Neues Urteil im Abgas-Skandal

erstmalig veröffentlicht: 25.02.2022, letzte Fassung: 19.10.2022

Autoren

Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

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Zusammenfassung des Autors

Seit dem der Volkswagen-Abgasskandal im September 2015 öffentlich wurde, sind mittlerweile mehr als sechs Jahre vergangen. Dennoch können Betroffene noch heute Schadensersatz verlangen und zwar auch dann, wenn sie bisher untätig geblieben sind und keine Ansprüche geltend gemacht haben. 

Der Bundesgerichtshof bestätigte mit zwei Urteilen vom 21.02.2022 (Vla ZR 8/21 und Vla ZR 57/21), dass die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines sogenannten "Restschadensersatzanspruches", noch bis zu zehn Jahren nach Fahrzeugkauf bestehe. Das gilt für alle Käufer eines vom Dieselskandal betroffenen Neuwagens mit dem Motor EA 189, deren Anspruch verjährt ist. Für alle Eigentümer manipulierter Fahrzeuge, die ihren Neuwagen im Jahr 2012 oder später erworben haben und es bisher versäumt haben Schadensersatzansprüche geltend zu machen, ist das eine erfreuliche Nachricht und ein Wink mit dem Zaunpfal zum sofortigem Handeln.

Dirk Streifler - Streifler&Kollegen - Rechtsanwälte Berlin

Der Abgasskandal

Nachdem der Abgasskandal im September 2015, durch eine Pressemitteilung bekannt wurde, war die öffentliche Empörung groß. Mehr als zwölf Millionen Diesel-Fahrzeuge mit den Motoren vom Typ EA189 sind zum Zwecke der gezielten Manipulation von Schadstoffemissionen mit einer hochentwickelten Steuerungssoftware augestattet worden. Die Software erkannte, wenn sich ein PKW auf den Prüfstand befand und steuerte das Motorverhalten so, dass Emissionshöchstgrenzen nicht überschritten wurden. Auf der Straße hingegen, stoßen die besagten Fahrezuge deutlich mehr Schadstoffe aus. Aufgrund dieser Manipulation konnte der Konzern VW, die mit einem Diesel-Motor ausgestatteten Fahrzeuge als "umweltfreundlich" und "emissionsarm" verkaufen. Während zunächst nur von 500.000 manipulierten Autos die Rede war, gab VW nur kurze Zeit später zu, mehr als elf millionen Autos mit einer Abschalteinrichtung ausgestattet zu haben.

Über 12 Millionen Fahrzeuge sind von dem sogenannten Abgasskandal betroffen.

BGH bestätigt sittenwidrige Schädigung der Verbraucher durch VW

Der BGH hat mit Urteil vom 25. Mai 2020 eine sittenwidrige Schädigung der Verbraucher durch den Konzern VW bestätigt und entschieden, dass VW verpflichtet ist, Schadensersatz an alle Käufer eines mit einer Abschalteinrichtung manipulierten Fahrzeugs zu zahlen (Az.: VI 252/19). Die Gerichtsentscheidung bezog sich dabei auf VW-Modelle des Motors EA189. Mittlerweile ist bekannt, dass auch der Motor EA288 manipuliert wurde.

Etliche Menschen sind bereits erfolgreich vor Gericht gezogen. Tausende befinden sich noch inmitten eines Gerichtsverfahrens. Neben zahlreichen Individualklagen, haben sich einige Geschädigte dazu entschieden an einer Musterfeststellungsklage mitzuwirken. Dennoch haben viele Käufer es versäumt, Schadensersatzanprüche vor Gericht geltend zu machen. Die Kanzlei von Streifler&Kollegen rät dringend dazu, dies nachzuholen und die Volkswagen AG auf Restschadensersatz (§ 852 S. 1 BGB) in Anspruch zu nehmen. Der Zeitpunkt könnte nicht besser sein. 

Denn obwohl der Schadensersatzanspruch wegen sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) mittlerweile verjährt sein dürfte, können Geschädigte den VW-Konzern in Haftung nehmen. Die sogenannten "Restschadensansprüche" verjähren bei vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nämlich erst zehn Jahre ab Kauf des Wagens. Das bestätigte der BGH mit zwei Urteilen vom 21.02.2022. 

