Bundesgerichtshof Urteil, 16. Aug. 2012 - 3 StR 237/12

bei uns veröffentlicht am16.08.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 237/12
vom
16. August 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. August
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Dr. Schäfer,
Mayer,
Gericke
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revisionen des Angeklagten und der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 20. Februar 2012 werden verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zur Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit ihrer auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision beanstandet die Nebenklägerin, dass das Landgericht einen bedingten Tötungsvorsatz nicht festgestellt und den Angeklagten deshalb nicht wegen Totschlags verurteilt hat. Der Angeklagte wendet sich mit der allgemeinen Sachrüge gegen das Urteil. Beide Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts gerieten der Angeklagte und das spätere Tatopfer S. , die sich kurz vor Mitternacht - beide in alkoholisiertem Zustand - zufällig auf der Straße begegneten, in Streit. Nach dem wechselseitigen Austausch jeweils eines Schlages setzten die Kontrahenten - der zwischenzeitlich herbeigeeilte Begleiter des Geschädigten hatte schlichtend eingegriffen - ihren jeweiligen Heimweg zunächst in entgegengesetzten Richtungen fort. Als der Angeklagte im Weggehen rief: "Wir sehen uns noch", erzürnte dies S. derart, dass er sich von seinem Begleiter losriss und dem Angeklagten hinterherlief. Dieser blieb, als er der Verfolgung gewahr wurde, nach einigen Schritten stehen, und stach mit einem Klappmesser mit einer Klingenlänge von 8-9 cm, das er immer in seinem Rucksack bei sich führte , seinem auf Stichlänge herangeeilten, körperlich geringfügig überlegenen Gegenüber "in einem Zug mit ausgestrecktem Arm" in die linke Brusthälfte; anschließend lief er nach Hause. Der Stich hatte das Herz getroffen, der Geschädigte verstarb wenige Stunden später im Krankenhaus.
3
Das Landgericht hat direkten Körperverletzungsvorsatz angenommen, sich hingegen von einem (auch nur bedingten) Tötungsvorsatz nicht überzeugen können. Der Angeklagte sei sich zwar der Gefahr bewusst gewesen, dass der Messerangriff zum Tod seines Kontrahenten habe führen können. Der Todeseintritt habe aber nicht seine "(innere) Billigung" gefunden; dagegen spreche ein aus der Tatsituation geborener, nicht von langer Hand geplanter Tatentschluss , eine mögliche alkoholbedingte Enthemmung und die nicht von Aggressionen geprägte Persönlichkeit des Angeklagten. Zudem sei das Motiv der Tat gewesen, sich gegen erwartete Schläge und/oder Demütigungen des ihm körperlich überlegenen, aufgebrachten Geschädigten zu wehren. Auch das Nachtatverhalten des Angeklagten, der in seiner verantwortlichen Vernehmung "zusammengebrochen" sei, als er vom Tod des Opfers erfahren habe, sei ein Indiz gegen die Billigung des Todeseintritts, denn es deute auf das generelle Vorhandensein einer Hemmschwelle zur Tötung hin.
4
2. Revision der Nebenklägerin
5
Die Verneinung eines bedingten Tötungsvorsatzes hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
6
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denk- oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn das Tatgericht zu hohe Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 1986 - 3 StR 500/86, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2). Liegen Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die vom Tatrichter vorgenommene Würdigung hinzunehmen, auch wenn ein anderes Ergebnis ebenso möglich oder gar näherliegend gewesen wäre.
7
Die Abgrenzung des bedingten Tötungsvorsatzes vom Körperverletzungsvorsatz erfordert bei schwerwiegenden Gewalttaten eine sorgfältige Prüfung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls. Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt, ferner, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit ihm abfindet. Da die Schuldformen des bedingten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen bei der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens- als auch das Willenselement, umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Dabei stellt die offensichtliche Lebensgefährlich- keit einer Handlung für den Nachweis einen Umstand von erheblichem Gewicht dar, sodass bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen der subjektive Tatbestand eines Tötungsdelikts sehr nahe liegt. Gleichwohl bedarf angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung die Frage der Billigung des Todes einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, in die vor allem auch die psychische Verfassung des Täters bei der Tatbegehung sowie seine Motive mit einzubeziehen sind. Insbesondere bei spontanen, unüberlegt oder in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen kann aus der Kenntnis der Gefahr des möglichen Todeseintritts nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass das - selbständig neben dem Wissenselement stehende - voluntative Vorsatzelement gegeben ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2010 - 3 StR 364/10, NStZ 2011, 73, mit zahlreichen Nachweisen

).


8
b) Den sich nach diesen Grundsätzen ergebenden rechtlichen Anforderungen an eine sorgfältige Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes (vgl. dazu zuletzt BGH, Urteil vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, NStZ 2012, 384) werden die Ausführungen des Landgerichts gerecht.
9
Die Strafkammer hat alle bedeutsamen objektiven und subjektiven Umstände der Tat in ihre Überlegungen einbezogen und insbesondere gesehen, dass der gezielte Messerstich in den Brustkorb des Tatopfers eine hochgradig lebensgefährliche Gewalthandlung war, die ein gewichtiges Indiz dafür ist, dass der Angeklagte den von ihm - entgegen seiner Einlassung und trotz seiner im Einzelnen nicht aufklärbaren Alkoholisierung - als möglich erkannten Eintritt des Todes auch billigte. Dass das Landgericht seine Zweifel am Vorliegen des voluntativen Elements des bedingten Tötungsvorsatzes wegen des unter der ent- hemmenden Wirkung von Alkohol spontan ausgeführten Messerstichs, des fehlenden Tötungsmotivs des Angeklagten, seiner im Allgemeinen nicht zu Aggressionen neigenden Persönlichkeit sowie seines Nachtatverhaltens nicht hat überwinden können, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Dies gilt auch, soweit es die Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten berücksichtigt hat. Das Landgericht war sich des eingeschränkten Beweiswerts dieses Umstandes für die innere Einstellung des Angeklagten im Tatzeitpunkt durchaus bewusst; dass es ihn gleichwohl als gegen einen Tötungsvorsatz sprechendes Indiz gewertet hat, erweist sich nicht als rechtsfehlerhaft, sind doch auch die Besonderheiten der Persönlichkeit des Täters in die erforderliche Gesamtschau einzustellen (BGH, Beschluss vom 23. April 2003 - 2 StR 52/03, NStZ 2003, 603, 604; BGH, Beschluss vom 8. Mai 2008 - 3 StR 142/08, NStZ 2009, 91).
10
3. Revision des Angeklagten
11
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, weil die Überprüfung des Urteils aufgrund der allgemein erhobenen Sachrüge keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil aufgedeckt hat.
VRiBGH Becker ist wegen Pfister Schäfer Urlaubs gehindert, seine Unterschrift beizufügen. Pfister Mayer Gericke

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Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.
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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
3 StR 364/10
vom
25. November 2010
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. November
2010, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
Richter am Bundesgerichtshof
von Lienen,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
die Richter am Bundesgerichtshof
Hubert,
Mayer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Nebenklägers gegen das Urteil des Landgerichts Stade vom 10. Mai 2010 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zur Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Mit seiner auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision beanstandet der Nebenkläger, dass das Landgericht einen bedingten Tötungsvorsatz verneint und den Angeklagten deshalb nicht auch wegen tateinheitlichen versuchten Totschlags verurteilt hat. Das zulässige Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen schubsten sich der Angeklagte sowie der Nebenkläger und beleidigten sich gegenseitig. Der Nebenkläger war bereit, sich gegen die von ihm erwarteten Schläge des Angeklagten zu wehren und sich mit ihm zu schlagen. Der Angeklagte drohte dem Nebenkläger, ihn abzustechen und nahm ein mitgeführtes Klappmesser in die Hand. Als der Nebenkläger, der anfangs die Drohung nicht ernst genommen und weiterhin die Konfrontation gesucht hatte, das Messer sah, wich er aus Furcht nach hinten aus und beendete die Beleidigungen. Der Angeklagte folgte ihm und versetzte ihm mit einer schlagenden Bewegung einen Messerstich in den linken Brustkorb. Das Messer drang von oben unterhalb der linken Achsel durch die Rippenbögen in den Körper ein und verletzte den Geschädigten schwer.
