Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Urteil, 28. Jan. 2022 - L 37 SF 284/19 EK AS

ECLI:lsgbebb
erstmalig veröffentlicht: 05.05.2022, letzte Fassung: 06.05.2022

Eingereicht durch

Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

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Gericht

Beteiligte Anwälte

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Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner


Wirtschaftsrecht / Existenzgründung / Insolvenzrecht / Gesellschaftsrecht / Strafrecht
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Zusammenfassung des Autors

Streitgegenständlich ist vorliegend die unangemessene Dauer des Ausgangsverfahrens. Der Kläger begehrt vorliegend einen Entschädigungsanspruch wegen überlanger Dauer des vom Sozialgericht geführten Verfahrens (Ausgangsverfahren). Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. 

Verfahrensverlängerungen, die darauf zurückzuführen sind, dass das Verfahren geruht hat, obwohl objektiv kein Ruhensgrund vorlag, fallen zumindest auch in den Verwantwortungsbereich des Gerichts und sind somit dem Staat zuzurechnen. Die dem Staat zurechenbare gerichtliche Untätigkeit beginnt nach Auffasung des Senats jedenfalls dann, wenn das Ausgangsgericht keine Kontrollmechanismen eingerichtet hat, die es ihm ermöglichen, den Wegfall des Ruhegrundes in angemessener Zeit zu bemerken. Je länger ein Verfahrens insgesamt dauere, desto mehr verdichte sich die Pflicht des zuständigen Gerichts, sich nachhaltig um eine Beschleunigung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen. 

Die Klage wird abgewiesen. Der Beklagte trägt ein Drittel und der Kläger zwei Drittel der Kosten des Verfahrens. 

Landessozialgericht der Länder Berlin und Brandenburg

Urteil

LSG der Länder Berlin und Brandenburg, Urteil vom 28.01.2022 - L 37 SF 284/19 EK AS

1. Verfahrensverlängerungen, die darauf zurückzuführen sind, dass das Ver-fahren (weiterhin) geruht hat, obwohl objektiv kein Ruhensgrund (mehr) vor-lag, fallen zumindest auch in den Verantwortungsbereich des Gerichts und sind somit dem Staat zuzurechnen.

2. Das Verhalten der Beteiligten, das ggf. darin besteht, weder einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zu stellen noch von sich aus das Gericht überhaupt über den Wegfall des Ruhensgrundes zu benachrichtigen, ent-bindet das Gericht nicht von der rechtsstaatlichen Plicht, ein zügiges Verfah-ren sicherzustellen (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 05.08.2013 - 1 BvR 2965/10 - juris Rn. 25; EGMR, Urteil vom 11.01.2007 - 20027/02 - juris Rn. 78).

3. Die dem Staat zurechenbare gerichtliche Untätigkeit beginnt jedenfalls dann, wenn das Ausgangsgericht keine Kontrollmechanismen wie etwa regelmäßi-ge Wiedervorlagen eingerichtet hat, die es ihm ermöglichen, den Wegfall des Ruhensgrundes in angemessener Zeit zu bemerken, mit dem auf den Weg-fall folgenden Monat.

4. Der Umstand, dass die Beteiligten erheblich zur Verlängerung des Verfah-rens beigetragen haben, weil sie - obwohl ihnen der Wegfall des Ruhens-grundes bekannt war - das Gericht hierüber nicht informiert haben, kann bei der Frage zu berücksichtigen sein, ob die Wiedergutmachung des eingetre-tenen immateriellen Nachteils auf andere Weise im Sinne von § 198 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 GVG in Betracht kommt.

Tenor

Es wird festgestellt, dass das vor dem Sozialgericht P zunächst unter dem Aktenzeichen S 41 AS 1837/14 und zuletzt unter dem Aktenenzeichen S 24 AS 1294/19 WA geführte Klageverfahren eine unangemessene Dauer aufgewiesen hat. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Beklagte trägt ein Drittel, der Kläger zwei Drittel der Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht (SG) P zunächst unter dem Aktenzeichen S 41 AS 1837/14 und zuletzt unter dem Aktenenzeichen S 24 AS 1294/19 WA geführten Verfahrens.

Der Kläger ist Volljurist und bezog Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Zwischen 2009 und 2019 führte er eine Vielzahl von sozialgerichtlichen Verfahren gegen das Jobcenter (JC) Landeshauptstadt Potsdam.

In dem Ausgangsverfahren wurde über die Höhe der Leistungen nach dem SGB II für die Zeiträume von Februar bis Juli 2012, August 2012 bis Januar 2013, Februar bis Juli 2013, August 2013 bis Januar 2014 sowie August 2014 bis Januar 2015 gestritten, u. a. im Hinblick auf die Berücksichtigung von Einnahmen aus Untermietverhältnissen als Einkommen.

Dem Ausgangsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde:

30.07.2014

· Eingang der Klageschrift vom selben Tag; Klage gerichtet auf die Aufhebung der Bescheide des JC vom 27.01.2012, 24.07.2012, 22.02.2013, 10.07.2013 und 08.07.2014, jeweils in der Gestalt eines Widerspruchsbescheids vom 28.07.2014, und Verurteilung des JC zur Neubescheidung der Weiterbewilligungsanträge "unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts"· Registrierung der Klage unter dem Aktenzeichen S 41 AS 1837/1404.08.2014

· Eingangsbestätigung· Aufforderung an JC zur Klageerwiderung sowie zur Aktenübersendung ("sofern nicht bereits vorhanden") binnen 6 Wochen· interne Wiedervorlage (WV): 8 Wochen29.09.2014

WV des Verfahrens bei der Kammervorsitzenden, Verfristung um 1 Monat03.11.2014

Erinnerung des JC an Klageerwiderung und Aktenübersendung, Frist: 2 Wochen04.11.2014

· Eingang des Schriftsatzes des JC vom Vortag mit der Bitte um Rückübersendung der Akten zum Zwecke der Vervollständigung· Vermerk der Geschäftsstelle: "5 VA ging am 26.06.2014 in S 41 AS 422/14 zur Beklagten (wg. Ruhen des Verfahrens)"

07.11.2014(ab: 24.11.2014)

Hinweis an JC, dass sich der Verwaltungsvorgang dort befinden müsste08.12.2014

WV des Verfahrens bei der Kammervorsitzenden; Verfügung: "z. F. von S 41 AS 422/14"29.12.2014

Eingang der Klageerwiderung des JC vom 23.12.2014 mit Bezugnahme auf den Inhalt des Verwaltungsvorgangs und die Ausführungen in den Widerspruchsbescheiden; beigefügt als Anlage: 5 Bände Verwaltungsakten02.01.2015

Weiterleitung an Kläger zur Kenntnisnahme01/2015

Abgabe des Verfahrens an die 24. Kammer gemäß Präsidiumsbeschluss 01/2015; neues Aktenzeichen S 24 AS 1837/1419.01.2015

Mitteilung des neuen Aktenzeichens an Beteiligte09.04.2015

Ladung zur mündlichen Verhandlung am 13.05.201513.05.2015

Mündliche Verhandlung· Hinweis an Beteiligte, dass streitgegenständlich dieselben Rechtsfragen seien, zu denen die 35. Kammer bereits Entscheidungen getroffen habe. Die Berufungsverfahren seien seit nunmehr drei Jahren beim Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg anhängig; wann dort mit einer Entscheidung zu rechnen sei, sei derzeit nicht absehbar.· Antrag der Beteiligten auf Ruhen des Verfahrens· Beschluss: Anordnung des Ruhens des Verfahrens, "da anzunehmen ist, dass diese Anordnung aus wichtigem Grund (hier: Abwarten der Entscheidungen des LSG Berlin-Brandenburg zu den auch hier streitgegenständlichen Rechtsfragen betreffend die Kosten der Unterkunft bei den geschlossenen Untermietverträgen) zweckmäßig ist."09.08.2019

Eingang des Schriftsatzes des Klägers vom selben Tag:· Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens mit Hinweis, dass der Grund für das Ruhen des Verfahrens weggefallen sei, nachdem im Verfahren zum Az. L 18 AS 13/15 mit Beschluss vom 03.01.2017 die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen worden sei· Erhebung von Verzögerungsrügen "in allen anhängigen Verfahren"19.08.2019

Verfügung: Wiederaufnahme des Verfahrens unter neuem Aktenzeichen S 24 AS 1294/19 WA26.08.2019

Eingang des Schriftsatzes des Klägers vom 25.08.2019 mit Auflistung der Aktenzeichen von diversen Klageverfahren aus den Jahren 2010 bis 2019, u. a. auch von dem Ausgangsverfahren; Vortrag: Er könne nicht ausmachen, welche der genannten Verfahren erledigt seien, und bitte um Sachstandsmitteilung; in Ergänzung seiner Verzögerungsrüge vom 09.08.2019 weise er nun ausdrücklich auf die genannten Verfahren hin27.08.2019

· Mitteilung des neuen Aktenzeichens (S 24 AS 1294/19 WA) an Beteiligte· Weiterleitung des Schriftsatzes vom 09.08.2019 an JC zur Kenntnisnahme· Aufforderung an Kläger, zum Fortgang des Verfahrens Stellung zu nehmen30.08.2019

Ladung zur mündlichen Verhandlung am 01.10.201903.09.2019

Mitteilung an Kläger, welche der von ihm bei Gericht anhängigen Verfahren erledigt seien.30.09.2019

Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung auf den 16.10.201915.10.2019

Beschluss: Trennung der Streitsachen; Fortführung des Verfahrens unter dem hiesigen Aktenzeichen (S 24 AS 1224/19 WA) nur noch bezogen auf den Bewilligungszeitraum von Februar bis Juli 2012; für die weiteren 4 Bewilligungszeiträume Fortführung unter neuen Aktenzeichen (S 24 AS 1621/19 WA, S 24 AS 1622/19 WA, S 24 AS 1623/19 WA und S 24 AS 1624/19 WA)16.10.2019

Durchführung der mündlichen Verhandlung: Beendigung des Verfahrens durch Vergleich

Am 03.12.2019 hat der Kläger beim LSG Berlin-Brandenburg Prozesskostenhilfe in Vorbereitung einer Entschädigungsklage wegen überlanger Dauer des Ausgangsverfahrens beantragt. Der Senat hat dem Kläger Prozesskostenhilfe hinsichtlich eines Entschädigungsanspruchs in Höhe von 2.100,- € bewilligt (Beschluss vom 01.03.2021, dem Kläger zugestellt am 09.03.2021).

Am 12.03.2021 hat der Kläger die Entschädigungsklage beim LSG "in dem von der Prozesskostenhilfebewilligung abgedeckten Umfang" eingereicht. Die Klage ist dem Beklagten am 24.03.2021 zugestellt worden.

Der Kläger meint, die Zeit des Ruhens des Ausgangsverfahrens sei als entschädigungspflichtige Verzögerung zu werten. Zur Begründung dieser Auffassung trägt er vor:

Der Ruhensbeschluss des SG vom 13.05.2015 sei rechtswidrig gewesen. Das Ausgangsverfahren sei zum Zeitpunkt des Erlasses dieses Beschlusses dem Grunde nach entscheidungsreif gewesen. Das SG sei nicht gezwungen gewesen, die Entscheidung des LSG abzuwarten. In den seinerzeit beim LSG anhängigen Verfahren (Aktenzeichen u. a. L 18 AS 724/13) seien andere Bewilligungszeiträume streitig gewesen, sodass die dort noch ausstehenden Entscheidungen keine unmittelbare Wirkung für die vom SG zu treffende Entscheidung gehabt hätten. Das SG hätte die Entscheidung des LSG auch nicht abwarten dürfen. In Deutschland seien Richter an die Rechtsprechung der Gerichte höherer Instanzen nicht gebunden, weshalb das SG selbst im Falle einer Entscheidung des LSG nicht umhingekommen wäre, über den Ausgangsrechtsstreit einzig und allein nach seiner eigenen Auffassung zu entscheiden. Einen Grund, weshalb es am 13.05.2015 nicht habe entscheiden können und weshalb das Verfahren ruhen solle, habe das SG nicht genannt. Außerdem fehle dem Beschluss die vom Gesetz geforderte Abwägung. Bevor das Gericht das Ruhen des Verfahrens anordne, müsse es nach § 251 Zivilprozessordnung (ZPO) prüfen, ob ein "wichtiger" Grund vorliege und ob die Anordnung "zweckmäßig" sei. Hierbei komme dem Ausgangsgericht zwar ein - vom Entschädigungsgericht zu respektierender - Beurteilungs- bzw. Ermessensspielraum zu; im vorliegenden Fall sei dem Ruhensbeschluss jedoch nicht zu entnehmen, dass das SG die Tatbestandsmerkmale des § 251 ZPO überhaupt geprüft habe, weshalb von einem Beurteilungs- / Ermessensfehler auszugehen sei, der dazu führe, dass die Phase des Ruhens des Ausgangsverfahrens eine entschädigungspflichtige Verzögerung darstelle. Auch wenn das Ruhen des Ausgangsverfahrens dem Sitzungsprotokoll zufolge von den Beteiligten übereinstimmend beantragt worden sei, so sei dieser Antrag nicht wirklich freiwillig gewesen. Der Ruhensantrag sei vielmehr auf "Anregung" des SG gestellt worden, da dieses deutlich gemacht habe, dass es ohnehin die Entscheidung des LSG abwarten würde. Unabhängig hiervon habe das SG seine prozessuale Fürsorgepflicht verletzt, weil es das Ruhen des Verfahrens angeordnet habe, ohne das tatsächliche Begehren der Beteiligten zu ermitteln. Auch wenn er (der Kläger) schon seinerzeit über eine juristische Ausbildung verfügt habe, sei dem SG bekannt gewesen, dass er über keine einschlägige Berufs- und keine Prozesserfahrung verfügt habe. Deshalb habe das SG nicht erwarten können, dass er in der mündlichen Verhandlung spontan den Unterschied zwischen einer Aussetzung und einem Ruhen des Verfahrens kenne und überblicken könne, was es bedeute, wenn das Ruhen des Verfahrens angeordnet werde, und ob dies tatsächlich notwendig sei. Hätte das SG das den Ruhensanträgen zugrunde liegende Begehren ermittelt, so hätte es erfahren, dass jedenfalls er davon ausgegangen sei, dass das LSG in angemessener Zeit entscheiden würde. Insofern sei zu beachten, dass er zwar dem Ruhen des Verfahrens zugestimmt habe, nicht aber einem "ewigen Ruhen".

Selbst wenn man von der anfänglichen Rechtmäßigkeit des Ruhensbeschlusses ausgehen wollte, habe das SG jedenfalls dadurch rechtswidrig gehandelt, dass es kein einziges Mal geprüft habe, ob das Verfahren fortzusetzen sei. Insbesondere habe es niemals geprüft, ob es in Anbetracht der Verzögerungen noch "wichtig" und "zweckmäßig" sein könne, das Verfahren mit Blick auf den Beschleunigungsgrundsatz weiter ruhen zu lassen. Je länger das Verfahren ruhe, desto wahrscheinlicher werde es, dass die Beteiligten nicht mehr an das Verfahren dächten und sich ihr ursprünglich erklärtes Einverständnis überholt habe. Je länger das Verfahren insgesamt dauere, desto mehr verdichte sich die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens und dessen Beendigung zu bemühen. Bei der von Amts wegen vorzunehmenden Prüfung, ob das Verfahren weiter ruhen solle, komme dem Ausgangsgericht zwar wiederum ein Beurteilungs- bzw. Ermessenspielraum zu. Wenn es - wie hier - eine solche Prüfung aber gar nicht vornehme, liege ein Beurteilungs- und

Ermessensausfall vor, der dazu führe, dass die Ruhensphase entschädigt werden müsse.

Spätestens im Februar 2017 hätte das SG das Verfahren fortsetzen müssen. Zu diesem Zeitpunkt habe der Ruhensbeschluss seine Wirkung verloren, da alle beim LSG anhängigen Verfahren von ihm im Januar 2017 abgeschlossen worden seien.

Schließlich sei zu beachten, dass die beim LSG anhängigen Verfahren ihrerseits spätestens ab Januar 2015 verzögert gewesen seien, wodurch es zu einer entschädigungspflichtigen Verzögerung auch im Ausgangsverfahren gekommen sei. Zwar habe er für die unangemessene Dauer des zuletzt beim LSG geführten Rechtsstreits bereits eine Entschädigung erhalten, diese sei aber für die Überlänge eben dieses Verfahrens gezahlt worden und nicht für Verzögerungen im - eigenständig zu entschädigenden - streitgegenständlichen Ausgangsverfahren.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, ihm wegen unangemessener Dauer des vor dem Sozialgericht P zunächst unter dem Aktenzeichen S 41 AS 1837/14 und zuletzt unter dem Aktenenzeichen S 24 AS 1294/19 WA geführten Klageverfahrens eine Entschädigung zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gelegt wird, die aber nicht weniger als 2.099,- € betragen soll, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass dem Kläger kein Anspruch auf Entschädigung zustehe. Im Ausgangsverfahren sei lediglich eine geringe Dauer gerichtlicher Inaktivität festzustellen, und zwar von Januar bis März 2015, insgesamt also 3 Kalendermonate. Unter Berücksichtigung der den Gerichten regelmäßig je Instanz zustehenden Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 12 Monaten werde durch diese Verzögerung kein Entschädigungsanspruch begründet. Die Zeit des förmlichen Ruhens des Ausgangsverfahrens sei keine Zeit einer entschädigungspflichtigen gerichtlichen Inaktivität. Der Kläger habe bewusst und ausdrücklich das Ruhen des Ausgangsverfahrens beantragt. Als Volljurist, der eine Vielzahl von Gerichtsverfahren führe, sei dem Kläger auch ohne besonderen richterlichen Hinweis bekannt gewesen, dass er das Ruhen des Verfahrens mit einer einfachen Mitteilung gegenüber dem Gericht hätte beenden können. Dies habe er jedoch unterlassen, sodass die Zeit des Ruhens ausschließlich ihm zuzurechnen sei. Ein "Dulde und Liquidiere" solle nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers durch die Entschädigungsregelungen gerade nicht ermöglicht werden.

