Bundesgerichtshof Urteil, 10. Juni 2015 - 2 StR 97/14

bei uns veröffentlicht am10.06.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 9 7 / 1 4
vom
10. Juni 2015
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1
Die rechtsstaatswidrige Provokation einer Straftat durch Angehörige von Strafverfolgungsbehörden
oder von ihnen gelenkte Dritte hat regelmäßig ein Verfahrenshindernis
zur Folge.
BGH, Urteil vom 10. Juni 2015 - 2 StR 97/14 - LG Bonn
1.
2.
wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Grund der Verhandlung vom
6. Mai 2015 in der Sitzung am 10. Juni 2015, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
Zeng,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Bartel,
Richterin am Amtsgericht
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
in der Verhandlung und bei der Verkündung und
Rechtsanwalt in der Verhandlung
als Verteidiger des Angeklagten B. ,
Rechtsanwalt in der Verhandlung
als Verteidiger des Angeklagten J. ,
die Angeklagten B. und J. jeweils in Person
in der Verhandlung und bei der Verkündung,
Justizangestellte in der Verhandlung,
Justizangestellte bei der Verkündung,
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 13. Februar 2013 aufgehoben. 2. Das Verfahren wird eingestellt. 3. Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens sowie die den Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen. 4. Die Entscheidung über die Entschädigung der Angeklagten für erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt dem Landgericht vorbehalten.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt und angeordnet , dass bei beiden Angeklagten vier Monate Freiheitsstrafe wegen „rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen“ als vollstreckt gelten. Gegen dieses Urteil richten sich sowohl die Revisionen der Angeklagten als auch die zu Ungunsten der Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft mit Verfahrensbeanstandungen und der Sachbeschwerde. Die Rechtsmittel führen zur Aufhebung des Urteils und Einstellung des Verfahrens.

A.


2
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

I.


3
1. Im Rahmen von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Aachen gegen D. wegen des Verbleibs des Lösegelds aus der R. -Entführung ergab sich im Jahre 2009 ein Verdacht, dass sich die Angeklagten B. und J. wegen Geldwäsche strafbar gemacht haben könnten. Im Zug eines im Mai 2009 gegen beide eingeleiteten Ermittlungsverfahrens wurde durch richterlichen Beschluss eine längerfristige Observation des Angeklagten J. sowie die Überwachung der Telekommunikation des Angeklagten B. angeordnet. Im Rahmen der Observationsmaßnahmen wurde festgestellt, dass sich D. sowie die Angeklagten B. und J. am 13. Juni 2009 in Br. (Niederlande ) mit A. trafen, gegen den in den Niederlanden mehrfach , wenn auch ergebnislos, wegen internationalen Rauschgifthandels ermittelt worden war. Ein weiteres Treffen fand möglicherweise am 6. August 2009 statt.
4
Am 10. September 2009 wurde auf Grund einer inzwischen ebenfalls richterlich angeordneten Fahrzeuginnenraumüberwachung ein Gespräch zwischen dem Angeklagten J. und D. aufgezeichnet, in dem sich die beiden über „MDMA“ unterhielten. Aus Äußerungen des Angeklagten B. gegenüber einem unbekannten Dritten in einem in spanischer Sprache geführten Telefonat am 27. Oktober 2009 über „Figürchen“ mit einer Qualität von „fast 100 %“, „reinrein“, die der Gesprächspartner „hierher mitgebracht“ hatte, zogen die Ermittlungsbehörden den Schluss, dass der Angeklagte B. zwischen seinem Gesprächspartner und A. ein Amphetamingeschäft vermittelt habe. Eine nach einem Treffen der Angeklagten mit A. Ende April 2010 bei der Wiedereinreise aus den Niederlanden durchgeführte Zollkontrolle blieb erfolglos.
5
Im Oktober 2010 leitete die für den Wohnsitz des Angeklagten B. zuständige Staatsanwaltschaft Bonn ein Ermittlungsverfahren gegen beide Angeklagte wegen des Verdachts von Betäubungsmittelstraftaten ein, nachdem sie von der Staatsanwaltschaft Aachen über die gewonnenen Erkenntnisse informiert worden war, die aus ihrer Sicht den Verdacht einer aktiven Verstrickung der Angeklagten in den internationalen Rauschgifthandel begründeten.
6
Tatsächlich waren seit der Zollkontrolle Ende April 2010 keine verdächtigen Gespräche mehr aufgezeichnet worden. Aus Sicht der Polizei war damit auch nicht mehr zu rechnen, da „unterstellt werden könne“, dass der Angeklagte B. seitdem andere Kommunikationswege nutze, um mit den Mittätern in Spanien und in den Niederlanden in Kontakt zu treten. Aus diesem Grund beantragte die Staatsanwaltschaft am 29. November 2010 den Einsatz Verdeckter Ermittler, den das Amtsgericht mit Beschluss vom 1. Dezember 2010 gestattete. Die befristete Genehmigung wurde in der Folge jeweils durch richterlichen Beschluss bis zur Festnahme der Angeklagten am 10. August 2011 verlängert. Auf Grund eines Rechtshilfeersuchens der Staatsanwaltschaft genehmigte die Staatsanwaltschaft Rotterdam mit diversen Anordnungen zwischen dem 16. März und dem 9. August 2011 die Durchführung verdeckter Ermittlungen durch deutsche und niederländische Ermittler. Darüber hinaus wurde mit Beschlüssen vom 1. Dezember 2010 die Observation der Beschuldigten und die Überwachung ihres Fernmeldeverkehrs gestattet; auch diese Beschlüsse wurden bis zur Festnahme der Angeklagten verlängert.
7
2. Beginnend ab dem 13. Januar 2011 besuchten die deutschen Ver- deckten Ermittler „N. “ und „Da. “ als Gäste mehrmals das vom Angeklagten B. in Bo. betriebene Lokal, nahmen Kontakt zu diesem auf und intensivierten diesen allmählich. Am 10. Februar 2011 machten „N. “ und „Da. “ den Angeklagten B. mit ihren Freunden, den niederländischen Verdeckten Ermittlern „Ap. “ und „K. “, bekannt. In den nachfolgenden Wochen trafen sich die Beteiligten in unterschiedlichen Besetzungen, „N. “ und „Da. “ wurden zu Stammgästen im Lokal des Angeklagten B. .
8
Schließlich kam es zu folgenden, für das Verfahren bedeutsamen Zusammenkünften :
9
Bei einem Besuch in seinem Lokal am 5. April 2011 fragte „Ap. “ den Angeklagten B. , dessen Vorstrafen wegen Betäubungsmitteldelikten ihm aus einem früheren Gespräch bekannt waren, ob dieser ihm nicht einen seiner daraus herrührenden niederländischen Kontakte vermitteln könne. Er – „Ap.“ – habe große Probleme mit seinen Lieferanten; diese würden sich noch vergrößern, wenn er – was zu befürchten sei – ein Geschäft in den Niederlanden in der nächsten Woche nicht abwickeln könne. Der Angeklagte B. lehnte jegliche Beteiligung an diesen Geschäften ab. Anlässlich eines von „N. “ initiierten Treffens am 11. April 2011 fragte „Ap. “ den Angeklagten B. nach „Koks“ für den Abend, woraufhin der Angeklagte B. ihn daran erinnerte, nichts mit Drogen zu tun haben zu wollen. Am selben Abend erzählte „Ap.“ dem Angeklagten B. , dass ihn sein Lieferant tatsächlich versetzt habe. Die erneute Bitte des „Ap.“, ihm seine niederländischen Kontakte zu Drogenlieferanten zu vermitteln, lehnte der Angeklagte B. wiederum ab. Er forderte „Ap. “ zudem auf, nicht mehr nachzufragen, da sich sein Standpunkt nicht ändern werde. Am 14. oder 15. April 2011 berichtete „Ap. “ dem Angeklagten B. , dass seine serbischen Abnehmer „rasend vor Wut seien“, da das Geschäft mit ihnen nicht zustande gekommen sei. Sie hätten „K. “ aufgelauert und bedroht, weshalb er seine Telefonnummer gewechselt und zusammen mit „K. “ seinen bisherigen Wohnort verlassen hätte und bei Bekannten untergekommen wäre. „Ap.“ bat den Angeklagten B. nochmals um Hilfe und erklärte, er würde jeden Preis zahlen, der Angeklagte müsse nichts weiter unternehmen. Der Angeklagte B. lehnte auch diese Bitte ab.
10
Bei einem Treffen am 30. Mai 2011 erklärten „N. “ und „Ap.“ dem Ange- klagten B. , dass sich die Situation weiter zugespitzt habe und die serbischen Abnehmer nun auch „N. “ mit Konsequenzen gedroht hätten. Beide baten den Angeklagten B. erneut, ihnen einen Kontakt mit Drogenlieferanten in Holland zu vermitteln. Der Angeklagte B. erklärte wiederum, dass er mit Rauschgiftgeschäften nichts zu tun haben wolle; er stehe unter Bewährung und habe sich eine Existenz aufgebaut. Auf weiteres Drängen des „Ap.“ erklärte sich der Angeklagte B. schließlich doch dazu bereit, einen Freund zu fragen, ob dieser „N. “ und „Ap.“ helfen könne, und setzte sich noch am selben Tag mit dem Angeklagten J. in Verbindung. Dieser wusste aus Erzählungen des Angeklagten B. , dass „Ap.“ (scheinbar) Probleme mit seinen Abnehmern hatte, wobei bei dem Angeklagten J. der Eindruck entstand, es handele sich um eine Sache von „Leben und Tod“. Er ließ sich dazu überreden, Kontakt zu einem niederländischen Betäubungsmittellieferanten herzustellen. Dieser erklärte bei einem Treffen am nächsten Tag in den Niederlanden, kein Interesse zu haben , verwies den Angeklagten J. aber an einen anderen Lieferanten, der sich interessiert zeigte und ein Treffen in V. (Niederlande) vorschlug.
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3. Am 6. Juni 2011 trafen sich die Angeklagten mit „N. “ und „Ap.“ in V. , um mit den Lieferanten die Modalitäten des Rauschgiftgeschäfts zu besprechen , wobei der Angeklagte J. als einziger Beteiligter direkten Kontakt mit dem Lieferanten hatte und den anderen dessen Nachrichten überbrachte. „Ap.“ drängte wegen seiner bedrohlichen Situation auf eine schnelle Lieferung von 40.000 Ecstasy-Pillen, die schließlich für den nächsten Freitag vereinbart wurde, wobei der exakte Kaufpreis offen blieb.
12
Am 10. Juni 2011 gegen 12.00 Uhr trafen sich „Ap.“ und der Angeklagte J. mit dem als Kurier für den Lieferanten fungierenden gesondert Verfolgten W. auf einem Parkplatz in V. . W. übergab „Ap.“ und dem Angeklagten J. 40.000 Ecstasy-Pillen mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 20,5% MDMA-Base, also mit einer Wirkstoffmenge von mindestens 3.004 g MDMA-Base. Da vor Ort der Preis pro Pille auf 1,20 Euro festgesetzt wurde, entnahm „Ap.“ von den bereitgestellten 50.000 Euro Kaufgeld einen Be- trag von 2.000 Euro, bevor er das restliche Geld W. übergab. Der Angeklagte J. kontrollierte den Betrag, stieg in den Pkw des gesondert Verfolgten W. und fuhr mit diesem zum Lieferanten, dem das Geld übergeben wurde. Der AngeklagteB. und „N. “ befanden sich zum Zeitpunkt der Übergabe ebenfalls in V. , waren aber am eigentlichen Drogengeschäft nicht beteiligt. Das Landgericht konnte nicht feststellen, dass die Angeklagten für ihre Tätigkeit eine Vergütung erhielten oder jedenfalls erhalten sollten.
13
4. Am 10. Juni 2011 bedankte sich „N. “ bei den Angeklagten für deren Hilfe und erklärte, „Ap.“ habe wieder Ruhe, er stünde tief in ihrer Schuld für deren großen Gefallen. Am 19. Juni 2011 trat „N. “ erneut an den Angeklagten B. heran und berichtete vom Wunsch des „Ap.“, den Lieferanten zum Zweck eines neuen Rauschgiftgeschäftes persönlich zu treffen. Der Angeklagte B. , der sich darüber zwar wunderte, erklärte sich gleichwohl damit einverstanden, den Angeklagten J. zu kontaktieren. Zugleich machte er deutlich, dass er mit weiteren Geschäften nichts mehr zu tun haben wolle. In der Folge scheiterten mehrere durch den Angeklagten J. vermittelte Versuche eines Treffens zwischen „Ap.“ und dem Lieferanten. Im Rahmen der vielen Gespräche zwischen den Beteiligten teilte „N. “ dem Angeklagten B. Anfang August 2011 u.a. mit, „Ap.“ müsse den Deal durchführen, sonst würden ihn die „Jugos“ wohl killen.
14
5. In der Folge wurde über den Angeklagten J. eine erneute Ecstasy -Lieferung vereinbart. Am 10. August 2011 holte der gesondert Verfolgte W. mit seinem Pkw 250.000 Ecstasy-Pillen mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 19% MDMA-Base, also mit einer Wirkstoffmenge von mindestens 17.334 g MDMA-Base, bei dem niederländischen Lieferanten ab und begab sich mit dem Rauschgift zu einem Parkplatz in Ke. (Niederlande). Neben „Ap. “ und J. war ein weiterer Verdeckter Ermittler der niederländischen Poli- zei mit der Legende „F. “ anwesend. Nachdem der deswegen irritierte W. vom Angeklagten J. beruhigt worden war, zeigte er „Ap. “ und J. die Pillen und packte die Kartons in einen Einkaufswagen. „Ap.“ und J. verbrachten diese sodann mit Hilfe des „F. “ in ihr Fahrzeug. Als „Ap. “ im Anschluss W. die Tasche mit dem vermeintlichen Kaufgeld übergab , erfolgte der polizeiliche Zugriff. Der Angeklagte B. , der sich nicht vor Ort befand, wurde in Bo. festgenommen. Der Angeklagte J. sollte für seine Hilfe bei diesem Geschäft von „N. “ 5.000 Euro erhalten; ob der Angeklagte B. ebenfalls eine Vergütung erhalten sollte, konnte das Landgericht nicht feststellen.

II.


15
Das Landgericht hat sich von der Glaubhaftigkeit der Aussage des Ver- deckten Ermittlers „N. “, der aufgrund einer teilweisen behördlichen Sperrung lediglich unter akustischer Abschirmung im Wege einer audiovisuellen Übertragung vernommen werden konnte, schon mangels eines persönlichen Eindrucks in der Hauptverhandlung nicht überzeugen können. Darüber hinaus haben sich aus fehlender bzw. unklarer Dokumentation der Einsätze der Verdeckten Ermittler sowie aus mangelnder Stimmigkeit der Angaben durchgreifende Zweifel an der Glaubwürdigkeit des „N. “ ergeben. Aus diesem Grund hat die Strafkam- mer der Verurteilung allein die nicht widerlegten Einlassungen der Angeklagten zu Grunde gelegt.
16
Vor diesem Hintergrund wertete das Landgericht das Verhalten der Angeklagten bei beiden Taten jeweils als Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, da diese lediglich fremde Umsatzgeschäfte vermittelt und begleitet hätten, ohne dass sie eigenen Einfluss auf die Mengen, die Preise oder den Weiterverkauf gehabt hätten, zumal eine Vergütungszusage nicht feststellbar bzw. die zugesagte Höhe der Vergütung in Anbetracht des Gesamtumsatzes vergleichsweise gering gewesen sei.
17
Bei der Strafzumessung wertete das Landgericht hinsichtlich beider Angeklagter als strafmildernd, „dass der Anstoß für die beiden Drogengeschäfte von den beiden Verdeckten Ermittlern N. und Ap. kam und von diesen sinngemäß erklärt wurde, für die Angeklagten bestehe kein Risiko, da die Betäubungsmittelgeschäfte in den Niederlanden erfolgen würden und ein Weiter- transport nach Deutschland nicht geplant sei“. Weiter berücksichtige es als strafmildernden Umstand, „dass der Einsatz der Verdeckten Ermittler ange- sichts der massiven Vorstrafen gerade noch verhältnismäßig war“.

B.


18
Die Revisionen der Angeklagten führen zur Einstellung desVerfahrens. Es liegt eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation vor, die zu einem von Amts wegen zu beachtenden Verfahrenshindernis führt.

I.


19
Die Urteilsgründe belegen die Voraussetzungen einer Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK verletzenden rechtsstaatswidrigen Tatprovokation.
20
1. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) liegt eine gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK verstoßende Tatprovokation vor, wenn sich die beteiligten Ermittlungspersonen nicht auf eine weitgehend passive Strafermittlung beschränken, sondern die betroffene Person derart beeinflussen, dass sie zur Begehung einer Straftat verleitet wird, die sie ohne die Einwirkung nicht begangen hätte, und zwar mit dem Zweck, diese Straftat nachzuweisen, also Beweise für sie zu erlangen und eine Strafverfolgung einzuleiten. Der Grund für dieses Verbot liegt darin, dass es Aufgabe der Ermittlungsbehörden ist, Straftaten zu verhüten und zu untersuchen, und nicht, zu solchen zu provozieren (vgl. EGMR, Entscheidung vom 23. Oktober 2014 – 54648/09 [Furcht gegen Deutschland], JR 2015, 81, 84 mit Anm. Petzsche = StraFo 2014, 504, 506 mit Anm. Sommer und Anm. Hauer NJ 2015, 203; Meyer /Wohlers JZ 2015, 761 ff.; Pauly StV 2015, 411 ff.; Sinn/Maly NStZ 2015, 379 ff.).
21
Im Rahmen der Prüfung, ob die Ermittlungen „im Wesentlichen passiv“ geführt wurden, untersucht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sowohl die Gründe, auf denen die verdeckte Ermittlungsmaßnahme beruhte, als auch das Verhalten der die verdeckte Maßnahme durchführenden Ermittlungspersonen :
22
Insoweit stellt der Gerichtshof zunächst darauf ab, ob es objektive Anhaltspunkte für den Verdacht gab, dass der Betroffene bereits an kriminellen Aktivitäten beteiligt oder der Begehung von Straftaten zugeneigt war. Dabei spielt es eine Rolle, ob der Betroffene vorbestraft ist (was aber für sich allein noch kein ausreichendes Indiz darstellt) und bereits ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet worden war. Darüber hinaus kann im Rahmen dieser Prüfung , je nach den Umständen des konkreten Falles, nach Ansicht des Gerichtshofs Folgendes für eine Tatgeneigtheit sprechen: die zu Tag getretene Vertrautheit des Täters mit den im illegalen Betäubungsmittelhandel üblichen Preisen , seine Fähigkeit, kurzfristig Drogen beschaffen zu können, sowie der Umstand , dass er aus dem Geschäft einen finanziellen Vorteil ziehen würde.
23
Bei der Prüfung des Verhaltens der Ermittlungspersonen untersucht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, ob auf den Betroffenen Druck ausgeübt wurde, die Straftat zu begehen. In Betäubungsmittelfällen können nach Ansicht des Gerichtshofs folgende Verhaltensweisen dafür sprechen, dass die Ermittlungsbehörden den Bereich des passiven Vorgehens verlassen haben : das Ergreifen der Initiative beim Kontaktieren des Betroffenen, das Erneuern des Angebots trotz anfänglicher Ablehnung, hartnäckiges Auffordern zur Tat, Steigern des Preises über den Durchschnitt oder Vorspiegelung von Entzugserscheinungen , um das Mitleid des Betroffenen zu erregen (vgl. EGMR aaO mwN; siehe auch EGMR, Entscheidung vom 4. November 2010 – 18757/06 [Bannikova gegen Russland], Rn. 37 ff.; Urteil vom 18. Oktober 2011 – 21218/09 [Prado Bugallo gegen Spanien], NJW 2012, 3502, 3503; Urteil vom 5. Februar 2008 – 74420/19 [Ramanauskas gegen Litauen], NJW 2009, 3565, 3566 f.; Urteil vom 9. Juni 1998 – 44/1997/828/1034 [Teixeira de Castro gegen Portugal], NStZ 1999, 47, 48).
24
2. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt eine staatliche Tatprovokation vor, wenn ein Verdeckter Ermittler (oder eine von einem Amtsträger geführte Vertrauensperson) über das bloße „Mitmachen“ hinaus in Richtung auf eine Weckung der Tatbereitschaft oder eine Intensivierung der Tatplanung mit einiger Erheblichkeit stimulierend auf den Täter einwirkt. Sie ist nur zulässig, wenn diese gegen eine Person eingesetzt wird, die in einem den § 152 Abs. 2, § 160 StPO vergleichbaren Grad verdächtig ist, an einer bereits begangenen Straftat beteiligt gewesen oder zu einer zukünftigen Straftat bereit zu sein (vgl. BGH, Urteil vom 30. Mai 2001 – 1 StR 42/01, BGHSt 47, 44, 47 f.; Urteil vom 18. November 1999 – 1 StR 221/99, BGHSt 45, 321, 336 f.). Eine unverdächtige und zunächst nicht tatgeneigte Person darf hingegen nicht in einer dem Staat zurechenbaren Weise zu einer Straftat verleitet werden. Auch bei anfänglich bereits bestehendem Anfangsverdacht kann eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation vorliegen, wenn die Einwirkung auf die Zielperson im Verhältnis zum Anfangsverdacht „unvertretbar übergewichtig“ ist (vgl. BGH, Ur- teil vom 11. Dezember 2013 – 5 StR 240/13, NStZ 2014, 277, 279; Urteil vom 23. Mai 1984 – 1 StR 148/84, BGHSt 32, 345, 346 f.; Senat, Urteil vom 21. September 1983 – 2 StR 370/83, NStZ 1984, 78, 79); im Rahmen der erforderlichen Abwägung sind insbesondere Grundlage und Ausmaß des gegen den Betroffenen bestehenden Verdachts, Art, Intensität und Zweck der Einflussnahme sowie die eigenen, nicht fremdgesteuerten Aktivitäten des Betroffenen in den Blick zu nehmen (vgl. BGH, Urteil vom 23. Mai 1984 - 1 StR 148/84, BGHSt 32, 345, 346 f.; Senat, Urteil vom 21. September 1983 - 2 StR 370/83, NStZ 1984, 78, 79).
25
3. An beiden Maßstäben gemessen überschritt das Verhalten der Verdeckten Ermittler die durch den Grundsatz des fairen Verfahrens und das Rechtsstaatsprinzip gezogenen Grenzen.
26
a) Der Einsatz der Verdeckten Ermittler beschränkte sich nicht auf eine weitgehend „passive Strafermittlung“, wie es der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte für zulässige Einflussnahmen auf den Täter voraussetzt, sondern stellt sich als eine massive aktive Einwirkung auf die Angeklagten dar, die dazu führte, dass sie sich nur deshalb an den begangenen Straftaten beteiligten.
27
aa) Bei der nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erforderlichen Prüfung der Gründe, auf denen die verdeckte Maßnahme beruhte, ist in den Blick zu nehmen, dass beide Angeklagte wegen Drogendelikten vorbestraft waren. Doch begründen Vorstrafen für sich allein weder einen Anfangsverdacht für die Begehung weiterer Straftaten noch geben sie auch nur einen (ausreichenden) Anhalt für die Annahme möglicher Tatgeneigtheit. Andernfalls wäre die Resozialisierungswirkung der Vorstrafe generell in Frage gestellt. Zu berücksichtigen ist im konkreten Fall zudem, dass sich auch nach der erfolgten Verleitung zu Straftaten eine tatsächliche Einbindung der Angeklagten in das Drogenmilieu zu Beginn des Einsatzes der Verdeckten Ermittler nicht feststellen ließ. Der Angeklagte B. hatte selbst keine einschlägigen Kontakte mehr und musste den Mitangeklagten J. für die Suche nach Betäubungsmittelhändlern gewinnen. Dieser sprach zunächst eine ihm fremde Person an, die aber kein Interesse an einem Drogengeschäft hatte und ihn an einen anderen Lieferanten weiterverwies.
28
Auf Grund der im Zug des Ermittlungsverfahrens wegen Geldwäsche gewonnenen Erkenntnisse haben die Ermittlungsbehörden allerdings (noch) rechtlich vertretbar einen Anfangsverdacht hinsichtlich von Betäubungsmittelstraftaten bejaht und im Oktober 2010 ein entsprechendes Ermittlungsverfahren eingeleitet. Dieser Verdacht war aber nicht sonderlich gewichtig und stützte sich nur auf wenige, zudem vage Umstände. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen , dass sich nach den im Oktober 2009 aus der Telefonüberwachung ge- wonnenen Erkenntnissen, bei denen von „Figürchen“ mit einer Qualität von „fast 100%“, „reinrein“ die Rede war und aufgrund derer die Ermittlungsbehörden von der Vermittlung eines Amphetamingeschäfts durch den Angeklagten B. ausgegangen sind, keine weiteren Hinweise auf eine kriminelle Verstrickung der Angeklagten ergeben hatten. Eine PKW-Kontrolle im April 2010 nach einem Treffen der Angeklagten mit A. , gegen den in den Niederlanden wegen des Verdachts der Teilnahme am internationalen Drogenhandel – allerdings ergebnislos – ermittelt worden war, brachte keine neuen Erkenntnisse. Die Annahme der Ermittlungsbehörden, dass der Angeklagte B. eben andere Kommunikationswege nutze und sich deshalb keine weiteren Ermittlungsergebnisse ergeben hätten, stellt sich letztlich als eine bloße Spekulation dar, die ohne weitere Anhaltspunkte für eine allgemeine kriminelle Verstrickung auch nicht durch kriminalistische Erfahrung gedeckt ist. Die auf die beschriebenen Umstände gestützte richterliche Gestattung des Einsatzes Verdeckter Ermittler im Dezember 2010 mag – unter Berücksichtigung des ermittlungsrichterlichen Beurteilungsspielraums – noch von den gesetzlichen Vorschriften getragen gewesen sein; zu berücksichtigen ist allerdings, dass damit nicht ohne Weiteres auch die Zulässigkeit einer Tatprovokation einhergeht, zumal es für diese konkrete Maßnahme selbst keine spezialgesetzliche Regelung gibt (vgl. § 110c StPO). Für die Beurteilung des Vorliegens der Eingriffsvoraussetzungen kommt es zudem auf die Verdachtslage zum Zeitpunkt der Einwirkung des Lockspitzels auf die Zielperson an. Je stärker der Verdacht ist, desto nachhaltiger kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch die Einflussnahme sein (vgl. BGH, Urteil vom 30. Mai 2001 - 1 StR 42/01, BGHSt 47, 44, 49). Je geringer der Tatverdacht aber ist, umso weniger an Stimulierung ist erlaubt. Schließlich ist besondere Zurückhaltung geboten, wenn sich trotz Beobachtung und Versuchen der Einflussnahme gerade keine weiteren belastbaren Anhaltspunkte für eine (unabhängig von der Tatprovokation) geplante oder durchgeführte Tatbegehung ergeben.
29
Vor diesem Hintergrund ist festzuhalten, dass zwar aus der Sicht der Ermittlungsbehörden noch hinreichende Gründe für die Anordnung von verdeckten Ermittlungsmaßnahmen gegeben waren, dem provozierenden Tätigwerden aber mit Blick auf die Stärke des geringen Tatverdachts von Anfang an enge Grenzen gesteckt waren.
30
bb) Bei der weiteren nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs notwendigen Erörterung, ob und in welcher Weise durch die Verdeckten Ermittler Druck auf die Angeklagten ausgeübt wurde, sind die konkreten Umstände in den Blick zu nehmen, wie es zur Tatverleitung der Angeklagten gekommen ist. Zu berücksichtigen ist zunächst, dass Verdeckte Ermittler aus den Niederlanden in Deutschland tätig geworden sind, ohne dass zu jedem Zeitpunkt eine Genehmigung hierfür vorgelegen hätte. So waren „Ap.“ und „K. “ erstmals am 10. Februar 2011 in Deutschland im Einsatz, eine Genehmigung ist aber erst am 16. März 2011 erteilt worden. Darüber hinaus ist festzuhalten , dass sich der Angeklagte B. zahlreichen Anfragen des „Ap. “ nach Vermittlung seiner Drogenkontakte in den Niederlanden seit Anfang April 2011 widersetzte, bevor er dem ständigen und immer intensiverem Drängen am 30. Mai 2011 schließlich nachgab. Von maßgeblicher Bedeutung ist insoweit, dass dem Angeklagten B. wahrheitswidrig vorgespiegelt wurde, „Ap. “ und auch „N. “ würden von serbischen Abnehmern, die „rasend“ vor Wut seien, bedroht, weswegen „Ap. “ zusammen mit „K. “ schon seinen bisherigen Wohnort gewechselt habe. Erst als ihm erklärt wurde, dass sich die Situation noch weiter zugespitzt habe, erklärte sich der Angeklagte B. , der wiederholt betont hatte, mit Rauschgiftgeschäften nichts zu tun haben zu wollen, dazu bereit , einen Freund zu fragen, ob dieser helfen könnte. Dabei verfügte der Angeklagte B. nicht über eigene Kontakte; deshalb schaltete er den Angeklagten J. ein, bei dem durch vorangegangene Erzählungen der Eindruck entstanden war, es handele sich um eine Sache von „Leben und Tod“. Er ließ sich deshalb zur Tatbeteiligung überreden, konnte aber nicht auf einen bestimmten Lieferanten zurückgreifen, sondern musste einen solchen erst suchen. Die Tathandlungen der Angeklagten waren dabei geprägt und bestimmt davon, „Ap. “ und „N. “ einen Gefallen zu tun, ihr Handeln beruhte zu keinem Zeitpunkt auf eigenem Antrieb und ging auch nicht auf eigenes Gewinnstreben zurück. Es handelte sich um ein ganz und gar fremdnütziges Verhalten, zu dem es nicht gekommen wäre, wären der Angeklagte B. und mittelbar auch der Mitangeklagte J. nicht durch die Verdeckten Ermittler unter „Druck“ gesetzt worden.
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Dies gilt in gleicher Weise für das zweite Geschäft, nicht nur für den ohnehin weitgehend unbeteiligten Angeklagten B. , der zwar den Angeklagten J. über die „Notwendigkeit“ eines zweiten Geschäfts informierte, aber zugleich deutlich machte, damit nichts mehr zu tun haben zu wollen. Es betrifft auch den Angeklagten J. , der zwar aufgrund der vorgetäuschten Bedrohungslage bereit war, einen Kontakt zum Lieferanten herzustellen, aber ansonsten mit dem Geschäft auch nichts zu tun haben wollte. Dies alles gilt umso mehr, als nach Durchführung der ersten Tat aus der Sicht der Strafverfolgungsbehörden , deren Ziel die Aufklärung von Straftaten und nicht deren Herbeifüh- rung ist (vgl. BVerfG NJW 2015, 1083, 1084), kein legitimer Grund mehr be- stand, unter erneutem Hinweis auf eine Gefahr für Leib und Leben des „Ap. “ eine zweite Tat zu initiieren.
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Mit diesem Verhalten der Verdeckten Ermittler gegenüber den Angeklagten haben die Ermittlungsbehörden in beiden Fällen die ihnen bei Ermittlungen nach dem Grundsatz des fairen Verfahrens vorgegebene passive Haltung bei der heimlichen Aufklärung von Straftaten verlassen. Sie haben vielmehr – unter Außerachtlassung des ohnehin nur geringen Tatverdachts gegen die Angeklagten und der ständigen, zu einer weiteren Handlungsbegrenzung führenden Weigerungen des Angeklagten B. , sich an einem Betäubungsmittelgeschäft eines anderen zu beteiligen – ihre Einflussnahme im Laufe der Zeit immer weiter verstärkt und damit letztlich erst die Beteiligung der Angeklagten an ihrem eigenem Geschäft veranlasst. In beiden Fällen liegt damit nach den Maßstäben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hinsichtlich beider Angeklagter eine gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK verstoßende polizeiliche Tatprovokation vor.
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b) Auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist im vorliegenden Fall eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation gegeben.
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Die Handlungen der Verdeckten Ermittler erschöpften sich nicht darin, die Angeklagten lediglich ohne sonstige Einwirkung angesprochen oder eine offen erkennbare Bereitschaft zur Begehung weiterer Straftaten ausgenutzt zu haben. Sie waren vielmehr – trotz wiederholter Weigerung, sich an Betäubungsmittelgeschäften beteiligen zu wollen – darauf gerichtet, gerade doch eine solche Beteiligung erreichen zu wollen, und stellen damit ohne Weiteres auch im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine staatliche Tatprovokation dar. Diese war auch unzulässig, auch wenn sie sich gegen Personen richtete, gegen die ein wenn auch geringer Tatverdacht bestand. Zwar ist bei diesem Personenkreis eine über das bloße „Mitmachen“ hinausgehende Initiierung oder Steigerung des (eigentlichen) Tatentschlusses grundsätzlich nicht unzulässig, doch bestehen auch hier rechtsstaatliche Grenzen eines Lockspitzeleinsatzes. Die Einwirkung auf eine verdächtige oder tatgeneigte Person darf im Verhältnis zum Anfangsverdacht nicht „unvertretbar übergewichtig“ sein. Genau dies war hier aber der Fall. Es bestand – wie oben ausgeführt – allenfalls ein vager Anfangsverdacht gegen die Angeklagten, die sich erst bereit erklärten , an den Betäubungsmittelgeschäften mitzuwirken, nachdem die Verdeckten Ermittler über Monate hinweg das Vertrauen des Angeklagten B. gewonnen hatten und diesem vorgespiegelt worden war, sie würden von serbischen Abnehmern des Rauschgifts bedroht. Es liegt ein deutliches Missverhältnis zwischen dem bestehenden Anfangsverdacht einerseits und den wiederholten , massiven Einwirkungshandlungen der Verdeckten Ermittler andererseits vor.
35
c) Sowohl nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als auch derjenigen des Bundesgerichtshofs ist demnach eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation anzunehmen. Der Senat braucht deshalb an dieser Stelle nicht zu entscheiden, ob – wie der 1. Strafsenat meint (Beschluss vom 19. Mai 2015 – 1 StR 128/15, NStZ 2015, 541, 544) – die die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in der Auslegung des Art. 6 Abs. 1 EMRK prägenden Kriterien der Tatprovokation in der Judikatur des Bundesgerichtshofs abgebildet werden oder ob nicht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in ihren Voraussetzungen zur Annahme einer rechts- staatlichen Tatprovokation enger ist (Verbot lediglich „unvertretbarer übergewichtiger“ Einwirkungen bei verdächtigen oder tatgeneigten Personen) und deshalb an die (wohl) weitergehende Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Wesentlichen „passive Strafermittlung“) anzupassen wäre (vgl. dazu Meyer/Wohlers, JZ 2015, 761, 769).

