Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss, 24. Mai 2016 - 2 TaBV 22/15

bei uns veröffentlicht am24.05.2016

Tenor

1. Die Beschwerde der beteiligten Arbeitgeberin wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

1

Die beteiligte Arbeitgeberin (Beteiligte zu 1) verlangt, dass die vom beteiligten Betriebsrat (Beteiligter zu 2) verweigerte Zustimmung zur Kündigung ihres Vorsitzenden (Beteiligter zu 3) durch das Gericht nach § 103 Absatz 2 BetrVG ersetzt wird.

2

Die Arbeitgeberin betreibt im gesamten Bundesgebiet Kliniken. In C-Stadt auf der Insel U. betreibt sie eine Rehabilitationsklinik für Innere Medizin, Orthopädie und Psychosomatik mit etwas über 100 Arbeitnehmern. Die ranghöchsten Arbeitnehmer der beteiligten Arbeitgeberin vor Ort sind die Chefärzte der drei medizinischen Abteilungen und der kaufmännische Direktor des Hauses.

3

Der 48-jährige Betriebsratsvorsitzende ist seit April 2012 als Psychologe in der Klinik tätig. Bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden erzielt er eine monatliche Arbeitsvergütung in Höhe von rund 3.420,00 Euro brutto. Zu seinen Arbeitsaufgaben gehört die Behandlung von Patienten auf der Grundlage von Therapieplänen. Er gehört dem Betriebsrat seit dem 13. November 2012 an. Er ist nicht im Sinne von § 38 BetrVG freigestellt.

4

Die beteiligte Arbeitgeberin beabsichtigt, das Arbeitsverhältnis zu dem beteiligten Betriebsratsvorsitzenden außerordentlich zu kündigen.

5

Der Betriebsratsvorsitzende hat am 27. Oktober 2014 Gelegenheit erhalten, zu den beiden älteren seinerzeit allein im Raum stehenden Vorwürfen gegen ihn Stellung zu nehmen (Protokoll dazu als Anlage 6 zur Antragsschrift zur Akte gelangt, hier Blatt 21 f). Danach hat die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 28. Oktober 2014 beim beteiligten Betriebsrat beantragt, die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung ihres Vorsitzenden zu erteilen. Die Zustimmung ist vom beteiligten Betriebsrat nicht innerhalb von drei Kalendertagen erteilt worden. Daraufhin hat die beteiligte Arbeitgeberin das vorliegende Beschlussverfahren eingeleitet. Die Antragsschrift ist beim Arbeitsgericht am 6. November 2014 eingegangen. Der Antrag stützt sich auf den Vorwurf der Arbeitsverweigerung wegen der nicht durchgeführten Therapie am 22. September 2014 und auf den Vorwurf, der beteiligte Betriebsratsvorsitzende habe sich unberechtigt am 4. Oktober 2014 Zugang zum Rechner des Chefarztes, dem er unterstellt ist, verschafft.

6

Während des bereits laufenden Beschlussverfahrens hat die beteiligte Arbeitgeberin einen dritten Vorwurf erhoben. Insoweit geht es um die breit gestreute Veröffentlichung einer Mail, die der beteiligte Betriebsratsvorsitzende an den stellvertretenden Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats am 14. November 2014 versandt hat ("S. bleibt!"). Der beteiligte Betriebsratsvorsitzende ist am 24. November 2014 zu diesem weiteren Vorwurf angehört worden. Die Arbeitgeberin hat wegen dieses Vorwurfs mit Schreiben vom 26. November 2014 beim beteiligten Betriebsrat erneut beantragt, die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung ihres Vorsitzenden zu erteilen. Der Betriebsrat hat auch diesem Antrag nicht innerhalb von drei Kalendertagen zugestimmt. Darauf hat die Arbeitgeberin im hiesigen Beschlussverfahren mit einem Schriftsatz, der am 1. Dezember 2014 bei Gericht eingegangen ist, die Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung auch wegen dieses dritten Vorwurfs beantragt.

7

Der älteste Vorwurf leitet sich aus dem Umstand ab, dass das beteiligte Betriebsratsmitglied am 22. September 2014 eine in seinen Kalender eingetragene Therapiesitzung mit einer Patientin nicht durchgeführt hat.

8

Für den beteiligten Betriebsratsvorsitzenden wird durch die Arbeitgeberin ein Kalender geführt, in den die zuständigen Ärzte Termine für Therapie-Sitzungen mit Patienten buchen können. Im Kalender gebuchte Termine für Therapie-Sitzungen sind als verbindliche Arbeitsanweisung zu verstehen. Zur Wahrung der eigenen Zeitsouveränität und zur Gewinnung ausreichender Zeit für die Betriebsratsarbeit kann der beteiligte Betriebsratsvorsitzende seinerseits im Kalender Tage oder einzelne Tagesabschnitte "blocken", die dann für Therapie-Sitzungen nicht zur Verfügung stehen.

9

Der beteiligte Betriebsratsvorsitzende hatte wenige Tage vor dem 22. September 2014 gegenüber der Arbeitgeberin bzw. gegenüber dem für ihn zuständigen Chefarzt mitgeteilt, dass für ihn der Kalender mit Stand vom 18. September 2014 verbindlich sei, und er weitere Therapiesitzungen wegen notwendig zu erledigender Betriebsratstätigkeit in den freien Zeiten zwischen den bereits gebuchten Sitzungen nicht abhalten könne. Trotz dieser Mitteilung des beteiligten Betriebsratsvorsitzenden ist ihm danach noch eine weitere Therapie-Sitzung für den 22. September 2014 (Montag) um 11:00 Uhr in den Kalender gebucht worden. Davon hat der Betriebsratsvorsitzende zum Arbeitsantritt an diesem Montag Kenntnis bekommen. Der Betriebsratsvorsitzende hat noch am Montagmorgen gegen diesen zusätzlichen Termin bei der leitenden Psychologin protestiert und dabei angekündigt, dass er den Termin nicht wahrnehmen werde. Dabei ist er auch geblieben, als er im weiteren Verlauf des Vormittags von dem für ihn zuständigen Chefarzt zur Wahrnehmung des Termins aufgefordert wurde. Zum Therapiezeitpunkt war das Zimmer, in dem der Betriebsratsvorsitzende für die Patienten ansprechbar ist, verschlossen. Die betroffene Patientin wurde mit einem vom Betriebsratsvorsitzenden an der Tür angebrachten Zettel darauf hingewiesen, dass sie sich bei der leitenden Psychologin melden solle.

10

Der weitere Vorwurf gegen den Betriebsratsvorsitzenden stützt sich auf den Umstand, dass dieser sich am 4. Oktober 2014 (einem Samstag) Zugang zum Büro der Sekretärin des Chefarztes verschafft hat und sich an deren Computer eingeloggt hat.

11

Der Betriebsratsvorsitzende hat einen Schlüssel, mit dem er auch Zugang zu dem Büro der Sekretärin des Chefarztes hat; dort wird für ihn ein Postfach für die dienstliche Post vorgehalten. Der Betriebsratsvorsitzende gibt hier im Rechtsstreit an, er habe an jenem Tage versucht, im Betriebsratsbüro etwas auszudrucken, was nicht gelungen sei. Er hat sich darauf in das Büro der Sekretärin begeben, hat sich an deren Computer mit seiner eigenen ihm zugeteilten Nutzerkennung eingeloggt und – so der Vortrag hier – habe dort erfolgreich den Druck des Dokuments vornehmen können. Nachträgliche Recherchen der Arbeitgeberin haben keinen Hinweis darauf ergeben, dass der Computer oder der Drucker im Betriebsratsbüro oder das Netz an jenem Tag gestört waren.

12

Der nachgeschobene dritte Vorwurf steht in Zusammenhang mit der Mail des Betriebsratsvorsitzenden an den stellvertretenden Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats vom 14. November 2014 ("S. bleibt!" – Kopie als Anlage Ast 5 eingereicht, hier Blatt 51R und 52; wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen).

13

"S." ist der Rufname eines weiteren Mitglieds des beteiligten Betriebsrats. Die beteiligte Arbeitgeberin hatte versucht, das Arbeitsverhältnis zu diesem Betriebsratsmitglied zu kündigen. Der Betriebsrat hatte die Zustimmung verweigert und der Antrag der Arbeitgeberin, die verweigerte Zustimmung durch das Arbeitsgericht ersetzen zu lassen, war wenige Tage vor der Mail vom 14. November 2014 vom Arbeitsgericht abgelehnt worden. Betriebsrat und Betriebsratsvorsitzender gehen davon aus, dass die Arbeitgeberin jenes Zustimmungsersetzungsverfahren in Kenntnis des nicht ausreichenden Anlasses für eine Kündigung betrieben hatte und hatten dementsprechend scharf die Arbeitgeberseite intern dafür kritisiert. Unter anderem wurde auch der Gesamtbetriebsrat in die Kampagne einbezogen und der dortige stellvertretende Vorsitzende hatte sich nach Auffassung des beteiligten Betriebsrats hilfreich für die Sache eingesetzt.

14

Mit der fraglichen Mail hat sich der beteiligte Betriebsratsvorsitzende bei seinem Kollegen aus dem Gesamtbetriebsrat für seine Unterstützung in der Sache "S." bedankt und ihn über den Ausgang des Zustimmungsersetzungsverfahrens vor dem Arbeitsgericht unterrichtet (Absätze 1 bis 3 der Mail). Die folgenden 6 Absätze nutzt der Betriebsratsvorsitzende sodann, um das Arbeitgeberverhalten nochmals in scharfem Ton kritisch zu bewerten. Der Unternehmensleitung wird dort "professionelles Union-Busting" vorgeworfen. Weiter ist die Rede von "willfährigen Belegschaftsvertretern", die "Teile der Klinikleitung bei der bewusst herbeigeführten Spaltung unserer Belegschaft unterstützen". Schließlich wird der Klinikleitung "Rechtsnihilismus" vorgeworfen und die "Inszenierung von Kündigungsgründen".

15

Diese Mail hat der beteiligte Betriebsrat bzw. der beteiligte Betriebsratsvorsitzende zeitnah per Mail an alle Mitarbeiter der Klinik vor Ort, an den Gesamtbetriebsrat sowie an Mitarbeiter bei ver.di und beim Marburger Bund weitergeleitet. Außerdem ist die Mail zur weiteren Verbreitung an den "Verein ./. Arbeitsunrecht e.V.", an "work-watch e.V." und an das "Solidaritätskomitee gegen Betriebsratsmobbing" weitergeleitet worden.

16

Schließlich hat der Betriebsrat die Mail in dem Betriebsratsschaukasten vor Ort ausgehängt. Der Schaukasten befindet sich in einem Flur mit Ausgang zum Wirtschaftshof. Der Flur wird von den Patienten, wenn sie sich an die Ausschilderung in der Klinik halten, nicht benutzt. Patienten, die sich mit den örtlichen Verhältnissen vertraut gemacht haben, nutzen diesen Flur jedoch gelegentlich zur Abkürzung von Laufwegen.

17

Das Arbeitsgericht Stralsund – Kammern Neubrandenburg – hat den Antrag der Arbeitgeberin mit Beschluss vom 14. Juli 2015 zurückgewiesen (13 BV 3002/14). Das Arbeitsgericht ist davon ausgegangen, dass die Arbeitgeberin nicht ausreichend zur Einhaltung der Kündigungserklärungsfrist aus § 626 Absatz 2 BGB vorgetragen habe. Auf diesen Beschluss wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes vor dem Arbeitsgericht Bezug genommen.

18

Mit der rechtzeitig eingelegten und fristgemäß begründeten Beschwerde verfolgt die Arbeitgeberin ihr Begehren unverändert fort.

19

Die Arbeitgeberin kritisiert die angegriffene Entscheidung. Das Zustimmungsersetzungsverfahren sei noch rechtzeitig anhängig gemacht worden. Die Frist im Sinne von § 626 Absatz 2 BGB habe bezüglich keinem der Vorwürfe vor dem Tag der Anhörung des beteiligten Betriebsratsvorsitzenden anlaufen können, denn erst mit dessen Anhörung seien die Ermittlungen zur Aufklärung des Sacherhalts abgeschlossen worden. Da keiner der Mitarbeiter vor Ort zum Ausspruch von Kündigungen berechtigt sei, müsse sogar auf den Zeitpunkt abgestellt werden, zu dem die Unternehmensleitung von den Vorwürfen Kenntnis erlangt habe; der kaufmännische Direktor habe erst nach der abschließenden Anhörung des beteiligten Vorsitzenden die Unternehmensleitung von den einzelnen Vorfällen unterrichtet. Der Arbeitgeberin sei es auch nicht zuzumuten gewesen, die Aufklärung wegen der Ereignisse am 22. September 2014 und am 4. Oktober 2014 früher aufzunehmen oder schneller abzuschließen, denn der für die Aufklärung zuständige kaufmännische Direktor sei durch Urlaub und vorrangige Dienstgeschäfte an einer früheren Aufklärung verhindert gewesen.

20

Die Arbeitgeberin meint im Übrigen, jeder der drei Vorwürfe für sich reiche bereits aus, um eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grunde im Sinne von § 626 Absatz1 BGB zu begründen.

21

Am 22. September 2014 habe der Betriebsratsvorsitzende eine Arbeitsverweigerung begangen. Diese sei beharrlich gewesen, da er trotz Hinweis des Chefarztes auf die fehlenden Gründe für die Arbeitsverweigerung und trotz Androhung von Konsequenzen die Arbeit nicht aufgenommen habe. Insoweit sei der Beteiligte auch bereits einschlägig abgemahnt gewesen.

22

Am 4. Oktober 2014 habe der Betriebsratsvorsitzende versucht, sich unberechtigt Zugang zum Computer seines Chefarztes zu verschaffen. Der diesbezügliche Verdacht stehe im Raum, da es für die Verwendung des Computers im Zimmer der Sekretärin keinen sachlichen Anlass gegeben habe und es dem Betriebsratsvorsitzenden nicht gelungen sei, den Verdacht zu widerlegen.

23

Durch die breite Veröffentlichung der Mail vom 14. November 2014 habe der Betriebsratsvorsitzende gegen seine Pflicht zur Verschwiegenheit verstoßen. Außerdem habe er rechtswidrig einen internen Konflikt nach außen getragen und sich dabei noch verleumderisch und herablassend über die Unternehmensführung geäußert.

24

Die beteiligte Arbeitgeberin beantragt,

25

unter Abänderung des angegriffenen Beschlusses des Arbeitsgericht Stralsund – Kammern Neubrandenburg – vom 14. Juli 2015 (13 BV 3002/14) die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3 nach § 103 Absatz 2 BetrVG zu ersetzen.

26

Der beteiligte Betriebsrat und der beteiligte Betriebsratsvorsitzende beantragen übereinstimmend,

27

die Beschwerde der Arbeitgeberin zurückzuweisen.

28

Der Betriebsrat und sein Vorsitzender verteidigen die angegriffene Entscheidung des Arbeitsgerichts. Außerdem betonen sie, dass die von der Arbeitgeberin vorgetragenen Ereignisse eine Kündigung aus wichtigem Grunde nicht rechtfertigen könnten.

29

Die nicht abgehaltene Therapiesitzung am 22. September 2014 könne die Kündigung nicht rechtfertigen. Es fehle gänzlich an einem pflichtwidrigen Verhalten. Nach wie vor gehe die Arbeitgeberin rechtsirrig davon aus, ein Betriebsrat dürfe nur dann seinen Arbeitsplatz zum Zwecke der Aufnahme von Betriebsratsarbeit verlassen, wenn dies vom Arbeitgeber zuvor gestattet worden sei.

30

Der Vorwurf des versuchten Datendiebstahls wegen der Nutzung des Computers der Sekretärin des Chefarztes sei abwegig. Wie die Arbeitgeberin selber richtig vortrage, habe er sich an diesem Computer mit seiner eigenen ihm zugeteilten Nutzerkennung eingeloggt, er habe daher nur Zugriff auf seine eigenen Daten gehabt, genauso wie wenn er sich an seinem eigenen Rechner eingeloggt hätte.

31

Auch die Verbreitung der Mail vom 14. November 2014 könne die beabsichtigte Kündigung nicht rechtfertigen. Ein Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht sei nicht erkennbar. Der Betriebsratsvorsitzende habe keine personenbezogenen Daten, die ihm in Zusammenhang mit der Erfüllung seiner Arbeitsaufgabe bekannt geworden seien, verbreitet. Angesichts der Vorgeschichte bezüglich des Kündigungsversuchs gegenüber dem Kollegen "S." habe die Schärfe der Kritik und das Ausmaß der Verbreitung der Mail noch nicht die durch die Loyalitätspflicht gezogenen Grenzen überschritten.

32

Das Beschwerdegericht hat die beim Arbeitsgericht Stralsund entstandenen Akten 13 BV 1/14 (Antrag des Betriebsrats auf Wiedereinrichtung des Schaukastens am Ausgang zum Wirtschaftshof) und 13 BV 1/15 (Antrag der Arbeitgeberin auf Ausschluss des Betriebsratsvorsitzenden aus dem Betriebsrat), beide bereits seit längerem abgeschlossen, auf Anregung der Arbeitgeberin zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts beigezogen.

33

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrages der Beteiligten wird auf das Protokoll der Anhörung und Erörterung vor der Kammer und auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

34

Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist nicht begründet. Die gegen den Betriebsratsvorsitzenden erhobenen Vorwürfe rechtfertigen dessen Kündigung nicht.

1.

35

Die Weigerung des Betriebsratsvorsitzenden, am 22. September 2014 die kurzfristig in seinen Kalender eingetragene weitere Therapiesitzung um 11:00 Uhr durchzuführen, rechtfertigt eine Kündigung nicht.

a)

36

Der Arbeitgeberin ist der Nachweis nicht gelungen, dass der Betriebsratsvorsitzende damit beharrlich die Erfüllung der ihm aufgetragenen Arbeitsaufgabe verweigert hat.

37

Nach § 37 Absatz 2 BetrVG sind Mitglieder des Betriebsrats von ihren beruflichen Aufgaben zu befreien, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Das Betriebsratsmitglied entscheidet selbst, ob es zur Aufnahme von Betriebsratstätigkeit den Arbeitsplatz verlässt, eine Zustimmung des Arbeitgebers ist dazu nicht erforderlich (ständige Rechtsprechung seit BAG 30. Januar 1973 – 1 ABR 1/73 – AP Nr. 3 zu § 40 BetrVG 1972 = BB 1973, 474; zuletzt noch BAG 29. Juni 2011 – 7 ABR 135/09 – BAGE 138, 233 = AP Nr. 152 zu § 37 BetrVG 1972 = DB 2012, 747). Das Betriebsratsmitglied hat sich allerdings bei seinem Fachvorgesetzten möglichst frühzeitig abzumelden, damit dieser die Chance hat, die Arbeit entsprechend umzuorganisieren (BAG 29. Juni 2011 aaO).

38

In diesem Sinne hat sich der beteiligte Betriebsratsvorsitzende rechtzeitig vor dem 22. September 2012 zur Aufnahme von Betriebsratstätigkeit abgemeldet, denn er hat am 18. oder 19. September 2014 seinen Vorgesetzten darauf hingewiesen, dass sein Therapiekalender mit Stand vom 18. September 2014 voll sei, da er die noch bestehenden freien Zeitabschnitte für die Wahrnehmung von Betriebsratstätigkeit benötige. Mit der ordnungsgemäßen Anzeige der beabsichtigten Betriebsratstätigkeit für den 22. September 2014 ab 11:00 Uhr ist die Arbeitspflicht des beteiligten Betriebsratsvorsitzenden für die Zeit seiner Betriebsratstätigkeit entfallen. Er unterlag daher nicht mehr dem Weisungsrecht des Arbeitgebers. Demnach hat er sich weder weisungswidrig verhalten, noch hat er seine Arbeitspflicht vernachlässigt.

39

Die Arbeitgeberin hat keine geeigneten Umstände vorgetragen, die den Schluss gestatten, der beteiligte Vorsitzende hätte die Aufnahme von Betriebsratstätigkeit lediglich vorgeschoben, um sein Nichtstun oder eine in Wahrheit doch gegebene Arbeitsverweigerung verbergen zu können.

40

Allein aus dem Umstand, dass sich Arbeitgeber und Betriebsrat vorliegend darauf verständigt haben, dass der Vorsitzende des Betriebsrats für zwei im Voraus feststehende Tage der Woche von der Arbeit zum Zwecke der Erledigung von Betriebsratsaufgaben freigestellt wird, kann nicht geschlossen werden, dass Betriebsratsarbeit, die der Betriebsrat darüber hinaus für erforderlich hält, in Wahrheit nicht erforderlich ist. Denn durch das Anknüpfen an das Merkmal der Erforderlichkeit in § 37 Absatz 2 BetrVG hat der Gesetzgeber einen flexiblen Maßstab geschaffen, der je nach den konkreten betrieblichen Verhältnissen zur Freistellung in gänzlich unterschiedlichem Umfang führen kann.

41

Möchte der Arbeitgeber im Beschlussverfahren vortragen, das Betriebsratsmitglied habe die Aufnahme von Betriebsratstätigkeit lediglich vorgeschoben, muss er also Umstände vortragen, die einen solchen Verdacht nahelegen. Es gibt allerdings keine Erfahrungssätze über das übliche Maß erforderlicher Betriebsratstätigkeit in Abhängigkeit von der Betriebs- oder der Betriebsratsgröße. Der Arbeitgeber müsste also grob die derzeit anstehenden Aufgaben des Betriebsrats skizzieren und diese der bisher dafür aufgewendeten Zeit gegenüberstellen. Derartigen Vortrag hat die Arbeitgeberin hier nicht ansatzweise geleistet. Abgesehen davon spricht schon allein die große Anzahl der Beschlussverfahren, die derzeit mit Beteiligung der Arbeitgeberin wegen des Betriebes auf U. bei Gericht anhängig sind oder jüngst anhängig waren, dafür, dass der zeitliche Aufwand der Betriebsratstätigkeit in diesem Betrieb derzeit außergewöhnlich hoch ist.

b)

42

Im Übrigen geht das Beschwerdegericht mit dem Arbeitsgericht davon aus, dass die Arbeitgeberin schon deshalb die beabsichtigte Kündigung nicht auf den Vorfall vom 22. September 2014 stützen kann, da die Kündigungserklärungsfrist aus § 626 Absatz 2 BGB nicht eingehalten ist.

43

Nach § 626 Absatz 2 Satz 1 BGB kann eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt nach Absatz 2 Satz 2 der Norm mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Der Kündigungsberechtigte, der bislang nur Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann deshalb nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Absatz 2 BGB zu laufen begänne. Sind die Ermittlungen abgeschlossen und hat er eine hinreichende Kenntnis vom Kündigungssachverhalt, beginnt der Lauf der Ausschlussfrist (BAG 21. Februar 2013 – 2 AZR 433/12 – AP Nr. 51 zu § 626 BGB Ausschlussfrist = NZA-RR 2013, 515; BAG 25. November 2010 – 2 AZR 171/09 – AP Nr. 231 zu § 626 BGB; BAG 17. März 2005 – 2 AZR 245/04 – AP Nr. 46 zu § 626 BGB Ausschlussfrist = NZA 2006, 101).

44

Neben den Mitgliedern der Organe von juristischen Personen und Körperschaften gehören zu den kündigungsberechtigten Personen auch die Mitarbeiter, denen der Arbeitgeber das Recht zur außerordentlichen Kündigung übertragen hat. Dagegen ist die Kenntnis anderer Personen für den Lauf der Ausschlussfrist grundsätzlich unbeachtlich. Dies gilt auch dann, wenn den Mitarbeitern Aufsichtsfunktionen übertragen worden sind. Nur ausnahmsweise muss sich der Arbeitgeber die Kenntnis solcher Personen nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) zurechnen lassen. Dazu müssen diese Personen eine herausgehobene Position und Funktion im Betrieb haben sowie tatsächlich und rechtlich in der Lage sein, einen Sachverhalt, der Anhaltspunkte für eine außerordentliche Kündigung bietet, so umfassend zu klären, dass mit ihrer Mitteilung der Kündigungsberechtigte ohne weitere eigene Nachforschungen seine (Kündigungs-)Entscheidung abgewogen treffen kann. Dementsprechend müssen diese Mitarbeiter in einer ähnlich selbständigen Stellung sein, wie ein gesetzlicher oder rechtsgeschäftlicher Vertreter des Arbeitgebers. Voraussetzung für eine Zurechenbarkeit der Kenntnisse dieser Personen zum Arbeitgeber ist ferner, dass die Verzögerung bei der Kenntniserlangung in dessen eigener Person auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebs oder der Verwaltung beruht (BAG 21. Februar 2013 aaO; BAG 23. Oktober 2008 – 2 AZR 388/07 – AP Nr. 217 zu § 626 BGB = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 23; BAG 26. November 1987 - 2 AZR 312/87 – RzK I 6g Nr. 13).