Die Beteiligten haben sich unter dem 06.01.2022 (Beklagter) bzw. dem 08.01.2022 (Kläger) mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Akten des Ausgangsverfahrens verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung gewesen sind.

Gründe

Der nach § 201 Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) sowie § 202 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), jeweils in der Fassung des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (GRüGV) vom 24.11.2011 (BGBl. I, S. 2302) und des Gesetzes über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des Bundesdisziplinargesetzes vom 06.12.2011 (BGBl. I, S. 2554) für die Entscheidung über die Entschädigungsklage zuständige Senat konnte über diese nach § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i. V. m. §§ 202 Satz 2, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, nachdem die Beteiligten hierzu unter dem 06. bzw. 08.01.2022 ihr Einverständnis erteilt hatten.

Die Klage ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch begründet.

I. Die Entschädigungsklage ist als allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig. Dass der Kläger die Klagefrist des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG nicht eingehalten hat, kann ihm nicht entgegengehalten werden. Zwar bestimmt § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG ausdrücklich, dass die Klage spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Ausgangsverfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Ausgangsverfahrens erhoben werden muss. Die Versäumung dieser Frist ist jedoch unbeachtlich, wenn der Kläger - wie hier - noch vor Ablauf der Klagefrist einen Prozesskostenhilfeantrag gestellt hat und sodann - ebenfalls wie hier - unmittelbar nach der Bewilligung von Prozesskostenhilfe Klage erhebt. Einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bedarf es in diesen Fällen nicht (vgl. zum Ganzen BSG, Urteil vom 10.07.2014 - B 10 ÜG 8/13 R - juris Rn. 12).

II. In der Sache hat die Klage nur teilweise Erfolg. Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Entschädigung in Geld wegen des erlittenen immateriellen Nachteils. Ausreichend ist vielmehr eine Wiedergutmachung auf andere Weise, nämlich durch die Feststellung des Senats, dass die Verfahrensdauer unangemessen war.

Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird gemäß § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise ausreichend ist (§ 198 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 SGG). Eine Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter gemäß § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG nur dann, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge).

1. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 09.08.2019, ergänzt durch Schriftsatz vom 25.08.2019, eine ordnungsgemäße Verzögerungsrüge in Bezug auf das Ausgangsverfahren erhoben. Jedenfalls durch den letztgenannten Schriftsatz wird hinreichend deutlich, dass sich die Verzögerungsrüge auf das streitgegenständliche Ausgangsverfahren bezieht.

2. Die Dauer des Ausgangsverfahrens war im Umfang von 21 Monaten unangemessen.

Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

a) Den Ausgangspunkt der Angemessenheitsprüfung bildet die in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definierte Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von seiner Einleitung bis zu seinem rechtskräftigen Abschluss. Das streitgegenständliche Ausgangsverfahren wurde mit Erhebung der Klage am 30.07.2014 eingeleitet und fand seine Erledigung durch den Abschluss eines Vergleichs am 16.10.2019. Es erstreckte sich mithin über 5 Jahre und rund 3 Monate.

b) Das Verfahren wies eine leicht überdurchschnittliche Bedeutung sowie eine durchschnittliche Schwierigkeit auf. Zugleich war es überdurchschnittlich komplex.

Die Bedeutung des Verfahrens ergibt sich zum einen aus der allgemeinen Tragweite der Entscheidung für die materiellen und ideellen Interessen der Beteiligten. Entscheidend ist zudem, ob und wie sich der Zeitablauf nachteilig auf die Verfahrensposition eines Klägers und das geltend gemachte materielle Recht sowie möglicherweise auf seine weiteren geschützten Interessen auswirkt (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris Rn. 29). Der Kläger begehrte höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, wobei - bis zum Trennungsbeschluss vom 15.10.2019 - ein mehrere Bewilligungsabschnitte umfassender und demnach vergleichsweise langer Zeitraum im Streit stand. Letztlich war aber auch dieses Verfahren nur eines von vielen, die der Kläger gegen das JC führte. Durch den Zeitablauf drohten ihm keine weitergehenden Nachteile. Eine mehr als leicht überdurchschnittliche Bedeutung kann dem Ausgangsverfahren bei einer solchen Sachlage nicht beigemessen werden.

Das Verfahren war durchschnittlich schwierig. Angesichts der Vielzahl der weiteren vom Kläger geführten Rechtsstreitigkeiten und der damit einhergehenden Probleme, insbesondere die einzelnen Verfahren in sinnvollen Zusammenhängen zu verhandeln und zu entscheiden, war die Verfahrensführung jedoch erheblich erschwert und hatte eine überdurchschnittliche Komplexität des Verfahrens zur Folge.

c) Über die in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausdrücklich genannten Kriterien hinaus hängt die Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer wesentlich davon ab, ob dem Staat zurechenbare Verhaltensweisen des Gerichts zur Überlänge des Verfahrens geführt haben. Maßgeblich sind Verzögerungen, also sachlich nicht gerechtfertigte Zeiten des Verfahrens, insbesondere aufgrund von Untätigkeit des Gerichts (ständige Rechtsprechung, siehe z. B. BSG, Urteile vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R und B 10 ÜG 12/13G 12/13 R - Rn. 34 bzw. Rn. 41, vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 7/14 R - Rn. 35 und vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 1/16 R - Rn. 38, jeweils zitiert nach juris).

Für die Beurteilung, ob eine überlange Verfahrensdauer vorliegt, sind aktive und inaktive Zeiten der Bearbeitung gegenüberzustellen, wobei kleinste relevante Zeiteinheit zur Berechnung der Überlänge stets der Monat im Sinne des Kalendermonats ist (BSG, Urteile vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - Rn. 34 und 07.09.2017 - B 10 ÜG 3/16 R - Rn. 24, jeweils zitiert nach juris). Dabei sind dem Ausgangsgericht gewisse Vorbereitungs- und Bedenkzeiten, die regelmäßig je Instanz 12 Monate betragen, als angemessen zuzugestehen, selbst wenn sie nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte als begründet und gerechtfertigt angesehen werden können (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris Rn. 46). Angemessen bleibt die Gesamtverfahrensdauer in Hauptsacheverfahren regelmäßig zudem dann, wenn sie den genannten Zeitraum überschreitet, aber insoweit auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung des Gerichts beruht oder durch Verhalten des Klägers oder Dritter verursacht wird, die das Gericht nicht zu vertreten hat (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris Rn. 27 und 47). Dabei ist zu beachten, dass eingereichte Schriftsätze, die einen gewissen Umfang haben und sich inhaltlich mit Fragen des Verfahrens befassen, generell eine Überlegungs- und Bearbeitungszeit beim Gericht auslösen, die mit einem Monat zu Buche schlägt (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 12/13 R - juris Rn. 57). Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Übersendung eines Schriftsatzes, z. B. eines Gutachtens, einer gutachtlichen Stellungnahme oder auch der Berufungserwiderung an die Beteiligten zur Kenntnis stets die Möglichkeit zur Stellungnahme beinhaltet. Die Entscheidung des Gerichts, im Hinblick auf eine mögliche Stellungnahme zunächst nicht weitere Maßnahmen zur Verfahrensförderung zu ergreifen, unterliegt grundsätzlich noch seiner Entscheidungsprärogative und ist - mit Ausnahme unvertretbarer oder schlechthin unverständlicher Wartezeiten - durch das Entschädigungsgericht nicht als Verfahrensverzögerung zu bewerten (BSG, Urteil vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 1/16 R - juris Rn. 43).

Das Entschädigungsverfahren eröffnet keine weitere Instanz, um das Handeln des Ausgangsgerichts einer rechtlichen Vollkontrolle zu unterziehen. Bei der Beurteilung der Prozessleitung des Ausgangsgerichts hat das Entschädigungsgericht vielmehr die materiell-rechtlichen Annahmen, die das Ausgangsgericht seiner Verfahrensleitung und -gestaltung zugrunde legt, nicht infrage zu stellen, soweit sie nicht geradezu willkürlich erscheinen. Zudem räumt die Prozessordnung dem Ausgangsgericht ein weites Ermessen bei seiner Entscheidung darüber ein, wie es das Verfahren gestaltet und leitet. Die richtige Ausübung dieses Ermessens ist vom Entschädigungsgericht allein unter dem Gesichtspunkt zu prüfen, ob das Ausgangsgericht bei seiner Prozessleitung Bedeutung und Tragweite des Menschenrechts aus Art 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) bzw. des Grundrechts Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) in der konkreten prozessualen Situation hinreichend beachtet und fehlerfrei gegen das Ziel einer möglichst richtigen Entscheidung abgewogen hat (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - Rn. 36).

Mit Blick auf den Ablauf des streitgegenständlichen Ausgangsverfahrens ist festzustellen, dass - nachdem im Juli 2014 die Klage eingegangen war - eine erste Verzögerung im Oktober 2014 (1 Kalendermonat) eingetreten ist. In diesem Monat ist keinerlei gerichtliche Aktivität zu verzeichnen, insbesondere hat das SG das JC nicht an die Klageerwiderung erinnert, obwohl die von ihm hierfür gesetzte Frist bereits im September 2014 abgelaufen und ein weiteres Zuwarten nicht mehr vertretbar war. Von November 2014 bis einschließlich Januar 2015 hat das SG dem Verfahren demgegenüber wieder Fortgang gegeben. Es hat das JC nunmehr an die Klageerwiderung erinnert (November 2014), diese ist schließlich eingegangen (Ende Dezember 2014) und wurde kurz danach an den Kläger zur Kenntnisnahme weitergeleitet (Anfang Januar 2015). Zu einer erneuten Verzögerung ist es im Februar und März 2015 (2 Kalendermonate) gekommen. Das SG durfte in diesen Monaten nicht davon absehen, weitere Verfahrensförderungsschritte in die Wege zu leiten. Es war nicht damit zu rechnen, dass der Kläger von der Möglichkeit Gebrauch machen würde, zu der Klageerwiderung Stellung zu nehmen, da in dieser lediglich auf den Inhalt der Verwaltungsvorgänge und die Ausführungen in den Widerspruchsbescheiden Bezug genommen worden war.

Anschließend hat das SG das Verfahren wieder aktiv gefördert, indem es im April 2015 einen Termin zur mündlichen Verhandlung für den 13.05.2015 bestimmt und diesen sodann auch durchgeführt hat.

In dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 13.05.2015 hat das SG das Ruhen des Ausgangsverfahrens angeordnet, worauf das Verfahren von Juni 2015 bis einschließlich Juli 2019 nicht bearbeitet wurde, bis es im August 2019 wieder aufgenommen wurde. Diese Verfahrensruhe ist teilweise, nämlich in Bezug auf die Phase von Juni 2015 bis Januar 2017, als sachlich gerechtfertigt anzusehen. Demgegenüber ist die Phase von Februar 2017 bis Juli 2019 (30 Kalendermonate) als dem Staat zurechenbare Untätigkeit des Gerichts zu werten.

Grundsätzlich stellen Zeiten, in denen das Ausgangsverfahren förmlich ruht, keine entschädigungsrelevanten Verzögerungen dar, unabhängig davon, ob der Ruhensantrag auf eine gerichtliche Anregung oder auf die Initiative der Beteiligten zurückgeht (Senatsurteil vom 06.12.2013 - L 37 SF 69/12 EK KA - juris Rn. 76; ebenso LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.05.2013 - L 2 SF 1534/12 EK - juris Rn. 59 sowie LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19.09.2018 - L 11 SF 362/17 EK KR - juris Rn. 40). Gemäß § 202 Satz 1 SGG i. V. m. § 251Satz 1 ZPO ist die Anordnung des Ruhens nur auf Antrag der Beteiligten möglich. Derartige Anträge haben die Beteiligten des Ausgangsverfahrens in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 13.05.2015 gestellt. Durch die notwendigen Anträge der Beteiligten wird klargestellt, dass der Stillstand des Verfahrens - im Gegensatz zum Falle des bloßen "Liegenlassens der Akten" durch das Gericht - vom Willen der Beteiligten getragen wird.

Neben entsprechenden Anträgen der Beteiligten setzt die Anordnung des Ruhens des Verfahrens gemäß § 202 Satz 1 SGG i. V. m. § 251 Satz 1 ZPO allerdings voraus, dass diese Anordnung wegen des Schwebens von Vergleichsverhandlungen oder aus sonstigen wichtigen Gründen zweckmäßig ist. Insofern steht es nicht alleine zur Disposition der Beteiligten, das Verfahren zum Ruhen zu bringen. Vielmehr hat das Gericht die Zweckmäßigkeit der Verfahrensruhe im Hinblick auf den jeweiligen Ruhensgrund zu prüfen. Liegen die Voraussetzungen für eine Ruhensanordnung vor, steht diese nicht im Ermessen des Gerichts. Das Gericht "hat" das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, wenn es zweckmäßig und übereinstimmend beantragt worden ist, sodass es sich hierbei um eine gebundene Entscheidung handelt (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08.03.2011 - OVG 2 L 7.11 - juris Rn. 7). Lediglich die Prüfung der Zweckmäßigkeit eröffnet einen Einschätzungsspielraum (BSG, Beschluss vom 17.12.2015 - B 2 U 132/15 B - juris Rn. 9). Das Gericht kann in Konsequenz das Verfahren jederzeit von Amts wegen fortsetzen; dies geschieht, wenn die Fortdauer des Ruhens nicht mehr zweckmäßig ist (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, Vor § 114 Rn. 4).

Aus dem zuvor Gesagten folgt zugleich, dass Verfahrensverlängerungen, die darauf zurückzuführen sind, dass das Verfahren (weiterhin) geruht hat, obwohl objektiv kein Ruhensgrund (mehr) vorlag, zumindest auch in den Verantwortungsbereich des Gerichts fallen und somit dem Staat zuzurechnen sind (vgl. zu Verzögerungen infolge von Aussetzungsentscheidungen BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris Rn. 40 ff.). Das Verhalten der Beteiligten, das ggf. darin besteht, weder einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zu stellen noch von sich aus das Gericht überhaupt über den Wegfall des Ruhensgrundes zu benachrichtigen, entbindet das Gericht nicht von der rechtsstaatlichen Plicht, ein zügiges Verfahren sicherzustellen (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 05.08.2013 - 1 BvR 2965/10 - juris Rn. 25; EGMR, Urteil vom 11.01.2007 - 20027/02 - juris Rn. 78). Wohl aber kann der Umstand, dass die Beteiligten erheblich zur Verlängerung des Verfahrens beigetragen haben, weil sie - obwohl ihnen der Wegfall des Ruhensgrundes bekannt war - das Gericht hierüber nicht informiert haben, bei der Frage zu berücksichtigen sein, ob die Wiedergutmachung des eingetretenen immateriellen Nachteils auf andere Weise im Sinne von § 198 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 GVG in Betracht kommt (dazu weiter unten).

Angesichts des aufgezeigten weiten prozessualen Gestaltungsspielraums des Ausgangsgerichts ist der Zeitraum des Ruhens des Verfahrens, soweit es um die Phase von Juni 2015 bis einschließlich Januar 2017 geht, als sachlich gerechtfertigt anzusehen. Der vom SG beschlossenen Verfahrensruhe lag die Überlegung zugrunde, dass die Ergebnisse der seinerzeit beim LSG Berlin-Brandenburg anhängigen, vom Kläger geführten Parallelverfahren nach deren Abschluss für das streitgegenständliche Ausgangsverfahren fruchtbar gemacht werden können. Gestützt auf diese prozessökonomische Erwägung durfte das SG den Ausgang der anderen Verfahren abwarten. Selbst in Fällen, in denen eine förmliche Ruhensanordnung nicht ergeht, kann ein Zuwarten auf Ergebnisse oder Ermittlungen in einem parallelen Verfahren als Zeit der aktiven Bearbeitung anzusehen sein, wenn zu erwarten ist, dass in einem solchen Verfahren Erkenntnisse gewonnen werden, die auch für das Ausgangsverfahren relevant sind, oder wenn die Beteiligten diesem Vorgehen ausdrücklich zustimmen (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 12/13 R -, juris Rn. 47; Senatsurteil vom 25.02.2016 - L 37 SF 128/14 EK AL - juris Rn. 44). Erst recht muss dies gelten, wenn das Ausgangsgericht auf Antrag der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens nach § 202 Satz 1 SGG i. V. m. § 251 Satz 1 ZPO beschließt und damit eine rechtliche Basis dafür schafft, dass es zunächst nicht weiter tätig wird.

Der Senat hat nicht zu prüfen, ob der Ruhensbeschluss rechtswidrig war. Die Beteiligten des Ausgangsverfahrens haben von der seinerzeit bestehenden Möglichkeit, gegen den Beschluss Beschwerde einzulegen oder sofort die Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen, keinen Gebrauch gemacht. Wie bereits ausgeführt, ist es nicht Aufgabe des Entschädigungsgerichts, das Handeln des Ausgangsgerichts einer rechtlichen Vollkontrolle zu unterziehen. Dem Beschluss vom 13.05.2015 ist eindeutig zu entnehmen, welcher Grund der Anordnung des Ruhens des Verfahrens zugrunde lag. Allein dies ist maßgebend, weil der Senat hierdurch in die Lage versetzt wird, den Ablauf des Ausgangsverfahrens in entschädigungsrechtlicher Hinsicht zu würdigen.

Die Anordnung des Ruhens des Verfahrens war nicht willkürlich. Der Senat teilt insoweit nicht die Befürchtung des Klägers, dass das SG das Ruhen des Verfahrens angeordnet haben könnte, ohne die Tatbestandsmerkmale des § 251 Satz 1 ZPO zu prüfen. Aus dem Ruhensbeschluss vom 13.05.2015 ergibt sich, aus welchem Grund das SG die Zweckmäßigkeit der Verfahrensruhe bejaht hat. Es obliegt auch nicht dem Senat, aufgrund einer eigenen materiell-rechtlichen Prüfung zu bewerten, ob das Ausgangsverfahren bereits im Mai 2015 entscheidungsreif war.

