Arbeitsgericht Hamm Urteil, 11. Sept. 2015 - 2 Ca 678/15 L
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin. Der Streitwert wird auf 6.632,55 EUR festgesetzt.
1
T a t b e s t a n d:
2Mit der am 18.05.2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen und später erweiterten Klage begehrt die Klägerin restliche Arbeitsvergütung für die Zeit bis August 2015 einschließlich sowie die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, sie mit monatlich zehn Nachtwachen zu beschäftigen.
3Die Klägerin ist für die Beklagte seit dem 11.10.2008 tätig. Die Beklagte betreibt verschiedene private Pflegedienste in M und Umgebung.
4Im Arbeitsvertrag vom 13.10.2008 (Bl. 6 ff. d. GA) heißt es – soweit von Interesse – wie folgt:„…
51. Beginn und Ende des Arbeitsverhältnisses/Tätigkeit
61. Frau … T wird mit Wirkung vom 11.10.2008 als Betreuungskraft eingestellt. …
74. Vergütung
84.1. Der Arbeitnehmer erhält für seine Tätigkeit in der Betreuung eine Stundenvergütung pro geleisteter Arbeitszeit in Höhe von 7,50 Euro … Nach sechs Monaten erhöht sich die Stundenvergütung auf 8,00 Euro… Pro geleisteter Nachtwache erhält der Arbeitnehmer eine Vergütung von 64,00 Euro …
9Die Vergütung ist zahlbar jeweils zum 15. des Folgemonats auf ein von dem Arbeitnehmer eingerichtetes Girokonto im Inland. …“
10Im Änderungsvertrag vom 28.01.2011 (Bl. 4 d. GA) heißt es – soweit von Interesse – wie folgt:
11„§ 3 Tätigkeit
12Ab dem 01.02.2011 wird die sozialversicherungspflichtige Tätigkeit von Teilzeit in eine geringfügig entlohntes Beschäftigungsverhältnis (400-€-Grenze) umgewandelt.
13§ 6 Arbeitszeit
14Die regelmäßige monatliche Arbeitszeit richtet sich nach den Vorgaben der Einsatzleitung.
15§ 7 Vergütung
16Ab dem 01.02.2011 erhält Frau T für ihre Tätigkeit in der Betreuung eine Stundenvergütung pro geleisteter Arbeitszeit in Höhe von 6,65 € … Pro geleisteter Schlafwache (9,5 Stunden) erhält der Arbeitnehmer eine Vergütung von 47,50 €
17…
18Sollte sich die Auftragslage ändern, so erhält Frau T, nach Genehmigung durch die Geschäftsführung, die Möglichkeit wieder in eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit zu wechseln.
19Alle anderen Vereinbarungen des Arbeitsvertrages bleiben unverändert.“
20Entsprechend der Vereinbarung zum Änderungsvertrag vom 28.01.2011 hat die Klägerin jedenfalls seit Januar 2015 bis Juli 2015 einschließlich pro Monat zehn Nacht- wachen Bereitschaftsdienst absolviert und dafür pro geleisteter Nachtwache einen Bruttobetrag von 36,20 EUR erhalten, zuzüglich Nachtarbeitszuschläge in Höhe von 25 bzw. 40 %. Die Bruttovergütung betrug von Januar bis Juli 2015 monatlich 475,35 EUR.
21Für August 2015 ist eine Vergütung noch nicht gezahlt worden; die Klägerin erklärt, sie sei für August 2015 lediglich für sieben Nachtwachen eingeteilt gewesen. Aus dem Dienstplan für September 2015 ergebe sich, dass sie lediglich fünf Nachtwachen absolvieren solle und zusätzlich vier Tage Urlaub nehme.
22In der 2. Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen in der Pflegebranche vom 27.09.2014, in Kraft getreten am 01.01.2015 und ergangen entsprechend § 11 AEntG, heißt es – soweit von Interesse – wie folgt:
23„…
24§ 1 Geltungsbereich
25(1) Diese Verordnung gilt für Pflegebetriebe. …
26(2) Diese Verordnung gilt für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Sie gilt nicht für: …
27(4) Abweichend von Absatz 3 gilt diese Verordnung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Sinne des Absatzes 3, soweit sie im Rahmen der von ihnen auszuübenden Tätigkeiten in nicht unerheblichem Umfang gemeinsam mit Bewohnerinnen und Bewohnern tagesstrukturierend, aktivierend, betreuend oder pflegend tätig werden, insbesondere als:
281. Altersbegleiterinnen und Begleiter,
292. Betreuungskräfte von Menschen mit demenziellen Erkrankungen oder
303. Assistenzkraft
31(5) Für Betreuungskräfte von Menschen mit erheblichem Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung … und für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach Absatz 4 ist diese Verordnung ab dem 01.Oktober 2015 anzuwenden. …
32§ 2 Mindestentgelt
33(1) Das Mindestentgelt beträgt im Gebiet der Länder … Nordrhein-Westfalen …
34- ab dem 01. Januar 2015: 9,40 € je Stunde …
35(2) Das nach Absatz 1 maßgebliche Mindestentgelt ist für Zei- ten des Bereitschaftsdienstes gemäß nachstehender Grundsätze zu zahlen. Bereitschaftsdienste im Sinne dieser Verordnung leisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufhalten, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen, wenn zu erwarten ist, dass zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die Zeit ohne Arbeitsleistung mindestens
3675 % beträgt. Sie sind im Dienstplan zu hinterlegen. Zum Zwecke der Entgeltberechnung kann die Zeit des Bereitschaftsdienstes einschließlich der geleisteten Arbeit auf der Grundlage einer kollektivrechtlichen oder einer schriftlichen arbeitsvertraglichen Regelung mit mindestens 25 % als Arbeitszeit bewertet werden. Leistet die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer in einem Kalendermonat mehr als acht Bereitschaftsdienste, so ist die Zeit eines jeden über acht Bereitschaftsdienste hinausgehenden Bereitschaftsdienstes zusätzlich mit mindestens 15 % als Arbeitszeit zu bewerten. Umfasst die Arbeitsleistung innerhalb des Bereitschaftsdienstes mehr als 25 %, ist die darüber hinausgehende Arbeitsleistung zusätzlich mit dem Mindestentgelt nach Absatz 1 zu vergüten.
37(4) Von dieser Verordnung nicht erfasst werden Zeiten der Rufbereitschaft. …“
38Die Klägerin meint, sie habe – da die 2. Pflegearbeitsbedingungenverordnung noch nicht gelte – Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 EUR pro Stunde. Dies entspreche einer Monatsvergütung von 807,50 EUR brutto. Gezahlt worden seien lediglich 475,35 EUR bzw. 475,36 EUR brutto pro Monat für die Zeit bis Juli 2015 einschließlich. Für August sei eine Zahlung noch nicht erfolgt.
39Da die Beklagte sie, die Klägerin, im August weniger als zehn Nachtschichten eingesetzt hat, obwohl dies Gegenstand der arbeitsvertraglichen Vereinbarung gewesen sei und die Beklagte bereits im Dienstplan für September 2015 mitgeteilt habe, sie werde lediglich für neun Tage vergütet (fünf Schichten + vier Urlaubstage), habe sie auch Anspruch auf die Feststellung, künftig mit zehn Nachtschichten betraut zu werden. Dies ergebe sich aus dem Arbeitsvertrag sowie entsprechender jahrelanger Praxis in der Vergangenheit.
40Die Klägerin beantragt,
411. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für den Monat Januar 2015 807,50 EUR brutto zu zahlen, abzüglich am 09.02.2015 gezahlter 475,35 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.02.2015;
422. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für den Monat Februar 2015 807,50 EUR brutto zu zahlen, abzüglich am 06.03.2015 gezahlter 475,35 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.03.2015;
433. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für den Monat März 2015 807,50 EUR brutto zu zahlen, abzüglich am 09.04.2015 gezahlter 475,35 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.04.2015;
444. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für den Monat April 2015 807,50 EUR brutto zu zahlen, abzüglich am 08.05.2015 gezahlter 475,35 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.05.2015;
455. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für den Monat Mai 2015 807,50 EUR brutto zu zahlen, abzüglich am 15.06.2015 gezahlter 475,35 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.06.2015;
466. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für den Monat Juni 2015 807,50 EUR brutto zu zahlen, abzüglich am 15.07.2015 gezahlter 475,35 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.07.2015;
477. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für den Monat Juli 2015 807,50 EUR brutto zu zahlen, abzüglich am 17.08..2015 gezahlter 475,35 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.08.2015;
488. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin fortlaufend ab dem Monat August 2015 mit monatlich zehn Nachwachen zu beschäftigen.
49Die Beklagte beantragt,
50die Klage abzuweisen.
51Sie meint, eine Anspruchsgrundlage für eine Mindestvergütung von 8,50 EUR pro Stunde sei nicht erkennbar. Das Mindestlohngesetz gelte wegen der Bereichsausnahme des § 1 Abs. 3 MiLoG nicht. Aufgrund des Arbeitnehmerentsendegesetzes existiere für die Pflegebranche ein Branchenmindestlohn nach der 2. Pflegearbeitsbedingungenverordnung. Somit sei das Mindestlohngesetz insoweit nicht anwendbar. Eine andere Auslegung verbiete sich auch aus verfassungsrechtlichen Gründen unter Berücksichtigung von Art. 4 GG i.V. mit Art. 140 GG i.V. mit Art. 137 WRV, da der Mindestlohn in der Pflegebranche – anders als in anderen Wirtschaftszweigen – jedenfalls auch auf den sogenannten „dritten Weg“ zustande gekommen sei. Bei Nichtanwendung des § 1 Abs. 3 MiLoG auf den Fall sei das Gericht verpflichtet, ein Normenkontrollverfahren beim Bundesverfassungsgericht einzuleiten.
52Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie die Terminsprotokolle.
53E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
54Die Leistungs- und Feststellungsklage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Dies ergibt sich aus Folgendem:
55I. Soweit die Klägerin Vergütung für August 2015 in Höhe von 807,50 EUR brutto begehrt, steht ihr dieser Anspruch (noch) nicht zu, denn die Vergütung für August 2015 wird erst fällig am 15.09.2015. Dies ergibt sich aus Ziffer 4.1 des Arbeitsvertrages vom 13.10.2008, der durch den Änderungsvertrag vom 28.01.2011 nicht modifiziert worden ist.
56II. Soweit die Klägerin restliche Vergütung für die Zeit von Januar bis Juli 2015 auf Basis von 8,50 EUR brutto pro geleisteter Arbeitsstunde begehrt, hat sie darauf ebenfalls keinen Anspruch.
57Zwar bestimmt § 1 Abs. 2 MiLoG, dass die Höhe des Mindestlohns ab dem 01.01.2015 brutto 8,50 EUR je Zeitstunde beträgt. Die Kammer geht auch davon aus, dass „Zeitstunde“ i.S. von § 1 Abs. 2 MiLoG auch Bereitschaftsdienste umfasst, da der Wille des Gesetzgebers, Bereitschaftsdienste anders zu behandeln als Vollarbeitszeit, im Gesetz keinerlei Niederschlag gefunden hat (vgl. insoweit zur 1. Pflege- arbeitsbedingungenverordnung BAG, Urteil v. 19.11.2014 – 5 AZR 1101/12).
58Zur Überzeugung der Kammer gilt § 1 Abs. 2 MiLoG jedoch für das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht wegen der Bereichsausnahme des § 1 Abs. 3 MiLoG. Nach dieser Vorschrift gehen die Regelungen des Arbeitnehmerentsendegesetzes und der auf ihrer Grundlage erfassten Rechtsverordnungen den Regelungen dieses Gesetzes vor, soweit die Höhe der auf ihrer Grundlage festgesetzten Branchenmindestlöhne die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns nicht unterschreitet. Dies ist zur Überzeugung der Kammer der Fall. Denn der Branchenmindestlohn für die Pflegebranche beträgt ab Januar 2015 9,40 EUR je Stunde, ist somit also höher als der gesetzliche Mindestlohn. Eine Anwendung von § 1 Abs. 2 MiLoG kommt somit bereits nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 3 MiLoG nicht in Betracht.
59Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die 2. Pflegearbeitsbedingungenverordnung zugunsten der Klägerin wegen der Bereichsausnahme in § 1 Abs. 4 u. Abs.
605 der Verordnung erst ab dem 01.10.2015 Anwendung finden wird. Denn die 2. PflegeArbbV stellt eine gesetzliche Grundlage dar (vgl. BAG, Beschluss vom 22.7.2014 -1 ABR 96/12 zur 1. PflegeArbbV) und setzt allein voraus, dass der territoriale sowie betrieblich- fachliche Geltungsbereich eröffnet ist (so BAG, Beschluss vom 22.7.2014, a.a.O.), was hier unstreitig der Fall ist.
61Dies führt zwar im Ergebnis dazu, dass die Klägerin aufgrund ihrer gegenüber der Beklagten zu erbringenden Tätigkeit praktisch für die Zeit vom 01.01. bis 30.09.2015 keinen gesetzlichen Mindestlohn nach Mindestlohngesetz bzw. Rechtsverordnung
62i.V. mit dem Arbeitnehmerentsendegesetz verlangen kann. Dies ist jedoch rechtlich nicht zu beanstanden, zumal eine Überprüfung der Vergütungsvereinbarung nach den Grundsätzen des § 138 BGB weiterhin erfolgen kann (vgl. dazu statt aller BAG, Urteil v. 17.12.2014 – 5 AZR 663/13; LAG Düsseldorf, Urteil v. 19.08.2014 – 8 Sa 764/13; zur Ausbildungsvergütung BAG, Urteile v. 17.03.2015 – 9 AZR 732/13 und BAG, Urteil v. 26.03.2013 – 3 AZR 89/11).
63Aus Sicht der Kammer ist die Vergütungsvereinbarung im Arbeitsvertrag aus 2011 nicht „sittenwidrig“. Ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleis- tung ist nicht feststellbar. Dies ergibt sich auch unter Berücksichtigung der auf das Arbeitsverhältnis der Parteien noch nicht anwendbaren, für die Branche aber schon geltenden 2. Pflegearbeitsbedingungenverordnung. Danach kann – anders als bei der 1. Pflegearbeitsbedingungenverordnung – die Zeit des Bereitschaftsdienstes mit mindestens 25 % des Branchenmindestlohns pro Stunde vergütet werden, sofern die weiteren Voraussetzungen des § 2 Absatz 2 PflegearbbV erfüllt sind. Daraus ergibt sich für 2015 ein Stundenentgelt von 2,35 EUR brutto jedenfalls für die ersten 8 Nachtschichten. Unter Berücksichtigung einer täglichen Arbeitszeit von 9,5 Stunden ergibt sich ein Tagessatz von 22,33 EUR brutto. Der von der Beklagten gezahlte Tagessatz in Höhe von 36,20 EUR brutto zuzüglich Nachtzuschläge liegt deutlich höher.
64Welche Vergütungsansprüche die Klägerin ab dem 01.10.2015 gegenüber der Be- klagten geltend machen kann, ist nicht (mehr) im Streit. Dies wird ggf. in einem Folgeprozess unter Berücksichtigung der dann anwendbaren Vorschrift des § 2 Abs. 1 der PflegearbbV zu prüfen sein.
65III. Soweit die Klägerin die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet ist, sie auch zukünftig in zehn Nachtwachen zu beschäftigen, besteht aus der Sicht der Kammer insoweit keine Anspruchsgrundlage. Die Parteien haben im Änderungsvertrag vom 28.01.2011 vereinbart, dass die regelmäßige monatliche Arbeitszeit sich nach den Vorgaben der Einsatzleitung richtet. Damit haben sie entsprechend § 12
66Abs. 1 TzBfG vereinbart, dass die Klägerin ihre Arbeitsleistung entsprechend dem Arbeitsanfall zu erbringen hat (Arbeit auf Abruf). Eine bestimmte wöchentliche oder tägliche Arbeitszeit ist nicht festgelegt worden. Dementsprechend beträgt gem. § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit mindestens zehn Stunden. Entsprechend wurde die Klägerin im August 2015 beschäftigt; der Dienstplan für September 2015 sieht insgesamt 9 Schichten a 9,50 Stunden vor. Der Einsatz der Klägerin erfolgte bzw. erfolgt entsprechend § 12 Absatz 1 Satz 3 TzBfG.
67Dass die Parteien die vertragliche Vereinbarung vom 28.01.2011 später einvernehmlich oder konkludent dahingehend abgeändert haben, dass die Klägerin pro Monat zehn Nachtschichten Bereitschaftsdienst erbringt, ist von der Klägerin nicht vorgetragen und auch für die Kammer nicht ersichtlich. Selbst wenn – wie die Klägerin behauptet – sie nach Vertragsänderung im Jahr 2011 jeden Monat zu zehn Nachtschichten eingeteilt worden sein sollte, deutet dies nicht auf eine ausdrückliche oder konkludente Vertragsänderung hin. Insoweit fehlt auch jeglicher substantiierter Vortrag der Klägerin.
68Eine Konkretisierung der Arbeitszeit –so sie überhaupt in Betracht kommen sollte- auf 10 Nachtwachen pro Monat ist ebenfalls nicht ersichtlich. Unabhängig davon, ob das insoweit erforderliche Zeitmoment gegeben ist, fehlt es jedenfalls am Umstandsmoment, also einem dem Arbeitgeber zurechenbares Verhalten, aufgrund dessen die Klägerin darauf schließen konnte, künftig und dauerhaft oberhalb der Grenze des § 12 Absatz 1 Satz 3 TzBfG beschäftigt zu werden (vgl. zur Konkretisierung hinsichtlich des Arbeitsortes durch zurechenbares Verhalten des Arbeitgebers: BAG, Urteile vom 13.6.2012 -10 AZR 296/11 und 13.3.2007 -9 AZR 433/06; zur Verteilung der Arbeitszeit auf einzelne Wochenarbeitstage vgl. BAG, Urteil vom 15.9.2009 -9 AZR 757/08). Eine Konkretisierung auf eine bestimmte –höhere- Anzahl von Arbeitsstunden in Abweichung von § 12 Absatz 1 Satz 3 TzBfG tritt jedenfalls nicht allein dadurch ein, dass der Arbeitnehmer längere Zeit in derselben Weise eingesetzt wurde. Zum reinen Zeitablauf müssen besondere Umstände hinzutreten, die erkennen lassen, dass der Arbeitgeber sich verpflichten wollte, über den gesetzlich bestimmten Arbeitszeitrahmen bei Arbeit auf Abruf die Arbeitnehmerin darüber hinaus dauerhaft zu beschäftigen. Solche Umstände hat die Klägerin nicht vorgetragen.
69IV. Demgemäß war zu entscheiden, wie geschehen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 ArbGG i.V. mit § 91 ZPO. Als Streitwert war ein Betrag von 6.632,55 EUR festzusetzen unter Berücksichtigung einer von der Klägerin begehrten Vergütungsdifferenz von Januar bis Juli 2015, der begehrten Vergütung für August 2015 (807,50 EUR) sowie der Feststellung für die Zukunft (5.000,00 EUR abzüglich 30 %).
Urteilsbesprechung zu Arbeitsgericht Hamm Urteil, 11. Sept. 2015 - 2 Ca 678/15 L
Urteilsbesprechungen zu Arbeitsgericht Hamm Urteil, 11. Sept. 2015 - 2 Ca 678/15 L
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile
Arbeitsgericht Hamm Urteil, 11. Sept. 2015 - 2 Ca 678/15 L zitiert oder wird zitiert von 8 Urteil(en).
(1) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates bestimmen, dass die von der nach § 12 errichteten Kommission vorgeschlagenen Arbeitsbedingungen nach § 5 Nr. 1 und 2 auf alle Arbeitgeber sowie Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die unter den Geltungsbereich einer Empfehlung nach § 12a Absatz 2 fallen, Anwendung finden.
(2) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat bei seiner Entscheidung nach Absatz 1 neben den in § 1 genannten Gesetzeszielen die Sicherstellung der Qualität der Pflegeleistung sowie den Auftrag kirchlicher und sonstiger Träger der freien Wohlfahrtspflege nach § 11 Abs. 2 des Elften Buches Sozialgesetzbuch zu berücksichtigen.
(3) Vor Erlass einer Rechtsverordnung gibt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales den in den Geltungsbereich der Rechtsverordnung fallenden Arbeitgebern und Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen sowie den Parteien von Tarifverträgen, die zumindest teilweise in den fachlichen Geltungsbereich der Rechtsverordnung fallen, und paritätisch besetzten Kommissionen, die auf der Grundlage kirchlichen Rechts Arbeitsbedingungen für den Bereich kirchlicher Arbeitgeber in der Pflegebranche festlegen, Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme innerhalb von drei Wochen ab dem Tag der Bekanntmachung des Entwurfs der Rechtsverordnung.
(1) Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber.
(2) Die Höhe des Mindestlohns beträgt ab dem 1. Oktober 2022 brutto 12 Euro je Zeitstunde. Die Höhe des Mindestlohns kann auf Vorschlag einer ständigen Kommission der Tarifpartner (Mindestlohnkommission) durch Rechtsverordnung der Bundesregierung geändert werden.
(3) Die Regelungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und der auf ihrer Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen gehen den Regelungen dieses Gesetzes vor, soweit die Höhe der auf ihrer Grundlage festgesetzten Branchenmindestlöhne die Höhe des Mindestlohns nicht unterschreitet.
(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.
Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes.
(1) Es besteht keine Staatskirche.
(2) Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften wird gewährleistet. Der Zusammenschluß von Religionsgesellschaften innerhalb des Reichsgebiets unterliegt keinen Beschränkungen.
(3) Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde.
(4) Religionsgesellschaften erwerben die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechtes.
(5) Die Religionsgesellschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechtes, soweit sie solche bisher waren. Anderen Religionsgesellschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten. Schließen sich mehrere derartige öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften zu einem Verbande zusammen, so ist auch dieser Verband eine öffentlich-rechtliche Körperschaft.
(6) Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind, sind berechtigt, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben.
(7) Den Religionsgesellschaften werden die Vereinigungen gleichgestellt, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen.
(8) Soweit die Durchführung dieser Bestimmungen eine weitere Regelung erfordert, liegt diese der Landesgesetzgebung ob.
(1) Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber.
(2) Die Höhe des Mindestlohns beträgt ab dem 1. Oktober 2022 brutto 12 Euro je Zeitstunde. Die Höhe des Mindestlohns kann auf Vorschlag einer ständigen Kommission der Tarifpartner (Mindestlohnkommission) durch Rechtsverordnung der Bundesregierung geändert werden.
(3) Die Regelungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und der auf ihrer Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen gehen den Regelungen dieses Gesetzes vor, soweit die Höhe der auf ihrer Grundlage festgesetzten Branchenmindestlöhne die Höhe des Mindestlohns nicht unterschreitet.
Tenor
-
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 28. November 2012 - 4 Sa 48/12 - wird zurückgewiesen.
-
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
- 1
-
Die Parteien streiten über Differenzvergütung und dabei insbesondere darüber, ob das Mindestentgelt nach § 2 der Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche (Pflegearbeitsbedingungenverordnung - PflegeArbbV) vom 15. Juli 2010 (BAnz. 2010 Nr. 110 S. 2571) auch für Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst zu zahlen ist.
- 2
-
Die 1954 geborene Klägerin war vom 1. Juli bis zum 29. Oktober 2010 bei der Beklagten, die einen privaten Pflegedienst betreibt, als Pflegehelferin beschäftigt. Arbeitsort war das Haus der Katholischen Schwesternschaft V e.V. in S.
-
„§ 1
Der Arbeitnehmer wird mit der Wirkung vom 01.07.2010 als Pflegehelferin für die Rudu Pflege und Betreuung an der Pflegestelle VS für Sr. E, Sr. U und Sr. C unbefristet eingestellt.
Er ist nach jeweiliger näherer Weisung des Arbeitgebers verpflichtet, Pflege- und sonstige Dienstleistungen für die pflegebedürftigen Personen zu erbringen. Die Dienstleistungen erfolgen in der Regel in dem Haus der Pflegebedürftigen.
…
§ 3
1.
Der Arbeitnehmer erhält ein Festlohn von € 1.685,85 brutto monatlich. (nur gültig für die o.b.a. Personen)
2.
Es ist wird eine Arbeitszeit von 204 Rudu - Einsätzen abzüglich der 24 Urlaubstage sind 180 Rudu-Einsätzen / Arbeitstagen p/Jahr der vereinbart.
3.
Der Arbeitnehmer ist jedoch auf Anweisung der Arbeitgebers verpflichtet, Mehr- und Überarbeit zu leisten.
4.
Rudu wird berechnet nach Pflegemodulen / Pflegezeiten dabei wird der Mindeslohn anzuwenden, Hauswirtschaftliche Tätigkeit, Bereitschaft und Anwesenheit gesondert Ruhezeiten und Pausen werden nicht vergütet. (siehe Stellenbeschreibung)
Fahrtzeiten und Fahrtkosten werden nicht vergütet.
…“
- 4
-
Die Klägerin leistete im Streitzeitraum August bis Oktober 2010 Rund- um-die-Uhr-Dienste vom 6. August, 21:00 Uhr, bis zum 20. August, 12:00 Uhr, vom 2. September, 21:00 Uhr, bis zum 16. September, 12:00 Uhr, und vom 30. September, 21:00 Uhr, bis zum 15. Oktober, 12:00 Uhr. Dabei bewohnte sie im Haus der Schwesternschaft ein Zimmer in unmittelbarer Nähe zu den zu betreuenden Schwestern. Von diesen leiden Sr. E und Sr. U an Demenz und sind an den Rollstuhl gebunden. Sr. C kam am 15. August 2010 ins Krankenhaus und verstarb dort. Neben Pflegeleistungen oblagen der Klägerin auch Tätigkeiten im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung der Schwestern (wie zB Zubereiten von Frühstück und Abendessen, Geschirr spülen, Wechseln und Waschen von Wäsche). Täglich von 11:45 bis 12:45 Uhr nahmen die Pflegebedürftigen am gemeinsamen Mittagessen der Schwesternschaft, von 17:50 bis 18:50 Uhr am Gottesdienst teil.
- 5
-
Mit der am 19. November 2010 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat die Klägerin ua. geltend gemacht, während der Rund-um-die-Uhr-Dienste durchgehend gearbeitet zu haben. Das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV sei zudem nicht nur für Vollarbeit, sondern auch für Bereitschaftsdienst zu zahlen.
- 6
-
Die Klägerin hat zuletzt - soweit die Klage in die Revisionsinstanz gelangt ist - sinngemäß beantragt,
-
die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.198,59 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 670,53 Euro seit dem 16. September 2010, aus 696,03 Euro seit dem 16. Oktober 2010 und aus 832,03 Euro seit dem 16. November 2010 zu zahlen.
- 7
-
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, die Klägerin habe nicht rund um die Uhr gearbeitet, sondern arbeitstäglich mindestens vier Stunden Pause nehmen können. Sie habe in der Zeit von 21:00 bis 06:30 Uhr allenfalls Rufbereitschaft gehabt und nachts schlafen können. Zudem sei Bereitschaftsdienst nicht mit dem Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV zu entlohnen.
- 8
-
Das Arbeitsgericht hat die Klage - soweit sie in die Revisionsinstanz gelangt ist - abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Klägerin der Klage auf der Basis von 22 mit dem Mindestentgelt nach § 2 Abs. 1 PflegeArbbV zu vergütenden Stunden je Arbeitstag im Rund-um-die-Uhr-Dienst stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
- 9
-
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Beklagte zu Recht zur weiteren Vergütungszahlung nebst Zinsen verurteilt. Die Klage ist in dem noch anhängigen Umfang begründet. Das folgt aus § 2 Abs. 1 PflegeArbbV.
- 10
-
I. Streitgegenständlich ist in der Revisionsinstanz aufgrund der beschränkten Revisionseinlegung der Beklagten und mangels Anschlussrevision der Klägerin die Differenzvergütung, die sich aus der Differenz zwischen der arbeitsvertraglich vereinbarten Vergütung und dem Mindestentgelt von - im Streitzeitraum - 8,50 Euro je Stunde nach § 2 Abs. 1 PflegeArbbV ergeben kann. Das sind auf der Basis von 22 Arbeitsstunden je Arbeitstag - rechnerisch unstreitig - für den Monat August 2010 670,53 Euro brutto, für den Monat September 2010 696,03 Euro brutto und für den Monat Oktober 2010 832,03 Euro brutto.
- 11
-
II. Die Klägerin hat Anspruch auf das Mindestentgelt nach § 2 Abs. 1 PflegeArbbV nicht nur für Vollarbeit, sondern auch für Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst. Das ergibt die Auslegung der Norm, die die arbeitsvertragliche Vergütungsabrede in der Entgelthöhe korrigiert.
- 12
-
1. Die PflegeArbbV ist wirksam (vgl. BAG 22. Juli 2014 - 1 ABR 96/12 - Rn. 17 ff.; zur Verfassungsmäßigkeit entsprechender Verordnungen siehe auch BAG 16. April 2014 - 4 AZR 802/11 - Rn. 17 ff.). Das stellt die Beklagte nicht in Frage. Für eine (erneute) Prüfung der Wirksamkeit der PflegeArbbV besteht von Amts wegen kein Anlass (vgl. BAG 10. September 2014 - 10 AZR 959/13 - Rn. 21 f.).
- 13
-
2. Der Geltungsbereich der PflegeArbbV ist eröffnet. Das steht zwischen den Parteien außer Streit. Das Landesarbeitsgericht hat zudem festgestellt, dass die Beklagte einen Pflegebetrieb iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 PflegeArbbV betreibt und die Klägerin mit der arbeitsvertraglich vereinbarten Pflege und Betreuung der Schwestern E, U und C überwiegend pflegerische Tätigkeiten in der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI erbrachte, § 1 Abs. 3 Satz 1 PflegeArbbV.
- 14
-
3. Das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV ist „je Stunde“ festgelegt. Damit knüpft die Norm - entsprechend den Gepflogenheiten der Tarifpartner und auch vieler Arbeitsvertragsparteien, als Entgelt einen bestimmten Euro-Betrag in Relation zu einer bestimmten Zeiteinheit (zumeist Stunde oder Monat, bisweilen auch Tag, Woche, Jahr) bzw. dem Umfang der in einer bestimmten Zeiteinheit zu leistenden Arbeit festzusetzen - an die „vergütungspflichtige Arbeitszeit“ an. Dieser Begriff hat zwar insofern eine gewisse Unschärfe, als die Vergütungspflicht des Arbeitgebers nach § 611 Abs. 1 BGB allein für die „Leistung der versprochenen Dienste“ besteht und damit unabhängig ist von der arbeitszeitrechtlichen Einordnung der Zeitspanne, während derer der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung erbringt(BAG 19. September 2012 - 5 AZR 678/11 - Rn. 15 mwN, BAGE 143, 107). Er hat sich aber zur Unterscheidung von Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne, zeitlichem Umfang der zu vergütenden Arbeit und Arbeitszeit im Sinne der Mitbestimmungsrechte des Betriebsverfassungsgesetzes eingebürgert (vgl. Wank RdA 2014, 285). Die Anknüpfung des Mindestlohns an die vergütungspflichtige Arbeitszeit bestätigt § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV, der die Fälligkeit des Mindestentgelts „für die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit“ regelt.
- 15
-
4. Damit ist das Mindestentgelt in der Pflegebranche zu zahlen für die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit bzw. - präziser - für alle Stunden, während derer der Arbeitnehmer innerhalb der vereinbarten Arbeitszeit die gemäß § 611 Abs. 1 BGB geschuldete Arbeit erbringt oder, was im Streitfall nicht erheblich ist, aufgrund gesetzlicher Entgeltfortzahlungstatbestände von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung befreit ist. § 2 PflegeArbbV stellt weder auf die Art der Tätigkeit(§ 11 Abs. 1 iVm. § 5 Nr. 1 AEntG), noch auf die Intensität der Arbeit (Vollarbeit, Arbeitsbereitschaft, Bereitschaftsdienst) ab. Ist der Anwendungsbereich der PflegeArbbV eröffnet, weil der Arbeitnehmer in einem Pflegebetrieb überwiegend pflegerische Tätigkeiten in der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI zu erbringen hat, muss deshalb das Mindestentgelt auch für die nicht pflegerischen (Zusammenhangs-)Tätigkeiten (wie zB im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung nach § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI) und für alle Formen von Arbeit gezahlt werden.