3
Das Landgericht ist in seiner Beweiswürdigung davon ausgegangen, dass der Angeklagte mit direktem Körperverletzungsvorsatz zugestochen hat. Einen bedingten Tötungsvorsatz hat es im Wesentlichen mit folgender Begründung verneint: Der Angeklagte habe zwar durch den Stich in den Brustkorb des Geschädigten eine hochgradig gefährliche Gewalthandlung vorgenommen und auch erkannt, dass diese tödlich sein könne. Bei umfassender Würdigung aller objektiven und subjektiven Tatumstände könne daraus jedoch nicht mit der erforderlichen Sicherheit auf eine Billigung des Todes geschlossen werden. Der Angeklagte habe sich bei der Tatbegehung in einem Zustand beträchtlicher affektiver Erregung befunden, sei durch den Konsum von Alkohol und Rauschgift erheblich enthemmt gewesen und durch die Beleidigungen seitens des Nebenklägers spontan zu dem Messerstich hingerissen worden, wobei er diesen vom Herzen weg geführt habe. Aufgrund seiner körperlichen Unterlegenheit habe er gemeint, sich nur mit dem Messer Respekt verschaffen zu können. Er habe erst zugestochen, nachdem der Geschädigte seine Drohung nicht ernst genommen habe. Zudem sei kein Motiv für eine Tötung ersichtlich. Die Äußerung "ich steche dich ab" sei nur eine Machtdemonstration gewesen und habe keine Indizwirkung für einen bedingten Tötungsvorsatz. Der Angeklagte habe lediglich einen einzelnen Messerstich ausgeführt und sei unmittelbar nach der Tat nicht geflüchtet.
4
2. Die Verneinung eines bedingten Tötungsvorsatzes hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
5
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsge- richtliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denk- oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn das Tatgericht zu hohe Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 1986 - 3 StR 500/86, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2). Die Abgrenzung des bedingten Tötungsvorsatzes vom Körperverletzungsvorsatz erfordert bei schwerwiegenden Gewalttaten eine sorgfältige Prüfung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls. Der Täter handelt mit bedingtem Tötungsvorsatz, wenn er den Eintritt des Todes als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt sowie ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit ihm abfindet. Dabei stellt die offensichtliche Lebensgefährlichkeit einer Handlung für den Nachweis einen Umstand von erheblichem Gewicht dar, sodass bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen der subjektive Tatbestand eines Tötungsdelikts sehr nahe liegt. Angesichts der hohen Hemmschwelle bei solchen Delikten bedarf die Frage der Billigung des Todes indes einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, in die vor allem auch die psychische Verfassung des Täters bei der Tatbegehung sowie seine Motive mit einzubeziehen sind (vgl. BGH, Urteil vom 4. November 1988 - 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 9 f.; BGH, Urteil vom 25. November 1987 - 3 StR 449/87, BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 4; BGH, Urteil vom 31. Oktober 1990 - 3 StR 332/90, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 24; BGH, Urteil vom 24. März 1993 - 3 StR 485/92, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 35; BGH, Urteil vom 7. November 2002 - 3 StR 216/02, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 55; BGH, Beschluss vom 26. August 2005 - 3 StR 259/05, NStZ-RR 2006, 9 f.). Insbesondere bei spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen kann aus dem Wissen um den möglichen Eintritt des Todes nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass das - selbständig neben dem Wissenselement stehende - voluntative Vorsatzelement gegeben ist (BGH, Beschluss vom 23. April 2003 - 2 StR 52/03, NStZ 2003, 603; BGH, Beschluss vom 8. Mai 2008 - 3 StR 142/08, NStZ 2009,

91).

6
b) Diesen rechtlichen Anforderungen an eine sorgfältige Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes werden die Ausführungen des Landgerichts gerecht. Es hat alle bedeutsamen objektiven und subjektiven Umstände der Tat in seine Überlegungen einbezogen und insbesondere ges ehen, dass der Messerstich in den Brustkorb des Tatopfers eine hochgradig lebensgefährliche Gewalthandlung war, die ein gewichtiges Indiz dafür ist, dass der Angeklagte den von ihm als möglich erkannten Eintritt des Todes auch billigte. Auch hat es sich mit der ausgesprochenen Drohung "ich steche dich ab, du bist tot" auseinandergesetzt. Soweit es wegen des in affektiver Erregung und unter der enthemmenden Wirkung von Alkohol und Rauschgift spontan ausgeführten einzelnen Messerstichs , der körperlichen Unterlegenheit des Angeklagten, der vom Herzen wegführenden Stichbewegung, des fehlenden Tötungsmotivs und des Nachtatverhaltens des Angeklagten seine Zweifel am Vorliegen des voluntativen Elements des bedingten Tötungsvorsatzes nicht hat überwinden können, ist dies revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Zwar hat das Landgericht - wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift im Einzelnen dargestellt hat - die Annahme erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit gemäß § 21 StGB unzureichend begründet. Dieser Rechtsfehler schlägt jedoch nicht auf die Beweiswürdigung zum Tötungsvorsatz durch; denn entscheidend ist insoweit, dass der Angeklagte, unabhängig davon, ob die Voraussetzungen des § 21 StGB gegeben sind, nach den Urteilsfeststellungen die Tat aus einem spontanen, intoxikationsbedingten Handlungsimpuls heraus begangen hat. Die gegen die Überzeugungsbildung der Strafkammer vorgebrachten Beanstandungen des Be- schwerdeführers erschöpfen sich in einer eigenen Beweiswürdigung mit zum Teil urteilsfremdem Vorbringen und zeigen aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausführlich dargestellten Gründen keinen Rechtsfehler auf.
7
3. Für die Entscheidung kann offen bleiben, ob die sachverständig beratene Strafkammer rechtsfehlerhaft eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) des Angeklagten bejaht und deshalb der Strafzumessung zu Unrecht den gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen der gefährlichen Körperverletzung zugrunde gelegt hat. Denn die Nachprüfung des Revisionsgerichts erstreckt sich bei der Revision eines Nebenklägers lediglich darauf, ob der Schuldspruch wegen eines Nebenklagedelikts rechtsfehlerhaft unterblieben ist, nicht aber auf die Fehlerfreiheit der Strafzumessung. Dies folgt daraus, dass der Strafausspruch des abgeurteilten Nebenklagedeliktes gemäß § 400 Abs. 1 StPO selbst nicht Gegenstand einer zulässigen Revisionsrüge eines Nebenklägers sein kann. Diesem Anliegen des Gesetzgebers würde es widersprechen, wenn eine solche Nachprüfung des Strafmaßes allein dadurch erreicht werden könnte, dass die fehlerhafte Nichtaburteilung eines (weiteren) tateinheitlich begangenen - möglicherweise völlig fern liegenden - Nebenklagedelikts gerügt wird (BGH, Beschluss vom 23. April 2002 - 3 StR 106/02, BGHR StPO § 400 Abs. 1 Prüfungsumfang 3; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 400 Rn. 7). Becker von Lienen Sost-Scheible Hubert Mayer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 558/11
vom
22. März 2012
in der Strafsache
gegen
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
____________________________
Zur "Hemmschwellentheorie" bei Tötungsdelikten.