45

Gemessen an diesem Maßstab war die Kündigungserklärungsfrist wegen des Vorwurfs der Arbeitsverweigerung am 22. September 2014 schon lange vor Eingang der Antragsschrift beim Arbeitsgericht am 6. November 2014 abgelaufen. Denn der kaufmännische Leiter der Klinik muss aufgrund seiner betrieblichen Stellung als einer kündigungsberechtigten Person gleichgestellt behandelt werden. Außerdem beruht die verspätete Kenntnis der tatsächlich kündigungsberechtigten Personen auf der Leitungsebene des Unternehmens auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebes und der kaufmännische Leiter der Klinik hat die Aufklärung des Sachverhalts nicht zügig vorangetrieben. Daher hat die Kündigungserklärungsfrist bereits mit dem 22. September 2014 zu laufen begonnen.

aa)

46

Es kann dahinstehen, ob der kaufmännische Leiter der Klinik tatsächlich wie von der Arbeitgeberin behauptet keine Berechtigung hat, Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter vor Ort durch Kündigung zu beenden. Denn nach der oben zitierten Rechtsprechung ist er einer kündigungsberechtigten Person gleichzustellen, weil er im Betrieb in C-Stadt eine herausgehobene Funktion und Stellung hat und er tatsächlich und rechtlich in der Lage war, den Kündigungssachverhalt abschließend aufzuklären. Letzteres ergibt sich indirekt schon daraus, dass die kündigungsberechtigte Unternehmensleitung dem Vorschlag des kaufmännischen Direktors zur Einleitung der Kündigung ohne weitere eigene Ermittlungen zugestimmt hat.

bb)

47

Nach Lage der Dinge muss das Gericht auch davon ausgehen, dass die verzögerte Unterrichtung der kündigungsberechtigten Unternehmensleitung auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebes bei der Arbeitgeberin beruht.

48

Nach dem Vortrag der beteiligten Arbeitgeberin hat der kaufmännische Leiter der Klinik die kündigungsberechtigten Personen von dem hier streitigen Kündigungsanlass erst in Zusammenhang mit dem abschließenden Bericht nach Anhörung des beteiligten Vorsitzenden am 27. Oktober 2014 unterrichtet und diese späte Unterrichtung ist ihm nicht als pflichtwidriges Verhalten zum Vorwurf gemacht worden.

49

Diese Umstände offenbaren einen offensichtlichen Mangel in der Organisation des Betriebes. Denn durch die fehlende Pflicht des kaufmännischen Leiters, bereits bei Vorliegen von Anhaltspunkten für einen Kündigungsgrund der Unternehmensleitung zu berichten, begibt diese sich der Möglichkeit, steuernd in den weiteren Prozess einzugreifen. Gleichzeitig wird damit die Möglichkeit eröffnet, den Rückgriff auf einen vorhandenen Kündigungsgrund nahezu beliebig in die Länge zu ziehen, was gerade der Grund dafür war, dass die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die auf § 242 BGB aufbauende Rechtsprechung zur Zurechnung der Kenntnisse führender Mitarbeiter entwickelt hat, die nicht ihrerseits kündigungsberechtigt sind. Daher muss die fehlende Berichtspflicht des kaufmännischen Leiters der Klinik bei Auftauchen von Anhaltspunkten für einen Kündigungsgrund als eine unsachgemäße Betriebsorganisation bewertet werden.

cc)

50

Der kaufmännische Leiter der beteiligten Arbeitgeberin kann sich nicht auf das fehlende Anlaufen der Kündigungserklärungsfrist aus § 626 Absatz 2 BGB wegen weiterer Bemühungen zur Aufklärung des Sachverhalts berufen, da nicht erkennbar ist, welche Bemühungen er zwischen dem 22. September und dem Tag der Anhörung des beteiligten Vorsitzenden am 27. Oktober 2014 überhaupt zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts unternommen hat. Das Gericht ist daher nicht in der Lage die Feststellung zu treffen, die Aufklärung sei zügig vorgenommen worden. Die von Arbeitgeberseite vorgetragenen Gründe für die zögerliche Aufklärung (Urlaub und vorrangige Dienstaufgaben) sind nicht tragfähig.

2.

51

Die Nutzung des Computers der Sekretärin des Chefarztes am 4. Oktober 2014 durch den beteiligten Vorsitzenden rechtfertigt eine Kündigung nicht.

a)

52

Zugunsten der Arbeitgeberin kann unterstellt werden, es gäbe im Betrieb eine verbindliche Anweisung an alle Arbeitnehmer, sich stets nur an ihrem eigenen Computer im System einzuloggen.

53

Denn ein Verstoß gegen eine solche Ordnungsvorschrift könnte ohne Hinzutreten weiterer Umstände eine Kündigung ohne vorherigen Ausspruch einer Abmahnung nicht rechtfertigen.

b)

54

Die Sorge der Arbeitgeberin, der beteiligte Vorsitzende hätte mit der Nutzung des Geräts der Sekretärin des Chefarztes zum Einloggen im System unberechtigt Zugriff auf Dateien und Dokumente bekommen, zu deren Kenntnis er nicht berechtigt ist, kann das Gericht mangels näheren Tatsachenvortrages dazu seiner Entscheidung nicht zu Grunde legen.

55

Bereits vorbereitend zum Termin zur Anhörung und Erörterung hatte der Kammervorsitzende darauf hingewiesen, dass nach seinem Erfahrungswissen, die Möglichkeiten des Zugriffs auf Dateien und Dokumente nicht dadurch vergrößert werden könne, dass man sich an einem anderen Gerät in das System einlogge. Das war mit der Auflage verbunden gewesen, dazu vorzutragen, weshalb dies bei dem in der Klinik genutzten IT-System anders sein solle. Entsprechender Vortrag ist nicht geleistet worden.

56

Im Termin zur Anhörung und Erörterung ist dann noch darauf hingewiesen worden, dass eine Speicherung von Dateien durch die Sekretärin in Abweichung von den durch das System vorgeschlagenen Speicherorten (z.B. im Stammverzeichnis der lokalen Festplatte) gegebenenfalls dazu führen könne, dass Dritte, die sich an dem Gerät mit ihrer eigenen Kennung anmelden, dennoch Zugriff auf solche nicht den Richtlinien entsprechend abgespeicherten Dateien eines anderen Nutzers haben könnten. Die Arbeitgeberin hat aber nicht die Behauptung aufgestellt, die Sekretärin des Chefarztes habe ihre Dateien – oder auch nur einige ihrer Dateien – auf diese nicht sachgemäße Weise abgespeichert.

57

Damit reduziert sich die Sorge der Arbeitgeberin auf die Vermutung, der beteiligte Vorsitzende verfüge über Kenntnisse und Fähigkeiten sich am Computer mehr Rechte verschaffen zu können, um so einen Zugriff auf fremde Dateien zu bekommen. Da für diese Vermutung keine indiziellen Tatsachen vorgetragen sind, kann das Gericht darauf seine Entscheidung nicht stützen. Allein der Umstand, dass die vom beteiligten Vorsitzenden gegebene Begründung für sein Verhalten (Druckerstörung an seinem eigenen Gerät) anhand der Protokolldateien des Systems angeblich nicht nachvollzogen werden kann, rechtfertigt noch nicht derart weitgehende Schlüsse.

c)

58

Im Übrigen war die Kündigungserklärungsfrist aus § 626 Absatz 2 BGB, was das Arbeitsgericht richtig gesehen hat, auch bezüglich dieses Vorwurfs bereits lange vor Einleitung des vorliegenden Beschlussverfahrens abgelaufen. Wegen der Einzelheiten kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.

3.

59

Auch die Veröffentlichung der Mail vom 14. November 2014 reicht zur Begründung der beabsichtigen Kündigung nicht aus.

a)

60

Soweit der Vorsitzende mit der breit gestreuten Veröffentlichung der Mail und deren Aushang im Schaukasten des Betriebsrats möglicherweise gegen seine betriebsverfassungsrechtliche Verschwiegenheitspflicht (§ 79 BetrVG) verstoßen hat, kann daraus nicht das Recht zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses abgeleitet werden, denn das Betriebsverfassungsgesetz sieht in § 23 BetrVG eigene Sanktionen für Verstöße gegen betriebsverfassungsrechtliche Pflichten vor (LAG Mecklenburg-Vorpommern 27. November 2013 – 3 Sa 101/13 – juris.de). Gleiches gilt, soweit man auf eine ergänzende Verschwiegenheitspflicht, die sich aus dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit ableitet, abstellen würde. Auch die Verletzung dieser betriebsverfassungsrechtlichen Pflicht kann allein mit betriebsverfassungsrechtlichen Sanktionen geahndet werden.

b)

61

Die Kündigung lässt sich auch nicht auf einen Verstoß gegen das arbeitsvertragliche Gebot zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers aus § 241 Absatz 2 BGB ableiten.

62

Insoweit ist allerdings in der Rechtsprechung anerkannt, dass auch die Mitglieder des Betriebsrats wie alle anderen Arbeitnehmer in dem durch § 241 Absatz 2 BGB gezogenen Rahmen Rücksicht auf die Interessen ihres Arbeitgebers zu nehmen haben. Auch dann, wenn eine Handlung eines Betriebsratsmitglieds gleichzeitig Amtspflichten als auch arbeitsvertragliche Pflichten verletzt oder aber die Vertragsverletzung nur deshalb eingetreten ist, weil der Arbeitnehmer als Betriebsratsmitglied tätig geworden ist, kann ein wichtiger Grund zur Kündigung im Sinne des § 626 Absatz 1 BGB vorliegen (LAG Mecklenburg-Vorpommern 27. November 2013 aaO). Mit Rücksicht auf die besondere Konfliktsituation, in der sich das Betriebsratsmitglied aufgrund seiner Amtsstellung ohnehin befindet, ist die außerordentliche Kündigung aber nur gerechtfertigt, wenn unter Anlegung eines besonders strengen Maßstabs das pflichtwidrige Verhalten auch als schwerer Verstoß gegen die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis zu werten ist. (BAG 23. Oktober 2008 – 2 ABR 59/07 – AP Nr. 58 zu § 103 BetrVG 1972 = DB 2009, 1131).

c)

63

Ein in diesem Sinne schwerer Verstoß gegen die Rücksichtnahmepflichten aus § 241 Absatz 2 BGB kann im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden.

aa)

64

In der beanstandeten Mail hat der beteiligte Vorsitzende keine falschen Tatsachen mit Bezug auf die Arbeitgeberin behauptet.

65

Behauptungen tatsächlicher Art werden in der Mail nur wenige aufgestellt. Im ersten Absatz wird die Historie des Konflikts rund um den Versuch, den Betriebsratskollegen "S." zu kündigen, wiedergegeben. Im zweiten Absatz wird der Ausgang des Rechtsstreits um die beabsichtigte Kündigung des Betriebsratskollegen "S." geschildert. Außerdem gibt es bruchstückhaft Hinweise auf einen Entgeltkonflikt im Betrieb (3. und 5. Absatz).

66

Keine der an den genannten Stellen wiedergegebenen Behauptungen ist erkennbar falsch. Insoweit stellt auch die Arbeitgeberin keine gegenteiligen Behauptungen auf.

bb)

67

Soweit der beteiligte Vorsitzende in der Mail das Verhalten der Arbeitgeberin scharf kritisiert und ihr Handeln bewertet, handelt es sich um die Äußerung seiner Meinung, was ihm grundsätzlich nicht verboten ist.

68

Während Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit geprägt werden und der Überprüfung mit Mitteln des Beweises vor Gericht zugänglich sind, handelt es sich bei einer Meinung um eine Äußerung, die durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt ist. Bei der Frage, ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Tatsachenbehauptung oder als Werturteil anzusehen ist, kommt es entscheidend auf den Gesamtkontext der fraglichen Äußerung an. Die Abgrenzung zwischen Werturteilen und Tatsachenbehauptungen kann im Einzelfall schwierig sein, vor allem deswegen, weil die beiden Äußerungsformen nicht selten miteinander verbunden werden und erst gemeinsam den Sinn einer Äußerung ausmachen. In solchen Fällen ist der Begriff der Meinung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes weit zu verstehen: Sofern eine Äußerung, in der Tatsachen und Meinungen sich vermengen, durch die Elemente der Stellungnahme des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind, wird sie als Meinung von dem Grundrecht geschützt. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Trennung der wertenden und der tatsächlichen Gehalte, den Sinn der Äußerung aufhöbe oder verfälsche. Würde in einem solchen Fall das tatsächliche Element als ausschlaggebend angesehen, so könnte der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit wesentlich verkürzt werden (BVerfG 4. August 2016 – 1 BvR 2619/13 – juris.de).

69

Legt man diesen Maßstab an, muss der Vorwurf des "professionellen Union-Busting" (6. Absatz), der Vorwurf der "bewusst herbeigeführten Spaltung der Belegschaft" (8. Absatz) und der "Inszenierung von Kündigungsgründen" (9. Absatz) als bloße Meinungsäußerung bewertet werden und nicht als Tatsachenbehauptung. Gemeinsam ist allen Vorwürfen, dass der beteiligte Vorsitzende der Arbeitgeberin in ihrem Handeln gegenüber dem Betriebsrat – untechnisch ausgedrückt – eine feindliche Einstellung unterstellt. (professionelles Busting, bewusste Spaltung, Inszenierung). Diese innere Einstellung der Arbeitgeberin könnte rechtlich allenfalls als sogenannte innere Tatsachen bezeichnet werden. Damit wäre sie aber keine Tatsachen im Sinne der aufgezeigten Rechtsprechung, da sie einem Beweis nicht zugänglich sind. Auf innere Tatsachen kann nur mittels geeigneter Indiztatsachen mittelbar geschlossen werden. Da solche vom beteiligten Vorsitzenden nicht geäußert wurden, handelt es sich bei seiner Einschätzung der inneren Einstellung der Arbeitgeberin bei ihrem Handeln gegenüber dem Betriebsrat um eine bloße Meinungsäußerungen.

70

Die Meinungsäußerung durch den beteiligten Vorsitzenden kann auch unter Berücksichtigung der gesteigerten Rücksichtnahmepflicht im Arbeitsverhältnis noch nicht als pflichtwidrig angesehen werden. Meinungsäußerungen im Betrieb können insbesondere dann pflichtwidrig sein, wenn sie betriebliche Auswirkungen haben, also den Betriebsfrieden stören oder den Arbeitsablauf zum Erliegen bringen. Dass die Mail vom 14. November 2014 derartige Wirkungen gezeitigt hat, ist weder von der Arbeitgeberin vorgetragen noch sonst ersichtlich.

cc)

71

Der beteiligte Vorsitzende mag sich in der Mail an mancher Stelle im Ton vergriffen haben, die Herabsetzung oder Schmähung bestimmter Personen kann aber nicht erkannt werden.

72

Dazu ist zunächst hervorzuheben, dass die Arbeitgeberin, eine juristische Person in Form einer Kommanditgesellschaft mit Komplementär-GmbH, in der Mail des beteiligten Vorsitzenden sozusagen anonym bleibt. Es wird keine Person beim Namen genannt, bei der die feindliche Einstellung gegeben sein soll, vielmehr ist immer nur von "Teilen der Klinikleitung" oder von einzelnen "Klinikleitungsmitgliedern" die Rede. Für das Gericht als außenstehender Stelle geht nicht einmal eindeutig hervor, ob die Kritik dem örtlichen Leitungspersonal am Klinikstandort gilt oder dem Führungspersonal am Sitz des Unternehmens. Schon aus diesem Grunde scheidet die Annahme aus, der beteiligte Vorsitzende habe in der Mail einzelne Personen herabgesetzt oder gar beleidigt.

73

Zusätzlich ist der Umstand in die Bewertung mit einzubeziehen, dass die Mail in einem Kontext steht, der durch einen inzwischen schon mehrjährigen beiderseits eifrig befeuerten Konflikt zwischen der örtlichen Klinikleitung und dem beteiligten Betriebsrat steht, der beiderseits zu einer für Außenstehende nicht mehr nachvollziehbaren Verrohung der Umgangsformen geführt hat. Selbst wenn man also den Standpunkt vertreten würde, dass sich der beteiligte Vorsitzende in der Mail im Ton pflichtwidrig vergriffen habe, könnte dies die beabsichtigte Kündigung nicht rechtfertigen.

dd)

74

Man kann dem beteiligten Vorsitzenden allerdings vorwerfen, dass er mit der öffentlichen Verbreitung der Mail einen innerbetrieblichen Konflikt ohne Not nach außen getragen hat und damit dem nach außen untadeligen Ruf der Arbeitgeberin Schaden zugefügt hat.

75

Es ist anerkannt, dass Arbeitnehmer verpflichtet sind, bei innerbetrieblichen Konflikten zunächst eine innerbetriebliche Lösung anzustreben. Dabei muss gegebenenfalls auch eine innerbetriebliche Eskalationsleiter durchlaufen werden. Außenstehende Stellen dürfen erst dann eingeschaltet werden, wenn man innerbetrieblich kein Gehör findet. Soweit man außenstehende Stellen meint einschalten zu müssen, sollte man sich zusätzlich auf solche Stellen konzentrieren, von denen Hilfe erwartet werden kann und deren Einschaltung möglichst keine nicht unberechenbaren Nebenwirkungen nach sich ziehen kann. Daher ist die Einschaltung der Presse in aller Regel ein ungeeignetes Mittel für die Suche nach Unterstützung in einem innerbetrieblichen Konflikt.

76

Legt man diesen Maßstab zu Grunde, war die Verbreitung der Mail vom 14. November 2014 gegenüber außenstehenden Stellen pflichtwidrig. Soweit es um den Vorfall des Kündigungsversuchs gegenüber dem Betriebsratskollegen "S." ging, war der Konflikt durch die Entscheidung des Arbeitsgerichts abgeschlossen. Es bestand kein sachlicher Anlass mehr, hier nochmals Öl ins Feuer zu gießen. Soweit es in der Mail um den angedeuteten Konflikt um die innerbetriebliche Lohngerechtigkeit geht, ist überhaupt nicht erkennbar, dass insoweit die innerbetrieblichen Konfliktlösungsmechanismen bereits ausgeschöpft waren. Damit ist im Ergebnis festzustellen, dass sich der beteiligte Vorsitzende ohne konkreten Anlass über seinen Arbeitgeber gegenüber Dritten in einer Art und Weise geäußert hat, die geeignet ist, den Ruf der Arbeitgeberin zu beschädigen.

77

Die Gefahr der Rufschädigung wird durch den Kreis der Adressaten, an die sich die Mail gerichtet hatte, nicht verringert. Soweit der Vorsitzende die Mail auch an soziale Aktionsplattformen versendet hat, die damit werben, die Missachtung des Rechts im Arbeitsverhältnis und im Betrieb bekämpfen zu wollen, musste ihm klar sein, dass er damit einen Stein losgetreten hat, der – wenn die sozialen Aktionsplattformen darauf anspringen – geeignet ist, eine unkontrollierbare Lawine auszulösen.

78

Gleichwohl sieht sich das Gericht nicht in der Lage, allein auf Grund dieses Pflichtverstoßes die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zu der Kündigung zu ersetzen.

79

So ist es bereits zweifelhaft, ob man angesichts der bereits oben angesprochenen Verrohung im Umgang der Beteiligten miteinander noch von einem schweren Pflichtverstoß des beteiligten Vorsitzenden sprechen kann. Zum anderen muss man, gerade soweit man dem beteiligten Vorsitzenden einen aus seiner inneren Einstellung abgeleiteten Vorwurf machen will, nach der oben zitierten Rechtsprechung einen besonders strengen Maßstab anlegen. Unter Anlegung dieses besonders strengen Maßstabes steht es nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass es dem beteiligten Vorsitzenden bei der Weiterleitung der Mail an die genannten sozialen Aktionsplattformen klar war, was er dadurch – wenn diese auf das Thema anspringen – auslösen konnte. Schließlich hat das Gericht bei seiner Bewertung zu Gunsten des Vorsitzenden noch berücksichtigt, dass die deftigen Äußerungen über die Arbeitgeberin nahezu gänzlich ohne tatsächliche Belege erhoben wurden; Beschimpfungen dieser Art ohne ausreichende tatsächliche Belege haben nicht das Zeug dazu, sich im Netz aufgrund der ausgelösten Empörung explosionsartig zu verbreiten.

ee)

80

Das Geschehen ist auch unter Berücksichtigung der Mail im Schaukasten des Betriebsrats im Flur zum Wirtschaftshof nicht anders zu bewerten.

81

Wie aus der beigezogenen Akte 13 BV 1/14 beim Arbeitsgericht Stralsund ersichtlich, ist der Standort des Schaukastens des Betriebsrats unter dem Gesichtspunkt der Einsichtsmöglichkeit durch Patienten der Klinik nicht optimal gewählt. Da die Arbeitgeberin dem Betriebsrat jedoch keinen anderen besser geeigneten Platz für den Schaukasten angeboten hat, muss sie mit dem von ihr selbst mit geschaffenen Risiko leben, dass Patienten der Klinik einen neugierigen Blick auf die Mitteilungen des Betriebsrats werfen und damit Dinge erfahren, die sie eigentlich nichts angehen. Eine Einschränkung des Rechts des Betriebsrats, die Belegschaft über wichtige Dinge durch Aushang zu unterrichten, wird man aus der bisher nicht erfolgreich umgesetzten gesetzlichen Pflicht, dem Betriebsrat eine solche Fläche zur Verfügung zu stellen, nicht folgern können.

III.

82

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde aus §§ 72, 92 ArbGG sind nicht erfüllt

Urteilsbesprechung zu Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss, 24. Mai 2016 - 2 TaBV 22/15

Urteilsbesprechungen zu Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss, 24. Mai 2016 - 2 TaBV 22/15

Referenzen - Gesetze

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 242 Leistung nach Treu und Glauben


Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 72 Grundsatz


(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 626 Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund


(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unte
Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss, 24. Mai 2016 - 2 TaBV 22/15 zitiert 13 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 242 Leistung nach Treu und Glauben


Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

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(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist.

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(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unte

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 241 Pflichten aus dem Schuldverhältnis


(1) Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen. (2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Re

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 92 Rechtsbeschwerdeverfahren, Grundsatz


(1) Gegen den das Verfahren beendenden Beschluß eines Landesarbeitsgerichts findet die Rechtsbeschwerde an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Beschluß des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 92a Sa

Betriebsverfassungsgesetz - BetrVG | § 37 Ehrenamtliche Tätigkeit, Arbeitsversäumnis


(1) Die Mitglieder des Betriebsrats führen ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt. (2) Mitglieder des Betriebsrats sind von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs z

Betriebsverfassungsgesetz - BetrVG | § 103 Außerordentliche Kündigung und Versetzung in besonderen Fällen


(1) Die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Bordvertretung und des Seebetriebsrats, des Wahlvorstands sowie von Wahlbewerbern bedarf der Zustimmung des Betriebsrats. (2) Verwe

Betriebsverfassungsgesetz - BetrVG | § 23 Verletzung gesetzlicher Pflichten


(1) Mindestens ein Viertel der wahlberechtigten Arbeitnehmer, der Arbeitgeber oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft können beim Arbeitsgericht den Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat oder die Auflösung des Betriebsrats wegen grober

Betriebsverfassungsgesetz - BetrVG | § 40 Kosten und Sachaufwand des Betriebsrats


(1) Die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehenden Kosten trägt der Arbeitgeber. (2) Für die Sitzungen, die Sprechstunden und die laufende Geschäftsführung hat der Arbeitgeber in erforderlichem Umfang Räume, sachliche Mittel, Informations- un

Betriebsverfassungsgesetz - BetrVG | § 38 Freistellungen


(1) Von ihrer beruflichen Tätigkeit sind mindestens freizustellen in Betrieben mit in der Regel 200 bis 500Arbeitnehmern ein Betriebsratsmitglied,501 bis 900Arbeitnehmern 2 Betriebsratsmitglieder,901 bis 1.500Arbeitnehmern 3 Betriebsratsmitglieder,1.

Betriebsverfassungsgesetz - BetrVG | § 79 Geheimhaltungspflicht


(1) Die Mitglieder und Ersatzmitglieder des Betriebsrats sind verpflichtet, Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse, die ihnen wegen ihrer Zugehörigkeit zum Betriebsrat bekannt geworden und vom Arbeitgeber ausdrücklich als geheimhaltungsbedürftig bezeich

Referenzen - Urteile

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss, 24. Mai 2016 - 2 TaBV 22/15 zitiert oder wird zitiert von 6 Urteil(en).

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss, 24. Mai 2016 - 2 TaBV 22/15 zitiert 5 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 04. Aug. 2016 - 1 BvR 2619/13

bei uns veröffentlicht am 04.08.2016

Tenor 1. Das Urteil des Kammergerichts vom 18. April 2013 - 10 U 75/12 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes.