- 16
-
Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst sind nicht nur arbeitsschutzrechtlich Arbeitszeit, § 2 Abs. 1 Satz 1, § 7 Abs. 1 Nr. 1a ArbZG (zur gesetzeshistorischen Entwicklung aufgrund von Vorgaben des Unionsrechts, vgl. BAG 11. Juli 2006 - 9 AZR 519/05 - Rn. 42, BAGE 119, 41), sondern vergütungspflichtige Arbeit iSv. § 611 Abs. 1 BGB. Denn dazu zählt nicht nur jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient, sondern auch eine vom Arbeitgeber veranlasste Untätigkeit, während derer der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz oder einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle anwesend sein muss und nicht frei über die Nutzung des Zeitraums bestimmen kann, er also weder eine Pause (§ 4 ArbZG) noch Freizeit hat (BAG 20. April 2011 - 5 AZR 200/10 - Rn. 21 mwN, BAGE 137, 366). Diese Voraussetzung ist bei der Arbeitsbereitschaft, die gemeinhin umschrieben wird als Zeit wacher Aufmerksamkeit im Zustand der Entspannung (vgl. ErfK/Wank 15. Aufl. § 2 ArbZG Rn. 21), und dem Bereitschaftsdienst gegeben. In beiden Fällen muss sich der Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort (innerhalb oder außerhalb des Betriebs) bereithalten, um im Bedarfsfalle die Arbeit aufzunehmen. Bei der Arbeitsbereitschaft hat der Arbeitnehmer von sich aus tätig zu werden, beim Bereitschaftsdienst „auf Anforderung“ (BAG 12. Dezember 2012 - 5 AZR 918/11 - Rn. 19; vgl. zum Ganzen auch: Baeck/Deutsch 3. Aufl. § 2 ArbZG Rn. 33 ff.; Schliemann 2. Aufl. § 2 ArbZG Rn. 16 ff., jeweils mwN). Zwar kann für diese Sonderformen der Arbeit eine gesonderte Vergütungsregelung getroffen und ein geringeres Entgelt als für Vollarbeit vorgesehen werden (BAG 20. April 2011 - 5 AZR 200/10 - Rn. 32, BAGE 137, 366). Von dieser Möglichkeit hat aber der Verordnungsgeber im Bereich der Pflege weder in § 2 noch in den übrigen Bestimmungen der PflegeArbbV Gebrauch gemacht. Deshalb ist es unerheblich, ob arbeitsvertraglich für den Bereitschaftsdienst eine geringere Vergütung vereinbart werden sollte. In einer solchen Auslegung wäre der - sprachlich gänzlich missglückte - § 3 Nr. 4 Arbeitsvertrag wegen Verstoßes gegen § 2 PflegeArbbV unwirksam, § 134 BGB.
- 17
-
5. Danach schuldet die Beklagte jedenfalls für die vom Landesarbeitsgericht angesetzten 22 Stunden pro Arbeitstag das Mindestentgelt nach § 2 Abs. 1 PflegeArbbV. Denn die Klägerin musste sich, so sie keine Vollarbeit leistete, auch nach dem Vorbringen der Beklagten rund um die Uhr bei oder jedenfalls in der Nähe der zu pflegenden Schwestern aufhalten, um bei Bedarf tätig werden zu können. Sie durfte die in § 1 Arbeitsvertrag bezeichnete Pflegestelle nicht verlassen. Ob die Klägerin in der Zeit von 11:45 bis 12:45 Uhr und 17:50 bis 18:50 Uhr tatsächlich Pausen im Rechtssinne hatte, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Die diesbezügliche Wertung des Landesarbeitsgerichts hat die Klägerin nicht angegriffen.
- 18
-
Soweit die Beklagte die Zeit von 21:00 bis 06:30 Uhr als Rufbereitschaft bewertet wissen will, verkennt sie, dass eine solche nicht schon dann vorliegt, wenn die Arbeit nur „auf Zuruf“ (hier: der Pflegebedürftigen) aufgenommen werden muss. Rufbereitschaft setzt - in Abgrenzung zum Bereitschaftsdienst - vielmehr voraus, dass der Arbeitnehmer nicht gezwungen ist, sich am Arbeitsplatz oder einer anderen vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufzuhalten, sondern - unter freier Wahl des Aufenthaltsorts - lediglich jederzeit erreichbar sein muss, um auf Abruf des Arbeitgebers die Arbeit alsbald aufnehmen zu können (EuGH 3. Oktober 2000 - C-303/98 - [Simap] Rn. 50, Slg. 2000, I-07963; BAG 11. Juli 2006 - 9 AZR 519/05 - Rn. 41, BAGE 119, 41; Baeck/Deutsch 3. Aufl. § 2 ArbZG Rn. 48 ff.; ErfK/Wank 15. Aufl. § 2 ArbZG Rn. 30; Schliemann 2. Aufl. § 2 ArbZG Rn. 28 ff., jeweils mwN). Dass die Klägerin berechtigt gewesen wäre, des Nachts die in § 1 Arbeitsvertrag genannte Pflegestelle zu verlassen und eigenen Interessen nachzugehen, hat die Beklagte nicht behauptet. Ob die Klägerin, wie die Beklagte vorbringt, nachts (durch-)schlafen konnte, ist für die Einordnung als Bereitschaftsdienst ohne Belang.
- 19
-
Die Rüge der Revision, das Landesarbeitsgericht habe die Zeit von 13:00 bis 15:00 Uhr („Mittagsruhe“ der zu pflegenden Schwestern) unter Übergehen von - in der Revisionsbegründung nicht näher konkretisierten - Beweisangeboten zu Unrecht nicht als Pause bewertet, greift nicht durch. Nach § 4 ArbZG sind - nicht zur Arbeitszeit zählende und nicht nach § 611 Abs. 1 BGB zu vergütende - Pausen im Voraus feststehende Unterbrechungen der Arbeit, in denen der Arbeitnehmer weder Arbeit zu leisten noch sich dafür bereitzuhalten hat und frei über die Nutzung des Zeitraums bestimmen kann(BAG 23. September 1992 - 4 AZR 562/91 - zu I 2 der Gründe; 16. Dezember 2009 - 5 AZR 157/09 - Rn. 10; Baeck/Deutsch 3. Aufl. § 4 ArbZG Rn. 9; ErfK/Wank 15. Aufl. § 4 ArbZG Rn. 1; Schliemann 2. Aufl. § 4 ArbZG Rn. 6, jeweils mwN). Unstreitig musste die Klägerin aber auch während der „Mittagsruhe“ an der Pflegestelle anwesend sein, um bei Bedarf jederzeit die Arbeit aufnehmen zu können.
- 20
-
6. Die Anzahl der im Streitzeitraum geleisteten Dienste ist unstreitig. Auch im Übrigen hat die Revision die vom Landesarbeitsgericht festgestellte Höhe der Differenzvergütung in rechnerischer Hinsicht nicht angegriffen.
- 21
-
III. Zinsen auf die Differenzvergütung stehen der Klägerin jeweils ab dem 16. des Folgemonats zu, § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 BGB iVm. § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV.
- 22
-
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
-
Müller-Glöge
Laux
Biebl
Rainer Rehwald
Dirk Pollert
(1) Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber.
(2) Die Höhe des Mindestlohns beträgt ab dem 1. Oktober 2022 brutto 12 Euro je Zeitstunde. Die Höhe des Mindestlohns kann auf Vorschlag einer ständigen Kommission der Tarifpartner (Mindestlohnkommission) durch Rechtsverordnung der Bundesregierung geändert werden.
(3) Die Regelungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und der auf ihrer Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen gehen den Regelungen dieses Gesetzes vor, soweit die Höhe der auf ihrer Grundlage festgesetzten Branchenmindestlöhne die Höhe des Mindestlohns nicht unterschreitet.
Tenor
-
Auf die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 15. August 2012 - 4 TaBV 958/12 - aufgehoben.
-
Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 29. Februar 2012 - 56 BV 17912/11 - abgeändert:
-
Es wird festgestellt, dass § 3 des Spruchs der Einigungsstelle vom 11. November 2011 über eine Betriebsvereinbarung über Art und Zeitpunkt der Auszahlung des Entgelts unwirksam ist.
Gründe
- 1
-
A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer durch Spruch der Einigungsstelle beschlossenen Regelung über den Auszahlungstermin für die Vergütung.
- 2
-
Die Arbeitgeberin betreibt in Berlin eine Pflegeeinrichtung, für die der beteiligte Betriebsrat gewählt ist. Sie zahlt den dort beschäftigten Arbeitnehmern eine Vergütung, die höher ist als das in der Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche (Pflegearbeitsbedingungenverordnung vom 15. Juli 2010 - PflegeArbbV - BAnz. 2010 Nr. 110 S. 2571) festgelegte Mindestentgelt. Durch Einigungsstellenspruch vom 11. November 2011 kam es zu einer „Betriebsvereinbarung über den Zeitpunkt und Art der Auszahlung der Arbeitsentgelte“. Darin ist - neben dem Geltungsbereich (§ 1), der Art der Zahlung (§ 2) und dem Inkrafttreten (§ 4) - bestimmt:
-
„§ 3 Auszahlungstermin für Vergütung
Die Arbeitgeberin überweist den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen jeweils zum ersten des Folgemonats, die aus festen Bestandteilen bestehende monatliche Vergütung auf ein vom Arbeitnehmer mitzuteilendes Konto bei einem Geldinstitut. Im Laufe eines Monats verdiente variable Vergütungsbestandteile insbesondere Zeitzuschläge werden jeweils am ersten des übernächsten Monats auf dieses Konto überwiesen.“
- 3
-
Mit einem am 24. November 2011 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat die Arbeitgeberin den Einigungsstellenspruch angefochten und geltend gemacht, die Festlegung des Auszahlungstermins für die Vergütung sei unwirksam. Die Einigungsstelle habe insoweit ihre Regelungskompetenz überschritten. Die gesetzliche Fälligkeitsbestimmung für das Mindestentgelt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV schließe ein dahingehendes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus.
- 4
-
Die Arbeitgeberin hat beantragt
-
festzustellen, dass der Spruch der Einigungsstelle vom 11. November 2011 über eine Betriebsvereinbarung über den Zeitpunkt und Art der Auszahlung der Arbeitsentgelte nichtig ist;
hilfsweise
festzustellen, dass der Spruch der Einigungsstelle vom 11. November 2011 über eine Betriebsvereinbarung über den Zeitpunkt und Art der Auszahlung der Arbeitsentgelte unwirksam ist.
- 5
-
Der Betriebsrat hat beantragt, die Anträge abzuweisen. Er hat gemeint, § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV sei unwirksam; dem Verordnungsgeber fehle es insoweit an einer Regelungskompetenz. Ungeachtet dessen gelte die PflegeArbbV nicht für Betriebe, in denen eine über dem Mindestentgelt liegende Vergütung bezahlt werde. Auch sei die durch den Spruch der Einigungsstelle geregelte Fälligkeit für die Arbeitnehmer günstiger.
- 6
-
Das Arbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde der Arbeitgeberin zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Arbeitgeberin ihr Begehren weiter.
- 7
-
B. Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist begründet. Die Vorinstanzen haben ihre als ein Feststellungsbegehren zu verstehenden Anträge zu Unrecht abgewiesen.
- 8
-
I. Die Anträge sind zulässig.
- 9
-
1. Mit den auf Feststellung der Nichtigkeit und hilfsweise der Unwirksamkeit des Spruchs der Einigungsstelle vom 11. November 2011 gerichteten Anträgen hat die Arbeitgeberin von Anfang an nur ein Antragsziel verfolgt. Aus der zur Antragsauslegung heranzuziehenden Antragsbegründung und ihrem sonstigen Vorbringen ergibt sich, dass sie sich allein gegen § 3 des Spruchs der Einigungsstelle wendet. Das hat ihr Verfahrensbevollmächtigter im Termin zur Anhörung vor dem Senat ebenso klargestellt wie den Umstand, dass mit dem Feststellungsbegehren der Nichtigkeit keine über die Teilanfechtung des Spruchs hinausgehende Rechtsfolge erstrebt wird.
- 10
-
2. Gegen die so verstandene Teilanfechtung des Spruchs der Einigungsstelle vom 11. November 2011 bestehen keine Bedenken. Sie bezieht sich auf eine eigenständige Teilregelung. Das Feststellungsbegehren ist die zutreffende Verfahrensart. Ein Spruch der betrieblichen Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Die Betriebsparteien streiten im Fall seiner Anfechtung um das (Nicht-)Bestehen eines betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsverhältnisses iSv. § 256 Abs. 1 ZPO. Die begehrte gerichtliche Entscheidung hat feststellende, nicht rechtsgestaltende Wirkung. Dementsprechend ist die Feststellung der (Teil-)Unwirksamkeit des Spruchs zu beantragen und nicht seine Aufhebung (vgl. BAG 13. März 2012 - 1 ABR 78/10 - Rn. 10, BAGE 141, 42).
- 11
-
II. Der Antrag ist entgegen der Auffassung der Vorinstanzen begründet. § 3 des Spruchs der Einigungsstelle vom 11. November 2011 ist unwirksam. Die mit der Regelung getroffene Fälligkeitsbestimmung auch für Pflegekräfte iSv. § 1 Abs. 3 PflegeArbbV verstößt gegen § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG. Das führt zu ihrer gesamten Unwirksamkeit.
- 12
-
1. § 3 des Spruchs der Einigungsstelle betrifft eine nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG mitbestimmungspflichtige Angelegenheit. Die Regelung legt Termine für die Überweisung der „aus festen Bestandteilen bestehenden monatlichen Vergütung“ (Satz 1) und der „im Laufe eines Monats verdienten variablen Vergütungsbestandteile insbesondere Zeitzuschlägen“ (Satz 2) fest. Es handelt sich um eine Fälligkeitsbestimmung. Fälligkeit bezeichnet bei (Arbeits-)Vergütung den Zeitpunkt, wann diese zu entrichten ist (vgl. § 614 BGB). Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG erfasst die Regelung des Zeitpunkts, zu dem die Arbeitsvergütung zu zahlen ist(vgl. BAG 25. April 1989 - 1 ABR 91/87 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 62, 1).
- 13
-
2. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats wird aber vorliegend durch den Gesetzesvorbehalt in § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG ausgeschlossen, soweit es um die Festlegung eines Zeitpunkts für die Überweisung desjenigen Arbeitsentgelts geht, das Mindestentgelt iSv. § 2 Abs. 1 PflegeArbbV ist.
- 14
-
a) Nach § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG hat der Betriebsrat ua. nicht nach § 87 Abs. 1 BetrVG mitzubestimmen, soweit die betreffende Angelegenheit gesetzlich geregelt ist. Das beruht auf der Erwägung, dass für die Erreichung des Mitbestimmungszwecks kein Raum mehr verbleibt, wenn eine den Arbeitgeber bindende und abschließende gesetzliche Vorschrift vorliegt. Wird der Mitbestimmungsgegenstand durch diese inhaltlich und abschließend geregelt, fehlt es an einer Ausgestaltungsmöglichkeit durch die Betriebsparteien. Verbleibt dem Arbeitgeber dagegen trotz der bestehenden normativen Regelung ein Gestaltungsspielraum, ist ein darauf bezogenes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats eröffnet (BAG 11. Dezember 2012 - 1 ABR 78/11 - Rn. 19, BAGE 144, 109).
- 15
-
b) Gesetz im Sinne des § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG ist jedes förmliche oder materielle Gesetz, soweit es sich um eine zwingende Regelung handelt. Eine zwingende Regelung liegt auch dann vor, wenn von einer bestehenden gesetzlichen Regelung nur nicht zu Ungunsten der Arbeitnehmer abgewichen werden kann. In diesem Fall kann davon ausgegangen werden, dass mit dieser Regelung den berechtigten Interessen und dem Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer Rechnung getragen worden ist. Für einen weiteren Schutz durch Mitbestimmungsrechte besteht dann kein Bedürfnis mehr (BAG 28. Mai 2002 - 1 ABR 37/01 - zu B II 2 c cc der Gründe, BAGE 101, 203).
- 16
-
c) Hiernach schränkt § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG ein.
- 17
-
aa) Die am 1. August 2010 in Kraft getretene Pflegearbeitsbedingungenverordnung ist ein Gesetz im materiellen Sinn. Sie bindet die Arbeitgeberin unmittelbar, enthält eine zwingende Anordnung und ist daher geeignet, das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG einzuschränken (vgl. zu einer Verordnung der Europäischen Union BAG 7. Februar 2012 - 1 ABR 63/10 - Rn. 24, BAGE 140, 343).
- 18
-
bb) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV wird das in § 2 PflegeArbbV festgelegte Mindestentgelt für die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit zum 15. des Monats fällig, der auf den Monat folgt, für den das Mindestentgelt zu zahlen ist. Es handelt sich um eine abschließende gesetzliche Regelung ohne Gestaltungsspielraum für die Betriebsparteien.
- 19
-
cc) § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV ist nicht mangels Kompetenz des Verordnungsgebers zur Regelung des Fälligkeitszeitpunkts für das Mindestentgelt unwirksam.
- 20
-
(1) Gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 GG kann die Exekutive durch ein Inhalt, Zweck und Ausmaß bestimmendes Gesetz ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen. Widerspricht die Verordnung dem - gegebenenfalls durch Auslegung zu ermittelnden - Inhalt und Zweck der Ermächtigung, hat dies ihre Unwirksamkeit zur Folge. Ob eine Rechtsverordnung durch ihre Ermächtigungsgrundlage gedeckt ist, beurteilt grundsätzlich das zuständige Fachgericht im Rahmen einer Inzidenterkontrolle. Das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 1 GG gilt für Rechtsverordnungen nicht(BAG 26. September 2012 - 4 AZR 5/11 - Rn. 21 mwN).
- 21
-
(2) Die verordnungsrechtliche Regelung des § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV ist von einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage gedeckt. Im Bereich der Pflegebranche (vgl. § 10 AEntG) kann der Verordnungsgeber nach § 11 Abs. 1 AEntG bestimmen, dass die von einer nach § 12 AEntG errichteten Kommission vorgeschlagenen Arbeitsbedingungen nach § 5 Nr. 1 und Nr. 2 AEntG auf alle Arbeitgeber sowie Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die unter den Geltungsbereich einer Empfehlung nach § 12 Abs. 4 AEntG fallen, Anwendung finden. § 5 Nr. 1 AEntG benennt als Arbeitsbedingungen Mindestentgeltsätze, die nach Art der Tätigkeit, Qualifikation der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und Regionen differieren können, einschließlich der Überstundensätze. Die Norm umfasst aber - wie ihre Auslegung ergibt - auch Regelungen zur Fälligkeit des Mindestentgelts (vgl. Koberski/Asshoff/Eustrup/Winkler Arbeitnehmerentsendegesetz Mindestarbeitsbedingungengesetz 3. Aufl. § 5 AEntG Rn. 19).
- 22
-
(a) Der Wortlaut des § 5 Nr. 1 AEntG gebietet kein Verständnis, dass Fälligkeitsfestlegungen (Mindest-)Arbeitsbedingungen sind. Er schließt ein solches Verständnis aber auch nicht aus.
- 23
-
(b) Systematische Erwägungen vermitteln kein eindeutiges Bild. Immerhin ist aber nach § 13 iVm. § 9 Satz 3 AEntG die Möglichkeit eröffnet, in einer Rechtsverordnung iSv. § 11 AEntG Ausschlussfristen für die Geltendmachung des Anspruchs auf das Mindestentgelt zu regeln, wobei die Frist mindestens sechs Monate betragen muss. Häufigster Fall des Fristbeginns für Ausschlussfristen ist die Fälligkeit des Anspruchs (ErfK/Preis 14. Aufl. §§ 194-218 BGB Rn. 52). Wenn der Verordnungsgeber einerseits Mindestentgeltsätze einschließlich der Überstundensätze und andererseits Ausschlussfristen für solche Ansprüche regeln kann, spricht dies eher für die Annahme, dass er auch zur Regelung über die Fälligkeit der Ansprüche befugt sein soll.
- 24
-
(c) Die Gesetzeshistorie spricht nicht gegen ein solches Normenverständnis. Die Gesetzentwürfe der Bundesregierung zum Arbeitnehmer-Entsendegesetz in seiner ursprünglichen Fassung vom 26. Februar 1996 (BGBl. I S. 227; hierzu BT-Drs. 13/2414) und in seiner Neufassung vom 20. April 2009 (BGBl. I S. 799; hierzu BT-Drs. 16/10486) verhalten sich in ihren Begründungen nicht zu der Frage, ob Fälligkeitsregelungen zu den Mindestarbeitsbedingungen zählen. Nach der Begründung eines nachfolgenden Gesetzentwurfs zu dem mit Art. 6 Nr. 4 Tarifautonomiestärkungsgesetz de lege ferenda dem § 5 Nr. 1 AEntG anzufügenden Satz 2, wonach die (Mindest-)Arbeitsbedingungen auch Regelungen zur Fälligkeit entsprechender Ansprüche einschließlich hierzu vereinbarter Ausnahmen und deren Voraussetzungen umfassen, soll es sich insoweit um eine Klarstellung handeln(vgl. BT-Drs. 18/1558 S. 61).
- 25
-
(d) Unter dem Gesichtspunkt der unionsrechtskonformen Auslegung von § 5 Nr. 1 AEntG ist ein Verständnis dahingehend, dass hiervon Fälligkeitsfestlegungen erfasst sind, weder geboten noch ausgeschlossen. Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (Entsenderichtlinie) nennt als zu garantierende Aspekte der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen „Mindestlohnsätze einschließlich der Überstundensätze; dies gilt nicht für die zusätzlichen betrieblichen Altersversorgungssysteme“. Art. 3 Abs. 7 der Entsenderichtlinie enthält weitere Regelungen zum Mindestlohn. Bestimmungen zur Fälligkeit sind nicht aufgeführt.
- 26
-
(e) Sinn und Zweck des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes geben aber vor, den Fälligkeitszeitpunkt für das Mindestentgelt als eine (Mindest-)Arbeitsbedingung iSv. § 5 Nr. 1 AEntG anzusehen. Dessen Ziele sind nach § 1 Satz 1 AEntG die Schaffung und Durchsetzung angemessener Mindestarbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sowie die Gewährleistung fairer und funktionierender Wettbewerbsbedingungen. Unter anderem durch Rechtsverordnung sollen für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen adäquate Mindestarbeitsbedingungen geschaffen werden, was gleichermaßen für die Regelung innerstaatlicher wie grenzüberschreitender Sachverhalte gilt ( BT-Drs. 16/10486 S. 1 und 11). Die Verwirklichung dieser Ziele soll - neben der Wahrung der Ordnungs- und Befriedungsfunktion der Tarifautonomie - zugleich den Erhalt sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung gewährleisten ( BT-Drs. 16/10486 S. 11). Zur wirksamen Verfolgung beider Ziele gehört die Festlegung der Fälligkeit von Mindestansprüchen. Würde diese nicht reguliert, käme es zum einen zu dem Arbeitnehmerschutzzweck zuwiderlaufenden Differenzierungen. Zum anderen könnte sich ein Arbeitgeber Wettbewerbsvorteile verschaffen, indem er die Zahlung von Mindestentgeltsätzen einschließlich der Überstundensätze später vornimmt als seine Konkurrenten. Lohnkosten für die Beschäftigten - zumal im personalkostenintensiven Dienstleistungsbereich - sind ein erheblicher Teil der wettbewerbsrelevanten Unternehmenskosten (vgl. ErfK/Schlachter AEntG § 1 Rn. 1 und - für die Pflegebranche - § 10 Rn. 1). Die Intention einerseits von arbeitsmarktpolitischen Wirkungen und andererseits eines Ausgleichs von Wettbewerbsnachteilen durch die verbindliche Festlegung von Mindeststandards bedingt es daher, unter Arbeitsbedingung iSv. § 5 Nr. 1 AEntG auch die Fälligkeit der dort näher festgelegten Mindestansprüche zu verstehen.
- 27
-
dd) Der Betrieb der Arbeitgeberin unterfällt der Pflegearbeitsbedingungenverordnung.
- 28
-
(1) Dem steht nicht entgegen, dass die Arbeitgeberin den bei ihr beschäftigten Arbeitnehmern ein über dem Mindestentgelt nach § 2 Abs. 1 PflegeArbbV liegendes Entgelt zahlt. Wie die Auslegung der PflegeArbbV ergibt, bestimmt sich ihr Geltungsbereich ausschließlich territorial, betrieblich-fachlich und persönlich und nicht in Abhängigkeit von der Einhaltung der in ihr festgelegten Arbeitsbedingungen.
- 29
-
(a) § 1 PflegeArbbV regelt ausweislich seiner Überschrift den Geltungsbereich der Verordnung, während § 2 PflegeArbbV eine Rechtsfolge - das Mindestentgelt - festlegt. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass § 1 PflegeArbbV den Geltungsbereich der Verordnung nicht abschließend bestimmt.
- 30
-
(b) Der Regelungssystematik von §§ 1 und 2 PflegeArbbV entsprechen §§ 10 und 11 AEntG. § 10 AEntG legt den Anwendungsbereich des Abschnitts für die Arbeitsbedingungen in der Pflegebranche fest, während § 11 AEntG bestimmt, welche Arbeitsbedingungen in einer Rechtsverordnung geregelt werden können.
- 31
-
(c) Auch Sinn und Zweck der Pflegearbeitsbedingungenverordnung gebieten eine Erstreckung auf Arbeitgeber, die eine über dem Mindestentgelt liegende Vergütung zahlen. Eine gegenteilige Sichtweise liefe den mit dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz und der Pflegearbeitsbedingungenverordnung verfolgten Zielen einer Gewährleistung von Arbeitnehmerschutzstandards und der Sicherung eines fairen Wettbewerbs zuwider. Durch einheitliche Regelungen für das Mindestentgelt - auch im Hinblick auf Verzicht, Verwirkung und Verfall gemäß §§ 13 und 9 AEntG - werden die Vergütungsansprüche der Arbeitnehmer bis zu dieser Höhe gleich behandelt und geschützt. Ein Arbeitgeber wird hierdurch gehindert, sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, indem er aufgrund einer vertraglich vereinbarten, ggf. nur geringfügig das Mindestentgelt überschreitenden Vergütung diese Arbeitsbedingungen insgesamt unterschreitet.
- 32
-
(d) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Geltung der Pflegearbeitsbedingungenverordnung auch für Pflegekräfte, deren vereinbartes Entgelt das Mindestentgelt iSv. § 2 Abs. 1 PflegeArbbV übersteige, bedinge die fiktive Aufspaltung eines einheitlichen Gehaltsanspruchs, zwingt nicht zu einer Beschränkung des persönlichen oder betrieblichen Geltungsbereichs der Verordnung. Hierbei handelt es sich allenfalls um einen Umstand, den die Betriebsparteien bei der Festlegung eines von § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV abweichenden Fälligkeitszeitpunktes für die das Mindestentgelt nach § 2 Abs. 1 PflegeArbbV übersteigende vertragliche Vergütung zu beachten hätten. Ungeachtet dessen ist es - zumal im Bereich gesetzlicher Mindestansprüche - nichts Ungewöhnliches, dass unterschiedliche Anspruchsgrundlagen und Regelungsregime bestehen. Hat etwa ein Arbeitnehmer einen über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehenden Urlaubsanspruch, können gesetzlicher und übergesetzlicher Urlaubsanspruch unterschiedlichen Regelungssystemen unterliegen.
- 33
-
(2) Die von der Arbeitgeberin in Berlin betriebene Einrichtung unterfällt dem territorialen Geltungsbereich nach § 1 Abs. 1 PflegeArbbV, wonach die Verordnung für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gilt. Der betrieblich-fachliche Geltungsbereich ist gleichfalls eröffnet. Die Arbeitgeberin betreibt einen Pflegebetrieb iSv. § 1 Abs. 2 Satz 2 PflegeArbbV, für den nach § 1 Abs. 2 Satz 1 PflegeArbbV die Verordnung gilt. Davon ist das Landesarbeitsgericht - ebenso wie die Einigungsstelle ausweislich der Begründung ihres Spruchs - ausgegangen; die Beteiligten sind dem nicht entgegengetreten. Persönlich gilt die Verordnung für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die überwiegend pflegerische Tätigkeiten in der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis 3 SGB XI erbringen, vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 PflegeArbbV. Die Beteiligten haben nicht in Abrede gestellt, dass die Arbeitgeberin Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt, die überwiegend grundpflegerische Verrichtungen ausüben.
- 34
-
ee) § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV ist eine zwingende gesetzliche Bestimmung iSv. § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG. Eine von § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV abweichende Regelung zugunsten der Arbeitnehmer ist zwar nach §§ 13, 8 Abs. 1 AEntG möglich. Entgegen der Auffassung des Betriebsrats kann der Arbeitgeber durch die Einigungsstelle aber nicht gezwungen werden, Regelungen hinzunehmen, die für die Arbeitnehmer günstiger sind als die gesetzlichen (st. Rspr. BAG 28. Mai 2002 - 1 ABR 37/01 - zu B II 2 c cc der Gründe, BAGE 101, 203).
- 35
-
3. § 3 des Spruchs der Einigungsstelle verstößt damit insoweit gegen den Gesetzesvorbehalt nach § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG, als auch für das den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer iSv. § 1 Abs. 3 PflegeArbbV nach § 2 Abs. 1 PflegeArbbV zu zahlende Mindestentgelt eine von § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV abweichende Fälligkeit festgelegt ist. Das darin liegende Überschreiten der Grenzen des Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG bedingt die (Gesamt-)Unwirksamkeit der kollektiven Fälligkeitsbestimmung. Eine teilweise Aufrechterhaltung des Auszahlungstermins für die über dem Mindestentgelt liegende Vergütung bzw. für die Vergütung der nicht der PflegeArbbV unterfallenden Beschäftigten enthielte keine in sich geschlossene Regelung. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Einigungsstelle nach ihrem eigenen Regelungsplan eine so verstandene Fälligkeit bestimmen wollte; ausweislich der Begründung des Spruchs hat sie zwei Fälligkeitszeitpunkte als „unpraktikabel“ angesehen.
-
Schmidt
Koch
K. Schmidt
Hromadka
Olaf Kunz
(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.
(2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.
Tenor
-
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 14. März 2013 - 16 Sa 1775/11 - wird zurückgewiesen.
-
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
- 1
-
Die Parteien streiten über weitere Vergütung für den Zeitraum vom 20. April 2009 bis zum 14. September 2010.
- 2
-
Der 1973 geborene Kläger war im Streitzeitraum bei der Beklagten zu 1., einer als Gesellschaft bürgerlichen Rechts geführten Anwaltssozietät, als Rechtsanwalt angestellt. Die Beklagten zu 2. bis 7. sind die ursprünglichen Gesellschafter der Sozietät. Der Beklagte zu 3. ist am 30. Juni 2010 aus der Sozietät ausgeschieden. Der frühere Beklagte zu 4. ist am 15. August 2012 verstorben. Die Beklagte zu 1. befindet sich in Liquidation. Die Beklagte zu 1. unterhielt im Streitzeitraum ua. ein Büro in Münster, einer zum OLG-Bezirk Hamm gehörenden westfälischen Universitätsstadt mit ca. 300.000 Einwohnern. In diesem Büro waren zu dieser Zeit der Beklagte zu 6. und der Kläger tätig.
- 3
-
Der Kläger legte 1999 das erste juristische Staatsexamen mit der Note „befriedigend“ und im November 2001 das zweite juristische Staatsexamen mit einem schwachen „ausreichend“ ab. Seit März 2002 ist er als Rechtsanwalt im OLG-Bezirk Hamm zugelassen. In den Jahren 1999 bis 2002 war der Kläger an der Universität Münster als Korrekturassistent, als Lehrbeauftragter für Arbeitsgemeinschaften sowie als wissenschaftliche Hilfskraft beschäftigt. Von Oktober 2002 bis September 2003 war er für ein juristisches Repetitorium als Repetitor tätig. In dieser Zeit absolvierte er ein viermonatiges Berufspraktikum beim Bundesumweltministerium, betraut mit der Bearbeitung von Rechtsfragen der Alpenkonvention. Von März 2004 bis November 2005 arbeitete der Kläger als angestellter Rechtsanwalt in einer Anwaltssozietät im OLG-Bezirk Hamm. Seit Ende 2006 widmet sich der Kläger einer Dissertation zum Thema „Die A“. Von Juli 2006 bis Dezember 2007 studierte er Internationales Recht an den Universitäten S und K, Südafrika. Während dieser Zeit absolvierte er bei einer südafrikanischen Menschenrechtsorganisation ein viermonatiges Berufspraktikum. Im Juni 2008 wurde ihm der Titel „Master of Laws“ (LL.M.) verliehen.
- 4
-
Nach Erwerb der theoretischen Voraussetzungen zum Fachanwalt für Arbeitsrecht im August 2008 übte der Kläger von September 2008 bis Januar 2009 eine selbständige Tätigkeit als Rechtsanwalt in eigener Kanzlei aus. Vom 1. Februar bis zum 15. April 2009 war er als angestellter Rechtsanwalt in einer anderen Kanzlei des OLG-Bezirks Hamm tätig.
- 5
-
Der Kläger verfügt über umfassende EDV-Kenntnisse und einen sicheren Umgang mit Juris und LexisNexis sowie den Internetseiten oberster Bundesgerichte, von Oberlandesgerichten und den Rechtsprechungsorganen internationaler Organisationen. Er spricht fließend Englisch, Französisch und Spanisch und hat Grundkenntnisse der Sprache Afrikaans.
- 6
-
Dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten zu 1. lag ein schriftlicher Arbeitsvertrag vom 17. April 2009 zugrunde, in dem ua. geregelt ist:
-
„§ 3 Aufgabenbereich
In der Sozietät anfallende Arbeiten sind von dem Angestellten zu übernehmen. Hierzu gehören die Anfertigung von Schriftsätzen, das Verfassen von Gutachten, das Führen von Mandantengesprächen sowie die Wahrnehmung von Gerichtsterminen. Alle Mandate stehen der Sozietät zu. Bei den vom Angestellten mitgebrachten Mandaten verbleiben die schon entstandenen Gebühren diesem.
§ 4 Arbeitszeit
Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt 20 Stunden. Eine Festlegung der Verteilung der zu leistenden Stunden erfolgt ausdrücklich nicht, vielmehr ist diese durch den Angestellten eigenverantwortlich unter Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse einer sachgerechten Mandatsbearbeitung anzupassen.
Etwaige Überstunden wird der Angestellte durch entsprechende Freizeitnahme ausgleichen. Eine Vergütung für Überstunden wird ausgeschlossen.
