergleichsvereinbarungen. Danach sollten mit der Zahlung bestimmter Beträge alle Ansprüche abgegolten sein. Im Ergebnis wurden von den 4.044.473 DM Verbindlichkeiten 2.268.194 DM gezahlt bzw. von anderen Gläubigern weiterhin kreditiert. Die restlichen 1.776.279 DM haben die Gläubiger der L-GbR Anfang 2002 erlassen (§ 397 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--). Den Beteiligungsquoten an der L-GbR entsprechend entfallen hiervon 15,5 % (= 275.323,25 DM) auf den Kläger und 35,5 % (= 630.579,29 DM) auf die Klägerin.

5

Mit Schriftsätzen vom 9. November, 14. und 30. Dezember 2004 beantragten die Kläger, die Einkommensteuer für die Streitjahre 1998 bis 2002 zu erlassen, soweit darin ein Sanierungsgewinn enthalten sei. Das FA lehnte den Antrag ab.

6

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hat mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2008, 1555 veröffentlichtem Urteil erkannt, die Ablehnung des FA, die Einkommensteuer 1998 zu erlassen, sei rechtswidrig i.S. des § 102 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Für die Jahre 1999 bis 2002 habe das FA ermessensfehlerfrei entschieden, dass die Voraussetzungen eines Erlasses (§ 227 der Abgabenordnung --AO--) wegen sachlicher Unbilligkeit nicht gegeben seien.

7

Mit ihrer Revision rügen die Kläger Verletzung materiellen Rechts.

8

Im erstinstanzlichen Verfahren sei auch streitig gewesen, ob die Frage des Erlasses des Sanierungsgewinns aus sachlichen Billigkeitsgründen im Rahmen der einheitlich und gesonderten Gewinnfeststellung der L-GbR oder auf der Ebene der Gesellschafter bei der Einkommensteuerveranlagung der Kläger zu entscheiden sei. Das FG habe --aus Sicht der Kläger zutreffend-- erkannt, dass diese Frage im Streitfall zu klären sei. Es habe die Klage gegen den Gewinnfeststellungsbescheid 1998 abgewiesen, ohne die Revision zuzulassen. Gegen das Urteil des FG vom 24. April 2008 6 K 2489/06 (EFG 2009, 811) hätten die Kläger fristwahrend Nichtzulassungsbeschwerde erhoben (IV B 86/08).

9

Zutreffend sei das FG davon ausgegangen, dass auch nach Abschaffung des § 3 Nr. 66 des Einkommensteuergesetzes (EStG) a.F. Billigkeitsmaßnahmen bei unternehmerbezogenen Sanierungen ebenfalls erforderlich seien. Im Übrigen liege im Streitfall nach den Begriffsbestimmungen der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) keine unternehmer-, sondern eine unternehmensbezogene Sanierung vor. Daher sei das FA schon aufgrund des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 27. März 2003 IV A 6 -S 2140- 8/03 (BStBl I 2003, 240) zum Erlass der auf dem Sanierungsgewinn beruhenden Einkommensteuer der Kläger verpflichtet. Der BFH gehe von einer unternehmerbezogenen Sanierung aus, wenn sich der Schuldner ins Privatleben zurückziehe, einen neuen Betrieb aufmache oder sich in ein unselbständiges Angestelltenverhältnis begebe. All diese Voraussetzungen würden auf die Kläger nicht zutreffen. Sie seien schon vor dem Schuldenerlass, während der Sanierung und schon Jahre vor der Sanierung neben ihrer Beteiligung an der L-GbR einzelunternehmerisch tätig gewesen. Der Schuldenerlass habe zum Erhalt der bereits bei Beginn der Sanierung vorhandenen Unternehmen der Kläger beigetragen. Diese Begriffsbestimmung sei vom BFH in jüngster Zeit (Senatsurteil vom 12. Oktober 2005 X R 42/03, BFH/NV 2006, 715) bestätigt worden.

10

Nicht unberücksichtigt bleiben dürfe, dass der Kläger Berufsbetreuer nach §§ 1896 ff. BGB sei und beide Kläger im Rahmen der Insolvenzberatung und der außergerichtlichen Schuldenbereinigung arbeiten würden. Entgegen der Behauptung des FA sei es ihnen daher nicht möglich, eine Restschuldbefreiung über ein Insolvenzverfahren zu erreichen, ohne ihre berufliche Existenz zu verlieren. Im Übrigen könnten nach dem BMF-Schreiben vom 22. Dezember 2009 IV C 6 - S 2140/07/10001-01 (BStBl I 2010, 18) auch Sanierungsgewinne aus einer Restschuldbefreiung oder einer Verbraucherinsolvenz erlassen werden. Rz 2 Satz 2 des BMF-Schreibens in BStBl I 2003, 240 sei nicht anwendbar. Damit bestätige das BMF erstmals die Anwendbarkeit des BMF-Schreibens in BStBl I 2003, 240 auf unternehmerbezogene Sanierungen. Die Bevorzugung der Schuldner in einem gerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahren gegenüber denjenigen, die eine außergerichtliche Schuldenbereinigung erreichen würden, wäre ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 des Grundgesetzes --GG--). Auch sei --wie das FG zutreffend ausgeführt habe-- kein sachlicher Grund ersichtlich, die unternehmerbezogene Sanierung im Vergleich zur unternehmensbezogenen Sanierung nicht zu begünstigen. Solle nach dem BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240 ein Sanierungsgewinn begünstigt werden, soweit keine Doppelbegünstigung durch die unbeschränkte Verlustverrechnungsmöglichkeit und die gleichzeitige Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns entstehe, müsse auch die unternehmerbezogene Sanierung zu einem Billigkeitserlass führen. Diese Auslegung entspreche zudem der Systematik des Einkommensteuerrechts, wonach nicht der Betrieb, sondern die natürliche Person Steuersubjekt sei.

11

Dem BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240 sei nicht zu entnehmen, dass Verluste und Verlustvorträge zunächst mit dem ermäßigt besteuerten Sanierungsgewinn und nicht vorrangig mit positiven laufenden Einkünften zu verrechnen seien. Betrachte man die Begründung der Abschaffung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. und die Einführung von Billigkeitsmaßnahmen durch das BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240, werde im Gegenteil deutlich, dass nur Verlustvorträge oder laufende Verluste, die nicht mit laufenden Einkünften verrechnet werden könnten, gegen einen Sanierungsgewinn zu verrechnen seien. § 3 Nr. 66 EStG a.F. sei nach der Gesetzesbegründung abgeschafft worden, weil zwischenzeitlich eine unbegrenzte Verlustverrechnungsmöglichkeit bestanden habe. Deshalb setze der Gesetzeszweck logisch und zwingend voraus, dass die Verlustverrechnungsmöglichkeit, die sich vor Entstehen des Sanierungsgewinns nur auf sonstige laufende Einkünfte des Steuerpflichtigen beziehen könne, fortbestehen müsse. Das FG habe daher den Verlustvortrag der Kläger in Höhe von 72.905 DM sowie die laufenden Verluste des Jahres 1998 zutreffend mit den sonstigen laufenden Einkünften der Kläger verrechnet.