II.


36
Der danach gegebene Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK führt im vorliegenden Fall zur Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses.
37
1. Zwar entspricht es der bisher ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs , dass eine unzulässige Tatprovokation kein Verfahrenshindernis nach sich zieht, sondern nur im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen ist (vgl. nur BGH, Urteil vom 21. Oktober 2014 – 1 StR 78/14, juris Rn. 7, insoweit in NStZ 2015, 226 nicht abgedruckt; Urteil vom 11. Dezember 2013 – 5 StR 240/13, NStZ 2014, 277, 280; Urteil vom 30. Mai 2001 – 1 StR 42/01, BGHSt 47, 44, 47; Urteil vom 18. November 1999 – 1 StR 221/99, BGHSt 45, 321, 324 ff.; Urteil vom 23. Mai 1984 – 1 StR 148/84, BGHSt 32, 345, 348 ff.).
38
2. An dieser „Strafzumessungslösung“ hält der Senat angesichts der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (nachfolgend a) nicht mehr fest. Die gebotene Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (nachfolgend b) führt nach Ansicht des Senats dazu, dass jedenfalls in den Fällen der vorliegenden Art ein Verfahrenshindernis zur Kompensation der Konventionsverletzung erforderlich ist (nachfolgend c).
39
a) Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner Entscheidung Furcht gegen Deutschland vom 23. Oktober 2014 (54648/09, Rn. 47, JR 2015, 81, 84 = StraFo 2014, 504, 506), mit der erstmals die Strafzumessungslösung der deutschen Rechtsprechung unmittelbar überprüft und als Mittel der Kompensation des Konventionsverstoßes verworfen wurde, erneut betont , das öffentliche Interesse an der Verbrechensbekämpfung rechtfertige nicht die Verwendung von Beweismitteln, die als Ergebnis polizeilicher Tatprovokation gewonnen wurden, denn dies würde den Beschuldigten der Gefahr aussetzen , dass ihm von Beginn an kein faires Verfahren zu Teil wird.
40
Der Entscheidung lag eine Fallkonstellation zu Grunde, in der zum maßgeblichen Zeitpunkt des Herantretens der Verdeckten Ermittler an den Betroffenen bereits keine objektiven Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass dieser in kriminellen Rauschgifthandel verwickelt oder der Begehung von Straftaten sonst zugeneigt war. Zwar hatte der Betroffene in der Folge die Möglichkeit eines Rauschgiftverkaufs selbst vorgeschlagen. Da aber der Verdeckte Ermittler nach der Erklärung des Betroffenen, an einem Rauschgiftgeschäft nicht mehr interessiert zu sein, erneut Kontakt mit diesem aufgenommen und ihn überredet hatte, mit der Organisation des Rauschgifthandels fortzufahren, kam der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zu dem Schluss, dass der Einsatz über eine rein passive Ermittlungstätigkeit hinausging und einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK begründete.
41
In Zusammenhang mit der Frage, ob dem Betroffenen durch die vom Landgericht vorgenommene erhebliche, wenn auch nicht bezifferte Strafmilderung eine ausreichende Kompensation für den Konventionsverstoß gewährt wurde, wiederholte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass alle als Ergebnis polizeilicher Tatprovokation gewonnenen Beweismittel ausge- schlossen werden müssen oder ein Verfahren mit vergleichbaren Konsequenzen gewählt werden muss, damit das Verfahren fair im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK ist (EGMR, aaO, Rn. 64, 68). Alle anderen Maßnahmen können danach nicht als ausreichend angesehen werden, um eine angemessene Wiedergutmachung für eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK zu leisten. Aus diesem Grund kam der Gerichtshof nicht zuletzt aufgrund der Bedeutung des durch die unzulässige Tatprovokation gewonnenen Beweismaterials für den Beweis der Schuld zu dem Schluss, dass selbst eine erhebliche Milderung der Strafe nicht als „ein Verfahren mit vergleichbaren Konsequenzen wie der Ausschluss der angegriffenen Beweismittel“ angesehen werden könne (EGMR, aaO, Rn. 68 f.).
42
b) Diese Rechtsprechung ist vom Bundesgerichtshof bei der Bestimmung der Rechtsfolge einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation zu berücksichtigen.
43
aa) Innerhalb der deutschen Rechtsordnung stehen die Europäische Menschenrechtskonvention und ihre Zusatzprotokolle – soweit sie für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten sind – im Range eines Bundesgesetzes. Diese Rangzuweisung führt dazu, dass deutsche Gerichte die Konvention wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden haben (BVerfGE 111, 307, 317; 128, 326, 366 f.). Eine besondere Bedeutung für das Konventionsrecht als Völkervertragsrecht haben die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, weil sich in ihnen der aktuelle Entwicklungsstand der Konvention und ihrer Protokolle widerspiegelt (BVerfGE 111, 307, 319).
44
Zur Bindung der Gerichte an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) gehört daher die Berücksichtigung der Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Entscheidungen des Gerichtshofs im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung des innerstaatlichen Rechts. So- wohl die fehlende Auseinandersetzung mit einer Entscheidung des Gerichtshofs als auch deren gegen vorrangiges Recht verstoßende schematische "Vollstreckung" können nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gegen Grundrechte in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verstoßen (BVerfGE 111, 307, 323 f.; BVerfG NJW 2015, 1083, 1085). Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist danach auch auf der Ebene des einfachen Rechts möglichst schonend in das vorhandene, dogmatisch ausdifferenzierte nationale Rechtssystem einzupassen (vgl. BVerfGE 111, 307, 327; 128, 326, 371).
45
bb) Danach kommt die Strafzumessungslösung, deren Vereinbarkeit mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Schrifttum von Anfang an umstritten war (vgl. statt vieler Imme Roxin, Die Rechtsfolgen schwerwiegender Rechtsstaatsverstöße in der Strafrechtspflege, 4. Aufl., 2004, S. 179 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., Einl. Rn. 148a, beide mwN) als Konsequenz rechtsstaatswidriger Tatprovokation nicht mehr in Betracht (so auch Meyer/Wohlers, JZ 2015, 761, 769; Sommer, StraFo 2014, 508; Petzsche, JR 2015, 88, 89; Pauly, StV 2015, 411 f.; Sinn/Maly, NStZ 2015, 379, 381 f.).
46
Zwar muss das nationale Rechtssystem nicht zwingend dem dogmatischen Ansatz des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte folgen (siehe BVerfG, NJW 2015, 1083, 1085). Denn solange die inhaltlichen Anforderungen, die Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK an die Fairness des Strafverfahrens stellt, erfüllt sind, überlässt es der Gerichtshof den nationalen Gerichten zu entscheiden, wie die Anforderungen der Konvention in die jeweiligen nationalen Strafrechtssysteme zu integrieren sind. Der Gerichtshof betont dementsprechend im Allgemeinen , dass die Frage der Zulässigkeit und Würdigung einzelner Beweise vor- nehmlich der Regelung des nationalen Rechts vorbehalten bleibe, wohingegen seine Aufgabe darin bestehe festzustellen, ob das Verfahren als Ganzes, einschließlich der Art und Weise der Beweisaufnahme, fair war (vgl. EGMR, Urteil vom 23. Oktober 2014 – 54648/09 [Furcht gegen Deutschland], JR 2015, 84; Urteil vom 9. Juni 1998 – 44/1997/828/1034 [Teixeira de Castro gegen Portugal ], NStZ 1999, 47, 48; Urteil vom 5. Februar 2008 – 74420/19 [Ramanauskas gegen Litauen], NJW 2009, 3565, 3566, jew. mwN). Dementsprechend hält der Gerichtshof auch ein Verfahren mit ähnlichen Konsequenzen grundsätzlich für geeignet, eine ausreichende Wiedergutmachung des Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK zu gewährleisten.
47
Wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte aber nunmehr – nachdem der Bundesgerichtshof in der Vergangenheit wiederholt die Straf- zumessungslösung als ausreichend zur Kompensation angesehen hatte – ausdrücklich festgestellt hat, führt auch eine erhebliche Milderung der Strafe nicht zu Konsequenzen, die einem Ausschluss sämtlicher durch die konventionswidrige Tatprovokation des Staates erlangten Beweismittel vergleichbar sind. Die Strafzumessungslösung, soweit sie nicht zu einem vollständigen Absehen von Strafe führt (dafür Sinn/Maly, NStZ 2015, 379, 383) stellt damit auch keine vollständige Wiedergutmachung im Sinne des Art. 41 EMRK dar (vgl.Imme Roxin aaO S. 181 f.). Die Einhaltung der Mindeststandards der Konvention in der Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (Art. 1, 19 EMRK) wird durch die Strafzumessungslösung daher nicht gewährleistet (vgl. aber BGH, Beschluss vom 19. Mai 2015 - 1 StR 128/15, Rn. 7 f., wo die abschließenden Konsequenzen aus der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofs für die Strafzumessungslösung allerdings nicht ausdrücklich erörtert werden ).

48
c) Die danach gebotene Neubewertung der staatlichen Tatprovokation führt bei der erforderlichen schonenden Einpassung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in das nationale Rechtssystem im vorliegenden Fall zur Annahme eines Verfahrenshindernisses.
49
aa) Die Wendung des Gerichtshofs, wonach alle als Ergebnis polizeilicher Provokation gewonnenen Beweismittel ausgeschlossen werden müssen oder aber ein Verfahren mit vergleichbaren Konsequenzen eingreifen muss, damit das Verfahren – auch als Ganzes – als fair angesehen werden kann, könnte zwar für die Annahme eines umfassenden Beweisverwertungsverbots sprechen.
50
Ein solches Beweisverwertungsverbot stünde, wie der Bundesgerichtshof bereits dargelegt hat, indes mit grundlegenden Wertungen des deutschen Strafrechtssystems nicht ohne Weiteres in Einklang und führte zu unlösbaren Abgrenzungsschwierigkeiten (vgl. schon BGH, Urteil vom 18. November 1999 – 1 StR 221/99, BGHSt 45, 321, 334 f.; Urteil vom 23. Mai 1984 – 1 StR 148/84, BGHSt 32, 345, 355).
51
So betrifft ein Beweisverwertungsverbot grundsätzlich nur die unmittelbare Verwertung von bestimmten, rechtswidrig erlangten Beweismitteln zur Feststellung der Schuldfrage (vgl. BVerfG, NJW 2015, 1083, 1085; BVerfG, NJW 2011, 2417, 2419; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., Einl. Rn. 55; KKStPO /Senge, 7. Aufl., Vor § 48 Rn. 82; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht , 28. Aufl., § 24 Rn. 21). In den Fällen der rechtsstaatswidrigen Tatprovokation betrifft das rechtswidrige, gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK verstoßende Handeln des Staates dagegen nicht erst die Erlangung von Beweismitteln, son- dern es hat die Tat als solches zur Folge (vgl. auch Tyszkiewicz, Tatprovokation als Ermittlungsmaßnahme, 2014, S. 223 ff.; Gaede/Buermeyer, HRRS 2008, 279, 286). Insofern greift die Überlegung zu kurz, es seien die durch die Tatprovokation „gewonnenen“ Beweise zu eliminieren. Im Übrigen stellt sich die spätere Erhebung dieser Beweise im Strafverfahren jedenfalls nicht als von vornherein rechtswidrig dar. Die Beweiserhebung durch den Tatrichter ist vielmehr zunächst regelmäßig geboten, um die tatsächlichen Umstände einer behaupteten Tatprovokation klären und die daraus folgenden Konsequenzen prüfen zu können.
52
Umso weniger erscheint, was den Umfang eines möglichen Verwertungsverbotes angeht, eine Differenzierung zwischen „unmittelbar“ und „mittel- bar“ durch die Tatprovokation erlangten Beweisen durchführbar (hierfür aber wohl BVerfG, NStZ 2015, 1083, 1086). Dies wird exemplarisch in den Fällen deutlich, in denen – wie hier und in dem der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Grunde liegenden Fall – die Verurteilung der Angeklagten im Wesentlichen auf deren Geständnis beruht. Wie der Bundesgerichtshof unter Bezugnahmen auf Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bereits entschieden hat, könnte die erforderliche Beschränkung der Zulässigkeit polizeilicher Tatprovokation nicht erreicht werden, wenn darauf abgestellt würde, ob die Angaben des Verdeckten Ermittlers (oder der Vertrauensperson ) das wichtigste Beweismittel darstellen. In vielen Fällen sind deren Angaben zur eigentlichen Überführung des Provozierten nicht notwendig, weil häufig auch Polizeibeamte die Rauschgiftübergabe beobachten und dabei unter Sicherstellung von Drogen und Festnahme der Täter zugreifen, so dass es für die Beweiswürdigung häufig nicht entscheidend darauf ankommt, ob der Angeklagte später – bedingt durch die erlangten Ermittlungsergebnisse oder um geltend zu machen, zur Tat provoziert worden zu sein – ein Geständnis ablegt (BGH, Urteil vom 18. November 1999 – 1 StR 221/99, BGHSt 45, 321, 331 f.). Allein der Ausschluss der Angaben der Lockspitzel von der Beweisführung gewährleistet nicht, dass am Ende ein Verfahren stehen könnte, welches im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in seiner Gesamtheit „fair“ sein könnte (so auch: Meyer/Wohlers, JZ 2015, 761, 765; ebenso wohl auch Sinn/Maly, NStZ 2015, 379, 383). Die Nichtverwendung aller auch in mittelbarer Weise erlangten Beweismittel liefe auch der Sache nach auf ein Verfahrenshindernis hinaus (so auch Meyer/Wohlers, JZ 2015, 761, 769: „Bestrafungshindernis“; vgl. auch Pauly, StV 2015, 411,

413).


53
bb) Demgegenüber fügt sich die Annahme eines Verfahrenshindernisses „schonend“ in das deutsche Strafrechtssystem ein und genügt den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.
54
(1) Die Anerkennung eines Verfahrenshindernisses knüpft an die provozierte Tat selbst und daher – anders als ein Beweisverwertungsverbot – an der unmittelbaren Folge des rechtsstaatswidrigen Handelns an. Es führt zur Einstellung des Verfahrens hinsichtlich dieser Tat (§§ 206a, 260 Abs. 3 StPO) und damit zu vergleichbaren Konsequenzen wie der Ausschluss sämtlicher als Ergebnis polizeilicher Tatprovokation gewonnener Beweismittel (so auch Petzsche JR 2015, 88, 89; Gaede/Buermeyer, HRRS 2008, 279, 286).
55
(2) Gegen die Annahme eines Verfahrenshindernisses als Folge einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation bestehen auch keine durchgreifenden dogmatischen Einwände nach dem System des nationalen Rechts. Diese Lösung wurde bereits früher von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur Senat, Urteil vom 6. Februar 1981 – 2 StR 370/80, NJW 1981, 1626; Beschluss vom 13. November 1981 – 2 StR 242/81, NStZ 1982, 126; Beschluss vom 23. Dezember 1981 – 2 StR 742/81, NStZ 1982, 156) und wird auch heute noch von Teilen der Literatur (vgl. etwa Tyszkiewicz aaO S. 225 ff.; Gaede/ Buermeyer, HRRS 2008, 279, 286; Esser, Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht, 2002, S. 178; Sinner/Kreuzer, StV 2000, 114, 117; Küpper, JR 2000, 257; s. auch LR/Erb, StPO, 26. Aufl., § 163 Rn. 72) befürwortet. Die Rechtsfigur des Verfahrenshindernisses ist unbeschadet der Tatsache, dass sie in der Strafprozessordnung nicht allgemein definiert ist, eine anerkannte dogmatische Kategorie und stellt daher – anders als etwa die Annahme eines gesetzlich nicht geregelten Strafausschließungsgrunds (hierfür etwa I. Roxin aaO S. 220 ff.) – eine aus dem Blickwinkel der innerstaatlichen Rechtsordnung schonende Möglichkeit der Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dar. Dem steht auch nicht die Notwendigkeit entgegen, das Vorliegen des Verfahrenshindernisses aufgrund einer umfassenden Gesamtwürdigung des Sachverhalts zu prüfen. Diese Notwendigkeit kann sich im Einzelfall auch bei der Prüfung anderer Verfahrensvoraussetzungen oder Verfahrenshindernisse ergeben, so etwa bei der Frage einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung (vgl. Senat, Urteil vom 25. Oktober 2000 – 2 StR 232/00, BGHSt 46, 159, 168 ff.) oder etwa beim Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung eines relativen Antragsdelikts, des Nichteintritts der Strafverfolgungsverjährung oder des Eingreifens eines Straffreiheitsgesetzes. Auch ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass sich ein Verfahrenshindernis erst nach umfangreicher Sachverhaltserforschung ergibt (aA Imme Roxin aaO S. 210 mwN), beispielsweise in den Fällen des Strafklageverbrauchs. Der Gesichtspunkt, dass Verfahrenshindernisse in der Regel – wenngleich nicht stets – an objektiv feststellbare Tatsachen anknüpfen und nicht Ergebnis wertender Abwägungen sind (vgl. BGH, Urteil vom 23. Mai 1984 – 1 StR 148/84, BGHSt 32, 345, 351), muss im Übrigen zurücktreten, wenn feststeht, dass für eine solche Abwägung aufgrund des Gewichts des Verstoßes kein Raum bleibt, wie sich hier aus den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergibt.
56
Der Annahme eines Verfahrenshindernisses als regelmäßige Folge einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation kann auch nicht entgegengehalten werden, die unterschiedslose Behandlung aller davon erfassten Fälle würde den großen Unterschieden insbesondere hinsichtlich des Umfangs des späteren schuldhaften Verhaltens des Provozierten nicht gerecht (so aber noch BGH, Urteil vom 18. November 1999 - 1 StR 221/99, BGHSt 45, 321, 333). Zum einen dürften etwa Fälle wie diejenigen eines zufälligen Ansprechens eines bislang unverdächtigen Rauschgifthändlers, der daraufhin eigene, umfangreiche Aktivitäten zur Durchführung eines Betäubungsmittelgeschäfts entfaltet, schon keine Konstellation sein, die als rechtsstaatswidrige Tatprovokation anzusehen ist, obwohl sie vielfach als Beispiele dafür angeführt werden, dass für solche Fälle die Annahme eines Verfahrenshindernisses nicht angemessen sei. Zum anderen stellt das in diesem Zusammenhang bemühte Argument, im Hinblick auf die Intensität der anfänglichen Verdachtslage, die Hartnäckigkeit des Verdeckten Ermittlers sowie die Schuld des durch diesen zur Tat Provozierten gebe es weit auseinander liegende Fallgestaltungen, die eine Differenzierung erforderten (vgl. BGH, Urteil vom 18. November 1999 – 1 StR 221/99, BGHSt 45, 321, 333 f.), eine Behauptung dar, die jedenfalls mit den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht (mehr) in Einklang zu bringen ist. Mit der Annahme der Voraussetzungen einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation müssen alle als Ergebnis polizeilicher Provokation gewonnenen Beweismittel ausgeschlossen werden oder aber es muss ein Verfahren mit vergleichbaren Konsequenzen eingreifen, damit das Verfahren – auch als Ganzes – als fair angesehen werden kann. Dies schließt weitere Differenzierungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten aus.
57
(3) Ein Verfahrenshindernis widerspricht auch nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar bislang offengelassen , ob aus einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation ein Verfahrenshindernis hergeleitet werden kann; es hat dies aber jedenfalls in Ausnahmefällen für möglich erachtet, wenn sich ein tatprovozierendes Verhalten gegen einen (bis dahin) gänzlich Unverdächtigen richtet, der lediglich „als Objekt der staatlichen Ermittlungsbehörden einen vorgefertigten Tatplan ohne eigenen Antrieb ausge- führt hat“ (vgl. BVerfG, NJW 1987, 1874; NJW 1995, 651, 652; Beschluss vom 18. Mai 2001 – 2 BvR 693/01; NJW 2015, 1083, 1084). Damit ist verfassungsrechtlich die Annahme eines Verfahrenshindernisses aber nicht schon auf Ausnahmefälle beschränkt. Insbesondere erfolgt auch die Herleitung der bisherigen „Strafzumessungslösung“ nicht aus der Verfassung selbst; sie ist einfachrechtlich begründet. Eine andere Reaktion auf die rechtsstaatswidrige Tatprovokation wäre, worauf das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 18. Dezember 2014 (NJW 2015, 1083, 1086) ausdrücklich hingewiesen hat, daher von Verfassungs wegen zulässig. Soweit das Bundesverfassungsgericht darüber hinaus die Strafgerichte aufgefordert hat, zukünftig ein Verwertungsverbot bezüglich der unmittelbar durch die rechtsstaatswidrige Tatprovokation gewonnenen Beweise (insbesondere bezüglich der unmittelbar in die Tatprovokation verstrickten Zeugen) zu erwägen, stellt sich dies als ein – jedenfalls nicht aus verfassungsrechtlichen Erwägungen gewonnener – Hinweis dar, der im Übrigen im Rahmen der Nichtannahmeentscheidung der Kammer eine Bindungswirkung nach § 31 Abs. 1 BVerfG nicht entfaltet (vgl. BVerfGE 92, 91, 107).
58
3. Danach folgt aus der festgestellten rechtsstaatswidrigen Tatprovokation ein Verfahrenshindernis, obwohl im vorliegenden Fall mit Blick auf den gegen die Angeklagten bestehenden Tatverdacht die Voraussetzungen eines Ver- fahrenshindernisses von Verfassungs wegen nicht gegeben sind. Es kann dahinstehen , ob in allen Fällen der rechtsstaatswidrigen Tatprovokation – was angesichts der strikten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nahe liegt – die Annahme eines Verfahrenshindernisses aus menschenrechtlicher Sicht geboten ist (so wohl Meyer/Wohlers, JZ 2015, 761, 770) oder ob in besonderen Ausnahmefällen eine Kompensation der Verletzung des fairen Verfahrens nach Art. 6 Abs. 1 EMRK auf andere Weise als durch die Einstellung des Verfahrens denkbar ist, denn angesichts des festgestellten Gewichts des tatprovozierenden Verhaltens kam hier die Annahme eines Ausnahmefalls nicht in Betracht.

III.


59
Die Entscheidung über die Kosten und Auslagen beruht auf § 467 Abs. 1 StPO. Nachdem die angeklagte Tat von vornherein auf eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation zurückgeht, sah der Senat keinen Anlass, von der Ausnahmeregelung des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO Gebrauch zu machen (vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 467 Rn. 18 mwN).
60
Die Entscheidung über die Verpflichtung zur Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (§ 8 StrEG) ist vom Landgericht zu treffen, weil Art und Umfang der entschädigungspflichtigen Maßnahmen ohne weitere Feststellungen und ohne weitere Anhörung der Beteiligten nicht abschließend zu bestimmen sind.

C.


Revision der Staatsanwaltschaft
61
Aus den unter B. dargelegten Gründen war das Urteil auch auf die – insoweit zu Gunsten der Angeklagten (§ 301 StPO) wirkende – Revision der Staatsanwaltschaft aufzuheben und das Verfahren einzustellen.

D.


62
Eines Anfrage- und Vorlageverfahrens gemäß § 132 GVG bedurfte es nicht.
63
1. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 23. Oktober 2014 (54648/09 [Furcht gegen Deutschland]) eröffnete die Möglichkeit und begründete zugleich die, die aus der Konvention herrührende Pflicht, die fachgerichtliche Rechtsprechung zu den Folgen einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation ohne Bindung an bisherige Rechtsprechung zu überprüfen. Zwar kommt den Entscheidungen des Gerichtshofs keine den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (vgl. § 31 Abs. 1 BVerfGG) oder des Europäischen Gerichtshofs (vgl. Art. 267 AEUV) vergleichbare Bindungswirkung zu, die eine Vorlagepflicht ohne Weiteres entfallen ließe (vgl. KKStPO /Hannich, StPO, 7. Aufl., § 132 GVG Rn. 8). Nach Art. 46 EMRK sind die beteiligten Vertragsparteien lediglich im Hinblick auf einen bestimmten Streitgegenstand an das endgültige Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gebunden (vgl. BVerfGE 111, 307, 320).
64
Indes haben sich die Vertragsparteien der Konvention mit der Ratifikation verpflichtet sicherzustellen, dass ihre innerstaatliche Rechtsordnung mit der Konvention übereinstimmt (vgl. Art. 1 EMRK); sie haben die „wirksame Anwen- dung aller Bestimmungen“ der Konvention in ihrem innerstaatlichen Recht zu gewährleisten (vgl. Art. 52 EMRK). Wie bereits unter B.II.2.b dargelegt, haben die deutschen Gerichte daher die Konvention – unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden. Von daher kann sich auch aus einer Entscheidung des Gerichtshofs im Individualbeschwerdeverfahren nach Art. 34 EMRK ein zwingender Neuregelungsbedarf für die deutsche Rechtsprechung ergeben. Dies gilt insbesondere dann, wenn – wie hier – die Bundesrepublik Deutschland Verfahrensbeteiligte ist und die bisherige Rechtsprechung eine Rechtsfigur des deutschen Richterrechts als nicht ausreichende Kompensation einer Konventionsverletzung im Sinne von Art. 41 EMRK angesehen wurde und deshalb eine erneute Verurteilung der Bundesrepublik zu besorgen ist. Diese aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte resultierende Pflicht, die bisherige insoweit „überholte“ Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu überprüfen und anzupassen, trifft alle Strafsenate unmittelbar und gleichermaßen. Bei dieser Sachlage war ein Anfrage- und Vorlageverfahren gemäß § 132 GVG nicht veranlasst.
65
2. Der Senat war auch mit Blick auf die Entscheidung des 1. Strafsenats vom 19. Mai 2015 (1 StR 128/15) nicht gehindert, ohne Durchführung eines Anfrage - oder Vorlageverfahrens zu entscheiden. Abgesehen davon, dass der im schriftlichen Verfahren nach § 349 Abs. 2 StPO gefasste Beschluss, dessen Gründe erst am 21. Juli 2015 und damit mehr als einen Monat nach der Veröffentlichung der Presseerklärung über die Urteilsverkündung im hiesigen Verfah- ren auf die Geschäftsstelle des 1. Strafsenats gelangten und erst am 30. Juli 2015 auf der Homepage des Bundesgerichtshofs veröffentlicht wurden, dem Senat bei seiner Urteilsverkündung am 10. Juni 2015 nicht bekannt war, stellen sich die dortigen Erwägungen, mit denen der 1. Strafsenat die Annahme eines Verfahrenshindernisses ablehnen möchte, letztlich als nicht tragende Überlegungen dar, von denen abzuweichen es ein Verfahren nach § 132 GVG nicht voraussetzt. Die Frage eines Verfahrenshindernisses kann sich erst stellen, wenn eine unzulässige Tatprovokation festgestellt ist. Der 1. Strafsenat befasst sich in seiner Entscheidung vom 19. Mai 2015 aber losgelöst von einer solchen Feststellung allgemein mit der Frage nach den Folgen einer möglichen rechtsstaatswidrigen Tatprovokation, deren Vorliegen er im konkreten Fall aber ersichtlich verneint. Denn es fehlen – so der 1. Strafsenat im dort zu entscheidenden Fall – nicht nur jegliche Anhaltspunkte für eine ausnahmsweise aus verfassungsrechtlicher Sicht zum Verfahrenshindernis führende polizeiliche Tatprovokation. Der 1. Strafsenat geht zudem davon aus, dass sämtliche Betäubungsmittelstraftaten auf den bereits ohne polizeiliche Intervention gefassten Tatentschluss zurückgegangen seien. Schließlich lassen die Ausführungen des 1. Strafsenats zur Verfahrensrüge wegen Verletzung von Art. 6 EMRK bzw. Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG deutlich erkennen, dass er das Vorliegen einer Tatprovokation auf Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen verneint. Denn der Senat bemängelt den im Rahmen der Verfahrensrüge erfolgten unzureichenden Tatsachenvortrag des Beschwerdeführers, der ihn nicht in die Lage versetze zu prüfen, ob eine unzulässige Tatprovokation gegeben sei. Diese Ausführungen wären nicht verständlich, wäre der 1. Strafsenat bereits auf der Grundlage der im Urteil getroffenen tatrichterlichen Feststellungen von einer unzulässigen Tatprovokation ausgegangen.
66
3. Dass die zeitlich nachfolgende Entscheidung des 1. Strafsenats vom 9. Juli 2015 (1 StR 7/15), die in ihrer Begründung ohnehin lediglich das Vorliegen eines extremen Ausnahmefalls, wonach bei einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation (aus verfassungsrechtlicher Sicht) ein Verfahrenshindernis angenommen werden könne, verneint, dem am 10. Juni 2015 verkündeten und durch eine Presseerklärung am selben Tag öffentlich bekannt gemachten Urteil des Senats nicht entgegenstand, bedarf keiner Erläuterung.
Fischer Krehl Eschelbach
Zeng Bartel

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 10. Juni 2015 - 2 StR 97/14

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4 Veröffentlichung(en) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 10. Juni 2015 - 2 StR 97/14.

Strafrecht: Zur Tatprovokation durch verdeckte Ermittler

02.12.2015

Die rechtsstaatswidrige Provokation einer Straftat durch Angehörige von Strafverfolgungsbehörden oder von ihnen gelenkte Dritte hat regelmäßig ein Verfahrenshindernis zur Folge.
Strafzumessung

StPO: Zur Tatprovokation durch Verdeckte Ermittler

14.01.2016

Die rechtsstaatswidrige Provokation einer Straftat durch Angehörige von Strafverfolgungsbehörden oder von ihnen gelenkte Dritte hat regelmäßig ein Verfahrenshindernis zur Folge.
Allgemeines
2 Artikel zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 10. Juni 2015 - 2 StR 97/14.

StPO: Zur Tatprovokation durch Verdeckte Ermittler

14.01.2016

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Referenzen - Gesetze

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver
Bundesgerichtshof Urteil, 10. Juni 2015 - 2 StR 97/14 zitiert 17 §§.

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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 20


(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der

Strafprozeßordnung - StPO | § 467 Kosten und notwendige Auslagen bei Freispruch, Nichteröffnung und Einstellung


(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zu

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 132


(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate. (2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Sena

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(1) Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden. (2) In den Fällen des § 13 Nr. 6, 6a, 11, 12 und 14 hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Gese

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Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

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(1) Die Hauptverhandlung schließt mit der auf die Beratung folgenden Verkündung des Urteils. (2) Wird ein Berufsverbot angeordnet, so ist im Urteil der Beruf, der Berufszweig, das Gewerbe oder der Gewerbezweig, dessen Ausübung verboten wird, gena

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(1) Stellt sich nach Eröffnung des Hauptverfahrens ein Verfahrenshindernis heraus, so kann das Gericht außerhalb der Hauptverhandlung das Verfahren durch Beschluß einstellen. (2) Der Beschluß ist mit sofortiger Beschwerde anfechtbar.