§ 5 Vergütung
1.
Der Angestellte erhält jeweils zum 15. eines jeden Monats ein monatliches Bruttogehalt von 1.200,00 €. Nach sechs Monaten werden die Vertragspartner über eine Erhöhung verhandeln. Am Ende eines jeden Kalenderjahres werden die Vertragspartner über weitere Erhöhungen verhandeln.
2.
Der Pflichtbeitrag des Angestellten zur Rechtsanwaltskammer wird von der Sozietät getragen.
3.
Die Sozietät erstattet dem Angestellten die ihm durch Dienstreisen entstehenden Fahrtkosten gemäß dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) sowie übliche Spesen gegen Vorlage von Belegen, wie z. B. Hotelrechnungen.
…
§ 8 Haftpflichtversicherung
1.
Die Sozietät schließt für den Angestellten eine Berufshaftpflichtversicherung für den Fall der Haftung wegen Vermögensschäden ab. Die Deckungssumme entspricht der Höhe nach derjenigen der Mitglieder der Sozietät. Die Kosten der Versicherung werden von der Sozietät getragen.
2.
Im Schadensfall trägt die Sozietät die Selbstbeteiligung des Angestellten. Ein Rückgriff auf den Angestellten ist unzulässig.
§ 9 Sozietätsaufnahme
Die Sozietät wird nach Ablauf von spätestens drei Jahren eine Entscheidung darüber treffen, ob der Angestellte als Mitglied in die Sozietät aufgenommen wird.“
- 7
-
Mit der am 18. November 2010 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage verlangt der Kläger weitere Vergütung in Höhe der Differenz zwischen der nach seinem Behaupten angemessenen Vergütung und den von der Beklagten zu 1. erbrachten Leistungen. Er hat geltend gemacht, sein Anspruch ergebe sich unmittelbar aus § 26 BORA. Die im Arbeitsvertrag vereinbarte Vergütung sei unangemessen niedrig und deshalb sittenwidrig. Angesichts der besonderen Stellung von Rechtsanwälten sei eine um mehr als 20 % unter der üblichen liegende Vergütung sittenwidrig. Der objektive Wert der Leistung eines anwaltlichen Arbeitnehmers richte sich nach der verkehrsüblichen Vergütung von Rechtsanwälten. Bei der Ermittlung der angemessenen Vergütung sei das Gericht verpflichtet, anhand des Arbeitsvertrags und seines Vortrags ein sach-, personen-, und marktbezogenes Anforderungsprofil zu entwickeln, um auf dessen Grundlage von Amts wegen jede einzelne seiner Qualifikationen zu monetarisieren.
- 8
-
Bei der Bemessung des Wertes seiner Leistung seien insbesondere zu berücksichtigen: die Anstellung in einer Sozietät, eine siebeneinhalbjährige Assessoren-Eigenschaft, das Prädikat im ersten Staatsexamen, der Titel LL.M, seine sonstige Berufserfahrung, die Spezialisierung im Arbeits-, Völker- und Europarecht sowie im Familienrecht, seine Sprachkenntnisse, die Kenntnis fremder Rechtsordnungen sowie sein Lebensalter, alle seine sonstigen persönlichen Eigenschaften, wie sein werbewirksames Äußeres (er stehe in unregelmäßigen Abständen vor der Kamera) und seine Qualifikationen („Soft Skills“) und Zusatzqualifikationen, seine Leistungen, die finanziellen Vorteile für die Beklagte zu 1. durch das Einbringen von Mandaten und die immateriellen Vorteile aufgrund der Entlastung der Gesellschafter durch seine Mitarbeit.
- 9
-
Zur Ermittlung des Vergleichsentgelts seien personalwirtschaftliche Spezialkenntnisse erforderlich. Es sei deshalb ein Sachverständigengutachten einzuholen. Grundlagen hierfür ließen sich aus für den gesamten OLG-Bezirk Hamm durchgeführten Erhebungen der Rechtsanwaltskammer Hamm und des Anwaltsinstituts der Universität Bielefeld gewinnen. Zudem seien die Erhebungen IFB/Star 2010 und der azur-Redaktion 2008 sowie ein Gutachten der Rechtsanwaltskammer Hamburg zu berücksichtigen.
- 10
-
Er hat behauptet, obwohl im Vorstellungsgespräch von 2 bis 2,5 Arbeitstagen die Rede gewesen sei, habe ihn der Beklagte zu 6. am ersten Arbeitstag angewiesen, an fünf Tagen der Woche jeweils fünf Stunden zu arbeiten. In der unzulässigen Weisung sei ein Angebot auf Änderung des Arbeitsvertrags zu sehen. Er habe das Angebot angenommen, indem er sich weisungsgemäß verhalten habe. Ab Mitte Januar 2010 sei er an drei Tagen in der Woche für jeweils acht Stunden im Büro erschienen. Zusätzlich sei er teilweise an Donnerstagen und Freitagen tätig gewesen. Tatsächlich habe er 35 Stunden in der Woche gearbeitet. Die eine Vergütung von Überstunden ausschließende Regelung in § 4 Arbeitsvertrag sei unwirksam.
- 11
-
Nach der Studie IFB/Star 2010 habe im Jahr 2006 das durchschnittliche Monatsgehalt eines in einer Sozietät angestellten Rechtsanwalts mit einer Zulassungszeit von vier bis zehn Jahren 55.000,00 Euro brutto betragen. Dies hätte bei einer Teuerungsrate von aufgerundet 5,13 % im Jahr 2009 einem angemessenen halben Monatsentgelt von 2.409,00 Euro brutto entsprochen. Tatsächlich sei als halbes Bruttomonatsgehalt ein Betrag von mehr als 3.612,50 Euro angemessen, berücksichtige man seine Spezialisierungen auf weiteren Rechtsgebieten. Nach Abzug des von der Beklagten zu 1. geleisteten Arbeitsentgelts sowie unter Berücksichtigung der Versicherungs- und Kammerbeiträge iHv. 1.666,73 Euro brutto habe er ausgehend von einem Mindestbetrag von monatlich 2.409,00 Euro brutto einen Anspruch auf Zahlung weiterer 18.969,57 Euro brutto.
- 12
-
Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt,
-
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 18.969,57 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
- 13
-
Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen, und geltend gemacht, der Kläger habe in der Woche nicht mehr als 20 Stunden gearbeitet. Maßgeblich für die angemessene Vergütungshöhe seien die Verhältnisse des OLG-Bezirks Hamm. Die in länderübergreifenden bzw. bundesweiten Erhebungen oder für Hamburg ermittelten Durchschnittswerte besagten hierüber nichts. Die durch Unterbrechungen gekennzeichnete Anwaltsbiographie des Klägers sei schwerpunktlos. Angesichts seiner Examensnoten, seiner geringen anwaltlichen Berufspraxis und seiner insgesamt brüchigen Berufsbiographie sei der Kläger überbezahlt gewesen. Die von ihm behaupteten Qualifikationen seien, wie die vom Kläger erzielten - nicht einmal seine Bruttovergütung tragenden - Umsätze belegten, für eine Sozietät wie die der Beklagten zu 1. größtenteils nicht verwertbar.
- 14
-
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der von Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
- 15
-
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat seine Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen. Das Berufungsgericht war nicht, weil der Beklagte zu 4. verstorben ist, an einer Entscheidung gehindert (I.). Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf weitere Vergütung nebst Zinsen, insbesondere nicht gemäß § 612 Abs. 2 BGB iVm. §§ 705, 421 BGB auf eine übliche Vergütung in einer die geleisteten Beträge übersteigenden Höhe. Die geschuldete Vergütung ist durch die arbeitsvertragliche Abrede wirksam bestimmt worden. Diese Vereinbarung ist nicht wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB (II.) oder wegen eines Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nach § 134 BGB nichtig (III.).
- 16
-
I. Das Verfahren ist nicht unterbrochen, weil der frühere Beklagte zu 4. am 15. August 2012 verstorben ist. Der Tod eines einfachen Streitgenossen führt zur Unterbrechung des Verfahrens nach § 239 ZPO, soweit es ihn betrifft(vgl. Zöller/Greger ZPO 30. Aufl. Vor § 239 Rn. 9). Doch tritt nach § 246 Abs. 1 Halbs. 1 ZPO keine Unterbrechung ein, wenn, wie hier, eine Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten stattgefunden hat.
- 17
-
II. Verstößt die Entgeltabrede gegen § 138 BGB, schuldet der Arbeitgeber gemäß § 612 Abs. 2 BGB die übliche Vergütung. Nach § 138 Abs. 2 BGB ist ein Rechtsgeschäft nichtig, durch das sich jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit oder des Mangels an Urteilsvermögen eines anderen für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen. Ein wucherähnliches Geschäft iSd. § 138 Abs. 1 BGB liegt vor, wenn Leistung und Gegenleistung in einem auffälligen Missverhältnis zueinander stehen und weitere sittenwidrige Umstände wie zB eine verwerfliche Gesinnung des durch den Vertrag objektiv Begünstigten hinzutreten(BAG 22. April 2009 - 5 AZR 436/08 - Rn. 9, BAGE 130, 338; 26. April 2006 - 5 AZR 549/05 - BAGE 118, 66; BGH 13. Juni 2001 - XII ZR 49/99 - zu 4 b der Gründe, jeweils mwN). In jedem Fall setzt der objektive Tatbestand ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung voraus. Ein solches hat der Kläger nicht dargelegt.
- 18
-
1. Ob ein auffälliges Missverhältnis zwischen dem Wert der Arbeitsleistung und der Vergütungshöhe vorliegt, bestimmt sich nach dem objektiven Wert der Leistung des Arbeitnehmers. Das Missverhältnis ist auffällig, wenn die Arbeitsvergütung nicht einmal zwei Drittel der in dem betreffenden Wirtschaftszweig üblicherweise gezahlten Vergütung erreicht (BAG 22. April 2009 - 5 AZR 436/08 - Rn. 17, BAGE 130, 338; 18. April 2012 - 5 AZR 630/10 - Rn. 11, BAGE 141, 137). Ein Anlass, von dieser Richtgröße wegen der Besonderheiten in der Beschäftigung angestellter Rechtsanwälte abzuweichen, besteht nicht. Die in § 26 der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) enthaltene Vorgabe, Rechtsanwälte nur zu angemessenen Bedingungen zu beschäftigen, insbesondere eine der Qualifikation, den Leistungen und dem Umfang der Tätigkeit des Beschäftigten und den Vorteilen des beschäftigenden Rechtsanwalts aus dieser Tätigkeit entsprechende Vergütung zu gewährleisten, führt zu keinem anderen Ergebnis. § 26 BORA stellt selbst keine Anspruchsgrundlage dar(Henssler/Prütting/Busse BRAO 4. Aufl. § 26 BORA Rn. 8; Feuerich/Weyland/Böhnlein/Vossebürger BRAO 8. Aufl. § 26 BORA Rn. 2) und beeinflusst auch nicht die Beurteilung des auffälligen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung im Sinne einer Heraufsetzung der Zwei-Drittel-Grenze. Der BGH hat sogar unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Senats vom 22. April 2009 (- 5 AZR 436/08 - BAGE 130, 338) offengelassen, ob bei Unterschreiten der Zwei-Drittel-Grenze die Schwelle zur Unangemessenheit der Vergütung angestellter Rechtsanwälte überhaupt erreicht wird oder nicht nur knapp über der Hälfte des branchenüblichen Gehalts liegende Vergütungen als auffälliges Missverhältnis einzuordnen sind (BGH 30. November 2009 - AnwZ (B) 11/08 - Rn. 19; aA Filges NZA 2011, 234 mwN). Lediglich ergänzend stellt der BGH auf die Frage ab, ob die Vergütung eines als Berufsanfänger eingestellten Rechtsanwalts das durchschnittliche Anfangsgehalt von Rechtsanwalts- und RENO-Fachangestellten unterschreitet (vgl. BGH 30. November 2009 - AnwZ (B) 11/08 - Rn. 22). Damit besteht kein Grund in § 26 BORA eine Grundlage für eine abweichende Wertung im Rahmen des § 138 BGB zu sehen.
- 19
-
2. Auch wenn zugunsten des Klägers unterstellt wird, die Parteien hätten bei gleichem Entgelt die wöchentliche Arbeitszeit durch Vertragsänderung von 20 Wochenarbeitsstunden auf 25 erhöht, hat der Kläger ein auffälliges Missverhältnis zwischen dem objektiven Wert seiner Arbeitsleistung und der gezahlten Vergütung nicht dargelegt. Insbesondere folgt ein solches Missverhältnis nicht aus seiner Behauptung, unentgeltlich Überstunden geleistet zu haben.
- 20
-
a) Entscheidend für die Bestimmung eines auffälligen Missverhältnisses ist der Vergleich zwischen dem objektiven Wert der Arbeitsleistung und der „faktischen“ Höhe der Vergütung, die sich aus dem Verhältnis von geschuldeter Arbeitszeit und versprochener Vergütung für eine bestimmte Abrechnungsperiode ergibt (vgl. BAG 17. Oktober 2012 - 5 AZR 792/11 - Rn. 20, BAGE 143, 212). Eine weitere Erhöhung der vertraglichen Arbeitszeit auf 35 Wochenarbeitsstunden hat der Kläger nicht schlüssig dargelegt. Sollte er in einzelnen Wochen mehr als 25 Stunden gearbeitet haben, wären diese „Überstunden“ nach der vertraglichen Absprache durch Freizeit in anderen Wochen auszugleichen gewesen. Diese Arbeitszeitregelung in § 4 Abs. 2 Satz 1 Arbeitsvertrag ist wirksam(vgl. BAG 10. April 2013 - 5 AZR 122/12 - Rn. 13 ff.). Es gibt keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass Mehrarbeit nicht durch bezahlte Freizeit ausgeglichen werden dürfe und stets in der Abrechnungsperiode, in der sie geleistet wurde, zu vergüten sei.
- 21
-
b) Für die Ermittlung des Wertes der Arbeitsleistung ist nicht nur von Bedeutung, welchem Wirtschaftszweig das Unternehmen des Arbeitgebers zuzuordnen ist (vgl. BAG 18. April 2012 - 5 AZR 630/10 - Rn. 12, BAGE 141, 137), sondern auch in welcher Wirtschaftsregion die Tätigkeit ausgeübt wird (vgl. BAG 22. April 2009 - 5 AZR 436/08 - Rn. 13, 14, BAGE 130, 338). Zudem wird das Entgelt angestellter Rechtsanwälte von personen- und marktbezogenen Determinanten beeinflusst. Zwischen der Höhe des Einkommens angestellter Rechtsanwälte und der Ortsgröße des Standorts der Kanzlei, in der sie tätig sind, besteht ein Zusammenhang. Zudem spiegeln sich die Wirtschaftsstärke einer Region und die dortige Arbeitsmarktsituation der Rechtsanwälte in der Höhe der dort üblichen Vergütung wider. Dies führt zu einer auf den einzelnen OLG-Bezirk abstellenden Betrachtung, in die weitere örtliche Besonderheiten einzubeziehen sein können, wenn dieser Bezirk größere strukturelle Unterschiede aufweist (vor allem Stadt/Land-Gefälle). Deshalb ist als Vergleichsentgelt die übliche Vergütung von Rechtsanwälten in vergleichbaren Anstellungsverhältnissen am Beschäftigungsort oder an einem Ort vergleichbarer wirtschaftlicher Prägung des OLG-Bezirks heranzuziehen.
- 22
-
c) Zu diesen Vergleichsgrößen hat der Kläger keinen hinreichend konkreten Sachvortrag geleistet. Seine Idee, das Gericht habe anhand seiner persönlichen Merkmale von Amts wegen das übliche Entgelt ggf. unter Einschaltung eines Sachverständigen zu ermitteln, ist mit dem das arbeitsgerichtliche Urteilsverfahren beherrschenden Beibringungsgrundsatz nicht zu vereinbaren. Die entscheidungserheblichen Tatsachen sind von den Parteien dem Gericht vorzutragen, nicht vom Gericht zu ermitteln. Dementsprechend hat das Berufungsgericht zu Recht von der Einholung eines Sachverständigengutachtens abgesehen. Die vom Kläger zu diesem Punkt erhobene Verfahrensrüge ist jedenfalls unbegründet. Der Kläger hat die für die Einholung eines Sachverständigengutachtens durch das Berufungsgericht erforderlichen Anknüpfungstatsachen nicht dargelegt.
- 23
-
aa) Nach § 403 ZPO erfordert der Beweisantritt beim Sachverständigenbeweis die Bezeichnung der zu begutachtenden Punkte. § 403 ZPO nimmt zur Beweiserleichterung auf die Informationsnot der beweispflichtigen Partei Rücksicht und verlangt keine wissenschaftliche (sachverständige) Substantiierung. Es muss nur das Ergebnis mitgeteilt werden, zu dem der Sachverständige kommen soll, nicht der Weg, auf dem dies geschieht. Allerdings gilt auch im Rahmen des § 403 ZPO das Verbot des Ausforschungsbeweises bei unsubstantiiertem Vortrag(vgl. BAG 30. September 2008 - 3 AZB 47/08 - Rn. 28; Musielak/Huber ZPO 11. Aufl. § 403 Rn. 3). Der Vortrag muss so detailliert sein, dass die aufklärungsbedürftige Sachfrage zweifelsfrei abgrenzbar ist und ein Sachverständiger Art und Umfang der übertragenen Tätigkeit erkennen kann (vgl. BAG 30. September 2008 - 3 AZB 47/08 - Rn. 28).
- 24
-
bb) Diesen Anforderungen genügte der Beweisantritt des Klägers nicht. Das Landesarbeitsgericht musste ihm deshalb nicht nachgehen. Es kann zwar grundsätzlich hinreichen, wenn die darlegungspflichtige Partei einen bestimmten Wert behauptet und durch Sachverständigengutachten unter Beweis stellt (vgl. BVerfG 14. März 2013 - 1 BvR 1457/12 - Rn. 18). Zu einem unzulässigen Ausforschungsbeweis wird ein Beweisantrag allerdings dann, wenn eine Behauptung ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts ins Blaue hinein aufgestellt wird (vgl. BGH 2. April 2009 - V ZR 177/08 - Rn. 10 und 11; BAG 12. September 2013 - 6 AZR 980/11 - Rn. 82, BAGE 146, 64). So verhält es sich vorliegend. Für die vom Kläger angegebenen Werte gibt es keine greifbaren Anhaltspunkte. Der Kläger hat sich auf Erhebungen gestützt, die keinen Bezug zum OLG-Bezirk Hamm oder gar der Universitätsstadt Münster aufweisen und deshalb keinen Rückschluss auf die dort übliche Vergütung von Rechtsanwälten zulassen. Welche Erhebungen der Rechtsanwaltskammer Hamm oder des Anwaltsinstituts der Universität Bielefeld in einem Sachverständigengutachten zur Ermittlung der üblichen Vergütung von Rechtsanwälten herangezogen werden könnten, hat der Kläger nicht dargelegt. Er hat nicht einmal behauptet, an seinem Beschäftigungsort oder im OLG-Bezirk würden vergleichbaren Bewerbern bessere Konditionen angeboten oder während seiner früheren anwaltlichen Tätigkeit im OLG-Bezirk Hamm habe er selbst einen höheren Verdienst erzielt.
- 25
-
d) Die in der Entscheidung des BGH vom 30. November 2009 (- AnwZ (B) 11/08 -) erörterten Beträge können nicht als Vergleichsentgelt zugrunde gelegt werden. Im dort entschiedenen Beschwerdeverfahren hatte der Beschwerdeführer die Feststellungen des Anwaltsgerichtshofs Hamm (2. November 2007 - 2 ZU 7/07 - vgl. Rn. 74 - 77) und deren Aussagekraft nicht angegriffen (vgl. BGH 30. November 2009 - AnwZ (B) 11/08 - Rn. 22). Eine Indizwirkung für am Verfahren Unbeteiligte folgt hieraus nicht.
- 26
-
e) Die vom Kläger angezogenen Erhebungen und das Gutachten der Rechtsanwaltskammer Hamburg bieten keine hinreichenden Anknüpfungstatsachen.
- 27
-
aa) Der Kläger hat keine Tatsachen vorgetragen, aus denen darauf geschlossen werden könnte, die in den Erhebungen zum Teil differenziert nach Region, Kanzleigröße, Einzelkanzlei und Sozietät sowie nach Berufserfahrung, Arbeitszeit und Qualifikation (zB Examensnoten, Zusatzqualifikationen) der angestellten Rechtsanwälte angegebenen Werte ließen sich auf seine Verhältnisse übertragen und ermöglichten einen Rückschluss auf die im OLG-Bezirk Hamm übliche Vergütung. Dementsprechend bedarf es auch keiner Erörterung, wie der Kläger die behauptete übliche Monatsvergütung von 2.409,00 Euro brutto zunächst auf 3.237,50 Euro und zuletzt auf mehr als 3.612,50 Euro brutto steigern konnte.
- 28
-
bb) Die Untersuchung azur 2/2008 differenziert überhaupt nicht nach Standort, Kanzleigröße, Arbeitszeit und Qualifikation der angestellten Rechtsanwälte. Das Gutachten der Rechtsanwaltskammer Hamburg trifft keine Aussagen, die auf die Verhältnisse im OLG-Bezirk Hamm schließen lassen könnten. Auch die Studie des Instituts für Freie Berufe Nürnberg (vgl. Eggert BRAK-Mitteilungen 1/2010 S. 2) erlaubt keine Schlüsse auf die am Beschäftigungsort des Klägers übliche Vergütung. Immerhin gelangt diese Studie zu der Feststellung, Rechtsanwälte verdienten - unabhängig von ihrer beruflichen Stellung und dem betrachteten Jahr - mehr, je länger sie beruflich tätig seien. Die Studie ermittelt bezogen auf das Jahr 2006 als durchschnittliches Einkommen von in Sozietäten angestellten Rechtsanwälten in den alten und neuen Bundesländern bei einer anwaltlichen Tätigkeit von höchstens drei Jahren 38.000,00 Euro brutto, bei einer solchen von vier bis zehn Jahren von 55.000,00 Euro. Besonders wichtig sind die ausgesprochen vagen Aussagen der Studie zur aufgewendeten Wochenarbeitszeit. Sie wird mit „mindestens 40 Stunden“ angegeben. Bezogen auf die alten Bundesländer werden als durchschnittliche Wochenarbeitszeit für männliche Rechtsanwälte 49 Stunden und für weibliche 38 Stunden genannt.
- 29
-
f) Die Voraussetzungen einer Schätzung der Höhe der üblichen Vergütung nach § 287 Abs. 2 ZPO iVm. § 287 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ZPO waren für das Berufungsgericht nicht gegeben. Eine solche Schätzung erfordert - unbeschadet ihrer sonstigen Voraussetzungen - die Darlegung der notwendigen Anknüpfungstatsachen (vgl. BGH 8. Mai 2012 - VI ZR 37/11 - Rn. 9; BAG 16. Januar 2013 - 10 AZR 560/11 - Rn. 25 mwN). Eine Schätzung nach bloßer Billigkeit lässt § 287 ZPO nicht zu(vgl. BAG 26. September 2012 - 10 AZR 370/10 - Rn. 27, BAGE 143, 165). Im Streitfall sind entsprechende Anknüpfungstatsachen nicht festgestellt worden. Dass das Berufungsgericht insoweit entscheidungserheblichen Sachvortrag des Klägers übergangen habe, zeigt die Revision nicht auf.
- 30
-
III. Die Entgeltvereinbarung des Klägers verstößt nicht gegen ein gesetzliches Verbot. Ist kein auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung iSv. § 138 BGB festzustellen, liegt auch kein Verstoß gegen § 26 BORA vor. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob § 26 BORA ein Verbotsgesetz iSv. § 134 BGB ist.
- 31
-
IV. Anders als vom Kläger angenommen, ist Art. 24 Abs. 2 Satz 1 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen keine anspruchsbegründende Norm, sondern ein Programmsatz(Geller/Kleinrahm/Fleck Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen 2. Aufl. Art. 24 S. 199; Dästner Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen 2. Aufl. Art. 24 Rn. 1 und 3; Müller-Terpitz in Löwer/Tettinger Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen Art. 24 Rn. 23; Günther in Heusch/Schönenbroicher Die Landesverfassung Nordrhein-Westfalen Art. 24 Rn. 9; Grawert Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen 3. Aufl. Art. 24 Anm. 5; offengelassen von Deiseroth jurisPR-BVerwG 15/2010 Anm. 5). Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob das Landesrecht nach Art. 31 GG bereits durch das bis zum 15. August 2014 geltende Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen vom 11. Januar 1952 (BGBl. I S. 17) verdrängt wurde. Jedenfalls hat der Bund von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz gemäß Art. 74 Abs. 1 GG zur Festsetzung von Mindestlöhnen erschöpfend Gebrauch gemacht. Der Eintritt der Sperrwirkung gemäß Art. 72 Abs. 1 GG entzieht landesrechtlichen Regelungen die Kompetenzgrundlage(vgl. Bay. Verfassungsgerichtshof 3. Februar 2009 - Vf. 111-IX-08 - Rn. 71 ff., 95).
- 32
-
V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
-
Müller-Glöge
Biebl
Weber
Reinders
Rahmstorf
Tenor
1.Unter Zurückweisung der Anschlussberufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 25.04.2013 - Az. 3 Ca 2940/12 - auf die Berufung der Klägerin teilweise abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 4.351,12 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz auf 3.982,12 € seit dem 20.11.2012 und auf 369,00 € seit dem 01.11.2012 zu zahlen.
2.Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt die Beklagte zu ¾, die Klägerin zu ¼. Die Kosten der Berufungsinstanz trägt die Beklagte.
3.Die Revision wird zugelassen.
1
T a t b e s t a n d :
2Die Parteien streiten über ergänzende Lohnzahlungsansprüche vor dem Hintergrund der möglichen Sittenwidrigkeit des tatsächlich gezahlten Entgelts.
3Die 60 Jahre alte Klägerin war im Zeitraum zwischen dem 10.02.2012 und dem 31.10.2012 als Busbegleitung bei der Beklagten beschäftigt. Die Arbeitsaufgabe der Klägerin bestand darin, während einer morgendlichen Tour gemeinsam mit einer Busfahrerin - der Zeugin L., die die Schwester der Klägerin ist - geistig und körperlich behinderte Schüler an verschiedenen Zustiegspunkten abzuholen und zur Traugott-Weise-Schule in Essen zu bringen; nachmittags waren die Schüler nach Beendigung des Unterrichts dort wieder abzuholen und nach Hause zu fahren. Dabei wurde die Klägerin selbst auf beiden Touren von zu Hause abgeholt und auch wieder dorthin zurückgebracht. Wegen der zu befördernden Personen im Einzelnen und deren vorgegebener morgendlicher Abholzeit wird auf Blatt 110 der Akte Bezug genommen. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag wurde zunächst nicht geschlossen. Für ihre Tätigkeit erhielt die Klägerin ab Beginn des Arbeitsverhältnisses zwei Tourpauschalen von jeweils 7,50 € pro Arbeitstag. Die Beklagte leistete Zahlungen nur bei erbrachter Arbeitsleistung. Entgeltfortzahlung für Ferien-, Brücken-, Feiertage, an denen keine Touren anfielen, oder bei Arbeitsunfähigkeit erhielt die Klägerin nicht; ebenso wenig wurde ihr bezahlter Erholungsurlaub gewährt. Bei ihrer Einstellung oder etwa zwei Wochen später unterzeichnete die Klägerin einen "Hinweis für den Arbeitnehmer", wonach das Arbeitsverhältnis der Parteien "im Übrigen" den für den Arbeitgeber geltenden Tarifverträgen für die gewerblichen Arbeitnehmer des privaten Omnibusgewerbes des Landes Nordrhein-Westfalen in ihrer jeweils letzten Fassung unterliege. Das Schreiben verblieb bei der Beklagten, eine Abschrift oder Kopie hiervon erhielt die Klägerin nicht. Die Beklagte ist Mitglied des tarifschließenden Arbeitgeberverbandes. Diesem gehören nach eigenen Angaben 450 der 718 privaten Omnibusunternehmen im Land Nordrhein-Westfalen an. Die Beklagte vergütete der Klägerin für den Monat Februar 2012 195,00 €, für März 2012 330,00 €, für April 2012 165,00 €, für Mai 2012 270,00 €, für Juni 2012 285,00 € und für Juli 2012 75,00 €.
4Am 18.07.2012 trafen die Parteien eine Vereinbarung folgenden Inhalts:
5"Hiermit vereinbaren die oben aufgeführten Vertragsparteien einvernehmlich, dass das bestehende Arbeitsverhältnis bis zum 21.08.12 ordentlich abgerechnet wurde.
6Sämtliche beiderseitige Forderungen sind bis zum oben genannten Zeitpunkt abgegolten, sein sie bekannt oder unbekannt genannt oder ungenannt."
7Am selben Tag schlossen die Parteien unter Nutzung eines von der Beklagten vorgelegten Formulars einen schriftlichen "Arbeitsvertrag Gleitzonenverhältnis", wegen dessen Inhalts auf Blatt 26 ff. der Gerichtsakte verwiesen wird und in dem es unter anderem heißt:
8"1.Tätigkeitsbereich, Tätigkeitsvoraussetzungen und Arbeitszeit
9a) Der Mitarbeiter wird vom Arbeitgeber als Busbegleitung beschäftigt. Er kann jedoch auf für alle sonstigen Arbeiten, die unter Berücksichtigung der betrieblichen Erfordernisse notwendig sind, eingesetzt werden.
10b) Der Mitarbeiter ist zur Verschwiegenheit über alle betrieblichen Angelegenheiten auch für die Zeit nach dem Ausscheiden aus der Firma verpflichtet.
11c) Die durchschnittliche regelmäßige Arbeitszeit beträgt ca. 20,5 Wochenstunden.
12Soweit die Schliesszeiten- Ferien- der Schulen und oder Werkstätten den zustehenden Jahresurlaub überschreiten, ruht während der Zeit das Arbeitsverhältnis mit allen Rechten und Pflichten. Diese Zeit gilt als unbezahlte Freizeit und wird nicht vergütet. Das Unternehmen behält sich vor, den Einsatz neu fest zu legen.
13Der Zeitpunkt des Urlaubs kann nur im Zusammenhang bzw. in Übereinstimmung mit den Ferien des Landes Nordrhein Westfalen in Anspruch genommen werden.
14d) Der Mitarbeiter ist zu Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit im zulässigen Umfang verpflichtet.
152. Arbeitsort
16Der Einsatz beginnt am Betriebssitz/Niederlassung in B. str. 22, F., oder an der vom Arbeitgeber bekanntgegebenen Einsatzstelle.
17...
185. Tätigkeitsbeginn
19Das Arbeitsverhältnis beginnt am 22.08.12.
20...
218. Tätigkeitsvergütung
22A Eine Vergütung erfolgt nach gefahrenen Touren bzw. nach Einsatzplan. Die Zeiten zwischen den jeweils angewiesenen Touren sind Freizeiten und werden nicht vergütet. Es wird nur die reine Lenkzeit bezahlt.
23Der Arbeitnehmer erhält im Gleitzonenarbeitsverhältnis entsprechend dem Umfang seiner Tätigkeit einen anteiligen Urlaubsanspruch von 20 Urlaubstagen jährlich. Der Urlaub ist innerhalb der Ferien des Landes Nordrhein Westfalen zu nehmen.
24Der Stundenlohn beträgt 9,00 EURO.
25Mit der Zahlung des Arbeitsentgeltes sind alle Forderungen aus dem jeweiligen Monat abgegolten."
26Zwischen den Parteien ist streitig, in welcher Reihenfolge die Schriftstücke unterzeichnet wurden. Am tatsächlichen Einsatz der Klägerin änderte sich nichts. Sie begleitete im September 2012 an 20 Arbeitstagen die Morgen- und Nachmittagstour. In der ersten Oktoberwoche arbeitete die Klägerin an vier Tagen (der 03.10.2012 war ein Feiertag). In den sich anschließenden Herbstferien wurde die Klägerin nicht eingesetzt. Ab dem 15.10.2012 war die Klägerin bis zum Monatsende arbeitsunfähig krank. Nach Maßgabe der einschlägigen Entgeltabrechnungen zahlte die Beklagte der Klägerin für den Monat August 2012 288,00 € brutto, für den September 2012 450,00 € brutto und für den Oktober 2012 332,50 € brutto. Sie kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 16.10.2012, der Klägerin am Folgetage zugegangen, "ordnungsgemäß und fristgerecht" zum 31.10.2012. Später erklärte die Beklagte die Rücknahme der Kündigung, ohne dass die Klägerin sich zu einer einvernehmlichen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bereitfand. Mit Anwaltsschreiben vom 19.11.2012 focht die Klägerin ihre Willenserklärungen im Zusammenhang mit den Vereinbarungen vom 18.07.2012 wegen arglistiger Täuschung an.