BGH, Urteil vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11 - LG Saarbrücken
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. März
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Dr. Mutzbauer,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 17. Juni 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist,
b) in den Aussprüchen über die Gesamtfreiheitsstrafe, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug eines Teils der Gesamtstrafe vor der Unterbringung.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben ,
a) soweit der Angeklagte wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe und
c) im gesamten Ausspruch über die verhängten Maßnahmen.
3. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und einem Monat verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug eines Teils der Gesamtstrafe angeordnet sowie Maßnahmen nach §§ 69, 69a StGB verhängt. Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen. Die Staatsanwaltschaft hat ihr Rechtsmittel nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist mit Einzelausführungen zur Verneinung des Tötungsvorsatzes und zur Anordnung der Unterbringung in dem angefochtenen Urteil näher begründet; im danach verbleibenden Umfang hat ihre Revision Erfolg. Der Angeklagte erzielt mit seinem Rechtsmittel einen Teilerfolg.

A.


2
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
3
I. Nach den Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen war der Angeklagte vor den hier abgeurteilten Taten u.a. bereits wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten: Am 8. Juni 2009 ordnete das Amtsgericht Saarbrücken gegen ihn wegen gefährlicher Körperverletzung eine Erziehungsmaßregel und ein Zuchtmittel an. Der Angeklagte hatte im Rahmen einer tätlichen Auseinandersetzung zweimal mit einem Schraubenzieher in den linken Mittelbauch des Geschädigten gestochen. Wegen einer etwa sechs Wochen nach dieser Ahndung begangenen (ersichtlich: vorsätzlichen) Körperverletzung verhängte das Amtsgericht Saarbrücken gegen ihn mit Strafbefehl vom 2. Oktober 2009 eine Geldstrafe in Höhe von 80 Tagessätzen. Er hatte seine damalige Lebensgefährtin so lange gewürgt, bis diese Angst hatte zu ersticken; von ihr hatte er erst abgelassen, als sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Sechs Tage vor dem hier abgeurteilten Angriff auf den Nebenkläger (nachfolgend zu Ziff. III.) stellte die Staatsanwaltschaft Saarbrücken ein gegen den Angeklagten geführtes Ermittlungsverfahren mangels öffentlichen Interesses ein; der Angeklagte hatte einem Besucher der Saarbrücker Diskothek „ “ angedroht, er werde ihn „abstechen, wenn er herauskomme“.
4
Bei der konkreten Strafzumessung teilt das Landgericht mit, dass der Angeklagte sich darauf berufen habe, in sämtlichen Fällen von den Zeugen bewusst der Wahrheit zuwider belastet worden zu sein.
5
II. Am 12. Oktober 2010 befuhr der Angeklagte mit einem entliehenen und abredewidrig weiter genutzten Pkw Smart gegen 5.45 Uhr öffentliche Straßen in Saarbrücken, u.a. die Straße in Saarbrücken-St. Johann. Infolge seiner alkoholischen Beeinflussung – er wies bei der Tat einen Blutalko- holgehalt von mindestens 1,35 ‰ auf – verkannteer den Straßenverlauf und überfuhr ein Stopp-Schild. Es kam beinahe zu einem Zusammenstoß mit dem Kleinbus des V. , der die vorfahrtberechtigte straße befuhr. An der Kreuzung Straße/ straße stieß der Angeklagte an ei- nen eisernen Begrenzungspfosten und riss diesen um; er kam mit dem von ihm gefahrenen, schwer beschädigten Fahrzeug erst auf einem angrenzenden Schulhof zum Stehen. Seine Fahrunsicherheit hätte er bei gewissenhafter Prüfung vor Antritt der Fahrt erkennen können.
6
III. In der Nacht zum 18. November 2010 beobachtete der Angeklagte in der Saarbrücker Diskothek „ “ einen Streit zwischen zwei ihm nicht näher bekannten Personen. Als der Nebenkläger diesen Streit schlichten wollte, mischte sich auch der Angeklagte in die Auseinandersetzung ein und geriet mit dem Nebenkläger in Streit. Es kam zu wechselseitigen Beleidigungen; der Angeklagte schlug dem Nebenkläger ins Gesicht. Anschließend trennten die Türsteher die Streitenden. Etwa 20 Minuten später lebte die Auseinandersetzung vor der Diskothek erneut auf; nach weiteren wechselseitigen Beleidigungen schlug nunmehr der Nebenkläger dem Angeklagten ins Gesicht. Auch dieses Mal trennten die Türsteher die Streitenden. Nachdem man sich kurzzeitig in unterschiedliche Richtungen entfernt hatte, setzte der Nebenkläger dem Angeklagten nach und schlug ihm ein weiteres Mal ins Gesicht; im Rahmen der sich anschließenden Rangelei blieb der Angeklagte der körperlich Unterlegene. Ein drittes Mal trennten die herbeigeeilten Türsteher die Streitenden. Der Angeklagte entfernte sich. Der Nebenkläger begab sich in Begleitung eines Freundes zu einem Taxistand, an dem sich eine Gruppe von „Nachtschwärmern“ ver- sammelt hatte.
7
Nach etwa 15 Minuten kam der Angeklagte plötzlich hinter einer Ecke hervor. Er lief unmittelbar auf den Nebenkläger zu und stach seinem nichts ahnenden Opfer sofort von seitlich hinten kommend in den Rücken. Mit den Wor- ten „Verreck‘, du Hurensohn“ rammte er ihm ein 22 cm langesdoppelklingiges Messer mit einer Klingenlänge von 11 cm derart heftig in den Rücken, dass die achte Rippe des Opfers durchtrennt wurde und die Klinge anschließend noch in die Lunge eindrang. Der Nebenkläger sackte auf dem Boden zusammen. Es entwickelten sich tumultartige Zustände; der Begleiter des Nebenklägers brachte den Angeklagten zu Boden und hielt ihn bis zum Eintreffen der Polizei fest. Die Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit betrug beim Angeklagten maximal 1,58 ‰.
8
Der Nebenkläger erlitt einen Hämatopneumothorax; es bestand akute Lebensgefahr. Ohne eine sofort durchgeführte Notoperation wäre er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verstorben. Er leidet nach wie vor unter erheblichen physischen und psychischen Beeinträchtigungen.

B.


9
Die Revision des Angeklagten
10
I. Der Angeklagte hat mit seinem Revisionsangriff Erfolg, soweit er sich gegen seine Verurteilung wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 3 Nr. 2 StGB und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wendet.
11
1. Die Feststellungen des Landgerichts belegen die für die Annahme einer Tat nach § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 3 Nr. 2 StGB vorausgesetzte Herbeiführung einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder eine fremde Sache von bedeutendem Wert nicht. Nach gefestigter Rechtsprechung muss die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt haben, in der - was nach all- gemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist - die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt war, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (BGH, Urteile vom 30. März 1995 – 4 StR 725/94, NJW 1995, 3131 f., zu § 315 c StGB, und vom 4. September 1995 – 4 StR 471/95, NJW 1996, 329 f., zu § 315 b StGB; vgl. weiter SSW-Ernemann, StGB, § 315 c Rn. 22 ff.).