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(1) Zur Erhebung der öffentlichen Klage ist die Staatsanwaltschaft berufen. (2) Sie ist, soweit nicht gesetzlich ein anderes bestimmt ist, verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspu

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(1) Über die Verpflichtung zur Entschädigung entscheidet das Gericht in dem Urteil oder in dem Beschluß, der das Verfahren abschließt. Ist die Entscheidung in der Hauptverhandlung nicht möglich, so entscheidet das Gericht nach Anhörung der Beteiligte

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(1) Sobald die Staatsanwaltschaft durch eine Anzeige oder auf anderem Wege von dem Verdacht einer Straftat Kenntnis erhält, hat sie zu ihrer Entschließung darüber, ob die öffentliche Klage zu erheben ist, den Sachverhalt zu erforschen. (2) Die St

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Verdeckte Ermittler dürfen unter Verwendung ihrer Legende eine Wohnung mit dem Einverständnis des Berechtigten betreten. Das Einverständnis darf nicht durch ein über die Nutzung der Legende hinausgehendes Vortäuschen eines Zutrittsrechts herbeigeführ

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Urteil, 10. Juni 2015 - 2 StR 97/14 zitiert oder wird zitiert von 9 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Urteil, 10. Juni 2015 - 2 StR 97/14 zitiert 5 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 30. Mai 2001 - 1 StR 42/01

bei uns veröffentlicht am 30.05.2001

Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja Veröffentlichung: ja ________________ MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Der Grundsatz des fairen Verfahrens (gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) kann verletzt sein, wenn das im Rahmen einer Tatprovokation durch eine von der P

Bundesgerichtshof Urteil, 11. Dez. 2013 - 5 StR 240/13

bei uns veröffentlicht am 11.12.2013

5 StR 240/13 BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL vom 11. Dezember 2013 in der Strafsache gegen 1. 2. 3. 4. 5. wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der H

Bundesgerichtshof Urteil, 25. Okt. 2000 - 2 StR 232/00

bei uns veröffentlicht am 25.10.2000

Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja Veröffentlichung: ja StGB § 78 b Abs. 3; MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 a) Die Ablaufhemmung des § 78 b Abs. 3 StGB wird auch durch ein Prozeßurteil bewirkt, durch welches das Verfahren wegen Verstoßes gegen Art. 6

Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Mai 2015 - 1 StR 128/15

bei uns veröffentlicht am 19.05.2015

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 S t R 1 2 8 / 1 5 vom 19. Mai 2015 BGHSt: ja BGHR: ja Nachschlagewerk: ja Veröffentlichung: ja ___________________________ GG Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; EMRK Art. 6 Abs. 1; StPO § 344 Abs. 2 Satz 2. 1. Zu de

Bundesgerichtshof Urteil, 21. Okt. 2014 - 1 StR 78/14

bei uns veröffentlicht am 21.10.2014

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 S t R 7 8 / 1 4 vom 21. Oktober 2014 in der Strafsache gegen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Si
4 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 10. Juni 2015 - 2 StR 97/14.

Bundesgerichtshof Urteil, 04. Juli 2018 - 5 StR 650/17

bei uns veröffentlicht am 04.07.2018

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 5 StR 650/17 vom 4. Juli 2018 in der Strafsache gegen 1. 2. 3. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ECLI:DE:BGH:2018:040718U5STR650.17.0 Der 5. Strafsenat des Bundesg

Bundesgerichtshof Urteil, 07. Dez. 2017 - 1 StR 320/17

bei uns veröffentlicht am 07.12.2017

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 320/17 vom 7. Dezember 2017 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen Anstiftung zur unerlaubten Einfuhr mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. ECLI:DE:BGH:2017:071217U1STR320.17.0 Der

Bundesgerichtshof Urteil, 06. Sept. 2016 - 1 StR 104/15

bei uns veröffentlicht am 06.09.2016

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 104/15 vom 6. September 2016 in der Strafsache gegen wegen Untreue ECLI:DE:BGH:2016:060916U1STR104.15.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung vom 26. Juli

Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Jan. 2016 - 4 StR 252/15

bei uns veröffentlicht am 19.01.2016

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 252/15 vom 19. Januar 2016 in der Strafsache gegen wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln ECLI:DE:BGH:2016:190116B4STR252.15.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des General

Referenzen

(1) Zur Erhebung der öffentlichen Klage ist die Staatsanwaltschaft berufen.

(2) Sie ist, soweit nicht gesetzlich ein anderes bestimmt ist, verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen.

(1) Sobald die Staatsanwaltschaft durch eine Anzeige oder auf anderem Wege von dem Verdacht einer Straftat Kenntnis erhält, hat sie zu ihrer Entschließung darüber, ob die öffentliche Klage zu erheben ist, den Sachverhalt zu erforschen.

(2) Die Staatsanwaltschaft hat nicht nur die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln und für die Erhebung der Beweise Sorge zu tragen, deren Verlust zu besorgen ist.

(3) Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sollen sich auch auf die Umstände erstrecken, die für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sind. Dazu kann sie sich der Gerichtshilfe bedienen.

(4) Eine Maßnahme ist unzulässig, soweit besondere bundesgesetzliche oder entsprechende landesgesetzliche Verwendungsregelungen entgegenstehen.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
________________
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1
Der Grundsatz des fairen Verfahrens (gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) kann verletzt
sein, wenn das im Rahmen einer Tatprovokation durch eine von der Polizei
geführte Vertrauensperson (VP) angesonnene Drogengeschäft nicht mehr in einem
angemessenen, deliktsspezifischen Verhältnis zu dem jeweils individuell gegen den
Provozierten bestehenden Tatverdachts steht (Fortführung von BGHSt 45, 321).
BGH, Urteil vom 30. Mai 2001 - 1 StR 42/01 - Landgericht Augsburg

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 42/01
vom
30. Mai 2001
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung am
29. Mai 2001 in der Sitzung vom 30. Mai 2001, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
und die Richter am Bundesgerichtshof
Nack,
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
Hebenstreit,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger in der Verhandlung,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 26. September 2000 im Ausspruch über die Einzelstrafe im Falle B. II. der Urteilsgründe und über die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die weitergehende Revision wird verworfen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Haschisch) sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Heroin) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, die die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt. Sie macht insbesondere geltend, der Angeklagte sei von einer durch die Polizei geführten Vertrauensperson (VP) in unzulässiger Weise zum Handeltreiben mit Heroin provoziert worden. Den darin liegenden Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK habe das Landgericht ausdrücklich feststellen und bei der Strafzumessung weitergehend als geschehen berücksichtigen müssen. Das Rechtsmittel ist teilweise begründet; es führt zur Aufhebung des Ausspruchs über die im Falle B. II. der Urteilsgründe in Ansatz gebrachte Einzelfreiheitsstrafe sowie zum Wegfall der Gesamtfreiheitsstrafe.

I.

1. Das Landgericht hat festgestellt: Der Angeklagte lernte in einem Lokal durch einen Bekannten eine sog. Vertrauensperson (VP) der Polizei kennen. Diese gab zu verstehen, daß sie Haschisch konsumiere. Während eines Toilettenaufenthaltes der VP folgte ihr der Angeklagte und bot ihr Haschisch an. Die VP ging auf das Angebot ein und es kam zu einem Verkauf von etwa 70 g (4,5 g THC) zum Preise von 700 DM. Bei einem weiteren Treffen - an diesem Tage wurde auch ein weiteres Haschischgeschäft zwischen beiden abgewickelt (22,55 g bei 1,4 g THC) - äußerte nun die VP gegenüber dem Angeklagten, sie sei stark am Erwerb von Heroin guter Qualität interessiert. Der Angeklagte – gegen den nicht der Verdacht bestand, Heroingeschäfte vorgenommen zu haben oder solche vornehmen zu wollen - antwortete zunächst abwehrend sinngemäß, daß solche Geschäfte gefährlich seien. Zwei Tage darauf, als die VP über vermeintliche Bezugsprobleme klagte, versuchte er indessen telefonisch Kontakt zu dem Heroinhändler B. herzustellen. Im weiteren Verlauf gelang ihm dies und er arrangierte ein Treffen der VP mit B. , an dem er teilnahm. Es kam dann zu drei Geschäften: Zunächst erfolgte eine Probelieferung von 5,52 g Heroingemisch mit einem HHCL-Anteil von 1,15 g zum Preis von 400 DM, sodann eine weitere Lieferung von 89,05 g Heroingemisch (HHCL-Anteil = 7,64 g) zum Preis von 7.000 DM; schließlich bestellte die VP 500 g Heroingemisch, die der Angeklagte als lieferbar erklärt hatte, nachdem die VP zunächst 1,2 kg Heroin und 800 g Kokain hatte ordern wollen. Bei den Geschäften war der Angeklagte nach telefonischer Verabredung in den Pkw der VP gestiegen; dann hatten beide B. an einem anderen Ort aufgenommen. Die Verhandlungen mit der VP wickelte im wesentlichen der Angeklagte ab, da B. k aum Deutsch
sprach. Der Angeklagte sollte für die Geschäfte sowohl von der VP als auch von B. eine Provision erhalten. Die Strafkammer ist auf der Grundlage der Einlassung des Angeklagten davon ausgegangen, die VP habe ihn unter Darstellung einer Gefahr für Leib und Leben - weil er seine angeblichen Abnehmer nicht mehr mit qualitativ gutem Heroin habe beliefern können - "angebettelt" Heroin zu besorgen und eine Provision in Aussicht gestellt. Nachdem der Angeklagte den Kontakt zu B. hergestellt hätte und mit der Sache nichts mehr habe zu tun haben wollen, sei er von der VP zum weiteren Mitmachen "gedrängt" worden, weil er als Dolmetscher gebraucht werde. Bei der Übergabe des zuletzt bestellten Heroins an die VP wurden der Angeklagte und B. festgenommen. Im Blick auf die Einlassung des Angeklagten , das Haschisch wie auch das Heroin hätten jeweils einem auf einmal beschafften Gesamtvorrat entstammt, hat die Strafkammer für das Handeltreiben mit Haschisch sowie mit Heroin jeweils eine Bewertungseinheit angenommen. 2. Die Strafkammer hat einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK verneint. Zwar habe gegen den Angeklagten vor dem Einsatz der VP kein Verdacht dahin bestanden, daß er gerade Heroingeschäfte vornehmen wolle. Auch könne letztlich nicht ausgeschlossen werden, daß der Angeklagte durch die VP zum Handeltreiben mit Heroin provoziert worden sei. Eine "eventuelle Provokation" sei dem Staat aber nicht zuzurechnen, da jedenfalls das von dem Wissen und der Kenntnis der Polizei umfaßte Verhalten der VP keine Tatprovokation darstelle. Dennoch hat die Strafkammer bei der Strafzumessung wegen der Veranlassung des Handeltreibens mit Heroin die an sich festzusetzende Einzelfreiheitsstrafe um fünf Monate verringert.

II.

Die Revision hat Erfolg, soweit sie den Strafausspruch im Falle B. II. der Urteilsgründe angreift (Heroingeschäfte). Die Begründung, mit der das Landgericht das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK als nicht verletzt erachtet, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Vorgehen der VP der Polizei, durch welches der Angeklagte zum Handeltreiben gerade mit Heroin veranlaßt wurde und das dem Staat hier entgegen der Auffassung des Landgerichts zuzurechnen ist, erweist sich möglicherweise als unzulässige und damit konventionswidrige Tatprovokation. Der Senat läßt offen, ob die Revision nur mit einer Verfahrensrüge oder auch mit der Sachrüge geltend machen kann, das Landgericht habe zu Unrecht einen Konventionsverstoß verneint. Er kann alle insoweit maßgeblichen Umstände sowohl dem Vortrag der Revision zur Verfahrensrüge als auch dem angefochtenen Urteil entnehmen. 1. Der Senat hat in seinem Urteil vom 18. November 1999 - 1 StR 221/99 (BGHSt 45, 321) in Anwendung des Grundsatzes des fairen Verfahrens (gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) und im Blick auf dessen Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR EuGRZ 1999, 660 = StV 1999, 127 = NStZ 1999, 47) für den Fall eines konventionswidrigen Lockspitzeleinsatzes entschieden, daß ein solcher Verstoß in den Urteilsgründen festzustellen und bei Festsetzung der Rechtsfolgen - genau bemessen - zu kompensieren ist. Eine Konventionssverletzung liegt nach der genannten Senatsentscheidung vor, wenn eine unverdächtige und zunächst nicht tatgeneigte Person durch die von einem Amtsträger geführte VP in einer dem Staat zuzurechnenden Weise zu einer Straftat verleitet wird und dies zu einem Strafverfahren führt (BGHSt 45, 321, Leitsatz und Seite 335).
Der Senat hat diesen Maßstab weiter dahin konkretisiert, daß eine Tatprovokation nicht schon dann vorliegt, wenn eine VP einen Dritten ohne sonstige Einwirkung lediglich darauf anspricht, ob dieser Betäubungsmittel beschaffen könne. Ebenso liegt keine Provokation vor, wenn die VP nur die offen erkennbare Bereitschaft zur Begehung oder Fortsetzung von Straftaten ausnutzt. Dagegen ist die VP als die tatprovozierender Lockspitzel tätig, wenn sie über das bloße "Mitmachen" hinaus in die Richtung auf eine Weckung der Tatbereitschaft oder eine Intensivierung der Tatplanung mit einiger Erheblichkeit stimulierend auf den Täter einwirkt (BGHSt 45, 321, 338). Erreicht die Intensität der Einwirkung durch den polizeilichen Lockspitzel das Maß einer Tatprovokation, so ist diese nur zulässig, wenn die VP (bzw. ein VE) gegen eine Person eingesetzt wird, die in einem den §§ 152 Abs. 2, 160 StPO vergleichbaren Grad verdächtig ist, an einer bereits begangenen Straftat beteiligt gewesen zu sein oder zu einer zukünftigen Straftat bereit zu sein; hierfür müssen also zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Dies gilt unabhängig davon, ob der VP-Einsatz ursprünglich (bis zur Tatprovokation) der präventiven Gefahrenabwehr diente oder von Anfang an repressiven Charakter hatte. Die Rechtmäßigkeit des Lockspitzeleinsatzes ist selbst im Falle einer "Gemengelage" einheitlich an den Regelungen der StPO zu messen (BGHSt 45, 321, 337). Eine unzulässige Tatprovokation ist dem Staat im Blick auf die Gewährleistung des fairen Verfahrens dann zuzurechnen, wenn diese Provokation mit Wissen eines für die Anleitung der VP verantwortlichen Amtsträgers geschieht oder dieser sie jedenfalls hätte unterbinden können. Erteilt die Polizei einen Auftrag an eine VP, hat sie die Möglichkeit und die Pflicht, diese Person zu überwachen. Eine Ausnahme von der sich daraus ergebenden Zurechnung
kann nur dann gelten, wenn die Polizei mit einem Fehlverhalten der VP nicht rechnen konnte (BGHSt 45, 321, 336). 2. Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall zunächst, daß die Bewertung des Landgerichts, das Verhalten der VP sei hier dem Staat nicht zuzurechnen , von Rechts wegen keinen Bestand haben kann. Dem Zusammenhang der Urteilsgründe kann der Senat entnehmen, daß die VP eng geführt wurde und deren Treffen mit dem Angeklagten und B. überwacht wurden. Das Verhalten der VP bewegte sich im wesentlichen auf der Linie des ihr erteilten Auftrages. 3. Die rechtsfehlerhafte Verneinung einer Zurechnung des Verhaltens der VP würde allerdings eine Verwerfung der Revision nicht hindern, wenn sich aus den Feststellungen des Landgerichts im übrigen ohne weiteres ergäbe, daß hier keine unzulässige Tatprovokation vorlag. Das ist indessen nicht der Fall.
a) Das Landgericht geht selbst davon aus, daß die VP den Angeklagten zum Handeltreiben gerade mit Heroin in größer werdenden Mengen provoziert hat. Auf der Grundlage des vom Landgericht angenommenen Sachverhaltes liegt eine Tatprovokation nahe. Das Urteil geht davon aus, daß die VP den Angeklagten unter Hinweis auf eine vermeintliche eigene Leibes- und Lebensgefahr um Heroin "anbettelte", ihm etwas "vorjammerte" und nach dem Zustandebringen des Kontaktes zu dem Heroinhändler B. "bedrängte", sich als Dolmetscher weiter am Handeltreiben mit Heroin zu beteiligen. Darin kann eine Einwirkung von einiger Erheblichkeit liegen, die letztlich zu einer Intensivierung der Tatplanung im Sinne einer Provokation führte. Allerdings ist bei einer solchen Bewertung auch zu bedenken, daß es zwischen der Stärke des bestehenden Tatverdachts und dem Maß der für die Annahme einer Tatprovokation
erheblichen Einwirkung eines polizeilichen Lockspitzels eine Wechselwirkung geben kann. Je stärker der Verdacht, desto nachhaltiger wird auch die Stimulierung zur Tat sein dürfen, bevor die Schwelle der Tatprovokation erreicht wird.
b) Die Tatprovokation, von der das Landgericht ausgeht, kann hier unzulässig gewesen sein, weil der Angeklagte bis dahin lediglich des Handeltreibens mit Haschisch verdächtig war. In dem Verleiten zum Handeltreiben mit Heroin lag eine erhebliche Steigerung des Unrechtsgehalts der Tat. Zwar steht insoweit grundsätzlich ein und derselbe Tatbestand in Rede (unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln). Die provozierte Tat erhält aber durch Art und Menge des Rauschgiftes ein besonderes Gepräge. Der Unrechtsgehalt ist von erheblich größerem Gewicht, wenn ein des Handeltreibens mit sog. weichen Drogen Verdächtiger zum Handeltreiben mit sog. harten Drogen in großer Menge veranlaßt wird ("Quantensprung"). Wird jemand auf solche Weise gleichsam unter staatlicher Verantwortung weiter in die Kriminalität gedrängt, so liegt darin dann eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens, wenn das im Rahmen einer Tatprovokation angesonnene Drogengeschäft nach Art und Menge der Drogen nicht mehr in einem angemessenen, deliktsspezifischen Verhältnis zu dem jeweils individuell gegen den Provozierten bestehenden Tatverdacht steht. Die Qualität des Tatverdachts , der sich im Verlaufe des Einsatzes der VP hinsichtlich Intensität und Unrechtscharakter auch verändern kann, begrenzt so den Unrechtsgehalt derjenigen Tat, zu der der Verdächtige in zulässiger Weise provoziert werden darf. Diese Begrenzung rechtfertigt sich letztlich daraus, daß es nicht Aufgabe einer dem Fairneßgrundsatz verpflichteten staatlichen Strafrechtspflege sein darf, einen Unverdächtigen durch Provokation in die Täterschaft zu treiben
oder einen zwar Tatverdächtigen, der die ihm angesonnene Tat aber ablehnt, zu einer solchen zu provozieren oder zur Begehung einer im Unrechtsgehalt gegenüber der Tatverdachtslage erheblich gesteigerten Tat zu verleiten. Die Zulässigkeit einer Tatprovokation wurzelt in dem Auftrag des rechtsstaatlichen Gemeinwesens, erhebliche Straftaten wirksam aufzuklären (vgl. BVerfGE 29, 183, 194; 77, 65, 76; siehe weiter zum Einsatz einer VP BVerfGE 57, 250, 284; BVerfG Kammer NJW 1987, 1874, 1875; NStZ 1991, 445; StV 1995, 169, 171). Die kriminalistische Erfahrung zeigt, daß solche Aufklärung namentlich auf dem Felde des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, das durch Abschottung der verschiedenen Handelsebenen und durch konspiratives Vorgehen gekennzeichnet ist, oft nur durch verdeckte Ermittlungen erreicht werden kann und nur so eine beweiskräftige Überführung der Täter möglich ist. Auf der Grundlage dieser Gegebenheiten kann es dem Staat nicht verwehrt sein, auch zum Mittel der Tatprovokation zu greifen, weil anderenfalls ein weites Kriminalitätsfeld - gerade das des Handeltreibens mit Drogen in großem Stile - weitgehend unaufgeklärt bliebe und sich kriminelle Strukturen weitgehend unbehelligt entwickeln könnten. Das Mittel der Tatprovokation muß sich aber auch im Einzelfall noch mit dem Ziel der Aufklärung schwerwiegender Straftaten rechtfertigen lassen. Wird - über den bestehenden Tatverdacht hinausgehend - eine Steigerung der Verstrickung des Tatverdächtigen in qualitativ deutlich höheres Unrecht mit dem Mittel einer Provokation bewirkt, diese also durch die bestehende Verdachtslage nicht mehr getragen, so steht das nicht mehr im Einklang mit dem generellen Auftrag der dem Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) verpflichteten Strafrechtspflege. Das schließt eine bloße Nachfrage, ob der Tatverdächtige sich auf ein erheblich unrechtsgesteigertes Drogengeschäft einläßt, oder ein schlichtes Mitwirken der VP an einem solchermaßen gestei-
gerten Unrecht nicht aus, wenn dadurch die Schwelle zur Provokation nicht überschritten wird. Bei der Beurteilung der Unrechtsqualität des gegen den Provozierten bestehenden Tatverdachts - die ihrerseits die Zulässigkeit der Tatprovokation begrenzt - können neben den tatsächlichen Umständen, die den Anfangsverdacht begründen, auch die deliktsspezifischen Gegebenheiten mit in Betracht gezogen werden: Cannabisverbraucher beziehen Haschisch oft bei Drogenhändlern , die auch mit sogenannten harten Drogen handeln (sog. Einheitlichkeit des Drogenmarktes, vgl. BVerfGE 90, 145, 181). Es entspricht auch nach der Erfahrung des Senats gängiger Praxis beim unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, nach neu geknüpften Lieferbeziehungen zunächst sogenannte Vertrauenskäufe über kleinere Mengen zu tätigen, deren auch strafrechtliches Risiko aus Sicht der Täter zunächst noch nicht allzu hoch ist. Schließlich ist zu bedenken, daß Rauschgifthändler oft über gute Kontakte und "Geschäftsbeziehungen" zu anderen Drogenhändlern verfügen, die hinsichtlich Art und Menge des zu beschaffenden Rauschgiftes leistungsfähiger sind; sie vermögen solche Beziehungen dann ohne weiteres zu nutzen und sind dazu auch bereit, um daraus eigenen Gewinn zu ziehen. Ist jemand unter diesen Umständen "nur" des Handeltreibens mit Haschisch verdächtig, so erweist sich ein aufklärungsorientiertes Aufgreifen einer vorhandenen Tatbereitschaft im Sinne einer Veranlassung zu einem Heroingeschäft nicht schon deshalb als Tatprovokation, weil ein individueller Verdacht in diesem Sinne bis dahin nicht manifest geworden ist. Es kommt dann vielmehr darauf an, ob sich der Täter auf die ihm angesonnene Intensivierung der Tatplanung ohne weiteres einläßt, sich also geneigt zeigt, auch die Tat mit dem höheren Unrechtsgehalt zu begehen und an ihr mitzuwirken. Geht die qualitati-
ve Steigerung der Verstrickung des Täters indessen mit einer Einwirkung durch die VP einher, die von einiger Erheblichkeit ist (Tatprovokation), so liegt ein Fall der unzulässigen Tatprovokation vor. Nur in diesem Falle kann ein Konventionsverstoß angenommen werden, dem entsprechend Rechnung zu tragen ist (nach den Maßstäben von BGHSt 45, 321). In allen anderen Fällen erweist sich die Tatveranlassung durch eine polizeilich geführte VP als Umstand, der bei der konkreten Strafzumessung zugunsten des Täters berücksichtigt werden kann.
c) Das Landgericht wird die Sache nach Maßgabe dieser Grundsätze erneut zu prüfen haben. Dabei wird es zu versuchen haben, hinsichtlich des Maßes der Einwirkung der VP auf den Angeklagten sowie des Gewichts und der Qualität des Tatverdachts gegen diesen Feststellungen zu treffen. Gegebenenfalls ist eine Konventionsverletzung ausdrücklich festzustellen und ein genau bemessener Abschlag bei der Bemessung der Einzelstrafe für den in Rede stehenden Fall B. II. der Urteilsgründe vorzunehmen. Der Senat vermag nicht auszuschließen, daß dieser Abschlag anders ausfallen könnte, falls das Landgericht zu dem Ergebnis käme, daß hier ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vorliegt.
4. Der in Rede stehende Rechtsfehler kann sich allein auf die für die Heroingeschäfte (Fälle B. II. der Urteilsgründe) und die für diese zugemessene Einzelstrafe sowie auf die Gesamtstrafe auswirken. Die Einzelstrafe für den Fall B. I. der Urteilsgründe (Haschischgeschäfte) und der Schuldspruch, der einen sachlich-rechtlichen Mangel nicht erkennen läßt, können hingegen bestehen bleiben. Schäfer Nack Boetticher Schluckebier Hebenstreit
5 StR 240/13