Anders als der Kläger meint, steht der Vertretbarkeit der Ruhensanordnung nicht entgegen, dass in den beim LSG anhängigen Verfahren andere Bewilligungszeiträume als im Ausgangsverfahren im Streit standen. Im Gegenteil wären Zweifel an der Zweckmäßigkeit einer Verfahrensruhe gerade bei identischen Bewilligungszeiträumen angebracht, weil in solchen Fällen regelmäßig eine doppelte Rechtshängigkeit in Betracht zu ziehen ist, weshalb es geboten sein kann, die Klage sogleich als unzulässig abzuweisen.

Die Ruhensanordnung bewegte sich auch nicht deshalb außerhalb des prozessualen Gestaltungsspielraums das SG, weil von den in den Parallelverfahren zu erwartenden Entscheidungen keine rechtliche Bindungswirkung für das Ausgangsverfahren ausging. Die Verfahrensruhe nach § 202 Satz 1 SGG i. V. m. § 251 Satz 1 ZPO setzt Derartiges nicht voraus. Anders als bei der Aussetzung (§ 114 SGG) muss auch keine Vorgreiflichkeit vorliegen.

Keine andere Bewertung lässt die Behauptung des Klägers zu, er habe den Antrag auf Ruhen des Verfahrens im Mai 2015 "nicht wirklich freiwillig" gestellt. Etwaige Willensmängel wären entschädigungsrechtlich allenfalls dann beachtlich, wenn sie zur Unwirksamkeit bzw. Anfechtbarkeit der in Frage stehenden Prozesshandlung führen würden. Hierfür ist jedoch nichts ersichtlich. Ebenso wenig bestehen Anhaltspunkte dafür, dass das SG den Ruhensantrag des Klägers falsch ausgelegt oder die prozessuale Fürsorgepflicht verletzt haben könnte. Es besteht überhaupt kein Zweifel daran, dass der Kläger, der schon damals über eine abgeschlossene juristische Ausbildung verfügte, Bedeutung und Tragweite der von ihm im Ausgangsverfahren gestellten Anträge erfasst hat.

Auch unter dem Gesichtspunkt, dass sich mit zunehmender Dauer des Verfahrens die aus dem Justizgewährleistungsanspruch resultierende Pflicht des Ausgangsgerichts, sich nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens und dessen Beendigung zu bemühen, verdichtet (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris Rn. 37 m. w. N.), war die fortdauernde Verfahrensruhe in Bezug auf die Phase von Juni 2015 bis einschließlich Januar 2017 noch von dem prozessualen Gestaltungsspielraum des Ausgangsgerichts gedeckt. Das streitgegenständliche Ausgangsverfahren wies im Januar 2017 eine Dauer von rund zweieinhalb Jahren auf. Das SG hatte bereits beachtliche Anstrengungen unternommen, um das Verfahren zum Abschluss zu bringen, u. a. hatte es im Mai 2015 eine mündliche Verhandlungen durchgeführt. Dass die beim LSG anhängigen Parallelverfahren, deren Ausgang das SG abgewartet hat, ihrerseits eine überlange Dauer aufwiesen, ändert nichts daran, dass das SG die Verfahrensruhe im Ausgangsverfahren anordnen und aufrechterhalten durfte. Das Ausgangsverfahren ist entschädigungsrechtlich eigenständig zu bewerten. Im Übrigen kann gerade die fortgeschrittene Verfahrensdauer eines Parallelverfahrens Grund für die Annahme bieten, dass dieses bald abgeschlossen sein werde.

Für die von Februar 2017 bis Juli 2019 andauernde Ruhensphase ist demgegenüber keine sachliche Rechtfertigung mehr gegeben, weshalb insoweit eine entschädigungsrelevante gerichtliche Untätigkeit festzustellen ist. Nachdem durch Beschluss vom 03.01.2017 das unter dem Aktenzeichen L 18 AS 676/13 NZB vom Kläger geführte Beschwerdeverfahren und durch einen weiteren Beschluss vom 16.01.2017 das unter dem Aktenzeichen L 18 AS 724/13 vom Kläger geführte Berufungsverfahren beendet worden waren, waren beim LSG keine Parallelverfahren mehr anhängig. Mit Erlass dieser Entscheidungen konnte das SG nicht mehr vertretbar von der Zweckmäßigkeit des Ruhens nach § 202 Satz 1 SGG i. V. m. § 251 Satz 1 SGG ausgehen. Die dem Staat zurechenbare gerichtliche Untätigkeit beginnt nach Auffassung des Senats jedenfalls dann, wenn das Ausgangsgericht - wie hier - keine Kontrollmechanismen wie etwa regelmäßige Wiedervorlagen eingerichtet hat, die es ihm ermöglichen, den Wegfall des Ruhensgrundes in angemessener Zeit zu bemerken, mit dem auf den Wegfall folgenden Monat, hier also im Februar 2017.

Nach der Wiederaufnahme des Verfahrens durch das SG im August 2019 bis zum Abschluss des verfahrensbeendenden Vergleichs in der mündlichen Verhandlung im Oktober 2019 ist keine weitere Verzögerung zu verzeichnen.

Mithin ist es im Ausgangsverfahren zu Zeiten einer gerichtlichen Inaktivität im Umfang von insgesamt 33 Kalendermonaten gekommen.

d) Dies bedeutet indes nicht, dass von einer Unangemessenheit der Verfahrensdauer im Umfang von 33 Kalendermonaten auszugehen ist. Denn erst die wertende Gesamtbetrachtung und Abwägung aller Einzelfallumstände ergibt, ob die Verfahrensdauer die äußerste Grenze des Angemessenen deutlich überschritten und deshalb das Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verletzt hat (BSG, Urteil vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 1/16 R - juris Rn. 33). Dabei ist zu beachten, dass den Gerichten - über die Phasen der aktiven Verfahrensförderung hinaus - Vorbereitungs- und Bedenkzeiten von in der Regel 12 Monaten je Instanz als angemessen zuzugestehen sind, falls sich nicht aus dem Vortrag eines Klägers oder aus den Akten besondere Umstände ergeben, die vor allem mit Blick auf die Kriterien des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG im Einzelfall zu einer anderen Bewertung führen (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris Rn. 48).

Im vorliegenden Fall besteht zur Überzeugung des Senats kein Anlass, von der im Regelfall anzusetzenden Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 12 Monaten abzuweichen, sodass von einer grundsätzlich entschädigungspflichtigen Verzögerung von 21 Kalendermonaten auszugehen ist.

3. Der Kläger hat durch die unangemessene Dauer des Ausgangsverfahrens auch einen Nachteil erlitten. Dies folgt bereits aus § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG, wonach ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet wird, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Umstände, die diese gesetzliche Vermutung zu widerlegen geeignet wären, sind hier nicht erkennbar und auch von dem Beklagten nicht vorgebracht worden.

4. Gleichwohl steht dem Kläger kein Anspruch auf eine Geldentschädigung zu. Nach den konkreten Umständen des vorliegenden Falls ist zur Überzeugung des Senats eine Wiedergutmachung des erlittenen immateriellen Nachteils auf andere Weise gemäß § 198Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 GVG ausreichend, und zwar durch die Feststellung, dass die Verfahrensdauer unangemessen war.

Ob eine solche Feststellung ausreichend im Sinne von § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ist, beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls. In diese ist regelmäßig einzustellen, ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Bedeutung hatte, ob dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verzögerung beigetragen hat, ob er weitergehende immaterielle Schäden erlitten hat oder ob die Überlänge den einzigen Nachteil darstellt (BT-Drucks. 17/3802 S. 20; BSG, Urteile vom 12.12.2019 - B 10 ÜG 3/19 R -, juris Rn. 40, vom 05.05.2015 - B 10 ÜG 8/14 R -, juris Rn. 30 und vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - juris Rn. 36). Darüber hinaus kann es darauf ankommen, wie lange das Verfahren sich verzögert hat, ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Dringlichkeit aufwies oder ob diese zwischenzeitlich entfallen war (BVerwG, Urteil vom 11.07.2013 - 5 C 23/12 D - juris Rn. 57). Bedeutung erlangen können auch durch die überlange Verfahrensdauer erlangte Vorteile, die das Gewicht der erlittenen Nachteile aufwiegen (BVerwG, Urteil vom 12.07.2018 - 2 WA 1/17 D - juris Rn. 36).

Die Umstände des Einzelfalls sind vorliegend dadurch geprägt, dass das Ausgangsverfahren weder eine besondere Bedeutung hatte noch eine besondere Dringlichkeit aufwies und darüber hinaus für den Kläger selbst eine zügige Verfahrenserledigung lange Zeit nicht im Vordergrund stand. Obwohl der Kläger wusste, dass der Grund, der im Mai 2015 zur Anordnung des Ruhens des Verfahrens geführt hatte, im Januar 2017 weggefallen war, informierte er das SG hierüber zunächst nicht. Dies führte dazu, dass das Verfahren erst mehr als zweieineinhalb Jahre später, nämlich im August 2019, fortgesetzt wurde, nachdem ein entsprechender Wiederaufnahmeantrag vom Kläger endlich gestellt worden war. Durch sein Verhalten, konkret durch sein "Stillhalten" nach Wegfall des Ruhensgrundes, hat der Kläger ganz erheblich zur Verzögerung des Ausgangsverfahrens beigetragen. Nur hierdurch ist es ihm "gelungen", Monate gerichtlicher Untätigkeit in entschädigungsrechtlich relevantem Ausmaß zu "sammeln". Außerhalb der Ruhensphase ist eine Untätigkeit des Ausgangsgerichts - wie bereits dargelegt - lediglich in drei Kalendermonaten zu verzeichnen. Würde man bei einem auf diese Weise in die Länge gezogenen Verfahren einen Anspruch auf eine Geldentschädigung zuerkennen, liefe dies auf die Möglichkeit eines "Dulde und Liquidiere" hinaus, die nach dem Willen des Gesetzgebers aber gerade ausgeschlossen werden sollte (vgl. BT-Drucks. 17/3802 S. 20). Aufgrund einer Abwägung all dieser Umstände erscheint dem Senat die Feststellung, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, anstelle einer Geldentschädigung ausreichend.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 Satz 6, 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 155Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und § 201 Abs. 4 GVG. In einem Fall, in dem - wie hier - zwar kein Anspruch auf Entschädigung in Geld besteht, aber die Unangemessenheit der Verfahrensdauer festzustellen ist, entspricht es nach Auffassung des Senats billigem Ermessen im Sinne von § 201 Abs. 4 GVG, den Beklagten mit einem Kostenanteil von einem Drittel und den Kläger mit einem solchen von zwei Dritteln zu belasten.

IV. Die Revision war nicht zuzulassen, weil keine Gründe nach § 160 Abs. 2 SGG (i. V. m. § 202 Satz 2 SGG und § 201 Abs. 2 Satz 3 GVG) vorliegen.

Urteilsbesprechung zu Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Urteil, 28. Jan. 2022 - L 37 SF 284/19 EK AS

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Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 05. Aug. 2013 - 1 BvR 2965/10

bei uns veröffentlicht am 05.08.2013

Tenor Es wird festgestellt, dass die überlange Dauer des Verfahrens vor dem Arbeitsgericht München - 4 Ca 5756/97 - und dem Landesarbeitsgericht München - 10 Sa 88/99 - den Beschwerdeführer in sein

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 11. Juli 2013 - 5 C 23/12 D

bei uns veröffentlicht am 11.07.2013

Tatbestand 1 Die Beteiligten streiten über die Höhe des Entschädigungsanspruchs wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens und darüber, ob der Kläger daneben be

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Tenor

Es wird festgestellt, dass die überlange Dauer des Verfahrens vor dem Arbeitsgericht München - 4 Ca 5756/97 - und dem Landesarbeitsgericht München - 10 Sa 88/99 - den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gemäß Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Absatz 3 Grundgesetz) verletzt.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer drei Viertel seiner notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft einen arbeitsgerichtlichen Rechtsstreit über Urlaubsabgeltung, Abfindung und Erstattung von Umzugs- und Reisekosten, der über 20 Jahre dauerte.

2

1. Der Beschwerdeführer war als Redakteur bei der Beklagten des Ausgangsverfahrens beschäftigt. Im Jahr 1988 kündigte die Arbeitgeberin dem Beschwerdeführer krankheitsbedingt. Dagegen erhob der Beschwerdeführer eine Kündigungsschutzklage, mit der er nach mehreren Zurückverweisungen des Bundesarbeitsgerichts im März 2002 obsiegte. Zwischenzeitlich kündigte die Arbeitgeberin dem Beschwerdeführer im Jahr 1994 aus betriebsbedingten Gründen. Die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Kündigungsschutzklage blieb erfolglos; zuletzt wies das Bundesarbeitsgericht die Nichtzulassungsbeschwerde im August 2008 zurück.

3

Im Ausgangsverfahren erhob der Beschwerdeführer am 25. März 1988 Klage auf Zahlung von Arbeitsentgelt. Bis Ende 1989 fanden insgesamt vier Kammertermine statt. Der Beschwerdeführer erweiterte die Klage mehrfach und wechselte in der ersten Instanz zweimal den Prozessbevollmächtigten. Mit Beschluss vom 12. November 1990 trennte das Arbeitsgericht den Rechtsstreit in sieben eigenständige Verfahren. Am 13. Dezember 1990 erhob der Beschwerdeführer Dienstaufsichtsbeschwerde wegen Prozessverschleppung. Am 24. Juli 1991 setzte das Arbeitsgericht den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das erste Kündigungsschutzverfahren aus. Nach Aufnahme des Rechtsstreits wies das Arbeitsgericht die Klage am 20. Mai 1998 ab. Hiergegen legte der Beschwerdeführer Berufung ein.

4

Das Landesarbeitsgericht setzte den Rechtsstreit am 14. April 2000 erneut bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die erste Kündigungsschutzklage aus. Die Aussetzung erfolgte unter Hinweis auf die Vorgreiflichkeit der ersten Kündigungsschutzklage ohne Darstellung von Ermessenserwägungen. Zwischenzeitlich stellte der EGMR mit Urteil vom 18. Oktober 2001 eine Verletzung von Art. 6 EMRK wegen der überlangen Dauer des ersten Kündigungsschutzprozesses fest. Nachdem der Beschwerdeführer im ersten Kündigungsschutzprozess rechtskräftig obsiegt hatte, setzte das Landesarbeitsgericht den Rechtsstreit am 17. November 2004 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die zweite Kündigungsschutzklage aus. Die Aussetzung erfolgte unter Hinweis auf die Vorgreiflichkeit ohne Darstellung von Ermessenserwägungen. In der zweiten Instanz wechselte der Beschwerdeführer erneut zweimal seinen Prozessbevollmächtigten und stellte zwei unbegründete Befangenheitsanträge. Mit Urteil vom 9. September 2009, dem Beschwerdeführer zugestellt am 12. Dezember 2009, gab das Landesarbeitsgericht der Klage teilweise statt.

5

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beschwerdeführers verwarf das Bundesarbeitsgericht mit Beschluss vom 11. Oktober 2010 als unzulässig.

6

2. Der Beschwerdeführer macht mit seiner Verfassungsbeschwerde geltend, die Gerichte hätten aufgrund überlanger Verfahrensdauer seinen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt. Darüber hinaus rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG.

7

3. Zur Verfassungsbeschwerde haben die Beklagte des Ausgangsverfahrens und das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen Stellung genommen.

8

Die Beklagte des Ausgangsverfahrens hat darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer durch Befangenheitsanträge und mehrfachen Anwaltswechsel zu einer Verzögerung des Verfahrens beigetragen habe. Die Aussetzungsbeschlüsse seien nicht begründet worden.

9

Das Bayerische Staatsministerium hat ausgeführt, in Bezug auf das arbeitsgerichtliche Verfahren erster Instanz liege eine Verletzung verfassungsmäßiger Rechte des Klägers nicht vor. Die Verfahrensdauer sei geprägt durch die fortwährende Änderung der Klageanträge. Die streitgegenständlichen Ansprüche seien von einem vorgreiflichen Kündigungsverfahren abhängig gewesen. In Bezug auf das Verfahren in zweiter Instanz wird darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer mit den Aussetzungen jeweils einverstanden gewesen sei. Die durchaus lange Verfahrensdauer sei eine Folge der langwierigen Kündigungsschutzprozesse gewesen.

10

4. Die Akte des Ausgangsverfahrens hat dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

II.

11

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit die Verletzung des Gebots effektiven Rechtsschutzes durch überlange Verfahrensdauer gerügt wird, und gibt ihr insoweit statt. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Entscheidung durch die Kammer liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

12

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, soweit der Beschwerdeführer die überlange Verfahrensdauer geltend macht. Insbesondere fehlt es insoweit nicht am Rechtsschutzinteresse.

13

Dem steht nicht entgegen, dass das Ausgangsverfahren bereits beendet ist. Erledigt sich das überlange Verfahren, besteht das Rechtsschutzbedürfnis fort, wenn der gerügte Grundrechtseingriff besonders schwer wiegt (vgl. BVerfGE 104, 220 <232 f.>), wenn die gegenstandslos gewordene Maßnahme den Beschwerdeführer weiter beeinträchtigt (vgl. BVerfGE 91, 125 <133>; 99, 129 <138>) oder wenn eine Gefahr der Wiederholung des Grundrechtseingriffs besteht (vgl. BVerfGE 91, 125 <133>; 103, 44 <58 f.>).

14

a) Der Annahme einer Wiederholungsgefahr steht das am 3. Dezember 2011 in Kraft getretene Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) entgegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 13. August 2012 - 1 BvR 1098/11 -, juris, Rn. 20).