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 27. Nov. 2013 - 3 Sa 101/13

bei uns veröffentlicht am 27.11.2013

Tenor 1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Rostock vom 05.02.2013 – 2 Ca 870/12 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen. 2. Die Revision gegen diese Entscheidung wird nicht zugelassen. Tatbestand 1 Die Parteien s

Bundesarbeitsgericht Urteil, 21. Feb. 2013 - 2 AZR 433/12

bei uns veröffentlicht am 21.02.2013

Tenor 1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 17. Februar 2012 - 4 Sa 519/10 - aufgehoben.

Bundesarbeitsgericht Beschluss, 29. Juni 2011 - 7 ABR 135/09

bei uns veröffentlicht am 29.06.2011

Tenor Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 15. Mai 2009 - 18 TaBV 6/08 - wird zurückgewiesen.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 25. Nov. 2010 - 2 AZR 171/09

bei uns veröffentlicht am 25.11.2010

Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 1. Dezember 2008 - 6 Sa 817/08 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss, 24. Mai 2016 - 2 TaBV 22/15.

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss, 11. Juli 2017 - 5 TaBV 13/16

bei uns veröffentlicht am 11.07.2017

Tenor 1. Auf die Beschwerde der beteiligten Arbeitgeberin (Beteiligte zu 1) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Stralsund vom 03.05.2016, Aktenzeichen 1 BV 5/16, wird dieser teilweise abgeändert. Der Beteiligte zu 3) wird aus dem Betriebsra

Referenzen

(1) Die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Bordvertretung und des Seebetriebsrats, des Wahlvorstands sowie von Wahlbewerbern bedarf der Zustimmung des Betriebsrats.

(2) Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann das Arbeitsgericht sie auf Antrag des Arbeitgebers ersetzen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. In dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht ist der betroffene Arbeitnehmer Beteiligter.

(2a) Absatz 2 gilt entsprechend, wenn im Betrieb kein Betriebsrat besteht.

(3) Die Versetzung der in Absatz 1 genannten Personen, die zu einem Verlust des Amtes oder der Wählbarkeit führen würde, bedarf der Zustimmung des Betriebsrats; dies gilt nicht, wenn der betroffene Arbeitnehmer mit der Versetzung einverstanden ist. Absatz 2 gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass das Arbeitsgericht die Zustimmung zu der Versetzung ersetzen kann, wenn diese auch unter Berücksichtigung der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des betroffenen Arbeitnehmers aus dringenden betrieblichen Gründen notwendig ist.

(1) Von ihrer beruflichen Tätigkeit sind mindestens freizustellen in Betrieben mit in der Regel

200 bis 500Arbeitnehmern ein Betriebsratsmitglied,
501 bis 900Arbeitnehmern 2 Betriebsratsmitglieder,
901 bis 1.500Arbeitnehmern 3 Betriebsratsmitglieder,
1.501 bis 2.000Arbeitnehmern 4 Betriebsratsmitglieder,
2.001 bis 3.000Arbeitnehmern 5 Betriebsratsmitglieder,
3.001 bis 4.000Arbeitnehmern 6 Betriebsratsmitglieder,
4.001 bis 5.000Arbeitnehmern 7 Betriebsratsmitglieder,
5.001 bis 6.000Arbeitnehmern 8 Betriebsratsmitglieder,
6.001 bis 7.000Arbeitnehmern 9 Betriebsratsmitglieder,
7.001 bis 8.000Arbeitnehmern 10 Betriebsratsmitglieder,
8.001 bis 9.000Arbeitnehmern 11 Betriebsratsmitglieder,
9.001 bis 10.000Arbeitnehmern 12 Betriebsratsmitglieder.

In Betrieben mit über 10.000 Arbeitnehmern ist für je angefangene weitere 2.000 Arbeitnehmer ein weiteres Betriebsratsmitglied freizustellen. Freistellungen können auch in Form von Teilfreistellungen erfolgen. Diese dürfen zusammengenommen nicht den Umfang der Freistellungen nach den Sätzen 1 und 2 überschreiten. Durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung können anderweitige Regelungen über die Freistellung vereinbart werden.

(2) Die freizustellenden Betriebsratsmitglieder werden nach Beratung mit dem Arbeitgeber vom Betriebsrat aus seiner Mitte in geheimer Wahl und nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt. Wird nur ein Wahlvorschlag gemacht, so erfolgt die Wahl nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl; ist nur ein Betriebsratsmitglied freizustellen, so wird dieses mit einfacher Stimmenmehrheit gewählt. Der Betriebsrat hat die Namen der Freizustellenden dem Arbeitgeber bekannt zu geben. Hält der Arbeitgeber eine Freistellung für sachlich nicht vertretbar, so kann er innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach der Bekanntgabe die Einigungsstelle anrufen. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Bestätigt die Einigungsstelle die Bedenken des Arbeitgebers, so hat sie bei der Bestimmung eines anderen freizustellenden Betriebsratsmitglieds auch den Minderheitenschutz im Sinne des Satzes 1 zu beachten. Ruft der Arbeitgeber die Einigungsstelle nicht an, so gilt sein Einverständnis mit den Freistellungen nach Ablauf der zweiwöchigen Frist als erteilt. Für die Abberufung gilt § 27 Abs. 1 Satz 5 entsprechend.

(3) Der Zeitraum für die Weiterzahlung des nach § 37 Abs. 4 zu bemessenden Arbeitsentgelts und für die Beschäftigung nach § 37 Abs. 5 erhöht sich für Mitglieder des Betriebsrats, die drei volle aufeinanderfolgende Amtszeiten freigestellt waren, auf zwei Jahre nach Ablauf der Amtszeit.

(4) Freigestellte Betriebsratsmitglieder dürfen von inner- und außerbetrieblichen Maßnahmen der Berufsbildung nicht ausgeschlossen werden. Innerhalb eines Jahres nach Beendigung der Freistellung eines Betriebsratsmitglieds ist diesem im Rahmen der Möglichkeiten des Betriebs Gelegenheit zu geben, eine wegen der Freistellung unterbliebene betriebsübliche berufliche Entwicklung nachzuholen. Für Mitglieder des Betriebsrats, die drei volle aufeinanderfolgende Amtszeiten freigestellt waren, erhöht sich der Zeitraum nach Satz 2 auf zwei Jahre.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Bordvertretung und des Seebetriebsrats, des Wahlvorstands sowie von Wahlbewerbern bedarf der Zustimmung des Betriebsrats.

(2) Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann das Arbeitsgericht sie auf Antrag des Arbeitgebers ersetzen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. In dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht ist der betroffene Arbeitnehmer Beteiligter.

(2a) Absatz 2 gilt entsprechend, wenn im Betrieb kein Betriebsrat besteht.

(3) Die Versetzung der in Absatz 1 genannten Personen, die zu einem Verlust des Amtes oder der Wählbarkeit führen würde, bedarf der Zustimmung des Betriebsrats; dies gilt nicht, wenn der betroffene Arbeitnehmer mit der Versetzung einverstanden ist. Absatz 2 gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass das Arbeitsgericht die Zustimmung zu der Versetzung ersetzen kann, wenn diese auch unter Berücksichtigung der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des betroffenen Arbeitnehmers aus dringenden betrieblichen Gründen notwendig ist.

(1) Die Mitglieder des Betriebsrats führen ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt.

(2) Mitglieder des Betriebsrats sind von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist.

(3) Zum Ausgleich für Betriebsratstätigkeit, die aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der Arbeitszeit durchzuführen ist, hat das Betriebsratsmitglied Anspruch auf entsprechende Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts. Betriebsbedingte Gründe liegen auch vor, wenn die Betriebsratstätigkeit wegen der unterschiedlichen Arbeitszeiten der Betriebsratsmitglieder nicht innerhalb der persönlichen Arbeitszeit erfolgen kann. Die Arbeitsbefreiung ist vor Ablauf eines Monats zu gewähren; ist dies aus betriebsbedingten Gründen nicht möglich, so ist die aufgewendete Zeit wie Mehrarbeit zu vergüten.

(4) Das Arbeitsentgelt von Mitgliedern des Betriebsrats darf einschließlich eines Zeitraums von einem Jahr nach Beendigung der Amtszeit nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung. Dies gilt auch für allgemeine Zuwendungen des Arbeitgebers.

(5) Soweit nicht zwingende betriebliche Notwendigkeiten entgegenstehen, dürfen Mitglieder des Betriebsrats einschließlich eines Zeitraums von einem Jahr nach Beendigung der Amtszeit nur mit Tätigkeiten beschäftigt werden, die den Tätigkeiten der in Absatz 4 genannten Arbeitnehmer gleichwertig sind.

(6) Die Absätze 2 und 3 gelten entsprechend für die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen, soweit diese Kenntnisse vermitteln, die für die Arbeit des Betriebsrats erforderlich sind. Betriebsbedingte Gründe im Sinne des Absatzes 3 liegen auch vor, wenn wegen Besonderheiten der betrieblichen Arbeitszeitgestaltung die Schulung des Betriebsratsmitglieds außerhalb seiner Arbeitszeit erfolgt; in diesem Fall ist der Umfang des Ausgleichsanspruchs unter Einbeziehung der Arbeitsbefreiung nach Absatz 2 pro Schulungstag begrenzt auf die Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers. Der Betriebsrat hat bei der Festlegung der zeitlichen Lage der Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen die betrieblichen Notwendigkeiten zu berücksichtigen. Er hat dem Arbeitgeber die Teilnahme und die zeitliche Lage der Schulungs- und Bildungsveranstaltungen rechtzeitig bekannt zu geben. Hält der Arbeitgeber die betrieblichen Notwendigkeiten für nicht ausreichend berücksichtigt, so kann er die Einigungsstelle anrufen. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat.

(7) Unbeschadet der Vorschrift des Absatzes 6 hat jedes Mitglied des Betriebsrats während seiner regelmäßigen Amtszeit Anspruch auf bezahlte Freistellung für insgesamt drei Wochen zur Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen, die von der zuständigen obersten Arbeitsbehörde des Landes nach Beratung mit den Spitzenorganisationen der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände als geeignet anerkannt sind. Der Anspruch nach Satz 1 erhöht sich für Arbeitnehmer, die erstmals das Amt eines Betriebsratsmitglieds übernehmen und auch nicht zuvor Jugend- und Auszubildendenvertreter waren, auf vier Wochen. Absatz 6 Satz 2 bis 6 findet Anwendung.

(1) Die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehenden Kosten trägt der Arbeitgeber.

(2) Für die Sitzungen, die Sprechstunden und die laufende Geschäftsführung hat der Arbeitgeber in erforderlichem Umfang Räume, sachliche Mittel, Informations- und Kommunikationstechnik sowie Büropersonal zur Verfügung zu stellen.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 15. Mai 2009 - 18 TaBV 6/08 - wird zurückgewiesen.

Gründe

1

A. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Mitglieder des Betriebsrats verpflichtet sind, sich ab- und zurückzumelden, wenn sie an ihren Arbeitsplätzen Betriebsratstätigkeit versehen.

2

Die zu 2. beteiligte Arbeitgeberin ist ein Unternehmen für automobile Marktforschung mit etwa 220 Arbeitnehmern. Der zu 1. beteiligte Antragsteller ist der in ihrem Betrieb gewählte Betriebsrat. Er besteht aus neun Mitgliedern, die überwiegend im Bereich Informationstechnologie, zum Teil auch in der Datenerfassung und der Telefonzentrale beschäftigt sind.

3

Die Arbeitgeberin teilte dem Betriebsrat mit Schreiben vom 26. Oktober 2007 mit, seine Mitglieder hätten sich bei der Ausübung jeder Betriebsratstätigkeit bei ihrem Vorgesetzten ab- und zurückzumelden.

4

Der Betriebsrat hat in dem von ihm eingeleiteten Beschlussverfahren die Auffassung vertreten, es bestehe keine arbeitsvertragliche Nebenpflicht des Betriebsratsmitglieds, sich beim Arbeitgeber ab- und zurückzumelden, wenn Betriebsratstätigkeit verrichtet werde. Die Rechtsstellung des Betriebsratsmitglieds bestimme sich allein betriebsverfassungsrechtlich. Das Betriebsverfassungsgesetz begründe für die Befreiung von der Arbeitspflicht - anders als § 37 Abs. 6 BetrVG für die Teilnahme an Schulungsveranstaltungen - keine Ab- und Anmeldepflicht. Dem Betriebsratsmitglied obliege es lediglich nach dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit des § 2 Abs. 1 BetrVG, darüber zu entscheiden, ob die betrieblichen Belange es erforderten, den Arbeitgeber über die anstehende Betriebsratstätigkeit zu informieren. Das gelte auch dann, wenn das Betriebsratsmitglied den Arbeitsplatz nicht verlasse. Aus § 37 Abs. 2 BetrVG folge nur die Verpflichtung, dem Arbeitgeber nachträglich den zeitlichen Umfang der Betriebsratstätigkeit mitzuteilen. Da nur eine betriebsverfassungsrechtliche Obliegenheit und keine arbeitsvertragliche Nebenpflicht bestehe, könne der Arbeitgeber das Betriebsratsmitglied auch nicht aufgrund von § 106 Satz 1 GewO anweisen, sich ab- und zurückzumelden.

5

Der Betriebsrat hat vor dem Landesarbeitsgericht zuletzt beantragt

        

festzustellen, dass seine Mitglieder nicht verpflichtet sind, sich bei der Ausführung von Betriebsratstätigkeit am Arbeitsplatz an- und abzumelden;

        

hilfsweise

        

festzustellen, dass seine Mitglieder nicht verpflichtet sind, sich bei der Ausführung von Betriebsratstätigkeit am Arbeitsplatz an- und abzumelden, wenn dem Betriebsratsmitglied im Einzelfall eine Umorganisation der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeit bei gewissenhafter Prüfung nicht erforderlich erscheint.

6

Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge abzuweisen. Sie hat gemeint, die Betriebsratsmitglieder müssten sich aufgrund arbeitsvertraglicher Nebenpflicht ab- und zurückmelden, wenn sie Betriebsratstätigkeiten ausübten. Der Arbeitgeber müsse darüber informiert werden, dass die Arbeit beendet werde, um den Arbeitsablauf umorganisieren und auf die Betriebsratstätigkeit Rücksicht nehmen zu können. Das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit aus § 2 Abs. 1 BetrVG betreffe ausschließlich das betriebsverfassungsrechtliche Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und einzelnem Betriebsratsmitglied, wenn es betriebsverfassungsrechtliche Aufgaben wahrnehme. Für das Arbeitsverhältnis des Betriebsratsmitglieds mit dem Arbeitgeber gelte § 2 Abs. 1 BetrVG nicht. Das Betriebsratsmitglied habe unabhängig vom Verlassen des Arbeitsplatzes und der Dauer der Betriebsratstätigkeit keinen Beurteilungsspielraum in der Frage, ob es sich ab- und zurückmelde.

7

Das Arbeitsgericht hat die Anträge des Betriebsrats abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seinen Hauptantrag mit der Maßgabe der Ab- und Anmeldung weiter. Als Hilfsantrag hat der Betriebsrat mit der Rechtsbeschwerdebegründung zunächst nicht den im zweiten Rechtszug gestellten Eventualantrag angekündigt. Er hat vielmehr das Ziel verfolgt festzustellen, dass seine Mitglieder nur nach eigenem Ermessen verpflichtet sind, sich bei der Ausführung von Betriebsratstätigkeit am Arbeitsplatz ab- und anzumelden. In der Anhörung vor dem Senat hat der Betriebsrat klargestellt, dass er den Hilfsantrag in der Fassung zweiter Instanz mit der Maßgabe der Ab- und Anmeldung verfolgt. Die Arbeitgeberin hat der aus ihrer Sicht gegebenen Antragsänderung widersprochen. Der Betriebsrat hat höchst hilfsweise den Eventualantrag aus der Rechtsbeschwerdebegründung gestellt.

8

B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Anträge des Betriebsrats im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

9

I. Der Hauptantrag ist zulässig, aber unbegründet.

10

1. Die Verfahrensvoraussetzungen sind erfüllt.

11

a) Wie die gebotene Auslegung ergibt, will der Betriebsrat festgestellt wissen, dass sich das einzelne Betriebsratsmitglied unabhängig von der Art der zu leistenden Arbeit nicht für die Dauer der Betriebsratstätigkeit abmelden und sich danach nicht zurückmelden muss, wenn es seinen Arbeitsplatz nicht verlässt.

12

b) Mit diesem Verständnis ist der Hauptantrag zulässig.

13

aa) Der Senat hat im Beschlussverfahren zu entscheiden. Er hat die richtige Verfahrensart nach § 92 Abs. 2 Satz 1, § 73 Abs. 2, § 65 ArbGG nicht zu prüfen, wenn die Beteiligten die Verfahrensart - wie hier - in erster Instanz nicht gerügt haben. Das vom Betriebsrat gewählte Beschlussverfahren ist im Übrigen die richtige Verfahrensart (§ 2a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ArbGG). Die begehrte Feststellung ist betriebsverfassungsrechtlicher Art. Der Betriebsrat ist als Gremium berechtigt durchzusetzen, dass seine Mitglieder für erforderliche Betriebsratstätigkeiten von der Arbeitspflicht befreit werden und dabei nur den gesetzlich vorgesehenen Beschränkungen unterliegen(vgl. in dem anderen Zusammenhang der Geltendmachung von Schulungskosten zB BAG 17. November 2010 - 7 ABR 113/09 - Rn. 19 mwN, EzA BetrVG 2001 § 37 Nr. 10; ohne Problematisierung vorausgesetzt von BAG 14. Februar 1990 - 7 ABR 13/88 - zu B der Gründe, BB 1990, 1625; 23. Juni 1983 - 6 ABR 65/80 - zu II 1 und 2 der Gründe, BAGE 43, 109; in der Begründung abweichend BAG 27. Juni 1990 - 7 ABR 43/89 - zu II 1 der Gründe, BAGE 65, 230, das für die Zulässigkeit des Feststellungsantrags einen eigenen Anspruch des Betriebsrats(-gremiums) aus § 37 Abs. 2 BetrVG unterstellt).

14

bb) Der Hauptantrag ist hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Dem steht nicht entgegen, dass er sich auf verschiedene Fallgestaltungen der Abmeldung von der Arbeit wegen Betriebsratstätigkeit am Arbeitsplatz und der Rückmeldung danach bezieht. Er erfasst alle denkbaren Konstellationen, wenn das Betriebsratsmitglied den Arbeitsplatz nicht verlässt, und lässt deshalb nichts unbestimmt. Die Frage, ob die fehlende Verpflichtung, sich bei der Ausführung von Betriebsratstätigkeit am Arbeitsplatz ab- und zurückzumelden, in allen vom Hauptantrag erfassten Fallgestaltungen festgestellt werden kann, stellt sich erst bei der Prüfung, ob der Antrag begründet ist (vgl. BAG 17. August 2010 - 9 ABR 83/09 - Rn. 10 mwN, AP SGB IX § 95 Nr. 3 = EzA SGB IX § 95 Nr. 3). Ein solcher Globalantrag ist umfassend, aber nicht unbestimmt (BAG 17. November 2010 - 7 ABR 123/09 - Rn. 15, EzA BetrVG 2001 § 99 Eingruppierung Nr. 7).

15

cc) Der Hauptantrag wird den Anforderungen des § 256 Abs. 1 ZPO gerecht.

16

(1) Der Streit über die Ab- und Rückmeldepflicht eines Betriebsratsmitglieds bei der Ausübung von Betriebsratstätigkeit am Arbeitsplatz betrifft ein betriebsverfassungsrechtliches Rechtsverhältnis der Betriebsparteien im Sinne einer durch die Herrschaft von Rechtsnormen - hier § 37 Abs. 2, § 2 Abs. 1 BetrVG, § 241 Abs. 2 BGB - über einen konkreten Sachverhalt entstandenen rechtlichen Beziehung einer Person zu einer anderen Person(vgl. BAG 17. November 2010 - 7 ABR 123/09 - Rn. 20, EzA BetrVG 2001 § 99 Eingruppierung Nr. 7 ).

17

(2) Für den Streit über diese Pflicht kommt dem Betriebsrat das erforderliche Feststellungsinteresse gelöst von einem konkreten Ausgangsfall zu. Die Frage der Ab- und Rückmeldepflicht tritt im Betrieb häufiger auf, wie das Schreiben der Arbeitgeberin vom 26. Oktober 2007 zeigt. Das Problem kann sich künftig jederzeit wiederholen (vgl. für die Feststellung eines Mitbeurteilungsrechts BAG 17. November 2010 - 7 ABR 123/09 - Rn. 22, EzA BetrVG 2001 § 99 Eingruppierung Nr. 7).

18

2. Das Landesarbeitsgericht hat den Hauptantrag des Betriebsrats im Ergebnis zu Recht für unbegründet erachtet. Der uneingeschränkt gestellte Hauptantrag erfasst auch Fallgestaltungen, in denen er in der Sache erfolglos ist. Die umstrittenen Pflichten zur Abmeldung für die Dauer der am Arbeitsplatz auszuübenden Betriebsratstätigkeit und zur Rückmeldung nach ihrem Ende lassen sich weder allgemein bejahen noch generell verneinen. Sie hängen von den Umständen des Einzelfalls ab.

19

a) Nach § 37 Abs. 2 BetrVG sind nicht freigestellte Mitglieder des Betriebsrats von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung ihres Arbeitsentgelts zu befreien, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Der Arbeitgeber muss der Arbeitsbefreiung nicht zustimmen (vgl. nur BAG 15. März 1995 - 7 AZR 643/94 - zu I 1 der Gründe mwN, BAGE 79, 263). Ein Betriebsratsmitglied, das seinen Arbeitsplatz verlässt, um Aufgaben nach dem Betriebsverfassungsgesetz wahrzunehmen, hat sich aber nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aufgrund arbeitsvertraglicher Nebenpflicht beim Arbeitgeber abzumelden. Es ist auch verpflichtet, sich zurückzumelden, sobald es nach Beendigung der Betriebsratstätigkeit seine Arbeit wieder aufnimmt (vgl. BAG 13. Mai 1997 - 1 ABR 2/97 - zu B II 2 b der Gründe, AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 119 = EzA BetrVG 1972 § 37 Nr. 135; 15. März 1995 - 7 AZR 643/94 - zu I 1 der Gründe mwN, BAGE 79, 263; 15. Juli 1992 - 7 AZR 466/91 - zu 2 b bb der Gründe, BAGE 71, 14; 14. Februar 1990 - 7 ABR 13/88 - zu B 2 der Gründe, BB 1990, 1625; 23. Juni 1983 - 6 ABR 65/80 - zu II 1 der Gründe, BAGE 43, 109).

20

aa) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde treffen Betriebsratsmitglieder nicht nur kollektivrechtliche Obliegenheiten zur Ab- und Rückmeldung aufgrund des Gebots der vertrauensvollen Zusammenarbeit aus § 2 Abs. 1 BetrVG. Die Pflicht, sich beim Arbeitgeber abzumelden, wenn während der Arbeitszeit die geschuldete Arbeitsleistung nicht erbracht wird, trifft alle Arbeitnehmer gleichermaßen. Sie ist - ebenso wie die Rückmeldepflicht - eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht (vgl. nur BAG 13. Mai 1997 - 1 ABR 2/97 - zu B II 2 b der Gründe, AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 119 = EzA BetrVG 1972 § 37 Nr. 135; 15. März 1995 - 7 AZR 643/94 - zu I 1 b der Gründe, BAGE 79, 263; 15. Juli 1992 - 7 AZR 466/91 - zu 2 b bb der Gründe, BAGE 71, 14, das offenlässt, ob sich die Pflichten daneben auch aus dem in § 2 Abs. 1 BetrVG normierten kollektivrechtlichen Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit der Betriebsparteien ergeben).

21

bb) Die Meldepflichten dienen dem Zweck, dem Arbeitgeber die Arbeitseinteilung zu erleichtern, vor allem den Arbeitsausfall des Arbeitnehmers zu überbrücken (vgl. BAG 13. Mai 1997 - 1 ABR 2/97 - zu B II 2 c der Gründe mwN, AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 119 = EzA BetrVG 1972 § 37 Nr. 135). Um diesen Zweck zu erfüllen, genügt es, wenn das Betriebsratsmitglied bei der Abmeldung den Ort und die voraussichtliche Dauer der Betriebsratstätigkeit angibt. Aufgrund dieser Mindestangaben ist der Arbeitgeber imstande, die Arbeitsabläufe in geeigneter Weise zu organisieren und Störungen im Betriebsablauf zu vermeiden. Das Betriebsratsmitglied muss die Art der geplanten Betriebsratstätigkeit deshalb nicht mitteilen (vgl. BAG 15. März 1995 - 7 AZR 643/94 - zu I 1 b der Gründe, BAGE 79, 263 unter teilweiser Aufgabe von BAG 14. Februar 1990 - 7 ABR 13/88 - zu B 2 der Gründe, BB 1990, 1625). Wie das Betriebsratsmitglied die Meldungen bewirkt, ist seine Sache (vgl. BAG 13. Mai 1997 - 1 ABR 2/97 - aaO).