27Mit der vorliegenden, am 23.10.2012 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin zunächst lediglich die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung vom 16.10.2012 und die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung ergänzenden Lohns für den Monat September 2012 begehrt. Mit Schriftsatz vom 19.11.2012, der der Beklagten am selben Tage zugegangen ist, hat die Klägerin die Klage erweitert und insbesondere weitere Lohnansprüche für die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses geltend gemacht. Sie hat die Auffassung vertreten, der von der Beklagten seit Vertragsbeginn gezahlte Lohn sei sittenwidrig gewesen. Hierzu hat sie behauptet, ihre tägliche Arbeitszeit habe insgesamt 4,41 Stunden betragen. Morgens habe sie von 6.45 Uhr bis 8.50 Uhr arbeiten müssen, nachmittags von 13.30 Uhr bis 15.50 Uhr, freitags früher, aber genauso lang. Die Arbeitszeit habe jeweils an ihrer Haustür begonnen und geendet. Um ein rechtzeitiges Erreichen der Abholorte zu gewährleisten, hätten gewisse Zeitpuffer berücksichtigt werden müssen. An der Schule habe es Standzeiten gegeben, weil das Abfertigen der diversen parallel ankommenden bzw. abfahrenden Busse wegen strenger Vorgaben der Schulleitung weit über ein bloßes Herauslassen bzw. Aufnehmen der Schüler hinausgegangen sei. Auch die Leerfahrten von und zur Traugott-Weise-Schule stellten Arbeitszeit dar. So habe die Klägerin dies wegen der branchenüblichen Usancen - die Arbeitszeit endet, wo sie beginnt - verstehen dürfen, zumal die Beklagte - unstreitig - die Leerfahrten gratis durchgeführt habe, ohne hierfür einen geldwerten Vorteil zu versteuern. Im Ergebnis habe die Beklagte der Klägerin einen Stundenlohn von rund 4,00 € vergütet. Dem stünde ein einschlägiger Tarifstundenlohn für das private Omnibusgewerbe von 9,76 € brutto (Lohngruppe 1 bis 31.07.2012) und von 11,04 €/11,26 € brutto (Lohngruppe 2 nach absolvierter Anlernzeit ab 01.08./01.10.2012) gegenüber. Damit liege der Stundenlohn der Klägerin bei deutlich weniger als 50% der üblichen Vergütung und sei schon deshalb sittenwidrig. Daneben lägen diverse weitere Anhaltspunkte für eine verwerfliche Gesinnung der Beklagten vor (kein bezahlter Erholungsurlaub, keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und an Feiertagen, Maßregelungen von Arbeitnehmern bei Geltendmachung gesetzlicher oder vertraglicher Ansprüche etc.). Neben den sich für die Tage der Arbeitsleistung ergebenden Aufstockungsbeträgen habe die Beklagte noch die Feier-, Ferien- und Brückentage nach Maßgabe des EFZG bzw. § 615 BGB zu bezahlen. Auch für den Zeitraum vom 21.08. bis zum 31.10.2012 habe die Beklagte auf Basis der Tarifstundenlohns abzurechnen. Der unter dem 18.07.2012 abgeschlossene schriftliche Arbeitsvertrag sei unwirksam, weil dessen Inhalt ebenfalls sittenwidrig sei und die Beklagte die Klägerin arglistig getäuscht habe. Dieser sei nämlich wahrheitswidrig vorgegaukelt worden, der Vertrag gebe nur wieder, was vorher schon gegolten habe, während die Klägerin tatsächlich auf tarifliche Rechte verzichtet habe. Sämtliche Ansprüche der Klägerin seien weder verfallen noch verwirkt noch habe die Klägerin wirksam auf sie verzichtet. Tarifvertragliche Verfallfristen griffen im Hinblick auf die bis zum 31.07.2012 entstandenen Ansprüche schon deshalb nicht, weil die Beklagte wegen des nur mündlich geschlossenen Arbeitsvertrages ihre Pflichten aus dem Nachweisgesetz verletzt und sich damit schadensersatzpflichtig gemacht habe, während der schriftliche Arbeitsvertrag vom 18.07.2012 diese tatbestandlich nicht erfasse. Die Verzichtserklärung vom selben Tage sei unabhängig von ihrer Anfechtung durch die Klägerin aus AGB-rechtlichen Gründen unwirksam, sie laufe auf einen kompensationslosen Erlassvertrag zugunsten der Beklagten hinaus. Nach allem habe die Klägerin Anspruch auf die Zahlung tariflicher Leistungen wie der Sonderzahlung nach § 18 MTV und des tariflichen Stundenlohns der Lohngruppe 2, hilfsweise Lohngruppe 1, hilfsweise 9,00 € brutto. Zudem bestehe ein Feststellungsinteresse bezüglich des Umfangs ihres Jahresurlaubs, da die Beklagte wegen der Verzichtserklärung davon ausgehe, dass bis zum 21.08.2012 entstandene Urlaubsansprüche untergegangen seien. Schließlich sei ihr eine Rückkehr in den Betrieb nicht zuzumuten, das sie in Anbetracht des Verhaltens der Beklagten auch Kollegen gegenüber mit Schikanen etc. zu rechnen habe; das Arbeitsverhältnis sei daher gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen.
28Die Klägerin hat beantragt,
291. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 16.10.2012 nicht aufgelöst worden ist, sondern über den 31.10.2012 hinaus fortbesteht;
302. die Beklagte zu verurteilen, 8.654,47 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an die Klägerin zu zahlen;
31hilfsweise,
32die Beklagte zu verurteilen, 8.569,67 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an die Klägerin zu zahlen,
33äußerst hilfsweise,
34die Beklagte zu verurteilen, 8.106,45 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an die Klägerin zu zahlen.
353. die Beklagte zu verurteilen, weitere 243,50 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an die Klägerin zu zahlen.
364. festzustellen, dass der Klägerin für das Jahr 2012 ein Urlaub von 24 Tagen zusteht.
37Sie hat mit Klageerweiterung vom 25.04.2013 beantragt,
38das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung aufzulösen.
39Die Beklagte hat beantragt,
40die Klage abzuweisen.
41Die Beklagte hat bestritten, die Klägerin sittenwidrig vergütet zu haben. Hierzu hat sie behauptet, Arbeitszeit der Klägerin sei lediglich die Fahrzeit der einfachen Strecke zwischen dem Wohnsitz der Klägerin und der Traugott-Weise-Schule vormittags bzw. nachmittags entsprechend retour gewesen. Pro Tour habe die Fahrzeit, wie sich aus einer Abfrage bei Google-Maps und den Fahrtenschreiberdiagrammen ergebe, etwa eine Stunde betragen. Während der Leerfahrten habe die Klägerin keine Arbeitsleistung erbracht, sondern sei lediglich aus Gefälligkeit umsonst nach Hause gebracht bzw. von dort abgeholt worden. Ein derartiges Vorgehen sei üblich und entspreche tarifvertraglichen Wertungen. Der von der Beklagten danach gezahlte Stundenlohn liege im Bereich dessen, was für Busbegleittätigkeiten allgemein in der Branche bezahlt werde, nämlich zwischen 6,00 € und 7,50 € brutto. An diesem branchenüblichen und nicht am Tariflohn müsse sich die von der Klägerin bezogene Vergütung im Hinblick auf die angebliche Sittenwidrigkeit messen lassen. Ein Vergleich mit dem Tariflohn scheide schon deshalb aus, weil der Lohntarifvertrag nicht für Arbeitnehmer mit weniger als 15 Wochenstunden gegolten habe. Dass Zeiten, in denen die anzufahrende Einrichtungen geschlossen habe, nicht als Arbeitszeit gewertet und vergütet worden seien, finde seinen Grund in einer mündlichen Ruhensvereinbarung, die die Klägerin anlässlich ihrer Einstellung mit Herrn M. getroffen habe. Die Klägerin habe diese Praxis auch nie beanstandet. Etwaige Zahlungsansprüche bis zum 21.08.2012 seien aufgrund der in Bezug genommenen tarifvertraglichen Ausschlussfristen bzw. aufgrund der Verzichtsvereinbarung vom 18.07.2012, die erst nach Abschluss des schriftlichen Arbeitsvertrages unterzeichnet worden sei, untergegangen. Die Parteien hätten am 18.07.2012 einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen und ihre Zusammenarbeit auf eine solide schriftliche Basis stellen wollen. Dies alles sei der Klägerin gegenüber offen kommuniziert worden, so dass von einem Irrtum oder gar Täuschung nicht die Rede sein könne. Die Anfechtungserklärungen der Klägerin gingen daher ins Leere. Die Vereinbarung einer Arbeitszeit von durchschnittlich 20,5 Wochenstunden im schriftlichen Arbeitsvertrag sei im Übrigen als maximale wöchentliche Arbeitszeit zu verstehen.
42Das Arbeitsgericht hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Urteil vom 25.04.2013 zum 31.10.2012 aufgelöst und die Beklagte zur Zahlung einer Abfindung von 800,00 € brutto verurteilt. Weiterhin hat das Arbeitsgericht der Klage im Hinblick auf ergänzende Lohnforderungen der Klägerin für die Monate August bis Oktober 2012 in Höhe von 1.359,90 € brutto stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Klägerin stehe für alle drei Monate volles Entgelt auf Basis von 20,5 Wochenstunden und einem Stundenlohn von 9,00 € brutto wegen erbrachter Arbeitsleistung, Annahmeverzug bzw. Entgeltfortzahlung an Krankheits- und Feiertagen zu. Für die Zeit bis zum 21.08.2012 habe sich die Beklagte im Annahmeverzug befunden, da eine wirksame Ruhensvereinbarung für Zeiten der Schulferien zwischen den Parteien nicht getroffen worden sei. Für August 2012 wie auch für die Folgemonate habe die Klägerin die vertraglichen Verfallfristen gewahrt. Die Verzichtsvereinbarung vom 18.07.2012 könne so verstanden werden, dass sie Ansprüche, die nach dem 21.08.2012 fällig würden, nicht erfasse; dies gehe in Ansehung der Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten der Beklagten. Im Übrigen hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Ergänzende Lohnansprüche für den Zeitraum zwischen Februar und Juli 2012 bestünden nicht, weil etwa entstandene Forderungen jedenfalls gemäß § 23 Abs. 3 MTV verfallen seien. Dessen Geltung sei unstreitig mündlich vereinbart gewesen. Ein Schadensersatzanspruch in gleicher Höhe bestehe ebenfalls nicht, weil die fehlende Aushändigung eines Nachweises der Arbeitsbedingungen nicht kausal für die unterbliebene Geltendmachung gewesen sei. Unbegründet sei die Klage auch, soweit die Klägerin Lohnansprüche für die Monate August bis Oktober 2012 verfolge, die zeitlich über 4,1 Stunden pro Tag und betraglich über 9,00 € pro Stunde hinausgehen. Die Zeiten der Leerfahrten zwischen Schule und Wohnort der Klägerin stellten keine vergütungspflichtige Arbeitszeit dar. Ein Stundenlohn von mehr als 9,00 € brutto sei weder vereinbart worden noch ergebe sich dieser infolge Sittenwidrigkeit der tatsächlich getroffenen Lohnabrede. Hierfür lägen keine hinreichenden Anhaltspunkte vor. Ein Anspruch auf die tarifliche Jahressonderzahlung scheitere an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor dem 31.03.2013. Der auf Feststellung des noch bestehenden Resturlaubs gerichtete Antrag sei schließlich unzulässig.
43Das Urteil des Arbeitsgerichts ist der Klägerin am 05.06.2013 zugestellt worden. Mit beim Landesarbeitsgericht am 04.07.2013 eingegangenen Anwaltsschriftsatz hat die Klägerin die Gewährung von Prozesskostenhilfe für die von ihr beabsichtigte Berufung beantragt. Mit Beschluss des Gerichts vom 11.09.2013 ist der Klägerin - im Wesentlichen antragsgemäß - Prozesskostenhilfe bewilligt worden. Nach Zustellung dieses Beschlusses am 16.09.2013 hat die Klägerin mit einem am 27.09.2013 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt, Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts vom 25.04.2013 eingelegt und diese zugleich begründet. Dieser Schriftsatz ist der Beklagten am 04.10.2013 zugestellt worden. Sie hat - nach Verlängerung der Berufungserwiderungsfrist bis zum 04.12.2013 - mit einem am 04.12.2013 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Anwaltsschriftsatz Anschlussberufung eingelegt und diese zugleich begründet.
44Die Klägerin rügt mit ihrer Berufung, das Arbeitsgericht habe seine Entscheidung auf Basis einer unzutreffenden Tatsachengrundlage getroffen und überdies das Recht fehlerhaft angewendet. So seien die Differenzlohnansprüche für den Zeitraum zwischen dem 10.02.2012 und dem 31.07.2012 - die nunmehr nur noch in Ansehung des maßgeblichen Stundenlohns der Lohngruppe 1 LTV (9,76 € brutto) als üblicher Vergütung zu bestimmen seien - keineswegs verfallen. Die Klägerin habe erstinstanzlich eine mündliche Vereinbarung über die generelle Geltung des MTV nicht unstreitig gestellt, sondern lediglich die von der Beklagte behauptete Tarifgeltung als für die Klägerin günstig im Hinblick auf zu beanspruchende Sonderzahlungen aufgegriffen. Tatsächlich sei bei der Einstellung nicht über eine Einbeziehung von Tarifverträgen gesprochen worden. Schon gar nicht überzeuge in Anbetracht der von der Rechtsprechung durchweg angenommenen Vermutung aufklärungsgerechten Verhaltens die Einschätzung des Arbeitsgerichts, die Klägerin habe auch ohne schriftlichen Nachweis der Arbeitsbedingungen hinreichend Kenntnis von der Geltung der tariflichen Ausschlussfrist gehabt. Nach Maßgabe des Arbeitsvertrags vom 18.07.2012 könne aus diversen Gründen kein Verfall der Ansprüche bis Juli 2012 angenommen werden. Insbesondere lasse sich seiner Formulierung und Handhabung durch die Beklagte entnehmen, dass diese praktisch von einem zum 22.08.2012 neu begründeten Arbeitsverhältnis der Parteien ausgegangen sei. Als tägliche Arbeitszeit der Klägerin seien 4,42 Stunden anzusetzen, da die Leerfahrten ohne zu befördernde Personen mitberücksichtigt werden müssten. Das ergebe sich aus der Auslegung der Vereinbarung der Parteien und der konkreten Vertragsdurchführung. Setze man diese Arbeitszeit ins Verhältnis zu den vereinbarten Tourpauschalen, stelle sich die gezahlte Vergütung ohne weiteres als sittenwidrig dar, da nicht einmal 50% des üblichen Tarifstundenlohns von 9,76 € brutto erreicht würden. Daran ändere nichts, dass die Vergütung der Klägerin als geringfügig Beschäftigte brutto gleich netto verblieben sei. Der Wert der Arbeit bemesse sich objektiv nach dem jeweiligen tariflichen Bruttostundenlohn ohne jeglichen fiktiven Aufschlag. Darüber hinaus lägen hinreichende Anhaltspunkte für eine verwerfliche Gesinnung der Beklagten wegen der Gestaltung der Arbeitsbedingungen ihrer Busbegleitungen vor. Wer weder bezahlten Urlaub noch Entgeltfortzahlung an Feiertagen und im Krankheitsfall gewähre, den Arbeitnehmern faktisch Abrufarbeitsverhältnisse zumute und ihnen das Mehrarbeitsrisiko überbürde, nutze die Beschäftigten systematisch zur Erzielung eines Wettbewerbsvorteils aus und geriere sich wie ein "schwarzes Schaf" der Branche. Die Beklagte spreche für die Tätigkeiten im Kleinbusverkehr gezielt Rentner oder ältere Arbeitslose an, die über genügend Zeit verfügten, sich zu staatlichen Sozialleistungen etwas hinzuverdienen wollten und über keine besser bezahlten Beschäftigungsalternativen verfügten. Wie schwach die Stellung dieser Arbeitnehmergruppe sei, werde durch die kollektive Nichtgeltendmachung gesetzlicher Rechte belegt. Wer - so die Behauptung der Klägerin - dann doch einmal Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verlange, wie einige wenige Arbeitskollegen der Klägerin dies nach anwaltlicher Beratung getan hätten, werde schikaniert oder gekündigt. Am Personalbüro habe ein Schild mit der Aufschrift "Wer vier Wochen fehlt, wird abgemeldet" gehangen. In mindestens einem Fall habe die Beklagte eine Mitarbeiterin angewiesen, eine weitere Person als "Stroharbeitnehmer" zu benennen, um über diesen Entgeltbestandteile günstig abrechnen zu können. Derartiges sei bei den branchenangehörigen Konkurrenzunternehmen keineswegs üblich. Neben ergänzenden Lohns für die Vertragszeitdauer schulde die Beklagte der Klägerin noch die Abgeltung von 10 Tagen nicht genommenen Urlaubs in Höhe von 369,00 € brutto.
45Die Klägerin beantragt,
46unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Essen vom 25.04.2013 - Az. 3 Ca 2940/12 - die Berufungsbeklagte zu verurteilen, weitere 3.982,12 € brutto an die Berufungsklägerin zu zahlen und zwar nebst Zinsen von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.11.2012,
47weiterhin die Berufungsbeklagte zu verurteilen,
48an die Klägerin 369,-- € (Urlaubsvergütung und Urlaubsabgeltung) nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.11.2012 zu zahlen.
49Die Beklagte beantragt,
50die Berufung der Klägerin gegen das oben bezeichnete Urteil des Arbeitsgerichts Essen (unter Einschluss der Abweisung des Antrags auf zusätzliche Zahlung von Urlaubsvergütung) zurückzuweisen
51und im Wege der Anschlussberufung
52das Urteil des Arbeitsgerichts Essen, soweit es erstinstanzlich der Klage stattgegeben hat, abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
53Die Beklagte verteidigt, soweit die Klage abgewiesen wurde, das Urteil des Arbeitsgerichts unter ergänzender Bezugnahme auf ihren erstinstanzlichen Vortrag. Das Arbeitsgericht habe - so meint die Beklagte - insbesondere völlig zu Recht angenommen, dass die Ansprüche der Klägerin in weiten Teilen verfallen seien. Selbst wenn man annähme, es sei nicht zu einer mündlichen Vereinbarung der Geltung des MTV bei Einstellung der Klägerin gekommen, wäre der Verfall der Ansprüche aufgrund von Ziffer 13 des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 18.07.2012 eingetreten. Die Vorstellung, die Parteien hätten ein neues Arbeitsverhältnis begründen wollen, sei abwegig. Ansprüchen der Klägerin für die Zeit bis Juli 2012 stünde zudem die Verzichtsvereinbarung vom 18.07.2012 entgegen. Der Klägerin sei deren Hintergrund ebenso wie derjenige des neuen Arbeitsvertrages völlig klar gewesen; wie alle anderen Betroffenen auch sei die Klägerin aus der Presse und in Informationsveranstaltungen ihres Prozessbevollmächtigten über die Sachlage aufgeklärt worden. Abgesehen davon brauche die Beklagte sich nicht vorhalten zu lassen, die Klägerin nicht vereinbarungsgemäß oder sogar sittenwidrig zu gering vergütet zu haben. Die Klägerin gehe von einer viel zu langen täglichen Arbeitszeit aus. Die Arbeitszeit der Klägerin habe dort begonnen, wo das erste Kind abzuholen war, und an der Schule geendet. Leerfahrten seien - wie das Arbeitsgericht richtig erkannt habe - nicht zu vergüten. Es habe sich um nicht mehr als einen kostenlosen Service der Beklagten gehandelt. Die Parteien hätten tatsächlich einen "geteilten Dienst" vereinbart. Maximal seien täglich 2,5 Stunden Arbeitszeit anzusetzen. Damit hätte die Klägerin einen Stundenlohn bezogen, den vergleichbare Konkurrenzunternehmen ihren Busbegleitungen ebenfalls zahlten. Bei der Firma C. würden sogar nur 5,15 € pro Stunde gezahlt. Der LTV passe daher auf diese Beschäftigtengruppe nicht, er werde insoweit üblicherweise nicht angewendet. Abgesehen davon müsse selbstverständlich berücksichtigt werden, dass die Klägerin ihr Entgelt zur Gänze habe ohne jegliche Abzüge behalten dürfen. Insoweit sei zur Herstellung von Vergleichbarkeit ein Aufschlag von 25% gerechtfertigt. Die Behauptungen der Klägerin zur verwerflichen Gesinnung der Beklagten seien falsch und stellten reine Stimmungsmache dar. Die Klägerin habe aus freien Stücken - angeworben durch ihre Schwester - bei der Beklagten gearbeitet und gewusst, welche Arbeitsbedingungen bei der Beklagten gölten. Sie habe wie alle anderen Mitarbeiter auch bezahlten Erholungsurlaub etc. beanspruchen können. Dass sie während der Schließzeiten der Traugott-Weise-Schule nicht habe arbeiten können, liege in der Natur der Sache. Insoweit hätten die Parteien eine mündliche Ruhensvereinbarung geschlossen. Das Arbeitsgericht überspanne die Anforderungen an ihre Darlegungslast, wenn es die Behauptungen der Beklagten zu diesem Punkt als unsubstantiiert eingestuft und keinen Beweis erhoben habe. Derartige Regelungen seien branchenüblich; und die Klägerin habe sich an diesen Tage nicht zur Arbeit bereit gehalten.
54Das gelte im Übrigen auch für die Zeiträume ab August 2012, für die das Arbeitsgericht der Klägerin Annahmeverzugslohn zugesprochen habe. Es sei zu Unrecht von einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 20,5 Stunden ausgegangen. Darauf deute zwar der missverständlich formulierte Arbeitsvertrag vom 18.07.2012 hin, tatsächlich sei aber ausdrücklich vereinbart worden, dass es sich hierbei um eine Maximalarbeitszeit handeln solle. Die Klägerin selbst habe angegeben, dass sie im Bedarfsfall mehr arbeiten könne, deshalb habe man sich auf ein "Gleitzonenarbeitsverhältnis" geeinigt. Nach allem sei daher die Anschlussberufung begründet.
55Die Klägerin beantragt,
56die Anschlussberufung der Beklagten zurückzuweisen.
57Sie bestreitet die vorstehenden Abreden. Das Gespräch am 18.07.2012 habe insgesamt nur fünf Minuten gedauert, über die Dauer der Arbeitszeit und mögliche weitere Touren sei gar nicht gesprochen worden. Folge man der Beklagten, habe so etwas wie ein Abrufarbeitsverhältnis begründet werden sollen, allerdings in unzulässiger Form. Rufe die Beklagte indes keine Arbeitsleistungen ab, sei es lebensfremd, von der Klägerin während Schließtagen der Traugott-Weise-Schule ein Arbeitsangebot zu verlangen.
58Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin L.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.04.2014 Bezug genommen.
59Im Hinblick auf die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze, die zu den Akten gereichten Unterlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen beider Rechtszüge verwiesen.
60E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
61A.
62Sowohl die Berufung der Klägerin als auch die Anschlussberufung der Beklagten sind zulässig.
63I.
64Die Berufung der Klägerin gegen das angefochtene Urteil ist gemäß § 64 Abs. 2 lit. b) statthaft; sie wurde form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Die Berufungs- und Berufungsbegründungsschrift gingen zwar erst nach Ablauf der Berufungsfrist gemäß § 66 Abs. 1 ArbGG (05.07.2013) und Berufungsbegründungsfrist (05.08.2013) am 27.09.2013 beim Landesarbeitsgericht ein. Der Klägerin war aber nach § 233 ZPO die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Berufungsführer, der vor Ablauf der Rechtsmittelfrist Prozesskostenhilfe beantragt, ist bis zur Entscheidung über den Antrag solange als ohne sein Verschulden an der rechtzeitigen Wahrnehmung einer fristwahrenden Handlung verhindert anzusehen, als er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste (vgl. BAG, Beschluss vom 26.01.2006 - 9 AZA 11/05, NZA 2006, 1180). Diese Voraussetzungen liegen vor. Die mittellose Klägerin hat innerhalb der Berufungsfrist unter Darlegung der Erfolgsaussichten der beabsichtigten Berufung sowie unter Beifügung einer Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen am 04.07.2013 Prozesskostenhilfe beantragt. Nach Zustellung des Bewilligungsbeschlusses am 16.09.2013 hat sie mit dem am 27.09.2013 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese begründet und darin gleichzeitig form- und fristgerecht gemäß §§ 234 Abs. 1, 2, 236 Abs. 2 ZPO die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
65II.
66Die Anschlussberufung der Beklagten erfüllt ebenfalls die einschlägigen Zulässigkeitsanforderungen. Sie ist form- und fristgerecht binnen der vom Gericht verlängerten Berufungserwiderungsfrist eingelegt und begründet worden, vgl. §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 524 Abs. 2, 3 ZPO in Verbindung mit § 66 Abs. 1 Satz 3, 5 ArbGG.
67B.
68Die Berufung der Klägerin ist begründet.
69I.
70Die Klägerin hat für den Zeitraum vom 10.02. bis zum 31.07.2012 Anspruch auf ergänzenden Lohn gemäß §§ 611 Abs. 1, 615 Satz 1 BGB, 1 EFZG in Verbindung mit § 612 Abs. 2 BGB in Höhe von 3.982,12 € brutto.
711.
72Der der Klägerin für diesen Zeitraum vergütete Lohn von 15,00 € brutto pro Arbeitstag war nach Maßgabe von § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig.
73Nach § 138 Abs. 2 BGB ist ein Rechtsgeschäft nichtig, durch das sich jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit oder des Mangels an Urteilsvermögen eines anderen für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen. Die Regelung gilt auch für das auffällige Missverhältnis zwischen dem Wert der Arbeitsleistung und der Lohnhöhe in einem Arbeitsverhältnis. Ein wucherähnliches Geschäft liegt nach § 138 Abs. 1 BGB vor, wenn Leistung und Gegenleistung in einem auffälligen Missverhältnis zueinander stehen und weitere sittenwidrige Umstände, zB eine verwerfliche Gesinnung des durch den Vertrag objektiv Begünstigten, hinzutreten (BAG, Urteil vom 26. April 2006 - 5 AZR 549/05, BAGE 118; vom 22. April 2009 - 5 AZR 436/08, NZA 2009, 837). Das auffällige Missverhältnis bestimmt sich nach dem objektiven Wert der Leistung des Arbeitnehmers. Ausgangspunkt der Wertbestimmung sind in der Regel die Tariflöhne des jeweiligen Wirtschaftszweigs. Sie drücken den objektiven Wert der Arbeitsleistung aus, wenn sie in dem betreffenden Wirtschaftsgebiet üblicherweise gezahlt werden. Davon kann ohne weiteres ausgegangen werden, wenn mehr als 50% der Arbeitgeber eines Wirtschaftgebietes tarifgebunden sind oder wenn die organisierten Arbeitgeber mehr als 50% der Arbeitnehmer eines Wirtschaftsgebietes beschäftigen (BAG, Urteil vom 16.05.2012 - 5 AZR 268/11, NZA 2012, 974). Entspricht der Tariflohn dagegen nicht der verkehrsüblichen Vergütung, sondern liegt diese unterhalb des Tariflohns, ist von dem allgemeinen Lohnniveau im Wirtschaftsgebiet auszugehen. Für das Vorliegen eines auffälligen Missverhältnisses spricht es, wenn die Arbeitsvergütung nicht einmal zwei Drittel des in der Branche und Wirtschaftregion üblicherweise gezahlten (Tarif-) Lohns erreicht. Wegen des Zwecks des § 138 BGB, Einzelfallgerechtigkeit herzustellen, ist jedoch eine abweichende Bewertung unter Berücksichtigung der konkreten Umstände möglich (BAG, Urteil vom 22. April 2009 - 5 AZR 436/08, aaO). Neben diesem objektiven Tatbestand müssen subjektive Voraussetzungen in der Person des Begünstigten vorliegen. So setzt der Lohnwucher voraus, dass der "Wucherer" die beim anderen Teil bestehende Schwächesituation (Zwangslage, Unerfahrenheit, mangelndes Urteilsvermögen, erhebliche Willensschwäche) ausbeutet, also sie sich in Kenntnis vom Missverhältnis der beiderseitigen Leistungen bewusst zunutze macht. Auch das wucherähnliche Rechtsgeschäft setzt in subjektiver Hinsicht voraus, dass der begünstigte Vertragsteil Kenntnis vom Missverhältnis der beiderseitigen Leistungen hat. Seine verwerfliche Gesinnung ist nicht nur dann zu bejahen, wenn er als der wirtschaftlich oder intellektuell Überlegene die schwächere Lage des anderen Teils bewusst zu seinem Vorteil ausnutzt, sondern auch dann, wenn er sich leichtfertig der Einsicht verschließt, dass sich der andere nur wegen seiner schwächeren Lage oder unter dem Zwang der Verhältnisse auf den ungünstigen Vertrag einlässt. Ein besonders auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung spricht ohne weiteres für eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten. Ein solches ist anzunehmen, wenn der Wert der Leistung (mindestens) doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung. Es genügt, dass sich die benachteiligte Partei auf die hieraus folgende tatsächliche Vermutung beruft. Die begünstigte Partei kann im Einzelfall die Vermutung durch besondere Umstände erschüttern. Insofern trägt sie die Darlegungs- und Beweislast. Liegt ein besonders grobes Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht vor, bedarf es zusätzlicher Umstände, aus denen geschlossen werden kann, der Arbeitgeber habe die Not oder einen anderen den Arbeitnehmer hemmenden Umstand in verwerflicher Weise zu seinem Vorteil ausgenutzt. Dafür ist der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig (BAG, Urteil vom 16. Mai 2012 - 5 AZR 268/11, aaO).
74Nach diesen Grundsätzen, denen sich die Kammer anschließt, sind im vorliegenden Fall der objektive und der subjektive Tatbestand eines wucherähnlichen Geschäfts gegeben.
75a.
76Der Wert der Arbeitsleistung der Klägerin und die ihr gewährte Vergütung standen in einem auffälligen Missverhältnis, weil die Stundenvergütung der Klägerin nicht mehr als rund 35% des maßgeblichen Tariflohns erreichte.
77aa.
78Die Klägerin erbrachte gegen Zahlung einer Vergütung von 15,00 € täglich eine Arbeitsleistung von 4 Stunden 25 Minuten (4,42 Stunden). Ihre Arbeitszeit begann morgens mit Abholung an ihrem Wohnort um 06.45 Uhr und endete mit ihrer Rückkehr dorthin um 08.50 Uhr. Die Nachmittagstour dauerte von 13.30 Uhr bis 15.50 Uhr.
79aaa.
80Die Arbeitszeit der Klägerin umfasste nach Maßgabe der vertraglichen Vereinbarungen der Parteien den kompletten Zeitraum, während dessen die Klägerin den von der Zeugin L. gesteuerten Bus begleitete.
81(1)Die Arbeitszeit der Klägerin begann zu dem Zeitpunkt, als die Zeugin L. sie morgens von zu Hause abholte und endete nachmittags dort auch wieder. Soweit die Beklagte dies zuletzt in Abrede gestellt hat, setzt sie sich damit in Widerspruch zu ihren Protokollerklärungen in der mündlichen Verhandlung erster Instanz am 17.01.2013, in der ausdrücklich und vorbehaltlos die von der Klägerin zuvor erhobene Behauptung zum Zeitpunkt des Arbeitsbeginns zugestanden worden ist. An dieses Geständnis ist die Beklagte gemäß § 288 Abs. 1 ZPO gebunden (auch ohne Genehmigung, weil in der Kammerverhandlung erklärt; Protokollierungs- und Genehmigungspflicht besteht nur für Geständnisse gegenüber dem beauftragten oder ersuchten Richter bzw. soweit sie in der Güteverhandlung erfolgen, vgl. § 54 Abs. 2 Satz 2 ArbGG). Soweit die Beklagte ihre zugestandenen Behauptungen später revidiert hat, ist ein hierin liegender Widerruf gemäß § 290 ZPO unbeachtlich, da die Beklagte mit keinem Wort erklärt geschweige denn bewiesen hat, dass sie dieses Geständnis irrtümlich abgegeben hat. Im Gegenteil: Die erstinstanzlich vorgelegten Auswertungen aus google-maps umfassen wie selbstverständlich eine Fahrtstrecke von der Wohnadresse der Klägerin aus.
82(2)Die Arbeitszeit umfasste die für das ordnungsgemäße Absetzen bzw. Aufnehmen der begleiteten Personen an der Traugott-Weise-Schule anfallenden Standzeiten des Busses. Es kann in Anbetracht der Einschränkungen der beförderten Schüler nicht ernsthaft daran gezweifelt werden, dass die vereinbarte Begleittätigkeit eine geordnete Übergabe und Übernahme der Personen in die Obhut des Lehrpersonals beinhaltet. Soweit hierbei Vorgaben der Schulleitung etwa zur Reihenfolge des Anfahrens oder des Herauslassens der Schüler erst nach Eintreffen aller Busse zu beachten waren, ist dies auch für die Arbeitsverpflichtung der Klägerin gegenüber der Beklagten maßgeblich. Die Klägerin hätte sich pflichtwidrig verhalten und das Auftragsverhältnis zwischen der Beklagten und der Stadt Essen gefährdet, wenn sie die begleiteten Personen vor der Schule "herausgeschmissen" hätte.