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 11. Dezember 2013
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
5.
wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung
vom 27. November und 11. Dezember 2013, an der teilgenommen haben
:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Prof. Dr. Sander,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof ,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt K. ,
Rechtsanwalt C.
als Verteidiger des Angeklagten A. ,
Rechtsanwalt F.
als Verteidiger des Angeklagten Sa. ,
Rechtsanwalt N. ,
Rechtsanwalt R.
als Verteidiger des Angeklagten So. ,
Rechtsanwalt St.
als Verteidiger des Angeklagten V. ,
Rechtsanwalt L. ,
Rechtsanwalt P.
als Verteidiger des Angeklagten U. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
am 11. Dezember 2013 für Recht erkannt:
1. Die Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 7. November 2012 werden verworfen.
2. Die Angeklagten haben jeweils die durch ihr Rechtsmittel entstandenen Kosten zu tragen.
3. Die Kosten der Revisionen der Staatsanwaltschaft und die durch diese Rechtsmittel den Angeklagten jeweils entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
I. Das Landgericht hat verurteilt
2
- den Angeklagten A. wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln und mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln – jeweils in nicht geringer Menge – zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und fünf Monaten,
3
- die Angeklagten Sa. und So. jeweils wegen Beihilfe zu den vom Angeklagten A. täterschaftlich verwirklichten Delikten zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und elf Monaten bzw. von drei Jahren und sieben Monaten,
4
- den Angeklagten U. wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln – jeweils in nicht geringer Menge – zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren sowie
5
- den Angeklagten V. wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten.
6
Hiergegen richten sich die Revisionen der fünf Angeklagten, die jeweils die Sachrüge erheben. Die Angeklagten A. und So. haben zudem Verfahrensfehler geltend gemacht. Die Revisionen bleiben ebenso wie die zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten, jeweils auf die Sachrüge gestützten und vom Generalbundesanwalt teilweise vertretenen Revisionen der Staatsanwaltschaft ohne Erfolg.
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1. Nach den landgerichtlichen Feststellungen geriet der Angeklagte A. Anfang September 2009 in Verdacht, aus einem Café heraus in großem Umfang mit Heroin zu handeln. Seit 1. November 2009 setzte das Landeskriminalamt Berlin die aus dem kriminellen Milieu stammende, seit über zehn Jahren im Drogen-, Waffen- und Falschgeldbereich tätige sowie als sehr erfahren und stets zuverlässig geltende Vertrauensperson (VP) „M. “ ein, ohne dies aktenkundigzu machen. Sie sollte für ihre Tätigkeit über die Auslagenerstattung hinaus Honorare für die jeweiligen Einsatztage sowie eine Erfolgsprämie erhalten, „die … bei einer großen Sicherstellungsmenge höher ausfallen sollte als bei einer kleineren“ (UA S. 13).
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„M. “ suchte in den folgenden Monaten häufig das fragliche „Ca- fé A. “ auf und kam alsbald mit dem Angeklagten A. insGe- spräch; dieser Erstkontakt wurde lediglich in einem polizeiinternen Treffbericht festgehalten und erst nach Anklageerhebung aktenkundig (UA S. 14). „M. “ wurde nunmehr mit der Legende ausgestattet, selbst mit Heroin zu handeln, das er „über Bremerhaven in Containern einführe und durch ei- nen Kontakt zu einem Hafenarbeiter namens ´Kl. ` an der Zollkontrolle vorbei aus dem Hafenbereich“ schaffen könne (UA S. 15 f.).
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Vom 7. Dezember 2009 bis 5. Januar 2010 war in Richtung des „Ca- fés A. “ eine Überwachungskamera installiert. Deren Aufzeichnungen wurden ausgewertet, ein Bericht hierüber wurde nicht gefertigt. Das Video- material wurde gelöscht, da es „aus Sicht der Ermittler nicht ergiebig war“. Auch diese Ermittlungsmaßnahme wurde in den Akten erst nach der Anklageerhebung erwähnt (UA S. 18).
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Am 23. Februar 2010 schilderte „M. “ in einem Hinterzimmer des „Cafés A. “ – entsprechendseiner Legende – seine Heroinge- schäfte und fragte den Angeklagten, ob sie „nicht zusammen Geld verdienen“ wollten. Dieser antwortete jedoch „spontan, dass er mit dem ´Dreckszeug Heroin` nichts zu tun haben wolle“. Im weiteren Gespräch ließ er erkennen, dass Haschisch und Kokain „für ihn etwas anderes seien und er dagegen nicht so eine Abscheu habe wie gegen Heroin“. Noch am selben Tag berichtete „M. “ dagegen seiner polizeilichen Führung, das Ge- spräch sei auf Initiative des Angeklagten A. zustande gekommen, der „insgesamt sehr begierig“ auf die Bremerhavener Kontakte gewesen sei. Dessen Abneigung gegen Heroin erwähnte er nicht. In der hierüber gefertig- ten „Quellenvernehmung“, der ersten von insgesamt 81, wurde die seit Mitte November 2009 erfolgte Fortführung des Einsatzes „M. s“ erstmals aktenkundig gemacht (UA S. 19 f.).
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Der Angeklagte fand die Idee eines wegen der Kontakte „M. s“ anscheinend einfach zu gestaltenden Einfuhrschmuggels von Kokain „sehr faszinierend und verlockend. Um nicht unbedarft zu erscheinen“, gab er auf die Frage „M. s“ wahrheitswidrig an, über „entsprechende Kontakte“ zu verfügen und sich „mal umzuhören“ (UA S. 21).
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Da „M. “ bis Anfang Mai 2010 trotz dieser Bemühungen nichts über Handelstätigkeiten erfahren hatte und „auch anderweitige neue Ermittlungserkenntnisse hierzu nicht vorlagen“, wurde er vom VP-Führer beauftragt , „aktiv“ an den Angeklagten A. heranzutreten. Dies tat er am 4. Mai 2010, indem er dem Angeklagten vorspiegelte, sich für diesen bei sei- nem „Mann in Bremerhaven, der beim Zoll arbeite und für die Containereinfuhr zuständig sei, ... eingesetzt zu haben“; dieser sei hundertprozentig ver- lässlich und zu einer Zusammenarbeit mit dem Angeklagten bereit. „Es wäre die leichteste und sicherste Methode, Geld zu verdienen. Je größer die Liefe- rung, desto größer der Gewinn.“ Der Angeklagte fand dies interessant, wollte den Mann aber zuvor kennenlernen, um sich selbst ein Bild machen zu kön- nen. Seiner polizeilichen Führung gegenüber gab „M. “ dagegen an, der Angeklagte habe von sich aus nach Einzelheiten der Abwicklung gefragt. Er habe geantwortet, „dass der Mann im Hafen mindestens 50.000 Euro verlange“ (UA S. 22 f.).
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Obwohl „M. “ dem Angeklagten A. in der Folge noch mehr- mals anbot, mit ihm nach Bremerhaven zu fahren, ging dieser darauf nicht ein, weil er „den Gedanken an ein Drogengeschäft aus eigenem Antrieb … nicht weiterverfolgte“. Auch wenn er „M. “ wahrheitswidrig Gegenteiliges sagte, verfügte er „weder über entsprechende Kontakte noch über ausreichende finanzielle Mittel, … zumal ´M. ` … stets auch weitere 50.000 Euro für sich selbst verlangte“ (UA S. 23 f.). Als derAngeklagte im Juli 2010 130.000 Euro aus einer Erbschaft erhielt, verlieh er das Geld an zwei Bekannte.
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Da „M. “ ihm nach wie vor regelmäßig die Nutzung der günsti- gen Einfuhrmöglichkeit eröffnete, versuchte der Angeklagte etwa zurselben Zeit gleichwohl erstmals, einen Kontakt zu einem Kokain-Lieferanten herzu- stellen. „M. s“ Einsatz wurde nun mit Blick auf die polizeilich konstruier- te Bremerhavener Einfuhrmöglichkeit fortgesetzt, obwohl sich fast neun Monate nach seinem Beginn keine Anhaltspunkte für eigene Kokain- oder gar – dem Anfangsverdacht entsprechend – Heroingeschäfte des Angeklagten ergeben hatten (UA S. 25).
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Am 6. August 2010 fuhren der Angeklagte und „M. “ nach Bremerhaven , um den „Hafenmitarbeiter ´Kl. `“ zu treffen. Bei diesem handelte es sich um einen zunächst nicht offen ermittelnden Polizeibeamten, der dann aber seit 24. September 2010 als Verdeckter Ermittler (VE) eingesetzt wurde. Während der Hinfahrt hatte „M. “ vom Angeklagten verlangt, dieser solle sich szenebedingt als „Ma. “ vorstellen und „unter vier Augen … schnell zur Sache kommen“. Daher erörterte der Angeklagte mit „Kl. “ so- gleich, ob dieser beim Schmuggel von Taschen mit Kokain im Rahmen einer Containerlieferung aus Südamerika behilflich sein könne. Entsprechend der entworfenen Legende bejahte „Kl. “, jedoch seien 50.000 Euro an ihn zu zahlen. Abschließend kündigte der Angeklagte A. – ohne derartige Kontakte zu haben – an, „nun werde er jemanden nach Südamerika schicken, um dort Vorbereitungen für den Transport in die Wege zu leiten“. Er war von dem Treffen „sehr beeindruckt“ und wollte sich „eine solch einmalige Gelegenheit … nicht entgehen lassen“ (UA S. 26 f.).
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In der „Quellenvernehmung“ am Folgetag gab „M. “ – möglich- erweise wiederum wahrheitswidrig – an, auf der Fahrt nach Bremerhaven habe der Angeklagte von einem „Deal“ mit 270 kg Rauschgift in Mazedonien berichtet, der gescheitert sei, weil das Transportschiff zu groß für einen der dortigen Häfen gewesen sei. Dies glaubten die Ermittler ohne weitere Prüfung , obwohl Mazedonien als Binnenstaat über keinen Hafen verfügt (UA S. 27 f.).
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Da „M. “ weiter drängte, sprach der Angeklagte A. den mit ihm befreundeten Angeklagten U. an. Dieser war im Jahr 2007 in den Nie- derlanden wegen Schmuggels „einer Partie Kokain im Umfang von insgesamt drei Kilogramm … nach Belgien“ zu einer zweijährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden und sollte sich nun an einen in der Türkei Inhaftierten wenden , der Kontakte zu Kokainhändlern haben sollte; dies misslang (UA S. 28). Dennoch berichtete „M. “ seinem VP-Führer, dass der Angeklagte A. gesagt habe, „dass es bald losgehe“ (UA S. 28 f.).
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Etwa Anfang Oktober 2010 wandte sich der Angeklagte A. an den lediglich einmal nicht einschlägig vorbestraften Angeklagten Sa. den er seit 20 Jahren gut kannte, schilderte ihm die „sich nur einmal im Leben bietende günstige Gelegenheit“ und bat ihn um Unterstützung bei dem Kokain- import. Er versprach sich vom Angeklagten Sa. , dieser werde in Süd- amerika Informationen sammeln „und möglicherweise auch bereits eine Kokainlieferung … nach Bremerhaven vorbereiten“. Mit Blick auf die zu diesem Zweck in Aussicht gestellten 50.000 Euro, auf deren Erhalt es ihm in erster Linie ankam,ging der in Wahrheit noch unentschlossene Angeklagte Sa. „formal“ auf den Vorschlag ein.
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Am 20. Oktober 2010 kam es in Bremerhaven zu einem weiteren Tref- fen von „Kl. “ mit „M. “ und dem Angeklagten A. , bei dem dieser von „zwei möglichen Lieferschienen“ sprach, ein Übergabeort ausgesucht und vereinbart wurde, dass die Hälfte der „Provisionszahlung“ vor der Wa- renübergabe erfolgen solle (UA S. 29 f.).
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Am 8. Februar 2011 berichtete „M. “ in einer „Quellenvernehmung“ , der Angeklagte A. habe eingeräumt, „dass der angekündigte Transport nicht klappen würde“, zugleich aber versprochen, „dass die Sachen in ein bis anderthalb Monaten“ über „seinen ´großen Mann` in der Türkei … da seien“. Anhaltspunktefür im Übrigen betriebene Kokaingeschäfte des Angeklagten A. lagen weiterhin nicht vor; derartige Ermittlungen wurden auch nicht geführt (UA S. 30 f.).
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Vor diesem Hintergrund zweifelte der Angeklagte A. selbst daran, Kokain besorgen zu können. Vom mittlerweile – scheinbar – zum Freund gewordenen „M. “ durch entsprechende Redeweisen „an der Ehre gepackt“ und unter Druck gesetzt, entschied er sich jedoch zum Weitermachen. Deshalb brachte er den Angeklagten Sa. dazu, am 18. Februar 2011 nach Venezuela zu fliegen. Dieser kehrte jedoch am 1. März 2011 von dort zurück, ohne ein Kokaingeschäft auch nur angebahnt zu haben (UA S. 31 ff.). Auf „M. s“ Initiative trafen sich dieser und der Angeklag- te A. am 29. März 2011 in Magdeburg-Rothensee mit „Kl. “, um weite- re Absprachen zu treffen (UA S. 33 f.).
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Nach diesem etwa anderthalbjährigen Vorlauf kam es zum eigentlichen Tatgeschehen: Der mit dem Angeklagten A. befreundete und einige Jahre zuvor nur wegen Straßenverkehrsdelikten bestrafte Angeklagte So. wollte günstig arabischen Wasserpfeifentabak erwerben; A. wollte ihn hierbei finanziell unterstützen. Im April oder Mai 2011 fuhren die Angeklagten A. und So. in die Niederlande, um das – tatsächlich durchgeführte – Wasserpfeifentabakgeschäft abzuschließen. Dabei kam der Angeklagte A. mit dem Bekannten des Angeklagten So. auch über eine mögliche Kokainlieferung ins Gespräch, bei dem der Angeklagte A. von der (vermeintlichen) Möglichkeit berichtete, die Zollkontrolle in Bremerhaven „absolut sicher“ zu umgehen. Der niederländische Bekannte sagte zu, sich um ein Treffen mit einem Mann, „der Kontakte nach Südamerika habe“, zu bemühen. Am 17. Mai 2011 erhielt „M. “ vom VP-Führerden Auftrag, dem Angeklagten A. „zu sagen, die ganze Sache mit dem Kokaintransport zu vergessen, weil ´Kl. ` nicht glaube, dass A. “ diesen „wirklich … bewerkstelligen könne“ (UA S. 36).
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Das avisierte Treffen fand am 25. Mai 2011 wiederum in den Niederlanden statt; hieran nahmen die Angeklagten A. und So. , dessen niederländischer Bekannter (der „Araber“) sowie möglicherweise zwei Süd- amerikaner teil. Während der Angeklagte A. erneut die sichere Einfuhrmöglichkeit schilderte, beteiligte sich der Angeklagte So. an den Verhandlungen nicht. Diese wurden in weiteren Treffen ab 30. Mai 2011 fortgesetzt. Hieran nahm neben den Angeklagten So. – der ursprünglichen Kontaktperson – und A. nun auch der Angeklagte Sa. als dessen „rechte Hand“ teil. Letztlich einigte man sich, über die Bremerhavener „Einfuhrschiene“ um die 100 kg Kokain einzuführen und zum gewinnbringenden Weiterverkauf nach Berlin zu bringen. 16 kg Kokain „von guter Qualität“ sollte der Angeklagte A. erhalten, der mit einem Verkaufserlös zwischen 500.000 und 600.000 Euro rechnete. Die Angeklagten So. und Sa. rechneten für ihre Mitwirkung mit 10.000 Euro bzw. dem Erlass von Schulden (UA S. 37 ff.).
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Unterdessen kam es am 31. Mai, 8. Juli und 2. August 2011 zu Treffen „M. s“ und des Angeklagten A. mit „Kl. “. Dieser erhielt dabei von „M. “ eine Geldzahlung und räumte die Besorgnis des Angeklagten A. aus, ein Container könne ohne sein Wissen „gescannt“ werden. Gemeinsam wurde eine leere, zur Zwischenlagerung vorgesehene Wohnung besichtigt, die die Ermittlungsbehörden mit Mikrofonen ausgestattet und ebenso besorgt hatten wie einen – mit einer Fahrzeuginnenraumüberwachung versehenen – Kleintransporter, den der Angeklagte A. für erforder- lich gehalten hatte. Dieser teilte „Kl. “ schließlich den fraglichen Container mit, übergab ihm 3.000 Euro als „Anzahlung“ und erhielt den Schlüssel für die „Bunkerwohnung“ (UA S. 41 f.).
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Am Mittwoch, dem 17. August 2011, traf das Schiff „C. S. “ mit dem das Kokain enthaltenden Container in Bremerhaven ein. Noch am sel- ben Tag begaben sich „M. “ und der Angeklagte A. in die „Bunkerwohnung“ ; letzterer händigte dort „Kl. “ 12.000 Euro aus und kündigte die Restzahlung für den bevorstehenden Montag an, womit „Kl. “ sich entspre- chend den Vorgaben seiner Führung zufrieden gab. Das Abholen der Taschen im Hafen und deren Transport in die Wohnung wurden für den folgenden Vormittag vereinbart. Gegen 10.00 Uhr fuhren „Kl. “ und der Angeklagte A. mit dem Transporter zum Hafengelände, wo letzterer die Siegel des Containers auftrennte. Die darin aufgefundenen drei Taschen transportierten beide zur „Bunkerwohnung“, in der „M. “ wartete. Dorthin bestellte der Angeklagte A. nun telefonisch den Angeklagten U. , den er in den Wochen zuvor gewonnen hatte, den Weitertransport des Kokains nach Berlin zu organisieren. Der Angeklagte U. hatte zunächst wegen seiner Vorstrafe Bedenken gehabt, dann aber seine Hilfe zugesagt, weil er sich dem Ange- klagten A. verpflichtet fühlte und dieser ihm vom „Einfluss seiner Leute“ berichtet hatte. Der Angeklagte U. rechnete mit einer Menge Kokains zumindest guter Qualität im zweistelligen Kilogrammbereich und stellte sich eine Entlohnung in Höhe von ein paar Tausend Euro vor (UA S. 44 f.).
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Der Angeklagte A. übergab dem Angeklagten U. die Wohnungsschlüssel und ließ sich von diesem gegen 11.20 Uhr zu einem Treff- punkt fahren, den er mit „M. “ und „Kl. “ vereinbart hatte. Der Ange- klagte U. wiederum traf sich am Nachmittag mit dem unbestraften Angeklagten V. , einem Speditionsfahrer. Dieser hatte im Juli 2011 zugesagt, für 1.000 Euro das Kokain – nach seiner Vorstellung im zweistelligen Kilogrammbereich – mit seinem beruflich genutzten Lkw nach Berlin zu schaffen, und dem Angeklagten U. zudem bereits am Wochenbeginn seinen privaten Pkw für die erforderlichen Fahrten, insbesondere für die Begleitung nach Berlin, überlassen. Gemeinsam fuhren die Angeklagten U. und V. in dessen Pkw zur „Bunkerwohnung“, um das Kokain in das Auto zu laden. Nach ihrem Eintreffen und dem Beginn des Packens wurden sie dort von einem polizeilichen Sondereinsatzkommando festgenommen, das die Wohnung seit dem Morgen observiert hatte; 97,17 kg Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von fast 87 kg Cocainhydrochlorid wurden sichergestellt. Auch die übrigen Angeklagten wurden am selben Tag festgenommen (UA S. 45 ff.).
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2. Das Landgericht hat diese Feststellungen im Wesentlichen aufgrund der Angaben der Angeklagten getroffen. Alle haben ihre jeweiligen Tatbeiträge in weitgehend miteinander kompatiblen Verteidigererklärungen eingeräumt. Diese Einlassungen hat das Landgericht als nicht zu widerlegen angesehen, obwohl nach den als Zeugen gehörten polizeilichen Führungs- beamten die VP „M. “ – diein der Hauptverhandlung nicht selbst vernommen werden konnte – ihnen gegenüber den gesamten Tathergang in über 80 Quellenvernehmungen „teilweise grob abweichend geschildert“ hat, „insbesondere auch im Hinblick auf Art und Ausmaß ihrer Einflussnahme auf den Angeklagten A. “ (UA S. 89). Diesen nur durch Zeugen vom Hören- sagen eingeführten, in den Urteilsgründen nicht näher dargelegten Angaben hat das Landgericht nur „geringen Beweiswert“ zugebilligt, da es sich bei „M. “ um eine „Person aus dem kriminellen Milieu“ handele, die „ein erhebliches finanzielles Eigeninteresse an der Überführung des Angeklagten A. hatte“ (UA S. 89 f.).
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3. Das Landgericht hat vor allem wegen des „sehr langen Zeitraums“, in dem „M. “ im Zuge einer Vielzahl legendenbildender Maßnahmen – ergänzt durch den eingebundenen VE „Kl. “ – miterheblichen Verlo- ckungen und Druck auf den Angeklagten A. eingewirkt hat und diesem auch im Übrigen die Begehung der ganz erheblich über den Anfangsverdacht hinausgehenden Tat seitens der Ermittlungsbehörden wesentlich erleichtert wurde, eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation bejaht (UA S. 96 ff.). Trotz der nur mittelbaren Einflussnahme hat es eine solche auch hinsichtlich der Angeklagten Sa. und So. angenommen, weil diese „ihre Tatbeiträge gerade im Hinblick auf den infolge der staatlichen Einflussnahme sicher er- scheinenden Einfuhrweg erbracht haben“ (UA S. 104).
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An Schuldsprüchen hat sich das Landgericht hierdurch aber im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht gehindert ge- sehen (UA S. 95). Es hat stattdessen den „schweren Makel“ der unzulässi- gen, beim Angeklagten A. „besonders massiven“ Tatprovokation bei den drei genannten Angeklagten mit herangezogen, um den jeweils bejahten minder schweren Fall (§ 29a Abs. 2, § 30 Abs. 2 BtMG) zu begründen, und hat daher Freiheitsstrafen verhängt, die erheblich unter den vom Landgericht sonst als schuldangemessen angesehenen geblieben sind (Angeklagter A. : „nicht unter zehn Jahren“; Angeklagte Sa. und So. : „nicht unter sieben Jahren“). Bei den Angeklagten U. undV. hat es die staatliche Tatprovokation allgemein strafmildernd berücksichtigt.
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4. Die Angeklagten streben jeweils die Einstellung des Verfahrens an, der Angeklagte So. aber nur hilfsweise für den Fall, dass er nicht freige- sprochen wird. Alle Angeklagten wenden sich hilfsweise gegen den sie jeweils betreffenden Strafausspruch. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft rügen im Wesentlichen die Feststellungen zur rechtsstaatswidrigen Tatpro- vokation als unzureichend, weil der Inhalt der über 80 mit „M. “ durch- geführten Quellenvernehmungen im Urteil nicht mitgeteilt wird, und beanstanden ferner – nur insoweit vom Generalbundesanwalt vertreten – die nach den Feststellungen zur Tatprovokation vom Landgericht für die Strafzumessung gezogenen Folgerungen.
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II. Die von den Angeklagten A. und So. erhobenen Verfahrensrügen erweisen sich durchgängig als unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), da jeweils in Bezug genommene Stellungnahmen und Schriftstücke nicht bzw. sonstige Verfahrenstatsachen nicht vollständig mitgeteilt werden. Der Erörterung bedarf danach allein die Anwendung des materiellen Rechts durch das Landgericht.
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1. Die Prüfung aufgrund der Revisionen der Angeklagten hat Folgendes ergeben: Der Verurteilung der Angeklagten steht kein Verfahrenshindernis entgegen (lit. a). Die Schuldsprüche erweisen sich ebenso als rechtsfehlerfrei (lit. b) wie die Strafaussprüche (lit. c).
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a) Die Annahme des Landgerichts, durch den festgestellten Einsatz verdeckt agierender Personen sei gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) verstoßen worden, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
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aa) Die Strafkammer hat zunächst zu Recht angenommen, der Angeklagte A. sei zu seiner Tat rechtsstaatswidrig provoziert worden. Zwar bestand gegen ihn zunächst ein gewisser Anfangsverdacht. In der Folge wurde das tatprovozierende Verhalten aber bei Abwägung aller Umstände „unvertretbar übergewichtig“ (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 1983 – 2StR 370/83, NStZ 1984, 78, 79; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 853). Hierbei durfte das Landgericht maßgeblich auf den außergewöhnlich langen Zeitraum abstellen, während des- sen nicht nur durch die VP „M. “, sondern ergänzend durch den VE „Kl. in vielfältiger, einen hohen Tatanreiz schaffenderWeise – auch mit gewissem Druck – auf den Angeklagten eingewirkt sowie die Durchführung der Kokaineinfuhr seitens der Ermittlungsbehörden zudem durch weiteres Tun wesentlich erleichtert worden ist. Es durfte weiter berücksichtigen, dass der Umfang der staatlicherseits initiierten Tat um ein Vielfaches über das Ausmaß des ursprünglichen Anfangsverdachtes hinausging und die übrigen Ermittlungen – soweit sie überhaupt geführt wurden – keinerlei belastende Momente ergeben haben. In der Gesamtschau spricht letztlich nichts dafür, dass der bislang unbestrafte Angeklagte A. die Tat ohne die gewichtigen Maßnahmen der Ermittlungsbehörden und das dem Staat zuzurechnende (vgl. BGH, Urteil vom 18. November 1999 – 1 StR 221/99, BGHSt 45, 321, 336) Vorgehen „M. s“ verübt hätte. Das Verfahren war mithin nicht fair im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK (vgl. EGMR [Große Kammer], NJW 2009, 3565, 3568).
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bb) Bei der festgestellten besonderen Fallgestaltung durfte das Landgericht auch in Bezug auf die Angeklagten Sa. und So. einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens bejahen. Zu diesen beiden hatten die VP „M. “ und der VE „Kl. “ nach den Feststellungen aller- dings keinen unmittelbaren Kontakt, so dass es an einer direkten staatlichen Einflussnahme fehlt (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 17. März 1994 – 1 StR 1/94, NStZ 1994, 335; vom 17. August 2004 – 1 StR 315/04, NStZ 2005, 43). Allein deshalb stehen Rechtsgründe der Annahme einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation jedoch nicht von vornherein entgegen. Denn eine solche kommt etwa auch dergestalt in Betracht, dass der durch die Vertrauensperson Provozierte deren Anweisung befolgt, einen weiteren Beteiligten in die Tat zu verstricken (vgl. zu dieser Konstellation BGH, Urteil vom 18. November 1999 – 1 StR 221/99, BGHSt 45, 321, 334).
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Eine derartige ausdrückliche Anweisung ist zwar nicht festgestellt worden. Dem Urteil lässt sich aber entnehmen, dass „die Ermittlungsbehörden … stets damit gerechnet“ haben, „dass der Angeklagte A. einenBe- täubungsmittelschmuggel nicht alleine begehen, sondern dabei zumindest Helfer haben werde. Ihnen war daher bewusst, dass sich die provozierende Wirkung des zur Verfügung gestellten Einfuhrweges auch auf andere Personen als den Angeklagten A. erstrecken würde“ (UA S. 104). Angesichts der Größe des Drogengeschäfts erscheint diese Einschätzung als geradezu zwingend. Tatsächlich sind die Angeklagten Sa. und So. wesentlich durch das seitens des Staates geschaffene, ihnen vom Angeklagten A. erwartungsgemäß vermittelte Szenario beeinflusst worden, da sie „ihre Tatbeiträge gerade im Hinblick auf den infolge der staatlichen Einflussnahme sicher erscheinenden Einfuhrweg erbracht haben“ (UA S. 104). Angesichts dessen hält der Senat die landgerichtliche Bewertung der nur mittelbaren Einwirkung auf die beiden im Lager des unmittelbar provozierten A. stehenden Angeklagten für rechtsfehlerfrei.
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cc) Eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation zieht jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kein Verfahrenshindernis nach sich; ihr ist vielmehr im Rahmen der Strafzumessung Rechnung zu tragen (sogenannte Strafzumessungslösung). Für diese Auffassung ist maßgebend, dass selbst ein massiver Verstoß gegen § 136a StPO nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung lediglich zu einem Beweisverwertungsverbot führt, nach den Prinzipien des deutschen Verfahrensrechts ein Beweisverbot stets nur die jeweils unzulässige Ermittlungshandlung betrifft und im Falle eines Verfahrenshindernisses der Schutz unbeteiligter Dritter sowie ihrer Individualrechtsgüter – etwa Leib und Leben – Not leiden (vgl. BGH, aaO, 323, 334; siehe auch Urteil vom 23. Mai 1984 – 1 StR 148/84, BGHSt 32, 345, 353), ferner die Genugtuungsfunktion des Strafrechts verfehlt werden könnte. Angesichts dieser gewichtigen Argumente gibt der vorliegende Fall einer – freilich besonders schwerwiegenden – rechtsstaatswidrigen Einwirkung auf drei der Angeklagten keinen Anlass, über die bisherige Rechtsprechung hinaus- zugehen. Dies gilt jedenfalls angesichts einer nur verhältnismäßig gering zu gewichtenden Zwangseinwirkung durch die VP auf den Angeklagten A. und unter Berücksichtigung von dessen nach der Tatprovokation aufgewendeter erheblicher krimineller Energie bei zugleich nur mittelbarer Einwirkung auf die beiden anderen betroffenen Angeklagten.
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Anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass durch das Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt vom 25. Dezember 2008 (BGBl. I S. 3083, 3085) in § 20g Abs. 2 Nr. 4 BKAG mit Wirkung zum 1. Januar 2009 der „Einsatz von Privatpersonen , deren Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt Dritten nicht bekannt ist (Vertrauensperson)“, normiert worden ist. Denn diese Regelung betrifft primär polizeirechtliche Präventivmaßnahmen innerhalb eines speziellen Anwendungsbereichs. Sie legt den von der Revision des Angeklagten A. befürworteten Schluss nicht nahe, der Gesetzgeber habe durch diese – sichauf die dem Bundeskriminalamt in § 4a Abs. 1 BKAG übertragenen Aufgaben beziehende – Teilregelung einen nicht ausdrücklich gesetzlich normierten Einsatz von Vertrauenspersonen im Rahmen des Strafverfahrens als nicht mehr zulässig ansehen wollen. Ein dahingehender Wille des Gesetzgebers lässt sich insbesondere den Materialien nicht entnehmen (vgl. BT-Drucks. 16/10121 S. 16, 25).
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b) Die Schuldsprüche sind rechtlich nicht zu beanstanden. Ihnen liegen Feststellungen zugrunde, die ohne einen die jeweils glaubhaft geständigen Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler zustande gekommen sind.
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c) Auch die Strafaussprüche sind sorgfältig und rechtsfehlerfrei begründet worden und haben daher Bestand. Das Landgericht hat bei ihrer Festsetzung dem außergewöhnlichen, in einem Rechtsstaat nicht mehr hinnehmbaren Gesamtgewicht des festgestellten Einsatzes der VP „M. “ und des VE „Kl. “ sowie der sonstigen die Tat fördernden Maßnahmen der Ermittlungsbehörden in – angesichts der erheblichen Menge des eingeführ- ten und für den Handel bestimmten Kokains guter Qualität einerseits und deren Sicherstellung aufgrund der umfassenden polizeilichen Überwachung andererseits (vgl. zu diesem Gesichtspunkt BGH, Beschluss vom 19. Mai 1987 – 1 StR 202/87, BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 1; Urteil vom 16. März 1995 – 4 StR 111/95, BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 28) – noch hinreichendem Maße Rechnung getragen, und zwar bei allen Angeklagten. Das nur begrenzt eingesetzte Druckpotential und die erheblichen kriminellen Aktivitäten der Angeklagten, insbesondere des Hauptangeklagten A. , machten eine noch stärkere Strafreduktion bis hin zur Grenze der Aussetzungsfähigkeit der Freiheitsstrafen nicht erforderlich.
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2. Mit ihren Revisionen wendet sich die Staatsanwaltschaft vor allem gegen die Beweiswürdigung, soweit diese die Tatsachen betrifft, die der rechtsstaatswidrigen Tatprovokation zugrunde liegen, im Übrigen gegen die Strafzumessung. Sie haben keinen Erfolg.
42
a) Die – vom Revisionsgericht ohnehin nur eingeschränkt überprüfbare – tatgerichtliche Beweiswürdigung erweist sich vorliegend insbesondere nicht als lückenhaft. Dem Landgericht ist namentlich bei der Einschätzung des Beweiswertes der Angaben „M. s“ als gering kein Rechtsfehler unterlaufen. Es durfte insofern berücksichtigen, dass die Vertrauensperson „aus dem kriminellen Milieu“ stammt, „einerhebliches finanzielles Eigeninteresse an der Überführung des Angeklagten A. hatte“ und ihre Angaben lediglich über Zeugen vom Hörensagen in die Hauptverhandlung eingeführt werden konnten (zum hierdurch geminderten Beweiswert vgl. BGH, Urteil vom 18. November 1999 – 1 StR 221/99, BGHSt 45, 321, 340; Beschluss vom 4. März 2003 – 4 StR 543/02). Bei dieser Beweislage war es – ungeachtet der überaus breiten wörtlichen Wiedergabe der Angeklagteneinlassungen – nicht gehalten, Näheres zum Inhalt der über 80 „Quellenvernehmun- gen“ mitzuteilen, weil sich hierdurch, wie auch der Generalbundesanwalt meint, nichts für die Beweiswürdigung Gewichtiges hätte ergeben können. Für diese Bewertung hält der Senat zwei weitere Umstände für bedeutsam:
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aa) Die Polizei ist verpflichtet, eine von ihr beauftragte Vertrauensperson bestmöglich zu überwachen (vgl. BGH, Urteil vom 18. November1999 – 1 StR 221/99, BGHSt 45, 321, 336). Es muss der Gefahr begegnet werden, dass diese den ihr staatlicherseits erteilten Auftrag missbraucht (vgl. BGH, Urteil vom 23. Mai 1984 – 1 StR 148/84, BGHSt 32, 345, 353). Dies gilt besonders dann, wenn die Vertrauensperson – wie häufig und auch vorliegend offenbar in erheblichem Ausmaß – selbst aus dem kriminellen Milieu stammt. Wie das Landgericht zutreffend dargelegt hat (UA S. 102), war die Kontroll- pflicht nicht dadurch relativiert oder gar entfallen, dass „M. “, ohne dass das näher konkretisierbar war, sich in der Vergangenheit als zuverlässig erwiesen hatte (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, aaO, Rn. 854).
44
Seine Kontrolle ist jedoch nicht im gebotenen Maße erfolgt. Dies hat es ermöglicht, dass „M. “ nach den Feststellungen im Rahmen der „Quellenvernehmungen“ mehrfach wahrheitswidrige Angaben machen konn- te – etwa zu Kontakten und dem Verhalten des Angeklagten A. –, ohne dass diese seitens der Ermittlungsbehörden auch nur in Frage gestellt wurden. Namentlich die Vernehmungsbeamten wären zur Prüfung verpflichtet gewesen, ob die Schilderungen „M. s“ in sich stimmig und mit sonsti- gen Ermittlungsergebnissen vereinbar waren. Hierbei hätte jede Gelegenheit ergriffen werden müssen, objektivierbare Daten zu überprüfen.
45
bb) Darüber hinaus wurde bei den Ermittlungen mehrfach gegen die Grundsätze der Aktenwahrheit und –vollständigkeit verstoßen. Der Einsatz „M. s“ blieb über mehrere Monate in den Akten völlig unerwähnt. Sein Erstkontakt mit dem Angeklagten A. wurde zunächst lediglich in einem polizeiinternen Treffbericht festgehalten und erst nach Anklageerhebung aktenkundig. Dies gilt auch für den Umstand, dass für die Dauer eines Monats in Richtung des „Cafés A. “ eine Überwachungskamera installiert war. Deren Aufzeichnungen wurden ausgewertet, ohne dass hierüber ein Bericht angefertigt wurde. Zudem wurde das Videomaterial gelöscht, da es „aus Sicht der Ermittler nicht ergiebig war“.
46
Ein solches Vorgehen ist in einem rechtsstaatlichen Verfahren nicht hinnehmbar. Es steht nicht im Belieben der Ermittlungsbehörden, ob sie strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen in den Akten vermerken und zu welchem Zeitpunkt sie dies tun. Das Tatgericht muss den Gang des Verfahrens ohne Abstriche nachvollziehen können. Dies ist kein Selbstzweck, sondern soll die ordnungsgemäße Vorbereitung der Hauptverhandlung durch das Gericht und die übrigen Verfahrensbeteiligten gewährleisten (vgl. BGH, Urteil vom 18. November 1999 – 1 StR 221/99, BGHSt 45, 321, 338 f.; LG Berlin StV 1986, 96; Urteil vom 23. April 2008 – [528] 1 Kap Js 1946/06 KLs [11/07]). Zudem muss in einem Rechtsstaat schon der bloße Anschein, die Ermittlungsbehörden wollten etwas verbergen, vermieden werden. Deshalb sollte in den Akten ebenfalls vermerkt sein, ob eine Vertrauensperson für ihre Tätigkeit eine Entlohnung zugesagt bekommen oder gar erhalten hat. Der Senat weist darauf hin, dass Höhe und Erfolgsbezogenheit des jeweiligen Honorars im Rahmen der gebotenen umfassenden Beweiswürdigung für die Bewertung des Motivs der Vertrauensperson, mit den Ermittlungsbehörden zusammenzuarbeiten, relevant sein und entscheidungserhebliche Bedeutung erlangen kann.
47
Angesichts von Qualität und Quantität des festgestellten Vorgehens „M. s“ ist der vom Landgericht gezogene Schluss, der Angeklagte A. sei hierdurch zu dem Drogengeschäft sehr großen Ausmaßes veranlasst worden, nicht zu beanstanden, sondern vielmehr naheliegend. Eine die Ver- nehmungen „M. s“ betreffende Aufklärungsrüge haben die staatsan- waltschaftlichen Revisionen nicht erhoben.
48
cc) Des Weiteren ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass rechtsstaatliche Belange namentlich auch durch ein etwaiges Strafverfahren gegen die VP zu gewährleisten sind. In Fällen einer Tatprovokation der hier vorliegenden Art besteht für die Staatsanwaltschaft Anlass, bei Verdacht eines zielstrebig und unbedingt auf einen großen Betäubungsmittelum- satz gerichteten, grob rechtswidrigen Verhaltens einer VP deren strafrechtliche Verantwortlichkeit zu überprüfen.
49
b) Die Strafzumessung enthält ebenfalls keinen die Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler. Insbesondere ist die Differenz zwischen den verhängten und den ohne die unzulässige Tatprovokation vom Landgericht als angemessen angesehenen Strafen angesichts des Ausmaßes der Rechtsstaatswidrigkeit nicht etwa unangemessen hoch.
Basdorf Sander Schneider
König Bellay

Verdeckte Ermittler dürfen unter Verwendung ihrer Legende eine Wohnung mit dem Einverständnis des Berechtigten betreten. Das Einverständnis darf nicht durch ein über die Nutzung der Legende hinausgehendes Vortäuschen eines Zutrittsrechts herbeigeführt werden. Im übrigen richten sich die Befugnisse des Verdeckten Ermittlers nach diesem Gesetz und anderen Rechtsvorschriften.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
________________
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1
Der Grundsatz des fairen Verfahrens (gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) kann verletzt
sein, wenn das im Rahmen einer Tatprovokation durch eine von der Polizei
geführte Vertrauensperson (VP) angesonnene Drogengeschäft nicht mehr in einem
angemessenen, deliktsspezifischen Verhältnis zu dem jeweils individuell gegen den
Provozierten bestehenden Tatverdachts steht (Fortführung von BGHSt 45, 321).
BGH, Urteil vom 30. Mai 2001 - 1 StR 42/01 - Landgericht Augsburg

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 42/01
vom
30. Mai 2001
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung am
29. Mai 2001 in der Sitzung vom 30. Mai 2001, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
und die Richter am Bundesgerichtshof
Nack,
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
Hebenstreit,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger in der Verhandlung,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 26. September 2000 im Ausspruch über die Einzelstrafe im Falle B. II. der Urteilsgründe und über die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die weitergehende Revision wird verworfen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Haschisch) sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Heroin) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, die die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt. Sie macht insbesondere geltend, der Angeklagte sei von einer durch die Polizei geführten Vertrauensperson (VP) in unzulässiger Weise zum Handeltreiben mit Heroin provoziert worden. Den darin liegenden Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK habe das Landgericht ausdrücklich feststellen und bei der Strafzumessung weitergehend als geschehen berücksichtigen müssen. Das Rechtsmittel ist teilweise begründet; es führt zur Aufhebung des Ausspruchs über die im Falle B. II. der Urteilsgründe in Ansatz gebrachte Einzelfreiheitsstrafe sowie zum Wegfall der Gesamtfreiheitsstrafe.

I.