22

cc) Diese vertraglichen Nebenpflichten werden nicht dadurch zu betriebsverfassungsrechtlichen, kollektivrechtlich begründeten Pflichten, weil das Betriebsratsmitglied von der Arbeitspflicht befreit werden soll, um Betriebsratstätigkeit auszuüben. § 37 Abs. 2 BetrVG umschreibt nur einen besonderen, betriebsverfassungsrechtlich begründeten Anlass für eine Arbeitsbefreiung ohne Minderung des Anspruchs auf Arbeitsentgelt. Damit werden die Verpflichtungen, sich beim Arbeitgeber ab- und zurückzumelden, keine ausschließlich kollektivrechtlichen Pflichten. Dieselben Verpflichtungen treffen jeden Arbeitnehmer auch in anderen Fällen, in denen er Anspruch darauf hat, unter Fortzahlung der Bezüge von seiner Arbeitspflicht befreit zu sein. Die Ab- und Rückmeldepflichten beruhen ebenso wie der Entgeltanspruch, der dem Betriebsratsmitglied im Fall des § 37 Abs. 2 BetrVG erhalten bleibt, nicht auf Betriebsverfassungsrecht, sondern auf Individualrecht, dem Arbeitsvertrag(vgl. BAG 15. Juli 1992 - 7 AZR 466/91 - zu 2 b bb der Gründe, BAGE 71, 14). Sie sind als Rücksichtspflichten auf die Organisationsinteressen des Arbeitgebers iSv. § 241 Abs. 2 BGB zu verstehen.

23

b) Diese Grundsätze sind auf Fallgestaltungen zu übertragen, in denen das Betriebsratsmitglied seinen Arbeitsplatz nicht verlässt, um Betriebsratstätigkeit zu versehen. Grundsätzlich besteht auch in diesen Fällen eine Ab- und Rückmeldepflicht. Aufgrund der Umstände des Einzelfalls - etwa der Art der Arbeitsaufgabe, der wahrzunehmenden Betriebsratstätigkeit oder der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunterbrechung - können die Rücksichtspflichten jedoch entfallen. Der Arbeitgeber kann dann verlangen, dass ihm die Gesamtdauer der in einem bestimmten Zeitraum verrichteten Betriebsratstätigkeit nachträglich mitgeteilt wird. Da der Bestand der Ab- und Rückmeldepflichten von den Umständen des Einzelfalls abhängt, kann der Senat die mit dem Hauptantrag erstrebte Feststellung, dass die Betriebsratsmitglieder (generell) nicht verpflichtet sind, sich bei Ausführung von Betriebsratstätigkeit am Arbeitsplatz ab- und anzumelden, nicht treffen.

24

aa) Grundsätzlich hat sich auch das Betriebsratsmitglied, das am Arbeitsplatz während der Arbeitszeit Betriebsratstätigkeit verrichtet, beim Arbeitgeber abzumelden, die voraussichtliche Dauer der Betriebsratstätigkeit mitzuteilen und sich nach dem Ende der Arbeitsunterbrechung zurückzumelden. Das gebietet der Zweck der Pflichten, der in der Rücksicht auf die Organisationsinteressen des Arbeitgebers besteht. Dem Arbeitgeber soll insbesondere ermöglicht werden, den Arbeitsausfall zu überbrücken. Er soll darüber entscheiden können, ob und ggf. welche Maßnahmen er ergreifen will, um die aus seiner unternehmerischen Sicht unabdingbaren Arbeitsabläufe sicherzustellen.

25

bb) Das Betriebsratsmitglied ist nach dem Schutzzweck der Rücksichtspflichten allerdings nicht verpflichtet, sich beim Arbeitgeber abzumelden, bevor es an seinem Arbeitsplatz die Betriebsratstätigkeit aufnimmt, wenn eine vorübergehende Umorganisation der Arbeitseinteilung nicht ernsthaft in Betracht kommt. In solchen Konstellationen besteht auch keine Rückmeldepflicht. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls. Die Verpflichtung des Betriebsratsmitglieds, sich im Fall der während der Arbeitszeit geleisteten Betriebsratstätigkeit beim Arbeitgeber abzumelden, folgt nicht aus einem Recht des Arbeitgebers, bereits im Voraus zu erfahren, ob das Betriebsratsmitglied seiner Arbeitspflicht nachkommt, die ihm als Arbeitnehmer obliegt. Die Pflicht ist für die Dauer der Betriebsratstätigkeit nach § 37 Abs. 2 BetrVG gerade aufgehoben. Die Abmeldepflicht des Betriebsratsmitglieds beruht vielmehr auf dem berechtigten Interesse des Arbeitgebers daran, auf den Arbeitsausfall des Betriebsratsmitglieds umgehend reagieren und durch organisatorische Maßnahmen für Abhilfe sorgen zu können. Kommen solche organisatorischen Maßnahmen - zB wegen der Art der Tätigkeit, des Zeitpunkts und des Anlasses der Arbeitsunterbrechung sowie ihrer voraussichtlichen Dauer - nicht ernsthaft in Betracht, besteht kein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers daran, schon vor der Aufnahme der Betriebsratstätigkeit über sie informiert zu werden. Während der Arbeitgeber den Arbeitsausfall zB eines Fluglotsen oder Callcenterarbeitnehmers stets wird überbrücken müssen, wird es für ihn regelmäßig nicht ernsthaft in Betracht kommen, die Arbeit umzuorganisieren, wenn ein ausschließlich mit einem langfristig angelegten Projekt befasster Entwicklungsingenieur seine Tätigkeit kurzfristig unterbricht, um an seinem Arbeitsplatz Betriebsratsaufgaben wahrzunehmen. Entsprechendes wird gelten, wenn ein angestellter Lehrer während der Korrektur von Klassenarbeiten in seiner Eigenschaft als Betriebsratsmitglied ein Telefongespräch führt. In derartigen Konstellationen begründen die berechtigten organisatorischen Interessen des Arbeitgebers keine Ab- und Rückmeldepflicht des Betriebsratsmitglieds.

26

cc) Ist ein Betriebsratsmitglied wegen der konkreten Umstände nicht verpflichtet, sich vor und nach der Betriebsratstätigkeit ab- und zurückzumelden, kann der Arbeitgeber allerdings verlangen, dass ihm die Gesamtdauer der in einem bestimmten Zeitraum versehenen Betriebsratstätigkeiten nachträglich mitgeteilt wird. Er hat ein berechtigtes Interesse daran zu erkennen, für welche Zeiten er aufgrund von Betriebsratstätigkeit nach § 611 Abs. 1 BGB iVm. § 37 Abs. 2 BetrVG Entgelt leisten muss, obwohl der Arbeitnehmer keine Arbeit geleistet hat. Meldet sich das Betriebsratsmitglied ab und zurück, entfällt demgegenüber die Dokumentationspflicht (vgl. BAG 14. Februar 1990 - 7 ABR 13/88 - zu B 2 der Gründe, BB 1990, 1625).

27

c) Der Hauptantrag konnte deswegen keinen Erfolg haben. Er erfasst jedenfalls auch Fallgestaltungen, in denen die Betriebsratsmitglieder wegen der organisatorischen Interessen der Arbeitgeberin eine Ab- und Rückmeldepflicht trifft.

28

II. Der durch die Abweisung des Hauptantrags zur Entscheidung des Senats angefallene Hilfsantrag ist zulässig, aber in der Sache erfolglos.

29

1. Der Eventualantrag ist zulässig.

30

a) Er ist hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, wenn auch auslegungsbedürftig. Dem Betriebsrat geht es mit dem vor dem Landesarbeitsgericht zuletzt gestellten Hilfsantrag darum festzustellen, dass eine Ab- und Rückmeldepflicht des Betriebsratsmitglieds nicht besteht, wenn es eine Umorganisation der Arbeit während der Betriebsratstätigkeit am Arbeitsplatz im Einzelfall als nicht erforderlich beurteilt. Zu diesem Hilfsantrag ist der Betriebsrat in der Anhörung vor dem Senat mit einer redaktionellen Umformulierung vorrangig zurückgekehrt. Der ausgelegte, vorrangig gestellte Eventualantrag ist ausreichend konkret. Über ihn kann mit Rechtskraftwirkung zwischen den Beteiligten entschieden werden (§ 322 Abs. 1 ZPO).

31

b) Der Betriebsrat hat den Hilfsantrag nicht in unzulässiger Weise geändert, indem er in der Anhörung vor dem Senat anstelle des in der Rechtsbeschwerdebegründung angekündigten Eventualantrags vorrangig zu dem in zweiter Instanz zuletzt gestellten Hilfsantrag zurückgekehrt ist.

32

aa) Nach § 559 Abs. 1 ZPO ist eine Antragsänderung in der Revisions- oder Rechtsbeschwerdeinstanz grundsätzlich ausgeschlossen. Der Schluss der mündlichen Verhandlung oder Anhörung in zweiter Instanz bildet nicht nur hinsichtlich des tatsächlichen Vorbringens, sondern auch im Hinblick auf die Anträge der Parteien oder Beteiligten die Entscheidungsgrundlage für das Revisions- oder Rechtsbeschwerdegericht. Ausnahmen sind insbesondere aus verfahrensökonomischen Gründen möglich, etwa wenn sich der geänderte Sachantrag auf einen in der Beschwerdeinstanz festgestellten oder von den Beteiligten des Revisions- oder Rechtsbeschwerdeverfahrens übereinstimmend vorgetragenen Sachverhalt stützen kann, sich das rechtliche Prüfprogramm nicht wesentlich ändert und die Verfahrensrechte der Beteiligten durch eine Sachentscheidung nicht verkürzt werden (vgl. BAG 12. Januar 2011 - 7 ABR 15/09 - Rn. 19 mwN, EzA BetrVG 2001 § 99 Umgruppierung Nr. 7).

33

bb) In der Rückkehr zu dem letzten Hilfsantrag zweiter Instanz liegt keine unzulässige Antragsänderung. Der Betriebsrat hat in dritter Instanz denselben Antrag wie im zweiten Rechtszug gestellt. Dieser Antrag ist von der Rechtsbeschwerdebegründung gedeckt. Die beiden Antragsformulierungen unterscheiden sich nach gebotener Auslegung inhaltlich nicht. Der Betriebsrat reklamiert für das einzelne Betriebsratsmitglied einen Beurteilungsspielraum in der Frage, ob die Arbeitsabläufe im Einzelfall umzuorganisieren sind, wenn das Betriebsratsmitglied an seinem Arbeitsplatz Betriebsratstätigkeit versieht. Für den Fall, dass die Arbeitsabläufe nach der Beurteilung des Betriebsratsmitglieds im Einzelfall nicht umzuorganisieren sind, will der Betriebsrat festgestellt wissen, dass keine Ab- und Rückmeldepflicht besteht.

34

c) Die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO sind aus den für den Hauptantrag genannten Gründen erfüllt.

35

2. Der Hilfsantrag ist unbegründet. Die Ab- und Rückmeldepflicht eines Betriebsratsmitglieds entfällt nicht schon dann, wenn es ihm bei gewissenhafter Prüfung nicht erforderlich erscheint, die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeit umzuorganisieren. Sie entfällt vielmehr nur, wenn eine Umorganisation durch den Arbeitgeber anlässlich der vom Betriebsratsmitglied versehenen Betriebsratstätigkeit nicht ernsthaft in Betracht kommt.

36

3. Über den in der Anhörung vor dem Senat höchst hilfsweise gestellten weiteren Hilfsantrag aus der Rechtsbeschwerdebegründung hat der Senat nicht zu befinden. Er ist nicht für den Fall der Abweisung des vorrangig gestellten Eventualantrags in der Fassung zweiter Instanz gestellt, sondern für den Fall, dass der Senat in der Rückkehr zu dem früheren Hilfsantrag eine unzulässige Antragsänderung sieht. Diese Bedingung ist nicht eingetreten.

        

    Linsenmaier    

        

    Schmidt    

        

    Gallner    

        

        

        

Für den an der Unterschrift gehinderten
ehrenamtlichen Richter Schiller
    Linsenmaier    

        

    Glock    

                 

(1) Die Mitglieder des Betriebsrats führen ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt.

(2) Mitglieder des Betriebsrats sind von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist.

(3) Zum Ausgleich für Betriebsratstätigkeit, die aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der Arbeitszeit durchzuführen ist, hat das Betriebsratsmitglied Anspruch auf entsprechende Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts. Betriebsbedingte Gründe liegen auch vor, wenn die Betriebsratstätigkeit wegen der unterschiedlichen Arbeitszeiten der Betriebsratsmitglieder nicht innerhalb der persönlichen Arbeitszeit erfolgen kann. Die Arbeitsbefreiung ist vor Ablauf eines Monats zu gewähren; ist dies aus betriebsbedingten Gründen nicht möglich, so ist die aufgewendete Zeit wie Mehrarbeit zu vergüten.

(4) Das Arbeitsentgelt von Mitgliedern des Betriebsrats darf einschließlich eines Zeitraums von einem Jahr nach Beendigung der Amtszeit nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung. Dies gilt auch für allgemeine Zuwendungen des Arbeitgebers.

(5) Soweit nicht zwingende betriebliche Notwendigkeiten entgegenstehen, dürfen Mitglieder des Betriebsrats einschließlich eines Zeitraums von einem Jahr nach Beendigung der Amtszeit nur mit Tätigkeiten beschäftigt werden, die den Tätigkeiten der in Absatz 4 genannten Arbeitnehmer gleichwertig sind.

(6) Die Absätze 2 und 3 gelten entsprechend für die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen, soweit diese Kenntnisse vermitteln, die für die Arbeit des Betriebsrats erforderlich sind. Betriebsbedingte Gründe im Sinne des Absatzes 3 liegen auch vor, wenn wegen Besonderheiten der betrieblichen Arbeitszeitgestaltung die Schulung des Betriebsratsmitglieds außerhalb seiner Arbeitszeit erfolgt; in diesem Fall ist der Umfang des Ausgleichsanspruchs unter Einbeziehung der Arbeitsbefreiung nach Absatz 2 pro Schulungstag begrenzt auf die Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers. Der Betriebsrat hat bei der Festlegung der zeitlichen Lage der Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen die betrieblichen Notwendigkeiten zu berücksichtigen. Er hat dem Arbeitgeber die Teilnahme und die zeitliche Lage der Schulungs- und Bildungsveranstaltungen rechtzeitig bekannt zu geben. Hält der Arbeitgeber die betrieblichen Notwendigkeiten für nicht ausreichend berücksichtigt, so kann er die Einigungsstelle anrufen. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat.

(7) Unbeschadet der Vorschrift des Absatzes 6 hat jedes Mitglied des Betriebsrats während seiner regelmäßigen Amtszeit Anspruch auf bezahlte Freistellung für insgesamt drei Wochen zur Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen, die von der zuständigen obersten Arbeitsbehörde des Landes nach Beratung mit den Spitzenorganisationen der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände als geeignet anerkannt sind. Der Anspruch nach Satz 1 erhöht sich für Arbeitnehmer, die erstmals das Amt eines Betriebsratsmitglieds übernehmen und auch nicht zuvor Jugend- und Auszubildendenvertreter waren, auf vier Wochen. Absatz 6 Satz 2 bis 6 findet Anwendung.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 17. Februar 2012 - 4 Sa 519/10 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der Kläger war bei dem Beklagten - einer bayerischen Gemeinde - seit 1998 als Verwaltungsangestellter beschäftigt. Er hatte die Funktion des Leiters der EDV inne. Auf sein Arbeitsverhältnis fand der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) Anwendung. Laut Arbeitsvertrag war er zunächst in Vergütungsgruppe IV b der Anlage 1a zum BAT eingruppiert.

3

Im Juni 2009 hörte der Beklagte den Kläger erstmals zu einem Verdacht auf Arbeitszeitmanipulation an. Am 29. Juni 2009 beschloss der Gemeinderat, dem Kläger den Abschluss eines Aufhebungsvertrags anzubieten. Da der Kläger das Angebot nicht annahm, führte der Beklagte weitere Ermittlungen durch. Zu deren Ergebnissen wurde der Kläger am 11. November 2009 angehört. Er nahm am 19. November 2009 zu den Vorwürfen Stellung.

4

Auf der Tagesordnung der nächsten Sitzung des Gemeinderats des Beklagten am 2. Dezember 2009 hieß es unter Punkt 3.3:

        

„[Name des Klägers]: Beratung und ggf. Beschlussfassung über arbeitsrechtliche Konsequenzen.“

5

Am Sitzungstag beschloss der Gemeinderat gegen Mitternacht, die Beratung und Beschlussfassung über die den Kläger betreffende Angelegenheit auf den 8. Dezember 2009 zu vertagen. In dieser Sitzung informierte der erste Bürgermeister den Gemeinderat über die nach Abschluss der Ermittlungen gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe. Der Gemeinderat beschloss daraufhin, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich zu kündigen.

6

Mit Schreiben vom 14. Dezember 2009 hörte der erste Bürgermeister den Personalrat unter Schilderung der Vorwürfe zu dieser Absicht an. Der Personalrat verweigerte mit Schreiben vom 17. Dezember 2009 die Zustimmung. Er rügte, dass er nicht vor der endgültigen Entscheidung des Gemeinderats beteiligt worden sei, und vertrat die Auffassung, die vom Beklagten vorgetragenen Gründe seien nicht geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Es beständen zudem „erhebliche rechtliche Bedenken am Zeitpunkt“ des Kündigungsausspruchs.

7

Am 18. Dezember 2009 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos.

8

Mit seiner rechtzeitig erhobenen Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht. Er habe seine Arbeitszeit stets korrekt erfasst. Zudem sei die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten worden. Der Beklagte habe schon die Ermittlungen zu zögerlich durchgeführt. Spätestens am 2. Dezember 2009 aber sei die Frist in Lauf gesetzt worden, weil die Angelegenheit an diesem Tag sogar auf der Tagesordnung gestanden habe. Auch sei die Beteiligung des Personalrats nicht ordnungsgemäß erfolgt. Sie hätte vor und nicht erst nach einer endgültigen Beschlussfassung des Gemeinderats durchgeführt werden müssen.

9

Der Kläger hat, soweit für die Revision von Belang, beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 18. Dezember 2009 nicht beendet worden ist.

10

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat behauptet, der Kläger habe im Zeitraum von August 2008 bis Mai 2009 in mindestens zwölf Fällen etwa zehn bis fünfzehn Minuten vor dem Betreten des Dienstgebäudes telefonische „Kommt-Buchungen“ vorgenommen und dadurch die Erfassung seiner Arbeitszeit manipuliert. Um den im Juni 2009 entstandenen Anfangsverdacht belegen zu können, habe es umfangreicher Ermittlungen bedurft, welche erst im November 2009 abgeschlossen gewesen seien. Die Angelegenheit sei sodann auf die Tagesordnung der nächsten Gemeinderatssitzung gesetzt worden. Um Mitternacht sei es für keinen der Beteiligten mehr zumutbar gewesen, auch die Angelegenheit des Klägers noch zu behandeln. Der Personalrat sei ordnungsgemäß beteiligt worden. Erst nachdem seine Stellungnahme vorgelegen habe, habe der erste Bürgermeister die Kündigung ausgesprochen.

11

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist begründet. Das angegriffene Urteil war aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen durfte das Landesarbeitsgericht die außerordentliche Kündigung nicht als unwirksam ansehen. Seine Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die Sache war an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Senat kann nicht abschließend entscheiden. Der relevante Sachverhalt ist noch nicht hinreichend festgestellt (§ 563 Abs. 3 ZPO).

13

I. Die Kündigung ist nicht deshalb unwirksam, weil der erste Bürgermeister des Beklagten den Kündigungsbeschluss nicht selbst gefasst, sondern einen Beschluss des Gemeinderats ausgeführt hat. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass der Gemeinderat gem. Art. 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BayGO für den Ausspruch der Kündigung zuständig war. Der Kläger gehört als ursprünglich in Vergütungsgruppe IV b der Anlage 1a zum BAT eingruppierter Arbeitnehmer mangels gegenteiliger Anhaltspunkte zur Gruppe der „Arbeitnehmer ab Entgeltgruppe 9 TVöD“ iSd. Vorschrift.

14

II. Die Kündigung ist nicht wegen unzureichender Anhörung des Personalrats unwirksam (Art. 77 Abs. 3, Abs. 4 BayPVG). Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts musste diese gem. Art. 77 Abs. 3 BayPVG zwar vor Ausspruch der Kündigung, nicht aber entsprechend Art. 70 Abs. 1 Satz 4, Satz 5 BayPVG schon vor dem endgültigen Kündigungsentschluss des Gemeinderats erfolgen. Es kann deshalb dahinstehen, ob ein Verstoß gegen diese Vorschrift zur Fehlerhaftigkeit der Personalratsanhörung und Unwirksamkeit der Kündigung führen würde.

15

1. Gem. Art. 77 Abs. 3 BayPVG ist der Personalrat vor dem Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung anzuhören. Der Dienststellenleiter hat die beabsichtigte Maßnahme zu begründen. Hat der Personalrat Bedenken, hat er sie unter Angabe der Gründe dem Dienststellenleiter unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Arbeitstagen schriftlich mitzuteilen.

16

2. Eine bestimmte zeitliche Reihenfolge von Anhörung des Personalrats und Beschlussfassung des Gemeinderats ist gesetzlich nicht vorgesehen.

17

a) Allerdings soll nach Art. 70 Abs. 1 Satz 4 BayPVG bei Gemeinden die Mitbestimmung erfolgen, bevor das zuständige Organ endgültig entscheidet. Der Beschluss des Personalrats ist dem zuständigen Organ zur Kenntnis zu bringen. Diese Regelung gilt gem. Art. 72 Abs. 1 Satz 3 BayPVG entsprechend für Maßnahmen, an denen der Personalrat - wie bei der ordentlichen Kündigung(Art. 77 Abs. 1 Satz 1 BayPVG) - mitwirkt.

18

b) Dagegen wird für das in Art. 77 Abs. 3 BayPVG geregelte Verfahren der Anhörung vor außerordentlichen Kündigungen nicht auf die Bestimmung des Art. 70 Abs. 1 Satz 4 BayPVG verwiesen. Die Notwendigkeit einer Anhörung des Personalrats vor der Beschlussfassung des Gemeinderats lässt sich deshalb - anders als offenbar das Landesarbeitsgericht angenommen hat - nicht unmittelbar aus einer gesetzlich gebotenen Anwendung von Art. 70 Abs. 1 Satz 4 BayPVG ableiten.

19

c) Für eine analoge Anwendung der in Fällen der Mitwirkung des Personalrats geltenden Verweisungsregelung des Art. 72 Abs. 1 Satz 3 BayPVG auf die Fälle der Anhörung des Personalrats iSv. Art. 75 Abs. 3 BayPVG ist kein Raum.

20

aa) Auch wenn der Wortsinn des Gesetzes die Grenze der Auslegung markiert, ist er für die Rechtsanwendung durch die Gerichte keine unübersteigbare Grenze. Der Richter hat nicht zwingend am Wortsinn einer Norm haltzumachen (BVerfG 14. Februar 1973 - 1 BvR 112/65 - zu C IV 1 der Gründe, BVerfGE 34, 269). Sowohl seitens der Methodenlehre als auch von Verfassungs wegen kann es für ihn wegen der Bindung an Gesetz „und Recht“ nach Art. 20 Abs. 3 GG geboten sein, das vom Gesetz Gewollte gegen das im Gesetz Gesagte zur Geltung zu bringen. Zur wortsinnübersteigenden Gesetzesanwendung durch Analogie oder wortsinnunterschreitenden Nichtanwendung des Gesetzes durch teleologische Reduktion bedarf es dabei einer besonderen Legitimation. Analoge Gesetzesanwendung setzt voraus, dass der gesetzessprachlich nicht erfasste, dh. gesetzlich ungeregelte Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen nach der gleichen Rechtsfolge verlangt, wie die gesetzessprachlich erfassten Fälle. Teleologische Reduktion setzt umgekehrt voraus, dass der gesetzessprachlich erfasste, dh. der gesetzlich in bestimmter Weise geregelte Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes nach einer anderen Entscheidung verlangt als die übrigen geregelten Fälle, um Wertungswidersprüche zu vermeiden (BAG 14. Februar 2007 - 7 ABR 26/06 - Rn. 55, BAGE 121, 212; 29. September 2004 - 1 ABR 39/03 - zu B III 2 b der Gründe, BAGE 112, 100).