83(3)Die Kammer ist weiterhin der Auffassung, dass auch die Leerfahrten der Klägerin und der Zeugin L. morgens von und nachmittags zur Traugott-Weise-Schule vergütungspflichtige Arbeitszeit darstellt. Zwar lässt sich einwenden, dass die Parteien insoweit eine ausdrückliche Abrede nicht getroffen haben und während der Leerfahrten eine Personenbegleitung nicht durchzuführen war. Gleichwohl spricht eine am Empfängerhorizont der Klägerin orientierte Auslegung dessen, was die Parteien bei Beginn ihres Arbeitsverhältnisses mündlich vereinbart und anschließend gelebt haben, für den Standpunkt der Klägerin. Arbeit als Leistung der versprochenen Dienste im Sinne von § 611 Abs. 1 BGB setzt nämlich nicht notwendig eine Tätigkeit voraus, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses gilt, vielmehr genügt auch die vom Arbeitgeber veranlasste Untätigkeit, während derer der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz sein muss und nicht frei über die Nutzung des Zeitraums bestimmen kann, er also weder Pause im Sinne des Arbeitszeitgesetzes noch Freizeit hat (vgl. BAG, Urteil vom 20.04.2011 - 5 AZR 200/10, NZA 2011, 917). Dass dem hier so ist, lässt sich an folgenden Erwägungen festmachen:
84-Die Klägerin schuldete eine Tätigkeit als Busbegleitung für zwei Touren am Tag. Dass dies nur den Zeitraum umfasste, in dem behinderte Personen zu begleiten und zu betreuen waren, hat nicht einmal die Beklagte behauptet. Wäre dem so, dürfte es sich auch bei der Anfahrtszeit zum ersten Abholpunkt nicht um Arbeitszeit handeln. Richtig ist vielmehr, dass sich gesamte Tour als Einheit darstellt, die - aus Sicht der Klägerin - dort endet, wo sie beginnt, nämlich an ihrem Wohnsitz.
85-Gegen eine Wertung der Leerfahrtszeiten als Freizeit, beginnend an der Traugott-Weise-Schule nach Übergabe der begleiteten Personen am Morgen und dort entsprechend nachmittags endend ("mitten im Nichts", um es mit den Worten der Klägerin zu beschreiben), spricht in erheblichem Maße deren abrechnungstechnische Behandlung durch die Beklagte. Wenn der auch von der Beklagten gewollte Rücktransport am Morgen und das Hinbringen der Klägerin zur Schule am Nachmittag tatsächlich eine kostenlose Gefälligkeit darstellte, hätte dies als Sachbezug bei der Entgeltabrechnung berücksichtigt werden müssen. Unter das steuer- bzw. sozialversicherungspflichtige Arbeitsentgelt im Sinne der §§ 8 EStG, 14 Abs. 1 SGB IV fallen nämlich alle geldwerten Vorteile, die nur deshalb gewährt werden, weil der Zuwendungsempfänger Arbeitnehmer des Arbeitgebers ist und sich dessen Leistung im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweist, die gerade nicht im überwiegenden Eigeninteresse des Arbeitnehmers liegt (vgl. Küttner-Thomas, Personalbuch 2014, Stichwort 200 "Geldwerter Vorteil", Rdz. 10). Genau das ist vorliegend der Fall. Wegen der wirtschaftlichen Unsinnigkeit einer solchen Entgeltvereinbarung für beide Parteien wird auf die Ausführungen im klägerischen Schriftsatz vom 24.03.2014, Blatt 14 Bezug genommen.
86-Schließlich ist zu berücksichtigen, dass es die Beklagte entgegen der Vorschrift des § 2 Abs. 1 Nr. 5, 7 NachwG unterlassen hat, bezüglich des Inhalts der zu leistenden Tätigkeiten und der Dauer der vereinbarten Arbeitszeit einen schriftlichen Nachweis zu erteilen. Sie hat damit die vom Gesetz bezweckte erleichterte Beweisführung der Klägerin zum von ihr in vertretbarer Weise angenommenen Umfang der Arbeitszeiten zumindest fahrlässig erschwert. Ein derartiges Verhalten ist prozessual als Beweisvereitelung zu werten (LAG Niedersachsen, Urteil vom 21.02.2003 - 10 Sa 1683/02, NZA-RR 2003, 520; Müller-Glöge, RdA 2001, Sonderbeilage Heft 5, S. 46 ff., 52; ErfK-Preis, 14. Aufl., Einführung zum NachwG, Rdz. 22 f.) und führte selbst bei Unaufklärbarkeit der Frage, ob die Leerfahrten Bestandteil der Arbeitsleistung der Klägerin sind - erst Recht unter Berücksichtigung der obigen Erwägungen, zu einer faktischen Umkehr der Beweislast. Dieser ist die Beklagte nicht nachgekommen.
87(4)Zur vertraglichen Arbeitszeit zu rechnen sind schließlich Pufferzeiten, die die Klägerin bzw. die ihr die Abholzeiten vorgebende Zeugin L. als Führerin des Busses einplanten. Beide waren morgens verpflichtet, rechtzeitig an den zeitlich vorgegebenen Abholpunkten zu erscheinen, um es nicht zu unnötigen Wartezeiten der aufzunehmenden Personen und insbesondere einem zu späten Erreichen der Schule kommen zu lassen. Das gebietet ein Losfahren an der Wohnadresse zu einem Zeitpunkt, der den unzweifelhaft immer wieder auftretenden Störungen im innerstädtischen morgendlichen Berufsverkehr im Bereich C./F. Rechnung trägt. Berücksichtigt man, dass für die 12,5 Kilometer lange Strecke zwischen L. Feld in C. (Wohnort der Klägerin) und dem O. Busch 51 in F. (erster Abholpunkt) selbst nach Maßgabe der von der Beklagten vorgelegten google-maps-Auflistung eine Fahrtzeit von 22 Minuten anzusetzen ist, ist es nicht zu beanstanden, wenn die Klägerin sich um 06.45 Uhr und mithin 33 Minuten vor der Zielzeit für den O. Busch 51 abholen ließ. Entsprechendes gilt für den Puffer bei der nachmittäglichen Rücktour. Dass dieser mit 40 bis 50 Minuten etwas größer ausfiel, erscheint wegen des längeren Anfahrtwegs und des Wunsches, möglichst "weit vorne" in der Reihe der die Schüler aufnehmenden Busse zu stehen, um entsprechend eher losfahren zu können, ohne weiteres plausibel. Damit verlagerte sich nämlich auch das Arbeitsende am Nachmittag nach vorne.
88bbb.
89Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und unter Berücksichtigung des Sachvortrags der Parteien ist die Kammer gemäß § 286 Abs. 1 ZPO davon überzeugt, dass die von der Klägerin vorgetragenen Fahrtzeiten - und damit ihre Arbeitszeiten - zutreffen.
90(1)Die Zeugin L. hat in ihrer Vernehmung die Angaben der Klägerin voll umfänglich bestätigt. Sie hat den morgendlichen Zustieg der Klägerin auf 06.45 Uhr und ihre Rückkunft auf 08.50 Uhr taxiert. Nachmittags habe die Tour der Klägerin von 13.30 Uhr bis 15.50 Uhr gedauert. Dass die Zeugin mehrmals den Begriff "so gegen" oder "gegen" verwendet hat, stellt die Ergiebigkeit ihrer Aussage nicht in Frage. Bei den angegebenen Zeiten muss es sich zwangsläufig um Schätz- bzw. Mittelwerte handeln. Da der tägliche Zeitbedarf von den Verkehrsverhältnissen und der Reibungslosigkeit des Aus- bzw. Einstiegs der zu befördernden Personen abhängt, sind minutengleiche Abfahrts- bzw. Ankunftszeiten nicht zu erwarten, ebenso wenig, dass sich die Zeugin insoweit an einzelne Tage aus einem rund zwei Jahre zurückliegenden Zeitraum noch erinnern könnte. An diesem Punkt genügt, dass die Aussage der Zeugin L. erkennen lässt, dass nicht eine nur ausnahmsweise gegebene überlange Dauer einer Tour zum Normalfall erhoben wurde.
91(2)Die Aussage der Zeugin ist glaubhaft. Sie ist in sich widerspruchsfrei und uneingeschränkt nachvollziehbar. Sie deckt sich mit dem Sachvortrag der Klägerin und in weiten Teilen auch mit dem der Beklagten. Wenn beispielsweise die Zeugin zur Rückfahrt am Nachmittag bekundet, 20 bis 25 Minuten nach dem Herauslassen des letzten Kindes die Klägerin zu Hause abgesetzt zu haben, so wird dies durch die google-maps-Angabe eines Fahrzeitbedarfs von 22 Minuten für die Strecke belegt. Auch einen Widerspruch zu den von der Beklagten vorgelegten Fahrtenschreiberaufzeichnungen vermochte die Kammer nicht zu erkennen. So bestätigen etwa die mit Schriftsatz vom 20.12.2012 eingereichten Aufzeichnungen für drei Tage im September 2012 nicht nur den Gesamtumfang der von der Zeugin L. morgens und nachmittags aufgewendeten Fahrtzeit, sondern insbesondere auch die Dauer der Standzeiten an der Traugott-Weise-Schule. Gleiches gilt für die mit Schriftsatz vom 19.05.2014 nachgereichten Tachoscheiben. Sie belegen durchgehend, dass die Zeugin morgens gegen 06.30 Uhr losgefahren ist und nach Beendigung der Tour gegen 09.00 Uhr wieder zu Hause war. Sie belegen, dass es Tage gab, an denen es zumindest bei der Hinfahrt zu Standzeiten (vermutlich wegen der von der Zeugin bekundeten Schwierigkeiten bei der Aufnahme einzelner Schüler) kam und deshalb die Schule später erreicht wurde. Signifikante Abweichungen zu den von der Zeugin geschilderten Abfahrts- und Ankunftszeiten zu Lasten der Beklagten sind insgesamt nicht erkennbar, wobei die Kammer davon ausgeht, dass die Beklagte sich aus den etwa hundert im streitigen Zeitraum erstellten Fahrtenschreiberaufzeichnungen nicht diejenigen herausgesucht haben dürfte, die die Darstellung der Klägerin eher noch stützen. Alles andere als ein grundsätzliches Übereinstimmen von Unterlagen und Zeugenaussage müsste auch überraschen: Schon nach den vorgegebenen bzw. unstreitigen Zeitfaktoren (Abholzeiten, Schulbeginn, Dauer der Anfahrt) erscheint eine Tourdauer von unter zwei Stunden kaum möglich - wenn man die Leerfahrten berücksichtigt. Die Abweichungen bewegen sich im Minutenbereich. Dass dieser von der Aussage der Zeugin L. zutreffend geschildert wurde, steht zur Überzeugung der Kammer fest. Die Beklagte hat im Übrigen die von der Zeugin eingereichten Stundenzettel, die sie mit den Tachoscheiben regelmäßig im Personalbereich abgab, zu keinem Zeitpunkt als inhaltlich falsch kritisiert.
92(3)Die Zeugin L. war uneingeschränkt glaubwürdig. Sie hat den Sachverhalt bestimmt und "von der Leber weg" geschildert. Sie hat offen ihre Emotionen und Ängste im Zusammenhang mit ihrer Aussage geschildert und authentisch vermittelt, wegen der verwandtschaftlichen Beziehung zur Klägerin und der Verpflichtung zur wahrheitsgemäßen Aussage einerseits und der Sorge um ihren Arbeitsplatz andererseits zwischen allen Stühlen zu sitzen. Sie hat sich sowohl von der Klägerin abgegrenzt (bei ihr habe sie wegen der Zeugenbenennung umgehend "Randale gemacht") als auch dargestellt, wie sie von Mitarbeitern der Beklagten im Vorfeld der Zeugenvernehmung unter Druck gesetzt worden ist ("Du weißt ja, was passiert, wenn Du aussagst"). Gerade dass die Zeugin unter dem Eindruck dieser Geschehnisse - die die Beklagte bemerkenswerter Weise im Rahmen ihres Schriftsatzes vom 19.05.2014 nicht in Abrede gestellt hat - das Beweisthema bestätigt hat, spricht für die Richtigkeit ihrer Bekundungen. Demgegenüber beeinträchtigt es die Glaubwürdigkeit der Zeugin nicht, dass diese im Vorfeld Kontakt zur Klägerin gehabt hat, um sich über die absolvierten Zeiten auszutauschen. Damit ist nämlich keinesfalls indiziert, die Klägerin habe der Zeugin längere Arbeitszeiten als die tatsächlich absolvierten aufgedrängt - das hätte die Zeugin dem Eindruck der Kammer nach niemals zugelassen. Es wäre auch fruchtlos gewesen, weil die Beklagte jederzeit die von der Zeugin eingereichten Stundenzettel hätte präsentieren können, um Widersprüche aufzudecken.
93ccc.
94Betrug die tägliche Arbeitszeit 4,42 Stunden und erhielt die Klägerin dafür (in zweiter Instanz unstreitig) 15,00 € brutto, lag der tatsächliche Stundenverdienst der Klägerin an Einsatztagen bei 3,40 €. Da es nach Darstellung beider Parteien übliche Tages- oder Tourpauschalen für Busbegleitungen nicht gibt, ist zur Prüfung der Sittenwidrigkeit der Vergütung eine Umrechnung auf einen Stundenlohn unumgänglich. Wegen der für den Zeitraum von Februar 2012 bis Juli 2012 gegebenen und auch von vorneherein beabsichtigten Kontinuität der Vergütung wie auch des Einsatzes der Klägerin wirft ein solches Vorgehen keine rechtlichen Bedenken auf.
95Bei Licht betrachtet lag der faktische Stundenlohn der Klägerin im Übrigen sogar noch niedriger. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass die Klägerin vertragswidrig nur für tatsächliche Arbeitsleistungen an Schultagen bezahlt wurde. Die von der Beklagten hierfür vorgebrachte Erklärung, es habe eine mündliche "Ruhensvereinbarung für Schließzeiten" gegeben, verfängt nicht, und zwar gleich aus zwei Gründen:
96(1)Das Arbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Beklagte wegen der für diese Übereinkunft notwendigen Willenserklärungen der Parteien nicht hinreichend substantiiert vorgetragen hat. Was die Parteien dieses Rechtsstreits insoweit besprochen haben, hat die Beklagte nicht dargelegt. Die Behauptung, es müsse bei der Klägerin so gewesen sein wie bei anderen Einstellungen auch (welchen?, vgl. Blatt 11 der Berufungsbegründung), verfängt schon deshalb nicht, weil zumindest die Reaktion der Klägerin individueller Natur ist. Dem Gericht ist damit die rechtliche Prüfung verwehrt, ob sich deckende Willenserklärungen der Parteien vorlagen. Ebenso wenig verwertbar ist die pauschale und nicht unter Beweis gestellte Behauptung, der Klägerin seien ihre Arbeitsbedingungen bereits zuvor bekannt gewesen. Abgesehen davon, dass nicht erkennbar ist, woher die Beklagte diese Angabe in Bezug speziell auf eine im Arbeitsleben eher ungewöhnliche Ruhensvereinbarung nimmt, indiziert auch dies nicht ohne weiteres ein Einverständnis der Klägerin.
97(2)Selbst wenn man zugunsten der Beklagten von der Existenz einer Ruhensvereinbarung ausgehen könnte, wäre diese gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB unwirksam, weil sie die Klägerin unangemessen benachteiligte. Sie schösse nämlich insoweit über das (ansonsten nachvollziehbare) Ziel der Beklagten hinaus, ohne tatsächlichen Bedarf an der Arbeitsleistung der Klägerin nicht gleichwohl die Zahlung einer Vergütung zu schulden, als es keinen Grund gibt, das Ruhen auch für Schließtage zu vereinbaren, an denen der der Klägerin zustehende gesetzliche Erholungsurlaub gewährt werden könnte oder die auf gesetzliche Feiertage fallen. Mindestens diese Tage hätten von einem Ruhen ausgenommen werden müssen (vgl. etwa BAG, Urteil vom 10.01.2007 - 5 AZR 84/06, NZA 2007, 384). Die von der Beklagten behauptete Abrede ist an den §§ 305 ff. BGB zu messen, weil Allgemeine Geschäftsbedingungen auch in nur mündlich geschlossenen Arbeitsverträgen enthalten sein können, solange sie standardmäßig arbeitgeberseitig für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Bestimmungen enthalten (BAG, Urteil vom 16.05.2012 - 5 AZR 331/11, NZA 2012, 908). Vorliegend will die Beklagte ja genau das bei Einstellung der Busbegleitungen getan haben.
98bb.
99Der objektive Wert der Arbeitsleistung der Klägerin betrug 9,76 € pro Stunde. Er entstammt § 4 Abs. 1 Ziffer II. des Lohntarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer des privaten Omnibusgewerbes des Landes Nordrhein-Westfalen vom 24.08.2011 (im Folgenden: LTV). Die Klägerin ist als ungelernte Arbeiterin der (Eingangs-) Lohngruppe 1 zuzuordnen, für die ab 01.10.2011 der oben bezeichnete Wert galt.
100aaa.
101Nach Maßgabe der Rechtsprechung des BAG gibt der LTV den objektiven Wert der Arbeitsleistung der Klägerin wieder. Er indiziert das allgemeine Lohnniveau in fachlicher und räumlicher Hinsicht, weil mehr als 50% der Arbeitgeber des privaten Omnibusgewerbes in Nordrhein-Westfalen kraft Mitgliedschaft im tarifschließenden Arbeitgeberverband organisiert sind. Nach unbestrittener Darstellung der Klägerin, die auf einer zeitnahen Information des Verbandes Nordrhein-Westfälischer Omnibusunternehmen beruhte, waren im Jahre 2012 450 von 718 privaten Omnibusunternehmen des Wirtschaftsgebietes im Verband organisiert. Das sind knapp 63%.
102bbb.
103Ohne Belang ist, dass gemäß § 1 LTV Arbeitnehmer mit einer Arbeitszeit von weniger als 15 Wochenstunden dessen persönlichen Geltungsbereich nicht unterfallen. Wie oben dargelegt, hat die Klägerin mehr als 15 Stunden pro Woche gearbeitet. Das würde selbst dann noch gelten, wenn man die Leerfahrten unberücksichtigt ließe.
104Auch wenn die Klägerin weniger als 15 Wochenstunden gearbeitet haben sollte, würde sich am gefundenen Ergebnis nichts ändern:
105(1)Der LTV ist im Rahmen der Sittenwidrigkeitsprüfung nur insoweit maßgeblich, als er einen Vergleichsmaßstab für den objektiven Wert einer Arbeitsleistung liefert. Dieser Wert kann indes nicht davon abhängen, ob eine Arbeitsleistung nun an 14 oder 16 Stunden in der Woche erbracht wird. Die Frage, ob die Klägerin als "Minijobberin" einen Lohnanspruch wegen einer Mitgliedschaft in der tarifschließenden Gewerkschaft oder kraft individualvertraglicher Bezugnahme unmittelbar aus dem LTV ableiten könnte, stellt sich nicht.
106(2)Die Einschränkung des persönlichen Geltungsbereichs des LTV erscheint rechtlich - vorsichtig ausgedrückt - höchst problematisch und dürfte nicht ohne Grund aus den nachfolgenden Lohntarifverträgen gestrichen worden sein. Es deutet sich nämlich an, dass die Herausnahme geringfügig Beschäftigter aus dem Geltungsbereich eine gemäß § 4 Abs. 1 TzBfG unzulässige Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten (und damit auch eine mittelbare Geschlechts- und Altersdiskriminierung) beinhaltet. § 4 Abs. 1 TzBfG bindet auch Tarifvertragsparteien; eine benachteiligende Regelung ist nicht schon deshalb zulässig, weil sie einem Tarifvertrag entstammt. Vielmehr muss es einen "echten Bedarf" für die Ungleichbehandlung von Teilzeitbeschäftigten geben, diese muss zur Erreichung eines legitimen Zwecks geeignet und erforderlich sein (BAG in st. Rspr., zuletzt Urteil vom 31.07.2014 - 6 AZR 993/12, juris, unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 01.03.2012 - C 393/10 (O`Brien)). Dafür vermag die Kammer hier keine Anhaltspunkte zu erkennen.
107ccc.
108Ist danach "ohne weiteres" von der Üblichkeit der Tarifvergütung auszugehen, hat die Beklagte ihrerseits nicht dargelegt, dass sich die verkehrsübliche Vergütung für Busbegleitungen im Wirtschaftsgebiet im Jahre 2012 tatsächlich unterhalb des oben skizzierten Tariflohnniveaus bewegt hat.
109(1)Der Vortrag der Beklagten zu diesem Punkt ist schon nicht hinreichend aussagekräftig. Er ist bezüglich der Höhe der Stundenvergütungen nicht widerspruchsfrei. Hat die Beklagte erstinstanzlich zum Beispiel noch vorgetragen, verbandsangehörige Unternehmen wie die Firmen I. und D. zahlten ihren Busbegleitungen aktuell 7,50 € bis 8,00 € pro Stunde (Blatt 4 des Schriftsatzes vom 08.03.2013), soll nach zweitinstanzlicher Behauptung das Lohnniveau durch Tourlöhne von 5,50 € bis 6,00 € geprägt werden (Blatt 4 des Schriftsatzes vom 09.04.2014). All das belegt - die Richtigkeit der Angaben unterstellt - allenfalls, dass ein einheitliches Lohnniveau nicht besteht. Die Zahlen wären im Übrigen so oder so nicht repräsentativ, weil sie von nicht mehr als zehn der über 700 in Nordrhein-Westfalen tätigen privaten Omnibusunternehmen stammen.
110(2)Sollten Busbegleitungen tatsächlich üblicherweise einen geringeren als den Tarifstundenlohn erhalten haben, mag dies an der Einschränkung des persönlichen Geltungsbereichs in § 1 LTV gelegen haben. Das spräche aber nicht dafür, dass der objektive Wert der Arbeitsleistung der Busbegleitungen geringer anzusetzen ist, sondern belegte vielmehr, dass auch die Konkurrenzunternehmen der Beklagten ihren Teilzeitbeschäftigten mit weniger als 15 Wochenstunden diskriminierend niedrige Löhne zahlten. Darauf kann sich die Beklagte nicht berufen. Nach Auffassung der Kammer kann ein diskriminierender und deshalb rechtlich unzulässiger Stundenlohn nicht als "verkehrsüblich" maßgeblich für eine Sittenwidrigkeitsprüfung herangezogen werden (in diesem Sinne auch LAG Hamm, Urteile vom 18.03.2009 - 6 Sa 1284/08 und 6 Sa 1372/08, Streit 2009, 107).
111cc.
112Der von der Beklagten gezahlte und der verkehrsübliche Tarifstundenlohn können ohne weiteres ins Verhältnis gesetzt werden. Der Ansatz eines wie auch immer zu beziffernden Aufschlags wegen des Nettozuflusses der Tourpauschale an die Klägerin ist nicht geboten. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
113(1)Bei beiden Löhnen handelt es sich um Bruttolöhne. Die Parteien haben nicht etwa eine Nettotourpauschale vereinbart, sondern lediglich ein solche, die wegen der gesetzlichen Vorgaben und den persönlichen Verhältnissen der Klägerin steuer- und sozialversicherungsfrei bleibt. Je nachdem, welche sonstigen Einkünfte aus weiteren Arbeitsverhältnissen die Klägerin erzielte, hätte das anders sein können. Nichts spricht dafür, dass die Beklagte in diesem Fall die anfallenden Abgaben hätte übernehmen sollen. Abgesehen davon darf nicht übersehen werden, dass die Abgabenfreiheit mit Nachteilen der Klägerin im Hinblick auf ihre sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche verknüpft ist (ebenso LAG Hamm, Urteile vom 18.03.2009, aaO; LAG Bremen, Urteil vom 28.08.2008 - 3 Sa 69/08, LAGE § 138 BGB 2002 Nr. 2; ErfK-Preis, 14. Aufl., § 612 Rdz. 3; abweichend LAG Hamm, Urteil vom 20.03.2013 - 2 Sa 1442/12, juris).
114(2)Es ist nicht ersichtlich, wie der Aufschlag bemessen sein muss. Die von der Beklagten angeführten 25% sind wie alle anderen Prozentzahlen gegriffene Werte, die sich als mehr oder minder passend herausstellen können - oder eben auch nicht. Auf die Erwägungen der Klägerin auf Blatt 22 der Berufungsbegründung wird Bezug genommen.
115(3)Maßgebend für die Sittenwidrigkeitsprüfung ist zudem, ob seitens des Begünstigten ein Missverhältnis vorliegt. Es sind nur die Vorteile, die dem Arbeitgeber aus dem wucherischen oder wucherähnlichen Geschäft zufließen, mit dem Wert seiner Leistungen zu vergleichen, während es auf einen Vergleich der Leistung mit den "Vorteilen", die sich für den Arbeitnehmer aus der Vereinbarung (oder deren steuerrechtlicher oder sozialversicherungsrechtlicher Behandlung) ergeben, nicht ankommt (LAG Hamm, Urteil vom 18.03.2009, aaO; BGH, Urteil vom 22.04.1997 - 1 StR 701/96, NZA 1997, 1166).
116b.
117Der für eine sittenwidrige Lohnabrede erforderliche subjektive Tatbestand ist ebenfalls gegeben.
118aa.
119Unter Anlegung der Maßstäbe der ständigen Rechtsprechung des BAG liegt ein besonders auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung vor. Die gewährte Vergütung erreicht die Hälfte des objektiven Wertes der Arbeitsleistung der Klägerin nicht einmal ansatzweise, sondern lediglich maximal 35%. Die verwerfliche Gesinnung der Beklagten ist damit indiziert.
120bb.
121Wenn man zugunsten der Beklagten unterstellte, bei den von der Klägerin absolvierten Leerfahrten handele es sich nicht um vergütungspflichtige Arbeitszeit (bzw. zumindest berücksichtigt, dass die Parteien dies hätten vereinbaren können), oder fallrelevante Rechtsfragen anders beantwortete, als die Kammer dies tut, unterschritte der von der Beklagten gezahlte Lohn den Tariflohn zumindest um mehr als ein Drittel. Selbst dann ließen die weiteren Umstände des vorliegenden Falles den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung der Beklagten zu. Dies macht die Kammer an folgenden Erwägungen fest:
122(1)Die Vertragsgestaltung der Beklagten für ihre geringfügig beschäftigten Busbegleitungen ist - wie sich an den behaupteten Ruhensvereinbarungen für Schließzeiten ermessen lässt - auf die bloße Vergütung des effektiven Arbeitseinsatzes angelegt. In diesem Konzept waren die gesetzlich vorgegebene Gewährung bezahlten Erholungsurlaubs und die Leistung von Entgeltfortzahlung an Krankheits- und Feiertagen nicht vorgesehen. Die ausdrückliche Frage des Gerichts anlässlich der mündlichen Verhandlung, ob die Beklagte auch nur einer ihrer mehr als hundert Busbegleitungen jemals bezahlten Erholungsurlaub gewährt hat, hat der Geschäftsführer der Beklagten verneint. Vor diesem Hintergrund erscheint die schriftsätzliche Behauptung der Beklagten, derartiges habe ja auch keiner der betroffenen Beschäftigten verlangt, schlicht zynisch. Jedem Arbeitgeber muss sich in einer solchen Situation aufdrängen, dass dies nur daran liegen kann, dass die Arbeitnehmer ihre Rechte entweder nicht kennen oder sich nicht trauen sie durchzusetzen. Wer diese Umstände hinnimmt und ausnutzt, beutet entweder die Unerfahrenheit oder den Mangel an Urteilsvermögen oder eine erhebliche Willensschwäche der Mitarbeiter oder alles zusammen aus (in diesem Sinne auch LAG Hamm, Urteile vom 18.03.2009, aaO).
123(2)Die Beklagte hat bis Mitte des Jahres 2012 ihre Pflichten aus dem NachwG systematisch verletzt. Schriftstücke wurden nur gefertigt, wenn sie der Beklagten selbst nützlich waren (wie etwa der bei Einstellung von der Klägerin unterzeichnete "Hinweis für Arbeitnehmer" auf die Tarifvertragsgeltung im Übrigen), und auch davon erhielt die Klägerin keine Abschrift. Erst als sie im Laufe der offensichtlich stattgefundenen Vorprozesse vom Arbeitsgericht auf diesen Mangel hingewiesen wurde, hat die Beklagte reagiert und den Betroffenen schriftliche Arbeitsverträge vorgelegt. Gleichzeitig hat sie sich schriftliche Verzichtserklärungen unterzeichnen lassen, die faktisch auf einen einseitigen Rechtsverlust der Arbeitnehmer abzielten (dazu unten unter 3.a.). Was das mit einem (fairen) Schlussstrich unter die Vergangenheit zu tun haben soll, erschließt sich der Kammer nicht.
124(3)Die Beklagte hat der Klägerin und einer ganzen Reihe von Arbeitnehmern, wie das Arbeitsgericht im Rahmen der Begründung des Auflösungsantrags der Klägerin zutreffend erkannt hat, unmittelbar nach Auftreten von Unstimmigkeiten über die ordnungsgemäße Vergütung nach dem Arbeitsvertrag vom 18.07.2012 gekündigt. Eine sachliche Begründung für auch nur eine dieser Kündigungen hat sie nicht vorgetragen, soweit die Kammer dies in Anbetracht der bei ihr anhängigen oder anhängig gewesenen Parallelverfahren beurteilen kann. Warum es sich daher bei diesen Kündigungen in Anbetracht der zeitlichen Zusammenhänge nicht um Maßregelungen im Sinne des § 612a BGB gehandelt haben sollte, ist nicht erkennbar. Daran ändert die spätere Rücknahme der Kündigungen nichts.
1252.
126Konsequenz der gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtigen Lohnabrede der Parteien ist, dass die Beklagte die Differenz zum üblichen Lohn, hier also zum Tarifstundenlohn gemäß Lohngruppe 1 (§ 4 Abs. 1 Ziffer II. LTV) ohne Zuschläge, Zulagen und Sonderleistungen nachzuzahlen hat (vgl. BAG, Urteil vom 22.04.2009 - 5 AZR 436/08, NZA 2009, 837, dort Rdz. 31; ErfK-Preis, 14. Aufl., § 612 Rdz. 3a).
127a.
128Anspruchsgrundlagen dafür sind § 611 Abs. 1 BGB (für Tage, an denen die Klägerin gearbeitet hat), § 2 Abs. 1 EFZG (für Wochenfeiertage) und § 615 Satz 1 BGB (für sonstige Schließtage), jeweils in Verbindung mit § 612 Abs. 2 BGB. Am Bestehen einer Vergütungserwartung der Klägerin auch für Schließzeiten der Traugott-Weise-Schule während der Schulferien ist nicht zu zweifeln, weil es insoweit an einer wirksamen Ruhensvereinbarung der Parteien fehlt. Jede Korrektur dieses Befundes liefe auf eine unzulässige geltungserhaltende Reduktion der von der Beklagten behaupteten, die Klägerin gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteiligenden Ruhensvereinbarung hinaus (vgl. oben 1.a.aa.ccc., zur grundsätzlichen Unzulässigkeit dieses Vorgehens bei AGB-widrigen Vertragsbestimmungen zuletzt etwa BAG, Urteil vom 19.02.2014 - 5 AZR 920/12, DB 2014, 1143). Gab es keine Ruhensvereinbarung, hätte die Beklagte die Klägerin anderweitig einsetzen können und müssen.
129b.
130Einem Zahlungsanspruch für die Schließtage der Schule während der Ferienzeiten aus Annahmeverzug steht nicht entgegen, dass die Klägerin für diese Tage weder tatsächlich (§ 294 BGB) noch wörtlich (§ 295 BGB) ihre Arbeitsleistung angeboten hat. Das folgt unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zwar nicht daraus, dass ein Arbeitsangebot gemäß § 296 BGB wegen fehlender Zurverfügungstellung eines Arbeitsplatzes für diese Tage entbehrlich gewesen wäre; vielmehr ist für die Anwendung des § 296 BGB im ungekündigten Arbeitsverhältnis grundsätzlich kein Raum (vgl. BAG, Urteil vom 15.05.2013 - 5 AZR 130/12, NZA 2013, 1076). Der Fall liegt jedoch so, dass die Beklagte sich nach den Umständen auf das Fehlen eines tatsächlichen oder wörtlichen Arbeitsangebotes nicht berufen kann, weil ein solches Angebot von der Beklagten offensichtlich nicht angenommen worden wäre, sondern eine reine Förmelei dargestellt hätte (vgl. BAG, Urteil vom 21.04.1999 - 5 AZR 174/98, NZA 1999, 1044). Dass die Klägerin sich in Ferienzeiten vor ihre Wohnung auf die Straße hätte stellen sollen, um auf den nicht kommenden Bus zur Schule zu warten, ist ebenso abwegig wie die Vorstellung, dass die Beklagte auf einen Telefonanruf oder ein Schreiben der Klägerin hin dieser einen Ersatzarbeitsplatz zur Verfügung gestellt hätte. Dem steht schon entgegen, dass die Beklagte davon überzeugt war und ist, die Klägerin wegen der mit dieser vermeintlich getroffenen Ruhensvereinbarung an Schließtagen nicht beschäftigen zu müssen.
131c.