1. Das Landgericht hat festgestellt: Der Angeklagte lernte in einem Lokal durch einen Bekannten eine sog. Vertrauensperson (VP) der Polizei kennen. Diese gab zu verstehen, daß sie Haschisch konsumiere. Während eines Toilettenaufenthaltes der VP folgte ihr der Angeklagte und bot ihr Haschisch an. Die VP ging auf das Angebot ein und es kam zu einem Verkauf von etwa 70 g (4,5 g THC) zum Preise von 700 DM. Bei einem weiteren Treffen - an diesem Tage wurde auch ein weiteres Haschischgeschäft zwischen beiden abgewickelt (22,55 g bei 1,4 g THC) - äußerte nun die VP gegenüber dem Angeklagten, sie sei stark am Erwerb von Heroin guter Qualität interessiert. Der Angeklagte – gegen den nicht der Verdacht bestand, Heroingeschäfte vorgenommen zu haben oder solche vornehmen zu wollen - antwortete zunächst abwehrend sinngemäß, daß solche Geschäfte gefährlich seien. Zwei Tage darauf, als die VP über vermeintliche Bezugsprobleme klagte, versuchte er indessen telefonisch Kontakt zu dem Heroinhändler B. herzustellen. Im weiteren Verlauf gelang ihm dies und er arrangierte ein Treffen der VP mit B. , an dem er teilnahm. Es kam dann zu drei Geschäften: Zunächst erfolgte eine Probelieferung von 5,52 g Heroingemisch mit einem HHCL-Anteil von 1,15 g zum Preis von 400 DM, sodann eine weitere Lieferung von 89,05 g Heroingemisch (HHCL-Anteil = 7,64 g) zum Preis von 7.000 DM; schließlich bestellte die VP 500 g Heroingemisch, die der Angeklagte als lieferbar erklärt hatte, nachdem die VP zunächst 1,2 kg Heroin und 800 g Kokain hatte ordern wollen. Bei den Geschäften war der Angeklagte nach telefonischer Verabredung in den Pkw der VP gestiegen; dann hatten beide B. an einem anderen Ort aufgenommen. Die Verhandlungen mit der VP wickelte im wesentlichen der Angeklagte ab, da B. k aum Deutsch
sprach. Der Angeklagte sollte für die Geschäfte sowohl von der VP als auch von B. eine Provision erhalten. Die Strafkammer ist auf der Grundlage der Einlassung des Angeklagten davon ausgegangen, die VP habe ihn unter Darstellung einer Gefahr für Leib und Leben - weil er seine angeblichen Abnehmer nicht mehr mit qualitativ gutem Heroin habe beliefern können - "angebettelt" Heroin zu besorgen und eine Provision in Aussicht gestellt. Nachdem der Angeklagte den Kontakt zu B. hergestellt hätte und mit der Sache nichts mehr habe zu tun haben wollen, sei er von der VP zum weiteren Mitmachen "gedrängt" worden, weil er als Dolmetscher gebraucht werde. Bei der Übergabe des zuletzt bestellten Heroins an die VP wurden der Angeklagte und B. festgenommen. Im Blick auf die Einlassung des Angeklagten , das Haschisch wie auch das Heroin hätten jeweils einem auf einmal beschafften Gesamtvorrat entstammt, hat die Strafkammer für das Handeltreiben mit Haschisch sowie mit Heroin jeweils eine Bewertungseinheit angenommen. 2. Die Strafkammer hat einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK verneint. Zwar habe gegen den Angeklagten vor dem Einsatz der VP kein Verdacht dahin bestanden, daß er gerade Heroingeschäfte vornehmen wolle. Auch könne letztlich nicht ausgeschlossen werden, daß der Angeklagte durch die VP zum Handeltreiben mit Heroin provoziert worden sei. Eine "eventuelle Provokation" sei dem Staat aber nicht zuzurechnen, da jedenfalls das von dem Wissen und der Kenntnis der Polizei umfaßte Verhalten der VP keine Tatprovokation darstelle. Dennoch hat die Strafkammer bei der Strafzumessung wegen der Veranlassung des Handeltreibens mit Heroin die an sich festzusetzende Einzelfreiheitsstrafe um fünf Monate verringert.

II.

Die Revision hat Erfolg, soweit sie den Strafausspruch im Falle B. II. der Urteilsgründe angreift (Heroingeschäfte). Die Begründung, mit der das Landgericht das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK als nicht verletzt erachtet, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Vorgehen der VP der Polizei, durch welches der Angeklagte zum Handeltreiben gerade mit Heroin veranlaßt wurde und das dem Staat hier entgegen der Auffassung des Landgerichts zuzurechnen ist, erweist sich möglicherweise als unzulässige und damit konventionswidrige Tatprovokation. Der Senat läßt offen, ob die Revision nur mit einer Verfahrensrüge oder auch mit der Sachrüge geltend machen kann, das Landgericht habe zu Unrecht einen Konventionsverstoß verneint. Er kann alle insoweit maßgeblichen Umstände sowohl dem Vortrag der Revision zur Verfahrensrüge als auch dem angefochtenen Urteil entnehmen. 1. Der Senat hat in seinem Urteil vom 18. November 1999 - 1 StR 221/99 (BGHSt 45, 321) in Anwendung des Grundsatzes des fairen Verfahrens (gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) und im Blick auf dessen Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR EuGRZ 1999, 660 = StV 1999, 127 = NStZ 1999, 47) für den Fall eines konventionswidrigen Lockspitzeleinsatzes entschieden, daß ein solcher Verstoß in den Urteilsgründen festzustellen und bei Festsetzung der Rechtsfolgen - genau bemessen - zu kompensieren ist. Eine Konventionssverletzung liegt nach der genannten Senatsentscheidung vor, wenn eine unverdächtige und zunächst nicht tatgeneigte Person durch die von einem Amtsträger geführte VP in einer dem Staat zuzurechnenden Weise zu einer Straftat verleitet wird und dies zu einem Strafverfahren führt (BGHSt 45, 321, Leitsatz und Seite 335).
Der Senat hat diesen Maßstab weiter dahin konkretisiert, daß eine Tatprovokation nicht schon dann vorliegt, wenn eine VP einen Dritten ohne sonstige Einwirkung lediglich darauf anspricht, ob dieser Betäubungsmittel beschaffen könne. Ebenso liegt keine Provokation vor, wenn die VP nur die offen erkennbare Bereitschaft zur Begehung oder Fortsetzung von Straftaten ausnutzt. Dagegen ist die VP als die tatprovozierender Lockspitzel tätig, wenn sie über das bloße "Mitmachen" hinaus in die Richtung auf eine Weckung der Tatbereitschaft oder eine Intensivierung der Tatplanung mit einiger Erheblichkeit stimulierend auf den Täter einwirkt (BGHSt 45, 321, 338). Erreicht die Intensität der Einwirkung durch den polizeilichen Lockspitzel das Maß einer Tatprovokation, so ist diese nur zulässig, wenn die VP (bzw. ein VE) gegen eine Person eingesetzt wird, die in einem den §§ 152 Abs. 2, 160 StPO vergleichbaren Grad verdächtig ist, an einer bereits begangenen Straftat beteiligt gewesen zu sein oder zu einer zukünftigen Straftat bereit zu sein; hierfür müssen also zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Dies gilt unabhängig davon, ob der VP-Einsatz ursprünglich (bis zur Tatprovokation) der präventiven Gefahrenabwehr diente oder von Anfang an repressiven Charakter hatte. Die Rechtmäßigkeit des Lockspitzeleinsatzes ist selbst im Falle einer "Gemengelage" einheitlich an den Regelungen der StPO zu messen (BGHSt 45, 321, 337). Eine unzulässige Tatprovokation ist dem Staat im Blick auf die Gewährleistung des fairen Verfahrens dann zuzurechnen, wenn diese Provokation mit Wissen eines für die Anleitung der VP verantwortlichen Amtsträgers geschieht oder dieser sie jedenfalls hätte unterbinden können. Erteilt die Polizei einen Auftrag an eine VP, hat sie die Möglichkeit und die Pflicht, diese Person zu überwachen. Eine Ausnahme von der sich daraus ergebenden Zurechnung
kann nur dann gelten, wenn die Polizei mit einem Fehlverhalten der VP nicht rechnen konnte (BGHSt 45, 321, 336). 2. Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall zunächst, daß die Bewertung des Landgerichts, das Verhalten der VP sei hier dem Staat nicht zuzurechnen , von Rechts wegen keinen Bestand haben kann. Dem Zusammenhang der Urteilsgründe kann der Senat entnehmen, daß die VP eng geführt wurde und deren Treffen mit dem Angeklagten und B. überwacht wurden. Das Verhalten der VP bewegte sich im wesentlichen auf der Linie des ihr erteilten Auftrages. 3. Die rechtsfehlerhafte Verneinung einer Zurechnung des Verhaltens der VP würde allerdings eine Verwerfung der Revision nicht hindern, wenn sich aus den Feststellungen des Landgerichts im übrigen ohne weiteres ergäbe, daß hier keine unzulässige Tatprovokation vorlag. Das ist indessen nicht der Fall.
a) Das Landgericht geht selbst davon aus, daß die VP den Angeklagten zum Handeltreiben gerade mit Heroin in größer werdenden Mengen provoziert hat. Auf der Grundlage des vom Landgericht angenommenen Sachverhaltes liegt eine Tatprovokation nahe. Das Urteil geht davon aus, daß die VP den Angeklagten unter Hinweis auf eine vermeintliche eigene Leibes- und Lebensgefahr um Heroin "anbettelte", ihm etwas "vorjammerte" und nach dem Zustandebringen des Kontaktes zu dem Heroinhändler B. "bedrängte", sich als Dolmetscher weiter am Handeltreiben mit Heroin zu beteiligen. Darin kann eine Einwirkung von einiger Erheblichkeit liegen, die letztlich zu einer Intensivierung der Tatplanung im Sinne einer Provokation führte. Allerdings ist bei einer solchen Bewertung auch zu bedenken, daß es zwischen der Stärke des bestehenden Tatverdachts und dem Maß der für die Annahme einer Tatprovokation
erheblichen Einwirkung eines polizeilichen Lockspitzels eine Wechselwirkung geben kann. Je stärker der Verdacht, desto nachhaltiger wird auch die Stimulierung zur Tat sein dürfen, bevor die Schwelle der Tatprovokation erreicht wird.
b) Die Tatprovokation, von der das Landgericht ausgeht, kann hier unzulässig gewesen sein, weil der Angeklagte bis dahin lediglich des Handeltreibens mit Haschisch verdächtig war. In dem Verleiten zum Handeltreiben mit Heroin lag eine erhebliche Steigerung des Unrechtsgehalts der Tat. Zwar steht insoweit grundsätzlich ein und derselbe Tatbestand in Rede (unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln). Die provozierte Tat erhält aber durch Art und Menge des Rauschgiftes ein besonderes Gepräge. Der Unrechtsgehalt ist von erheblich größerem Gewicht, wenn ein des Handeltreibens mit sog. weichen Drogen Verdächtiger zum Handeltreiben mit sog. harten Drogen in großer Menge veranlaßt wird ("Quantensprung"). Wird jemand auf solche Weise gleichsam unter staatlicher Verantwortung weiter in die Kriminalität gedrängt, so liegt darin dann eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens, wenn das im Rahmen einer Tatprovokation angesonnene Drogengeschäft nach Art und Menge der Drogen nicht mehr in einem angemessenen, deliktsspezifischen Verhältnis zu dem jeweils individuell gegen den Provozierten bestehenden Tatverdacht steht. Die Qualität des Tatverdachts , der sich im Verlaufe des Einsatzes der VP hinsichtlich Intensität und Unrechtscharakter auch verändern kann, begrenzt so den Unrechtsgehalt derjenigen Tat, zu der der Verdächtige in zulässiger Weise provoziert werden darf. Diese Begrenzung rechtfertigt sich letztlich daraus, daß es nicht Aufgabe einer dem Fairneßgrundsatz verpflichteten staatlichen Strafrechtspflege sein darf, einen Unverdächtigen durch Provokation in die Täterschaft zu treiben
oder einen zwar Tatverdächtigen, der die ihm angesonnene Tat aber ablehnt, zu einer solchen zu provozieren oder zur Begehung einer im Unrechtsgehalt gegenüber der Tatverdachtslage erheblich gesteigerten Tat zu verleiten. Die Zulässigkeit einer Tatprovokation wurzelt in dem Auftrag des rechtsstaatlichen Gemeinwesens, erhebliche Straftaten wirksam aufzuklären (vgl. BVerfGE 29, 183, 194; 77, 65, 76; siehe weiter zum Einsatz einer VP BVerfGE 57, 250, 284; BVerfG Kammer NJW 1987, 1874, 1875; NStZ 1991, 445; StV 1995, 169, 171). Die kriminalistische Erfahrung zeigt, daß solche Aufklärung namentlich auf dem Felde des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, das durch Abschottung der verschiedenen Handelsebenen und durch konspiratives Vorgehen gekennzeichnet ist, oft nur durch verdeckte Ermittlungen erreicht werden kann und nur so eine beweiskräftige Überführung der Täter möglich ist. Auf der Grundlage dieser Gegebenheiten kann es dem Staat nicht verwehrt sein, auch zum Mittel der Tatprovokation zu greifen, weil anderenfalls ein weites Kriminalitätsfeld - gerade das des Handeltreibens mit Drogen in großem Stile - weitgehend unaufgeklärt bliebe und sich kriminelle Strukturen weitgehend unbehelligt entwickeln könnten. Das Mittel der Tatprovokation muß sich aber auch im Einzelfall noch mit dem Ziel der Aufklärung schwerwiegender Straftaten rechtfertigen lassen. Wird - über den bestehenden Tatverdacht hinausgehend - eine Steigerung der Verstrickung des Tatverdächtigen in qualitativ deutlich höheres Unrecht mit dem Mittel einer Provokation bewirkt, diese also durch die bestehende Verdachtslage nicht mehr getragen, so steht das nicht mehr im Einklang mit dem generellen Auftrag der dem Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) verpflichteten Strafrechtspflege. Das schließt eine bloße Nachfrage, ob der Tatverdächtige sich auf ein erheblich unrechtsgesteigertes Drogengeschäft einläßt, oder ein schlichtes Mitwirken der VP an einem solchermaßen gestei-
gerten Unrecht nicht aus, wenn dadurch die Schwelle zur Provokation nicht überschritten wird. Bei der Beurteilung der Unrechtsqualität des gegen den Provozierten bestehenden Tatverdachts - die ihrerseits die Zulässigkeit der Tatprovokation begrenzt - können neben den tatsächlichen Umständen, die den Anfangsverdacht begründen, auch die deliktsspezifischen Gegebenheiten mit in Betracht gezogen werden: Cannabisverbraucher beziehen Haschisch oft bei Drogenhändlern , die auch mit sogenannten harten Drogen handeln (sog. Einheitlichkeit des Drogenmarktes, vgl. BVerfGE 90, 145, 181). Es entspricht auch nach der Erfahrung des Senats gängiger Praxis beim unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, nach neu geknüpften Lieferbeziehungen zunächst sogenannte Vertrauenskäufe über kleinere Mengen zu tätigen, deren auch strafrechtliches Risiko aus Sicht der Täter zunächst noch nicht allzu hoch ist. Schließlich ist zu bedenken, daß Rauschgifthändler oft über gute Kontakte und "Geschäftsbeziehungen" zu anderen Drogenhändlern verfügen, die hinsichtlich Art und Menge des zu beschaffenden Rauschgiftes leistungsfähiger sind; sie vermögen solche Beziehungen dann ohne weiteres zu nutzen und sind dazu auch bereit, um daraus eigenen Gewinn zu ziehen. Ist jemand unter diesen Umständen "nur" des Handeltreibens mit Haschisch verdächtig, so erweist sich ein aufklärungsorientiertes Aufgreifen einer vorhandenen Tatbereitschaft im Sinne einer Veranlassung zu einem Heroingeschäft nicht schon deshalb als Tatprovokation, weil ein individueller Verdacht in diesem Sinne bis dahin nicht manifest geworden ist. Es kommt dann vielmehr darauf an, ob sich der Täter auf die ihm angesonnene Intensivierung der Tatplanung ohne weiteres einläßt, sich also geneigt zeigt, auch die Tat mit dem höheren Unrechtsgehalt zu begehen und an ihr mitzuwirken. Geht die qualitati-
ve Steigerung der Verstrickung des Täters indessen mit einer Einwirkung durch die VP einher, die von einiger Erheblichkeit ist (Tatprovokation), so liegt ein Fall der unzulässigen Tatprovokation vor. Nur in diesem Falle kann ein Konventionsverstoß angenommen werden, dem entsprechend Rechnung zu tragen ist (nach den Maßstäben von BGHSt 45, 321). In allen anderen Fällen erweist sich die Tatveranlassung durch eine polizeilich geführte VP als Umstand, der bei der konkreten Strafzumessung zugunsten des Täters berücksichtigt werden kann.
c) Das Landgericht wird die Sache nach Maßgabe dieser Grundsätze erneut zu prüfen haben. Dabei wird es zu versuchen haben, hinsichtlich des Maßes der Einwirkung der VP auf den Angeklagten sowie des Gewichts und der Qualität des Tatverdachts gegen diesen Feststellungen zu treffen. Gegebenenfalls ist eine Konventionsverletzung ausdrücklich festzustellen und ein genau bemessener Abschlag bei der Bemessung der Einzelstrafe für den in Rede stehenden Fall B. II. der Urteilsgründe vorzunehmen. Der Senat vermag nicht auszuschließen, daß dieser Abschlag anders ausfallen könnte, falls das Landgericht zu dem Ergebnis käme, daß hier ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vorliegt.
4. Der in Rede stehende Rechtsfehler kann sich allein auf die für die Heroingeschäfte (Fälle B. II. der Urteilsgründe) und die für diese zugemessene Einzelstrafe sowie auf die Gesamtstrafe auswirken. Die Einzelstrafe für den Fall B. I. der Urteilsgründe (Haschischgeschäfte) und der Schuldspruch, der einen sachlich-rechtlichen Mangel nicht erkennen läßt, können hingegen bestehen bleiben. Schäfer Nack Boetticher Schluckebier Hebenstreit
7
a) Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) legt Art. 6 Abs. 1 EMRK in ständiger Rechtsprechung dahingehend aus, dass bei einer – nach den vom Gerichtshof formulierten Voraussetzungen ("substantive test of incitement"; siehe EGMR, Urteil vom 4. November 2010 – 18757/06 "Bannikova vs. Russia" Rn. 37; Urteil vom 23. Oktober 2014 – 54648/09 "Furcht gegen Deutschland" Rn. 48 f. mwN) – gegen die genannte Vorschrift verstoßenden Tatprovokation durch die Polizei das öffentliche Interesse an der Bekämpfung schwerer Straftaten im Strafprozess nicht den Gebrauch von Beweismitteln rechtfertigen könne, die als Ergebnis polizeilicher Provokation gewonnen wurden (etwa EGMR, Urteil vom 9. Juni 1998 – 44/1997/828/1034 "Teixeira de Castro vs. Portugal" Rn. 36 sowie EGMR, Urteile vom 5. Februar 2008 – 74420/01 "Ramanauskas vs. Lithuania" Rn. 54 mwN; vom 4. November 2010 – 18757/06"Bannikova vs. Russia" Rn. 34; vom 23. Oktober 2014 – 54648/09 "Furcht gegen Deutschland" Rn. 47). Damit in solchen Fällen das Strafverfahren im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK fair ist, müssten alle als Ergebnis polizeilicher Provokation gewonnenen Beweismittel ausgeschlossen werden oder aber ein Verfahren mit vergleichbaren Konsequenzen ("procedure with similar consequences") müsse greifen (siehe nur EGMR, Urteile vom 24. April 2014 – 6228/09u.a. "Lagutin e.a. vs. Russia" Rn. 117 mwN; vom 23. Oktober 2014 – 54648/09 "Furcht gegen Deutschland" Rn. 64).
7
Ein der Verurteilung des Angeklagten entgegenstehendes Verfahrenshindernis besteht nicht. Soweit er ein solches auf eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK) stützen will, begründete ein derartiger Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gerade kein Verfahrenshindernis (BGH, Urteile vom 23. Mai 1984 – 1 StR 148/84, BGHSt 32, 345, 355; vom 18. November 1999 – 1 StR 221/99, BGHSt 45, 321, 324 ff.; vom 11. Dezember 2013 – 5 StR 240/13, NStZ 2014, 277, 280 Rn. 37 mwN). Im Übrigen ergeben sich aus den Urteilsgründen keinerlei Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK verletzenden rechtsstaatswidrigen Tatprovokation (zu den Voraussetzungen BGH, Urteile vom 18. November 1999 – 1 StR 221/99, BGHSt 45, 321, 326 ff.; vom 30. Mai 2001 – 1 StR 42/01, BGHSt 47, 44, 47 ff.; Beschluss vom 11. Mai 2010 – 4 StR 117/10, NStZ-RR 2010, 289 [nur LS]; Urteil vom 11. Dezember 2013 – 5 StR 240/13, NStZ 2014, 277, 279 Rn. 34 f.). Die vom Landgericht nicht ausgeschlossene Kenntnis eines Führungsbeamten des Angeklagten bei dem Bayerischen Landeskriminalamt von dessen Betäubungsmittelgeschäften stellt ersichtlich keine solche Provokation dar.
5 StR 240/13