21

bb) Hier ist eine analoge Anwendung von Art. 72 Abs. 1 Satz 3, Art. 70 Abs. 1 Satz 4 BayPVG auf die Fälle der Anhörung des Personalrats nach Art. 75 Abs. 3 BayPVG nicht geboten. Die Sachverhalte von Mitbestimmung/Mitwirkung auf der einen und bloßer Anhörung des Personalrats auf der anderen Seite sind zu verschieden, als dass sie nach einer gleichen Ausgestaltung des Beteiligungsverfahrens verlangten. In den Fällen der Mitbestimmung und der Mitwirkung sehen Art. 70 bzw. Art. 72 BayPVG mehrstufige Verständigungsverfahren zwischen Dienststellenleiter und Personalrat vor, wenn dieser der beabsichtigten Maßnahme seine Zustimmung versagt bzw. Einwendungen gegen sie erhebt. Der Dienststellenleiter kann die beabsichtigte Maßnahme nicht wirksam durchführen, wenn er das betreffende weitere Verfahren nicht einhält. Bei seiner endgültigen Entscheidung soll das zuständige Gemeindeorgan deshalb mögliche Verweigerungsgründe bzw. Einwendungen des Personalrats kennen, um angesichts ihrer beurteilen zu können, ob es an der beabsichtigten Maßnahme trotz ihrer zumindest vorläufigen Undurchführbarkeit und der Notwendigkeit eines Verständigungsverfahrens nach Art. 70 bzw. Art. 72 BayPVG festhalten will. Diese wegen Art. 77 Abs. 1 BayPVG für die ordentliche Kündigung gegebene Situation liegt bei außerordentlichen Kündigungen nicht vor. Auch wenn der Personalrat im Rahmen der Anhörung nach Art. 77 Abs. 3 BayPVG Bedenken gegen die beabsichtigte Kündigung erhebt, ist der Dienststellenleiter nicht gehalten, vor Ausspruch der Kündigung das Verfahren nach Art. 72 Abs. 3, Abs. 4 BayPVG einzuhalten. Er kann die Kündigung vielmehr - wie der Arbeitgeber nach § 102 BetrVG - trotz der Bedenken des Personalrats erklären, ohne weitere verfahrensrechtliche Vorgaben beachten zu müssen. Damit wiederum verlangen Gleichheitssatz und gesetzliche Wertungskonsistenz nicht danach, Art. 70 Abs. 1 Satz 4 BayPVG über das geschriebene Gesetz hinaus auf die Fälle einer Anhörung des Personalrats nach Art. 77 Abs. 3 BayPVG entsprechend anzuwenden.

22

cc) Eine analoge Anwendung ist auch nicht deshalb geboten, weil nur so Sinn und Zweck einer Anhörung des Personalrats gewahrt und erreicht werden könnten. Zwar soll die Anhörung den Arbeitgeber dazu veranlassen, eine geplante Kündigung zu überdenken, sich mit den Argumenten des Personalrats auseinanderzusetzen und ggf. von der Kündigung Abstand zu nehmen (vgl. BAG 27. November 2008 - 2 AZR 98/07 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 90 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 4; zu § 102 BetrVG KR/Etzel 10. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 8). Dieser Zweck wird jedoch auch dann nicht verfehlt, wenn dem Gemeinderat in den Fällen der außerordentlichen Kündigung die Stellungnahme des Personalrats bei seiner Beschlussfassung noch nicht bekannt ist. Dem Schutzzweck der Personalratsbeteiligung ist vielmehr durch die Bestimmungen der bayerischen Gemeindeordnung hinreichend Rechnung getragen. Der erste Bürgermeister führt nicht nur den Vorsitz im Gemeinderat und vollzieht als ausführendes Organ dessen Beschlüsse (Art. 36 BayGO). Der Gesetzgeber hat ihm auch die Funktion des Dienststellenleiters iSv. Art. 7 Abs. 1, Abs. 2 BayPVG und in Art. 43 Abs. 3 BayGO die des Dienstvorgesetzten der Beamten und Angestellten der Gemeinde übertragen. Im Rahmen dieser Funktionen gehört die eigenständige Durchführung der Personalratsanhörung zu seinen gesetzlichen Aufgaben. Damit hat ihm der Gesetzgeber eine - wenn auch nicht stets das Kündigungsrecht als solches umfassende - partielle Personalkompetenz zugewiesen. In deren Rahmen hat er die Pflicht zur sachlichen Beurteilung. Sie verlangt von ihm, die Stellungnahme des Personalrats gewissenhaft inhaltlich zu prüfen und die Angelegenheit dem Gemeinderat für den Fall, dass die Stellungnahme zu Bedenken an der Berechtigung des Kündigungsentschlusses Anlass gibt, erneut zuzuleiten.

23

d) Die Senatsrechtsprechung steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Nach der Entscheidung vom 18. Mai 1994 (- 2 AZR 930/93 - zu III 1 b der Gründe, AP BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 33 = EzA BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 6) ist zwar umgekehrt die Personalratsanhörung nicht deshalb fehlerhaft, weil sie ohne Vorliegen eines Kündigungsentschlusses des zuständigen Gremiums durchgeführt wurde, um dieses erst anschließend und unter Vorlage der Stellungnahme des Personalrats mit der Angelegenheit zu befassen. Das bedeutet aber nicht, dass die hier eingeschlagene Vorgehensweise rechtswidrig wäre.

24

3. Danach ist die Anhörung des Personalrats ordnungsgemäß erfolgt. Dieser ist am 14. Dezember 2009 unter Schilderung des aus Sicht des Beklagten kündigungsrelevanten Sachverhalts über die beabsichtigte Kündigung unterrichtet worden. Der Kläger hat die inhaltliche Richtigkeit der Information nicht gerügt. Der Personalrat hat binnen dreier Tage unter Angabe formaler und inhaltlicher Gründe erklärt, seine Zustimmung zur Kündigung zu verweigern. Damit war das Anhörungsverfahren nach Maßgabe von Art. 77 Abs. 3 BayPVG am 17. Dezember 2009 - also vor Ausspruch der Kündigung - ordnungsgemäß abgeschlossen. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Stellungnahme des Personalrats dem ersten Bürgermeister Anlass dafür hätte sein müssen, den Gemeinderat vor der Ausführung des Kündigungsbeschlusses erneut mit der Sache zu befassen.

25

III. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erweist sich derzeit nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis zutreffend. Die außerordentliche Kündigung ist nach den bisherigen Feststellungen nicht deshalb unwirksam, weil der Beklagte die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt hätte.

26

1. Nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen.

27

a) Die Frist beginnt nach Abs. 2 Satz 2 der Norm mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Zu den maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände (BAG 22. November 2012 - 2 AZR 732/11 - Rn. 30; 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 15, BAGE 137, 54). Der Kündigungsberechtigte, der bislang nur Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann deshalb nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen begänne(BAG 25. November 2010 - 2 AZR 171/09 - AP BGB § 626 Nr. 231 = EzA BPersVG § 108 Nr. 5; 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - zu B I 3 der Gründe, AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 46 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 9). Sind die Ermittlungen abgeschlossen und hat er eine hinreichende Kenntnis vom Kündigungssachverhalt, beginnt der Lauf der Ausschlussfrist. Unbeachtlich ist, ob die Ermittlungsmaßnahmen tatsächlich zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen haben oder überflüssig waren (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 171/09 - aaO; 5. Dezember 2002 - 2 AZR 478/01 - zu B I 3 c bb (1) der Gründe, AP BGB § 123 Nr. 63 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 1).

28

b) Neben den Mitgliedern der Organe von juristischen Personen und Körperschaften gehören zu den Kündigungsberechtigten auch die Mitarbeiter, denen der Arbeitgeber das Recht zur außerordentlichen Kündigung übertragen hat. Dagegen ist die Kenntnis anderer Personen für den Lauf der Ausschlussfrist grundsätzlich unbeachtlich. Dies gilt auch dann, wenn den Mitarbeitern Aufsichtsfunktionen übertragen worden sind (BAG 23. Oktober 2008 - 2 AZR 388/07 - Rn. 21, AP BGB § 626 Nr. 217 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 23; 26. November 1987 - 2 AZR 312/87 - RzK I 6g Nr. 13). Nur ausnahmsweise muss sich der Arbeitgeber die Kenntnis solcher Personen nach Treu und Glauben zurechnen lassen. Dazu müssen diese Personen eine herausgehobene Position und Funktion im Betrieb oder in der Verwaltung haben sowie tatsächlich und rechtlich in der Lage sein, einen Sachverhalt, der Anhaltspunkte für eine außerordentliche Kündigung bietet, so umfassend zu klären, dass mit ihrer Mitteilung der Kündigungsberechtigte ohne weitere eigene Nachforschungen seine (Kündigungs-)Entscheidung abgewogen treffen kann. Dementsprechend müssen diese Mitarbeiter in einer ähnlich selbständigen Stellung sein, wie ein gesetzlicher oder rechtsgeschäftlicher Vertreter des Arbeitgebers (BAG 23. Oktober 2008 - 2 AZR 388/07 - Rn. 22, aaO; 18. Mai 1994 - 2 AZR 930/93 - zu II 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 33 = EzA BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 6; KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 355 mwN; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 810). Voraussetzung für eine Zurechenbarkeit der Kenntnisse dieser Personen zum Arbeitgeber ist ferner, dass die Verzögerung bei der Kenntniserlangung in dessen eigener Person auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebs oder der Verwaltung beruht (BAG 23. Oktober 2008 - 2 AZR 388/07 - Rn. 22, aaO; 18. Mai 1994 - 2 AZR 930/93 - aaO; KR/Fischermeier § 626 BGB Rn. 355).

29

2. Danach hat der Beklagte die Erklärungsfrist gewahrt.

30

a) Maßgebend für den Beginn der Frist ist im Streitfall die Kenntnis des Gemeinderats als des gem. Art. 43 BayGO kündigungsberechtigten Organs. Dieser hatte erst aufgrund der Erörterungen in der Sitzung vom 8. Dezember 2009 Kenntnis von den aus seiner Sicht eine außerordentliche Kündigung begründenden Tatsachen erlangt. Diese waren ihm weder mit der Ladung noch in der Sitzung vom 2. Dezember 2009 mitgeteilt worden. Zwar war der Gemeinderat bereits am 29. Juni 2009 mit Vorwürfen gegen den Kläger befasst. An diesem Tag wurde jedoch lediglich beschlossen, dem Kläger einen Aufhebungsvertrag anzubieten. Falls er diesen nicht annähme, sollten weitere Ermittlungen durchgeführt werden. Der Gemeinderat besaß zu diesem Zeitpunkt noch keine aus seiner Sicht hinreichenden, eine außerordentliche Kündigung rechtfertigenden Kenntnisse.

31

b) Der Beklagte muss sich die schon länger währende Kenntnis seines ersten Bürgermeisters von den dem Kündigungsentschluss zugrunde liegenden Umständen nicht zurechnen lassen. Der erste Bürgermeister hat zwar als Vorgesetzter der Gemeindebediensteten und Vorsitzender des Gemeinderats eine herausgehobene Stellung (vgl. BAG 18. Mai 1994 - 2 AZR 930/93 - zu II 3 b der Gründe, AP BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 33 = EzA BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 6). Die Tatsache, dass der Gemeinderat erst am 8. Dezember 2009 von den aus seiner Sicht kündigungsrelevanten Tatsachen Kenntnis erlangt hat, beruht aber nicht auf einem Organisationsverschulden.

32

aa) Es stellt kein solches Verschulden dar, dass der Gemeinderat seine turnusgemäßen Sitzungen im Abstand von mehreren Wochen abhält. Der Gemeinderat muss nicht im Vorhinein mit Blick auf mögliche, nur im Ausnahmefall notwendig werdende außerordentliche Kündigungen einen engeren Sitzungsrhythmus einplanen. Nach dem Schutzzweck des § 626 Abs. 2 BGB ist es unbedenklich, eine außerordentliche Kündigung in der turnusmäßig nächsten Sitzung eines Gemeinderats zu beraten. Für den Arbeitnehmer iSv. Art. 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BayGO ist erkennbar, dass der erste Bürgermeister auch bei eigener Kenntnis der aus seiner Sicht eine außerordentliche Kündigung rechtfertigenden Umstände eines Beschlusses des Gemeinderats bedarf und dieser in der Regel erst in der nächsten Sitzung herbeigeführt werden kann(BAG 18. Mai 1994 - 2 AZR 930/93 - zu II 3 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 33 = EzA BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 6).

33

bb) Es kann nicht als Organisationsmangel angesehen werden, dass der erste Bürgermeister keine Sondersitzung des Gemeinderats einberufen hat. Mit Blick auf die Größe des Gremiums und die einzuhaltenden Ladungsfristen hätte dies einen nicht gerechtfertigten Aufwand verursacht (vgl. BAG 18. Mai 1994 - 2 AZR 930/93 - zu II 3 c dd der Gründe, AP BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 33 = EzA BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 6).

34

cc) Es ist dem Beklagten nicht anzulasten, dass der Gemeinderat die Beratung über eine Kündigung des Arbeitsvertrags mit dem Kläger nicht mehr - nach Mitternacht - in der Sitzung vom 2. Dezember 2009 erörtert, sondern diesen Tagesordnungspunkt um sechs Tage auf die Sitzung vom 8. Dezember 2009 vertagt hat. Dies erscheint mit Blick auf die Belange der Gemeinderatsmitglieder und die Interessen des Klägers, der einen Anspruch auf sorgfältige Beratung der ihn betreffenden personellen Angelegenheit hat, als vertretbare Verzögerung. Der Gemeinderat hat - anders als der Kläger gemeint hat - personelle Maßnahmen in der Sitzung am 2. Dezember 2009 nicht vorrangig behandeln müssen. Dem Gemeinderat steht in Bezug auf die Reihenfolge der Beratungen ein Beurteilungsspielraum zu. Den hat er im Streitfall nicht überschritten. Es ist nicht unsachlich oder willkürlich, die Tagesordnungspunkte in der vom Vorsitzenden in der Einladung vorgegebenen Reihenfolge abzuhandeln. Das gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - nicht von vornherein mit der Vertagung eines oder mehrerer Tagesordnungspunkte zu rechnen ist.

35

IV. Das Landesarbeitsgericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - nicht geprüft, ob ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung iSd. § 626 Abs. 1 BGB gegeben war. Ebenso wenig ist es dem Vortrag des Klägers nachgegangen, die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei aufgrund der zögerlichen Durchführung der Ermittlungen bereits vor dem 2. Dezember 2009 verstrichen gewesen. Über beides vermag der Senat mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen nicht selbst zu entscheiden.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rinck    

        

        

        

    Söller    

        

    B. Schipp    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 1. Dezember 2008 - 6 Sa 817/08 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der im Jahr 1967 geborene Kläger arbeitete seit dem 1. März 1989 bei der beklagten Stadt. Er war ab 2002 in der Einsatzzentrale des Eigenbetriebs WEB (Abfallwirtschaft und Stadtentwässerung) in der Einsatzsteuerung der Straßenreinigung und der Abfallsammlung tätig. Zum 1. Januar 2005 wurde die Straßenreinigung in den unselbständigen Eigenbetrieb SGW („Straße und Grün“ in W) eingegliedert. Nach dem Arbeitsvertrag vom 1. Februar 2002 erhielt er eine Vergütung nach der Vergütungsgruppe VII BAT.

3

Anfang September 2006 erhielt die Beklagte den Hinweis, dass seit Mai 2006 regelmäßig einmal in der Woche in einer bestimmten Straße im „Einsatzbezirk 2“ Abfälle aus einem privaten Fahrzeug in ein Abfallsammelfahrzeug der Stadt umgeladen würden. Die Werksleitung beauftragte daraufhin eine Detektei mit Ermittlungen. Deren Mitarbeiter observierten in der Zeit vom 12. September bis zum 7. November 2006 das Entsorgungsteam des Einsatzbezirks 2. Sie stellten fest, dass in der betreffenden Straße regelmäßig von einem dort wartenden Geländewagen mit Anhänger Müll in die Abfallfahrzeuge W und WH umgeladen wurde, ohne dass der sich in Entsorgungsbehältern der Stadt befunden hätte. Halter und Eigentümer des Geländefahrzeugs samt Anhängers war der Kläger. Fahrer der Müllfahrzeuge war jeweils laut Einsatzplan der Vater des Klägers. Am 8. November 2006 übergab die Detektei der Beklagten ihren Bericht nebst Videoaufnahmen. Am 14. November 2006 hörte die Beklagte den Kläger zu den Vorwürfen an. Der Kläger bestätigte, Halter des Geländewagens und des Anhängers zu sein, erklärte aber, er teile sich diese mit zwei Freunden.

4

Mit Schreiben vom 16. November 2006 bat der Werksleiter des Eigenbetriebs SGW dessen Personalrat um die „Herstellung des Benehmens“ zur fristlosen Kündigung des Klägers. Dieses wurde am 21./22. November 2006 erzielt. Der Personalrat des Eigenbetriebs WEB und der Gesamtpersonalrat wurden nicht beteiligt.

5

Mit einem vom Oberbürgermeister unterzeichneten Schreiben vom 28. November 2006 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos zum 30. November 2006.

6

Der Kläger hat Kündigungsschutzklage erhoben und geltend gemacht, es liege kein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung vor. Er habe sich an der „Schwarzentsorgung“ nicht beteiligt. Die Beklagte habe außerdem die zweiwöchige Frist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt. Sie habe seit dem 8. November 2006 von dem maßgeblichen Sachverhalt vollständige Kenntnis gehabt. Die Anhörung am 14. November 2006 habe nicht der Aufklärung weiterer Tatsachen gedient. Im Übrigen sei der falsche Personalrat beteiligt worden. Da er Angestellter der Beklagten und nicht des Eigenbetriebs SGW sei, habe der Gesamtpersonalrat beteiligt werden müssen.

7

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 28. November 2006 nicht aufgelöst worden ist.

8

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beteiligung an illegaler Abfallentsorgung rechtfertigte die außerordentliche Kündigung. Der Kläger habe an mehreren Tagen bei verschiedenen Firmen Müll eingesammelt und von seinem Fahrzeug in eines ihrer Entsorgungsfahrzeuge umgeladen. Durch entgangene Entsorgungsgebühren, aufgewendete Personalkosten und die Kosten der Detektei sei ihr ein Schaden von mehr als 9.000,00 Euro entstanden. Da sie vor Ausspruch der Kündigung auch mögliche entlastende Gesichtspunkte habe ermitteln müssen, sei es erforderlich gewesen, den Kläger selbst anzuhören. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei deshalb gewahrt. Mit dem Personalrat des Eigenbetriebs SGW sei das zuständige Gremium beteiligt worden. Für die Mitarbeiter des Eigenbetriebs SGW treffe der Werksleiter die fraglichen Entscheidungen, ihm seien die personalrechtlichen Befugnisse übertragen worden.

9

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag weiter.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision hat keinen Erfolg. Es liegt ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 626 Abs. 1 BGB vor. Die Beklagte hat die fristlose Kündigung rechtzeitig iSd. § 626 Abs. 2 BGB ausgesprochen. Der zuständige Personalrat ist ordnungsgemäß beteiligt worden.

11

I. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht das Vorliegen eines wichtigen Grundes zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers angenommen.

12

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

13

2. Rechtsfehlerfrei ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger durch seine mehrfache Beteiligung an der umfangreichen illegalen Entsorgung von privatem Müll mit Hilfe städtischer Müllfahrzeuge seine arbeitsvertraglichen Pflichten erheblich verletzt hat. Der Kläger hat es an der nach § 241 Abs. 2 BGB gebotenen Rücksicht auf die berechtigten Interessen der Beklagten fehlen lassen und deren Vertrauen in seine Redlichkeit schwer verletzt. Durch sein Verhalten hat er der Beklagten nicht nur „Konkurrenz“ gemacht, sondern sie auch um Gebühreneinnahmen gebracht. Die Revision greift diese Würdigung nicht an. Dies gilt auch hinsichtlich der revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts.

14

II. Die außerordentliche Kündigung vom 28. November 2006 wurde innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB erklärt.

15

1. Nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Diese Frist beginnt nach Abs. 2 Satz 2 der Norm mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Die Bestimmung ist ein gesetzlich konkretisierter Verwirkungstatbestand (Senat 26. Juni 2008 - 2 AZR 190/07 - Rn. 23, AP BGB § 626 Nr. 213 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 21; 2. Februar 2006 - 2 AZR 57/05 - Rn. 18, AP BGB § 626 Nr. 204 = EzA BGB 2002 § 626 Ausschlussfrist Nr. 1). Ihr Ziel ist es, dem Arbeitnehmer rasch Klarheit darüber zu verschaffen, ob der Kündigungsberechtigte einen bestimmten Sachverhalt zum Anlass für eine außerordentliche Kündigung nimmt. Die Frist beginnt, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis von den maßgebenden Tatsachen hat und ihm deshalb eine fundierte Entscheidung über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses möglich ist (Senat 26. Juni 2008 - 2 AZR 190/07 - aaO; 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 3; 2. Februar 2006 - 2 AZR 57/05 - Rn. 19, aaO). Zu den maßgeblichen Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände. Solange diese dem Kündigungsberechtigten nicht umfassend bekannt sind, kann dessen Kündigungsrecht nicht verwirken (Senat 2. Februar 2006 - 2 AZR 57/05 - Rn. 21, aaO; 5. Dezember 2002 - 2 AZR 478/01 - AP BGB § 123 Nr. 63 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 1). Dabei gehören auch solche Aspekte zum Kündigungssachverhalt, die für den Arbeitnehmer sprechen. Sie lassen sich regelmäßig nicht ohne eine Anhörung des Arbeitnehmers erfassen (vgl. Senat 2. Februar 2006 - 2 AZR 57/05 - Rn. 21, aaO; BAG 14. November 1984 - 7 AZR 133/83 - zu II 4 der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 89; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 211; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 330; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 797 ff.). Der Kündigungsberechtigte, der bislang nur Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann deshalb nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen beginnt(Senat 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - zu B I 3 der Gründe, AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 46 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 9; 10. Juni 1988 - 2 AZR 25/88 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 27 = EzA BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 2). Sind die Ermittlungen abgeschlossen und hat er eine hinreichende Kenntnis vom Kündigungssachverhalt, beginnt der Lauf der Ausschlussfrist. Unbeachtlich ist, ob die Ermittlungsmaßnahmen tatsächlich zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen haben oder überflüssig waren (Senat 5. Dezember 2002 - 2 AZR 478/01 - zu B I 3 c bb (1) der Gründe, AP BGB § 123 Nr. 63 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 1).

16

2. Danach war bei Kündigungszugang die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht abgelaufen.

17

a) Zwar lagen der Beklagten am 8. November 2006 der Ermittlungsbericht und das Observierungsmaterial der Detektei vor. Die Beklagte durfte aber den Kläger noch zu dem Ermittlungsergebnis anhören. Eine solche Anhörung war nicht überflüssig. Zum einen war die Beklagte verpflichtet, die Umstände aufzuklären, die ggf. gegen eine außerordentliche Kündigung des Klägers sprachen. Zum anderen war der Umfang der Beteiligung des Klägers noch näher zu klären, weil bei der „Schwarzentsorgung“ mehrere Personen mit unterschiedlicher Intensität mitgewirkt hatten. Dies gilt umso mehr als der Kläger nicht auf allen Videoaufnahmen klar erkennbar und sein Pkw möglicherweise auch von anderen Beteiligten benutzt worden war. Erst nach einer Klärung dieser Umstände konnte aus Sicht der Beklagten der Kündigungssachverhalt als einigermaßen bekannt gelten. Vorher vermochte sie ihn nicht abschließend zu bewerten.

18

b) Da die zweiwöchige Ausschlussfrist somit erst nach der Anhörung des Klägers am 14. November 2006 anlief, ist diesem die Kündigung am 28. November 2006 rechtzeitig zugegangen. Dabei spielt es keine Rolle, dass seine Anhörung zur Aufklärung des Sachverhalts nichts beigetragen hat.

19

III. Mit dem Personalrat des Eigenbetriebs SGW ist das zuständige Gremium ordnungsgemäß beteiligt worden ist. Entgegen der Auffassung des Klägers war nicht der Gesamtpersonalrat zuständig.

20

1. Nach § 75 Abs. 1 Nr. 3 NPersVG hat die Dienststelle bei einer außerordentlichen Kündigung das Benehmen mit dem Personalrat herzustellen. Dazu hat sie nach § 76 Abs. 1 Satz 1 NPersVG dem Personalrat vor Durchführung der Maßnahme Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Nach Satz 3 der Vorschrift gilt die beabsichtigte Maßnahme als gebilligt, wenn der Personalrat sich nicht innerhalb der Frist des Abs. 2 schriftlich unter Angabe von Gründen äußert.

21

2. Nach § 76 Abs. 2 Satz 3 NPersVG ist eine ohne die Beteiligung nach Abs. 1 ausgesprochene Kündigung unwirksam; dies folgt überdies aus § 108 Abs. 2 BPersVG. Ohne die gesetzlich geforderte Beteiligung ist eine außerordentliche Kündigung auch dann unwirksam, wenn ein unzuständiger Personalrat beteiligt worden ist (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 50/09 - Rn. 11, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 162 = EzA BPersVG § 108 Nr. 4; 12. Mai 2005 - 2 AZR 149/04 - zu B I 1 der Gründe, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 145 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 13).