12
Da für den Eintritt des danach erforderlichen konkreten Gefahrerfolgs das vom Angeklagten geführte fremde Fahrzeug nicht in Betracht kommt (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 1976 – 4 StR 465/76, BGHSt 27, 40; Beschluss vom 19. Januar 1999 – 4 StR 663/98, NStZ 1999, 350, 351), auch der Verkehrswert und die Höhe des Schadens an dem Begrenzungspfosten nicht festgestellt sind (vgl. OLG Stuttgart DAR 1974, 106, 107; OLG Jena OLGSt § 315 c StGB Nr. 16; zur maßgeblichen Wertgrenze s. BGH, Beschluss vom 28. September 2010 – 4 StR 245/10, NStZ 2011, 215), kommt es auf die Begegnung mit dem Kleinbus des V. an. Nach den in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäben genügen die hierauf bezogenen Feststellungen des Landgerichts den Anforderungen zur Darlegung einer konkreten Gefahr nicht. Einen Verkehrsvorgang, bei dem es zu einem "Beinahe-Unfall" gekommen wäre - also ein Geschehen, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, "das sei noch einmal gut gegangen" (Senat, Urteile vom 30. März 1995 und vom 4. September 1995, jew. aaO) -, hat das Schwurgericht nicht mit Tatsachen belegt. Dass sich beide Fahrzeuge beim Querverkehr in enger räumlicher Nähe zueinander befunden haben, genügt für sich allein nicht. Insbesondere ergeben die bisher getroffenen Feststellungen nicht, dass es dem Angeklagten und V. etwa nur auf Grund überdurchschnittlich guter Re- aktion sozusagen im allerletzten Moment gelungen ist, einer sonst drohenden Kollision durch Ausweichen zu begegnen.
13
2. Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs entzieht der hierwegen verhängten Einzelstrafe, der Gesamtstrafe und den Maßnahmen nach §§ 69, 69 a StGB die Grundlage.
14
3. Die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht ist „vollumfänglich“ der psychiatrischen Sachverständigen gefolgt, welche die negative Gefahrenprognose mit „seiner (des Angeklagten) offenkundigen sich steigernden Neigung zu körperlichen Übergriffen“ begründet hat.Im Rahmen der konkreten Strafzumessung teilt das Schwurgericht mit, dass es, nachdem der Angeklagte behauptet hatte, früherer Aggressionsdelikte bewusst wahrheitswidrig beschuldigt worden zu sein, „die Anträge der Verteidigung auf Sachverhaltsaufklärung aller vorheriger Verfahren zurückgewiesen“ und „lediglich die Warn- funktion der beiden Vorstrafen“ berücksichtigt hat. Danach findet die die Prog- nose tragende Erwägung in den getroffenen Feststellungen keine ausreichende Grundlage.
15
II. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
16
III. 1. Der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter wird zunächst die Verkehrssituation, in der sich die beiden beteiligten Fahrzeuge bei ihrer Annäherung im Vorfallszeitpunkt befanden, näher aufzuklären haben. Auch wenn an die diesbezüglichen Feststellungen im Urteil keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen (vgl. Senat, Urteil vom 30. März 1995, aaO), wird sich der Tatrichter um nähere Ermittlung der von beiden Fahrzeugen im Vorfallszeitpunkt gefahrenen Geschwindigkeiten, ihrer Entfernung zueinander, zur Beschaffenheit des Straßenverlaufs und der Kreuzung sowie der am Vorfallsort bestehenden Ausweichmöglichkeiten zu bemühen und das Ergebnis in einer Weise im Urteil darzulegen haben, die dem Revisionsgericht eine Nachprüfung ermöglicht, ob eine - wie beschrieben - konkrete Gefahr im Sinne eines "Beinahe -Unfalls" bereits vorlag.
17
2. Der neue Tatrichter wird auch die Einwendungen der revisionsführenden Staatsanwaltschaft und des Generalbundesanwalts gegen die Unterbringungsanordnung zu berücksichtigen haben.

C.


18
Die Revision der Staatsanwaltschaft
19
Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat in vollem Umfang Erfolg.
20
I. Das Rechtsmittel ist zulässig.
21
1. Zwar hat die Staatsanwaltschaft entgegen § 344 Abs. 1 StPO innerhalb der Revisionsbegründungsfrist (§ 345 Abs. 1 Satz 2 StPO) keinen Revisionsantrag gestellt. Sie hat bis zu diesem Zeitpunkt lediglich die bereits in ihrer Einlegungsschrift vorgebrachte allgemeine Sachrüge erhoben. Diese – auch Nr. 156 Abs. 2 RiStBV widersprechende – Verfahrensweise ist in dem hier gegebenen Einzelfall aber unschädlich. Freilich hat der Bundesgerichtshof wie- derholt Revisionen der Staatsanwaltschaft, die ohne Antragstellung lediglich mit der allgemeinen Sachrüge begründet waren, für unzulässig gehalten. Dies betraf jedoch Strafverfahren, in denen einem (BGH, Beschluss vom 21. Mai 2003 – 5 StR 69/03, bei Becker NStZ-RR 2004, 228) oder mehreren Angeklagten (BGH, Beschluss vom 7. November 2002 – 5 StR 336/02, NJW 2003, 839) eine Vielzahl von Straftaten zur Last gelegt oder in denen der Angeklagte teilweise freigesprochen worden war und die Angriffsrichtung des Rechtsmittels bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist unklar blieb (BGH, Beschluss vom 5. November 2009 – 2 StR 324/09, NStZ-RR 2010, 288). So verhält es sich hier nicht: Gegenstand des von der Staatsanwaltschaft angefochtenen Urteils sind lediglich zwei Taten; in der Erhebung der uneingeschränkten allgemeinen Sachrüge ist daher die Erklärung der revisionsführenden Staatsanwaltschaft zu sehen, dass das Urteil insgesamt angefochten werde (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 344 Rn. 3 m.w.N.).
22
2. Nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist hat die Staatsanwaltschaft mit Schriftsatz vom 12. September 2011 einen umfassenden Aufhebungsantrag gestellt. Mit ihren Einzelausführungen hat sie sodann jedoch lediglich gerügt, dass das Landgericht in dem oben unter A. III. geschilderten Fall zu Unrecht den Tötungsvorsatz des Angeklagten verneint hat; außerdem hat sie die Anordnung seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt beanstandet. Dies ist als Teilrücknahme gemäß § 302 Abs. 1 Satz 1 StPO zu werten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Mai 2005 – 5 StR 86/05 und vom 6. Juli 2005 – 2 StR 131/05) und führt dazu, dass der Schuldspruch wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs, die dieserhalb verhängte Einzelstrafe und die Maßnahmen nach §§ 69, 69 a StGB nicht (mehr) auf Revision der Staatsanwaltschaft zu überprüfen sind.
23
II. In dem vorgenannten Umfang erweist sich das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft als begründet. Die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
24
1. Nach Auffassung des Schwurgerichts sprechen zwar nicht unerhebliche Gesichtspunkte für einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz, nämlich insbesondere die erhebliche Wucht des von dem Ausspruch „Verreck‘, du Hurensohn“ begleiteten Messerstichs. Dagegenstehe indes die Tatsache, dass der Angeklagte lediglich einen Stich ausgeführt habe und darüber hinaus auch nicht unerheblich alkoholisiert gewesen sei. „Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der Hemmschwellentheorie sieht die Kammer im Zweifel zu Gunsten des Angeklagten einen Tötungsvorsatz als nicht mit letzter Sicherheit erwiesen an.“
25
2. Diese Beweiserwägungen halten – auch eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 2012 – 4 StR 499/11, m.w.N.) – rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Begründung, mit der das Landgericht meinte, dem Angeklagten nicht wenigstens bedingten Tötungsvorsatz nachweisen zu können, ist lückenhaft und teilweise widersprüchlich.