12

Zu Unrecht habe das FG den Anspruch der Kläger auf Erlass der Einkommensteuer 1999 bis 2002 verneint. Werde nicht der gesamte im Jahr 1998 erzielte Sanierungsgewinn in vollem Umfang steuerfrei gestellt, wie es § 3 Nr. 66 EStG a.F. bis 1997 vorgesehen habe, komme es zu einem Verstoß gegen das Übermaßverbot und den Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Nach § 3 Nr. 66 EStG a.F. seien Sanierungsgewinne weder mit laufenden Verlusten noch mit Verlustvorträgen zu verrechnen gewesen; vielmehr sei ein Sanierungsgewinn bei der Ermittlung der Einkünfte gänzlich unberücksichtigt geblieben. Der Sanierungsgewinn der Klägerin in Höhe von 630.579 DM und des Klägers in Höhe von 275.323 DM sei daher von dem im Einkommensteuerbescheid 1998 enthaltenen Veräußerungsgewinn abzuziehen. Einschließlich des laufenden Verlustes führe dies zu negativen Einkünften aus Gewerbebetrieb der Klägerin in Höhe von 526.466 DM und des Klägers in Höhe von 229.866 DM. Der negative Gesamtbetrag der Einkünfte des Jahres 1998 betrage 607.228 DM und gemeinsam mit dem Verlustvortrag zum 31. Dezember 1997 verbleibe zum 31. Dezember 1998 ein Verlustvortrag in Höhe von 680.133 DM. Dieser Verlustvortrag führe in den Jahren 1999 bis 2002 zu einer Einkommensteuer von 0 DM.

13

Im Übrigen hätten die Kläger lange vor Abschaffung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. die Verfügungsbefugnis über das Gesellschaftsvermögen der L-GbR verloren und Sanierungsverhandlungen mit den Gläubigern aufgenommen. Auch wenn mit der nachträglichen Verlängerung des zeitlichen Geltungsbereichs des § 3 Nr. 66 EStG a.F. auf das Jahr 1997 nicht mehr von einer echten Rückwirkung auszugehen sei, liege doch im Streitfall eine unzulässige unechte Rückwirkung vor. Das Vertrauen der Kläger sei schutzwürdig, weil die Sanierungsbemühungen vor der erstmaligen Veröffentlichung der Pläne des Gesetzgebers zur Abschaffung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. begonnen hätten (so auch Kanzler in Hermann/Heuer/Raupach --HHR--, § 3 Nr. 66 EStG, Rz G 2, S. 3 unten, 191. Lieferung Januar 1998). Die L-GbR sei bereits 1995 überschuldet gewesen und die Gläubiger, die 2002 einen Teil der Verbindlichkeiten erlassen haben, hätten bereits 1995 die Zwangsverwaltung und -versteigerung beantragt.

14

Die Kläger beantragen,

das FG-Urteil insoweit aufzuheben, als es die Klage hinsichtlich des Erlasses der Einkommensteuer 1999 bis 2002 abgewiesen hat und das FA zu verpflichten, die Einkommensteuer der Kläger auch für diese Jahre in voller Höhe zu erlassen, hilfsweise das FA zu verpflichten, den Antrag auf Erlass der Einkommensteuer für 1999 bis 2002 aus sachlichen Billigkeitsgründen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden sowie die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen.

15

Das FA beantragt,

das FG-Urteil aufzuheben, soweit es das Streitjahr 1998 betrifft, und die Klage auch insoweit abzuweisen sowie die Revision der Kläger zurückzuweisen.

16

Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung von §§ 5, 227 AO und §§ 101, 102 FGO. Im Streitfall sei von einer unternehmerbezogenen Sanierung auszugehen. Nach der Entscheidung des BFH in BFH/NV 2006, 715 liege eine solche vor, wenn u.a. dem Schuldner der Aufbau einer Existenz in selbständiger oder nichtselbständiger Position ermöglicht werden soll. Die Fortführung eines bereits bestehenden weiteren Betriebs des/der Schuldner sei nicht anders zu beurteilen. Dies habe auch das FG zutreffend angenommen. Zu Unrecht habe es auf die unternehmerbezogene Sanierung jedoch die Kriterien des § 3 Nr. 66 EStG a.F. angewendet. Es habe übersehen, dass § 227 AO der Finanzbehörde ein Ermessen sowohl hinsichtlich der Voraussetzungen einer Unbilligkeit als auch hinsichtlich der Rechtsfolgen einräume. Die Ermessensentscheidung der Finanzbehörde sei nach § 102 FGO nur eingeschränkt gerichtlich nachprüfbar. Für Billigkeitsmaßnahmen anlässlich von Sanierungsmaßnahmen habe die Finanzverwaltung im BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240 allgemeine Grundsätze für die Ermessensausübung entwickelt. Danach sei ein Erlass von Einkommensteuer nur bei einer unternehmensbezogenen Sanierung möglich. Aus wirtschafts- und sozialpolitischen Gründen solle die Sanierung eines lebenden Betriebs erleichtert werden, weil eine Sanierung häufig nur möglich sei, wenn dadurch keine neuen Verbindlichkeiten --auch nicht durch Ertragsteuern-- ausgelöst werden. Es solle verhindert werden, dass wegen der Ertragsteuerbelastung von vornherein kein Sanierungsplan zustande komme. Bei einer unternehmerbezogenen Sanierung griffen wirtschafts- und sozialpolitische Gesichtspunkte nicht. Der Unternehmer, der seinen Betrieb einstellen und schuldenfrei in das Privatleben wechseln wolle, habe die Möglichkeit, durch eine Insolvenz eine Restschuldbefreiung zu erreichen. Daher bestehe bei der sog. unternehmerbezogenen Sanierung kein Bedarf für steuerrechtliche Billigkeitsmaßnahmen. Diese grundlegende Entscheidung der Finanzverwaltung im BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240 sei gerichtlich nicht nachprüfbar.

17

Die Auffassung des FG, Billigkeitsmaßnahmen auszusprechen, soweit bei einer Sanierung keine Doppelbegünstigung vorliege, sei abzulehnen. Die Besteuerung des Schuldenerlasses entspreche der gesetzlichen Regelung und stelle die Korrektur von in früheren Veranlagungszeiträumen entstandenen Gewinnminderungen dar. Dies sei sachgerecht. Auch wenn die Vermeidung einer Doppelbegünstigung der Grund für die Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. gewesen sei, könne hieraus nicht abgeleitet werden, dass in Fällen ohne Doppelbegünstigung Billigkeitsmaßnahmen erforderlich seien.

18

Auch unter Vertrauensschutzgesichtspunkten sei ein Erlass der Einkommensteuer nicht erforderlich. Die Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. für ab dem 1. Januar 1998 endende Wirtschaftsjahre greife nicht in bereits abgeschlossene Veranlagungszeiträume ein. Der frühere Verlustabzug werde nicht durch die Besteuerung des Sanierungsgewinns tangiert. Nur der in einem späteren Veranlagungszeitraum bewirkte Schuldenerlass werde anders behandelt als nach der Rechtslage bis 1997. Die gesetzliche Neuregelung knüpfe lediglich insoweit an einen Sachverhalt in der Vergangenheit an, als der Schuldenerlass voraussetze, dass sich die erlassenen Schulden in früheren Veranlagungszeiträumen bereits ausgewirkt hätten. Darin könne aber keine echte Rückwirkung oder Rückbewirkung von Rechtsfolgen gesehen werden, selbst wenn die Sanierungsverhandlungen bereits in früheren Jahren begonnen haben sollten. Billigkeitsmaßnahmen zur Vermeidung einer echten Rückwirkung seien daher nicht erforderlich.

19

Eine unechte Rückwirkung oder tatbestandliche Rückanknüpfung seien verfassungsrechtlich zulässig. Der Steuerpflichtige habe auch nicht darauf vertrauen dürfen, dass der Gesetzgeber bisher aus ordnungs- oder konjunkturpolitischen Gründen gewährte Steuervergünstigungen uneingeschränkt für die Zukunft aufrecht erhalte (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 20. Juni 1978  2 BvR 71/76, BVerfGE 48, 403, 416, m.w.N.). Darauf laufe aber das angefochtene Urteil hinaus. Nach Sichtweise des FG wäre die bis 1997 geltende Regelung im Billigkeitswege auch für spätere Veranlagungszeiträume anzuwenden. Der festgestellte Verlustvortrag werde den Klägern nicht entzogen. Nach der gesetzlichen Neuregelung sei er auch mit solchen Einkünften zu saldieren, die nach der alten Rechtslage steuerfrei geblieben wären. Damit sei das Vertrauen des Steuerpflichtigen in den Verlustvortrag nach altem Recht geschützt. Zudem seien Stichtagsregelungen zulässig und würden keine allgemeine unbillige Härte begründen.