22

3. Die Beklagte hat mit dem Personalrat des Eigenbetriebs SGW den zuständigen Personalrat beteiligt.

23

a) Nach § 79 Abs. 1 NPersVG hat die zur Entscheidung befugte Dienststelle in Angelegenheiten, die sie oder ihre Beschäftigten betreffen, den bei ihr gebildeten Personalrat zu beteiligen.

24

aa) Dienststellen im Sinne des Niedersächsischen Personalvertretungsgesetzes sind nach § 6 Abs. 1 seiner Regelungen ua. die einzelnen Behörden und die selbständigen Betriebe einschließlich der Eigenbetriebe. Danach bildet der - unselbständige - Eigenbetrieb SGW eine Dienststelle im Sinne dieser Norm.

25

bb) Haben Gemeinden mehr als eine Dienststelle iSv. § 6 Abs. 1 NPersVG, wird nach § 49 Abs. 1 Satz 2 NPersVG ein Gesamtpersonalrat gebildet.

26

b) Besteht neben dem örtlichen Personalrat ein Gesamtpersonalrat, ist dieser nach § 80 Abs. 1 NPersVG bei allen Maßnahmen zu beteiligen, für die die sog. Gesamtdienststelle zuständig ist und die nicht nur den Bereich einer einzelnen Dienststelle betreffen. Gemäß § 6 Abs. 3 NPersVG ist eine Gesamtdienststelle eine Dienststelle, die Nebenstellen oder sonstige Teile aufweist, deren Leitung zu bestimmten selbständigen Maßnahmen befugt ist, oder die räumlich weit von der Stammdienststelle entfernt liegen. Die personalrechtliche Funktion des Gesamtpersonalrats besteht darin, Lücken im System der Beteiligungsrechte zu schließen, die sich aus der personalvertretungsrechtlichen Verselbständigung von Dienststellen oder Teilen von Dienststellen ergeben (BAG 3. Februar 1982 - 7 AZR 791/79 - AP LPVG Bayern Art. 77 Nr. 1; Bieler/Müller-Fritzsche NPersVG 15. Aufl. § 80 Rn. 1).

27

Eine Beteiligung des Gesamtpersonalrats kommt deshalb in Betracht, wenn eine Angelegenheit sowohl Beschäftigte der (Stamm-)Dienststelle als auch einen personalvertretungsrechtlich verselbständigten Teil einer Dienststelle oder wenn sie Beschäftigte in zwei Dienststellen betrifft (BVerwG 29. August 2005 - 6 PB 6.05 -; 20. August 2003 - 6 C 5.03 - zu 1 der Gründe, PersR 2004, 150). Letzteres ist dem Wortlaut des § 80 Abs. 1 NPersVG, der nur von Gesamt- und Stammdienststelle spricht, zwar nicht ausdrücklich zu entnehmen, folgt aber aus § 49 Abs. 1 Satz 2 NPersVG. Andernfalls ergäbe die Bildung eines Gesamtpersonalrats bei Gemeinden mit mehreren Dienststellen iSv. § 6 Abs. 1 NPersVG keinen Sinn. Das Gremium besäße dann keine Kompetenzen.

28

Der Gesamtpersonalrat kann auch dann zu beteiligen sein, wenn es um eine Angelegenheit geht, in der nicht der Leiter der Einsatzdienststelle oder der betreffenden gemeindlichen Dienststelle, sondern der Leiter der Gesamt-/ Stammdienststelle bzw. die Behördenleitung über eine personelle Maßnahme zu entscheiden hat (vgl. Bayerischer VGH 16. Juli 2007 - 18 P 06.1918 - Rn. 27, PersV 2010, 28; OVG Nordrhein-Westfalen 1. Dezember 2005 - 1 A 2278/03.PVL - Rn. 31 u. 33). Die Beteiligungsbefugnis der Personalvertretung folgt der Entscheidungsbefugnis der Dienststellenleitung (BVerwG 7. August 1996 - 6 P 29/93 - zu II 2 a der Gründe, PersR 1996, 493). Eine Zuständigkeit des Gesamtpersonalrats ist deshalb anzunehmen, wenn eine personelle Maßnahme zwar an sich nur den Bereich der Einsatzdienststelle oder der betreffenden gemeindlichen Dienststelle betrifft, die Entscheidung hierüber aber von der Leitung der Gesamt-/Stammdienststelle bzw. der Behördenleitung getroffen wird. Die Kompetenzverteilung zwischen Personalrat und Gesamtpersonalrat bestimmt sich nach der Entscheidungsbefugnis der Dienststellenleitung. Im Falle einer Kündigung ist deshalb maßgeblich, wem die Entlassungsbefugnis rechtlich zusteht, welche Leitung also insoweit die Arbeitgeberfunktion ausübt (Fricke/Dierßen/Otte/Sommer/Thommes NPersVG 3. Aufl. § 80 Rn. 2).

29

c) Im Streitfall war nicht der Gesamtpersonalrat zuständig. Der Werksleiter des Eigenbetriebs SGW konnte über eine Kündigung der dort Beschäftigten entscheiden. Der Oberbürgermeister als Behördenleiter hatte ihm die entsprechende Befugnis wirksam übertragen.

30

aa) Die Entscheidungsbefugnis der Dienststellen und des Dienststellenleiters ergibt sich aus dem Gesetz, aus Verordnungen, Satzungen, Verwaltungsvorschriften und Einzelverfügungen (Senat 22. August 1996 - 2 AZR 5/96 - zu II 2 a der Gründe, AP BPersVG § 82 Nr. 4; Dembowski/Ladwig/Sellmann Das Personalvertretungsrecht in Niedersachsen Stand Juli 2010 § 79 Rn. 4).

31

bb) Die Kündigungsbefugnis der Betriebsleitung eines Eigenbetriebs folgt nicht unmittelbar aus dem Gesetz. Zwar führt nach § 113 Abs. 4 der Niedersächsischen Gemeindeordnung(NGO) die Leitung des Eigenbetriebs dessen „laufende Geschäfte“. Zu diesen gehören jedoch personelle Entscheidungen grundsätzlich nicht. Dies folgt aus § 3 Abs. 3 der Niedersächsischen Eigenbetriebsverordnung vom 15. August 1989 (Nds. GVBl. S. 318). Nach dieser Vorschrift kann die Satzung des Eigenbetriebs vorsehen, dass bestimmte personalrechtliche Befugnisse von der Werksleitung ausgeübt werden. Einer solchen Regelung hätte es nicht bedurft, wenn die Wahrnehmung personalrechtlicher Kompetenzen ohnehin zu den „laufenden Geschäften“ iSv. § 113 Abs. 4 NGO zählte.

32

cc) Die Kündigungsbefugnis des Betriebsleiters des Eigenbetriebs SGW ergibt sich aus der Satzung des Eigenbetriebs iVm. einer Dienstanweisung des Oberbürgermeisters.

33

Gemäß § 113 Abs. 1 NGO hat die Gemeinde für ihre Eigenbetriebe Betriebssatzungen zu erlassen. Dies ist hier mit der Satzung für den „Eigenbetrieb ,Straße und Grün’ in W“ vom 24. November 2004 geschehen. Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 der Satzung leitet die Werksleitung den Eigenbetrieb selbständig und führt dessen laufende Geschäfte. Nach § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 der Satzung gehören - ersichtlich in Anwendung von § 3 Abs. 3 der Eigenbetriebsverordnung - zu den laufenden Geschäften „personalrechtliche Maßnahmen, soweit vom Oberbürgermeister beauftragt“. Mit seiner Dienstanweisung vom 13. Dezember 2004 hatte der Oberbürgermeister der Werksleitung die Entscheidung über personalrechtliche Maßnahmen übertragen.

34

dd) Der Übertragung von personalrechtlichen Entscheidungsbefugnissen vom Oberbürgermeister auf die Leitung des Eigenbetriebs steht § 80 NGO nicht entgegen.

35

(1) Nach § 80 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 NGO kann der Verwaltungsausschuss die Befugnis zur Entlassung von Arbeitnehmern allgemein oder für bestimmte Arbeitnehmergruppen auf die Bürgermeisterin oder den Bürgermeister übertragen. Der Verwaltungsausschuss der Beklagten hat am 10. September 1973 eine solche Übertragung der Befugnis zur Entlassung von Angestellten bis zur VergGr. Vb BAT auf den Oberbürgermeister beschlossen.

36

(2) Eine weitere Delegation vom Bürgermeister auf die Eigenbetriebsleitung schließt die NGO nicht aus. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass die NGO in ihrem Fünften Teil allein das Verhältnis der drei Gemeindeorgane Rat, Verwaltungsausschuss und Bürgermeisterin/Bürgermeister zueinander regelt. Wenn der Verwaltungsausschuss nach § 80 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 NGO Kompetenzen an die Bürgermeisterin/den Bürgermeister abgibt, hat damit ein Gemeindeorgan zugunsten eines anderen Gemeindeorgans von einer entsprechenden kommunalverfassungsrechtlichen Befugnis Gebrauch gemacht. Welche Personen anschließend innerhalb des Organs „Bürgermeisterin“/„Bürgermeister“ - zu dem auch die kommunalen Eigenbetriebe zählen - mit der Wahrnehmung der übertragenen Kompetenz betraut werden, ist keine Angelegenheit der Kommunalverfassung mehr, sondern unterfällt der Organisationshoheit der Bürgermeisterin/des Bürgermeisters.

37

Die rechtliche Unbedenklichkeit der Übertragung der Entlassungsbefugnis vom Oberbürgermeister auf die Betriebsleitung ergibt sich zum anderen aus § 3 Abs. 3 Eigenbetriebsverordnung, der eine Ausübung von personalrechtlichen Befugnissen durch die Werksleitung gerade zulässt, und dem Umstand, dass die Satzung des SGW, die eine solche Übertragungsmöglichkeit ausdrücklich vorsieht, gem. § 6 Abs. 1, § 40 Abs. 1 Nr. 4 NGO vom Rat als dem Hauptorgan der Gemeinde(§ 31 Abs. 1 Satz 1 NGO) selbst erlassen wurde.

38

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

        

    Kreft    

        

    Eylert    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

        

        

    Söller    

        

    A. Claes    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Die Mitglieder und Ersatzmitglieder des Betriebsrats sind verpflichtet, Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse, die ihnen wegen ihrer Zugehörigkeit zum Betriebsrat bekannt geworden und vom Arbeitgeber ausdrücklich als geheimhaltungsbedürftig bezeichnet worden sind, nicht zu offenbaren und nicht zu verwerten. Dies gilt auch nach dem Ausscheiden aus dem Betriebsrat. Die Verpflichtung gilt nicht gegenüber Mitgliedern des Betriebsrats. Sie gilt ferner nicht gegenüber dem Gesamtbetriebsrat, dem Konzernbetriebsrat, der Bordvertretung, dem Seebetriebsrat und den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat sowie im Verfahren vor der Einigungsstelle, der tariflichen Schlichtungsstelle (§ 76 Abs. 8) oder einer betrieblichen Beschwerdestelle (§ 86).

(2) Absatz 1 gilt sinngemäß für die Mitglieder und Ersatzmitglieder des Gesamtbetriebsrats, des Konzernbetriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Konzern-Jugend- und Auszubildendenvertretung, des Wirtschaftsausschusses, der Bordvertretung, des Seebetriebsrats, der gemäß § 3 Abs. 1 gebildeten Vertretungen der Arbeitnehmer, der Einigungsstelle, der tariflichen Schlichtungsstelle (§ 76 Abs. 8) und einer betrieblichen Beschwerdestelle (§ 86) sowie für die Vertreter von Gewerkschaften oder von Arbeitgebervereinigungen.

(1) Mindestens ein Viertel der wahlberechtigten Arbeitnehmer, der Arbeitgeber oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft können beim Arbeitsgericht den Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat oder die Auflösung des Betriebsrats wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten beantragen. Der Ausschluss eines Mitglieds kann auch vom Betriebsrat beantragt werden.

(2) Wird der Betriebsrat aufgelöst, so setzt das Arbeitsgericht unverzüglich einen Wahlvorstand für die Neuwahl ein. § 16 Abs. 2 gilt entsprechend.

(3) Der Betriebsrat oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft können bei groben Verstößen des Arbeitgebers gegen seine Verpflichtungen aus diesem Gesetz beim Arbeitsgericht beantragen, dem Arbeitgeber aufzugeben, eine Handlung zu unterlassen, die Vornahme einer Handlung zu dulden oder eine Handlung vorzunehmen. Handelt der Arbeitgeber der ihm durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung auferlegten Verpflichtung zuwider, eine Handlung zu unterlassen oder die Vornahme einer Handlung zu dulden, so ist er auf Antrag vom Arbeitsgericht wegen einer jeden Zuwiderhandlung nach vorheriger Androhung zu einem Ordnungsgeld zu verurteilen. Führt der Arbeitgeber die ihm durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung auferlegte Handlung nicht durch, so ist auf Antrag vom Arbeitsgericht zu erkennen, dass er zur Vornahme der Handlung durch Zwangsgeld anzuhalten sei. Antragsberechtigt sind der Betriebsrat oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft. Das Höchstmaß des Ordnungsgeldes und Zwangsgeldes beträgt 10.000 Euro.

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Rostock vom 05.02.2013 – 2 Ca 870/12 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision gegen diese Entscheidung wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit der fristlosen Kündigung vom 23.05.2012 sowie der außerordentlichen Kündigung vom 28.06.2012.

2

Der am 30.06.1970 geborene und ledige Kläger ist seit dem 09.10.1990 bei der Beklagten als Mitarbeiter im Verkauf in B-Stadt – S. gegen ein Bruttoarbeitsentgelt von zuletzt 2.151,34 € Brutto beschäftigt. Im Zeitpunkt der den Kündigungen zur Grunde liegenden Umstände war der Kläger stellvertretender Betriebsratsvorsitzender und als solcher freigestellt.

3

Die Beklagte beschäftigt ca. 6000 Arbeitnehmer in ca. 800 Filialen. Der Betriebsrat besteht aus 31 Mitgliedern und beschloss am 22.05.2012 seinen Rücktritt.

4

Die Beklagte hat nach erfolgter Beteiligung (Blatt 135 bis 139 Band I. d. A.) und erfolgter Zustimmung des Betriebsrates vom 22.05.2012 (Blatt 327, Band II. d. A.) das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger aus verhaltensbedingten Gründen fristlos gekündigt. Gegen diese am 24.05.2012 zugegangene Kündigung wehrt sich der Kläger mit seiner am 06.06.2012 bei dem Arbeitsgericht Rostock eingegangenen Kündigungsschutzklage.

5

Mit Schreiben vom 28.06.2012 hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger erneut fristlos gekündigt. Hinsichtlich dieser Kündigung leitete die Beklagte mit Schreiben vom 04.05.2012 (Blatt 120 bis 128 Bd. I. d. A.) das Zustimmungsverfahren gegenüber dem Betriebsrat ein. Eine Stellungnahme des Betriebsrates erfolgte nicht. Am 09.05.2012 reichte die Beklagte beim Arbeitsgericht Flensburg den Antrag auf Ersetzung der Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses ein (Aktenzeichen 2 BV 20/12). Noch im Verlauf des vorbenannten gerichtlichen Verfahrens erteilte der Betriebsrat der Beklagten am 19.06.2012 nachträglich die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger (Blatt 368, 369 d. A. Band III.). Gegen diese am 29.06.2012 zugegangene fristlose Kündigung wehrt sich der Kläger mit seiner am 12.07.2012 bei dem Arbeitsgericht Rostock eingegangen Kündigungsschutzklage.

6

Hintergrund der Kündigung vom 23.05.2012 ist die Vorstellung eines Kalenderauszuges per Beamer durch den Kläger anlässlich der Betriebsratssitzung vom 08.05.2012. Die Beklagte behauptet insoweit, diesen Kalenderauszug habe das Betriebsratsmitglied G. durch einen systematischen Datenzugriff ausgelesen und an den Kläger weitergeleitet. Der Kläger habe den Kalenderauszug in Kenntnis der Rechtswidrigkeit einerseits und der Geheimhaltungsbedürftigkeit andererseits gleichwohl den anwesenden Betriebsratsmitglieder zur Kenntnis gegeben.

7

Im Hinblick auf die Kündigung vom 28.06.2012 beruft sich die Beklagte auf Umstände, die sich aus den Protokollen der Betriebsratssitzungen vom 03.04.2012 und vom 19.04.2012 ergeben und die die Beklagte nach ihrem Vortrag anonym am 25.04.2012 (streitig) erhalten hat, sowie auf die Inhalte eines Strategiepapiers, welches den Betriebsratsmitgliedern anlässlich der Betriebsratssitzung vom 19.04.2012 durch den Kläger vorgestellt worden ist.

8

Die insoweit entscheidenden Protokollauszüge lauten – soweit hier von Bedeutung – wie folgt:

9

"Top 2

10

Beschlussfassung über die Bildung eines Ausschusses "Kontaktgruppe" bezüglich der engeren Zusammenarbeit mit der T. L. & Partner und V.

11

erklärt dem Gremium kurz, warum diese Kontaktgruppe einberufen werden soll. Die Kontaktgruppe wird auch mit einer Entscheidungskompetenz ausgestattet, um mit den Anwälten und V. schnell agieren zu können. T. erklärt kurz, dass die Gruppe Strategien entwickelt, wie wir weiter verfahren und wir diese Strategien auch sehr schnell umsetzen müssen. Die Gruppe sollte regional eng beisammen sein, um sich schnell treffen zu können. S. macht den Vorschlag, dass man für diesen Ausschuss freigestellte BR-Mitglieder nehmen sollte, da die schneller zusammentreten können.

12

In dieser Gruppe ist auch ein Geheimnisschutz vorgesehen, damit O. nicht immer einen Schritt voraus ist. G. fragt nach der rechtlichen Deckung für diesen Ausschuss. D. macht noch mal klar, dass der Ausschuss in der ganzen Zeit keine Auskünfte über die Strategie geben darf. C.: das Gremium muss einen sehr großen Vertrauensvorschuss in diesen Ausschuss legen. G. gibt zu bedenken, dass es schon mal nicht so rund gelaufen ist, als die Teilnehmer nicht über die Mediation sprechen durften. E. gibt zu bedenken, dass er nicht mit gehen kann, wenn eine kleine Gruppe seinen Werdegang im D. B. beeinflussen könnte.

13

R.: es wird schon wieder das Vertrauen im Gremium diskreditiert.

14

Es entsteht eine hitzige Diskussion über diesen Ausschuss. R. ist der Meinung, dass die Kontaktgruppe nicht gegründet werden sollte, da sie dafür sorgen könnte, dass das Gremium gesprengt wird. Das Feedback aus dem Gremium ist, dass viele Bauchschmerzen damit haben und andere finden, dass das gar nicht geht. N. möchte wissen, ob man die Geheimhaltung zeitlich befristen kann. C. möchte wissen, was V. davon hält.

15

R. berichtet von einem Artikel, den man auf der V. Seite anschauen kann (im Suchfeld eingeben V. und O.). Die Personalchefin hat nach der Veröffentlichung eines Berichts, bei V. angerufen und gefragt, von wem die Informationen kommen. V. hat natürlich keine Informationen rausgegeben. Dies ist nur ein Beispiel für das, was in dieser Gruppe vorgehen und entschieden werden soll. Die Gruppe soll schnell und politisch agieren können. Sachen, die in dieser Gruppe bearbeitet, besprochen und entschieden werden, können und werden nicht im vollem Umfang vor dem Gremium berichtet werden.

16

K. hat mit D. telefoniert, sie macht nur mit, wenn sie und K. in dieser "Task Force" sind.

17

K. erklärt kurz, dass die Kontaktgruppe schnell gegenüber O. agieren können muss, damit wir ihn auch kalt erwischen können.

18

Vorschläge:

19

K.: Ja
D.: Ja
D.: Nein
R.: Ja

20

Beschluss:

21

Der Betriebsrat beschließt, einen Ausschuss "Kontaktgruppe" für die engere Zusammenarbeit mit der T. L. & Partner und V. einzusetzen. Der Ausschuss wird für den Zweck gegründet, eine schnelle und zielgerichtete Kommunikation und ergebnisorientierte Entscheidungsfindung zu strategischen und taktischen Maßnahmen, eigenständig zu erledigen. Sie besteht aus 3 Mitglieder, es gibt keine Ersatzmitglieder. Die Mitglieder werden in geheimer Wahl gewählt, die 3 vorgeschlagenen BR-Mitglieder sind D. B., K.H. und R. S..

22

Die Beschlussfähigkeit wurde festgestellt. Zum Zeitpunkt der Beschlussfassung waren 26 Betriebsratsmitglieder anwesend. Ohne JAV.

23

Abstimmungsergebnis: Ja - Stimmen: 19     Nein - Stimmen: 3     Enthaltungen: 4

24

Der Antrag wurde angenommen."

25

Top 6

26

Beschlussfassung Durchführung eines In – House Seminars "Kommunikation, Mediation und Konfliktlösung" im Rahmen der Betriebsratssitzung durchzuführen.

27

erklärt kurz, warum wir den Beschluss fassen sollten. Um die Kosten für die Mentoren zu decken wird die Klausurtagung als Seminar deklariert. Die Kosten beim I. belaufen sich auf 2100,00 Euro zzgl. MwSt., Übernachtung und Reisekosten. Vom I. wird empfohlen, das bei 31 BR's 2 Trainee gebucht werden. Das I. prüft gerade, ob sie auch jemanden finden, der das alleine machen kann. Die genauen Informationen über die Kosten kommen aber noch.

28

Dies ist ein Vorbehalts-Beschluss.

29

Beschluss:

30

Der Betriebsrat beschließt, im Rahmen der Betriebsratssitzung ein In – House Seminar "Kommunikation, Mediation und Konfliktlösung" am 09.50.2012 durchzuführen. Die Kosten werden vom Seminarbudget entnommen.

31

Die Beschlussfähigkeit wurde festgestellt. Zum Zeitpunkt der Beschlussfassung waren 25 Betriebsratsmitglieder anwesend. Ohne JAV.

32

Abstimmungsergebnis: Ja – Stimmen: 24     Nein – Stimmen: O     Enthaltungen: 1

33

Der Antrag wurde angenommen.

34

Top 4

35

Wahl der Mitglieder des Ausschusses Kontaktgruppe

36

erklärt, dass wir bei der Beschlussfassung zu den Mitgliedern in der Kontaktgruppe einen kleinen formellen Fehler gemacht haben. Die Mitglieder in Ausschüssen müssen einzeln gewählt werden.

37

Die Stimmenvergabe erfolgt in geheimer Wahl

38

Stimmenauszählung: 20 Mitglieder stimmen ab

39

D.: 16
K.: 18
R.: 15

40

Alle drei werden in den Ausschuss Kontaktgruppe gewählt.

41

Top 8

42

Weiteres Vorgehen aus der Kontaktgruppe

43

Punkt 8 wird vor Punkt 7 gezogen.

44

erklärt, dass sich die Kontaktgruppe gestern das erste Mal getroffen hat, dass Treffen hat den ganzen Tag gedauert. Bei diesem Treffen wurde der Fahrplan für die Zukunft erstellt. Gestern wurde eine Power-Point erstellt diese wird vorgestellt und ihr findet sie im Anhang.

45

Die einzelnen Punkte werden besprochen.

46

R. G. 1 €

47

R. R. möchte dass unter dem "Eskalation Stufe 2" die Überlastungsanzeige mit aufgenommen wird."

48

Das anlässlich der Betriebsratssitzung vom 19.04.2012 vorgestellte "Strategie-Papier" lautet wie folgt:

49

"Betriebsrat der C.

50

Unsere Strategie für die kommenden Wochen

51

Das weitere Vorgehen erfolgt in mehreren Stufen, je nach Intensität der Maßnahme, Eskalationsstufen 1 bis 3

52

Zeitplan für die kommenden Monate"

53

"Betriebsrat der C.

54

Weiteres strategisches / taktisches Vorgehen I

55

Eskalationsstufe 1:

56
eV Verfahren bzgl. Freigestellten BR Mitglieder wg Arbeitsort durchführen
57
Wirtschaftsausschuss mit der Überprüfung der Rentabilität der Filialen beauftragen
58
Versetzung/Kündigungen/Eingruppierungen/Umgruppierungen ablehnen (PA)
59
Auskünfte über Personalplanung einfordern (BA)
60
Den zuständigen Datenschutzbeauftragten einschalten
61
BR Sprechstunden einrichten, die von Mitarbeitern wahrgenommen werden können
62
Sonntagsöffnungen, Sonderöffnungen, Mehrstunden ablehnen (AZA)
63
Ausschusssitzungen durchführen
64
Ganztagsberatung durchführen
65
Usw."
66

""Betriebsrat der C.

67

Eskalationsphase 1

68

16.04.           

19.04.           