15

b) Besonders schwer wiegt eine Grundrechtsverletzung, die auf eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten hindeutet oder wegen ihrer Wirkung geeignet ist, von der Ausübung von Grundrechten abzuhalten. Eine geltend gemachte Verletzung hat ferner dann besonderes Gewicht, wenn sie auf einer groben Verkennung des durch ein Grundrecht gewährten Schutzes oder einem geradezu leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen beruht oder rechtsstaatliche Grundsätze krass verletzt (vgl. BVerfGK 17, 512 <516>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Juli 2008 - 1 BvR 547/06 -, juris, Rn. 28). So liegt es hier.

16

2. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, soweit der Beschwerdeführer mit ihr eine Verletzung des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz geltend macht.

17

a) Für den Bereich des Zivilprozesses gewährleistet Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) einen wirkungsvollen Rechtsschutz (vgl. BVerfGE 93, 99 <107>). Daraus ergibt sich die Verpflichtung der Fachgerichte, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss zu bringen (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; 60, 253 <269>; 93, 1 <13>).

18

Dem Grundgesetz lassen sich allerdings keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist. Vielmehr ist die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles zu bestimmen (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>). Dazu gehören etwa die Schwierigkeit einer zu entscheidenden Materie, die Notwendigkeit von Ermittlungen, die Bedeutung des Verfahrens und das Prozessverhalten der Beteiligten (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 13. August 2012 - 1 BvR 1098/11 -, juris, Rn. 16 m.w.N.; EGMR, Urteil vom 31. Mai 2001 - Nr. 37591/97 - Metzger/Deutschland, EuGRZ 2001, S. 299 f. <301>, Rn. 36). Auf Umstände, die in seinem Verantwortungsbereich liegen, kann sich der Staat - anders als auf unvorhersehbare Zufälle und schicksalhafte Ereignisse (vgl. BVerfGE 36, 264 <275>) - nicht berufen (vgl. BVerfGK 17, 512 <515>).

19

b) Ausgehend hiervon ist der Anspruch des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz in angemessener Zeit in besonders schwerwiegender Weise verletzt. Das Verfahren vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht ist mit einer Dauer von mehr als 20 Jahren schon insgesamt als überlang anzusehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber für den Bereich der Arbeitsgerichtsbarkeit ein schnelles Verfahren bereitstellen wollte (vgl. BVerfGE 31, 297 <305>), was in dem allgemeinen Beschleunigungsgrundsatz des § 9 Abs. 1 ArbGG Ausdruck gefunden hat. Gegen diesen verstoßen vorliegend drei ermessensfehlerhafte Aussetzungen, die insgesamt zu einer Verzögerung des Rechtsstreits von zwölf Jahren geführt haben.

20

aa) Im erstinstanzlichen Verfahren beruht eine Verzögerung von knapp sechs Jahren auf dem Aussetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts vom 24. Juli 1991. Nach § 148 ZPO muss das Gericht bei der Aussetzungsentscheidung sein Ermessen ausüben (vgl. BAG, Urteil vom 27. April 2006 - 2 AZR 360/05 -, juris, Rn. 19) und die mögliche Verfahrensverzögerung mit den Gesichtspunkten der Verfahrensökonomie und der Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen abwägen. Dabei haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 2. Dezember 2011 - 1 BvR 314/11 -, juris, Rn. 7). Eine Verzögerung des vorgreiflichen Rechtsstreits ist ebenfalls ein Gesichtspunkt, dem bei der Ausübung des Ermessens Rechnung zu tragen ist (vgl. BVerfGK 14, 270 <276 f.>).

21

Vorliegend ist aus der Begründung der Aussetzungsentscheidung weder ersichtlich, dass die voraussichtliche Dauer des für vorgreiflich erachteten Kündigungsschutzverfahrens in die Abwägung einbezogen worden ist, noch dass die Dauer des Ausgangsverfahrens von damals bereits über drei Jahren Berücksichtigung gefunden hat. Vor diesem Hintergrund erscheint die Aussetzung im Ergebnis ermessensfehlerhaft. Die durch die Aussetzung verursachte Verzögerung fällt somit in den Verantwortungsbereich des Gerichts (vgl. zu einer Verfahrensverzögerung im Zusammenhang mit einer Aussetzung: BVerfGK 14, 270 <276 f.>; EGMR, Urteil vom 11. Januar 2007 - Nr. 20027/02 -, juris, Rn. 77 f.; Urteil vom 13. Juli 2006 - Nr. 38033/02 -, juris, Rn. 44).

22

bb) Das Landesarbeitsgericht hat das Verfahren am 14. April 2000 erneut ausgesetzt und zur Begründung lediglich auf die Vorgreiflichkeit des ersten Kündigungsschutzverfahrens hingewiesen. Damit ist unklar, ob das Landesarbeitsgericht das ihm dabei zustehende Ermessen ausgeübt und die Interessen der Beteiligten sachgerecht abgewogen hat. Angesichts des zu diesem Zeitpunkt bereits rund zwölf Jahre andauernden Ausgangsverfahrens und des bereits anhängigen zweiten Kündigungsschutzverfahrens ist diese Aussetzung jedoch im Ergebnis ermessensfehlerhaft.

23

cc) Nach rechtskräftigem Abschluss des ersten Kündigungsschutzrechtsstreits hat das Landesarbeitsgericht am 17. November 2004 das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der zweiten Kündigungsschutzklage ein drittes Mal ausgesetzt und die Entscheidung wiederum in Bezug auf die Ermessensausübung nicht begründet. Dies ist im Ergebnis angesichts der zu diesem Zeitpunkt bereits über 16jährigen Dauer des Ausgangsverfahrens ebenfalls ermessensfehlerhaft. Die nunmehr gesteigerte Eilbedürftigkeit hätte sich für das Landesarbeitsgericht auch aus dem Umstand ergeben müssen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zwischenzeitlich dem Beschwerdeführer mit Urteil vom 18. Oktober 2001 Schadensersatz wegen der überlangen Dauer des ersten Kündigungsschutzverfahrens zugesprochen hatte (EGMR, Urteil vom 18. Oktober 2001 - Nr. 42505/98 -, EuGRZ 2002, S. 585 ff.).

24

dd) Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Verhalten des Beschwerdeführers.

25

(1) Es kommt nicht entscheidend darauf an, dass der Beschwerdeführer mit den Aussetzungen durch das Landesarbeitsgericht nach der Stellungnahme des Staatsministeriums jeweils einverstanden gewesen ist. Auch in Verfahren, in denen grundsätzlich die Parteimaxime gilt, entbindet das Verhalten der Parteien die Gerichte nicht von der rechtsstaatlichen Pflicht, ein zügiges Verfahren sicherzustellen (vgl. zum insoweit inhaltsgleichen Gewährleistungsgehalt des Art. 6 Abs. 1 EMRK: EGMR, Urteil vom 11. Januar 2007 - Nr. 20027/02 -, juris, Rn. 78; EGMR, Urteil vom 4. April 2002 - Nr. 45181/99, juris, Rn. 36). Dies gilt gerade bei einer Verfahrensverzögerung durch Aussetzung (vgl. EGMR, Urteil vom 1. April 2010 - Nr. 12852/08 -, juris, Rn. 44), denn eine Entscheidung über eine Aussetzung liegt nach § 148 ZPO - anders als bei einem übereinstimmenden Antrag der Parteien auf Ruhen des Verfahrens nach § 251 ZPO - im Ermessen des Gerichts, das hierüber auch ohne Antrag von Amts wegen zu befinden hat. Die Aussetzungen des vorliegenden Verfahrens gingen von dem Gericht aus und waren nicht in besonderer Weise deutlich gemachter Wunsch des Beschwerdeführers. Mit seiner Einverständniserklärung fügte er sich lediglich dem als sachdienlich empfohlenen Vorschlag des Gerichts, aus dem sich konkrete Perspektiven für die weitere Dauer des Verfahrens und Alternativen, soweit ersichtlich, nicht ergaben. Damit blieb die besondere Verantwortung für ein zügiges Verfahren und den Umgang mit begrenzten Verzögerungen durch Aussetzungen bei dem Gericht.

26

(2) Angesichts der gerichtlichen Verantwortung für ein zügiges fachgerichtliches Verfahren und aufgrund der Dauer des Ausgangsverfahrens von über 20 Jahren kommt es nicht entscheidend darauf an, dass der Beschwerdeführer durch mehrfachen Wechsel seines Prozessbevollmächtigten, mehrfache Änderung der Anträge und zwei unbegründete Befangenheitsanträge ebenfalls zu einer verlängerten Dauer des Verfahrens beigetragen hat, da die dadurch verursachten Zeitverluste im Verhältnis zu den Verzögerungen durch die Aussetzungen weit geringer ausfallen. Allein die von Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht zu verantwortende Verzögerung von mindestens zwölf Jahren aufgrund dreier ermessensfehlerhafter Aussetzungen hat als Verletzung des verfassungsrechtlich garantierten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz erhebliches Gewicht.

27

3. Für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen keine Gründe vor, soweit eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG gerügt wird. Der Verfassungsbeschwerde fehlt es insoweit an einer hinreichend substantiierten Begründung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG.

III.

28

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG. Die Verfassungsbeschwerde hat überwiegend Erfolg. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG und den Grundsätzen für die Festsetzung des Gegenstandswerts im verfassungsgerichtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

29

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

Das Gericht hat das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, wenn beide Parteien dies beantragen und anzunehmen ist, dass wegen Schwebens von Vergleichsverhandlungen oder aus sonstigen wichtigen Gründen diese Anordnung zweckmäßig ist. Die Anordnung hat auf den Lauf der im § 233 bezeichneten Fristen keinen Einfluss.

(1) Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen ein Land ist das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde. Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen den Bund ist der Bundesgerichtshof. Diese Zuständigkeiten sind ausschließliche.

(2) Die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren vor den Landgerichten im ersten Rechtszug sind entsprechend anzuwenden. Eine Entscheidung durch den Einzelrichter ist ausgeschlossen. Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts findet die Revision nach Maßgabe des § 543 der Zivilprozessordnung statt; § 544 der Zivilprozessordnung ist entsprechend anzuwenden.

(3) Das Entschädigungsgericht kann das Verfahren aussetzen, wenn das Gerichtsverfahren, von dessen Dauer ein Anspruch nach § 198 abhängt, noch andauert. In Strafverfahren, einschließlich des Verfahrens auf Vorbereitung der öffentlichen Klage, hat das Entschädigungsgericht das Verfahren auszusetzen, solange das Strafverfahren noch nicht abgeschlossen ist.

(4) Besteht ein Entschädigungsanspruch nicht oder nicht in der geltend gemachten Höhe, wird aber eine unangemessene Verfahrensdauer festgestellt, entscheidet das Gericht über die Kosten nach billigem Ermessen.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt. In Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen, sind die §§ 63 bis 80 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt.

(1) Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen ein Land ist das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde. Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen den Bund ist der Bundesgerichtshof. Diese Zuständigkeiten sind ausschließliche.

(2) Die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren vor den Landgerichten im ersten Rechtszug sind entsprechend anzuwenden. Eine Entscheidung durch den Einzelrichter ist ausgeschlossen. Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts findet die Revision nach Maßgabe des § 543 der Zivilprozessordnung statt; § 544 der Zivilprozessordnung ist entsprechend anzuwenden.

(3) Das Entschädigungsgericht kann das Verfahren aussetzen, wenn das Gerichtsverfahren, von dessen Dauer ein Anspruch nach § 198 abhängt, noch andauert. In Strafverfahren, einschließlich des Verfahrens auf Vorbereitung der öffentlichen Klage, hat das Entschädigungsgericht das Verfahren auszusetzen, solange das Strafverfahren noch nicht abgeschlossen ist.

(4) Besteht ein Entschädigungsanspruch nicht oder nicht in der geltend gemachten Höhe, wird aber eine unangemessene Verfahrensdauer festgestellt, entscheidet das Gericht über die Kosten nach billigem Ermessen.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt. In Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen, sind die §§ 63 bis 80 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

(1) Für die Vollstreckung gilt das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend, soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt.

(2) Die Vorschriften über die vorläufige Vollstreckbarkeit sind nicht anzuwenden.

(3) An die Stelle der sofortigen Beschwerde tritt die Beschwerde (§§ 172 bis 177).

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt. In Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen, sind die §§ 63 bis 80 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt.

Die sachliche Zuständigkeit der Gerichte wird durch das Gesetz über die Gerichtsverfassung bestimmt.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt. In Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen, sind die §§ 63 bis 80 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt.

Das Gericht hat das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, wenn beide Parteien dies beantragen und anzunehmen ist, dass wegen Schwebens von Vergleichsverhandlungen oder aus sonstigen wichtigen Gründen diese Anordnung zweckmäßig ist. Die Anordnung hat auf den Lauf der im § 233 bezeichneten Fristen keinen Einfluss.

Tenor

Es wird festgestellt, dass die überlange Dauer des Verfahrens vor dem Arbeitsgericht München - 4 Ca 5756/97 - und dem Landesarbeitsgericht München - 10 Sa 88/99 - den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gemäß Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Absatz 3 Grundgesetz) verletzt.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer drei Viertel seiner notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft einen arbeitsgerichtlichen Rechtsstreit über Urlaubsabgeltung, Abfindung und Erstattung von Umzugs- und Reisekosten, der über 20 Jahre dauerte.

2

1. Der Beschwerdeführer war als Redakteur bei der Beklagten des Ausgangsverfahrens beschäftigt. Im Jahr 1988 kündigte die Arbeitgeberin dem Beschwerdeführer krankheitsbedingt. Dagegen erhob der Beschwerdeführer eine Kündigungsschutzklage, mit der er nach mehreren Zurückverweisungen des Bundesarbeitsgerichts im März 2002 obsiegte. Zwischenzeitlich kündigte die Arbeitgeberin dem Beschwerdeführer im Jahr 1994 aus betriebsbedingten Gründen. Die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Kündigungsschutzklage blieb erfolglos; zuletzt wies das Bundesarbeitsgericht die Nichtzulassungsbeschwerde im August 2008 zurück.

3

Im Ausgangsverfahren erhob der Beschwerdeführer am 25. März 1988 Klage auf Zahlung von Arbeitsentgelt. Bis Ende 1989 fanden insgesamt vier Kammertermine statt. Der Beschwerdeführer erweiterte die Klage mehrfach und wechselte in der ersten Instanz zweimal den Prozessbevollmächtigten. Mit Beschluss vom 12. November 1990 trennte das Arbeitsgericht den Rechtsstreit in sieben eigenständige Verfahren. Am 13. Dezember 1990 erhob der Beschwerdeführer Dienstaufsichtsbeschwerde wegen Prozessverschleppung. Am 24. Juli 1991 setzte das Arbeitsgericht den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das erste Kündigungsschutzverfahren aus. Nach Aufnahme des Rechtsstreits wies das Arbeitsgericht die Klage am 20. Mai 1998 ab. Hiergegen legte der Beschwerdeführer Berufung ein.

4

Das Landesarbeitsgericht setzte den Rechtsstreit am 14. April 2000 erneut bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die erste Kündigungsschutzklage aus. Die Aussetzung erfolgte unter Hinweis auf die Vorgreiflichkeit der ersten Kündigungsschutzklage ohne Darstellung von Ermessenserwägungen. Zwischenzeitlich stellte der EGMR mit Urteil vom 18. Oktober 2001 eine Verletzung von Art. 6 EMRK wegen der überlangen Dauer des ersten Kündigungsschutzprozesses fest. Nachdem der Beschwerdeführer im ersten Kündigungsschutzprozess rechtskräftig obsiegt hatte, setzte das Landesarbeitsgericht den Rechtsstreit am 17. November 2004 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die zweite Kündigungsschutzklage aus. Die Aussetzung erfolgte unter Hinweis auf die Vorgreiflichkeit ohne Darstellung von Ermessenserwägungen. In der zweiten Instanz wechselte der Beschwerdeführer erneut zweimal seinen Prozessbevollmächtigten und stellte zwei unbegründete Befangenheitsanträge. Mit Urteil vom 9. September 2009, dem Beschwerdeführer zugestellt am 12. Dezember 2009, gab das Landesarbeitsgericht der Klage teilweise statt.

5

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beschwerdeführers verwarf das Bundesarbeitsgericht mit Beschluss vom 11. Oktober 2010 als unzulässig.

6

2. Der Beschwerdeführer macht mit seiner Verfassungsbeschwerde geltend, die Gerichte hätten aufgrund überlanger Verfahrensdauer seinen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt. Darüber hinaus rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG.

7

3. Zur Verfassungsbeschwerde haben die Beklagte des Ausgangsverfahrens und das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen Stellung genommen.

8

Die Beklagte des Ausgangsverfahrens hat darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer durch Befangenheitsanträge und mehrfachen Anwaltswechsel zu einer Verzögerung des Verfahrens beigetragen habe. Die Aussetzungsbeschlüsse seien nicht begründet worden.

9

Das Bayerische Staatsministerium hat ausgeführt, in Bezug auf das arbeitsgerichtliche Verfahren erster Instanz liege eine Verletzung verfassungsmäßiger Rechte des Klägers nicht vor. Die Verfahrensdauer sei geprägt durch die fortwährende Änderung der Klageanträge. Die streitgegenständlichen Ansprüche seien von einem vorgreiflichen Kündigungsverfahren abhängig gewesen. In Bezug auf das Verfahren in zweiter Instanz wird darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer mit den Aussetzungen jeweils einverstanden gewesen sei. Die durchaus lange Verfahrensdauer sei eine Folge der langwierigen Kündigungsschutzprozesse gewesen.

10

4. Die Akte des Ausgangsverfahrens hat dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

II.

11

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit die Verletzung des Gebots effektiven Rechtsschutzes durch überlange Verfahrensdauer gerügt wird, und gibt ihr insoweit statt. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Entscheidung durch die Kammer liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

12

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, soweit der Beschwerdeführer die überlange Verfahrensdauer geltend macht. Insbesondere fehlt es insoweit nicht am Rechtsschutzinteresse.