20

Im Übrigen stelle das FG die Kläger im angefochtenen Urteil besser als Tz 8 des BMF-Schreibens in BStBl I 2003, 240 es vorsehe. Danach seien Verluste vorrangig mit dem Sanierungsgewinn zu verrechnen. Der Grundsatz, dass steuerliche Verrechnungen so durchzuführen seien, dass sich diese für den Steuerpflichtigen möglichst günstig auswirkten, gelte nicht, weil die Besteuerung des Sanierungsgewinns das Korrektiv zum Abzug von Verlusten in früheren Veranlagungszeiträumen sei. Das FG ziehe zu Unrecht den Verlustvortrag und den laufenden Verlust aus Gewerbebetrieb nicht von dem ermäßigt zu besteuernden Veräußerungsgewinn, sondern von anderen nicht ermäßigt zu besteuernden Einkünften ab. Würden hingegen die Verluste im Streitfall vorrangig vom Sanierungsgewinn abgezogen, würde sich eine zu erlassende Einkommensteuer von lediglich 14.131 DM ergeben.

Entscheidungsgründe

21

B. I. Über den Antrag der Kläger auf Erlass der Einkommensteuer 1998 bis 2002 ist im Rahmen des Streitfalls zu entscheiden, auch wenn der zu steuerpflichtigen Einkünften führende Sanierungsgewinn aus Forderungsverzichten gegenüber der L-GbR entstanden ist.

22

1. Im Verfahren der einheitlichen und gesonderten Feststellung von Einkünften sind nach §§ 179 Abs. 2, 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO die einkommensteuerpflichtigen Einkünfte festzustellen, wenn an ihnen mehrere Personen beteiligt und die Einkünfte diesen Personen steuerlich zuzurechnen sind. Im Rahmen dieser Feststellung wurde auch darüber entschieden, ob bestimmte Einkünfte infolge der Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 66 EStG a.F. nicht der Einkommensteuer unterliegen (vgl. BFH-Urteil vom 3. Juli 1997 IV R 31/96, BFHE 183, 509, BStBl II 1997, 690).

23

2. § 3 Nr. 66 EStG a.F. wurde durch Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform (UntStRFoG) vom 29. Oktober 1997 (BGBl I 1997, 2590, BStBl I 1997, 928) aufgehoben und ist letztmals anwendbar auf Erhöhungen des Betriebsvermögens, die in vor dem 1. Januar 1998 endenden Wirtschaftsjahren entstanden sind (§ 52 Abs. 2i EStG i.d.F. des Gesetzes zur Finanzierung eines zusätzlichen Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung vom 19. Dezember 1997, BGBl I 1997, 3121, BStBl I 1998, 7). Das UntStRFoG ist nach Auffassung des BVerfG verfassungsgemäß zustande gekommen (Beschluss vom 15. Januar 2008  2 BvL 12/01, BVerfG 120, 56).

24

3. Nach der Streichung von § 3 Nr. 66 EStG a.F. kann persönlichen oder sachlichen Härtefällen in Einzelfällen allenfalls im Stundungs- und Erlasswege begegnet werden (vgl. auch BTDrucks 13/7480, S. 192). Diese Vorschriften (§§ 222, 227 AO) sind auf der Ebene der Einkommensbesteuerung zu prüfen. Im Feststellungsverfahren könnte --worauf auch das FG zutreffend abstellt-- nicht geklärt werden, ob bei den Gesellschaftern ein steuerpflichtiger Veräußerungs- oder Aufgabegewinn entsteht, ob dieser durch Verlustvorträge ausgeglichen wird und ob die Voraussetzungen eines Billigkeitserlasses vorliegen (vgl. hierzu auch das BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240, Tz 8 Beispiel 2).

II.

25

Die Revision des FA betr. das Streitjahr 1998 ist begründet. Sie führt insoweit zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Zu Unrecht war das FG der Auffassung, das FA habe den Billigkeitserlass der Einkommensteuer 1998 ermessensfehlerhaft abgelehnt.

26

1. Nach § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Eine Unbilligkeit kann entweder in der Sache liegen oder ihren Grund in der wirtschaftlichen Lage des Steuerpflichtigen haben (BFH-Urteil vom 2. März 1961 IV 126/60 U, BFHE 73, 53, BStBl III 1961, 288).

27

2. Die Entscheidung über ein Erlassbegehren aus Billigkeitsgründen ist eine Ermessensentscheidung, die von den Gerichten nur in den von § 102 FGO gezogenen Grenzen überprüft werden kann (Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). Nach dieser Vorschrift ist die gerichtliche Prüfung darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Nur ausnahmsweise kann das Gericht eine Verpflichtung zum Erlass aussprechen (§ 101 Satz 1 i.V.m. § 121 FGO), wenn der Ermessensspielraum derart eingeschränkt ist, dass nur eine einzige Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt (Ermessensreduzierung auf Null; ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Senatsurteil vom 26. Oktober 1994 X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297; weitere Nachweise bei von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 227 AO Rz 392).

28

3. Ein Erlass aus sachlichen Gründen kommt in Betracht, wenn die Einziehung der Steuer zwar dem Gesetz entspricht, aber infolge eines Gesetzesüberhangs den Wertungen des Gesetzgebers derart zuwiderläuft, dass sie unbillig erscheint (BFH-Urteile vom 23. März 1998 II R 41/96, BFHE 185, 270, BStBl II 1998, 396, und II R 26/96, BFH/NV 1998, 1098); Billigkeit ist die Gerechtigkeit des Einzelfalls (von Groll in HHSp, § 227 AO Rz 31). Dies setzt voraus, dass der Gesetzgeber die mit der Einziehung der Steuer verbundene Härte nicht bewusst in Kauf genommen hat. § 227 AO stellt keine Ermächtigung zur Korrektur des Gesetzes dar. Die Billigkeitsmaßnahme darf nicht auf Erwägungen gestützt werden, die die vorgesehene Besteuerung allgemein oder für bestimmte Fallgruppen außer Kraft setzen würde. Ein Erlass wegen sachlicher Unbilligkeit ist nur insoweit durch die Vorschrift gedeckt, wie angenommen werden kann, der Gesetzgeber würde die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage --hätte er sie geregelt-- im Sinne des vorgesehenen Erlasses entscheiden (BFH-Urteile in BFHE 185, 270, BStBl II 1998, 396, und in BFH/NV 1998, 1098).