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 11. Dezember 2013
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
5.
wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung
vom 27. November und 11. Dezember 2013, an der teilgenommen haben
:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Prof. Dr. Sander,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof ,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt K. ,
Rechtsanwalt C.
als Verteidiger des Angeklagten A. ,
Rechtsanwalt F.
als Verteidiger des Angeklagten Sa. ,
Rechtsanwalt N. ,
Rechtsanwalt R.
als Verteidiger des Angeklagten So. ,
Rechtsanwalt St.
als Verteidiger des Angeklagten V. ,
Rechtsanwalt L. ,
Rechtsanwalt P.
als Verteidiger des Angeklagten U. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
am 11. Dezember 2013 für Recht erkannt:
1. Die Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 7. November 2012 werden verworfen.
2. Die Angeklagten haben jeweils die durch ihr Rechtsmittel entstandenen Kosten zu tragen.
3. Die Kosten der Revisionen der Staatsanwaltschaft und die durch diese Rechtsmittel den Angeklagten jeweils entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
I. Das Landgericht hat verurteilt
2
- den Angeklagten A. wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln und mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln – jeweils in nicht geringer Menge – zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und fünf Monaten,
3
- die Angeklagten Sa. und So. jeweils wegen Beihilfe zu den vom Angeklagten A. täterschaftlich verwirklichten Delikten zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und elf Monaten bzw. von drei Jahren und sieben Monaten,
4
- den Angeklagten U. wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln – jeweils in nicht geringer Menge – zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren sowie
5
- den Angeklagten V. wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten.
6
Hiergegen richten sich die Revisionen der fünf Angeklagten, die jeweils die Sachrüge erheben. Die Angeklagten A. und So. haben zudem Verfahrensfehler geltend gemacht. Die Revisionen bleiben ebenso wie die zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten, jeweils auf die Sachrüge gestützten und vom Generalbundesanwalt teilweise vertretenen Revisionen der Staatsanwaltschaft ohne Erfolg.
7
1. Nach den landgerichtlichen Feststellungen geriet der Angeklagte A. Anfang September 2009 in Verdacht, aus einem Café heraus in großem Umfang mit Heroin zu handeln. Seit 1. November 2009 setzte das Landeskriminalamt Berlin die aus dem kriminellen Milieu stammende, seit über zehn Jahren im Drogen-, Waffen- und Falschgeldbereich tätige sowie als sehr erfahren und stets zuverlässig geltende Vertrauensperson (VP) „M. “ ein, ohne dies aktenkundigzu machen. Sie sollte für ihre Tätigkeit über die Auslagenerstattung hinaus Honorare für die jeweiligen Einsatztage sowie eine Erfolgsprämie erhalten, „die … bei einer großen Sicherstellungsmenge höher ausfallen sollte als bei einer kleineren“ (UA S. 13).
8
„M. “ suchte in den folgenden Monaten häufig das fragliche „Ca- fé A. “ auf und kam alsbald mit dem Angeklagten A. insGe- spräch; dieser Erstkontakt wurde lediglich in einem polizeiinternen Treffbericht festgehalten und erst nach Anklageerhebung aktenkundig (UA S. 14). „M. “ wurde nunmehr mit der Legende ausgestattet, selbst mit Heroin zu handeln, das er „über Bremerhaven in Containern einführe und durch ei- nen Kontakt zu einem Hafenarbeiter namens ´Kl. ` an der Zollkontrolle vorbei aus dem Hafenbereich“ schaffen könne (UA S. 15 f.).
9
Vom 7. Dezember 2009 bis 5. Januar 2010 war in Richtung des „Ca- fés A. “ eine Überwachungskamera installiert. Deren Aufzeichnungen wurden ausgewertet, ein Bericht hierüber wurde nicht gefertigt. Das Video- material wurde gelöscht, da es „aus Sicht der Ermittler nicht ergiebig war“. Auch diese Ermittlungsmaßnahme wurde in den Akten erst nach der Anklageerhebung erwähnt (UA S. 18).
10
Am 23. Februar 2010 schilderte „M. “ in einem Hinterzimmer des „Cafés A. “ – entsprechendseiner Legende – seine Heroinge- schäfte und fragte den Angeklagten, ob sie „nicht zusammen Geld verdienen“ wollten. Dieser antwortete jedoch „spontan, dass er mit dem ´Dreckszeug Heroin` nichts zu tun haben wolle“. Im weiteren Gespräch ließ er erkennen, dass Haschisch und Kokain „für ihn etwas anderes seien und er dagegen nicht so eine Abscheu habe wie gegen Heroin“. Noch am selben Tag berichtete „M. “ dagegen seiner polizeilichen Führung, das Ge- spräch sei auf Initiative des Angeklagten A. zustande gekommen, der „insgesamt sehr begierig“ auf die Bremerhavener Kontakte gewesen sei. Dessen Abneigung gegen Heroin erwähnte er nicht. In der hierüber gefertig- ten „Quellenvernehmung“, der ersten von insgesamt 81, wurde die seit Mitte November 2009 erfolgte Fortführung des Einsatzes „M. s“ erstmals aktenkundig gemacht (UA S. 19 f.).
11
Der Angeklagte fand die Idee eines wegen der Kontakte „M. s“ anscheinend einfach zu gestaltenden Einfuhrschmuggels von Kokain „sehr faszinierend und verlockend. Um nicht unbedarft zu erscheinen“, gab er auf die Frage „M. s“ wahrheitswidrig an, über „entsprechende Kontakte“ zu verfügen und sich „mal umzuhören“ (UA S. 21).
12
Da „M. “ bis Anfang Mai 2010 trotz dieser Bemühungen nichts über Handelstätigkeiten erfahren hatte und „auch anderweitige neue Ermittlungserkenntnisse hierzu nicht vorlagen“, wurde er vom VP-Führer beauftragt , „aktiv“ an den Angeklagten A. heranzutreten. Dies tat er am 4. Mai 2010, indem er dem Angeklagten vorspiegelte, sich für diesen bei sei- nem „Mann in Bremerhaven, der beim Zoll arbeite und für die Containereinfuhr zuständig sei, ... eingesetzt zu haben“; dieser sei hundertprozentig ver- lässlich und zu einer Zusammenarbeit mit dem Angeklagten bereit. „Es wäre die leichteste und sicherste Methode, Geld zu verdienen. Je größer die Liefe- rung, desto größer der Gewinn.“ Der Angeklagte fand dies interessant, wollte den Mann aber zuvor kennenlernen, um sich selbst ein Bild machen zu kön- nen. Seiner polizeilichen Führung gegenüber gab „M. “ dagegen an, der Angeklagte habe von sich aus nach Einzelheiten der Abwicklung gefragt. Er habe geantwortet, „dass der Mann im Hafen mindestens 50.000 Euro verlange“ (UA S. 22 f.).
13
Obwohl „M. “ dem Angeklagten A. in der Folge noch mehr- mals anbot, mit ihm nach Bremerhaven zu fahren, ging dieser darauf nicht ein, weil er „den Gedanken an ein Drogengeschäft aus eigenem Antrieb … nicht weiterverfolgte“. Auch wenn er „M. “ wahrheitswidrig Gegenteiliges sagte, verfügte er „weder über entsprechende Kontakte noch über ausreichende finanzielle Mittel, … zumal ´M. ` … stets auch weitere 50.000 Euro für sich selbst verlangte“ (UA S. 23 f.). Als derAngeklagte im Juli 2010 130.000 Euro aus einer Erbschaft erhielt, verlieh er das Geld an zwei Bekannte.
14
Da „M. “ ihm nach wie vor regelmäßig die Nutzung der günsti- gen Einfuhrmöglichkeit eröffnete, versuchte der Angeklagte etwa zurselben Zeit gleichwohl erstmals, einen Kontakt zu einem Kokain-Lieferanten herzu- stellen. „M. s“ Einsatz wurde nun mit Blick auf die polizeilich konstruier- te Bremerhavener Einfuhrmöglichkeit fortgesetzt, obwohl sich fast neun Monate nach seinem Beginn keine Anhaltspunkte für eigene Kokain- oder gar – dem Anfangsverdacht entsprechend – Heroingeschäfte des Angeklagten ergeben hatten (UA S. 25).
15
Am 6. August 2010 fuhren der Angeklagte und „M. “ nach Bremerhaven , um den „Hafenmitarbeiter ´Kl. `“ zu treffen. Bei diesem handelte es sich um einen zunächst nicht offen ermittelnden Polizeibeamten, der dann aber seit 24. September 2010 als Verdeckter Ermittler (VE) eingesetzt wurde. Während der Hinfahrt hatte „M. “ vom Angeklagten verlangt, dieser solle sich szenebedingt als „Ma. “ vorstellen und „unter vier Augen … schnell zur Sache kommen“. Daher erörterte der Angeklagte mit „Kl. “ so- gleich, ob dieser beim Schmuggel von Taschen mit Kokain im Rahmen einer Containerlieferung aus Südamerika behilflich sein könne. Entsprechend der entworfenen Legende bejahte „Kl. “, jedoch seien 50.000 Euro an ihn zu zahlen. Abschließend kündigte der Angeklagte A. – ohne derartige Kontakte zu haben – an, „nun werde er jemanden nach Südamerika schicken, um dort Vorbereitungen für den Transport in die Wege zu leiten“. Er war von dem Treffen „sehr beeindruckt“ und wollte sich „eine solch einmalige Gelegenheit … nicht entgehen lassen“ (UA S. 26 f.).
16
In der „Quellenvernehmung“ am Folgetag gab „M. “ – möglich- erweise wiederum wahrheitswidrig – an, auf der Fahrt nach Bremerhaven habe der Angeklagte von einem „Deal“ mit 270 kg Rauschgift in Mazedonien berichtet, der gescheitert sei, weil das Transportschiff zu groß für einen der dortigen Häfen gewesen sei. Dies glaubten die Ermittler ohne weitere Prüfung , obwohl Mazedonien als Binnenstaat über keinen Hafen verfügt (UA S. 27 f.).
17
Da „M. “ weiter drängte, sprach der Angeklagte A. den mit ihm befreundeten Angeklagten U. an. Dieser war im Jahr 2007 in den Nie- derlanden wegen Schmuggels „einer Partie Kokain im Umfang von insgesamt drei Kilogramm … nach Belgien“ zu einer zweijährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden und sollte sich nun an einen in der Türkei Inhaftierten wenden , der Kontakte zu Kokainhändlern haben sollte; dies misslang (UA S. 28). Dennoch berichtete „M. “ seinem VP-Führer, dass der Angeklagte A. gesagt habe, „dass es bald losgehe“ (UA S. 28 f.).
18
Etwa Anfang Oktober 2010 wandte sich der Angeklagte A. an den lediglich einmal nicht einschlägig vorbestraften Angeklagten Sa. den er seit 20 Jahren gut kannte, schilderte ihm die „sich nur einmal im Leben bietende günstige Gelegenheit“ und bat ihn um Unterstützung bei dem Kokain- import. Er versprach sich vom Angeklagten Sa. , dieser werde in Süd- amerika Informationen sammeln „und möglicherweise auch bereits eine Kokainlieferung … nach Bremerhaven vorbereiten“. Mit Blick auf die zu diesem Zweck in Aussicht gestellten 50.000 Euro, auf deren Erhalt es ihm in erster Linie ankam,ging der in Wahrheit noch unentschlossene Angeklagte Sa. „formal“ auf den Vorschlag ein.
19
Am 20. Oktober 2010 kam es in Bremerhaven zu einem weiteren Tref- fen von „Kl. “ mit „M. “ und dem Angeklagten A. , bei dem dieser von „zwei möglichen Lieferschienen“ sprach, ein Übergabeort ausgesucht und vereinbart wurde, dass die Hälfte der „Provisionszahlung“ vor der Wa- renübergabe erfolgen solle (UA S. 29 f.).
20
Am 8. Februar 2011 berichtete „M. “ in einer „Quellenvernehmung“ , der Angeklagte A. habe eingeräumt, „dass der angekündigte Transport nicht klappen würde“, zugleich aber versprochen, „dass die Sachen in ein bis anderthalb Monaten“ über „seinen ´großen Mann` in der Türkei … da seien“. Anhaltspunktefür im Übrigen betriebene Kokaingeschäfte des Angeklagten A. lagen weiterhin nicht vor; derartige Ermittlungen wurden auch nicht geführt (UA S. 30 f.).
21
Vor diesem Hintergrund zweifelte der Angeklagte A. selbst daran, Kokain besorgen zu können. Vom mittlerweile – scheinbar – zum Freund gewordenen „M. “ durch entsprechende Redeweisen „an der Ehre gepackt“ und unter Druck gesetzt, entschied er sich jedoch zum Weitermachen. Deshalb brachte er den Angeklagten Sa. dazu, am 18. Februar 2011 nach Venezuela zu fliegen. Dieser kehrte jedoch am 1. März 2011 von dort zurück, ohne ein Kokaingeschäft auch nur angebahnt zu haben (UA S. 31 ff.). Auf „M. s“ Initiative trafen sich dieser und der Angeklag- te A. am 29. März 2011 in Magdeburg-Rothensee mit „Kl. “, um weite- re Absprachen zu treffen (UA S. 33 f.).
22
Nach diesem etwa anderthalbjährigen Vorlauf kam es zum eigentlichen Tatgeschehen: Der mit dem Angeklagten A. befreundete und einige Jahre zuvor nur wegen Straßenverkehrsdelikten bestrafte Angeklagte So. wollte günstig arabischen Wasserpfeifentabak erwerben; A. wollte ihn hierbei finanziell unterstützen. Im April oder Mai 2011 fuhren die Angeklagten A. und So. in die Niederlande, um das – tatsächlich durchgeführte – Wasserpfeifentabakgeschäft abzuschließen. Dabei kam der Angeklagte A. mit dem Bekannten des Angeklagten So. auch über eine mögliche Kokainlieferung ins Gespräch, bei dem der Angeklagte A. von der (vermeintlichen) Möglichkeit berichtete, die Zollkontrolle in Bremerhaven „absolut sicher“ zu umgehen. Der niederländische Bekannte sagte zu, sich um ein Treffen mit einem Mann, „der Kontakte nach Südamerika habe“, zu bemühen. Am 17. Mai 2011 erhielt „M. “ vom VP-Führerden Auftrag, dem Angeklagten A. „zu sagen, die ganze Sache mit dem Kokaintransport zu vergessen, weil ´Kl. ` nicht glaube, dass A. “ diesen „wirklich … bewerkstelligen könne“ (UA S. 36).
23
Das avisierte Treffen fand am 25. Mai 2011 wiederum in den Niederlanden statt; hieran nahmen die Angeklagten A. und So. , dessen niederländischer Bekannter (der „Araber“) sowie möglicherweise zwei Süd- amerikaner teil. Während der Angeklagte A. erneut die sichere Einfuhrmöglichkeit schilderte, beteiligte sich der Angeklagte So. an den Verhandlungen nicht. Diese wurden in weiteren Treffen ab 30. Mai 2011 fortgesetzt. Hieran nahm neben den Angeklagten So. – der ursprünglichen Kontaktperson – und A. nun auch der Angeklagte Sa. als dessen „rechte Hand“ teil. Letztlich einigte man sich, über die Bremerhavener „Einfuhrschiene“ um die 100 kg Kokain einzuführen und zum gewinnbringenden Weiterverkauf nach Berlin zu bringen. 16 kg Kokain „von guter Qualität“ sollte der Angeklagte A. erhalten, der mit einem Verkaufserlös zwischen 500.000 und 600.000 Euro rechnete. Die Angeklagten So. und Sa. rechneten für ihre Mitwirkung mit 10.000 Euro bzw. dem Erlass von Schulden (UA S. 37 ff.).
24
Unterdessen kam es am 31. Mai, 8. Juli und 2. August 2011 zu Treffen „M. s“ und des Angeklagten A. mit „Kl. “. Dieser erhielt dabei von „M. “ eine Geldzahlung und räumte die Besorgnis des Angeklagten A. aus, ein Container könne ohne sein Wissen „gescannt“ werden. Gemeinsam wurde eine leere, zur Zwischenlagerung vorgesehene Wohnung besichtigt, die die Ermittlungsbehörden mit Mikrofonen ausgestattet und ebenso besorgt hatten wie einen – mit einer Fahrzeuginnenraumüberwachung versehenen – Kleintransporter, den der Angeklagte A. für erforder- lich gehalten hatte. Dieser teilte „Kl. “ schließlich den fraglichen Container mit, übergab ihm 3.000 Euro als „Anzahlung“ und erhielt den Schlüssel für die „Bunkerwohnung“ (UA S. 41 f.).
25
Am Mittwoch, dem 17. August 2011, traf das Schiff „C. S. “ mit dem das Kokain enthaltenden Container in Bremerhaven ein. Noch am sel- ben Tag begaben sich „M. “ und der Angeklagte A. in die „Bunkerwohnung“ ; letzterer händigte dort „Kl. “ 12.000 Euro aus und kündigte die Restzahlung für den bevorstehenden Montag an, womit „Kl. “ sich entspre- chend den Vorgaben seiner Führung zufrieden gab. Das Abholen der Taschen im Hafen und deren Transport in die Wohnung wurden für den folgenden Vormittag vereinbart. Gegen 10.00 Uhr fuhren „Kl. “ und der Angeklagte A. mit dem Transporter zum Hafengelände, wo letzterer die Siegel des Containers auftrennte. Die darin aufgefundenen drei Taschen transportierten beide zur „Bunkerwohnung“, in der „M. “ wartete. Dorthin bestellte der Angeklagte A. nun telefonisch den Angeklagten U. , den er in den Wochen zuvor gewonnen hatte, den Weitertransport des Kokains nach Berlin zu organisieren. Der Angeklagte U. hatte zunächst wegen seiner Vorstrafe Bedenken gehabt, dann aber seine Hilfe zugesagt, weil er sich dem Ange- klagten A. verpflichtet fühlte und dieser ihm vom „Einfluss seiner Leute“ berichtet hatte. Der Angeklagte U. rechnete mit einer Menge Kokains zumindest guter Qualität im zweistelligen Kilogrammbereich und stellte sich eine Entlohnung in Höhe von ein paar Tausend Euro vor (UA S. 44 f.).
26
Der Angeklagte A. übergab dem Angeklagten U. die Wohnungsschlüssel und ließ sich von diesem gegen 11.20 Uhr zu einem Treff- punkt fahren, den er mit „M. “ und „Kl. “ vereinbart hatte. Der Ange- klagte U. wiederum traf sich am Nachmittag mit dem unbestraften Angeklagten V. , einem Speditionsfahrer. Dieser hatte im Juli 2011 zugesagt, für 1.000 Euro das Kokain – nach seiner Vorstellung im zweistelligen Kilogrammbereich – mit seinem beruflich genutzten Lkw nach Berlin zu schaffen, und dem Angeklagten U. zudem bereits am Wochenbeginn seinen privaten Pkw für die erforderlichen Fahrten, insbesondere für die Begleitung nach Berlin, überlassen. Gemeinsam fuhren die Angeklagten U. und V. in dessen Pkw zur „Bunkerwohnung“, um das Kokain in das Auto zu laden. Nach ihrem Eintreffen und dem Beginn des Packens wurden sie dort von einem polizeilichen Sondereinsatzkommando festgenommen, das die Wohnung seit dem Morgen observiert hatte; 97,17 kg Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von fast 87 kg Cocainhydrochlorid wurden sichergestellt. Auch die übrigen Angeklagten wurden am selben Tag festgenommen (UA S. 45 ff.).
27
2. Das Landgericht hat diese Feststellungen im Wesentlichen aufgrund der Angaben der Angeklagten getroffen. Alle haben ihre jeweiligen Tatbeiträge in weitgehend miteinander kompatiblen Verteidigererklärungen eingeräumt. Diese Einlassungen hat das Landgericht als nicht zu widerlegen angesehen, obwohl nach den als Zeugen gehörten polizeilichen Führungs- beamten die VP „M. “ – diein der Hauptverhandlung nicht selbst vernommen werden konnte – ihnen gegenüber den gesamten Tathergang in über 80 Quellenvernehmungen „teilweise grob abweichend geschildert“ hat, „insbesondere auch im Hinblick auf Art und Ausmaß ihrer Einflussnahme auf den Angeklagten A. “ (UA S. 89). Diesen nur durch Zeugen vom Hören- sagen eingeführten, in den Urteilsgründen nicht näher dargelegten Angaben hat das Landgericht nur „geringen Beweiswert“ zugebilligt, da es sich bei „M. “ um eine „Person aus dem kriminellen Milieu“ handele, die „ein erhebliches finanzielles Eigeninteresse an der Überführung des Angeklagten A. hatte“ (UA S. 89 f.).
28
3. Das Landgericht hat vor allem wegen des „sehr langen Zeitraums“, in dem „M. “ im Zuge einer Vielzahl legendenbildender Maßnahmen – ergänzt durch den eingebundenen VE „Kl. “ – miterheblichen Verlo- ckungen und Druck auf den Angeklagten A. eingewirkt hat und diesem auch im Übrigen die Begehung der ganz erheblich über den Anfangsverdacht hinausgehenden Tat seitens der Ermittlungsbehörden wesentlich erleichtert wurde, eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation bejaht (UA S. 96 ff.). Trotz der nur mittelbaren Einflussnahme hat es eine solche auch hinsichtlich der Angeklagten Sa. und So. angenommen, weil diese „ihre Tatbeiträge gerade im Hinblick auf den infolge der staatlichen Einflussnahme sicher er- scheinenden Einfuhrweg erbracht haben“ (UA S. 104).
29
An Schuldsprüchen hat sich das Landgericht hierdurch aber im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht gehindert ge- sehen (UA S. 95). Es hat stattdessen den „schweren Makel“ der unzulässi- gen, beim Angeklagten A. „besonders massiven“ Tatprovokation bei den drei genannten Angeklagten mit herangezogen, um den jeweils bejahten minder schweren Fall (§ 29a Abs. 2, § 30 Abs. 2 BtMG) zu begründen, und hat daher Freiheitsstrafen verhängt, die erheblich unter den vom Landgericht sonst als schuldangemessen angesehenen geblieben sind (Angeklagter A. : „nicht unter zehn Jahren“; Angeklagte Sa. und So. : „nicht unter sieben Jahren“). Bei den Angeklagten U. undV. hat es die staatliche Tatprovokation allgemein strafmildernd berücksichtigt.
30
4. Die Angeklagten streben jeweils die Einstellung des Verfahrens an, der Angeklagte So. aber nur hilfsweise für den Fall, dass er nicht freige- sprochen wird. Alle Angeklagten wenden sich hilfsweise gegen den sie jeweils betreffenden Strafausspruch. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft rügen im Wesentlichen die Feststellungen zur rechtsstaatswidrigen Tatpro- vokation als unzureichend, weil der Inhalt der über 80 mit „M. “ durch- geführten Quellenvernehmungen im Urteil nicht mitgeteilt wird, und beanstanden ferner – nur insoweit vom Generalbundesanwalt vertreten – die nach den Feststellungen zur Tatprovokation vom Landgericht für die Strafzumessung gezogenen Folgerungen.
31
II. Die von den Angeklagten A. und So. erhobenen Verfahrensrügen erweisen sich durchgängig als unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), da jeweils in Bezug genommene Stellungnahmen und Schriftstücke nicht bzw. sonstige Verfahrenstatsachen nicht vollständig mitgeteilt werden. Der Erörterung bedarf danach allein die Anwendung des materiellen Rechts durch das Landgericht.
32
1. Die Prüfung aufgrund der Revisionen der Angeklagten hat Folgendes ergeben: Der Verurteilung der Angeklagten steht kein Verfahrenshindernis entgegen (lit. a). Die Schuldsprüche erweisen sich ebenso als rechtsfehlerfrei (lit. b) wie die Strafaussprüche (lit. c).
33
a) Die Annahme des Landgerichts, durch den festgestellten Einsatz verdeckt agierender Personen sei gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) verstoßen worden, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
34
aa) Die Strafkammer hat zunächst zu Recht angenommen, der Angeklagte A. sei zu seiner Tat rechtsstaatswidrig provoziert worden. Zwar bestand gegen ihn zunächst ein gewisser Anfangsverdacht. In der Folge wurde das tatprovozierende Verhalten aber bei Abwägung aller Umstände „unvertretbar übergewichtig“ (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 1983 – 2StR 370/83, NStZ 1984, 78, 79; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 853). Hierbei durfte das Landgericht maßgeblich auf den außergewöhnlich langen Zeitraum abstellen, während des- sen nicht nur durch die VP „M. “, sondern ergänzend durch den VE „Kl. in vielfältiger, einen hohen Tatanreiz schaffenderWeise – auch mit gewissem Druck – auf den Angeklagten eingewirkt sowie die Durchführung der Kokaineinfuhr seitens der Ermittlungsbehörden zudem durch weiteres Tun wesentlich erleichtert worden ist. Es durfte weiter berücksichtigen, dass der Umfang der staatlicherseits initiierten Tat um ein Vielfaches über das Ausmaß des ursprünglichen Anfangsverdachtes hinausging und die übrigen Ermittlungen – soweit sie überhaupt geführt wurden – keinerlei belastende Momente ergeben haben. In der Gesamtschau spricht letztlich nichts dafür, dass der bislang unbestrafte Angeklagte A. die Tat ohne die gewichtigen Maßnahmen der Ermittlungsbehörden und das dem Staat zuzurechnende (vgl. BGH, Urteil vom 18. November 1999 – 1 StR 221/99, BGHSt 45, 321, 336) Vorgehen „M. s“ verübt hätte. Das Verfahren war mithin nicht fair im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK (vgl. EGMR [Große Kammer], NJW 2009, 3565, 3568).
35
bb) Bei der festgestellten besonderen Fallgestaltung durfte das Landgericht auch in Bezug auf die Angeklagten Sa. und So. einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens bejahen. Zu diesen beiden hatten die VP „M. “ und der VE „Kl. “ nach den Feststellungen aller- dings keinen unmittelbaren Kontakt, so dass es an einer direkten staatlichen Einflussnahme fehlt (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 17. März 1994 – 1 StR 1/94, NStZ 1994, 335; vom 17. August 2004 – 1 StR 315/04, NStZ 2005, 43). Allein deshalb stehen Rechtsgründe der Annahme einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation jedoch nicht von vornherein entgegen. Denn eine solche kommt etwa auch dergestalt in Betracht, dass der durch die Vertrauensperson Provozierte deren Anweisung befolgt, einen weiteren Beteiligten in die Tat zu verstricken (vgl. zu dieser Konstellation BGH, Urteil vom 18. November 1999 – 1 StR 221/99, BGHSt 45, 321, 334).
36
Eine derartige ausdrückliche Anweisung ist zwar nicht festgestellt worden. Dem Urteil lässt sich aber entnehmen, dass „die Ermittlungsbehörden … stets damit gerechnet“ haben, „dass der Angeklagte A. einenBe- täubungsmittelschmuggel nicht alleine begehen, sondern dabei zumindest Helfer haben werde. Ihnen war daher bewusst, dass sich die provozierende Wirkung des zur Verfügung gestellten Einfuhrweges auch auf andere Personen als den Angeklagten A. erstrecken würde“ (UA S. 104). Angesichts der Größe des Drogengeschäfts erscheint diese Einschätzung als geradezu zwingend. Tatsächlich sind die Angeklagten Sa. und So. wesentlich durch das seitens des Staates geschaffene, ihnen vom Angeklagten A. erwartungsgemäß vermittelte Szenario beeinflusst worden, da sie „ihre Tatbeiträge gerade im Hinblick auf den infolge der staatlichen Einflussnahme sicher erscheinenden Einfuhrweg erbracht haben“ (UA S. 104). Angesichts dessen hält der Senat die landgerichtliche Bewertung der nur mittelbaren Einwirkung auf die beiden im Lager des unmittelbar provozierten A. stehenden Angeklagten für rechtsfehlerfrei.
37
cc) Eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation zieht jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kein Verfahrenshindernis nach sich; ihr ist vielmehr im Rahmen der Strafzumessung Rechnung zu tragen (sogenannte Strafzumessungslösung). Für diese Auffassung ist maßgebend, dass selbst ein massiver Verstoß gegen § 136a StPO nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung lediglich zu einem Beweisverwertungsverbot führt, nach den Prinzipien des deutschen Verfahrensrechts ein Beweisverbot stets nur die jeweils unzulässige Ermittlungshandlung betrifft und im Falle eines Verfahrenshindernisses der Schutz unbeteiligter Dritter sowie ihrer Individualrechtsgüter – etwa Leib und Leben – Not leiden (vgl. BGH, aaO, 323, 334; siehe auch Urteil vom 23. Mai 1984 – 1 StR 148/84, BGHSt 32, 345, 353), ferner die Genugtuungsfunktion des Strafrechts verfehlt werden könnte. Angesichts dieser gewichtigen Argumente gibt der vorliegende Fall einer – freilich besonders schwerwiegenden – rechtsstaatswidrigen Einwirkung auf drei der Angeklagten keinen Anlass, über die bisherige Rechtsprechung hinaus- zugehen. Dies gilt jedenfalls angesichts einer nur verhältnismäßig gering zu gewichtenden Zwangseinwirkung durch die VP auf den Angeklagten A. und unter Berücksichtigung von dessen nach der Tatprovokation aufgewendeter erheblicher krimineller Energie bei zugleich nur mittelbarer Einwirkung auf die beiden anderen betroffenen Angeklagten.
38
Anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass durch das Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt vom 25. Dezember 2008 (BGBl. I S. 3083, 3085) in § 20g Abs. 2 Nr. 4 BKAG mit Wirkung zum 1. Januar 2009 der „Einsatz von Privatpersonen , deren Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt Dritten nicht bekannt ist (Vertrauensperson)“, normiert worden ist. Denn diese Regelung betrifft primär polizeirechtliche Präventivmaßnahmen innerhalb eines speziellen Anwendungsbereichs. Sie legt den von der Revision des Angeklagten A. befürworteten Schluss nicht nahe, der Gesetzgeber habe durch diese – sichauf die dem Bundeskriminalamt in § 4a Abs. 1 BKAG übertragenen Aufgaben beziehende – Teilregelung einen nicht ausdrücklich gesetzlich normierten Einsatz von Vertrauenspersonen im Rahmen des Strafverfahrens als nicht mehr zulässig ansehen wollen. Ein dahingehender Wille des Gesetzgebers lässt sich insbesondere den Materialien nicht entnehmen (vgl. BT-Drucks. 16/10121 S. 16, 25).
39
b) Die Schuldsprüche sind rechtlich nicht zu beanstanden. Ihnen liegen Feststellungen zugrunde, die ohne einen die jeweils glaubhaft geständigen Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler zustande gekommen sind.
40
c) Auch die Strafaussprüche sind sorgfältig und rechtsfehlerfrei begründet worden und haben daher Bestand. Das Landgericht hat bei ihrer Festsetzung dem außergewöhnlichen, in einem Rechtsstaat nicht mehr hinnehmbaren Gesamtgewicht des festgestellten Einsatzes der VP „M. “ und des VE „Kl. “ sowie der sonstigen die Tat fördernden Maßnahmen der Ermittlungsbehörden in – angesichts der erheblichen Menge des eingeführ- ten und für den Handel bestimmten Kokains guter Qualität einerseits und deren Sicherstellung aufgrund der umfassenden polizeilichen Überwachung andererseits (vgl. zu diesem Gesichtspunkt BGH, Beschluss vom 19. Mai 1987 – 1 StR 202/87, BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 1; Urteil vom 16. März 1995 – 4 StR 111/95, BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 28) – noch hinreichendem Maße Rechnung getragen, und zwar bei allen Angeklagten. Das nur begrenzt eingesetzte Druckpotential und die erheblichen kriminellen Aktivitäten der Angeklagten, insbesondere des Hauptangeklagten A. , machten eine noch stärkere Strafreduktion bis hin zur Grenze der Aussetzungsfähigkeit der Freiheitsstrafen nicht erforderlich.
41
2. Mit ihren Revisionen wendet sich die Staatsanwaltschaft vor allem gegen die Beweiswürdigung, soweit diese die Tatsachen betrifft, die der rechtsstaatswidrigen Tatprovokation zugrunde liegen, im Übrigen gegen die Strafzumessung. Sie haben keinen Erfolg.
42
a) Die – vom Revisionsgericht ohnehin nur eingeschränkt überprüfbare – tatgerichtliche Beweiswürdigung erweist sich vorliegend insbesondere nicht als lückenhaft. Dem Landgericht ist namentlich bei der Einschätzung des Beweiswertes der Angaben „M. s“ als gering kein Rechtsfehler unterlaufen. Es durfte insofern berücksichtigen, dass die Vertrauensperson „aus dem kriminellen Milieu“ stammt, „einerhebliches finanzielles Eigeninteresse an der Überführung des Angeklagten A. hatte“ und ihre Angaben lediglich über Zeugen vom Hörensagen in die Hauptverhandlung eingeführt werden konnten (zum hierdurch geminderten Beweiswert vgl. BGH, Urteil vom 18. November 1999 – 1 StR 221/99, BGHSt 45, 321, 340; Beschluss vom 4. März 2003 – 4 StR 543/02). Bei dieser Beweislage war es – ungeachtet der überaus breiten wörtlichen Wiedergabe der Angeklagteneinlassungen – nicht gehalten, Näheres zum Inhalt der über 80 „Quellenvernehmun- gen“ mitzuteilen, weil sich hierdurch, wie auch der Generalbundesanwalt meint, nichts für die Beweiswürdigung Gewichtiges hätte ergeben können. Für diese Bewertung hält der Senat zwei weitere Umstände für bedeutsam:
43
aa) Die Polizei ist verpflichtet, eine von ihr beauftragte Vertrauensperson bestmöglich zu überwachen (vgl. BGH, Urteil vom 18. November1999 – 1 StR 221/99, BGHSt 45, 321, 336). Es muss der Gefahr begegnet werden, dass diese den ihr staatlicherseits erteilten Auftrag missbraucht (vgl. BGH, Urteil vom 23. Mai 1984 – 1 StR 148/84, BGHSt 32, 345, 353). Dies gilt besonders dann, wenn die Vertrauensperson – wie häufig und auch vorliegend offenbar in erheblichem Ausmaß – selbst aus dem kriminellen Milieu stammt. Wie das Landgericht zutreffend dargelegt hat (UA S. 102), war die Kontroll- pflicht nicht dadurch relativiert oder gar entfallen, dass „M. “, ohne dass das näher konkretisierbar war, sich in der Vergangenheit als zuverlässig erwiesen hatte (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, aaO, Rn. 854).
44
Seine Kontrolle ist jedoch nicht im gebotenen Maße erfolgt. Dies hat es ermöglicht, dass „M. “ nach den Feststellungen im Rahmen der „Quellenvernehmungen“ mehrfach wahrheitswidrige Angaben machen konn- te – etwa zu Kontakten und dem Verhalten des Angeklagten A. –, ohne dass diese seitens der Ermittlungsbehörden auch nur in Frage gestellt wurden. Namentlich die Vernehmungsbeamten wären zur Prüfung verpflichtet gewesen, ob die Schilderungen „M. s“ in sich stimmig und mit sonsti- gen Ermittlungsergebnissen vereinbar waren. Hierbei hätte jede Gelegenheit ergriffen werden müssen, objektivierbare Daten zu überprüfen.
45
bb) Darüber hinaus wurde bei den Ermittlungen mehrfach gegen die Grundsätze der Aktenwahrheit und –vollständigkeit verstoßen. Der Einsatz „M. s“ blieb über mehrere Monate in den Akten völlig unerwähnt. Sein Erstkontakt mit dem Angeklagten A. wurde zunächst lediglich in einem polizeiinternen Treffbericht festgehalten und erst nach Anklageerhebung aktenkundig. Dies gilt auch für den Umstand, dass für die Dauer eines Monats in Richtung des „Cafés A. “ eine Überwachungskamera installiert war. Deren Aufzeichnungen wurden ausgewertet, ohne dass hierüber ein Bericht angefertigt wurde. Zudem wurde das Videomaterial gelöscht, da es „aus Sicht der Ermittler nicht ergiebig war“.
46
Ein solches Vorgehen ist in einem rechtsstaatlichen Verfahren nicht hinnehmbar. Es steht nicht im Belieben der Ermittlungsbehörden, ob sie strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen in den Akten vermerken und zu welchem Zeitpunkt sie dies tun. Das Tatgericht muss den Gang des Verfahrens ohne Abstriche nachvollziehen können. Dies ist kein Selbstzweck, sondern soll die ordnungsgemäße Vorbereitung der Hauptverhandlung durch das Gericht und die übrigen Verfahrensbeteiligten gewährleisten (vgl. BGH, Urteil vom 18. November 1999 – 1 StR 221/99, BGHSt 45, 321, 338 f.; LG Berlin StV 1986, 96; Urteil vom 23. April 2008 – [528] 1 Kap Js 1946/06 KLs [11/07]). Zudem muss in einem Rechtsstaat schon der bloße Anschein, die Ermittlungsbehörden wollten etwas verbergen, vermieden werden. Deshalb sollte in den Akten ebenfalls vermerkt sein, ob eine Vertrauensperson für ihre Tätigkeit eine Entlohnung zugesagt bekommen oder gar erhalten hat. Der Senat weist darauf hin, dass Höhe und Erfolgsbezogenheit des jeweiligen Honorars im Rahmen der gebotenen umfassenden Beweiswürdigung für die Bewertung des Motivs der Vertrauensperson, mit den Ermittlungsbehörden zusammenzuarbeiten, relevant sein und entscheidungserhebliche Bedeutung erlangen kann.
47
Angesichts von Qualität und Quantität des festgestellten Vorgehens „M. s“ ist der vom Landgericht gezogene Schluss, der Angeklagte A. sei hierdurch zu dem Drogengeschäft sehr großen Ausmaßes veranlasst worden, nicht zu beanstanden, sondern vielmehr naheliegend. Eine die Ver- nehmungen „M. s“ betreffende Aufklärungsrüge haben die staatsan- waltschaftlichen Revisionen nicht erhoben.
48
cc) Des Weiteren ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass rechtsstaatliche Belange namentlich auch durch ein etwaiges Strafverfahren gegen die VP zu gewährleisten sind. In Fällen einer Tatprovokation der hier vorliegenden Art besteht für die Staatsanwaltschaft Anlass, bei Verdacht eines zielstrebig und unbedingt auf einen großen Betäubungsmittelum- satz gerichteten, grob rechtswidrigen Verhaltens einer VP deren strafrechtliche Verantwortlichkeit zu überprüfen.
49
b) Die Strafzumessung enthält ebenfalls keinen die Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler. Insbesondere ist die Differenz zwischen den verhängten und den ohne die unzulässige Tatprovokation vom Landgericht als angemessen angesehenen Strafen angesichts des Ausmaßes der Rechtsstaatswidrigkeit nicht etwa unangemessen hoch.
Basdorf Sander Schneider
König Bellay
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
________________
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1
Der Grundsatz des fairen Verfahrens (gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) kann verletzt
sein, wenn das im Rahmen einer Tatprovokation durch eine von der Polizei
geführte Vertrauensperson (VP) angesonnene Drogengeschäft nicht mehr in einem
angemessenen, deliktsspezifischen Verhältnis zu dem jeweils individuell gegen den
Provozierten bestehenden Tatverdachts steht (Fortführung von BGHSt 45, 321).
BGH, Urteil vom 30. Mai 2001 - 1 StR 42/01 - Landgericht Augsburg

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 42/01
vom
30. Mai 2001
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung am
29. Mai 2001 in der Sitzung vom 30. Mai 2001, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
und die Richter am Bundesgerichtshof
Nack,
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
Hebenstreit,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger in der Verhandlung,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 26. September 2000 im Ausspruch über die Einzelstrafe im Falle B. II. der Urteilsgründe und über die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die weitergehende Revision wird verworfen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Haschisch) sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Heroin) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, die die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt. Sie macht insbesondere geltend, der Angeklagte sei von einer durch die Polizei geführten Vertrauensperson (VP) in unzulässiger Weise zum Handeltreiben mit Heroin provoziert worden. Den darin liegenden Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK habe das Landgericht ausdrücklich feststellen und bei der Strafzumessung weitergehend als geschehen berücksichtigen müssen. Das Rechtsmittel ist teilweise begründet; es führt zur Aufhebung des Ausspruchs über die im Falle B. II. der Urteilsgründe in Ansatz gebrachte Einzelfreiheitsstrafe sowie zum Wegfall der Gesamtfreiheitsstrafe.

I.

1. Das Landgericht hat festgestellt: Der Angeklagte lernte in einem Lokal durch einen Bekannten eine sog. Vertrauensperson (VP) der Polizei kennen. Diese gab zu verstehen, daß sie Haschisch konsumiere. Während eines Toilettenaufenthaltes der VP folgte ihr der Angeklagte und bot ihr Haschisch an. Die VP ging auf das Angebot ein und es kam zu einem Verkauf von etwa 70 g (4,5 g THC) zum Preise von 700 DM. Bei einem weiteren Treffen - an diesem Tage wurde auch ein weiteres Haschischgeschäft zwischen beiden abgewickelt (22,55 g bei 1,4 g THC) - äußerte nun die VP gegenüber dem Angeklagten, sie sei stark am Erwerb von Heroin guter Qualität interessiert. Der Angeklagte – gegen den nicht der Verdacht bestand, Heroingeschäfte vorgenommen zu haben oder solche vornehmen zu wollen - antwortete zunächst abwehrend sinngemäß, daß solche Geschäfte gefährlich seien. Zwei Tage darauf, als die VP über vermeintliche Bezugsprobleme klagte, versuchte er indessen telefonisch Kontakt zu dem Heroinhändler B. herzustellen. Im weiteren Verlauf gelang ihm dies und er arrangierte ein Treffen der VP mit B. , an dem er teilnahm. Es kam dann zu drei Geschäften: Zunächst erfolgte eine Probelieferung von 5,52 g Heroingemisch mit einem HHCL-Anteil von 1,15 g zum Preis von 400 DM, sodann eine weitere Lieferung von 89,05 g Heroingemisch (HHCL-Anteil = 7,64 g) zum Preis von 7.000 DM; schließlich bestellte die VP 500 g Heroingemisch, die der Angeklagte als lieferbar erklärt hatte, nachdem die VP zunächst 1,2 kg Heroin und 800 g Kokain hatte ordern wollen. Bei den Geschäften war der Angeklagte nach telefonischer Verabredung in den Pkw der VP gestiegen; dann hatten beide B. an einem anderen Ort aufgenommen. Die Verhandlungen mit der VP wickelte im wesentlichen der Angeklagte ab, da B. k aum Deutsch
sprach. Der Angeklagte sollte für die Geschäfte sowohl von der VP als auch von B. eine Provision erhalten. Die Strafkammer ist auf der Grundlage der Einlassung des Angeklagten davon ausgegangen, die VP habe ihn unter Darstellung einer Gefahr für Leib und Leben - weil er seine angeblichen Abnehmer nicht mehr mit qualitativ gutem Heroin habe beliefern können - "angebettelt" Heroin zu besorgen und eine Provision in Aussicht gestellt. Nachdem der Angeklagte den Kontakt zu B. hergestellt hätte und mit der Sache nichts mehr habe zu tun haben wollen, sei er von der VP zum weiteren Mitmachen "gedrängt" worden, weil er als Dolmetscher gebraucht werde. Bei der Übergabe des zuletzt bestellten Heroins an die VP wurden der Angeklagte und B. festgenommen. Im Blick auf die Einlassung des Angeklagten , das Haschisch wie auch das Heroin hätten jeweils einem auf einmal beschafften Gesamtvorrat entstammt, hat die Strafkammer für das Handeltreiben mit Haschisch sowie mit Heroin jeweils eine Bewertungseinheit angenommen. 2. Die Strafkammer hat einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK verneint. Zwar habe gegen den Angeklagten vor dem Einsatz der VP kein Verdacht dahin bestanden, daß er gerade Heroingeschäfte vornehmen wolle. Auch könne letztlich nicht ausgeschlossen werden, daß der Angeklagte durch die VP zum Handeltreiben mit Heroin provoziert worden sei. Eine "eventuelle Provokation" sei dem Staat aber nicht zuzurechnen, da jedenfalls das von dem Wissen und der Kenntnis der Polizei umfaßte Verhalten der VP keine Tatprovokation darstelle. Dennoch hat die Strafkammer bei der Strafzumessung wegen der Veranlassung des Handeltreibens mit Heroin die an sich festzusetzende Einzelfreiheitsstrafe um fünf Monate verringert.

II.