26
a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (BGH, Urteil vom 9. Mai 1990 – 3 StR 112/90, BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 7 m.w.N.). Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen und - weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt - einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt (BGH, Beschluss vom 7. Juli 1992 – 5StR 300/92, NStZ 1992, 587, 588). Zwar können das Wissens- oder das Willenselement des Eventualvorsatzes gleichwohl im Einzelfall fehlen, so etwa, wenn dem Täter, obwohl er alle Umstände kennt, die sein Vorgehen zu einer das Leben gefährdenden Behandlung machen, das Risiko der Tötung infolge einer psychischen Beeinträchtigung – z.B. Affekt, alkoholische Beeinflussung oder hirnorganische Schädigung (BGH, Beschluss vom 16. Juli 1996 – 4 StR 326/96, StV 1997, 7; Schroth NStZ 1990, 324, 325) – zur Tatzeit nicht bewusst ist (Fehlen des Wissenselements) oder wenn er trotz erkannter objektiver Gefährlichkeit der Tat ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges vertraut (Fehlen des Willenselements). Bei der erforderlichen Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände (vgl. BGH, Urteile vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 9 f., vom 20. Dezember 2011 – VI ZR 309/10, WM 2012, 260, 262, und vom 21. Dezember 2011 – 1StR 400/11) darf der Tatrichter den Beweiswert offensichtlicher Lebensgefährlichkeit einer Handlungsweise für den Nachweis eines bedingten Tötungsvorsatzes nicht so gering veranschlagen, dass auf eine eingehende Auseinandersetzung mit diesen Beweisanzeichen verzichtet werden kann (BGH, Urteil vom 7. Juni 1994 – 4 StR 105/94, StV 1994, 654; vgl. zusammenfassend zuletzt BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11 m.w.N.).
27
b) Diese Prüfung lässt das Landgericht vermissen. Seinen knappen Ausführungen kann der Senat schon nicht die erforderliche Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände entnehmen. Es wird darüber hinaus nicht erkennbar, ob das Schwurgericht bereits Zweifel daran hatte, dass der Angeklagte den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkannte, oder nur daran, dass er ihn billigte oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfand.
28
aa) Soweit die Alkoholisierung des Angeklagten angesprochen wird, könnte dies für Zweifel des Landgerichts auch am Wissenselement sprechen. Abgesehen davon jedoch, dass eine maximale Alkoholkonzentration von 1,58 ‰ bei dem zur Tatzeit trinkgewohnten Angeklagten keinen Anhalt für solche Zweifel begründet, leidet das angefochtene Urteil an dieser Stelle – wie der Generalstaatsanwalt in Saarbrücken zu Recht geltend macht – an einem inneren Widerspruch: Während die Alkoholisierung bei der Prüfung des Tötungsvorsatzes als „nicht unerheblich“ bezeichnet wird, geht das Schwurgericht im Zusammenhang mit § 64 StGB – in Übereinstimmung mit der gehörten Sachverständigen – von einer „lediglich geringe(n) Beeinträchtigung durch Alkohol“ aus. Auch bei der Prüfung verminderter Schuldfähigkeit gelangt das sachverständig beratene Landgericht „nicht zu der Annahme einer erheblichen Beeinflussung“ des Angeklagten. Es legt auch nicht dar, wieso die den Stich begleitende Bemerkung überhaupt Raum für Zweifel daran lässt, dass der Angeklagte, dem die Lebensgefährlichkeit des Messerstichs bewusst war (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB), die Möglichkeit eines tödlichen Verlaufs erkannt hat. Insgesamt ergeben sich aus den bisherigen Feststellungen keine Anhaltspunkte, die die Annahme rechtfertigen könnten, eine psychische Beeinträchtigung habe dem Angeklagten die Erkenntnis einer möglichen tödlichen Wirkung seines in den oberen Rückenbereich zielenden, in hohem Maße lebensgefährlichen Angriffs verstellt (vgl. zur Allgemeinkundigkeit dieses Umstands BGH, Urteil vom 16. April 2008 – 2 StR 95/08 und zur Entbehrlichkeit medizinischen Detailwissens BGH, Urteil vom 13. Dezember 2005 – 1 StR 410/05, NStZ 2006, 444, 445).
29
bb) Die Annahme einer Billigung liegt nahe, wenn der Täter sein Vorhaben trotz erkannter Lebensgefährlichkeit durchführt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2005 – 4 StR 109/05, NStZ-RR 2005, 372; Urteil vom 18. Oktober 2007 – 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93 f.). Hierbei sind die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände – insbesondere die konkrete Angriffsweise –, die psychische Verfassung des Täters bei der Tatbegehung sowie seine Mo- tivation in die Beweiswürdigung mit einzubeziehen (vgl. BGH, Urteile vom 27. August 2009 – 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372, und vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 702). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Vertrauen auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolgs regelmäßig dann zu verneinen, wenn der vorgestellte Ablauf des Geschehens einem tödlichen Ausgang so nahe kommt, dass nur noch ein glücklicher Zufall diesen verhindern kann (BGH, Urteile vom 16. September 2004 – 1 StR 233/04, NStZ 2005, 92, vom 23. Juni 2009 – 1 StR 191/09, NStZ 2009, 629, 630, und vom 1. Dezember 2011 - 5 StR 360/11).
30
Rechtlich tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte trotz der Lebensgefährlichkeit des Messerstichs ernsthaft und nicht nur vage (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Oktober 1990 – 3 StR 332/90, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 24) darauf vertraut haben könnte, der Nebenkläger würde nicht zu Tode kommen, hat das Landgericht nicht festgestellt und liegen bei dem Tatgeschehen auch fern (vgl. BGH, Urteile vom 6. März 1991 – 2 StR 333/90, NStE Nr. 27 zu § 212 StGB, und vom 18. Oktober 2006 – 2 StR 340/06, NStZ 2007, 150, 151). Entgegen der Meinung des Landgerichts spricht insbesondere das Unterlassen weiterer Angriffe nicht gegen die Billigung des Todes. Nach dem Messerstich sackte der – nach dem Gutachten des gerichtsmedizinischen Sachverständigen konkret lebensbedrohlich verletzte – Nebenkläger zu Boden; es ist schon nicht festgestellt, ob der Angeklagte davon ausging, ihn bereits tödlich verletzt zu haben, so dass es aus seiner Sicht weiterer Stiche nicht bedurfte (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 2008 – 2 StR 95/08). Außerdem brachte der Begleiter des Nebenklägers den Angeklagten mit Gewalt zu Boden und hielt ihn bis zum Eintreffen der Polizei fest; auch brach infolge der Tat ein Tumult aus. Danach liegt es nicht nahe, dass der Angeklagte überhaupt noch die Gelegenheit zu einem weiteren Messerstich auf sein am Boden liegendes Opfer hatte.
31
cc) Soweit das Landgericht sich ergänzend auf eine „Hemmschwellentheorie“ berufen hat, hat es deren Bedeutung für die Beweiswürdigung verkannt.