29

4. Für den Erlass von Sanierungsgewinnen aus sachlichen Billigkeitsgründen hat das BMF im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder eine Verwaltungsvorschrift in BStBl I 2003, 240 erlassen, die die Anwendung der Billigkeitsregeln in diesen Fällen vereinheitlichen soll. Dass nach Auffassung der Verwaltung Sanierungsgewinne nach § 227 AO erlassen werden können, tangiert nicht den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (so auch Geist, Betriebs-Berater --BB-- 2008, 2658, 2660; Seer, Finanz-Rundschau --FR-- 2010, 306; Knebel, Der Betrieb --DB-- 2009, 1094; Wagner, BB 2008, 2671; Braun/Geist, BB 2009, 2508; Töben, FR 2010, 249; offen Kuhfus, EFG 2008, 1558; a.A. FG München, Urteil vom 12. Dezember 2007  1 K 4487/06, EFG 2008, 615; Blümich/Erhard, § 3 EStG Rz 820). Zwar hat der Gesetzgeber § 3 Nr. 66 EStG a.F. aufgehoben, in dem die Steuerfreiheit von (unternehmens- wie unternehmerbezogenen) Sanierungsgewinnen bis einschließlich des Veranlagungszeitraums 1997 spezialgesetzlich geregelt war. Damit hat er jedoch nicht zum Ausdruck gebracht, für Sanierungsgewinne gebe es keine Erlassmöglichkeit. Vielmehr zeigt die Gesetzesbegründung, dass die Steuerbefreiung einen Ausgleich für nicht abziehbare Verluste habe bewirken sollen und dieser Ausgleich seit Einführung eines unbegrenzten Verlustvortrags nicht mehr gerechtfertigt sei. Einzelnen persönlichen oder sachlichen Härtefällen könne --so die Gesetzesbegründung-- im Stundungs- und Erlasswege begegnet werden (BTDrucks 13/7480, S. 192). Auch in der Begründung des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 vom 14. August 2007 (BGBl I 2007, 1912) ging der Gesetzgeber davon aus, dass von der Besteuerung von Sanierungsgewinnen, die nicht mit Verlustvorträgen verrechnet werden können, ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung im Billigkeitswege nach dem BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240 abgesehen werden könne (BTDrucks 16/4841, S. 76). In seiner Stellungnahme zum Gesetz zur verbesserten steuerlichen Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen (Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung) vom 3. April 2009 (BRDrucks 168/09, S. 30) hat der Bundesrat seinen Änderungsantrag zu § 34 Abs. 7b Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes damit begründet, die Steuerbefreiung von Sanierungsgewinnen durch Verwaltungsanweisung (Sanierungserlass) sei nicht ausreichend, negative Effekte zu verhindern. Hinzu kommt, dass nach dem Gesetz zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz vom 22. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2840) Verluste, die weder im Veranlagungszeitraum ihrer Entstehung noch im Wege des Verlustrücktrags ausgeglichen werden können, ab dem Veranlagungszeitraum 2004 (vgl. § 52 Abs. 25 EStG 2004) im Rahmen des Verlustvortrags nur noch begrenzt verrechnungsfähig sind. Angesichts der Verknüpfung der Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. mit einem unbeschränkten Verlustabzug kommt möglichen Billigkeitsmaßnahmen nach dem BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240 eine besondere Bedeutung zu (vgl. auch Seer, FR 2010, 306). Im Übrigen hat die Rechtsprechung bereits vor Einführung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. durch das Körperschaftsteuerreformgesetz vom 31. August 1976 (BGBl I 1976, 2597, BStBl I 1976, 445) erkannt, dass der durch eine Sanierung herbeigeführte Gewinn unter bestimmten Voraussetzungen einkommensteuerrechtlich außer Betracht zu bleiben habe (Urteil des Reichsfinanzhofs vom 21. Oktober 1931 VI A 968/31, RFHE 29, 315, RStBl 1932, 160) bzw. die Besteuerung eines Sanierungsgewinns sachlich unbillig sein könne (Senatsurteil in BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297). Der Auffassung des FG München im Urteil in EFG 2008, 615, die Finanzverwaltung habe mit dem BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240 eine Verwaltungspraxis contra legem eingeführt, kann daher in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden.

30

5. Ob die Verwaltung im BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240 gemessen an der Intention des Gesetzgebers zu weit reichende Billigkeitsmaßnahmen für möglich hält, braucht der Senat im Streitfall nicht zu entscheiden. Die Voraussetzungen eines Billigkeitserlasses nach den Vorgaben im BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240 liegen nicht vor, da im Streitfall von einer unternehmerbezogenen Sanierung auszugehen ist.

31

a) Nach der Rechtsprechung (vgl. z.B. Senatsurteil in BFH/NV 2006, 715) ist von einer unternehmerbezogenen Sanierung auszugehen, wenn dem Schuldner durch den Erlass eine schuldenfreie Liquidierung seines Unternehmens und der Aufbau einer Existenz in selbständiger oder nichtselbständiger Position ermöglicht wird, ohne dass er durch Schulden aus einer früheren unternehmerischen Tätigkeit belastet bleibt. Auf die Sanierungseignung des Unternehmens ist in diesen Fällen nicht abzustellen. Eine unternehmensbezogene Sanierung soll hingegen den Fortbestand des Unternehmens sichern. Es soll vor dem Zusammenbruch bewahrt und wieder ertragsfähig gemacht werden (BFH-Urteil vom 18. Dezember 1990 VIII R 39/87, BFHE 164, 404, BStBl II 1991, 784). Daran fehlt es, wenn das Unternehmen seine werbende Tätigkeit bereits vor dem Schuldenerlass eingestellt hat. Abzustellen ist stets auf das konkrete Unternehmen. Zwar ist die Sanierungseignung nach der Gesamtheit der Betriebe zu beurteilen, wenn zu einem Unternehmen mehrere Betriebe gehören. Es muss sich aber um die Betriebe eines Unternehmens handeln (BFH-Urteil vom 22. Januar 1985 VIII R 37/84, BFHE 143, 420, BStBl II 1985, 501). Im Streitfall wollten die Gläubiger die L-GbR nicht vor dem Zusammenbruch bewahren. Das von der L-GbR betriebene Verpachtungsunternehmen war nach der Zwangsversteigerung des Hauses L nicht mehr sanierungsfähig. Die Gläubiger wollten nach den Feststellungen des FG mit dem Teilerlass erreichen, dass die Gesellschafter der L-GbR und somit auch die Kläger die verbleibenden Verbindlichkeiten abtragen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, wieder in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen leben zu können. Somit ist im Streitfall von einer unternehmerbezogenen Sanierung auszugehen, obwohl sowohl Kläger als auch Klägerin parallel zum Zusammenbruch der L-GbR eine neue selbständige berufliche Existenz aufgebaut haben. Auch wenn, wie die Kläger im Revisionsverfahren vortragen, der Schuldenerlass Voraussetzung für die Fortführung dieser neuen selbständigen Tätigkeit war, liegen die Voraussetzungen einer unternehmensbezogenen Sanierung nicht vor, weil die von den Klägern neu gegründeten Unternehmen nicht Betriebe der L-GbR sind.

32

b) Nach dem BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240 sind Billigkeitsmaßnahmen nur in Fällen einer unternehmensbezogenen Sanierung möglich (vgl. Tz 1, wonach eine Sanierung als Maßnahme beschrieben wird, die ein Unternehmen oder einen Unternehmensträger vor dem finanziellen Zusammenbruch bewahren und wieder ertragsfähig machen soll = unternehmensbezogene Sanierung; Verfügung der Oberfinanzdirektion Hannover vom 19. September 2008 S 2140 -8- StO 241, DB 2008, 2568); nicht begünstigt ist die unternehmerbezogene Sanierung (vgl. Tz 2 Satz 2). Ein Billigkeitserlass entsprechend den Regeln im BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240 kommt im Streitfall damit nicht in Betracht.

33

Daran ändert auch der Umstand nichts, dass nach dem BMF-Schreiben in BStBl I 2010, 18 Tz 2 Satz 2 des BMF-Schreibens in BStBl I 2003, 240 in Fällen der Restschuldbefreiung und der Verbraucherinsolvenz nicht anzuwenden und Billigkeitserlasse möglich sind.

34

aa) Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung i.S. des § 102 FGO ist die Ermessensentscheidung der Finanzbehörde so, wie sie (regelmäßig nach Abschluss des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens) getroffen wurde. Maßgeblich für die gerichtliche Überprüfung ist daher die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (Gräber/ von Groll, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 102 Rz 13, m.w.N. aus der Rechtsprechung). Im Streitfall galt im Zeitpunkt des Erlasses der Einspruchsentscheidung (2006) Tz 2 Satz 2 des BMF-Schreibens in BStBl 2003, 240 uneingeschränkt. Der Erlass von Steuerschulden, der dem Steuerpflichtigen einen schuldenfreien Übergang in sein Privatleben oder den Aufbau einer anderen Existenzgrundlage ermöglichen (unternehmerbezogene Sanierung) sollte, war damit ausgeschlossen.