132Der Anspruch der Klägerin beträgt unter Ansatz einer täglichen Vergütung von 43,14 € brutto (9,76 € x 4,42 Stunden) und damit
133(1)für den Monat Februar 2012 bei 14 Arbeitstagen 603,96 € brutto,
134davon von der Klägerin - vermutlich wegen Rundungsdifferenzen - geltend gemacht 603,49 € brutto (Blatt 439R der Akte),
135darauf gezahlt von der Beklagten 195,00 €,
136ergibt eine Differenz von 408,49 €
137(2)für den Monat März 2012 bei 22 Arbeitstagen 949,08 € brutto,
138davon von der Klägerin geltend gemacht 948,35 € brutto (Bl. 441R der Akte),
139darauf gezahlt 330,00 €,
140ergibt eine Differenz von 618,35 €
141(3)für den Monat April 2012 bei 11 Arbeitstagen, 2 gesetzlichen Feiertagen und 8 weiteren Schließtagen während der Osterferien 905,94 € brutto,
142davon von der Klägerin geltend gemacht 905,24 € brutto (Blatt 443R der Akte),
143darauf gezahlt 165,00 €,
144ergibt eine Differenz von 740,24 €
145(4)für den Monat Mai 2012 bei 18 Arbeitstagen, 3 gesetzlichen Feiertagen und 2 weiteren Schließtagen (18.05., 29.05.) 992,22 € brutto,
146davon geltend gemacht 991,45 € brutto (Blatt 445R der Akte),
147darauf gezahlt 270,00 €,
148ergibt eine Differenz von 721,45 €
149(5)für den Monat Juni 2012 bei 19 Arbeitstagen, einem gesetzlichen Feiertag und einem Brückentag 905,94 € brutto,
150davon von der Klägerin geltend gemacht 905,24 brutto,
151darauf gezahlt 285,00 € (Blatt 122 der Akte),
152ergibt eine Differenz von 620,24 €
153(6)für den Monat Juli 2012 bei 5 Arbeitstagen und 17 Schließtagen während der Sommerferien 949,08 € brutto,
154davon geltend gemacht 948,35 € brutto (Blatt 448 der Akte),
155darauf gezahlt 75,00 €,
156ergibt eine Differenz von 873,35 €.
157Das sind in Summe aller Differenzen die von der Klägerin geltend gemachten 3.982,12 €.
1583.
159Dem Anspruch der Klägerin stehen keine Einwendungen entgegen.
160a.
161Die Klägerin hat auf ergänzende Lohnansprüche durch die am 18.07.2012 getroffene Vereinbarung nicht wirksam verzichtet. Die Vereinbarung ist gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam.
162aa.
163Die Vereinbarung stellt eine Allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne von § 305 Abs. 1 BGB dar. Sie enthält von der Beklagten vorformulierte Bedingungen, die die Beklagte nach eigenem Vortrag für eine Vielzahl von Arbeitsverträgen mit Kleinbusfahrern und Busbegleitungen aufgestellt und auch verwendet hat.
164bb.
165Die Vereinbarung beinhaltet ein konstitutives negatives Schuldanerkenntnis. Das ergibt ihre einheitliche Auslegung nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn anhand der Verständnismöglichkeiten verständiger und redlicher Vertragspartner und unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise (vgl. zum Auslegungsmaßstab BAG, Urteil vom 07.11.2007 - 5 AZR 880/06, NZA 2008, 355). Der Wille der Parteien ist darauf gerichtet, alle bekannten oder unbekannten Ansprüche zum Erlöschen zu bringen. Die Parteien gehen gerade nicht davon aus, dass das Arbeitsverhältnis bis zum 21.08.2012 ordentlich abgerechnet wurde, sondern sie "vereinbaren" dies "einvernehmlich". Demzufolge geht die Vereinbarung über den Inhalt eines bloß deklaratorischen Schuldanerkenntnisses hinaus. Es liegt andererseits aber auch kein Erlassvertrag vor, weil die Parteien nicht vom Bestehen einer bestimmten Schuld ausgehen, die übereinstimmend nicht mehr erfüllt werden soll, sondern lediglich der Geltendmachung für möglich gehaltener Ansprüche vorgebeugt werden soll (vgl. zur Abgrenzung BAG, Urteil vom 21.06.2011 - 9 AZR 203/10, NZA 2011, 1338).
166cc.
167Die Vereinbarung benachteiligt die Klägerin in unangemessener Weise im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.
168(1)Eine Inhaltskontrolle der Vereinbarung vom 18.07.2012 ist nicht gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB ausgeschlossen. Nach Maßgabe dieser Bestimmung findet § 307 Abs. 1, 2 BGB nur Anwendung, wenn durch Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Das bezweckt, die Hauptleistungspflichten im gegenseitigen Vertrag der AGB-Kontrolle zu entziehen (BAG, Urteil vom 21.06.2011 - 9 AZR 203/10, aaO). Die Vereinbarung vom 18.07.2012 betrifft das Äquivalenzverhältnis der Parteien nicht. Sie stellt eine Nebenbestimmung im Rahmen des bereits vorher bestandenen und auch nachher fortbestehenden Arbeitsverhältnisses der Parteien dar. Die Klägerin hat nicht die Vereinbarung vom 18.07.2012 unterzeichnet, um als "Gegenleistung" in den Genuss eines (inhaltlich sogar nachteiligen) schriftlichen Arbeitsvertrages zu kommen. Dem steht schon entgegen, dass eine urkundliche Verknüpfung beider Abreden nicht existiert und die Parteien am 18.07.2012 nach eigenem Vortrag der Beklagten im Rahmen der Berufungserwiderung erst den neuen Arbeitsvertrag und dann die Abgeltungsvereinbarung unterschrieben (vgl. Blatt 19 ff. der Berufungserwiderung).
169(2)Die Verzichtsvereinbarung ist unangemessen benachteiligend, weil sie faktisch ausschließlich zu Lasten der Klägerin wirkt und damit das im Schuldrecht verankerte und anerkannte Äquivalenzprinzip - auch ungeschriebene Rechtsgrundsätze gehören zu den Rechtsvorschriften im Sinne des § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB - verletzt. Die Klägerin hat wie ihre Kolleginnen und Kollegen ohne jegliche Kompensation auf ergänzende Lohnansprüche für die Vergangenheit verzichtet. Dabei handelt es sich, wie die in der Kammer anhängigen Parallelverfahren zeigen, in vielen Fällen um Zahlungsansprüche in fünfstelliger Höhe. Der Verzicht betrifft daher nicht nur geringfügige Ansprüche. Eine Kompensation liegt nicht darin, dass auch die Beklagte auf Forderungen verzichtet hat. Ansprüche aus Lohnüberzahlung etc., die im Zeitraum vom 10.02.2012 bis zum 18.07.2012 begründet worden sein könnten, scheiden ersichtlich aus. Absatz 2 der Vereinbarung bezieht sich zudem auf Absatz 1, der die Vereinbarung einer "ordentlichen Abrechnung" beinhaltet. Eine solche schuldet und nimmt nur die Beklagte vor, nicht aber die Klägerin. Von einem Geben und Nehmen kann im Ergebnis nicht einmal im Ansatz die Rede sein. Der von der Beklagten beschworene "Schlussstrich" unter die Vergangenheit verfolgte den alleinigen Zweck, die Beklagte vor immensen Nachforderungen von Busfahrern und Busbegleitungen wegen möglicher Sittenwidrigkeit des Lohnes, nicht gewährten bezahlten Erholungsurlaubs, unterbliebener Entgeltfortzahlung an Feiertagen und im Krankheitsfall etc. zu schützen.
170b.
171Die Ansprüche der Klägerin sind auch nicht verfallen, und zwar weder nach Maßgabe der zu Beginn des Arbeitsverhältnisses getroffenen mündlichen Vereinbarungen noch nach dem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 18.07.2012.
172aa.
173Die Geltung des Manteltarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer des privaten Omnibusgewerbes des Landes Nordrhein-Westfalen (im Folgenden MTV) und damit dessen § 21, der einstufige Ausschlussfristen von drei Monaten nach Fälligkeit für die Geltendmachung von Ansprüchen vorsieht, ist bei Einstellung der Klägerin nicht wirksam vereinbart worden.
174(1)Unter Berücksichtigung des Vortrags der Parteien kann zugunsten der Beklagten allenfalls unterstellt werden, dass die Parteien bei Einstellung der Klägerin vereinbart haben, dass die einschlägigen Tarifverträge und damit der MTV "im Übrigen" gelten sollen. In ihrem Schriftsatz vom 06.12.2012 stützt die Beklagte ihre Behauptung zur mündlichen Abrede wegen der Einbeziehung der Tarifverträge für die gewerblichen Arbeitnehmer des privaten Omnibusgewerbes des Landes Nordrhein-Westfalen nämlich darauf, dass die Klägerin diese "ausdrücklich schriftlich bestätigt" habe. In dem von der Klägerin unterzeichneten Schriftstück findet sich jedoch lediglich der Passus, das Arbeitsverhältnis unterliege den Tarifverträgen in ihrer jeweils letzten Fassung "im Übrigen". Von der Vereinbarung einer umfassenden Tarifgeltung ist hingegen nicht die Rede; eine solche ist von den Parteien unstreitig auch nicht gelebt worden.
175(2)Eine solche Vereinbarung, die die Beklagte standardmäßig mit allen Schulbusfahrern und Busbegleitungen geschlossen haben will und die auch als mündliche Abrede eine Allgemeine Geschäftsbedingung darstellt (vgl. BAG, Urteil vom 16.05.2012 - 5 AZR 331/11, NZA 2012, 908), ist gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam. Nach dieser Vorschrift kann sich die zur Unwirksamkeit einer Allgemeinen Geschäftsbedingung führende unangemessene Benachteiligung aus der mangelnden Klarheit und Verständlichkeit der Bedingung ergeben. Dieses Transparenzgebot schließt das Bestimmtheitsgebot ein. Der Vertragspartner des Klauselverwenders soll ohne fremde Hilfe Gewissheit über den Inhalt der vertraglichen Rechte und Pflichten erlangen können und nicht von der Durchsetzung bestehender Rechte abgehalten werden. Eine Klausel muss im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Zumutbaren die Rechte und Pflichten des Vertragspartners so klar und präzise wie möglich umschreiben. Sie verletzt das Bestimmtheitsgebot, wenn sie vermeidbare Unklarheiten und Spielräume enthält (BAG, Urteile vom 19.02.2014 - 5 AZR 700/12, NZA 2014, 1097; vom 22.02.2012 - 5 AZR 765/10, NZA 2012, 861). An diesen Grundsätzen gemessen ist die isolierte Vereinbarung einer Tarifvertragsgeltung "im Übrigen" intransparent. Sie lässt offen, welche Tarifvertragsbestimmungen im Einzelnen gelten sollen. Insbesondere wegen des Fehlens eines schriftlichen Arbeitsvertrages oder eines schriftlichen Nachweises im Sinne des NachwG wird der Klägerin die Einschätzung erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht, welche sonstigen Abreden neben der Tarifgeltung maßgeblich sein sollen. Es wäre der Beklagten ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen, der Klägerin entweder ein Gesamtregelwerk vorzulegen und die Bezugnahmeklausel in diese zu integrieren, oder zumindest klarzustellen, welche Tarifvertragsbestimmungen Geltung beanspruchen sollen.
176(3)Die Teilbezugnahmevereinbarung beinhaltet weiterhin einen Verstoß gegen § 307 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Sie benachteiligt die Klägerin unangemessen, weil sie die Klägerin mit der Anwendbarkeit nachteiliger tariflicher Bestimmungen wie etwa der Geltung von Ausschlussfristen belastet, ohne dieser die tarifvertraglichen Vorteile (Sonderzahlungen, verlängerter Urlaub etc.) zu gewähren. Für Tarifverträge gilt, dass Begünstigungen bei einzelnen Regelungen häufig um den Preis von Benachteiligungen durch andere Vorschriften erwirkt werden. Erst die Gesamtheit der Regelungen eines Tarifvertrags begründet grundsätzlich die Vermutung, dass dieser die divergierenden Interessen angemessen ausgleicht. Beschränkt sich die Inbezugnahme jedoch auf einzelne Vorschriften eines Tarifvertrags, entfällt zugleich die durch § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB erzeugte Privilegierung (BAG, Urteil vom 06.05.2009 - 10 AZR 390/08, NZA-RR 2009, 593).
177Es kommt im Ergebnis daher nicht darauf an, ob die Klägerin die wegen der Geltung der Ausschlussfrist des § 21 MTV und deren unstreitiger Nichteinhaltung verfallenen Ansprüche auf Zahlung ergänzenden Lohns im Wege des Schadensersatzes gleichwohl verlangen kann, weil die Beklagte es versäumt hat, der Klägerin entgegen den Bestimmungen des NachwG einen schriftlichen Nachweis ihrer Arbeitsbedingungen auszuhändigen, der einen Hinweis auf die Geltung der einschlägigen Tarifverträge für das private Omnibusgewerbe in Nordrhein-Westfalen enthält (vgl. § 2 Abs. 1 Ziffer 10 NachwG). Die Kammer bezweifelt jedoch, dass das Bestehen eines solchen Schadensersatzanspruchs mit der vom Arbeitsgericht genannten Begründung verneint werden kann, wegen der unstreitigen mündlichen Vereinbarung der Tarifgeltung sei die von der Rechtsprechung angenommene Kausalität zwischen Verfall und Nichtaushändigung des Nachweises (wegen der Vermutung aufklärungsgerechten Verhaltens, vgl. etwa BAG, Urteil vom 21.02.2012 - 9 AZR 486/10, NZA 2012, 750) nicht anzunehmen. Sinn und Zweck eines schriftlichen Nachweises der Arbeitsbedingungen ist es, dem Arbeitnehmer jederzeit eine Nachschau der geltenden, eventuell vor langer Zeit vereinbarten Arbeitsbedingungen zu ermöglichen. Diese Möglichkeit zu haben ist nicht dasselbe, wie in einem Arbeitsgerichtsprozess auf entsprechenden Vorhalt des Arbeitgebers und unter Ausschöpfung einer Überlegungszeit einräumen zu müssen oder zumindest nicht bestreiten zu können, es seien bestimmte Arbeitsbedingungen mündlich vereinbart gewesen. Es mag vielmehr ohne weiteres gerade das schriftliche In-den-Händen-Halten der Arbeitsbedingungen sein, die dem Arbeitnehmer verdeutlicht, was er tun kann und muss, um seine Rechte zu wahren.
178bb.
179Die Ansprüche der Klägerin für den Zeitraum bis zum 31.07.2012 sind auch nicht aufgrund von Ziffer 13 des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 18.07.2012 verfallen. Die Bestimmung betrifft diese Ansprüche nicht und ist überdies unwirksam.
180(1)Ziffer 13 Abs. 2 enthält eine eigenständige Regelung der zu beachtenden Ausschlussfrist; eine Verweisung auf § 21 MTV liegt nicht vor. Das ergibt die gebotene Auslegung des Vertrages der Parteien. Würde man nämlich letzteres annehmen wollen, verbliebe eine in sich widersprüchliche Regelung der Ausschlussfrist. Anders als die tarifvertragliche Bestimmung nimmt Ziffer 13 Abs. 2 Ansprüche aus unerlaubter Handlung nicht vom Verfall aus; auch die ausdrückliche Erstreckung auf Ansprüche der Beklagten fehlt. Abgesehen davon ist eine Inbezugnahme von Tarifverträgen "im Übrigen" nur so zu verstehen, dass diese nur dann gelten sollen, wenn der Arbeitsvertrag eine Arbeitsbedingung nicht selbst regelt. Genau das ist hier der Fall. Ausreichende Hinweise für ein nur deklaratorisches, aber unvollständiges "Abschreiben" des § 21 MTV liegen nicht vor.
181(2)Die Auslegung des Vertrages ergibt weiter, dass die Verfallklausel nur Ansprüche betrifft, die nach dem 21.08.2012 entstanden sind. Ziffer 5 sieht vor, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien am 22.08.2012 beginnt. Da das Arbeitsverhältnis aber bereits am 10.02.2012 begründet wurde und es zwischenzeitlich zu keiner Unterbrechung oder Beendigung kam, kann der Passus nur so verstanden werden, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch den schriftlichen Arbeitsvertrag zum 22.08.2012 auf eine gänzlich neue Basis gestellt werden sollte: Höherer Stundenlohn, verlängerte regelmäßige Arbeitszeit, aber etwa in Ziffer 7. auch eine vorher nicht bestehende Vertragsstrafenregelung. Warum Ziffer 13. des Vertrages vor diesem Hintergrund abweichend hiervon als einzige Vertragsbestimmung eine Rückanknüpfung auch für Altansprüche beinhalten soll, erschließt sich der Kammer nicht, so kann die Klausel aus Sicht redlicher und verständiger Vertragspartner unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise nicht verstanden werden. Das gilt erst Recht vor dem Hintergrund, dass sich die Beklagte jedenfalls am selben Tag die ebenfalls vorformulierte Verzichtserklärung von der Klägerin hat unterschreiben lassen, mit der aus Sicht der Beklagten bezweckt war, einen Schlussstrich unter alle diejenigen Ansprüche zu ziehen, die bis zum Beginn der Sommerferien möglicherweise entstanden und noch nicht erfüllt waren.
182(3)Ziffer 13 Abs. 2 des schriftlichen Arbeitsvertrages ist zudem unwirksam, da sie - als Allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne des § 305 Abs. 1 BGB - die Klägerin gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteiligt. Die Auslegung der Bestimmung lässt nämlich den Schluss zu, dass die Klausel - gerade wenn man sie mit der Bestimmung des § 21 MTV vergleicht - nur Ansprüche der Klägerin, nicht aber solche der Beklagten erfasst. Satz 1 der Regelung stellt ohne Nennung des Anspruchsinhabers "alle übrigen Ansprüche" neben diejenigen aus Mehrarbeit sowie auf Zahlung von Zulagen jeglicher Art. Diese Ansprüche kann aber nur die Klägerin haben. Ist damit zumindest mehrdeutig, ob die Verfallklausel einseitig oder beidseitig wirkt, ist nach dem Grundsatz der sog. gespaltenen Lösung zunächst die arbeitnehmerfeindlichste Auslegung zu wählen, um auf dieser Grundlage eine Inhaltskontrolle nach Maßgabe der §§ 307 ff. BGB durchzuführen (ErfK-Preis, 14. Aufl., §§ 305-310 BGB, Rdz. 31a), erst anschließend griffe die Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB. Ziffer 13 Abs. 2 des Arbeitsvertrages scheitert bereits auf der ersten Stufe. Das BAG hat bei einer einseitigen nur für Ansprüche des Arbeitnehmers geltenden Ausschlussfrist angenommen, der Arbeitgeber versuche damit missbräuchlich, sein eigenes Interesse an einer raschen Klärung offener Ansprüche ohne angemessenen Ausgleich durchzusetzen. Diese Benachteiligung des Arbeitnehmers sei sachlich nicht zu begründen. Es sei nicht ersichtlich, dass es für den Arbeitgeber schwerer möglich sei als für den Arbeitnehmer, Ansprüche durchzusetzen. Die einseitig den Arbeitnehmer treffende Erschwerung der Durchsetzung von Ansprüchen und der bei Fristversäumnis nur für den Arbeitnehmer vorgesehene völlige Anspruchsverlust widersprächen einer ausgewogenen Vertragsgestaltung (BAG, zuletzt im Urteil vom 21.06.2011 - 9 AZR 203/10, NZA 2011, 1338). Dieser Auffassung schließt sich die Kammer an.
183II.
184Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung einer Urlaubsabgeltung für zehn nicht in Anspruch genommene Tage Erholungsurlaubs in Höhe von 369,00 € brutto.
1851.
186Der Klägerin standen für das Kalenderjahr 2012 gemäß § 3 Abs. 1 BUrlG jedenfalls 20 Arbeitstage (bei der von ihr absolvierten 5-Tage-Woche) bezahlter Erholungsurlaub zu. Der volle Urlaubsanspruch wurde gemäß § 4 BUrlG mit Ablauf der Wartezeit am 10.08.2012 erworben. Eine Kürzung des Urlaubsanspruchs gemäß § 5 Abs. 1 lit. c) BUrlG scheidet aus, weil die Klägerin erst nach erfüllter Wartezeit am 31.10.2012 und damit in der zweiten Kalenderjahreshälfte ausgeschieden ist. Er reduziert sich jedoch um die 10 Tage im Oktober 2012, für die das Arbeitsgericht der Klägerin im angefochtenen Urteil bereits Urlaubsvergütung zugesprochen hat.
1872.
188Der Urlaubsanspruch der Klägerin wandelte sich mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG in einen Abgeltungsanspruch um. Ausschlussfristen bezüglich dessen Geltendmachung musste die Klägerin nicht beachten, weil solche - wie bereits oben ausgeführt - nicht wirksam vereinbart waren.
1893.
190Die Berechnung der Klägerin ist nicht zu beanstanden. Sie setzt einen Tageslohn von 36,90 € an, wie er sich nach Lesart der Klägerin aus dem am 18.07.2012 geschlossenen schriftlichen Arbeitsvertrag ergibt - 20,5 Wochenstunden : 5 Arbeitstage x 9,00 €/Stunde. Ob diese Auslegung des Arbeitsvertrages richtig ist oder die Wochenstundenzahl einen Maximalwert darstellte, wie die Beklagte behauptet, bedarf keiner Diskussion. Denn: Träfe die Darstellung der Beklagten zu, die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der Klägerin habe "bis zu" 20,5 Wochenstunden betragen sollen, läge eine unzulässige Bandbreitenregelung vor. Die Parteien hätten dann vereinbart, die Klägerin solle "im Bedarfsfall" nicht nur die täglichen Touren zur Traugott-Weise-Schule absolvieren müssen, deren Zeitumfang die Beklagte auf rund 10 Wochenstunden taxiert, sondern darüber hinaus weitere Fahrten von vergleichbarer Dauer - so sie denn anfallen.
191(1)Eine solche Vereinbarung ist als echte Individualabrede gemäß § 134 BGB unwirksam, weil sie der Beklagten ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht hinsichtlich der geschuldeten Hauptleistung der Klägerin einräumte und damit der Änderungskündigungsschutz des § 2 KSchG unterlaufen würde (vgl. BAG, Urteil vom 12.12.1984 - 7 AZR 509/83, NZA 1985, 321). Liegt hingegen - wovon auszugehen ist, weil die Beklagte "ca."-Bestimmungen der regelmäßigen Wochenarbeitszeit auch in diversen weiteren Formulararbeitsverträgen wie etwa denjenigen der Busbegleiterinnen T. und T. verwendet hat - eine für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingung vor, ergibt sich die Unwirksamkeit aus § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Die in der Klausel liegende Abrufmöglichkeit benachteiligt die Klägerin nämlich unangemessen, weil sie zu deren Lasten von § 615 BGB abweicht, nach dessen Maßgabe der Arbeitgeber das Risiko trägt, den Arbeitnehmer beschäftigen zu können, bzw. ihn bei Nichtbeschäftigung wegen Auftragsmangels gleichwohl vergüten zu müssen. Sie erlaubte der Beklagten, die Klägerin wöchentlich zwischen 10 und 20,5 Stunden zu beschäftigen. Ein derartiger Korridor ist selbst unter Berücksichtigung des berechtigten Wunsches der Parteien nach einer Flexibilisierung der Arbeitszeit nicht zuzulassen, weil der Klägerin die Planungssicherheit hinsichtlich des zukünftig zu erzielenden Arbeitseinkommens als Teil ihrer finanziellen Existenzgrundlage genommen wird (vgl. hierzu BAG, Urteil vom 07.12.2005 - 5 AZR 535/04, NZA 2006, 423, wonach der Abrufanteil nicht mehr als 25% der vertraglich vereinbarten Mindestarbeitszeit betragen darf). Dass wiederum die Dauer der zu absolvierenden Arbeitszeit allein vom Willen der Klägerin abhängen sollte, lässt sich dem Vortrag der Beklagten nicht entnehmen; eine solche Vorstellung erschiene auch lebensfremd.
192(2)Die wegen der Unwirksamkeit der Bestimmung durchzuführende ergänzende Vertragsauslegung führt zur Annahme einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von (mindestens) 20,5 Stunden. Dies hätten die Parteien bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien vereinbart, wenn sie die Unwirksamkeit von Ziffer 1.c) des Arbeitsvertrages vom 18.07.2012 gekannt hätten. Die Beklagte kann sich redlicherweise nicht darauf berufen, eine solche (Sockel-) Stundenzahl nicht vereinbart zu haben, wenn schon die regelmäßige Tour zur Traugott-Weise-Schule dieses Zeitkontingent ausschöpft. Dass dies der Fall ist, wurde oben unter 1.a.aa.aaa. gezeigt. Dabei ist unerheblich, dass hierin die "Leerfahrten" enthalten sind. Denn zum einen lässt sich auch dem Arbeitsvertrag vom 18.07.2012 und der im Anschluss gelebten Vertragspraxis nicht hinreichend entnehmen, dass diese Fahrten nicht Bestandteil der Arbeitszeit der Klägerin sein sollten. So hat die Beklagte etwa keine andere Einsatzstelle nach Ziffer 2. bekannt gegeben als diejenige, an der zuvor bereits der Einsatz der Klägerin begann (nämlich bei ihr zu Hause). Sie hat auch nicht klargestellt, was die "jeweils angewiesene Tour" im Sinne von Ziffer 8.A des Vertrages ist und dass es sich bei den Leerfahrten um Freizeit handelt. Die folgende Beschränkung auf die "reine Lenkzeit" musste die Klägerin nicht auf sich beziehen, da sie als Busbegleitung keine Fahrtätigkeit ausübt. In Konsequenz all dessen hat die Beklagte denn auch nach August 2012 davon abgesehen, die kostenlose Beförderung der Klägerin während der Leerfahrten als geldwerten Vorteil abzurechnen. Mehr noch: Sie ist selbst von einer täglichen Arbeitszeit der Klägerin von vier Stunden ausgegangen (vgl. die Abrechnung für August 2012 vom 11.09.2012, Blatt 124 der Akte: Vergütet wurden 32 Stunden zu je 9,00 € brutto, und das bei genau acht Einsatztagen zwischen dem 22.08. und dem 31.08.2012). Zum Zweiten ist zu berücksichtigen, dass bei einer Behandlung der "Besetztzeiten" als Arbeitszeit und der kostenlosen Rückbeförderung als geldwerter Vorteil nicht nur deutlich höhere Sozialversicherungsbeträge in der Gleitzone hätten entrichtet werden müssen, sondern sich für die Klägerin auch niedrigere Aufstockungsbeträge durch das Jobcenter ergeben hätten. Die Klägerin hat unbestritten vorgetragen, dass sie sich auf eine wirtschaftlich so ungünstige Vertragsgestaltung niemals eingelassen hätte (vgl. Blatt 14 des Schriftsatzes vom 24.03.2014).
193Dass sich bei dieser Betrachtung kein Abrufanteil in die regelmäßige Wochenarbeitszeit integrieren lässt, steht dem gefundenen Ergebnis nicht entgegen. Das Zeitkontingent von 20,5 Stunden gibt lediglich den festen Arbeitszeitsockel wieder. Eine Aufstockung um einen Abrufanteil von bis zu 25% wäre arbeitszeitrechtlich ohne weiteres zulässig. Damit würde dann zwar die Gleitzone verlassen mit der Konsequenz einer höheren Abgabenbelastung. Das ist aber aus Sicht der Klägerin eher hinzunehmen als für eine tatsächliche Arbeitsleistung nicht bezahlt zu werden.
194Es ist mithin davon auszugehen, dass die Klägerin an einem Arbeitstag, an dem sie wegen gewährten Erholungsurlaubs nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet war, zumindest 4,1 Stunden gearbeitet hätte. Wegen des den sog. "Zeitfaktor" bestimmenden Lohnausfallprinzips kommt es genau hierauf entscheidend an (vgl. hierzu etwa ErfK-Gallner, 14. Aufl., § 11 BUrlG, Rdz. 2a).
195III.
196Die Zinsforderung der Klägerin ist gemäß §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 2, 291 BGB begründet.
197C.
198Die Anschlussberufung der Beklagten ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen wird, zur ergänzenden Lohnzahlung in Höhe von 1.359,90 € brutto nebst Zinsen für die Monate August bis Oktober 2012 verurteilt. Soweit die Beklagte mit ihrer Anschlussberufung rügt, das Arbeitsgericht habe nicht eine tägliche Arbeitsleistung von 4,1 Stunden zugrunde legen dürfen, wird auf die Ausführungen unter oben B.II.3. verwiesen. Einem Entgeltanspruch für die Herbstferien im Oktober 2012 steht nicht entgegen, dass es an einem tatsächlichen oder wörtlichen Arbeitsangebot der Klägerin fehlte, weil sich die Beklagte hierauf nicht berufen kann (vgl. oben B.I.2.a.,b.). Das Arbeitsverhältnis der Parteien ruhte während der Ferienzeiten auch nicht, weil der der Klägerin zustehende Urlaubsanspruch noch nicht ausgeschöpft war.
199D.
200Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs.1, 97 Abs. 1 ZPO. Die Revisionszulassung beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Das Gericht hat mehreren entscheidungserheblichen Rechtsfragen (Aufschlag von 25% auf das Entgelt geringfügig Beschäftigter zur Herstellung der Vergleichbarkeit mit üblichen Bruttolöhnen im Rahmen der Sittenwidrigkeitsprüfung, Überprüfung der Zulässigkeit einer mündlichen Bezugnahme auf Tarifverträge "im Übrigen" nach AGB-Grundsätzen) grundsätzliche Bedeutung beigemessen.
201RECHTSMITTELBELEHRUNG
202Gegen dieses Urteil kann von der beklagten Partei
203R E V I S I O N
204eingelegt werden.
205Für die klagende Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
206Die Revision muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich oder in elektronischer Form beim
207Bundesarbeitsgericht
208Hugo-Preuß-Platz 1
20999084 Erfurt
210Fax: 0361-2636 2000
211eingelegt werden.
212Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
213Die Revisionsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
2141.Rechtsanwälte,
2152.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
2163.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
217In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
218Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
219Bezüglich der Möglichkeit elektronischer Einlegung der Revision wird auf die Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesarbeitsgericht vom 09.03.2006 (BGBl. I Seite 519) verwiesen.
220* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
Tenor
-
1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 6. Juni 2013 - 6 Sa 163/12 - wird zurückgewiesen.
-
2. Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
- 1
-
Die Parteien streiten über die Höhe der Ausbildungsvergütung für die Monate August 2009 bis Juli 2011.
- 2
-
Der Beklagte ist ein überörtlicher Ausbildungsverbund. Er organisierte Förderprogramme nach der Richtlinie für die Gewährung von Zuschüssen zur Förderung zusätzlicher Ausbildungsplätze im Rahmen des gemeinsamen Programms des Bundes und der neuen Länder „Zukunftsinitiative Lehrstellen“. Die Ausbildung erfolgte nicht bei dem Beklagten, sondern bei sogenannten Praxispartnern in der Privatwirtschaft. Die monatliche Ausbildungsvergütung sollte nach Ziff. 5 der Richtlinie unabhängig vom Ausbildungsberuf im ersten Ausbildungsjahr 210,00 Euro und im zweiten Ausbildungsjahr 217,00 Euro betragen.
- 3
-
Die Klägerin wurde von August 2009 bis Juli 2011 im Rahmen des Förderprogramms zur Verkäuferin ausgebildet und erhielt im ersten und zweiten Ausbildungsjahr die in Ziff. 5 der Richtlinie geregelte Ausbildungsvergütung. Das Ausbildungsverhältnis der Parteien endete im Juli 2011 mit dem Bestehen der Abschlussprüfung durch die Klägerin.
- 4
-
Mit der am 25. August 2011 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin für den Klagezeitraum weitere Ausbildungsvergütung iHv. insgesamt 2.316,00 Euro brutto beansprucht. Dazu hat sie die Auffassung vertreten, sie habe Anspruch auf Ausbildungsvergütung iHv. zwei Dritteln des BAföG-Satzes.
- 5
-
Die Klägerin hat beantragt,
-
die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.316,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
- 6
-
Zu seinem Klageabweisungsantrag hat der Beklagte die Auffassung vertreten, auch eine geringere Vergütung als zwei Drittel des BAföG-Satzes sei angemessen iSd. § 17 BBiG. Es handele sich um eine Fördermaßnahme, die vollständig aus öffentlichen Mitteln finanziert werde. In einem solchen Fall träten die mit der Ausbildungsvergütung verfolgten Zwecke der Sicherung des Lebensunterhalts und der Vergütung der erbrachten Leistung zurück. Die Begrenztheit der öffentlichen Mittel und das gesamtgesellschaftliche Interesse, möglichst vielen arbeitslosen Jugendlichen durch eine qualifizierte Berufsausbildung den Zugang zum Erwerbsleben zu eröffnen, rechtfertige eine deutlich geringere als die tarifliche Ausbildungsvergütung. Die Klägerin sei als eher schwer vermittelbar einzustufen. Sie habe die Ausbildung beenden können, obwohl zwei Praxispartner ihre weitere Ausbildung verweigert hätten. Auch habe die Klägerin die Möglichkeit gehabt, Berufsausbildungsbeihilfe zu beantragen. Die gezahlte Ausbildungsvergütung liege im Übrigen im Bereich von 80 vH der tariflichen Ausbildungsvergütung im ersten Ausbildungsjahr von zB Fleischern, Floristen, Friseuren oder Schuhmachern in den neuen Bundesländern im Jahr 2011.
- 7
-
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und der Klägerin nur 1.495,95 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31. August 2011 zugesprochen. Mit seiner Revision verfolgt der Beklagte das Ziel der vollständigen Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
- 8
-
Die zulässige Revision des Beklagten ist nicht begründet. Der Beklagte hat keinen revisiblen Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts aufgezeigt.
- 9
-
I. Das Landesarbeitsgericht hat die von dem Beklagten im Zeitraum von August 2009 bis Juli 2011 an die Klägerin gezahlte Ausbildungsvergütung als unangemessen iSd. § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG angesehen und den Beklagten verurteilt, an die Klägerin weitere 1.495,95 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31. August 2011 zu zahlen. Dabei hat es sich zur Ermittlung einer angemessenen Ausbildungsvergütung an dem Satz nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 BAföG orientiert.