Vorinstanzen: Kläger hatten Kenntnis - Anspruch verjährt

Kläger im Verfahren VIa ZR 8/21 war der Käufer eines VW Golf Cabrio "Life" TDI. Dieser erwarb seinen Neuwagen im Jahr 2013 von der Volkswagen-AG direkt. Im Verfahren Ia ZR 57/21 klagte die Käuferin eines VW EOS 2.0l TDI. Das Fahrezug steht seit 2012 in ihrem Eigentum. Im Gegensatz zum Kläger im Verfahren VIa ZR 8/21, erwarb sie ihr Fahrzeug bei einem Händler. Beide Neuwagen waren mit einem Dieselmotor EA 189 augestattet. Es handelte sich um manipulierte Fahrzeuge des VW-Konzerns.

Die vorinstanzlichen Gerichte entschieden zu Gunsten der Volkswagen AG. In beiden Verfahren verneinten die Gerichte einen Anspruch gem. § 826 Abs. 1 BGB aufgrund des Ablaufs der dreijährigen Verjährungsfrist.

Während die Klägerin über die Betroffenheit ihres Wagens im Jahr 2015 unmittelbar unterrichtet wurde und damit Kenntnis erlangte, treffe den Kläger zumindest der Vorwurf der grobfahrlässigen Unkenntnis, so die Gerichte.

BGH bejaht Restschadensersatzanspruch

Der BGH stimmte den vorinstazlichen Entscheidungen hinsichtlich der Verjährung des Schadensersatzanspruches zu, entschied aber zugleich, dass beiden Klägern ein Restschadensersatz nach § 852 S. 1 BGB zusteht.

Danach muss derjenige, der durch eine unerlaubte Handlung auf Kosten eines anderen etwas erlangt hat, das aus dem schädigenden Ereignis erlangte noch bis zu zehn Jahre danach herausgeben. Für die Klägerin im Verfahren bedeutet das, dass  neben der Nutzungsentschädigung (gefahrene Kilometer) auch die Händlermarge von 15 % vom ursprünglichen Kaufpreis ihres Fahrzeugs abgezogezogen wird. Denn VW hat diese Summe nicht "erlangt" iSd. § 852 S. 1 BGB.

Die Richter betonen, dass es insbesondere unerheblich ist, dass die Kläger die Möglichkeit hatten, die Beklagte auch vor Ablauf der Verjährungsfrist des § 826 BGB auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen. Die Volkswagen AG habe die Kläger durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs geschädigt und müsse das Erlangte herausgeben, so der BGH.

Die Geschädigten können ihre Fahrzeuge an den VW-Auto-Hersteller zurückgeben und bekommen im Gegenzug den ursprünglich entrichteten Kaufpreis erstattet. Der BGH betont indes, dass der Anspruch aus § 826, 852 S. 1 BGB nicht weiter reiche als der Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB, weshalb die Kläger sich eine Nutzungsentschädigung für die mit den Wagen gefahrenen Kilometer anrechnen lassen müssen.

Die Höhe des Restschadensersatzanspruchs richtet sich an der Höhe des ursprüunglich entrichteten Kaufpreises

Nicht zuletzt deshalb wird geraten, nicht länger zu warten und einen Restschadensersatzanspruch gegen VW geltend zu machen. Auch Personen, die ihren Wagen zwischenzeitlich weiterverkauft können klagen. Das gilt jedoch nur für Verbraucher, die ihr Fahrzeug 2012 oder später erworben haben. Zudem muss es sich um den Erwerb eines Neuwagens handeln. Für gebrauchte Fahrzeuge verneinten mehrere Gerichte den Anspruch auf Schadensersatz bereits Anfang Februar. 

Nehmen Sie Kontakt zu Streifler&Kollegen auf und lassen Sie sich fachkundig beraten.

 

 

Gesetze

Gesetze

2 Gesetze werden in diesem Text zitiert

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 826 Sittenwidrige vorsätzliche Schädigung


Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 852 Herausgabeanspruch nach Eintritt der Verjährung


Hat der Ersatzpflichtige durch eine unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten etwas erlangt, so ist er auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schadens zur Herausgabe nach den Vor

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Referenzen

Hat der Ersatzpflichtige durch eine unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten etwas erlangt, so ist er auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schadens zur Herausgabe nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet. Dieser Anspruch verjährt in zehn Jahren von seiner Entstehung an, ohne Rücksicht auf die Entstehung in 30 Jahren von der Begehung der Verletzungshandlung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis an.

Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.

Hat der Ersatzpflichtige durch eine unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten etwas erlangt, so ist er auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schadens zur Herausgabe nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet. Dieser Anspruch verjährt in zehn Jahren von seiner Entstehung an, ohne Rücksicht auf die Entstehung in 30 Jahren von der Begehung der Verletzungshandlung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis an.

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