35

bb) Zudem liegen im Streitfall weder die Voraussetzungen einer Restschuldbefreiung i.S. der §§ 286 ff. der Insolvenzordnung (InsO) noch die der Verbraucherinsolvenz nach §§ 304 ff. InsO vor. Im Umstand, dass in Fällen eines außergerichtlich erreichten, unternehmerbezogenen Sanierungsgewinns nach den Verwaltungserlassen keine Billigkeitsmaßnahmen möglich sind, ist kein Verstoß gegen Art. 3 GG zu sehen. Ziel eines Insolvenzverfahrens ist die gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger nach Verwertung des Vermögens des Insolvenzschuldners. Dem redlichen Schuldner soll so Gelegenheit gegeben werden, sich von seinen restlichen Verbindlichkeiten zu befreien (§ 1 InsO). Eine Restschuldbefreiung kommt nur in Betracht, wenn der Schuldner für die Dauer von sechs Jahren seine pfändbaren Bezüge an einen Treuhänder abtritt (§ 287 Abs. 2 InsO) und ererbtes Vermögen zur Hälfte an diesen herausgibt (§ 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Während der Laufzeit der Abtretungserklärung muss er eine angemessene Erwerbstätigkeit ausüben oder sich um eine solche bemühen (§ 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Der Schuldner unterliegt Anzeigepflichten und darf keinem Gläubiger einen Sondervorteil verschaffen (§ 295 Abs. 1 Nr. 3 und 4 InsO).

36

Bei der Verbraucherinsolvenz muss der Schuldner einen Schuldenbereinigungsplan vorlegen. Unter Berücksichtigung der Gläubigerinteressen sowie der Vermögens-, Einkommens- und Familienverhältnisse des Schuldners ist darzulegen, wie die Schulden angemessen bereinigt werden können (§ 305 Abs. 1 Nr. 4 InsO). Zudem müssen die Gläubiger dem Schuldenbereinigungsplan zustimmen (§ 308 InsO) oder die Zustimmung muss durch das Insolvenzgericht ersetzt werden (§ 309 InsO; Voraussetzung ist u.a., dass mehr als die Hälfte der vom Schuldner benannten Gläubiger, die mehr als die Hälfte der Gesamtansprüche geltend machen, dem Schuldenbereinigungsplan zugestimmt haben müssen und jeder Gläubiger im Verhältnis zu den anderen angemessen berücksichtigt wird). Derartig strengen Regeln unterliegen außergerichtliche Vergleichsverhandlungen nicht. Es hängt vom Verhandlungsgeschick des Schuldners und der Bereitschaft der Gläubiger zu Zugeständnissen ab, ob der Schuldner sein ganzes Vermögen einsetzen muss; mehrere Gläubiger können sich mit unterschiedlichen Quoten einverstanden erklären; auch müssen sich nicht alle Gläubiger am außergerichtlichen Vergleich beteiligen. Angesichts dieser unterschiedlichen Vorgaben konnte die Verwaltung in ihrem Erlass in BStBl I 2010, 18 ohne Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG den Steuererlass aus sachlichen Billigkeitsgründen bei unternehmerbezogenen Sanierungen auf die Steuern beschränken, die aufgrund einer Restschuldbefreiung oder einer Verbraucherinsolvenz entstehen.

37

6. Zu Unrecht ging das FG im Streitfall davon aus, dass die auf dem Sanierungsgewinn beruhenden Steuern unabhängig von der Verwaltungsanweisung in BStBl I 2003, 240 nach § 227 AO zu erlassen sind. Auch im Streitjahr 1998 und für eine Übergangszeit sind auf sachlichen Gründen beruhende Billigkeitsmaßnahmen jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn die von der Verwaltung formulierten Voraussetzungen für den Erlass der Steuern auf einen Sanierungsgewinn in den Verwaltungsanweisungen in BStBl I 2003, 240 und BStBl I 2010, 18 nicht vorliegen.

38

a) Eine Verwaltungsregelung ist ausnahmsweise aus Gründen der Gleichbehandlung von den Gerichten zu beachten, wenn der Verwaltung durch Gesetz Entscheidungsfreiheit eingeräumt wurde, die Regelung also den Bereich des Ermessens, der Billigkeit (z.B. bei Änderung der Rechtsprechung) bzw. der Typisierung oder Pauschalierung betrifft (BFH-Urteil vom 29. März 2007 IV R 14/05, BFHE 217, 525, BStBl II 2007, 816, unter II.2. der Gründe, m.w.N.). § 227 AO räumt der Verwaltung Ermessen ein; die Ausübung dieses Ermessens aus sachlichen Billigkeitsgründen wird in den Verwaltungserlassen in BStBl I 2003, 240 und BStBl I 2010, 18 abschließend geregelt.

39

b) Dass die ermessenslenkenden Verwaltungsvorschriften in BStBl I 2003, 240 und BStBl I 2010, 18 Billigkeitsmaßnahmen in Fällen unternehmerbezogener Sanierungsgewinne ausschließen, die nicht auf einer Restschuldbefreiung nach §§ 286 ff. InsO bzw. einer Verbraucherinsolvenz (§§ 304 ff. InsO) beruhen, entspricht dem berechtigten Anliegen der Regelungen, nur das betroffene Unternehmen als solches wieder ertragsfähig werden zu lassen. Diese Verwaltungsvorschriften sind deshalb von der Finanzgerichtsbarkeit zu beachten. Die in den Billigkeitsrichtlinien getroffenen Regelungen halten sich insoweit innerhalb der Grenzen, die das GG und die Gesetze der Ausübung des Ermessens setzen (vgl. BFH-Urteile vom 25. November 1980 VII R 17/78, BFHE 132, 159, BStBl II 1981, 204, unter C.II. 3.a; vom 19. März 2009 V R 48/07, BFHE 225, 215, BStBl II 2010, 92, unter II.4.b).

40

aa) Die aus der Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen und der Verlustverrechnungsmöglichkeit mit positiven Einkünften bzw. dem uneingeschränkten Verlustvortrag resultierende Doppelbegünstigung hat den Gesetzgeber zur Abschaffung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. bewogen. Nur einzelnen persönlichen oder sachlichen Härtefällen sollte im Stundungs- und Erlasswege begegnet werden (BTDrucks 13/7480, S. 192). Da sich in der Gesetzesbegründung keine Hinweise finden, wann aus Sicht des Gesetzgebers die Besteuerung eines Sanierungsgewinns sachlich unbillig ist, müssen die von der Rechtsprechung zu § 227 AO entwickelten Kriterien Anwendung finden. Auch der Erlass der Steuern auf einen Sanierungsgewinn wegen sachlicher Unbilligkeit ist nur insoweit durch die Vorschrift gedeckt, wie angenommen werden kann, der Gesetzgeber würde die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage --hätte er sie geregelt-- im Sinne des vorgesehenen Erlasses entscheiden. Die Billigkeitsmaßnahme darf nicht auf Erwägungen gestützt werden, die die vorgesehene Besteuerung allgemein oder für bestimmte Fallgruppen außer Kraft setzen würde (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 185, 270, BStBl II 1998, 396).