13

Dem steht nicht entgegen, dass das Ausgangsverfahren bereits beendet ist. Erledigt sich das überlange Verfahren, besteht das Rechtsschutzbedürfnis fort, wenn der gerügte Grundrechtseingriff besonders schwer wiegt (vgl. BVerfGE 104, 220 <232 f.>), wenn die gegenstandslos gewordene Maßnahme den Beschwerdeführer weiter beeinträchtigt (vgl. BVerfGE 91, 125 <133>; 99, 129 <138>) oder wenn eine Gefahr der Wiederholung des Grundrechtseingriffs besteht (vgl. BVerfGE 91, 125 <133>; 103, 44 <58 f.>).

14

a) Der Annahme einer Wiederholungsgefahr steht das am 3. Dezember 2011 in Kraft getretene Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) entgegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 13. August 2012 - 1 BvR 1098/11 -, juris, Rn. 20).

15

b) Besonders schwer wiegt eine Grundrechtsverletzung, die auf eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten hindeutet oder wegen ihrer Wirkung geeignet ist, von der Ausübung von Grundrechten abzuhalten. Eine geltend gemachte Verletzung hat ferner dann besonderes Gewicht, wenn sie auf einer groben Verkennung des durch ein Grundrecht gewährten Schutzes oder einem geradezu leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen beruht oder rechtsstaatliche Grundsätze krass verletzt (vgl. BVerfGK 17, 512 <516>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Juli 2008 - 1 BvR 547/06 -, juris, Rn. 28). So liegt es hier.

16

2. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, soweit der Beschwerdeführer mit ihr eine Verletzung des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz geltend macht.

17

a) Für den Bereich des Zivilprozesses gewährleistet Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) einen wirkungsvollen Rechtsschutz (vgl. BVerfGE 93, 99 <107>). Daraus ergibt sich die Verpflichtung der Fachgerichte, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss zu bringen (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; 60, 253 <269>; 93, 1 <13>).

18

Dem Grundgesetz lassen sich allerdings keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist. Vielmehr ist die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles zu bestimmen (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>). Dazu gehören etwa die Schwierigkeit einer zu entscheidenden Materie, die Notwendigkeit von Ermittlungen, die Bedeutung des Verfahrens und das Prozessverhalten der Beteiligten (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 13. August 2012 - 1 BvR 1098/11 -, juris, Rn. 16 m.w.N.; EGMR, Urteil vom 31. Mai 2001 - Nr. 37591/97 - Metzger/Deutschland, EuGRZ 2001, S. 299 f. <301>, Rn. 36). Auf Umstände, die in seinem Verantwortungsbereich liegen, kann sich der Staat - anders als auf unvorhersehbare Zufälle und schicksalhafte Ereignisse (vgl. BVerfGE 36, 264 <275>) - nicht berufen (vgl. BVerfGK 17, 512 <515>).

19

b) Ausgehend hiervon ist der Anspruch des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz in angemessener Zeit in besonders schwerwiegender Weise verletzt. Das Verfahren vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht ist mit einer Dauer von mehr als 20 Jahren schon insgesamt als überlang anzusehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber für den Bereich der Arbeitsgerichtsbarkeit ein schnelles Verfahren bereitstellen wollte (vgl. BVerfGE 31, 297 <305>), was in dem allgemeinen Beschleunigungsgrundsatz des § 9 Abs. 1 ArbGG Ausdruck gefunden hat. Gegen diesen verstoßen vorliegend drei ermessensfehlerhafte Aussetzungen, die insgesamt zu einer Verzögerung des Rechtsstreits von zwölf Jahren geführt haben.

20

aa) Im erstinstanzlichen Verfahren beruht eine Verzögerung von knapp sechs Jahren auf dem Aussetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts vom 24. Juli 1991. Nach § 148 ZPO muss das Gericht bei der Aussetzungsentscheidung sein Ermessen ausüben (vgl. BAG, Urteil vom 27. April 2006 - 2 AZR 360/05 -, juris, Rn. 19) und die mögliche Verfahrensverzögerung mit den Gesichtspunkten der Verfahrensökonomie und der Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen abwägen. Dabei haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 2. Dezember 2011 - 1 BvR 314/11 -, juris, Rn. 7). Eine Verzögerung des vorgreiflichen Rechtsstreits ist ebenfalls ein Gesichtspunkt, dem bei der Ausübung des Ermessens Rechnung zu tragen ist (vgl. BVerfGK 14, 270 <276 f.>).

21

Vorliegend ist aus der Begründung der Aussetzungsentscheidung weder ersichtlich, dass die voraussichtliche Dauer des für vorgreiflich erachteten Kündigungsschutzverfahrens in die Abwägung einbezogen worden ist, noch dass die Dauer des Ausgangsverfahrens von damals bereits über drei Jahren Berücksichtigung gefunden hat. Vor diesem Hintergrund erscheint die Aussetzung im Ergebnis ermessensfehlerhaft. Die durch die Aussetzung verursachte Verzögerung fällt somit in den Verantwortungsbereich des Gerichts (vgl. zu einer Verfahrensverzögerung im Zusammenhang mit einer Aussetzung: BVerfGK 14, 270 <276 f.>; EGMR, Urteil vom 11. Januar 2007 - Nr. 20027/02 -, juris, Rn. 77 f.; Urteil vom 13. Juli 2006 - Nr. 38033/02 -, juris, Rn. 44).

22

bb) Das Landesarbeitsgericht hat das Verfahren am 14. April 2000 erneut ausgesetzt und zur Begründung lediglich auf die Vorgreiflichkeit des ersten Kündigungsschutzverfahrens hingewiesen. Damit ist unklar, ob das Landesarbeitsgericht das ihm dabei zustehende Ermessen ausgeübt und die Interessen der Beteiligten sachgerecht abgewogen hat. Angesichts des zu diesem Zeitpunkt bereits rund zwölf Jahre andauernden Ausgangsverfahrens und des bereits anhängigen zweiten Kündigungsschutzverfahrens ist diese Aussetzung jedoch im Ergebnis ermessensfehlerhaft.

23

cc) Nach rechtskräftigem Abschluss des ersten Kündigungsschutzrechtsstreits hat das Landesarbeitsgericht am 17. November 2004 das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der zweiten Kündigungsschutzklage ein drittes Mal ausgesetzt und die Entscheidung wiederum in Bezug auf die Ermessensausübung nicht begründet. Dies ist im Ergebnis angesichts der zu diesem Zeitpunkt bereits über 16jährigen Dauer des Ausgangsverfahrens ebenfalls ermessensfehlerhaft. Die nunmehr gesteigerte Eilbedürftigkeit hätte sich für das Landesarbeitsgericht auch aus dem Umstand ergeben müssen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zwischenzeitlich dem Beschwerdeführer mit Urteil vom 18. Oktober 2001 Schadensersatz wegen der überlangen Dauer des ersten Kündigungsschutzverfahrens zugesprochen hatte (EGMR, Urteil vom 18. Oktober 2001 - Nr. 42505/98 -, EuGRZ 2002, S. 585 ff.).

24

dd) Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Verhalten des Beschwerdeführers.

25

(1) Es kommt nicht entscheidend darauf an, dass der Beschwerdeführer mit den Aussetzungen durch das Landesarbeitsgericht nach der Stellungnahme des Staatsministeriums jeweils einverstanden gewesen ist. Auch in Verfahren, in denen grundsätzlich die Parteimaxime gilt, entbindet das Verhalten der Parteien die Gerichte nicht von der rechtsstaatlichen Pflicht, ein zügiges Verfahren sicherzustellen (vgl. zum insoweit inhaltsgleichen Gewährleistungsgehalt des Art. 6 Abs. 1 EMRK: EGMR, Urteil vom 11. Januar 2007 - Nr. 20027/02 -, juris, Rn. 78; EGMR, Urteil vom 4. April 2002 - Nr. 45181/99, juris, Rn. 36). Dies gilt gerade bei einer Verfahrensverzögerung durch Aussetzung (vgl. EGMR, Urteil vom 1. April 2010 - Nr. 12852/08 -, juris, Rn. 44), denn eine Entscheidung über eine Aussetzung liegt nach § 148 ZPO - anders als bei einem übereinstimmenden Antrag der Parteien auf Ruhen des Verfahrens nach § 251 ZPO - im Ermessen des Gerichts, das hierüber auch ohne Antrag von Amts wegen zu befinden hat. Die Aussetzungen des vorliegenden Verfahrens gingen von dem Gericht aus und waren nicht in besonderer Weise deutlich gemachter Wunsch des Beschwerdeführers. Mit seiner Einverständniserklärung fügte er sich lediglich dem als sachdienlich empfohlenen Vorschlag des Gerichts, aus dem sich konkrete Perspektiven für die weitere Dauer des Verfahrens und Alternativen, soweit ersichtlich, nicht ergaben. Damit blieb die besondere Verantwortung für ein zügiges Verfahren und den Umgang mit begrenzten Verzögerungen durch Aussetzungen bei dem Gericht.

26

(2) Angesichts der gerichtlichen Verantwortung für ein zügiges fachgerichtliches Verfahren und aufgrund der Dauer des Ausgangsverfahrens von über 20 Jahren kommt es nicht entscheidend darauf an, dass der Beschwerdeführer durch mehrfachen Wechsel seines Prozessbevollmächtigten, mehrfache Änderung der Anträge und zwei unbegründete Befangenheitsanträge ebenfalls zu einer verlängerten Dauer des Verfahrens beigetragen hat, da die dadurch verursachten Zeitverluste im Verhältnis zu den Verzögerungen durch die Aussetzungen weit geringer ausfallen. Allein die von Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht zu verantwortende Verzögerung von mindestens zwölf Jahren aufgrund dreier ermessensfehlerhafter Aussetzungen hat als Verletzung des verfassungsrechtlich garantierten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz erhebliches Gewicht.

27

3. Für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen keine Gründe vor, soweit eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG gerügt wird. Der Verfassungsbeschwerde fehlt es insoweit an einer hinreichend substantiierten Begründung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG.

III.

28

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG. Die Verfassungsbeschwerde hat überwiegend Erfolg. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG und den Grundsätzen für die Festsetzung des Gegenstandswerts im verfassungsgerichtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

29

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt. In Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen, sind die §§ 63 bis 80 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt.

Das Gericht hat das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, wenn beide Parteien dies beantragen und anzunehmen ist, dass wegen Schwebens von Vergleichsverhandlungen oder aus sonstigen wichtigen Gründen diese Anordnung zweckmäßig ist. Die Anordnung hat auf den Lauf der im § 233 bezeichneten Fristen keinen Einfluss.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt. In Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen, sind die §§ 63 bis 80 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt.

Das Gericht hat das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, wenn beide Parteien dies beantragen und anzunehmen ist, dass wegen Schwebens von Vergleichsverhandlungen oder aus sonstigen wichtigen Gründen diese Anordnung zweckmäßig ist. Die Anordnung hat auf den Lauf der im § 233 bezeichneten Fristen keinen Einfluss.

(1) Hängt die Entscheidung eines Rechtsstreits von einem familien- oder erbrechtlichen Verhältnis ab, so kann das Gericht das Verfahren solange aussetzen, bis dieses Verhältnis im Zivilprozeß festgestellt worden ist.

(2) Hängt die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses ab, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsstelle festzustellen ist, so kann das Gericht anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsstelle auszusetzen sei. Auf Antrag kann das Gericht die Verhandlung zur Heilung von Verfahrens- und Formfehlern aussetzen, soweit dies im Sinne der Verfahrenskonzentration sachdienlich ist.

(2a) Hängt die Entscheidung des Rechtsstreits ab von der Gültigkeit einer Satzung oder einer anderen im Rang unter einem Landesgesetz stehenden Vorschrift, die nach § 22a Absatz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und dem dazu ergangenen Landesgesetz erlassen worden ist, so kann das Gericht anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des Antragsverfahrens nach § 55a auszusetzen ist.

(3) Das Gericht kann, wenn sich im Laufe eines Rechtsstreits der Verdacht einer Straftat ergibt, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluß ist, die Aussetzung der Verhandlung bis zur Erledigung des Strafverfahrens anordnen.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt. In Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen, sind die §§ 63 bis 80 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Entschädigungsanspruchs wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens und darüber, ob der Kläger daneben beanspruchen kann, die unangemessene Dauer feststellen zu lassen.

2

Im Ausgangsverfahren, dessen Überlänge der Kläger rügt, stand die Rückerstattung von Ausbildungsförderung im Streit, die der Kläger für sein Studium der Geowissenschaften von Oktober 2000 bis März 2003 erhalten hatte. Ein erster Rückforderungsbescheid erging im Februar 2003 und belief sich über 13 600 €. Das Studentenwerk P. verlangte die Förderung mit der Begründung zurück, der Kläger habe nicht angegeben, dass er über umfangreiches Vermögen auf einem Bankkonto verfüge. Nach der Zurückweisung seines Widerspruchs erhob der Kläger Ende Juni 2003 Klage vor dem Verwaltungsgericht.

3

Im September 2003 begründete er seine Klage damit, dass das festgestellte Vermögen nicht ihm gehöre, sondern seinem Bruder, für den er es treuhänderisch verwalte. Zudem erweiterte der Kläger seine Klage auf einen zwischenzeitlich ergangenen zweiten Rückforderungsbescheid über 3 500 €. Mitte Januar 2004 nahm das beklagte Studentenwerk schriftlich zu der Klage Stellung. Mit Schreiben vom 3. März 2004 fragte die Berichterstatterin bei den Beteiligten an, ob sie mit einer Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter sowie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien.

4

Mit am 11. und 12. März 2004 bei dem Verwaltungsgericht eingegangenen Schriftsätzen erklärten die Beteiligten ihr Einverständnis mit dieser Verfahrensweise. Der Kläger trug zudem weiter zur Sache vor und kündigte für den Fall, dass das Gericht Zweifel an dem Wahrheitsgehalt seines Tatsachenvortrags haben sollte, mehrere Beweisanträge an. Mit Schreiben vom 17. März 2004 übersandte das Verwaltungsgericht dem Studentenwerk eine Abschrift des Schriftsatzes des Klägers und gab Gelegenheit, innerhalb von sechs Wochen Stellung zu nehmen. Das beklagte Studentenwerk äußerte sich hierauf nicht. Mit am 10. November 2004 bei dem Verwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz wies der Prozessbevollmächtigte des Klägers darauf hin, dass die Beteiligten Anfang März des Jahres "wohl auch aus Beschleunigungszwecken" übereinstimmend einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt hätten. Das Gericht teilte ihm mit, dass nicht absehbar sei, wann mit einer Entscheidung zu rechnen sei. Gleiches gilt für die weiteren Anfragen des Klägers vom 16. Mai 2006 und vom 16. Juli 2007.

5

Mit Beschluss vom 5. Januar 2010 übertrug die Kammer des Verwaltungsgerichts den Rechtsstreit auf den Einzelrichter. Auf die Anfrage, ob Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bestehe, stimmten die Beteiligten bis Ende Januar 2010 zu. Mit Urteil vom 2. Februar 2010 wies der Einzelrichter die Klage ohne mündliche Verhandlung ab. Sie sei teilweise wegen Versäumung der Widerspruchsfrist unzulässig und teilweise unbegründet. Das vom Kläger behauptete Treuhandverhältnis habe nach Überzeugung des Gerichts nicht bestanden.

6

Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 23. Februar 2010 zugegangene Urteil beantragte der Kläger die Zulassung der Berufung. Diese ließ das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 5. Mai 2011 zu. In der mündlichen Verhandlung am 30. November 2011 wurde der Kläger befragt und sein Bruder als Zeuge vernommen. Mit Urteil vom selben Tag änderte das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts und gab der Klage statt. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 12. Januar 2012 und dem Beklagten am 19. Januar 2012 zugestellt. Rechtsmittel gegen die Nichtzulassung der Revision wurden nicht eingelegt.

7

Mit der am 4. Januar 2012 zunächst beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen und von diesem an das Oberverwaltungsgericht weitergeleiteten Klage hat der Kläger die Gewährung einer Entschädigung in Höhe von 6 000 € und die Feststellung begehrt, dass die Verfahrensdauer des Rechtsstreits bei dem Verwaltungsgericht unangemessen war. Er habe über lange Zeit mit der erheblichen Unsicherheit leben müssen, einer für seine Verhältnisse existenzbedrohlichen Forderung von über 17 000 € ausgesetzt zu sein. Das Verwaltungsgericht habe den Rechtsstreit ohne Weiteres innerhalb von ungefähr 20 Monaten und damit bis Februar 2005 entscheiden können. Es habe selbst bereits mit seiner Verfügung vom 3. März 2004 zum Ausdruck gebracht, dass die Sache aus seiner Sicht keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweise und auch keine grundsätzliche Bedeutung habe. Dennoch habe es ab März 2004 keine aktenkundige Tätigkeit entfaltet, um die aus seiner Sicht entscheidungsreife Sache zu fördern. Insgesamt ergebe sich eine nicht zu rechtfertigende Verzögerung von fünf Jahren.