32
Es hat schon nicht mitgeteilt, was es darunter im Einzelnen versteht und in welchem Bezug eine solche „Theorie“ zu dem von ihm zu beurteilenden Fall stehen soll. Die bloße Erwähnung dieses Schlagworts wird vom Generalstaatsanwalt in Saarbrücken und vom Generalbundesanwalt daher mit Recht als „pauschal“ bzw. „formelhaft“ bezeichnet. Zwarhat auch der Bundesgerichtshof immer wieder auf die „für Tötungsdelikte deutlich höhere Hemmschwelle“ hin- gewiesen (vgl. nur BGH, Urteil vom 7. Juni 1994 – 4 StR 105/94, StV 1994, 654; abl. z.B. Brammsen JZ 1989, 71, 78; Fahl NStZ 1997, 392; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 212 Rn. 15 f.; Geppert Jura 2001, 55, 59; SSW-StGB/Momsen § 212 Rn. 12; Paeffgen, FS für Puppe, 791, 797 Fn. 25, 798 Fn. 30; NKStGB /Puppe, 3. Aufl., § 212 Rn. 97 ff.; Rissing-van Saan, FS für Geppert, 497, 505 f., 510; Roxin, Strafrecht AT, Bd. I, 4. Aufl., § 12 Rn. 79 ff.; MünchKommStGB /Schneider § 212 Rn. 48 f.; SK-StGB/Sinn § 212 Rn. 35; Trück NStZ 2005, 233, 234 f.; Verrel NStZ 2004, 233 ff.; vgl. auch Altvater NStZ 2005, 22, 23), allerdings auch gemeint, in Fällen des Unterlassens bestünden „generell keine psychologisch vergleichbaren Hemmschwellen vor einem Tötungs- vorsatz“ (BGH,Urteil vom 7. November 1991 – 4 StR 451/91, NJW 1992, 583, 584; dazu Puppe NStZ 1992, 576, 577: „Anfang vom Ende der Hemm- schwellentheorie“).Für Fälle des positiven Tuns hat er an das Postulat einer Hemmschwelle anknüpfend weiter ausgeführt, dass selbst die offen zutage tretende Lebensgefährlichkeit zugefügter Verletzungen ein zwar gewichtiges Indiz, nicht aber einen zwingenden Beweisgrund für einen (bedingten) Tötungsvorsatz des Täters bedeute, der Tatrichter vielmehr gehalten sei, in seine Beweiserwägungen alle Umstände einzubeziehen, welche die Überzeugung von einem Handeln mit (bedingtem) Tötungsvorsatz in Frage stellen könnten (BGH, Beschlüsse vom 3. Dezember 1997 – 3 StR 569/97, NStZ-RR 1998, 101, vom 8. Mai 2001 – 1 StR 137/01, NStZ 2001, 475, 476, und vom 2. Februar 2010 – 3 StR 558/09, NStZ 2010, 511, 512);sachlich vergleichbar fordern andere Entscheidungen vom Tatrichter, immer auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen , dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut habe, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten (BGH, Beschlüsse vom 8. Mai 2008 – 3 StR 142/08, NStZ 2009, 91, und vom 22. April 2009 – 5 StR 88/09, NStZ 2009, 503; Urteil vom 25. März 2010 – 4 StR 594/09 m.w.N.). Wieder andere Entscheidungen verlangen „eine eingehende Prüfung anhand aller Umstände des Einzelfalles“ (BGH, Urteil vom 8. März 2001 – 4 StR 477/00, StV 2001, 572; ähnlich bereits BGH, Beschluss vom 27. November 1975 – 4 StR 637/75, VRS 50, 94, 95).
33
An den rechtlichen Anforderungen ändert sich indessen nichts, wenn die zur Annahme oder Verneinung bedingten Tötungsvorsatzes führende Beweiswürdigung ohne Rückgriff auf das Postulat einer Hemmschwelle überprüft wird (BGH, Urteile vom 3. Juli 1986 – 4 StR 258/86, NStZ 1986, 549, 550, und vom 7. August 1986 – 4 StR 308/86, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 3 [jeweils: sorgfältige Prüfung], sowie vom 11. Dezember 2001 – 1 StR 408/01, NStZ 2002, 541, 542 [Ausführungen zu einer Hemmschwelle bei stark alkoholisiertem Täter ohne Motiv nicht geboten]; ebenso für Fälle affektiv erregter, alkoholisierter , ohne Motiv, spontan oder unüberlegt handelnder Täter BGH, Beschlüsse vom 21. Oktober 1986 – 4 StR 563/86, StV 1987, 92, vom 7. Juli 1999 – 2 StR 177/99, NStZ 1999, 507, 508,und vom 7. November 2002 – 3 StR 216/02, NStZ 2004, 51; Urteil vom 14. November 2001 – 3 StR 276/01; Beschluss vom 2. Dezember 2003 – 4 StR 385/03, NStZ 2004, 329, 330; Urteil vom 14. Dezember 2004 - 4 StR 465/04; Beschluss vom 20. September2005 – 3StR 324/05, NStZ 2006, 169, 170; Urteile vom 30. August 2006 – 2 StR 198/06, NStZ-RR 2007, 43, 44 [zusätzlich gruppendynamischer Prozess], vom 18. Januar 2007 – 4 StR 489/06, NStZ-RR 2007, 141, 142, und vom 23. Juni 2009 – 1 StR 191/09, NStZ 2009, 629, 630; Beschluss vom 6. Dezember 2011 – 3 StR 398/11; vgl. auch BGH, Beschluss vom 14. Januar 2003 – 4 StR 526/02, NStZ 2003, 369).
34
Im Verständnis des Bundesgerichtshofs erschöpft sich die „Hemmschwellentheorie“ somit in einem Hinweis auf § 261 StPO (BGH, Urteil vom 11. Januar 1984 – 2 StR 615/83, StV 1984, 187, Beschluss vom 27. Juni 1986 – 2 StR 312/86, StV 1986, 421, Urteile vom 22. November 2001 – 1 StR 369/01, NStZ 2002, 314, 315, vom 23. April 2003 – 2 StR 52/03, NStZ 2003, 603, 604, und vom 16. Oktober 2008 – 4 StR 369/08, NStZ 2009, 210, 211: jeweils sorgfältige Prüfung; vgl. weiter BGH, Urteil vom 25. November 1987 – 3 StR 449/87, NStZ 1988, 175; Beschlüsse vom 19. Juli 1994 – 4 StR 348/94, NStZ 1994, 585, und vom 25. November 2010 – 3 StR 364/10, NStZ 2011, 338, 339; Urteil vom 15. Dezember 2010 – 2 StR 531/10, NStZ 2011, 210, 211; MünchKommStGB/Schneider § 212 Rn. 48: „prozessuale Selbstver- ständlichkeit“).Der Bundesgerichtshof hat demgemäß immer wieder hervorgehoben , dass durch sie die Wertung der hohen und offensichtlichen Lebensge- fährlichkeit von Gewalthandlungen als ein gewichtiges auf Tötungsvorsatz hinweisendes Beweisanzeichen (BGH, Urteil vom 24. April 1991 – 3 StR 493/90) in der praktischen Rechtsanwendung nicht in Frage gestellt oder auch nur relativiert werden solle (BGH, Urteile vom 24. März 1993 – 3 StR 485/92, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 35, vom 12. Januar 1994 – 3 StR 636/93, NStE Nr. 33 zu § 212 StGB, vom 11. Oktober 2000 – 3 StR 321/00, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 51, und vom 27. August 2009 – 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372), auch nicht bei Taten zum Nachteil des eigenen Kindes (BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 305). Zur Verneinung des voluntativen Vorsatzelements bedarf es vielmehr in jedem Einzelfall tragfähiger Anhaltspunkte dafür, dass der Täter ernsthaft darauf vertraut haben könnte, der Geschädigte werde nicht zu Tode kommen (BGH, Urteile vom 24. März 2005 – 3 StR 402/04, vom 9. August 2005 – 5 StR 352/04, NStZ 2006, 98, 99, vom 25. Mai 2007 – 1 StR 126/07, NStZ 2007, 639, 640, und vom 16. Oktober 2008 aaO; Trück aaO S. 239 f.). Daran fehlt es hier (vgl. vorstehend unter bb).