20.04          

23.04          

24.04          

25.04          

26.04          

30.04          

→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→

69

      GT/BR          

                    GT         

       BA           

       BA             

 PA                            

AZA
Briefing

70

Auftrag an
PVP Gruppe                            

Datenschutz-
Beauftragten
Einschalten                         

Eingruppierung
Umgruppierung
prüfen und ablehnen         

Telko"

71

""Betriebsrat der C.

72

Weiteres strategisches / taktisches Vorgehen II

73

Eskalationsstufe 2:

74
AGG Verfahren einleiten
75
Berufsbildungsbedarfsermittlung einfordern (BR); Einleitung eines Estellenverfahrens zu § 97 BetrVG
76
Arbeitsschutzbehörde einschalten; den Erlass einer einstweiligen Verfügung zu § 87 I Nr. 7 BetrVG beantragen
77
Auskunftsanspruch nach § 80 BetrVG intensiv geltend machen (BR)
78
Sich dem Thema Bonuszahlungen wieder annehmen
79
Feststellung, Sitzungsorte: HH/H./K./B./O. beantragen
80
Einleitung eines Estellenverfahrens nach § 110 BetrVG (WA)
81
Estelle § 87 I Nr. 13, Filialbesetzung als Gruppenarbeit? einleiten
82
§ 85 er Verfahren durchführen
83
Wiederaufnahme der Estelle BV Arbeitszeit Schicht BV, BV Arbeitszeit
84
Betriebsversammlung durchführen
85
Öffentlichkeit intern und extern einschalten
86
Überlastungsanzeigen abgeben, usw."
87

""Betriebsrat der C.

88

Eskalationsphase 2

89

       02.05   

03.05          

06.05          

07.05                    

09.05          

→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→

90

PA       

Arbeits-
gruppe   

PVP      

BR       

BR       

PA       

Versetzung
prüfen und
ablehnen   

                          

"Während
Klausurtagung"
Kündigungen,
Probezeitkündigung
Info beim AG
gem. § 102
anfordern           

Flugblattentwurf
von R.      

        

Einarbeitung
Flugblattentwurf   

Flugblattend-
abstimmung

        
91

""Betriebsrat der C.

92

Weiteres strategisches / taktisches Vorgehen III

93

Eskalationsstufe 3:

94
Strafverfahren nach § 119 BetrVG einleiten, weg Behinderung der BR-Tätigkeit
95
Offenen Brief fertigen und versenden
96
Streik durchführen
97
Usw."
98

Mit Urteil vom 05.02.2013 hat das Arbeitsgericht Rostock die Rechtsunwirksamkeit der außerordentlichen Kündigungen vom 23.05.2012 sowie vom 28.06.2012 festgestellt und im Wesentlichen aufgeführt, eine Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Amtspflichten könne die fristlose Kündigung eines Betriebsrats nur rechtfertigen, wenn durch die Amtspflichtverletzung zugleich auch das konkrete Arbeitsverhältnis unmittelbar und erheblich beeinträchtigt werde. Diese Voraussetzungen seien vorliegend nicht gegeben. Weder die Mitteilung eines im Intranet der Beklagten zugänglichen und durch einen Dritten erlangten Kalenderauszugs, noch die Bildung einer sogenannten Kontaktgruppe und die Entwicklung einer Eskalationsstrategie seien geeignet, einen Grund für die außerordentliche Kündigung des Klägers zu liefern. In beiden Fällen handele es sich um Taten, die der Kläger im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Betriebsrat gemacht habe. Die Veröffentlichung des Kalenderauszugs im Rahmen einer Betriebsratssitzung sei nicht geeignet, dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar erscheinen zu lassen. Was die Tätigkeit des Klägers in der sogenannten Kontaktgruppe betreffe, sei zunächst darauf hinzuweisen, dass dieser Ausschuss durch Betriebsratsbeschluss gebildet und der Kläger in diesen Ausschuss gewählt worden sei. Das vom Kläger vorgestellte Eskalationspapier beschreibe dann eine gestufte Taktik, mit der der Betriebsrat seine Interessen gegen die Beklagte durchzusetzen suchte. Dabei handele es sich bei dem Strategiepapier offensichtlich noch um einen relativ unkonkreten Entwurf bzw. eine Art Ideensammlung.

99

Im Ergebnis sei das Vertrauen in den Kläger als Verkäufer der Beklagten von den ihm vorgeworfenen Verhaltensweisen nicht tangiert. Der Beklagten sei es deshalb zuzumuten, den Kläger zu den Bedingungen des bisherigen Arbeitsvertrages als Verkäufer weiterzubeschäftigen.

100

Gegen diese am 22.04.2013 zugegangene Entscheidung richtet sich die am 10.05.2013 bei dem Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern eingegangene Berufung der Beklagten nebst – nach entsprechender gerichtlicher Fristverlängerung – am 24.07.2013 eingegangener Berufungsbegründung.

101

Die Beklagte hält zum einen an der erstinstanzlich geäußerten Rechtsauffassung fest und führt in der Berufungsinstanz einen weiteren Kündigungsgrund in den Prozess ein.

102

Ergänzend zum bisherigen Sachvortrag trägt die Beklagte vor, der Betriebsrat habe anlässlich der Sitzung vom 03.04.2012 auf Vorschlag des Klägers beschlossen, im Rahmen der Betriebsratssitzung ein In-House Seminar "Kommunikation, Mediation und Konfliktlösung" am 09.05.2012 durchzuführen. Aus dem Protokoll ergebe sich, dass der Kläger einen Betrug zum Nachteil der Beklagten vorgeschlagen habe. Es sei vorgesehen gewesen, im Rahmen einer anstehenden Klausurtagung Moderatoren einzusetzen, um ggf. zwischen verschiedenen Fraktionen des Betriebsrates zu vermitteln. Da die Befürchtung bestanden habe, dass die Kosten der Moderatoren nicht im Sinne des § 40 BetrVG ersatzfähig sein könnten, habe die Absicht einer Beschlussfassung des Betriebsrates bestanden, den tatsächlichen Einsatz von Moderatoren zu verschleiern. Der Kläger habe somit geplant, eine Kostentragung der Beklagten in Höhe von 2.000,00 € zzgl. Mehrwertsteuer, Übernachtung und Reisekosten durch Täuschung herbeizuführen. Zugleich habe die Absicht bestanden, die Beklagte durch eben diese Täuschungshandlung zu einer Vermögensverfügung zu veranlassen. Zwar sei dem Protokoll der Betriebsratssitzung vom 03.04.2012 das jeweilige Abstimmungsverhalten der einzelnen Betriebsratsmitglieder nicht zu entnehmen. Jedoch gehe daraus unmissverständlich hervor, dass der Beschluss auf Vorschlag des Klägers gefasst worden sei. Das Vorgehen des Klägers betreffe mithin nicht nur das Betriebsratsamt, sondern auch die Grundlage des Arbeitsverhältnisses. Denn aus dem Arbeitsverhältnis heraus bestehe grundsätzlich die Pflicht, den Arbeitgeber nicht zu schädigen und alles zu unterlassen, was den Arbeitgeber und den Betrieb abträglich sei. Die Beklagte habe die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zum Ausspruch der Kündigung gewahrt, da sie das entsprechende Protokoll der Betriebsratssitzung anonym mit Datum vom 25.04.2012 erhalten habe.

103

Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts Rostock sei die fristlose Kündigung vom 28.06.2012 auch hinsichtlich der dem Kläger vorgeworfenen Gründung der sogenannten "Kontaktgruppe" bzw. vor dem Hintergrund der Miterarbeitung und Vorstellung des Strategiekonzeptes gerechtfertigt. Erstinstanzlich sei verkannt worden, dass es sich bei den jeweils aufgeführten Punkten der einzelnen Eskalationsstufen jeweils um einen konkreten Rechtsbruch handele, zu dem die Kontaktgruppe und damit auch der Kläger gegenüber dem Betriebsrat aufgerufen habe. Es gehe bei den Vorwürfen gegenüber dem Kläger im Rahmen der Erarbeitung und Vorstellung des Strategiepapiers eben nicht nur um Pflichtverletzungen im Zuge der Ausübung des Betriebsratsmandates, sondern betreffe vielmehr das Arbeitsverhältnis als solches. Denn das Strategiepapier habe nach seinem Inhalt einen Schaden bei dem Arbeitgeber verursachen sollen. Das Papier ziele darauf ab, Agitation zu betreiben. Es sei beabsichtigt gewesen, die Filialen lahm zu legen. Auch die weiter aufgeführten Punkte wie beispielsweise Einschaltung der Öffentlichkeit mache deutlich, dass es dem Kläger im Kern darum gegangen sei, die Beklagte vorsätzlich zu schädigen. Diese Schädigungsmöglichkeit habe der Kläger nach wie vor. Die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses folge jedoch auch daraus, dass die Beklagte damit rechnen müsse, dass der Kläger auch zukünftig in den Betriebsrat gewählt werde, was im Übrigen bereits tatsächlich geschehen sei (insoweit unstreitig). Es sei damit eine konkrete Wiederholungsgefahr gegeben. Danach falle die vorzunehmende Prognoseentscheidung zu Lasten des Klägers aus. Eine Abmahnung sei nicht auszusprechen. Auch unter Berücksichtigung von Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten sei unter Berücksichtigung der Interessen beider Parteien eine Rechtswidrigkeit der Kündigung vom 28.06.2012 nicht gegeben. Der Betriebsrat sei ausweislich der abgereichten Informationsschreiben inhaltlich ordnungsgemäß beteiligt worden. Ihm seien alle Umstände mitgeteilt worden, welche die Beklagte der Kündigung zur Grunde gelegt habe. Die fristlose Kündigung vom 23.05.2012 sei entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts Rostock rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Das Betriebsratsmitglied G. habe versucht, auf eine Vielzahl von Dateien zuzugreifen. Die Zugriffe auf die Kalender J. und K. seien nur deshalb erfolgreich gewesen, weil diese ihre Kalender versehentlich nicht gesperrt hätten. Der Mitarbeiter G. sei sehr systematisch und sorgfältig vorgegangen. Dem Kläger habe bewusst sein müssen, dass die von ihm vorgestellten Daten illegal erworben worden seien.

104

Die Beklagte beantragt:

105
1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Rostock vom 05.02.2013 – 2 Ca 870/12 – wird dahingehend abgeändert, dass die Klage abgewiesen wird.
106
2. Der Kläger und Berufungsbeklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
107

Der Kläger beantragt,

108

die Berufung zurückzuweisen.

109

Die Idee, eine Klausurtagung als In – House Seminar zu deklarieren, stamme nicht von dem Kläger, sondern von dem Betriebsratsmitglied S., der diese am 02.04.2012 in einer Ausschusssitzung vorgestellt habe. Da die Betriebsratsvorsitzende B. wegen Abwesenheit die außerordentliche Betriebsratssitzung am 03.04.2012 – insoweit unstreitig – nicht habe leiten können, habe der Kläger diese Funktion als stellvertretender Betriebsratsvorsitzender wahrnehmen müssen. Es handele sich mithin um einen Zufall, dass der Vortrag "aus dem Mund" des Klägers stamme. Der Kläger habe lediglich etwas vorgestellt, was in der Ausschusssitzung am Vorabend des 03.04.2012 entschieden und beschlossen worden sei.

110

Bei dem streitgegenständlichen "Strategiepapier" handele es sich lediglich um eine Ideensammlung. Die Beklagte widerspreche sich selbst, in dem sie auf Seite 6 der Berufungsbegründung vortrage, die Kontaktgruppe stelle kein rechtlich vorgesehenes Gremium dar, andererseits im weiteren Vortrag ihr eine solche Machtstellung unterstelle, dass die Ausschüsse ihren Anweisungen gefolgt seien. Auch ohne ein solches "Strategiepapier" sei der Betriebsrat in der Lage gewesen, Anträge des Arbeitgebers abzulehnen oder zu blockieren. Eine rechtswidrige Vorgehensweise sei insoweit nicht ersichtlich. Auch Überlastungsanzeigen und das Einschalten von Arbeitsschutzbehörden seien – bei Vorliegen eines entsprechenden Sachverhaltes – legitime Rechtsausübung des Betriebsrates.

111

Auch bezüglich der "Veröffentlichung eines Kalenderauszuges" lasse sich ein Kündigungsgrund nicht herleiten. Die Daten seien nicht rechtswidrig erlangt worden. Der Kläger habe auch hier lediglich eine ihm als Betriebsratsmitglied vorliegende Information anderen Betriebsratsmitgliedern mitgeteilt, so dass eine Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten nicht ersichtlich sei.

112

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

113

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Die außerordentlichen Kündigungen der Beklagten vom 23.05.2012 sowie vom 28.06.2012 halten einer gerichtlichen Überprüfung nicht stand. Eine Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Rostock vom 05.02.2013 kommt mithin nicht in Betracht.

I.

114

Die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Betriebsratsmitglieds gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG i. V. m. § 626 Abs. 1 BGB setzt grundsätzlich voraus, dass sich der notwendige wichtige Grund aus dem Arbeitsverhältnis selbst ergibt. Es ist danach zu unterscheiden, ob eine Verpflichtung aus dem Amts- oder aus dem Arbeitsverhältnis verletzt wurde oder ob beide Bereiche betroffen sind. Im Falle einer arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung kann gegenüber dem Betriebsratsmitglied eine außerordentliche Kündigung unter den gleichen Voraussetzungen ausgesprochen werden, unter denen gegenüber anderen Arbeitnehmern eine Kündigung aus wichtigem Grund nach § 626 Abs. 1 BGB möglich ist. Wird einem Betriebsratsmitglied dagegen lediglich die Verletzung einer Amtspflicht vorgeworfen, so ist die Kündigung unzulässig und nur ein Ausschlussverfahren nach § 23 BetrVG möglich. Sofern eine Handlung gleichzeitig Amtspflichten als auch arbeitsvertragliche Pflichten verletzt oder aber die Vertragsverletzung nur deshalb eingetreten ist, weil der Arbeitnehmer als Betriebsratsmitglied tätig geworden ist, kann ein wichtiger Grund zur Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vorliegen. Mit Rücksicht auf die besondere Konfliktsituation, in der sich das Betriebsratsmitglied befindet, ist die außerordentliche Kündigung aber nur gerechtfertigt, wenn unter Anlegung eines besonders strengen Maßstabs das pflichtwidrige Verhalten auch als schwerer Verstoß gegen die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis zu werten ist. Darüber hinaus bedarf es stets einer genauen Prüfung, ob auch nach dem Ausschluss des Betriebsratsmitglieds aus dem Betriebsratsamt weitere vergleichbare Pflichtverletzungen drohen und das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber auf Grund einer eingetretenen Pflichtverletzung, die mit der Ausübung des Mandats im Zusammenhang steht, nachhaltig gestört ist (BAG vom 23.10.2008 – 2 ABR 59/07 – Juris, Rd.-Nr. 19 m. w. N.). Zudem ist insoweit das geltende Prognoseprinzip zu berücksichtigen. Der Zweck der Kündigung ist nicht Sanktion für die erfolgte Vertragspflichtverletzung, sondern dient der Vermeidung des Risikos weiterer Pflichtverletzungen in der Zukunft. Die vergangene Pflichtverletzung muss sich deshalb noch in der Zukunft belastend auswirken. Eine negative Prognose ist dann zu bejahen, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde den Arbeitsvertrag auch zukünftig in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen. Der Gesichtspunkt der Prognose gewinnt bei verhaltensbedingten Kündigungsgründen auch insoweit an Bedeutung, als sich die Kündigung jeweils dann als unverhältnismäßig erweist, wenn es andere geeignete – mildere – Mittel gibt, um eine Vertragsstörung zukünftig zu vermeiden (BAG vom 13.10.2008, a. a. O., Juris, Rd.-Nr. 28 m. w. N).

115

Diesbezüglich ist schließlich zu berücksichtigen, dass bei der Prüfung der Zukunftsprognose im Sinne einer Wiederholungsgefahr zukünftiger Pflichtverletzungen die Möglichkeit einer Wiederwahl des betroffenen Betriebsratsmitglieds nicht zu seinen Lasten berücksichtigt werden kann. Schließt der Gesetzgeber selbst im Fall grober Amtspflichtverletzungen und bei bestehender Gefahr einer Wiederholung gleichgelagerter Amtspflichtverletzungen eine erneute Wiederwahl des Betriebsratsmitglieds – wie im Fall des § 23 Abs. 1 BetrVG i. V. m. § 8 BetrVG – nicht aus, kann eine sich allein aus der Wiederwahlmöglichkeit ergebende Gefährdung der arbeitsvertraglichen Interessen keinen Grund dafür bieten, eine fristlose Kündigung in Betracht zu ziehen. Dies wäre mit dem Benachteiligungsverbot für Betriebsratsmitglieder nach § 78 Satz 2 BetrVG nicht zu vereinbaren (BAG vom 23.10.2008, a. a. O., Juris, Rd.-Nr. 31 m. w. N.).

116

Gemessen an den genannten Voraussetzungen erweisen sich die fristlosen Kündigungen der Beklagten vom 23.05.2012 (1.) und vom 28.06.2012 (2.) als rechtsunwirksam.

1.

117

Die Präsentation des Kalenderauszuges anlässlich der Betriebsratssitzung vom 08.05.2012 durch den Kläger vermag die fristlose Kündigung vom 23.05.2012 nicht zu rechtfertigen. Hierin mag allenfalls eine Amtspflichtverletzung, jedoch kein Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten durch den Kläger gesehen werden. Auch ist ein Durchgriff einer unterstellten Amtspflichtverletzung auf Grund der Schwere und Tragweite auf das Arbeitsverhältnis im Sinne einer relevanten Störung des Vertrauensverhältnisses im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben.

118

Selbst wenn man den Vortrag der Beklagten als richtig unterstellt, dass Betriebsratsmitglied G. habe diesen Kalenderauszug durch einen rechtswidrigen Eingriff erlangt, so ist auch nach den Ausführungen der Beklagten nicht ersichtlich, dass der Kläger daran beteiligt gewesen wäre. Dem Kläger könnte mithin allenfalls im Sinne einer Amtspflichtverletzung vorgeworfen werden, er habe die rechtswidrige Erlangung erkennen können und eine Präsentation unterlassen müssen. Dem steht jedoch der eigene Vortrag der Beklagten mit Schriftsatz vom 17.09.2012 (Blatt 86 Bd. I. d. A.) entgegen, wo es wie folgt heißt:

119

"Dieser Erfolg am 04.05.2012 zwischen der vom Computer erfassten Zeit von 14:02 Uhr bis 14:24 Uhr konnte erfolgen, da die Mitarbeiter der Beklagten, Herr H. J. und Frau B. K., versehentlich ihre Kalender gegenüber Dritten nicht gesperrt hatten."

120

Wie hätte der Kläger eine rechtswidrige Erlangung erkennen sollen, wenn die Beklagte selbst vorträgt, der Kalenderauszug sei in jenem Moment für jeden Betriebsangehörigen zugänglich – da nicht gesichert – gewesen, so dass jedenfalls diesbezüglich ein rechtswidriger Zugriff durch Überwindung einer Sicherungsmaßnahme nicht erkennbar ist. Hinzu kommt, dass nach dem Vortrag der Beklagten nicht nachvollzogen werden kann, dass der Kläger tatsächlich Kenntnis davon gehabt haben soll, dass das Betriebsratsmitglied G. mit hohem zeitlichen Aufwand und einer systematischen Vorgehensweise eine hohe Anzahl unberechtigter Zugriffsversuche unternommen haben soll. Dies ist im Hinblick auf den Kläger eine nicht durch Tatsachen belegte Vermutung der Beklagten.

121

Die Kammer ist aus den vorstehenden Gründen mithin zu dem Ergebnis gelangt, dass die Präsentation des Kalenderauszuges möglicherweise als Amtspflichtverletzung in Betracht zu ziehen ist, ohne dass dieser Umstand jedoch Auswirkungen auf das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis entfaltet hat und damit als wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB ausscheidet.

2.

122

Die fristlose Kündigung vom 28.06.2012 erweist sich unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles ebenfalls als rechtsunwirksam.

a)

123

Der Vorwurf der Beklagten, der Kläger habe den Betriebsrat anlässlich der Sitzung vom 03.04.2012 zu einem Betrug bzw. einem Betrugsversuch gegenüber der Beklagten durch Falschdeklarierung des In – House Seminars "Kommunikation, Mediation und Konfliktlösung" angestiftet bzw. veranlasst, bleibt bereits in der Sache selbst unbewiesen. Der nach dem Sach- und Streitstand festzustellende Sachverhalt mag wiederum unter dem Gesichtspunkt einer Amtspflichtverletzung relevant sein. Jedoch sind von der insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Beklagten keine hinreichenden Tatsachen vorgetragen bzw. unter Beweis gestellt worden, welche eine Verletzung arbeitsvertraglicher Verpflichtungen durch den Kläger bzw. ein Durchgreifen auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses im oben erörterten Sinn begründen könnten.

124

Zwar hat die Beklagte diesbezüglich vorgetragen, der Kläger habe die Vorgehensweise hinsichtlich der Durchführung des In – House Seminars initiiert und damit das Betriebsratsgremium maßgeblich zu einer Entscheidung zum Nachteil der Beklagten zu beeinflussen versucht. Dem ist der Kläger jedoch substantiiert mit dem Vortrag entgegengetreten, die Idee, eine Klausurtagung als In – House Seminar zu deklarieren, stamme von dem Betriebsratsmitglied S., der diese am 02.04.2012 in einer Ausschusssitzung vorgestellt habe. Der Kläger habe die sich daran anschließende Betriebsratssitzung am 03.04.2012 nur deshalb leiten und entsprechend die Idee des Betriebsratsmitglieds S. vorstellen müssen, weil – insoweit unstreitig – die Betriebsratsvorsitzende Frau B. verhindert gewesen sei. Diesen Vortrag des Klägers hat die Beklagte lediglich mit Nichtwissen bestritten, was jedoch nicht als ausreichend erachtet werden kann. Die Beklagte trägt für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes nach § 626 Abs. 1 BGB die Darlegungs- und Beweislast, so dass sie die Einzelheiten zu den Verantwortlichkeiten hinsichtlich der Bezeichnung und Deklarierung als In – House Seminar hätte unter Beweisantritt vortragen müssen.

125

Demnach ist unter Berücksichtigung des feststellbaren Sachverhaltes davon auszugehen, dass der Kläger die Betriebsratssitzung vom 03.04.2012 gemäß § 29 Abs. 2 Satz 1 BetrVG als Vertreter für die verhinderte Vorsitzende Frau B. geleitet und den Vorschlag des Betriebsratsmitglieds S. aus der Ausschusssitzung vom 02.04.2012 hinsichtlich des Umganges mit dem In – House Seminar vorgestellt hat, wobei in Ermangelung gegenteiliger Anhaltspunkte die Erstellung der Tagungsordnung für die Betriebsratssitzung vom 03.04.2012 durch die Betriebsratsvorsitzende Frau B. zur Grunde zu legen ist.

126

Die vorgenannten Tatsachengrundlagen lassen nach Auffassung der Kammer eine vorsätzliche Schädigungsabsicht des Klägers bzw. eine entsprechende Beeinflussung des Betriebsratsgremiums in diese Richtung zu Lasten der Beklagten nicht erkennen. Jedenfalls lassen sich daraus keine verwertbaren Erkenntnisse im Sinne einer Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichtverletzungen bzw. eines Durchgriffes auf das Arbeitsverhältnis auf Grund der besonderen Schwere und Tragweite eines vermeintlichen Amtspflichtverstoßes gewinnen.

127

Auch insoweit ist mithin ein wichtiger Grund zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben.

b)

128

Auch die mitverantwortliche Erarbeitung des sogenannten "Strategiepapiers" durch den Kläger führt nicht zur Rechtfertigung der fristlosen Kündigung vom 28.06.2012. Zwar liegt diesbezüglich zur Überzeugung des erkennenden Gerichts nicht nur eine erhebliche Amtspflichtverletzung (aa), sondern auch eine gravierende Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten durch den Kläger vor, die an sich als wichtiger Grund für den Ausspruch einer fristlosen Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB geeignet ist (bb).