8

Das Oberverwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Urteil vom 27. März 2012 die Beklagte verurteilt, an den Kläger 4 000 € zu zahlen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Verfahren des Klägers habe zwar keine neuen oder komplexen Rechtsfragen aufgeworfen. Auch die Klärung der Tatsachengrundlage sei nicht überdurchschnittlich aufwändig gewesen. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles sei die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens aber bis einschließlich September 2006 noch als angemessen anzusehen. Zwar sei die Streitsache jedenfalls im September 2004 erkennbar entscheidungsreif gewesen. Bei Hinzurechnung einer aus Sicht des Klägers unerfreulichen, jedoch noch nicht gegen die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK entwickelten Maßstäbe verstoßenden Verfahrensdauer von weiteren zwei Jahren erschließe sich, dass die Verfahrensdauer bis September 2006 angemessen und von Oktober 2006 bis Januar 2010 (weitere drei Jahre und vier Monate) unangemessen gewesen sei. Die Verfahrensdauer in der zweiten Rechtsstufe vor dem Oberverwaltungsgericht sei mit ca. zwei Jahren noch angemessen. Das dortige Verfahren sei aber auch nicht so zügig durchgeführt worden, dass damit die Überlänge des erstinstanzlichen Verfahrens teilweise hätte kompensiert werden können. Der Kläger habe neben der Entschädigung keinen Anspruch auf die von ihm begehrte Feststellung der Unangemessenheit. Ein schwerwiegender Fall im Sinne des Gesetzes sei schon deswegen nicht gegeben, weil die Klage aufschiebende Wirkung gehabt habe. Zudem habe der Kläger die ihn treffenden Folgen der Verfahrensdauer mildern können, wenn er die Treuhandabrede mit seinem Bruder aufgehoben und einen weiteren Antrag auf Ausbildungsförderung gestellt hätte.

9

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG sowie des § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG. Er begehrt eine um 2 000 € höhere Entschädigung sowie die Feststellung, dass die Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht unangemessen war.

10

Der Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil.

11

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren. Er sei mit dem Bundesjustizministerium der Auffassung, dass das angefochtene Urteil des Oberverwaltungsgerichts - jedenfalls in seiner Begründung - keinen Bestand haben könne. Nach der Gesetzesfassung komme es auf die Umstände des Einzelfalles und nicht auf eine Durchschnittsdauer an. "Angemessen" sei etwas anderes als "durchschnittlich". Im Extremfall könne auch eine durchschnittliche Dauer unangemessen sein.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision des Klägers ist begründet. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Dem Kläger steht die von ihm geltend gemachte weitere Entschädigung zu (1.). Ebenso ist seinem Begehren zu entsprechen, die unangemessene Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens festzustellen (2.).

13

1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Ausgleich seines immateriellen Nachteils in Höhe von weiteren 2 000 €.

14

Der geltend gemachte Anspruch folgt aus § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl I S. 1077), zuletzt geändert durch Gesetz vom 7. Dezember 2011 (BGBl I S. 2582). Diese Regelungen sind im Verwaltungsprozess entsprechend anwendbar (§ 173 Satz 2 VwGO). Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Der durch eine unangemessene Verfahrensdauer eingetretene immaterielle Nachteil ist nach Maßgabe des § 198 Abs. 2 GVG zu entschädigen.

15

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Dauer des vom Kläger in Bezug genommenen Gerichtsverfahrens (a) war unangemessen (b). Hierdurch hat er einen immateriellen Nachteil erlitten, der nicht auf andere Weise wiedergutgemacht werden kann (c) und in der von ihm geltend gemachten Höhe zu entschädigen ist (d).

16

a) Gerichtsverfahren im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss (§ 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG). Bezugsrahmen des vom Kläger geltend gemachten Entschädigungsanspruchs ist danach das gesamte - hier abgeschlossene - verwaltungsgerichtliche Verfahren im Ausgangsrechtsstreit, und zwar vom Zeitpunkt der Klageerhebung bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft einer Entscheidung. Erfasst ist hier mithin die Gesamtdauer des Verfahrens vor dem Verwaltungs- und dem Oberverwaltungsgericht (aa), nicht aber das dem Verwaltungsprozess vorausgegangene behördliche Vorverfahren (bb).

17

aa) Bezugsrahmen für die materiell-rechtliche Frage, ob sich die Verfahrensdauer als angemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG darstellt, ist die Gesamtdauer des gerichtlichen Verfahrens, auch wenn dieses über mehrere Instanzen oder bei verschiedenen Gerichten geführt worden ist. Hierfür spricht bereits der Wortlaut des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ("Gerichtsverfahren"). Hinweise für eine Trennung zwischen verschiedenen Instanzen oder Gerichten finden sich dort nicht. Gleiches gilt für die Legaldefinition des Gerichtsverfahrens in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG, die auf den Zeitraum von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens und damit auf die Anhängigkeit des Rechtsstreits bei Gericht abstellt. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist auch der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass der Bezugspunkt für die Beurteilung der angemessenen Verfahrensdauer grundsätzlich das Gesamtverfahren ist, soweit es - je nach geltend gemachtem Anspruch - in die Haftungsverantwortung des in Anspruch genommenen Rechtsträgers fällt (BTDrucks 17/3802 S. 18 f.). In systematischer Hinsicht wird die Bezugnahme auf das Gesamtverfahren durch den Rückschluss aus § 198 Abs. 3 Satz 5 GVG bestätigt. Danach ist die Erhebung einer erneuten Verzögerungsrüge erforderlich, wenn sich das Verfahren "bei einem anderen Gericht" weiter verzögert. Schließlich wird das vorgenannte Auslegungsergebnis durch die systematische Einbeziehung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts gestützt. Beide Gerichte gehen im Hinblick auf das Recht auf ein Gerichtsverfahren in angemessener Dauer in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass grundsätzlich auf die Gesamtdauer des Verfahrens abzustellen ist (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 24. Juni 2010 - Nr. 25756/09 - juris Rn. 21 und vom 30. März 2010 - Nr. 46682/07 - juris Rn. 36; BVerfG, Beschlüsse vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 - NJW 2001, 214 und vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 m.w.N.). Gegen die Möglichkeit, die materiell-rechtliche Prüfung auf eine Verfahrensstufe zu begrenzen, spricht vor allem der Umstand, dass eine lange Verfahrensdauer innerhalb einer Stufe gegebenenfalls durch eine zügige Verfahrensführung in einer anderen (höheren) Stufe ausgeglichen werden kann (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 7. Januar 2010 - Nr. 40009/04 - juris Rn. 151 und vom 22. März 2012 - Nr. 23338/09, Kautzor/Deutschland - NJW 2013, 1937 ; BVerfG, Beschlüsse vom 20. Juli 2000 a.a.O. und vom 14. Dezember 2010 a.a.O.).

18

Von der Frage des materiell-rechtlichen Bezugsrahmens zu trennen ist die vom Oberverwaltungsgericht offengelassene Frage, ob sich ein Verfahrensbeteiligter darauf beschränken kann, ein über mehrere Instanzen hinweg geführtes Gerichtsverfahren allein bezüglich der Dauer in einer bestimmten Rechtsstufe als überlang anzugreifen und nur hierfür Entschädigung zu verlangen. Diese Frage, die vor dem Hintergrund der Dispositionsmaxime im Ausgangspunkt prozessualer Natur ist, stellt sich hier nicht. Der Kläger hat im Hinblick auf sein Entschädigungsverlangen - anders als hinsichtlich seines Feststellungsbegehrens (siehe dazu unten 2 a) - eine solche Beschränkung nicht vorgenommen.

19

Soweit das Oberverwaltungsgericht angenommen hat, dass in die Dauer eines Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG auch der Zeitraum bis zur Zustellung des Urteils oder einer anderen das Verfahren abschließenden Entscheidung einzubeziehen ist, trifft dies zwar zu. Denn unter rechtskräftigem Abschluss des Gerichtsverfahrens im Sinne dieser Vorschrift ist der Eintritt der formellen Rechtskraft einer Entscheidung zu verstehen (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 24 m.w.N.). Allerdings kann danach die Dauer des Gerichtsverfahrens über den Zeitpunkt der Zustellung hinausgehen. So liegt es hier. Ein Urteil erwächst nur dann mit der Zustellung in Rechtskraft, wenn es nicht mehr mit Rechtsmitteln anfechtbar ist. Kann die Entscheidung dagegen - wie hier das im Ausgangsrechtsstreit ergangene Urteil des Oberverwaltungsgerichts - noch angefochten werden (vgl. § 132 VwGO), wird sie erst mit Ablauf der Rechtsmittelfrist formell rechtskräftig, so dass auch dieser Zeitraum noch zur Dauer des Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG zählt.

20

bb) Das Verwaltungsverfahren und das dem gerichtlichen Verfahren vorausgegangene Vorverfahren bei einer Behörde (Widerspruchsverfahren) sind, wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, nicht Bestandteil des Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 und § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG.

21

Die Ausklammerung des Verwaltungs- und Vorverfahrens ist mit der Begrenzung auf das "Gerichtsverfahren" bereits unmissverständlich im Wortlaut des Gesetzes angelegt. Sie entspricht überdies dem Willen des Gesetzgebers, wie er in den Gesetzesmaterialien seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 17).

22

Das vorstehende Auslegungsergebnis ist mit Art. 6 und Art. 13 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) in der Fassung vom 22. Oktober 2010 (BGBl II S. 1198) vereinbar. Dem steht die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die über den jeweils entschiedenen Fall hinaus Orientierungs- und Leitfunktion für die Auslegung der EMRK hat (vgl. Urteil vom 28. Februar 2013 - BVerwG 2 C 3.12 - ZBR 2013, 257 Rn. 46), nicht entgegen.

23

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat zwar für die Ermittlung, wann die Verfahrensdauer in verwaltungsgerichtlichen Verfahren unangemessen ist, die Dauer des Vorverfahrens mit einbezogen. Sofern die Einlegung dieses Rechtsbehelfs ein notwendiger erster Schritt ist, bevor das gerichtliche Verfahren anhängig gemacht werden kann, hat der Gerichtshof den Zeitraum, der für die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach Art. 6 Abs. 1 EMRK maßgeblich ist, mit dem Tag beginnen lassen, an dem der Beschwerdeführer den behördlichen Rechtsbehelf (Widerspruch) eingelegt hat (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 28. Juni 1978 - C (78) 31, König/Deutschland - NJW 1979, 477 <478 f.>, vom 30. Juni 2011 - Nr. 11811/10 - juris Rn. 21 und vom 24. Juni 2010 a.a.O. m.w.N.).

24

Allerdings beziehen sich diese Entscheidungen auf einen Zeitraum, in welchem das deutsche Recht keinen wirksamen Rechtsbehelf im Sinne von Art. 13 EMRK vorsah, der geeignet war, Abhilfe für die unangemessene Dauer von Verfahren zu schaffen (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 24. Juni 2010 a.a.O. Rn. 30 m.w.N.). Mit dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) steht jedoch nunmehr ein solcher Rechtsbehelf gegen Verzögerungen gerichtlicher Verfahren im Sinne des Konventionsrechts zur Verfügung, der zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Grund zu der Annahme gibt, dass die damit verfolgten Ziele nicht erreicht werden (EGMR, Urteil vom 29. Mai 2012 - Nr. 53126/07, Taron/Deutschland - NVwZ 2013, 47 ). Hinzu kommt, dass das nationale Recht mit der so genannten Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO einen Rechtsbehelf vorsieht, mit dem einer unangemessenen Verzögerung im Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) durch unmittelbare Klageerhebung begegnet werden kann. Mit Blick auf die Rüge der Verfahrensdauer erweist sich die Untätigkeitsklage grundsätzlich als wirksamer Rechtsbehelf im Sinne von Art. 13 EMRK (vgl. EGMR, Urteil vom 10. Januar 2008 - Nr. 1679/03, Glusen/Deutschland - juris Rn. 66 f.). Dieser tritt neben die durch das neue Gesetz normierte (kompensatorische) Entschädigung für Verzögerungen des Gerichtsverfahrens (vgl. Marx, in: Marx/Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Verwaltungsverfahren, 2013, § 173 VwGO Rn. 9; Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, § 198 GVG Rn. 38). Jedenfalls mit Blick auf das Nebeneinander dieses Entschädigungsanspruchs und der Untätigkeitsklage ist es konventionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Vorverfahren nicht in die Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer einbezogen wird. Die Europäische Menschenrechtskonvention fordert im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes nicht notwendig einen einheitlichen Rechtsbehelf, sondern lässt bei entsprechender Wirksamkeit auch eine Kombination von Rechtsbehelfen genügen (EGMR, Urteil vom 8. Juni 2006 - Nr. 75529/01, Sürmeli/Deutschland - NJW 2006, 2389 Rn. 98 m.w.N.). Den Konventionsstaaten kommt bei der gesetzlichen Ausgestaltung des von Art. 13 EMRK geforderten Rechtsbehelfs ein Gestaltungsspielraum zu (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 29. März 2006 - Nr. 36813/97, Scordino/Italien - NVwZ 2007, 1259 Rn. 189 und vom 29. Mai 2012 a.a.O. Rn. 41).

25

b) Die Dauer des Gerichtsverfahrens vor dem Verwaltungs- und dem Oberverwaltungsgericht war unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG.

26

Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Wie die Verwendung des Wortes "insbesondere" zeigt, werden damit die Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind, beispielhaft und ohne abschließenden Charakter benannt (BTDrucks 17/3802 S. 18).

27

aa) Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht mit Bundesrecht nicht in Einklang, soweit es sinngemäß den Rechtssatz aufstellt, dass eine Verfahrensdauer von zwei weiteren Jahren ab Entscheidungsreife noch angemessen sei und nicht gegen die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK entwickelten Maßstäbe verstoße (UA S. 16 Rn. 50). Ein entsprechender Rechtssatz lässt sich aus § 198 Abs. 1 GVG nicht ableiten. Mit dieser Bestimmung ist weder die Zugrundelegung fester Zeitvorgaben vereinbar ((1)), noch lässt es die Vorschrift grundsätzlich zu, für die Beurteilung der Angemessenheit von bestimmten Orientierungswerten oder Regelfristen für die Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren auszugehen ((2)). Dies gilt gerade auch für die vom Oberverwaltungsgericht angenommene Zwei-Jahresfrist ab Entscheidungsreife ((3)).

28

(1) Mit der gesetzlichen Festlegung, dass sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles richtet (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG), hat der Gesetzgeber bewusst von der Einführung bestimmter Grenzwerte für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen. Die Ausrichtung auf den Einzelfall folgt nicht nur in deutlicher Form aus dem Wortlaut des Gesetzes ("Umstände des Einzelfalles"), sondern wird durch seine Entstehungsgeschichte bestätigt und entspricht dem in den Gesetzesmaterialien klar zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 18). Daraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber schematische zeitliche Vorgaben für die Angemessenheit ausgeschlossen hat. Er hat sich insoweit daran ausgerichtet, dass weder die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte noch die des Bundesverfassungsgerichts feste Zeiträume vorgibt, sondern jeweils die Bedeutung der Einzelfallprüfung hervorhebt. Dem Grundgesetz lassen sich keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer überlangen, die Rechtsgewährung verhindernden und damit unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist vielmehr eine Frage der Abwägung im Einzelfall (BVerfG, Beschlüsse vom 20. September 2007 - 1 BvR 775/07 - NJW 2008, 503; vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 - NVwZ 2013, 789 <790>). Gleiches gilt im Ergebnis für die Europäische Menschenrechtskonvention. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles sowie unter Berücksichtigung der Komplexität des Falles, des Verhaltens des Beschwerdeführers und der zuständigen Behörden sowie der Bedeutung des Rechtsstreits für den Beschwerdeführer zu beurteilen (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 28. Juni 1978 a.a.O. <479> und vom 11. Januar 2007 - Nr. 20027/02, Herbst/Deutschland - NVwZ 2008, 289 Rn. 75; Entscheidung vom 22. Januar 2008 - Nr. 10763/05 - juris Rn. 43 m.w.N.).

29

(2) Für die Beurteilung, ob die Verfahrensdauer angemessen ist, verbietet es sich in der Regel auch, von Orientierungs- oder Richtwerten für die Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren auszugehen, und zwar unabhängig davon, ob diese auf eigener Annahme oder auf statistisch ermittelten durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten beruhen. Dabei macht es im Ergebnis keinen Unterschied, ob solche Werte - in Rechtsprechung und Literatur werden Zeitspannen von ein bis drei Jahren genannt - als "normale", "durchschnittliche" oder "übliche" Bearbeitungs- oder Verfahrenslaufzeiten bezeichnet und - im Hinblick auf die Angemessenheit der Verfahrensdauer - als Indiz (Regelfrist), Hilfskriterium oder "erster grober Anhalt" herangezogen werden (vgl. etwa Stahnecker, Entschädigung bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, Rn. 76; Roderfeld, in: Marx/Roderfeld a.a.O. § 198 GVG Rn. 38 f.; im Ergebnis zu Recht ablehnend OVG Bautzen, Urteil vom 15. Januar 2013 - 11 F 1/12 - LKV 2013, 230 <232>; Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. § 198 GVG Rn. 69, 86 f. m.w.N.).

30

Die Entscheidung des Gesetzgebers, keine zeitlichen Festlegungen zu treffen, ab wann ein Verfahren "überlang" ist, schließt für den Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit grundsätzlich einen Rückgriff auf Orientierungs- oder Richtwerte aus. Dies gilt auch, soweit in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - allerdings obiter und deshalb die jeweilige Entscheidung nicht tragend - eine Verfahrenslaufzeit von etwa einem Jahr pro Instanz als grober Anhalt ("rough rule of thumb") genannt wird (vgl. Urteile vom 26. November 2009 - Nr. 13591/05, Nazarov/Russland - Rn. 126, vom 9. Oktober 2008 - Nr. 62936/00, Moiseyev/Russland - Rn. 160 und vom 16. Januar 2003 - Nr. 50034/99, Obasa/Großbritannien - Rn. 35 ).

31

Angesichts der Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren stießen solche Festlegungen an eine Komplexitätsgrenze. Sie könnten letztlich für die Angemessenheit im Einzelfall nicht aussagekräftig sein. Die Bandbreite der Verwaltungsprozesse reicht von sehr einfach gelagerten Verfahren bis zu äußerst aufwändigen Großverfahren (etwa im Infrastrukturbereich), die allein einen Spruchkörper über eine lange Zeitspanne binden können. Der Versuch, dieser Bandbreite mit Mittel- oder Orientierungswerten Rechnung zu tragen, ginge nicht nur am Einzelfall vorbei, sondern wäre auch mit dem Risiko belastet, die einzelfallbezogenen Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu verfehlen. Die Bestimmung einer Regeldauer brächte zudem - entgegen der Intention des Gesetzes - die Gefahr mit sich, dass sie die Verwaltungsgerichte als äußerstes Limit ansehen könnten, bis zu welchem ein Verfahren zulässigerweise ausgedehnt werden dürfte.