35
Der Hinweis des Landgerichts auf eine „Hemmschwellentheorie“ entbehrt somit jedes argumentativen Gewichts. Im Übrigen hätte das Schwurgericht sich – von seinem Standpunkt aus – damit auseinander setzen müssen, dass schon der festgestellte Handlungsablauf, nämlich das wuchtige und zielgerichtete Stechen eines Messers aus schnellem Lauf in den Rücken eines ahnungslosen Opfers, das Überwinden einer etwa vorhandenen Hemmschwelle voraussetzt (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 2008 – 2 StR 95/08). Auch ist eine erhebliche Alkoholisierung (oder ein Handeln in affektiver Erregung und aufgrund spontanen Entschlusses) nach sicherer Erfahrung gerade besonders geeignet, eine etwa vorhandene Hemmschwelle auch für äußerst gefährliche Gewalthandlungen herabzusetzen (BGH, Urteil vom 24. Februar 2010 – 2 StR 577/09, NStZ- RR 2010, 214, 215; NK-StGB/Puppe, 3. Aufl., § 15 Rn. 93; Rissing-van Saan, aaO, S. 515; Roxin, aaO, Rn. 81; MünchKommStGB/Schneider § 212 Rn. 50; Trück aaO S. 238; Verrel aaO S. 311).
36
dd) Nach alledem kann der Senat offen lassen, ob die zusammenfassende Bemerkung des Landgerichts, es sehe „einen Tötungsvorsatz als nicht mit letzter Sicherheit erwiesen an“, nicht auf eine Überspannung der Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung hindeutet. Auch bedarf es keiner Entscheidung, ob hier nicht – etwa im Blick auf die den Messerstich begleitende Äußerung des Angeklagten – die Annahme direkten Tötungsvorsatzes näher liegt.
37
3. Auf der fehlerhaften Beweiswürdigung beruht der Schuldspruch wegen der Tat zum Nachteil des Nebenklägers. Nach den bisherigen Feststellungen liegt die Annahme eines strafbefreienden Rücktritts vom Tötungsversuch nicht nahe (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 2010 – 2 StR 536/10, NStZ 2011, 209).
38
III. Der aufgezeigte Mangel zwingt zur Aufhebung der für sich gesehen rechtlich nicht zu beanstandenden Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung , weil ein versuchtes Tötungsdelikt hierzu in Tateinheit stünde (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1997 – 4 StR 642/96, NStZ 1997, 276; Beschluss vom 27. Juni 2000 – 4 StR 211/00). Dies entzieht der hierwegen verhängten Einzelfreiheitsstrafe , der Gesamtfreiheitsstrafe und der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nebst teilweisem Vorwegvollzug der Gesamtstrafe die Grundlage.
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IV. Der Senat weicht mit seiner Entscheidung nicht von der Rechtsprechung anderer Senate des Bundesgerichtshofs zum Tötungsvorsatz ab. Er legt ihr vielmehr die sog. Hemmschwellentheorie in dem in der bisherigen Rechtsprechung entwickelten Verständnis zu Grunde (vgl. oben C. II. 2. b) cc).
Ernemann Cierniak Franke
Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 52/03
vom
23. April 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 23. April 2003 beschlossen:
1. Nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Bonn vom 21. November 2002 wird dem Angeklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt der Angeklagte. 2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Seine hiergegen eingelegte, auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision hat – nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist – Erfolg. 1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: Der Zeuge R. verkaufte für den Angeklagten auf dem W. Platz in T. dem späteren Tatopfer I. ein Heroin-Bobble für 10 Euro. I. konsumierte das Bobble und rekla-
mierte, daß es zu klein gewesen sei. Der Angeklagte lehnte eine Geldrückzahlung ab. Zwischen dem Angeklagten und I. begann ein gegenseitiges Geschubse, das durch einen Faustschlag I. zu einer Schlägerei eskalierte. Der körperlich unterlegene Angeklagte ging zweimal zu Boden und blutete aufgrund eines herausgerissenen Ohrrings. Als I. auf den am Boden liegenden Angeklagten eintrat, schubste ihn R. weg und drängte ihn in Richtung eines Blumenkübels, in den beide hineinfielen. Nachdem ein anderer R. und I. aus dem Blumenkübel herausgezogen hatte, schlug I. auf R. ein. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte der Angeklagte ein Taschenmesser mit einer Klingenlänge von 9,5 cm und einer Klingenbreite von 2,5 cm aus der Hosentasche gezogen, es aufgeklappt und stach I. in den linken oberen Brustkorb, wobei er den Tod des Opfers zumindest billigend in Kauf nahm. I. brach wenige Meter vom Blumenkübel entfernt zusammen und starb infolge inneren Verblutens. 2. Das Urteil kann keinen Bestand haben, weil die Annahme des Landgerichts , der Angeklagte habe zumindest mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt , durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet. Die Ausführungen des Landgerichts genügen nicht den Anforderungen, die an die Darlegung und Begründung des Tatvorsatzes zu stellen sind.
a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, daß der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner, daß er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet; bewußte Fahrlässigkeit liegt hingegen dann vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft – nicht nur vage – darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten. Da diese beiden Schuldformen im
Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen bei der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissenselement als auch das Willenselement, in jedem Einzelfall besonders geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (BGHSt 36, 1, 9 f.; BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 24, 33). Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es zwar nahe, daß der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen. Ob dies im Einzelfall zutrifft, bedarf jedoch im Hinblick auf die hohe Hemmschwelle bei Tötungsdelikten einer besonders sorgfältigen tatrichterlichen Prüfung. Insbesondere bei einer spontanen, unüberlegten , in affektiver Erregung ausgeführten Einzelhandlung kann aus dem Wissen von einem möglichen Erfolgseintritt nicht allein ohne Berücksichtigung der sich aus der Persönlichkeit des Täters und der Tat ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, daß auch das – selbständig neben dem Wissenselement stehende – voluntative Vorsatzelement gegeben ist. Die Würdigung hierzu muß sich mit den Feststellungen des Urteils zur Persönlichkeit des Angeklagten auseinandersetzen und auch die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände mit in Betracht ziehen (BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 4).
b) Hier enthält das Urteil schon keine tragfähig belegten Angaben dazu, ob der Angeklagte die Gefährlichkeit des Messerstichs in den linken oberen Brustkorb erkannt und den Tötungserfolg als möglich vorausgesehen hat. Darüber hinaus hat das Landgericht auch die billigende Inkaufnahme des Erfolgseintritts nicht begründet und sich nicht mit den festgestellten Tatumständen auseinandergesetzt, die möglicherweise dagegen sprechen könnten. Nach den Urteilsgründen (UA S. 22) hat der Angeklagte aus Wut über die ihm zugefügten Mißhandlungen zum Messer gegriffen und I. den tödlichen Stich versetzt, also spontan und in affektiver Erregung gehandelt. Was er sich in dem Moment vorgestellt hat, ist nicht festgestellt, das Urteil enthält lediglich die
Angabe, daß der Angeklagte bei der Tathandlung den – später eingetretenen – Tod des Opfers zumindest billigend in Kauf nahm (UA S. 10). Hinzukommt, daß das Geschehen vor zahlreichen Zeugen stattfand; der Angeklagte mußte danach mit seiner Überführung als Täter rechnen. Dies könnte dafür sprechen, daß der Angeklagte zwar die Gefährdung I. , nicht aber auch dessen Tod in sein Bewußtsein und seinen Willen aufgenommen hatte. Möglicherweise war für die innere Tatseite beim Angeklagten auch von Bedeutung, daß objektiv eine Nothilfelage zugunsten des Zeugen R. bestand. Auch hiermit setzt sich das Urteil in Bezug auf die Vorstellungen des Angeklagten bei der Tatausführung nicht auseinander. VRiinBGH Dr. Rissing-van Saan, Bode RiBGH Dr. h.c. Detter und RiBGH Prof. Dr. Fischer sind durch Urlaub an der Unterschrift gehindert. Bode Roggenbuck

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 142/08
vom
8. Mai 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 8. Mai 2008 gemäß § 349 Abs. 4
StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 21. Januar 2008 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes (Tötung aus niedrigen Beweggründen) zur Freiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit sachlichrechtlichen Beanstandungen. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie beruht auf einer unzureichenden Würdigung der festgestellten Tatumstände.