129

Gleichwohl vermag die Kammer eine Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des Klägers für die Beklagte bis zum Ablauf der – fiktiven – Kündigungsfrist nicht zu bejahen. Unter objektiver Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles und in Hinblick auf die erforderliche Negativprognose wäre vorliegend für die Beklagte neben der Einleitung eines Verfahrens nach § 23 BetrVG der Ausspruch einer arbeitsvertraglichen Abmahnung gegenüber dem Kläger als angemessenes und damit milderes Reaktionsmittel auf das Fehlverhalten des Klägers zumutbar gewesen (cc).

aa)

130

Das dem Betriebsratsgremium anlässlich der Betriebsratssitzung vom 19.04.2013 vorgestellte sogenannte "Strategiepapier" beinhaltet nach Auffassung der Kammer – entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts Rostock in der streitigen Entscheidung – nicht lediglich eine "Ideensammlung", sondern stellt in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht strukturierte Handlungsvorschläge für das Betriebsratsgremium dar. Dem Kläger mag in diesem Zusammenhang zuzubilligen sein, dass die Umsetzung der skizzierten Handlungsoptionen weiterhin der jeweiligen Entscheidung des Betriebsrates bzw. der jeweils zuständigen Gremien vorbehalten bleiben sollten. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die formulierten Inhalte selbst in nennenswertem Umfang betriebsverfassungswidrige Verhaltensvorschläge in der "Zusammenarbeit" mit der Beklagten beschreiben. Hinsichtlich der in Aussicht genommenen Streikmaßnahmen folgt dieser Umstand unmissverständlich bereits aus der gesetzlichen Vorgabe des § 74 Abs. 2 BetrVG.

131

Zahlreiche weitere Aspekte aus dem "Strategiepapier" (wie z. B. die pauschale Ablehnung von Versetzungen, Kündigungen, Eingruppierungen, Umgruppierungen, Sonntagsöffnungszeiten, Sonderöffnungszeiten aus der Eskalationsstufe 1 sowie die offenbar gezielt geplante Einschaltung der Öffentlichkeit zu Lasten der Beklagten aus den Eskalationsstufen 2 und 3) sind in dieser pauschalen Einforderung mit dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 2 Abs. 1 BetrVG nicht vereinbar. Die Planung einer derartig sachgrundlosen Verweigerungshaltung war nicht geeignet, dem Wohl der Arbeitnehmerschaft bzw. dem Wohl des Betriebes zu dienen, sondern vermochte allenfalls zu einer weiteren Eskalation der ohnehin schon angespannten Situation führen.

132

Insgesamt stellt sich mithin die Erarbeitung des sogenannten "Strategiepapiers" insbesondere auf Grund der offensichtlich rechtswidrig in Aussicht genommenen Streikmaßnahmen als grober Verstoß im Sinne des § 23 Abs. 1 BetrVG dar.

bb)

133

Die Beteiligung des Klägers an der Erarbeitung des sogenannten "Strategiepapiers" stellt zur Überzeugung der Kammer neben der beschriebenen Amtspflichtverletzung zugleich auch eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten dar, welche an sich als wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB geeignet ist.

134

Aus jedem Arbeitsverhältnis erwachsen unter Berücksichtigung der jeweiligen Vertragsgestaltung – wie aus jedem Schuldverhältnis; § 241 Abs. 2 BGB – auch für den Arbeitnehmer konkrete Nebenpflichten hinsichtlich der Berücksichtigung berechtigter Interessen und Rechtsstellungen des Arbeitgebers (Schaub, Linck, 13. Auflage, § 55, Rd.-Nr. 3 und 4; BAG vom 23.10.2008 – 2 ABR 59/07; Juris, Rd.-Nr. 23). Hierzu zählen insbesondere die Schutzpflichten des Arbeitnehmers, Schäden vom Arbeitgeber abzuwenden bzw. eigene Schädigungshandlungen zu unterlassen (Schaub a. a. O. § 55, Rd.-Nr. 44 m. w. N.).

135

Sowohl rechtswidrige Streikmaßnahmen als auch zum Beispiel die sachgrundlose und generelle Ablehnung von Überstunden etc. und daraus resultierende Arbeitsausfallzeiten bzw. Produktionsausfallzeiten können bei dem Arbeitgeber ggf. zu erheblichen Schadensfolgen – sei es z. B. in Form von Ertragsausfällen oder in Form von Kundenverlust etc. – führen. Die in dem sogenannten "Strategiepapier" vom Kläger mitverantwortlich erarbeiteten Maßnahmenvorschläge waren zu einem hohen Anteil (vgl. Ausführungen zu I. 2. b., aa.) geeignet im Falle der tatsächlichen Umsetzung Schäden im vorgenannten Sinn für die Beklagte zu verursachen. Zwar ist dem Arbeitsgericht Rostock darin zu folgen, dass auf Grund der notwendigen Zustimmung des Betriebsratsgremium zu einzelnen Verhaltensstrategien die Vorstellung des "Strategiepapiers" nicht mit der tatsächlichen Maßnahmenumsetzung gleichgestellt werden kann und insoweit zunächst als Diskussionsgrundlage für das Betriebsratsgremium verstanden werden muss. Jedoch ändert dieser Umstand nach Ansicht der Kammer nichts daran, dass bereits der Vorschlag zur Umsetzung insbesondere der unter I. 2. b. aa. benannten Maßnahmen in dem sogenannten "Strategiepapier" vor dem Hintergrund der benannten Nebenpflichten als im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB relevante arbeitsvertragliche Pflichtverletzung durch den insoweit mitverantwortlichen Kläger zu beurteilen ist.

136

Das sich der Kläger diesbezüglich nicht auf eigene – berechtigte – Interessen berufen kann, ergibt sich bereits aus der unter I. 2. b. aa. festgestellten Rechtswidrigkeit bestimmter vorgeschlagener Verhaltensweisen in dem "Strategiepapier".

cc)

137

Gleichwohl erweist sich die fristlose Kündigung vom 28.06.2012 als unverhältnismäßig.

138

Unter Berücksichtigung des gegebenen Sach- und Streitstandes ist die Kammer in Anwendung des Prognoseprinzips zu dem Ergebnis gelangt, dass der Beklagten als milderes Mittel der Ausspruch einer Abmahnung zumutbar gewesen wäre. Im Hinblick auf eine mit einer Amtspflichtverletzung einhergehenden arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung des Arbeitnehmers ist stets zu berücksichtigen, inwieweit künftige – gleichgelagerte - Pflichtverstöße zu erwarten sind (BAG vom 23.10.2008 – 2 ABR 59/07 – Juris, Rd.-Nr. 29; LAG Baden-Württemberg vom 09.09.2011 – 17 Sa 16/11 – Juris, Rd-Nr. 53 und 55/56). Danach kann vorliegend nicht von der Entbehrlichkeit des Ausspruches einer vorhergehenden Abmahnung ausgegangen werden. Zwischen den Parteien ist unstreitig, das arbeitsvertragliche Abmahnungen gegenüber dem Kläger im Kündigungszeitpunkt nicht vorgelegen haben. Ebenso unstreitig ist der Rücktritt des gesamten Betriebsrates am 22.05.2012 vor Zugang der hier streitbefangenen Kündigung. Eine Wiederwahl des Klägers war zu diesem Zeitpunkt nicht absehbar. Im Übrigen hat ein derartiger Umstand bei der Beurteilung der Frage nach einer Wiederholungsgefahr – wie bereits erörtert – nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unberücksichtigt zu bleiben (BAG vom 23.10.2008, a. a. O., Rd. – Nr. 31). Damit verbleiben unter weiterer Berücksichtigung des Vortrages der Parteien keine hinreichenden Anknüpfungspunkte um eine Wiederholungsgefahr mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit bejahen zu können.

139

Soweit die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 27.11.2013 nochmals hat vortragen lassen, dass insbesondere der Vorgang um die Vorgehensweise der Deklarierung des In – House Seminars als auch die Erarbeitung, Vorstellung und – nach ihrer Auffassung – begonnene Umsetzung des sogenannten "Strategiepapiers" eine Weiterbeschäftigung des Klägers nicht zulasse, da beide Umstände unmittelbar mit dem Namen des Klägers verbunden seien, so ist diese subjektive Wahrnehmung für die Kammer angesichts der Tragweite der festgestellten Tatsachen gut nachvollziehbar. Gleichwohl wäre hier unter Berücksichtigung objektiver Maßstäbe, vor dem Hintergrund der insgesamt sehr angespannten Situation zwischen dem Betriebsrat und der Beklagten im streiterheblichen Zeitraum und den strengen Anforderungen an eine fristlose Kündigung eines Mandatsträgers bei Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses aus der Sphäre der Betriebsratsarbeit zur Überzeugung des erkennenden Gerichts neben der Einleitung eines Verfahrens nach § 23 BetrVG der Ausspruch einer arbeitsvertraglichen Abmahnung gegenüber dem Kläger als milderes Mittel in Betracht zu ziehen gewesen.

II.

140

Auf Grund der vorstehenden Erwägungen bleibt unentschieden, inwieweit hinsichtlich der anonym erlangten Betriebsratsprotokolle ein Verwertungsverbot bestehen könnte.

III.

141

Die Verurteilung der Beklagten zur vertragsgemäßen Weiterbeschäftigung des Klägers durch das Arbeitsgericht Rostock in der streitgegenständlichen Entscheidung unterliegt keinen rechtlichen Bedenken.

IV.

142

Die Beklagte hat als unterlegene Partei die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

143

Revisionszulassungsgründe sind nicht ersichtlich.

(1) Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen.

(2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Bordvertretung und des Seebetriebsrats, des Wahlvorstands sowie von Wahlbewerbern bedarf der Zustimmung des Betriebsrats.

(2) Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann das Arbeitsgericht sie auf Antrag des Arbeitgebers ersetzen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. In dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht ist der betroffene Arbeitnehmer Beteiligter.

(2a) Absatz 2 gilt entsprechend, wenn im Betrieb kein Betriebsrat besteht.

(3) Die Versetzung der in Absatz 1 genannten Personen, die zu einem Verlust des Amtes oder der Wählbarkeit führen würde, bedarf der Zustimmung des Betriebsrats; dies gilt nicht, wenn der betroffene Arbeitnehmer mit der Versetzung einverstanden ist. Absatz 2 gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass das Arbeitsgericht die Zustimmung zu der Versetzung ersetzen kann, wenn diese auch unter Berücksichtigung der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des betroffenen Arbeitnehmers aus dringenden betrieblichen Gründen notwendig ist.

(1) Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen.

(2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.

Tenor

1. Das Urteil des Kammergerichts vom 18. April 2013 - 10 U 75/12 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes.

2. Die Entscheidung wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Kammergericht Berlin zurückverwiesen.

3. Das Land Berlin hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

4. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die zivilgerichtliche Verurteilung zu einer Geldentschädigung wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung. Sie rügt die Verletzung ihrer Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG und ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG.

2

1. Die Beschwerdeführerin und Beklagte des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Beschwerdeführerin) ist Verlegerin einer Fernsehzeitschrift, in der sie im Jahr 2011 in fünf aufeinanderfolgenden Ausgaben eine Artikelreihe "Geliebter Feind, gehasster Bruder (…) Eine deutsch-deutsche Geschichte" über den Kläger, einen in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) nach seiner Ausreise auch in Westdeutschland bekannten Schauspieler, und seinen Bruder veröffentlichte. Grundlage dieser Artikel sind Interviews mit dem in Westdeutschland aufgewachsenen Bruder, in denen dieser die gemeinsame Geschichte der inzwischen zerstrittenen Brüder Revue passieren lässt und sich unter anderem über sexuelle Beziehungen seines Bruders zu Kolleginnen, dessen Bespitzelung durch die Staatsmacht, über dessen Ausreise aus der DDR sowie über den gemeinsamen Schmuggel von Antiquitäten in den Westen äußert. In dem Artikel "Schmuggel, Spitzel, faule Deals" vermutet der Bruder, dass es eine Vereinbarung zwischen dem Ministerium für Staatssicherheit in der DDR und dem Kläger gegeben habe und schon im Vorfeld geregelt worden sei, was der Kläger bei seiner Ausreise aus der DDR mitnehmen dürfe. Der Artikel endet mit dem Satz

"Welche Gegenleistung die Staatsmacht von ihm gefordert hat? Das erzähle ich später…"

3

Zu dieser Vermutung äußert sich der Bruder des Klägers dann in einem mit "Von Stasi und Verrätern" überschriebenen Artikel, in dem es unter anderem auch um die - aus Sicht des Bruders unberechtigte - Angst des Klägers vor dem Gefängnis geht:

Große Zweifel. In seinem Buch schreibt [der Kläger]: "Ich frage mich, an welchem Tag dieses Manuskript abbrechen wird, weil sie mir in Rummelsburg oder in Bautzen einen Urlaubsplatz besorgen werden."

[Der Bruder] sieht das anders: "Die Wahrheit ist, dass [der Kläger] sich keineswegs in Gefahr gebracht hat. Einen wie ihn konnte man gar nicht einfach wegsperren. Man muss wissen: [der Kläger] hatte ein Tagebuch geschrieben, voll detaillierter Informationen über Freunde wie … etc. Da reihten sich die Indiskretionen wie faule Zähne in einem schlechten Gebiss.

Brisante Infos. Ich vermute, dass [der Kläger] den Staatsorganen gesagt hat: Tagebuch gegen Ausreise erster Klasse. Für die DDR-Behörden war das Tagebuch natürlich eine Goldgrube. Und danach hatten … und einige andere Promis auch auf einmal große Schwierigkeiten. Kein Wunder, dass die bis zum heutigen Tag stocksauer sind auf [den Kläger]..."

Doch der hat sich immer gegen die Vorwürfe verwahrt, mit der Stasi gemeinsame Sache gemacht zu haben.

4

Der Kläger ging gerichtlich gegen die Berichterstattung der Beschwerdeführerin über die von seinem Bruder vermuteten Folgen der Übergabe des Tagebuchs vor und forderte eine Geldentschädigung wegen Verletzung seines Persönlichkeitsrechts.

5

2. Nachdem das Landgericht die Klage hinsichtlich des Entschädigungsanspruchs abgewiesen hatte, verurteilte das Kammergericht die Beschwerdeführerin zur Zahlung von 20.000 €. Dem Kläger stehe wegen der Berichterstattung über die Umstände seiner Ausreise aus der DDR ein Anspruch auf Geldentschädigung in Höhe von 20.000 € zu. Die Äußerung, wonach der Kläger als Gegenleistung für die Überlassung seines Tagebuchs an das Ministerium für Staatssicherheit eine "Ausreise erster Klasse" erhalten habe mit der Folge, dass anschließend dort genannte andere Schauspieler Schwierigkeiten bekommen hätten, sei aus Sicht des Senats prozessual als unwahre Tatsachenbehauptung zu behandeln, weil die Erklärung des Klägers, er habe lediglich ein durch Schwärzungen anonymisiertes Tagebuch an das Ministerium für Staatssicherheit übergeben, nicht widerlegt worden sei. Die Äußerung sei entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin weder substanzarm noch handle es sich um eine zulässige Meinungsäußerung. Schon in einem vorangegangenen Artikel sei von einer Vereinbarung die Rede gewesen. Zwar sei von einer Vermutung des Bruders die Rede, es werde aber nicht lediglich eine Meinung des Bruders des Klägers wiedergegeben, denn aufgrund der Darstellung müsse der Leser annehmen, es stehe fest, dass der Kläger sein Tagebuch mit Informationen über Kollegen an die Stasi ausgehändigt habe, um eine komfortable Ausreise zu erkaufen. Eine zulässige Verdachtsberichterstattung liege nicht vor, da die Beschwerdeführerin in ihrer Berichterstattung verschwiegen habe, dass der Kläger nach seiner Behauptung lediglich ein geschwärztes Tagebuch übergeben habe. Darauf komme es entscheidend an, wenn es um den Verdacht gehe, der Kläger könne mit der Übergabe seines Tagebuchs Vorteile gesucht und Kollegen geschadet haben. Ob andere Medien ebenfalls über dieses Thema berichtet hätten und ob der Kläger sich hiergegen gewehrt habe, sei unerheblich. Die Beschwerdeführerin zitiere im Übrigen nicht lediglich den Bruder des Klägers, sondern mache sich dessen Äußerung zu Eigen. Die Beschwerdeführerin habe mit diesen schweren Vorwürfen das Persönlichkeitsrecht des Klägers erheblich beeinträchtigt, sodass die Abwägung der betroffenen Grundrechtspositionen aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG und Art. 5 Abs. 1 GG die Zuerkennung einer Geldentschädigung rechtfertige.

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3. Die Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin wies das Kammergericht zurück.

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4. Mit der Verfassungsbeschwerde greift die Beschwerdeführerin das Urteil des Kammergerichts an und rügt die Verletzung ihrer Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG sowie ihres Anspruchs auf rechtliches Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG.

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5. Der Kläger und die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz des Landes Berlin erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Kläger machte von seinem Äußerungsrecht Gebrauch. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen dem Bundesverfassungsgericht vor.

II.

9

Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG rügt, liegen die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

10

Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen Fragen im Bereich des Äußerungsrechts und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bereits entschieden (vgl. BVerfGE 61, 1; 90, 241; 93, 266; 99, 185; 114, 339). Danach ist die zulässige Verfassungsbeschwerde auch offensichtlich begründet.

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1. Das Kammergericht hat bei der Auslegung und Anwendung der zivilrechtlichen Vorschriften Bedeutung und Tragweite des Grundrechts der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG bereits insofern verkannt, als es in verfassungsrechtlich nicht mehr tragbarer Weise das Vorliegen von unwahren Tatsachenbehauptungen bejahte.

12

a) Auslegung und Anwendung der einschlägigen zivilrechtlichen Bestimmungen ist Aufgabe der ordentlichen Gerichte. Bei ihrer Entscheidung haben sie jedoch dem Einfluss der Grundrechte auf die Vorschriften des Zivilrechts Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 7, 198 <208>; 85, 1 <13>; stRspr). Handelt es sich um Gesetze, die die Meinungsfreiheit beschränken, ist dabei nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das eingeschränkte Grundrecht zu beachten, damit dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl. BVerfGE 7, 198 <208 f.>). Ein Verstoß gegen Verfassungsrecht, den das Bundesverfassungsgericht zu korrigieren hat, liegt erst vor, wenn eine gerichtliche Entscheidung Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 <93>; 42, 143 <149>; 85, 1 <13>). Handelt es sich um Eingriffe in die Meinungsfreiheit, kann dies allerdings schon bei unzutreffender Erfassung oder Würdigung einer Äußerung der Fall sein (BVerfGE 85, 1 <13>). Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind ferner verkannt, wenn die Gerichte eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung oder Schmähkritik einstufen mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen sind (BVerfGE 85, 1 <14> m.w.N).

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b) Während Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit geprägt werden und der Überprüfung mit Mitteln des Beweises zugänglich sind (vgl. BVerfGE 90, 241 <247>; 94, 1 <8>), handelt es sich bei einer Meinung um eine Äußerung, die durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt ist (vgl. BVerfGE 7, 198 <210>; 61, 1 <8>; 90, 241 <247>; 124, 300 <320>). Bei der Frage, ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Tatsachenbehauptung oder als Werturteil anzusehen ist, kommt es entscheidend auf den Gesamtkontext der fraglichen Äußerung an (vgl. BVerfGE 93, 266 <295>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13 und 1 BvR 527/13 -, ZUM 2013, S. 793 <795>). Die Abgrenzung zwischen Werturteilen und Tatsachenbehauptungen kann im Einzelfall schwierig sein, vor allem deswegen, weil die beiden Äußerungsformen nicht selten miteinander verbunden werden und erst gemeinsam den Sinn einer Äußerung ausmachen. In solchen Fällen ist der Begriff der Meinung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes weit zu verstehen: Sofern eine Äußerung, in der Tatsachen und Meinungen sich vermengen, durch die Elemente der Stellungnahme des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind, wird sie als Meinung von dem Grundrecht geschützt. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Trennung der wertenden und der tatsächlichen Gehalte, den Sinn der Äußerung aufhöbe oder verfälsche. Würde in einem solchen Fall das tatsächliche Element als ausschlaggebend angesehen, so könnte der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit wesentlich verkürzt werden (vgl. BVerfGE 61, 1 <8 f.>; 85, 1 <16>; 90, 241 <248>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13 und 1 BvR 527/13 -, ZUM 2013, S. 793 <795>). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dessen Rechtsprechung auf der Ebene des Verfassungsrechts als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten dient (vgl. BVerfG 120, 180 <200>), hat hierzu festgestellt, dass eine Unterscheidung zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen schwierig ist, wenn es sich um Behauptungen über Beweggründe für das Verhalten eines Dritten handelt. Bei Schlussfolgerungen über Beweggründe oder etwaige Absichten Dritter handele es sich eher um Werturteile als um dem Beweis zugängliche Tatsachenbehauptungen, wobei es auch für eine einem Werturteil gleichkommende Erklärung eine ausreichende Tatsachengrundlage geben müsse (vgl. EGMR, Axel Springer AG v. Deutschland (Nr. 2), Urteil vom 10. Juli 2014 Nr. 48311/10, §§ 63-64).

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c) Die angegriffene Entscheidung genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. Das Kammergericht geht in verfassungsrechtlich nicht tragbarer Weise allein vom Vorliegen einer unwahren Tatsachenbehauptung aus. Es ist zwar zutreffend, dass die inkriminierte Äußerung auch eine Tatsachenbehauptung enthält: Ihr liegt die Behauptung zugrunde, dass ein Tagebuch mit Äußerungen des Klägers über Kollegen und Kolleginnen existierte. Die Äußerung enthält jedoch darüber hinaus die Vermutung, dass die Übergabe dieses Tagebuchs möglicherweise Teil einer Abrede mit dem Ministerium für Staatssicherheit war, um dem Kläger eine "Ausreise erster Klasse" zu ermöglichen, und dass die Verwertung der in dem Tagebuch enthaltenen Informationen zu Nachteilen für die dort erwähnten Personen führte. Diese Vermutung beruht auf einem zutreffenden Tatsachenkern, denn zwischen den Parteien ist unstreitig, dass es ein solches Tagebuch gab und es dem Ministerium für Staatssicherheit auch übergeben wurde. Bei den hieran anknüpfenden Vorwürfen, der Kläger habe die darin enthaltenen Angaben zum Schaden Dritter eigennützig der Staatssicherheitsbehörde offenbart, handelt es sich jedoch um eine auf diesen Tatsachen fußende Schlussfolgerung und damit um eine nicht willkürlich aus der Luft gegriffene Wertung. Für ein unvoreingenommenes und verständiges Publikum ist klar erkennbar, dass der - dem Kläger nicht gewogene - Äußernde eine subjektive Bewertung der Bedeutung wie der Folgen der Übergabe des Tagebuchs vornimmt und über den Inhalt, der ihm nicht bekannt sein kann, spekuliert. Da die in dieser Deutung liegenden wertenden Elemente überwiegen, ist die Äußerung insoweit als Meinung und nicht als Tatsachenbehauptung einzuordnen. Die vom Kläger behauptete Schwärzung ändert hieran nichts. Insbesondere führt sie nicht dazu, dass - wie das Kammergericht ausführt - die Äußerung insgesamt als unwahre Tatsachenbehauptung einzuordnen ist.

15

d) Bereits die unzutreffende Einordnung der Äußerung als unwahre Tatsachenbehauptung verletzt die Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, da das Kammergericht davon ausging, dass der Schutzbereich der Meinungsfreiheit nicht betroffen ist und deshalb auf die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung (vgl. BVerfGE 85, 1 <16>; 99, 185 <196>) zwischen der Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Kläger bei der Feststellung der Persönlichkeitsrechtsverletzung verzichtete. Das Ergebnis dieser Abwägung, bei der auch das öffentliche Informationsinteresse zu berücksichtigen ist, ist offen. Auf die Frage, ob sich die Beschwerdeführerin die Äußerung des Bruders des Klägers zu Eigen gemacht hat oder ob sie sich ausreichend distanziert hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 30. September 2003 - 1 BvR 865/00 - NJW 2004, S. 590 <591>), kommt es deshalb nicht mehr an.

16

2. Das angefochtene Urteil beruht auf dem Grundrechtsverstoß, denn es ist nicht auszuschließen, dass das Gericht zu einer anderen Beurteilung gelangt wäre, wenn es Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG in seiner Tragweite für die zu entscheidenden Fragen berücksichtigt hätte (vgl. BVerfGE 61, 1 <13>; 93, 266 <294>).

17

3. Wegen der festgestellten Verletzung der Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin kommt es auf die Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) insoweit nicht an. Das Urteil ist aufzuheben. Die Sache ist an das Kammergericht zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG).

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4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.

(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.

(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.

(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.

(1) Gegen den das Verfahren beendenden Beschluß eines Landesarbeitsgerichts findet die Rechtsbeschwerde an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Beschluß des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 92a Satz 2 zugelassen wird. § 72 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. In den Fällen des § 85 Abs. 2 findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.

(2) Für das Rechtsbeschwerdeverfahren gelten die für das Revisionsverfahren maßgebenden Vorschriften sowie die Vorschrift des § 85 über die Zwangsvollstreckung entsprechend, soweit sich aus den §§ 93 bis 96 nichts anderes ergibt. Für die Vertretung der Beteiligten gilt § 11 Abs. 1 bis 3 und 5 entsprechend. Der Antrag kann jederzeit mit Zustimmung der anderen Beteiligten zurückgenommen werden; § 81 Abs. 2 Satz 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden.

(3) Die Einlegung der Rechtsbeschwerde hat aufschiebende Wirkung. § 85 Abs. 1 Satz 2 bleibt unberührt.