32

Entgegen der Rechtsansicht des Klägers können auch die statistischen Durchschnittslaufzeiten für verwaltungsgerichtliche Verfahren im Land Brandenburg nicht zu einer Objektivierung des Angemessenheitsmaßstabs herangezogen werden (vgl. zur Heranziehung statistischer Durchschnittswerte im sozialgerichtlichen Verfahren: BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 28 ff.). Die vorgenannten Bedenken greifen nämlich in gleicher Weise für den Ansatz, bestimmte (durchschnittliche) Laufzeiten, die durch eine Auswertung anderer Gerichtsverfahren statistisch ermittelt wurden, als ergänzende oder indizielle Werte heranzuziehen. Zum einen ist auch dieser Ansatz mit der Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren nicht in Einklang zu bringen. Zum anderen ist ein gesichertes Indiz für eine "normale" bzw. durchschnittliche Laufzeit in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren schon deshalb kaum möglich, weil die Verfahrenslaufzeiten der Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte in den Ländern - wie aus allgemein zugänglichen Quellen ersichtlich und zwischen den Beteiligten unstreitig ist - sehr unterschiedlich ausfallen. Im Hinblick auf die verfassungsmäßige Gewährleistung eines Gerichtsverfahrens in angemessener Zeit kann die Effektivität des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) für die verfahrensbeteiligten Bürger nicht (mit) davon abhängen, in welchem Land sie Rechtsschutz suchen und wie sich die durchschnittliche Verfahrensdauer dort ausnimmt.

33

Es verbietet sich gleichfalls, statistische Erhebungen für Verwaltungsstreitverfahren auf Bundesebene heranzuziehen. Abgesehen davon, dass solche statistischen Werte über Verfahrenslaufzeiten im Hinblick auf die Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren für den Einzelfall kaum aussagekräftig sind, müssten die Durchschnittswerte ihrerseits wieder daraufhin überprüft werden, ob sie als solche angemessen sind.

34

Die Orientierung an einer - wie auch immer ermittelten - (statistisch) durchschnittlichen Dauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren erweist sich auch deshalb als bedenklich, weil eine solche Laufzeit stets auch Ausdruck der den Gerichten jeweils zur Verfügung stehenden Ressourcen ist, also insbesondere von den bereitgestellten personellen und sächlichen Mitteln abhängt. Der verfassungsrechtliche Anspruch auf eine angemessene Verfahrensdauer darf hingegen grundsätzlich nicht von der faktischen Ausstattung der Justiz abhängig gemacht werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Dezember 1973 - 2 BvR 558/73 - BVerfGE 36, 264 <274 f.>). Dies wäre aber im Ergebnis der Fall, wenn für die Ermittlung der angemessenen Verfahrensdauer im Sinne von § 198 Abs. 1 GVG auf eine durchschnittliche Laufzeit abgestellt wird (vgl. Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. Rn. 87; Ziekow, DÖV 1998, 941 <942>).

35

Die Ausrichtung an einer durchschnittlichen Verfahrensdauer begegnet auch mit Blick darauf Bedenken, dass statistische Werte zumeist schwankend und über die Jahre hinweg in ständigem Fluss sowie von dem abhängig sind, was jeweils wie erfasst wird. Schließlich ersparten sie in keinem Einzelfall die Prüfung, ob und in welchem Umfange über die gesamte Laufzeit eines als überlang gerügten Gerichtsverfahrens Verzögerungen eingetreten und diese sachlich gerechtfertigt sind.

36

(3) Aus den vorgenannten Erwägungen ergibt sich zugleich, dass die vom Oberverwaltungsgericht angenommene - eher gegriffene - Frist von zwei Jahren ab Entscheidungsreife kein zulässiger Maßstab für die Prüfung der Angemessenheit im Sinne von § 198 Abs. 1 GVG ist. Dabei ist zudem zu berücksichtigen, dass der Aspekt der Entscheidungsreife oder des "Ausgeschriebenseins" einer Sache für die Bewertung der Verzögerung ohnehin kein Fixpunkt sein, sondern allenfalls relative Bedeutung haben kann. Mit der Entscheidungsreife muss weder sogleich eine dem Staat zuzurechnende Verzögerung eintreten noch werden mit ihr bestimmte Fristen in Lauf gesetzt, innerhalb derer die Verfahrensdauer noch angemessen ist, wenn das Verfahren gefördert wird. Der Begriff der Entscheidungsreife kennzeichnet lediglich den Zeitpunkt, in welchem der für die Entscheidung des Rechtsstreits notwendige Tatsachenstoff aufgeklärt und den Beteiligten in hinreichender Weise rechtliches Gehör gewährt worden ist. Ebenso wenig wie es allgemeine Orientierungswerte für die angemessene Verfahrensdauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren gibt, gibt es solche darüber, bis wann ein Verfahren nach Entscheidungsreife abzuschließen ist.

37

bb) Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist. Dabei ist vor allem auch zu prüfen, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eintreten, bei Berücksichtigung des dem Gericht zukommenden Gestaltungsspielraumes sachlich gerechtfertigt sind. Dieser Maßstab erschließt sich aus dem allgemeinen Wertungsrahmen, der für die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Unangemessenheit vorgegeben ist (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 25 ff.), und wird durch diesen weiter konkretisiert.

38

(1) Der unbestimmte Rechtsbegriff der "unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens" (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG) wie auch die zu seiner Ausfüllung heranzuziehenden Merkmale im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG sind unter Rückgriff auf die Grundsätze näher zu bestimmen, wie sie in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG und zum Justizgewährleistungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG entwickelt worden sind. Diese Rechtsprechung diente dem Gesetzgeber bereits bei der Textfassung des § 198 Abs. 1 GVG als Vorbild (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 18). Insgesamt stellt sich die Schaffung des Gesetzes als innerstaatlicher Rechtsbehelf gegen überlange Gerichtsverfahren als Reaktion auf eine entsprechende Forderung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dar (vgl. insbesondere EGMR, Urteil vom 2. September 2010 - Nr. 46344/06, Rumpf/Deutschland - NJW 2010, 3355). Haftungsgrund für den gesetzlich normierten Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer in § 198 Abs. 1 GVG ist mithin die Verletzung des in Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK verankerten Rechts eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 25 m.w.N.).

39

(2) Die Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs aus § 198 Abs. 1 GVG an den aus Art. 19 Abs. 4 GG, dem verfassungsrechtlichen Justizgewährleistungsanspruch sowie dem Menschenrecht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK folgenden Anspruch auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit verdeutlicht, dass es darauf ankommt, ob der Beteiligte durch die Länge des Gerichtsverfahrens in seinem Grund- und Menschenrecht beeinträchtigt worden ist. Damit wird eine gewisse Schwere der Belastung vorausgesetzt; es reicht also nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung des Gerichts aus (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 26). Vielmehr muss die Verfahrensdauer eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 - NVwZ 2013, 789 <791 f.>). Dabei haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen, weshalb sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen, verdichtet (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790> jeweils m.w.N.).

40

(3) Die Angemessenheit der Dauer eines Gerichtsverfahrens bemisst sich auch danach, wie das Gericht das Verfahren geführt hat und ob und in welchem Umfang ihm Verfahrensverzögerungen zuzurechnen sind.

41

Ist infolge unzureichender Verfahrensführung eine nicht gerechtfertigte Verzögerung eingetreten, spricht dies für die Annahme einer unangemessenen Verfahrensdauer im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG. Dabei ist die Verfahrensführung zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien in Bezug zu setzen. Zu prüfen ist also, ob das Gericht gerade in Relation zu jenen Gesichtspunkten den Anforderungen an eine angemessene Verfahrensdauer gerecht geworden ist. Maßgeblich ist insoweit - genauso wie hinsichtlich der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG aufgeführten Umstände -, wie das Gericht die Lage aus seiner Ex-ante-Sicht einschätzen durfte (vgl. Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. § 198 GVG Rn. 81 und 127).

42

Im Zusammenhang mit der Verfahrensführung durch das Gericht ist zu berücksichtigen, dass die Verfahrensdauer in einem gewissen Spannungsverhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) und zum rechtsstaatlichen Gebot steht, eine inhaltlich richtige, an Recht und Gesetz orientierte Entscheidung zu treffen (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 27). Ebenso fordert Art. 6 Abs. 1 EMRK zwar, dass Gerichtsverfahren zügig betrieben werden, betont aber auch den allgemeinen Grundsatz einer geordneten Rechtspflege (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000 - Nr. 29357/95, Gast und Popp/Deutschland - NJW 2001, 211 Rn. 75). Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck; vielmehr verlangt das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands durch das dazu berufene Gericht (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Beschlüsse vom 12. Februar 1992 - 1 BvL 1/89 - BVerfGE 85, 337 <345> und vom 26. April 1999 - 1 BvR 467/99 - NJW 1999, 2582 <2583>; ebenso BGH, Urteil vom 4. November 2010 - III ZR 32/10 - BGHZ 187, 286 Rn. 14 m.w.N.). Um den verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Anforderungen gerecht werden zu können, benötigt das Gericht eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen ist. Dabei ist die Verfahrensgestaltung in erster Linie in die Hände des mit der Sache befassten Gerichts gelegt (BVerfG, Beschlüsse vom 30. Juli 2009 - 1 BvR 2662/06 - NJW-RR 2010, 207 <208> und vom 2. Dezember 2011 - 1 BvR 314/11 - WM 2012, 76 <77>). Dieses hat, sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung und Terminierung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festzulegen (BVerfG, Beschluss vom 30. Juli 2009 a.a.O.). Es hat dabei die Verfahren untereinander zu gewichten, den Interessen der Beteiligten - insbesondere im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs und eines fairen Verfahrens - Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu geboten sind. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht - auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit - ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29. März 2005 - 2 BvR 1610/03 - NJW 2005, 3488 <3489> und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <791> jeweils m.w.N.; vgl. auch BGH, Urteil vom 4. November 2010 a.a.O.). Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie - auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums - sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 a.a.O. m.w.N.).

43

Im Hinblick auf die Rechtfertigung von Verzögerungen ist der auch in den Gesetzesmaterialien (BTDrucks 17/3802 S. 18) deutlich zum Ausdruck gekommene Grundsatz zu berücksichtigen, dass sich der Staat zur Rechtfertigung einer überlangen Verfahrensdauer nicht auf Umstände innerhalb seines Verantwortungsbereichs berufen kann (stRspr des BVerfG, vgl. Beschlüsse vom 7. Juni 2011 - 1 BvR 194/11 - NVwZ-RR 2011, 625 <626>, vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 - EuGRZ 2009, 699 Rn. 14 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>; vgl. auch BFH, Urteil vom 17. April 2013 - X K 3/12 - BeckRS 2013, 95036 = juris Rn. 43). Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat kommt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte insbesondere für Zeiträume in Betracht, in denen das Gericht ohne rechtfertigenden Grund untätig geblieben, also das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat (vgl. EGMR, Urteile vom 26. Oktober 2000 - Nr. 30210/96, Kudla/Polen - NJW 2001, 2694 Rn. 130 und vom 31. Mai 2001 - Nr. 37591/97, Metzger/Deutschland - NJW 2002, 2856 Rn. 41). Soweit dies auf eine Überlastung der Gerichte zurückzuführen ist, gehört dies zu den strukturellen Mängeln, die der Staat zu beheben hat (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000 a.a.O. Rn. 78). Strukturelle Probleme, die zu einem ständigen Rückstand infolge chronischer Überlastung führen, muss sich der Staat zurechnen lassen; eine überlange Verfahrensdauer lässt sich damit nicht rechtfertigen (BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>).

44

Sind in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten Verzögerungen eingetreten, bewirkt dies nicht zwingend die Unangemessenheit der Gesamtverfahrensdauer. Es ist vielmehr - wie aufgezeigt - im Rahmen einer Gesamtabwägung zu untersuchen, ob die Verzögerung innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens ausgeglichen wurde.

45

cc) Unter Berücksichtigung der zuvor erörterten Grundsätze erweist sich hier, dass die Verfahrensdauer unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG war, weil eine an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles - insbesondere der Schwierigkeit des Verfahrens ((1)), seiner Bedeutung für den Kläger ((2)) sowie des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten ((3)) und der Verfahrensführung des Gerichts ((4)) - ergibt, dass die Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt worden ist.

46

(1) Die Würdigung des Oberverwaltungsgerichts, dass es sich nicht um einen tatsächlich und rechtlich schwierigen Fall handelte, ist unter Berücksichtigung seiner hierzu getroffenen Feststellungen nicht zu beanstanden und wird auch von der Revision nicht angegriffen. Als Indiz für den eher durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad kann unter anderem der Umstand herangezogen werden, dass die Sache vom Verwaltungsgericht auf den Einzelrichter übertragen worden ist (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwGO) und auch von dem Senat des Oberverwaltungsgerichts, der im Ausgangsverfahren zu entscheiden hatte, nicht als besonders schwierig gewertet worden ist.

47

(2) Anders verhält es sich hinsichtlich der Bewertung des Oberverwaltungsgerichts, das Verfahren habe für den Kläger letztlich keine besondere Bedeutung aufgewiesen, so dass ein besonderes Interesse an einem beschleunigten Abschluss nicht gegeben gewesen sei. Zwar wird die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger dadurch relativiert, dass er durch die aufschiebende Wirkung der Klage (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO) während der Dauer des gerichtlichen Verfahrens vor einer Vollstreckung durch die öffentliche Hand geschützt war. Auch liegt keine Fallgruppe vor, für welche die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte regelmäßig eine besondere Bedeutung für die Betroffenen annimmt, wie etwa bei Eingriffen in die persönliche Freiheit oder die Gesundheit; Rechtsstreitigkeiten um die finanzielle Versorgung (Renten- oder Arbeitssachen) oder Statussachen (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 8. Juni 2006 - Nr. 75529/01, Sürmeli/Deutschland - NJW 2006, 2389 Rn. 133 sowie den Überblick und die Nachweise bei Wittling-Vogel/Ulick, DRiZ 2008, 87 <88>). Allerdings ist - wie die Revision zu Recht einwendet - auch zu berücksichtigen, dass der Kläger einer für einen jungen Menschen (Studenten) erheblichen Geldforderung in Höhe von über 17 000 € ausgesetzt war. Die damit verbundene Unsicherheit, ob die Forderung zu Recht erhoben worden ist und er diese Summe tatsächlich zu begleichen hatte - das "Damoklesschwert" der drohenden Geltendmachung durch die Behörde -, ist entgegen der Wertung des Oberverwaltungsgerichts als erheblich für die Bedeutung des Rechtsstreits für den Kläger anzusehen. Wegen der mit dieser Verunsicherung verbundenen Einschränkung, weitere Dispositionen zu treffen, ist ihm ein besonderes Interesse an einer Erledigung des Rechtsstreits zuzubilligen, das mit zunehmender Verfahrensdauer wuchs.

48

(3) Im Hinblick auf das prozessuale Verhalten des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht im Ergebnis in nicht zu beanstandender Weise ausgeführt, dass er durch sein Verhalten keine relevante Verzögerung des Rechtsstreits bewirkt habe. Die Beteiligten streiten zu Recht nicht über den Zeitraum, für den der Kläger nach Klageerhebung um die Verlängerung der Begründungsfrist nachgesucht und damit eine ihm zuzurechnende Verzögerung von etwa zwei Monaten herbeigeführt hat. Im Hinblick auf sein prozessuales Verhalten ist allerdings ergänzend zu berücksichtigen, dass er nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts bereits im März 2004 sein Einverständnis mit einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts ohne mündliche Verhandlung erklärt hat. Damit hat er frühzeitig einen Beitrag zu einer möglichen Verfahrensbeschleunigung geleistet.

49

(4) Unter Gewichtung und Abwägung der zuvor erörterten Kriterien ergibt sich hier - auch unter Berücksichtigung des gerichtlichen Spielraums bei der Verfahrensgestaltung - eine maßgebliche, weil sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung des Gerichtsverfahrens von etwa fünf Jahren.

50

Im Hinblick auf den Verfahrensgang vor dem Verwaltungsgericht hat das Oberverwaltungsgericht neben der Chronologie des Verfahrens festgestellt, dass die Streitsache jedenfalls im September 2004 erkennbar entscheidungsreif gewesen sei. Das Verwaltungsgericht hatte bereits durch die Anfrage an die Beteiligten vom 3. März 2004, ob sie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien, zu erkennen gegeben, dass es die Sache für "ausgeschrieben" hielt. Auf der Grundlage dieser Feststellung ist die Wertung des Oberverwaltungsgerichts fehlerhaft, dass eine nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung von drei Jahren und vier Monaten vorgelegen habe. Hierzu ist das Oberverwaltungsgericht aufgrund seiner rechtlich fehlerhaften Annahme gelangt, dass nach Entscheidungsreife noch eine weitere Verfahrensdauer von zwei Jahren (bis September 2006) angemessen gewesen sei. Diese "Zwei-Jahres-Pauschale" steht - wie dargelegt - weder als allgemeine Formel mit Bundesrecht in Einklang noch trägt sie durch eine Würdigung der konkreten Umstände dem vorliegenden Einzelfall Rechnung.