- 10
-
II. Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG haben Auszubildende Anspruch auf eine angemessene Vergütung. § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG ist - wie schon die Vorgängernorm § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG in der bis zum 31. März 2005 geltenden Fassung (aF) - nur eine Rahmenvorschrift und legt den Maßstab für die Angemessenheit der Ausbildungsvergütung nicht selbst fest (BAG 22. Januar 2008 - 9 AZR 999/06 - Rn. 32, BAGE 125, 285; vgl. auch BT-Drs. V/4260 S. 9). Bei fehlender Tarifbindung ist es Aufgabe der Vertragsparteien, die Höhe der Vergütung zu vereinbaren. Sie haben dabei einen Spielraum. Die richterliche Überprüfung erstreckt sich nur darauf, ob die vereinbarte Vergütung die Mindesthöhe erreicht, die als noch angemessen anzusehen ist. Ob die Parteien den Spielraum gewahrt haben, ist unter Abwägung ihrer Interessen und unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls festzustellen. Maßgeblich dafür ist die Verkehrsanschauung (BAG 26. März 2013 - 3 AZR 89/11 - Rn. 10; 22. Januar 2008 - 9 AZR 999/06 - Rn. 33 mwN, aaO).
- 11
-
III. Die Beurteilung der Angemessenheit der Ausbildungsvergütung durch das Landesarbeitsgericht unterliegt nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht. Die „angemessene Vergütung“ iSd. § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG stellt einen unbestimmten Rechtsbegriff dar(vgl. zur Angemessenheit iSd. § 32 UrhG BVerfG 23. Oktober 2013 - 1 BvR 1842/11, 1 BvR 1 BvR 1843/11 - Rn. 84, BVerfGE 134, 204). Bezüglich seiner Anwendung ist revisionsrechtlich lediglich zu überprüfen, ob das Urteil das Bemühen um eine angemessene Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände erkennen lässt und ob das Landesarbeitsgericht gegen Rechtssätze, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat (vgl. zur angemessenen Entschädigung iSd. § 15 Abs. 2 AGG: BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 69; 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - Rn. 80 mwN, BAGE 129, 181).
- 12
-
IV. Dieser eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts stand.
- 13
-
1. Die in § 17 BBiG geregelte Ausbildungsvergütung hat regelmäßig drei Funktionen. Sie soll den Auszubildenden und seine unterhaltsverpflichteten Eltern bei der Lebenshaltung finanziell unterstützen, die Heranbildung eines ausreichenden Nachwuchses an qualifizierten Fachkräften gewährleisten und die Leistungen des Auszubildenden in gewissem Umfang „entlohnen“ (st. Rspr., zuletzt BAG 16. Juli 2013 - 9 AZR 784/11 - Rn. 12 mwN, BAGE 145, 371; vgl. auch BT-Drs. V/4260 S. 9).
- 14
-
2. Wichtigster Anhaltspunkt für die Verkehrsanschauung sind die einschlägigen Tarifverträge. Bei ihnen ist anzunehmen, dass das Ergebnis der Tarifverhandlungen die Interessen beider Seiten hinreichend berücksichtigt. Die Ergebnisse kollektiv ausgehandelter Tarifvereinbarungen haben die Vermutung der Angemessenheit für sich (BAG 21. Mai 2014 - 4 AZR 50/13 - Rn. 29 mwN). Nur wenn einschlägige tarifliche Regelungen fehlen, kann auf branchenübliche Sätze abgestellt oder eine der Verkehrsauffassung des betreffenden Gewerbezweigs entsprechende Vergütung zugrunde gelegt werden. In diesem Fall kann auf die Empfehlungen der Kammern oder der Handwerksinnungen zurückgegriffen werden (st. Rspr., zuletzt BAG 16. Juli 2013 - 9 AZR 784/11 - Rn. 13 mwN, BAGE 145, 371).
- 15
-
3. Die in ständiger Rechtsprechung angewandte Regel, nach der eine vertraglich vereinbarte Ausbildungsvergütung nicht mehr angemessen ist, wenn sie nicht mindestens 80 vH der einschlägigen tariflichen Vergütung erreicht, gilt allerdings nicht ausnahmslos. Wird die Ausbildung beispielsweise teilweise oder vollständig durch öffentliche Gelder oder Spenden zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze finanziert, kann eine Ausbildungsvergütung auch bei deutlichem Unterschreiten dieser Grenze noch angemessen sein (BAG 19. Februar 2008 - 9 AZR 1091/06 - Rn. 22 mwN, BAGE 126, 12). Entscheidend ist der mit der Ausbildung verfolgte Zweck (BAG 19. Februar 2008 - 9 AZR 1091/06 - Rn. 39, aaO). In solchen Fällen ist eine vom konkreten Ausbildungsbetrieb losgelöste Orientierung an den allgemeinen Lebenshaltungskosten vorzunehmen. Hierfür bietet § 12 BAföG einen Anhaltspunkt. Ein Betrag, der höher ist als zwei Drittel dieses Bedarfs, stellt jedenfalls noch einen erheblichen Beitrag zu den Lebenshaltungskosten dar (BAG 24. Oktober 2002 - 6 AZR 626/00 - zu III 4 der Gründe, BAGE 103, 171).
- 16
-
4. Allein die Tatsache, dass der Ausbildende nur über beschränkte finanzielle Mittel verfügt, rechtfertigt keine Ausnahme von der gesetzlichen Pflicht, eine angemessene Ausbildungsvergütung zu gewähren (vgl. BAG 23. August 2011 - 3 AZR 575/09 - Rn. 40 mwN, BAGE 139, 89). Die Angemessenheit der Ausbildungsvergütung hat sich nicht am Budget zu orientieren, sondern ist bereits bei der Vereinbarung des Budgets für die vorgesehene Anzahl von Ausbildungsplätzen zu berücksichtigen. Sonst würde der reguläre Ausbildungsmarkt verfälscht. Das darf selbst im Fall staatlich geförderter Ausbildungsplätze nicht geschehen (BAG 19. Februar 2008 - 9 AZR 1091/06 - Rn. 44 mwN, BAGE 126, 12).
- 17
-
5. Der Auszubildende trägt zwar als Anspruchsteller die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die vereinbarte Vergütung unangemessen ist. Er genügt jedoch seiner Darlegungslast regelmäßig damit, dass er sich auf die einschlägige tarifliche Vergütung stützt und vorbringt, seine Ausbildungsvergütung unterschreite diese um mehr als 20 vH. Der Ausbildende kann sich dann nicht auf den Vortrag beschränken, die von ihm gezahlte Vergütung sei angemessen. Er hat substanziiert zu begründen, weshalb im Einzelfall ein von den genannten Grundsätzen abweichender Maßstab gelten soll (BAG 19. Februar 2008 - 9 AZR 1091/06 - Rn. 35 mwN, BAGE 126, 12).
- 18
-
6. Diese Grundsätze hat das Landesarbeitsgericht bei der Ermittlung der angemessenen Ausbildungsvergütung berücksichtigt.
- 19
-
a) Es hat insbesondere zugunsten des Beklagten der Entscheidung zugrunde gelegt, dass er mithilfe öffentlicher Fördermittel zusätzliche Ausbildungsplätze schafft. Das Landesarbeitsgericht hat daher die Untergrenze einer angemessenen Ausbildungsvergütung der Klägerin nicht bei 80 vH der tariflichen Ausbildungsvergütung im entsprechenden Ausbildungsberuf angenommen.
- 20
-
b) Soweit das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen ist, der Beklagte sei zumindest verpflichtet, eine Ausbildungsvergütung in Höhe von zwei Dritteln des jeweiligen Betrags gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 BAföG zu zahlen, lässt dies keinen revisiblen Rechtsfehler erkennen.
- 21
-
aa) Zwar hat das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 24. Oktober 2002 offengelassen, welcher genaue Maßstab an die Lebenshaltungskosten anzulegen ist und wann konkret noch von einem erheblichen Beitrag gesprochen werden kann. Jedoch hat es festgestellt, dass ein Betrag, der höher ist als zwei Drittel des damaligen BAföG-Satzes (§ 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a BAföG aF), jedenfalls noch einen erheblichen Beitrag zu den Lebenshaltungskosten darstellt (BAG 24. Oktober 2002 - 6 AZR 626/00 - zu III 4 b der Gründe, BAGE 103, 171). Der Beklagte hat keine Aspekte aufgezeigt, aus denen zwingend folgt, dass für das Ausbildungsverhältnis der Klägerin eine geringere Ausbildungsvergütung angemessen war. Die Ausbildungsförderung nach dem BAföG orientiert sich an dem Bedarf des Auszubildenden und wird dementsprechend für den Lebensunterhalt und die Ausbildung geleistet (§ 11 Abs. 1 BAföG). Da die Ausbildungsvergütung nach § 17 Abs. 1 BBiG nur eine Unterstützung beim Lebensunterhalt darstellen soll, kann sie den BAföG-Satz auch unterschreiten, der den Bedarf grundsätzlich vollständig decken soll. Ist die Ausbildungsvergütung nicht einmal geeignet, auch nur zwei Drittel des Bedarfs zu decken, besteht die Gefahr, dass die Vergütung ihren Zweck nicht mehr erreichen kann. Eine Ausbildungsvergütung unterhalb dieser Grenze mag immer noch einen Beitrag zu den Lebenshaltungskosten darstellen, jedoch stellt es keinen Verstoß gegen allgemeine Erfahrungssätze dar, in einem solchen Fall die Erheblichkeit des Beitrags zu verneinen.
- 22
-
bb) Soweit der Beklagte in der Revisionsbegründung meint, entscheidend sei vorliegend, dass „die Förderung der Ausbildung zu 100 % aus öffentlichen Mitteln zur Verfügung gestellt wurde“, verkennt er, dass dieser Umstand durch das Landesarbeitsgericht berücksichtigt wurde. Diese Förderung war für das Landesarbeitsgericht Anlass, eine Ausbildungsvergütung von weniger als 80 vH der in einschlägigen Tarifverträgen vorgesehenen Ausbildungsvergütung noch für angemessen zu halten. Das Bundesarbeitsgericht hat in dem vom Beklagten herangezogenen Urteil vom 22. Januar 2008 klargestellt, dass die Förderung der Berufsausbildung durch die öffentliche Hand nicht ohne Weiteres den Schluss auf die Angemessenheit der gewährten Ausbildungsvergütung zulässt (BAG 22. Januar 2008 - 9 AZR 999/06 - Rn. 43, BAGE 125, 285). Soweit das Bundesarbeitsgericht im herangezogenen Urteil eine Orientierung an den Sätzen des SGB III für zulässig erachtet hat, ist zunächst zu beachten, dass auch die Tatsacheninstanzen die in jenem Fall gewährte Ausbildungsvergütung als angemessen angesehen hatten. Im Übrigen hat der Beklagte auch in der Revisionsbegründung nicht dargetan, dass die besonderen Umstände, die bei der Klägerin in jenem Fall festgestellt waren (vgl. BAG 22. Januar 2008 - 9 AZR 999/06 - Rn. 48 ff., BAGE 125, 285), auch bei der Klägerin vorlagen.
- 23
-
cc) Aus dem vom Beklagten vorgetragenen Umstand, dass es Tarifverträge in den neuen Bundesländern gebe, die Ausbildungsvergütungen im ersten Ausbildungsjahr regeln, die geringer sind als zwei Drittel des BAföG-Satzes, musste das Landesarbeitsgericht nicht schließen, dass für das Berufsausbildungsverhältnis der Parteien ebenfalls eine geringere Vergütung angemessen war. Dies folgt schon daraus, dass die angeführten Tarifverträge in Bezug auf das Ausbildungsverhältnis mit der Klägerin fachlich nicht einschlägig waren.
- 24
-
dd) Ob im Hinblick auf § 17 Abs. 1 Satz 2 BBiG für das zweite Ausbildungsjahr eine höhere Ausbildungsvergütung geboten gewesen wäre, bedurfte mangels eines Anschlussrechtsmittels der Klägerin keiner Entscheidung.
- 25
-
V. Der Beklagte hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
-
Brühler
Krasshöfer
Klose
Faltyn
Kranzusch
Tenor
-
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 30. November 2010 - 6 Sa 66/10 - wird zurückgewiesen.
-
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
- 1
-
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger die Zahlung einer höheren Ausbildungsvergütung verlangen kann.
- 2
-
Der Kläger wurde in der Zeit vom 1. August 2005 bis zum 31. Januar 2009 im Betrieb der Beklagten in L zum Konstruktionsmechaniker, Fachrichtung Stahl- und Metallbau, ausgebildet. Die Beklagte stellt dort mit etwa 400 überwiegend in der Produktion beschäftigten Arbeitnehmern Spezialtankfahrzeuge für die Chemie-, Lebensmittel- und Mineralölindustrie her. Darüber hinaus produziert sie dort Silo-, Tank- und Gaseisenbahnwaggons sowie Container aus Aluminium und Edelstahl. Die Fahrzeuge werden nahezu ausschließlich auftragsbezogen nach den Bedürfnissen der Kunden konstruiert und hergestellt. Die Beklagte verfügt daneben über eine Betriebsstätte an ihrem Hauptsitz in W, in der etwa 300 Arbeitnehmer überwiegend in der Verwaltung beschäftigt sind. Die Beklagte stellt jährlich ca. 1.200 Fahrzeuge her und erwirtschaftete im Jahr 2004 einen Umsatz iHv. etwa 115 Mio. Euro; im Jahr 2006 belief sich der Umsatz auf 160 Mio. Euro. Die Beklagte ist nicht tarifgebunden.
- 3
-
Dem Ausbildungsverhältnis der Parteien lag der Berufsausbildungsvertrag vom 10. Juni 2005 zugrunde, der ua. bestimmt, dass der Ausbildende dem Auszubildenden eine Vergütung zahlt, die monatlich 310,00 Euro brutto im ersten, 340,00 Euro brutto im zweiten, 390,00 Euro brutto im dritten und 400,00 Euro brutto im vierten Ausbildungsjahr beträgt.
- 4
-
Die zwischen dem Verband der Metall- und Elektroindustrie Sachsen-Anhalt e.V. und der IG Metall-Bezirksleitung Niedersachsen und Sachsen-Anhalt abgeschlossenen Tarifverträge über Löhne, Gehälter und Ausbildungsvergütungen der Metall- und Elektroindustrie in Sachsen-Anhalt (im Folgenden: ETV-Metall) sahen im streitgegenständlichen Zeitraum eine monatliche Ausbildungsvergütung iHv. 647,00 Euro brutto im ersten, 725,00 Euro bzw. 755,00 Euro brutto im zweiten, 820,00 Euro bzw. 834,00 Euro brutto im dritten und 893,00 Euro bzw. 937,33 Euro brutto im vierten Ausbildungsjahr vor. Nach dem von den Landesinnungsverbänden und der CGM abgeschlossenen Tarifvertrag über Ausbildungsvergütungen für das Karosserie- und Fahrzeugbauerhandwerk in den Ländern Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen vom 6. Mai 2004 (im Folgenden: TV-Fahrzeugbauerhandwerk) betrug die monatliche Ausbildungsvergütung 250,00 Euro brutto im ersten, 276,00 Euro brutto im zweiten, 327,00 Euro brutto im dritten und 368,00 Euro brutto im vierten Ausbildungsjahr.
- 5
-
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die vereinbarte Ausbildungsvergütung sei nicht angemessen iSd. § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG, da sie die tarifliche Ausbildungsvergütung nach dem ETV-Metall um mehr als 20 vH unterschreite. Die sich während der Dauer seiner Ausbildung ergebende Differenz zwischen der vereinbarten Ausbildungsvergütung und der tariflichen nach dem ETV-Metall belaufe sich auf insgesamt 15.859,36 Euro brutto. Der ETV-Metall sei der einschlägige Tarifvertrag für die Beurteilung der Angemessenheit der Ausbildungsvergütung. Der von der Beklagten unterhaltene Betrieb sei der Metallindustrie zuzurechnen und unterfalle deshalb dem fachlichen Geltungsbereich des ETV-Metall. Die Beklagte stelle ihre Produkte industriell unter Nutzung von Maschinen und mit klassischer Arbeitsteilung her und sei kein Unternehmen des Spezialfahrzeugbauhandwerks.
- 6
-
Der Kläger hat beantragt,
-
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 15.859,36 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 3. Juni 2009 zu zahlen.
- 7
-
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die vereinbarte Ausbildungsvergütung sei angemessen iSd. § 17 Abs. 1 BBiG. Sie habe sich an dem TV-Fahrzeugbauerhandwerk vom 6. Mai 2004 orientiert und die danach vorgesehene Ausbildungsvergütung leicht erhöht. Ihr Betrieb unterfalle dem fachlichen Geltungsbereich des TV-Fahrzeugbauerhandwerk, da es sich um einen Handwerksbetrieb und nicht um einen Industriebetrieb handele.
- 8
-
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag weiter. Die Beklagte begehrt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
- 9
-
Die Revision ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht kein weiterer Vergütungsanspruch nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG zu. Die dem Kläger von der Beklagten gewährte Ausbildungsvergütung ist nicht unangemessen.
- 10
-
1. Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG haben Auszubildende Anspruch auf eine angemessene Vergütung. § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG ist - wie schon die Vorgängernorm in § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG in der bis zum 31. März 2005 geltenden Fassung (aF) - nur eine Rahmenvorschrift und legt den Maßstab für die Angemessenheit der Ausbildungsvergütung nicht selbst fest (BAG 22. Januar 2008 - 9 AZR 999/06 - Rn. 32, BAGE 125, 285; vgl. auch BT-Drucks. V/4260 S. 9). Bei fehlender Tarifbindung ist es Aufgabe der Vertragsparteien, die Höhe der Vergütung zu vereinbaren. Sie haben dabei einen Spielraum. Die richterliche Überprüfung erstreckt sich nur darauf, ob die vereinbarte Vergütung die Mindesthöhe erreicht, die als noch angemessen anzusehen ist. Ob die Parteien den Spielraum gewahrt haben, ist unter Abwägung ihrer Interessen und unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls festzustellen. Maßgeblich dafür ist die Verkehrsanschauung (BAG 22. Januar 2008 - 9 AZR 999/06 - Rn. 33 mwN, aaO).
- 11
-
a) Wichtigster Anhaltspunkt für die Verkehrsanschauung sind die einschlägigen Tarifverträge. Bei ihnen ist anzunehmen, dass das Ergebnis der Tarifverhandlungen die Interessen beider Seiten hinreichend berücksichtigt. Eine Ausbildungsvergütung, die sich an einem entsprechenden Tarifvertrag ausrichtet, gilt deswegen stets als angemessen (BAG 22. Januar 2008 - 9 AZR 999/06 - Rn. 34, BAGE 125, 285; 15. Dezember 2005 - 6 AZR 224/05 - Rn. 11 f., AP BBiG § 10 Nr. 15 = EzA BBiG § 10 Nr. 11; 8. Mai 2003 - 6 AZR 191/02 - zu II 2 der Gründe, AP BBiG § 10 Nr. 14 = EzA BBiG § 10 Nr. 10). Eine Ausbildungsvergütung ist in der Regel nicht angemessen iSv. § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG, wenn sie die in einem einschlägigen Tarifvertrag enthaltenen Vergütungen um mehr als 20 vH unterschreitet(BAG 22. Januar 2008 - 9 AZR 999/06 - aaO).
- 12
-
Auch bei nicht tarifgebundenen Parteien ist es sachgerecht, vorrangig Tarifverträge als Vergleichsmaßstab heranzuziehen und nicht etwaige Empfehlungen der Kammern und Innungen. Diese sind nicht von Vertretern der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite ausgehandelt und bieten damit nicht die gleiche Gewähr für die angemessene Berücksichtigung der Interessen beider Seiten wie Tarifverträge (BAG 15. Dezember 2005 - 6 AZR 224/05 - Rn. 13, AP BBiG § 10 Nr. 15 = EzA BBiG § 10 Nr. 11). Nur wenn tarifliche Regelungen fehlen, kann auf branchenübliche Sätze abgestellt oder eine der Verkehrsauffassung des betreffenden Gewerbezweigs entsprechende Vergütung zugrunde gelegt werden. In diesem Fall kann auf die Empfehlungen der Kammern oder Handwerksinnungen zurückgegriffen werden (BAG 15. Dezember 2005 - 6 AZR 224/05 - Rn. 12, aaO).
- 13
-
Die einschlägige tarifliche Vergütung bestimmt sich nicht danach, für welchen Ausbildungsberuf die Ausbildung erfolgt. Entscheidend ist die fachliche Zuordnung des Ausbildungsbetriebs (vgl. BAG 15. Dezember 2005 - 6 AZR 224/05 - AP BBiG § 10 Nr. 15 = EzA BBiG § 10 Nr. 11).
- 14
-
b) Der Auszubildende trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die vereinbarte Ausbildungsvergütung unangemessen ist. Er genügt seiner Darlegungslast regelmäßig damit, dass er sich auf die einschlägige tarifliche Vergütung - oder falls es eine solche nicht gibt - auf Empfehlungen von Kammern und Innungen stützt und darlegt, dass die ihm gezahlte Vergütung um mehr als 20 vH darunter liegt (vgl. BAG 19. Februar 2008 - 9 AZR 1091/06 - Rn. 35, BAGE 126, 12; 25. Juli 2002 - 6 AZR 311/00 - zu I 4 der Gründe, AP BBiG § 10 Nr. 11 = EzA BBiG § 10 Nr. 9).
- 15
-
2. Danach ist die von der Beklagten gezahlte Ausbildungsvergütung nicht unangemessen. Sie unterschreitet die in dem TV-Fahrzeugbauerhandwerk bestimmte Ausbildungsvergütung nicht um mehr als 20 vH, sondern übersteigt diese. Für die Frage der Angemessenheit der vereinbarten Ausbildungsvergütung iSv. § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG ist - entgegen der Auffassung der Revision - auf den TV-Fahrzeugbauerhandwerk und nicht auf den ETV-Metall abzustellen. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Ausbildungsbetrieb weise handwerkliche Elemente auf. Der Kläger habe nicht hinreichend dargelegt, dass die Beklagte einen Industriebetrieb führe. Diese Würdigung weist keine revisiblen Rechtsfehler auf.
- 16
-
a) Die Frage, ob ein Betrieb ein Handwerksbetrieb oder ein Industriebetrieb ist, kann nur nach dem Gesamtbild des Betriebs beantwortet werden (vgl. BAG 27. Juni 1984 - 5 AZR 25/83 - zu II 2 a der Gründe). Die Abgrenzung hat nicht in erster Linie nach gewerberechtlichen, handelsrechtlichen oder betriebswirtschaftlichen Kriterien zu erfolgen, sondern vorrangig danach, ob die überwiegende Tätigkeit der Arbeitnehmer im Betrieb eine handwerkliche oder nicht handwerkliche ist (vgl. BAG 11. März 1981 - 4 AZR 1022/78 - BAGE 35, 133, 137). Deshalb ist von einem Handwerksbetrieb nicht schon dann auszugehen, wenn der Gewerbebetrieb in die Handwerksrolle eingetragen ist. Zwar stellt die Eintragung in die Handwerksrolle, insbesondere wenn sie mit Zustimmung der Industrie- und Handelskammer erfolgt ist, ein wesentliches Kriterium für die Handwerkseigenschaft dar. Der jeweilige Betrieb muss aber nicht nur formell, sondern auch materiell den Anforderungen eines Handwerksbetriebs entsprechen (vgl. BAG 27. Juni 1984 - 5 AZR 25/83 - zu II 2 c der Gründe). Dafür ist entscheidend, dass die Handfertigkeit der am Produktionsprozess beteiligten Mitarbeiter prägend für die Produktherstellung ist, die dabei eingesetzten Maschinen und technischen Hilfsmittel nur der Erleichterung der händischen Tätigkeit, dh. der Unterstützung der Handfertigung, dienen und durch ihren Einsatz nicht wesentliche Kenntnisse und Fertigkeiten des Handwerks entbehrlich werden. Der Handwerksbetrieb zeichnet sich gegenüber dem Industriebetrieb dadurch aus, dass die Produktion von dem Können sowie den Fertigkeiten zumindest einer Vielzahl der beschäftigten Arbeitnehmer und nicht von dem Einsatz der solche Arbeitnehmer ersetzenden Maschinen abhängt und die Arbeitsteilung nicht so weit fortgeschritten ist, dass jede einzelne Arbeitskraft nur bestimmte - in der Regel immer wiederkehrende - und eng begrenzte Teilarbeiten auszuführen hat, wie dies in einem Industriebetrieb der Fall ist. Für eine handwerksmäßige Betriebsweise spricht es daher, wenn überwiegend fachlich qualifizierte, handwerklich ausgebildete Arbeitskräfte beschäftigt werden (vgl. BAG 27. Juni 1984 - 5 AZR 25/83 - zu II 2 g der Gründe). Allerdings darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die technische Entwicklung dazu geführt hat, dass auch Handwerksbetriebe, um wettbewerbsfähig bleiben zu können, in zunehmendem Maße auf die Verwendung von Maschinen und vorgefertigtem Material angewiesen sind (vgl. BVerwG 1. April 2004 - 6 B 5.04 - GewArch 2004, 488; Günther GewArch 2012, 16 mwN). Die Nutzung von technischen Hilfsmitteln spricht daher nicht zwingend für einen Industriebetrieb und gegen einen Handwerksbetrieb. Erst wenn die Technisierung zur Folge hat, dass wesentliche Kenntnisse und Fertigkeiten des betreffenden Handwerks durch den Einsatz von Maschinen entbehrlich werden und kein Raum mehr für das handwerkliche Können bleibt, spricht dies gegen eine handwerksmäßige Betriebsform und für einen Industriebetrieb (vgl. BAG 27. Juni 1984 - 5 AZR 25/83 - zu II 2 d der Gründe). Steht das handwerkliche Element im Vordergrund, liegt auch dann ein Handwerksbetrieb vor, wenn es sich um einen umsatz- und personalstarken Betrieb handelt (sog. Betrieb des „Großhandwerks“). Auch eine auftragsbezogene Produktion von Waren für bestimmte Kunden spricht für einen Handwerksbetrieb (BAG 11. März 1981 - 4 AZR 1022/78 - aaO; 2. November 1960 - 1 AZR 251/58 - AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 8).
- 17
-
Die Beurteilung der Frage, ob ein Betrieb dem Handwerk zuzuordnen ist oder ob es sich um einen Industriebetrieb handelt, obliegt in erster Linie den Gerichten der Tatsacheninstanzen. Ihnen kommt insoweit ein Beurteilungsspielraum zu, der nur einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung unterliegt (BAG 13. April 2011 - 10 AZR 838/09 - Rn. 23, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 330).
- 18
-
b) Dieser eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts stand.
- 19
-
aa) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Ausbildungsbetrieb weise - unstreitig - handwerkliche Elemente auf. Aus dem Vortrag des Klägers lasse sich nicht ableiten, dass eine industrielle Fertigung im Vordergrund stehe. Angesichts des detaillierten Sachvortrags der Beklagten zu den Fertigungsvorgängen hinsichtlich der von ihr überwiegend hergestellten Tank- und Silofahrzeuge für den Straßenverkehr hätte es dem Kläger oblegen, die von ihm behauptete Fließbandproduktion detailliert darzulegen. Sein Vortrag zur Vorratsmontage von Containern stehe dem Vorbringen der Beklagten, es würden keine Containerfahrzeuge ohne Kundenauftrag gefertigt, nicht entgegen. Der Umstand, dass die Beklagte, um bei einem eingehenden Auftrag kurzfristig reagieren zu können, bestimmte Teile bereits vorfertigen lasse, gebe der Herstellung der Spezialfahrzeuge noch kein industrielles Gepräge. Das folge auch nicht aus dem Einsatz von Schweißautomaten und -robotern. Auch insoweit habe der Kläger nicht substantiiert darzulegen vermocht, dass dadurch die von ihm eingeräumten handwerklichen Elemente nicht mehr die Produktion individuell ausgerüsteter Fahrzeuge nach Wunsch des einzelnen Kunden präge. Bei der Herstellung von mehr als 1.000 Fahrzeugen pro Jahr sei der Einsatz dieser Maschinen angesichts der Art des Produktes kein Indiz für eine industrielle Fertigung, zumal die Beklagte darauf hingewiesen habe, dass kein Fahrzeug ohne konkreten Kundenauftrag gefertigt werde. Auch die Unterhaltung einer eigenen Reparaturabteilung, in der die produzierten Fahrzeuge sowohl in Stand gesetzt als auch nach Kundenauftrag modernisiert und umgebaut werden, stehe der Annahme, der Betrieb werde durch eine industrielle Fahrzeugproduktion geprägt, entgegen. Schließlich fehle substantiierter Sachvortrag des Klägers zum Einsatz der gewerblichen Arbeitnehmer in Form einer arbeitsteiligen Arbeit. Der Kläger sei auch dem Vortrag der Beklagten, sie setze überwiegend ausgebildete Schlosser und Schweißer ein, nicht entgegen getreten. Es sei nicht ausreichend, wenn der Kläger die Voraussetzungen für die Zuordnung des Betriebs zum Fahrzeugbauerhandwerk bestreite; vielmehr habe er Tatsachen vorzutragen, aus denen sich die von ihm behauptete Zuordnung zur Metallindustrie ergebe. Daran fehle es.
- 20
-
bb) Diese Würdigung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Landesarbeitsgericht ist von den zutreffenden Begriffen des Industrie- und Handwerksbetriebs ausgegangen. Es hat bei seiner Subsumtion den Sachvortrag der Parteien vollständig berücksichtigt und den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum eingehalten. Seine Würdigung, der Kläger habe nicht ausreichend dargelegt, dass die Beklagte einen Industriebetrieb führe, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Revisible Rechtsfehler werden von der Revision nicht aufgezeigt und sind auch sonst nicht ersichtlich.
- 21
-
(1) Der Kläger hat in der Revision nicht aufgezeigt, dass das Landesarbeitsgericht seinen Sachvortrag zum Einsatz von Maschinen und zur Arbeitsteilung im Betrieb der Beklagten nicht oder unzureichend berücksichtigt hat. Er hat nicht geltend gemacht, substantiierten Sachvortrag dazu gehalten zu haben, dass die Arbeitsteilung im Betrieb der Beklagten so weit fortgeschritten ist, dass die Arbeitskräfte regelmäßig nur bestimmte, immer wiederkehrende und eng begrenzte Teilarbeiten auszuführen haben. Er hat sich insoweit auf eine abteilungsbezogene Produktion und einen fehlenden abteilungsübergreifenden Personaleinsatz berufen. Dies bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass die Arbeitsteilung so ausgeprägt ist, dass die abteilungsbezogen beschäftigten Mitarbeiter nur bestimmte, regelmäßig wiederkehrende und begrenzte Teilarbeiten auszuführen haben. Auch unter Berücksichtigung der Auffassung des Klägers, die Konstruktion und Fertigung der Fahrzeuge nach einem individuell gestalteten Kundenauftrag sei nicht handwerksspezifisch, sondern werde auch in Unternehmen industrieller Prägung praktiziert, erscheint die Würdigung des Landesarbeitsgerichts nicht rechtsfehlerhaft. Die auftragsbezogene Fertigung ist für sich allein kein für das Vorliegen eines Handwerksbetriebs ausschlaggebendes Kriterium. Vielmehr ist sie - wie vom Landesarbeitsgericht angenommen - ein in die Würdigung einzustellender Gesichtspunkt, der jedenfalls nicht charakteristisch für einen Industriebetrieb ist. Das Landesarbeitsgericht hat auch zu Recht erkannt, dass der beträchtliche Jahresumsatz und die Betriebsgröße sowie die Zahl der bei der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer nicht maßgeblich für einen Industriebetrieb und gegen einen Handwerksbetrieb sprechen.
- 22
-
(2) Entgegen der Auffassung der Revision musste das Landesarbeitsgericht aus dem Vortrag des Klägers, die Geschäftsführer der Beklagten hätten mangels handwerklicher Fähigkeiten weder die Möglichkeit noch seien sie in der Lage, im Betrieb persönlich mitzuarbeiten und diesen im handwerklich-fachlichen Bereich zu überwachen, keine abweichenden Schlüsse ziehen. Mit der Novellierung der Handwerksordnung durch das Dritte Gesetz zur Änderung der Handwerksordnung und anderer handwerksrechtlicher Vorschriften vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2934) wurde das Betriebsinhaberprinzip durch das Betriebsleiterprinzip ersetzt. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 HandwO kann die fachliche Betriebsleitung nunmehr auf einen Angestellten übertragen werden, sofern dieser die Befähigungsvoraussetzungen erfüllt(vgl. zum Ganzen Günther GewArch 2012, 16, 18 f. mwN). Dass die Geschäftsführer der Beklagten ggf. mangels eigener handwerklicher Fähigkeiten nicht persönlich im Betrieb mitarbeiten und diesen nicht in fachlich-handwerklicher Sicht leiten sowie überwachen können, spricht daher nicht für das Vorliegen eines Industriebetriebs. Da die Beklagte in die Handwerksrolle eingetragen ist und eine Eintragung in die Handwerksrolle nur erfolgt, wenn der Betriebsleiter seine Befähigung durch die bestandene Meisterprüfung (vgl. § 7 Abs. 1a HandwO), durch bestandene, der Meisterprüfung gleichwertige Prüfungen (vgl. § 7 Abs. 2 und Abs. 9 HandwO)oder aufgrund von Ausübungsberechtigungen, Ausnahmebewilligungen und sonstigen Bescheinigungen nach Maßgabe des § 7 Abs. 2a, Abs. 3 und Abs. 7 HandwO nachgewiesen hat, ist davon auszugehen, dass die Beklagte über einen Betriebsleiter mit der erforderlichen Befähigung verfügt. Gegenteiliges hat auch der Kläger nicht behauptet.