41

bb) Im Streitfall hat das FG die Notwendigkeit eines Billigkeitserlasses mit dem Umstand begründet, dem Auflösungsgewinn der Kläger in Höhe von insgesamt 297.542 DM (Sanierungsgewinn in Höhe von 905.902 DM abzüglich Buchverluste aus der Veräußerung des Betriebsgrundstücks etc.) stehe lediglich ein Verlustvortrag zum 31. Dezember 1997 in Höhe von 72.905 DM gegenüber. Dass ein höherer, den Auflösungsgewinn deckender Verlustvortrag nur deshalb im Veranlagungszeitraum 1998 nicht zur Verfügung stand, weil die Verluste der Kläger aus der L-GbR mit ihren positiven Einkünften aus selbständiger und nichtselbständiger Arbeit sowie einem weiteren Gewerbebetrieb verrechnet worden sind, war nach Auffassung des FG ohne Bedeutung. Bis Ende 1997 verbrauchte Verluste hätten keine Auswirkung auf die Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns nach § 3 Nr. 66 EStG a.F. gehabt und die Anrechnung bereits verbrauchter Verlustvorträge würde zu einer verfassungsrechtlich bedenklichen echten Rückwirkung oder Rückbewirkung von Rechtsfolgen führen. Zudem wäre die Feststellung, in welcher Höhe gerade die Verluste der aufgelösten L-GbR verbraucht worden seien, mit erheblichem Aufwand verbunden. Die Frage der sachlichen Unbilligkeit der Besteuerung eines Sanierungsgewinns sei deshalb nach den Grundsätzen zu beurteilen, die von der Rechtsprechung zu § 3 Nr. 66 EStG a.F. entwickelt worden seien.

42

cc) Bei dieser Beurteilung übersieht das FG, dass Billigkeitsmaßnahmen nicht nach den Kriterien einer Vorschrift beurteilt werden können, die der Gesetzgeber bewusst wegen der aus seiner Sicht nicht mehr gerechtfertigten Begünstigung bestimmter Steuerpflichtiger aufgehoben hat.

43

Auch rechtfertigen die Überlegungen des FG zur Rückwirkung im Streitfall ein solches Vorgehen nicht. § 3 Nr. 66 EStG a.F. wurde --entgegen den ursprünglichen Plänen-- nicht rückwirkend aufgehoben. Bereits die sog. "Bareis-Kommission" hat die Besteuerung der Sanierungsgewinne gefordert (s. Thesen der Einkommensteuer-Kommission zur Steuerfreistellung des Existenzminimums ab 1996 und zur Reform der Einkommensteuer, BB 1994, Beilage 24 S. 7 re. Sp.). Die Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. sah auch der Entwurf des Steuerreformgesetzes 1999 vom 22. April 1997 vor (BTDrucks 13/7480). Das UntStRFoG ist am 29. Oktober 1997 erlassen worden, wobei die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses, die ursächlich für die Aufhebung der Bestimmung ab dem Veranlagungszeitraum 1998 war, vom 4. August 1997 datiert. Eine Rückwirkung kommt der zum 1. Januar 1998 in Kraft getretenen Vorschrift somit nicht zu. Dass die Aufhebung von § 3 Nr. 66 EStG a.F. faktisch die Verrechnung von vor dem Veranlagungszeitraum 1998 entstandener Verluste mit positiven Einkünften des Steuerpflichtigen "bestraft", weil insoweit keine Verlustvorträge mehr zur Verrechnung mit einem später entstehenden Sanierungsgewinn zur Verfügung stehen, führt nicht zu einer Rückwirkung im rechtlichen Sinn. Auf den Fortbestand einer Sozialzweck- oder Lenkungsnorm --um eine solche handelt es sich bei § 3 Nr. 66 EStG a.F.-- kann kein Steuerpflichtiger vertrauen (vgl. HHR/Kanzler, § 3 Nr. 66 EStG Rz 6, 179. Lieferung Mai 1995).

44

c) Wendet man im Streitfall die allgemeinen, von der Rechtsprechung erarbeiteten Kriterien für einen Steuererlass wegen sachlicher Unbilligkeit an, kommt eine Billigkeitsmaßnahme nicht in Betracht. Die Streichung von § 3 Nr. 66 EStG a.F. beruht auf der Überlegung des Gesetzgebers, Steuerpflichtige seien durch die Verlustverrechnungsmöglichkeiten laufender Verluste mit positiven Einkünften und der --den allgemeinen Regeln des Steuerrechts widersprechenden-- Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns doppelt begünstigt. Diese Doppelbegünstigung sollte in Wirtschaftsjahren, die nach dem 31. Dezember 1997 enden, entfallen. Würden im Billigkeitswege nun Steuern auf Sanierungsgewinne erlassen, denen keine ausreichenden Verlustvorträge gegenüberstehen, weil die laufenden Verluste bereits mit positiven Einkünften verrechnet worden sind, würde die gesetzgeberische Entscheidung außer Kraft gesetzt. Da durch Billigkeitsmaßnahmen die Doppelbegünstigung auch in den Veranlagungszeiträumen 1998 ff. fortgeführt würde, kann die bei einem sachlichen Billigkeitserlass zu entscheidende Frage, hätte sie der Gesetzgeber im Sinne des vorgesehenen Erlasses geregelt, nicht bejaht werden. Die Billigkeitsmaßnahme würde auf Erwägungen gestützt, die die Motive des Gesetzgebers ins Leere laufen ließen (vgl. hierzu auch Wagner, BB 2008, 2671).

45

Ob in Einzelfällen (große, sich über mehrere Jahre hinziehende Sanierungsverhandlungen) die Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. ab dem Veranlagungszeitraum 1998 bedenklich und die Inkrafttretensregelung in Konflikt mit dem Vertrauensschutz der Betroffenen geraten kann (vgl. hierzu das Beispiel von Kanzler in H/H/R, § 3 Nr. 66 EStG Rz G 2, 191. Lieferung Januar 1998, wonach ein großes Unternehmen bereits 1993 Konkurs beantragt hatte und im Zeitpunkt der Aufhebung der Steuerbefreiung kurz vor Abschluss eines Zwangsvergleichs stand; die Steuern auf den Sanierungsgewinn wurden hier auf ca. 600 Mio. DM veranschlagt), braucht im Streitfall nicht entschieden zu werden. In die Vergleichsverhandlungen der Kläger waren lediglich zwei Gläubiger involviert; diese fanden nach den Feststellungen des FG erst Anfang 2002, also mehr als vier Jahre nach Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. ihren Abschluss. Vertrauensschutzüberlegungen dürfte zudem der Umstand entgegenstehen, dass die vor 1998 entstandenen Verluste mit laufenden Einkünften verrechnet worden sind, der nach Abzug des Verlustvortrags zum 31. Dezember 1997 verbleibende Sanierungs- (Auflösungs-)gewinn hingegen ermäßigt zu besteuern ist.

46

7. Persönliche Billigkeitsgründe haben die Kläger nach den --nicht mit Verfahrensrügen angefochtenen und deshalb für den erkennenden Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden-- tatsächlichen Feststellungen des FG nicht geltend gemacht. Den Klägern bleibt es aber unbenommen, vom FA bislang nicht geprüfte persönliche Billigkeitsgründe in einem weiteren Antrag auf Erlass ihrer Steuerschulden geltend zu machen.

III.

47

Die Revision der Kläger wegen Erlass von Einkommensteuer 1999 bis 2002 ist unbegründet. Das FA hat den laufenden Verlust der Kläger im Veranlagungszeitraum 1998 zutreffend mit dem Sanierungsgewinn verrechnet. Zum 31. Dezember 1998 bestand somit kein auf die Veranlagungszeiträume 1999 bis 2002 vortragsfähiger Verlust.

(1) Wird eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet, so ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 Prozent des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten; abzurunden ist auf den nächsten durch 50 Euro teilbaren Betrag. Das Gleiche gilt für zurückzuzahlende Steuervergütungen und Haftungsschulden, soweit sich die Haftung auf Steuern und zurückzuzahlende Steuervergütungen erstreckt. Die Säumnis nach Satz 1 tritt nicht ein, bevor die Steuer festgesetzt oder angemeldet worden ist. Wird die Festsetzung einer Steuer oder Steuervergütung aufgehoben, geändert oder nach § 129 berichtigt, so bleiben die bis dahin verwirkten Säumniszuschläge unberührt; das Gleiche gilt, wenn ein Haftungsbescheid zurückgenommen, widerrufen oder nach § 129 berichtigt wird. Erlischt der Anspruch durch Aufrechnung, bleiben Säumniszuschläge unberührt, die bis zur Fälligkeit der Schuld des Aufrechnenden entstanden sind.