51

Was den Zeitpunkt der Entscheidungsreife - verstanden als Zeitpunkt der hinreichenden tatsächlichen Aufbereitung wie auch der Gewährung rechtlichen Gehörs - betrifft, so ist auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts zum Verfahrensablauf vielmehr wertend zu folgern, dass diese bereits vor September 2004 gegeben war. Denn das Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, dass das Verwaltungsgericht den letzten Schriftsatz des Klägers vom 12. März 2004 am 17. März 2004 an den Beklagten übersandt und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von sechs Wochen gegeben hat. Nachdem der Beklagte sich hierzu nachweislich nicht mehr geäußert hatte, stand einer weiteren Verfahrensförderung durch das Verwaltungsgericht (etwa einer Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter) schon Ende April 2004 nichts mehr im Wege.

52

Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat, die insbesondere für Zeiträume in Betracht kommt, in denen das Gericht das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat (EGMR, Urteile vom 26. Oktober 2000 a.a.O. Rn. 130 und vom 31. Mai 2001 a.a.O. Rn. 41), ist hier für den Zeitraum von Ende April 2004 bis Januar 2010 anzunehmen. In diesem Zeitraum hat das Verwaltungsgericht das aus seiner Sicht entscheidungsreife Verfahren nicht mehr gefördert; vielmehr hat es sich mit der Verfügung von Wiedervorlagen der Sache nach auf ein "Liegenlassen" der Akte beschränkt. Die nächste, der Verfahrensförderung dienende Prozesshandlung hat es erst im Januar 2010 mit der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter vorgenommen.

53

Auch wenn dem Verwaltungsgericht ab Entscheidungsreife Ende April 2004 ein mehrmonatiger Gestaltungszeitraum zugestanden wird, um fördernde Verfahrenshandlungen vorzubereiten und abzustimmen, war seine Untätigkeit angesichts der eher durchschnittlichen Schwierigkeit des Verfahrens einerseits und seiner nicht unerheblichen Bedeutung für den Kläger wie auch seines prozessualen Verhaltens andererseits jedenfalls ab Ende 2004 nicht mehr sachlich zu rechtfertigen. Dies entspricht in etwa der Würdigung des Klägers, der davon ausgeht, dass aufgrund der genannten Umstände des Einzelfalles jedenfalls ab Februar 2005 - also 20 Monate nach Klageeinreichung und knapp ein Jahr nach dem Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung - die Verfahrensdauer als nicht mehr angemessenen zu betrachten war. Dabei hat das Oberverwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass sich der Beklagte - was die Bemessung des Gestaltungszeitraums für eine gerichtliche Entscheidung betrifft - nicht auf die allgemeine Belastungssituation bei den Verwaltungsgerichten im Land Brandenburg berufen kann. Eine solche Überlastung der Gerichte gehört zu den strukturellen Mängeln, die seinem Verantwortungsbereich zuzurechnen sind und die er zu beseitigen hat.

54

Ist mithin jedenfalls ab Ende 2004 eine Untätigkeit des Verwaltungsgerichts nicht mehr zu rechtfertigen gewesen, so sind bis zur nächsten Verfahrensförderung im Januar 2010 mehr als fünf Jahre verstrichen, die als relevante Verzögerung und damit als unangemessene Verfahrensdauer im Sinne von § 198 GVG zugrunde zu legen sind. Dabei hat der Kläger im Ergebnis zu Recht nicht geltend gemacht, dass darüber hinaus auch im Berufungszulassungs- und Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht noch eine Verzögerung eingetreten ist. Ebenso ist die Vorinstanz zutreffend davon ausgegangen, dass das zweitinstanzliche Verfahren auch nicht so zügig durchgeführt worden ist, dass es die Überlänge des erstinstanzlichen Verfahrens (teilweise) hätte kompensieren können.

55

c) Der Kläger hat einen immateriellen Nachteil in der von ihm geltend gemachten Höhe erlitten, der nicht auf andere Weise wieder gutgemacht werden kann.

56

Dass der Kläger, der keine materiellen, sondern nur Nachteile nichtvermögensrechtlicher Art geltend macht, solche erlitten hat, ergibt sich aus der gesetzlichen Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG. Danach wird ein immaterieller Nachteil vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren - wie hier - unangemessen lange gedauert hat. Diese Vermutung ist im vorliegenden Fall nicht widerlegt.

57

Entschädigung kann gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist. Eine Wiedergutmachung auf andere Weise ist gemäß § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Ob eine solche Feststellung ausreichend im Sinne des § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ist, beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalles. In diese wird regelmäßig einzustellen sein, ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Bedeutung hatte, ob dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verzögerung beigetragen hat, ob er weitergehende immaterielle Schäden erlitten hat oder ob die Überlänge den einzigen Nachteil darstellt (BTDrucks 17/3802 S. 20). Darüber hinaus kann zu berücksichtigen sein, von welchem Ausmaß die Unangemessenheit der Dauer des Verfahrens ist und ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Dringlichkeit aufwies oder ob diese zwischenzeitlich entfallen war (vgl. EGMR, Urteil vom 29. September 2011 - Nr. 854/07 - juris Rn. 41). Hier gehen die Verfahrensbeteiligten mit dem Oberverwaltungsgericht zu Recht davon aus, dass als Ergebnis einer umfassenden Einzelabwägung eine Wiedergutmachung auf andere Weise insbesondere wegen der erheblichen Verfahrensverzögerung nicht ausreichend ist. Deshalb kann hier dahingestellt bleiben, ob im Fall einer unangemessenen Verfahrensdauer die Entschädigung die Regel und die bloße Feststellung im Sinne von § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG die Ausnahme ist (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 45 f.) oder ob weder ein Vorrang der Geldentschädigung noch eine anderweitige Vermutungsregelung gilt (vgl. BFH, Urteil vom 17. April 2013 - X K 3/12 - BeckRS 2013, 95036 Rn. 57).

58

d) Die Bemessung der immateriellen Nachteile richtet sich nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG. Danach sind diese in der Regel in Höhe von 1 200 € für jedes Jahr der Verzögerung zu entschädigen. Nur wenn dieser Betrag nach den Umständen des Einzelfalls unbillig ist, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG). Das Oberverwaltungsgericht hat in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass hier eine Abweichung vom Pauschalbetrag nicht veranlasst ist. Da die nicht gerechtfertigte Verzögerung jedenfalls fünf Jahre betrug, steht dem Kläger insgesamt ein Anspruch auf 6 000 € Entschädigung zu, so dass über den Ausspruch des Oberverwaltungsgerichts hinaus weitere 2 000 € an ihn zu zahlen sind.

59

2. Der Kläger hat zudem einen Anspruch auf Feststellung der unangemessenen Dauer des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht.

60

a) Die Begrenzung des Feststellungsantrags auf die Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht ist zulässig. Sie entspricht der Dispositionsbefugnis des Klägers als Rechtsmittelführer (vgl. § 88 VwGO) und trägt dem Umstand Rechnung, dass er sich insoweit allein durch die Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens beschwert sieht. Allgemein kann ein Rechtsmittel auf einen von mehreren selbstständigen Streitgegenständen einer Klage oder auf einen Teil des Streitgegenstandes beschränkt werden, wenn dieser Teil vom Gesamtstreitstoff abteilbar ist und materiell-rechtliche Gründe einer gesonderten Entscheidung darüber nicht entgegenstehen (vgl. Beschluss vom 5. Juli 2011 - BVerwG 5 B 35.11 - juris Rn. 1, Urteile vom 1. März 2012 - BVerwG 5 C 11.11 - Buchholz 428.42 § 2 NS-VEntschG Nr. 10 Rn. 15 und vom 18. Juli 2013 - BVerwG 5 C 8.12 - zur Veröffentlichung in der amtlichen Entscheidungssammlung vorgesehen). Das ist hier der Fall.

61

Die Beschränkung auf einen Verfahrenszug - hier auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren - ist vom Gesamtstreitstoff abtrennbar. Bezugsrahmen für die materiell-rechtliche Frage, ob sich die Verfahrensdauer als angemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG darstellt, ist zwar - wie oben dargelegt - auch dann die Gesamtdauer des gerichtlichen Verfahrens, wenn dieses wie hier über zwei Instanzen geführt worden ist. Dennoch steht das materielle Recht einem gesonderten Ausspruch darüber, dass (nur) die Verfahrensdauer in einer Instanz unangemessen war, nicht entgegen. Denn auch um dies feststellen zu können, ist grundsätzlich die materiell-rechtliche Voraussetzung zu prüfen, ob - mit Blick auf die Gesamtverfahrensdauer - durch die zügige Behandlung der Sache in einer höheren Instanz eine etwaige Überlänge in der Vorinstanz ganz oder teilweise kompensiert werden kann. Für die Zulässigkeit, den (Feststellungs-)Antrag auf eine Instanz beschränken zu können, spricht überdies, dass es das Gesetz ermöglicht, eine Entschädigungsklage bereits vor Beendigung des Ausgangsverfahrens zu erheben (vgl. § 198 Abs. 5 GVG, § 201 Abs. 3 GVG). Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass auch Konstellationen denkbar sind, in denen eine unangemessene und irreparable Verzögerung feststellbar ist und in denen daher über die Kompensation für schon eingetretene Nachteile entschieden werden kann (BTDrucks 17/3802 S. 22). Dass es das Gesetz zulässt, verschiedene Verfahrensstufen unterschiedlich in den Blick zu nehmen, zeigt sich schließlich auch daran, dass bei einem bis zum Bundesverwaltungsgericht geführten Verwaltungsrechtsstreit verschiedene Rechtsträger - nämlich zum einen das jeweilige Land und zum anderen der Bund (§ 201 Abs. 1 GVG i.V.m. § 173 Satz 2 VwGO) - für die in ihrem Bereich zu verantwortenden Verfahrensverzögerungen in Anspruch genommen werden können.

62

b) Der Anspruch des Klägers auf Feststellung der unangemessenen Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens folgt aus § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1 GVG.

63

Nach dieser Bestimmung kann das Entschädigungsgericht in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung aussprechen, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Weil es hierfür nicht notwendig eines Antrags bedarf (§ 198 Abs. 4 Satz 2 GVG), hat das Entschädigungsgericht grundsätzlich von Amts wegen zu prüfen, ob es diese Feststellung trifft. Bei diesem Ausspruch handelt es sich, wie systematisch aus § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG zu folgern ist, um eine Form der "Wiedergutmachung auf andere Weise", die "neben die Entschädigung" treten kann. Ob das Entschädigungsgericht diese Feststellung zusätzlich zur Entschädigung (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 22) trifft, ist in sein Ermessen ("kann") gestellt.

64

aa) Ein schwerwiegender Fall im Sinne von § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1 GVG liegt hier vor.

65

Das Oberverwaltungsgericht hat das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzung des schwerwiegenden Falles rechtsfehlerhaft verneint. Es hat sich zur Begründung darauf gestützt, dass ein solcher Fall hier schon deshalb ausscheide, weil die Klage aufschiebende Wirkung gehabt habe und der Kläger die ihn treffenden Folgen der Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht hätte mildern können, indem er einen weiteren Antrag auf Gewährung von Ausbildungsförderung hätte stellen und die Treuhandabrede hätte aufheben können. Dem folgt der Senat nicht.

66

Ob ein schwerwiegender Fall vorliegt, ist anhand einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalles zu ermitteln. Insofern gilt nichts anderes als für die Entscheidung nach § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2 GVG, die nach den Vorstellungen des Gesetzgebers ebenfalls "unter Würdigung der Gesamtumstände" zu treffen ist (BTDrucks 17/3802 S. 22). Neben der Bedeutung des Rechtsstreits für den Verfahrensbeteiligten und seinen damit korrespondierenden Interessen an einer zügigen Entscheidung ist im Rahmen der Abwägung, ob der Fall schwerwiegend ist, insbesondere in Ansatz zu bringen, wie lange das Verfahren insgesamt gedauert hat und wie groß der Zeitraum ist, in dem eine nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung vorlag. Der Begriff "schwerwiegend" bezieht sich - worauf schon der Wortlaut hindeutet - auf das Gewicht der Beeinträchtigung, die mit einer unangemessen langen Dauer verbunden ist. Dieses Gewicht nimmt zu, je länger die den Betroffenen belastende Phase der Untätigkeit anhält. Dementsprechend haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (BVerfG, Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - VZ 1/12 - NVwZ 2013, 789 <790> m.w.N.).

67

Den vorgenannten Aspekt hat das Oberverwaltungsgericht hier nicht gesetzeskonform gewichtet. Es hätte die erhebliche Überlänge des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens mit einer dem Gericht zuzurechnenden Verfahrensverzögerung von etwa fünf Jahren sowie die Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von über acht Jahren als Umstand in die Abwägung einstellen müssen, der in bedeutsamer Weise für die Annahme eines schwerwiegenden Falles spricht. Zudem hat das Oberverwaltungsgericht die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger zu gering gewichtet. Denn diese ist - wie oben dargelegt - wegen der Höhe des Rückforderungsbetrages und der damit verbundenen Unsicherheit als erheblich anzusehen. Eine gesetzeskonforme Gesamtabwägung ergibt daher, dass gerade im Hinblick auf die erhebliche Überlänge des für den Kläger bedeutsamen Verfahrens die Voraussetzungen für die Annahme eines schwerwiegenden Falles erfüllt sind. Dies kann auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts auch das Revisionsgericht feststellen.

68

bb) Sofern - wie hier - ein schwerwiegender Fall im Sinne des § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG vorliegt, ist die Entscheidung über eine Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer in das Ermessen des Entschädigungsgerichts gestellt.

69

Die Frage, ob in "schwerwiegenden Fällen" noch neben der Entschädigung ein gesonderter Feststellungsausspruch geboten ist, um dem Wiedergutmachungsanspruch des Betroffenen hinreichend Rechnung zu tragen, ist systematisch der Ermessensausübung zuzuordnen. Insoweit ist eine weitere Abwägungsentscheidung darüber zu treffen, ob es im konkreten Fall des Feststellungsausspruchs bedarf, um dem Betroffenen eine zusätzliche Form der Wiedergutmachung zu verschaffen. Als ein Abwägungskriterium ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, wenn der Kläger dies - wie hier - ausdrücklich beantragt. Damit gibt er zu erkennen, dass er auf diese zusätzliche Form der Wiedergutmachung gerade Wert legt und sie als Form der Genugtuung für die Verletzung seiner Rechte begreift. Ob die Beantragung der Feststellung in "schwerwiegenden Fällen" grundsätzlich zu einer Reduzierung des Ermessens führen kann, bedarf keiner Entscheidung. Denn tatsächliche Umstände, die trotz der mit der Antragstellung verbundenen Geltendmachung eines entsprechenden Genugtuungs- bzw. Rehabilitationsbegehrens dafür sprechen, von dem begehrten Ausspruch abzusehen, sind hier nicht festgestellt.

70

3. Da der Beklagte aufgrund des revisionsgerichtlichen Urteils in beiden Instanzen in vollem Umfang unterlegen ist, hat er gemäß § 154 Abs. 1 und 2 VwGO die Kosten zu tragen. Eine Billigkeitsentscheidung nach der kostenrechtlichen Spezialregelung des § 201 Abs. 4 GVG i.V.m. § 173 Satz 2 VwGO ist nicht zu treffen, weil dem Kläger keine geringere Entschädigung zugesprochen wird.

Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Nimmt ein sonstiger Rechtsnachfolger das Verfahren auf, bleibt das Verfahren in dem Rechtszug kostenfrei. Den in Satz 1 und 2 genannten Personen steht gleich, wer im Falle des Obsiegens zu diesen Personen gehören würde. Leistungsempfängern nach Satz 1 stehen Antragsteller nach § 55a Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative gleich. § 93 Satz 3, § 109 Abs. 1 Satz 2, § 120 Absatz 1 Satz 2 und § 192 bleiben unberührt. Die Kostenfreiheit nach dieser Vorschrift gilt nicht in einem Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2).

(1) Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen ein Land ist das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde. Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen den Bund ist der Bundesgerichtshof. Diese Zuständigkeiten sind ausschließliche.

(2) Die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren vor den Landgerichten im ersten Rechtszug sind entsprechend anzuwenden. Eine Entscheidung durch den Einzelrichter ist ausgeschlossen. Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts findet die Revision nach Maßgabe des § 543 der Zivilprozessordnung statt; § 544 der Zivilprozessordnung ist entsprechend anzuwenden.

(3) Das Entschädigungsgericht kann das Verfahren aussetzen, wenn das Gerichtsverfahren, von dessen Dauer ein Anspruch nach § 198 abhängt, noch andauert. In Strafverfahren, einschließlich des Verfahrens auf Vorbereitung der öffentlichen Klage, hat das Entschädigungsgericht das Verfahren auszusetzen, solange das Strafverfahren noch nicht abgeschlossen ist.

(4) Besteht ein Entschädigungsanspruch nicht oder nicht in der geltend gemachten Höhe, wird aber eine unangemessene Verfahrensdauer festgestellt, entscheidet das Gericht über die Kosten nach billigem Ermessen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt. In Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen, sind die §§ 63 bis 80 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt.

(1) Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen ein Land ist das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde. Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen den Bund ist der Bundesgerichtshof. Diese Zuständigkeiten sind ausschließliche.

(2) Die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren vor den Landgerichten im ersten Rechtszug sind entsprechend anzuwenden. Eine Entscheidung durch den Einzelrichter ist ausgeschlossen. Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts findet die Revision nach Maßgabe des § 543 der Zivilprozessordnung statt; § 544 der Zivilprozessordnung ist entsprechend anzuwenden.

(3) Das Entschädigungsgericht kann das Verfahren aussetzen, wenn das Gerichtsverfahren, von dessen Dauer ein Anspruch nach § 198 abhängt, noch andauert. In Strafverfahren, einschließlich des Verfahrens auf Vorbereitung der öffentlichen Klage, hat das Entschädigungsgericht das Verfahren auszusetzen, solange das Strafverfahren noch nicht abgeschlossen ist.

(4) Besteht ein Entschädigungsanspruch nicht oder nicht in der geltend gemachten Höhe, wird aber eine unangemessene Verfahrensdauer festgestellt, entscheidet das Gericht über die Kosten nach billigem Ermessen.