Die Revision hat Erfolg, soweit sie den Strafausspruch im Falle B. II. der Urteilsgründe angreift (Heroingeschäfte). Die Begründung, mit der das Landgericht das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK als nicht verletzt erachtet, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Vorgehen der VP der Polizei, durch welches der Angeklagte zum Handeltreiben gerade mit Heroin veranlaßt wurde und das dem Staat hier entgegen der Auffassung des Landgerichts zuzurechnen ist, erweist sich möglicherweise als unzulässige und damit konventionswidrige Tatprovokation. Der Senat läßt offen, ob die Revision nur mit einer Verfahrensrüge oder auch mit der Sachrüge geltend machen kann, das Landgericht habe zu Unrecht einen Konventionsverstoß verneint. Er kann alle insoweit maßgeblichen Umstände sowohl dem Vortrag der Revision zur Verfahrensrüge als auch dem angefochtenen Urteil entnehmen. 1. Der Senat hat in seinem Urteil vom 18. November 1999 - 1 StR 221/99 (BGHSt 45, 321) in Anwendung des Grundsatzes des fairen Verfahrens (gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) und im Blick auf dessen Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR EuGRZ 1999, 660 = StV 1999, 127 = NStZ 1999, 47) für den Fall eines konventionswidrigen Lockspitzeleinsatzes entschieden, daß ein solcher Verstoß in den Urteilsgründen festzustellen und bei Festsetzung der Rechtsfolgen - genau bemessen - zu kompensieren ist. Eine Konventionssverletzung liegt nach der genannten Senatsentscheidung vor, wenn eine unverdächtige und zunächst nicht tatgeneigte Person durch die von einem Amtsträger geführte VP in einer dem Staat zuzurechnenden Weise zu einer Straftat verleitet wird und dies zu einem Strafverfahren führt (BGHSt 45, 321, Leitsatz und Seite 335).
Der Senat hat diesen Maßstab weiter dahin konkretisiert, daß eine Tatprovokation nicht schon dann vorliegt, wenn eine VP einen Dritten ohne sonstige Einwirkung lediglich darauf anspricht, ob dieser Betäubungsmittel beschaffen könne. Ebenso liegt keine Provokation vor, wenn die VP nur die offen erkennbare Bereitschaft zur Begehung oder Fortsetzung von Straftaten ausnutzt. Dagegen ist die VP als die tatprovozierender Lockspitzel tätig, wenn sie über das bloße "Mitmachen" hinaus in die Richtung auf eine Weckung der Tatbereitschaft oder eine Intensivierung der Tatplanung mit einiger Erheblichkeit stimulierend auf den Täter einwirkt (BGHSt 45, 321, 338). Erreicht die Intensität der Einwirkung durch den polizeilichen Lockspitzel das Maß einer Tatprovokation, so ist diese nur zulässig, wenn die VP (bzw. ein VE) gegen eine Person eingesetzt wird, die in einem den §§ 152 Abs. 2, 160 StPO vergleichbaren Grad verdächtig ist, an einer bereits begangenen Straftat beteiligt gewesen zu sein oder zu einer zukünftigen Straftat bereit zu sein; hierfür müssen also zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Dies gilt unabhängig davon, ob der VP-Einsatz ursprünglich (bis zur Tatprovokation) der präventiven Gefahrenabwehr diente oder von Anfang an repressiven Charakter hatte. Die Rechtmäßigkeit des Lockspitzeleinsatzes ist selbst im Falle einer "Gemengelage" einheitlich an den Regelungen der StPO zu messen (BGHSt 45, 321, 337). Eine unzulässige Tatprovokation ist dem Staat im Blick auf die Gewährleistung des fairen Verfahrens dann zuzurechnen, wenn diese Provokation mit Wissen eines für die Anleitung der VP verantwortlichen Amtsträgers geschieht oder dieser sie jedenfalls hätte unterbinden können. Erteilt die Polizei einen Auftrag an eine VP, hat sie die Möglichkeit und die Pflicht, diese Person zu überwachen. Eine Ausnahme von der sich daraus ergebenden Zurechnung
kann nur dann gelten, wenn die Polizei mit einem Fehlverhalten der VP nicht rechnen konnte (BGHSt 45, 321, 336). 2. Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall zunächst, daß die Bewertung des Landgerichts, das Verhalten der VP sei hier dem Staat nicht zuzurechnen , von Rechts wegen keinen Bestand haben kann. Dem Zusammenhang der Urteilsgründe kann der Senat entnehmen, daß die VP eng geführt wurde und deren Treffen mit dem Angeklagten und B. überwacht wurden. Das Verhalten der VP bewegte sich im wesentlichen auf der Linie des ihr erteilten Auftrages. 3. Die rechtsfehlerhafte Verneinung einer Zurechnung des Verhaltens der VP würde allerdings eine Verwerfung der Revision nicht hindern, wenn sich aus den Feststellungen des Landgerichts im übrigen ohne weiteres ergäbe, daß hier keine unzulässige Tatprovokation vorlag. Das ist indessen nicht der Fall.
a) Das Landgericht geht selbst davon aus, daß die VP den Angeklagten zum Handeltreiben gerade mit Heroin in größer werdenden Mengen provoziert hat. Auf der Grundlage des vom Landgericht angenommenen Sachverhaltes liegt eine Tatprovokation nahe. Das Urteil geht davon aus, daß die VP den Angeklagten unter Hinweis auf eine vermeintliche eigene Leibes- und Lebensgefahr um Heroin "anbettelte", ihm etwas "vorjammerte" und nach dem Zustandebringen des Kontaktes zu dem Heroinhändler B. "bedrängte", sich als Dolmetscher weiter am Handeltreiben mit Heroin zu beteiligen. Darin kann eine Einwirkung von einiger Erheblichkeit liegen, die letztlich zu einer Intensivierung der Tatplanung im Sinne einer Provokation führte. Allerdings ist bei einer solchen Bewertung auch zu bedenken, daß es zwischen der Stärke des bestehenden Tatverdachts und dem Maß der für die Annahme einer Tatprovokation
erheblichen Einwirkung eines polizeilichen Lockspitzels eine Wechselwirkung geben kann. Je stärker der Verdacht, desto nachhaltiger wird auch die Stimulierung zur Tat sein dürfen, bevor die Schwelle der Tatprovokation erreicht wird.
b) Die Tatprovokation, von der das Landgericht ausgeht, kann hier unzulässig gewesen sein, weil der Angeklagte bis dahin lediglich des Handeltreibens mit Haschisch verdächtig war. In dem Verleiten zum Handeltreiben mit Heroin lag eine erhebliche Steigerung des Unrechtsgehalts der Tat. Zwar steht insoweit grundsätzlich ein und derselbe Tatbestand in Rede (unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln). Die provozierte Tat erhält aber durch Art und Menge des Rauschgiftes ein besonderes Gepräge. Der Unrechtsgehalt ist von erheblich größerem Gewicht, wenn ein des Handeltreibens mit sog. weichen Drogen Verdächtiger zum Handeltreiben mit sog. harten Drogen in großer Menge veranlaßt wird ("Quantensprung"). Wird jemand auf solche Weise gleichsam unter staatlicher Verantwortung weiter in die Kriminalität gedrängt, so liegt darin dann eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens, wenn das im Rahmen einer Tatprovokation angesonnene Drogengeschäft nach Art und Menge der Drogen nicht mehr in einem angemessenen, deliktsspezifischen Verhältnis zu dem jeweils individuell gegen den Provozierten bestehenden Tatverdacht steht. Die Qualität des Tatverdachts , der sich im Verlaufe des Einsatzes der VP hinsichtlich Intensität und Unrechtscharakter auch verändern kann, begrenzt so den Unrechtsgehalt derjenigen Tat, zu der der Verdächtige in zulässiger Weise provoziert werden darf. Diese Begrenzung rechtfertigt sich letztlich daraus, daß es nicht Aufgabe einer dem Fairneßgrundsatz verpflichteten staatlichen Strafrechtspflege sein darf, einen Unverdächtigen durch Provokation in die Täterschaft zu treiben
oder einen zwar Tatverdächtigen, der die ihm angesonnene Tat aber ablehnt, zu einer solchen zu provozieren oder zur Begehung einer im Unrechtsgehalt gegenüber der Tatverdachtslage erheblich gesteigerten Tat zu verleiten. Die Zulässigkeit einer Tatprovokation wurzelt in dem Auftrag des rechtsstaatlichen Gemeinwesens, erhebliche Straftaten wirksam aufzuklären (vgl. BVerfGE 29, 183, 194; 77, 65, 76; siehe weiter zum Einsatz einer VP BVerfGE 57, 250, 284; BVerfG Kammer NJW 1987, 1874, 1875; NStZ 1991, 445; StV 1995, 169, 171). Die kriminalistische Erfahrung zeigt, daß solche Aufklärung namentlich auf dem Felde des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, das durch Abschottung der verschiedenen Handelsebenen und durch konspiratives Vorgehen gekennzeichnet ist, oft nur durch verdeckte Ermittlungen erreicht werden kann und nur so eine beweiskräftige Überführung der Täter möglich ist. Auf der Grundlage dieser Gegebenheiten kann es dem Staat nicht verwehrt sein, auch zum Mittel der Tatprovokation zu greifen, weil anderenfalls ein weites Kriminalitätsfeld - gerade das des Handeltreibens mit Drogen in großem Stile - weitgehend unaufgeklärt bliebe und sich kriminelle Strukturen weitgehend unbehelligt entwickeln könnten. Das Mittel der Tatprovokation muß sich aber auch im Einzelfall noch mit dem Ziel der Aufklärung schwerwiegender Straftaten rechtfertigen lassen. Wird - über den bestehenden Tatverdacht hinausgehend - eine Steigerung der Verstrickung des Tatverdächtigen in qualitativ deutlich höheres Unrecht mit dem Mittel einer Provokation bewirkt, diese also durch die bestehende Verdachtslage nicht mehr getragen, so steht das nicht mehr im Einklang mit dem generellen Auftrag der dem Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) verpflichteten Strafrechtspflege. Das schließt eine bloße Nachfrage, ob der Tatverdächtige sich auf ein erheblich unrechtsgesteigertes Drogengeschäft einläßt, oder ein schlichtes Mitwirken der VP an einem solchermaßen gestei-
gerten Unrecht nicht aus, wenn dadurch die Schwelle zur Provokation nicht überschritten wird. Bei der Beurteilung der Unrechtsqualität des gegen den Provozierten bestehenden Tatverdachts - die ihrerseits die Zulässigkeit der Tatprovokation begrenzt - können neben den tatsächlichen Umständen, die den Anfangsverdacht begründen, auch die deliktsspezifischen Gegebenheiten mit in Betracht gezogen werden: Cannabisverbraucher beziehen Haschisch oft bei Drogenhändlern , die auch mit sogenannten harten Drogen handeln (sog. Einheitlichkeit des Drogenmarktes, vgl. BVerfGE 90, 145, 181). Es entspricht auch nach der Erfahrung des Senats gängiger Praxis beim unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, nach neu geknüpften Lieferbeziehungen zunächst sogenannte Vertrauenskäufe über kleinere Mengen zu tätigen, deren auch strafrechtliches Risiko aus Sicht der Täter zunächst noch nicht allzu hoch ist. Schließlich ist zu bedenken, daß Rauschgifthändler oft über gute Kontakte und "Geschäftsbeziehungen" zu anderen Drogenhändlern verfügen, die hinsichtlich Art und Menge des zu beschaffenden Rauschgiftes leistungsfähiger sind; sie vermögen solche Beziehungen dann ohne weiteres zu nutzen und sind dazu auch bereit, um daraus eigenen Gewinn zu ziehen. Ist jemand unter diesen Umständen "nur" des Handeltreibens mit Haschisch verdächtig, so erweist sich ein aufklärungsorientiertes Aufgreifen einer vorhandenen Tatbereitschaft im Sinne einer Veranlassung zu einem Heroingeschäft nicht schon deshalb als Tatprovokation, weil ein individueller Verdacht in diesem Sinne bis dahin nicht manifest geworden ist. Es kommt dann vielmehr darauf an, ob sich der Täter auf die ihm angesonnene Intensivierung der Tatplanung ohne weiteres einläßt, sich also geneigt zeigt, auch die Tat mit dem höheren Unrechtsgehalt zu begehen und an ihr mitzuwirken. Geht die qualitati-
ve Steigerung der Verstrickung des Täters indessen mit einer Einwirkung durch die VP einher, die von einiger Erheblichkeit ist (Tatprovokation), so liegt ein Fall der unzulässigen Tatprovokation vor. Nur in diesem Falle kann ein Konventionsverstoß angenommen werden, dem entsprechend Rechnung zu tragen ist (nach den Maßstäben von BGHSt 45, 321). In allen anderen Fällen erweist sich die Tatveranlassung durch eine polizeilich geführte VP als Umstand, der bei der konkreten Strafzumessung zugunsten des Täters berücksichtigt werden kann.
c) Das Landgericht wird die Sache nach Maßgabe dieser Grundsätze erneut zu prüfen haben. Dabei wird es zu versuchen haben, hinsichtlich des Maßes der Einwirkung der VP auf den Angeklagten sowie des Gewichts und der Qualität des Tatverdachts gegen diesen Feststellungen zu treffen. Gegebenenfalls ist eine Konventionsverletzung ausdrücklich festzustellen und ein genau bemessener Abschlag bei der Bemessung der Einzelstrafe für den in Rede stehenden Fall B. II. der Urteilsgründe vorzunehmen. Der Senat vermag nicht auszuschließen, daß dieser Abschlag anders ausfallen könnte, falls das Landgericht zu dem Ergebnis käme, daß hier ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vorliegt.
4. Der in Rede stehende Rechtsfehler kann sich allein auf die für die Heroingeschäfte (Fälle B. II. der Urteilsgründe) und die für diese zugemessene Einzelstrafe sowie auf die Gesamtstrafe auswirken. Die Einzelstrafe für den Fall B. I. der Urteilsgründe (Haschischgeschäfte) und der Schuldspruch, der einen sachlich-rechtlichen Mangel nicht erkennen läßt, können hingegen bestehen bleiben. Schäfer Nack Boetticher Schluckebier Hebenstreit

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

7
a) Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) legt Art. 6 Abs. 1 EMRK in ständiger Rechtsprechung dahingehend aus, dass bei einer – nach den vom Gerichtshof formulierten Voraussetzungen ("substantive test of incitement"; siehe EGMR, Urteil vom 4. November 2010 – 18757/06 "Bannikova vs. Russia" Rn. 37; Urteil vom 23. Oktober 2014 – 54648/09 "Furcht gegen Deutschland" Rn. 48 f. mwN) – gegen die genannte Vorschrift verstoßenden Tatprovokation durch die Polizei das öffentliche Interesse an der Bekämpfung schwerer Straftaten im Strafprozess nicht den Gebrauch von Beweismitteln rechtfertigen könne, die als Ergebnis polizeilicher Provokation gewonnen wurden (etwa EGMR, Urteil vom 9. Juni 1998 – 44/1997/828/1034 "Teixeira de Castro vs. Portugal" Rn. 36 sowie EGMR, Urteile vom 5. Februar 2008 – 74420/01 "Ramanauskas vs. Lithuania" Rn. 54 mwN; vom 4. November 2010 – 18757/06"Bannikova vs. Russia" Rn. 34; vom 23. Oktober 2014 – 54648/09 "Furcht gegen Deutschland" Rn. 47). Damit in solchen Fällen das Strafverfahren im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK fair ist, müssten alle als Ergebnis polizeilicher Provokation gewonnenen Beweismittel ausgeschlossen werden oder aber ein Verfahren mit vergleichbaren Konsequenzen ("procedure with similar consequences") müsse greifen (siehe nur EGMR, Urteile vom 24. April 2014 – 6228/09u.a. "Lagutin e.a. vs. Russia" Rn. 117 mwN; vom 23. Oktober 2014 – 54648/09 "Furcht gegen Deutschland" Rn. 64).

(1) Stellt sich nach Eröffnung des Hauptverfahrens ein Verfahrenshindernis heraus, so kann das Gericht außerhalb der Hauptverhandlung das Verfahren durch Beschluß einstellen.

(2) Der Beschluß ist mit sofortiger Beschwerde anfechtbar.

(1) Die Hauptverhandlung schließt mit der auf die Beratung folgenden Verkündung des Urteils.

(2) Wird ein Berufsverbot angeordnet, so ist im Urteil der Beruf, der Berufszweig, das Gewerbe oder der Gewerbezweig, dessen Ausübung verboten wird, genau zu bezeichnen.

(3) Die Einstellung des Verfahrens ist im Urteil auszusprechen, wenn ein Verfahrenshindernis besteht.

(4) Die Urteilsformel gibt die rechtliche Bezeichnung der Tat an, deren der Angeklagte schuldig gesprochen wird. Hat ein Straftatbestand eine gesetzliche Überschrift, so soll diese zur rechtlichen Bezeichnung der Tat verwendet werden. Wird eine Geldstrafe verhängt, so sind Zahl und Höhe der Tagessätze in die Urteilsformel aufzunehmen. Wird die Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten, die Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung zur Bewährung ausgesetzt, der Angeklagte mit Strafvorbehalt verwarnt oder von Strafe abgesehen, so ist dies in der Urteilsformel zum Ausdruck zu bringen. Im übrigen unterliegt die Fassung der Urteilsformel dem Ermessen des Gerichts.

(5) Nach der Urteilsformel werden die angewendeten Vorschriften nach Paragraph, Absatz, Nummer, Buchstabe und mit der Bezeichnung des Gesetzes aufgeführt. Ist bei einer Verurteilung, durch die auf Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren erkannt wird, die Tat oder der ihrer Bedeutung nach überwiegende Teil der Taten auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen worden, so ist außerdem § 17 Abs. 2 des Bundeszentralregistergesetzes anzuführen.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
StGB § 78 b Abs. 3; MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1

a) Die Ablaufhemmung des § 78 b Abs. 3 StGB wird auch durch ein Prozeßurteil
bewirkt, durch welches das Verfahren wegen Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1
Satz 1 MRK eingestellt wird.

b) Ein durch rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung bewirkter Verstoß gegen
Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK kann in außergewöhnlichen Einzelfällen, wenn eine angemessene
Berücksichtigung des Verstoßes im Rahmen einer Sachentscheidung
bei umfassender Gesamtwürdigung nicht mehr in Betracht kommt, zu einem Verfahrenshindernis
führen, das vom Tatrichter zu beachten und vom Revisionsgericht
von Amts wegen zu berücksichtigen ist.

c) Im Prozeßurteil, durch welches das Verfahren wegen eines Verstoßes gegen
Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgrundsatz eingestellt
wird, hat der Tatrichter sowohl die Verfahrenstatsachen als auch Feststellungen
zum Schuldumfang des Angeklagten und die der Prognose über die weitere
Verfahrensdauer zugrundeliegenden Tatsachen sowie die die Entscheidung
tragende Gesamtwürdigung im einzelnen und in nachprüfbarer Weise darzulegen.
BGH, Urteil vom 25. Oktober 2000 - 2 StR 232/00 - LG Köln

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 232/00
vom
25. Oktober 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Betrugs
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Grund der Verhandlung vom
4. Oktober 2000 in der Sitzung am 25. Oktober 2000, an denen teilgenommen
haben:
Vizepräsident des Bundesgerichtshofes
Dr. Jähnke,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Prof. Dr. Fischer,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt in der Verhandlung,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt
in der Verhandlung
als Verteidiger,
der Angeklagte in Person in der Verhandlung,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 4. Oktober 1999 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Bonn zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat das Verfahren gegen den Angeklagten wegen Betrugs in 60 Fällen und versuchten Betrugs in sieben Fällen durch Prozeßurteil eingestellt, weil einer Fortsetzung des Verfahrens eine rechtsstaatswidrige überlange Verfahrensdauer entgegenstehe. Die hiergegen eingelegte, vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Revision der Staatsanwaltschaft rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie führt zur Aufhebung des Einstellungsurteils.

I.


1. Dem Angeklagten wird zur Last gelegt, als Alleingesellschafter und Vorstand der D.-AG den Verkauf einer Vielzahl von Eigentumswohnungen in Wohnanlagen des sozialen Wohnungsbaus im sogenannten "Erwerbermodell" zwischen privaten Anlegern und mehreren von ihm beherrschten Gesellschaf-
ten, die die Immobilien zuvor angekauft hatten, betrügerisch vermittelt zu haben. Dabei sollen die Anleger zum einen durch eine den - überhöhten - Kaufpreis der minderwertigen, zumeist sanierungsbedürftigen Wohnungen weit übersteigende Gesamtfinanzierung, weiterhin durch das in Aussicht stellen von - angesichts der Einkommens- und Vermögenslage der Erwerber zumeist unrealistisch hohen - Steuerersparnissen, insbesondere aber durch eine von den jeweiligen Vermittlern mündlich gegebene Zusage zum Kauf veranlaßt worden sein, die erworbene Eigentumswohnung könne nach zwei Jahren zum Bruttofinanzierungspreis - der in Einzelfällen bei über 150 % des Kaufpreises lag - an die D.-AG "zurückgegeben" werden. Der Angeklagte soll als Alleinvorstand der D.-AG dieses Vertriebsmodell etwa im Jahre 1983 entwickelt und über seine beherrschende Rolle in drei zum De.-Konzern gehörenden Vermittlungs- und Finanzierungsgesellschaften sowie in zwei weiteren, als Treuhänder eingeschalteten Gesellschaften in der Weise umgesetzt haben, daß er in Besprechungen und Schulungen die nach Art einer Vertriebspyramide organisierten Vertriebsmitarbeiter der zum De.-Konzern gehörenden Gesellschaften unmittelbar oder mittelbar anwies, die Wohnungen insbesondere auch mit dem Rückkaufs-Argument anzubieten. Durch diese in Täuschungsabsicht abgegebene - und unter Hinweis auf die Steuerschädlichkeit nur mündlich erklärte und nicht beurkundete - Zusage sollen zwischen Oktober 1984 und November 1986 eine Vielzahl von Anlegern getäuscht und zum Kauf von Eigentumswohnungen zu überhöhten Preisen bewogen worden sein. Die Wohnungen sollen später entgegen der Zusage jedoch nur in Einzelfällen - bei Abschluß neuer Verträge - zurückgenommen, teilweise auch in Immobilienfonds eingebracht worden sein; ganz überwiegend sollen die Immobilien nach Ablauf einer vereinbarten Mietgarantie für die Erwerber nur weit unter dem Einstandspreis verwertbar oder auf dem freien Markt gar nicht mehr verkäuflich gewesen sein. Hierdurch
sei den Erwerbern jeweils ein Schaden in Höhe des Minderwerts der Wohnung entstanden.
2. Dem angefochtenen Urteil liegt folgender Verfahrensablauf zugrunde:

a) Strafanzeigen gegen den Angeklagten und andere am Vertrieb der Wohnungen beteiligte Personen gingen ab November 1986 bei verschiedenen Staatsanwaltschaften im Bundesgebiet ein. Der Angeklagte erhielt durch Ladung vom 19. Februar 1987 zur polizeilichen Vernehmung erstmals Kenntnis von den gegen ihn gerichteten Ermittlungen. Am 24. Mai 1988 verband die Staatsanwaltschaft Köln insgesamt acht an sie abgegebene und eigene Ermittlungsverfahren ; im August 1988 und Februar 1989 wurden weitere Verfahren hinzuverbunden. In der Folgezeit zog die Staatsanwaltschaft eine Vielzahl von Urkunden bei, insbesondere Handelsregister- und Grundbuchauszüge. Im Oktober 1988 ergingen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse gegen den Angeklagten, vier weitere Mitbeschuldigte sowie gegen die von ihnen geführten Gesellschaften; die Durchsuchungen sowie die Beschlagnahme umfangreicher Unterlagen hinsichtlich 34 von der D.-AG vermittelter Wohnungsanlagen - die Wohnung des Angeklagten wurde erst fünf Monate später durchsucht - erfolgten im Februar 1989. Am 19. Dezember 1988 leitete die Staatsanwaltschaft die Akten der Kriminalpolizei Köln mit dem Auftrag zu, die notwendigen Ermittlungen durchzuführen.
Am 9. Februar 1989 ergingen auf Antrag der Staatsanwaltschaft weitere Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse gegen eine weitere vom Angeklagten beherrschte Treuhand-Gesellschaft sowie gegen eine Vielzahl von Banken im gesamten Bundesgebiet, in der Folgezeit auch gegen eine Vielzahl
von Vermittlern. Eine Auswertung der Durchsuchungen sowie einer mittels Fragebogen bei zahlreichen Anlegern durchgeführten Zeugenbefragung legte die Polizei im Februar 1990 vor. Am 5. Oktober 1990 wurden die Ermittlungen auf eine weitere in die Gesamtabwicklung eingeschaltete Gesellschaft ausgedehnt. Es ergingen in der Folge weitere Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse gegen verschiedene Gesellschaften und deren Mitarbeiter, unter anderem erneut gegen den Angeklagten und die von ihm geführte D.-AG; die Durchsuchungen wurden bis 6. Dezember 1990 vollzogen. Zwischen dem 11. Dezember 1990 und dem 14. November 1991 wurden sechs Mitarbeiter und Geschäftsführer von in das Vertriebssystem eingebundenen Gesellschaften vernommen; vermutlich im Frühjahr 1992 führte die Polizei darüber hinaus Befragungen von Vertriebsrepräsentanten durch. Am 27. August 1992 sandte die Kriminalpolizei Köln die Akten mit einem umfangreichen Schlußvermerk an die Staatsanwaltschaft zurück.

b) Eine Verfahrensförderung erfolgte dort - bis auf die Anforderung von Beiakten - zunächst nicht. Im November 1993 wurde der frühere Mitbeschuldigte G., der Geschäftsführer einer der eingeschalteten Gesellschaften, von der Staatsanwaltschaft vernommen; es wurde mit ihm eine mögliche Verfahrenseinstellung nach § 153 a StPO erörtert. Ein weiteres Gespräch über eine Verfahrenseinstellung fand mit dem früheren Mitbeschuldigten D. im Januar 1994 statt. Bei einer am 15. Dezember 1993 mit dem Verteidiger des Angeklagten geführten Besprechung über eine mögliche Verfahrenseinstellung wurde keine Einigkeit über die Höhe einer möglichen Geldzahlungsauflage erzielt.
Am 7. Juni 1994 stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen G. gegen Zahlung eines Geldbetrags von 240.000 DM und das Verfahren gegen
D. gegen Zahlung eines Geldbetrags von 150.000 DM ein. Alle Verfahren gegen Bankmitarbeiter wurden nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, ebenso die Verfahren gegen Mitarbeiter einer eingeschalteten Treuhand-Gesellschaft sowie gegen alle Vertriebsrepräsentanten. Die Verfahren gegen die Erwerber der Immobilien wegen Steuerdelikten wurden nach § 153 Abs. 1 StPO eingestellt, das Verfahren gegen Mitarbeiter einer weiteren Treuhand-Gesellschaft abgetrennt , das Verfahren gegen die Verantwortlichen zweier weiterer Gesellschaften nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Die Tatvorwürfe gegen den Angeklagten als Vorstand einer Verwaltungsgesellschaft (V-AG) wurden nach § 154 Abs. 1 StPO ausgeschieden.

c) Am 1. August 1994 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage zur Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Köln wegen 74 selbständiger Fälle des Betrugs "bzw." des Betrugsversuchs im besonders schweren Fall in der Zeit zwischen September 1984 und November 1986, begangen jeweils in Mittäterschaft mit den früheren Mitbeschuldigten G. und D. Nur pauschal aufgeführt sind daneben weitere 256 Fälle, in denen bereits zum Zeitpunkt der Anklageerhebung die (absolute) Verjährung nach § 78 c Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB eingetreten war. Die Anklage im Fall 9 a (letzter Tatzeitpunkt ) wurde am 14. September 1994 zurückgenommen.
Anregungen der Kammervorsitzenden, die Täuschungshandlung und den jeweiligen Vermögensschaden darzulegen, trat die Staatsanwaltschaft am 14. September 1994 entgegen. Die Verteidigung beantragte am 17. Oktober 1994, im Zwischenverfahren Beweis zum Fehlen eines Vermögensschadens durch Einholung von Sachverständigen-Gutachten zu erheben.

d) Am 21. November 1994 erging - ohne weitere Beweiserhebung - Eröffnungsbeschluß. Die Eröffnung des Hauptverfahrens wurde in einem Fall (Fall 11 a) wegen inzwischen eingetretener Verjährung, in fünf Fällen (Fälle 13 a, 14 b, 14 c, 14 e, 14 g der Anklage) mangels hinreichenden Tatverdachts abgelehnt; in sieben Fällen (Fälle 4 b, 6 f, 8 d, 8 g, 8 h, 10 g, 13 b) bejahte die Kammer hinreichenden Tatverdacht nur wegen versuchten Betrugs. Zur Frage der Verjährung führte der Eröffnungsbeschluß aus, es komme entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft für die Beendigung der Taten und damit für den Beginn der Verjährungsfrist nicht auf den Abschluß der notariellen Kaufoder Treuhandverträge, sondern auf den Zeitpunkt der Kaufpreiszahlung an. Diesen Zeitpunkt habe die Kammer in neun Fällen den Akten entnehmen können ; in den übrigen Fällen sei es hinreichend wahrscheinlich, daß die Taten nicht verjährt seien. Eine Bescheidung des von der Verteidigung im Zwischenverfahren gestellten Beweisantrags erfolgte nicht. In einem Beschluß vom 22. Februar 1995, mit welchem ein Antrag der Verteidigung auf Nachholung des rechtlichen Gehörs zurückgewiesen wurde, ist hierzu ausgeführt, es habe der Beweiserhebung "zur Beurteilung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens erforderlichen dringenden Tatverdachts nicht bedurft"; davon abgesehen, hätte die Beweiserhebung "dazu geführt, daß die Verjährung hinsichtlich weiterer Fälle nicht rechtzeitig durch den Eröffnungsbeschluß zum Ruhen gebracht worden wäre. Dem hatte die Kammer auch unter Berücksichtigung und Abwägung der Interessen des Angeklagten an der beantragten Beweiserhebung durch rechtzeitigen Erlaß des Eröffnungsbeschlusses entgegenzuwirken."
Im folgenden wurde - unter Verfügung der Wiedervorlage zum 1. Juni, 1. September und 1. Dezember 1995 sowie zum 1. März 1996 - jeweils in der Akte vermerkt, eine Terminierung sei wegen vorrangiger Haftsachen nicht
möglich. Mit Beschluß vom 13. Juni 1996 ordnete das Landgericht die Erstellung von 69 Wertgutachten durch sieben Sachverständige zur Ermittlung des Verkehrswerts der Wohnungen an; die Gutachten gingen bis zum 19. März 1997 ein. Unter dem 21. März, 21. August und 21. November 1997, 20. Februar, 6. Mai und 24. Juni 1998 vermerkte der Vorsitzende der Wirtschaftsstrafkammer jeweils, eine Förderung des Verfahrens sei wegen anderweitiger Verhandlungen in Haftsachen nicht möglich.
Am 27. Juli 1998 beantragte der Verteidiger des Angeklagten, das Verfahren wegen überlanger Verfahrensdauer einzustellen, hilfsweise eine Verfahrenseinstellung nach § 153 a StPO. Bis zum Dezember 1998 folgten Verhandlungen zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung über eine mögliche Verfahrenseinstellung gegen die Auflage einer Geldzahlung. Am 3. Dezember 1998 vermerkte der Vorsitzende in der Akte, die Kammer halte eine Einstellung nach § 153 a StPO für sachgerecht, eine Einigung zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung sei jedoch nicht erzielt worden. Am 11. Dezember 1998 wurde die Hauptverhandlung auf (vorerst) 126 Sitzungstage vom 13. Januar bis 29. Dezember 1999 terminiert.

e) Die Kammer verhandelte vom 13. Januar 1999 bis zum 30. September 1999 an insgesamt 44 Verhandlungstagen; es wurden 48 Zeugen und zwei Sachverständige vernommen. Im Laufe der Hauptverhandlung (29., 30., 31. Verhandlungstag) wurde erneut die Möglichkeit einer Einstellung nach § 153 a StPO erörtert, eine Einigung konnte nicht erzielt werden. Am 34. Verhandlungstag (9. Juli 1999) stellte das Landgericht das Verfahren hinsichtlich aller Anklagepunkte bis auf 16 nach § 154 Abs. 2 StPO vorläufig ein.
Am 44. Verhandlungstag wurden diese eingestellten Fälle wieder einbezogen; am 45. Verhandlungstag erging das Einstellungsurteil.
3. In dem Urteil vom 4. Oktober 1999 hat das Landgericht ausgeführt, eine kurzfristige Beendigung des Verfahrens durch Sachurteil sei nicht möglich ; nach dem Stand der Beweisaufnahme seien noch eine Vielzahl weiterer Zeugen sowie weitere Sachverständige zu vernehmen. Die Verfahrensverzögerungen im Bereich der Justiz seien auf andauernde, strukturelle Umstände zurückzuführen ; eine Hilfsstrafkammer habe wegen der Personalknappheit beim Landgericht Köln nicht gebildet werden können. Die bisherige Beweisaufnahme habe ergeben, "daß eine möglicherweise festzustellende Schuld des Angeklagten ... jedenfalls nicht übermäßig groß ist" (UA S. 15). Die Schuld des Angeklagten sei, "sollte eine solche überhaupt feststellbar sein, jedenfalls gering" (UA S. 17); sie "würde sich ... jedenfalls geringer darstellen, als dies in der Anklageschrift zum Ausdruck kommt" (UA S. 18). Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen , daß die Erwerber der Wohnungen die angestrebten Steuervorteile tatsächlich erlangt haben. Es sei nicht ausgeschlossen, daß vor November 2001 - Eintritt der absoluten Verjährung des letzten Falles - ein Sachurteil nicht ergehen könne. In noch hinnehmbarer Zeit werde weder ein Sachurteil noch ein Abschluß des Verfahrens durch Einstellung nach § 153 a oder § 153 StPO möglich sein. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles habe zwar zu Beginn der Hauptverhandlung ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 MRK noch nicht vorgelegen; die Fortsetzung der Hauptverhandlung sei jedoch mit rechtsstaatlichen Anforderungen nicht mehr vereinbar (UA S. 17).

II.