3
a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet; vor der Annahme bedingten Vorsatzes müssen beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens- als auch das Willenselement, in jedem Einzelfall besonders geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. BGHSt 36, 1, 9 f.; BGH NStZ 2003, 603, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 24, 33). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes liegt es bei äußert gefährlichen Gewalthandlungen zwar nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit, das Opfer könne durch diese zu Tode kommen, rechnet und, weil er gleichwohl sein gefährliches Handeln fortsetzt, auch einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Deshalb ist in derartigen Fällen ein Schluss von der objektiven Gefährlichkeit der Handlungen des Täters auf bedingten Tötungsvorsatz grundsätzlich möglich. Angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung ist jedoch immer auch in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkennt oder jedenfalls darauf vertraut haben könnte, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten. Insbesondere bei spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen kann aus dem Wissen um den möglichen Erfolgseintritt nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass auch das - selbständig neben dem Wissenselement stehende - voluntative Vorsatzelement gegeben ist (vgl. BGH NStZ 2003, 603; BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 4). Dabei wird in der Regel ein Vertrauen des Täters auf das Ausbleiben des tödlichen Erfolges dann zu verneinen sein, wenn der von ihm vorgestellte Ablauf des Geschehens einem tödlichen Ausgang so nahe kommen wird, dass nur noch ein glücklicher Zufall diesen verhindern kann (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 38). Wird das Opfer in einer Weise verletzt , die offensichtlich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit - etwa einem Stich in das Herz vergleichbar - zum Tode führt (vgl. BGHR aaO 35 und 51), so liegt (zumindest) bedingter Tötungsvorsatz auf der Hand, ohne dass es dafür besonderer Anforderungen an die Darlegung der inneren Tatseite in den Urteilsgründen bedarf (vgl. BGHR aaO 57; BGH NStZ 2007, 150). Dass eine Hand- lung generell geeignet ist, tödliche Verletzungen herbeizuführen, macht hingegen eine sorgfältige Prüfung des bedingten Vorsatzes nicht entbehrlich. Der Schluss auf - bedingten - Tötungsvorsatz ist daher in solchen Fällen nur rechtsfehlerfrei , wenn der Tatrichter in seine Erwägungen auch diejenigen Umstände einbezogen hat, die ein solches Ergebnis in Frage stellen können (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 27, 50).
4
b) Gemessen daran ist der von der Schwurgerichtskammer allein aus der Art der Tatausführung - sechs mit voller Kraft geführte Hiebe mit einer 75 cm langen und gut ein Kilo schweren Eisenstange auf den Rumpf des Opfers - gezogene Schluss auf den bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten schon für sich nicht tragfähig. Schläge auf den Rumpf eines Menschen führen grundsätzlich nicht ohne weiteres zu Verletzungen, die wegen ihrer Gefährlichkeit mit hoher oder gar sehr hoher Wahrscheinlichkeit zum Tode führen. Dies gilt auch für die hier festgestellten Hiebe: Das Opfer hat im Wesentlichen Knochenbrüche im Bereich der Rippen, des Oberkörpers und an den Armen sowie großflächige Hämatome erlitten, war über mehrere Stunden nach der Tat bei Bewusstsein sowie ansprechbar und verstarb (erst) etwa drei Wochen später nach einer Lungenentzündung. Keinesfalls genügt den Anforderungen daher die pauschale Annahme des Landgerichts, dass ein Täter, der auf einem anderen in der festgestellten Art und Weise einschlage, eine für jedermann ersichtlich lebensbedrohliche Handlung vornehme und daher zumindest in der Weise mit Tötungsvorsatz handele, dass er mit der Möglichkeit tödlicher Verletzungen rechne und sich mit dem Tod des Opfers abfinde, und zwar bereits bei dem ersten heftigen Schlag. Diese Begründung lässt vielmehr besorgen, dass das Landgericht bei der Prüfung des Tötungsvorsatzes bereits die abstrakte Lebensgefährlichkeit der Tathandlungen falsch eingeschätzt und zudem die konkreten Folgen der ausgeführten Schläge nicht genügend in den Blick genommen hat.
5
Hinzu kommt, dass das Landgericht weitere maßgebliche Umstände, die gegen das Vorliegen eines Tötungsvorsatzes, insbesondere des voluntativen Vorsatzelements, sprechen könnten, nicht in die anzustellende Gesamtabwägung einbezogen hat. Insoweit lassen die Erwägungen des Landgerichts namentlich die Berücksichtigung der Tatentstehung und des Nachtatverhaltens des Angeklagten vermissen. Das Landgericht hat bei der Prüfung des Tötungsvorsatzes nicht bedacht, dass die Tathandlungen ihren Ausgangspunkt in einem strafbaren Verhalten des in der Wohnung des Angeklagten von diesem beherbergten Opfers hatten, dieses den Angeklagten auch zwischen den einzelnen Schlagserien mehrfach zur Wut provozierte und Täter wie Opfer dem Trinkermilieu angehörten. Ferner lässt das Landgericht unberücksichtigt, dass der Angeklagte bereits kurz nach der Tat einen Notruf absetzen wollte und in den folgenden etwa sieben Stunden mehrere Nachbarn hilfesuchend ansprach sowie schließlich selbst den Rettungsdienst herbeirief, wobei er allein wegen seiner Furcht vor Bestrafung so lange gezögert hatte. Schließlich hat das Landgericht die hohe Alkoholisierung des Angeklagten zur Tatzeit (3,55 o/oo lediglich im Zusammenhang mit der Frage erörtert, ob der Angeklagte deswegen daran gehindert war, die Lebensgefährlichkeit seines Handelns zu erkennen. Dieser Umstand hätte indes auch bei der Prüfung des voluntativen Vorsatzelementes Berücksichtigung finden müssen (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz , bedingter 55).
6
Die Sache bedarf daher erneuter Verhandlung und Entscheidung.
7
2. Sollte der neue Tatrichter wiederum einen (bedingten) Tötungsvorsatz bejahen, so wird er bei der Prüfung der Frage, ob die Tötung aus niedrigen Beweggründen begangen wurde, alle für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren, die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit (st. Rspr.; vgl. Fischer, StGB 55. Aufl. § 211 Rdn. 9 m.
w. N.) umfassend in den Blick nehmen müssen. Nach den bisher getroffenen Feststellungen liegt es fern, dass der Angeklagte aus niedrigen Beweggründen im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB gehandelt haben könnte. RiBGH Pfister befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Becker Kolz Hubert Schäfer

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.