(2) Säumniszuschläge entstehen nicht bei steuerlichen Nebenleistungen.

(3) Ein Säumniszuschlag wird bei einer Säumnis bis zu drei Tagen nicht erhoben. Dies gilt nicht bei Zahlung nach § 224 Abs. 2 Nr. 1.

(4) In den Fällen der Gesamtschuld entstehen Säumniszuschläge gegenüber jedem säumigen Gesamtschuldner. Insgesamt ist jedoch kein höherer Säumniszuschlag zu entrichten als verwirkt worden wäre, wenn die Säumnis nur bei einem Gesamtschuldner eingetreten wäre.

(1) Gegen denjenigen, der seiner Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht oder nicht fristgemäß nachkommt, kann ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden. Von der Festsetzung eines Verspätungszuschlags ist abzusehen, wenn der Erklärungspflichtige glaubhaft macht, dass die Verspätung entschuldbar ist; das Verschulden eines Vertreters oder eines Erfüllungsgehilfen ist dem Erklärungspflichtigen zuzurechnen.

(2) Abweichend von Absatz 1 ist ein Verspätungszuschlag festzusetzen, wenn eine Steuererklärung, die sich auf ein Kalenderjahr oder auf einen gesetzlich bestimmten Zeitpunkt bezieht,

1.
nicht binnen 14 Monaten nach Ablauf des Kalenderjahrs oder nicht binnen 14 Monaten nach dem Besteuerungszeitpunkt,
2.
in den Fällen des § 149 Absatz 2 Satz 2 nicht binnen 19 Monaten nach Ablauf des Kalenderjahrs oder nicht binnen 19 Monaten nach dem Besteuerungszeitpunkt oder
3.
in den Fällen des § 149 Absatz 4 nicht bis zu dem in der Anordnung bestimmten Zeitpunkt
abgegeben wurde.

(3) Absatz 2 gilt nicht,

1.
wenn die Finanzbehörde die Frist für die Abgabe der Steuererklärung nach § 109 verlängert hat oder diese Frist rückwirkend verlängert,
2.
wenn die Steuer auf null Euro oder auf einen negativen Betrag festgesetzt wird,
3.
wenn die festgesetzte Steuer die Summe der festgesetzten Vorauszahlungen und der anzurechnenden Steuerabzugsbeträge nicht übersteigt oder
4.
bei jährlich abzugebenden Lohnsteueranmeldungen, bei Anmeldungen von Umsatzsteuer-Sondervorauszahlungen nach § 48 Absatz 2 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung sowie bei jährlich abzugebenden Versicherungsteuer- und Feuerschutzsteueranmeldungen.

(4) Sind mehrere Personen zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet, kann die Finanzbehörde nach ihrem Ermessen entscheiden, ob sie den Verspätungszuschlag gegen eine der erklärungspflichtigen Personen, gegen mehrere der erklärungspflichtigen Personen oder gegen alle erklärungspflichtigen Personen festsetzt. Wird der Verspätungszuschlag gegen mehrere oder gegen alle erklärungspflichtigen Personen festgesetzt, sind diese Personen Gesamtschuldner des Verspätungszuschlags. In Fällen des § 180 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe a ist der Verspätungszuschlag vorrangig gegen die nach § 181 Absatz 2 Satz 2 Nummer 4 erklärungspflichtigen Personen festzusetzen.

(5) Der Verspätungszuschlag beträgt vorbehaltlich des Satzes 2, der Absätze 8 und 13 Satz 2 für jeden angefangenen Monat der eingetretenen Verspätung 0,25 Prozent der festgesetzten Steuer, mindestens jedoch 10 Euro für jeden angefangenen Monat der eingetretenen Verspätung. Für Steuererklärungen, die sich auf ein Kalenderjahr oder auf einen gesetzlich bestimmten Zeitpunkt beziehen, beträgt der Verspätungszuschlag für jeden angefangenen Monat der eingetretenen Verspätung 0,25 Prozent der um die festgesetzten Vorauszahlungen und die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge verminderten festgesetzten Steuer, mindestens jedoch 25 Euro für jeden angefangenen Monat der eingetretenen Verspätung. Wurde ein Erklärungspflichtiger von der Finanzbehörde erstmals nach Ablauf der gesetzlichen Erklärungsfrist zur Abgabe einer Steuererklärung innerhalb einer dort bezeichneten Frist aufgefordert und konnte er bis zum Zugang dieser Aufforderung davon ausgehen, keine Steuererklärung abgeben zu müssen, so ist der Verspätungszuschlag nur für die Monate zu berechnen, die nach dem Ablauf der in der Aufforderung bezeichneten Erklärungsfrist begonnen haben.

(6) Für Erklärungen zur gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen, für Erklärungen zur Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags und für Zerlegungserklärungen gelten vorbehaltlich des Absatzes 7 die Absätze 1 bis 3 und Absatz 4 Satz 1 und 2 entsprechend. Der Verspätungszuschlag beträgt für jeden angefangenen Monat der eingetretenen Verspätung 25 Euro.

(7) Für Erklärungen zu gesondert festzustellenden einkommensteuerpflichtigen oder körperschaftsteuerpflichtigen Einkünften beträgt der Verspätungszuschlag für jeden angefangenen Monat der eingetretenen Verspätung 0,0625 Prozent der positiven Summe der festgestellten Einkünfte, mindestens jedoch 25 Euro für jeden angefangenen Monat der eingetretenen Verspätung.

(8) Absatz 5 gilt nicht für

1.
vierteljährlich oder monatlich abzugebende Steueranmeldungen,
2.
nach § 41a Absatz 2 Satz 2 zweiter Halbsatz des Einkommensteuergesetzes jährlich abzugebende Lohnsteueranmeldungen,
3.
nach § 8 Absatz 2 Satz 3 des Versicherungsteuergesetzes jährlich abzugebende Versicherungsteueranmeldungen,
4.
nach § 8 Absatz 2 Satz 3 des Feuerschutzsteuergesetzes jährlich abzugebende Feuerschutzsteueranmeldungen und
5.
Anmeldungen der Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung nach § 48 Absatz 2 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung.
In diesen Fällen sind bei der Bemessung des Verspätungszuschlags die Dauer und Häufigkeit der Fristüberschreitung sowie die Höhe der Steuer zu berücksichtigen.

(9) Bei Nichtabgabe der Steuererklärung ist der Verspätungszuschlag für einen Zeitraum bis zum Ablauf desjenigen Tages zu berechnen, an dem die erstmalige Festsetzung der Steuer wirksam wird. Gleiches gilt für die Nichtabgabe der Erklärung zur Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags, der Zerlegungserklärung oder der Erklärung zur gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen.

(10) Der Verspätungszuschlag ist auf volle Euro abzurunden und darf höchstens 25 000 Euro betragen.

(11) Die Festsetzung des Verspätungszuschlags soll mit dem Steuerbescheid, dem Gewerbesteuermessbescheid oder dem Zerlegungsbescheid verbunden werden; in den Fällen des Absatzes 4 kann sie mit dem Feststellungsbescheid verbunden werden. In den Fällen des Absatzes 2 kann die Festsetzung des Verspätungszuschlags ausschließlich automationsgestützt erfolgen.