Ein Verfahrenshindernis läßt sich nicht abschließend feststellen.
1. Ein Verfahrenshindernis ergibt sich hier nicht aus dem Eintritt der Verfolgungsverjährung.

a) Das Landgericht hat im Eröffnungsbeschluß vom 21. November 1994 die auch von der Anklage vertretene Auffassung zugrunde gelegt, es handele sich bei den dem Angeklagten vorgeworfenen Handlungen um selbständige Taten mit jeweils einzeln zu bestimmendem Verjährungsbeginn. Auch wenn dies zuträfe, so war bei Erlaß des Eröffnungsbeschlusses die - absolute - Verjährungsfrist hinsichtlich derjenigen Fälle nicht abgelaufen, in welchen die vollständige Kaufpreiszahlung durch den jeweiligen Erwerber der Immobilie nach dem 20. November 1984 erfolgte, denn die Tatbeendigung tritt im Fall des § 263 StGB erst mit Erlangung des (letzten) Vermögensvorteils ein; erst zu diesem Zeitpunkt begann daher die Verjährungsfrist zu laufen (§ 78 a StGB). Die hier nach § 78 Abs. 3 Nr. 4, § 263 Abs. 1 a.F. StGB geltende regelmäßige Verjährungsfrist von fünf Jahren ist durch die Bekanntgabe der Einleitung des Ermittlungsverfahrens, die mehrfachen Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen sowie die Anklageerhebung wirksam unterbrochen worden.

b) Nach § 78 b Abs. 3 StGB läuft die Verjährung nach Erlaß eines Urteils im ersten Rechtszug nicht vor dem rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens ab. Die Wirkung der Ablaufhemmung, die nach § 78 c Abs. 3 Satz 3 StGB auch für den Eintritt der "absoluten" Verjährung nach § 78 c Abs. 3 Satz 2 StGB gilt, tritt auch durch ein auf Einstellung lautendes Prozeßurteil unabhängig von
dessen sachlicher Richtigkeit ein (BGHSt 32, 209, 210; Jähnke in LK 11. Aufl. § 78 b Rdn. 14; Lackner/Kühl, StGB 23. Aufl. § 78 b Rdn. 7; Stree in Schönke /Schröder, StGB 25. Aufl. § 78 b Rdn. 12; Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. § 78 b Rdn. 11; jew.m.w.N.). Auch auf Mängel der Anklage oder des Eröffnungsbeschlusses kommt es - im Rahmen der Reichweite des § 264 StPO - für den Eintritt der Ablaufhemmung grundsätzlich nicht an (vgl. BGH NJW 1994, 808, 809; BGH NStZ-RR 1997, 167). Das gilt auch für ein Urteil, das die Einstellung des Verfahrens auf die Annahme eines aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Verfahrenshindernisses stützt. Auch ein solches Urteil wird vom Wortlaut des § 78 b Abs. 3 StGB erfaßt; eine Differenzierung nach den das Einstellungsurteil tragenden Gründen ist dem Gesetz nicht zu entnehmen und wäre mit dem gerade im Verjährungsrecht geltenden Gebot klarer, einfacher Regelungen unvereinbar.

c) Der Eröffnungsbeschluß vom 21. November 1994 hatte entgegen der Auffassung der Verteidigung die Wirkung des § 78 b Abs. 4 Satz 1 StGB, wonach die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Landgericht in Fällen des § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB - hier § 263 Abs. 3 StGB a.F. - ein Ruhen der Verjährung für einen Zeitraum von höchstens 5 Jahren bewirkt. Diese Hinausschiebung des Eintritts der Verjährung auf einen Zeitpunkt bis zu 15 Jahre nach Tatbeendigung, falls zum Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses die absolute Verjährung noch nicht eingetreten war, ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden (BVerfG NJW 1995, 1145) und entspricht einem dringenden praktischen Bedürfnis in Fällen besonders aufwendiger Hauptverhandlungen (vgl. BT-Drucks. 12/3832 S. 44 ff). Ob die verjährungsverlängernde Wirkung des Eröffnungsbeschlusses dann ausscheidet, wenn er in willkürlicher Weise ergangen ist, kann offenbleiben; es liegt dafür hier kein Anhaltspunkt vor. Ein
solcher ergibt sich auch nicht daraus, daß das Landgericht den Eröffnungsbeschluß angesichts des drohenden Ablaufs der (absoluten) Verjährungsfrist am 21. November 1994 erließ, ohne den vom Verteidiger des Angeklagten im Zwischenverfahren gestellten Beweisantrag zur Ermittlung eines möglichen Schadenseintritts zu bescheiden, die beantragte Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten jedoch - ohne daß das Verfahren zwischenzeitlich eine Förderung erfahren hatte - am 22. April 1996 anordnete. Dies mag, namentlich im Hinblick darauf, daß das Landgericht schon nach Eingang der Anklageschrift im August 1994 die Staatsanwaltschaft ersucht hatte, konkretisierend zur Frage des Eintritts eines Vermögensschadens Stellung zu nehmen (Bd. XVI Bl. 77 ff d.A.), zu einer weiteren vermeidbaren Verfahrensverzögerung geführt haben; gleichwohl wird die Wirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses davon nicht berührt. Das Landgericht hat im Eröffnungsbeschluß einen hinreichenden (im Beschluß mißverständlich: "dringenden") Tatverdacht im Umfang der zugelassenen Anklage bejaht und dies mit vertretbaren Erwägungen über den Nichteintritt der Verjährung in den Fällen begründet, in welchen sich der Zeitpunkt der Tatbeendigung weder aus der Anklage noch aus den Verfahrensakten ergab. Daß das Landgericht in einem weiteren, auf einen Antrag des Verteidigers nach § 33 a StPO ergangenen Beschluß vom 22. Februar 1995 ausgeführt hat, daß die Kammer durch rechtzeitigen Erlaß des Eröffnungsbeschlusses der Gefahr des Eintritts der absoluten Verjährung entgegenzuwirken "hatte" (Bd. XVI Bl. 280 ff. d.A.), gibt keinen Hinweis auf eine sachwidrige Behandlung , da Maßnahmen, welche einzig dem Ziel dienen, den Eintritt der Verjährung zu verhindern, auch im übrigen grundsätzlich zulässig sind (vgl. Jähnke in LK 11. Aufl. § 78 c Rdn. 11 m.w.N.).
2. Der Senat kann nicht abschließend prüfen, ob sich hier aus der Verletzung des Beschleunigungsgebots ein zur Einstellung zwingendes Verfahrenshindernis ergibt.

a) Ein Verfahrenshindernis wird durch solche Umstände begründet, die es ausschließen, daß über einen Prozeßgegenstand mit dem Ziel einer Sachentscheidung verhandelt werden darf (BGHSt 32, 345, 350; 36, 294, 295; 41, 72, 75; Rieß in LR 25. Aufl. § 206 a Rdn. 22; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. Einl. Rdn. 143; Tolksdorf in KK StPO 4. Aufl. § 206 a Rdn. 1; Pfeiffer, StPO 2. Aufl. § 206 a Rdn. 4 und in KK-StPO 4. Aufl. Einl. Rdn. 131). Sie müssen so schwer wiegen, daß von ihrem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein die Zulässigkeit des gesamten Verfahrens abhängig gemacht werden muß (BGHSt 35, 137, 140). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führt die Verletzung des Beschleunigungsgebots grundsätzlich nicht zu einem solchen Verfahrenshindernis (BGHSt 21, 81; 24, 239; 27, 274; 35, 137, 140; BGH NJW 1995, 737; 1996, 2739; wistra 1993, 340; 1997, 347; NStZ 1990, 94; 1996, 21; 1996, 506; 1997, 543; Strafverteidiger 1992, 452, 453; 1994, 652, 653; NStZ-RR 1998, 103, 104; 108). Dies hat seinen Grund darin, daß die Tatsache und das Gewicht des Verstoßes nur in einer Gesamtabwägung und mit Blick auf die dem Verfahren zugrundeliegende Beschuldigung und das Maß des Verschuldens bestimmt werden können; diese Feststellung entzieht sich einer allein formellen Betrachtung. Das Bundesverfassungsgericht hat im Beschluß vom 24. November 1983 (NJW 1984, 967) darauf hingewiesen , die Auffassung, aus einer Verletzung des Beschleunigungsgebots könne in keinem Fall ein Verfahrenshindernis hergeleitet werden, begegne verfassungsrechtlichen Bedenken. Zugleich hat es klargestellt, daß ein unmittelbar aus dem Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes abzuleitendes Verfahrenshin-
dernis allein dann in Betracht komme, wenn in extrem gelagerten Fällen, in welchen das Ausmaß der Verfahrensverzögerung besonders schwer wiegt und die Dauer des Verfahrens zudem mit besonderen Belastungen für den Beschuldigten einhergegangen ist, das Strafverfahrensrecht keine Möglichkeit zur Verfahrensbeendigung, z.B. durch Anwendung des § 153 StPO, zur Verfügung stellt. Im Beschluß vom 19. April 1993 (NJW 1993, 3254 ff; vgl. auch BVerfG NJW 1995, 1277, 1278) hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung müsse sich, da die Strafe verhältnismäßig sein und in einem gerechten Verhältnis zu dem Verschulden des Täters stehen müsse, bei der Strafzumessung auswirken, wenn sie nicht im Extrembereich zur Einstellung oder zum Vorliegen eines Verfahrenshindernisses führe.
Der Bundesgerichtshof hat in BGHSt 35, 137 im Fall eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK aufgrund einer willkürlichen, "außergewöhnlichen und beispiellosen Verzögerung" der Aktenvorlage nach § 347 StPO ein "Zurückverweisungsverbot" angenommen, das Verfahren abgebrochen und durch Urteil eingestellt. Dem lag die Besonderheit zugrunde, daß der Schuldspruch in dem außerordentlich umfangreichen und komplexen Verfahren von den tatsächlichen Feststellungen des Erstgerichts nicht getragen wurde, so daß das Urteil insgesamt hätte aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung hätte zurückverwiesen werden müssen. Der Bundesgerichtshof ist in der genannten Entscheidung auf der Grundlage der tatrichterlichen - wenngleich unzureichenden - Feststellungen davon ausgegangen, daß eine neue Verhandlung auch zum Schuldspruch voraussichtlich erst nach Jahren zu einem Abschluß des Verfahrens führen und daher den Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK weiter vertiefen würde; eine Einstellung des Verfahrens nach
§ 153 StPO kam wegen Verweigerung der Zustimmung durch die Staatsanwaltschaft nicht in Betracht.
Entsprechend haben verschiedene Oberlandesgerichte einen Abbruch des Verfahrens aus rechtsstaatlichen Gründen für unabweisbar gehalten, wenn einer außergewöhnlichen, vom Beschuldigten nicht zu vertretenden und auf Versäumnisse der Justiz zurückzuführenden Verfahrensverzögerung, die den Beschuldigten unter Abwägung der Gesamtumstände des Einzelfalls, namentlich des Tatvorwurfs, des festgestellten oder voraussichtlich feststellbaren Schuldumfangs sowie möglicher Belastungen durch das Verfahren, in unverhältnismäßiger Weise belastet, im Rahmen einer Sachentscheidung keinesfalls mehr hinreichend Rechnung getragen werden kann (vgl. etwa OLG Zweibrükken NStZ 1989, 134 und NStZ 1995, 49; OLG Düsseldorf NStZ 1993, 450; vgl. auch BGH StV 1995, 130, 131). Ob das bei einer solchen Sachlage bestehende Verfolgungsverbot als stets von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis zu verstehen ist (so etwa OLG Koblenz NJW 1994, 1887; OLG Zweibrücken NStZ 1989, 134; LG Düsseldorf NStZ 1988, 427; LG Bad Kreuznach NJW 1993, 1725), hat der Bundesgerichtshof bislang offen gelassen (BGHSt 35, 137, 143; vgl. auch NJW 1996, 2739; wistra 1993, 340; 1994, 21; BGH, Beschluß vom 16. August 1996 - 1 StR 745/95 [in BGHSt 42, 219 nicht abgedruckt]). In der Literatur ist die Frage umstritten; überwiegend wird die Annahme eines Verfahrenshindernisses auch in Extremfällen abgelehnt (vgl. etwa Kleinknecht/Meyer-Goßner, 44. Aufl. 1999, Rdn. 9 zu Art. 6 MRK; Rieß in Löwe /Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 206 a Rdn. 56; Paulus in KMR StPO § 206 a Rdn. 35; Pfeiffer in KK-StPO, 4. Aufl. Einl. Rdn. 12 f., 131; jeweils m.w.Nachw.).
Der Senat ist der Ansicht, daß das in ganz außergewöhnlichen Sonderfällen aus der Verletzung von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgrundsatz folgende Verbot einer weiteren Strafverfolgung als Verfahrenshindernis zu behandeln und v om Tatrichter zu beachten ist; vom Revisionsgericht ist sein Vorliegen in diesen Fällen von Amts wegen zu berücksichtigen. Dem stehen weder der Zusammenhang mit dem materiell -rechtlichen Schuldgrundsatz noch das Erfordernis entgegen, das Vorliegen des Hindernisses aufgrund einer umfassenden Gesamtwürdigung des Sachverhalts zu prüfen. Deren Notwendigkeit kann sich im Einzelfall auch bei der Prüfung anderer Verfahrensvoraussetzungen ergeben, etwa der des Vorliegens eines besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung, des Nichteintritts der Verfolgungsverjährung oder des Eingreifens eines Straffreiheitsgesetzes. Im Hinblick auf die Bedeutung des in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK kodizifierten Menschenrechts auf eine rechtsstaatliche Behandlung und Entscheidung über die erhobene strafrechtliche Anklage innerhalb angemessener Frist kann ein Verstoß hiergegen, wenn seine Kompensation im Rahmen einer Sachentscheidung nicht mehr in Betracht kommt, für die Zulässigkeit des weiteren Verfahrens keine geringeren Folgen haben als der Verjährungseintritt, der einer Sachentscheidung sogar unabhängig von der konkreten Tatschuld entgegensteht. Der Gesichtspunkt, daß Verfahrenshindernisse in der Regel - wenngleich nicht stets - an objektiv feststellbare Tatsachen anknüpfen und nicht Ergebnis wertender Abwägungen sind (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. Einl. Rdn. 148 m.w.Nachw.), tritt dem gegenüber dann zurück, wenn feststeht, daß für eine solche Abwägung aufgrund des Gewichts des Verstoßes kein Raum bleibt. In diesem Fall würde eine Fortsetzung des Verfahrens allein zur Vertiefung des Grundrechtsverstoßes führen; dem steht das Rechtsstaatsprinzip entgegen.


b) Der Senat kann hier auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen und des ihm zugänglichen Akteninhalts feststellen, daß ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK aufgrund einer vom Angeklagten nicht zu vertretenden überlangen Verfahrensdauer vorliegt: Das Verfahren dauert seit der erstmaligen Bekanntgabe an den Angeklagten bereits 13 1/2 Jahre an. Bis zum Schlußbericht der Kriminalpolizei vergingen mehr als fünf Jahre, in denen die Ermittlungen mehrfach ausgedehnt wurden, aber jedenfalls seit Ende 1988 offenbar wenig substantiellen Erkenntnisgewinn brachten. Erst im Dezember 1990 erfolgte die erste Vernehmung eines Tatbeteiligten; Vernehmungen der Vertriebsmitarbeiter, durch welche die täuschenden Zusagen unmittelbar an die Geschädigten weitergegeben worden sein sollen, sind erst im Frühjahr 1992 durchgeführt worden. Zwischen dem Eingang des Schlußberichts der Kriminalpolizei vom 27. August 1992 und der Erhebung der Anklage am 27. Juli 1994, die im wesentlichen den Inhalt des Schlußberichts wiedergibt, vergingen zwei Jahre, in denen fast ausschließlich Verhandlungen mit verschiedenen Beschuldigten über Verfahrenseinstellungen geführt wurden. Zwischen dem Erlaß des Eröffnungsbeschlusses am 21. November 1994 und der Terminierung der Hauptverhandlung am 11. Dezember 1998 sind weitere vier Jahre vergangen, in denen außer der Einholung von Sachverständigengutachten zwischen April 1996 und März 1997 eine Verfahrensförderung nicht festzustellen ist. Eine durch das Verhalten des Angeklagten verursachte Verzögerung des Verfahrens liegt nicht vor; die Verzögerungen sind vielmehr, soweit dies dem Schreiben des Präsidenten des Landgerichts Köln vom 30. August 1999 an den Vorsitzenden der Wirtschaftsstrafkammer und dem Inhalt der Verfahrensakte entnommen werden kann, jedenfalls seit Eingang der Anklageschrift allein auf organisatorische Gründe im Bereich der Justiz zurückzuführen.

Auch wenn die Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung jedenfalls dann nicht allein auf den insgesamt abgelaufenen Zeitraum gestützt werden kann, wenn dem Verfahren ein komplexer Sachverhalt zugrunde liegt, dessen Beurteilung umfangreiche und aufwendige Ermittlungen erforderlich macht (vgl. BVerfG NJW 1984, 967; 1993, 3254, 3255; BGH wistra 1993, 340; BGHR MRK Art. 6 I Verfahrensverzögerung 5, 6, 8, 9), so ist doch hier angesichts des Umstands, daß die Grenze der absoluten Verjährung inzwischen um mehr als drei Jahre überschritten wäre und das Verfahren seit Anklageerhebung mindestens fünf Jahre lang aus allein im Bereich der Justiz liegenden Gründen nicht gefördert wurde, ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK gegeben. Entgegen der Auffassung des Landgerichts lag dieser auch bereits zu Beginn der Hauptverhandlung vor; die Annahme, er sei erst nach Beginn der Hauptverhandlung, die an durchschnittlich zwei Tagen pro Woche stattfand, oder gerade durch diese eingetreten, trifft nicht zu.

c) Das Landgericht hat den Abbruch der Hauptverhandlung auf die rechtliche Erwägung gestützt, die Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 MRK vor demjenigen Zeitpunkt, in welchem eine verfahrensabschließende Sachentscheidung ergehen kann, führe jedenfalls dann zwangsläufig zum Eintritt eines Verfahrenshindernisses, wenn die weitere Dauer des Verfahrens nicht absehbar ist, weil eine bewußte Vertiefung der Rechtsverletzung durch Fortsetzung der Hauptverhandlung - allein mit Blick auf eine spätere Kompensation bei der Rechtsfolgenentscheidung - ihrerseits mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar wäre (UA S. 31 ff.). Die Urteilsausführungen hierzu setzen im Ergebnis die Feststellung des Verstoßes mit der Notwendigkeit des Verfahrensabbruchs gleich; das ergibt sich auch aus der Annahme
des Landgerichts, bis zum Beginn der Hauptverhandlung habe ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK noch nicht vorgelegen. Diese Auffassung ist nicht zutreffend. Die Feststellung eines gravierenden Verfahrensverstoßes führt auch in sonstigen Fällen - etwa bei unzulässiger Tatprovokation durch polizeiliche V-Leute, bei Verstößen gegen § 136 a StPO oder gegen das rechtsstaatliche Gebot des "fair trial" - nicht zur Undurchführbarkeit des Verfahrens. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat bei einer Verletzung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK nicht etwa einen Abbruch des Verfahrens gefordert, sondern eine Verpflichtung des Mitgliedsstaates festgestellt, die Rechtsverletzung in Anwendung des nationalen Rechts in angemessener Weise zu kompensieren (vgl. EGMR, Urteil vom 15. Juli 1982, EuGRZ 1983, 371). Dem entspricht der auch in BGHSt 35, 137, 140 ff. hervorgehobene Grundsatz, daß weder die Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK noch die Entscheidung darüber, in welcher Weise sich dieser Verstoß auf das Verfahrensergebnis auswirken muß, unabhängig von den Umständen des Einzelfalles , namentlich auch vom Maß der Schuld des Angeklagten möglich ist. Ob ein festgestellter Verstoß so gewichtig ist, daß eine Kompensation im Rahmen einer Sachentscheidung nicht mehr in Betracht kommt, und er daher der Weiterführung des Verfahrens insgesamt entgegensteht, kann regelmäßig nicht ohne tatsächliche Feststellungen zur Tatschuld des Angeklagten beurteilt werden.
Das Landgericht hat hierzu, wie die Revision zutreffend hervorhebt, keine für das Revisionsgericht nachprüfbaren Feststellungen getroffen. Ergebnisse der mehr als 40 Verhandlungstage umfassenden Beweisaufnahme sind in den Urteilsgründen nicht mitgeteilt; diese erschöpfen sich vielmehr in einer Darstellung der Verfahrensgeschichte sowie rechtlichen Ausführungen zum
Vorliegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung. Das Urteil enthält auch keine Feststellungen darüber, aus welchen Gründen es dem Landgericht nicht möglich war festzustellen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des Betrugs vorliegen. Die Ausführungen des Landgerichts zum Verschulden des Angeklagten , dieses sei "nicht übermäßig groß" (UA S. 15), "jedenfalls gering" (UA S. 17), eine Verfahrenseinstellung nach § 153 a StPO gegen Zahlung eines Geldbetrags von mindestens 1,5 Mio. DM, wie es die Staatsanwaltschaft gefordert habe, werde "der bisher durchgeführten Beweisaufnahme in keiner Weise gerecht" (UA S. 29), finden in den Urteilsfeststellungen keine Grundlage ; der Senat kann aufgrund des Fehlens tatsächlicher Feststellungen die rechtliche Bewertung durch das Landgericht nicht überprüfen.
Dies gilt gleichermaßen für die nur lückenhaft mitgeteilten Verfahrenstatsachen. Die Urteilsgründe geben keinen Aufschluß darüber, auf Grundlage welcher bisherigen Beweisergebnisse das Landgericht zu der Ansicht gelangt ist, eine Sachentscheidung sei "unter Umständen" nicht vor dem Ende des Jahres 2001 möglich. Insoweit wird nur pauschal erwähnt, es sei noch "eine Vielzahl von weiteren Zeugen, die zum Teil im Ausland aufhältig sind, und weitere Sachverständige zu hören" (UA S. 8); hinsichtlich sieben Fällen sei die Erstellung eines neuen Sachverständigengutachtens erforderlich (ebenda). Hieraus ergibt sich nicht mit einer vom Revisionsgericht überprüfbaren Deutlichkeit, welche tatsächlichen Hindernisse hier die vom Landgericht prognostizierte weitere Verfahrensdauer von mehr als zwei Jahren begründen könnten.
Indem das Landgericht sich in dem angefochtenen Urteil weitgehend auf die Ausführung rechtlicher Wertungen beschränkt, von der Mitteilung der diesen zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen jedoch absieht, entzieht
es dem Revisionsgericht zugleich die Grundlage für eine rechtliche Überprüfung. Dem Senat ist es - anders, als dies der Entscheidung BGHSt 35, 137 zugrunde lag - aufgrund des gänzlichen Fehlens tatsächlicher Feststellungen nicht möglich zu beurteilen, ob die Umstände des Einzelfalls angesichts der überlangen Verfahrensdauer und des vom Angeklagten nicht zu vertretenden Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot hier einen Extremfall begründen, in welchem der Verstoß weder durch eine Berücksichtigung im Rahmen der Strafzumessung - ggf. unter Anwendung von § 59 StGB - noch etwa durch Einstellung nach § 153 a oder § 153 StPO hinreichend ausgeglichen werden kann.
Der rechtsfehlerhafte Verzicht auf nachprüfbare Tatsachenfeststellungen muß daher zur Aufhebung des Urteils führen. Die Prüfung aufgrund des dem Senat auch ohne Verfahrensrüge zugänglichen Akteninhalts erlaubt hier zwar die Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, nicht aber eine Entscheidung, ob unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles, insbesondere auch des dem Angeklagten zuzurechnenden Schuldumfangs, eine Verfahrenseinstellung in Fortentwicklung der Grundsätze in BGHSt 35, 137 erfolgen muß. Tatrichterliche Feststellungen zum Schuldumfang kann das Revisionsgericht nicht selbst treffen; der Tatrichter hat sie, wenn er den Eintritt eines Verfahrenshindernisses wegen überlanger Verfahrensdauer bejaht, im Einstellungsurteil ebenso wie die Verfahrenstatsachen und die der Prognose über die voraussichtliche weitere Verfahrensdauer zugrundeliegenden Tatsachen in nachprüfbarer Weise darzulegen. Andernfalls bestünde die Gefahr, daß sich das Tatgericht insbesondere bei schwierigen und umfangreichen Verfahren durch nicht begründete und daher auch nicht überprüfbare Prozeßentscheidungen der Aufgabe entheben könnte, auch solche Verfahren bei
straffer Verfahrensführung und angemessener Beschränkung des Prozeßstoffs in vertretbarer Zeit einer Sachentscheidung zuzuführen.
Nach dem Akteninhalt kommt vorliegend bei der gebotenen zügigen Sachbehandlung eine Berücksichtigung des Verstoßes im Rahmen einer Rechtsfolgeentscheidung durchaus noch in Betracht.

III.


Der Senat hat im Hinblick auf die der Sache nicht förderliche Auseinandersetzung zwischen Landgericht und Staatsanwaltschaft über die Verantwortung für die eingetretenen Verfahrensverzögerungen von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO Gebrauch gemacht, die Sache an die Wirtschaftsstrafkammer eines anderen Gerichts zurückzuverweisen.
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:
1. Bei dem hier in Betracht kommenden sog. "unechten Erfüllungsbetrug" kommt es für die Feststellung eines tatbestandlichen Vermögensschadens auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an, der aufgrund der täuschenden Erklärung erschlichen worden ist. Soweit das Landgericht - eher kursorisch - in den Urteilsgründen erwähnt hat, die Käufer der Eigentumswohnungen hätten die von ihnen erstrebten Steuervorteile tatsächlich erhalten, wird zu berücksichtigen sein, in welchem Umfang diese steuerlichen Vorteile aufgrund der Rückveräußerungsabsicht der Käufer und der damit fehlenden Gewinner-
zielungsabsicht von vornherein nur aufgrund einer Straftat nach § 370 AO erzielt werden konnten und der Rückerstattungspflicht unterlagen.
2. Der neue Tatrichter wird schon im Hinblick auf die inzwischen vorliegende gravierende Verfahrensverzögerung den Verfahrensstoff sinnvoll zu beschränken und die Beweiserhebung auf solche Tatsachen zu konzentrieren haben, die eine Beurteilung des Schuldumfangs ermöglichen. Ob diese Feststellungen zur gegebenen Zeit eine Verfahrenseinstellung nach § 153 a oder § 153 StPO, gegebenenfalls auch eine Sachentscheidung nach § 59 StGB nahelegen und rechtfertigen, werden der neue Tatrichter sowie die Staatsanwaltschaft zu beachten haben.
Jähnke Otten Rothfuß Fischer Elf

(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.

(2) Die Kosten des Verfahrens, die der Angeschuldigte durch eine schuldhafte Säumnis verursacht hat, werden ihm auferlegt. Die ihm insoweit entstandenen Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt.

(3) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn der Angeschuldigte die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er in einer Selbstanzeige vorgetäuscht hat, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zu haben. Das Gericht kann davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er

1.
die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat, oder
2.
wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.

(4) Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift ein, die dies nach seinem Ermessen zuläßt, so kann es davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen.

(5) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153a) endgültig eingestellt wird.

(1) Über die Verpflichtung zur Entschädigung entscheidet das Gericht in dem Urteil oder in dem Beschluß, der das Verfahren abschließt. Ist die Entscheidung in der Hauptverhandlung nicht möglich, so entscheidet das Gericht nach Anhörung der Beteiligten außerhalb der Hauptverhandlung durch Beschluß.

(2) Die Entscheidung muß die Art und gegebenenfalls den Zeitraum der Strafverfolgungsmaßnahme bezeichnen, für die Entschädigung zugesprochen wird.

(3) Gegen die Entscheidung über die Entschädigungspflicht ist auch im Falle der Unanfechtbarkeit der das Verfahren abschließenden Entscheidung die sofortige Beschwerde nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung zulässig. § 464 Abs. 3 Satz 2 und 3 der Strafprozeßordnung ist entsprechend anzuwenden.

Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate.

(2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen, so entscheiden der Große Senat für Zivilsachen, wenn ein Zivilsenat von einem anderen Zivilsenat oder von dem Großen Zivilsenat, der Große Senat für Strafsachen, wenn ein Strafsenat von einem anderen Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen, die Vereinigten Großen Senate, wenn ein Zivilsenat von einem Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen oder ein Strafsenat von einem Zivilsenat oder von dem Großen Senat für Zivilsachen oder ein Senat von den Vereinigten Großen Senaten abweichen will.

(3) Eine Vorlage an den Großen Senat oder die Vereinigten Großen Senate ist nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, daß er an seiner Rechtsauffassung festhält. Kann der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit der Rechtsfrage nicht mehr befaßt werden, tritt der Senat an seine Stelle, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für den Fall, in dem abweichend entschieden wurde, zuständig wäre. Über die Anfrage und die Antwort entscheidet der jeweilige Senat durch Beschluß in der für Urteile erforderlichen Besetzung; § 97 Abs. 2 Satz 1 des Steuerberatungsgesetzes und § 74 Abs. 2 Satz 1 der Wirtschaftsprüferordnung bleiben unberührt.

(4) Der erkennende Senat kann eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

(5) Der Große Senat für Zivilsachen besteht aus dem Präsidenten und je einem Mitglied der Zivilsenate, der Große Senate für Strafsachen aus dem Präsidenten und je zwei Mitgliedern der Strafsenate. Legt ein anderer Senat vor oder soll von dessen Entscheidung abgewichen werden, ist auch ein Mitglied dieses Senats im Großen Senat vertreten. Die Vereinigten Großen Senate bestehen aus dem Präsidenten und den Mitgliedern der Großen Senate.

(6) Die Mitglieder und die Vertreter werden durch das Präsidium für ein Geschäftsjahr bestellt. Dies gilt auch für das Mitglied eines anderen Senats nach Absatz 5 Satz 2 und für seinen Vertreter. Den Vorsitz in den Großen Senaten und den Vereinigten Großen Senaten führt der Präsident, bei Verhinderung das dienstälteste Mitglied. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.

(1) Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden.

(2) In den Fällen des § 13 Nr. 6, 6a, 11, 12 und 14 hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Gesetzeskraft. Das gilt auch in den Fällen des § 13 Nr. 8a, wenn das Bundesverfassungsgericht ein Gesetz als mit dem Grundgesetz vereinbar oder unvereinbar oder für nichtig erklärt. Soweit ein Gesetz als mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht vereinbar oder unvereinbar oder für nichtig erklärt wird, ist die Entscheidungsformel durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen. Entsprechendes gilt für die Entscheidungsformel in den Fällen des § 13 Nr. 12 und 14.

(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate.

(2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen, so entscheiden der Große Senat für Zivilsachen, wenn ein Zivilsenat von einem anderen Zivilsenat oder von dem Großen Zivilsenat, der Große Senat für Strafsachen, wenn ein Strafsenat von einem anderen Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen, die Vereinigten Großen Senate, wenn ein Zivilsenat von einem Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen oder ein Strafsenat von einem Zivilsenat oder von dem Großen Senat für Zivilsachen oder ein Senat von den Vereinigten Großen Senaten abweichen will.

(3) Eine Vorlage an den Großen Senat oder die Vereinigten Großen Senate ist nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, daß er an seiner Rechtsauffassung festhält. Kann der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit der Rechtsfrage nicht mehr befaßt werden, tritt der Senat an seine Stelle, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für den Fall, in dem abweichend entschieden wurde, zuständig wäre. Über die Anfrage und die Antwort entscheidet der jeweilige Senat durch Beschluß in der für Urteile erforderlichen Besetzung; § 97 Abs. 2 Satz 1 des Steuerberatungsgesetzes und § 74 Abs. 2 Satz 1 der Wirtschaftsprüferordnung bleiben unberührt.

(4) Der erkennende Senat kann eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

(5) Der Große Senat für Zivilsachen besteht aus dem Präsidenten und je einem Mitglied der Zivilsenate, der Große Senate für Strafsachen aus dem Präsidenten und je zwei Mitgliedern der Strafsenate. Legt ein anderer Senat vor oder soll von dessen Entscheidung abgewichen werden, ist auch ein Mitglied dieses Senats im Großen Senat vertreten. Die Vereinigten Großen Senate bestehen aus dem Präsidenten und den Mitgliedern der Großen Senate.

(6) Die Mitglieder und die Vertreter werden durch das Präsidium für ein Geschäftsjahr bestellt. Dies gilt auch für das Mitglied eines anderen Senats nach Absatz 5 Satz 2 und für seinen Vertreter. Den Vorsitz in den Großen Senaten und den Vereinigten Großen Senaten führt der Präsident, bei Verhinderung das dienstälteste Mitglied. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate.

(2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen, so entscheiden der Große Senat für Zivilsachen, wenn ein Zivilsenat von einem anderen Zivilsenat oder von dem Großen Zivilsenat, der Große Senat für Strafsachen, wenn ein Strafsenat von einem anderen Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen, die Vereinigten Großen Senate, wenn ein Zivilsenat von einem Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen oder ein Strafsenat von einem Zivilsenat oder von dem Großen Senat für Zivilsachen oder ein Senat von den Vereinigten Großen Senaten abweichen will.

(3) Eine Vorlage an den Großen Senat oder die Vereinigten Großen Senate ist nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, daß er an seiner Rechtsauffassung festhält. Kann der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit der Rechtsfrage nicht mehr befaßt werden, tritt der Senat an seine Stelle, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für den Fall, in dem abweichend entschieden wurde, zuständig wäre. Über die Anfrage und die Antwort entscheidet der jeweilige Senat durch Beschluß in der für Urteile erforderlichen Besetzung; § 97 Abs. 2 Satz 1 des Steuerberatungsgesetzes und § 74 Abs. 2 Satz 1 der Wirtschaftsprüferordnung bleiben unberührt.

(4) Der erkennende Senat kann eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

(5) Der Große Senat für Zivilsachen besteht aus dem Präsidenten und je einem Mitglied der Zivilsenate, der Große Senate für Strafsachen aus dem Präsidenten und je zwei Mitgliedern der Strafsenate. Legt ein anderer Senat vor oder soll von dessen Entscheidung abgewichen werden, ist auch ein Mitglied dieses Senats im Großen Senat vertreten. Die Vereinigten Großen Senate bestehen aus dem Präsidenten und den Mitgliedern der Großen Senate.

(6) Die Mitglieder und die Vertreter werden durch das Präsidium für ein Geschäftsjahr bestellt. Dies gilt auch für das Mitglied eines anderen Senats nach Absatz 5 Satz 2 und für seinen Vertreter. Den Vorsitz in den Großen Senaten und den Vereinigten Großen Senaten führt der Präsident, bei Verhinderung das dienstälteste Mitglied. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.