- 23
-
(3) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist auch nicht deshalb rechtsfehlerhaft, weil die Beklagte nicht nur in die Handwerksrolle eingetragen, sondern auch Mitglied der IHK ist. Gemäß § 2 Abs. 3 IHKG gehören juristische Personen, die in der Handwerksrolle eingetragen sind, mit ihrem nicht handwerklichen oder nicht handwerksähnlichen Betriebsteil der IHK an. Aus der Zugehörigkeit zur IHK kann auch nicht geschlossen werden, dass in dem Betrieb der Beklagten die industrielle Fertigung überwiegt und das handwerkliche Element von untergeordneter Bedeutung ist. Eine Beitragspflicht gegenüber der IHK besteht gemäß § 3 Abs. 4 IHKG nur, wenn der Gewerbebetrieb der in der Handwerksrolle eingetragenen juristischen Person nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert und der Umsatz des nicht handwerklichen oder handwerksähnlichen Betriebsteils 130.000,00 Euro übersteigt. Angesichts eines von der Beklagten im Jahr 2006 erzielten Jahresumsatzes iHv. ca. 160 Mio. Euro ist die Überschreitung der Umsatzgrenze von 130.000,00 Euro, bezogen auf den nicht handwerklichen oder nicht handwerksähnlichen Betriebsteil, ohne Aussagekraft.
- 24
-
3. Der Kläger hat die Kosten seiner erfolglosen Revision gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
-
Gräfl
Schlewing
Spinner
Lohre
C. Reiter
(1) Arbeitgeber und Arbeitnehmer können vereinbaren, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung entsprechend dem Arbeitsanfall zu erbringen hat (Arbeit auf Abruf). Die Vereinbarung muss eine bestimmte Dauer der wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit festlegen. Wenn die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nicht festgelegt ist, gilt eine Arbeitszeit von 20 Stunden als vereinbart. Wenn die Dauer der täglichen Arbeitszeit nicht festgelegt ist, hat der Arbeitgeber die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers jeweils für mindestens drei aufeinander folgende Stunden in Anspruch zu nehmen.
(2) Ist für die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nach Absatz 1 Satz 2 eine Mindestarbeitszeit vereinbart, darf der Arbeitgeber nur bis zu 25 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit zusätzlich abrufen. Ist für die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nach Absatz 1 Satz 2 eine Höchstarbeitszeit vereinbart, darf der Arbeitgeber nur bis zu 20 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit weniger abrufen.
(3) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Zeitrahmen, bestimmt durch Referenzstunden und Referenztage, festzulegen, in dem auf seine Aufforderung hin Arbeit stattfinden kann. Der Arbeitnehmer ist nur zur Arbeitsleistung verpflichtet, wenn der Arbeitgeber ihm die Lage seiner Arbeitszeit jeweils mindestens vier Tage im Voraus mitteilt und die Arbeitsleistung im Zeitrahmen nach Satz 1 zu erfolgen hat.
(4) Zur Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist die maßgebende regelmäßige Arbeitszeit im Sinne von § 4 Absatz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes die durchschnittliche Arbeitszeit der letzten drei Monate vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit (Referenzzeitraum). Hat das Arbeitsverhältnis bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit keine drei Monate bestanden, ist der Berechnung des Entgeltfortzahlungsanspruchs die durchschnittliche Arbeitszeit dieses kürzeren Zeitraums zugrunde zu legen. Zeiten von Kurzarbeit, unverschuldeter Arbeitsversäumnis, Arbeitsausfällen und Urlaub im Referenzzeitraum bleiben außer Betracht. Für den Arbeitnehmer günstigere Regelungen zur Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall finden Anwendung.
(5) Für die Berechnung der Entgeltzahlung an Feiertagen nach § 2 Absatz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes gilt Absatz 4 entsprechend.
(6) Durch Tarifvertrag kann von Absatz 1 und von der Vorankündigungsfrist nach Absatz 3 Satz 2 auch zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden, wenn der Tarifvertrag Regelungen über die tägliche und wöchentliche Arbeitszeit und die Vorankündigungsfrist vorsieht. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages können nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen über die Arbeit auf Abruf vereinbaren.
Tenor
-
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 16. Februar 2011 - 17 Sa 622/10 - aufgehoben.
-
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
- 1
-
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Versetzung und einer hilfsweise ausgesprochenen Änderungskündigung.
-
Die 1966 geborene Klägerin ist verheiratet und hat zwei Kinder. Sie trat im Jahre 1990 als Purserette (Kabinenchefin) in die Dienste der S Fluggesellschaft mbH (im Folgenden: S GmbH). Die S GmbH war eine Tochtergesellschaft der Beklagten, die ein Bedarfsflugunternehmen mit über 2000 Arbeitnehmern an mehreren Standorten in Deutschland betreibt und ihren Hauptsitz in der Nähe von Frankfurt am Main hat. Im Arbeitsvertrag der Klägerin vom 26. September 1990 heißt es ua.:
-
„Einsatzort ist grundsätzlich Frankfurt/Main.
S kann Frau ... auch vorübergehend oder auf Dauer auf einem anderen Flugzeugmuster, an einem anderen Ort sowie befristet bei einem anderen Unternehmen einsetzen.“
- 3
-
Nach Übergang des Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte teilte diese der Klägerin im Oktober 1995 mit, sie freue sich, ihr mit Wirkung zum 1. November 1995 „eine Stationierung in Hannover“, zunächst befristet bis zum 30. April 1996, anbieten zu können. Danach war die Klägerin - mit rund 40 weiteren Piloten, Pursern und Flugbegleitern - bis zum Ausspruch der Versetzung durchgehend in Hannover stationiert, wo die Beklagte auch Passagierflugzeuge vorhielt und von wo aus sie Flüge durchführte.
- 4
-
Aus organisatorischen Gründen beginnt und endet der Einsatz der Crews bei der Beklagten nicht durchweg an ihrem Stationierungsort. In den Fällen, in denen der Einsatz von anderen Flughäfen aus erfolgt und auch dort endet, hat die Beklagte nach den anwendbaren tarifvertraglichen Regelungen die erforderlichen Transporte zu gewährleisten und die Transportzeiten als Arbeitszeit zu bezahlen (Dead-Head-Kosten).
-
Nachdem die Beklagte ihr Flugprogramm ab Hannover seit Mai 2008 zumindest erheblich reduziert hatte, schloss sie am 7. Juli 2009 mit der nach § 117 Abs. 2 BetrVG eingerichteten Personalvertretung eine „Vereinbarung über die Beendigung der Stationierung von Cockpit-Kabinenpersonal in Hannover“. Die Präambel lautet:
-
„C beabsichtigt, am Ende des Kalenderjahres 2009 den Stationierungsort Hannover für das fliegende Personal aufzugeben. Hierdurch fallen an diesem Stationierungsort insgesamt 43 Arbeitsplätze für das fliegende Personal (5 Flugkapitäne, 1 Copilot, 10 Purser, 27 Flugbegleiter) mit einem Vollzeitäquivalent von 33,9 Stellen weg. Dies ist im Hinblick auf die dauerhafte Streichung von regelmäßigen An- und Abflügen ex Hannover unumgänglich.“
- 6
-
Um den von der Stationsschließung betroffenen Mitarbeitern weiterhin den Einsatz ab Hannover zu ermöglichen, hatte sich die Beklagte mit Schreiben vom 12. März 2009 an die bei ihr in Hannover stationierten Flugbegleiter und Purser gewandt und ihnen angeboten, als Flugbegleiter - nicht jedoch als Purser - mit Stationierungsort Hannover für die Tochtergesellschaft B GmbH zu fliegen. Einzelheiten regelte ein von der Beklagten mit der Personalvertretung abgeschlossener „Teilinteressenausgleich Kabine über die Beendigung der Stationierung von Cockpit- und Kabinenpersonal am Flughafen Hannover“ vom 13. März 2009. Die Klägerin teilte der Beklagten Mitte März 2009 mit, dass sie an einer Wechselmöglichkeit zur B GmbH sehr interessiert sei, jedoch nicht als Flugbegleiterin, sondern nur als Purserette.
- 7
-
Nach Beteiligung der Personalvertretung, die sich nicht äußerte, versetzte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 17. September 2009 mit Wirkung zum 1. Januar 2010 unter Beibehaltung ihrer bisherigen Funktion als Purserette von Hannover nach Frankfurt am Main. Hilfsweise kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis betriebsbedingt zum nächstmöglichen Termin unter gleichzeitigem Angebot der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ab dem 1. April 2010 mit der Maßgabe, dass Stationierungsort nunmehr Frankfurt am Main sein solle. Dieses Angebot nahm die Klägerin unter Vorbehalt an.
- 8
-
Die Klägerin hat die Versetzung für unwirksam gehalten. Als Arbeitsort sei vertraglich Hannover vereinbart. Das Weisungsrecht der Beklagten umfasse nicht die Befugnis, den Arbeitsort einseitig zu ändern. Die Vertragsklausel, auf die sich die Beklagte stütze, sei unwirksam. Sie verstoße gegen § 307 BGB. Die Änderungskündigung sei sozial ungerechtfertigt. Auch bei vollständiger Schließung des Stationierungsorts Hannover könne die Klägerin von dort aus eingesetzt werden, gegebenenfalls bei der Tochtergesellschaft B GmbH.
-
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
-
1.
die Beklagte zu verurteilen, sie über den 1. Januar 2010 hinaus zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Purserette am Standort Hannover weiterzubeschäftigen,
2.
festzustellen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen gemäß der Änderungskündigung vom 17. September 2009 sozial ungerechtfertigt und rechtsunwirksam ist.
- 10
-
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Als „Arbeitsort“ sei für die Klägerin vertraglich nicht Hannover festgelegt. Die 1995 erfolgte Zuordnung der Klägerin zum Flughafen Hannover habe das Direktionsrecht der Beklagten nicht eingeschränkt. Die Beklagte hat behauptet, sie habe die Flüge von und nach Hannover seit Mitte 2008 aufgrund erheblicher Buchungsrückgänge nahezu vollständig gestrichen. Während die in Hannover stationierten Mitarbeiter bis Anfang 2008 weit überwiegend auch von Hannover aus eingesetzt worden seien, ohne dass es eines sog. Dead-Head bedurft hätte, seien im Jahr 2009 nahezu sämtliche Einsätze nach vorheriger Dead-Head-Anreise erfolgt. Ab Mai 2008 habe es durchschnittlich nur noch zwei Legs (Flüge) von bzw. nach Hannover gegeben. Im Jahre 2009 hätten die in Hannover stationierten Mitarbeiter zu 90 % ihrer Einsätze an andere Flughäfen gebracht werden müssen. Hierdurch seien monatliche Mehrkosten in Höhe von 96.950,00 Euro wegen zusätzlicher Dead-Head-Transporte, Übernachtungskosten und Bezahlung zusätzlicher Einsatztage entstanden. Die Ende des Jahres 2008 getroffene unternehmerische Entscheidung, die Station Hannover zu schließen, werde seit Januar 2010 auch umgesetzt. Seitdem würden keine Arbeitnehmer mehr von Hannover aus eingesetzt.
-
Das Arbeitsgericht hat nach den Klageanträgen erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
- 12
-
Die Revision ist begründet. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung kann die Klage keinen Erfolg haben. Ob die von der Beklagten ausgesprochene Versetzung wirksam ist, steht noch nicht fest (unter A). Das vertragliche Weisungsrecht der Beklagten umfasst die Befugnis, der Klägerin einen anderen Einsatzort als den bisherigen zuzuweisen (unter A I). Ob die Beklagte von ihrem Weisungsrecht einen dem Gesetz entsprechenden, billiges Ermessen wahrenden Gebrauch gemacht hat, konnte der Senat mangels ausreichender Feststellungen nicht entscheiden (unter A II). Die Revision führt daher zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Sollte es noch auf die Wirksamkeit der Änderungskündigung ankommen, kann die Klage auch insoweit mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung keinen Erfolg haben (unter B).
- 13
-
A. Mit der von ihm gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht nicht die Unwirksamkeit der von der Beklagten ausgesprochenen Versetzung annehmen. Ob die Versetzung von Hannover nach Frankfurt am Main unwirksam ist, steht noch nicht fest.
- 14
-
I. Das vertragliche Weisungsrecht der Beklagten umfasst die Befugnis, der Klägerin nach Maßgabe des § 106 GewO einen anderen Einsatzort als den bisherigen zuzuweisen.
- 15
-
1. Bei der Prüfung der Wirksamkeit einer Versetzung, die auf Regelungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen gemäß § 305 ff. BGB beruht, ist zunächst durch Auslegung der Inhalt der vertraglichen Regelungen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu ermitteln (im Einzelnen: BAG 25. August 2010 - 10 AZR 275/09 - Rn. 17 bis 31, AP GewO § 106 Nr. 11 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 49). Festzustellen ist, ob ein bestimmter Tätigkeitsinhalt und Tätigkeitsort vertraglich festgelegt sind und welchen Inhalt ein ggf. vereinbarter Versetzungsvorbehalt hat (BAG 19. Januar 2011 - 10 AZR 738/09 - Rn. 12, AP BGB § 307 Nr. 50 = EzA GewO § 106 Nr. 7).
- 16
-
a) Allgemeine Geschäftsbedingungen sind dabei nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei nicht die Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern die des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Ansatzpunkt für die nicht am Willen der konkreten Vertragspartner zu orientierende Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist der Wortlaut eines Formularvertrags nicht eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus der Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist, wobei der Vertragswille verständiger und redlicher Vertragspartner beachtet werden muss (zB BAG 10. Dezember 2008 - 10 AZR 1/08 - Rn. 14, AP BGB § 307 Nr. 40 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 40). Von Bedeutung für das Auslegungsergebnis sind ferner der von den Vertragsparteien verfolgte Regelungszweck sowie die der jeweils anderen Seite erkennbare Interessenlage der Beteiligten (BAG 9. Juni 2010 - 5 AZR 332/09 - Rn. 36, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 121 = EzA BGB 2002 § 611 Arbeitnehmerbegriff Nr. 18).
- 17
-
b) Bei der Auslegung der vertraglichen Bestimmungen ist zu beachten, dass die Bestimmung eines Orts der Arbeitsleistung in Kombination mit einer im Arbeitsvertrag durch Versetzungsvorbehalt geregelten Einsatzmöglichkeit im gesamten Unternehmen regelmäßig die vertragliche Beschränkung auf den im Vertrag genannten Ort der Arbeitsleistung verhindert (BAG 19. Januar 2011 - 10 AZR 738/09 - Rn. 15, AP BGB § 307 Nr. 50 = EzA GewO § 106 Nr. 7; 13. April 2010 - 9 AZR 36/09 - Rn. 27, AP BGB § 307 Nr. 45 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 47; Preis/Genenger NZA 2008, 969, 970). Es macht keinen Unterschied, ob im Arbeitsvertrag auf eine Festlegung des Orts der Arbeitsleistung verzichtet und diese dem Arbeitgeber im Rahmen von § 106 GewO vorbehalten bleibt oder ob der Ort der Arbeitsleistung bestimmt, aber die Möglichkeit der Zuweisung eines anderen Orts vereinbart wird. In diesem Fall wird lediglich klargestellt, dass § 106 Satz 1 GewO gelten und eine Versetzungsbefugnis an andere Arbeitsorte bestehen soll.
- 18
-
c) Fehlt es an einer Festlegung des Inhalts oder des Orts der Leistungspflicht im Arbeitsvertrag, ergibt sich der Umfang der Weisungsrechte des Arbeitgebers aus § 106 GewO. Auf die Zulässigkeit eines darüber hinaus vereinbarten Versetzungsvorbehalts kommt es dann nicht an. Weist der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen anderen Arbeitsort zu, so unterliegt dies der Ausübungskontrolle gemäß § 106 Satz 1 GewO, § 315 Abs. 3 BGB.
- 19
-
2. Die Auslegung des Arbeitsvertrags der Klägerin ergibt, dass ihr Einsatzort nicht vertraglich festgelegt ist.
- 20
-
a) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts haben die Parteien einen Formularvertrag geschlossen, auf den die Vorschriften über Allgemeine Geschäftsbedingungen nach § 305 ff. BGB zur Anwendung kommen. Die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen durch das Berufungsgericht unterliegt der vollen revisionsrechtlichen Nachprüfung (BAG 24. Oktober 2007 - 10 AZR 825/06 - Rn. 15, BAGE 124, 259).
- 21
-
b) Der schriftliche Arbeitsvertrag vom 26. September 1990 enthält keine Festlegung des Arbeitsorts. Es heißt dort, der Einsatzort sei „grundsätzlich“ Frankfurt am Main, der Arbeitgeber könne die Klägerin „auch vorübergehend oder auf Dauer … an einem anderen Ort … einsetzen“. Damit ist hinreichend klargestellt, dass die Bestimmung des Einsatzorts im Vertrag lediglich die erstmalige Ausübung des Weisungsrechts in Bezug auf den Arbeitsort darstellt. Daran konnte für die Beteiligten kein Zweifel bestehen.
- 22
-
c) Auch durch die Mitteilung der Beklagten vom 13. Oktober 1995 ist keine vertragliche Festlegung des Arbeitsorts erfolgt. Nach dem Schreiben wurde der Stationierungsort auf Wunsch der Klägerin von Frankfurt am Main nach Hannover verlegt. Diese im Schreiben selbst als „Versetzung“ bezeichnete Maßnahme hielt sich im Rahmen der durch den Arbeitsvertrag beschriebenen Grenzen des Weisungsrechts. Die Vertragsbedingungen sollten - abgesehen von der Versetzung - ausdrücklich unverändert bleiben.
- 23
-
d) Der Arbeitsvertrag hat sich im Hinblick auf den Arbeitsort nicht dadurch auf Hannover konkretisiert, dass die Klägerin bis zur Versetzung nach Frankfurt am Main rund 14 Jahre dort tätig gewesen ist. Eine den Arbeitsvertrag abändernde Vereinbarung haben die Parteien nicht - insbesondere auch nicht stillschweigend - getroffen.
- 24
-
aa) Es ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen, dass Arbeitspflichten sich, ohne dass darüber ausdrückliche Erklärungen ausgetauscht werden, nach längerer Zeit auf bestimmte Arbeitsbedingungen konkretisieren (vgl. BAG 17. August 2011 - 10 AZR 202/10 - Rn. 19 mwN, EzA GewO § 106 Nr. 9). Die Nichtausübung des Direktionsrechts über einen längeren Zeitraum schafft aber regelmäßig keinen Vertrauenstatbestand dahingehend, dass der Arbeitgeber von diesem vertraglich und/oder gesetzlich eingeräumten Recht in Zukunft keinen Gebrauch mehr machen will. Die Nichtausübung des Direktionsrechts hat keinen Erklärungswert. Nur beim Hinzutreten besonderer Umstände, aufgrund derer der Arbeitnehmer darauf vertrauen darf, dass er nicht in anderer Weise eingesetzt werden soll, kann es durch konkludentes Verhalten zu einer vertraglichen Beschränkung der Ausübung des Direktionsrechts kommen (BAG 17. August 2011 - 10 AZR 202/10 - aaO).
- 25
-
bb) Derartige besondere Umstände hat die Klägerin nicht vorgetragen. Dass die Beklagte im Jahre 1995 auf den Wunsch der Klägerin nach Versetzung eingegangen ist und sie in Hannover stationiert hat, konnte für sich genommen keinen Vertrauenstatbestand begründen und keine Konkretisierung der Arbeitspflicht auf diesen Arbeitsort bewirken, da der Arbeitsvertrag - abgesehen von der durch Versetzung erfolgten Stationierung in Hannover - unverändert weiter galt.
- 26
-
e) Der Auffassung des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe sich durch die Versetzungsklausel ein über § 106 GewO hinausgehendes Versetzungsrecht vorbehalten, kann der Senat nicht zustimmen. Legt der Arbeitsvertrag, wie im Streitfall, den Ort der Arbeitsleistung nicht fest, so unterliegt ein zusätzlich im Arbeitsvertrag enthaltener Versetzungsvorbehalt keiner gesonderten Inhaltskontrolle. Die Grenzen des Weisungsrechts ergeben sich in diesem Fall unmittelbar aus § 106 GewO. Die Vorschrift beinhaltet die Entscheidung des Gesetzgebers über die Frage, welchen Anforderungen die Ausübung des Weisungsrechts in den Fällen gerecht werden muss, in denen der Arbeitsvertrag das Weisungsrecht nicht weiter ausdehnt, als es im Gesetz vorausgesetzt ist. Da § 106 GewO gerade auch die Bestimmung des Arbeitsorts der Weisungsmacht des Arbeitgebers zuordnet, kann eine nicht darüber hinausgehende vertragliche Zuweisung des Bestimmungsrechts nicht mit den Grundgedanken der gesetzlichen Regelung über das Weisungsrecht in Widerstreit treten. Die vom Landesarbeitsgericht missbilligte Vertragsklausel räumt nach ihrem Wortlaut, insbesondere hinsichtlich des Arbeitsorts, dem Arbeitgeber keine über § 106 GewO hinausgehenden Rechte ein. Mit ihr ist nicht gesagt, dass die Beklagte etwa ohne Ausübung billigen Ermessens den Ort der Arbeitsleistung einseitig verändern könnte.
- 27
-
II. Ob die Beklagte von ihrem Weisungsrecht einen § 106 GewO, § 315 BGB entsprechenden, billiges Ermessen wahrenden Gebrauch gemacht hat, konnte der Senat mangels ausreichender Feststellungen nicht entscheiden.
- 28
-
1. Dem Inhaber des Bestimmungsrechts nach § 315 Abs. 1 BGB verbleibt für die rechtsgestaltende Leistungsbestimmung ein nach billigem Ermessen auszufüllender Spielraum. Innerhalb des Spielraums können dem Bestimmungsberechtigten mehrere Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Dem Gericht obliegt nach § 315 Abs. 3 BGB die Prüfung, ob der Arbeitgeber als Gläubiger die Grenzen seines Bestimmungsrechts beachtet hat(vgl. BGH 18. Oktober 2007 - III ZR 277/06 - Rn. 20, BGHZ 174, 48). Das Landesarbeitsgericht hat, von seinem Standpunkt aus folgerichtig, die Entscheidung der Beklagten nicht in diesem Sinne überprüft. Das wird es nachzuholen haben und dabei die nachfolgenden Maßgaben beachten müssen.
- 29
-
2. Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen (§ 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB) verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit.
- 30
-
a) In die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Hierzu gehören die Vorteile aus einer Regelung, die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien, die beiderseitigen Bedürfnisse, außervertragliche Vor- und Nachteile, Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie soziale Lebensverhältnisse, wie familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen (BAG 13. April 2010 - 9 AZR 36/09 - Rn. 40, AP BGB § 307 Nr. 45 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 47; 21. Juli 2009 - 9 AZR 404/08 - Rn. 22, EzA TVG § 4 Luftfahrt Nr. 18; so bereits auch: 28. November 1989 - 3 AZR 118/88 - zu II 1 a der Gründe, BAGE 63, 267). Eine soziale Auswahl wie im Falle des § 1 Abs. 3 KSchG findet nicht statt. Soweit es auf die Zumutbarkeit des neu zugewiesenen Arbeitsorts ankommt, kann aus den sozialrechtlichen Regeln über die Zumutbarkeit einer Beschäftigung kein belastbarer Maßstab für die arbeitsrechtliche Beurteilung des Ermessensgebrauchs nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB bei einer Versetzung abgeleitet werden(vgl. BAG 17. August 2011 - 10 AZR 202/10 - Rn. 22, 25, EzA GewO § 106 Nr. 9).
- 31
-
b) Zugunsten der Beklagten wird im Streitfall deren vom Landesarbeitsgericht festgestellte unternehmerische Entscheidung zur Schließung des Standorts Hannover mit einem erheblichen Gewicht in die Abwägung einzubeziehen sein. Die Beklagte hat hierfür wirtschaftliche Erwägungen von beträchtlicher Tragweite, so zB andernfalls eintretende finanzielle Mehrbelastungen in Höhe von nahezu 100.000,00 Euro monatlich geltend gemacht, die ihrer Maßnahme auch angesichts der für die Klägerin damit verbundenen Nachteile ein ausreichendes Maß an Plausibilität verleihen und sie deshalb nicht als missbräuchlich oder willkürlich erscheinen lassen, wie auch das Landesarbeitsgericht erkannt hat.
- 32
-
c) Das Landesarbeitsgericht wird sein Augenmerk ferner darauf richten müssen, dass die Beklagte mit der Personalvertretung maßgebliche Abmilderungen der für die Arbeitnehmer entstehenden Mehraufwendungen an Freizeit und Fahrtkosten vereinbart hat. Andererseits ist festzustellen, welche konkreten Auswirkungen die Versetzung für die Klägerin hat, insbesondere in welchem Umfang Fahrten nach und von Frankfurt am Main anfallen. Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte verlagere in unbilliger Weise das Risiko, für die Transportkosten zum Einsatzort aufkommen zu müssen, auf die Arbeitnehmer, dürfte dagegen schwerlich zutreffen. Offenbar ist die tariflich vorgesehene Übernahme der Dead-Head-Kosten durch die Beklagte vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Besatzungen im Regelfall die Arbeit am jeweils festgelegten Dienstort aufnehmen und die Bezahlung der Dead-Head-Kosten die Ausnahme bildet. Ob der Beklagten eine Beschäftigung der Klägerin an einem anderen, für die Klägerin günstigeren Einsatzort möglich war und ob persönliche Verhältnisse auf Seiten der Klägerin von Gewicht vorhanden sind, die die Entscheidung der Beklagten als unbillig erscheinen lassen, ist bisher nicht ersichtlich.
- 33
-
d) Die vom Landesarbeitsgericht im Zusammenhang mit der Überprüfung der Änderungskündigung ins Feld geführte Möglichkeit, der Klägerin vorübergehend die befristete Beschäftigung als Purserette bei der Tochtergesellschaft B GmbH zuzuweisen, kann nicht als die Klägerin weniger belastende Maßnahme in Betracht kommen. Solange - wie im Streitfall - eine unbefristete vertragsgemäße Weiterbeschäftigung beim bisherigen Arbeitgeber möglich ist, ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, dem Arbeitnehmer eine befristete Beschäftigung bei einem anderen Unternehmen zuzuweisen.
- 34
-
B. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über die nur hilfsweise ausgesprochene Änderungskündigung war ebenfalls aufzuheben. Sollte das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis kommen, dass die Versetzung unwirksam ist, wird es erneut über die Wirksamkeit der Änderungskündigung zu entscheiden haben und dabei die nachfolgenden Erwägungen zugrunde legen müssen.
- 35
-
I. Eine betriebsbedingte Änderungskündigung ist nur wirksam, wenn sich der Arbeitgeber bei Vorliegen eines Kündigungsgrundes darauf beschränkt hat, solche Änderungen vorzuschlagen, die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muss. Im Rahmen von § 1 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 2 KSchG ist dabei zu prüfen, ob das Beschäftigungsbedürfnis für den Arbeitnehmer zu den bisherigen Vertragsbedingungen entfallen ist(st. Rspr., vgl. zuletzt BAG 29. September 2011 - 2 AZR 451/10 - Rn. 17, AP KSchG 1969 § 2 Nr. 151 = EzA KSchG § 2 Nr. 82; 10. September 2009 - 2 AZR 822/07 - Rn. 24, BAGE 132, 78). Ob der Arbeitnehmer eine ihm vorgeschlagene Änderung billigerweise hinnehmen muss, ist nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu ermitteln. Die Änderungen müssen geeignet und erforderlich sein, um den Inhalt des Arbeitsvertrags den geänderten Beschäftigungsmöglichkeiten anzupassen. Diese Voraussetzungen müssen für alle Vertragsänderungen vorliegen. Ausgangspunkt ist die bestehende vertragliche Regelung. Die angebotenen Änderungen dürfen sich nicht weiter vom bisherigen Inhalt des Arbeitsverhältnisses entfernen, als dies zur Erreichung des angestrebten Ziels erforderlich ist (BAG 29. September 2011 - 2 AZR 451/10 - aaO; 10. September 2009 - 2 AZR 822/07 - aaO).
- 36
-
II. Danach dürfte die Änderungskündigung aus dringenden betrieblichen Erfordernissen gerechtfertigt sein.
- 37
-
1. Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, dass die bisherige Beschäftigungsmöglichkeit für die Klägerin entfallen ist. Die Beklagte hat, ohne dass Anzeichen für Missbräuchlichkeit oder Willkür erkennbar wären, beschlossen, den Standort Hannover, an dem die Klägerin bisher beschäftigt war, zu schließen.
-
2. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts durfte sich die Beklagte bei ihrem Änderungsangebot darauf beschränken, der Klägerin nur solche Vertragsänderungen anzutragen, die aufgrund des Wegfalls der bisherigen Beschäftigungsmöglichkeit erforderlich waren. Die vom Landesarbeitsgericht als weniger einschneidend angesehene befristete Beschäftigung bei ihrer Tochtergesellschaft musste die Beklagte der Klägerin nicht anbieten. Jedenfalls solange eine unbefristete Weiterbeschäftigung möglich ist, muss der Arbeitgeber nicht die befristete Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber anbieten. Dies gilt schon deshalb, weil dieses Angebot Vertragsänderungen umfassen würde, die über den durch den Wegfall der bisherigen Beschäftigungsmöglichkeit veranlassten Umfang an Vertragsänderungen hinausgingen. Die Beklagte ist ihrer Verpflichtung nachgekommen, bei Bestehen mehrerer Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten diejenige anzubieten, die für den Arbeitnehmer als die günstigste erscheint (vgl. BAG 22. September 2005 - 2 AZR 519/04 - Rn. 29, BAGE 116, 7).
-
Mikosch
W. Reinfelder
Schmitz-Scholemann
Schürmann
R. Bicknase
(1) Arbeitgeber und Arbeitnehmer können vereinbaren, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung entsprechend dem Arbeitsanfall zu erbringen hat (Arbeit auf Abruf). Die Vereinbarung muss eine bestimmte Dauer der wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit festlegen. Wenn die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nicht festgelegt ist, gilt eine Arbeitszeit von 20 Stunden als vereinbart. Wenn die Dauer der täglichen Arbeitszeit nicht festgelegt ist, hat der Arbeitgeber die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers jeweils für mindestens drei aufeinander folgende Stunden in Anspruch zu nehmen.
(2) Ist für die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nach Absatz 1 Satz 2 eine Mindestarbeitszeit vereinbart, darf der Arbeitgeber nur bis zu 25 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit zusätzlich abrufen. Ist für die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nach Absatz 1 Satz 2 eine Höchstarbeitszeit vereinbart, darf der Arbeitgeber nur bis zu 20 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit weniger abrufen.
(3) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Zeitrahmen, bestimmt durch Referenzstunden und Referenztage, festzulegen, in dem auf seine Aufforderung hin Arbeit stattfinden kann. Der Arbeitnehmer ist nur zur Arbeitsleistung verpflichtet, wenn der Arbeitgeber ihm die Lage seiner Arbeitszeit jeweils mindestens vier Tage im Voraus mitteilt und die Arbeitsleistung im Zeitrahmen nach Satz 1 zu erfolgen hat.
(4) Zur Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist die maßgebende regelmäßige Arbeitszeit im Sinne von § 4 Absatz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes die durchschnittliche Arbeitszeit der letzten drei Monate vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit (Referenzzeitraum). Hat das Arbeitsverhältnis bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit keine drei Monate bestanden, ist der Berechnung des Entgeltfortzahlungsanspruchs die durchschnittliche Arbeitszeit dieses kürzeren Zeitraums zugrunde zu legen. Zeiten von Kurzarbeit, unverschuldeter Arbeitsversäumnis, Arbeitsausfällen und Urlaub im Referenzzeitraum bleiben außer Betracht. Für den Arbeitnehmer günstigere Regelungen zur Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall finden Anwendung.
(5) Für die Berechnung der Entgeltzahlung an Feiertagen nach § 2 Absatz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes gilt Absatz 4 entsprechend.
(6) Durch Tarifvertrag kann von Absatz 1 und von der Vorankündigungsfrist nach Absatz 3 Satz 2 auch zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden, wenn der Tarifvertrag Regelungen über die tägliche und wöchentliche Arbeitszeit und die Vorankündigungsfrist vorsieht. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages können nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen über die Arbeit auf Abruf vereinbaren.
(1) Das Urteilsverfahren findet in den in § 2 Abs. 1 bis 4 bezeichneten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten Anwendung.
(2) Für das Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs gelten die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Verfahren vor den Amtsgerichten entsprechend, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt. Die Vorschriften über den frühen ersten Termin zur mündlichen Verhandlung und das schriftliche Vorverfahren (§§ 275 bis 277 der Zivilprozeßordnung), über das vereinfachte Verfahren (§ 495a der Zivilprozeßordnung), über den Urkunden- und Wechselprozeß (§§ 592 bis 605a der Zivilprozeßordnung), über die Musterfeststellungsklage (§§ 606 bis 613 der Zivilprozessordnung), über die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 128 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung) und über die Verlegung von Terminen in der Zeit vom 1. Juli bis 31. August (§ 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung) finden keine Anwendung. § 127 Abs. 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe Anwendung, dass die sofortige Beschwerde bei Bestandsschutzstreitigkeiten unabhängig von dem Streitwert zulässig ist.
(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.
(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.
(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.
(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.
(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.