(12) Wird die Festsetzung der Steuer oder des Gewerbesteuermessbetrags oder der Zerlegungsbescheid oder die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen aufgehoben, so ist auch die Festsetzung eines Verspätungszuschlags aufzuheben. Wird die Festsetzung der Steuer, die Anrechnung von Vorauszahlungen oder Steuerabzugsbeträgen auf die festgesetzte Steuer oder in den Fällen des Absatzes 7 die gesonderte Feststellung einkommensteuerpflichtiger oder körperschaftsteuerpflichtiger Einkünfte geändert, zurückgenommen, widerrufen oder nach § 129 berichtigt, so ist ein festgesetzter Verspätungszuschlag entsprechend zu ermäßigen oder zu erhöhen, soweit nicht auch nach der Änderung oder Berichtigung die Mindestbeträge anzusetzen sind. Ein Verlustrücktrag nach § 10d Absatz 1 des Einkommensteuergesetzes oder ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 oder Absatz 2 sind hierbei nicht zu berücksichtigen.

(13) Die Absätze 2, 4 Satz 2, Absatz 5 Satz 2 sowie Absatz 8 gelten vorbehaltlich des Satzes 2 nicht für Steuererklärungen, die gegenüber den Hauptzollämtern abzugeben sind. Für die Bemessung des Verspätungszuschlags zu Steuererklärungen zur Luftverkehrsteuer gilt Absatz 8 Satz 2 entsprechend.

(1) Wird eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet, so ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 Prozent des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten; abzurunden ist auf den nächsten durch 50 Euro teilbaren Betrag. Das Gleiche gilt für zurückzuzahlende Steuervergütungen und Haftungsschulden, soweit sich die Haftung auf Steuern und zurückzuzahlende Steuervergütungen erstreckt. Die Säumnis nach Satz 1 tritt nicht ein, bevor die Steuer festgesetzt oder angemeldet worden ist. Wird die Festsetzung einer Steuer oder Steuervergütung aufgehoben, geändert oder nach § 129 berichtigt, so bleiben die bis dahin verwirkten Säumniszuschläge unberührt; das Gleiche gilt, wenn ein Haftungsbescheid zurückgenommen, widerrufen oder nach § 129 berichtigt wird. Erlischt der Anspruch durch Aufrechnung, bleiben Säumniszuschläge unberührt, die bis zur Fälligkeit der Schuld des Aufrechnenden entstanden sind.

(2) Säumniszuschläge entstehen nicht bei steuerlichen Nebenleistungen.

(3) Ein Säumniszuschlag wird bei einer Säumnis bis zu drei Tagen nicht erhoben. Dies gilt nicht bei Zahlung nach § 224 Abs. 2 Nr. 1.

(4) In den Fällen der Gesamtschuld entstehen Säumniszuschläge gegenüber jedem säumigen Gesamtschuldner. Insgesamt ist jedoch kein höherer Säumniszuschlag zu entrichten als verwirkt worden wäre, wenn die Säumnis nur bei einem Gesamtschuldner eingetreten wäre.

Die Finanzbehörden können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden.

(1) Wird eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet, so ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 Prozent des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten; abzurunden ist auf den nächsten durch 50 Euro teilbaren Betrag. Das Gleiche gilt für zurückzuzahlende Steuervergütungen und Haftungsschulden, soweit sich die Haftung auf Steuern und zurückzuzahlende Steuervergütungen erstreckt. Die Säumnis nach Satz 1 tritt nicht ein, bevor die Steuer festgesetzt oder angemeldet worden ist. Wird die Festsetzung einer Steuer oder Steuervergütung aufgehoben, geändert oder nach § 129 berichtigt, so bleiben die bis dahin verwirkten Säumniszuschläge unberührt; das Gleiche gilt, wenn ein Haftungsbescheid zurückgenommen, widerrufen oder nach § 129 berichtigt wird. Erlischt der Anspruch durch Aufrechnung, bleiben Säumniszuschläge unberührt, die bis zur Fälligkeit der Schuld des Aufrechnenden entstanden sind.

(2) Säumniszuschläge entstehen nicht bei steuerlichen Nebenleistungen.

(3) Ein Säumniszuschlag wird bei einer Säumnis bis zu drei Tagen nicht erhoben. Dies gilt nicht bei Zahlung nach § 224 Abs. 2 Nr. 1.

(4) In den Fällen der Gesamtschuld entstehen Säumniszuschläge gegenüber jedem säumigen Gesamtschuldner. Insgesamt ist jedoch kein höherer Säumniszuschlag zu entrichten als verwirkt worden wäre, wenn die Säumnis nur bei einem Gesamtschuldner eingetreten wäre.

Soweit die Finanzbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln oder zu entscheiden, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Finanzbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens ergänzen.

(1) Die Zinsen betragen für jeden Monat einhalb Prozent. Sie sind von dem Tag an, an dem der Zinslauf beginnt, nur für volle Monate zu zahlen; angefangene Monate bleiben außer Ansatz. Erlischt der zu verzinsende Anspruch durch Aufrechnung, gilt der Tag, an dem die Schuld des Aufrechnenden fällig wird, als Tag der Zahlung.

(1a) In den Fällen des § 233a betragen die Zinsen abweichend von Absatz 1 Satz 1 ab dem 1. Januar 2019 0,15 Prozent für jeden Monat, das heißt 1,8 Prozent für jedes Jahr.

(1b) Sind für einen Zinslauf unterschiedliche Zinssätze maßgeblich, ist der Zinslauf in Teilverzinsungszeiträume aufzuteilen. Die Zinsen für die Teilverzinsungszeiträume sind jeweils tageweise zu berechnen. Hierbei wird jeder Kalendermonat unabhängig von der tatsächlichen Anzahl der Kalendertage mit 30 Zinstagen und jedes Kalenderjahr mit 360 Tagen gerechnet.

(1c) Die Angemessenheit des Zinssatzes nach Absatz 1a ist unter Berücksichtigung der Entwicklung des Basiszinssatzes nach § 247 des Bürgerlichen Gesetzbuchs wenigstens alle zwei Jahre zu evaluieren. Die erste Evaluierung erfolgt spätestens zum 1. Januar 2024.

(2) Für die Berechnung der Zinsen wird der zu verzinsende Betrag jeder Steuerart auf den nächsten durch 50 Euro teilbaren Betrag abgerundet.

(1) Wird eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet, so ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 Prozent des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten; abzurunden ist auf den nächsten durch 50 Euro teilbaren Betrag. Das Gleiche gilt für zurückzuzahlende Steuervergütungen und Haftungsschulden, soweit sich die Haftung auf Steuern und zurückzuzahlende Steuervergütungen erstreckt. Die Säumnis nach Satz 1 tritt nicht ein, bevor die Steuer festgesetzt oder angemeldet worden ist. Wird die Festsetzung einer Steuer oder Steuervergütung aufgehoben, geändert oder nach § 129 berichtigt, so bleiben die bis dahin verwirkten Säumniszuschläge unberührt; das Gleiche gilt, wenn ein Haftungsbescheid zurückgenommen, widerrufen oder nach § 129 berichtigt wird. Erlischt der Anspruch durch Aufrechnung, bleiben Säumniszuschläge unberührt, die bis zur Fälligkeit der Schuld des Aufrechnenden entstanden sind.

(2) Säumniszuschläge entstehen nicht bei steuerlichen Nebenleistungen.

(3) Ein Säumniszuschlag wird bei einer Säumnis bis zu drei Tagen nicht erhoben. Dies gilt nicht bei Zahlung nach § 224 Abs. 2 Nr. 1.

(4) In den Fällen der Gesamtschuld entstehen Säumniszuschläge gegenüber jedem säumigen Gesamtschuldner. Insgesamt ist jedoch kein höherer Säumniszuschlag zu entrichten als verwirkt worden wäre, wenn die Säumnis nur bei einem Gesamtschuldner eingetreten wäre.

(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.

(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.